Veränderungen im Bestand des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts: Eine vergleichende Untersuchung zum IPR des Vertrages anhand insbesondere der niederländischen, italienischen, französischen und deutschen Rechtsprechung [1 ed.] 9783428443338, 9783428043330

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Veränderungen im Bestand des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts: Eine vergleichende Untersuchung zum IPR des Vertrages anhand insbesondere der niederländischen, italienischen, französischen und deutschen Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428443338, 9783428043330

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ARNO WOHLGEMUTH

Veränderungen im Bestand des Geltungsgebietes des Vertragsetatute

Schriften zum Internationalen Recht Band 15

Veränderungen im Bestand des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts Eine vergleichende Untersuchung zum IPR des Vertrages anband insbesondere der niederländischen, italienischen, französischen und deutschen Rechtsprechung

Von

Dr. Arno Wohlgemuth

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Gedruckt mit Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft derFördererund Freunde der Freien Universität Berline. V.

Alle Rechte vorbehalten

© 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1979 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN S 428 04333 2

Gewidmet Pierre Grossein Coneeiller

a Ia Cour d'Appel de Beean~on

in dankbarer Erinnerung an meine ersten Aufenthalte in Frankreich

Vorwort Die Arbeit ist vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Uni· versität Berlin im Frühjahr 1978 als Dissertation angenommen worden. Sie geht zurück auf mein Referat während eines Seminars zum inter· nationalen Recht im Wintersemester 1968/69 mit dem Thema: Die Los· lösung Algeriens von Frankreich und deren Auswirkung auf vermö· gensrechtliche Verträge zwischen Algerienfranzosen. Sie entstand wäh· rend meiner Assistentenzeit am Institut für internationales und auslän· disches Recht und Rechtsvergleichung bei Professor Dr. iur. Dr. rer. pol. Dr. h. c. mult. WiZheZm WengZer, dem ich unzählige wertvolle Hinweise und Denkanstöße verdanke. Die Fülle des zusammengetragenen Mate· rials ist nicht zuletzt auch die Frucht zahlreicher von mir für Berliner Gerichte entworfener und erstatteter Gutachten zum internationalen und ausländischen Recht. Dank der an den verschiedenen philologischen Instituten der Freien Universität erworbenen Sprachkenntnisse war es mir möglich, den reichen Bestand der Bibliothek des Instituts für internationales Recht und die Bibliothek der Rechtsabteilung des Osteuropa· Instituts der Freien Universität zu nutzen und die Ergebnisse der Rechtsprechung und Lehre vom skandinavischen Rechtskreis bis zu den religiösen und tribalen Rechten Afrikas, vom romanischen Rechtskreis Lateinamerikas und anglo-amerikanischen Rechtskreis Nordamerikas bis zum sozialistischen Recht der Sowjetunion und der Volksrepublik China und bis zum traditionellen chinesischen Recht in den Ländern Südostasiens heranzuziehen. Berlin-Dahlem, im November 1978

Arno W ohlgemuth

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

27

1. Teil

Die bei der Untersuchung des Gegenstandes zu beachtenden Gesichtspunkte

33

I. Typen der Behandlung der vom alten Recht geprägten Rechts-

verhältnisse bei Wechsel des objektiven Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Paritätische Bewertung von altem und neuem Recht . . . . . . . . . . 35 2. Pejorative Bewertung des alten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

3. Altes Recht als "Unrecht" oder Produkt eines "Unrechtsregimes" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lösungen im Hinblick auf bestehende Rechtsverhältnisse . . . . . . a) Erlöschen von Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Transposition von Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versteinerung von Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Oberlagerung von Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 39 40 41 42 42

II. Das Recht des durch Sezession entstandenen Neustaates . . . . . . . . . . 43 1. Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Umdeutung der inlandsbezogenen Tatbestandselemente bzw. des territorialen Anwendungsanspruchs der Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Vorbehalt der Vereinbarkeit mit Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Vorläufige Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Vorbehalt nachträglicher Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4. Rechtlosigkeit in der "Stunde Null" infolge derogierender Generalklausel unter Aufrechterhaltung gewisser bestehender Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Das Recht in dem von einem schon bestehenden Staat annektierten Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Aufrechterhaltung des im annektierten Gebiet bisher geltenden Rechts unter Umdeutung der inlandsbezogenen Tatbestandselemente bzw. des territorialen Anwendungsanspruchs der Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

10

Inhaltsverzeichnis 2. Sofortige Einführung des Rechts des annektierenden Staates

53

3. Vorläufige Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Vorbehalt der nachträglichen Einführung des Rechts des annektierenden Staates oder der Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Zwischenlösung: Das Beispiel Elsaß-Lothringens . . . . . . . . . . . . . .

54

IV. Das Vertragsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

V. Die möglichen objektiven Anknüpfungen zur Bestimmung des ersten Vertragsstatuts bei heterogener Verknüpfung . . . . . . . . . . . . 58 1. Bestehen einer Dauerverknüpfung zu einem Staat bei Vertrags-

begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

2. Bestehen einer Ereignisverknüpfung im Zeitpunkt des Ereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Gewichtigste Kombination der Verknüpfungen im Verknüpfungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 VI. Bestimm1me: des Vertragsstatuts in einem späteren Zeitpunkt für andere Fi:ille als denen der Veränderung des Geltungsgebietes eines staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Spätere Dauerverknüpfung gleicher Art wie bei Anknüpfung

des ersten Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. AnfänP"Hche Dauerverknüpfung verstärkt durch Nachschubanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Anfängliche Ereignisverknüpfung verstärkt durch Nachschubanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4. Letzte gewichtigste Kombination von Verknüpfungen . . . . . . . .

69

5. "Versteinerung" des ersten Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

6. Erlöschen mangels einer Nachschubanknüpfung . . . . . . . . . . . . . .

74

VII. Ausdrückliche Rechtswahl und nachträgliche Rechtsänderungen . .

76

1. Ausdrückliche Rechtswahl unter Einschluß späterer R echts-

änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

2. Rechtswahl mit ausdrücklicher Ausschließung späterer Rechtsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 VIII. Bestimmung des ersten Vertragsstatuts nach hypothetischer Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Stärkste Kombination von Verknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

2. Das der Gültigkeit des Vertrages günstigere Recht . . . . . . . . . . . .

80

3. Das der stärkeren Vertragspartei günstigere Recht? . . . . . . . . . .

81

IX. Bestimmung des späteren Vertragsstatuts nach hypothetischer Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Stärkste Kombination der späteren Verknüpfungen . . . . . . . . . .

82

2. Das dem ersten Vertragsstatut ähnlichere Recht . . . . . . . . . . . . . .

83

3. Das der stärkeren Partei günstigere Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

Inhaltsverzeichnis

11

X. Vertragsstatut bei Aufteilung des Geltungsgebietes des anfänglichen Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Maßgeblichkeit des den Schutz wohlerworbener Rechte gewähr-

................. .........................

86

2. Vorrang des Rechts des "identischeren" Staates? . . . . . . . . . . . . . .

leistenden Statuts?

88

3. Entsprechende Anwendung der für die Bestimmung des Vertragsstatuts bei Wechsel der Anknüpfungsmomente in einem späteren Zeitpunkt aufgezeigten Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Versteinerung des Vertragsstatuts (belgische Rechtsprechung) 93 b) Wandlung des Vertragsstatuts (englische Rechtsprechung) . . 95 4. Auslegung der ausdrücklichen Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

5. Bestimmung des späteren Vertragsstatuts bei nachträglicher Aufteilung nach objektiven Gesichtspunkten aufgrund hypothetischer Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 XI. Sonderanknüpfung zwingender Normen eines der Nachfolgestaaten unabhängig vom Vertragsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 XII. Sonderanknüpfung des Statuts der Forderungszuordnung unabhängig vom oder "parallel" zum Vertragsstatut . . ........ .. .... 102 1. Statut der Zuordnung der Forderung einer der Spaltung der lex societatis unterliegenden juristischen Person oder einer Mehrheit von natürlichen Personen mit unterschiedlichen Wohnsitzen in einem geteilten Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

2. Anknüpfung nach Gesichtspunkten des Schuldnerschutzes . . . . 105 a) Anknüpfung bei fortbestehenden Geschäftsbeziehungen . . 105 b) Anknüpfung beim "finanzierten Kauf" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. United Bank Ltd. v. Cosmie International, Ine.......... . . .. . 107 XIII. Materiellrechtliche oder (kollisionsrechtliche) Sachnorm-Lösung bei Aufteilung des Geltungsgebietes des ursprünglichen Vertragsstatuts? ........................................... . ................ 109 1. Gebietsveränderungen und die materiellrechtliche clausula rebus sie stantibus (indische Rechtsprechung) . . . . . . . . . . . . . . . . 110

2. Gebietsveränderungen und die "kollisionsrechtliche" clausula rebus sie stantibus (indische Rechtsprechung) . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Divergierende Standpunkte der Nachfolgestaaten als Erlöschensoder Anpassungsgrund unter dem maßgeblichen "alten" Statut 121

2. Teil

Die niederländisdle Redltsprechung

124

I. Die Haltung des durch Ent kolonisierung ("Sezession") entstandenen Neustaates Indonesien gegenüber dem alten kolonialen Recht 125

12

Inhaltsverzeichnis II. Vom interregionalen (niederländisch-indisch-niederländischen) zum internationalen (indonesisch-niederländischen) Privatrechtskonflikt 128 1. Die Unterschiede zwischen der Privatrechtsordnung (insbeson-

dere dem Vertragsrecht) der Kolonie und des Mutterlandes .. 130

2. Die Rechtsprechung zum "interregionalen Schuldstatut" in Niederländisch-Indien und im Mutterland während der kolonialen Ära ................. . ............... . ................ . . . ..... 132 3. Das interregionale und das internationale Vertragsstatut im niederländischen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Die Theorie der "verkregen rechten" und die "kwestie van transpositie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 IV. Versteinerung des Statuts oder "blinddoek" der niederländischen Gerichte bei Änderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts? 141 V. Maßgeblichkeit der gewichtigsten Kombination von Verknüpfungen? ................................... . ................ .. ...... 146 1. Die Bestimmung des Statuts "in Parenthese" . . . . . . . . . . . . . . . . 146

2. Indonesisches Recht als Endstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Niederländisches Recht als Endstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Die Anwendung der "antikiesregel" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 VII. Sonderanknüpfung zwingender Normen eines der Nachfolgestatute unabhängig vom Vertragsstatut ..... .. . .. ...... . ..... .. . . . . . ... 159 VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

3. Teil Die italienische Redltsprechung

164

I. Das Vertragsstatut im italienischen IPR ... ............. . . . ..... 167 II. Nachträgliche Bestimmung des Vertragsstatuts durch die Parteien? 169 III. Anknüpfung des Vertragsstatuts an eine spätere lex communis patriae? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 IV. Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderungen des Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Revolutionäre Rechtsänderungen innerhalb der lex contractus 172

2. Änderungen zwingenden Schuldrechts innerhalb eines fremden Statuts ...................................................... 174 V. Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderung des Geltungsgebietes eines staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Inhaltsverzeichnis

13

1. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge

Annexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge Sezession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VI. Veränderungen des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Gebietsabtretungen Italiens an Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 VII. Veränderungen des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge Auflösung der italienisch-albanischen Union? .................... 186 VIII. Sonderanknüpfung späterer zwingender Normen einer Besatzungsmacht auf abhängigem Gebiet bei unverändertem Vertragsstatut (Libyen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 IX. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

4. Teit Die französische Rechtsprechung

202

I. Die Haltung des durch Unabhängigkeitsvertrag ("Sezession") entstandenen Neustaates Algerien gegenüber dem früheren französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Die Privatrechtskonflikte zwischen Metropole und abhängigem Gebiet, zwischen getrennten Währungsgebieten und zwischen Gebieten innerhalb der Metropole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der "interkoloniale" Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der "interzonale" Konflikt ............... .. ............... . . 3. Der "interprovinzielle" Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204 204 206 208

III. Das Vertragsstatut im französischen !PR . .... . . .. . .... ... . . . .... 209 IV. Das Schuldstatut im intertemporalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 V. Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderungen des Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsänderungen nichtrevolutionärer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Revolutionäre Rechtsänderungen ... .. . . ..... ....... . ........ 3. Änderungen des zwingenden Schuldrechts . ..... . .. . .......... VI. Der conflit mobile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Annexionskonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des conflit mobile in der gegenwärtigen Lehre . . . . 3. Vertragsstatut und conflit mobile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Conjugaison d'un conflit mobile et d'un changement de souverainete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211 212 213 214 216 216 220 222 223

14

Inhaltsverzeichnis

VII. Faux conflit bei Änderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts? ................. ... ................. . .............. . ..... . . 224 VIII. Versteinerung des Vertragsstatuts bei Änderung von dessen Geltungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Maßgeblichkeit des ersten Statuts mangels eines ausdrücklichen gegenteiligen Parteiwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

2. Maßgeblichkeit des ersten Statuts entsprechend dem mutmaßlichen Parteiwillen ... . ................ .. ................. .. . 233 IX. Wandlung des Vertragsstatuts bei Änderung von dessen Geltungsgebiet ..................................... . .................... 234 1. Maßgeblichkeit des ersten Statuts infolge der französischen ordre public-Klausel .. ............... ... ................ .... 235 2. Letzte gewichtigste Kombination der Verknüpfungen ..... . .... 238 3. Vorwirkung des späteren und Nachwirkung des früheren Vertragsstatuts bei Änderungen von dessen Geltungsgebiet .. .. . . 244 X. Stellungnahmen in der französischen Literatur zur Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragss~atuts infolge der Unabhängigkeit Algeriens ........... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beurteilung der durch die Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts ausgelösten Konflikte ............... .. ... 2. Lex voluntatis bei Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts ..... .. .. . .......... .. ........ . ................... 3. Anknüpfung an algerisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anpassung bei Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts? .... .... .......................... . ...................

249 249 251 252 254

XI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

S.Teil

Die deutsche Rechtsprechung

268

I. Bestimmung des Vertragsstatuts bei revolutionären Veränderungen des Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet ............. . . ... 1. Schwebende (aufschiebend bedingte) Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachträgliche R echtswahl ............. ... ........... .... .. ... 3. Versteinerung des Vertragsstatuts . . ... . . ... ............. .... . 4. Anwendbarkeit revolutionären Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

268 268 269 270 271

II. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Abtretung Deutsch-Ostafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II!. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Abtretung Deutsch-Südwestafrikas ....... . ......... . .. ... .. .... . 278

Inhaltsverzeichnis

15

IV. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Abtretung Westsamoas ........................................ . . 282 V. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Abtretungen deutscher Gebiete an Polen nach dem ersten Weltkrieg .................. .. .................................. .. .. 283 1. Option einer der deutschen Vertragsparteien für die polnische

Staatsangehörigkeit oder Verbleib einer Partei in Polen 284 a) Die land- und oberlandesgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . 285 b) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

2. Anknüpfung des Obligationsstatuts an die lex rei sitae bei hypthekarisch gesicherten Forderungen? . ................... 291 a) Die land- und oberlandesgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . 291 b) Die reichsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 VI. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Erhebung des Danziger Gebietes zur "Eigenstaatlichkeit" . . . . . . . . 293 VII. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Überantwortung des Memelgebietes an die alliierten Mächte . . . . 297 VIII. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Abtretung Nordschleswigs an Dänemark ...................... .. 299 IX. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Wiedereingliederung Eupen-Malmedys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 X . Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Auflösung der österreich-ungarischen Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . 303 XI. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Aufhebung der faktischen Annexion Elsaß-Lothringens durch Deutschland während des zweiten Weltkrieges . . .......... . . .. .. 306 XII. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge des Verlustes deutscher Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie nach dem zweiten Weltkrieg . ................ ... .............. ... ... 308 XIII. Die Überleitungsklauseln betreffend das im Gebiet des früheren Deutschen Reiches geltende Recht nach dem zweiten Weltkrieg .. 311 1. Die Haltung der Besatzungsmächte gegenüber dem nationalsozialistischen Recht .. . . .. .. .... ... . . . . . . . .. ........ . . .. .. . ... 311

2. Die Haltung der deutschen Nachfolgegesetzgeber gegenüber dem früheren Recht ... ... . ............... . . . ............ . .... . ... 314 a) Die Rechtsfortgeltungsklausel des inländischen Gesetzgebers im östlichen Besatzungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 b) Die Rechtsfortgeltungsklausel des inländischen Gesetzgebers im westlichen Besatzungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 XIV. Unparitätische Bevorzugung der lex fori bei Spaltung des Geltungsgebietes des einheitlichen Statuts im Falle der Teilung Deutschlands? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

16

Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeiner Geltungsbereich der "humanitären Vorbehaltsklau-

sel" ............... ... ......... . .... . .. .. .............. . . . .... 318

2. Die "Doctrine of Necessity" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. "Humanitäre Vorbehaltsklausel" gegenüber der normativen

Ordnung der DDR? .. . .................. .. ..... . ....... . ... .. 327

XV. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Aufgliederung Deutschlands in Besatzungszonen, Berlins in Sektoren und der Teilung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg . .

~30

1. Das Statut des Versicherungsvertrages . . . . ..... ... . ... . . . . ... . 330

2. Das Statut des Kauf-, Liefer-, Darlehens- und Mietvertrages .. 332 3. Das Statut des Arbeitsvertrages ....... .. ... . ........... . . . ... 336 4. Das Statut der hypothekarisch gesicherten Forderungen . . . . . . 339

5. Die an das Vertragsstatut angelehnte Anknüpfung des Währungsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

6. Teil

Zusammenfassung und "seamless web approach"

345

Literaturverzeichnis

372

Sachregister

401

Abkürzungsverzeichnis A.

A.C. AcP a. E. AG A.I.R. A.L.J. AllE. R. ALR ALR2d Am. J. Comp. L. Am. Jur. 2d An. der. int. Anm. Ann. Dir. Comp. Ann. Dir. Int. Ann. Inst. Dr. int. AöR AP App. Aranzadi Jur. ArbG Ark. Arr.-Rb. Art. AVR AWD BayObLGZ BB Belg. jur. Ber.DGV BGB BGBl. BGE BGHZ 2 Wohlgemuth

Atlantic Reporter Law Reports Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis amEnde Amtsgericht All-India Reporter Australian Law Journal All England Law Reports Australian Law Reports American Law Reports Annotated 2d Series The American Journal of Comparative Law American Jurisprudence. Second Edition Anuario de derecho internacional Anmerkung Annuario di Diritto Comparato e di Studi Legislativi Annuario di Diritto Internazionale Annuaire de l'Institut de Droit international Archiv des öffentlichen Rechts Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts. Arbeitsrechtliche Praxis Corte d'appello; Cour d'appel; Court of Appeal; Court of Appeals Aranzadi. Repertorio de Jurisprudencia Arbeitsgericht Arkansas Reports Arrondissements-Rechtbank Article; Artikel Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters; s. RIW/AWD Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Der Betriebs-Berater La Belgique judiciaire Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

18

Abkürzungsverzeichnis

BSGE B.L.D.

Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bulletin legislatif Dalloz. Lois, decrets, arretes, circulaires, etc.... Blätter für internationales Privatrecht (= Beilage zur Leipziger Zeitschrift) Bulletin des arrets de la Cour de cassation. Chambre civile Bulletin des Magistrats (vom Justizministerium Algeriens in unregelmäßiger Folge hektographiert herausgegebene Urteile und Gesetze) Bulletin de la Societe de legislation compare The Business Lawyer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek The British Year Book of International Law

Bl.IPR Bull. civ. Bull. des Magistrats Bull. Soc. leg. comp. Bus.Lawyer BVerfGE BW BYIL c. CA ca. Cahiers econ. soc. (Kinshasa) Calif. L. Rev. Cal. Rptr. Cass. Cass. eh. soc. Cass. civ. Cass. req. Cass. Sez. Un. C.c. Chitty's L. J. Ch.D. Ch. Reun. C.J.S. Clunet Colum. L. Rev. Com. e Stud. Comp. Int. L. J. Southern Africa

C.p.c. Cranch C. T. S. (Parry) D.

DA D.C.N.Y. DGV Dir. Int. Dir. Scambi Int.

contra; contre Court of Appeal contra Cahiers economiques et sociaux, Kinshasa California Law Review West's California Reporter Corte di cassazione; Cour de cassation Cour de cassation, chambre civile, section sociale Cour de cassation, chambre civile Cour de cassation, chambre de requetes Corte di cassazione, Sezione unite Code civil; Codice civile; Codigo civil Chitty's Law Journal Law Reports Chancery Division Chambres Reunies Corpus Juris Secundum Journal du droit international Columbia Law Review Communicazioni e Studi The Comparative and International Law Journal of Southern Africa Code de procedure civile; Codice di procedura civile Cranch's United States Supreme Court Reports The Consolidated Treaty Series, hrsg. v. Clive Parry Recueil Dalloz de doctrine, de jurisprudence et de legislation Deutschland Archiv District Court of New York (Berichte der) Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Diritto Internazianale Il diritto negli scambi internazionali

Abkürzungsverzeichnis

19

DJZ D.L.R. DÖV DRWiss. DVBl.

Deutsche Juristenzeitung Dominion Law Reports Die öffentliche Verwaltung Deutsche Rechtswissenschaft Deutsches Verwaltungsblatt

E

Erk.

Entscheidung Reports of cases argued and determined in the High Court of Admiralty Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Enciclopedia del diritto, Bd. 1 - 26, Milano 1958 bis 1976 Erkenntnis

F. 2d FamRZ Fase. F . Cas. Foro It. Foro Nuov. Prov. Foro Pad. F. Supp.

Federal Reporter Second Series Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fascicule (Lieferung) Federal Cases Il Foro Italiano Il Foro delle Nuove Provincie Il Foro Padano Federal Supplement

Gaz. Pal. Georgia J . Int. Comp. L.

Giur. It. GVBl. GZ

La Gazette du Palais Georgia Journal of International & Comparative Law Giurisprudenza Comparata di Diritto Internazionale Privato Giurisprudenza Italiana e La Legge Gesetz- und Verordnungsblatt Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung

Halbs. H . C.J. HD HL HoustonLR HR HRR

Halbsatz High Court of Justice Högsta Domstolen House of Lords Houston Law Review Hoge Raad Höchstrichterliche Rechtsprechung

Edwards EGBGB Encicl. Dir.

Giur. Comp. D. I. P.

ICC

I. C. J. Reports

ILT

I. J.

Ind.L.R. Ind. T Int. Encycl. Comp. L.

2•

=

International Chamber of Commerce International Court of Justice R eports of Judgments, Advisory Opinions and Orders The Irish Law Times The Irish Jurist Indian Law Review Indisch Tijdschrift van het Recht International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. 1, National Reports, hrsg. v. Knapp, Viktor, Tübingen I The Hague I Paris I New York 1973 bis 1976

20

Abkürzungsverzeichnis

IPRspr.

Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts im Jahre (in den Jahren) ... Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen Privatrecht

IzRspr.

Jus Gentium JW JZ

Justizblatt Jahrbuch für Ostrecht Juris-Classeur civil Juris-Classeur de procedure civile Journal of Contemporary Law Juris Classeur periodique. La Semaine juridique Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Jahrbuch für internationales (und ausländisches öffentliches) Recht Justizministerialblatt von Nordrhein-Westfalen Journal officiel Journal officiel de !'Etat Algerien Journal officiel de la Republique Algerienne Journal officiel de la Republique Fran!;aise Journal du Palais Jurisprudence du Port d'Anvers Juristische Rundschau Journal des tribunaux. Hebdomadaire judiciaire. - Bruxelles Jus Gentium. Diritto internazianale Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung

K.B. Kg KG KRABL

Law Reports King's Bench Kantongerecht Kammergericht Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland

LAG Lawasia

Landesarbeitsgericht Lawasia. Journal of the Law Associations for Asia and the Western Pacific Law and Policy in International Business Law in Eastern Europe. A Series of Publications issued by the Documentation Office for East European Law, University of Leyden Legislazione Internazionale La legislazione italiana United States Supreme Court Reports Lawyer's Edition Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes. Leitsätze und Entscheidungen mit erläuternden Anmerkungen. Begr. v. Lindenmaier u. Möhring Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht

JBL JbOstR J.-Cl. civ. J.-Cl. proc. civ. J. Contemp. L. J.C.P. JherJb.

JIR JMBLNRW J.O. J . O.E. A. J. 0. R. A. J. O.R.F. J.P. J.P.A. JR J. Trib. (Brux.)

Law & Pol. Int. Bus. L . East. Eur. Leg. Int. Leg. it. LEd LG LM LZ

Abkürzungsverzeichnis Malaya L. Rev. MDR Med.NVIR Mij. M.L.J. Mon. cong. NDs. N.E. Ned.-Ind. BW Ned.-Ind. StBI. Ned. Stbl. New Zealand L. J. NiemeyersZ NJ NJA NJB NILR NJW N.M. Nord. Domss. Novis. Dig. It. N.S. W.L.R. NTIR Nuov. Dig. It. N.V. N.Y. N.Y. S. N. Z.L. R. ÖJZ OER OGH OGHBr.Z Ohio Mise. OLG 0. R. (C. A.) OstR p

P.

Pas. b. Penant P.L.D. Pol. YBIL

=

21

Malaya Law Review Monatsschrift für deutsches Recht Mededelingen van de Nederlandse Vereniging voor internationaal recht Maatschappij Malayan Law Journal Moniteur congolais Nordisk Domssamling Northeastern Reporter Nederlands-Indisch Burgerlijk Wetboek Nederlands-Indisch Staatsblad Nederlands Staatsblad New Zealand Law Journal Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Nederlandse Jurisprudentie Nytt Juridiskt Arkiv Nederlands Juristenblad Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift NewMexico Nordisk Domssamling Novissimo Digesto italiano. Diritto da Antonio Azara e Ernesto Eula, Bd. 1 - 20, Torino 1957 bis 1975 New South Wales Law Reports Nederlands Tijdschrift voor internationaal recht Nuovo Digesto italiano. A cura di Mariano d'Amelio con la coll. di Antonio Azara, Bd. 1 - 12, Torino 1937 - 1940 Naamloze Vennootschap NewYork New York Supplement The N ew Zealand Law Reports Osterreichische Juristenzeitung Osteuropa-Recht. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens Oberster Gerichtshof Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Ohio Miscellaneous Reports Oberlandesgericht The Ontario Law Reports (Court of Appeal) Ostrecht. Monatsschrift für das Recht der osteuropäischen Staaten, hrsg. v. Freund Law Reports Probate Division Pacific Reporter Pasicrisie belge Penant. Revue de droit des pays d'Afrique The All-Pakistan Legal Decisions Polish Yearbook of International Law

22

Abkürzungsverzeichnis

Pret. Punjab H. C. Punjab L. Rep. P . Wms.

Pretura Punjab High Court Punjab Law Reports The English Reports Chancery Peere Williams

Q.B. Q.L. J.R.

Law Reports Queen's Bench Division The Queensland Law Journal Reports

Rabels Z

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Raccolta Generale di Legislazione, 2. Auf!., Bd. 1 - 6, hrsg. v. Funaioli I Stella Richter, Milano

Racc. Gen. L. Rass. Dir. Pub!. RdA Rec.ASERJ Rec. Cours Rec. dtk trib. arb. m. Recht Rec.T.L.

Rep. dr. civ. (Encycl. D.) Rep. dr. int. (Encycl. D.) Rev. alg.

Rev. crit. dr. int. pr. Rev. dr. int. Rev. gen. dr. int. publ. Rev. hell. dr. int. Rev. indochin. Rev. int. dr. comp. Rev. int. priv. Rev. jur. Als. Lorr. Rev. jur. pol. RGZ RGBI. Riv. Dir. Civ. Riv. Dir. Col. Riv. Dir. Int.

1961- 1962

Rassegna di diritto pubblico Recht der Arbeit Recueil ASERJ. Jurisprudence et Legislation du Senegal. Publication de l'Association Senegalalse d'Etudes et de Recherehes Juridiques Recueil des Cours Recueil des decisions des tribunaux arbitraux mixtes institues par les traites de paix Das Recht Recueil des textes legislatifs publie par ou sous l'autorite du Commandant supreme interallie en vigueur le 1 septerobre 1949 dans la zone fran!;aise d'occupation, Baden-Baden 1945 Repertoire de droit civil, Jurisprudence generale Dalloz, 2. Auf!., Paris 1976 Repertoire de droit international, Bd. 1 und 2, Encyclopedie Dalloz, Jurisprudence generale Dalloz, Paris 1968 1. Revue algerienne, tunisienne et marocaine de legislation et de jurisprudence 2. Revue algerienne des sciences juridiques, politiques et economiques, Alger 1964 ff. Revue critique de droit international prive Revue de droit international et de legislation comparee Revue generale de droit international public Revue hellenique de droit international La Revue indochinoise juridique et economique Revue internationale de droit compare Revue de droit international prive ( = Rev. crit. dr. int. pr.) Revue juridique d' Alsace et de Lorraine Revue juridique et politique. Independance et cooperation Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichsgesetzblatt Rivista di Diritto Civile Rivista di Diritto Coloniale Rivista di Diritto Internazionale e Comparato del Lavoro

Abkürzungsverzeichnis

23

Riv. Dir. Int. Priv. Proc. = Rivista di Diritto Internazianale Privato e Processuale Riv. Dir. Priv. Rivista di Diritto Privato Riv. Dir. Proc. Rivista di Diritto Processuale Riv. It. D. I. P. Rivista Italiana di Diritto Internazianale Privato e Processuale Rivista Italiana per le Scienze Giuridiche Riv. It. Sei. Giur. RIW/AWD Recht der Internationalen Wirtschaft, fr. Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters RM s. RM Themis Rechtsgeleerd Magazijn Themis. Tijdschrift voor RMThemis publiek- en privaatrecht R N.I. Het Recht in Nederlandsch-Indie. Rechtskundig Tijdschrift ROW Recht in Ost und West. Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme RuStAG Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz v. 22. 7. 1913 (BGBl. III 102-1) RvglHWB Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes (Bd. 1 - 6), Berlin 1929 - 1938, nebst Erg. Bd. 1 (= 7), 1931 und 2 (= 8), 1937, hrsg. von Schlegelberger, Franz

s.

s.

SA (AD) S.A.L.J. S.A.R.L. SBZ S. Cal. L. Rev. Schip en Schade SchlHA Schweiz. BG SchwJZ S.C.R. S Ct Seuff. Arch. Sim. Simla H. C. Sirey SJZ Soc. Soc. An. Sol. J. SozVers. StAZ

ste.

siehe s. Sirey; Seite South African Law Reports (Appellate Division) South African Law Journal Societe a responsabilite limitee Sowjetische Besatzungszone Southern California Law Review Schip en Schade. Beslissingen op het gebied van zee- en binnenvaartrecht, transport- en brandverzekeringsrech t Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schweizerisches Bundesgericht Schweizerische Juristen-Zeitung Canada Law Reports Supreme Court of Canada Supreme Court Reporter Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Simons Reports of Cases decided in the High Court of Chancery Simla High Court Recueil Sirey. Pandectes fran~aises periodiques. Journal du palais. Jurisprudence, legislation Süddeutsche Juristenzeitung Societe Societe anonyme The Solicitors' Journal Die Sozialversicherung Zeitschrift für Standesamtswesen Socit~te

24

Abkürzungsverzeichnis

Stew. StGBl. BGBl. R. Ö.

Stewart's New Jersey Equity Reports Staatsgesetzblatt und Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich South Western Reporter 2d Series Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen

S.W. 2d

sz

T.

s. Ind. T Temi. Rivista di giurisprudenza italiana The Territories Law Reports Texas Reports Tribunal; Tribunale Tribunal arbitral Tribunale civile Tribunal de grande instance Transvaal Law Reports Supreme Court Reports Reports of the Trust Territory ot the Pacific Islands Turner & Russell Reports of Cases argued and determined in the High Court of Chancery

Temi Terr. L. R. Tex. Trib. Trib. arb. Trib. civ. Trib. gr. inst. T.S. T.T.R. Turn.&R. UCLAL.R. UNTS

University of California Los Angeles Law Review United Nations. Treaty Series United States Reports University of West Los Angeles Law Review

u.s.

UWLALRev.

v.

VersW Ves.Jun. vgl. Vict. Univ. Well. L. R.

w.

w

Wall.

WbVR

WGO Wheat. WLR WM WPNR

= versus (against)

=

Versicherungswirtschaft

= Vesey Junior Reports of Cases argued and determined in the High Court of Chancery vergleiche Victoria University of Wellington Law Review

wider, gegen Weekblad van het Recht Wallace's United States Supreme Court Reports 1. Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. v. Hatschek, Julius I Strupp, Kar!, Bd. 1 - 3, Berlin I Leipzig 1924 - 1929 2. Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., hrsg. v. Schlochauer, Hans-Jürgen, Bd. 1 - 3, Berlin 1960 bis 1962 Die wichtigsten Gesetzgebungsakte in den Ländern Ost-, Südosteuropas und in den ostasiatischen Volksdemokratien Wheaton's United States Supreme Court Reports Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen Weekblad van Privaatrecht, Notaris-Ambt en Registratie

Abkürzungsverzeichnis

25

YbComArb. YugoslavL

Yearbook Commercial Arbitration Yugoslav Law I Droit yougoslave

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für französisches Civilrecht Zentral-Justizblatt für die Britische Zone Zeitschrift für öffentliches Recht. Wien Zeitschrift für Ostrecht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft einschließlich der ethnologischen Rechtsforschung

ZfP ZfRV ZfrzCR ZJBl. ZÖR ZOstR ZvglRW

Einleitung Welches Recht würden Gerichte heute - nach den Verträgen von Moskau vom 12. 8. 1970, von Warschau vom 7. 12. 1970 und dem Grundvertrag mit der DDR vom 21. 12. 1972 - auf ein privates Vertragsverhältnis anwenden, das deutsche Parteien, ein Unternehmen mit Hauptsitz in Harnburg und ein Handelsvertreter aus Leipzig, im Jahre 1937 begründet hatten, und dessen Wirkungskreis das Gebiet zwischen Allenstein und Königsberg im damaligen Ostpreußen war? Wenn Gerichte in Ost und West gleichermaßen mit Streitigkeiten aus diesen "alten" Privatrechtsverträgen befaßt worden wären, welches von ihnen würde welche Verknüpfungen, die möglicherweise später zum Geltungsgebiet der Privatrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Polens und der Sowjetunion (Zivilrecht der RSFSR)l eingetreten waren, überhaupt in Erwägung gezogen haben? Welche Bedeutung würde dem Umstand beigemessen worden sein, daß beispielsweise eine der oder beide Parteien nach dem Kriege das geteilte Deutschland verlassen und in Kanada etwa die "alten" Vertragsbeziehungen "wieder aufgenommen" hatten? Französische Gerichte waren es, die in jüngster Vergangenheit nach den Verträgen von Evian vom 18. 3. 1962 - Entscheidungen zu der Frage zu treffen hatten, ob Schuldverträge, die die aus Algerien vertriebenen und in die Metropole geflüchteten "pieds noirs" vor der Unabhängigkeit Algeriens in Sidi-bel-Abbes, Oran oder Constantine geschlossen hatten, weiterhin französischem Recht unterstehen oder etwa algerischem Recht unterfallen würden. Die Meinung, es sei algerisches Recht für die Verbindlichkeit eines Algedenfranzosen maßgeblich, selbst wenn er seiner maghrebinischen Heimat den Rücken gekehrt hatte, galt durchaus nicht nur als Advokatengefälligkeit gegenüber den jeweiligen Mandanten. 1 Kaliningrad ist in Art. 14 der Verfassung der RSFSR als eines der Gebiete der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik genannt. Das nördliche Ostpreußen wurde nicht mit der im Nordosten angrenzenden Litauischen Sowjetrepublik, sondern mit der von ihm räumlich - durch polnisches Staatsgebiet - getrennten RSFSR verbunden, Bohmann S. 136. Vgl. zur Erstreckung des Zivilrechts der jeweiligen Unionsrepublik auf die angegliederten Gebiete: Baade, JIR 7 (1956), S. 331 f.

28

Einleitung

Die juristische Tagesliteratur in Frankreich zitierte selbst Beispielsfälle aus der Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts aus der Zeit nach dem Verlust der deutschen Kolonien in Ost- und Südwest-Afrika. Diese hier mit dem Begriff der Änderung des Geltungsgebietes eines bestimmten Vertragsstatuts allgemein umrissenen Fragen sind Gegenstand der folgenden rechtsvergleichenden Betrachtungen, in die die Rechtsprechung der niederländischen Gerichte zur Loslösung Indonesiens und die Rechtsprechung der italienischen Gerichte zu den Gebietsabtretungen nach dem zweiten Weltkrieg in Jugoslawien und in Nordafrika einbezogen worden sind. Vereinzelt konnten auch Beispiele aus der US-amerikanischen Rechtsprechung zur Sezession der konföderierten Südstaaten von der Union herangezogen werden, zur Abtretung der Palau-Inseln durch Spanien an das Deutsche Reich 1899, zur Bildung des Bundesstaates Oklahoma aus dem Indianischen Territorium im Jahre 1907, zur Annexion der baltischen Staaten durch die Sowjetunion, zur Okkupation Jugoslawiens durch Deutschland und Okinawas durch die USA im zweiten Weltkrieg und zur Unabhängigkeit von Bangladesch im Jahre 1971. Aus England liegen Entscheidungen zur LosreiBung der britischen Kolonien in Nordamerika und der spanischen Kolonien in Südamerika von ihren Mutterländern vor, zur Bildung der Helvetischen Einheitsrepublik aus dem Schweizer Föderalstaat während der französischen Revolution, zur Trennung der britischen Kolonie in Australien in Queensland und New South Wales 1859, zur Aufteilung Spaniens in die nationalistische und republikanische Zone während des Bürgerkrieges, zur Gründung des Staates Israel, zur einseitigen Unabhängigkeitserklärung Südrhodesiens 1965 und zur Errichtung des "Türkischen Föderativen Staates von Zypern" im Norden der lnsel1975. Spanische Gerichte trafen Entscheidungen zur Unabhängigkeit Marokkos, zum Anschluß Tangers an Marokko und zur Souveränität Äquatorialguineas, belgisehe zur Entkolonisation von Belgisch-Kongo, neuseeländische zum Abfall Südrhodesiens von Großbritannien und zur Eigenständigkeit von Queensland und südafrikanische Gerichte zum Erwerb Süd-West-Afrikas durch Lüderitz und zur Angliederung der Burenstaaten Transvaal und Oranje an die britisch-südafrikanische Kolonie. Irische, nordirische und malaiische Urteile ergingen zur Trennung des Freistaates Irland von Ulster, indische und pakistanische zur Teilung der ehemals britischen Kolonie in Indien und Pakistan und singapurische zur Teilung des Pandschab und zur Abspaltung Taiwans vom chinesischen Festland.

Einleitung

29

Österreichische Gerichte waren mit der Auflösung der Doppelmonarchie und der Desannexion Österreichs von Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg befaßt. Zur Teilung Deutschlands ließ sich Judikatur auch aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Schweden, Südafrika und Singapur anführen. Fragen, die sich aus territorialen Veränderungen für Privatrechtsordnungen ergeben, sind nicht erst seit dem Ost-West-Gegensatz vor deutsche Gerichte getragen worden. Schon das deutsche Bundes- und spätere Reichsoberhandelsgericht hatte dazu Stellung zu nehmen, ebenso die Gerichte der deutschen Staaten vor der Reichsgründung 1871. Das zeigen Urteile zur Auflösung des alten Deutschen Reiches und zum Zusammenschluß von 16 deutschen Staaten zum Rheinbund 1806, zur Auflösung des 1815 begründeten Deutschen Bundes im Jahre 1866 und zur Entstehung des Norddeutschen Bundes 1867. Bei dem heutigen Entwicklungsstand der rechtswissenschaftliehen Disziplin, deren Gegenstand das Internationalprivatrecht oder Kollisionsrecht ist, sollte der Rechtsprechung eigentlich ein Instrumentarium an die Hand gegeben sein, das es ihr gestattet, auch ohne detaillierte gesetzgeberische Regelungen in Fällen dieser Vertragsverhältnisse mehr Lösungsmöglichkeiten als in der Alternative zu sehen, die in der Wahrung alter subjektiver Rechte einerseits und der Achtung des vom jeweiligen gebietszuständigen Gesetzgeber erlassenen objektiven Rechts andererseits liegen kann. Es ist schon nicht einmal anzunehmen, daß ein Staat seinen Gerichten gebieten will, alle im Inland begründeten subjektiven Rechte stets nach den Rechtssätzen zu beurteilen, wie sie zur Zeit der Entstehung der Rechte gegolten haben. Es sei denn, er würde - nicht zuletzt um den Preis einer einheitlichen Fortentwicklung des objektiven Rechts - unvertretbar weite Zugeständnisse an den Schutz der sogenannten wohlerworbenen Rechte machen wollen. Noch weniger wird wohl ein Staat aus- einer falsch verstandenen"comitas" gegenüber anderen Staaten den unter deren Rechtsordnungen irgendwann einmal begründeten Rechtsverhältnissen bedingungslose Verbindlichkeit auch nach der lex fori zukommen lassen und dabei etwaige Konflikte mit der eigenen Privatrechtsordnung zuungunsten selbst vielleicht epochaler Rechtsideen entscheiden wollen. Unter der Vielzahl staatlicher Rechte, die für sich in Anspruch nehmen, der Wahrung der "iura quaesita" und der "comitas" verpflichtet zu sein, lassen sich jedenfalls kaum Beispiele für Gebote antreffen, die einen derart übertriebenen Schutz von im Inland oder im Ausland begründeten Rechten gewähren würden. Ebenso selten haben sich die

Einleitung

30

Gerichte der verschiedensten Länder dazu verstanden, für die Erhaltung subjektiver Rechte einen als "overprotecting approach" zu kennzeichnenden Ansatz im Kollisionsrecht zu entwickeln. Als Art. 2 des französischen Code civil von 1804 etwa - in seiner entschiedenen Abkehr vom radikalen Rückwirkungsanspruch des revolutionären "droit intermediaire" ein Vorbild für eine ganze Reihe von Privatrechtskodifikationen - das Gebot statuierte, das gesetzte Recht solle nur für die Zukunft Regelungen treffen2 , fand denn auch die französische Rechtslehre alsbald die Lesart: "La loi ne dispose que pour l'avenir, sauf volonte contraire du legislateur3 ." Sie brauchte sich dabei nicht auf den Satz des französischen "Zwischenrechts" zu berufen, wonach revolutionäres Naturrecht soweit zurückwirken können sollte, wie man wollte: "Le droit nature! peut retroagir aussi loin que l'on veut4 ." Gewiß finden sich gerade in Epochen des Umbruchs immer wieder Fälle einer Überspannung des Respektes gegenüber ausländischen subjektiven Rechten durch eine zögernde Haltung der Gerichte. So meinten nordamerikanische Gerichte, die Erfordernisse der "vested rigths" und der "comitas inter communitates" dürfe ihnen Achtung selbst gegenüber fremden Sklavenhaltungsverhältnissen abverlangen. Noch nach Aufhebung der Sklaverei im eigenen Staat sahen sich die Indiana-Gerichte gehalten, entlaufene Sklaven ihren Herren aus Bruderstaaten zuzuführen, die die Sklaverei beibehalten hatten: "By the law of nature and of nations, and the necessary and legal consequences resulting from the civil and political relations subsisting between the citizens as well as the States of this federative republic, I have no doubt but the citizen of a slave State has a right to pass, upon business or pleasure, through any of the States, attended by bis slaves or servants; and while he retains the character and rights of a citizen of a slave State, his right to reclaim bis slave would be unquestioned5 . " Auch das Königliche Preußische Obertribunal konnte noch im Jahre 1855 in der Sache Marcinello w. Dr. Ritter6 zu keinem anderen Ergebnis finden. Es wies die Diffamationsklage eines brasilianischen Sklaven ab, der von seinem Herrn, einem brasilianischen Staatsangehörigen, auf die Reise nach Berlin mit der vorherigen Ermahnung mitgenommen worden war, ihm, dem Herrn, für die Zeit des Aufenthaltes in Eruopa als Vgl. zu diesem Grundsatz auch Baade, JIR 7 (1956), S. 229 ff. Vgl. Roubier, J.-Cl. Civil, Art. 2 Nr. 12. 4 Vgl. Sagnac S. 325: "Qu'est-ce qu'une revolution, sinon un immense effet retroactif?" 5 Zit. nach Cobb S. 215 f. 8 Urt. v. 8. 6. 1855, vgl. dazu Stammler S. 265 ff.; ebenfalls zit. bei Cobb, Fußn. 1, S. 182 f.; § 198 II 5 des preuß. ALR, der Fremden die Rechte an mitgebrachten Sklaven sicherte, wurde durch Gesetz v. 9. 3. 1857 aufgehoben, v. Bar S. 406. 2

3

Einleitung

31

Domestik zu Diensten zu sein. Das Gericht hielt die Berühmung der Eigentumsrechte des Sklavenhalters in Preußen für begründet und beachtlich; es bestätigte das Kammergericht und teilte nicht die Meinung des königlichen Stadtgerichts zu Berlin, das offenbar der Gewähr eines fragwürdigen, auf Preußen beschränkten "status libertatis claudicans" den Vorzug gegeben haben würde. Besorgnis, daß die internationalprivatrechtliche Rechtsprechung die Wege einer ars boni et aequi kurzerhand verlassen könnte, besteht aber auch in Fällen ganz entgegengesetzter Art: So, wenn ausländische Gerichte etwa Rechtsstreitigkeiten russischer Emigranten über Vertragverhältnisse, die aus zaristischer Zeit datierten, nach dem "allesoder-nichts-Prinzip" beurteilten und entweder der intertemporalen Regelung des sowjetrussischen Gesetzgebers folgten und eine Entscheidung in der Sache ablehnten oder aber das überkommene zaristischrussische Recht zur Anwendung brachten7 • Bekanntlich hatte der sowjetrussische Gesetzgeber der Oktoberrevolution von 1917 seinen Gerichten verboten, Streitigkeiten über Rechtsverhältnisse aus der Zeit vor der Revolution überhaupt zur Entscheidung anzunehmen. In Art. 2 der Verordnung des Allrussischen Zentral-Exekutivkomitees über die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches der RSFSR vom 31. 10. 1922 war die Bestimmung getroffen: «HHKaKHe CIIOpbl IIO rpa:»~:,ll;aHCKHM rrpaBOOTHOUieHHRM, B03HHKUIHM ,!1;0 7 HOR6pR 1917 r., He IIpHHHMaK>TCR K paCCMOTpeHHK> cy)J;e6HbiMH J1 MHbiMH yqpe:»~:,ll;eHHRMH pecny6JIHKH.>> Ein besonnener internationalprivatrechtlicher Ansatz ist in diesen Fällen sicherlich nicht mit der Frage zu gewinnen, ob man erwarten dürfe, daß sich Gerichte durch Anwendung ausländischen revolutionären Zivilrechts selbst zu Revolutionstribunalen, zu Vollstreckern fremder Revolutionen machen würden. Gerade die fast universelle Geltung der Parteiautonomie im Kollisionsrecht des Vertrages sollte ein geeignetes Regulativ für gerechte und zugleich praktikable Lösungen außerhalb schematischer Entscheidungen sein. Deshalb dürfte es die Parteiautonomie sein, die auch in Fällen der Änderung des Geltungsgebietes eines ursprünglich unbestritten maßgeblichen Vertragsstatuts die Quelle für ein weites Entscheidungsspektrum ist. Raum für eine Rechtswahl besteht freilich dort nicht, wo lediglich Jurisdiktionsgebiete (innerstaatliche Gerichtsbezirke) Veränderungen unterworfen sind, nicht aber das Geltungsgebiet eines materiellen 7 Hierzu konnten Entscheidungen italienischer, französischer, belgischer, deutscher, schweizerischer, schwedischer, US-amerikanischer und englischer Gerichte genannt werden.

32

Einleitung

Rechts. So konnte in der Sache Göttig w. Göttig vor dem (preußischen) Amtsgericht zu Flensburg aus dem Jahre 1867, abgesehen davon, daß seinerzeit wohl nicht von einer Parteiautonomie innerhalb des Erbstatuts die Rede sein konnte, die Frage einer möglichen Wahl zwischen dem am letzten Wohnsitz des Erblassers in Norder St. Jürgen geltenden jütischen Low und dem Flensburger Stadtrecht schon deswegen ungestellt bleiben, weil Norder St. Jürgen durch die (dänische) königliche Resolution vom 4. 1. 1854 lediglich der Jurisdiktion der Stadt Flensburg, nicht aber deren Stadtrecht unterstellt worden war8 • Trotz des vielenorts wirkenden Zeitgeistes zur Bildung überregionaler und übernationaler Privatrechtsgebiete ist zuzugeben, daß schließlich auch heute Anlaß besteht, Fragen aufzugreifen und für die Zukunft kollisionsrechtlich aufzubereiten, die vornehmlich im Zusammenhang mit Prozessen der Rechtszersplitterung auftreten. Dabei steht nicht nur die weltweite Emanzipation abhängiger Gebiete 9 am Ausgang der Erörterung. Die jüngste Privatrechtsentwicklung in Jugoslawien etwa zeigt, daß Bemühungen selbst innerhalb eines Föderativsystems um Privatrechtsvereinheitlichung nicht nur empfindliche Rückschläge erleiden können, sondern bisweilen gezwungen sind, gliedstaatlicher Zivilrechtsautonomie gar vollständig zu weichen10• Ähnliches wird wohl eines Tages auch für die Autonomiebestrebungen in der sog. vierten Welt gesagt werden können 11 •

8 Erk. v. 5. 3. 1867, Seuff. Arch. 21 (1868), Nr. 1; das Gericht ging offensichtlich davon aus, daß die Angliederung der Herzogtümer Schleswig-Holstein durch Preußen am 12. 1. 1867 den Partikularrechtszustand unberührt gelassen hatte. e Tuvalu etwa, die früheren Ellice Islands, hat soeben, am 1. 10. 1978, die Unabhängigkeit innerhalb des Commonwealth erlangt. Brunei soll 1983 unabhängig werden, Times v. 1. 7.1978. 10 Vgl. zum Entwurf eines jetzt mehr denn je unentbehrlichen Gesetzes über interregionale Konflikte in Jugoslawien: Blagojevic I Puhan, Nasa Zakonitost 1974, S. 223 ff. Andererseits gewinnt damit auch die Rechtsvergleichung für das betroffene Land an aktueller Bedeutung, s. Jovicic, Yugoslav L. 1978, S. 57 ff. u In diesem Zusammenhang wird es dann nicht mehr nur um wohlerworbene (vested), sondern auch um angestammte (aboriginal) Rechte gehen, s. Green, Chitty's L. J. 22 (1974), S. 219 ff.

1. TEIL

Die bei der Untersuchung des Gegenstandes zu beachtenden Gesichtspunkte I. Typen der Behandlung der vom alten Recht geprägten Rechtsverhältnisse bei Wechsel des objektiven Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet Das Verhältnis der rechtlichen Normenordnungen zu den tatsächlichen, gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Gegebenheiten ist Gegenstand einer endlosen Reihe auch rechtstheoretischer Kontroversen. Die Wechselwirkung beispielsweise zwischen Rechtswirklichkeit oder faktischer Geltung und normativer Geltung einer Rechtsordnung {"law in action" und "law in the books") spielt bei der Frage der sog. "normativen Kraft des Faktischen" (Georg Jellinek) eine eminent juristische Rolle. Im Bereich der "faktischen Rechtsverhältnisse" 12 etwa (faktische Vertragsverhältnisse aufgrund sozialtypischen oder parallelen Verhaltens, societes de fait, matrimonio de hecho) wird dem tatsächlichen Verhalten ohne entsprechenden Rechtsgeschäftswillen der Normadressaten im Interesse der Beteiligten am Rechtsverkehr Rechtsverbindlichkeit zugesprochen. Diesen nicht unähnlich sind die Probleme, wie sie auftreten, wenn sich die gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse oder auch nur die Verhaltensweisen bestimmter Normadressaten wandeln. Solche Erscheinungen können dann die an der Rechtsetzung beteiligten Organe dazu veranlassen, ihre Sollvorstellungen zu revidieren und das Recht als Normenordnung des gesollten Seins an das wirkliche Sein anzupassen (dynamische Rechtsänderung). Vom Befolgungsanspruch der Normen abweichendes Verhalten der Normadressaten kann aber umgekehrt auch zur Folge haben, daß die bestehenden Normen ohne Revision der rechtlichen Wertvorstellungen durch andere Normen mit dem Ziel ersetzt werden, dem rechtsuntreuen 12 Vgl. zur jüngsten Entwicklung in AustraUen auf dem Gebiet des Familienrechts: Bailey, A. L. J. 52 (1978), S. 174 ff.; Allen v. Snyder (1977) 2 N. S. W. L. R. 685; in England: Davis v. Johnson CA (1978) 1 All E. R. 841; HL (1978) 1 All E. R. 1132.

3 Wohlgemuth

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1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

Verhalten in effektiverer Weise entgegenzuwirken (konservierende Rechtsänderung). Das geschützte Rechtsgut bleibt dasselbe, nur das "Wie" des Rechtsschutzes ist modifiziert. Die Differenzierung oder Subtilität des rechtlichen Instrumentariums mag im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel als adäquatere und somit entwickeltere Regelung gelten. Mit der Rechtsnovellierung kann aber auch beabsichtigt sein, die jeweilige Rechtslage der Mitglieder einer bestimmten Zielgruppe in be~ sanderer Weise zu beeinflussen. Damit kann die Beseitigung derjenigen Verhaltensvariablen angestrebt sein, die bisher stets zu solchen Un~ rechtsfolgen wie Entzug oder Einschränkung von Freiheits~, Vermögens- oder Teilhaberechten an der Gestaltung der persönlichen Situation innerhalb des sozialen Kontextes geführt haben. Es ist jedoch nicht undenkbar, daß Teile einer normativen Ordnung "ihrer Zeit voraus" sind oder sein wollen und den sozialen Fortschritt oder die ökonomische Entwicklung voranzutreiben oder in eine bestimmte Richtung zu lenken trachten (progressive Rechtsänderung). Nicht nur dann, wenn lediglich unzeitgemäße Rechtstraditionen bewahrt, sondern namentlich durch deren Wiederbelebung als rückstän~ dig zu betrachtende Sollvorstellungen wirksam gemacht werden sollen, wird nicht selten von rückschrittlichen Entwicklungen die Rede sein können (regressive Rechtsänderung)1 3• Die Formen der Rechtsänderungen lassen sich nach expliziten Gesetzesnovellierungen oder nach verdeckten "Läuterungen" in der Rechtsprechung oder Rechtspraxis sonstiger an der Rechtsbildung beteiligter Organe aufschlüsseln. Letzteres ist meist der Fall, wenn sich eine bestimmte Rechtsansicht in der Literatur als sog. "herrschende Meinung" durchsetzt. Revolutionären14 Rechtsänderungen ist eigen, daß sich die neuen Rechtsideen mit der Umwälzung der sozio-ökonomischen Grundlagen zunächst jedenfalls umfassend und radikal vom traditionellen Recht lösen (droit intermediaire). Die Ablösung von einer bestehenden Rechtsordnung kann schließlich auch mit dem Ziel verfolgt werden, die Verfassung des gesellschaft13 Die Qualifizierung einer gesetzgeberischen Maßnahme als rückschrittlich oder vorgreiflieh kann nach unterschiedlichen Kriterien vorgenommen werden. Beurteilungsmaßstab kann das Verhältnis zur alten Rechtsordnung oder zu einer anderen, rechtsapriorischen Normenordnung sein; es kann aber auch das Verhältnis zur gesellschaftlichen Situation im Geltungsgebiet der Rechtsordnung oder zum internationalen Standard in Frage kommen. Eine Rolle spielen kann auch, ob die Aussagen in Anbetracht einer einzelnen Gruppe innerhalb einer Gesellschaft oder im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Situation getroffen werden. u Vgl. zum Revolutionsbegriff: Randelzhofer, ZfP 16 N. F. (1971), S. 239.

I. Wechsel des Rechts im selben Staat

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liehen Seins einer Regelung zu unterwerfen, die nicht abstrakte Solleussätze enthält. Vorsorge für etwaige Konfliktlösungen ist dann möglicherweise lediglich durch Institutionalisierung von ad hoc-Verfahren getroffen (Streitschlichtung in einem Palaver, Legitimation durch Verfahren oder "spiralförmige" Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der "Massenlinie")15 • Im Hinblick auf Initiatoren und Träger, Urheber und Betroffene von Rechtsänderungen ist festzustellen, daß die durch Teilhabe an der politischen Macht definierten Initiatoren und Träger einer Rechtsreform gewiß nicht identisch sein müssen mit den durch verfahrensmäßige Bestimmungen festgelegten Urhebern einer Gesetzesnovelle. Diese Diskrepanz gilt sicherlich auch im Verhältnis zu den Betroffenen einer Rechtsänderung und hier wiederum auch für die durch das Änderungsgesetz bestimmten und die tatsächlich Betroffenen. Die Betroffenheit kann für eine abstrakte Personengruppe bestehen; die Normadressaten werden nur in ihrer Eigenschaft als Konsumenten angesprochen. Sie kann aber auch im Hinblick auf eine konkrete gesellschaftliche Gruppe festzustellen sein, etwa dann, wenn das Volljährigkeitsalter herabgesetzt wird. Dabei werden sich diejenigen Rechtsänderungen, die sich für einen bestimmten Personenkreis als Begünstigung auswirken, gegenüber einer anderen Personengruppe als Belastung oder Einschränkung oder bestenfalls als indifferent erweisen. Die Betroffenheit der Gesamtheit des Gemeinwesens ist selbstredend nicht identisch mit der der begünstigten oder der benachteiligten Gruppe16• 1. Paritltisdle Bewertung von altem und neuem Recht

Die wertende Einstellung des Urhebers eines Änderungsgesetzes gegenüber dem alten Recht ist bis zu einem gewissen Grade an der intertemporalen Regelung oder den Übergangs- und Überleitungsvorschriften abzulesen. Sie ist nicht notwendigerweise dadurch gekennzeichnet, daß das neue Recht als das qualitativ bessere gilt. Ein Gesetzgeber kann vielmehr der Auffassung sein, daß das neue Recht den veränderten Bedingungen ebenso gerecht wird, wie das alte Recht den 15 Ahnliehe Institutionalisierungen außergerichtlicher und -gesetzlicher Streitschlichtungen durch gruppeninterne Vermittlung oder Verhandlung lassen sich ebenfalls für bestimmte Randgruppen in westlichen Gesellschaften feststellen, vgl. zu sinoamerikanischen Gem einschaften: Doo, Am. J. Comp. L. 21 (1973), S. 627 ff. 16 Überlegungen zu dem Thema "Gesellschaftlicher Wandel und Recht" haben zu der Frage geführt: "Ist das Recht tot?" (s. Is Law Dead?, hrsg. v. Rostow, New York 1971). Diese Frage, gestellt im Rahmen der Tagung einer juristischen Gesellschaft, kann nach den Worten eines zeitgenössischen Kritikers kaum eine andere Behandlung erfahren als die, ob Gott tot sei, auf einer vatikanischen Konferenz (Matthies, J. Contemp. L. 1 (1975), S. 368).

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1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

früheren Verhältnissen gerecht geworden ist. Die Zeitgemäßheit bzw. Modernität der Normen mag in beiden Fällen in gleicher Weise als relativ eingeschätzt werden. Eine Anwendung des neuen Rechts auf die durch die früheren Verhältnisse geprägten Regelungssachverhalte kommt dann nicht in Betracht17• Eine vorzugsweise paritätische Bewertung wird dort erkennbar sein, wo die Änderungsgesetzgebung Ausdruck einer Rechtsbereinigung ist, etwa im Sinne der Beseitigung innerstaatlicher Rechtszersplitterungen. Es kann sich auch um überstaatliche, universale oder regionale Rechts~ Vereinheitlichungen oder Rechtsangleichungen handeln18• Beim Abbau lokaler oder zwischenstaatlicher Rechtsschranken wird die Berücksichtigung lokaler Eigenheiten eventuell im Interesse der Ermöglichung oder Erleichterung eines übergreifenden Rechtsverkehrs einer globalen und damit weniger adäquaten Regelung preisgegeben. Eine ähnliche Wertungsneutralität - jedenfalls vom Standpunkt des Gesetzgebers aus - kann zutage treten, wenn die Neukodifizierung das Postulat einer Laizisierung des Rechts einlöst. Nicht viel anders mag es sich verhalten, wenn die Verrechtlichung von Bereichen, die bisher ausschließlich außerstaatlichen Regelungsmechanismen überlassen waren, zur Regelung durch staatliche Instanzen führen soll. Der umgekehrte Fall der Überlassung an gesellschaftliche Instanzen im Sinne des Subsidiaritätsgedankens kann ebenfalls hierher gerechnet werden. Die Einleitung einer innerstaatlichen oder internationalen Rechtskoordinierung wird häufig zugleich Anlaß geben, für notwendig erachtete Gesetzesreformen durchzusetzen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß etwa durch die Besinnung auf das einheimische Recht (Afrikanisierung des vom common law beherrschten Rechts) oder zumindest auf die eigene Sprache als Gesetzessprache (Arabisierung der französischen, Malaiisierung der niederländischen Rechtssprache) der vom fremden Recht übernommene oder aufgedrängte rechtstechnische Apparat Einbußen erleidet19•

17 Vgl. Art. 97 der Verfassung des Irokesenbundes aus dem 16. Jh.: "Before the real people united their nations, each nation had its council fires. Before the Great Peace their councils were held. The five Council Fires shall continue to burn as before and they are not quenched. The Lord of each nation in future shall settle their nation's affairs at this council fire governed always by the laws and rules of the council of the Confederacy and by the Great Peace." 1s Vgl. Kropholler S. 11 ff. 19 Es wird sogar behauptet: "By definition customary law cannot lead to development", Bryde S. 108.

I. Wechsel des Rechts im selben Staat

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2. Pejorative Bewertung des alten Rechts

Eine Bewertung des alten Rechts durch den Reformgesetzgeber als unbrauchbares, "schlechtes" Recht20 findet auch in der Haltung gegenüber den unter dem alten Recht entstandenen Rechtsverhältnissen ihren Niederschlag. Insbesondere dann, wenn sich die Rechtsänderungen die Einlösung bestimmter Verfassungsprogrammsätze oder -grundprinzipien zum Ziel gesetzt haben, werden die alten Rechtsverhältnisse als reformanfällig einzuschätzen sein. Legislative Maßnahmen im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit (Nichtdiskriminierung, Schutz des ökonomisch oder sozial Schwächeren etc.) werden in erster Linie eine unmittelbar zwingende Anwendung auch für bestehende Rechtsverhältnisse für sich in Anspruch nehmen (so z. T. die westdeutschen Bestimmungen über die Gerichtsstandsvereinbarung, vgl. Art. 3 des Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung vom 21. 3. 1974 - BGBI. I

s. 753).

Die Respektierung des Vertrauens der Rechtssubjekte eines durch das alte Recht geschaffenen Rechtsverhältnisses kann nicht in dem Sinne verstanden werden, daß ein einmal erlassenes Gesetz mit Rücksicht auf Einzelinteressen inhaltliche Unabänderlichkeit besitzt21 • Noch weniger kann ein einzelner ein Recht darauf erwerben, daß ein Gesetz, so wie es ist, bestehen bleibt22• Das muß in einer Zeit, wo die Zukunft vorausplanende Gesetze zwar als notwendig erkannt sind, aber großenteils noch ausstehen, mehr Gültigkeit haben denn je. Über den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der wohlerworbenen Rechte hinaus wird aber der Vertrauensschutz bei solchen Rechtsänderungen stärkere Berücksichtigung finden können, die im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit eine differenziertere Regelung bereithalten wollen. Erwiesenermaßen gelten dabei ohne weiteres auch Generalklauseln als ein probates rechtstechnisches Mittel, ermessensgemäßen Billigkeitsentscheidungen in der Rechtsanwendungspraxis Raum zu geben. Bei gesetzgeberischen Vorkehrungen zur "Erhöhung der Lebensqualität" ist zu unterscheiden, ob die Maßnahmen einer unaufschieb20 Auch für die Gesetzgebungslehre gibt es "gutes und schlechtes Recht", Noll S. 64. 21 Im US-amerikanischen Verfassungsrecht gilt der Grundsatz: "Constitution does not forbid the creation of new rights, or the abolition of old ones recognized by the common law to attain a permissible legislative objective." Die Haftungsbegrenzung für Atomunfälle durch den Price-Anderson Act etwa soll aber deswegen keine Rechte beseitigen, weil es schon keinen Anspruch darauf gibt, "to be free of nuclear power", s. Duke Power Company v. Carolina Environmental Study Group - US - 57 L Ed 2d 595, 98 S Ct 2620 (1978). 22 Krüger S. 899.

88

1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

baren Abwehr lebensbedrohender Beeinträchtigungen gelten (Um· weltschutzgesetzgebung) oder im Dienste einer "wünschenswerten" Steigerung des kulturellen, bildungsmäßigen oder psychischen Lebens· niveaus stehen. 3. Altes Recht als "Unrecht" oder Produkt eines "Unrechtsreglmes"

Ein Gesetzgeber kann einen Rechtszustand auch deshalb als ände· rungs· oder aufhebungsbedürftig betrachten, weil die positive Gesetzeslage vom Standpunkt der Gerechtigkeits- oder Rechtsvorstellungen des neuen Gesetzgebers "Unrecht" darstellt. Die Unrechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften kann sich dabei aus einem Widerspruch zu den von einer großen Anzahl von Staaten allgemein anerkannten ungeschriebenen rechtsethischen Prinzipien ergeben. Die Unvereinbarkeit kann auch auf revolutionär gesetzte sozialethische Postulate des neuen staatlichen Gesetzgebers allein gestützt sein. So kann der Maßstab für die Unrechtmäßig· keit in Grundsätzen des Völkerrechts oder in positiven Verfassungs· bestimmungen begründet liegen, wobei es im letzteren Falle wiederum dem letzten staatlichen Gesetzgeber überlassen bleibt, welchen Normen er für die Vergangenheit Verfassungsrang einräumt. Ein bestimmter Verfassungsgesetzgeber wird vorzugsweise solche vorkonstitutionellen Gesetze für unanwendbar erklären, die unter einem Regime erzeugt worden sind, in bezugauf das sich die neue Verfassungsordnung als Gegen- oder Kampfverfassung begreift. Weiter kann auch nach den Grundsätzen des Postliminiums die Unverbindlichkeit für das im Rahmen einer völkerrechtswidrigen Okkupation erlassene Besatzungsrecht statuiert werden23. Das Nächtsliegende ist, daß das als "Unrecht" oder "Produkt eines Unrechtsregimes" qualifizierte Recht vollständig mit Wirkung ex nunc oder ex tune aufgehoben wird. Praktisch unvermeidbar ist dabei allerdings, daß der Fortbestand einzelner, unter dem "Unrechtssystem" begründeter Rechtsverhältnisse im Interesse der Beteiligten als Ausnahme von der Generalderogationsklausel auch nach neuem Recht gewährleistet ist. Welche Rechtsverhältnisse dieser Regelung zu unterwerfen sind, hängt weitgehend von den gesetzgeberischen Zielen des nachfolgenden Gesetzgebers ab. 23 Castberg S. 19 ff. Selbst die "act of state doctrine" hindert die US-amerikanischen Gerichte nicht daran, die Gültigkeit von Akten des Besatzungsgesetzgebers zu überprüfen, s. Kaimich v. Bruno 450 F. Supp. 227 (1978) betr. die Konfiskation jüdischen Vermögens in Jugoslawien durch NaziDeutschland.

I. Wechsel des Rechts im selben Staat

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Eine Alternative ist auch darin zu sehen, altes Recht global unter einem Vereinbarkeitsvorbehalt (Anpassungsklausel) zu übernehmen. Die Rezeptionsnorm kann dabei mit der Bestimmung verbunden sein, daß es dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt, die Vereinbarkeit durch Rechtshereinigungsgesetze verbindlich festzustellen. Die Kontrollbefugnisse können jedoch auch in Gestalt eines allgemeinen oder eines bei einem bestimmten Gericht monopolisierten richterlichen Prüfungsrechts der Judikative oder aber Organen der Exekutive übertragen sein24 • 4. L6sungen im Hinblick auf bestehende Rechtsverhältnisse

Je nach der Bewertung des alten Rechts durch den neuen Gesetzgeber oder dem "Selbstverständnis" des Reform- oder revolutionären Gesetzgebers25 fallen aber die gesetzlichen Lösungen im Hinblick auf die Behandlung bestehender Rechtsverhältnisse26 ganz unterschiedlich aus. 24 Beispiele und rechtsvergleichende Hinweise zu intertemporalen Regelungen gegenüber dem als "Unrecht" zu qualifizierenden Recht bei Wengler, JR 1949, S. 67 ff.; ders. (Faktizität und Legitimität) S. 620 ff. 25 Die Legitimität "revolutionärer Rechtsänderungen" wird von derjenigen Rechtsordnung, die mögliches Ziel revolutionärer Veränderungen ist, in den meisten Fällen geleugnet oder allenfalls im Rahmen eines ius resistendi gegen die Staatsgewalt oder im Sinne von "gewaltlosen r evolutionären" Verfassungsänderungen" (vgl. Supreme Court New Mexico v. 30. 11. 1921, State v. Diamond, 202 P. 988, 27 N. M. 477) einer rechtlichen Behandlung zugeführt werden. Die US-amerikanische Rechtsprechung weist immerhin ein Präzedens auf. wonach die Regelung des Verfahrens zur Änderung der Verfassungsbestimmungen über die Wahl der Volksvertreter auch das Ergebnis der Ausübung des ursprünglichen Rechts auf Revolution sein kann: "The people themselves are bound by the Constitution; and being so bound, are powerless, whatever their numbers, to change or thwart its mandates, except through the peaceful means of a constitutional convention, or of amendment according to the mode therein prescribed, or through the exertion of the original right of revolution." (Supreme Court Alabama v. 3. 2. 1921, Johnson v. Craft, 87 So. 375 (387), 205 Ala. 386). Kein staatliches Strafrecht kennt im Grunde den Tatbestand der gelungenen "Revolution" (v. d. Heydte, Fußn. 1, S. 34). Das wird aber wohl kaum als eine Stellungnahme zur Frage der Legitimität einer gelungenen revolutionären Staatsumwälzung gedeutet werden können. Die Frage der Legitimität von Revolutionen wird erst wieder im Rahmen des Völkerrechts einer definitiven Lösung zugeführt (vgl. Marek S. 51 ff.). 28 Zugegebenermaßen weist ein solches Übergangsrecht eine besonders differenzierte Regelung auf, das in Planung der Zukunft die Behandlung bestehender Rechtsverhältnisse durch eine stufenweise Einführung neuen Rechts so weit wie möglich "übergangslos" zu gestalten trachtet. Ob im Hinblick auf eine solche Regelung auch dann noch die Rede davon sein würde, daß heute das "bisherige Übergangsrecht", "das um 1900 als intertemporales Recht seine systematisch abschließende Gestalt erhielt", namentlich durch eine Bestimmung wie Art. 8 des EWG-Vertrages über die stufenweise Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes "durch ein neues, schrittund stufenweises Übergangs- und Ausbaurecht" "überlagert" oder von einem "supranationalen Rechtsänderung~ oder Gestaltungsrecht" "transzendiert"

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1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

a) Erlöschen von Rechtsverhältnissen Die radikalste Lösung treffen solche Bestimmungen, die das rückwirkende, unverzüglich oder alsbald nach einer Übergangszeit eintretende Erlöschen von Rechtsverhältnissen statuieren. Von einem "rückwirkenden Erlöschen" von Rechtsverhältnissen kann dann gesprochen werden, wenn ein Gesetz durch Rückbeziehung auf in der Vergangenheit liegende Ereignisse oder Handlungen, an die das alte Recht im Zeitpunkt ihres Eintretens bzw. ihrer Vornahme bestimmte Rechtsfolgen geknüpft hat, diesen Ereignissen oder Handlungen "von Anfang an" jegliche Rechtswirkungen abspricht27• Schon im Vormärz wurde von deutschen Kathedern aus das folgende Beispiel des französischen Code civil gelehrt: Nach Art. 1965 C. c. waren Wett- und Spielschulden für unklagbar erklärt worden. Diese Bestimmung galt auch für Wett- und Spielschulden, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begründet worden und nach dem alten Recht verbindlich und klagbar waren28 • Der Regelungsmodus des Erlöschens von Rechtsverhältnissen ist kennzeichnend für revolutionäre Gesetzgebungsakte im Rahmen sowohl bürgerlicher als auch proletarischer Revolutionen. Es macht dabei keinen Unterschied, wenn revolutionäre Gesetzgebungsakte von einem Reformgesetzgeber "rezipiert" werden. Ein Beispiel dafür ist das von den Ideen der französischen Revolution inspirierte hergisehe Septemberdekret von 1811, das die unverzügliche Aufhebung aller Ansprüche auf gerichtsherrliche Gelder und sonstige vom Adel usurpierte Abgaben verfügt29 • Als Gegenc::tand von Aufhebungsgesetzen kommen jedoch nicht notwendig nur Privilegien zugunsten eines bestimmten Personenkreises in Betracht. Die Annulierung kann sowohl dem objektiven Recht als auch den dadurch erzeugten subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen allgemein gelten. Art. 2 des Einführungsgesetzes zum ZGB der RSFSR vom 31. 10. 1922 beispielsweise ordnete, wie bereits in der Einleitung erwähnt, an, daß wird (so Bülck, AVR 12 (1964- 65), S. 423), wenn in "mehrdimensionale" BE>trachtun~ten auch die weiter unten behandelten Annexionsfälle um die Jahrhundertwende einbezogen werden würden, darf fraglich erscheinen. 27 Vgl. zu den Bedenken gegen die Bezeichnung "Rückwirkung": KrauseAblaß S. 19 f.; es wurde auch schon vorgeschlagen, den Begriff ,.Rückwirkunrt" durch "Rückanknüpfung" zu ersetzen, Scheerbarth S. 28 f.; Kisker s. 20 ff. 28 Weher S. 145; es ist jedoch zu beachten, daß Spielen und Wetten nicht alle Rechtswirkungen versagt worden waren, nach Art. 1967 C. c. konnten nämlich gezahlte Wett- oder Spielschulden weder bei früheren, noch bei künftigen Wetten oder Spielen zurückgefordert werden. 29 Vgl. Fehrenbach S. 79 ff., 149.

I. Wechsel des Rechts im selben Staat

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Rechtsstreitigkeiten betreffend zivilrechtliche Rechtsverhältnisse aus der Zeit vor dem 7.11. 1917 bei Gerichten oder sonstigen Rechtsanwendungsorganen der Republik nicht anhängig gemacht werden konnten. Als Ziel dieser Bestimmung galt nicht nur die Aufhebung des alten objektiven Rechts, sondern auch der unter der Herrschaft des zaristischen Rechts begründeten subjektiven Rechtsverhältnisse30• Erste gesetzliche Einschränkungen dieser Radikallösung enthält das Zivilstandsgesetz vom 16. 9. 1918, das den Bestand vorrevolutionärer Ehen auch im Hinblick auf die Ehewirkungen unangetastet ließ 31 • Forderungen aus alten Schuldverhältnissen wurde dagegen zwar grundsätzlich selbst als obligationes naturales die Anerkennung versagt32 • Diese Haltung wurde aber dort aufgegeben, wo es sich um vorrevolutionäre Arbeits- oder bäuerliche Pachtverhältnisse handelte33• Eine ähnliche Revision ist auch gegenüber Art. 17 des Allgemeinen Programms des Chinesischen Volkskonsultativrates vom 29. 9. 1949 zu beobachten, der in einer undifferenzierten Globalderogation "alle von der reaktionären Kuomintang-Regierung erlassenen, das Volk unterdrückenden Gesetze" aufhebt34 • Es ist jedoch nicht so, daß die gesetzlichen Maßnahmen, die den Untergang bestehender Rechtsverhältnisse dekretieren, unvermeidlich Teil einer umfassenden Rechtsannulierung sind. Hier treten sie zwar besonders prägnant in Erscheinung. Sie gehören indessen zum festen Bestand des legislativen Instrumentariums eines jeden staatlichen Gesetzgebers und sind verwendbar für alle Bereiche der rechtlichen Normierung. b) Transposition von Rechtsverhältnissen Eine weitere Möglichkeit der rechtlichen Behandlung besteht darin, daß alte Rechtsverhältnisse durch Überführung, Transposition, Konversion oder eventuelle Umgestaltung ("Umfunktionierung") in solche des neuen Rechts verwandelt werden (Adelstitel werden schlichte Namensbestandteile, für Sklavenhaltungsverhältnisse gilt Dienstvertragsrecht35, Eliachevitch I Nolde I Tager S. 13 f. Eliachevitch I Nolde I Tager S. 18, 22 f . 32 Maklezow I Timaschew I Alexejew I Sawadsky S. 252 f . 33 Eliachevitch I Nolde I Tager S. 21 ff., 28 ff. M Tomsan S. 81 f. Diejenigen Autoren, die eine Revision leugnen (wie etwa Cohen I Chiu S. 749), ignorieren durchweg den Beschluß der ersten Plenarsitzung des 1. Nationalkongresses der Volksrepublik China vom 26. 9. 1954. 85 Ein Beispiel für Gesetze, durch die Sklavenhaltungsverhältnisse in der Weise umgewandelt wurden, daß Sklavenkinder, die nach einem bestimmten Zeitpunkt geboren wurden, die Freiheit erlangen konnten, findet sich in der Geschichte des brasilianischen Rechts, das zunächst nur für alle nach dem Jahre 1850 geborenen Sklavenkinder die Freiheit dekretierte, vgl. Stammler S. 268. Die Abschaffung der Sklaverei durch das 13. Amendment zur Ver30

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1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

dem Bande nach unlösbare Ehen unterliegen dem neuen Scheidungsrecht). Auch hier kann die Überführung retroaktiv oder vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes an oder von einem späteren Zeitpunkt an für die Zukunft wirkend gemeint sein.

c) Versteinerung von Rechtsverhältnissen Eine dritte Variante ist, bestehende konkrete Rechtsverhältnisse nach altem Recht "versteinern" oder aber "auslaufen" zu lassen. Im letzteren Fall braucht sich der Gesetzgeber für die Gestaltung der Rechtslage lediglich diejenigen rechtlichen oder tatsächlichen Umstände zunutze zu machen, die die zunehmende Einschränkung der Zahl bestimmter Rechtsverhältnisse bewirkt, so wenn es gilt, landesrechtliehe Stockwerkseigentumsverhältnisse "auslaufen" zu lassen. Das westdeutsche Wohnungseigentumsgesetz dürfte dem landesrechtlich geregelten Stockwerkseigentum weitgehend den Boden entziehen, obwohl § 63 Abs. 3 WEG das nach Art. 182 EGBGB anerkannte, vor dem Inkrafttreten des BGB begründete Stockwerkseigentum weiterhin fortbestehen läßt. Eine Versteinerung ist dann ein ungenügendes Mittel zur Abschaffung von gewissen auf Dauer begründeten Rechtsinstituten und bedarf gegebenenfalls nachträglicher, auf Aufhebung gerichteter gesetzlicher Maßnahmen, wenn eine Perpetuierung des Rechtsinstituts in der Natur des Rechtsverhältnisses selbst angelegt ist38•

d) Oberlagerung von Rechtsverhältnissen Die unter a) bis c) aufgeführten Behandlungsarten können auch in der Weise angewendet werden, daß unter grundsätzlicher Anerkennung des Begründungstatbestandes eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses nur die Rechtsfolgen teilweise oder vollständig oder bestimmte rechtlich relevante Einzelwirkungen einer veränderten gesetzlichen Regelung unterworfen werden. So trifft Art. 170 EGBGB, abgesehen von den Ausnahmevorschriften der Art. 169, 171 EGBGB, die Bestimmung, daß für Schuldverhältnisse, die vor dem Inkrafttreten des BGB entstanden sind, die alten Gesetze maßgebend bleiben. Trotz des Wortlautes ist in Rechtsprechung und Schrifttum die Lesart vorherrschend, daß altes Recht gleichwohl nicht fassung der USA beeinträchtigte beispielsweise nicht die Gültigkeit von Verträgen aus der Zeit vor dem Zusatzartikel, die den Kauf oder Verkauf von Sklaven zum Gegenstand hatten, s. 45 Am Jur 2nd, Involuntary Servitude and Penage, § 1 (S. 928), mit Nachweisen zur US-amerikanischen Rechtsprechung. ss s. zum Fideikommiß: Däubler, JZ 1969, S. 499 ff.

II. Privatrecht im Sezessionsstaat

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gelte, soweit neue, an das Schuldverhältnis herantretende Umstände und nicht lediglich aus der inneren Entwicklung sich ergebende rechtserhebliche Tatbestände zur Beurteilung stehen37 • Neues Recht wird für maßgebend gehalten etwa im Hinblick auf das Erfüllungsgeschäft38, mithin für Zahlung, Hinterlegung, Aufrechnung, Erlaß39, in Bezug auf einen Verzicht40 , auf die Form der Abtretung und die Höhe der Verzugszinsen41 • Nach der reichsgerichtliehen Rechtsprechung ist neues Recht schließlich auch dann anwendbar, soweit seine Vorschriften reformatorischen Charakter haben und erkennbar auch in wohlerworbene Rechte eingreifen wollen (!)42 • Als ein Unterfall der Überlagerung käme auch die Umwandlung der Schuld in eine obligatio naturalis in Betracht.

ß. Das Recht des durch Sezession entstandenen Neustaates Das Tribunale Tripali hielt es im Jahre 1950 bei der Beurteilung des Währungsstatuts in Bezug auf einen zwischen Italienern zur Zeit der militärischen Besetzung Tripolitaniens geschlossenen Vertrag für absurd, daß ein souveräner Staat einen etwaigen Gebietsverlust zum Gegenstand einer antizipierenden gesetzlichen Normierung machen könne: "E assurdo ehe uno Stato sovrano preveda e regoli il caso della cessazione della sua sovranita su parte del suo territorio ... "43 • In der Tat dürften solche einseitigen vorgreifliehen Regelungen ebenso selten anzutreffen sein wie solche für die Eventualitäten einer Änderung des politischen oder rechtlichen Systems. Dagegen ist es nicht ungewöhnlich, daß Souveränitätsübertragungs-, Gebietsabtretungs- oder Unabhängigkeitsverträge zwischen Vorgängeroder Reststaat und Nachfolge- oder Neustaat Vereinbarungen über die Fortgeltung des in dem abgetretenen Gebiet geltenden Rechts enthalten. Ein historisches Beispiel ist der Staatsvertrag zur Auflösung der Hoheitsgemeinschaft in den Orten Widdern und Edelfingen vom 28. 6. 1843 zwischen Baden und Württemberg44 • Dessen Art. 8lautet: 37 Vgl. Palandt I Heinrichs, Anm. 3 zu Art. 170 EGBGB; Habicht S. 164 ff.; schon im Jahre 1811 nahm man eine differenzierende Haltung gegenüber den Verträgen ein, s. WeberS. 107 ff. as Vgl. RGZ, Urt. v. 10. 10. 1902, E 52, 261 (263). 18 Vgl. RGZ, Urt. v. 9. 7. 1920, Das Recht 25 (1921), Nr. 1401 Sp. 195. 40 Vgl. RGZ, Urt. v. 21. 3. 1905, Das Recht 9 (1905), Nr. 2693 Sp. 648. 41 Vgl. RGZ, Urt. v. 10. 10. 1902, S. 265. ' 2 Vgl. RGZ, Urt. v. 14. 6. 1907, E 66, 216 (218, 221 f.). 43 Trib. di Tripoli v. 19. 6. 1950, Cibelli c. Cassa di Risparmio, Temi 5 (1950),

s. 560. 44

C. T. S. (Parry) 95 (1843), S. 153 ff. (157).

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1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

"Die von den Einwohnern der abgetretenen Orte vor deren Abtretung vorgenommenen Handlungen und die daraus entspringenden Rechte und Verbindlichkeiten sind nach dem bisher daselbst gültig gewesenen Gesetzen zu beurteilen45.'' Derartige Abkommen zwischen Rest- und Sezessionsstaat über die Frage des anwendbaren Rechts sind in den meisten Fällen das Ergebnis der Konsolidierung der Machtverhältnisse in Bezug auf das von der Sezession betroffene, ehemals einheitliche Staatsgebiet. Jedoch schon während des Verlaufs der Sezessionsbestrebungen oder auch der Auseinandersetzungen um die gewaltsame Änderung des politischen Systems unter Beibehaltung des Staatsgebietes kann, wenn die Entwicklung der Machtverhältnisse noch nicht das Stadium erreicht hat, wo eine Staatenspaltung unaufhaltsam ist (China, Korea, Deutschland, Vietnam, Pakistan, Jemen), zumindest für dritte Staaten die Frage auftreten, ob etwaige Privatrechtskonflikte zwischen der alten und der revolutionären Rechtsordnung oder zwischen derjenigen des Sezessions- oder des Restgebietes einer Lösung unter dem Gesichtspunkt der Faktizität oder der Legitimität oder dem der Kombination beider zuzuführen sind•6 • 45 Hundert Jahre später sollten im gleichen südwestdeutschen Raum ähnliche Privatrechtskonflikte entstehen, ohne daß jedoch entsprechende Kollisionsnormen eine Regelung bereithielten. So konnte das LAG Stuttgart, amerik. Zone (Urt. v. 16. 12.1947, IzRspr. 1945-1953 Nr. 178) im Jahre 1945 für einen Konflikt zwischen "Schorndorfer" und "Stuttgarter" Arbeitsrecht eine Lösung lediglich in Anlehnung an die Grundsätze des deutschen IPR finden. Die Rechtskollision war darauf zurückzuführen, daß das in Stuttgart herrschende französische Besatzungsrecht von dem der amerikanischen Militärregierung abgelöst worden war, während Schorndorf von Anfang an Teil der amerikanischen Zone war, ohne daß eine Abmachung zwischen den Besatzungsmächten Bestimmungen über die Fortgeltung des Rechts getroffen hätte. 46 Vgl. Wengier (Faktizität und Legitimität) S. 615 ff. Die Gerichte können sich freilich auch auf den Standpunkt stellen, daß sie nur das Recht desjenigen Staates beachten, der von ihrer Regierung anerkannt worden ist ("The executive and the courts must speak with one voice"), so die englische Rechtsprechung, vgl. The Arantzazu Mendi (1939) 1 All E. R. 719 (722), (1939) A. C. 256 (264), wo sowohl die nationalistische als auch die republikanische Regierung in Spanien für die von ihnen faktisch beherrschten Gebiete als die jeweils legitime Regierung anerkannt worden war; vgl. ähnlich in Singapur: United States of America v. Yang Soon Ee, M. L. J. 16 (1950), S. 102 zur Frage, ob die Volksrepublik China Eigentümerin eines in Formosa für die frühere chinesische Regierung registrierten Handelsschiffes war. Anders nunmehr das Urteil des englischen Court of Appeal (Lord Denning) in Sachen Hesperides Hotels Ltd v. Aegean Turkish Holidays Ltd (1978) 1 All E. R. 277, (1978) Q. B. 205 zur Beachtlichkeit des Rechts des nicht anerkannten "Türkischen Föderativen Staates von Zypern". s. dagegen den differenzierenden Ansatz bei Wengier (Gutachten) zur Rechtsspaltung in China (S. 630 ff., 899 f.; 901 ff.), wo die Nachschubanknüpfung bzw. der Rückgriff auf die Vorbehaltsklausel im Ergebnis auf dasjenige Recht weist, über dessen Inhalt beim Sachverständigen keine Unsicherheit besteht. Üblicherweise sind nur bei Unmöglichkeit der Ermittlung ausländischen Rechts Hilfsanknüpfungen statthaft (vgl. Palandt I Heldrich, Vorbem. 16 vor Art. 7 EGBGB).

II. Privatrecht im Sezessionsstaat

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Für den Fall, daß weder zweiseitige Vereinbarungen über die Rezeption des Rechtes durch den Neustaat noch ausdrückliche einseitige Übernahmeklausein des Nachfolgestaates vorhanden sind, wird vereinzelt die These vertreten, daß Recht, soweit es fortgelte, seinen Geltungsgrund in der Grundnorm der ursprünglichen Gebietshoheit finde 47 • Diese These steht jedoch ebenso im Widerspruch zur vorherrschenden Meinung48, wie zu dem durch die Unabhängigkeitsbestrebung zum Ausdruck gebrachten staatlichen Willen zur politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Selbstorganisation49 • 1. Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Umdeutung der inlandsbezogenen Tatbestandselemente bzw. des territorialen Anwendungsanspruchs der Rechtsnormen

Wenn der durch Sezession entstandene Neustaat eine Rechtsfortgeltungsklausel weder explizit normiert noch einen entsprechenden Willen bei bestimmten Normsetzungsakten oder Normfeststellungsverfahren durch Bezugnahme auf früheres Recht zum Ausdruck gebracht hat, dann werden für die Annahme, daß der staatliche Wille auf einen Zustand der Rechtlosigkeit (Rechtsvakuum) oder der Unentschiedenheit (Schwebezustand) gerichtet ist, besondere Umstände vorliegen müssen, die keinesfalls schon in der Tatsache einer gewaltsamen Änderung des Status quo zu sehen sind. Zumindest wird ein Wille, der dem Zustand der Rechtlosigkeit dem der Fortgeltung alten Rechts den Vorzug gibt, eher kundgetan werden als ein solcher, der Bestehendes nur konservieren will. Im Rahmen der Lehre von der Staatensukzession wird die Frage der Rechtsfortgeltung bei Nichtvorliegen einschlägiger Willenserklärungen im Hinblick auf die Privatrechtsordnung von der wohl vorherrschenden Meinung im Sinne der Perpetuierung beantwortet50• Insofern muß das So im Hinblick auf die Commonwealth-Monarchien: Morvay S. 84, 87 ff. Vgl. Kelsen S. 297; Rosenne, B. Y. I. L. 27 (1950), S. 290 f.; Mosler S. 22 ff.; Kordt, BerDGV 5, S. 1 ff.; Zemanek, BerDGV 5, S. 56 ff.; Bedjaoui, Rec. Cours 130 (1970 II), S. 504 ff.; O'Connell (State Succession) S. 103 f., 107 ff.; ders., Rec. Cours 130 (1970 II) S. 122 ff. (124); Whiteman S. 877 ff. 49 Vgl. Goldfine S. 39, Fußn. 2. 50 Vgl. oben Fußn. 48. Schon das Oberappellationsgericht Dresden hatte am 1. 4. 1848 in Sachen der Krone Preußen w . das Großherzogthum SachsenWeimar entschieden (Seuff. Arch. 26 (1872), Nr. 147 S. 233 f.): "Geht man nun zu der Frage über, ob der Deputationsreceß durch die Auflösung des deutschen Reiches seine Wirksamkeit verloren habe, so muß dies in Hinsicht auf den hier fraglichen Gegenstand verneint werden. Die Acte des Rheinbundes hat zwar in ihrem 2. Artikel alle deutschen Reichsgesetze, bis auf zwei specielle Ausnahmen ... aufgehoben. Abgesehen aber davon, daß dies die Krone Preußen, welche niemals dem Rheinbunde beigetreten ist, nicht binden konnte, sind seit dem Untergange der französischen Herrschaft die deutschen Staatsrechtslehrer darüber einig geworden, daß die d eutschen Reichs47

48

46

1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

Stillschweigen, ungeachtet der sonst erforderlichen Formgebundenheit des Gesetzgebungsverfahrens, als legislativer Akt gelten51 • Neben der Vermutung eines Rezeptionswillens ist es auch möglich, daß einem nach dem Zeitpunkt der Staatsgründung manifest gewordenen gesetzgeberischen Willensakt rückwirkende Kraft beigelegt wird52 oder daß Gesetzesentwürfen Vorwirkung zugesprochen wird. In den Fällen der stillschweigenden Aufrechterhaltung der Privatrechtsordnung ist ebenso wie bei ausdrücklicher Globalrezeption ohne Anpassungsklausel eine Umdeutung der inlandsbezogenen Tatbestandselemente bzw. des territorialen Anwendungsanspruchs der fortgeltenden Rechtsnormen notwendig. Das kann an dem Urteil des Handelsappellationsgerichts Nürnberg v. 23. 11. 186653 demonstriert werden: "... daß Art. 76 des bayer. Einführungsgesetzes zum HGB (wonach in Handelssachen zwischen bayerischen Staatsangehörigen und den Angehörigen anderer deutscher Bundesstaaten kein Unterschied statthaft ist) auf Österreicherische Staatsangehörige deswegen keine Anwendung mehr finden könne, weil dieser Artikel von Angehörigen deutscher Bundesstaaten spreche, Osterreich aber nicht mehr zum deutschen Bunde gehöre, würde allenfalls dann . . . logisch richtig genannt werden können, wenn der deutsche Bund zur Zeit noch bestände und etwa nur Osterreich aus demselben ausgeschieden wäre. Denn es mag zugegeben werden, daß im staatlichen Leben Anderungen der Gebietsformationen durch Zuwachs oder Ausscheiden einzelner Theile von selbst und vermöge der zwingenden Macht der Verhältnisse die politischen Rechte und Pflichten nach dem veränderten territorialen Umfange modificiren, daß die mit einem größeren Ganzen vereinigten Neuerwerbungen fortan in die Rechte des bisgesetze und Reichsverträge durch die veränderte politische Gestalt Deutschlands nur insoweit aufgehoben seien, als sie auf die speciellen Verhältnisse des ehemaligen deutschen Reiches sich beziehen. Insoweit sie aber auf Privatverhältnisse und Vermögensrechte sich beziehen, oder sonst auf Rechte, deren Wirksamkeit durch die Fortdauer der deutschen Reichsverbindung nicht schlechthin bedingt war, haben sie ihre Gültigkeit behalten. Auch kann man die Rechte ... wohl den erworbenen Rechten beizählen, welche ungeachtet der politischen Veränderungen, wenn sie nur sonst mit denselben vereinbar sind, in Kraft bleiben." 51 Morvay S. 88, ist dagegen der Meinung, ein Stillschweigen könne kein "Positivum" im Sinne eines Gesetzgebungsaktes sein; die Untätigkeit der Legislative lasse daher einen Schluß auf einen bestimmten Willen dieser Legislative nicht zu. 62 O'Connell (State Succession) S. 103 f., führt zur Vermutung des gesetzgeberischen Willens des Nachfolgestaates aus: "Unless a legislative will to maintain the law in being is presumed to exist five minutes after change of sovereignty (which is a fiction), it is necessary to presume a retroactivity of the legislative will when manifested. But if this will is never manifested, except by implication, conviction of legislative endorsement of the legal system can grow but slowly. In actual fact, all legal transactions concluded in this twilight period of uncertainty will be founded on the presumption of legal continuity, and the human necessity for r egulation and certainty is clearly a more viable intellectual factor than the supposition of a collective will." 53 Seuff. Arch. 24 (1871), Nr. 187 S. 292.

II. Privatrecht im Sezessionsstaat

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herigen Gebietes nach außen hin eintreten, und daß die aus einem Staate ausgeschiedenen Bestandtheile nicht mehr diejenigen Ansprüche erheben können, welche ihnen nur deswegen zustanden, weil sie diesem Staatsverbande angehörten. Allein dieser Fall liegt hier nicht vor, der deutsche Bund ist nicht in seinem Territorialbestande geändert worden, sondern derselbe hat gänzlich aufgehört; nicht nur Österreich, auch Preußen und sämmtliche übrigen deutschen Staaten gehören nicht mehr zum deutschen Bunde und deshalb müßte, wenn die Anschauungen des Beklagten getheilt werden könnten, der Art. 76 cit. als gegenstandslos geworden erklärt werden; Bayern stände dann wiederum, wie ehedem, im Rechtsverkehre nach allen Seiten hin einem Auslande gegenüber ... Nach den Ereignissen des letzten Sommers besteht ein deutscher Bund nicht mehr; der Begriff ,deutscher Bundesstaat' ist sonach kein effectiver, sondern ein historischer. Im Gesetze ist aber der Ausdruck gebraucht; entspricht demselben kein effectiver Begriff, so ist eben, so lange im Wege der Gesetzgebung eine Abänderung nicht eintritt, nothwendiger Weise der historische Begriff zu Grunde zu legen. ,Angehörige deutscher Bundesstaaten' giebt es zur Zeit immer noch, insoferne hierunter eine in einem gewissen historischen Zeitpunkte bestandene Staatenbildung verstanden wird; nachdem nun ein noch gültiges Gesetz diesen ,Angehörigen' gewisse Rechte einräumt, ist selbstverständlich auf den Begriff zur Zeit der Erlassung des Gesetzes zurückzugehen." Eine Umdeutung kann im Verhältnis zum Reststaat oder dem als nicht zum Geltungsgebiet des eigenen Rechts gehörig betrachteten "anderen" Teil eines "politisch" geteilten Staates oder zwischen Staaten, die kraft besonderer Vereinbarungen ihre Beziehungen untereinander als solche von inter-se-Beziehungen regeln64, eine gewisse Abwandlung erfahren: Dem Recht des Reststaates, des "anderen" Staatsgebildes oder des Verbandsstaates wird entgegen der gewöhnlichen Anknüpfung entweder in weiterem Umfange oder aber in begrenzterem Maße Beachtung geschenkt, je nachdem wie die Beziehungen der beiden Rechtsordnungen eingeschätzt werden und ob die Sezession sub specie aeternitatis beurteilt wird oder nicht65 • 54 Vgl. zur inter-se-Doktrin für das Commonwealth: Fawcett S. 144 ff.; s. zur Anwendung dieser Theorie auf das innerdeutsche Verhältnis: Gascard, JIR 15 (1971), S. 341; Wengier (Grundvertrag) S. 133 f. 65 Auch nach dem Vertrag der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 12. 7. 1970 (Warschauer Vertrag) sollen die von Polen übernommenen deutschen Ostgebiete immer noch als "Inland" im Sinne des RuStAG gelten, vgl. BVerfG v. 7. 7.1975, E 40, S. 141 (175); BSG v. 28. 1.1977, SozVers. 1977, S. 188; BSG v. 30. 9. 1976, E 42, S. 249 (252). Nach einer älteren Entscheidung des BGH v. 19. 9. 1955 (zit. nach Janicki S. 149) sollte die Stadt Breslau weiterhin der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen. Urteile polnischer Gerichte in ehemals deutschen Städten dagegen werden durchweg als ausländische behandelt, vgl. BSG v. 30. 3. 1977, FamRZ 1977, S. 636; OLG Düsseldorf v. 10. 3. 1976, FamRZ 1976, S. 355; BayObLG v. 17. 10. 1975, FamRZ 1976, S. 154. Als Ausland gelten die früheren deutschen Gebiete in Polen auch für das Verwaltungsverfahren, vgl. BSG v. 31. 1. 1973, MDR 1973, S. 531. Die DDR wird von Wieczorek (Anm. B II d zu § 328 ZPO) für die Zwecke des Zivilprozeßrechts als Gerichtsausland bezeichnet; nach dem Urteil des VG Stuttgart v. 1. 2. 1978 (DÖV 1978, S. 657) verbietet das Festhalten an der

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1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

Eine positive gesetzgeberische Lösung der Umdeutung bieten Legaldefinitionen, die Begriffe wie "Inland" etc. geographisch neubestimmen oder alte Nationalitätsbezeichnungen durch neue ersetzen. 2. Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Vorbehalt der Vereinbarkelt mit Generalklausel

In der Mehrzahl der Fälle der Gründung von Neustaaten oder der Staatsteilungen, wo der nachfolgende oder auch der noch nicht "zurückgetretene"66 Gesetzgeber ausdrückliche Regelungen zur Aufrechterhaltung der auf dem Staatsgebiet eines Nachfolgestaates bestehenden Rechtsordnung trifft, ist es üblich, die Fortgeltung des Rechts unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit mit der Verfassung, der Souveränität, einer bestimmten religiösen Ordnung oder sonstigen Bestimmungen zu stellen67 • Die Kontrollbefugnis hinsichtlich der Vereinbarkeit alten Rechts mit den Fortgeltungsvorbehalten kann, wie beim innerstaatlichen Wechsel des rechtlichen Systems58, wiederum entweder beim Gesetzgeber oder bei einem bestimmten Verfassungsorgan monopolisiert oder in einer Generalklausel den Rechtsanwendungsorganen überlassen sein. Dabei kann einer Entscheidung über die Unvereinbarkeit einer rezipierten Bestimmung Allgemeinverbindlichkeit oder nur Wirkung für den konkreten Einzelfall zukommen. Sie kann entweder ex nunc oder ex tune bzw. konstitutiv oder deklaratorisch wirken59• 3. Vorläufige Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Vorbehalt nachträglicher Änderungen

Bei Vorrangigkeit anderer Aufgaben oder im Bewußtsein der Schwierigkeiten von Gesetzesreformen oder Kodifikationsarbeiten kann der Gesetzgeber eines neugegründeten Staates die vorläufige Aufrechterhaltung des bisherigen Rechts statuieren und gleichzeitig beabsichtigte Änderungen, Anpassungen oder eine umfassende Aufhebung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes oder unbefristet ankündigen. Wird eine Frist zur Gesetzesänderung nicht eingehalten oder vom Geeinheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit und dem Wiedervereinigungsgebot nicht, Rechtsakte der DDR bei der Anwendung des RuStAG als verbindlich anzuerkennen. 5 6 Vgl. für Indien und Pakistan: Poulouse S. 179 ff. 57 Zahlreiche Beispiele s. bei: O'Connell S. 112 ff.; Morvay S. 75, Fußn. 236; s. auch United Nations Legislative Series, Materials on Succession of States, 1967, ST/LEG/SER. B/14. ss s. oben 1. Teil I. 3. a. E. 58 s. zur ähnlichen Problematik bei der Entscheidung über verfassungswidrige Gesetze unter dem Grundgesetz: Hesselberger, DÖV 1970, S. 325 ff.

II. Privatrecht im Sezessionsstaat

49

setzgeber nicht verlängert, so kann die Einlösung der Änderungs- oder Anpassungspostulate unter Umständen von der Rechtsprechung wahrgenommen werden. Tritt dagegen der Änderungsgesetzgeber auf den Plan, dann stehen ihm die Mittel der Wiederbelebung eines noch früheren "autochthonen" Rechts (resurrection d'un droit ancien), der Übernahme eines fremden Rechts (importation d'un droit etranger) oder der Transplantation eines Rechts aus dem Gebiet seiner bisherigen Geltung in das des neuen Gesetzgebers (transplantation d'un droit) zur Verfügung60 • Die Behandlung der vom alten Recht geprägten Rechtsverhältnisse weist in den Fällen der Sezession keine anderen Formen und Inhalte auf als beim Wechsel des objektiven Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet61. 4. Rechtlosigkeit in der "Stunde Null" infolge derogierender Generalklausel unter Aufrechterhaltung gewisser bestehender Rechtsverhältnisse

Vorzugsweise dann, wenn die Staatsgründung als ein Akt der Befreiung von einem fremden unrechtmäßigen Regime aufgeiaßt werden soll, mag sich ein Gesetzgeber eher für die Aufhebung des überkommenen Rechts uno actu unter Inkaufnahme eines Zustandes der Rechtsordnungslosigkeit entscheiden als für die Fortgeltung der vom alten Regime produzierten Rechtsnormen. Diese Entscheidung wird ihm dann leichter fallen, wenn er für die Organisation der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfassung in anderen Regelungsmechanismen eine Lösung glaubt finden zu können als in denen des mit staatlichem Zwang durchsetzbaren Rechts. Das hat notwendig zur Folge, daß einmal "alte" Rechtsverhältnisse weder justitiabei noch sonstwie durchsetzbar sind und zum anderen keine "neuen" Rechtsverhältnisse in diesem Rechtsvakuum entstehen, in die Vertrauen gesetzt werden könnte. Es ist nicht undenkbar, daß etwa bei dem Versuch der Verwirklichung von bisher als Sozialutopien geltenden Theorien von dieser Rechtsordnungslosigkeit nicht nur vermögensrechtliche Rechtsverhältnisse betroffen sein sollen, sondern auch familienrechtliche Rechtsverhältnisse (Abschaffung der Polygamie, Auflösung des Instituts der Ehe, statt Erziehungs- und Fürsorgepflichten aus Eltern-Kind-Verhältnissen kollektive Erziehungseinrichtungen beispielsweise in Kibbuzim, etc.). Die bisherige Staatenpraxis zeigt jedoch, daß auch eine anfänglich wohlgemeinte Globalderogation im nachhinein stets eine modifizierte 6o 61

Papachristos S. 9 ff. s. oben 1. Teil I. 4. a).

4 Wohlgemuth

1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

50

Interpretation erfährt62 , und daß auch der Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte für neue Rechtsverhältnisse alsbald wieder Geltung beansprucht63• Entscheidender Grund für die Durchbrechung des Prinzips der Totalannullierung ist, daß eine undifferenzierte negative Einstellung gegenüber den alten Rechtsverhältnissen den eigenen persönlichen Interessen derjenigen zuwiderläuft, die Träger der Rechtsliquidation sind oder die, wenn auch unter dem Vorzeichen der "gerechteren" Gestaltung der gesamtgesellschaftlichen Verfassung, Nutznießer der Zerstörung der alten Rechtsordnung sein sollen. Die Durchbrechung des Prinzips der Totalannullierung wird mitunter verkappt, indem der neue Gesetzgeber seinen Gerichten den Rückgriff auf die alte Rechtsordnung, solange noch keine Gesetzgebungsakte den Schwebezustand beseitigt haben, in der Weise gestattet, daß sie sich auf die alten Gesetze zwar als ratio scripta, nicht aber als formell geltendes Recht berufen könnens4 • Ein Zustand der "Stunde Null" kann auch nach dem Zeitpunkt der Unabhängigkeitsproklamation eintreten, nämlich dann, wenn nach anfänglicher Globalinkorporation des Rechts des früheren Gesetzgebers die Behörden oder Gerichte ihre Haltung gegenüber dem inkorporierten Recht nachträglich neu bestimmen. Unter dem Gebot eines "revolutionary approach" ist dann der bisher bestehende Rechtskörper nur mehr in seiner Geltung als ratio scripta beachtlich65 •

111. Das Recht in dem von einem schon bestehenden Staat annektierten Gebiet In der englischen Rechtspraxis wurde der Grundsatz entwickelt, daß englisches common law in den von Großbritannien annektierten, eroberten oder von einem dritten Staat erworbenen Gebieten nur wirksam war, wenn eine Erstreckung ausdrücklich ausgesprochen wurde. Fehlte eine entsprechende Regelung, dann galt unmittelbar das in dem annektierten Gebiet herrschende Recht fort 66• In den meisten Fällen des Gebietserwerbs durch einen bestehenden Staat trifft freilich der annektierende Staat detaillierte Bestimmungen über die auf dem annektierten Territorium geltenden Rechtsnormen67 • s. das Beispiel der VR China : oben 1. Teil I. 4. a) und Fußn. 34. Vgl. zum Beispiel der Sowjetunion: Sosniak S. 59. 84 s. zu Algerien: unten 4. Teil I. a. E. 85 s. zu Indonesien: unten 2. Teil I. 66 Vgl. O'Connell (State Succession) S. 108 f. 67 s. die Hinweise bei O'Connell (State Succession) S. 111 f.; de Nova, Com. Stud. 1 (1942 I), S. 129 ff.; Makarov, ZOstR 7 N. F. (1941), S. 423 ff.; Wengler, DRWiss. 5 (1940), S. 168 ff.; Hubernagel S. 9 tf. 62

63

III. Privatrecht bei Annexionen

51

Jedenfalls ist im Gegensatz zur Sezession und Neugründung eines Staates hinsichtlich der Geltung des Rechts in dem annektierten Gebiet kaum ein Zustand denkbar, der dem eines Rechtsvakuums vergleichbar wäre. Ob dagegen das in dem annektierten Gebiet bisher in Kraft stehende Recht weitergilt oder durch dasjenige des annektierenden Staates ersetzt wird, ist weitgehend davon abhängig, in welcher Weise der annektierende Staat das neu erworbene Gebiet in seine Staatsorganisation eingliedern wmes. Räumt der Erwerberstaat dem erworbenen Gebiet angesichts der räumlichen Distanz zwischen den Gebieten etwa bei überseeischen Besitzungen oder der Heterogenität der Bevölkerung des annektierten Gebietes gegenüber derjenigen der Metropole einen Sonderstatus oder eine gewisse Autonomie ein, dann liegt es nahe, daß die Entscheidung zugunsten der Fortgeltung des "einheimischen" Rechts ausfällt. Handelt es sich andererseits um die Rückgliederung eines schon früher verlorenen oder beanspruchten Gebietes mit einer mit der Bevölkerung des Erwerberstaates homogenen Einwohnerschaft und soll eine vollständige Integration stattfinden, dann wird auch die Vereinheitlichung der Rechtsordnungen durch Einführung des Rechts des Erwerberstaates kurz- oder langfristiges Ziel des Gesetzgebers des annektierenden Staates sein. Es ist schließlich möglich, daß ein und derselbe annektierende Staat unterschiedliche Standpunkte in verschiedenen Annexionsfällen gegenüber der Einführung eigenen Rechts einnimmt. So hatte der griechische Staat etwa bei der Annexion von Epirus und Thessalien, wo türkisches Recht in Kraft stand, sieben Jahre nach dem Gebietserwerb durch Gesetz vom 19. 3. 1882 sein eigenes Recht eingeführt, während er bei dem Erwerb der Ionischen Inseln das ionische bürgerliche Gesetzbuch aufrecht erhalten hatte69•

88 s. die US-amerikanische Rechtsprechung: Ngiruhelbad v. Merii, 2 T. T. R. 631 bezüglich des während der deutschen Herrschaft auf den Palau-Inseln eingeführten individuellen Grundeigentums im Gegensatz zu dem nach Palau-Gewohnheitsrecht vorherrschenden kollektiven Eigentum; United States v. Kaiser Aetna, 408 F. Supp. 42 (1976) bezüglich der Annexion Hawaiis. Ob der Grundsatz, daß neue Staaten der Union nur "on equal footing with all other states" beitreten (so Cherokee Nation of Tribe of Indians in Oklahoma v. State of Oklahoma, 402 F. 2d 739 (1968) zur Gründung des Staates Oklahoma auf dem Cherokee und Choctaw Territorium), auch für die "Erstreckung" der Privatrechtsordnung Bedeutung hat, ist nicht ganz klar. s. zur Erstreckung von Bundesgesetzen auf nicht inkorporierte Gebiete: Government of the Canal Zone v. Bender 573 F. 2d 1329 (1978). ea Vgl. Balis, NiemeyersZ 24 (1914), S. 247.

••

52

1. Teil: Gesichtspunkte der Untersuchung

1. Aufrechterhaltung des im annektierten Gebiet bisher geltenden Rechts unter Umdeutung der inlandsbezogenen Tatbestandselemente bzw. des territorialen Anwendungsanspruchs der Rechtsnormen Was die Art und Weise der Anwendung der im annektierten Gebiet durch den annektierenden Staat aufrechterhaltenen Rechtsnormen und insbesondere die Definition und Interpretation der inlandsbezogenen Tatbestandselemente der für das annektierte Gebiet inkorporierten Rechtsnormen im Verhältnis zu dem Recht desjenigen Staates anbetrifft, von dem das Gebiet abgetrennt worden ist, so stellen sich hier dieselben Probleme der Konversion oder teleologischen Reduktion wie bei der Sezession und Staatsneugründung unter Aufrechterhaltung der früheren Rechtsordnung70 • Nicht anders sind die Lösungsalternativen, die sich dem Gesetzgeber des annektierenden Staates in dieser Hinsicht anbieten71 • Der Problembereich der Umdeutung von Begriffen wie "Inland" etc. erweitert sich aber bei Annexionsfällen im Gegensatz zu solchen der Sezession in zweierlei Hinsicht. Einmal tritt die Frage hinzu, wie die Neubestimmung der inlandsrelevanten Begriffe der Rechtsnormen des annektierten Gebietes gegenüber dem annektierenden Staate zu treffen 70 s. BOHG v. 11. 3. 1871 in Sachen Roseeu & Müller w. Schwarzschild (Seuff. Arch. 25 (1872), Nr. 286 S. 442) zur Frage, ob nach Gründung des Norddeutschen Bundes die Vorschrift des Art. 51 der Frankfurter Prozeßordnung, wonach gegen fremde, nicht im Geltungsgebiet der Frankfurter Prozeßordnung ansässige Schuldner der Personalarrest zulässig war, auch gegenüber Bundesangehörigen galt. Das Gericht lehnte das mit dem Hinweis auf Art. 3 der norddeutschen Bundesverfassung ab, demzufolge allen Bundesangehörigen ein gemeinsames Indigenat verliehen war. Vgl. auch ROHG v. 13. 1. 1875 (ROHG E 16 (1875), Nr. 64 S. 264) zur Bestimmung des Mecklenburgischen Prozeßrechts, die nur in Mecklenburg ansässige Kläger mit inländischem Grundbesitz von der cautio pro expensis (Sicherheitsleistung) befreite. Nach Meinung des Gerichts war nach Gründung des Deutschen Reiches unter inländischem Grundbesitz nicht nur der in Mecklenburg, sondern im gesamten Gebiet des Deutschen Reichs belegene Grundbesitz zu verstehen, ebenso ROHG v. 4. 4. 1872 (ROHG E 5 (1872), Nr. 83 S. 368): "Die jetzt bestehende Gleichstellung der Angehörigen aller Bundesstaaten ... macht es ... erforderlich, nunmehr au des 1abgetretenen Territoriums Gegenstand eines Rechtsmittelangriffs vor einem Gericht im Gebiet des italienischen Heimatstaates war1 • • • ' ' •'' ·' · 1 Vgl. Cutrupia S. 96 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen; Andrioli, Foro Pad. 3 (1948), S. 112.

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

165

Es war aber andererseits nicht ausgeschlossen, daß in diesen Fällen, wo die italienischen Gerichte ihre Zuständigkeit als Rechtsmittelinstanz gegenüber "früher" italienischen Entscheidungen ablehnten, die italienischen Gerichte erstinstanzlieh mit der Sache befaßt werden konnten2 • Denn die Anhängigkeit eines Rechtsstreites ·io der gleichen Sache im Ausland wird im allgemeinen - vorbehaltlich besonderer zwischenstaatlicher Vereinbarungen - gemäß Art. 3 C. p. c. nicht als Grund angesehen, die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte zu verneinen, wenn im übrigen die Voraussetzungen nach Art. 4 C. p. c. erfüllt sind3 • Es ist jedoch kein Fall anzutreffen, wo Rechtsstreite, von der RechtsmitteUnstanz an die Gerichte im abgetretenen-Gebiet "verwiesen", von den Parteien tatsächlich in der ersten Instanz in Italien erneut anhängig gemacht wurden. Das war sicherlich einer der Gründe, weshalb die internationalprivatrechtliche Rechtsprechung in diesem Rahmen gegenüber der internationalzivilprozessualen deutlich in den Hintergrund trat. Auf welch verworrene Weise die negative Beantwortung der Zuständigkeitsfrage zum Teil den Zugang zur Sachfrage der Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderungen von dessen Geltungsgebiet versperrte, zeigt etwa das Prozeßurteil des Tribunale di Trieste vom 5. 7. 1949 in der Sache Magno c. Stele\ eines Gerichts auf einem zur Zeit der Entscheidung der Geltung der italienischen Gerichtsverfassung entzogenen Gebiet. Dem Streit der Parteien, einem triestinischen Kaufmann und einer Handelsfirma aus Ljubljana, lag ein 1942 geschlossener Kaufvertrag über die Lieferung von slowenischen Birnen zugrunde. In seiner ersten Entscheidung vom 3. 8. 1943 hatte sich das Tribunale di Trieste für örtlich unzuständig erklärt. Der italienische Kassationshof verwies jedoch den Rechtsstreit auf Kompetenzrüge durch Urteil vom 19. 11. 1943 an das Landgericht Triest zurück. In der Zwischenzeit war nach dem italienisch-alliierten Waffenstillstandsabkommen vom 8. 9. 1943 und der deutschen Besetzung des italienischen Gebietes von Venezia Giulia6 durch Verordnung vom 22. 10. z Vgl. aber Cansacchi, Giur. It. 1954 I 1, S. 321, der offensichtlich mit dem nach Art. 4 und 5 C. p. c. eintretenden Verlust der internationalen Zuständigkeit bei Gebietsveränderungen mit Wirkung für die inländische Rechtsmittelinstanz auch die Bestimmung über die Unbeachtlichkeit ausländischer Rechtsanhängigkeit nach Art. 3 C. p. c. für unanwendbar hält. 3 Vgl. Giuliano S. 175 ff., S. 201 ff. 4 Tribunale di Trieste v. 5. 7.1949, Magno c. Stele, Riv dir. proc. 6 (1951) II,

s. 128. 6

Vgl. dazu Moritz S. 208 ff.; HerzogS. 111 ff.

166

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

1943 des Obersten Kommissars der "Operationszone" Adriatisches Küstenland jedes außerhalb des okkupierten Gebietes gelegene Gericht von der Zuständigkeit gegenüber dem Besatzungsgebiet ausgeschlossen worden. Als für Kompetenzbeschwerden zuständig war das Gericht von Triest bestimmt worden. Im Zusammenhang mit der Errichtung einer alliierten Militärregierung für das Gebiet von Triest im Juni 1945 wurden nachträglich durch Proklamation Nr. 1 des Generals Alexander alle nach dem 8. 9. 1943 erlassenen Rechtsvorschriften nicht-italienischer Herkunft ex nunc aufgehoben. Das triestinische Gericht wies in seiner endgültigen Entscheidung die Klage aus dem Gesichtspunkt der "res iudicata" ab. Die Begründung war: In Ansehung der alliierten Proklamation hätten die Bestimmungen der deutschen Besatzungsmacht die Zuständigkeit des italienischen Kassationshofes für das Besatzungsgebiet während des Interimszustandes verbindlich ausgeschlossen. Das Besatzungsrecht könne jedoch für die Beurteilung der aktuellen KompetenzKompetenz des Gerichts keine Geltung beanspruchen. Unerörtert blieb deshalb etwa die zur Zeit der ersten triestinischen Entscheidung interlokalrechtliche6 Frage, ob ein im Jahre 1942 zwischen einer in Triest und einer in Ljubljana beheimateten Partei geschlossener Kaufvertrag von dem in Triest seit 1929 geltenden italienischen Zivilrecht7 oder von dem in Ljubljana geltenden und vom italienischen Gesetzgeber für das am 6. 4. 1941 annektierte jugoslawische Gebiet rezipierte Recht des Österreichischen ABGB in der Fassung der Kriegsnovellen8 beherrscht wurde. Unerwähnt blieben deshalb auch Fragen wie die, ob etwa die während der zwichenzeitlichen Okkupation durch deutsche Truppen und die anschließend während der Unterstellung unter alliierte Verwaltung erlassenen Vorschriften für die Beurteilung privatrechtlicher Schuldverhältnisse beachtlich waren oder nicht9 • Ob die Verneinung der internationalen Zuständigkeit ebenfalls den Standpunkt zum Ausdruck bringt, das italienische Recht wolle in diesen Fällen auch das Vertragsstatut nicht stellen, wäre dann anzunehmen, wenn dem italienischen Recht ein Satz bekannt wäre, wonach ein Staat, Vgl. De Nova, Com. e Stud. 1 (1942 I), S . 127 ff. Vgl. Menestrina, Nuov. Dig. It., 8, S. 1183. 8 Vgl. Chiomenti, Com. e Stud. 1 (1942 I), S. 185 ff.; Sturman, WGO 3 (1961), S. 26 ff.; Biscottini, Giur. It. 109 (1957 I 2), S. 365 ff. 9 Vgl. Gialdino, Riv. Dir. Proc. 3 (1948 li), S . 252; vgl. auch Ubertazzi, Foro Pad. 4 (1949 III), S. 127 ff. 8

7

I. Vertragsstatut im italienischen Recht

167

der seine Gerichte für einen konkreten Rechtsstreit nicht "zur Verfügung stelle", auch sein Recht nicht angewendet wissen dürfe. Dafür geben aber solche Entscheidungen nichts her, in denen nur die perpetuatio iurisdictionis italienischer Gerichte geleugnet und allenfalls die Zuständigkeit der Gerichte desjenigen Staates ausdrücklich angenommen wird, auf den die Hoheit über das Gebiet übergegangen ist, auf dem das frühere italienische Gericht sein Forum hatte.

I. Das Vertragsstatut im italienischen IPR Italien gehört zu den Ländern, die die Bestimmung des Vertragsstatuts gesetzlich geregelt haben. Art. 25 Abs. 1 der Disp. prel. des geltenden italienischen Zivilgesetz.. buchesvom 16. 3. 1942 hat folgenden Wortlaut: "Le obbligazioni ehe nascono da contratto sono regolate della legge nazianale dei contraenti, se e comune; altrimenti da quella delluogo nel qualeil contratto e stato conchiuso. E salva in ogni caso la diversa volonta delle paruto." Danach wird das Vertragsstatut an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Parteien oder an den Ort des Vertragsschlusses angeknüpft oder von den Parteien ausdrücldich bestimmt. Art. 9 Abs. 2 S. 2 und 3 der Disp. prel. del Codice civile von 1865 dagegen lautete, ohne eine inhaltlich unterschiedliche Regelung 11 zu treffen: "La sostanza e gli effetti delle obbligazioni si reputano regolati dalla legge del luogo in cui gli atti furono fatti, e, se i contraenti stranieri appartengono ad una stessa nazione, dalla loro legge nazionale. E salva in ogni caso la dimostrazione di una diversa volonta." Der Geltungsbereich des Art. 25 der Disp. prel. wird von der italienischen Rechtsprechung, trotz der jüngsten Entwicklung im internationalen Arbeitsvertragsrechtl 2 , auch auf die lex laboris erstreckt13• Nach der überwiegenden Ansicht in Lehre und Rechtsprechung kommt unbeschadet der Fassung der Kollisionsnorm des Vertrages, insbesondere der Reihenfolge der Anknüpfungskriterien, dem zum Aus10 Vgl. Übersetzung, Italienisches Zivilgesetzbuch (1942) nebst Einführungs-, Durchführungs- und Übergangsvorschriften, eingeleitet von Luther, 2. Aufl.

1968,

s. 4.

Vgl. dazu Vitta (III) S. 255 f. 12 Vgl. Mosconi, Dir. Int. 25 (1971 I), S. 253 ff. 13 Vgl. Tesauro, Rass. Dir. Pub. 26 (1972), S. 68 ff.; vgl. auch zum Grundsatz der Anwendung des dem Arbeitnehmer günstigeren Rechts: Magistratura del lavoro Trieste v. 10. 11. 1936, Lloyd Triestino c. Tarabocchia, Riv. Dir. Int. 29 (1937), S. 409; Anm. Bassano, Riv. Dir. Int. 29 (1937), S. 411 ff. 11

168

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

druck gebrachten Parteiwillen ausschlaggebende Bedeutung für die Bestimmung des maßgeblichen Vertragsstatuts zu, bevor auf die Anknüpfungsmerkmale des gemeinsamen Heimatrechts der Parteien oder des Ortes des Vertragsschlusses zurückzugreifen ist14 • Der Kassationshof hatte allerdings bisher nur Anlaß, zu dieser Frage wie folgt Stellung zu nehmen: "Le regole stabilite dall' art. 25 disp. prel. hanno un carattere meramente dispositivo e possono essere validamente derogate dalla diversa volonta delle parti. Tuttavia la deroga non e lecita quando con essa le parti intendono sottoporre il rapporto contrattuale a leggi straniere contrarie all' ordine pubblico o al buon costume15." Danach soll der Parteiwille die nachgiebigen Anknüpfungsmerkmale der gesetzlichen Kollisionsnorm nur ausschließen und auf ein Recht verweisen können, das nicht gegen den ordre public oder die guten Sitten verstößt. Wenn die Absicht der Parteien "über" einen stillschweigenden, mutmaßlichen oder hypothetischen Willen (volonta implicita, presunta, ipotetica) bei der Bestimmung des Vertragsstatuts Berücksichtigung findet 16, dann haben die im Gesetz aufgeführten Anknüpfungsmerkmale auf jeden Fall nur "subsidiäre" Bedeutung im Rahmen einer "subjektivistischen" Bestimmung des Vertragsstatuts. Etwas anderes gilt, wenn eine "objektivistische" Anknüpfung stattfindet17 • Im italienischen !PR soll der Parteiwille zwar nicht als mutmaßlicher oder hypothetischer, wohl aber als stillschweigender (volonta tacita) oder implizierter Wille aufgrund konkludenten Verhaltens der Parteien beachtlich sein18• Die Kontroverse darüber, ob der Parteiwille bloßes "criterio di collegamento" ist oder die Frage, was der "vero e proprio potere giuridico di autonomia" überhaupt ist19, besitzt insofern praktische Erheblichkeit, als es darum geht, nach welchem Recht die Beachtlichkeit der Parteienabsicht oder der Umfang und die Grenzen des Parteiwillens bei dem Verweis auf ein fremdes Recht zu bestimmen ist20 • Die Lösungen werden einerseits in der Anwendung der lex fori21 , andererseits der lex causae22 gesehen. 14 Vgl. Udina, Novis. Dig. It., 11, S. 617; Balladore Pallieri, Dir. Int. 17 (1963 I), S. 178; MonacoS. 271 ff.; Vitta (I) S. 283 f., (III) S. 242 f. 15 Cass. v. 12. 9. 1957, Soc. Transimport e Ditta Rauch & C. c. Bovelli, Riv. Dir. Int. 41 (1958), S. 251; dazu Curti Gialdino, Riv. Dir. Int. 41 (1958), S. 253 ff. 18 Vgl. Ubertazzi, Dir. Int. 15 (1961 I), S. 205; Vitta (III) S. 255 ff. 17 Vgl. Vitta (III) S. 257 ff. 18 Vgl. Vitta (III) S. 256 f. 19 Vgl. Volpe, Giur. Comp. D. I. P. 11 (1954), S. 79 ff. 20 Vgl. dazu Balladore Pallieri (D. I. P.) S. 229. 21 Vgl. Barile, Encicl. Dir. 7, S. 371.

II. Nachträgliche Rechtswahl

169

II. Nachträgliche Bestimmung des Vertragsstatuts durch die Parteien? In der Sache Assael c. Crespi v. 28. 6. 196623 hat der italienische Kassationshof (Vereinigte Senate) eine für das internationale Vertragsrecht weittragende Entscheidung getroffen. Er hält darin eine nachträgliche Rechtswahl deswegen für unzulässig, weil es dem Sinn und Zweck des italienischen internationalen Vertragsrechts widerspreche, daß Parteien die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Vertrages durch nachträgliche Vereinbarung eines bestimmten Vertragsstatuts rückwirkend (oder auch für die Zukunft wirkend24) festlegen könnten. Er ist der Meinung, die parteiautonome Rechtswahl könnte, wie auch die subsidiären Anknüpfungsmerkmale, "logischerweise" nur im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirksam werden2s. "Cio posto, e da escludere ehe il legislatore, concedendo alle parti il ricordato potere di designare l'ordinamento giuridico applicabile, abbia voluto rimettersi al loro arbitrio illimitato con l'attribuire ad esse anche la facolta, attraverso la successiva designazione della legge regolatrice, di porre regole retroattive e tali da sospendere l'applicazione dell'ordinamento ehe governava fino allora il contratto. Non e possibile, esulando cio completamente dalla ratio della norma, ritenere ehe le parti possano, attraverso la suddetta successiva designazione, fare divenire invalido un contratto ehe prima era valido o, viceversa, modificare i1 contenuto delle obbligazioni da esso derivanti, cambiare le regole legali di interpretazione, variare il requisito della forma. II legislatore invero concede i1 ricordato potere perehe ritiene ehe i1 contratto puo essere meglio regolato dalla legge ehe le parti hanno scelto in relazione alle peculiarita concrete del caso, ma la scelta ha la stessa funzione di un qualsiasi altro criterio di collegamento, in quanto serve all'individuazione dell'ordinamento destinato a regolare il contratto sieche essa, per intuitive esigenze concettuali, non solo non puo essere successiva alla stipulazione di esso, ma anzi Jogicarnente ha carattere preliminare e le parti debbono tenere conto della !egge designata sin dal momento della formazione del negozio per tutto quanto concerne i requisiti, gli effetti, l'interpretazione e la forma. Una successiva designazione e pertanto da ritenere inammissibile in ogni caso. Essa trascenderebbe dalla funzione assegnata dalla legge alla scelta della !egge applicabile, quale e quella della individuazione dell'ordinamento competente a disciplinare i1 contratto, per risolversi in una non consentita sostituzione dell'altro criterio di collegamento gia operante, in base al quale il contratto e sin dalla sua formazione governato da una !egge diversa."

22 Vgl. Balladore Pallieri, Dir. Int. 17 (1963 I), S. 173 f.; Bentivoglio, Com. e Stud. 8 (1957), S. 154 ff.; Vitta (III) S. 251. ! 3 Cass. (Sez. un.) v. 28. 6. 1966, Assael Alfred c. Crespi, Temi 22 (1967), S. 142 = Foro It. 1967 I, S. 1629 (Vitta (111) S. 266, Fußn. 147 führt diese Entscheidung unter dem Rubrum Nissim c. Crespi auf); vgl. dazu Treves, Riv. Dir . Int. Priv. Proc. 3 (1967), S. 332 ff.; Tomaszewski, Rev. crit. dr. int. pr. 61 (1972), S. 579 f. u Vgl. Vitta (III) S. 266. 25 Vgl. dazu ebenfalls Vitta (III) S. 265 ff.

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3. Teil: Italienische Rechtsprechung

111. Anknüpfung des Vertragsstatuts an eine spätere Iex communis patriae? In dem Fall de Michelis c. Assicurazioni generali, wo der italienische Kläger mit Wohnsitz in Tunesien mit der Österreichischen Gesellschaft mit Sitz in Triest zwischen 1890 und 1900 Versicherungsverträge abgeschlossen hatte, wandte das Tribunale di Roma vom 5. 10. 1951 26 französisches Recht als das Recht des Vertragsabschlußortes an, ohne dem Umstand des späteren Wechsels der vormals Österreichischen Gesellschaft zur "Zugehörigkeit" zum italienischen Staat und damit dem späteren gemeinsamen "Heimatrecht" der Parteien für die Frage des maßgeblichen Rechts Bedeutung beizumessen: " ... il successivo cambiamento di nazionalita di uno dei contraenti non puo avere alcuna influenza sui diritti acquisiti anteriormente". Der Grundsatz der Unwandelbarkeit ("principio della immutabilita dello statuto contrattuale")27 , der das Vertragsstatut im italienischen IPR beherrscht28, gilt auch für das intertemporale Recht (diritto transitorio)29. Art. 11 Abs. 1 der Disp. prel. trifft die Bestimmung, daß Gesetze nur für die Zukunft wirken: "La legge non dispone ehe per l'avvenire; essa non ha effetto retroattivo." Die italienische Lehre wendet diese Norm auf Verträge entsprechend dem Grundsatz "tempus regit actum" mit der Maßgabe an, daß Entstehung, Inhalt und Erlöschen eines vertraglichen Schuldverhältnisses von dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht beherrscht werden. Es wird jedoch nicht für ausgeschlossen gehalten, daß gewisse zukünftige Rechtsfolgen nicht unbedingt dem alten Recht unterworfen bleiben30• Auch bei der Frage des intertemporalen Kollisionsrechts, der "successione di norme di conflitto", vertritt die italienische Doktrin zum Teil im Gegensatz zur Rechtsprechung, die bisweilen die Kollisionsnorm zur Zeit der Vertragsauflösung maßgeblich sein läßt, die Meinung, 28 Trib. Roma v. 5. 10. 1951, de Michelis c. Assicurazioni generali, Foro It. 75 (1952 1), S. 386; vgl. dazu die Anmerkung von de Nova, Rev. crit. dr. int. pr. 42 (1953), s. 130 ff. 27 Treves, Riv. Dir. lnt. Priv. Proc. 3 (1967), S. 333.

28 Im Hinblick auf den Ort des Vertragsschlusses als Anknüpfungsmerkmal für das Vertragsstatut ist Vitta (I) S. 277, der Meinung, daß es sich um ein konstantes Anknüpfungsmerkmal handele, das selbst im Falle eines Souveränitätswechsels nichts an der Fortgeltung des ursprünglich anwendbaren Rechts ändere, wenn der Ort des Vertragsschlusses auf dem Gebiet liege, das Gegenstand eines Souveränitätswechsels ist. 29 Vgl. dazu allgemein Rescigno, Encicl. Dir., 13, S. 219 ff. ao Vgl. Pace S. 480 ff.

IV. Verändertes Statut im selben Staat

171

daß allein diejenige Kollisionsnorm im internationalen Vertragsrecht zu berücksichtigen sei, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages in Geltung war31. Auch die Lehre bestätigt, daß nach dem geltenden !PR Italiens eine Änderung der für die Anknüpfung des Vertragsstatuts erheblichen Tatsachen die einmal getroffene Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht erneut in Frage zu stellen vermag: "Dalla interpretazione ehe si e data della norma di diritto internazianale privato relativa alle obbligazioni contrattuali deriva . .. ehe una volta verificatasi tale condizione, il criterio (della medesima cittadinanza) continua a funzionare anche se, successivamente al contratto, la comunanza di cittadinanza fra i contraenti sia venuta meno; ehe, in tal caso, il persistente funzionamento del criterio della comune cittadinanza dei contraenti porta invariabilmente alla designazione della legge dello stato, al quale i contraenti appartenevano al momento del contratto e non della legge dello stato la cui cittadinanza entrambi i contraenti abbiano successivamente acquistato3%." Es wird deshalb ebenfalls in der Doktrin die Meinung vertreten, daß die lex communis patriae als Anknüpfung nur wirksam werden könne, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliege33. "E certo .. ., ehe il criterio della cittadinanza dei contraenti ... (e) destinat(o) a funzionare rispetto al momento in cui il contratto e concluso . .. , cio anche perehe un successivo mutamento di cittadinanza, ove fosse ritenuto rilevante, avrebbe come conseguenza la impossibilita di utilizzare ulteriormente, come criterio di collegamento, la cittadinanza dei soggetti tuttele volteehe questa cessasse di essere loro comune34."

IV. Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderungen des Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet Unbeschadet des Grundsatzes der Unwandelbarkeit des Vertragsstatuts sollen Veränderungen innerhalb desjenigen Rechts, das anfänglich das Vertragsstatut stellt, nach den Übergangsbestimmungen der lex causae zu beurteilen sein, auch wenn diese das neue Recht unmittelbar zur Anwendung bringen wi1135• 31 Vgl. ausführlich Giardina S. 188 ff.; ders., Ann. Dir. Int. 1966, S. 245 f. 32 Morelli, Foro It. 15 (1952 I), S. 387. 33 Morelli S. 48 f., Fußn. 8. 34 Obwohl Barile, Encicl. Dir., 7, S. 364, den Zeitpunkt der Anknüpfungsmomente von gemeinsamer Staatsangehörigkeit oder Ort des Vertragsschlusses als an den Augenblick des Vertragsschlusses fixiert sieht, hält er die nachträgliche Rechtswahl für möglich, allerdings nicht ohne ernste Besorgnis für die "unita legislativa di regolamento del contratto sostanziale", vgl. S. 365, Fußn. 39. 35 Vgl. Vitta (III) S. 280 f.

172

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

1. Revolutionäre Rechtsänderungen innerhalb der Iex contractus

Der italienische Kassationshof hatte in der Sache Sorin c. Weinreich vom 6. 3. 19403' folgenden Fall zu entscheiden: Zwei Parteien (zaristisch-)russischer Staatsangehörigkeit hatten 1918 in Odessa (Ukraine) einen Depositenvertrag geschlossen, aus dem der Kläger Sorin Schadenersatzansprüche wegen Verlustes der hinterlegten Sachen geltend machte. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Zur Zeit des Vertragsschlusses hatte im Gebiet der Ukraine, in dem sich erst ein Jahr später als in der RSFSR Ende 1918 die bolschewistische Herrschaft durchgesetzt hatte, das zaristisch-russische Recht gegolten37. Der Kassationshof kam unter Anwendung der sowjetischen Übergangsbestimmungen38 zu dem Ergebnis, dem Rechtsverhältnis der Parteien sei als vorrevolutionärer bürgerlichrechtlicher Rechtsbeziehung vom - auch vor italienischen Gerichten beachtlichen - Standpunkt des sowjetischen Rechts aus jeglicher Rechtsschutz zu versagen: "Se ... la !egge del luogo si e modificata successivamente alla stipulazione, la !egge applicabile e quella vigente nel luogo del contratto al momento della controversia e non anche la !egge ehe sia esistita al momento del contratto. Essendo riconosciuta ... l'autonomia dei contraenti nella determinazione della !egge applicabile, le parti possono stabillre ehe il rapporto sia regolato dalla legge del tempo della stipulazione del contratto; ma perehe cio avvenga, e necessario ehe risulti una concreta manifestazione di volonta in tal senso, e non sono al riguardo sufficienti semplici congetture o presunzioni." Das Gericht scheint eine "starre Verweisung" 39 für zulässig zu halten, sieht aber im konkreten Fall eine entsprechende Absicht nicht zum Ausdruck gebracht. Daß die anfängliche Verknüpfung möglicherweise nicht durch eine Nachschubanknüpfung verstärkt war40, hielt das Gericht für unbeachtlich, wenn es dahingestellt sein ließ, ob etwa die Parteien nachträglich die sowjetische Staatsangehörigkeit erworben hatten oder nicht und deshalb etwa .,dovrebbero considerarsi al di fuorl delle leggi emanate dal nuovo regime e soggetti quindi alla leglslazione della loro originaria nazionalita" 41 • Der Umstand, daß die Ukraine der RSFSR gewaltsam eingegliedert worden war, spielte nach Meinung des Kassationshofes für die AnwenCass. Regno v. 6. 3. 1940, Sorin c. Weinrich, Foro It. 65 (1940 1), S. 476. Freund S. 77. 38 s. oben Einleitung und 1. Teil I. 4. a). 39 s. dazu oben 1. Teil VII. 2. 40 s. dazu oben 1. Teil VI. 3. u Cass. Regno, Foro It. 65 (1940), S. 478. 38

37

IV. Verändertes Statut im selben Staat

173

dung des in der Ukraine geltenden sowjetischen Zivilrechts seit der internationalen Anerkennung der neuen Sowjetregierung keine Rolle42 : "Si fa per altro rilevare, ... ehe ... la questione della retroattivita, non sarebbe correttamente posta, in quanto la Repubblica dei Sovieti, rappresenterebbe, rispetto all'Ucraine, ... uno Stato nuovo ehe si e impossessato con la forza del territorio anzidetto. Ma il rilievo non ha risultato pratico; poiche il mutamento della legislazione in un determinato luogo, anche se dipendente da eventi rivoluzionari o bellici, spiega tutto il suo effetto, una volta ehe il nuovo governo sia stato riconosciuto nei rapporti internazionaucs." In der italienischen Lehre fand und findet sich auch heute44 keine Stimme, die den Grundsatz der Maßgeblichkeit der Übergangsregelung der lex causae- abgesehen von der Zulässigkeit einer zum Ausdruck gebrachten starren Verweisung - bei revolutionären Übergangsbestimmungen durchbrechen sehen will: "E, nel caso in esame, il fenomeno della retroattivita era concluso in quell'ordinamento, la cui legge - secondo la nostra norma di diritto internazianale privato - era regolatrice dell'obbligazione: in conformita della legge regolatrice, la questione di diritto transitorio doveva essere risolta45." Dem Urteil wird bescheinigt, die Verknüpfung eines bestimmten Sachverhalts mit einem fremden Recht als eine (nationalisierte) Zuweisung (eines heterogen verknüpften Sachverhalts) an das "soziale Leben" eines ausländischen Staates und an dessen rechtliche Wertordnung in ihrer jeweils aktuellen Geltung betrachtet zu haben46 : 42 s. dazu die Kritik von Pau, Riv. Dir. Int. 33 (1941), S. 178. Nach der Rechtsprechung des italienischen Kassationshofes soll es bei der Anwendung fremden Rechts nicht darauf ankommen, ob es das Recht eines Staates ist, zu dem Italien zumindest normale diplomatische Beziehungen unterhält oder nicht, so im Verhältnis zum Privatrecht der DDR in dem Urteil v. 7. 2. 1975, Warenzeichen Regelungstechnik c. Ministere dell'industria, del commercio e dell'artigianato, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 12 (1976), S. 351 (354): "... questo Collegia ritiene, conformemente alla dottrina di gran lunga prevalente in Italia e in tutta l'Europa continentale, ehe in ordine ai rapporti di diritto internazianale privato (dei quali trattasi dovendosi stabiHre l'efficacia in Italia di un atto di diritto privato formato all'estero) sia irrilevante ehe lo Stato mantenga o meno normali rapporti diplomatici con quello cui appartiene la norma di diritto internazianale privato da applicare 'o quest'ultimo non sia stato riconosciuto dal primo. Condizione necessaria e sufficiente per tale applicazione e invero l'effettivita dell'ordinamento straniero (sia o m eno riconosciuto lo Stato dal quale promana), salvo il caso in cui disposizioni particolari di legge non richiedano anche la condizione della r eciprocita di trattamento e sempreehe - beninteso - i principi della legislazione straniera da applicare non appaian~ incompatibili con i principi di base dell'ordinamento del foro (caso in cui la non applicazione del diritto straniero si riconduce al concetto di ordine pubblico internazionale). s. Crivellaro, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 12 (1976), S. 315 ff. .. ._. ; ·J . 43 Vgl. auch Giuliano, Giur. Comp. Dir. Int.'l>riv~ 8 (1942)~'5""~22. 44 Vgl. Vitta (III) S. 281 f. . • ·-... '. 45 Bassano, Riv. Dir. Priv. 10 (1940 II), S. 177. 46 s. zur "lebendigen Rechtswahl" oben 1. Teil VII. 1.

174

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

"La valutazione speciale ehe infatti il legislatore intende riferire, ponendo in essere norme di diritto internazianale privato, a determinate categorie di fatti, in relazione ad un giudizio di estraneita di tali fatti nei rispetti della vita sociale interna del nostro stato e di aderenza degli stessi alla vita sociale di uno stato straniero, e raggiunta fornendo ai medesimi una disciplina ehe sia conforme a quella ad essi data dall'ordinamento di quello stato straniero col cui ambiente sociale il nostro legislatore li ha giudicati prevalentemente collegati. E evidente come cio ci riporti all'ordinamento dello stato straniero, designato dal momento di collegamento della nostra norma di diritto internazianale privato, in tutta la sua attualita di valore giuridico e proprio per la sua attualita di valore giuridico47." Vereinzelt wird darauf hingewiesen, daß die kollisionsrechtliche Zuweisung des Vertrages an ein "lebendiges" Recht nicht ohne Rücksicht auf die das Phänomen der "Aufeinanderfolge von Gesetzen" beherrschenden Grundsätze beurteilt werden könne. Offenbar soll es dabei aber nur darum gehen, ob es die lex causae oder die lex fori ist, die die "Prinzipien der Gesetzessukzession" aufstellen darf: ". . . il riferimento alla legge del luogo del contratto . . . significa, nell' ambito del diritto internazionale privato, riferimento all'ordinamento giuridico nella cui orbita territoriale e sorto il rapporto ehe si tratta di regolare, significa cioe ehe non si richiamano soltanto le norme in esso vigenti in un dato momento, ma ehe si intende trarre da quel sistema giuridico, in ogni tempo, la concreta valutazione del rapporto considerato. Se pertanto le norme dell'ordinamento richiamato subiscono, ad un dato momento, una trasformazione piu o meno radicale, non potra stabilirsi, come si fa nella sentenza, soltanto sulla base di criteri aprioristici e estrinseci, se, agli effetti del diritto internazionale privato, debbano ritenersi rilevanti le norme nuove oppure quelle precedentemente in vigore in quell'ordinamento, ma sara necessario determinare, alla stregua dei principi ehe regolano il fenomeno della successione delle leggi, quali siano, in concreto, le norme applicabili al rapporto in questione"~8 • In keiner der Urteilsanmerkungen wird jedoch dem Umstand, daß die Parteien nach Italien immigriert sind, Bedeutung für eine (auch vom Kassationshof als möglich angedeutete) "starre" Verweisung beigelegt49. 2. .Änderungen zwingenden Schuldrechts innerhalb eines fremden Statuts

Die von den wirtschaftlichen Interessen eines ausländischen Staates bestimmten Rechtsänderungen des zwingenden Schuldrechts sind wohl auch für italienische Gerichte bei "hinreichender" Auslandsberührung Giuliano, Giur. Comp. Dir. lnt. Priv. 8 (1942), S. 223 f. Pau, Riv. Dir. Int. 33 (1941), S. 176. 49 Es wird durchaus für zulässig gehalten, aus dem nachträglichen Verhalten der Parteien auf eine bestimmte Absicht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu schließen, vgl. Vitta (111) S. 266; vgl. auch Art. 1362 Abs. 2 C. c. 47

48

V. Verändertes Geltungsgebiet des Statuts

175

des Sachverhalts nur dann unbeachtlich, wenn dem besonders schwerwiegende nationale Eigeninteressen des Forumstaates entgegenstehen50• Jedenfalls hat der Kassationshof in Vaghi c. Reichsbank vom 28. 2. 1939 51 sogar rückwirkende Änderungen zwingender währungsrecht-

licher Bestimmungen des deutschen Rechts zur Anwendung gebracht.

In dem Rechtsstreit verlangte der italienische Inhaber deutscher Banknoten, die vor dem Kriege ausgegeben und für in Goldmark konvertibel erklärt worden waren, Zahlung der in den Noten genannten Goldmark oder zumindest der Summe der damals in Umlauf befindlichen Papiermark in Höhe des in der Goldwährung ausgedrückten Goldwertes. Die verklagte Reichsbank berief sich auf das deutsche Gesetz vom 30. 8. 1924, wonach die früher in Umlauf gesetzten Banknoten für ungültig erklärt, die neue Währungseinheit eingeführt und der Konvertierungssatz von einer Billion Vorkriegsmark zu einer neuen Reichsmark festgesetzt worden waren. Nach Auffassung des Gerichts unterlag die Frage, "wieviel" der Schuldner zu zahlen habe, der lex contractus52 ; das Vertragsstatut richtete sich im gegebenen Fall nach deutschem Recht als der lex loci emissionis53. Nach Ansicht des Gerichts stand die Anwendung des mit rückwirkender Kraft ausgestatteten deutschen Gesetzes auf das Vertragsverhältnis insbesondere nicht im Widerspruch zum italienischen ordre public. Eine "starre" Verweisung wurde im Hinblick auf das zwingende ausländische Schuldrecht gar nicht erst in Betracht gezogen. V. Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderung des Geltungsgebietes eines staatlichen Rechts 1. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge Annexion

In der Entscheidung des Appellationsgerichts von Triest vom 2. 3. 1939, Sirnon Calderon da Monastir c. Assicurazioni generali di Trieste54 ,

war eine Gebietsveränderung gleich in zweifacher Weise aufgetreten. Die Parteien waren nämlich in verschiedenen Staaten an Orten behei50

Vgl. dazu Wengler, ZvglRW 54 (1941), S. 197 ff.

51 Cass. Regno v. 28. 2. 1939, Vaghi c. Reichsbank, Riv. Dir. Priv. 10 (1940 Il),

S. 65; Anm. Cansacchi, Riv. Dir. Priv. 10 (1940 Il), S. 65 ff. 52 Vgl. Cansacchi, Riv. Dir. Priv. 10 (1940 Il), S. 68. 53 Vgl. Cansacchi, Riv. Dir. Priv. 10 (1940 II), S. 70. 54 App. Trieste v. 2. 3. 1939, Calderon c. Assicurazioni generali, Dir. Int. 1939, s. 329.

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3. Teil: Italienische Rechtsprechung

matet, die jeweils unabhängig voneinander Gebietsabtretungen unterworfen waren, und in deren Gefolge die Parteien zusätzlich eine andere Staatsangehörigkeit erworben hatten. Der Kläger, der zur Zeit des Vertragsschlusses die türkische Staatsangehörigkeit besaß und in Saloniki wohnte, hatte zwischen 1912 und 1913 durch Vermittlung der Agentur der "österreichischen" Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Triest in Konstantinopel vier Lebensversicherungsverträge geschlossen. Die Prämienzahlungen waren in Goldfranken ausbedungen und die Fälligkeit der Versicherungssummen auf Zeitpunkte zwischen 1932 und 1934 datiert worden. In einer Gerichtsstandsklausel war die Zuständigkeit der Gemischten Gerichte von Konstantinopel vereinbart worden. Aufgrund des Friedensvertrages zwischen der Türkei und Griechenland vom 14. 11. 1913, ratifiziert am 17. 11. 1913 in Athen, fiel Saloniki an Griechenland. Die Einführung des griechischen Rechts in die "neuen befreiten Gebiete" erfolgte aufgrund des Gesetzes Nr. 147 im Jahre 191455• Da der Kläger nicht für die türkische Staatsangehörigkeit optiert hatte, erwarb er gemäß dem türkisch-griechischen Abkommen die griechische Staatsangehörigkeit. Triest wurde nach dem Waffenstillstand von Villa Giusti 1918 als Teil des zu Österreich-Ungarn gehörenden Küstenlandes (Istrien) von Italien annektiert. Das in dem angegliederten Gebiet geltende Österreichische ABGB wurde erst mit dem Gesetz vom 4. 11. 1928 Nr. 2325, in Kraft getreten am 1. 7. 1929, über die Erstreckung der italienischen Zivilgesetzgebung auf die "befreiten Provinzen" ("Provincie redente") durch italienisches Recht ersetztss. Die vormals "österreichische" Beklagte führte ihre Geschäftstätigkeit als "italienische" Versicherungsgesellschaft fort. Im Jahre 1921 war zwischen den Parteien Streit darüber entstanden, ob die Versicherungsgesellschaft Prämienzahlungen in Papierfranken verlangen könne und bei Fälligkeit der Versicherungssummen zur Auskehrung in Papierfranken berechtigt sei oder nicht. 1937 erhob der Versicherungsnehmer nunmehr als griechischer Staatsangehöriger Klage ~9r dem Landgericht Triest, zumal die von den Parteien als zuständig vereinbarten Gemischten Gerichte von Konstantinopel (die ihre Entscheidungen ·früher unter Anwendung der Kapitulationsordnungen für Ausländer in der Türkei stets nach aus55 Vgl. Papanos S. 74; Balis, NiemeyersZ 24 (1914), S. 246 ff.; vgl. zur Haltung Griechenlands gegenüber Fragen der Staatensukzession, Drakidis Rev. hell. dr. int. 24 (1971), S. 72 ff.; Niflis, Rev. hell. dr. int. 24 (1971), S. 207 ff. ~ 8 s. oben 3. Teil Fußn. 7.

V. Verändertes Geltungsgebiet des Statuts

177

ländischem Recht getroffen hatten) in der Zwischenzeit aufgelöst worden waren. Nach Ansicht des Appellationsgerichts von Triest war die Gerichtsstandsklausel jedenfalls nicht so auszulegen, daß anstelle der Gemischten Gerichte die Zuständigkeit der nach osmanischem Recht entscheidenden ordentlichen türkischen Gerichte als vereinbart gelten müßte: "Ora ehe la giurisdizione mista fu abolita, il patto stabilito dalle parti non puo avere piu pratica applicazione, e si deve ritenere come decaduto. In tali condizioni torna ad avere vigore la norma generale del diritto: actio sequitur forum rei." An die Stelle der "erloschenen" Gerichtsstandsklausel trat nach Ansicht des Gerichts die "allgemeine" Rechtsnorm, daß Klage am Gerichtsstand des Beklagten zu erheben ist (Anpassung einer Vereinbarung) 57• Das Vertragsstatut stellte mangels einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit der vertragschließenden Parteien das Österreichische Recht als die zur Zeit des Vertragsschlusses maßgebliche lex loci contractus: "Le Assicurazioni Generali al tempo della conclusione del contratto dipendevano dall'Austria, il Calderon era suddito turco. Essendo dunque le parti contraenti di nazionalita diversa, occorre ricercare dove fu conchiuso il contratto per conoscere la legge da applicarsi. ... Il contratto quindi si e perfezionato a Trieste, percio deve essere regolato dalla legge ivi allora in vigore, e cioe dalla legge austriaca." Nachdem das Versicherungsverhältnis nach Maßgabe des italienischen Rechtsanwendungsrechts (wobei der Ort des Vertragsschlusses unter Abwesenden nach österreichischem Sachrecht bestimmt wurde) in Triest lokalisiert worden war, konnten die Rechtsänderungen in Saloniki unbeachtet bleiben. Die zweifach auftretenden Gebietsveränderungen hätten - wenn überhaupt - nur bei einer etwaigen kollisionsrechtlichen Vertragsspaltung eine Rolle spielen können. So aber konnte sich das Gericht ausschließlich von denjenigen Grundsätzen leiten lassen, wie sie auch in der Haltung des italienischen Gesetzgebers gegenüber den in den annektierten Gebieten geltenden Privatrechtsordnungen der jeweiligen Vorgängerstaaten zum Ausdruck kamen58• Italien übernahm sowohl bei den Gebietserwerbungen nach dem ersten Weltkrieg als auch während des zweiten Weltkrieges stets zunächst das in den annektierten Gebieten geltende Privatrecht und führte eine Rechtsangleichung oder -Vereinheitlichung erst nachträglich s. dazu oben 1. Teil XIII. 3. und den Guadalmesi-Fall, oben 1. Teil XI. Auch in Fällen der Okkupation wandte die Rechtsprechung die gleichen Maßstäbe an; so wurde ein nach amharischem Recht in Athiopien zwischen Einheimischen geschlossener Darlehensvertrag ("biddir", "mabber") nach der italienischen Besetzung nicht den neueingeführten Bestimmungen des italienischen Zivilgesetzbuches unterstellt, vgl. App. Addis Abeba v. 18. 3. 1939, Behesnilian c. Uizero Desta, Riv. Dir. Col. 2 (1939), S. 371. 57

58

12 Wohlgemuth

178

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

schrittweise durch59• Diese Rechtsvereinheitlichungen geschahen aber im Geiste einer "irretroattivita delle nuove leggi" und unter Beachtung des Schutzes der "diritti acquisiti" 60. Da nach italienischem internationalen Vertragsrecht die Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstandes (clausola derogativa della competenza) offensichtlich ebensowenig geeignet ist wie die Bestimmung eines ausländischen Schiedsgerichts (clausola compromessoria), eine Rechtswahl (pactum de lege utenda, negozio di scelta della legge applicabile) zu indizierenGt, konnte im übrigen die "Ausklammerung" der Gerichtsstandsklausel nicht die Bedeutung erlangen wie etwa in der Sache Rama Nand Vijay Parkash v. Gokal Chand Gian Chand vor dem Simla High Court62. 2. Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge Sezession

In der Entscheidung des Tribunale di Trieste vom 18. 3. 197463, Porzio c. Lloyd Triestino S. p. a. di Navigazione, gewann die "Sezession" für die Veränderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts in der Weise Bedeutung, daß der streitige Vertrag in einem früher gegenüber Italien abhängigen Gebiet zu einer Zeit begründet worden war, als das aus der "Souveränität Italiens entlassene" Gebiet unter Verwaltung einer gebietsfremden Macht stand, und, nachdem nachträglich einheimische Behörden an der Verwaltung beteiligt worden waren, später einer Union mit einem dritten Staat überantwortet wurde. Parteien des Rechtsstreites waren ein Italiener und eine italienische Schiffahrtsaktiengesellschaft mit Hauptsitz in Triest und einer Zweigniederlassung in Massaua und Asmara in Eritrea. Nach Absprache mit der Personalabteilung der Beklagten fuhr der Kläger im Sommer 1949 59 Da Italien sowohl bei den Annexionen nach dem ersten Weltkrieg als auch während des zweiten Weltkrieges das im annektierten Gebiet bisher geltende fremde Recht "nationalisiert" hatte, stellte sich nie die Frage nach einer transitorischen oder intertemporalen Lösung des Konfliktes, vgl. Diena, Riv. Dir. Civ. 13 (1921), S. 56 ff.; App. Bologna v. 5. 12. 1924, Cooperativa Fescatori di Rovigno c. Lella-Buda, Riv. Dir. Proc. Civ. 2 (1925), S. 251; Cass. Regno v . 13. 12. 1926, Lella-Buda c. Cooperativa Pescatori di Rovigno, Foro It. 52 (1927 1), S. 357; Cass. Regno v. 2. 2. 1925, Ciervo c. Apolloni, Riv. Dir. Proc. Civ. 2 (1925), S. 268; Anm. d'Onofrio, Riv. Dir. Proc. Civ. 2 (1925), S. 268 ff.; Cristofolini, Riv. Dir. Proc. Civ. 2 (1925), S. 272 ff.; Cass. Roma v. 17. 3. 1922, Lolli c. Paissan, Foro It. 47 (1922 1), S. 433; de Nova, Com. e Stud. 1 (1942 1), s. 129 ff. eo Vgl. Fabri S. 32 ff., 134 ff. 81 Vgl. Vitta (111) S. 260, 428 f. &2 s. oben 1. Teil XIII. 2. 83 Riv. Dir. lnt. Priv. Proc. 11 (1975), S. 93; vgl. dazu Conetti, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 11 (1975), S. 69 ff.

V. Verändertes Geltungsgebiet des Statuts

179

mit einem "Dienstbillet" zu ermäßigtem Preis (biglietto di servizio) von Neapel nach Massaua. Dort wurde er bei der Niederlassung der Beklagten mit Genehmigung der britischen Behörden vom August 1949 an als Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom Januar 1950 aus Asmara teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß er als örtlicher Angestellter (impiegato locale) der Generalvertretung der Gesellschaft von Massaua und Asmara in Dienst genommen sei. Seit Inkrafttreten des Friedensvertrages vom 15. 9. 1947 hatte Italien durch Verzicht auf seine afrikanischen Kolonien die Souveränität über Eritrea verloren. Die britischen Behörden hatten bereits als Besatzungsmacht in Eritrea das koloniale Recht Italienisch-Ostafrikas in den Jahren 1943-44 für das Besatzungsgebiet übernommen. Aufgrund der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 1. 12. 1950 wurde nach der Ablösung der vorübergehenden britischen Verwaltung durch britisch-eritreische Behörden zwischen Eritrea und Äthiopien am 11. 9.1952 eine Union begründet. Das von der Kolonialmacht Italien für das Gebiet von Eritrea erlassene Recht wurde insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts von Eritrea64 erst im Jahre 1958 durch "eigenes" Recht ersetzt. Im Jahre 1960 vereinbarten die Parteien des Rechtsstreites eine Novation des ursprünglichen Vertrages, aufgrund deren der Kläger in ein Dienstalter eingestuft wurde, das nach seiner Ansicht bei Unzulässigkeit der Novation unter Anwendung italienischen Rechts auf den Zeitpunkt des ersten Vertragsschlusses am 16. 8. 1949 hätte datiert werden müssen. Das Gericht wies die Klage unter Anwendung eritreischen Rechts ab. Es war der Meinung, die gemeinsame Staatsangehörigkeit sei wegen der im Zeitpunkt des ersten Vertragsschlusses auf die Anwendung des in Eritrea geltenden Rechts gerichteten Absicht der Parteien für die Bestimmung des Vertragsstatuts unmaßgeblich. Daß die Geltung alten kolonialen Rechts in Eritrea auf Rezeptionsakte zurückzuführen war, die eine gebietsfremde Verwaltung möglicherweise "antizipierend" für den endgültigen Inhaber der Gebietshoheit vorgenommen und die der spätere Souverän nachträglich "bestätigt" hatte, spielte für die Maßgeblichkeit eritreischen Rechts als Vertragsstatut offensichtlich keine Rolle: "La !egge regolatrice del rapporto di lavoro e, dunque, quella eritrea, poiche il ricordato regolamento dopo la cessazione della sovranita italiana sui territori della A.O. I. e rimasto in vigore come sussunto nell'ordinamento giuridico eritreo: il ehe - ripetesi - e dimostrato dall'abrogazione del regolamento medesimo avvenuto con !egge approvato dalla Assemblea Eritrea 1'8 maggio 1958, .•. ". 84

12*

Vgl. Conetti, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 11 (1975), S. 69 f., Fußn. 3.

180

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

Das Ergebnis dieser Entscheidung steht einerseits im Einklang mit der Auffassung, eine "starre" Verweisung müsse zum Ausdruck gebracht werden65 , widerspricht aber andererseits der Meinung, die Anknüpfung des Statuts an den Ort des Vertragsschlusses könne nicht Rechtsänderungen einschließen, die aufgrund Souveränitätswechsels (Gebietsabtretung) eintreten: "Non cambia col tempo il luogo in cui e stato stipulato un contratto ... Anche se il luogo in questione passi dalla sovranita dell'uno a quello di altro Stato, cio non incide sul fatto ehe, quando quel certo evento si e prodotto, detto luogo si trovava nell'ambito territoriale di uno Stato determinato, la cui legge deve essere applicataoo." Der Widerspruch wäre dann beseitigt, wenn die letztere Auffassung nur bei Anknüpfung an den Ort des Vertragsschlusses, nicht aber unmittelbar an den Parteiwillen gelten sollte. Wäre aber der Grundsatz der "lebendigen" Rechtswahl so zu verstehen, daß er für den Fall der Rechtsänderungen infolge Souveränitätswechsels eine Ausnahme erdulde, dann könnte das Urteil des Landgerichts Triest als ein weiterer Unterfall dafür gelten, daß eine "lebendige" Rechtswahl stets dann anzunehmen ist, wenn das alte Recht von dem Gebietsnachfolger unverändert übernommen wird (Maßgeblichkeit des dem ersten Statut ähnlicheren Rechts67).

VI. Veränderungen des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Gebietsabtretungen Italiens an Jugoslawien (1) Brazzoduro c. Cassa di Risparmio di Fiume Die in der Sache Brazzoduro c. Cassa di Risparmio di Fiume des Tribunale di Venezia vom 26. 7. 194968, betreffend einen Arbeitsvertrag, unbeachtet gebliebene, im folgenden aufgezeigte Haltung des jugoslawischen Bundes- und kroatischen Gliedstaatsgesetzgebers gegenüber dem in den von Italien abgetretenen Gebieten geltenden Recht, verdeutlicht, wie das jugoslawische Recht "aussah", mit dem italienisches Recht hätte in Konflikt geraten können. Aufgrund des Friedensvertrages mit Italien (1947) fielen Istrien, Rijeka (Fiume), Zadar (Zara) und die Insel Lastova an Jugoslawien. Auf diesem Gebiet hatte seit 1928 italienisches Recht gegolten. Mit Erlaß des Präsidiums der Volksversammlung vom 15. 9. 1947 (Ukaz prosirenju vaznosti Ustava, zakona i drugih pravnih propisa FNRJ na 65 66 67

68

s. oben 3. Teil IV. 1. Vitta (I) S. 277. s. oben 1. Teil IX. 2. Trib. Venezia v. 26. 7. 1949, Temi 5 (1950), S. 291.

VI. Italo-jugoslawische Statuteninterferenz

181

podrucje pripojeno teritoriji FNRJ po Ugovoru o miru sa Italijom Nr. 80 vom 17. 9. 1947) wurde der Geltungsbereich der Verfassungen, Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien69 und mit dem kroatischen Erlaß Nr. 87 (Ukaz o prosirenju vaznosti Ustava, zakona i drugih propisa Narodne Republike Hrvatske na podrucje Istre, gradova Rijeke i Zadra te otoka Lastovo 87/47)1° der Geltungsbereich der Gesetze der Volksrepublik Kroatien auf das Gebiet des ehemals italienischen Rechts ausgedehnt. Nach Art. 4 des Gesetzes Nr. 86 vom 23. 10. 1946 über die Ungültigkeit der vor dem 6. 4. 1941 und während der feindlichen Okkupation erlassenen Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften - in Art. 2 war ausdrücklich auch das italienische Besatzungsrecht für ungültig erklärt worden - wurde auf die angegliederten Gebiete das Recht derjenigen Republik erstreckt, der sie zugeschrieben worden waren. In Fiume (Rijeka), wo im streitigen Fall der Vertrag geschlossen worden war, galt mithin das Recht der Volksrepublik Kroatien. Das Gesetz vom 23. 10. 1946 hatte zwar angeordnet, daß alle Gesetze und Rechtsvorschriften, die am 6. 4. 1941 (dem Tage des Beginns der Besetzung) in Kraft gestanden hatten, ungültig seien. Gleichwohl sollte dieses Recht auf Verhältnisse angewendet werden, für die eine neue Regelung noch nicht getroffen war. Das galt wiederum nur unter dem Vorbehalt, daß das alte Recht mit der Verfassung, den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des neuen Staates oder mit den Grundsätzen der verfassungsmäßigen Ordnung vereinbar war ("verkappte" Globalderogation71). Die jugoslawische Rechtspraxis wandte daraufhin die bisherigen Rechtsnormen zwar tatsächlich an72 , legte ihnen aber nicht die Bedeutung geschriebenen Rechts bei. Dieser Handhabung als "ratio scripta" 73 mag es zuzuschreiben sein, daß die Fortgeltung des alten, früher auf das Geltungsgebiet jeweils einer der jugoslawischen Teilrechtsordnungen lokal beschränkten Rechts fortan in ganz Jugoslawien Berücksichtigung fand7'. Für die formelle Erstreckung des Rechts der Volksrepublik Kroatien auf Rijeka (Fiume) durch kroatisches Gesetz Nr. 87/47 war es deshalb nur von zweitrangiger Bedeutung festzustellen, daß in der VolksVgl. Eisner, RabelsZ 17 (1952), S. 247; Baade, JIR 7 (1956), S. 336. Registar vazecih propisa SR Hrvatske (sa 31. XII. 1965), 1966, S. 23. 71 s. auch oben 1. Teil II. 4. n Eisner, RabelsZ 17 (1952), S. 247; Bartos, Bull. Soc.Ieg. comp. 69 (1946), 69

70

s. 142 ff.

Stoyanovitch S. 168 f. Pfaff S. 195; Chloros S. 137 f.; Sturman, WGO 3 (1961), S. 30; Goldstajn, L. East. Eur. 14, S. 127; a. A., Cigoj, Am. J. Comp. L. 12 (1963), S. 397. 73 74

182

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

republik Kroatien folgende drei Rechtsgebiete bestanden: (a) das Gebiet des Österreichischen ABGB in der Urfassung von 1811 (eingeführt am 29. 11. 185275) in den historischen Ländern Kroatien und Slawonien, (b) das Gebiet des Österreichischen ABGB in der Fassung der drei Kriegsnovellen vom 12. 10. 1914, 22. 6. 1915 und 19. 3. 1916 in Dalmatien und den vier Bezirken des früheren Istrien (Krk, Kastav, Pag und Rab) und (c) das Gebiet des ungarischen Rechts in Medjimurie und im Bezirk Bijeli Manastir7&. Was das Arbeitsrecht vor der Zeit der italienischen Besetzung anbetrifft, so war der jugoslawische Gesetzgeber in den Jahren von 1921 bis 1939 nicht untätig geblieben77• Die faschistische Carta del lavoro vom 30. 1. 1941 78, die Ende 1944 auch in Italien für ungültig erklärt wurde, wird in Jugoslawien schon deswegen keine Wirksamkeit erlangt haben, weil sie während der italienischen Besatzung erlassen worden war'&. Hinsichtlich des Rechtsterritoriums von Fiume, das durch den Vertrag von Rom vom 27. 1. 1924 mit dem Königreich Serbien, Kroatien und Slowenien nach dem Interimsstatus eines souveränen Gebiets seit dem Ende des ungarischen Königreiches am 7. 12. 1918 unter die Gebietshoheit Italiens gefallen war80, hatte bis 1929 ungarisches Recht gegolten81 • Das italienische Dekret vom 4. 11. 1928 Nr. 2335 hatte am 1. 7. 1929 das gesamte italienische Zivil- und Handelsrecht in den "nuove provincie del Regno", soweit es nicht schon auf Fiume erstreckt worden war82, in Kraft gesetzt83. Schon im Jahre 1946 verstaatlichte zwar Jugoslawien durch Gesetz vom 5. 12. 1946 die inländischen Bank- und Versicherungsunternehmen84 und durch Gesetz vom 29. 4. 1948 auch die von Ausländern85 ; die administrativen Eingriffe auf dem Gebiete des Arbeitsrechts, insbesondere bezüglich des Lohnsystems, wurden aber erst im Jahre 1950 vom allmählichen Ausbau des Arbeiter-Selbstverwaltungssystems abMaurovic s. 685 ff. Sturman, WGO 3 (1961), S. 30. 77 Vgl. Chiomenti, Com. e Stud. 1 (1942 I), S. 225; Molitor I Nipperdey I SchottS. 441 ff.; Bayer, Leg. Int. 7 (1938 I), S. 366 ff. 78 Abgedruckt in Lex, Legislazione italiana, 27 (1941 I), S. 269 ff. 7° Chiomenti, Com. e Stud. 1 (1942 I), S. 188. 80 Romano, Riv. Dir. Int. 17 (1925), S. 304; Nardi, Riv. Dir. Int. 14 (1921/22), s. 123 ff. 81 Udina, Foro Nuov. Prov. 5 (1926), S. 380 ff.; Eisner, Ann. Dir. Comp. 14 75

78

(1940 II), S. 11.

BergmannS. 232; Mossa S. 106. Udina, Nuov. Dig. It., 6, S. 31. 84 Cirkovic, L. East. Eur. 2 (1958), S. 59 f. 85 Cirkovic, L. East. Eur. 2 (1958), S. 64.

B2

83

VI. Italo-jugoslawische Statuteninterferenz

183

gelöst86 • Die Arbeitsrechtsverhältnisse waren vom "neuen" jugoslawischen Gesetzgeber erstmals durch Dekret Nr. 711 vom 27. 9. 1948 über den Arbeitsvertrag87 und dann durch Dekret vom 10. 2. 194988 geregelt worden, die beide durch das Gesetz vom 12. 12. 195789 wieder aufgehoben wurden. Angesichts dieses für das Gebiet von Fiume zur Zeit der Entscheidung des venezianischen Gerichtes im Jahre 1949 geltenden Rechtszustandes wäre nicht auszuschließen gewesen, daß jugoslawische Gerichte ihrerseits einen etwa 1947 aufgelösten Arbeitsvertrag möglicherweise selbst nach dem alten, in Fiume vor 1941 geltenden italienischen Recht, wenn es nicht Besatzungsrecht war, oder nach dem auf das Gebiet ausgedehnten Österreichischen ABGB oder selbst nach dem nach 1941 vom italienischen Besatzungsgesetzgeber für Fiume erlassenen Recht entschieden hätten, soweit letzteres mit der jugoslawischen Derogationsklausel vereinbar gewesen wäre. Art. 34 des jugoslawischen Dekrets über den Arbeitsvertrag vom 27. 9. 1948 bestimmte immerhin nur, daß alle bestehenden Arbeitsverträge den neuen Vorschriften anzugleichen seien. Gegenstand der Entscheidung des venezianischen Landgerichts war im einzelnen folgender Sachverhalt: Brazzoduro und fünfzehn andere ehemalige Angestellte der vormals "italienischen" Sparkasse in Fiume klagten aus einem Arbeitsverhältnis, das in Übereinstimmung mit den tariflichen Regelungen nach italienischem Recht seinerzeit in Fiume aufgenommen und noch vor lokrafttreten des Friedensvertrages Italiens mit Jugoslawien vom 10. 2. 1947 infolge der Kriegsereignisse nach dem Rückzug der deutschen und dem Einmarsch jugoslawischer Truppen nach Istrien und Triest im Mai 1945 am 1. 5. 1947 beendet worden war. Nach dem Kriege hatten die Kläger für die italienische Staatsangehörigkeit optiert und Fiume (Rijeka) verlassen, während die Sparkasse in Fiume unter die Kontrolle des jugoslawischen Staates geraten und nach ihren Behauptungen - in ein staatliches Institut umgewandelt worden war. Da der Sachverhalt zur Zeit des Vertragsschlusses keine heterogenen Verknüpfungen aufwies, wollte das Gericht Art. 25 der Disp. prel. überhaupt unangewendet wissen: Jäger S. 107. In engl. Übersetzung abgedruckt in Legislative Series, International Labour Office, 1948 II, Yug. 1; vgl. auch Kyovsky, Riv. Dir. Int. Comp. Lav. 3 88

87

(1958 - 60),

s. 90 ff.

In engl. Übersetzung abgedruckt in Legislative Series, International Labour Office, 1949, Yug. 1. 88 In engl. Übersetzung abgedruckt in Legislative Series, International Labour Office, 1957, Yug. 2. 88

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3. Teil: Italienische Rechtsprechung

rapporto regolato dalla !egge italiana allora unica vigente a Fiume. Tale !egge era comune alle due parti contraenti ed e appena il caso quindi di richiamare la prima parte dell'art. 25 delle disposizioni sulla !egge in generale. Ma si e ricordato piu sopra que tale contratto si e anche risolto quando in Fiume vigeva ancora la !egge italiana, perehe !'ultimo degli attuali attori lasciö l'impiego il 1° maggio 1947, quando il Trattato di pace di Parigi era stato bensi firmato ma non era ancora entrato in vigore" 90 • Es war darüber hinaus der Meinung, es sei nicht einzusehen, wie ein Recht auf einen Vertrag Anwendung finden können sollte, auf das sich die Parteien seinerzeit überhaupt nicht haben beziehen können, auch wenn das spätere Recht sich rückwirkende Kraft beigelegt habe: "Tutti i rapporti di lavoro in esame pertanto nacquero e cessarono mentre Fiume era ancora ,Italia' e non si comprende come dovrebbe ad essi applicarsi una legislazione successiva alla quale nessuno dei contraenti poteva richiamarsi. Non sono, queste, norme procedurali ehe si applicano immediatamente, ma una !egge sostanziale ehe non puo avere effetto retroa ttivo91." In einer Anmerkung zu dem Urteil wird die Ansicht vertreten92 , daß ein Souveränitätswechsel mit einer Änderung der Rechtsordnung in einer Weise das vertragliche Gleichgewicht stören könne, daß eine Aufhebung des Rechtsverhältnisses ohne Wirksamwerden der neuen Rechtsvorschriften gerechtfertigt sei (Erlöschensgrund unter dem "alten" Statut93 ) . Da aber keine der Parteien den Willen bekundet hätte, ein anderes Statut zu akzeptieren, sei der Vertrag von den venezianischen Richtern zutreffend nach altem italienischem Recht beurteilt worden: "Infatti gli orientamenti cui una determinata legislazione si inspira, la costituzione su cui si fonda lo Stato ehe la emana, gli indirizzi politicosociali dallo stesso perseguiti, ben sono elementi ehe possono giuocare un ruolo decisivo nella determinazione della volonta di un contraente. In conseguenza, se anche i1 solo mutamento di cittadinanza di una delle parti non puo senz'altro costituire in se e per se motivo per la cessazione del rapporto (almeno generalmente e salvo casi particolari in cui cio puo ben essere), il passaggio invece del territorio su cui un rapporto si svolge dalla sovranita di uno Stato a quella di un altro, importando necessariamente (specie se connesso al cambiamento di cittadinanza di uno dei due contraenti) mutamento delle leggi e della disciplina normativa del rapporto ehe altera logicamente tutto l'equilibrio contrattuale, ben giustifica la risoluzione del rapporto, senza ehe nello stesso possa, senz'altro, subentrare Ia nuova regolamentazione.... E poiche, oltre tutto, nel caso la volonta di un contraente si era (a quanto risulta) chiaramente manifestata proprio nel senso di non accettare una disciplina diversa da quella ehe aveva fino allora i1 rapporto regolato, non v'e dubbio ehe la !egge italiana era quella eo Trib. Venezia, Temi 5 (1950), S. 294 f.

u Trib. Venezia, Temi 5 (1950), S. 295 f. ez d'Aloja, Temi 5 (1950), S. 291 ff. (296 f.). u3 s. oben 1. Teil XIII. 3.

VI. Italo-jugoslawische Statuteninterferenz

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cui (oltre le norme dispositive contrattuali) dovevano i giudici aver riguardo." Ob das Gericht eine andere Bestimmung des Vertragsstatuts in dem Falle des Klägers, Oscar Parkinje, der in Jugoslawien verblieben war ("la posizione ... sara esaminata a parte") 94, vorgenommen hat und in welcher Weise, ist den Entscheidungsgründen, soweit sie abgedruckt sind, nicht zu entnehmen. Die Gründe des Gerichts, das Vertragsstatut zu "versteinern", waren jedenfalls nicht nur die Tatsache, daß die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Parteien Anknüpfungsmerkmal war, sondern auch, daß die Parteien die zukünftige Entwicklung nicht haben voraussehen können. (2) Tassy-Betz c. Riunione Adriatica di Sicurta In der Sache Tassy-Betz c. Riunione Adriatica di Sicurtil vom 13. 7. 1961 95 wandte das Tribunale di Milano auf den am 1. 2. 1928 in Triest geschlossenen und am 27. 6. 1940 nach der Übersiedlung des Arbeitnehmers nach Budapest erneuerten Arbeitsvertrag das Recht des Ortes des Vertragsschlusses, nämlich Triest (zugleich der Hauptsitz des Unternehmens), also italienisches und nicht ungarisches Recht an, das das des Aufenthaltes und der Staatsangehörigkeit des Angestellten war. Es sah ebenfalls keinen Grund, etwaigen Veränderungen des Geltungsgebietes des ersten Vertragsstatuts nachzugehen. Immerhin hatte nach dem Londoner Memorandum vom 5. 10. 195496 , durch das die Zone A und B von Triest zwar jeweils der Zivilverwaltung Italiens bzw. Jugoslawiens unterstellt, ohne daß jedoch eine Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungs- und Prozeßordnungen zwischen der Zone A und der Metropole herbeigeführt worden war97 , erst durch Legge costituzionale vom 31. 1. 1961 Nr. 1 über die Errichtung der Region Friuli-Venezia Giulia98 die vollständige Eingliederung des Gebietes von Triest in die Rechtsordnung Italiens stattgefunden. Wenn aber das zur Zeit des ersten Vertragsschlusses am 1. 2. 1928 in Triest geltende Österreichische Recht, das später durch italienisches Recht abgelöst worden war99, unberücksichtigt bleiben konnte, dann vermutlich nur deshalb, weil das Novationsstatut nicht an das Statut des ersten Vertrages "angelehnt" wurde. Trib. Venezia, Temi 5 (1950), S. 292. Trib. Milano v. 13. 7. 1961, Dir. Int. 17 (1963 II), S. 240. es Anstelle des Memorandums ist nunmehr das Abkommen von Osima v. 10. 11. 1975 zwischen Italien und Jugoslawien getreten, das seit dem 3. 4. 1977 gilt und den status quo verfestigt, s. Leg. it. 34 (1977 I), S. 364. 97 Gialdino, Rev. Dir. Proc. 38 (1955), S. 538. es Udina, Nov. Dig. It., 19, S. 854. 99 s. oben 3. Teil Fußn. 7. 9'

95

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3. Teil: Italienische Rechtsprechung (3) Du Ban e Icoredit c. Amministrazione dei Lavori pubblici

In der Entscheidung des Kassationshofes vom 6. 5. 1960, Du Ban e Icoredit c. Amministrazione dei Lavori pubblici100, ging es um einen Werkvertrag, den der italienische Staat, vertreten durch das Bauamt von Gorizia, aufgrund einer Anordnung der damaligen Alliierten Militärregierung mit dem Unternehmen Du Ban e Icoredit geschlossen hatte. Der Vertrag hatte den Wiederaufbau von durch Kriegseinwirkungen zerstörten öffentlichen und privaten Gebäuden an der jugoslawischen Grenze in dem Gebiet voh Venezia Giulia zum Gegenstand, das später aufgrund des Friedensvertrages an Jugoslawien gefallen war. Das Gericht maß dem nachträglichen Wechsel der Gebietshoheit weder die Wirkung einer Schuldnersubstitution noch die einer Inhaltsänderung der Forderung bei: "La successiva cessione alla Jugoslavia, in base all'art. 1 del Trattato di pace, del territorio in cui tali beni erano siti, non vale ne ad annullare il debito relativo ... ne a modificare o trasformare la natura del diritto di credito spettante alla impresa appaltatrice."

VII. Veränderungen des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts infolge der Auflösung der italienisch-albanischen Union? Nach der seinerzeit als occupazione pacifica deklarierten101 Besetzung Albaniens am 7. 4. 1939 durch Italien ließ die Besatzungsmacht von einer albanischen Konstituante die Verfassung vom 1. 12. 1928 außer Kraft setzen und die Krone des Königs der Albaner Zog I. dem italienischen Kaiser Viktor Emanuel 111. in Form einer Personalunion anbieten102• Ohne gegen den nach damaliger italienischer Rechtsauffassung103 "gleichrangigen" Charakter der "Unione (reale)" zwischen Albanien und Italien zu verstoßen, wurde durch Vertrag vom 20. 4. 1939 in Tirana über die Gleichstellung von Italienern und Albanern ein erster Schritt zur Abschaffung der albanischen Staatsangehörigkeit unternommen104 • "I cittadini del Regno d'Albania in Italia e i cittadini del Regno d'Italia in Albania godranno di tutti i diritti civili e politici di cui godono nei rispettivi territori nazionautoa." 10° Cass. v. 6. 5. 1960, Riv. Dir. Int. 44 (1961), S. 285. tot Cansacchi, Riv. Dir. Int. 32 (1940), S. 113, Fußn. 1. 102 Schwanke, OER 9 (1953), S. 7; Cansacchi, Riv. Dir. Int. 32 (1940), S. 114. 1oa Cansacchi, Riv. Dir. Int. 32 (1940), 132; Udina, Nuov. Dig. It., 12, S. 710, Fußn. 4. 1°' Vokopola, OER 13 (1967), S. 245. 105 Cansacchi, Riv. Dir. Int. 32 (1940), S. 116.

VII. Itala-albanische Statuteninterferenz

187

Durch die Wirtschafts-, Zoll- und Währungsverträge vom 20. 4. 1939 und 28. 5. 1939 von Tirana übernahm Italien die internationale Repräsentation der Union. Als charakteristisches Merkmal der italienisch-albanischen Union wurde die Übernahme staatlicher Aufgaben durch italienische Staatsorgane angesehen, als dessen Ausdruck das Gesetz vom 9. 11. 1939 über die "lavori e servizi pubblici in Albania" gelten wollte. Durch Gesetz vom 30. 11. 1939 wurde etwa das "Istituto nazianale per le case degli impiegati dello Stato" zur Geschäftstätigkeit in Albanien ermächtigt1°6. Die Koordination der Aktivitäten der beiden Staaten der Union sollte auf der Ebene des "ordinamento interno" durch die Gemeinsamkeit des Monarchen, die Institution des Statthalters und die Bildung der Faschistischen Partei Albaniens gewährleistet sein107• Analog zum faschistischen Aufbau Italiens lag nach der albanischen Verfassung vom 3. 6. 1939 die Legislative beim König108 und dem faschistischen Rat. Es ist somit hinsichtlich der faktischen Geltung des Privatrechts innerhalb der Union nicht ausgeschlossen, von einem einheitlichen Geltungsgebiet auszugehen. Die Trennung in unterschiedliche Teilgebiete der italienischen und der albanischen Privatrechtsordnung blieb jedoch unberührt. Allerdings wiesen beide Privatrechtsgebiete keine grundlegenden Unterschiede auf. Das Geltungsgebiet des albanischen Privatrechts war beherrscht vom Albanischen Bürgerlichen Gesetzbuch vom 2. 4. 1928 (in Kraft getreten am 1. 4. 1929), das nach dem Vorbild des Code Napoleon in der Form, wie er im Codice civile im benachbarten Italien Gestalt angenommen hatte, verfaßt worden war109• Eine Verwandtschaft der beiden Geltungsgebiete bestand auch im Handelsrecht; das albanische Recht war nach italienischem Muster kodifiziert worden110• Nach Aufhebung der italienisch-albanischen Union und dem Zusammenbruch des Faschismus in Albanien traf das Gesetz Nr. 61 vom 17. 5. 1945 der Volksrepublik Albanien (GZ Nr. 12/1945) über die Aufhebung aller während der fremden Okkupation erlassenen gesetzlichen Vorschriften, über die Ungültigkeit der während der gleichen Periode von den Militärbehörden erlassenen Strafurteile und über die Geltung der vor dem 7. 4. 1939 in Kraft gewesenen gesetzlichen Vorschriften folgende Bestimmung: Cansacchi, Riv. Dir. Int. 32 (1940), S. 121, Fußn. 3. Cansacchi, Riv. Dir. Int. 32 (1940), S. 131 f . 108 Vgl. zur Charakterisierung der legislativen Funktionen des Königs, Trib. Milano v. 10. 10. 1949, Banin c. Fall. Banin, Riv. Dir. Proc. 5 (1950 Il), 108 107

132.

108

uo

Vokopola S. 1187 f., Fußn. 4. Schwanke, OER 8 (1962), S. 62 f .

188

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

"Gesetze, Dekrete, Statuten, Vorschriften und Regelungen, die vor dem 7. 4. 1939 in Albanien in Kraft waren, gelten auch weiterhin, wenn sie nicht gegen den demokratischen Geist, die Erklärungen, Entscheidungen und Gesetze des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Albaniens und der Verordnungen der demokratischen Regierung verstoßen." Der vorläufigen Aufrechterhaltung unter einer Vorbehaltsklausel111 folgte eine nachträgliche Totalannullierung 112• Das Dekret Nr. 392 vom 25. 1. 1947 (GZ Nr. 9/1947) statuierte als authentische Interpretation des Übernahmegesetzes praktisch die Aufhebung des gesamten früheren Rechts 113• Angesichts des Charakters der italienisch-albanischen Union wäre es nun nicht undenkbar gewesen114, bei italienisch-albanischen Privatrechtskonflikten das interlokale bzw. interregionale Kollisionsrecht in Betracht zu ziehen, wie es in Italien im Hinblick auf die Annexion etwa jugoslawischer Gebiete zur Anwendung gebracht worden war115 • Gerade im interlokalen bzw. interregionalen Vertragsrecht substituierten Lehre und Rechtsprechung das Anknüpfungsprinzip der gemeinsamen Staatsangehörigkeit durch das der lex loci actus oder der lex loci executionis116• In der italienischen Nachkriegsrechtsprechung lassen sich allerdings keine Aufschlüsse über die Haltung der Gerichte zu dieser Frage finden. (1) Focanti c. Banca nazionale dellavoro In Focanti c. Banca nazianale del lavoro handelte es sich um folgendes: Der Kläger Focanti hatte zur Zeit des Erlasses des albanischen Gesetzes vom 1. 6. 1948 Nr. 627 über die Konfiskation des in Albanien belegenen Vermögens italienischer Staatsangehöriger aus einer Kontokorrenteinlage bei der Filiale der Banca nazionale del lavoro in Tirana ein Guthaben in albanischen Franken. Das Berufungsgericht Rom beantwortete in seiner Entscheidung vom 14. 6. 1963117 die Frage nach dem auf das Kontokorrentverhältnis anm s. oben 1. Teil II. 2. m s. oben 1. Teil II. 4. 113 Nähere Einzelheiten Blagojevic S. 9; Schwanke, JbOstR 2 (1961 II), S. 187 ff.; ders., OER 10 (1964), S. 106 ff. 114 Zur Frage, inwieweit sich ein seinerzeit in der 1941 von Italien annektierten Provinz Ljubljana unehelich geborener Slowene gegenüber seinem italienischen Vater auf das vormals österreichische, von Italien rezipierte Recht berufen kann: App. Trieste v. 25. 11. 1955, Mihelcic c. Gattinoni, Giur. It. 109 (1957 I 2), S. 366; Biscottini, Giur. It. 109 (1957 I 2), S. 365. 115 de Nova, Com. e Stud. 1 (1942 I), S. 129 ff. 118 de Nova S. 93 f.; ders., Com. e Stud. 1 (1942 I), S. 141, Fußn. 2; ArangioRuiz, Riv. Dir. Int. 40 (1957), S. 413 f. 117 App. Roma v. 14. 6. 1963, Dir. Int. 19 (1965 li), S. 63.

VII. Halo-albanische Statuteninterferenz

189

wendbaren Recht damit, daß unzweifelhaft italienisches Recht berufen sei:

". . . non vi e dubbio . . . ehe la legge applicabile al rapporto di conto corrente intercorso fra le parti debba essere la legge italiana, e cioe il codice civile ..."m.

Der Kassationshof stellte in seinem Urteil vom 27. 7. 1964119 diese Frage überhaupt nicht, sondern wandte ohne weiteres italienisches Recht an. Der Kassationshof war im übrigen der Meinung, gemäß Art. 11 Abs. 2 des Accordo per il regolamento di questioni derivanti dal Trattato di Pace del 10-2-1947 e Scambio di Note sulla questione della cannoniera Illyria zwischen Albanien und Italien vom 14. 9. 1957 Nr. 941 120 sei es im konkreten Fall unstatthaft, das albanische Konfiskationsgesetz auf seine Vereinbarkeit mit dem Friedensvertrag von Paris vom 10. 2. 1947 zwischen Italien und den alliierten Mächten (italienisches Übernahmegesetz vom 28. 11. 1947 Nr. 1430) zu prüfen, wie es das Untergericht getan habe. Der Kassationshof verwies im Unterschied zum Appellationsgericht, das der Klage gegen die Bank stattgegeben hatte, weil die Bank für die Konfiskation ihres Vermögens in Albanien vom italienischen Staat entschädigt worden sei und sich nicht auf eine "liberazione del debitore" in Ansehung des albanischen Konfiskationsgesetzes habe berufen können, den Kläger wegen etwaiger (möglicherweise inzwischen verjährter) Entschädigungsansprüche an den italienischen Staat, weil der in Albanien lokalisierte Anspruch des Klägers aus dem Kontokorrentvertrag gegen die italienische Bank sehr wohl Gegenstand einer Konfiskation durch den albanischen Staat habe bilden können und sein Anspruch wegen illegaler Konfiskation durch den albanischen Staat, der nicht nach Art. 79 Abs. 3 des Friedensvertrages entschädigungsfähig gewesen sei, durch den albanisch-italienischen Vertrag erloschen seP 21 • Der Kassationshof bestätigte weiter seine Rechtsprechung zum "principio dell'autonomia della filiale della banca e la localizzazione del App. Roma, Dir. Int. 19 (1965 II), S. 66. Cass. v. 27. 7. 1964, Banca nazianale dellavoro c. Focanti, Riv. Dir. Int. 49 (1966), s. 68. 120 Art. 11 Abs. 2 lautete: "Aucune pretention ne pourra plus etre avancee de la part des deux hautes Parties Contractantes au sujet de l'application de l'art. 79 du Traite de paix, etant donne que toutes les questions relatives a l'application du dit article sont consideres comme definitivement reglees par le present accord." 121 Vgl. zu den aufgrund des Gesetzes Nr. 63 der Alliierten Hohen Kommission zur Klarstellung der Rechtslage in bezug auf deutsches Auslandsvermögen und andere im Wege der Reparation erfaßten Vermögensgegenstände vom 31. 8. 1951 auch in der Bundesrepublik Deutschland entstandenen ähnlichen Fragen: BVerfG E v. 9. 12. 1970, IPRspr. 1970, Nr. 99. 118

119

190

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

rapporto presso di essa". Die Kreditverhältnisse seien am jeweiligen Ort der Niederlassungen einer Bank aus buchungstechnischen Gründen zu lokalisieren: "Un istituto di credito ... opera con degli esami e dei controlli dei propri registri, ehe soltanto esistono presso la sede ove il rapporto e sorto122. " Wenn schon eine interregionale Anknüpfung des Statuts des Kreditverhältnisses nicht für angezeigt gehalten wurde, so hätte sich zumindest die Frage aufdrängen müssen, ob das durch die Lokalisierung des Kontokorrentverhältnisses maßgebliche zwingende Recht Albaniens nicht auch das ursprüngliche Vertragsstatut gestellt hatte, und ob dessen nachträgliche Rechtsänderungen überhaupt noch einen entschädigungsfähigen Anspruch übriggelassen hatten oder nicht. (2} Crocillo c. Taddei

In der Sache Crocillo c. Taddei vom 15. 3. 1951 hatte der Kassationshof123 die Frage der internationalen Zuständigkeit italienischer Gerichte zu folgendem Falle zu prüfen: Die Parteien hatten in Durazzo (Durres) in Albanien gemeinsam ein Geschäftsunternehmen betrieben und im Gefolge der Kriegsereignisse das Land überstürzt verlassen. Der Kläger forderte nunmehr von dem geschäftsführenden Gesellschafter Rechnungslegung betreffend den Verkauf eines Lastwagens und für eine dritte Firma ausgeführte Transporte. Der Kassationshof beurteilte das Bestehen einer faktischen Gesellschaft zwischen den Parteien und deren Ansprüche untereinander auf Rechnungslegung nach italienischem Recht, ohne die Frage einer möglichen Auslandsberührung des Sachverhalts nur zu erwägen. Daß sich wohl keine der Parteien auf die Maßgeblichkeit albanischen Rechts berufen hatte, war sicherlich kein Grund, das Vertragsstatut (das nach umstrittener Meinung 124 auch die vertraglichen, im Gegensatz zu den statutarischen Wirkungen125 eines Gesellschaftsverhältnisses beherrscht) ohne weiteres an das italienische Recht anzuknüpfen. Ausländisches Recht ist von italienischen Gerichten auch in der Kassationsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigen126. Bei einer anfänglichen interregionalen Anknüpfung des Statuts ohne Rücksicht auf das Merkmal der gemeinsamen Staatsangehörigkeit oder überhaupt bei der Maßgeblichkeit albanischen Rechts hätte sich der Kassationshof jedenfalls damit auseinandersetzen müssen, wie die spätere Globalderogation des 122 123 124 125 12a

Cass., Riv. Dir. Int. 49 (1966), S. 72. Cass. v. 17. 12. 1951, Giur. It. 1952 I 1, S. 4 = Jus Gentium 4 (1952), S. 85. Vgl. Vitta (II) S. 93 ff. Diese unterliegen der lex societatis, vgl. Vitta (II) S. 94 f. Vgl. Vitta (I) S. 227 ff.

VIII. Halo-libysche Statuteninterferenz

191

alten Rechts durch den albanischen Gesetzgeber zu behandeln gewesen wäre. So bleibt es aber eine ungeklärte Frage, ob die Verträge zwischen Italienern, die diese im Zuge der früheren italienischen "Expansionen" unter der Geltung eines ausländischen Statuts geschlossen hatten, ebenso als vor italienischen Gerichten unklagbar behandelt worden wären wie seinerzeit die der russischen Immigranten.

VIII. Sonderanknüpfung späterer zwingender Normen einer Besatzungsmacht auf abhängigem Gebiet bei unverändertem Vertragsstatut (Libyen) Fraglos ist die Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts, wie etwa Währungsbestimmungen, innerhalb eines Mehrrechtsgebietes an dasselbe Teilrecht vorzunehmen, das das Vertragsstatut stellt1 27 • Unterliegt jedoch eines der Geltungsgebiete der mehreren Teilrechtsordnungen den gesetzgeberischen Eingriffen einer Besatzungsmacht, dann ist nicht unbedingt anzunehmen, daß die Gerichte des nicht besetzten Gebietes 128 die neuen zwingenden Bestimmungen des Teilrechts zur Anwendung bringen, das ein bestimmtes Vertragsverhältnis im übrigen beherrscht. Mit diesen Fragen, die nach der Besetzung Libyens durch britische Truppen im zweiten Weltkrieg aufgetreten waren, hatten sich sowohl libysche als auch italienische Gerichte zu befassen. Unter dem Namen Libyen waren 1934 Tripolitanien, die Cyrenaika und die italienische Sahara zu einer einheitlichen italienischen Kolonie zusammengeiaßt worden129 • Ihr Status ergab sich aus dem Gesetz vom 12. 7. 1934130• Neben den Lokalstatuten für die einheimische Bevölkerung131 galt in der Kolonie das italienische Zivilrecht in der jeweiligen Fassung der s. auch oben 2. Teil II. 3. Die Gerichte der von Italien besetzten Gebiete von italienisch Ostafrika bemaßen den Kurs der nachträglich in Lira auszugleichenden Handelsforderungen aus der Zeit vor der italienischen Okkupation, die in äthiopischen Talern vereinbart worden waren, unterschiedlich nach dem Tag der Rechtskraft des Urteils, nach dem Tag der Okkupation oder dem der effektiven Zahlung, vgl. Trib. Harar v. 28..3. 1938, Ibrahim c. Ditta Minassian; Pret. Harar v. 7. 4. 1938, Ditta Minassian c. Abdellahi; Trib. Addis Abeba v. 31. 5. 1938, Assadourian c. Banca d'Etiopia, Riv. Dir. Col. 2 (1939), S. 83; Folchi, Riv. Dir. Col. 2 (1939), S. 83 ff. 129 Freudenberg S. 418. t3o Mondaini S. 647. 131 Mondaini S. 656 ff. 121

128

192

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

Gesetzgebung der Metropole, jedoch unter Berücksichtigung der lokalen Sonderheiten der Kolonie132• 1942/43 besetzten britische Truppen die Cyrenaika und Tripolitanien, französische Truppen den Fessan.

Im Januar 1943 führte die britische Besatzungsmacht für ihr Besatzungsgebiet eine Sonderwährung ein ("Noten der britischen Besatzungsmacht"). Daneben zirkulierte die italienische Lira, die im Kurs von einer Lira zu 480 Sonderwährungseinheiten stand. Durch Proklamation Nr. 46 vom 15. 9. 1943 wurde der Einzug der italienischen Noten verfügt und die italienische Währung außer Kurs gesetzt. Die alte Lira wurde durch die Lira der Besatzungsmacht, "Military Authority Lira" (M. A. L.), ersetzt. Der Eintausch der italienischen Lira gegen die neue Währung konnte bis zum 1. 11. 1943 im Verhältnis der nominalen Parität vorgenommen werden. Im Verlauf der weiteren Entwicklung im Währungsgebiet Tripolitanien bildete sich ein Kurs von 3 Lira zu 1 M. A. L. heraus133. Am 10. 2. 1947 (Art. 29 des Friedensvertrages) verzichtete Italien auf Libyen. Bis zur Errichtung eines unabhängigen und souveränen Staates gemäß der Resolution der UN-Vollversammlung vom 21. 11. 1949 wurde Libyen von italienischen, französischen und englischen Behörden gemeinsam verwaltet134. In dem internationalisierten Gebiet galt das Privatrecht der kolonialen Zeit fort, das nach der Unabhängigkeit am 24. 12. 1951 von Libyen erst allmählich abgeschafft wurde135. (1) Cibelli c. Cassa di Risparmio per la Libia

Im Falle des "internationalisierten" Tribunale di Tripoli vom 19. 6. 1950, Cibelli c. Cassa di Risparmio per la Libia136, hatte die beklagte Sparkasse vor der Besetzung Tripolitaniens dem Kläger ein Darlehen für Bau- und Landwirtschaftszwecke gegen Hypothekensicherheit gegeben. Der Betrag war im Jahre 1947 in Tripolis rückzahlbar. Die Beklagte hatte während der Kriegsereignisse ihre Hauptgeschäftsleitung und den größten Teil ihres Vermögens nach Rom verlegt. Die in Tripolis aufrechterhaltene Zweigstelle hatte nur noch "alte" Geschäfte abzuwickeln. Das Gericht verurteilte den Kläger zur Zahlung der ursprünglich in Lire ausgedrückten Summe in M. A. L. im Verhältnis von 33M. A. L. zu 1a2

133 134

135 1 36

Mondaini S. 652 ff. Chillemi, Temi 5 (1950), S. 561. Marazzi, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 3 (1967), S. 556 f. Luther S. 35. Trib. Tripoli v. 19. 6. 1950, Temi 5 (1950), S. 560.

VIII. Halo-libysche Statuteninterferenz

193

100 Lire. Eine direkte Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Codice civile (Art. 1277, 1278 C. c.) verneinte es. Die in Betracht zu ziehenden Bestimmungen lauten: Art. 1277: "Geldschulden werden mit dem Gelde, das zur Zeit der Zahlung im Staat gesetzliches Zahlungsmittel ist, und nach dessen Nennwert getilgt. War der geschuldete Betrag in einer Währung ausgedrückt, die zur Zeit der Zahlung nicht mehr gesetzliches Zahlungsmittel ist, so ist die Zahlung in der gesetzlichen Währung, angeglichen dem Wert der ersteren, vorzunehmen." Art. 1278: "Ist der geschuldete Betrag in einer Währung ausgedrückt, die nicht im Staat gesetzliches Zahlungsmittel ist, so ist der Schuldner berechtigt, in gesetzlicher Währung nach dem am Tage der Fälligkeit an dem bestimmten Zahlungsort geltenden Umrechnungskurs zu zahlen137."

Das Gericht führte aus, daß für die Anwendung von Art. 1277 C. c. nur Raum sei, wenn ein- und dasselbe staatliche Währungssystem, nicht aber eine Besatzungsmacht ein neues gesetzliches Zahlungsmittel einführe. Art. 1278 C. c. dagegen treffe nur den Fall, daß eine Geldschuld in ausländischer Währung vereinbart sei. Da es andererseits absurd sei anzunehmen, der italienische Gesetzgeber habe mit diesen Bestimmungen auch den Fall regeln wollen, daß er die Souveränität über Teile seines Territoriums verliert, seien die Bestimmungen nur entsprechend anzuwenden (" ... Essendo assurdo ehe uno Stato sovrano preveda e regoli il caso della cessazione della sua sovranita su parte del suo territorio ...")138• Dabei sei weiter zu berücksichtigen, daß es mit den besonderen Zielsetzungen einer Kreditkasse (" ... un ente pubblico tendente a favorire la previdenza") unvereinbar wäre, wenn sie durch unzumutbare Belastungen die Bauern der Grundlage ihres Landwirtschaftsbetriebes beraubte (" ... in quanto inciderebbe, con un onere insopportabile, sulle possibilita di ripresa e di recupero dei lavoratori della terra ...") 139• Das Gericht knüpft das zwingende Schuldrecht im Ergebnis nicht getrennt vom Vertragsstatut an. (2) Cibelli c. Genovese In gleicher Weise knüpfte der Kassationshof in dem Urteil vom 28. 2. 1952, Cibelli c. Genovese140, das Währungsstatut an. In diesem Fall handelte es sich um eine Klage aus einem Summenverwahrungsvertrag (deposito di summa). Cibelli hatte vor der Besetzung Libyens von dem Gläubiger einen Betrag in italienischer Lira in Tripolis zur Verwah137 Übersetzung entnommen: Italienisches Zivilgesetzbuch (1942), 2. Aufl. (bearb. v. Becher) 1968, S. 256. 138 Trib. Tripoli, Temi 5 (1950), S. 569. 139 Trib. Tripoli, Temi 5 (1950), S. 571. uo Cass. (Sez. Un.) v. 28. 2. 1952, Foro It. 76 (1953 1), S. 70.

13 Wohlgemuth

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

194

rung erhalten. Beide Parteien hatten zur Zeit des Rechtsstreits Wohnsitz in Tripolitanien. Der Kassationshof zog im Hinblick auf die Verteilung des Kursverlustes in Erwägung, daß jedenfalls seit dem Pariser Friedensvertrag auch von einem einheitlichen nationalen Währungsgebiet nicht mehr die Rede sein könne: "... con il Trattato di pace lo Stato italiano ha compiuto una rinuncia unilaterale ai diritti di sovranita sui propri territori in Africa, territori ehe rimasero frattanto affidati in amministrazione allo Stato ehe gia vi esercitava i poteri derivanti della occupazione bellica . . ., rinuncia ... sebbene non a favore di altro soggetto internazianale determinato"141 • (3) Nicolö c. Creni

Einen Monat zuvor hatte der Kassationshof mit Urteil vom 29. 1. 1952, Nicolö c. Creni1 42 , die in Lira vereinbarte Kaufpreisschuld aus einem Vertrag über den Kauf eines Grundstücks in Tripolitanien, die nach der britischen Proklamation vom 15. 9. 1943 fällig geworden war, gemäß Art. 1277 C. c., zum Nennwert in M. A. L. zu Lasten des Verkäufers festgesetztl 43 • Diese sachrechtliehe Abweichung bedeutet freilich nicht, daß der Kassationshof mit diesem Urteil in der Anknüpfung der zwingenden Normen andere Wege gegangen wäre als die übrige Rechtsprechung. (4) Cassa di Risparmio della Libia c. Dainotto Die folgenden Entscheidungen in der Sache Cassa di Risparmio della Libia c. Dainotto betrafen zwar ebenfalls eine Klage, bei der Fragen der Anknüpfung des Währungsstatuts aufgetreten wären, wenn die italienischen Gerichte entweder explizit Stellung bezogen oder ihre Zuständigkeit nicht abgelehnt hätten. Sie sind jedoch insofern erwähnenswert, als sie ein Beispiel dafür geben, wie ein in der früheren Kolonie begründetes Rechtsverhältnis nach der Unabhängigkeit bei Wechsel der Staatsangehörigkeit des Beklagten nicht mehr zur Streitentscheidung vor italienische Gerichte gestellt werden konnte. Das Landgericht Rom hielt dafür, daß die Sparkasse erst seit dem Wirtschaftsabkommen zwischen der Republik Italien und dem Königreich Libyen vom 2. 10. 1956144, in Kraft gesetzt durch Übernahmegesetz vom 17. 8. 1957, ihre Zugehörigkeit zu Italien verloren hatte und eine 141

Cass., Foro It. 76 (1953 I), S. 75; vgl. auch Ascarelli, Foro Pad. 76 (1953 I),

142

Cass. (Sez. Un.) v. 29. 1. 1952, Foro Pad. 7 (1952 I), S. 277

s. 71 ff.

(1952 I 1), S. 473.

=

Giur. It. 104

143 Vgl. zu den drei zitierten Entscheidungen Treves, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 1 (1965), S. 260 ff.; ders. S. 218 ff.; Ascarelli S. 353; Conforti S. 138, 264 f.,

281 ff. w Le Leggi, 1957, S. 1187.

VIII. Itala-libysche Statuteninterferenz

195

ausländische juristische Person geworden war. Es entschied deshalb gemäß dem Grundsatz der perpetuatio iurisdictionis in der Sache, ohne jedoch zur Frage der Anknüpfung der unterschiedlichen Statute explizit Stellung zu nehmen. Der Kassationshof145 hingegen war der Ansicht, die Sparkasse habe seit dem Friedensvertrag ("appartenere all'ordinamento giuridico italiano") die italienische Staatsangehörigkeit verloren. Nach Art. 4 Abs. 2 C. p. c. wäre die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte bei Klagen gegen einen Ausländer nur gegeben, wenn u. a. der Klageanspruch ein Vertragsverhältnis betroffen hätte, das im "Reich" begründet worden war: "Lo straniero puo essere convenuto davanti ai giudici del Regno: ... se la domanda riguarda beni esistenti nel Regno o successioni ereditarie di cittadino italiano o aperte nel Regno; oppure obbligazioni quivi sorte o da eseguirsi; ...". Offensichtlich galten also die in der Kolonie begründeten Vertragsverhältnisse als nicht im "Reich" 146 entstanden147• Anders verhielt es sich dagegen etwa mit den an Jugoslawien abgetretenen Gebieten148• Diese abschließend wiedergegebene Entscheidung legt wie die einleitend angedeutete internationalzivilprozessuale Rechtsprechung die Überlegung nahe, daß dem Souveränitätswechsel im Hinblick auf prozessuale Fragen in weiterem Umfange Rechnung getragen wurde, indem nämlich die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte verneint wurde, als in Fragen des Sachrechts, soweit das erste Vertragsstatut ohne die vom Gesetzgeber des Gebietsnachfolgers vorgenommenen Rechtsänderungen zur Anwendung gebracht worden war. 145 Cass. (Sez. Un.) v. 18. 8. 1959, Cassa di Risparmio della Libia c. Dainotto, Riv. Dir. Int. 44 (1961), S. 295. 146 s. allgemein zum Begriff "Regno": Orlando, Novis. Dig. It., 15, S. 236 ff.; vgl. auch Cass. (Sez. Un.) v. 12. 9. 1952, Botallico c. Soc. An. l'Autocisterna, Giur. It. 105 (1953 I 1), S. 174. 147 s. auch: Cass. (Sez. Un.) v. 21. 3. 1967, Ditta De Nadai c. Maddaleno Ugo, Dir. Scambi Int. 6 (1967), S. 215: "La deroga alla giurisdizione italiana per il motivo ehe il contratto e stato stipulato all'estero puo invocarsi unicamente quando il convenuto sia straniero . . ."; s. auch Cass. (Sez. Un.) v. 22. 12. 1964, Brahane Fitaurari Gherezghier c. Ministero degli affari esteri, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 1 (1965), S. 339; Corte Suprema della Somalia v. 20. 12. 1960, Brahane Fitaurari Gherezghier c. Amministrazione fiduciaria italiana delle Somalia, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 1 (1965), 597; Cansacchi, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 1 (1965), S. 481 ff. Die Gerichtsentscheidungen ergingen sämtlichst zu der Klar-: (; nes Äthiopiers aus Somalia, der Angestellter der italienischen fiduziarischen Verwaltung in Somalia (Amministrazione fiduciaria italiana in Somalia) gewesen war, für die sich weder italienische noch somalische Gerichte für zuständig hielten, weil sich weder Somalia noch Italien als Rechtsnachfolger der A. F. I. S. betrachteten. us s. oben 3. Teil VI.

13*

196

3. Teil: Italienische Rechtsprechung IX. Zusammenfassung

Die italienische Rechtsprechung und Lehre nimmt im Hinblick auf das Vertragsstatut den Standpunkt ein, es sei "immutabile", unwandelbar. Selbst ein nachträglich bekundeter Wille der Vertragsparteien, ein anderes als das anfängliche Vertragsstatut maßgeblich sein zu lassen, ist nach der Rechtsprechung des Kassationshofes (Assael c. Crespi)1 49 kollisionsrechtlich wirkungslos. Für die Bestimmung des Vertragsstatuts ist nur die Konstellation der Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Entstehung des Vertragsverhältnisses ausschlaggebend. Spätere Veränderungen der Anknüpfungspunkte sind nicht geeignet, die Fortwirkung des ersten Statuts zu beeinflussen. Andererseits gilt sowohl die parteiautonome Rechtswahl bei Fehlen eines ausdrücldichen gegenteiligen Willens als auch der durch objektive Merkmale bestimmte Verweis auf ein fremdes Recht nicht als eine "starre", sondern als eine "flexible" Wahl des Rechts in seiner jeweiligen Fassung, soweit es in der aktuellen Prägung nach seinen eigenen (lex causae) Übergangsbestimmungen auf das konkrete Rechtsverhältnis angewendet sein will. Ausgenommen sind selbst nicht solche revolutionären Rechtsänderungen, die vorrevolutionäre Rechtsverhältnisse praktisch zum Erlöschen bringen, jedenfalls dann nicht, wenn es sich um Vertragsverhältnisse zwischen Ausländern handelt (Sorin c. Weinreich)150• Tritt eine Änderung des anfänglichen Statuts insofern ein, als durch einen Wechsel des gebietszuständigen Gesetzgebers ein neuer Geltungsgrund für die Rechtsquelle entsteht, in der das Vertragsstatut seinen Ursprung gefunden hatte, dann soll auch hier die Rechtswahl "einfrieren". Nur in einem einzigen Fall (Eritrea-Entscheidung des Trib. Trieste von 1974)151, wo das Recht eines treuhänderisch verwalteten, früher abhängigen Gebietes von dem Gesetzgeber des später einen selbständigen Staat bildenden Gebietes unverändert übernommen worden war, blieb die Tatsache des Wechsels des Geltungsgrundes unberücksichtigt und fand das neue Statut Anwendung. In allen anderen Fällen der Änderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts ließen die italienischen Gerichte das Vertragsverhältnis im Gegensatz zur niederländischen Rechtsprechung, die zu den unterschiedlichsten Lösungen fand, nach dem Ausgangsstatut "versteinern". 149

150 151

s. oben 3. Teil li. s. oben 3. Teil IV. 1. s. oben 3. Teil V. 2.

IX. Zusammenfassung

197

Nur in Brazzoduro c. Cassa di Risparmio di Fiume152 war das Trib. Venezia nicht ausschließlich auf die unwandelbare Anknüpfung an die lex communis patriae rekurriert. Nach Ansicht des Gerichts lag die Legitimation für die Maßgeblichkeit des Ausgangsstatuts vielmehr auch darin, daß die Parteien die nachträglichen Änderungen des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts zur Zeit des Vertragsschlusses nicht hatten voraussehen können. In allen anderen Urteilen wurde "ohne Umschweife" das erste (italienische) Statut als das Recht herangezogen, nach dem das gesamte Vertragsverhältnis zu beurteilen war. Verträge, die zur Zeit der italienisch-albanischen Union zwischen Italienern in Albanien begründet worden waren und die Auflösung der Union überdauert hatten, galten als italienischem Recht unterstellt, ohne daß entweder eine eventuell gebotene interregionale Anknüpfung des ersten Statuts oder für die erforderliche internationalprivatrechtliche Bestimmung des Ausgangsstatuts die etwaigen späteren Änderungen im Bestand des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts in Erwägung gezogen worden wären. Daß neben der Versteinerung des Statuts sogar in "Sachnorm-Lösungen"153 verschiedene Alternativen hätten gefunden werden können, ohne von italienischen Rechtsvorstellungen abzuweichen, zeigt die Entscheidung zur Gerichtsstandsvereinbarung der gemischten Gerichte von Konstantinopel (Calderon c. Assicurazioni}m, wo nach Abschaffung der gemischten Gerichte die Wahl zwischen den in Frage kommenden türkischen, griechischen, Österreichischen und italienischen Gerichten zugunsten der letzteren entschieden worden war (Anpassung an die veränderten Verhältnisse; Umdeutung1SS). Die Sonderanknüpfung zwingender Normen (Libyen-Entscheidungen)156 fand jedenfalls ohne Rücksicht auf den jeweiligen Urheber nicht unabhängig vom Vertragsstatut dann statt, wenn das gesamte Vertragsverhältnis selbst im Geltungsgebiet des Statuts des zwingenden Rechts lokalisiert war. Die Überbürdung des Abwertungsverlustes in Analogie zu den Bestimmungen des italienischen Codice civile bedeutete, auch wenn "internationalisierte" Gerichte Libyens entschieden, keineswegs die Anwendung eines späteren Statuts, da das in seinem 152 s. oben 3. Teil VI. (1).

m s. oben 1. Teil XIII. m s. oben 3. Teil V. 1. 155 Die Umdeutung (conversione) von nichtigen Verträgen in rechtswirksame Verträge ist dem italienischen im Gegensatz etwa zum spanischen Recht sehr wohl geläufig (Art. 1424 C. c.). 156 s. oben 3. Teil VIII.

198

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

Geltungsbereich auf die Kolonie erstreckte italienische Zivilgesetzbuch auch in dem internationalisierten Gebiet unverändert fortgalt. Die Versteinerung des Vertragsstatuts bei Änderungen des Geltungsgebietes des Statuts und damit die Unbeachtlichkeit späterer Änderungen des Sachstatuts im Zusammenhang mit einem Souveränitätswechsel steht in gewissem Widerspruch zur Behandlung der dadurch ausgelösten prozessualen Fragen. Wenn ein Italiener nach der Unabhängigkeit bzw. dem einseitigen Souveränitätsverlust Italiens über eine Kolonie die Staatsangehörigkeit des neuen Staates ipso iure oder auf Antrag erworben hatte und er wegen eines alten unter der kolonialen Rechtsordnung begründeten Vertrages vor italienischen Gerichten im Mutterland verklagt worden war, stellten sich die Gerichte auf den Standpunkt, sie seien international nicht zuständig, weil es sich um einen nicht im "Reich" (Regno) entstandenen Anspruch handelte157 • Zur Zeit der kolonialen Ära lag die Zuständigkeit sicherlich bei den italienischen Gerichten in der Kolonie, um über Verträge zu entscheiden, die zwischen einem Italiener und einem Ausländer in der Kolonie vereinbart worden waren, und nicht bei den Gerichten des Mutterlandes 158 • Nach Fortfall der italienischen Kolonien war es jedoch nur das Mutterland, das ein italienisches Forum für einen Rechtsstreit über einen Vertrag hätte zur Verfügung stellen können, den ein Ausländer unter dem italienischen Recht der Kolonie mit einem Italiener geschlossen hatte. Die Trennung der Gerichtsbarkeit zwischen Kolonie und Mutterland war nur für die koloniale Mehrrechtsordnung bedeutsam. Es hätte also durchaus eine Umdeutung des Geltungsbereichs oder des Begriffes "Reich" der entsprechenden prozeßrechtlichen Bestimmung erfolgen können, um die Zuständigkeit in solchen Fällen anzunehmen (Umdeutung inlandsbezogener Tatbestandselemente bzw. des territorialen Anwendungsanspruchs der Rechtsnormen)159 • Die ablehnende Haltung der italienischen Gerichte in dieser Hinsicht liegt jedoch auf der Linie, die die Rechtsprechung zur Frage der perpetuatio iurisdictionis in der Rechtsmittelinstanz gegenüber Entscheidungen von vormals italienischen Gerichten160 innerhalb abgetretenen Gebietes aus der Zeit vor der Abtretung eingeschlagen hatte161• s. oben 3. Teil VIII. (4) a. E. s. das Urteil des Zivilgerichts von Addis Abeba v. 8. 3. 1937, Cokerand c. Bonelli, betreffend ein Mahnverfahren zwischen einem Franzosen und einem Italiener in dem von Italien annektierten Kaiserreich Äthiopien (Riv. Dir. Col. 1 (1938), S. 96). 15D s. oben 1. Teil II. 1. und III. 1. 160 Das OLG München, Urt. v. 6. 7. 1970 (IPRspr. 1970, Nr. 108), etwa hielt die Entscheidung eines deutschen Gerichts in Warschau ("Generalgouverne1s1

158

IX. Zusammenfassung

199

Allerdings wurde dann auch im umgekehrten Fall der Annexion z. B. die Zuständigkeit des italienischen Kassationshofes gegenüber Urteilen der Gerichte des Vorgängerstaates innerhalb des annektierten Gebietes aus der Zeit vor der Annexion angenommen. Gegenüber den ehemals jugoslawischen Urteilen der Gerichte des annektierten Gebietes von Ljubljana und Dalmatien galt nach dem Souveränitätswechsel aus italienischer Sicht nicht mehr die Zuständigkeit des Obersten Gerichtes in Belgrad, sondern die des italienischen Kassationshofes162• Damit nehmen aber die italienischen Gerichte bei der Bewertung der Auswirkungen eines Souveränitätswechsels auf Privatrechtsverhältnisse im Ergebnis eine nicht anpassungsbedachte "Alles-oder-nichtsHaltung" ein: Entweder sind die Verknüpfungen des zur Beurteilung stehenden Sachverhaltes zum Geltungsgebiet des Nachfolgestatuts derart, daß sie a limine die Gerichtsbarkeit italienischer Gerichte ausschalten und es bestenfalls den Gerichten des Nachfolgestaates überlassen bleibt, die Haltung des Gebietsnachfolgers gegenüber den einschlägigen Vertragsverhältnissen uneingeschränkt zum Ausdruck zu bringen. Oder aber die italienischen Gerichte betrachten sich aufgrund der Verknüpfungen des Sachverhalts mit dem Geltungsgebiet des ersten Statuts für zuständig, in der Sache zu entscheiden, tragen dann jedoch in keiner Weise dem durch den Souveränitätswechsel herbeigeführten Wandel der Statute oder einer etwaigen Anwendungswilligkeit des Nachfolgestatuts Rechnung. In der italienischen Literatur wird freilich zutreffend herausgestellt, daß beide Staaten, der Nachfolge- wie der Vorgängerstaat, ein legitimes Interesse an der Regelung eines vom Souveränitätswechsel betroffenen Privatrechtsverhältnisses haben und dabei unterschiedliche Standpunkte einnehmen können. Der Reststaat werde die unter dem alten Recht geschlossenen Verträge, auch wenn sie unter dem neuen Recht fortdauern, in den meisten Fällen als "inländische", und nicht als "ausländische" Sachverhalte qualifizieren1&3 , Der Nachfolgestaat dagegen werde, wenn er nicht global die Privatrechtsordnung des Vorgängerstaates derogiere, die frühere Gesetzgebung im Wege des "rinvio recettizio" (des rezeptiven renvoi) "nationalisieren" oder die Bewertung der vor der Zession entstandenen Rechtsverhältnisse nach der alten lokalen Rechtsordnung vermittels eines "rinvio formale" vornehmen164 • Die Rechtslagen ("situazione"), die inment Polen") aus der Zeit der deutschen Besetzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als inländisches Urteil für rechtswirksam. ts1 s. oben 3. Teil. 182 Andrioli, Com. e Stud. 1 (1942 I), S. 278 ff.; Balladore Pallieri, Foro Pad. 4 (1949), 183

s. 131.

Vgl. Cansacchi S. 260.

200

3. Teil: Italienische Rechtsprechung

terindividuellen Beziehungen, die Verhältnisse des tatsächlichen Lebens ("rapporti della vita reale") innerhalb des annektierten oder zur Unabhängigkeit gelangten Gebietes fielen unter die Bewertungskompetenz ("valutazione") des Nachfolgestaates165• Habe der Nachfolgestaat das auf dem Gebiet bisher geltende Recht rezipiert, beschränke sich die Problematik auf die Behandlung eines interregionalen Konfliktes und erstrecke sich nicht auf etwaige Kollisionen zwischen altem und neuem Recht, also auf Fragen des transitorischen oder intertemporalen Rechts. Sei das jedoch nicht der Fall, so könnten durchaus Konflikte intertemporalen Rechts auftreten. "Poiche normalmente i1 rapporto giuridico non si esaurisce in un attimo di tempo. ma si svolge in un piu o meno lungo periodo, potra accadere ehe parte di esso cada sotto la valutazione della legge vigente ante cessione e parte sotto Quella introdottavi posteriormente, dando luogo a delicate contestazioni circa l'esistenza o meno di ,diritti quesiti'lBI." "Poiche gli ordinamenti statali assumono, di solito, carattere ,universale' rispetto ai rapporti privatistici, tendendo a regolarli o con norme ,proprie' o con norme estere ,richiamate' (qualora essi appaiono collegati prevalentemente a territori ,stranieri'), cosi non puo sorprendere la circostanza ehe, nonostante il trapasso territoriale, i rapporti privati collegati al territorio ceduto continuino ad essere valutati dalla legislazione dello stato predecessore e ad essere sottoponibili alla giurisdizione di questo stato. Lo stesso rapporto della vita reale, nonostante i1 suo collegamento (per i soggetti, per i1 bene oggetto del negozio, per il luogo di sua formazione ecc.) al territorio ceduto, potra contemporaneamente cadere sotto la competenza normativa e giurisdizionale dello Stato predecessore e dello Stato successore; data, poi, la separazione dei due ordinamenti, la valutazione ed il giudizio vi potranno risultare differenti167." Wenn ein und derselbe Lebenssachverhalt trotz seiner Verknüpfungen zum abgetretenen Gebiet der "normativen Kompetenz" beider Staaten unterfallen soll, dann mußten die italienischen Gerichte mit der Anwendung des ersten (italienischen) Statuts in Fällen, wo beide Parteien ins Mutterland zurückgekehrt waren, eine "normative Kompetenz" des Nachfolgestaates für nicht mehr begründet gehalten haben. Solange die Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dazu führte, daß die Verträge der Repatriierten weiterhin italienischem Recht unterstellt blieben, mochten die Gerichte unangefochten dem Prinzip der Unwandelbarkeit des Vertragsstatuts folgen können. Ob allerdings in diesem Sinne auch dann entschieden worden wäre, wenn das Vertragsverhält184 Cansacchi S. 269, Fußn. 34. t6s Cansacchi S. 275. t6e Cansacchi S. 275. 101 Cansacchi S. 276.

IX. Zusammenfassung

201

nis vollständig in der Sphäre des abgetretenen Gebietes angesiedelt geblieben wäre, läßt die Eritrea-Entscheidung nur vermuten: Wahrscheinlich hätte hier der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Statuts im Interesse der Vertragsparteien (oder aus Gründen des äußeren Entscheidungseinklangs) eine Ausnahme erfahren, und es wäre nicht italienisches Recht, sondern das des Nachfolge- oder Neustaates angewendet worden, so wie es wohl auch dessen Gerichte getan haben würden.

4. TEIL

Die französische Rechtsprechung I. Die Haltung des durch Unabhängigkeitsvertrag ("Sezession") entstandenen Neustaates Algerien gegenüber dem früheren französischen Recht Nach dem Referendum zu den Verträgen von Evian vom 18. 3. 19621 zwischen Frankreich und Vertretern der "Front de liberation nationale" in der Metropole vom 8. 4. 1962 und der Volksabstimmung über die Selbstbestimmung ("scrutin d'autodetermination") der algerischen Bevölkerung vom 1. 7. 19622 erlangte Algerien die Unabhängigkeit von Frankreich. Das wurde durch Erklärung des Präsidenten der Republik Frankreich vom 3. 7. 19623 bestätigt. Algerien, das sich seit dem 25. 9. 1962 Republique Algerienne Democratique et Populaire4 nennt, übernahm durch Gesetz Nr. 62-157 vom 31. 12. 19625 vorläufig das gesamte, am 1. 7. 1962 in Algerien geltende französische Recht, soweit es mit der Souveränität des algerischen Staates im Einklang stand und keine von kolonialistischem Geist geprägte, diskriminierende Bestimmungen enthielt. Es behielt sich eine künftige Neuregelung vor (Vorläufige Aufrechterhaltung des alten Rechts unter Vorbehalt der Vereinbarkeit mit Generalklausel und Vorbehalt nachträglicher Änderungen6). 1 Accord de cessez-le-feu en Algerie; Declarations gouvernementales du 19 mars 1962 relatives a l'Algerie, J. 0 . 1962, S. 3019; loi n. 62-421 du 13 avril 1962 concernant les accords a etablir et !es mesures a prendre au sujet de l'Algerie sur labasedes declarations gouvernementales du 19 mars 1962, J. 0 .

1962,

s. 3843.

Prodarnation des resultats du referendum d'autodetermination du } er juillet 1962, J. 0. E. A. 1962, S. 3. 3 Declaration portant reconnaissance de l'independance de l'Algerie, J. 0. 2

1962,

s. 6483.

Prodarnation par l'assemblee nationale constituante, le 25 septerobre 1962, de la Republique Algerienne democratique et populaire, J. 0 . R. A. 1962, s. 5. 6 Loi n. 62-157 du 31 decembre 1962 tendant a la reconduction, jusqu'a nouvel ordre, de la legislation en vigueur au 31 decembre 1962, J. 0. R. A. 4

1963, 6

s. 18.

s. oben 1. Teil II. 2. und 3.

I. Französisches Recht in Algerien

203

Art. 1er: "La legislation en vigueur au 31 decembre 1962 est reconduite jusqu'a nouvel ordre, sauf dans ses dispositions contraires a la souverainete nationale." Art. 2: "Tous les textes et les dispositions portant atteinte a la souverainete interieure ou exterieure de l'Etat algerien ou d'inspiration colonialiste ou discriminatoire, tous les textes ou dispositions portant atteinte a l'exercice normal des libertes democratiques, sont consideres comme nuls et non avenus." Dieses nachträglich durch Ordonnance Nr. 73-29 vom 5. 7. 19737 auf den 5. 7. 1975 zeitlich begrenzte Provisorium hatte die Aufgabe, sowohl die Rechtlosigkeit einer "Stunde Null" 8 als auch ein längeres rechtliches Vakuum zu vermeiden. "Les circonstances n'ont pas encore permis de doter le pays d'une legislation conforme a ses besoins et a ses aspirations. Mais il n'est pas possible de laisser le pays sans lois." So lautete die Begründung in der Präambel zum Übernahmegesetz. Trotz des unveränderten Wortlautes der rezipierten Bestimmungen ergaben sich gegenüber dem früheren Rechtszustand inhaltliche Unterschiede schon aus dem Kontext, innerhalb dessen die alten Rechtssätze gestellt waren9 • Das war die neue Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung, die sich ausdrücklich einerseits zum Sozialismus, andererseits zum Islam bekennt. In der Präambel der Verfassung1o heißt es: "... la Republique algerienne democratique et populaire oriente ses activites dans la voie de l'edification du pays, conformement aux principes du socialisme et de l'exercice effectif du pouvoir par le peuple dont les fellahs, les masses labourieuses et les intellectuels revolutionnaires constituent l'avant-garde. L'Algerie se doit d'affirmer ... qu'elle tient sa force spirituelle essentielle de l'Islam ...". Scheiterte die Fortgeltung des früheren Rechts daran, daß es dem Gedanken der Souveränität des algerischen Staates widersprach, Ausdruck des Kolonialismus oder sonst diskriminierend war, so stand und steht der richterlichen Rechtsschöpfung ein weites Anwendungsfeld für die Wiederbelebung islamrechtlicher Traditionen auf zahlreichen Rechtsgebieten zu Gebote11 • Für den "genuin algerischen Sektor" des "nouveau droit", dem "sozialistischen" Recht etwa der "autogestion" 12, orientiert sich der algeJ. 0. R. A. 1973, s. 678. e s. oben 1. Teil II. 4. 9 s. auch oben 1. Teil X. 2. 1o J. 0. R. A . 1963, S. 888.

7

11 12

Vgl. Badr, Rev. int. dr. comp. 22 (1970), S. 43 ff.; vgl. auch Calliano S. 1 ff. Vgl. Issad, Rev. jur. pol. 20 (1966), s: 55, 60.

204

4. Teil: Französische Rechtsprechung

rische Gesetzgeber an Vorbildern im sozialistischen Recht Jugoslawiens. Im übrigen verleugnen algerische Juristen nicht, französischem Rechtsdenken verpflichtet zu sein13, auch wenn bisweilen in Zweifel gezogen wurde, ob der übernommene Code civil als geschriebenes Recht beachtlich sei1 4 oder nicht vielmehr nur als Buch von Maximen etwa im Sinne derjenigen von LoiseP5 : "En l'absence actuelle de Code civil algerien, faut-il admettre Ia survivance du Code civil fran!;ais, du moins les dispositions qui ne heurtent pas le statut personnel musulman? Si l'on incline a repondre par !'affirmative, il reste a savoir si ces dispositions devront etre considen§es comme l'expression d'un droit positif, ou si elles entreront au niveau des maximes, des principes, analogues a celles et ceux du droit romain ou de Loisel pour le droit fran~ais's." Seit dem 26. 9. 1975 hat Algerien ein eigenes Zivilgesetzbuch17, das einen neuen Abschnitt in der "Algerisierung" 18 des Rechts eingeleitet hat.

II. Die Privatrechtskonflikte zwischen Metropole und abhängigem Gebiet, zwischen getrennten Währungsgebieten und zwischen Gebieten innerhalb der Metropole 1. Der "interkoloniale" Konflikt Der Status Algeriens gegenüber der Metropole vor der Unabhängigkeit war dadurch gekennzeichnet, daß es weder als Teil der Metropole, noch als Kolonie, noch als Protektorat galt, obwohl es Eigenheiten aller drei aufwies. "L'Algerie n'est pas Ia Metropole, mais ce n'est pas non plus une colonie; sa situation geographique en effet, qui en fait un pays mediterraneen Vgl. Issad, Rev. jur. pol. 20 (1966), S. 57. s. auch oben 1. Teil II. 4. (verkappte Rezeption). 15 Die Maximes et Institutes coutumieres von Antoine Loisel (1536 - 1617), Schüler von Cujas, enthielten in Gestalt von "brocards" oder juristischen Volksweisheiten allgemeine Regeln des französischen Rechts, wie etwa "En mariage trompe qui peut". 16 Fenaux, Rev. alg. 4 (1967), S. 439. Das Tribunal de grande instance von Algier führt in seiner Entscheidung vom 27. 5. 1964 (Bull. des Magistrats, Mai/ Juni 1966) aus: "Der Code civil, Bestandteil der algerischen Rechtsordnung, ist so zu lesen, daß die Bezeichnung ,Franzose' und ,Frankreich' durch ,Algerier' und ,Algerien' ersetzt werden (zitiert nach Schuster S. 113). Das Gericht fährt fort, daß der Code civil in seiner Gesamtheit in die algerische Rechtsordnung integriert sei, soweit nicht spätere Gesetze frühere Bestimmungen aufheben (vgl. Schuster S. 119). Damit ist aber nicht zum Ausdruck gebracht, ob sich das Gericht zu der Auffassung bekennt, der Code civil gelte nicht mehr nur als ratio scripta. t7 Ordonnance n° 75-58 du 26 septembre 1975 portant code civil (J. 0. R. A. 18

14

1975, 818). te Vgl. Cubertafond, Rev. jur. pol. 30 (1976), S. 204 ff.

II. Franko-algerische Rechtskonflikte

205

plutöt qu'un pays africain, son aptitude a accueillir des europeens sur son territoire, sans que ceux-ci se sentent depayses, son organisation politique et administrative qui s'inspire de celle de la France continentale, contribuent a la rapproeher politiquement de la Metropole; mais sous certains angles l'Algerie s'apparente neanmoins aux colonies, puisque, comme elles, elle possede un regime legislatif bien special, elle a favorise par l'immigration son developpement economique, et puisque, territorialement elle se trouve hors des limites geographiques de la Metropole.... les textes ... semblent vouloir consacrer officiellement ce caractere bien special de l'Algerie, qui ne doit etre confundue pas plus avec la Metropole qu'avec les colonies19." Durch die Ordonnance vom 22. 7. 1834 war ursprünglich der Geltungsbereich der Gesetze der Metropole auf Algerien erstreckt worden20. Abgesehen von den Unterschieden zwischen dem französischen Recht in Algerien gegenüber dem der Metropole, die sich aus den Besonderheiten des lokalen und religiösen Rechts ergaben, war jedoch mit der Zeit ein eigener "algerischer Rechtskörper" entstanden. "De jour en jour, les differences de l(~gislation sont plus nombreuses entre les deux pays2t." Es bestand indessen offensichtlich kein Grund, dem Verhältnis der beiden Rechte zueinander, innerhalb der zwölf algerischen Departements (und der Territoires du Sud)22 einerseits und der Metropole andererseits, eine Aufmerksamkeit zu widmen von der Art, wie es im Falle Indochinas geschehen war23. Hier galt vielmehr das Interesse den Konflikten, die dadurch ausgelöst wurden, daß für Algerien erlassenes französisches Recht mit dem lokalen (einheimischen) Recht in Algerien "aufeinanderstieß". Das war der eigentliche "conflit colonial", der im Falle Algeriens auch "conflit algerien" 24 genannt wurde. Den weitaus größten Raum nahm aber das intergentile Recht ein. I-Iierbei ging es um die Kollisionen der Stammes- bzw. religiösen Gemeinschaftsrechte der Araber, Kabylen, Mozabiten und Juden25. Wies dagegen ein algerischer Sachverhalt ein "element metropolitain"26 auf, wie etwa ein in der Metropole geschlossener und in Algerien zu erfüllender Vertrag, dann war es wiederum das "interkoloniale" Recht, das Auskunft über das maßgebliche Statut hätte geben müssen, 19 20

21 22 23 24 25

26

Pellegrin S. 99; vgl. auch Luchaire S. 186 ff. Rolland I Lampue s. 211. Kehl, Rev. alg. 68 (1952), S. 163, 153; vgl. auch Rolland I Lampue S. 370. Pellegrin S. 130 ff. Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 355 ff. Bonnichon S. 90; Batiffol I Lagarde (I) S. 335 f., Fußn. 31. Schuster S. 67 ff., 97 ff. Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 360.

206

4. Teil: Französische Rechtsprechung

wenn eine ausdrückliche Bestimmung im Falle Algeriens für notwendig erachtet worden wäre. Am Beispiel Indochinas jedenfalls27 war für das "interkoloniale" Vertragsstatut der Grundsatz entwickelt worden, daß dem Willen der Parteien ein weiterer Spielraum in der Bestimmung des maßgeblichen Rechts eingeräumt war als bei einem international verknüpften Vertrag28 • In der Entscheidung vom 2. 9. 193829 zu einem Arbeitsunfall in der Kolonie etwa hatte die Cour d'appel de Hanoi: sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das französische Recht der Kolonie oder das der Metropole anzuwenden war: "... les deux lois: lex fori contractus et loi de l'execution du travail ou loi du lieu de l'accident, toutes deux d'ailleurs egalement fran{;aises et identiques, mais differentes de la loi metropolitaine, s'accordent pour ecarter le systeme de reparation forfaitaire et s'en tiennent au regime de responsabilite de droit commun ... que le recours a la notion metropolitaine ne se justifie en rien et presenterait meme un caractere de pur arbitraire, le centrat ayant ete conclu au lieu meme ou il doit s'executer; que la circonstance que l'employeur a son siege social en France est sans influence sur la formation du contrat et ne saurait lui imprimer un caractere special, different de ceux passes par des entreprises ayant leur siege social dans la colonie, d'autant plus que la plupart du temps l'ouvrier ou employe traitant sur place avec un representant qualifie de l'entreprise, ne se preoccupera nullement du lieu du siege social et pourra l'ignorer, et que les transferts de siege social de la Metropole a la colonie ne sont pas rares ...". In einer älteren Entscheidung vom 26.5.1921 hatte die Cour de Cassation30 einen Unfall, der sich in Dakar (Senegal) im Rahmen eines Arbeitsvertrages zugetragen hatte, der in Frankreich abgeschlossen worden war, lediglich als ein Auslandsereignis charakterisiert, ohne eine interkoloniale Anknüpfung vorzunehmen: "L'accident survenu dans une colonie francaise, ou la loi du 9 avril 1898 n'a pas ete promulguee doit, en ce qui concerne la responsabilite des chefs d'entreprise et la procedure a suivre, etre considere comme s'etant produit en pays etranger ...". 2. Der "interzonale" Konflikt

Ähnlich wie in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg die anfängliche Trennung in verschiedene Wirtschaftszonen interzonale Konflikte Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 367 ff. Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 374. 29 App. Hanoi v. 2. 9. 1938, Rev. indochin. 7 (1938), S. 578; Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 379, Fußn. 2. 3° Cass. (Reun.), Antipoul c. Hersent, Sirey 1923 I, S. 33, Anm. Sachet, Sirey 27

28

1923 I, S. 33 f.

II. Franko-algerische Rechtskonflikte

207

ausgelöst hatte31, entstanden auch in Frankreich infolge der Teilung der Währungsgebiete in das der Metropole und das der Kolonie nach 1945 interzonale Privatrechtsprobleme. In der Sache Cie Fran~aise de l'Afrique Occidentale c. Ste commerciale industrielle et agricole du Haut-Ogoue vom 24. 4. 195232 wandte der Kassationshof für das interzonale Vertragsstatut den Grundsatz der Parteiautonomie an33• Es ging um die Zone des "franc metropolitain" und die des "franc d'outre-mer". Zwei französische Gesellschaften mit Hauptsitz in der Metropole, die den Schwerpunkt ihrer Unternehmenstätigkeit in Französisch-WestAfrika (Afrique Occidentale Fran~aise) und in Französisch-ÄquatorialAfrika (Afrique Equatoriale Fran~aise) hatten, hatten am 18. 12. 1945 in Cotonou (Dahomey/Benin) einen Kaufvertrag über ein dort gelegenes Betriebsgrundstück geschlossen. Die beklagte Verkäuferin wollte den Kaufpreis ihrerseits in Grundstücke in Gabun reinvestieren. Als Zahlungsort war Port-Gentil (Gabun) vereinbart worden. Die Grundbuchumschreibung war nach Zahlung des Kaufpreises am 21. 1. 1946 erfolgt. Zwischen Abschluß des Kaufvertrages und der Zahlung des Kaufpreises hatte das Dekret vom 25. 12. 1945 der Währungsparität zwischen der Metropole und Französisch Schwarzafrika ein Ende gesetzt und den Kurs von 100 francs Colonies fran~aises d'Afrique (C. F. A.) zu 170 francs metropolitains festgesetzt. Während die Käuferin unter Berufung auf den gemeinsamen Gesellschaftssitz in der Metropole die Kaufsumme in francs metropolitains zahlen wollte, verurteilte sie der Kassationshof zur Zahlung eines Betrages 1,7 mal höher als von der Käuferio angeboten. Die Begründung lautete: "Attendu que les juges du fond ... ont, a bon droit, degage l'economie de l'operation contractuelle en recherchant l'intention presumee des parties quant a la localisation de celle-ci et a ses consequences relatives a la monnaie de reglement; ... en contractant ainsi, les parties ont entendu faire une operation qui se realisait en son entier a la colonie, et, au cas de variation de la monnaie, ne pouvait etre regie que par le regime applicable en Afrique occidentale, ou se trouvait le bien vendu et devait etre paye le prix, l'un etant la contre-partie de l'autre et commandes tous deux par la parite monetaire; .. . le motif essentiel et determinant de la decision est fonde sur la volonte presumee des parties contractantes, deduite souverainement des circonstances de fait enumerees par la Cour, de soumettre au regime de parite en vigueur en Afrique occidentale franc;aise, l'operation litigieuse, executee et realisee au Dahomey, interessant exclusive31 Vgl. auch Batiffol I Lagarde (I) S. 336, wo allerdings nur die durch die politische Teilung Deutschlands initiierten Privatrechtskonflikte als Beispiele für interzonale Konflikte aufgeführt sind. 32 Cass. v. 24. 4. 1952, Sirey 1952 I, S. 185 = Penant 63 (1953), S. 225 = Rev. crit. dr. int. pr. 41 (1952), S. 502; Anm. Motulsky, Rev. crit. dr. int. pr. 41 (1952), s. 504 ff. 33 de Soto, Penant 63 (1953), S. 228.

208

4. Teil: Französische Rechtsprechung

ment l'activite outre-mer des societes en cause et, plus generalement, l'economie colonialeu." Batiffo!35 sieht hier sogar ein Beispiel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für seine Meinung, daß im IPR des Vertrages ein mutmaßlicher Wille der Parteien nicht auf das anwendbare Recht unmittelbar gerichtet sein könne, sondern nur auf die Lokalisierung des Rechtsverhältnisses an einem bestimmten Ort: "La Cour ... admet qu'il existe une volonte des parties quant a la localisation du contrat, sans que les parties aient eu en vue la loi applicable ... la pretendue volonte presumee en l'absence de clause expresse est du domaine du mythe." Andere Kritiker der Entscheidung36 weisen dem "recours a l'intention des parties" nur die Bedeutung eines "moyen de technique juridique d'arriver a un resultat equitable et conforme a la realite economique" 37 auch innerhalb des "conflit interzone" zu. 3. Der "interprovinzielle" Konflikt

Der interprovinzielle oder interregionale Konflikt38 innerhalb der Metropole wird in Frankreich stets anhand des Verhältnisses des Rechts von Elsaß-Lothringen zu dem der übrigen Rechtsregion erläutert und nicht nur formal vom interkolonialen Kollisionsrecht unterschieden. Nach Art. 7 der Loi prevenant et reglant des conflits entre la loi fran!;aise et la loi locale de l'Alsace et Lorraine en matiE~re de droit prive vom 24. 7. 192139 war in Ermangelung einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Rechtswahl auf einen Vertrag das Recht des Erfüllungsortes anzuwenden: "Les effets de tous les actes juridiques volontaires, et notamment des contrats, sont determines, sous reserve des art. 10 a 13, par la loi a laquelle les parties se sont referees. A defaut de reference expresse ou tacite, le juge appliquera la loi du lieu de l'execution." Im Gegensatz zu Art. 10 desselben Gesetzes war es nach Art. 11 Abs. 2 der Loi portant introduction des lois commerciales fran!;aises dans les departements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle Cass. v. 24. 4. 1952, Sirey 1952 I, S. 186. Sirey 1952 I, S. 185. 36 de Soto, Penant 63 (1953), S. 228. 37 de Soto, Penant 63 (1953), S. 229. 38 Batiffol/ Lagarde (I) S. 332 f. 39 Sirey 1924 IV, S. 1465 (1467); vgl. dazu Niboyet (Conflits) S. 256 ff.; vgl. zur Aktualität dieser Bestimmung, Cass. (eh. soc.), Ste des Laboratoires DAUL c. La Boyanderie Sabourand, Urt. v. 26. 11. 1975, Rev. jur. Als. Lorr. 56 (1976), s. 26 ff. 34

35

III. Vertragsstatut im französischen Recht

209

vom 1. 6. 192440 den Parteien nicht gestattet, durch Rechtswahl oder Option ihr Vertragsverhältnis den zwingenden lokalen Rechtsvorschriften zu entziehen: "... Toutefois, ne peuvent etre stipulees, meme par voie d'option pour la legislation fran{!aise, des clauses prohibees par le droit local maintenu en vigueur". Diese Bestimmung wurde anders als Art. 7 des Gesetzes vom 24. 7. 1921 41 als Ausdruck des "droit commun des conflits interprovinciaux" auch im interkolonialen Kollisionsrecht angewendet. Der Grund war, daß, wenn der französische Gesetzgeber nur in einem Teil des französischen Territoriums zwingende Bestimmungen aufstelle oder aufrechterhalte, deren Beachtung bei hinreichender Verknüpfung auch gegen den Parteiwillen durchsetzen wolle42 •

UI. Das Vertragsstatut im französischen IPR Anders als etwa der neue algerische Code civil (Art. 18) enthält der französische Code civil keine positive Regelung des Statuts für heterogen verknüpfte Verträge. Rechtsprechung und Lehre überlassen solche Verträge der "loi d'autonomie". Die lex voluntatis erfährt hier eine spezifisch "französische" Variante, als der Lokalisierung des Vertrages als Hilfsbegriff (notion intermediaire) eine ausgeprägte Bedeutung zukommt 43 • Der Grundsatz, daß jeder international verknüpfte Vertrag notwendig einem staatlichen Recht unterstellt ist (" Tout contrat international est necessairement rattache a la loi d'un Etat" 44), scheint neuerdings der Zulässigkeit eines "contrat valable independamment de la reference a toute loi etatique" zu weichen45 • Für eine Rechtswahl durch die Vertragskontrahenten soll jedoch lediglich bei Verträgen internationalen Charakters Raum sein, nicht bei reinen Inlandsverträgen46 • Sirey 1924 IV, S. 1540 (1545). Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 374. 42 Dennery, Rev. indochin. 10 (1939), S. 375. 43 Batiffol I Lagarde (II) S. 236 ff. 44 Vgl. Cass. v. 21. 6. 1950, L'Etat fran!;ais c. Comite de la Bourse d'Amsterdam et Sieur Mouren, D. 1951, S. 749. 45 Vgl. im Hinblick auf die Gültigkeit einer Schiedsahrede (accord compromissoire) App. Paris v. 13. 12. 1975, Menicucci c. Mahieux, Rev. crit. dr. int. pr. 65 (1976), S. 507; vgl. auch Batiffol I Lagarde (II) S. 251, die die "formation d'un droit prive commun international, sorte de jus gentium moderne" in Erwägung ziehen; Deby-Gerard S. 175 ff.: "Le droit des contrats peut-il echapper au reglement des conflits de lois?" 46 Batiffol I Lagarde (II) S. 242, 244; Batiffol, Rep. dr. int. (Encycl. D.), 1, Nr. 5. 4o

41

14 Wohlgemuth

4. Teil: Französische Rechtsprechung

210

Ob eine nachträgliche Rechtswahl (choix tardif) zulässig ist, ist soweit ersichtlich - weder in der französischen Lehre noch in der Rechtsprechung behandelt worden. Dem späteren Verhalten der Parteien nach Abschluß des Vertrages etwa im Zeitpunkt der Klageerhebung ("attitude des parties posterieurement au contrat") kommt auch im französischen Recht Bedeutung bei der Ermittlung der stillschweigenden Rechtswahl (Bestimmung der Vertragslokalisierung) zu47 • Diejenige Meinung in der französischen Lehre, die den Vertrag jeweils an einem bestimmten Ort lokalisiert sieht, nicht aber in der Rechtsordnung eines bestimmten Staates angesiedelt, will das an einem Ort jeweils aktuell geltende Recht angewendet wissen, unabhängig davon, welcher Art die Rechtsänderungen sind48• Selbst für einen Souveränitätswechsel soll danach keine Ausnahme gelten49 : "Puisque les parties ont simplement localise leur contrat, celui-ci est soumis a la loi du lieu ou il est localise avec les variations dont cette loi est susceptible - que ces variations d'ailleurs proviennent d'un changement de l{~gislation ou d'un changement de souverainete - et campte tenu, evidemment des regles de conflit dans le temps posees ou appliquees par le ll~gislateur competentso." Allerdings soll es nach dieser Ansicht den Parteien gestattet sein, eine "sukzessive" Rechtswahl zu treffen, und zwar auch in dem Sinne, daß die Maßgeblichkeit eines anderen Rechts als das erste Vertragsstatut von einem künftigen Ereignis, etwa einem Souveränitätswechsel oder einer Rechtsänderung, abhängig gemacht werden kann (aufschiebend oder auflösend bedingte Rechtswahl). "On peut enfin supposer que ce soient les parties elles-memes qui aient decide que leur contrat, a execution successive par hypothese, serait regi jusqu'a tel moment par telle loi et ulterieurement par telle autre loi: pareille combinaison n'est pas plus irrationnelle que par le partage du cantrat entre plusieurs lois d'apres les differents actes d'execution. On peut meme admettre que les parties aient subordonne la localisation a un evenement futur incertain ou a une option - ce qui n'empechera pas le juge de determiner la localisation provisoire (et definitive en cas de defaillance de la condition) du contrat51."

IV. Das Schuldstatut im intertemporalen Recht Als durch das französische Gesetz vom 5. 1. 1883 anstelle der gesamtschuldnerischen Haftung (responsabilite solidaire) der Mieter für '7

Batiffol/ Lagarde (Il) S. 268 f.; Tomaszewski, Rev. crit. dr. int. pr. 61

(1972), s. 576 ff. es s. oben 1. Teil I. '9

Go

51

Vgl. auch das Urteil des H. C. J. (Q. B.) oben 1. Teil X. 3. b). Batiffol (Contrats) S. 68. Batiffol (Contrats) S. 69; Batiffol/ Lagarde (II) S. 238 f., Fußn. 16-3.

V. Verändertes Vertragsstatut im selben Staat

211

Brandschäden an dem gemieteten Haus eine teilschuldnerische Haftung (responsabilite conjointe) ohne ausdrückliche Übergangsregelung eingeführt wurde, nahm die französische Rechtsprechung zur Frage der intertemporalen Anwendung (droit transitoire) wie folgt Stellung: "Les contrats passes sous l'empire d'une loi ne peuvent recevoir aucune atteinte par l'effet d'une loi posterieure." Das neue Recht fand mithin keine Anwendung auf Mietverträge aus der Zeit vor der Gesetzesänderung. Die Haftung des Mieters, dessen Mietvertrag vor Erlaß des neuen Gesetzes begründet worden war, unterlag bei Brandschäden innerhalb der gemieteten Räume der Bestimmung des früheren Art. 1734 C. c. Es kam nicht darauf an, wann der Brand ausgebrochen war. Als Grund der Haftungsbeziehung wurde nicht das schädigende Ereignis, sondern das durch den Mietvertrag entstandene Schuldrechtsverhältnis angesehen52• In der französischen Lehre zum "droit transitoire" des Schuldstatuts erfuhr der Grundsatz des Art. 2 C. c. ("La loi ne dispose que pour l'avenir; elle n'a point d'effet retroactif") bis heute folgende Verfeinerung: Die Nichtrückwirkung neuen Rechts zum Schutze bestehender Verträge53 gilt stets, (a) wenn es abweichende Nichtigkeitsgründe einführt (rechtswirksame Verträge können durch neue Bestimmungen nicht ungültig werden, wie andererseits anfänglich nichtige Verträge durch spätere Gesetze nicht validiert werden sollen); (b) wenn es Bestimmungen enthält, die die "gegenwärtigen" Vertragswirkungen betreffen (alte Auflösungsgründe, nach denen ein Vertrag von Anfang an unwirksam oder rechtsunverbindlich ist, können nicht in der Weise durch neue (ex nunc-wirkende) Gründe ersetzt werden, daß sie auf laufende Verträge anwendbar sind); gilt nur dann (c), wenn die neuen Bestimmungen für die künftigen Wirkungen eines laufenden Vertrages oder die Auflösungsgründe in futurum ausdrücklichen vorherigen vertraglichen Vereinbarungen entgegenstehen. Das Prinzip der "survie de la loi ancienne dans les contrats en cours d'effet" garantiert über die Bestimmung des Art. 2 C. c. hinaus, daß die Zukunft des Vertrages dem Ausgangs- (Initial-)recht überlassen bleibt54•

V. Bestimmung des Vertragsstatuts bei Veränderungen des Rechts im gleichbleibenden Staatsgebiet Unterliegt das auf einen Vertrag anfänglich anwendbare Recht Änderungen durch den Gesetzgeber des Ausgangsstatuts (Veränderungen 62 63

54

Roubier S. 361. Roubier S. 383 f. Roubier S. 383 f.

212

4. Teil: Französische Rechtsprechung

innerhalb des Statuts bei gleichbleibendem Geltungsgebiet; "conflit international transitoire"), dann überläßt es die französische Rechtsprechung grundsätzlich dem Willen der Parteien, ob die laufende Vertragsbeziehung entsprechend den Übergangsbestimmungen der lex causaeVeränderungenunterworfen sein soll oder nicht55• Den Parteien ist es mithin vorbehalten, auch eine starre Rechtswahl zu treffen. 1. Rechtsänderungen niclltrevolutionärer Art

Rechtsänderungen, deren Urheber ein nichtrevolutionärer Gesetzgeber ist56, finden in Ermangelung eines zum Ausdruck gebrachten gegenteiligen Willens der Parteien auch dann Anwendung, wenn sie die Rechtswirkungen bestehender Vertragsbeziehungen unmittelbar beeinflussen wollen. (1) Gegauff c. Ginther Der Kassationshof57 hatte im Jahre 1912 folgenden "elsässischen" Fall entschieden: Die klagende Molkereigesellschaft aus Mulhouse hatte mit dem Beklagten am 1. 7. 1897 in Mulhouse einen Vertrag geschlossen, bezüglich dessen wiederum im Elsaß im Jahre 1908 eine Novation vereinbart wurde. Im Elsaß (von 1871 bis 1918 deutsch) wurde mit Inkrafttreten des deutschen BGB der für das Elsaß rezipierte Code civil aufgehoben. Der Kassationshof beurteilte die Wirksamkeit der Novation unter eigenständiger Interpretation (interpretation souveraine) der Übergangsbestimmung des Art. 170 EGBGB nach dem früheren Code civil, ohne freilich ausdrücklich auf den Willen der Parteien abzustellen. (2) Vidal c. Societe Lucien Berthet et Cie. Eine Entscheidung des Tribunal de grande instance de la Seine58 aus dem Jahre 1960 ist ebenfalls Ausdruck der Haltung, die Übergangsregelung des Wirkungsstatuts bei Fehlen eines konkreten Parteiwillens zu befragen, ob altes oder neues Recht Anwendung findet. 55 Graulich S. 133, Fußn. 5; ders., Rep. dr. int. (Encycl. D.), 1, Nr. 106 ff.; Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 413, Fußn. 64, S. 403, Fußn. 28; Gavalda S . 338; Niboyet (Traite) S. 57, Fußn. 1; Roubier, Rev. dr. int. pr. 26 (1931), S. 41 f.; Simon-Depitre, Rev. crit. dr. int. pr. 50 (1961), S. 201; vgl. allgemein zur zeitlichen Anwendung ausländischen Rechts (application de la loi etrangere dans le temps): Batiffol/ Lagarde (I) S. 420 ff.; vgl. zum Ehe- und Ehegüterrechtsstatut rechtsvergleichend: Giardina, Rev. crit. dr. int. pr. 61 (1972), s. 401 f. 58 s. oben 1. Teil!. 57 Cass. v. 18. 11. 1912, Rev. int. pr. 9 (1913), S. 482. 58 Trib. gr. inst. Seine v. 1. 6. 1960, Rev. crit. dr. int. pr. 50 (1961), S. 195; Anm. Simon-Depitre, Rev. crit. dr. int. pr. 50 (1961), S. 198 ff.

V. Verändertes Vertragsstatut im selben Staat

213

Zwischen den Parteien des Rechtsstreits, einem Franzosen und einer französischen Gesellschaft mit Niederlassung in Saigon, hatte von 1938 bis 1955 ein Arbeitsverhältnis bestanden, das ausschließlich auf Indochina beschränkt gewesen war. Das Gericht wandte entsprechend den Einführungsbestimmungen des am 8. 7. 1952 in Kraft gesetzten Code du travail vietnamien die neuen Vorschriften des südvietnamesischen Arbeitsgesetzbuches an: " ... attendu qu'il est constant que ces dispositions vietnamiennes se sont appliquees immediatement en territoire vietnamien aux contrats encore en cours ä Ia date de leur promulgation et que cet effet immediat n'a rien qui soit contraire aux principes consideres comme d'ordre public en France". 2. Revolutionäre Rechtsänderungen

Wenngleich in der französischen Rechtsprechung nirgendwo explizit zum Ausdruck gebracht wurde, daß revolutionäre Rechtsänderungen im droit international transitoire des Vertrages anders einzuschätzen sind als Rechtsänderungen, deren Urheber ein nichtrevolutionärer Gesetzgeber ist, läßt sich doch am Beispiel der Urteile zu Verträgen von russischen Emigranten nachweisen, daß tatsächlich eine Differenzierung in dieser Hinsicht eingehalten wurde. Das gilt sowohl für die Entscheidungen, die vor der Anerkennung der Sowjetregierung durch Frankreich am 28. 10. 1924 ergangen sind, als auch für die danach59• 59 Vgl. Delehelle, Rev. crit. dr. int. priv. 22 (1927), S. 215 ff.; Grouber I Tager, Clunet 51 (1924), S. 26 f.; vgl. auch die Prozeßurteile: App. Aix v. 31. 5. 1923, Joudit.sky c. Givatovsky, Clunet 51 (1924), S. 104; Trib. civ. Seine v. 29. 11. 1926, G. c. Givatovsky, Clunet 54 (1927), S. 385; Trib. civ. Seine v. 30. 6. 1926, Clunet 54 (1927), S. 385. Am 3. 5. 1973 hat der Kassationshof in der Sache Stroganoff-Scherbatoff c. Bensimon, Rev. crit. dr. int. pr. 64 (1975), S. 426, entschieden, daß der Mangel der Anerkennung einer fremden Regierung es dem französischen Richter nicht erlaubt, die von der Regierung vor deren Anerkennung für das von ihr faktisch beherrschte Gebiet erlassenen Privatrechtsgesetze zu ignorieren. s. weitere Beispiele zu Nordvietnam und UdSSR Loussouarn, Rev. crit. dr. int. pr. 64 (1975), S. 428 f. Die belgisehe Rechtsprechung ist in der Frage uneinheitlich. s. zum rotchinesischen Scheidungsrecht Civ. Bruxelles v. 24. 11. 1958, Baurain c. Tchen, J . Trib. (Brux.) 74 (1959), S. 189, wo nicht darauf abgestellt wurde, ob die fremde Regierung anerkannt worden war oder nicht; s. Anm. Ondel, J. Trib. (Brux.) 74 (1959), S. 189 f. s. dagegen Trib. civ. Bruxelles v. 16. 6. 1928, Digmeloff c. Officier de l'etat civil de St-Josse-Ten-Noode, Belg. jud. 86 (1928), S. 470, wo das religiöse russisch-orthodoxe Scheidungsrecht der von Belgien anerkannten provisorischen "Kerensky-Regierung" und nicht das Recht der nichtanerkannten Sowjetregierung angewendet wurde. Vgl. auch Vander Eist S. 133. Gemäß der Entscheidung Civ. Bruxelles v. 5. 4. 1951, Pulenciks c. Augustovskis, J. Trib. (Brux.) 68 (1953), S. 688, wiederum sollte selbst die von Belgien nicht anerkannte Annexion Lettlands durch die Sowjetunion kein Hinderungsgrund sein, auf eine Scheidung von Ehegatten aus Lettland, die 1947 in Westdeutschland geheiratet hatten, sowjetisches Recht anzuwenden, vgl. ablehnend Sluszny, J . Trib. (Brux.) 68 (1953), S. 689.

214

4. Teil: Französische Rechtsprechung

Das Tribunal de Pont-l'Eveque beispielsweise führte in seinem Urteil vom 17. 12. 192460 über zwei in Moskau am 10. 12. 1916 gezeichnete Wechsel aus: "... qu'il n'y a pas lieu pour le moment d'etudier si le Code sovietique doit etre applique pour solutionner ce litige et rechercher si les articles de ce Code relativerneut aux dettes privees seraient contraires aux dispositions de l'art. 3 du Code civil; ...". Folgende Meinung zu diesem Problem gibt wohl den Stand zumindest der damaligen französischen Doktrin wider: "La reference a la loi imperiale apres la reconnaissance du regime sovietique presente infiniment moins de difficulte. Cette loi a eu une existence legitime jusqu'au jour ou la loi revolutionnaire est venue la remplacer; elle est precise, facile a connaitre, et les tribunaux etrangers l'ont appliquee a maintes reprises. On ne voit pas pourquoi les interesses ne l'adopteraient pas lorsque leur volonte est autonome. Peut-etre les tribunaux sovietiques ecarteront-ils le contrat ou l'acte ainsi redige. Mais cette crainte, que nous voudrions croire chimerique, ne saurait exercer d'influence sur la decision des juges etrangers, qui jouissent d'une pleine independance, et n'ont a connaitre d'autre systeme pour le conflit des lois que celui de leur propre legislateur ... Dans tous les cas douteux, il convient de verifier si le conflit ne releve pas de l'autonomie de la volonte, et de rechercher, selon les presomptions ordinaires, l'intention des interesses ..."81 • 3. Änderungen des zwingenden Schuldrechts

Ebenso wie bei Rechtsänderungen, die auf einen revolutionären Umsturz zurückgehen, vermutet die französische Rechtsprechung bei Änderungen des zwingenden Schuldrechts innerhalb des maßgeblichen Vertragsstatuts stets einen Willen der Parteien, das Vertragsverhältnis "festzuschreiben". Diese Vermutung gilt nur dann nicht, wenn eine ausdrücklich bekundete entgegenstehende Absicht der Parteien dagegenspricht. (1) Soc. Hirschfeld c. Epoux Wuhler In einem Urteil vom 14. 4. 1934&2 , Soc. Hirschfeld c. Epoux Wuhler, ließ der Kassationshof das deutsche Gesetz vom 24. 12. 1923, durch das rückwirkend die Grunderwerbssteuer (droit de mutation) erhöht worden war, für einen deutschem Recht unterstellten Kaufvertrag zwischen einer französischen Gesellschaft und einem deutschen Ehepaar über ein in Mannheim gelegenes Grundstück deswegen unberücksichtigt, weil eine ausdrücklich andere Vereinbarung der Parteien fehlte. 80

81 82

Trib. civ. Pont-l'Eveque, Ga_z. Pal. 1925 I, S. 472. Champcommunal, Rev. crit. dr. int. priv. 19 (1924), S. 533 f. Cass. v. 14. 4. 1934, Gaz. Pal. 1934 I, S. 1005:

V. Verändertes Vertragsstatut im selben Staat

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"... les droits ... une fois regles dans les rapports de l'acheteur et du vendeur, ne sauraient, sous reserve des engagements resultant d'une convention expresse des parties, etre actionnes ... en vue d'une loi etrangere retroactive intervenue posterieurement a l'acte de vente". Die untere Instanz, das Appellationsgericht Colmar, dagegen wollte das rückwirkende deutsche Gesetz angewendet wissen. "... que l'acheteur d'un immeuble sis a l'etranger se soumet aux lois du pays regissant la vente des biens situes sur son territoire, et que, le legislateur pouvant deroger a l'art. 2 c. civ. en edictant des lois retroactives, rien ne s'oppose a ce que le juge fran(;ais applique les lois etrangeres ayant un tel caractere ...". Der Kassationshof indessen verwarf diese Begründung auch deshalb, weil die aus Art. 2 C. c. entwickelten Rückwirkungsgrundsätze nicht gelten würden, soweit ausländische fiskalische Gesetze in Frage stünden63• (2) Prevost c. Hampele In der Entscheidung Prevost c. Hampele aus dem Jahre 1935 nahm der Kassationshof64 den gleichen Standpunkt ein wie in Soc. Hirschfeld c. Epoux Wuhler. Hier ging es um die Anwendung der deutschen Verordnung vom 25. 3. 1919 über die Notifikation der Geltendmachung gesetzlicher Zinsen von Schuldforderungen aus der Kriegszeit. "... en se fondant sur la volonte presumee des parties, qu'en l'absence de toute indication contraire, les effets de la convention envisagee devaient etre determines par la loi du lieu et du temps ou elle avait ete souscrite; qu'il en deduit a bon droit que les interets reclames, en raison de leur origine contractuelle, echapperaient a la decheance edictee par le decret du 25 mars 1919, ... ". Daß ein fremdes Recht einen Vertrag beherrschen sollte, wie es zur Zeit des Vertragsabschlusses gegolten hatte, nicht aber, wie es aktuell in Geltung stand, veranlaßte Niboyet65 wohl als ersten, davon zu sprechen, daß ein Vertrag ein "veritable apatride du droit" sein könne. (3) Etat fran!;ais c. Comite de la Bourse d'Amsterdam et Moureu

Haben die Vertragsparteien durch Aufnahme einer Klausel in ihr Vertragswerk, die die Wertsicherung der Geldleistung garantieren soll, zu erkennen gegeben, daß sie sich späteren Währungsveränderungen entziehen wollen, dann gilt das nach Auffassung des Kassations63 Vgl. auch den Grundsatz des "effet strictement territorial" ausländischer Gesetze fiskalischer Natur, der vornehmlich im Zusammenhang mit der Aufhebung der Goldklauseln durch die Joint Resolution of Congress vom 5. 6. 1933 von der französischen Rechtsprechung entwickelt worden war: Anm. zu Cass. 14. 4. 1934, Gaz. Pal. 1934 I, S. 1006; van Hecke S. 207; Mann (Money) S. 305 f.; Gavalda S. 380 ff. 84 Cass. v. 15. 5. 1935, Rev. crit. dr. int. pr. 31 (1936), S. 463. 65 Niboyet, Rev. crit. dr. int. pr. 31 (1936), S. 464 f.

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4. Teil: Französische Rechtsprechung

hofes, Etat franc;ais c. Comite de la Bourse d'Amsterdam et Moureu vom 21. 6. 195066 , auch als ausdrücklich starre Rechtswahl gegenüber dem maßgeblichen Vertragsstatut: "... si tout contrat international est necessairement rattache ä la loi d'un Etat, il appartient aux parties ä un tel contrat de convenir, meme contrairement aux regles imperatives de la loi interne appelee ä regir leurs conventions, une clause valeur-or, dont la loi fran!;aise du 25 juin 1928 reconnait la validite en conformite avec la notion fran!;aise de !'ordre public international. Attendu que ... les contractants s'etaient referes ä ... la loi canadienne en vigueur lors de la formation du contrat et qu' . . . ils avaient, par avance, entendu soustraire leurs conventions ä toutes mesures legislatives susceptibles de diminuer le montant de la dette ...".

VI. Der conflit mobile Nicht anders als der Begriff des Statutenwechsels im gegenwärtigen westdeutschen IPR-Schrifttum67 umfaßte der Begriff des conflit mobile (a) Veränderungen innerhalb des Statuts bei gleichbleibendem Geltungsgebiet68, (b) Veränderungen des Geltungsgebietes eines Statuts69 und (c) Veränderungen sowohl der Anknüpfungstatsachen70 als auch der rechtlichen Definition der Anknüpfungsmerkmale eines Statuts. Entwickelt wurde der Begriff des conflit mobile in Frankreich zunächst anhand der Fälle von Annex ionskonflikten. Da die Annexion ebenso wie die Gebietsabtretung eine Veränderung des Geltungsgebietes eines Statuts zur Folge hat, war es durchaus naheliegend, die Unabhängigkeit Algeriens als (solange es noch nicht unabhängig war nur hypothetisches71 ) Beispiel für einen "umgekehrten" Annexionskonflikt anzuführen, für den die Grundsätze des conflit mobile entsprechend gelten sollten72 • 1. Der Annexionskonflikt

In Frankreich hatten sich erstmals im Jahre 1860 die Probleme eines Annexionskonflikts ergeben, als durch den Vertrag von Turin zwischen Frankreich und dem Königreich Sardinien am 24. 3. 1860 das Herzogtum 86 Cour de cass. civ. 21. 6. 1950, Etat fran!;ais c. Comite de la Bourse d'Amsterdam et Moureu, Rev. crit. dr. int. pr. 39 (1950), S. 609; Anm. Batiffol, Rev. crit. dr. int. pr. 39 (1950), S. 611 ff. 67 s. oben 1. Teil VI. es s. oben 4. Teil V. eo s. unten 4. Teil VI. 4. 70 Nur darauf soll sich heute der conflit mobile beziehen, vgl. Fahmy S. 18; und s. unten 4. Teil VI. 4. 71 Graulich, Rep. dr. int. (Encycl. D.), 1, Nr. 8. 72 Graulich, Rep. dr. int. (Encycl. D.), 1, Nr. 11; vgl. auch Hage-Chahine

s. 315.

VI. "Conflit mobile"

217

Savoyen und die Graftschaft Nizza an Frankreich fielen. Die gleichen Fragen traten unter "umgekehrten Vorzeichen" auf, als durch den Vertrag von Frankfurt vom 10. 5. 1871 das Elsaß (außer Belfort) und Teile Lothringens an das Deutsche Reich abgetreten wurden. Die Rückgliederung Elsaß-Lothringens aufgrund des Versailler Vertrages vom 28. 6. 1919 führte wiederum zu Annexionskonflikten. (1) Prosper Donaudi c. Consorts Donaudi 1883 hatte der Kassationshof über die Gültigkeit des Testaments eines Sarden aus Nizza entschieden73 • Der sardische Testator hatte vor dem Vertrag von Turin ein Legat gegenüber seinen Enkelkindern an die Bedingung geknüpft, daß sie nur mit Einwilligung ihrer Mutter eine Ehe schließen dürften. Diese Bedingung wäre nach französischem Recht nichtig gewesen74 • Der Kassationshof aber hielt die Klausel nach sardischem Recht für gültig. Er wandte das früher geltende, von Frankreich für das annektierte Gebiet offensichtlich nicht rezipierte sardische Zivilgesetzbuch deshalb an, weil sowohl die Errichtung und die Eröffnung des Testaments als auch der Erbfall in die Zeit vor der Annexion fielen: ". . . en principe, le respect de la loi ancienne d'un pays annexe s'impose d'office aux tribunaux francais lorsqu'il s'agit de faits accomplis et d'interets nes avant l'annexion" 75 •

(2) Denuise et Demonge c. Philippe In dem Urteil des Tribunal civil d'Annecy von 189076 handelte es sich um ein Testament, das ein Sarde vor der Annexion in Frankreich errichtet hatte. Das Testament bezog sich auch auf Grundstücke in Savoyen (Testament eines Ausländers im Inland über ausländische Grundstücke, die aufgrund späterer Annexion "inländisch werden"). Das Testament wäre zwar nach französischem Recht formgültig gewesen, nicht aber nach sardischem Recht77• Cass. v. 22. 1. 1883, D. 1883 I, S. 147; Lacointa, S. 1884 I, S. 25. Zwar waren die Bestimmungen der Gesetze vom 5. Brumaire und 17. Nivose des Revolutionsjahres 2, wonach jede Bedingung verboten war, die die Eheschließungsfreiheit beeinträchtigte (vgl. Dutheillet-Lamonthezie, J.Cl. civ., Art. 900, Nr. 100), nicht in den Code civil aufgenommen worden. Die französische Rechtsprechung zu Art. 900 C. c. (dieser lautete: "Dans toute disposition entre vifs ou testamentaire, les conditions impossibles, celles qui seront contraires aux lois ou aux mceurs, seront reputees non ecrites") hatte gleichwohl den Grundsatz entwickelt, daß eine Klausel, die die Eingebung der Ehe an die Einwilligung eines Dritten (arbitratu alterius) knüpfte, ungültig war (vgl. Dutheillet-Lamonthezie, J.-Cl. civ., Art. 900, Nr. 116). 75 Cass. v. 22. 1. 1883, D. 1883 I, S. 149. 78 Trib. civ. Annecy v. 6. 2. 1890, Clunet 18 (1891), S. 243. 77 Danach erlangten Testamente von Sardiniern im Ausland in Sardinien nur Wirksamkeit, wenn sie einem sardischen Notar vorgelegt worden waren. 73

74

218

4. Teil: Französische Rechtsprechung

Das Gericht hielt das Testament insoweit für nichtig, als es die in Savoyen gelegenen Grundstücke betraf, zumal der Erblasser vor der Annexion verstorben war. Eine Validierung aufgrund der Annexion kam mithin nicht in Betracht, ebensowenig wie eine Annullierung im umgekehrten Fall eines nach französischem Recht unwirksamen Testaments. " ... il faut reconnaitre que le testament n'aurait pu produire d'effet que tout autant que le (testateur) aurait ete encore vivant lors de l'annexion de la Savoie a la France, parce qu'alors les biens sur lesquels il devait produire son effet etaient situes en France ..."78 • (3) Consorts Guthman c. Consorts Guthman

Das Urteil des Tribunal civil de Strasbourg von 192579 hatte ebenfalls einen Erbrechtsfall zum Gegenstand. Der Erblasser hatte 1890 als Sechzehnjähriger das Elsaß verlassen und sich der deutschen Staatsangehörigkeit entledigt. Er wanderte nach Argentinien aus und errichtete in Buenos Aires ein Juweliergeschäft. Später hielt er sich in Europa vornehmlich geschäftlich auf und betrieb in Paris, London und Straßburg seinen JuwelierhandeL 1915 verstarb er als Staatenloser in Genf, nachdem der Ausbruch des ersten Weltkrieges die Rückkehr nach Argentinien verhindert hatte. Nach französischem Kollisionsrecht wäre der Erbfall nach dem Domizilrecht des Erblassers, also argentinischem, gemäß dem nach der Annexion Elsaß-Lothringens aufrechterhaltenen deutschen Kollisionsrecht nach dem Recht des letzten Heimatstaates des Erblassers, folglich deutschem Recht, zu beurteilen gewesen. Ebenso wie bei der Maßgeblichkeit der Sachnormen im Zeitpunkt des Erbfalles läßt das Gericht für die Verweisungsnormen den Grundsatz der "Versteinerung" gelten: ". .. qu'il s'agit moins d'un conflit de lois internationales qu'intertemporaires .. ., la nouvelle legislation ne pouvant sans violer le principe de la non-retroactivite, atteindre un fait qui s'est realise avec toutes ses consequences juridiques sous l'empire d'une legislation anterieure; qu'en vertu de ce principe, et aucun interet d'ordre public ne s'y opposant le tribunal doit appliquer la H!gislation qu'il aurait dt1 appliquer au moment du deces du de cujus; ..."so. Das französische Gericht behandelte den Fall allerdings in Anwendung der rezipierten deutschen Kollisionsnormen, so wie ihn ein deutsches Gericht 1915 in Strasbourg behandelt hätte81 • Trib. civ. Annecy v. 6. 2. 1890, Clunet 18 (1891), S. 245. Trib. civ. Strasbourg v. 23. 11. 1925, Gaz. Pal. 1926 I, S. 391. 80 Trib. civ. Strasbourg v. 23. 11. 1925, Gaz. Pal. 1926 I, S. 392. 81 Vgl. auch zum Kindschaftsstatut des unehelichen Kindes einer dänischen Mutter und eines "elsässischen" Vaters, das vor der Annexion geboren wor78

79

VI. "Conflit mobile"

219

Diese zu den Privatrechtskonflikten infolg der Annexionen ergangenen Urteile der französischen Gerichte bewogen Bartin82, den Begriff des "conflit mobile" zu prägen83• Mit einem Gebietserwerb stelle sich notwendig die Frage, ob etwa früher auf dem annektierten Gebiet begründete Rechtsgeschäfte zwischen Bewohnern dieses Gebietes, die eventuell die Staatsangehörigkeit des annektierenden Staates erwerben, oder Rechtsgeschäfte über bewegliche oder unbewegliche Gegenstände innerhalb eines Gebietes, das Gegenstand einer Annexion ist, dem Recht des abtretenden oder dem des erwerbenden Staates unterliegen. Diese Frage sei eine solche der "conflits internationaux de lois". Zu diesen zählten auch die internationalen Konflikte sukzessiver Rechte. Für die Aufeinanderfolge bedeute es keinen Unterschied, ob sich eine Person oder eine Sache unter die Herrschaft eines anderen Rechts begebe oder ob infolge Souveränitätswechsels ein anderes Recht gegenüber bestimmten Personen oder Sachen Geltung beanspruche84• In der französischen Doktrin war allerdings streitig, ob der conflit d'annexion ein internationaler oder ein (intern) intertemporaler Konflikt sei85• Der Streit ist jedenfalls dann gegenstandslos, wenn die Fragen des Annexionskonfliktes86 als solche der Änderung des Geltungsgebietes eines bestimmten Statuts gesehen werden. Nach einer lokal begrenzten Rezeption des auf dem annektierten Gebiet bisher geltenden Rechts durch den annektierenden Staat mögen zwar sowohl der abtretende Reststaat als auch das annektierte Territorium des Erwerberstaates als Gebiete etwa ein und desselben Zivilgesetzbuches bezeichnet werden. Der Geltungsgrund des Gesetzbuches in den beiden Gebieten ist aber ein verschiedener, so daß insofern eine Veränderung des Geltungsgebietes des in Betracht kommenden Statuts eintritt. Ob ein einziger Geltungsgrund oder mehrere Geltungsgründe für gleichlautende Rechtssätze innerhalb verschiedener Rechtsgebiete vorliegen, ist eine für die Rechtsanwendung entscheidende Frage. Nicht anders verhält es sich im umgekehrten Fall, wo inhaltlich unterschiedliche Rechtssätze den war: Trib. civ. Strasbourg v. 18. 5. 1926, Schmidt c. Lindemann, Gaz. Pal. 1926 II, S. 484. 82 Vgl. Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 346. 83 Bartin S. 33, 193. 84

Bartin S. 31.

Vgl. dazu ausführlich mit w eiteren Nachweisen: Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S . 350. 88 Vgl. auch zum Verständnis des französischen Annexionskonflikts in Westdeutschland: Scheuermann S . 19 f. 85

220

4. Teil: Französische Rechtsprechung

einen einzigen Geltungsgrund87 haben, wie bei einem Mehrrechtsgebiet, wo in verschiedenen Gebieten unterschiedliches Recht gilt. Daß der annektierende Staat Sachverhalte, die ausschließlich in der Zeit vor der Annexion angesiedelt sind, durch Gleichstellung mit inländischen Sachverhalten ebenso "zu inländischen machen" kann, wie er durch Rezeption das fremde Recht "nationalisieren" kann88, ändert nichts daran, daß die "früheren" Sachverhalte vom Standpunkt des annektierenden Staates aus grundsätzlich Auslandssachverhalte sind, die unter der Herrschaft eines fremden Rechts gestanden haben. Daß der annektierende Staat nicht gehalten ist, die Bestimmung des anwendbaren Rechts in diesen Fällen mithilfe der Regeln seines IPR zu treffen, etwa weil das im Falle der Rezeption des fremden Rechts wegen der Inhaltsgleichheit der Rechte (früheres fremdes, jetziges inländisches Recht) als entbehrlich erscheint, ist kein Grund zu leugnen, daß die Annexion Konflikte auszulösen geeignet ist, die grundsätzlich in den Bereich des IPR gehören. Aufgabe des IPR ist es nämlich, nicht nur bei synchron heterogen verknüpften Sachverhalten das anwendbare Recht zu bestimmen, sondern auch bei diachron (sukzessiv) heterogen verknüpften Sachverhalten. 2. Der Begriff des conflit mobile in der gegenwärtigen Lehre

Rigaux als prominenter (belgischer) Vertreter der gegenwärtigen Lehre auf dem Gebiet des conflit mobile will darunter die Wandlung derjenigen Elemente eines Rechtsverhältnisses verstehen, die von einer Kollisionsnorm als Lokalisierungshinweise oder Anknüpfungspunkte gewählt worden sind: 87 Der Geltungsgrund braucht allerdings nicht immer nur der Wille eines einzigen staatlichen Gesetzgebers zu sein (oder nur in einem einzigen Rechtserzeugungssystem zu liegen), er kann auch auf dem Willen zweier oder mehrerer staatlicher Gesetzgeber beruhen, so wenn durch zwischenstaatliche bioder multilaterale Abkommen die Frage der Geltung eines Rechts oder des anwendbaren Rechts geregelt wird, vgl. Staatsvertrag zwischen Baden und Württemberg von 1843, s. oben 1. Teil li; vgl. auch das niederländisch-indonesische Übergangsabkommen von 1949, s. oben 2. Teil II. 88 Als "assimiliertes" Recht unterlag das deutsche Recht in Elsaß-Lothringen der Kontrollbefugnis des Kassationshofes, die für ausländisches Recht ansonsten nicht besteht. Das galt auch für Recht aus der Zeit vor der Annexion und vor der Rezeption, vgl. Batiffol I Lagarde (I) S. 433. Unzutreffend deshalb Engeland S. 100, Fußn. 5, wonach das deutsche Recht in Elsaß-Lothringen selbstverständlich nicht vom Kassationshof untersucht worden sein soll, soweit es als in Deutschland geltendes Recht herangezogen worden war. Umgekehrt hat der Kassationshof die Kontrollbefugnis über Recht verloren, das nach der Unabhängigkeit in ehemals französischen Besitzungen aufrechterhalten wurde, vgl. Batiffol I Lagarde (I) S. 434.

VI. "Conflit mobile"

221

"On appelle conflit mobile le mouvement imprime au rapport juridique, en ceux de ses elements que la regle de conflit de lois a choisis pour indices de localisation ou facteur de rattachement89 ." Der conflit mobile soll vom "conflit transitoire de droit international prive" (Veränderung der Kollisionsnormen innerhalb der lex fori) und vom "conflit transitoire de droit etranger" (Veränderungen innerhalb einer fremden lex causae) dadurch unterschieden werden, daß im ersteren Fall lediglich die Änderung des maßgeblichen Rechts eine Folge der Veränderung der Anknüpfungstatsachen eines Sachverhaltes ist. Weder die Änderung der Definition der Anknüpfung durch neue Kollisionsnormen noch die Rechtsänderungen innerhalb eines maßgeblichen Statuts sollen mit einbezogen werden9 o. Die durch einen Souveränitätswechsel initiierten Konflikte, die für Bartin ursprünglich der Anlaß waren, vom conflit mobile zu sprechen, sollen nach Rigaux gerade nicht zu den conflits mobiles zu rechnen sein: "... l'influence exercee sur les litiges de droit prive par les changements de souverainete est sans analogie avec le conflit mobile ..." 91 • "Qu'ils appartiennent, ou non, au droit international prive, les changements de loi lies aux modifications territoriales doivent etre juges etrangers a la theorie du conflit mobile en droit international prive92." Der Souveränitätswechsel, der dadurch eintritt, daß ein Gebiet die Unabhängigkeit erlangt, ist im Vergleich zur Annexion für Rigaux eine "situation ... beaucoupplus simple" 93 : "L'Etat nouveau ne connaitra d'autre problerne qu'un conflit transitoire interne, apres qu'il aura substitue un droit propre au droit anterieur a la secession94." In Übereinstimmung mit Niederer95 unterscheidet Rigaux 96 im Hinblick auf die Anknüpfungsfrage zwischen der Begründung eines Rechtsverhältnisses und dessen Wirkungen: "Quand le conflit mobile est relatif au premier point (la formation du rapport juridique), il faut concretiser le facteur de rattachement au moment ou le rapport de droit se constitue." Danach ist für die Begründung eines Rechtsverhältnisses die Verknüpfung im Begründungszeitpunkt ausschlaggebend. Die Wirkungen eines Dauerrechtsverhältnisses sind im Zeitpunkt ihres jeweiligen EinRigaux, Rec. Cours 117 (1966 1), S. 357. Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 1), S. 355. 01 Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 1), S. 353; vgl. auch Batiffol I Lagarde (I) s. 405 f. 92 Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 354. 93 Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 351. 94 Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 1), S. 352. vs Vgl. Niederer S. 359 f. 98 Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 1), S. 366. 89

90

222

4. Teil: Französische Rechtsprechung

tritts anzuknüpfen, es sei denn, die Unwandelbarkeit des Dauerrechtsverhältnisses ist ausdrücklich statuiert. Die Wirkungen eines durch Erfüllung untergehenden Rechtsverhältnisses unterstehen hingegen dem im Zeitpunkt der Entstehung des Rechtsverhältnisses anzuknüpfenden Recht. Rigaux97 ist jedoch mit Balladore Pallieri98 der Meinung, daß es ein allgemeines Anknüpfungskriterium, das "vor die Klammer" gestellt werden könnte, nicht gebe: ".. . que les difficultes entrainees par l'application immediate d'une loi B aux effets juridiques de la situation dont l'acquisition est regie par la loi A ne sauraient etre resolues a priori, mais seulement cas par cas". Bartin, der für den durch Zeit und Raum zweifach verursachten Konflikt "ingenieusement" 99 das Wort vom conflit mobile gefunden hat, ließ sich, soweit es um Verträge ging, von nichts anderem als dem Gedanken der "droits acquis" leiten. Die Idee, daß ein internationaler Respekt gegenüber wohlerworbenen Rechten zu fordern sei, war von Pillet1°0 gerade am Beispiel des Annexionskonfliktes vertieft worden. Die Achtung wohlerworbener Rechte sollte nach Bartin dann praktisch auch eine Versteinerung des Vertragsstatuts gebieten1o1• Für die Gerichte ("plus lente a s'souvrir aux idees nouvelles") wurde der Gedanke der wohlerworbenen Rechte alsbald zur "motivation commode" 102 • Die Lehre indessen ist skeptisch geworden: "N'est-elle point un peu comme ces auberges espagnoles ou l'on ne trouvre que ce que l'on y apporte1oa?" Die Fragen seien damit nicht beantwortet, es bedeute nur: "Resoudre la question par la question104. " 3. Vertragsstatut und conflit mobile

Nach der Definition des conflit mobile in der gegenwärtigen Doktrin kann nur ein variables Anknüpfungsmerkmal eine Wandlung des Statuts auslösen, nicht aber ein konstantes AnknüpfungsmerkmaP 05 • Bildet Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 366. Balladore Pallieri S. 92. 99 Graulich S. 123. 1oo Pillet S. 11 f., 119 ff. 101 Bartin S. 194 f. 102 Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 362 f. 103 Gavalda S. 60. 104 Arminjon, Rec. Cours 44 (1933 I), S. 81; vgl. Rigaux, Rec. Cours 117 97 98

(1966 I), S. 363. 105

Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 357.

VI. "Conflit mobile"

223

den "facteur de rattachement" ein Ereignis (evenement) an einem Orte, wie etwa der Abschluß eines Vertrages, die Begehung einer unerlaubten Handlung etc. 106, so soll durch die zeitliche Fixierung das Statut "festgeschrieben" sein. Zum Teil wird pauschal behauptet, ein conflit mobile sei bei solchen Statuten ausgeschlossen, die der Herrschaft der Parteiautonomie unterworfen sind. Die nach Begründung eines Rechtsverhältnisses eintretenden Ereignisse könnten dann nur dazu dienen, die dem Willen der Parteien anheimgestellte anfängliche Verknüpfung zu erhellen ("des indices retrospectifs permettant de deceler le rattachement originaire")107. Nach französischem Kollisionsrecht sei deshalb ein conflit mobile nicht nur für das Vertragsstatut, sondern auch für das Ehegüterrechtsstatut unmöglich, da auch dieses dem Grundsatz der Parteiautonomie unterliegttos. 4. Conjugaison d'un conflit mobile et d'un changement de souverainete

Die Veränderung des Geltungsgebietes eines bestimmten Statuts wird jedoch nicht vollständig aus dem Regelungsbereich des conflit mobile ausgeklammert, wenn - wie Rigaux es tut - der Fall der "Verschmelzung des Statutenwandels mit dem Wechsel der Souveränität" (conjugaison d'un conflit mobile et d'un changement de souverainete) in die Betrachtung des "beweglichen Konflikts" mit einbezogen wird. Der Fall, daß die Bewohner eines zur Unabhängigkeit gelangten Gebietes ihre Heimat verlassen, um im Reststaat oder in einem dritten Staat neuen Wohnsitz zu begründen, sei ein Beispiel dafür, daß einem Souveränitätswechsel allenfalls conflits mobiles "aufgepropft" sein könnten (greffes sur un changement de souverainete): "Ce conflit mobile n'est pas sans influence sur le droit applicable a une situation privee, notamment quand elle releve de la loi d'autonomie et que le juge doit choisir entre le droit nouveau introduit sur le territoire ayant change de souverainete et le droit ancien de ce territoire, demeure en vigueur au lieu de la residence des parties interessees." Für ein Statut, das der Parteiautonomie unterliegt, sei der Umstand, daß sich die Vertragspartner den Rechtsänderungen infolge Souveränitätswechsels entziehen, und zwar in Gestalt der ältesten Konkretisierung der Anknüpfung, nämlich durch Wegzug oder Flucht aus dem betreffenden Gebiet, nicht bedeutungslos für die Wahl der Anknüpfung zwischen altem und neuem Recht1°9 • 1oa 101 10s

109

Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 1), S. 358. Francescakis S. 192, Fußn. 1. Graulich, Rep. dr. int. (Encycl. D.), 1, Nr. 54 f. Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 413 f.

224

4. Teil: Französische Rechtsprechung

"En n~alite, le conflit mobile compense les effets du changement de souverainete: en quittant le territoire annexe pour une partie du meme Etat qui n'en a pas ete detachee (et meme pour unEtat tiers), les interesses ont manifeste leur volonte de demeurer sous l'empire du droit designe par la plus ancienne concretisation du facteur de rattachement110." Der Souveränitätswechsel als solcher könne die Wirkung haben, daß beispielsweise ein Vertrag unmittelbar dem neuen Recht unterfalle: "... les modifications apportees a la loi du contrat, meme si elle a ete choisie par les parties, sont immediatement applicables aux contrats en cours, parfois meme avec effet retroactif, dans la mesure precisee par le legislateur competent". Das gelte wegen der "conjugaison d'un conflit mobile et d'un changement de souverainete" nicht, wenn die Parteien das Gebiet, auf dem der Souveränitätswechsel eingetreten ist, verlassen haben: "Si les parties a la relation contractuelle ont quitte le territoire ayant change de souverainete, il faut soustraire leur relation aux modifications legislatives qui ont accompagne ou suivi ce changement (rattachement de rechange) 111 . " Hier soll zusätzlich die mit Reserve- oder Ersatzverknüpfung (rattachement de rechange) wiedergegebene, von Wengier verwendete Nachschubverknüpfung112 eine Rolle spielen für die Maßgeblichkeit bzw. Unmaßgeblichkeit des vom neuen Souverän eingeführten Rechts. VII. Faux conflit bei Änderung des Geltungsgebietes des Vertragsstatuts? In einigen der ersten Urteile der französischen Gerichte zu Verträgen, die Algerienfranzosen (pieds noirs) vor der Unabhängigkeit Algeriens dort geschlossen hatten und über deren Erfüllung oder Abwicklung nach Rückkehr der Parteien ins Mutterland Streit entstanden war, wird überhaupt nicht gefragt, ob ein anderes Recht als das französische anwendbar ist. Das ist aber nach französischem Recht durchaus statthaft. Solange sich eine Partei im Zivilprozeß vor einem französischen Gericht nicht auf die Maßgeblichkeit ausländischen Rechts beruft und dessen Inhalt dartut, ist das Gericht nicht verpflichtet, der heterogenen Verknüpfung eines Sachverhalts Rechnung zu tragen113 • Es ist aber andererRigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 414. Rigaux, Rec. Cours 117 (1966 I), S. 414. 112 Treffender wäre wohl die Übersetzung rattachement supplementaire oder additionnel. 11 3 Batiffol/ Lagarde (I) S. 422; David S. 44 ff. 110

111

VII. "Faux conflit"

225

seits nicht gehindert, ex officio ein maßgebliches ausländisches Statut anzuwenden114• Die heftig umstrittene Entscheidung des Kassationshofes aus dem Jahre 1959 115 hat diese Praxis mit den Worten sanktioniert: "Les regles de conflit de lois, en tant du moins qu'elles prescrivent l'application d'une loi etrangere n'ont pas un caractere d'ordre public, en ce sens qu'il appartient aux parties, d'en reclamer l'application, et qu'on ne peut reprocher aux juges du fond de ne pas appliquer d'office la loi etrangere et de faire, en ce cas, appel a la loi interne fran~aise laquelle a vocation a regir tous les rapports de droit prive." Ein faux conflit, in dem keine "difference effective" zwischen dem eigenen und dem ausländischen Recht besteht116, enthebt dagegen die französischen Gerichte aus prozeßrechtlichen Gründen nicht, eine Bestimmung des anwendbaren Rechts zu treffen, auch wenn es früher einmal französisches war und vom ausländischen Gesetzgeber rezipiert worden ist117. Die folgenden Entscheidungen indessen spiegeln nur wider, wie die Interessen der Parteien, ihre Unkenntnis von den internationalprivatrechtlichen Möglichkeiten oder die ihrer Berater und schließlich das Heimwärtsstreben der Gerichte ein Kollisionsrecht leer laufen läßt, das in der Lehre gegenwärtig schon mit einem "neoconflictualisme" (Deby-Gerard) in Blüte steht. (1) Soc. Pivain-Turlure c. Mazoyer

In der Sache Soc. Pivain-Turlure c. Mazoyer der Cour d'appel de Grenoble vom 29. 4. 1965 118 hatte die klagende Gesellschaft Kaufpreisansprüche aus Warenlieferungen geltend gemacht, die im April 1962 in Mostaganem (Algerien) stattgefunden hatten. Das Warenlager des beklagten Strumpf- und Wäschegroßhändlers war geplündert worden, und der Beklagte selbst mußte Algerien überstürzt verlassen. Das Gericht beurteilte - ohne die heterogene Verknüpfung zu berücksichtigen - weder die Plünderungen noch die Flucht des Beklagten als höhere Gewalt, die ihn nach Art. 1147 des französischen Code civil von seinen Verbindlichkeiten befreit hätte. Batiffol I Lagarde (I) S. 423 f.; David S. 43 f. Cass. v. 12. 5. 1959, Bisbal c. Dame Bisbal, D. 1960, S. 610; Malaurie, D. 1960, s. 611 ff. 118 Vgl. Batiffol (Droit compare) S. 134. 117 s. oben 4. Teil VI. 1. Fußn. 89. 118 App. Grenoble v. 29. 4. 1965, D. 1966, S. 11 (14), 3e esp. 114

115

15 Wohlgemuth

226

4. Teil: Französische Rechtsprechung

(2) Ravel c. Credit industriel et commercial Der Sachverhalt in Ravel c. Credit industriel et commercial der Cour d'appel d'Aix-en-Provence vom 19. 5. 1965119 war folgender: Die Bank hatte den Berufungsklägern Edouard und Raymond Ravel in Sidi-BelAbbes ein Darlehen für landwirtschaftliche und industrielle Investitionen gewährt, das vom November 1961 bis November 1963 rückzahlbar war. Zuvor hatten die Berufungskläger im Juli 1961 ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis in Höhe des Darlehensbetrages zugunsten der Bank abgegeben. Wegen Verzuges der Berufungskläger bei Rückzahlung erwirkte die Bank einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß. Hiergegen wandten sich die Berufungskläger unter Berufung u. a. auf force majeure und Unmöglichkeit wegen Verfügung von hoher Hand (fait du prince). Das Gericht wies die Berufung nach französischem Recht zurück. (3) Descat c. Cie. Algerienne de Credit et de Banque Ebenso verhielt sich das Appellationsgericht Agen in seinem Urteil vom 22. 6. 1965, Descat c. Cie. Algerienne de Credit et de Banque120, gegenüber einem Bürgschaftsvertrag, den der Bürge im Dezember 1961 privatschriftlich in Oran zugunsten der Cie. Algerienne de Fertilisants Natureis (Califerna) geschlossen hatte. (4) B. N. C. I. Afrique c. Bresset In dem Urteil des Tribunal de commerce de Nantes vom 28. 6. 1965, B. N. C. I. Afrique c. Bresset121, handelte es sich wiederum um Bürgschaftsverträge. Bresset hatte sich im November 1954 in Algerien für die in Oran ansässige Societe oranaise de materiel industriel et de bätiment und im Januar 1959 für die ebenfalls in Oran ansässige Societe anonyme Bresset-Derasse et Cie. gegenüber der Bank B. N. C. I. Afrique verbürgt. Nach der Unabhängigkeit Algeriens war er nach Frankreich geflüchtet, "pour sauver sa vie". Das Handelsgericht wandte ohne "Umschweife" französisches Recht an. (5) Camilleri c. Soc. des Fermes d'Hippone Das Tribunal de grande instance de laSeine vom 16. 11. 1965, Camilleri c. Soc. des Fermes d'Hippone122, wandte auf einen im Mai 1959 in Algerien über landwirtschaftlich genutzte Grundstücke in Drear/Duzerville geschlossenen Pachtvertrag, in dem der Pachtzins in Getreide119 120 121 122

App. Aix-en-Provence v. 19. 5. 1965, D. 1966, S. 11 (12), pe esp. App. Agen v. 22. 6. 1965, Gaz. Pal. 1966 I, S. 24 (25), 1er arret. Trib. Nantes v. 28. 6. 1965, D. 1966, S. 11 (15), 5e esp. Trib. gr. inst. Seine v. 16. 11. 1965, Gaz. Pal. 1966 I, S. 347.

VII. "Faux conflit"

227

quanten bzw. deren von der Regierung festgesetzten Preis ausgedrückt war und der im April 1963 aufgelöst worden war, ebenfalls ohne Zögern französisches Recht an. (6) Benkemoun c. Credit Lyonnais Dem Urteil der Cour d'appel de Paris vom 12. 1. 1966, Benkemoun c. Credit Lyonnais123, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Schuldner war Angestellter bei der Niederlassung der Gläubigerbank in Algier. 1959 hatte er im Rahmen des Dekrets vom 9. 8. 1953 über die Beteiligung der Arbeitgeber an Bauleistungen (participation des employeurs a l'effort de construction) ein Darlehen zur Finanzierung des Kaufs einer im Bau befindlichen Wohnung in Kouba (Algerien) erhalten, das mit 1,5 Ufo verzinslich und in monatlichen Raten von 1959 an rückzahlbar war. Anfang 1962 mußte der Schuldner Algerien verlassen. Das Angestelltenverhältnis wurde im März 1962 beendet. Über die Rückzahlungsmodalitäten des Darlehens befand das Gericht ausschließlich nach französischem Recht. (7) Kalifa c. Societe anon. Samechange

In Kalifa c. Societe anon. Somechange der Cour d'appel de Toulouse vom 24. 1. 1966124 hatte der Beklagte und Berufungskläger als Händler in Attatba (Algerien) für Warenlieferungen drei Wechsel akzeptiert, die die Soc. Somechange ausgestellt hatte. Bei Fälligkeit im Juni, Juli und August 1962 blieben die Wechsel unbezahlt. Der Beklagte ließ sein Geschäft in Algerien stehen und floh nach Frankreich. Er behauptete, die Waren an seine Kunden vor der Flucht weitergeliefert, ohne die Forderungen ihnen gegenüber eingetrieben zu haben. Das Gericht verurteilte den Beklagten nach den "regles du droit commun (fran!;ais)" zur Zahlung der Kaufpreissumme. (8) Bruguier c. Credit du Nord

Im Gegensatz zur Mehrzahl der Entscheidungen nahm das Appellationsgericht Montpellier vom 4. 5. 1966125 eine Befreiung von der Schuldverbindlichkeit an, und zwar unter Anwendung französischen Rechts. Bruguier hatte sich im Juni 1960 in Algerien für die Societe Chaussalgerie gegenüber der Kreditbank verbürgt. Nach der Unabhängigkeit erklärte Algerien die Schuhfabrik zu einem "bien vacant". Mit der Unterstellung "sous la protection et le contröle de l'Etat" waren nach Ansicht des Gerichts Aktiven und Passiven des verstaatlichten Unter123 124 125

App. Paris v. 12. 1. 1966, J. C. P. 1966 II Nr. 14866. App. Toulouse v. 24. 1. 1966, D. 1966, S. 609 (612), 3e esp. App. Montpellier v. 4. 5. 1966, Bruguier c. Credit du Nord, J. C. P. 1966 II,

Nr. 14867.

228

4. Teil: Französische Rechtsprechung

nehmens auf die "nouvelle socil~te devolutaire" übergegangen. Das habe eine "veritable novation" des ursprünglichen Vertrages zur Folge gehabt, die dem Gläubiger vom Bürgen entgegengehalten werden könnte. (9) Cie. Algerienne de Credit et de Banque c. Boukalza Nicht anders hielt das Tribunal de commerce de Nice vom 14. 6. 1967 126 in der Sache Cie. Algerienne de Credit et de Banque c. Boukalza eine Schuldbefreiung nach französischem Recht für gegeben. Dort waren die Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft (Societe en nom collectif) "Boukalza et Fils" persönlich wegen eines im Dezember 1962 errechneten Debetsaldos der Gesellschaft von der klagenden Bank in Anspruch genommen worden. Das Gericht zog zunächst die Umstände der Flucht der Schuldner in Erwägung: ". . . ils ont ete contraints de se refugier en France continentale pour echapper au risque d'assassinat qui les mena!;ait a Alger". Die algerischen Enteignungsdekrete hätten dann ipso facto einen Transfer des aktiven und passiven Vermögens bewirkt. Die algerische Rechtsprechung ließe ihrerseits keine Klagen gegen die ehemaligen Inhaber der verstaatlichten Unternehmen zu: "Les juridictions algeriennes, elles-memes, appliquant le decret algerien du 18. 3. 1963 ont declare irrecevables les poursuites exercees pour (obtenir le) paiement du passif des entreprises nationalisees, contre leurs anciens proprietaires." Dies bedeutete aber keine (Sonder-)Anknüpfung an das algerische Recht, sondern nur die Berücksichtigung einer tatsächlichen Situation, die zur Befreiung des Schuldners von seiner Verbindlichkeit nach den Bestimmungen des französischen Code civil führte 127• VIII. Versteinerung des Vertragsstatuts bei Änderung von dessen Geltungsgebiet In der überwiegenden Zahl der Entscheidungen zu "algerischen" Verträgen wird die Frage nach dem anwendbaren Recht behandelt, wenn auch teilweise nur insoweit, als die Fälle als reine Inlandssachverhalte gekennzeichnet werden, die schlechterdings französischem Recht unterliegen.

128 127

Trib. com. Nice v. 14. 6. 1967, J. C. P. 1967 11, Nr. 15263, 2e esp. s. auch die Entscheidungen des Kassationshofes 1. Teil XIII. 3. Fußn. 277.

VIII. Versteinerung des Statuts

229

1. Maßgeblichkeit des ersten Statuts mangels eines ausdrücklichen gegenteiligen Parteiwillens

Den folgenden Entscheidungen ist gemeinsam, daß die Maßgeblichkeit französischen Rechts zur Zeit des Vertragsschlusses auch für alle späteren Rechtswirkungen des Vertrages gilt, wenn eine ausdrü~kliche andere Vereinbarung der Parteien fehlt. (1) Vellard c. Le Patrimoine

Das Tribunal de commerce de Nice hatte in der Sache Vellard c. Le Patrimoine vom 20. 1. 1965 128 folgenden Fall zu entscheiden: Der Kläger hatte sich seinerzeit als Notar in Algier 1959 bei der Beklagten gegen Diebstahl versichert. Im Juni 1963 wurde er Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls (hold up), wobei ihm Bargeld entwendet wurde. Das Gericht wandte auf den Versicherungsvertrag französisches Recht mit der Begründung an: ". . . attendu que le contrat litigieux et l'avenant qui l'a modifie, sont intervenus alors que l'Algerie etait fran!;aise; que la loi qui le regit, les deux parties etant fran!;aises, ne peut etre que la loi fran!;aise, faute de clause conventionnelle contraire". Dem Umstand, daß der Versicherungsfall nach der Unabhängigkeit Algeriens, mithin also im Ausland, eingetreten war, wies das Gericht -wie auch in einer Anmerkung zu dem Urteil hervorgehoben wurde129 - keinerlei Bedeutung für die Frage weder des auf den gesamten Vertrag noch des auf die konkrete Einzelverpflichtung der Versicherungsgesellschaft anwendbaren Rechts zu. (2) Guenassia c. Couve et Serra

Das Urteil der Cour d'appel de Toulouse vom 31. 5. 1965, Guenassia c. Couve et Serra130, betraf Verkäufe über Eigentumswohnungen in Algier. Der Kläger hatte dem Beklagten 1960 und 1961 drei Eigentumswohnungen innerhalb desselben Gebäudekomplexes durch notariell beurkundeten Vertrag verkauft. Die wegen der Restkaufgeldsumme in Anspruch genommenen Beklagten beriefen sich auf die algerischen Gesetze über die "biens declares vacants". Das Gericht hielt, ohne auf das Fehlen einer entgegenstehenden Vertragsklausel zurückzugreifen, das "algerische Grundstücksstatut" im Hinblick auf die Lösung des Rechtsstreites für belanglos. "(Les contrats) ont ete conclus sous le regime de la loi fran!;aise et restent soumis a cette loi, les dispositions du decret algerien ... et la legislation us Trib. com. Nice v. 20. 1. 1965, Gaz. Pal. 1965 I, S. 272. Vgl. die Anm. zum Urteil des Trib. com. Nice v. 20. 1. 1965, Gaz. Pal.

129

1965 I, S . 273. 130

App. Toulouse v. 31. 5. 1965, Gaz. Pal. 1966 I, S. 24 (26), ge arret.

230

4. Teil: Französische Rechtsprechung

algerienne fixant les regles concernant le reglement de ces obligations, ne doivent pas etre appliquees en l'espece; ... le statut auquel la loi algerienne a pu soumettre, posterieurement ... les immeubles vendus n'importe pas a la Solution du present litige." Der Kassationshof bestätigte dieses Urteil am 18. 6. 1969131• (3) Soc. Nationale des entreprises de presse c. Robe et autres In der Sache Soc. Nationale des entreprises de presse c. Robe et autres des Tribunal de grande instance de la Seine vom 23. 2. 1966132 ging es um einen Pachtvertrag. Die Beklagten und Widerkläger Robe und Perrier besaßen als Gesellschafter der SARL (GmbH) "Dernieres Nouvelles", der Societe d'imprimerie de la presse algerienne (S. I. P. A.), der Societe Nord Africaine de photogravure (S. N. A. P. H. 0.) und der Societe immobiliere Lafferiere bedeutendes Immobiliarvermögen in Algerien. Zugleich waren sie Inhaber von Druckerei- und Photogravureuntemehmen in Algerien sowie zweier Zeitungen, der "Depeche Algerienne" und der "Dernieres Nouvelles". Durch Gesetz vom 11. 5. 1946, das auf Algerien erstreckt worden war, wurde das Aktivvermögen der genannten Gesellschaften auf den französischen Staat übergeleitet und der klagenden S. N. E. P. übertragen. Aufgrund des Gesetzes vom 2. 8. 1954, das ebenfalls auf Algerien erstreckt worden war, vereinbarten die Parteien durch privatschriftlichen Vertrag vom September 1955 die Rückübertragung des gesamten Vermögens der S. N. E. P. auf die früheren Eigentümer. Gleichzeitig vereinbarten die Parteien, daß die S. N. E. P. als Pächterin die Handelsgeschäfte der S. I. P. A. und S. N. A. P. H. 0. weiter innehaben sollte. Bis 1963 zahlte die Klägerin regelmäßig den vereinbarten Pachtzins, seit April 1963 jedoch nur noch die Hälfte, im Oktober 1963 stellte sie die Zahlungen vollständig ein. Die Klage und Widerklage auf Feststellung der Auflösung bzw. des Fortbestehens des Pachtvertrages und auf Zahlung des ausstehenden Pachtzinses entschied das Gericht nach französischem Recht, da die Verträge von Anfang an von den Parteien französischem Recht unterstellt worden seien. "... attendu que les baux ... ont ete passes a une epoque anterieure a l'independance de l'Algerie; qu'ils ont ete soumis a la loi fran