Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger im Deliktsrecht: Bewertung, Änderungsmöglichkeiten und Änderungsvorschlag auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung [1 ed.] 9783428489060, 9783428089062

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Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger im Deliktsrecht: Bewertung, Änderungsmöglichkeiten und Änderungsvorschlag auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung [1 ed.]
 9783428489060, 9783428089062

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KLAUS GOECKE

Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger im Deliktsrecht

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 192

Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger im Deliktsrecht Bewertung, Änderungsmöglichkeiten und Änderungsvorschlag auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung

Von

Dr. Klaus Goecke

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Goecke, Klaus: Die unbegrenzte Haftung Mindeijähriger im Deliktsrecht : Bewertung, Änderungsmöglichkeiten und Änderungsvorschlag auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung / von Klaus Goecke. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 192) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1995/96 ISBN 3-428-08906-5 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08906-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort Die vorliegende Untersuchung hat der Juristischen Fakultät der GeorgAugust-Universität Göttingen im Wintersemester 1995/1996 als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript war im Oktober 1995 abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Wolfram Henckel dafür, daß er bereit war, diese Arbeit zu betreuen, und daß er fur Gespräche über das Thema dieser Arbeit stets zur Verfugung stand. Durch seine stete Hilfsbereitschaft, seinen Rat und seinen Einsatz ist der Fortgang der Arbeit sehr gefördert worden. Danken möchte ich ihm an dieser Stelle auch fur die zahlreichen wertvollen Anregungen und Gedanken, die ich während meiner Göttinger Studienzeit aus seinen Lehrveranstaltungen mitnehmen konnte. Diese haben mir bei der Bearbeitung juristischer Problemstellungen in Studium und Referendariat immer wieder geholfen. Herrn Professor Drs. iur., Dr. med. h.c. Erwin Deutsch schulde ich Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens. Ohne Herrn Richter am Oberlandesgericht Dr. Jörg Würfel, der mich auf die dieser Arbeit zugrundeliegende Problematik aufmerksam gemacht und mich zur Bearbeitung des Themas veranlaßt hat, wäre diese Arbeit nicht zustandegekommen. Auch ihm möchte ich an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen. Wertvolle Anregungen und fruchtbare Kritik, insbesondere zu der verfassungsrechtlichen Problematik der Minderjährigenhaftung, habe ich von Herrn Referendar Dipl.-Volkswirt Jan Endler erfahren, dem ich hierfür herzlich danke. Auch meinem Bruder, Herrn Dipl.-Kaufmann Hermann Goecke, danke ich für seine hilfreichen Hinweise. Frau Rechtsanwältin Erika Marten habe ich für die Korrektur des Manuskripts zu danken. Herzlich danken möchte ich schließlich meinen Eltern für die von ihnen geleistete großzügige geistige und finanzielle Unterstützung der Arbeit sowie der Studienstiftung des deutschen Volkes für die mir gewährte PromotionsfÖrderung.

Hannover, im Januar 1997

Klaus Goecke

Inhaltsverzeichnis Einführung

19

7. Teil Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht 1. Abschnitt: Die geltende Regelung A. Gesetzliche Regelung B. Auslegung der gesetzlichen Regelung durch die Rechtsprechung I. Auslegung des § 828 II 1 (Einsichtsfähigkeit)

25 25 25 26 26

1. „Erkenntnis der Verantwortlichkeit"

27

2. „Einsicht"

28

3. Berücksichtigung der Steuerungsfähigkeit?

29

4. Praktische Bedeutung des § 828 II 1

30

II. Auslegung des § 823 I (Fahrlässigkeit) bei Minderjährigen

31

III. Auslegung des § 829 (Billigkeit)

32

1. Der Begriff der Billigkeit

32

2. Haftung grundsätzlich nur bei voller Verwirklichung eines Deliktstatbestands IV. Anwendung des § 254 (Mitverschulden) bei Minderjährigen 2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung

34 34 37

A. Beratung der §§ 828, 829 im Überblick

37

B. Entstehungsgeschichte und Vorläufer des § 828

37

I. Freistellung Minderjähriger unter 7 Jahren (§ 828 I) 1. Freistellung des infans

37 37

2. Festlegung einer oberen Altersgrenze für die infantia

39

3. Festlegung der Altersgrenze auf 7 Jahre

40

II. Freistellung einsichtsunfähiger Minderjähriger über 7 Jahre (828 II 1)

41

1. Deliktsfähigkeit Minderjähriger über 7 Jahre

41

2. „Zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht"

43

C. Entstehungsgeschichte und Vorläufer des § 829 3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung A. Verstoß gegen das Schuldprinzip? I. Argumente der Kritiker II. Stellungnahme

44 46 47 48 49

nsverzeichnis

8

Β. Vernachlässigung des Minderjährigenschutzes? I. Der Minderjährigenschutz in anderen Rechtsbereichen

50 51

1. Ratio und Ausprägungen des Minderjährigenschutzes im geltenden Recht

51

2. Abwägung von Minderjährigenschutz und „Opfer"-Schutz in anderen Rechtsbereichen

53

a) Strafrecht

53

b) Vertragsrecht

54

c) Vor- und außervertragliche Schuldverhältnisse

55

aa) Vorvertragliche Schuldverhältnisse

55

bb) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung

56

cc) Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

57

dd) Ansprüche aus Delikt bei gemäß §§104 ff. unwirksamen Vertragsverhältnissen d) Ergebnis II. Der Minderjährigenschutz im Deliktsrecht

58 59 60

1. Notwendigkeit des Minderjährigenschutzes im Deliktsrecht

60

2. Reichweite des Minderjährigenschutzes im Deliktsrecht des BGB

62

III. Notwendigkeit einer Erweiterung des Minderjährigenschutzes im Deliktsrecht

62

1. Unvereinbarkeit des Prinzips voller Haftung mit dem Minderjährigenschutzgedanken

63

a) Gesichtspunkt der geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen

64

b) Gesichtspunkt der geringeren persönlichen Vorwerfbarkeit

66

c) Gesichtspunkt des Schutz- und Erziehungsgedankens

66

d) Gesichtspunkt der Startchance

67

e) Gesichtspunkt der Unmöglichkeit, Vorsorge zu treffen

68

2. Ausreichende Milderung des Prinzips voller Haftung durch bestehende Schuldnerschutzvorschriften?

68

a) Pfändungsschutzvorschriften

68

b) Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung

69

c) Schuldenbereinigungsplan nach der Insolvenzordnung 3. Zwischenergebnis

74 74

4. Rechtfertigung des Prinzips voller Haftung durch den Schutzzweck des § 823?

74

a) Besondere Schutzwürdigkeit des Opfers gegenüber dem Schadensverursacher

75

b) Besondere Schutzwürdigkeit des Opfers gegenüber dem fahrlässig Handelnden 5. Endergebnis C. Verstoß gegen Grundrechte des Minderjährigen? I. Vorbemerkung

76 77 78 78

nsverzeichnis II. Vereinbarkeit mit den speziellen („benannten") Freiheitsrechten III. Vereinbarkeit mit Art. 2 I (freie Entfaltung der Persönlichkeit)

81 82

1. Eingriff in den Schutzbereich

83

2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

84

a) Vorüberlegung: verfassungsrechtliche Anforderungen an privatrechtliche Gesetze

84

b) Ausreichende Beachtung der beiderseitigen Grundrechte durch die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1?

87

aa) Zweck der §§ 823, 249 iVm 828 II 1

87

bb) Gewicht des mit der Regelung verfolgten Zwecks

87

cc) Gewicht des beeinträchtigten Grundrechts

88

dd) Intensität des Eingriffs

90

ee) Abwägung

91

ff) Ergebnis

95

IV. Auswirkungen eines Verstoßes gegen Art. 21

96

1. Verfassungskonforme Auslegung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 oder Anwendung des § 242 möglich?

96

2. Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht

98

V. Ergebnis

100

2. Teil Rechtsvergleich: Die Begrenzung der Deliktshaftung Minderjähriger in anderen Rechtsordnungen 1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises A. Überblick I. Bisherige Einteilungen II. Eigene Einteilung

102 103 103 103 105

1. Grundsätzliche Haftung Minderjähriger nach dem jeweiligen deliktsrechtlichen Grundtatbestand 2. Haftungsmilderung für Minderjährige a) Durch Haftungsmilderung geschützter Personenkreis aa) Haftungsmilderung für alle Minderjährigen bb) Haftungsmilderung ftir Minderjährige unter 13-16 Jahren cc) Haftungsmilderung für Minderjährige unter 10 Jahren dd) Haftungsmilderung fur einsichtsunfähige Minderjährige (bzw. Minderjährige unter 7 Jahren) b) Art der Haftungsmilderung aa) Haftungsmilderung durch Freistellung bb) Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe

109 110 111 111 111 111 111 113 113 113

nsverzeichnis

10

III. Mögliche Gründe für die Entwicklung und Herausbildung der verschiedenen Regelungssysteme bei der Deliktshaftung Minderjähriger IV. Gang der Darstellung B. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung ftir alle Minderjährigen I. Skandinavische Staaten 1. Schweden a) Regelung bis 1972

113 116 117 117 117 117

aa) Haftungsvoraussetzungen: Verschulden, Sorgfaltsmaßstab

119

bb) Haftungsumfang

119

b) Regelung seit 1972: Kapitel 2 § 2 SkadestL

120

aa) Haftung, soweit Haftpflichtversicherungsschutz besteht

120

bb) Haftung, soweit kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht

122

cc) Haftung 15- bis 18jähriger 2. Finnland

122 123

3. Norwegen

124

4. Island

125

II. Schweiz

126

1. Verschuldenshaftung (Art. 41 OR, 18, 19 III ZGB) a) Voraussetzungen der Verschuldenshaftung

126 126

aa) Urteilsfähigkeit

127

bb) Beweislast hinsichtlich der Urteilsfähigkeit

129

cc) Sorgfaltsmaßstab bei Minderjährigen b) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch Art. 43 I OR aa) Haftungsbegrenzung wegen geringen Verschuldens

129 130 131

bb) Haftungsbegrenzung wegen verminderter Urteilsfähigkeit

134

cc) Haftungsbegrenzung auf Grund „der Umstände"

135

c) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch Art. 44 II OR

135

2. Billigkeitshaftung (Art. 54 OR) III. Niederlande

136 137

1. Freistellung Minderjähriger unter 14 Jahren

137

2. Haftungsbegrenzung für Minderjährige über 14 Jahren

140

IV. Albanien V. Volksrepublik China

141 141

C. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung ftir Minderjährige unter 13-16 Jahren I. Haftungsmilderung durch Freistellung 1. Rußland

142 142 142

2. Andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion

143

3. Brasilien

144

4. Guatemala

144

II. Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe

144

nsverzeichnis 1. Polen

144

2. Österreich

145

a) Verschuldenshaftung (§ 1310 Fall 1 ABGB) aa) Voraussetzungen der Verschuldenshaftung

147 147

α) Einsichtsfähigkeit

147

ß) Verschulden (Sorgfaltsmaßstab)

149

γ) Beweislast

150

bb) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch § 1310 HS 5 ABGB.... 150 b) § 1310 Fall 2 ABGB

151

c) Billigkeitshaftung (§1310 Fall 3 ABGB)

151

3. Dänemark

152

a) Motive fur die geltende Regelung (§ 63 MyndL)

152

b) Voraussetzungen der Verschuldenshaftung

153

c) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch § 63 HS 2 MyndL 4. Spanien

154 156

a) Haftung für strafbare Schädigungen

156

b) Haftung für nicht strafbare Schädigungen

157

D. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung für Minderjährige unter 10 Jahren. 159 I. Haftungsmilderung durch Freistellung

159

1. Argentinien, Uruguay, Kolumbien

159

2. El Salvador

160

II. Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe: Griechenland

160

E. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung für einsichtsunfähige Minderjährige (bzw. Minderjährige unter 7 Jahren) I. Haftungsmilderung durch Freistellung 1. Deliktsrecht des Code civil

160 160 160

a) Frankreich (Rechtsprechung bis 1984)

161

b) Belgien

163

c) Luxemburg 2. Québec

164 164

3. Chile

166

4. Tschechische Republik

166

5. Japan und Republik Korea (Südkorea)

167

II. Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe

167

1. Italien

167

a) Verschuldenshaftung (Art. 2043, 2046 C.civ.) b) Billigkeitshaftung (Art. 2047 II C.civ.) 2. Portugal

167 168 168

3. Ungarn

169

4. Staaten des ehemaligen Jugoslawien

170

nsverzeichnis

12

5. Außereuropäische Staaten

171

F. Rechtsordnungen ohne Haftungsmilderung ftir Minderjährige I. Frankreich (Rechtsprechung seit 1984)

171 171

1. Die neue Rechtsprechung seit 1984

171

2. Gründe ftir die Wende in der Rechtsprechung

173

II. Mexiko

174

2. Abschnitt: Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises A. Überblick

174 174

I. Haftung Minderjähriger flir trespass II. Haftung Minderjähriger fur negligence

175 177

III. Heranziehung der Präjudizien zur contributory negligence

178

IV. Verantwortlichkeit minderjähriger Schädiger für sonstige Delikte

178

B. Haftung Minderjähriger für trespass und negligence J. England

179 179

II. Irland, Schottland, Australien, Kanada III. Vereinigte Staaten C. Einwand der contributory

181 185

negligence gegenüber Minderjährigen

I. Sorgfaltsmaßstab

188 190

II. Mindestalter

191

3. Abschnitt: Fallbeispiel

192

3. Teil Möglichkeiten einer Begrenzung der Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht 1. Abschnitt: Überblick

194 194

A. Bisherige Lösungsvorschläge B. Weitere denkbare Lösungen

194 195

C. Gang der Darstellung

196

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

196

A. Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige.. 196 I. Modellfall: Versuch der Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung in den skandinavischen Staaten II. Vorschläge und Argumente der Befürworter

196 199

III. Argumente der Kritiker

200

IV. Stellungnahme

205

1. Vorteile einer obligatorischen Haftpflichtversicherung

205

2. Nachteile

206

a) Obligatorische Haftpflichtversicherung mit „direkter" Durchsetzung der Versicherungspflicht

206

nsverzeichnis b) Obligatorische Haftpflichtversicherung mit „indirekter" Durchsetzung der Versicherungspflicht

206

c) Gemeinsame Nachteile beider Formen der obligatorischen Haftpflichtversicherung d) Ergebnis B. Einführung einer Versicherung für die Opfer minderjähriger Schädiger I. Entschädigung der Opfer bei Personen- und Sachschäden II. Entschädigung nur bei Personenschäden

208 209 210 210 211

III. Gemeinsame Nachteile beider Entschädigungssysteme

212

IV. Ergebnis

212

3. Abschnitt: Änderungen des Vollstreckungsrechts

213

A. Änderung der Pfändungsschutzvorschriften

213

B. Verkürzung der Verjährung des rechtskräftig festgestellten Anspruchs

214

C. Entschuldungsverfahren

215

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

217

A. Anhebung der unteren Altersgrenze in § 828 II 1

217

I. Argumente der Befürworter II. Stellungnahme III. Ergebnis B. Einführung der Steuerungsfähigkeit als Haftungsvoraussetzung I. Argumente der Befürworter II. Stellungnahme III. Ergebnis C. Ersetzung der Minderjährigenhaftung durch Elternhaftung

217 218 221 221 221 222 226 226

I. Modellfall: Einführung einer objektiven Haftung der Eltern in den Niederlanden II. Vorschläge und Argumente der Befürworter III. Argumente der Kritiker IV. Stellungnahme 1. Vorteile der objektiven Elternhaftung 2. Bedenken gegen eine objektive Elternhaftung V. Ergebnis D. Ermächtigung zur Schadensersatzminderung (Reduktionsklausel) I. Allgemeine Reduktionsklausel (im Rahmen der §§ 249-255)

228 231 232 234 234 234 239 239 239

1. Vorschläge und Argumente der Befürworter

239

2. Stellungnahme

240

II. Besondere Reduktionsklausel für Minderjährige (bei §§ 828, 829) 1. Vorschläge und Argumente der Befürworter a) Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums von 1967 b) Vorschlag von Bars 2. Stellungnahme

241 241 241 242 243

nsverzeichnis

14 a) Vorteile

243

b) Stellungnahme zu Nachteilen und möglichen Einwänden

244

aa) Ungerechtfertigte Privilegierung des Minderjährigen?

244

bb) Vernachlässigung der Interessen des Geschädigten?

245

α) Indirekter Schutz des Geschädigten durch die Haftpflichtversicherung des minderjährigen Schädigers

246

αα) Mögliche Bedenken gegen eine Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung ßß) Stellungnahme zu den Bedenken ß) Weitere Schutzmöglichkeiten für den Geschädigten γ) Gewicht des Geschädigtenschutzes

246 248 249 250

cc) Verursachung von Rechtsunsicherheit?

250

dd) Zunahme der Rechtsstreitigkeiten?

251

ee) Schwierigkeiten bei der Feststellung der Vermögensverhältnisse des Minderjährigen im Erkenntnisverfahren? ff) Ergebnis 3. Vorschlag für den Anwendungsbereich der Reduktionsklausel a) Freistellung sehr junger Kinder von der Verantwortlichkeit?

252 253 253 253

b) Festlegung einer Altersgrenze?

254

c) Festlegung der Altersgrenze auf 7 Jahre?

255

d) Freistellung einsichtsunfähiger Minderjähriger?

255

e) Ergebnis

256

4. Vorschlag für die nähere Ausgestaltung der Reduktionsklausel Zusammenfassung der Ergebnisse und Vorschlag für eine Gesetzesinitiative

256 258

Anhang: Abdruck der gesetzlichen Bestimmungen zur Deliktshaftung Minderjähriger in den untersuchten Staaten

260

Literaturverzeichnis

274

Abkürzungsverzeichnis Α. Abg. ABGB AC AcP a.E. AG AGZivR AHB AJCL AK-BGB AKB All E.R. App. Ct. Aufl. Bekl. Besch 1. BG BGB BGBl. BGE BGH B1ZR BOblG B.R. BR-Drucks. BT BVerfG BVerfGE BVerfGG C. C.B. (N.S.) C.civ. Cass. Cass. civ. Cass. pen. Cass. Sez. Un.

Atlantic Reporter Abgeordneter Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch fur Österreich Law Reports (Appeal Cases) Archiv für die civilistische Praxis am Ende Amtsgericht Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der VR China Allgemeine Bedingungen für die private Haftpflichtversicherung American Journal of Comparative Law Alternativkommentar zum BGB Allgemeine Bedingungen für die KfzHaftpflichtversicherung All Englands Law Reports Court of Appeals Auflage Beklagte (r) Beschluß Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtsentscheidungen (Amtliche Sammlung) Bundesgerichtshof Blätter fur Zürcherische Rechtsprechung jugoslawisches Bundesgesetz über Obligationen Banque du Roi, Banque de la Reine Bundesrats-Drucksache Bundestag Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen Bundesverfassungsgerichtsgesetz Codex Iustinianus Common Bench Reports. New Series. Code Civil, Côdigo Civil, Codice Civile Cour de Cassation Cour de Cassation, chambre civile Corte di Cassazione, sezione penale Sezioni Unite della Corte di Cassazione

16 Ch. C.J. C.J.S.C. CLR C.pen. C.S. D. D. ... Chr. D. ... I.R. D. ... J. DAR DGB DJT DLR DM e. E.

EAL E.R. F& F

FamRZ FAZ Foro it. FS FuR Gaz. Pal. GB GG H & C Hrsg. HS i.e. IECL ILTR InsO Inst. IQ I.R. i.S. iVm J.

Abkürzungsverzeichnis Chapter Chief Justice Chief Justice of the Supreme Court Common Law Reports Code Penal, Côdigo Penal, Codice Penale Cour Supérieur Digesten Recueil Dalloz Sirey - Chronique Recueil Dalloz Sirey - Informations rapides Recueil Dalloz Sirey - Jurisprudence Deutsches Autorecht Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Juristentag Dominion Law Reports Deutsche Mark eine (r) Erwägung (Bezeichnung für einen numerierten Abschnitt in den Gründen der Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts) Erstatningsansvarsloven (dänisches Schadensersatzgesetz) The English Reports Reports of Cases, decided at Nisi Prius and at the Crown Side on circuit with select decisions at chambers, by T. Campbell Foster and W.F. Finlason. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung II Foro Italiano - Raccolta Generale di Guirisprudenzia Festschrift Familie und Recht La Gazette du Palais Gesetzbuch Grundgesetz The Exchequer Reports, by Edwin Tyrell Huristone and Francis Joseph Coltman. Herausgeber Halbsatz id est International Encyclopedia of Comparative Law The Irish Law Times Reports Insolvenzordnung Institutionen Intelligenzquotient The Irish Reports in der Sache in Verbindung mit Judge, Justice

Abkürzungsverzeichnis JB1. JGG JZ KB Keble KO LG L.J. L.R. Ex. LRC LSkad LZ MDR Med. Diss. Mj. Mot. M.R.

MünchKomm MyndL Nachw. NBW N.E. NJ NJW NJW-RR N.Y.S. OEG OGH ÖJZ OLG OR P. Pari. Gesch.

Pari. Gesch. (Inv.) Pas. Pers. PflVG

2 Goecke

Juristische Blätter Jugendgerichtsgesetz Juristenzeitung Law Reports (King's Bench Division) Reports in the Court of King's Bench of Westminster, Taken by Jos. Keble Konkursordnung Landgericht Lord Justice Law Reports (Exchequer) Law Reform Commission Lov om skadeserstatning Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinische Dissertation Minderjährige(r) Motive Master of the Rolls (Richter des englischen Court of Appeal, zugleich Hüter der public records [Staatsarchiv] und zuständig für die Zulassung der solicitors) Münchener Kommentar Myndighedsloven (dänisches Mündigkeitsgesetz) Nachweise Nieuwe Burgerlijk Wetboek North Eastern Reporter Nederlandse Jurisprudentie Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht New York Supplement Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten Oberster Gerichtshof Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht schweizerisches Bundesgesetz über Obligationen (1) Pacific Reporter, (2) Presiding Jugde Parlamentaire Geschiedenis van het Nieuwe Burgerlijk Wetboek (Parlamentsgeschichte des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches) Parlamentaire Geschiedenis van het Nieuwe Burgerlijk Wetboek (Invoering...) (Einführung...) Pasicrisie Belge - Recueil général de la Jurisprudence des cours et tribunaux et du conseil d'état Personen Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter

18 P.J. Pr. A.L.R. Prot. QB RabelsZ Resp. Civ. Rev. trim. dr. civ. RGRK RIDC RVO SASR SchadG S.E. semjud SGBX SJZ SkadestL Sp. Ct. SR (NSW) StGB StL StVG Sv. SZ T. υ Urt. (v.) USA VersR VersRAI Vorbem. Vorlagebeschl. VVG W.L.R. WGO-MfOR WiRO ZBJV ZBl.JugR zfs ZGB ZIP ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Presiding Judge Preußisches Allgemeines Landrecht Protokolle Law Reports (Queen's Bench Division) Zeitschrift ftir ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Responsabilité civile e previdenza Revue trimestrielle de droit civil Reichsgerichtsrätekommentar Revue internationale du droit comparé Reichsversicherungsordnung South Australian State Reports finnisches Schadensersatzgesetz South Eastern Reporter La Semaine Juridique Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch Schweizerische Juristenzeitung Skadestândslag (schwedisches Schadensersatzgesetz) Supreme Court State Reports (New South Wales) Strafgesetzbuch Strafflag (schwedisches Strafgesetzbuch von 1864) Straßenverkehrsgesetz Sachverständiger Entscheidungen des österreichen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Tomo Ugeskrift for Retswaesen Urteil (vom) United States of America Versicherungsrecht Versicherungsrecht - Auslandsinformationen Vorbemerkung Vorlagebeschluß Versicherungsvertragsgesetz Weekly Law Reports WGO - Monatshefte fur Osteuropäisches Recht Wirtschaft und Recht in Osteuropa Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt ftir Jugendrecht Zeitschrift ftir Schadensrecht Zivilgesetzbuch Zeitschrift ftir Insolvenzpraxis Zeitschrift ftir Rechtspolitik Zeitschrift ftir die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einführung Das Problem 1

Aus § 823 in Verbindung mit § 828 II 1 ergibt sich, daß Minderjährige zwischen 7 und 17 Jahren für ihre unerlaubten Handlungen unbeschränkt haften, sofern sie nur bei der Begehung der Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Die Berechtigung dieser unbeschränkten Haftung Minderjähriger ist in jüngster Zeit von mehreren Seiten in Frage gestellt worden. Den Anstoß für diese Entwicklung gab eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle aus dem Jahr 19892. Der 4. Senat hatte über die Regreßklage eines Feuerversicherers gegen einen 14jährigen Jungen auf Ersatz eines Brandschadens in Höhe von 330.870,04 DM zu entscheiden. Der Junge hatte gemeinsam mit einem anderen Jungen vor einer Lagerhalle ein Feuer angezündet, um sich daran zu wärmen. Die Lagerhalle war in Brand geraten und vernichtet worden, weil die Jungen das Feuer - entgegen ihrer Einschätzung - nicht ausreichend ausgetreten hatten. Der Junge war nicht haftpflichtversichert. Der Anspruch des Feuerversicherers aus §§ 823 I, 828 II 1 war unproblematisch gegeben3. Der Senat setzte aber das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob es mit der Verfassung (Art. 1, 2, 6 II 2 GG) vereinbar ist, wenn Kinder und Jugendliche auch bei nur leichter Fahrlässigkeit zu einer „existenzvernichtenden" Haftung gemäß §§ 823 I, 828 II 1 verpflichtet werden, auch wenn das Opfer von dritter Seite, z.B. durch eine Versicherung befriedigt ist4. Der Senat rechnete vor, was die Haftung für den Jungen bedeutet5: Der Junge müsse mit einer Zahlungspflicht von etwa 116.000 DM rechnen (Klageanspruch wegen Mitverschuldens des Versicherungsnehmers nur zu 70 % begründet, Verantwortlichkeit des anderen Jungen, der haftpflichtversichert war, 50 %). Zur Tilgung dieser Zahlungspflicht in irgendeiner Form beizutragen, sei der Junge während Schulzeit und unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 7 % in diesen vier Jahren um den ersten beiden Lehrjahren nicht in der Lage. Somit sei die Zah1

Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB. OLG Celle, Urt. u. Vorlagebeschl. v. 26.5.1989 - 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791-794 = VersR 1989, 709-711 = JZ 1990, 294-297. 3 Vgl. OLG Celle, NJW-RR 1989, 791. 4 OLG Celle, NJW-RR 1989, 791. 5 OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (792). 2

20

Einfuhrung

lungspflicht um weitere 8000 DM pro Jahr auf 150.000 DM angewachsen. Unterstellt, der Junge erhalte mit 20 Jahren einen Arbeitsplatz mit einem Netto-Verdienst von 2000 DM, so sei absehbar, daß er, da er allein 875 DM monatlich an Zinsen zu zahlen habe, auf Jahrzehnte auf einen dem Sozialhilfe-Empfänger vergleichbaren Status verwiesen wird 6 . Es sei nicht mehr verständlich, wenn leichte Fahrlässigkeit, ein Verhalten, welches man als „Dummenjungenstreich" charakterisiere, solche Konsequenzen nach sich ziehe. Die Entscheidung hat in der Literatur einige Beachtung erfahren 7. Der Kritik des 4. Senats an der deliktsrechtlichen Minderjährigenhaftung des BGB haben sich die Rezensenten dabei fast durchweg angeschlossen. So hält Canaris die Ansicht des Oberlandesgerichts Celle im Ergebnis für zutreffend 8; E. Lorenz meint, das Oberlandesgericht habe „zu Recht nachdrücklich auf eine seit langem bekannte, schwärende „offene Stelle" im Körper des geltenden Deliktsrechts hingewiesen"9. Nach Kuhlen verdient der Vorlagebeschluß „nachhaltige Zustimmung"10. Scheffen stimmt dem Oberlandesgericht darin zu, das Recht sollte den Minderjährigen „nicht mit voller Schärfe begegnen"11; „derartig hohe Zahlungsverpflichtungen" könnten „den wirtschaftlichen Ruin für den betroffenen Minderjährigen bedeuten, der ihm jeden Lebensmut nehmen muß"12. Zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht gekommen, weil sich die Parteien nach Erlaß des Vorlagebeschlusses miteinander verglichen haben13. Knapp zwei Jahre nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle hatte das Landgericht Bremen - wieder in einem Regreßprozeß eines Feuerversicherers über die Klage gegen einen 9jährigen Jungen zu entscheiden, der zusammen mit einem 10^jährigen ebenfalls durch Zündelei eine Lagerhalle in Brand gesetzt hatte. Es hat die Klage gegen den 9jährigen, der nicht haftpflichtversichert war,

6 Vgl. § 218 BGB, wonach ein rechtskräftig festgestellter Anspruch erst nach 30 Jahren verjährt, sowie § 209 I, II Nr. 5 iVm 217 BGB, wonach jede Vollstreckungshandlung die Verjährungsfrist von neuem beginnen läßt. 7 Vgl. die Rezensionen von Canaris, JZ 1990, S.679-681; E.Lorenz, VersR 1989, 711714; Kuhlen, JZ 1990, S.273-279; ferner Scheffen, FuR 1993, 82 (88) sowie ZRP 1991, 458 (459) und DAR 1991, 121 (125); Medicus, AcP 192 (1992), 35 (65 und 68 Fn.123). 8 Vgl. Canaris, JZ 1990, 679. 9 E. Lorenz, VersR 1989, 711 (712). 10 Kuhlen, JZ 1990, 273 (278). 11 Scheffen, DAR 1991, 121 (125). 12 Scheffen, FuR 1993, 82 (88). 13 Auskunft von Richter am Oberlandesgericht Dr. Würfel, Celle; ferner berichtet bei Scheffen, ZRP 1991, 458 (459), die den Vergleich bedauert.

Einfhrung

abgewiesen14. Unter Berufung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle führte es zur Begründung an, eine existenzvernichtende Haftung des Minderjährigen für lediglich leicht fahrlässiges Handeln sei verfassungswidrig 15. Im einzelnen hält es Verstöße gegen die Art. 1 I, 2 I, 3 I (Willkürverbot), 6 I und 20 I GG (Sozialstaatsprinzip)16 für gegeben. Da die Grundrechte über die Generalklauseln in das Zivilrecht einwirken, ergebe sich ein aus § 242 (Einwand des Rechtsmißbrauchs) abzuleitendes Leistungsverweigerungsrecht gegen einen existenzvernichtenden Schadensersatzanspruch aus §§ 823 I, 828 II 1,249. Die Regelung, des § 828 II 1, wonach Minderjährige zwischen 7 und 17 Jahren, solange sie einsichtsfähig sind, unbeschränkt haften, ist seit Inkrafttreten des BGB immer wieder der Kritik ausgesetzt gewesen und hat zu zahlreichen Änderungsvorschlägen Anlaß gegeben17. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle hat nicht nur diese wissenschaftliche Diskussion erneut angestoßen. Neu an dieser Entscheidung ist vor allem, daß ein Gericht die Minderjährigenhaftung nach § 828 II 1 nicht mehr beachten möchte. Wie die nachfolgende Entscheidung des Landgerichts Bremen zeigt, ist diese Auffassung in der Rechtsprechung nicht vereinzelt geblieben. Möglicherweise ist damit in der Rechtsprechung zu § 828 II 1 eine neue Entwicklung eingeleitet worden. In der Literatur ist seither, soweit ersichtlich, die Regelung des § 828 II 1 nicht mehr verteidigt worden.

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LG Bremen, Urt. v. 15.2.1991 - 6 Ο 2866/89 u. 1218/90 - NJW-RR 1991, 1432-1435 (rechtskräftig). 15 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1433 f.). 16 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1433). 17 Beschluß der dritten Abteilung des 34. Deutschen Juristentages (1926), Verhandlungen 34. DJT, Bd. 2 (Stenographischer Bericht), S.514 Nr. 12, in Übereinstimmung mit dem Votum der Gutachter: Dölle, Verhandlungen 34. DJT (Gutachten), Bd. 1, S. 121; Reichel, Verhandlungen 34. DJT, Bd. 1, S.168; und des Berichterstatters Goldschmidt, Verhandlungen 34. DJT, Bd. 2, S.456. Entwurf einer neuen Schadensordnung der Akademie für Deutsches Recht (1940) (vgl. § 4 des Entwurfs), in: Berichte der Akademie für Deutsches Recht Nr. 14, S.90. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften des Bundesjustizministeriums von 1967, Wortlaut, S.4, und Begründung, S.71-74; Von Bar, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band 2 (1981), S.1681 (Wortlaut: S.1762, Begründung: S.1774). Waibel, Die Verschuldensfahigkeit Minderjähriger im Zivilrecht, (Berlin 1970), S.178; Wille und Bettge, JZ 1971, 878 (882). E. Schmidt, Zivilrecht I (1972), S.512; Kohl (1979), in AK-BGB, § 828 Rdn.9; Stutte, ZBl.JugR 1951, 141 (145); Munkwitz, ZBl.JugR 1960, 129 (132); Swiridoff-Cratz, Beurteilungskriterien kinderpsychiatrischer Gutachten (Delikthaftung), Med. Diss. Hamburg (1982).

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Einfhrung

Die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung und wissenschaftlichen Diskussion zu § 828 II 1 hat die Problematik der Regelung der deliktischen Minderjährigenhaftung im BGB deutlich gemacht. Sie zeigt, daß die gegenwärtige Regelung zunehmend in Frage gestellt wird. Eine Aussicht auf Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen zu § 828 II 1 durch das Bundesverfassungsgericht besteht in absehbarer Zeit nicht18. Eine Beseitigung des Problems durch eine Gesetzesänderung ist ebenfalls nicht in Sicht19. Die aufgeworfenen Fragen werden also weiter offen bleiben. Das ist vor allem deswegen bedauerlich, weil § 828 II 1 eine Vorschrift von nicht nur theoretischer Bedeutung ist. In der Lebenswirklichkeit kommt es häufig vor, daß Kinder und Jugendliche Schaden anrichten - nicht selten mit erheblichen Schadensersatzsummen. Vor allem von Kindern angerichtete Brandschäden erreichen immer wieder ein erhebliches Ausmaß. So sind z.B. in der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie der Philipps-Universität Marburg in den Jahren 1967 bis 1977 dreißig Kinder zwischen 7 und 14 Jahren wegen Brandstiftung untersucht und begutachtet den; zwanzig von ihnen hatten einen Brandschaden von bereits damals über 75 000 DM verursacht, vier von ihnen sogar über 200 000 DM 2 0 . Im Januar 1994 konnte man gar von einem Brandschaden in Höhe von rund 30 Millionen DM lesen, der von zündelnden Kindern verursacht worden war 21 . Auch in diesen Fällen ist es keineswegs so, daß die Geschädigten sich dann nur an die Eltern (§ 832) halten, weil bei den Kindern und Jugendlichen ja doch auf längere Zeit nichts zu holen ist. Die Geschädigten scheuen keine Kosten und Mühen, auch gegen Kinder und Jugendliche zu prozessieren. Versicherungen verzichten ebenfalls nicht darauf, bei Kindern und Jugendlichen Regreß zu nehmen. Allein in den Jahren 1963-1994, also in den letzten 30 Jahren, sind über 40 Entscheidungen in den für das deutsche Zivilrecht wichtigsten Zeitschriften und Entscheidungssammlungen veröffentlicht, in denen Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 17 Jahren zur Zahlung von Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld verurteilt worden sind22. Die zugesprochenen Schadensersatzsummen liegen nicht 18

Nachdem sich die Parteien des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Celle miteinander verglichen haben, vgl. S.2. 19 Antwortschreiben des Bundesjustizministeriums an den Verfasser vom 22.2.1994. 20 Vgl. Dauner, S.38 und 62 (Tabelle 2). 21 Vgl. FAZ vom 8. Januar 1994, S.7. 22 Vgl. die Entscheidungen OLG Köln, Urt.v.5.5.93 -11 U 5/93- MDR 1993,739= VersR 1994, 1248; OLG München, Urt.v.26.3.93 -8 U 7072/91- VersR 1994,1248; LG Passau, Urt.v.3.2.93 -3 Ο 992/93- zfs 1994, 198; OLG Düsseldorf, Urt.v.14.9.90 -22 U 64/90- VersR 1992,321; Vorinstanz (OLG Hamm) zu BGH, Urt.v.23.2.88 -VI ZR 151/87VersR 1988,800; OLG Köln, Urt.v. 18.3.87 -13 U 232/86- VersR 1987,1022; Vorinstanz (OLG Nürnberg) zu BGH, Urt.v.20.1.87 -VI ZR 182/85-, VersR 1987,762; Vorinstanz (OLG Hamm) zu BGH, Urt.v.21.1.86 -VI ZR 208/84-, NJW 1986,1865; BGH, Urt.v. 14.1.86 - V I ZR 10/85- NJW 1986,1937; OLG Zweibrücken, Urt.v.9.5.1985 -6 U

Einfhrung selten über 40.000.-- D M 2 3 . Zählte man die Entscheidungen mit, in denen Klagen gegen Kinder und Jugendliche aus § 823 I, 828 I I 1 abgwiesen wurden, so würde die Zahl der Prozesse noch um ein vielfaches höher liegen.

Ziele der Untersuchung und Gang der Darstellung M i t der vorliegenden Arbeit soll die geltende Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger darauf überprüft werden, inwieweit die gegen diese Regelung geltendgemachten Bedenken gerechtfertigt sind. U m die Voraussetzungen für die Erreichung dieses ersten Ziels zu schaffen, werden zunächst Inhalt, Grundgedanken und Entstehungsgeschichte der Regelung erläutert, sodann die bisherigen Stellungnahmen zur geltenden Regelung zusammengestellt, bevor die eigene Bewertung der geltenden Regelung beginnt. Das zweite Ziel der Arbeit besteht darin, Möglichkeiten zu einer Verbesserung der geltenden Regelung aufzuzeigen und zu prüfen. Hierbei bietet es sich an, den Blick zunächst auf andere Rechtsordnungen zu richten und Anregungen aus der 89/84- FamRZ 1986, 575; OLG Oldenburg, Urt.v.5.11.84 -13 U 70/84- VersR 1986,57; BGH,Urt.v.28.2.1984 -VI ZR 132/82- VersR 1984,641=NJW 1984, 1958; OLG Hamburg, Urt.v.20.2.1980 -5 U 18/80- VersR 80,1029; OLG Karlsruhe, Urt.v. 14.10.1977 -10 U 294/76- VersR 1978,574; OLG Hamm, Urt.v. 14.10.75 -13 U 43/76- mitgeteilt vom OLG Hamm in VersR 1981,78; LG Flensburg, Urt.v.31.12.74 -2 Ο 282/73- VersR 1976,451; Vorinstanz (OLG Düsseldorf) zu BGH, Urt.v.29.10.1974 -VI ZR 168/73- NJW 1975,168; KG, Urt.v.22.2.71 -12 U 1744/70- VersR 1971,869; BGH, Urt.v. 10.3.1970 -VI ZR 182/68- VersR 1970, 467=NJW 1970, 1038=JZ 1970, 616; Vorinstanz (KG) zu BGH, Urt.v.27.1.70 -VI ZR 157/68- VersR 1970,374; LG Aachen, Urt.v. 11.11.69 -12 0 92/69VersR 1971,89; BGH, Urt.v.22.11.66 -VI ZR 58/65-, VersR 1967,158; Vorinstanz (OLG Oldenburg) zu BGH, Urt.v.23.2.65 -VI ZR 245/63- VersR 1965,503; BGH, Urt.v.8.1.65 VI ZR 230/63- VersR 1965,385; BGH, Urt.v.7.7.64 -VI ZR 5/64- VersR 1964,1085; BGH, Urt.v. 17.12.63 -VI ZR 29/63- VersR 1964,385; OLG München, Urt.v.30.4.1963 -5 U 1736/61-, VersR 1964,931; Vorinstanz (OLG Düsseldorf) zu BGH, Urt.v.13.7.62 -VI ZR 224/61-VersR 1962, 1088. 23 Beispiele für höhere Beträge (vgl. auch vorhergehende Fn.): OLG Düsseldorf VersR 1992,321: 273.755 D M Schadensersatz abzüglich des von der Feuerversicherung (120.000) und der Haftpflichtversicherung (33.000 DM) gedeckten Teils geltend gemacht; OLG Düsseldorf erklärt den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt (7jähriger Bekl.); - Vorinstanz (OLG Hamm) zu BGH VersR 1988, 800: 104.958 D M (9jähriger Bekl.); - OLG Köln VersR 1994, 1248: 70.000 D M Schmerzensgeld ^ j ä h r i g e r Bekl.); - LG Passau zfs 1994, 198:70.000 D M Schmerzensgeld (9jähriger Bekl.); - Vorinstanz (OLG Nürnberg) zu BGH VersR 1987, 762: 56.054 D M Verdienstausfall und 8.000 D M Schmerzensgeld (9-jährige Bekl.); - OLG Köln VersR 1987, 1022: 63.200 D M Schmerzensgeld (lOjähriger Bekl.); - Vorinstanz (OLG Hamm) zu BGH NJW 1986, 1865: 53.897 D M (14jähriger Bekl.); - BGH VersR 1984, 641: 45.715 D M (10jährige Bekl.).

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Einfhrung

Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger in anderen Rechtsordnungen zu beziehen. Da es an tiefergehenden rechtsvergleichenden Untersuchungen hierzu fehlt, wird im Anschluß an die Überprüfung der deutschen Regelung zunächst eine eigene Untersuchung über die Deliktshaftung Minderjähriger in anderen Rechtsordnungen vorgelegt. Auf der Grundlage dieses Rechtsvergleichs werden sodann die einzelnen Möglichkeiten einer Änderung des deutschen Rechts erörtert. Am Ende wird ein eigener Lösungsvorschlag unterbreitet. Im Anhang sind die Gesetzesvorschriften der untersuchten Staaten zur Deliktshaftung Minderjähriger abgedruckt.

1. Teil

Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht 1. Abschnitt: Die geltende Regelung Die Haftung Minderjähriger im geltenden Deliktsrecht ist bereits in mehreren Kommentierungen zu den §§ 828, 829 ausführlich dargestellt1. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es daher, einen kurzen Überblick über die wesentlichen Grundsätze zu geben. A. Gesetzliche Regelung Nach § 828 I sind Minderjährige unter 7 Jahren für Schäden, die sie einem anderen zufügen, nicht verantwortlich, während die Verantwortlichkeit Minderjähriger über 7 Jahren nach § 828 II 1 davon abhängt, ob sie bei Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatten. Sind Minderjährige auf Grund von § 828 I oder auf Grund von § 828 II 1 deliktsrechtlich nicht verantwortlich, so können sie gleichwohl noch nach Maßgabe des § 829 schadensersatzpflichtig sein. Die Ersatzpflicht des § 829 besteht, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Der Schadensersatz kann nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden. (2) Die Billigkeit erfordert nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung. (3) Dem deliktsunfähigen Schädiger werden nicht die Mittel entzogen, deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Die Regelung der §§ 828, 829 gilt nur für die Schädigung durch eigene Handlungen des Minderjährigen, wie sich aus dem Wortlaut des § 828 1 und II („...Schaden, den er einem anderen zufügt") und seiner systematischen Stellung nach den §§ 823-826, die sämtlich Schädigungen durch eigene Handlungen betreffen, und vor den §§ 831 ff., die Schädigungen durch andere - Personen, Tiere

1 Vgl. u.a. die Ausführungen von Steffen, in: RGRK, §§ 828, 829, und Schäfer, in: Staudinger, §§ 828, 829, jeweils mit weiterführenden Literaturhinweisen; Mertens, in: MünchKomm, §§ 828, 829; Zeuner, in: Soergel, §§ 828, 829.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

und Sachen - betreffen, ergibt. Inwieweit in den letztgenannten Fällen die §§ 828, 829 analog angewandt werden können, ist umstritten; die Rechtsprechung hat jedenfalls bei §§ 831, 833 Satz 2, 836 sowie 844 und 845 die §§ 828, 829 angewandt2. Die Rechtsfolge der Haftung ergibt sich in den Fällen einer Verantwortlichkeit des Minderjährigen gemäß § 828 II 1 aus den §§ 823-826: danach ist bei Verwirklichung der Deliktstatbestände jeweils der „daraus entstehende Schaden" (§§ 823825), oder einfach „der Schaden" (§ 826) zu ersetzen. Wie das zu geschehen hat, ergibt sich dann aus § 249: Danach ist der Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Gläubiger kann stattdessen auch den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Minderjährige unterliegt also wie der Erwachsene der uneingeschränkten Haftung nach den §§ 823-826, er hat stets den ganzen Schaden zu ersetzen. Auch die Rechtsfolgen aus §§ 250 ff. und 847 (Schmerzensgeld) gelten für ihn ohne Einschränkung. In den Fällen des § 829 ergibt sich die Rechtsfolge aus § 829 selbst: danach ist der Schaden „insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen...eine Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Die weitaus größte Bedeutung für die Minderjährigenhaftung hat in der Praxis der Deliktstatbestand des § 823 I. Fast alle veröffentlichten Entscheidungen zur Minderjährigenhaftung betreffen Fälle des § 823 I. Die weitere Untersuchung soll sich daher auf die Haftung Minderjähriger nach § 823 I beschränken. B. Auslegung der gesetzlichen Regelung durch die Rechtsprechung Bei der Prüfung des Deliktsanspruchs gegen einen Minderjährigen gemäß § 823 I, 828 II 1 untersucht die Rechtsprechung zunächst die Deliktsfähigkeit des Minderjährigen gemäß § 828 II 1. Erst wenn sie diese bejaht, prüft sie die Voraussetzungen des § 823 I, insbesondere die Frage der Fahrlässigkeit. /. Auslegung des § 828 II 1 (Einsichtsfähigkeit) Bei Minderjährigen über 7 Jahren ist zu prüfen, ob der Minderjährige „die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht" hatte. Dieser Begriff ist nicht ohne weiteres klar und daher auslegungsbedürftig. Von Liszt hat die Vorschrift des § 828 II 1 (§ 709 nach dem Entwurf der 1. Kommission) deshalb auch

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Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829, Rdn.4.

. Abschnitt:

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als „mißlungen" bezeichnet3 und den Verfassern der Motive vorgeworfen, ihnen sei - wie sich aus den Ungereimtheiten zwischen Gesetzestext und dessen Erläuterung in den Motiven ergebe - der Inhalt der Vorschrift nicht einmal selbst klar gewesen: „...wir werden doch annehmen dürfen, daß Bestimmungen des Entwurfs, welche dem Verfasser der Motive so völlig unklar geblieben sind, auch von der großen Masse der Rechtssuchenden und Rechtsprechenden kaum verstanden werden dürften. Derartige Bestimmungen zu treffen, ist aber nicht gerade das höchste Ziel, welches der Gesetzgeber anzustreben hat."4 Es erscheint daher erforderlich, die Auslegung, die der Begriff in der Rechtsprechung gefunden hat, näher zu erläutern. Hierfür ist es sinnvoll den Gesamtbegriff in seine Einzelbegriffe aufzugliedern: 1. „Erkenntnis der Verantwortlichkeit" Nach der Rechtsprechung besteht das Begriffselement „Erkenntnis der Verantwortlichkeit" aus zwei Bestandteilen: der Erkenntnis des Unrechts, und der Erkenntnis der Einstandspflicht. Dies wird vor allem mit der Entstehung des § 828 II nach dem Vorbild der §§ 56, 57 StGB begründet. Insoweit ist bis heute ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1902 maßgeblich, welches sich ausfuhrlich mit dem Begriff beschäftigt. Dort heißt es5 : „Die Bestimmung des § 828 Abs. 2 ist entstanden in offenbarer Anlehnung an die §§ 56,57 StGB (vgl. Motive zum Entwürfe des BGB Bd. 2 S.733); an die Stelle der zu Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht dort ist im Bürgerlichen Gesetzbuch die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht getreten. Wie die Erkenntnis der Strafbarkeit die beiden Momente umfaßt, daß der Täter sich der Pflicht bewußt ist, die bestimmte Handlung, die er begeht, zu unterlassen, und daß er zugleich erkennt, daß er sich durch ihre Begehung einer kriminellen Strafe aussetzt (vgl. Entsch. des R.G.'s in RGSt 5, 395), so erschöpft sich auch die Erkennntnis der Verantwortlichkeit, wie schon aus der Bedeutung des Wortes erhellt, nicht in dem Bewußtsein des Unrechts...; sie erfordert vielmehr auch ein Verständnis der Pflicht, für die Folgen der Handlung einzustehen...Die Erkenntnis der Verantwortlichkeit deckt sich daher nicht mit der Erkenntnis der Gefährlichkeit der Handlung, aber auch nicht mit der Erkenntnis des dem Mitmenschen zugefügten Unrechts; sie geht vielmehr über beide hinaus".

Seit dieser Entscheidung erklärte das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung, die vom Bundesgerichtshof übernommen wurde 6, zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit gehöre auch die Erkenntnis, für die Folgen seines Tuns einstehen zu müssen.

3 4 5 6

Von Liszt, Die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, S.43. Von Liszt, Die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, S.44. RG, Urt.v.8.12.1902, RGZ 53, 157(158). Vgl. Steffen, in: RGRK, § 828 Rdn.4 mit weiteren Nachweisen.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Das Erfordernis der Erkenntnis der Einstandspflicht wird allerdings dadurch vom Bundesgerichtshof aufgeweicht, daß er meint, wer die Gefahr seines Verhaltens in allgemeinen Zügen erkennen könne, wisse im allgemeinen auch, daß man ihn dafür zur Verantwortung ziehen kann7. 2. „ Einsicht " Im gerade zitierten Urteil des Reichsgerichts heißt es weiter zum Begriff der „Einsicht": „Weder das Reichsstrafgesetzbuch, noch das Bürgerliche Gesetzbuch erfordert aber für die Zurechnungsfahigkeit des Täters die Erkenntnis der Strafbarkeit oder der Verantwortlichkeit selbst; sie verlangen nur die zu dieser Erkenntnis...erforderliche Einsicht, d.i. die geistige Reife, die den Handelnden befähigt, die im Gesetz vorausgesetzte Erkenntnis zu erlangen...Die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht des § 828 Abs. 2 B.G.B, ist daher...zu bestimmen als diejenige geistige Entwicklung, die den Handelnden in den Stand setzt, das Unrecht der Handlung gegenüber den Mitmenschen und zugleich die Verpflichtung zu erkennen, in irgendeiner Weise für die Folgen seiner Handlung einstehen zu müssen."

Diese „Einsicht" fällt also nicht zusammen mit dem Erkennen der Verantwortlichkeit; sie ist nur die Fähigkeit zu dieser Erkenntnis8. Die „Einsicht" im Sinne des § 828 II 1 wird damit verstanden als Erkenntnis^äA/gfe/Y. Daher wird auch in Literatur und Rechtsprechung statt von der „zur Erkenntnis erforderlichen Einsicht" häufig von der Einsichtsfähigkeit gesprochen. Im folgenden soll ebenfalls nur noch der so verstandene Begriff der Einsichtsfähigkeit verwandt werden. Die reichsgerichtliche Auslegung des § 828 II 1 ist in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zu § 828 II 1 übernommen worden9, und kann immer noch als die in der Praxis maßgebende Auslegung des § 828 II 1 bezeichnet werden 10. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes genügt zur Bejahung der Fähigkeit zur Einsicht die Feststellung, daß beim Minderjährigen ein „allgemeines Verständnis" dafür vorhanden war, „daß das Verhalten irgendwelche Gefahren herbeiführen kann" 11 . Die Rechtsprechung abstrahiert für die Prüfung der Einsichtsfähigkeit von allen konkreten Umständen des gegebenen Sachverhaltes und 7

Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 22.11.1966 - V I ZR 58/65 - VersR 1967, 158; Steffen, in: RGRK, § 828 Rdn.4. 8 Steffen, in: RGRK, § 828 Rdn.4. 9 Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 27.1.1970 - V I ZR 157/68 - VersR 1970, 374; BGH, Urt. v. 28.2.1984 - V I ZR 132/82 - VersR 1984, 641 = N J W 1984, 1958; BGH, Urt. v. 10.3.1970 - V I ZR 182/68 - VersR 1970, 467 = NJW 1970, 1038 = JZ 1970, 616. 10 Vgl. Steffen, in: RGRK, § 828 Rdn.3 und 4. 11 Vgl. z.B. BGH VersR 1984, 641 (642); dazu auch Steffen, in: RGRK, § 828 Rdn.4; ausführlich Waibel, S.103 ff.

. Abschnitt:

ie geltende Regelung

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versucht, auf den Handlungstypus zurückzugehen: es wird also geprüft, ob der minderjährige Schädiger die Einsicht hatte zu erkennen, daß das Rollerfahren auf einer öffentlichen Straße, das Spielen mit Pfeil und Bogen, das Werfen mit Holzlatten oder mit Steinen, das Spielen mit offenem Feuer, der Umgang mit einer laufenden Maschine, die Annäherung an einen bissigen Hand an sich und ganz allgemein als gefährlich anzusehen ist 12 . Dagegen wird nicht berücksichtigt, ob der Minderjährige in der Lage war, die konkrete Gefahr, die aus seinem Verhalten resultiert, zu erkennen. Erst bei der Fahrlässigkeitsprüfling bezieht die Rechtsprechung die konkrete Gefahr des konkreten Lebensvorgangs in die Bewertung mit ein13. 3. Berücksichtigung der Steuerungsfähigkeit? Im Strafrecht wird die Verantwortlichkeit (Schuldfähigkeit) eines Täters nicht bereits dann bejaht, wenn er die erforderliche Einsichtsfähigkeit besaß. Das Strafrecht verlangt vielmehr zusätzlich, daß der Täter bei Begehung der Tat die sogenannte „Steuerungsfähigkeit" besessen hat. So ist nach § 3 Satz 1 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) ein Jugendlicher strafrechtlich verantwortlich, „wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln." Nach §§ 20, 21 StGB ist die Schuld ausgeschlossen bzw. vermindert, wenn der Täter auf Grund der dort genannten Defizite unfähig bzw. in erheblich vermindertem Maße fähig war, das Unrecht der Tat einzusehen „oder nach dieser Einsicht zu handeln". Diese Fähigkeit, „nach der Einsicht zu handeln" wird als „Steuerungsfähigkeit" bezeichnet. Mit dem Erfordernis der Steuerungsfähigkeit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Jugendliche (§ 3 Satz 1 JGG) bzw. die in §§ 20, 21 StGB genannten Personen nicht selten zu der Erkenntnis fähig sind, daß ihr Verhalten nicht rechtens ist, gleichwohl aber nicht die nötige Selbstbeherrschung besitzen, auf Grund dieser Erkenntnis von der beabsichtigten Handlung Abstand zu nehmen. Im Gegensatz zu den genannten strafrechtlichen Vorschriften begnügt sich § 828 II 1 mit „der zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht", verzichtet also auf das Erfordernis der Steuerungsfähigkeit. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat demgemäß mehrfach betont, daß die Steuerungsfähigkeit keine Voraussetzung für die Deliktsfähigkeit des Minderjährigen im Sinne des § 828 II ist14. § 828 II 1 stelle allein auf die intellektuelle Fähigkeit des Jugendlichen ab, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen. Auch für diese Auslegung be-

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Waibel, S. 105/106, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Waibel, S. 106 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. BGH VersR 1984, 641; BGH VersR 1970,467.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

ruft sich der Bundesgerichtshof auf das erwähnte Urteil des Reichsgerichts15. § 828 II 1 sei in bewußter Anlehnung an die Regelung der §§ 56, 57 RStGB geschaffen worden. Die Entscheidung, die Steuerungsfähigkeit nunmehr in Anknüpfung an Erkenntnisse der Jugendpsychologie, welche im Strafrecht Anerkennung gefunden habe (§ 3 JGG), zu berücksichtigen und den steuerungsunfahigen Minderjährigen nicht nur von Strafe sondern auch von der zivilrechtlichen Verantwortung freizustellen, sei eine Entscheidung, die allein der Gesetzgeber treffen könne. Es sei immerhin - aus rechtspolitischen Gründen - denkbar, daß Strafe und Ersatzpflicht von verschiedenen Voraussetzungen abhängig sein sollen. 4. Praktische Bedeutung des § 828 II 1 Der Verzicht auf die Berücksichtigung der Steuerungsunfähigkeit, vor allem aber auch die oben erwähnte, durch den Bundesgerichtshof vorgenommene Abstrahierung des Gefahrbegriffs hat in der Praxis dazu geführt, daß die Einsichtsfähigkeit fast stets bejaht wird. Denn fast immer dürfte sich der Minderjährige bewußt sein, daß seine Handlung „irgendwelche" Gefahren hervorrufen kann. Damit ist die praktische Bedeutung des Einwandes der Einsichtsunfähigkeit aus § 828 II 1 in der Rechtsprechung sehr gering geworden. Steffen nennt in einer ausführlichen Rechtsprechungsübersicht seiner Kommentierung zu § 828 ganze 6 von fast 50 Entscheidungen, in denen die Einsichtsfähigkeit nach § 828 II 1 verneint wurde. Bei diesen handelt es sich meist um untergerichtliche Entscheidungen aus den 50er Jahren. Bei einer Durchsicht der Bände der „Neuen Juristischen Wochenschrift" und der Zeitschrift „Versicherungsrecht" aus den letzten 30 Jahren konnten sich von über 80 Entscheidungen zu § 828 II 1 lediglich zwei Entscheidungen finden lassen, in welchen die Einsichtsfähigkeit verneint wurde. Bei der einen ging es um einen in seiner Reife zurückgebliebenen 7!/2jährigen16. Unter Berufung auf ein Gutachten, welches die Reifeverzögerung bei dem 71/2jährigen festgestellt hatte, wird hier die Deliktsfähigkeit verneint. Bei der anderen Entscheidung handelt es sich um eine Amtsgerichtsentscheidung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unhaltbar erscheint17. Nur eine einzige veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist ersichtlich, in der die Deliktsfähigkeit eines Minderjährigen bisher verneint worden ist18.

15 16 17 18

Vgl. BGH VersR 1970, 467 (468) und RGZ 53, 157 (158). OLG Koblenz, Urt.v. 11.1.89 - 1 U 189/88 -, VersR 1989, 485. AG Hadamar, 21.5.79 - 3 C 253/78 -, VersR 1980, 175. BGH VersR 1959, 732: 13^jährige hängt sich an das Seil eines ungesicherten Skilifts.

. Abschnitt:

ie geltende Regelung

II. Auslegung des § 8231 (Fahrlässigkeit)

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bei Minderjährigen

Die Frage, die in der Praxis fast allein darüber entscheidet, ob der Minderjährige haftet oder nicht, ist die Frage danach, ob der Minderjährige gemäß § 823 I fahrlässig gehandelt hat. Bei der Prüfling der Fahrlässigkeit wird grundsätzlich der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 276 angewandt. Von dem Handelnden wird daher grundsätzlich die nach objektiven, nicht individuellen Kriterien zu bestimmende, im Verkehr erforderliche, nicht lediglich übliche Sorgfalt gefordert. Dieser streng-objektive Sorgfaltsmaßstab wird aber vom Bundesgerichtshof nach Altersgruppen relativiert (sog. Gruppenfahrlässigkeit) 19: Zwar sei bei der Prüfung der Frage, ob jemand die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat und ihn der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens trifft, ein objektiver Maßstab anzulegen. Dadurch sei aber die Berücksichtigung typischer Verschiedenheiten ganzer Altersgruppen doch nicht ausgeschlossen. Fahrlässiges Handeln eines Minderjährigen könne nur bejaht werden, wenn ein Angehöriger seiner Altersstufe bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte vorhersehen müssen, daß seine Handlung zur Verletzung eines anderen fuhren kann. Bei Minderjährigen wird vom Bundesgerichtshof damit ein Sorgfaltsmaßstab angelegt, der typische jugendliche Seh- und Verhaltensweisen mitberücksichtigt 20. Soweit Kinder in einer bestimmten Situation typischerweise nicht fähig sind, ihren Einsichten zu gehorchen, fehlt es an der Vermeidbarkeit der Schädigung, mithin an der Fahrlässigkeit ihres Verhaltens. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1984 fuhrt der Bundesgerichtshof aus21: „Auch steht es mit der Rechtsprechung im Einklang, daß das Berufungsgericht bei Prüfling der Fahrlässigkeit besondere Umstände eines spontan-emotionalen Vorgangs, wie er ganzen Altersgruppen von Jugendlichen eigen ist, berücksichtigt, so beispielsweise die Motorik des Spieltriebs (vgl. Senatsurteil vom...für das Nachlaufen nach einem auf die Straße rollenden Ball), den Forschungs- und Erprobungsdrang, den Mangel an Disziplin, Rauflust, Impulsivität und Affektreaktionen. War unter solchen Umständen das schädigende Verhalten typischerweise für den Minderjährigen nicht vermeidbar und fehlt es deshalb an der personalen (subjektiven) Seite der Fahrlässigkeit..., an der „inneren Sorgfalt", dann liegt kein fahrlässiges Verhalten vor."

Bei der Prüfling der Fahrlässigkeit ist dabei nach der Rechtsprechung die Verstandesreife von Minderjährigen zugrunde zu legen, die allgemein in der entspre19

Vgl. z.B. BGH, Urt.v. 22.11.1966 - V I ZR 58/65 -, VersR 1967,158(159). Vgl. Steffen, in: RGRK, § 828 Rdn.7 mit Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Beispiele für Verneinung der Fahrlässigkeit wegen typischer kindlicher Verhaltensweisen aus jüngster Zeit: OLG Hamm, Urt.v.7.2.1994 -32 U 179/92- VersR 1995, 56; LG Mannheim, Urt.v.21.1.1994 -1 S 252/93- VersR 1994, 1440. 21 BGH, Urt. v. 28.2.1984, - V I ZR 132/82 -, VersR 1984, 641 (642). 20

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

chenden Altergruppe zu erwarten ist22. Es kommt also darauf an, ob der Minderjährige nach dem allgemeinen Stand der Entwicklung seiner Altersgruppe die zur Bejahung seiner Fahrlässigkeit erforderliche Reife hatte23. Bei der Fahrlässigkeitsprüfting wird also ausnahmsweise ein personales Merkmal zugelassen, indem das Alter des Handelnden berücksichtigt wird. Die Relativierung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs geht indes nicht weiter: es wird also nicht etwa geprüft, ob das Maß an Sorgfalt gerade von diesem Minderjährigen gefordert werden konnte. Daher müssen die individuellen Fähigkeiten des Minderjährigen bei der Fahrlässigkeitsprüfung außer Betracht bleiben24. III. Auslegung des § 829 (Billigkeit) 1. Der Begriff der Billigkeit Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Begriffs der Billigkeit (..."hat den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert") kommt der Rechtsprechung bei der Anwendung des § 829 eine besondere Bedeutung zu. Dem richterlichen Ermessen wird vom Gesetz ein breiter Raum eröffnet. Insgesamt hat sich die Rechtsprechung für eine eher zurückhaltende Anwendung des § 829 entschieden. Sie hat stets betont, bei § 829 handele es sich um eine Ausnahmen or schrift, was schon darin zum Ausdruck komme, daß die Schadensabnahme durch den Schädiger nicht nur billig sein, sondern durch die Billigkeit gefordert sein müsse25. Als wichtigster, wenn auch nicht allein ausschlaggebender Faktor werden die Vermögensverhältnisse angesehen26 (vgl. in § 829 „insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten"). Hierbei verlangt die Rechtsprechung ein wirtschaftliches Gefälle 27, d.h. erheblich bessere Vermögensverhältnisse des Schädigers gegenüber dem Geschädigten 28. Allerdings wird in § 829 nicht ein „Millionärsparagraph" gesehen, der nur Schädiger in herausragend günstiger wirtschaftlicher

22

Vgl. z.B. BGH VersR 1984, 641 (642). BGH VersR 1970, 467 (468). 24 BGH (vorherg. Fußn.), S.468. 25 Vgl. BGH, Urt. v. 18.12.1979 - V I ZR 27/78 - BGHZ 76, 279 (284); Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.12. 26 Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.13. 27 Vgl. BGHZ 76, 279 (284). 28 Vgl. BGH, Urt.v. 24.4.1979 - V I ZR 8/78 - JR 1980, 18; Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.13. 23

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ie geltende Regelung

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Stellung beträfe 29. Entscheidend ist, daß ein erheblicher VQvmögtmunterschied besteht. Als weitere Faktoren, die das Billigkeitserfordernis ausfüllen, werden genannt30: die „Nähe" des Schädigers zum Schaden; wie schadenstypisch das Ereignis für den Lebensbereich ist, in dem es sich verwirklicht; ob die Schädigung bei einem freundschaftlichen Spiel oder aus zielgerichteter Aggression eingetreten ist; ob der Schädiger unbesonnen oder absichtlich (i.S. eines natürlichen Vorsatzes) gehandelt hat; welchen Anteil der Geschädigte an dem Geschehen gehabt hat. Auch ein freiwilliger Unfallsversicherungsschutz des Geschädigten ist zu berücksichtigen31. Hoch umstritten ist die Frage, inwieweit das Bestehen einer Haftpflichtversicherung die Billigkeitserwägungen beeinflussen darf. Während die weitaus meisten Autoren 32, vor allem im jüngeren Schrifttum, eine Haftpflichtversicherung ohne weiteres berücksichtigen wollen, hat sich die Rechtsprechung hier zurückhaltend gezeigt. Sie hat jedenfalls für den Bereich der freiwilligen Haftpflichtversicherung stets die Auffassung vertreten, daß der Haftpflichtversicherungsschutz eine Ersatzpflicht jedenfalls nicht begründen könne33. Für einen Anspruch nach § 829 sei jedenfalls dann kein Raum, wenn ihn der Schädiger (ohne Haftpflichtversicherung) überhaupt nicht oder doch nicht ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts zu befriedigen imstande wäre. In diesen Fällen gehe es nicht an, dem Bestehen einer Haftpflichtversicherung in der Weise Rechnung zu tragen, daß soweit ihr Schutz reicht - die wirtschaftliche Lage des Schädigers neben den übrigen Bemessungskriterien außer Betracht bleibt34. Der Bundesgerichtshof begründet diese Auffassung damit, daß der Zweck der Haftpflichtversicherung in erster Linie auf die Freistellung des Versicherungsnehmers und damit den Schutz seines Vermögens vor Haftpflichtansprüchen gerichtet sei, und nicht darauf, eine Haftungsgrundlage erst zu schaffen. Dies gelte jedenfalls im Bereich der freiwilligen Privathaftpflichtversicherung. Zumindest hier habe sich der Gedanke des Schutzes der gegebenenfalls Geschädigten, der sich im Bereich der Pflichtversicherung in den Vordergrund geschoben hat, noch nicht so weit durchgesetzt, daß er eine derartige Ausweitung der Billigkeitshaftung nach § 829 begründen könne35. 29

Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.13. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.16. 31 Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.15. 32 Vgl. die Nachweise bei Zeuner, in: Soergel, § 829 Rdn.8 und in BGH, Urt.v. 24.4.1979 - V I ZR 8/78 -, JR 1980, 18(19). 33 Vgl. BGHZ 76, 279 (283 ff.) mit umfangreichen Nachweisen zu früheren BGHEntscheidungen. Anders für die Kfz-Pflichtversicherung, vgl. BGH, Urt.v.l 1.10.94 - VI ZR 303/93 - VersR 1995, 96. 34 BGHZ 76, 279 (285). 35 BGHZ 76, 279 (285 f.). 30

3 Goecke

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Dagegen hat es der Bundesgerichtshof fur möglich gehalten, daß der Versicherungsschutz im Sinne „einer Korrektur hinsichtlich der Höhe des zu zahlenden Betrags" Berücksichtigung findet, „die aber nicht jeden Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schädigers verliert"; dem Versicherungsschutz könne immerhin insoweit Einfluß auf die Höhe des Anspruchs eingeräumt werden, „als die Grenzen des dem Schädiger mit Rücksicht auf seinen notwendigen Lebensbedarf noch Zumutbaren weiter ausgedehnt werden, weil dieser Lebensbedarf wegen des Versicherungsschutzes ja tatsächlich nicht beeinträchtigt wird" 36 . Ändern sich die Vermögensverhältnisse der Beteiligten, kommt zum Beispiel der Schädiger nachträglich zu Geld, so können die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 829 erst nachträglich eintreten. Bei der gerichtlichen Geltendmachung kann der Geschädigte für diesen Fall Vorsorgen und eine Feststellungsklage erheben. Die Rechtsprechung läßt für diese Fälle eine Feststellungsklage mit dem Antrag zu, daß der Schädiger den Schaden - ganz oder teilweise - dann zu ersetzen hat, wenn und soweit es die Billigkeit erfordert und dem Schädiger nicht die Mittel zum eigenen Unterhalt und zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsansprüche entzogen werden 37. 2. Haftung grundsätzlich nur bei voller Verwirklichung eines Deliktstatbestands Angesichts des klaren Wortlauts des § 829 („Wer in einem der in den §§ 823 bis §§ 826 bezeichneten Fälle für einen von ihm verursachten Schaden auf Grund der §§ 827, 828 nicht verantwortlich ist") hat die Rechtsprechung stets angenommen, daß eine Haftung nach § 829 nur in Betracht kommt, wenn der Schädiger den jeweiligen Deliktstatbestand in allen seinen Voraussetzungen - nur mit der Ausnahme der Zurechnungsfähigkeit - verwirklicht hat38. So scheidet § 829 zum Beispiel aus, wenn der Schädiger rechtmäßig oder ohne Verschulden gehandelt hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung nur bei einer Fallgruppe zugelassen: in den Fällen nämlich, in denen ein Minderjähriger zwar zurechnungsfähig, aber auf Grund seines jungen Alters wegen des alterstypisch verminderten Sorgfaltsmaßstabs ohne Verschulden handelt39. IV. Anwendung des § 254 (Mitverschulden)

bei Minderjährigen

Die Rechtsprechung wendet die gleichen Grundsätze, welche sie für minderjährige Schädiger aufgestellt hat, auch auf das Mitverschulden minderjähriger Ge36 37 38 39

BGHZ 76, 279 (286 f.). Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.19. Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.5. Vgl. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.9.

. Abschnitt:

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schädigter (§ 254) an. So wird auch im Rahmen des Mitverschuldens zunächst geprüft, ob der Minderjährige deliktsfähig war. Dies wird in analoger Anwendung des § 828 BGB dann verneint, wenn der Minderjährige unter 7 Jahre alt war oder nicht die erforderliche Einsicht besaß40. In diesem Fall kann dem minderjährigen Geschädigten allerdings noch in analoger Anwendung des § 829 eine Schadensquote auferlegt werden, wenn dies die Billigkeit gebietet, etwa weil das minderjährige Opfer wesentlich vermögender war als der Schädiger41. Die mitwirkende Fahrlässigkeit des Minderjährigen wird ebenfalls unter Anwendung eines alterstypischen Sorgfaltsmaßstabes bestimmt42. Das dem Geschädigten zugerechnete Mitverschulden führt gemäß § 254 zu einer Schadensteilung. Hierbei sind die Verursachungs- und Verschuldensanteile der Parteien gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung entscheidet darüber, welche Schadensquote Schädiger und Geschädigtem auferlegt wird. Im Rahmen des § 254 wirkt sich nicht nur das „Ob" des Verschuldens, sondern auch Maß und Grad des Verschuldens auf die Rechtsfolge aus. Trifft den Geschädigten kein Mitverschulden, so ist der Grad des Verschuldens beim Schädiger für die Rechtsfolge irrelevant: auch sehr leichtes Verschulden des Schädigers führt zu dessen voller Verantwortlichkeit. Sobald aber ein Mitverschulden des Geschädigten hinzutritt, wird der Grad des Verschuldens bedeutsam und schlägt sich im Abwägungsergebnis, der Schadensquote, und somit in der Rechtsfolge nieder. Dem Richter ist damit im Rahmen des § 254 möglich, was ihm sonst verwehrt bleibt: er kann den Haftungsumfang einer Person mit Rücksicht auf das Ausmaß seines Verschuldens festlegen. Aufschlußreich erscheint nun, wie der Richter im Rahmen des § 254 verfährt, wenn Minderjährige am Schadensereignis beteiligt sind. Sieht man die Gerichtspraxis daraufhin durch, so zeigt sich, daß das Verschulden Minderjähriger häufig milder bewertet wird als das Verschulden Erwachsener. So hob der Bundesgerichtshof unter anderem mit folgender Begründung ein Berufungsurteil auf, welches einem lö^jährigen Geschädigten den Ersatzanspruch wegen schwerem Mitverschulden ganz versagt hatte: die „Eigenart jugendlichen Verhaltens" sei zu berücksichtigen, deshalb habe dessen eigenes Verschulden ihm nicht als schweres Verschulden zugerechnet werden können43. In einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln heißt es, zwar sei das Ausmaß der Fahrlässigkeit des 8jährigen Geschädigten hoch, es sei aber „das junge Alter von 8 Jahren zu berücksichti' gen" 44 . Ganz ähnlich wird in einer Entscheidung des Landgerichts Stuttgart wegen 40 41 42 43 44

Vgl. Heinrichs, in: Palandt, § 254 Rdn.13; ausführlich Waibel, S.137 ff. Steffen, in: RGRK, § 829 Rdn.20. Vgl. z.B. OLG Hamm, VersR 1982, 860; BGH, Urt. v. 13.2.1990, VersR 1990, 535. BGH, Urt.v. 14.3.61 - V I ZR 189/59 -, BGHZ 34, 355 (366). OLG Köln, Urt. v. 26.10.88 - 13 U 123/88 -, VersR 1989, 206 (207).

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

der „Eigenart jugendlichen Verhaltens" das Verschulden eines 15 ^jährigen Geschädigten nicht als schwer angesehen. Diese milde Verschuldensbewertung hat regelmäßig zur Folge, daß die Schadensquote, welche dem Minderjährigen auferlegt wird, geringer - oft erheblich geringer - ausfällt, als sie bei einem Erwachsenen in der gleichen Situation ausfallen würde 45 . Die Praxis reduziert also in den Fällen des § 254 die Belastung des Minderjährigen und begrenzt den Umfang von dessen Haftung. Folgende Beispiele aus der Rechtsprechung mögen dies belegen. Einer ^jährigen Geschädigten wird mit „Rücksicht auf das Alter" nur eine Schadensquote von VA auferlegt 46. Einem 9jährigen Geschädigten wird überhaupt kein Schadensanteil angerechnet, weil dessen Verschulden „nur sehr leicht wiege", und sein Fehlverhalten auf „alterstypischer Überschätzung der Kräfte" beruhe 47. Ein 9jähriger Geschädigter muß nur 50 % des Schadens tragen, obwohl er „grob verkehrswidrig" gehandelt habe, weil er sich „wegen kindlichen Alters" nicht „der Tragweite" seines Tuns bewußt gewesen sei 48 . Unter Hinweis darauf, daß er „noch gering entwickelt" sei, wird einem 7jährigen Geschädigten nur eine Schadensquote von VA angerechnet49. Das Verschulden eines anderen 7jährigen, wird auf Grund seines jungen Alters nicht als grob angesehen, weswegen er nur 60 % des Schadens tragen muß 50 . Im Ergebnis in die gleiche Richtung zielt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 199051 : Dort erklärte er, daß der für Erwachsene geltende Grundsatz, die normale Betriebsgefahr eines Kraftfahrers reduziere sich gegenüber einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Geschädigten auf „null", nicht ohne weiteres auf ein 8jähriges Kind übertragen werden könne. Auch ein objektiv als grob verkehrswidrig zu beurteilender Unfallbeitrag eines Kindes könne, soweit sich darin altersgemäße Defizite der Integrierung in den Straßenverkehr und seine Gefahren auswirken, nicht - wie bei einem Erwachsenen - zur völligen Haftungsfreistellung des Kraftfahrzeughalters und -fahrers führen. Nur ausnahmsweise sei eine Haftungsfreistellung denkbar, wenn auf Seiten des Kindes - gemessen an dem altersspezifischen Verhalten von Kindern - auch subjektiv ein besonders vorwerfbarer Sorgfaltsverstoß vorliege. 45 Scheffen, ZRP 1991, 458 (459 ff.) und DAR 1991, 121 (123), meint allerdings, das Mitverschulden Minderjähriger würde zu häufig unbedenklich bejaht und die Quoten fielen häufig zu hoch aus. 46 OLG Köln, Urt.v. 10.12.87 - 5 U 96/27 -, VersR 1989, 62 (63). 47 OLG Stuttgart, Urt. v. 17.11.1977 - 6 U 75/77 -, VersR 1978, 577 (578). 48 OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.2.78 - 12 U 162/77 -, VersR 1978, 768. 49 OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.7.75 - 5 U 209/74 -, VersR 1977, 1012 (1013). 50 OLG Schleswig, Urt. v. 1.10.74 - 9 U 15/74 -, VersR 1976, 975 (976). 51 BGH, Urt.v. 13.2.1990, VersR 1990, 535.

2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung

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2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung A. Beratung der §§ 828, 829 im Überblick Eine Untersuchung der Entstehungsgeschichte zeigt, daß die geltende Fassung des § 828 bereits von der ersten Kommission zur Schaffung eines Bürgerlichen Gesetzbuches festgelegt wurde und die Beratungen in den weiteren Gremien praktisch unverändert überstand. Über Auseinandersetzungen um diese Vorschrift wird nicht berichtet. Lediglich in der zweiten Kommission gab es Änderungsanträge 1. Alle Änderungsanträge enthielten wie die geltende Vorschrift das Alter von 7 Jahren und alle bis auf einen „die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" als Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung des Minderjährigen 2. Die Ausnahme bildete Antrag Nr. 4, der vorschlug, daß der Umfang des Schadensersatzes „von den Umständen des Falles" abhängen solle3. Dieser Antrag wurde jedoch zurückgezogen4. Lebhaft umstritten war dagegen während der gesamten Beratung das Thema des geltenden § 829, die Frage, ob und inwieweit deliktsunfähige Personen, also Personen unter 7 Jahren oder ohne Einsichtsfähigkeit, Schadensersatz für unerlaubte Handlungen leisten sollten. B. Entstehungsgeschichte und Vorläufer des § 828 Die Ursache dafür, daß die in § 828 gefaßte Regel während der Beratung weitgehend unumstritten war, läßt sich wahrscheinlich darauf zurückführen, daß diese Regel dem vor Inkrafttreten des BGB überall geltenden Rechtszustand im Deutschen Reich entsprach. I. Freistellung

Minderjähriger

unter 7 Jahren (§ 8281)

1. Freistellung des infans Auf die Übereinstimmung der von ihm vorgeschlagenen Regel - die Freistellung der Minderjährigen unter 7 Jahren - mit dem im Deutschen Reich und den Nachbarstaaten geltenden Recht berief sich auch der für die Ausarbeitung des Schuld1

Vgl. Prot. II, S.579 ff Diese Änderungsanträge zielten darauf ab, statt der Freistellung des Minderjährigen unter 7 Jahren bzw. des einsichtsunfähigen Minderjährigen deren subsidiäre Haftung bzw. Billigkeitshaftung einzuführen. 2 Antrag Nr. 6 wollte die Worte "der Verantwortlichkeit" durch die Worte "ihrer Gefährlichkeit" ersetzt wissen, vgl. Prot. II, 582. 3 Prot. II, 581. 4 Vgl. Prot. II, 582.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

rechts zuständige Redaktor von Kübel. In der Begründung zu dem von ihm vorgelegten Entwurf erwähnt von Kübel zwar zunächst das ältere deutsche Recht (nach welchem die Schadensersatzpflicht ohne Rücksicht auf die Schuld des Täters begründet war, weswegen auch Kinder haftbar gemacht werden konnten), fährt dann aber fort: „Nach römischem Rechte dagegen wird die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen durch jugendliches Alter... 3 Desgleichen werden auch in der neueren Gesetzgebung (preuß. Landrecht I. 6 § 41; österr G.B. § 1308; sächs. G.B. §§81, 119; Zürcher G.B. § 1835...) das Kindesalter, Geisteskrankheit und andere Zustände, in denen eine Person des freien Willens beraubt ist, als Gründe mangelnder Zurechnungsfähigkeit wenigstens prinzipiell und ftir die Regel hervorgehoben" 6.

Diese „neuere Gesetzgebung" dürfte sich ihrerseits am römischen Recht orientiert haben. Im römischen Recht konnten infantes nicht verantwortlich gemacht werden. Wenn ein infans Schaden anrichten, sei dies nicht anders zu beurteilen, als wenn Geisteskranke Schaden anrichten, oder „wenn ein Herdentier Schaden anrichtet oder ein Ziegel vom Dach fällt" heißt es in den Digesten7. Schäden durch infantes wurden damit dem Bereich der nicht ersatzpflichtigen Zufallsschäden zugeordnet. Dies ist vor dem Hintergrund des römischen Deliktsrechts verständlich, das - wie das BGB in den § 823 - nur die Ersatzpflicht für verschuldete Schadenszufügung kannte (Verschuldensprinzipf. Folgerichtig wurde die Haftung Geisteskranker verneint: da sie des Geistes nicht mächtig seien, könne bei ihnen von einem Verschulden nicht die Rede sein9. In Analogie zu den bei Geisteskranken angestellten Überlegungen wird von dem römischen Juristen Ulpian auch die Verantwortlichkeit des infans verneint 10. In diesem Sinne heißt es auch in den Institutionen, der infans sei „von den Geisteskranken nicht weit entfernt", da er wie diese „keinen Verstand habe"11. In den Digesten findet sich die von dem römischen Juristen Modestin geprägte Wendung, der infans könne auf Grund der „Unschuld seines Verstandes" (innocentia consilii) nicht verantwortlich gemacht werden 12.

5 Von Kübel, Entwurf eines BGB für das Deutsche Reich, Recht der Schuldverhältnisse Teil I, Allgemeiner Teil mit Begründung, Berlin 1882, S.32, abgedruckt in: Die Vorlagen der Redaktoren, Bd. 2, S.688. 6 Von Kübel, in: Die Vorlagen der Redaktoren, Bd. 2, S.689. 7 Ulpian D. 9,2,5,2 (bei Sachbeschädigung durch ein Kind [Klagen aus der lex Aquilia]): "...cessabit igitur Aquiliae actio, quemadmodum, si quadrupes damnum dederit, Aquilia cessât, aut si tegula ceciderit. sed si infans damnum dederit, idem erit dicendum." 8 Käser, Römisches Privatrecht, §36 I und II; Heilfron, § 114 a 3; ausführlichere Hinweise bei Käser, Das römische Privatrecht Bd. I, § 118 II 1.- 4. sowie Bd. II, § 258. 9 Ulpian D. 9,2,5,2 (bei Sachbeschädigung durch ein Kind). 10 Ulpian D. 9,2,5,2. 11 Inst. 3, 19, 10. 12 Modestin D. 48,8,12 (bei Tötung eines Menschen durch ein Kind).

2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung

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Der Gedanke der Deliktsunfähigkeit des infans im römischen Recht hatte seinen Niederschlag bereits in den ersten Kodifikationen des heiligen römischen Reiches gefunden. Im bayerischen Codex Bavaricus Maximilianeus civilis von 1756 heißt es: Vierter Teil, 16. Kapitel, § 8: „...und da nun Kinder und Unsinnige aus Mangel des Verstandes und freien Willens weder Doli noch Culpae fähig sind, so folgt von selbst, daß die von ihnen herrührende Damnification entweder gar nicht, oder wenigstens nicht aus ihrem eigenen...Vermögen...erstattet werde."

Im österreichischen Entwurf des Codex Theresianus von 1766 findet sich die Regel im Dritten Teil, caput 21, §§ 35, 36: „Jene dahero, welchen der Gebrauch der Vernunft und Willens entweder von Natur her oder durch Zufall gebricht, können weder Verbrechen begehen, noch weniger hieraus verbunden werden. Als da sind Kinder, Blödsinnige, Wahnwitzige..."

Diese römisch-rechtliche Regel der Deliktsunfähigkeit des infans wurde auch in der von von Kübel zitierten „neueren Gesetzgebung" beibehalten. Die gänzliche Deliktsunfähigkeit des infans hat sich im römischen Recht allerdings erst allmählich herausgebildet. Das Recht der Zwölftafeln kannte diesen Gedanken noch nicht. Alle Unmündigen (impuberes) einschließlich der infantes konnten danach für Delikte zur Verantwortung gezogen werden 13. Auch dem Juristen Labeo (gest. zwischen 5 u. 22 n.Chr.) war die gänzliche Deliktsunfähigkeit von infantes noch nicht bekannt14. Er unterschied nach Deliktsarten.· für manche Delikte hielt er die impuberes für haftbar, für andere Delikte nicht. Hierbei behandelte er die impuberes stets einheitlich, ohne eine Sonderstellung der infantes je auch nur anzudeuten15. 2. Festlegung einer oberen Altersgrenze für die infantia Die Frage, warum eine absolute Altersgrenze zur Bestimmung der absoluten Deliktsunfähigkeit festgelegt wurde, beantwortet der Redaktor des Schuldrechts, von Kübel, in der Begründung zu seinem Entwurf so16: es lasse sich, so räumt er ein, keine absolut sichere Altersgrenze ziehen, vor deren Erreichung von einer Zurechnung der Schuld in keinem Falle die Rede sein könnte. „Das praktische Bedürfiiis" erheische aber „gebieterisch die positive Bestimmung einer solchen Grenze". Dieses Argument hielt offenbar auch die erste Kommission für ausschlaggebend17. Von Kübel führt zur Rechtfertigung einer festen Altersgrenze 13 14 15 16 17

Pernice, Bd.I, S.216/217. Pernice, Bd. I, S.218/219. Pernice, Bd. I, S.217-219. Von Kübel, in: Die Vorlagen der Redaktoren, Bd. 2, S.690. Vgl. Mot. II, S.732.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

weiter aus, den richtigen Maßstab könne nur „die durch Jahrhunderte gleichmäßig beobachtete Erscheinung liefern, daß vor einem gewissen Alter die Menschen die zur Zurechnung nöthige Entwicklung ihrer geistigen Reife nicht erlangen, bezw. der Eintritt dieser Reife nur sehr unsicher nachweisbar ist, mit Überschreitung dieses Alters aber als allgemeine Regel diese Entwicklungstufe als erreicht angesehen werden kann" 18 . 3. Festlegung der Altersgrenze auf 7 Jahre Die Festlegung der Altersgrenze auf 7 Jahre begründete die erste Kommission mit der „langher gemachten und erprobten Erfahrung" 19. Überwiegend werde die Altersgrenze „in Übereinstimmung mit der für den Beginn der Geschäftsfähigkeit angenommenen Norm auf die Zurücklegung des siebten Lebensjahres gelegt"20. Die Kommission verweist 21 auf das gemeine Recht22 sowie auf die Kodifikationen bzw. Kodifikationsentwürfe der deutschen Territorien, unter anderem auf das preußische Allgemeine Landrecht 23, das österreichische ABGB 2 4 und das sächsische BGB von 186325, die - so darf man annehmen - sich ihrerseits am gemeinen Recht orientiert haben26. Gleichzeitig lehnt die Kommission die Festlegung der Altersgrenze auf 12 Jahre - in Übereinstimmung mit dem Alter der Strafmündigkeit, wie im hessischen Entwurf - ab: das Zivilrecht dürfe mit dem Strafrecht nicht auf eine Stufe gestellt werden. Das Zivilrecht müsse „naturgemäß" von strengeren Voraussetzungen ausgehen27. Die Altersgrenze von 7 Jahren im BGB geht also letztlich auf das römische Recht zurück. Seit der spätklassischen Periode wurde das Alter von 7 Jahren zur Abgrenzung der infantes von den impuberes, die der infantia entwachsen sind - impuberes infantia maiores - verwandt 28. Vielleicht war es auch hier das von von Kübel festgestellte „praktische Bedürfiiis", welches die

18

Von Kübel, in: Die Vorlagen der Redaktoren, Bd. 2, S.690. Mot. II, 732. 20 Mot. II, 732. 21 Mot. II, 732 Fn.2. 22 Vgl. dazu Windscheid, § 101 Fn. 12; Heilfron, Rom. Rechtsg., § 44 b 1 α a. 23 Vgl. Pr. A.L.R. 1,6, §41. 24 Vgl. §§ 21 und 1308 ABGB 1811, allerdings wurde in Österreich die Altersgrenze im Jahre 1916 durch eine Änderung des § 1308 auf 14 Jahre heraufgesetzt. 25 §§ 47, 81, 119 des sächs. BGB. Siebenhaar/Siegmann, Motive zu § 47 und Motive (dort Fn.l) zu § 119 des sächs. BGB, verweisen auf die Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht. 26 In den Motiven zum sächsischen BGB § 47 wird die Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht hervorgehoben, vgl. Siebenhaar, § 47 S.81. 27 Mot. II, 733; ebenso schon von Kübel, in: Die Vorlagen der Redaktoren, S.690. 28 C. 6, 30, 18: "...infanti, id est minori Septem annis..."; Pernice, Bd. I, S.214; Dernburg/ Sokolowski, § 42 Fn.3. 19

2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung

41

römischen Juristen dieser Periode dazu bewog, eine feste Altersgrenze festzulegen. Zuvor gab es eine feste Altersgrenze nicht. Als infans galt, wer nicht sprechen konnte29. Dies entsprach der Auffassung des älteren Rechts, nach welchem der Wille hinter der Willensäw/tenwg so gut wie ganz zurücktritt 30. Noch durch das ganze klassische Recht wird immer wieder auf die Fähigkeit zum Sprechen Gewicht gelegt und daher der infans vielfach dem Stummen gleichgestellt31. Wieso man auf das Alter von 7 Jahren verfiel, ist unklar. Möglicherweise spielte pythagoreische Zahlenmystik eine Rolle 32 ; in diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, daß die 7 eine den Römern heilige Zahl war und die Hälfte der Zeit der Unmündigkeit der Männer betrug 33. Pernice führt als Erklärung an, das siebente Jahr sei von den Gebildeten als ein wichtiger Zeitabschnitt für die Ausbildung und Erziehung des Kindes angesehen worden: so wurde das siebente Jahr als das Jahr bezeichnet, in dem die Sprechfähigkeit des Kindes erstmals voll ausgebildet ist welches zusammenfalle mit der Zeit, in der die Milchzähne ausfallen; oder auch als das Jahr, in welchem sie erstmals reif genug für Unterricht und Arbeit sind34. IL Freistellung

einsichtsunfähiger

1. Deliktsfähigkeit

Minderjähriger

Minderjähriger

über 7 Jahre (828 II 1)

über 7 Jahre

Den Zweck der Bestimmung des § 828 II 1 kennzeichnet die 1. Kommission so: Die Altersgrenze von 7 Jahren sei „nicht auch insoweit eine absolute, als ein Kind, sobald es das siebente Lebensjahr zurückgegelegt hat...immer gerade so wie der Erwachsene als deliktsfähig angesehen werden müßte. Hierin läge nicht allein eine große Abweichung von dem Str.G.B. (§§ 55, 56, 57), sondern auch eine nicht zu rechtfertigende unbillige Behandlung der noch nicht zur vollen Verstandesreife gelangten Unerwachsenen".

Daher bestimme der Entwurf, daß eine bei Begehung der Handlung einsichtsunfähige Person zwischen 7 und 18 Jahren nicht verantwortlich sei. Die in § 828 II 1 niedergelegte Regel für die der infantia entwachsenen Minderjährigen entsprach ebenfalls der Rechtstradition in Deutschland. Im gemeinen Recht stellte man für die Haftung der sogenannten impuberes infantia maiores, also der Jungen zwischen 7 und 14 Jahren, und der Mädchen zwischen 7 und 12 29 30 31 32 33 34

Demburg/Sokolowski § 42 Fn.3. Pernice, Bd. I, S.212. Pernice, Bd. I, S.212. Pernice, Bd. I, S.214. Dernburg/Sokolowski, § 42 Fn.3. Vgl. Pernice, Bd. I, S.214 mit Nachweisen aus römischen Schriftstellen Fn.33.

42

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Jahren, darauf ab, ob sie doli capaces 35 waren 36. Waren sie doli capaces, so hafteten sie gleich den puberes (den Mündigen37) voll, waren sie es nicht, so hafteten sie ebenso wie die infantes überhaupt nicht. Die Motive der ersten Kommission zu § 828 II 1 legen es nahe, daß sich die Regelung für die Minderjährigen zwischen 7 und 18 an die gemeinrechtliche Regel für die impuberes infantia maiores anlehn" te 38 . Allerdings hat sich die geschilderte Regel im römischen Recht erst allmählich herausgebildet. Das Recht der Zwölftafeln kannte die Unterscheidung zwischen doli capax und doli incapax überhaupt nicht39. Auch bei Labeo (gest. zwischen 5 u. 22 n.Chr.) findet sie sich noch nicht. Er behandelte die impuberes je nach Deliktsart unterschiedlich 40. Wohl erst auf den Juristen Julian (Konsul 148 n.Chr.) geht die Einschränkung zurück, daß der als Dieb verklagte impubes nur hafte, wenn er doli capax ist41. Dieser Meinung schließt sich Ulpian (geb. 170 n.Chr.) an und übernimmt sie für den aus der lex Aquilia bzw. den als Räuber verklagten impubes* 2.Unklar ist allerdings, nach welchem Maßstab bestimmt wurde, ob ein impubes schon die Fähigkeit zum Vorsatz, zum Unrecht tun hat. Ein Hinweis mag Inst. 4,1,18 geben, worin die Verantwortlichkeit eines „nahezu Mündigen" (pubertal proximus) für Diebstahl damit begründet wird, daß er schon erkenne, daß er eine unerlaubte Handlung begehe. Es mag also auf die Fähigkeit zur Erkenntnis der Unerlaubtheit abgestellt worden sein. Aufschlußreich ist, daß sich eine ebenfalls von Julian vertretene 43 Regel bildete, wonach als doli capax angesehen werden könne, wer pubertati proximus ist, also bereits nahe vor der Mündigkeit steht. Diese Regel findet sich an mehreren Stellen des Corpus Iuris 44. Vielleicht war es auch hier wieder das „praktische Bedürfiiis", welches angesichts der Schwierigkeiten bei der Entscheidung, welcher impubes der Schuld oder des Vorsatzes fähig ist, nach einem objektiven, leicht feststellbaren Kriterium verlangte.In der Pandektenwissenschaft des 19.Jahrhunderts gab es verschiedene Ansätze zur Bestimmung der doli capacitas. Während sie Mommsen danach zu bestimmen suchte, ob der impubes das Verbrechen „zu fassen vermoch-

35

Vgl. Ulp. D. 47, 8, 2, 19; bzw. "culpae capax", vgl. Ulp. D. 47, 2, 23; "iniuriae capax", vgl. Ulp. D. 9, 2, 5, 2. Andere Formulierung in Inst. 4, 1, 18: "si...intellegat se delinquere". 36 Windscheid, Bd. I, § 101 Fn.12; Heilfron, Rom. Rechtsg., § 44 b 1 α b 2). 37 Personen nach der Geschlechtsreife, die bei Mädchen mit dem vollendeten 12. Lebensjahr, bei Jungen mit dem vollendeten 14. Lebensjahr angenommen wurde, vgl. Heilfron, Rom. Rechtsg., § 44 b 1 α b. 38 Vgl. Mot. II, 733 Fn.l. 39 Pernice, S.216/217. 40 Pernice, Bd. I, S.218. 41 Vgl. Ulp. D. 47,2,23; dazu Pernice, Bd. I, S.219. 42 Ulp. D. 47,2,3 und 9,2,5,2, vgl dazu Hausmaninger, S.26; Ulp. D. 47,8,2,19. 43 Ulp. D. 44,4,4,26. 44 Inst. 4,1,18; Ulp. D. 44,4,4,26; Ulp. D. 4,3,13; Gai. D. 50,17,111.

2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung

43

te", entnimmt Savigny dem römischen Recht die Abgrenzung nach der Fähigkeit, „das Unerlaubte, das Unrecht seiner Handlung zu begreifen" 45. Der österreichische Entwurf des Codex Theresianus von 1766 stellte darauf ab, ob die impuberes „die Kindheit schon überstiegen und einigen Gebrauch der Vernunft haben, daß sie das Böse vom Guten zu unterscheiden wissen" (Dritter Teil, caput 21, §40). 2. „Zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit

erforderliche

Einsicht"

Es ist erkennbar, daß die Formulierung „die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht", die sich bereits im Entwurf der 1. Kommission fin* det46, von den gerade beschriebenen, im römischen und gemeinen Recht zur Umschreibung der Verschuldensfähigkeit angewandten Formeln abweicht. Während es von Kübel im Einklang mit der römisch-gemeinrechtlichen Tradition um die Fähigkeit zur Unrechts^rkenntnis ging, ging es, nimmt man den Wortlaut ernst, der 1. Kommission und dem Gesetzgeber um die Fähigkeit zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit. Zwar dürfte die Erkenntnis der Verantwortlichkeit die Erkenntnis des Unrechts umfassen, sie verlangt aber dem Wortsinn nach noch mehr: eine Erkenntnis der Rechtsfolge des Unrechts, der Ersatzpflicht. Damit stellt sich die Frage, was den Gesetzgeber bewogen hat, diese Formulierung, welche die Erkenntnis der Rechtsfolgen fordert, aufzustellen. Gewiß scheint, daß die eigentümliche Formulierung des § 828 II 1 auf den damals geltenden § 56 des Reichsstrafgesetzbuches zurückzufuhren ist, wonach die Strafbarkeit eines Minderjährigen davon abhing, ob er „die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht" hatte. Die wörtliche Übereinstimmung mit § 56 StGB - abgesehen von der Ersetzung von „Strafbarkeit" durch „Verantwortlichkeit" - ist vermutlich kein Zufall. Die Materialien zur Entstehung des BGB nehmen im Zusammenhang mit § 828 mehrmals bezug auf § 56 StGB47. Auch der Bundesgerichtshof betont wie schon das Reichsgericht, § 828 sei vom Gesetzgeber damals „in bewußter Anlehnung" an § 56 StGB geschaffen worden 48. Untersucht man weiter, warum die Verfasser des Strafgesetzbuches die Erkenntnis der Strafbarkeit forderten, gelangt man zu den §§ 50/51 des 2. Entwurfs eines Strafgesetzbuches ftir den Norddeutschen Bund. In dessen Begründung heißt es, man habe sich mit der Formulierung den Lehren des gemeinen deutschen Strafrechts angeschlossen, welche die volle Zurechnung der Tat bei dem jugendlichen Verbrecher von dem „plenus intellectus" in bezug auf die Strafbarkeit der Tat ab-

45 46 47 48

Waibel, S. 19/20. Vgl. § 709 des Kommissionsentwurfs und Mot. II, 733. Mot. II, 733; Prot.II, S.582. RGZ 53, 157 (158); BGH VersR 1970, 467.

44

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

hängig gemacht hätten49. Damit bezieht sich die Entwurfsbegründung wahrscheinlich auf die Lehren der bekannten Strafrechtslehrer Kleinschrod und Feuer bach50, welche die Erkenntnis der Strafbarkeit, also der Rechtsfolgen der Straftat, für eine unabdingbare Voraussetzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hielten51. Dies wird bei Feuerbach verständlich vor dem Grund des von ihm vertretenen Abschreckungsgedankens: Strafe hat in aller erster Linie den Sinn der Abschrekkung. Kann aber jemand gar nicht erkennen, daß er sich strafbar macht, wenn er eine strafbare Handlung begeht, so versagt die Abschrekungswirkung der Strafe und die Strafe verliert ihren Sinn52. Insgesamt kann § 828 II 1 vielleicht am treffendsten so beschrieben werden: Es handelt sich um eine Kodifikation der entsprechenden römisch-gemeinrechtlichen Regelung, die in der Formulierung Gedanken des deutschen Strafrechts der Aufklärung aufgegriffen hat. C. Entstehungsgeschichte und Vorläufer des § 829 Während § 828 weitgehend einheitlicher Rechtstradition entspringt, war die Rechtslage hinsichtlich einer Billigkeitshaftung deliktsunfähiger Minderjähriger vor Inkrafttreten des BGB uneinheitlich. Wie bereits dargelegt, hafteten deliktsunfähige Minderjährige nach dem römischen Recht und dem gemeinen Recht überhaupt nicht. Die gleiche Regel war im sächsischen BGB von 186353 und bayerischen Codex Bavaricus Maximilianeus Civilis niedergelegt. Anders war es jedoch nach dem preußischen Allgemeinen Landrecht 54, nach dem österreichischen ABGB 5 5 sowie nach dem schweizerischen Obligationenrecht 56, nach denen deliktsunfähige Minderjährige unter gewissen Voraussetzungen und mit gewissen Einschränkungen Ersatz zu leisten hatten. Das entsprach dem deutsch-rechtlichen Veranlassungsprinzip, wonach auch der Unzurechnungsfähige zum Schadensersatz verpflichtet werden kann57. Vielleicht läßt sich mit diesem uneinheitlichen Rechtszustand erklären, warum die jetzt geltende Vorschrift des § 829 während ihrer Beratung in den verschiedenen Gesetzgebungsorganen sehr umkämpft war.

49 50 51 52 53 54 55 56 57

Zit. bei Waibel, S.33. Waibel, S.48. Ausführliche Hinweise dazu bei Waibel, S.40-48. Vgl. Nachweise bei Waibel, S.42 ff. § 119 Sächs. BGB. Vgl. pr. A.L.R. I, 6, §41-44. §§ 1308-1310 ABGB. Art. 58 OR von 1881. Heilfron, Deutsche Rechtsg., § 63 e 2 b.

2. Abschnitt: Entstehungsgeschichte der geltenden Regelung

45

Nachdem zunächst der Redaktor von Kübel nach dem Vorbild der letztgenannten Kodifikationen eine Billigkeitshaftung Deliktsunfähiger (u.a. der deliktsunfähigen Minderjährigen) in § 8 seines Entwurfs vorgesehen hatte 58 , wurde sie von der ersten Kommission wieder gestrichen mit der Begründung, darin liege eine nicht zu rechtfertigende Abweichung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die überdies dem gemeinen Rechte fremd sei. Hinzu komme, daß sie den zur Entscheidung berufenen Richter „auf dringende Billigkeitsrücksichten verweise, ohne ihm eine feste Entscheidungsnorm an die Hand zu geben"59. Der Verzicht der ersten Kommission auf eine Billigkeitshaftung Deliktsunfähiger wurde in zahlreichen gutachtlichen Äußerungen zum ersten Entwurf angeprangert. Es bleibe unberücksichtigt, daß fur den eingetretenen Schaden „der Beschädigte ebensowenig etwas...könne, und daß es unser Rechtsgefühl empöre, wenn der reiche, aber deliktsunfähige Beschädiger dem armen Beschädigten keinen Pfennig zu ersetzen habe" 60 . Die Härten, welche sich daraus ergeben könnten, daß auch der Deliktsunfähige den durch ihn veranlaßten Schaden ersetzen solle, „ließen sich dadurch ausgleichen, daß die Bemessung des zu ersetzenden Schadens in das Ermessen des Richters gestellt" und „dem Beschädiger die zu seinem Unterhalt bezw. seiner Erziehung nöthigen Mittel nicht entzogen werden dürften". Die zweite Kommission führte diesen Äußerungen folgend die Billigkeitshaftung wieder ein, beschränkte sie jedoch nicht auf deliktsunfähige Täter, sondern dehnte sie jetzt sogar auf alle Fälle schuldloser Schädigung aus61. Die Kommissionsminderheit sah hierin zwar eine Aufgabe des Verschuldensprinzips zugunsten des Veranlassungsprinzips. Hierdurch werde eine „Errungenschaft" aufgegeben und zu „den naiven Anschauungen einer früheren Entwicklungsperiode" zurückgekehrt 62. Grundsätzlich spreche gegen eine wie auch immer ausgestaltetete Billigkeitshaftung, daß man sich mit dem Rückgriff auf Gründe der Billigkeit auf ein Gebiet begebe, „auf dem nicht mehr die festen Begriffe des Rechts, sondern die mehr oder minder wechselnden Grundsätze von Moral und Anstand ausschlaggebend seien." Es sei bedenklich, wenn gewissermaßen Aufgaben des Gesetzgebers auf den Richter übertragen werden63. Könne schon der Gesetzgeber die Voraussetzung einer Haftung nicht fest begrenzen, sei „auch der

58 Vgl. von Kübel, Entwurf eines BGB für das Deutsche Reich, in: Die Vorlagen der Redaktoren, S.667; Begründung dazu ebendort, S.693. 59 Mot. 11,734. 60 Vgl. Zusammenstellungen der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines BGB, gefertigt im Reichs-Justizamt, Bd. II, Berlin 1890, S.404. 61 § 752 des Entwurfs der 2. Kommission, vgl. dazu ihren Beschluß Prot. II, S.584, und ihre Erwägungen: S.585 unter Buchtsabe c - S.590. 62 Prot. 11,585. 63 Prot. II, 585/586.

46

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Richter regelmäßig genötigt, in Ermangelung einer objektiven Grundlage nach mehr oder minder subjektiven Gründen zu suchen." Dies führe zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit. Die Mehrheit in der Kommission berief sich demgegenüber jedoch wie schon von Kübel auf die „modernen Gesetzgebungen", welche gegenüber deliktsunfähigen Tätern Ersatzansprüche gewähren. Die Ausdehnung der Billigkeitshaftung auf alle Fälle schuldloser Schädigungen wurde damit begründet, es seien eben - neben der Fallgruppe von Schädigungen durch deliktsunfähige - auch sonst Fälle denkbar, „in denen es die Billigkeit erheische", daß jemand ersatzpflichtig werde, auch wenn er nicht fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt habe. Insgesamt werde dem Richter zwar durch die beschlossene Norm „eine schwierige Aufgabe zugewiesen", es sei jedoch „darauf zu vertrauen, daß die Rechtsprechung im einzelnen Falle unter Würdigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse zu einer dem gesunden Rechtsgefühle entsprechenden Entscheidung" gelangen werde 64. Die allgemeine Billigkeitshaftung in Fällen schuldlosen Handelns wurde letztlich vom Bundesrat des Deutschen Reiches wieder auf Schädigungen durch deliktsunfähige Täter beschränkt (vgl. § 813 der Reichstagsvorlage), wie es der Redaktor von Kübel vorgesehen hatte. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Vorschrift des § 829 nicht auf das römische Recht, sondern auf Gedanken aus der Kodifikationszeit des späten 18. / Anfang 19. Jahrhunderts zurückgeht, die bereits in einigen vor dem BGB erlassenen Kodifikationen ihren Niederschlag gefunden hatten.

3. Abschnitt:Bewertung der geltenden Regelung Der Vorschrift des § 828 II 1 läßt sich entnehmen, daß Minderjährige zwischen 7 und 18 Jahren, die nicht einsichtsunfähig sind, (deliktsfähige Minderjährige) der allgemeinen Regelung des § 823 unterliegen sollen. Wie eingangs des 1. Teils festgestellt wurde, ergibt sich daher aus dem Zusammenspiel der Vorschriften der §§ 823,249 mit der Vorschrift des § 828 II 1, daß deliktsfähige Minderjährige wie Erwachsene uneingeschränkt für ihre unerlaubten Handlungen haften. Entsprechend der in der Einleitung formulierten Zielvorgabe soll diese Regelung im folgenden einer kritischen Bewertung unterzogen werden und geprüft werden, ob eine Änderung des gegenwärtigen Rechtszustands notwendig ist.

64

Prot. II, 589/590.

. Abschnitt:

e u n g der geltenden Regelung

47

Die soeben (auf den vorhergehenden Seiten) wiedergegebene bewegte Beratungsgeschichte des § 829 hat bereits die Schwierigkeiten deutlich gemacht, vor denen der Gesetzgeber bei der Regelung der Haftung deliktsunfähiger Minderjähriger (und Geisteskranker) stand. Aber auch ohne Kenntnis der Beratungsgeschichte würde sich die Vermutung aufdrängen, daß hier ein besonders schwieriges Problem zu lösen war: Denn bereits das Ergebnis der Beratungen, die Vorschrift des § 829 selbst, deutet hierauf hin: § 829 ist die einzige Vorschrift des BGB, die als Voraussetzung für einen Anspruch bloße Billigkeitserwägungen genügen läßt. Sie geht damit an Unbestimmtheit und Weite des Ermessens, das sie einräumt, noch über das hinaus, was die Generalklausel des § 826 gewährt, die immerhin noch an den festen Rechtsbegriff des Vorsatzes und den noch eher greifbaren Begriff der Sittenwidrigkeit anknüpft. Die Norm des § 829 ist damit ein auffälliger Fremdkörper in dem sonst um Klarheit und Rechtssicherheit bemühten BGB. § 829 erscheint dem Leser als Ausdruck der Resignation, als Notlösung des Gesetzgebers angesichts eines Problems, für das ihm eine klare, zugleich aber gerechte Lösung nicht einfiel. In der nun folgenden Untersuchung soll es zwar nicht um die Bewertung der Haftung deWktsunfähiger Minderjähriger gehen, sondern um die Haftung, die dem deliktsfähigen Minderjährigen auferlegt wird. Die Schwierigkeiten, denen der Gesetzgeber bei der Haftung deliktsunfähiger Minderjähriger ausgesetzt ist, stellen sich hier auf den ersten Blick nicht in dieser zugespitzten Form. Jedoch wird die weitere Untersuchung zeigen, daß die Frage, welche rechtlichen Folgen Schädigungen durch deliktsfähige Minderjährige haben sollen, ganz ähnliche Wertungsprobleme und Abwägungsschwierigkeiten aufwirft. Es ist daher nicht verwunderlich, daß auch die Regelung der Haftung deliktsfähiger Minderjähriger vielfach Anlaß zu Diskussion und Kritik gegeben hat. Die Bedenken, die gegen die Regelung der Haftung deliktsfähiger Minderjähriger erhoben werden, lassen sich zu folgenden Kritikpunkten zusammenfassen: Verstoß gegen das Schuldprinzip (dazu Α.), Vernachlässigung des Minderjährigenschutzes (dazu B.), Unvereinbarkeit mit den Grundrechten (dazu C.). A. Verstoß gegen das Schuldprinzip? Viele Autoren haben daran Kritik geübt, daß die gesetzliche Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 1 den Minderjährigen auch dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er bei Begehung der unerlaubten Handlung die Steuerungsfahigkeit nicht besaß2. Bereits der 1

Vgl. dazu 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. I. Kuhlen, JZ 1990, 273 (276); Scheffen, ZRP 1991, 458 (459); Waibel, 178; Kohl, in AK-BGB, § 828 Rdn.9; Munkwitz, ZBl.JugR 1960, 129 (132); Stutte, ZBl.JugR 1951, 141 (145). 2

48

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

34. Deutsche Juristentag 1926 hatte diesen Rechtszustand kritisiert und eine Änderung empfohlen 3. Auch der Entwurf einer neuen Schadensordnung von 1940 des Unterausschusses „Schadensersatzrecht" der Akademie für Deutsches Recht sah vor, die Steuerungsfähigkeit für die Frage der Haftung Minderjähriger zu berücksichtigen4. Schließlich findet sich auch im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften des Bundesjustizministeriums von 1967 der Vorschlag, in § 828 II 1 das Element der Steuerungsfähigkeit einzufügen 5. I. Argumente der Kritiker Zur Begründung dieser Kritik wird angeführt, die Schuldbegriffe des Zivilrechts und des Strafrechts dürften nicht unterschieden werden, sie stimmten vielmehr überein6. Daher müsse „in bezug auf den psychischen Inhalt der Schuldunfähigkeit Übereinstimmung zwischen dem BGB und den Strafgesetzen hergestellt werden" 7. Es sei „mit der Ratio einer jeden Verschuldenshaftung unvereinbar", trotz fehlender Steuerungsfähigkeit die Schuldfähigkeit zu bejahen8. Wer nicht fähig sei, seiner Unrechtseinsicht gemäß zu handeln, verdiene ebensowenig einen Schuldvorwurf, wie derjenige, der nicht fähig sei, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen9. Die Regelung der Verantwortlichkeit im Zivil- und Strafrecht müsse daher von den gleichen Voraussetzungen abhängig sein10. Die Vorschrift des § 828 II 1 müsse an die neuere Entwicklung der Jugendpsychologie herangeführt werden, die im Strafrecht schon seit langem ihren Niederschlag gefunden habe11.

3

Beschluß der dritten Abteilung des 34. Deutschen Juristentages (1926), Verhandlungen 34. DJT, Bd. 2 (Stenographischer Bericht), S.514 Nr. 12, in Übereinstimmung mit dem Votum der Gutachter: Dölle, Verhandlungen 34. DJT (Gutachten), Bd. 1, S. 121; Reichel, Verhandlungen 34. DJT, Bd. 1, S.168; und des Berichterstatters Goldschmidt, Verhandlungen 34. DJT, Bd. 2, S.456. 4 § 4 des Entwurfs einer neuen Schadensordnung, in: Nipperdey (Berichterstatter), Bericht des 1. Unterausschusses "Schadensersatzrecht", Berichte der Akademie für Deutsches Recht Nr. 14, S.90. 5 Vgl. § 828 des Referentenentwurfs, S.4 und die Begründung dazu, S.72/73. 6 Vgl. die Ausführungen des Gutachters Dölle, Verhandlungen 34. DJT (1926) Bd. 1, S.118 und 116 sowie des Berichterstatters Goldschmidt, Verhandlungen 34. DJT (1926) Bd. 2, S.434 und 511 f. 7 Vgl. die Ausführungen des Gutachters Dölle, Verhandlungen 34. DJT (1926) Bd. 1, S.118. 8 Kuhlen, JZ 1990, S.273 (276). 9 Kuhlen, JZ 1990, 273 (276 f.). 10 Kuhlen, JZ 1990, 273 (276 f.). 11 Vgl. Begründung zum Referentenentwurf, S.70.

. Abschnitt:

e u n g der geltenden Regelung

49

IL Stellungnahme Der Gesetzgeber bewertet das Opferinteresse im Deliktsrecht höher als im Strafrecht - jedenfalls für den deliktsfähigen Minderjährigen. Dies kann er mit dem im Deliktsrecht - viel mehr als im Strafrecht - zu berücksichtigenden Wiedergutmachungsinteresse des Opfers 12 rechtfertigen. Im Hinblick auf dieses Wiedergutmachungsinteresse kann er den Minderjährigen im Zivilrecht strenger behandeln als im Strafrecht 13. Daß die Steuerungsfähigkeit keine Haftungsvoraussetzung darstellt, verstößt nicht gegen das „Schuldprinzip". Denn der Schuldvorwurf des Zivilrechts ist - anders als der strafrechtliche Schuldvorwurf - kein Vorwurf im Sinne einer moralischen Schuld. Er enthält nicht den Vorwurf des Strafrechts, der Betroffene hätte anders handeln können, sondern beschränkt sich auf den Vorwurf, er hätte anders handeln müssen. Für die im Zivilrecht zu treffende Wertung, ob der Betroffene die objektive erforderliche Sorgfalt beachtet hat, ist es ohne Bedeutung, inwieweit der Betroffene zur Beobachtung der Sorgfalt subjektiv-individuell in der Lage war. Für das in § 276 definierte zivilrechtliche Verschulden gehört daher die Steuerungsfähigkeit des Betroffenen - anders als im Strafrecht nicht zur begriffsnotwendigen Verschuldensvoraussetzung. Daß die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Zurechnungsfähigkeit damit andere sind als die strafrechtlichen und in ihren Anforderungen hinter den strafrechtlichen zurückbleiben, ist auch unproblematisch. Es ist kein zwingender Grund zu erkennen, warum nur moralische Schuld zum Schadensersatz verpflichten sollte14. Das Zivilrecht hat eine ganz andere Aufgabe zu lösen als das Strafrecht. Das Problem, das im Zivilrecht zu lösen ist, lautet: „Wer soll den Schaden tragen, der durch eine menschliche Handlung verursacht worden ist: der, der unmittelbar davon betroffen worden ist, oder der, der ihn verursacht hat?"15. Es handelt sich nicht darum, jemand, sei es zur Vergeltung, sei es um ihn zu bessern, ein Übel zuzufügen, sondern darum, die Last eines Übels, das bereits eingetreten ist, gerecht zu verteilen 16. Die Auffassung, der Gesetzgeber sei auf Grund des „Schuldprinzips" oder der postulierten „Übereinstimmung der Schuldbegriffe" in Zivilrecht und Strafrecht gehalten, die Altersgrenzen im Deliktsrecht an das Strafrecht anzupassen und wie im Strafrecht die Haftung an dessen Steuerungsfähigkeit anzuknüpfen, überzeugt daher nicht. 12

Hierzu näher in diesem Abschnitt, B. II. 1. und B. II. 2. Vgl. auch von Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 2, S.1709. 14 Vgl. die Ausführungen des Berichterstatters Kodecka, in: Verhandlungen des 34. DJT, Bd. 2, S.469. 15 Vgl. Kodecka, in: Verhandlungen des 34. DJT, Bd. 2, S.469. 16 Vgl. Kodecka, in: Verhandlungen des 34. DJT, Bd. 2, S.469. 13

4 Goecke

50

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

B. Vernachlässigung des Minderjährigenschutzes? Die beiden eingangs17 erwähnten Gerichtsentscheidungen des Oberlandesgerichts Celle und des Landgerichts Bremen, die sich mit der geltenden Regelung kritisch auseinandersetzen, werfen der geltenden Regelung in erster Linie vor, nicht genügend zu beachten, daß junge Menschen besonders schützenswert sind. Junge Menschen dürfe man nicht mit hohen Schadensersatzverpflichtungen belasten, da diese zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Entwicklung führten 18. Die Jugend, die Persönlichkeit eines so hoch belasteten Menschen werde zerstört 19. Die Entwicklung seiner noch unfertigen, noch nicht gefestigten Persönlichkeit werde durch die auf längere Sicht äußerst beengten Verhältnisse nachhaltig gestört, weil der Erfahrungshorizont verengt, die sozialen Kontakte beeinträchtigt und das Selbstwertgefühl untergraben würden 20. In einem Alter, in dem der Erlebnisdrang besonders stark ausgeprägt ist, drohe die Gefahr des Abdriftens in die Kriminalität 21. Der Staat müsse Regelungen treffen, die es ermöglichen, daß ein Jugendlicher bei Eintritt in die Volljährigkeit mehr als nur eine scheinbare Freiheit erreicht und daß ihm Raum bleibt, sein weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten22. Es müsse berücksichtigt werden, daß auf der einen Seite der individuelle Schuldvorwurf regelmäßig geringer sei als beim Volljährigen, auf der anderen Seite das Ausmaß der Haftung beim Minderjährigen schwerer ins Gewicht falle 23. Schließlich wird gerügt, die tatsächlichen Umstände hätten sich in den letzten 90 Jahren seit Inkrafttreten des BGB erheblich geändert, so daß die geltende Regelung als nicht mehr zeitgemäß anzusehen sei. So habe auf der einen Seite durch den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt die Gefahr der Entstehung von Großschäden immer mehr zugenommen; auf der anderen Seite sei die Erziehung von Kindern und Jugendlichen infolge veränderter pädagogischer Auffassungen auf eine freiere persönliche Entfaltung ausgerichtet, was mit einer Verlangsamung

17

Siehe Einführung. LG Bremen, LG Bremen, Urt. v. 15.2.1991 - 6 Ο 2866/89 u. 1218/90 - NJW-RR 1991, 1432(1434). 19 OLG Celle, Urt. u. Vorlagebeschl. v. 26.5.1989 - 4 U 53/88, NJW-RR 1989, 791 (792) unter Ziff. III. 1. und 3.; zustimmend Kuhlen, JZ 1990, 273 (278). 20 LG Bremen, NJW-RR 1432 (1433). 21 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1433); Kuhlen, JZ 1990, 273 (278). 22 OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (793 unter Ziff. III. 4.) und LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1434) unter Berufung auf BVerfG, Beschl. des Ersten Senats v. 13. Mai 1986, - 1 BvR 1542/84 -, BVerfGE 72, 155 = NJW 1986, 1859. 23 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1434). 18

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der sozialen Reife verbunden sei24. Die Einstufung von Minderjährigen ab 7 Jahren als „kleine Erwachsene" erscheine als völlig veraltet 25. Diese Kritik könnte man dahingehend zusammenfassen, daß die gegenwärtige Regelung den Minderjährigenschutz zu sehr vernachlässigt habe. /. Der Minderjährigenschutz

in anderen Rechtsbereichen

1. Ratio und Ausprägungen des Minderjährigenschutzes

im geltenden Recht

Bevor auf die Argumente für diese Kritik und die Bedeutung und Gewichtigkeit des Minderjährigenschutzgedankens im Deliktsrecht eingegangen wird, erscheint es sinnvoll, sich Bedeutung und Ausprägungen des Minderjährigenschutzgedankens in anderen Rechtsgebieten zu vergegenwärtigen. Der Gedanke, daß Minderjährige des besonderen Schutzes bedürfen, durchzieht die gesamte Rechtsordnung und findet sich in fast allen Bereichen des Rechts. Im Bürgerlichen Recht findet er seinen Niederschlag insbesondere in den Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 106 ff.) und in zahlreichen Bestimmungen des Familienrechts. Im Arbeitsrecht findet er seinen Ausdruck insbesondere in den Vorschriften des Jugendarbeitsschutzrechts durch Beschäftigungsverbote 26, Sonderbestimmungen für die Arbeitsgestaltung 27, daneben in zahlreichen Unfallverhütungsvorschriften 28. Im Strafrecht zeigt sich der Minderjährigenschutzgedanke in Bezug auf jugendliche Straftäter in den Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes, daneben aber auch in besonderen strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz Minderjähriger, insbesondere im Sexualstrafrecht (vgl. z.B. §§ 174, 176, 184; §235 StGB). Das Verfahrensrecht kennt ebenfalls Vorschriften des Minderjährigenschutzes 29. Schließlich finden sich auch im öffentli-

24

LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1434). LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1434); Kuhlen, JZ 1990,273 (276 Fn.43). 26 Vgl. allgemein: §§ 5, 7 und 22 ff. Jugendarbeitsschutzgesetz ferner spezielle Beschäftigungsverbote für Minderjährige (= Personen unter 18 Jahren) an gefahrlichen Arbeitsplätzen, z.B. § 5 der Verordnung über das Bewachungsgewerbe in der Fassung vom 1. Juni 1976 (BGBL I S.1341); §9 der Verordnung für Arbeiten in Druckluft vom 4. Oktober 1972 (BGBl. I S.1909); § 25 I der Acetylenverordnung vom 27. Februar 1980 (BGBl. I S.220); § 26 I und II der Gefahrstoffverordnung in der Fassung vom 25. September 1991 (BGBl. I S.1931); §2611 der Dampfkesselverordnung vom 27. Februar 1980 (BGBl. I S.173); § 30 II der Druckbehälterverordnung in der Fassung vom 21. April 1989 (BGBl. I. S.843); § 20 II der Aufzugsverordnung vom 27. Februar 1980 (BGBl. I S.205); § 49 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 (BGBl. II S.1563). 25

27

Vgl. z.B. §§8 ff. und 28 ff. des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 12. April 1976 (BGBl. I S.965). 28 Vgl. die Zusammenstellung bei Zmarlik/Anzinger, Jugendarbeitsschutzgesetz, Anhang 1.15.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

chen Recht eine Fülle von Vorschriften, die (jedenfalls auch) dem Schutz Minderjähriger dienen, so im Gefahrenabwehrrecht 30, und im Sozialrecht31. Tragender Grund des Gesetzgebers für die genannten, zugunsten der Minderjährigen getroffenen Schutzanordnungen dürfte meist die Annahme gewesen sein, daß der Mindeijährige auf Grund mangelnder geistiger Reife und Erfahrung noch nicht in hinreichend in der Lage ist, Bedeutung, gegenwärtige und zukünftige Folgen seines Handelns zu übersehen, zum anderen noch nicht die erforderliche Besonnenheit an den Tag legt, von einem als gefährlich erkannten Verhalten Abstand zu nehmen. Zum Teil sind die Schutzanordnungen auch von dem Gedanken getragen, daß Minderjährige als noch in der Entwicklung befindliche und daher besonders beeindruckbare und formbare Menschen bestimmten Gefahren, Erfahrungen, Lebensverhältnissen oder Eindrücken, die ihren natürlichen Verständnishorizont oder ihre Belastbarkeit übersteigen, nicht ausgesetzt werden dürfen. Seit 1992 kommt der Minderjährigenschutzgedanke in grundsätzlicher Form überdies in dem internationalen Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (Kinderkonvention) 32 zum Ausdruck, das für Deutschland nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 5. April 1992 in Kraft getreten ist33. In der Präambel der Kinderkonvention heißt es, daß „das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, inbesondere eines angemessenen, rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt bedarf' 34 . In Art. 3 Abs. 1 der Kinderkonvention findet sich die Be-

29 Vgl. z.B. §§51 f. (Prozeßfähigkeit), § 393 (Eidesunmündigkeit bei Minderjährigen unter 16 Jahren) und § 455 ZPO (Verbot der Parteivernehmung bei Minderjährigen unter 16 Jahren); § 12 VwVfG bzw. § 11 SGB X und §36 SGB I (Handlungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren). 30 Vgl. z.B. das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 (BGBl. I S.425); das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Juli 1985 (BGBl. I S.1817); §22111 des Sprengstoffgesetzes in der Fassung vom 17. April 1986 (BGBl. 1986 I S.577) - Verbot des Überlassens von explosionsgefahrlichen Stoffen an Minderjährige (Personen unter 18 Jahren); § 81 Nr. 2c iVm § 20 des Sprengstoffgesetzes: Verbot der Erteilung einer Erlaubnis bzw. eines Befähigungsscheins nur an Personen unter 21 Jahren; § 30 I Nr. 1 und 36 I des Waffengesetzes - Verbot der Ausstellung von Waffenbesitzkarte und Waffenschein an Minderjährige (Personen unter 18 Jahren); § 7 StZVO - Altersgrenzen (15, 16, 18, 21 Jahre) für das Führen von Kraftfahrzeugen. Der Gefahrenabwehr dienen auch die oben genannten Beschäftigungsverbote. 31 Vgl. z.B. §§ 25 II Nr. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994 (BGBl. I S.646) - keine Leistungskürzung gegenüber Minderjährigen trotz absichtlicher Einkommens- oder Vermögensminderung; vgl. auch § 92a I BSHG - kein Kostenerstattungsanspruch gegen Minderjährige trotz vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit. 32 BGBl. 1992 II, S. 121 ff. 33 BGBl. 1992 II, S.990.

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Stimmung, daß „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist." 35 Unter „Kindern" versteht die Konvention hierbei alle Personen unter 18 Jahren, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt (Art. 1 der Kinderkonvention). 2. Abwägung von Minderjährigenschutz und „ Opfer "-Schutz in anderen Rechtsbereichen Von Interesse für diese Arbeit ist nun insbesondere, wie das Recht einen minderjährigen „Schädiger" im weitesten Sinne, also einen Minderjährigen, der einem anderen unmittelbar oder mittelbar einen Schaden - absichtlich oder gänzlich schuldlos - zugefügt hat, in anderen Rechtsgebieten behandelt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Problematik, vor die der Gesetzgeber bei der Gewichtung des Minderjährigenschutzgedankens im Deliktsrecht gestellt ist, besonders deutlich. a) Strafrecht Begeht ein Minderjähriger eine Straftat, wird er vom Gesetzgeber grundsätzlich anders behandelt als ein Erwachsener. Der Minderjährige unter 14 Jahrenwird von der Strafe vollkommen freigestellt (§ 19 StGB). Für den Minderjährigen über 14 Jahren gilt ein „Sonderstrafrecht", das Jugendstrafrecht. Dieses ordnet gegen den Jugendlichen grundsätzlich lediglich Erziehungsmaßnahmen an (§ 5 II JGG, 17 II JGG). Nur, wenn diese nicht ausreichen, unterwirft es den Jugendlichen einer - allerdings wesentlich milderen (§ 18 JGG) - Bestrafung. Das Strafrecht hat also bei Minderjährigen, die Schaden anrichten, vor allem den Minderjährigen, seine Persönlichkeit, seine Entwicklung, seine Besserung und Erziehung im Blick. Der Gedanke der Vergeltung, der Gedanke der Abschreckung, der Blick auf das Opfer der Straftat oder mögliche zukünftige Opfer von Straftaten verlieren demgegenüber an Bedeutung. So heißt es in der Begründung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zur im Jahr 1953 verabschiedeten Neufassung des Jugendgerichtsgesetzes: 34

In der maßgeblichen englischen Fassung: "Bearing in mind that, as indicated in the Declaration of the Rights of the Child, "the child, by reason of his physical and mental immaturity, needs special safeguards and care, including appropriate legal protecteion, before as well as after birth." 35 In der maßgeblichen englischen Fassung: "In all actions concerning children, wether undertaken by public or private social welfare institutions, courts of law, administrative authorities or legislative bodies, the best interests of the child shall be a primary consideration."

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht „Es ist jedoch zu beachten, daß im Jugendstrafrecht ganz anders als im allgemeinen Recht der spezialpräventive Zweck der Strafe in den Vordergrund tritt. Namentlich bei der Strafzumessung hat der Richter zu berücksichtigen, daß sich, mindestens bei Jugendlichen, die Funktion der Strafe nicht in bloßer Vergeltung erschöpft. Bei ihnen wird man sich immer vor Augen halten müssen, daß sich auch die Strafe im Einzelfall zum Besten des Täters auswirken sollte. Die Allgemeinheit würde Unrecht tun, wenn sie von einem jugendlichen, noch in der Entwicklung befindlichen Täter Genugtuung durch Mittel fordern wollte, die ihm schädlich sind und den Weg in ein geordnetes Leben verbauen. Dem Erziehungszweck der Jugendstrafe ist deshalb in der Praxis entscheidende Bedeutung beizumessen. Er ist mit ausschlaggebend für das Ob und das Wie der Strafe. Aus alledem folgt, daß die im allgemeinen Strafrecht entwickelten Strafzwecke zwar auch als Elemente der Jugendstrafe vorhanden sind, daß ihr Gewicht jedoch ein grundsätzlich verschiedenes ist, da der Besserungszweck gegenüber dem Vergeltungs- und dem bei Jugendlichen nahezu bedeutungslosen Abschrekkungszweck eine überragende Rolle spielt." 36 .

Die starke Berücksichtigung des Minderjährigenschutzgedankens im Strafrecht rechtfertigt sich auch dadurch, daß es im Strafrecht nicht in erster Linie um das Privatinteresse des Geschädigten an der Bestrafung des Opfers geht. Zwar wird etwa durch das Institut der Nebenklage und der Privatklage ein privates Interesse des Geschädigten im Bereich des Strafrechts in gewissem Umfang anerkannt. Es bleibt aber die Tatsache, daß der Geschädigte keinen persönlichen Nutzen aus der Bestrafung des Täters zieht; seine Rechts- oder Vermögensstellung wird grundsätzlich durch die Bestrafung des Täters nicht verbessert. Die Beeinträchtigungen, die er erlitten hat, werden durch das Strafrecht nicht rückgängig gemacht. Im Strafrecht geht es - neben der Vergeltung - in erster Linie darum, den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, sei es durch Erziehung, Besserung oder Abschreckung; und es geht darum, allgemein von der Begehung von Straftaten abzuschrecken. Ist der Staat der Überzeugung, bei Minderjährigen mit erzieherischer Einwirkung und milderen Strafen mehr Erfolg bei der Verwirklichung dieser strafrechtlichen Ziele zu haben, so müssen Privatinteressen des Geschädigten an einer Bestrafung zurückstehen. b) Vertragsrecht Schließt ein Minderjähriger Verträge und hält sich nicht an die Vereinbarungen, zahlt etwa den Kaufpreis nicht oder beschädigt die gemietete Sache, so ist die Wertung des Gesetzgebers eindeutig: dem Vertragspartner des Minderjährigen wird der Schutz vertraglicher Ansprüche versagt, jedenfalls dann, wenn der gesetzliche Vertreter dem Vertrag nicht zustimmt. Der Vertragspartner kann sich auf

36 Vgl. den schriftlichen Bericht des Ausschusses flir Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes (Nr. 3264 der Drucksachen), BT-Drucksache 1/4437, S.2.

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vertragliche Ansprüche nicht berufen, weil der Vertrag als ungültig bzw. schwebend unwirksam (§§ 105 bzw. 108) angesehen wird. Der Minderjährigenschutz hat Vorrang, der Schutz des Geschädigten tritt zurück. Für den Vorrang des Minderjährigenschutzes und die geringere Bewertung der Interessen des Geschädigten in den hier angesprochenen Rechtsbereichen gibt es gute Gründe: Durch den Minderjährigenschutz im Vertragrecht sind zwar - anders als durch den Minderjährigenschutz des Jugendstrafrechts - die Vermögensinteressen des Geschädigten direkt betroffen. Vermögensbeeinträchtigungen, die der Geschädigte durch den Minderjährigen erleidet, werden nicht wieder rückgängig gemacht. Hier rechtfertigt sich der klare Vorrang des Minderjährigenschutzes aber dadurch, daß der Geschädigte sich mit dem Minderjährigen freiwillig eingelassen hat. Durch seinen freien Willen und eigenverantwortliches Handeln ist er in rechtsgeschäftlichen Kontakt mit dem Minderjährigen getreten. Damit hat er auch das Risiko zu tragen, welches ihm aus einer rechtsgeschäftlichen Verbindung mit dem Minderjährigen erwächst. Darüber hinaus zwingt die übergeordnete Überlegung, daß ein Vertrag zwischen einem Minderjährigen und einem Erwachsenen ungleiche Partner verpflichtet, dazu, dem Vertrag seine Durchsetzbarkeit zu versagen, um eine Übervorteilung des schwächeren Partners auszuschließen. Die Unwirksamkeit der Verträge mit Minderjährigen ist notwendig, um den Mißbrauch der Vertragsfreiheit bei ungleichen Partnern zu verhindern. c) Vor- und außervertragliche Schuldverhältnisse Der den §§ 104 ff. zugrundeliegende Minderjährigenschutzgedanke hat nicht nur Bedeutung im Vertragsrecht. Die Wertung der §§ 104 ff. wird in Rechtsprechung und Lehre über das Vertragsrecht hinaus auch auf vor- und außervertragliche Schuldverhältnisse erstreckt. aa) Vorvertragliche Schuld Verhältnisse Aus der in §§ 104 ff. getroffenen Wertung wird zunächst gefolgert, daß der nicht voll Geschäftsfähige nicht nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo haftet, es sei denn, er hat den geschäftlichen Kontakt mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters aufgenommen 37. Den §§ 104 ff. liege der Gedanke zugrunde, daß der Schutz des nicht voll Geschäftsfähigen Vorrang vor dem Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs haben müsse. Der auf dem Vertrauensschutzgedanken beru-

37

Vgl. Gitter, in: MünchKomm, vor §104 Rdn.21; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdn.177; Hefermehl, in: Erman, vor § 104 Rdn.12.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

hende Anspruch des Geschäftsgegners aus culpa in contrahendo könne daher gegenüber einem Minderjährigen nicht durchgreifen 38. Auch hier hat der Minderjährigenschutz daher Vorrang vor dem Schutz des Geschädigten. bb) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung Die Stellung des Minderjährigen im Bereicherungsrecht ist nicht gesetzlich geregelt. Jedoch überträgt die herrschende Meinung jedenfalls fur den Bereich der Leistungskondiktion die Wertung der §§ 104 ff. auch auf das Bereicherungsrecht und räumt damit dem Minderjährigenschutz Vorrang ein: Kann etwa der um die gekaufte Sache bereicherte Minderjährige die Sache nicht mehr herausgeben, weil er sie zerstört oder weitergegeben hat, so hat er keinen Ersatz zu leisten. Im Normalfall gilt dies im Bereicherungsrecht ohnehin (§818 III). Für den Minderjährigen gilt dies aber auch dann - trotz § 819 I -, wenn er wußte, daß er die Sache ohne rechtlichen Grund besaß. Nach der herrschenden Meinung kommt es zumindest bei einem Anspruch aus Leistungskondiktion nicht auf die Kenntnis des Minderjährigen an, weil sonst über § 819 I oftmals die gleiche Haftung wie aus dem unwirksamen Vertrag eintreten würde. Entscheidend ist danach allein, ob der gesetzliche Vertreter von dem Fehlen des Rechtsgrundes Kenntnis hatte (Anwendung des § 166 analog)39. Nur wenn dessen Kenntnis vorliegt, haftet der Minderjährige nach § 819 I, 818 IV, 292, 989 verschärft und hat den Schaden zu ersetzen. Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Auffassung im Grundsatz angeschlossen, da „sonst über die Bereicherungshaftung der Zustand eintreten würde, vor dem der nicht voll Geschäftsfähige gerade bewahrt werden sollte" 40 . Anders sei allerdings dann zu entscheiden, wenn der nicht voll Geschäftsfähige sich den Bereicherungsgegenstand durch vorsätzliche unerlaubte Handlung, insbesondere durch eine Straftat verschafft hat. In solchen Fällen müsse die eigene Kenntnis des Minderjährigen - dessen Einsichtsfähigkeit gemäß § 828 II 1 vorausgesetzt - ausschlaggebend sein41.

38

Gitter, in: MünchKomm, vor § 104, Rdn.21. Vgl. u.a. Thomas, in: Palandt § 819 Rdn.6; Larenz, Schuldrecht BT, S.585; Larenz/ Canaris, Schuldrecht BT 2, S.312; Lorenz, in: Staudinger, §819Rdn.lO; Gitter, in: MünchKomm, vor § 104 Rdn.47; Heimann-Trosien, in: RGRK, § 819 Rdn.7; Hefermehl, in: Soergel, vor §104 Rdn.ll; H.P. Westermann, in: Erman, §819 Rdn.6; Lieb, in: MünchKomm, § 819 Rdn.7. Anderer Ansicht: Enneccerus/Nipperdey, § 151 Anm.7, Mühl, in: Soergel, § 819 Rdn.6. 40 BGH, Urt.v.7.1.71 - VIII ZR 9/70 - BGHZ 55, 128 (136). 41 BGHZ 55, 128 (136 f.). Für diese Einschränkung auch Gitter, in: MünchKomm, vor § 104 Rdn.50; Hefermehl, in: Soergel, vor § 104 Rdn.ll; Brox, in: Erman, vor § 104 Rdn.7. 39

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Der Schutzgedanke der §§ 104 ff. wirkt sich darüber hinaus auch auf die Frage aus, inwieweit der Minderjährige die von ihm erbrachte Gegenleistung zurückfordern kann, wenn er seinerseits zur Herausgabe der erhaltenen Sache außerstande ist. Auf Grund des Schutzzwecks der §§ 104 ff. hat der nicht voll Geschäftsfähige nach fast einhelliger Meinung einen Anspruch darauf, die von ihm erbrachte Gegenleistung zurückzuerhalten, auch wenn er selbst zur Herausgabe des Bereicherungsgegenstandes nicht in der Lage ist. Die sogenannte Saldotheorie findet ihm gegenüber keine Anwendung42. Im Bereicherungsrecht - bei der Leistungskondiktion - erhält somit der Minderjährigenschutz grundsätzlich ebenfalls Vorrang vor dem Schutz des Geschädigten. cc) Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Auch bei den Schadensersatzansprüchen aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 989, 990) stellt sich die Frage, inwieweit der Schutzgedanke der §§ 104 ff. berücksichtigt werden muß. Ähnlich wie im Rahmen des § 819 I, ist auch bei § 990 zu fragen, ob der Schutzgedanke der §§ 104 ff. dazu zwingt, allein die Bösgläubigkeit des gesetzlichen Vertreters (analog § 166 I) für maßgeblich zu halten. Der Minderjährige wäre dann nur nach §§ 989, 990 verpflichtet, wenn sein gesetzlicher Vertreter das Fehlen des Besitzrechts kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. Einige Autoren halten dies jedenfalls dann für richtig, wenn die Ansprüche aus §§ 989, 990 der Rückabwicklung eines wegen §§ 104 ff. unwirksamen Vertragsverhältnisses dienen43. Der Grundgedanke der Minderjährigenschutz-Vorschriften, daß der nicht voll Geschäftsfähige vor den Folgen seines eigenen rechtsgeschäftlichen Handelns geschützt werden muß, beanspruche in diesen Fällen als ein „Fundamentalprinzip unserer Rechtsordnung" den Vorrang 44. Andere Autoren halten demgegenüber generell die Kenntnis des Minderjährigen für maßgeblich45. Die Rechtsprechung hatte diese Frage, soweit ersichtlich, bisher nicht zu entscheiden. 42 Vom Bundesgerichtshof jüngst im Einklang mit der herrschenden Literaturmeinung entschieden: BGH, Urt.v.4.5.1994 - VIII ZR 309/93- FamRZ 1994, 953 (954); vgl. ferner Heimann-Trosien, in: RGRK, § 812 Rdn.64; Gitter, in: MünchKomm, vor §§ 104 Rdn.51; Thomas, in: Palandt, § 818 Rdn.49. 43 Gursky, in: Staudinger, §990 Rdn.35; Gitter, in: MünchKomm, vor § 104 Rdn.29; Koether-Ruchatz, NJW 1973, 1444 (1446); ähnlich M. Wolf, Rdn.190 und Wacke, JuS 1978, 80 (84). Noch weitergehend Pinger, MDR 1974, 184 (187) und Metzler, NJW 1971, 690 (stets die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters entscheidend). 44 Gursky, in: Staudinger, § 990 Rdn.35; Gitter, in: MünchKomm, vor § 104 Rdn.29. 45 Vgl. Baur/Stürner, §11 A l l 2; Schwab/Prütting, §48111; Wieling, §12 II 3 c; Hefermehl, in: Erman, § 990 Rdn.4; Bassenge, in: Palandt, § 990 Rdn.4 (alle diese Autoren jeweils ohne Begründung); vgl. ferner Enneccerus/Nipperdey, § 151 Rdn.7; Mühl, in: Soergel, § 990 Rdn.16 (beide Autoren verweisen zur Begründung auf ihre - von der hM

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Bei Ansprüchen aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis ist somit die Frage, ob Minderjährigenschutz oder der Schutz des Geschädigten Vorrang beanspruchen, bislang ungeklärt. dd) Ansprüche aus Delikt bei gemäß §§104 ff. unwirksamen Vertragsverhältnissen Der Schutzgedanke der §§ 104 ff., der auch auf die genannten vor- und außervertraglichen Schuldverhältnisse einwirkt, findet seine Grenze im Deliktsrecht. Auf deliktische Ansprüche ist der Schutzgedanke nicht übertragbar. Denn aus der Vorschrift des § 828 folgt, daß fur die vom Minderjährigen begangenen Delikte allein und ausschließlich maßgeblich sein soll, ob der Minderjährige selbst - sofern über 7 Jahre - einsichtsfahig war. Liegt ein wegen §§ 104 ff. unwirksames Vertragsverhältnis vor, kann daher noch ein deliktischer Anspruch gegen den Minderjährigen durchgreifen, auch wenn vertragliche Ansprüche und alle übrigen vor- und außervertraglichen Ansprüche auf Grund der Schutzwirkung der §§ 104 ff. ausscheiden. Ob und welche deliktischen Ansprüche in solchen Fällen bestehen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab: Bei unwirksamen Austauschverträgen, die auf die Übereignung einer Sache gerichtet sind, scheidet ein Anspruch aus § 823 I wegen Beschädigung der an den Minderjährigen übertragenen Sache regelmäßig aus. Denn die Vorschrift des § 107 fuhrt im Regelfall dazu, daß der Minderjährige - da fur ihn lediglich rechtlich vorteilhaft - Eigentümer der übertragenen Sache wird, so daß es an einem verletzten absoluten Recht im Sinne des § 823 I fehlt. Hier wird der Geschäftsgegner des Minderjährigen nur unter den Voraussetzungen des § 823 II - insbesondere in Verbindung mit § 263 StGB bei Vorspiegelung der Volljährigkeit durch den Minderjährigen - oder bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 Schadensersatz verlangen können. Dagegen wird er bei bloß fahrlässigen Schädigungen leer ausgehen. Bei unwirksamen Gebrauchsüberlassungsverträgen kommt dagegen neben Ansprüchen aus § 823 II und § 826 regelmäßig auch ein Anspruch aus § 823 I in Betracht, wenn die überlassene Sache durch den Minderjährigen geschädigt wird: Der Geschäftsgegner des Minderjährigen bleibt Eigentümer, so daß ein absolutes Recht verletzt wird. § 823 I ist in diesen Fällen auch nicht durch die §§ 987 ff. ausgeschlossen, soweit der Minderjährige bei der Beschädigung den Rahmen des vermeintlichen Besitzrechts überschritten hat (Fremdbesitzerexzeß 46). Die Rechtabweichende - parallele Auffassung zu § 819 I); Medicus, in: MünchKomm, § 990 Rdn.15 (Verweis auf den "deliktsähnlichen" Charakter der §§ 989, 990). 46 Vgl. BGH, Urt.v.23.3.66 - Ib ZR 150/63 - BGHZ 46, 140 (146); grundlegend RG, Urt.v. 17.1.21 - IV 402/20 - RGZ 101, 307 (309 ff.).

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sprechung hat minderjährige Kraftfahrzeug-„Mieter" daher regelmäßig nach § 823 I haften lassen, wenn sie den Mietwagen fahrlässig beschädigten47. Aus der Minderjährigkeit des Deliktstäters können sich allerdings unter Umständen Einwendungen gegen deliktische Ansprüche ergeben. So hat der Bundesgerichtshof einen Gegenanspruch des minderjährigen Kraftfahrzeugmieters aus culpa in contrahendo bejaht, wenn der Vermieter den Minderjährigen nicht darauf hinweist, daß er sich durch Abschluß einer Kaskoversicherung absichern kann48. In anderen Entscheidungen wurde dem Vermieter des Kraftfahrzeugs ein Mitverschulden gemäß § 254 angelastet49 oder sogar der Einwand des § 242 für begründet gehalten50, weil der Vermieter dem Minderjährigen das Kraftfahrzeug ohne vorherige Einwilligung der Eltern überließ. Dem Geschädigten stehen damit je nach Lage des Falles auch im Rahmen eines unwirksamen Vertragsverhältnisses Ansprüche aus Delikt zur Seite. Das legt den Gedanken nahe, daß der Minderjährigenschutz im Vertragsrecht auch deshalb so stark ausgestaltet ist, weil gleichzeitig durch das Deliktsrecht sichergestellt wird, daß dem Geschädigten ein gewisser Schutz - zumindest vor vorsätzlichen sittenwidrigen oder strafbaren Schädigungen - verbleibt. d) Ergebnis Es zeigt sich, daß das geltende Recht in anderen Rechtsbereichen als dem Deliktsrecht dem Minderjährigenschutz eine starke Stellung zuerkennt, auch dann, wenn der Minderjährige einen anderen schädigt. Der Minderjährigenschutz wird in diesen Rechtsbereichen als so wichtig angesehen, daß der Opferschutz demgegenüber zurücktritt. Über den Vorrang des Minderjährigenschutzes in diesen Rechtsbereichen besteht auch im Grundsatz Einigkeit: es ist nicht ersichtlich, daß gegenüber den begünstigenden Minderjährigen Vorschriften des Strafrechts oder des Vertragsrechts Einwände grundsätzlicher Art erhoben worden wären. Die starke Stellung des Minderjährigenschutzgedankens wird allerdings im Ergebnis dadurch relativiert, daß der Minderjährige auch bei Vorliegen von Sachverhalten, die in den Regelungs- oder Schutzbereich dieser Vorschriften fallen, Deliktsansprüchen ausgesetzt bleibt, die sicherstellen, daß dem Geschädigten ein gewisser Schutz verbleibt.

47

Vgl. BGH, Urt.v. 19.6.1973 - V I ZR 95/71 - NJW 1973, 1790 (1791); BGH, Urtv. 31.1.1967 - V I ZR 105/65 - BGHZ 47, 53. 48 BGH NJW 1973, 1790 (1791). Im Ergebnis zustimmend Medicus, JuS 1974, 221 (225). 49 OLG Düsseldorf, Urt.v. 15.5.1964 - 10 U 170/63 - DAR 1965, 77 (78); LG Göttingen, Urt.v.4.1.1962 - 1 S 91/61 - NJW 1962, 639 f. 50 OLG Stuttgart, Urt.v.7.6.1968 - 10 U 22/67 - NJW 1969, 612 ff.

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

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IL Der Minderjährigenschutz 1. Notwendigkeit

im Deliktsrecht

des Minderjährigenschutzes

im Deliktsrecht

Nachdem die begünstigende Behandlung des Minderjährigen im Strafrecht und im Vertragsrecht und ihre Gründe beleuchtet wurden, wird der schwierige Konflikt, den das Deliktsrecht zu lösen hat, besonders deutlich. Im Deliktsrecht geht es um erhebliche persönliche Interessen des Geschädigten. Dessen Rechtsgüter sind häufig - man denke nur an die Zufügung körperlicher Verletzungen - wesentlich einschneidender betroffen, als dies im Vertragsrecht der Fall ist. Die Schäden treffen diesen typischerweise, ohne daß er deren Ursachen in irgendeiner Weise selbst veranlaßt hätte. Daher ist das Interesse des Geschädigten an einer Wiedergutmachung auch dem Minderjährigen gegenüber schutzwürdig. Auf Grund dieser Überlegungen könnte man daran denken, den Minderjährigenschutz im Deliktsrecht ganz gegenüber dem Opferschutz zurücktreten zu lassen. Jedoch besteht auch im Deliktsrecht ein Schutzbedürfiiis für den Minderjährigen. Die Gründe, welche den Gesetzgeber bewogen haben, Minderjährige als schwächer und schützenswert einzustufen, treffen hier ebenso zu wie im Vertragsrecht oder im Strafrecht. Der Gesetzgeber ging bei Abfassung der §§ 106 ff. davon aus, daß der Minderjährige nicht das erforderliche Urteilsvermögen 51 besitzt, den Inhalt einer Willenserklärung oder seine Konsequenzen zu überschauen. So begründet der Redaktor des Allgemeinen Teils des BGB, Gebhard, in seinem Entwurf die jetzigen §§ 106 ff. damit, Minderjährige müßten „vor den Gefahren geschützt werden, die daraus entspringen, daß sie in Folge ihrer geistigen Unreife und Unerfahrenheit die Bedeutung und Tragweite der von ihnen im Rechtsverkehre vorgenommenen Handlungen nicht richtig zu beurteilen im Stande sind" 52 . Ganz ähnlich heißt es in den Motiven der ersten Kommission: „Innerhalb des Zeitraums der Minderjährigkeit sind zwei Stufen von allgemeiner Bedeutung zu unterscheiden, das Kindesalter, für welches die Willensfähigkeit gänzlich verneint wird [Alter bis 7 Jahre, Anm. d. Verf.], und das Alter, in welchem die noch fehlende Reife der geistigen Entwickelung, der Mangel des normalen Grades der Besonnenheit und Einsicht in die Lebensverhältnisse eine Beschränkung des selbständigen Auftretens im Rechtsverkehre bedingt."53

Der Gesetzgeber war damit der Auffassung, daß Minderjährige nur in vermindertem Maße die Fähigkeit besitzen, die Folgen ihres Verhaltens zu übersehen54. 51

Vgl. Larenz, AT, § 6 I. Gebhard, Begründung zum Entwurf eines Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches, Abschnitt II, Titel 2, S.22, in: Die Vorlagen der Redaktoren, Allgemeiner Teil, Teil 2. 53 Mot. I., S.52; vgl. dort auch S.131. 54 Gitter, in: MünchKomm, Vor § 104 Rdn.l. 52

. Abschnitt:

e u n g der geltenden Regelung

61

Diese Auffassung des BGB-Gesetzgebers wurde bei der Neuregelung des Volljährigkeitsalters im Jahr 1974 bestätigt. In der Begründung zu dem Entwurf, das Höchstalter von 21 auf 18 herabzusetzen, heißt es zu Jugendlichen unter 18 Jahren: „...Einschränkungen der Rechtsmacht sind ohne Zweifel notwendig bei Jugendlichen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Diese Jugendlichen bedürfen des besonderen Schutzes der Rechtsordnung."55 Trifft die Wertung des Gesetzgebers zu, so dürfte der Minderjährige aber auch nur in vermindertem Maße das nötige Urteilsvermögen, die Besonnenheit und Vernunft besitzen, die Bedeutung und die Folgen einer Tathandlung zu übersehen. Denn ob eine Handlung rechtsgeschäftlichen Charakter hat oder lediglich Tathandlung ist, kann im Hinblick auf die Erkenntnismöglichkeiten des Minderjährigen keinen grundlegenden Unterschied machen. Nun könnte hiergegen eingewandt werden, rechtsgeschäftliche Handlungen seien komplizierter als Tathandlungen, deswegen könne der Minderjährige zwar die Folgen seiner Tathandlungen, nicht aber die Folgen seiner Rechtshandlungen übersehen. Dieser Einwand überzeugt indes in vielen Fällen nicht: denn einerseits gibt es nicht nur komplexe Rechtshandlungen, sondern auch ganz einfache zu begreifende, etwa den Kauf eines Spielzeugautos, oder die Leihe eines Fahrrades. Andererseits gibt es auch Tathandlungen, deren Bedeutung und Folgen schwer zu übersehen sind, etwa das Nicht-vollständig-Austreten eines Feuers, das Rennen über die Straße an einer unübersichtlichen Stelle, das Schlagen mit einem Hammer auf eine mit Sprengstoff gefüllte Flasche. Dies gilt umso mehr, je weiter der technische Fortschritt voranschreitet und je komplexer die technischen Gegenstände werden, mit denen der Minderjährige in Berührung kommt. Nicht anders als bei den Erkenntnismöglichkeiten des Minderjährigen steht es auf der Willensseite, bei der Beherrschbarkeit des eigenen Verhaltens. Ist der Gesetzgeber bei der Abfassung der §§ 106 ff. der Auffassung gewesen, daß der Minderjährige sein rechtsgeschäftliches Erklärungsverhalten noch nicht voll beherrschen kann56, so kann nichts wesentlich anderes im Hinblick auf die Beherrschbarkeit des sonstigen Verhaltens gelten. Daß der Gesetzgeber selbst von diesen Überlegungen ausgeht, beweist die parallele Regelung der absoluten Geschäftsunfähigkeit (§ 104 I) und der absoluten Deliktsunfähigkeit (§ 828 I) von Minderjährigen unter 7 Jahren. Auch die Begründung zur Regelung für die Minderjährigen über 7 Jahren (§ 828 II 1) in den Motiven zeigt, daß sich der Gesetzgeber bewußt war, daß Personen zwischen 7 und 18 Jahren „noch nicht zur vollen Verstandesreife" gelangt sind: Dort heißt es,

55

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters (Gesetzentwurf der Bundesregierung), BT-Drucksache 7/117, S.6. 56 Vgl. Rüthers, BGB AT, Rdn.157.

62

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

die Gleichsetzung von Minderjährigen über 7 Jahren und Erwachsenen wäre „eine nicht zu rechtfertigende unbillige Behandlung der noch nicht zur vollen Verstandesreife gelangten Unerwachsenen"57. Wenn der Gesetzgeber die Minderjährigen über 7 Jahre für Delikte grundsätzlich haften läßt (§ 828 11 1), aus Rechtsgeschäften aber grundsätzlich nicht (§ 108 I), so kann dies nach allem nicht damit begründet werden, daß Minderjährige bei Delikten typischerweise mehr Urteilsvermögen, Besonnenheit und Selbstbeherrschung an den Tag legen, und deswegen weniger schutzwürdig wären. Vielmehr ist der Minderjährige, sieht man nur ihn und nicht den Geschädigten, für sich betrachtet im Deliktsrecht ebenfalls schutzwürdig. Eine geringere Schutzwürdigkeit des Minderjährigen ließe sich allenfalls für die Fälle absichtlicher Schädigungen behaupten. 2. Reichweite des Minderjährigenschutzes

im Deliktsrecht des BGB

Das Dilemma des Deliktsrechts besteht nach dem oben gesagten darin, daß hier zwei vom Gesetzgeber als gewichtig beurteilte Wertungen miteinander in Konflikt geraten, der Gedanke des Schutzes des unerfahrenen und unvernünftigen Minderjährigen und das Wiedergutmachungsinteresse des ohne eigene Veranlassung geschädigten Opfers. In diesem Konflikt entscheidet sich der Gesetzgeber für den Vorrang des Opferschutzes und gegen den Minderjährigenschutz - jedenfalls, soweit deliktsfahige Minderjährige, also einsichtsfähige Minderjährige über 7 Jahre betroffen sind. Der Minderjährigenschutz tritt vollkommen zurück, der Minderjährige haftet wie ein Erwachsener in vollem Umfang. Diese scharfe Haftung für Delikte nach dem BGB kann nach dem oben Gesagten nur im Hinblick auf das Opfer begründet sein. Das unvorhergesehen und schuldlos geschädigte Opfer eines Delikts wird im BGB als schutzwürdiger angesehen als der Minderjährige. Nur im Hinblick auf das Opfer ist auch die Norm des § 829 zu erklären, die trotz der vom Gesetzgeber durch §§104 und 828 I anerkannten Schutzbedürftigkeit des Kindes unter 7 Jahren unter bestimmten Umständen eine Haftung des deliktsunfähigen Kindes anordnet. III. Notwendigkeit einer Erweiterung des Minderjährigenschutzes im Deliktsrecht Es erscheint richtig, daß das Gesetz den Minderjährigen grundsätzlich der Haftung nach § 823 unterwirft. Der Geschädigte bliebe anderenfalls völlig schutzlos. Auch aus präventiven Gründen erscheint es wichtig, daß die Schadens-

57

Mot. II 733.

. Abschnitt:

e u n g der geltenden Regelung

63

zufügung nicht ohne zivilrechtliche Sanktionen bleibt. So wird auch der Rechtsvergleich (siehe 2. Teil) zeigen, daß es keine Rechtsordnung gibt, die Minderjährige generell von der Haftung freistellt. Problematisch ist dagegen, daß die Abwägung von Minderjährigenschutz und Opferschutz bei deliktsfähigen Minderjährigen so ausgefallen ist, daß vom Minderjährigenschutzgedanken kaum etwas übrig bleibt und der deliktsfähige Minderjährige - abgesehen von der Berücksichtigung alterstypischer Verhaltensweisen bei der Fahrlässigkeit - wie ein Erwachsener behandelt wird. Die Regelung der §§ 823, 828 II 1, 249 erweist sich insoweit als die - soweit ersichtlich - einzige Vorschrift unserer Rechtsordnung, die in einem sonst durchgängigen System des Minderjährigenschutzes, diesen Gedanken zugunsten anderer Zwecke - hier dem Schutz des Geschädigten - weitgehend unberücksichtigt läßt. Daß der deliktsfähige Minderjährige wie ein Erwachsener behandelt wird, bedeutet vor allem, daß er wie der Erwachsene dem im Schadensersatzrecht geltenden Alles-oder-NichtsGrundsatz unterworfen wird. 1. Unvereinbarkeit des Prinzips voller Haftung mit dem Minderjährigenschutzgedanken Nicht nur bei Minderjährigen, sondern grundsätzlich ist das geltende Prinzip voller Haftung im Schadensersatzrecht problematisch. Denn dieses Prinzip hat zur Folge, daß der Schädiger auch bei leichtester Fahrlässigkeit, auch bei menschlich verständlicher Unaufmerksamkeit zum vollen Ersatz verpflichtet wird, selbst wenn dies seinen Ruin bedeutet. Daher hat es immer wieder Versuche gegeben, dieses Prinzip durch eine Gesetzesänderung zu mildern. Der 43. Deutsche Juristentag 1960 hat sich für eine Änderung ausgesprochen58, nachdem der Gutachter Langé59 sowie die Referenten Hauss m und Wilbur g61 sich für eine Minderung der Ersatzpflicht in bestimmten Fällen ausgesprochen hatten. Im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums aus dem Jahre 1967 ist eine Milderung ebenso vorgesehen62 wie in einem Gutachten, das Hohloch 1981 für das Bundesjustizministerium verfaßt hat63. Weitere Milderungsvorschläge sind von Larenz?* und By dl ins kP

58

Sitzungsbericht der Verhandlungen der Ersten Abteilung des 43. DJT, Verhandlungen des 43. DJT, Band II, C 121. 59 Gutachten für den 43. DJT, Verhandlungen des 43. DJT, Band I, 1. Teil, S.60. 60 Verhandlungen des 43. DJT, Band II, C 45. 61 Verhandlungen des 43. DJT, Band II, C 19. 62 Vgl. § 255 a des Referentenentwurfs. 63 § 254 a des von Hohloch vorgeschlagenen Entwurfs, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I, S.475. 64 berichtet bei Bydlinski, JB1. 1968, 330. 65 JB1. 1968,330(331).

64

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

gemacht worden. Die Forderung nach einer Milderung des Alles-oder-NichtsPrinzips wird in neuerer Zeit wieder von Canaris erhoben66. Die Bedenken, die bereits grundsätzlich gegen das Alles-oder-Nichts-Prinzip sprechen, bestehen bei Minderjährigen noch verstärkt. Denn hier wirkt die Unverhältnismäßigkeit, die dieses Prinzip mit sich bringt, besonders kraß: a) Gesichtspunkt der geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen Der Gesetzgeber erkennt - wie oben gesehen - die Tatsache an, daß der junge Mensch erst allmählich zum vernunftbestimmten Wesen heranreift, indem den Minderjährigen in zahlreichen Rechtsgebieten, insbesondere im rechtsgeschäftlichen Bereich erheblich gegenüber dem Erwachsenen privilegiert. Dessen ungeachtet fordert es aber von dem Minderjährigen nach Überschreiten der Altersgrenze von 7 Jahren grundsätzlich für jede Unaufmerksamkeit und Unbesonnenheit wie beim Erwachsenen stets Ersatzleistung in vollem Umfang. Der Gesetzgeber geht damit gegen den Minderjährigen mit der gleichen Härte vor wie gegen den Erwachsenen, obwohl er durch sein Regelwerk anerkennt, daß die Minderjährigen den Erwachsenen in ihren Erkenntnis- und Beherrschungsfähigkeiten unterlegen sind. Vor allem fiir den Bereich der fahrlässig zugefugten Schäden ist dies problematisch: Ist schon bei manchem Erwachsenen zuweilen zweifelhaft, ob er angesichts seiner Verstandeskräfte in der Lage ist, dem objektiven Sorgfaltsanforderungen des § 276 zu genügen, gilt dies umso mehr bei Minderjährigen, die aus objektiven biologischen Gründen nicht mit der gleichen Erfahrung, Besonnenheit und Selbstbeherrschung ausgestattet sind. Nicht nur die Wertung des Gesetzgebers, auch die Erkenntnisse der Kinder- und Jugendpsychologie zeigen dies: Danach entwikelt sich der Minderjährige erst allmählich von einem ausschließlich trieb- und affektgesteuerten zu einem vernunftbestimmten Wesen, die Vernunft stellt sich nicht mit Erreichen des 7. Lebensjahres schlagartig ein. Der Minderjährige ist danach typischerweise unbeherrschter, er ist in ganz anderem Maße als der Erwachsene in seinem Handeln von Triebimpulsen, Stimmungen und Affekten geleitet, welche seine vernunftmäßigen Einsichten völlig überrennen können67. Er ist sich nicht in gleicher Weise über die Folgen und Konsequenzen seines Tuns im klaren, überschaut eine gefahrvolle Situation nicht in der gleichen Weise wie ein Erwachsener 68. Er hat geringere Lebenserfahrung als der Erwachsene, er hat den Drang, neues auszuprobieren, die Spielleidenschaft 69. 66

JZ 1987, 993 (1001/1002). Vgl. dazu aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht: Stutte, ZBl.JugR 1951, 141 (142); Munkwitz, ZBl.JugR 1960, 129 (130). 68 Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht: Munkwitz, ZBl.JugR 1960, 129 (130). 69 Stutte, ZBl.JugR 1951, 141 (142/143); Munkwitz ZBl.JugR 1960, 129 (130). 67

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

65

Die bestehenden Schranken der Minderjährigenhaftung berücksichtigen die Tatsache der geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen nicht hinreichend. Die mangelnde Schutzfunktion des Einwands der Einsichtsunfähigkeit (828 II 1) ergibt sich in der Praxis schon daraus, daß die Rechtsprechung - auf Grund des von ihr angewandten abstrahierten Gefahrbegriffes - die Einsichtsfähigkeit fast stets bejaht, so daß § 828 II 1 praktisch bedeutungslos geworden ist70. Zudem berücksichtigt § 828 II 1 nur die Unfähigkeit zur Erkenntnis von Gefahren, nicht aber die geringere Beherrschung des eigenen Verhaltens (Steuerungsfähigkeit 71 ). Der Einwand der Einsichtsunfähigkeit trägt der allmählichen Entwicklung des Minderjährigen zur vollen Reife auch deshalb nicht hinreichend Rechnung, weil er nur den Minderjährigen zu schützen vermag, der der Einsicht überhaupt nicht fähig ist, nicht aber den, der nur einer verminderten Einsicht fähig ist. Der Gedanke des schweizerischen Autors Bucher 72 scheint den Kern des Problems zu treffen, wenn er für das schweizerische Recht bemerkt, der sachlogisch gegebenen Möglichkeit gradueller Abstufung von Urteilsfähigkeit, der „beschränkten Urteilsfähigkeit", könne und müsse Rechnung getragen werden (in der Schweiz möglich durch die Abstufung der Schadensersatzhöhe gemäß Art. 43 I OR). Ebenso zutreffend erscheint hier die Bemerkung der schweizerischen Autoren Oftinger und Stark, es stehe außer Zweifel, daß zwischen dem Vorliegen und dem Fehlen der Fähigkeit, vernunftgemäß zu handeln, nicht eine starre Grenze besteht, sondern ein langsamer Übergang 73: Bei einem Kind stelle sich die Einsicht in die Gefährlichkeit eines bestimmten Tuns und die Willenskraft, die von ihm als gefährlich erkannte Handlung zu unterlassen, nicht an einem bestimmten Geburtstag schlagartig ein. Die Ablehnung einer „Zwischenzone" beschränkter Urteilsfähigkeit entspreche daher nicht der Realität. Aus dem gleichen Grund ist auch der von der Rechtsprechung entwickelte verminderte, „alterstypische" Sorgfaltsmaßstab nicht geeignet, den gegenüber den Erwachsenen verminderten Fähigkeiten des Minderjährigen ausreichend Rechnung zu tragen. Zwar berücksichtigt der alterstypische Sorgfaltsmaßstab immerhin - im Gegensatz zu § 828 II 1 74 - überhaupt die für Kinder und Jugendliche typischen Schwierigkeiten bei der Verhaltenssteuerung. Im Ergebnis wird die Fahrlässigkeit des Minderjährigen allerdings nur dann verneint werden können, wenn das schädigende Verhalten unter Berücksichtigung dieser alterstypischen Schwierigkeiten nicht vermeidbar war 75. Zu diesem Ergebnis wird man nur dann kommen 70

Vgl. 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. I. Vgl. dazu 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. I. 72 Bucher, in: Berner Kommentar, Art. 16 ZGB Rdn.3-4a. 73 Oftinger/Stark, Bd. 2, Teilb. 1, § 18 Rdn.37 und Fn.48. 74 Vgl. dazu 1. Teil, 1. Abschnitt, 2.1. 75 Vgl. die Darstellung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Fahrlässigkeit von Kindern und Jugendlichen, 1. Teil, 1. Abschnitt, B. II. 71

5 Goecke

66

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

können, wenn der typische Minderjährige in dem betreffenden Fall vollkommen unfähig gewesen wäre, die Gefahr zu erkennen oder sich angesichts der Gefahr richtig zu verhalten. Einer gegenüber Erwachsenen verminderten Fähigkeit zur Gefahrerkenntnis und richtigem Verhalten - zumal bei einem unterdurchschnittlich begabten Minderjährigen - wird man also auch durch die Anwendung eines alterstypischen Sorgfaltsmaßstab nicht gerecht. Zudem neigen die Gerichte verständlicherweise dazu, den Sorgfaltsmaßstab auch bei Minderjährigen nicht allzu niedrig zu hängen, da sie bei einer Verneinung des Verschuldens den Opfern jegliche Entschädigung absprechen müßten, was in vielen Fällen als unbillig erschiene76. Gerade weil die Fahrlässigkeitsprüfung nur eine „Ja-Nein-Entscheidung" erlaubt, ist sie allein nicht geeignet, dem Sachverhalt der allmählichen Heranreifung junger Menschen gerecht zu werden. Das Ziel des alterstypischen Sorgfaltsmaßstabs, daß dem jungen Menschen, abhängig von Alter und Entwicklung, ein „besonderer Bewegungsraum zu seiner Entwicklung" eingeräumt werden muß77, würde erst dann wirklich erreicht, wenn der „besondere Bewegungsraum" nicht nur auf der Tatbestandsseite, sondern auch durch die Möglichkeit von Abstufungen auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden könnte. b) Gesichtspunkt der geringeren persönlichen Vorwerfbarkeit Angesichts der geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen ist StolP beizustimmen, der die Ermäßigung der Ersatzpflicht Minderjähriger für wünschenswert gehalten hat: es handle sich hierbei um einen jener Fälle, in denen eine Ermäßigung der Ersatzpflicht billig erscheine, weil der Täter zwar schuldhaft gehandelt habe, seine Fehlhaltung aber aus besonderen Gründen verzeihlich sei oder in einem milderen Licht erscheine. Die Ermäßigung sei billig, weil in diesen Fällen dem Täter die Tat nur in geringem Maß persönlich vorgeworfen werden könne. Dieser Gedanke Stolls schlägt sich bereits in der gegenwärtigen Rechtspraxis nieder. Bei einem Mitverschulden Minderjähriger ist es gängige Praxis, die Quote beim Minderjährigen geringer festzusetzen, als bei einem Erwachsenen in der vergleichbaren Situation79. c) Gesichtspunkt des Schutz- und Erziehungsgedankens Die prinzipielle Auferlegung der vollen Ersatzpflicht ist darüberhinaus auch mit den Schutz- und Erziehungsgedanken, denen der Gesetzgeber an anderer Stelle Ausdruck verliehen hat, unvereinbar. Dieser Gedanke, der in den Vorschriften

76 77 78 79

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (792). Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S.69. Stoll, RabelsZ 1970, S.495. 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. IV.

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

67

über die beschränkte Geschäftsfähigkeit 80 seinen Niederschlag gefunden hat, und dem Ziel dient, den Minderjährigen mit zunehmender Reife allmählich an die Regeln der „Erwachsenenwelt" heranzuführen, wird durch die Unterwerfung des Minderjährigen unter das Alles-oder-Nichts-Prinzip im Deliktsrecht vollkommen aufgegeben. Gleiches gilt vom Schutz- und Erziehungsgedanken, der in den Vorschriften des Jugendstrafrechts seinen Ausdruck gefunden hat, und Kinder und Jugendliche vor massiver staatlicher Zwangsausübung zu bewahren sucht und die erfolgreichere Einwirkung in der Erziehung sieht. Denn unter dem Alles-oderNichts-Prinzip drohen dem Minderjährigen im Einzelfall staatlich durchgesetzte Zahlungspflichten, die in sein zukünftiges Leben massiver eingreifen, als dies eine Strafe könnte: Setzt der Gläubiger seinen Anspruch gegen den minderjährigen Schädiger gerichtlich durch, kann er aus dem rechtskräftigen Urteil zeitlich nahezu unbegrenzt vollstreken. Nach §218 verjährt der rechtskräftig festgestellte Anspruch erst in 30 Jahren und jede Vollstreckungshandlung unterbricht gemäß § 209 II Nr. 5 die Verjährung, was jeweils zur Folge hat, daß die Verjährungsfrist von 30 Jahren neu zu laufen beginnt (§ 217). Das bedeutet, daß der Minderjährige gegebenenfalls für das ganze Leben den Zahlungsforderungen des Gläubigers ausgesetzt wird. Diese Gefahr wird dabei umso größer, je höher angesichts des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts die Wahrscheinlichkeit von Großschäden wird. Eine angemessene Heranführung an Beachtung und Handhabung der Regeln der Gesellschaft kann bei einer Regelung, die solche Folgen nach sich zieht, nicht erreicht werden. d) Gesichtspunkt der Startchance Noch aus einem anderen Grund trifft die prinzipielle Auferlegung der vollen Ersatzpflicht den Minderjährigen besonders hart: Der Minderjährige ist typischerweise weitgehend Vermögens- und erwerbslos. Er wird meist von Anfang an nicht in der Lage sein, größere Schadensersatzansprüche zu befriedigen. Er tritt damit bereits mit einer schweren Belastung in das Erwerbsleben ein. Durch die Zahlungspflichten, denen er gegebenenfalls für sein ganzes Leben ausgesetzt ist, wird er von Anfang an gehindert sein, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Dadurch wird ihm die Chance zu einem unbelasteten, selbstgestalteten Start genommen. Die negative Wirkung solcher erdrückender Zahlungspflichten für die noch nicht gefestigte Persönlichkeit eines Kindes oder Jugendlichen liegt auf der Hand. Jedenfalls bei Beginn des Erwerbslebens sollte jedem Menschen eine faire Startchance gegeben werden. Dies liegt nicht nur im Interesse des minderjährigen Schädigers, es liegt im Interesse der Allgemeinheit und damit des Staates, für deren Zukunft eine ungestörte und positive Entwicklung junger Menschen besondere Bedeutung hat. Gerade weil junge Menschen noch unfertig sind,

80

Vgl. H. Westermann, in: Erman, 5. Aufl., § 104 Rdn.2.

68

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

können sie noch in starkem Maße im positiven wie im negativen Sinne beeinflußt werden. Die geltende Regelung wirkt hier kontraproduktiv. Der Gesetzgeber sollte stattdessen anstreben, durch Gewährung einer fairen Startchance fordernd und im positiven Sinne auf den jungen Menschen einzuwirken. e) Gesichtspunkt der Unmöglichkeit, Vorsorge zu treffen Vor allem folgender Gesichtspunkt macht die volle Schadensersatzpflicht des Minderjährigen problematisch: Der Minderjährige ist typischerweise nicht in der Lage, durch Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung Vorsorge gegen die Folgen seiner Sorgfaltswidrigkeiten zu treffen 81. Während sich der Erwachsene vor übermäßigen Ersatzpflichten durch Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung selbst schützen kann, ist der Minderjährige auf das Verantwortungsbewußtsein seiner Eltern angewiesen. Die Rechtsordnung bescheinigt dem Minderjährigen durch die Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit, daß er nicht in der Lage ist, Vorsorge für sein Leben zu treffen und sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Sie erlegt ihm aber die Verantwortung ftir sein Tun in vollem Umfang auf. Die Rechtsordnung erklärt den Minderjährigen fur verantwortlich, versagt ihm aber gleichzeitig die Möglichkeit, selbst - etwa durch Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung - Vorsorge zu treffen, um seiner Verantwortlichkeit genügen zu können. 2. Ausreichende Milderung des Prinzips voller Haftung durch bestehende Schuldnerschutzvorschriften? Die Haftung deliktsfahiger Minderjähriger nach §§ 823, 249 wäre allerdings dann unproblematisch, wenn bereits durch allgemeine Schuldnerschutzvorschriften des geltenden Rechts das Prinzip voller Haftung in seinen mißlichen Auswirkungen so weit abgemildert wäre, daß der Minderjährigenschutz hierdurch mittelbar noch ausreichend verwirklicht ist. a) Pfändungsschutzvorschriften Zunächst könnte daran gedacht werden, daß die Pfändungsschutzvorschriften, insbesondere die Beschränkungen fur die Lohn- und Gehaltspfändung dem Minderjährigen ausreichenden Schutz vor übermäßiger Belastung gewähren. Abgesehen davon, daß vieles dafür spricht, daß die Pfändungsfreigrenzen gegenwärtig erheblich zu niedrig angesetzt sind82, gewähren die Pfändungsschutzvorschriften 81

OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (792); ebenso Canaris, JZ 1990, 679 (680). Vgl. die jüngst von Brehm, in: Festschrift ftir Henckel, S.41 (50 f.), vorgebrachten Argumente für eine erhebliche Anhebung der Pfandungsfreigrenzen und die Abkehr von der Orientierung der Pfandungsfreigrenzen am Existenzminimum bzw. der Sozialhilfe. 82

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

69

der ZPO aber keinen Schutz vor zeitlich unbegrenzter Inanspruchnahme durch die Gläubiger. Die Tatsache, daß der Minderjährige gegebenenfalls Jahrzehnte lang den Zahlungsforderungen und Pfändungen der Gläubiger ausgesetzt ist, die ihm nicht viel mehr als den Sozialhilfesatz lassen, können die Pfändungsschutzvorschriften nicht verhindern. Ihr Schutz reicht daher nicht aus. b) Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung Jedoch könnte der minderjährige Schuldner durch die neu eingeführte Restschuldbefreiung nach den §§ 286-303 der neuen Insolvenzordnung (InsO)83 hinreichend geschützt sein. Zwar tritt die Insolvenzordnung nach Art. 110 I 8 4 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) erst zum 1.1.1999 in Kraft und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Vorschriften über die Restschuldbefreiung und in der laufenden Legislaturperiode wieder geändert werden, bevor sie in Kraft treten 85. Da eine Änderung aber unsicher ist und die §§ 286-303 InsO immerhin bereits Gesetz geworden sind, muß die Deliktshaftung Minderjähriger auch im Lichte dieser Vorschriften gesehen werden. Mit der Restschuldbefreiung hat der Gesetzgeber versucht, das weder durch die Pfändungsschutzvorschriften, noch mit dem geltenden Konkursrecht zu bewältigende Problem lebenslanger Schuldenhaftung nach Konkurs zu lösen86. In der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf der Insolvenzordnung heißt es dazu87: „Es ist ein zugleich soziales und freiheitliches Anliegen, dem redlichen Schuldner nach der Durchführung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen leichter als heute eine endgültige Schuldenbereinigung zu ermöglichen. Das heutige Konkursverfahren beläßt den Gläubigern das Recht der freien Nachforderung (§ 164 Abs. 1 KO). Die festgestellten Forderungen verjähren in 30 Jahren (§218 Abs. 1 BGB i.V.m. § 145 Abs. 2 KO). Vollstreckungshandlungen unterbrechen die Verjährung (§ 209 Abs. 2 83

BGBl. 1994 I 2866 [2902 ff]. BGBl. 1994 I, 2952. 85 Vgl. Bericht der FAZ vom 18.6.1994, S.12. Der Bundesrat hatte sich gegen eine Restschuldbefreiung im Rahmen des Insolvenzverfahrens ausgesprochen und hatte vor allem deswegen Vermittlungsausschuß angerufen (vgl. BR-Drucks. 336/94 (Beschluß)). Im Vermittlungsausschuß war der Bundesrat nur durch Hinausschieben des Datums des Inkrafttretens vom 1.1.1997 auf den 1.1.1999 zu einer Zustimmung zur InsO zu bewegen gewesen. 86 Zu den Gründen, die zur Restschuldbefreiung geführt haben, sowie zu den verschiedenen Modellen, die zur Verwirklichung des Reformzieles vorgeschlagen wurden Vgl. Häsemeyer, in: Festschrift für Henckel, S.353 ff. 84

87

Entwurf einer Insolvenzordnung Drucksache 12/2443, S.81.

(Gesetzentwurf

der

Bundesregierung),

BT-

70

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht Nr. 5). Infolgedessen sind selbst junge Schuldner häufig bis an ihr Lebensende der Rechtsverfolgung der Konkursgläubiger ausgesetzt...Die praktisch lebenslange Nachhaftung drängt viele Gemeinschuldner in die Schattenwirtschaft und in die Schwarzarbeit ab, wenn nicht ihre Fähigkeiten der Volkswirtschaft ganz verloren gehen. Auch geeignete Persönlichkeiten werden von der Gründung einer selbständigen Existenz abgeschreckt. Der regelmäßig geringe wirtschaftliche Wert des Nachforderungsrechts steht schwerlich in einem angemessenen Verhältnis zu den gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Kosten der häufig lebenslangen Schuldenhaftung."

Zweck eines Insolvenzverfahrens ist es demgemäß in Zukunft - neben dem Zweck der gleichmäßigen Verteilung des Vermögens - auch, „dem redlichen Schuldner Gelegenheit" zu geben, „sich von seinen restlichen Schulden zu befreien" (§ 1 Satz 2 InsO). Dieser Zweck wird durch die in den §§ 286-303 InsO geregelte Restschuldbefreiung verwirklicht. Danach wird der Schuldner von seiner restlichen Schuld befreit, wenn er für die Dauer von 7 Jahren nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge an einen Treuhänder abgetreten hat (§ 287 II, 291 I, 300 I, II InsO). Fraglich ist bereits, ob sich die Restschuldbefreiung nach der InsO ihrem Grundanliegen nach überhaupt zur Lösung des vorliegenden Problems der übermäßigen Haftung Minderjähriger eignet. Zwar versucht die Restschuldbefreiung das Problem lebenslanger Haftung zu lösen. Jedoch hat der Gesetzgeber hier - wie die Begründung zum Entwurf der InsO zeigt - an den durch riskante oder unvernünftige Geschäfte in Konkurs geratenen Verbraucher oder Unternehmer gedacht. Der Grundgedanke - dem wirtschaftlich gescheiterten Verbraucher oder Unternehmer einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen - paßt nicht für den Minderjährigen, zumal nicht für den durch eine hohe Deliktsschuld überschuldeten Minderjährigen. Dieser ist typischerweise nicht „Gemeinschuldner", ein Konkursverfahren unnötig, da er normalerweise ohnehin nur einem Gläubiger ausgesetzt ist. Daß der Gesetzgeber hier an den erwachsenen - verdienenden - überschuldeten Verbraucher oder Unternehmer gedacht hat, der in Konkurs gefallen ist, ergibt sich auch aus den Voraussetzungen, die der Gesetzgeber für die Restschuldbefreiung aufstellt: (1) Die Restschuldbefreiung wird 7 Jahre nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gewährt (§§ 287 II, 300 I InsO). Die Restschuldbefreiung setzt somit zunächst voraus, daß ein Insolvenzverfahren durchgeführt wurde. Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens setzt wiederum Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit voraus. Beides wird bei einem durch eine hohe Deliktsschuld belasteten Minderjährigen meist der Fall sein. Problematisch könnte allerdings sein, daß der Minderjährige häufig nur einen Gläubiger, nämlich den Deliktsgläubiger, haben wird. In einem solchen Fall

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

71

könnte die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ausgeschlossen sein88, denn Zweck des Insolvenzverfahrens ist es, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen" (§ 1 Satz 1 InsO). Jedoch kann nach der Rechtspraxis zum geltenden Konkursrecht ein Konkursverfahren auch dann stattfinden, wenn nur ein bekannter Gläubiger existiert 89. An dieser Rechtslage dürfte sich auch mit der neuen Insolvenzordnung nichts ändern, zumal nach § 1 Satz 2 InsO neben den Zweck der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger ausdrücklich noch der Zweck getreten ist, „den redlichen Schuldner von seinen restlichen Schulden zu befreien". Um diesen zusätzlichen Zweck zu verwirklichen, muß ein Insolvenzverfahren auch gegenüber nur einem Gläubiger möglich sein. Schwierigkeiten für den Minderjährigen dürften sich aber daraus ergeben, daß die Eröffimg eines Insolvenzverfahrens voraussetzt, daß die Insolvenzmasse zur Deckung der Verfahrenskosten ausreicht (§ 26 I InsO). Da der Minderjährige typischerweise weder eigenes Vermögen, noch eigenes Einkommen besitzt, wird eine Verfahrenseröffiiung mangels Masse in vielen Fällen abgelehnt werden müssen. Daran wird in vielen Fällen die begehrte Restschuldbefreiung scheitern90. (2) Die Restschuldbefreiung wird nur auf Antrag, der an das Insolvenzgericht zu richten ist, gewährt, wobei der Antrag mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verbunden werden kann (§ 287 I InsO). Dem Antrag ist die Erklärung beizufügen, daß der Schuldner seine pfandbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis für einen Zeitraum von sieben Jahren nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen Treuhänder abtritt (§ 287 II InsO). Fraglich ist, ob der Minderjährige die in § 287 II InsO verlangte Erklärung abgeben könnte. Denn typischerweise wird der Minderjährige keine pfändbaren Bezüge haben, die er abtreten könnte. (3) Das Insolvenzgericht versagt die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung eine seiner Obliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchigt; dies gilt allerdings nicht, wenn den Schuldner kein Verschulden trifft (§ 296 I 1 InsO). Zu den Obliegenheiten des Schuldners gehört es unter anderem, „eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben" und, wenn er ohne Beschäftigung ist, „sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen" (§ 295 Nr. 1 InsO). 88

Das nimmt der Bundesrat an, vgl. Nr. 28 seiner Stellungnahme zu dem Entwurf der InsO, BT-Drucksache 12/2443, S.255, und wendet sich unter anderem aus diesem Grund gegen eine Entschuldung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. 89 Vgl. dazu mit ausführlicher Begründung Jaeger/Weber, KO, § 102 Anm. 1 - zu 2. -. 90 Die Tatsache, daß gerade die "besonders Armen" nicht in den Genuß der Restschuldbefreiung kommen, wird ebenfalls vom Bundesrat in Nr. 29 seiner Stellungnahme kritisiert, vgl. BT-Drucksache 12/2443, S.255.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Der Minderjährige wird die Obliegenheit typischerweise nicht erfüllen können. Solange ihn daran kein Verschulden trifft, würde dies allerdings die Restschuldbefreiung nicht gefährden (§ 296 Satz 1 HS 2). (4) Das Insolvenzgericht versagt die Restschuldbefreiung auf Antrag des Treuhänders, wenn die an diesen abgeführten Beträge für das vorangegangene Jahr der Treuhändertätigkeit die dafür vorgesehene Mindestvergütung nicht decken und der Schuldner den fehlenden Betrag nicht bezahlt (§ 298 I InsO). Der meist nicht verdienende Minderjährige wird meist nicht in der Lage sein, die Mindestvergütung des Treuhänders aufzubringen. Damit bedeutet auch § 298 I InsO für die meisten Minderjährigen ein unüberwindliches Hindernis für die Entschuldung. (5) Bei Forderungen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ist Restschuldbefreiung nicht möglich (§ 302 I InsO). Die Restschuldbefreiung würde den Minderjährigen daher in jedem Fall nur bei fahrlässig begangenen unerlaubten Handlungen zugute kommen können. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestands des § 823 I bereits dann vorliegt, wenn die Eigentums- bzw. Körperverletzung vorsätzlich war, während sich der Vorsatz nicht auf den Schaden und nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität zu beziehen braucht. Gerade in Fällen, in denen sich der Schädiger die eingetretenen Folgen überhaupt nicht vorgestellt hat und, hätte er sie sich vorgestellt, keinesfalls gewollt hätte - diese Fälle werden gerade bei Kindern häufig sein -, kann auch bei einer vorsätzlichen Verwirklichung des § 823 I eine Haftungsbegrenzung angebracht sein. Ferner kann auch eine als vorsätzlich (wobei ja sehen Eventualvorsatz reicht) einzustufende Schädigung einer typisch kindlichen unbeherrschten Handlungsweise entspringen und die Handlung daher in milderem Licht erscheinen lassen. Aus diesen Gründen passen die Bedingungen, an die die Restschuldbefreiung geknüpft werden, auf die Situation des durch eine übermäßige Deliktsschuld belasteten Minderjährigen nicht. Die Bedingungen für die Restschuldbefreiung dürfte der Minderjährige daher in den meisten Fällen nicht erfüllen können. Insbesondere die Gefahr, daß das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt wird (§ 26 I InsO), und die Versagung der Restschuldbefreiung, wenn die Mindestvergütung des Treuhänders nicht sichergestellt ist (§ 298 I InsO) führen dazu, daß der Minderjährige meist, solange er noch nicht verdient und Vermögen ansammelt, keine Restschuldbefreiung erlangen könnte. Der Minderjährige wird daher - wenn überhaupt - erst dann Restschuldbefreiung erlangen können, wenn er später nach Ende der Ausbildung selbst verdient, einen Insolvenzantrag und einen Antrag auf Restschuldbefreiung stellt. Stellt man sich einen 9jährigen vor, der studiert, so

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

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würde er beispielsweise erst mit 26 Jahren die Durchführung eines Insolvenzverfahrens und Restschuldbefreiung beantragen können. Inzwischen wäre die Ersatzsumme auf Grund der Zinslast erheblich angestiegen. Er wäre daher häufig erst nach Ablauf der 7 Jahre, mit 33 Jahren - 24 Jahre nach Begehung der Handlung -, schuldenfrei, was keine sehr erfreuliche Lebensperspektive darstellt. Die Restschuldbefreiung bietet dem Minderjährigen damit zwar im Einzelfall immerhin eine Chance, von seinen Schulden früher als bisher loszukommen, sie bedeutet aber kaum einen Gewinn gegenüber der bisherigen Rechtslage. Selbst wenn man sich jedoch den Fall vorstellt, daß der Minderjährige etwa durch Finanzierung seiner Eltern - auf die er keinen Anspruch hat - in die Lage versetzt werden würde, (1) die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu erreichen und (2) die Vergütung des Treuhänders sicherzustellen, außerdem (3) das Insolvenzgericht vom Minderjährigen keine Abtretungserklärung nach § 287 II InsO und (4) nicht die Ausübung einer angemessene Erwerbstätigkeit nach § 295 Nr. 1 InsO verlangen würde, wäre dennoch zu bezweifeln, ob hier das Insolvenzgericht Restschuldbefreiung gewähren dürfte. Denn die Restschuldbefreiung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht „zum Nulltarif 4 , d.h. gänzlich auf Kosten des Gläubigers durchgeführt werden. Den Zweck der Bedingungen, an die die Restschuldbefreiung geknüpft ist, kennzeichnet der Rechtsausschuß des Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung folgendermaßen 91: Die Regelung bietet dem Schuldner einen Ausweg aus der lebenslangen Schuldenhaftung, gewährleistet aber durch die hohen Anforderungen an die gesetzliche Restschuldbefreiung, daß die Gläubiger wirtschaftlich im Regelfall nicht schlechter gestellt werden als in der gegenwärtigen Situation, in der das freie Nachforderungsrecht der Gläubiger zwar im Gesetz vorgesehen ist, faktisch aber zumeist nur mit großen Schwierigkeiten und nur in geringer Höhe durchgesetzt werden kann. Auf diese Weise werden die verfassungsrechtlichen Zielsetzungen des Schutzes erworbener Rechtspositionen (Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und der staatlichen Hilfe für in Not geratene Personen (Artikel 20 Abs. 1 GG, Sozialstaatsgebot) in angemessener Weise zum Ausgleich gebracht/'

Eine Restschuldbefreiung „zum Nulltarif wäre wohl einer jener Fälle des Mißbrauchs der Restschuldbefreiung, die der Rechtsausschuß durch einige Änderungen am Regierungsentwurf einzudämmen suchte92. Die Restschuldbefreiung paßt daher für das Problem der übermäßigen Haftung Minderjähriger nicht und gewährleistet keinen ausreichenden Minderjährigen91

Entwurf einer Insolvenzordnung (Bericht und Beschlußempfehlung Rechtsausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 12/2443 -), Drucksache 12/7302, S.153. 92 Vgl. Entwurf einer Insolvenzordnung (Bericht und Beschlußempfehlung Rechtsausschusses zum Entwurf der Bundesregierung - Drucksache 12/2443 -), Drucksache 12/7302, S.153.

des BTdes BT-

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

schütz. Im Gegenteil, sie läßt eine für Minderjährige passende Haftungsmilderung umso dringlicher erscheinen, da nun Erwachsenen die Möglichkeit zur Entschuldung gewährt wurde, ohne daß für das noch schwerer wiegende Problem der existenzbedrohenden Haftung Minderjähriger eine angemessene Lösung gefunden wurde. c) Schuldenbereinigungsplan nach der Insolvenzordnung Möglicherweise ergibt sich jedoch noch aus dem dem Insolvenzverfahren vorgelagerten Verfahren der §§ 304 ff. InsO ein ausreichender Schutz für den Minderjährigen. Denn bei natürlichen Personen, die keine oder nur eine geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, findet zunächst eine Art Güteverfahren statt (§§ 304 ff. InsO). Dieses Verfahren hat das Ziel, eine Einigung des Schuldners mit den Gläubigern über einen Schuldenbereinigungsplan herbeizuführen. Die Entschuldung durch einen Schuldenbereinigungsplan bedarf jedoch der Zustimmung der Mehrheit der Gläubiger. Nur wenn die Mehrheit der Gläubiger zugestimmt hat, kann das Gericht die Zustimmung der anderen Gläubiger ersetzen (§ 309 InsO). Anderenfalls wird das Insolvenzverfahren (in vereinfachter Form) aufgenommen (§311 InsO). Insofern hilft der Schuldenbereinigungsplan dem Minderjährigen, der meist nur einen Gläubiger hat, kaum weiter, denn er ist auf die Zustimmung des Gläubigers angewiesen. Stimmt der Gläubiger nicht zu, gibt es keine Entschuldung des Minderjährigen durch Schuldenbereinigungsplan. 3. Zwischenergebnis Das geltende Recht stellt keine dem Minderjährigenschutzgedanken angemessene Haftungsbegrenzung für den Minderjährigen bereit. Das Prinzip voller Haftung deliktsfähiger Minderjähriger nach §§ 823, 249 ist mit dem die ganze Rechtsordnung durchziehenden Minderjährigenschutzgedanken unvereinbar. Die Regelung der §§ 823, 828 II 1, 249 erweist sich als die - soweit ersichtlich - einzige Vorschrift unserer Rechtsordnung, die in einem sonst durchgängigen System des Minderjährigenschutzes diesen Gedanken bei deliktsfähigen Minderjährigen zugunsten eines anderen Zweckes, dem Schutz des Geschädigten, weitgehend unberücksichtigt läßt. 4. Rechtfertigung des Prinzips voller Haftung durch den Schutzzweck des § 823? Diese Vernachlässigung des Minderjährigenschutzes könnte nur mit dem Argument gerechtfertigt werden, der Schutz des Geschädigten habe generell ein so

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

75

hohes Gewicht, daß der Minderjährigenschutzgedanke demgegenüber stets ganz zurücktreten müsse. a) Besondere Schutzwürdigkeit des Opfers gegenüber dem Schadensverursacher Eine solche These könnte zunächst damit begründet werden, es sei generell ungerechtrcfen Verursacher eines Schadens nicht zur Verantwortung zu ziehen, während man den Geschädigten, der keinerlei Ursache für den eingetretenen Schaden gesetzt hat, den Schaden tragen lasse. Der Schädiger - so könnte weiter argumentiert werden -, auf dessen Verhalten der Schaden zurückzuführen sei, verdiene gegenüber dem „unschuldigen" Geschädigten, der nichts zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, keinen Schutz. Da der Schädiger der Entstehung des Schadens „näher stehe" als der Geschädigte, sei es ein allgemein geltendes Gebot der Gerechtigkeit, daß er auch den ganzen Schaden zu tragen habe. Für den Minderjährigen könne hierbei nichts anderes gelten. Indes steht schon das geltende Deliktsrecht nicht auf dem Standpunkt, daß der Verursacher einer rechtswidrigen Schädigung, weil er der Entstehung des Schadens „näher steht", stets zur Wiedergutmachung verpflichtet sein soll. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber (vgl. § 823 I) dafür entschieden, den Verursacher einer rechtswidrigen Schädigung nur dann zum Schadensersatz zu verpflichten, wenn ihn an der Schädigung auch ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) trifft. In den übrigen Fällen gilt der Grundsatz „casum sentit dominus", wonach der von einem schädigenden Ereignis Betroffene dessen Folgen selbst zu tragen hat, was letztlich nichts anderes bedeutet, als daß jeder sein „eigenes Lebensrisiko" selbst zu tragen hat93, mit „Schicksalsschlägen" selbst fertig werden muß und gehalten ist, selbst Vorsorge gegen etwa eintretende Schäden zu treffen. Die schlichte Tatsache, daß der Schädiger durch seine Verursachung dem Schaden „näher steht", sieht der Gesetzgeber demnach nicht als ausreichend an, die Haftung des Verursachers zu begründen. Dem Gesetzgeber ist die Bewegungsfreiheit des Handelnden94 insoweit wichtiger als der Schutz der bestehenden Rechtsgüter: Bei Schaffung des BGB 95 ist es abgelehnt worden, von dem römischgemeinrechtlichen Grundsatz der Haftung nur bei Verschulden abzurücken, da anderenfalls „die Bewegungsfreiheit des Einzelnen übermäßig eingeschränkt"

93

Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II, § 75 I 2, S.351. Vgl. hierzu Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S.68 ff. 95 Vgl. Prot. II, S.569; vgl. auch den Bericht der Reichstagskommission (S.98), in: Mugdan, Bd. II (Kommissions-Bericht: Unerlaubte Handlungen. §§ 807-818): "Die Annahme einer Schadensersatzpflicht für unverschuldetes Unrecht werde die Freiheit der Bewegung in bedauerlichster Weise einschränken". 94

76

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

würde. Deutsch kennzeichnet die Wertungen, die hinter der Ablehnung einer auf die bloße Verursachung gegründeten Haftung stehen, wie folgt 96 : „Das Recht steht vor dem grundsätzlichen Widerstreit der Interessen am Fortbestand der Rechtsgüter und an der Freiheit zum Handeln. Hatte sich die Rechtsordnung für den defensiven Schutz [d.h. die Abwehr bevorstehender Verletzungen, Anm. d. Verf.] zugunsten der Integrität der bestehenden Güter entschieden, so zieht es im Bereich des repressiven Schutzes [d.h. die Verpflichtung zur Wiedergutmachung, Anm. d. Verf.] im Prinzip die zum Entstehen menschlicher und sachlicher Werte vorausgesetzte Freiheit zum Handeln vor. Es ist die Bevorzugung des Werdenden vor dem Bestehenden. Der Freiheit bedarf der Mensch zur Entfaltung seiner Persönlichkeit, insbesondere zur zweckentsprechenden Ausübung seines Berufes...Die Bevorzugung der Freiheit erfolgt nicht einseitig. Was einer Person auf der Güterseite genommen wird, wird ihr auf der Handlungsseite in anderer Form gegeben."

Die Wertungen, welche hinter dem Prinzip der Verschuldenshaftung stehen, haben nach wie vor Gültigkeit und kennzeichnen das geltende Deliktsrecht. Die mögliche Rechtfertigung, der Schutz des Geschädigten müsse gegenüber dem Minderjährigenschutz deshalb generell Vorrang haben, weil der Minderjährige der Schadensentstehung „näher steht", hat vor diesem Hintergrund wenig Überzeugungskraft. Die Haftung des Verursachers ist durch das Verschuldensprinzip ohnehin bereits stark relativiert. b) Besondere Schutzwürdigkeit des Opfers gegenüber dem fahrlässig Handelnden Jedoch ist die dem Handelnden eingeräumte Bewegungsfreiheit nicht grenzenlos. Sie ist nur in einem gewissen, durch den Begriff der Fahrlässigkeit abgesteckten Rahmen gewährleistet, den man auch als „Spielraum" bezeichnen kann97. Nur wer sich innerhalb dieses Spielraums hält, ist von „Repressalien" (Deutsch), insbesondere Ausgleichsverpflichtungen, freigestellt 98. Davon ausgehend könnte der uneingeschränkte Schutz des Geschädigten gegenüber minderjährigen Schädigern im geltenden Recht damit gerechtfertigt werden, der Geschädigte müsse jedenfalls vor Handlungen, bei denen die erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen wird, generell durch einen Anspruch auf Schadensersatz geschützt werden. Wer sich außerhalb der durch die erforderliche Sorgfalt gesetzten Grenzen bewege, überschreite den dem Handelnden eingeräumten Bewegungsraum, was seine Ausgleichspflicht nach sich ziehen müsse. Bei minderjährigen Schädigern könne insoweit nichts anderes gelten.

96 97 98

Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S.69. Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S.69. Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S.69.

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

77

Diese Argumentation ist jedoch nicht in der Lage, die volle Ersatzpflicht des minderjährigen Schädigers zu rechtfertigen. Zunächst enthält bereits das geltende Recht in §§ 827, 828 I, 828 II 1 und 828 II 2 iVm 829 Ausnahmen von der vollen Ersatzpflicht, auch wenn durch den Schädiger die erforderliche Sorgfalt nicht eingehalten wurde. Damit wird anerkannt, daß andere Schutzzwecke dem Schutz des Geschädigten vor fahrlässigen Schädigungen übergeordnet sein können. Bedenken gegen diese Argumentation ergeben sich aber auch aus der eben skizzierten Funktion des Verschuldensprinzips: der Gewährung und zugleich Begrenzung eines gewissen Bewegungsraums für den Handelnden. Denn es erscheint zwar schlüssig, daß jedermann durch die Rechtsordnung zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet werden kann und muß. Es erscheint auch schlüssig, daß die Außerachtlassung dieser Sorgfalt und damit die Überschreitung des zugebilligten Bewegungsraums für den Handelnden Folgen haben sollte. Jedoch ist damit noch nicht zugleich begründet, daß der Bewegungsraum in der Weise eingeschränkt werden müßte, daß den fahrlässig Handelnden dann auch stets die volle Ersatzpflicht trifft. Vielmehr wäre es mit der Beschränkung des Freiheitsraumes des unsorgfältig Handelnden durchaus vereinbar, wenn ihn lediglich eine abgestufte oder variable Ersatzpflicht träfe. Nicht umsonst kannten und kennen einige Rechtsordnungen abgestufte Rechtsfolgen je nach Umfang des Verschuldens (vgl. insbes. Art. 43 I schweizer. OR; vgl. ferner auch §§ 1323, 1324, 1331 österr. ABGB; 6. Teil §§ 1-21 des preuß. A.L.R.). Wenn also der Gedanke, daß der Geschädigte vor mindestens fahrlässigen Schädigungen geschützt werden muß, noch nicht einmal für sich genommen zwingend das Prinzip voller Ersatzpflicht begründen kann, so kann dies umso weniger bei minderjährigen Schädigern gelten, bei denen zudem - wie dargelegt - noch der gewichtige Gedanke des Minderjährigenschutzes einer vollen Haftung entgegensteht. Nach allem ergibt sich, daß das Schutzinteresse des Geschädigten vor verschuldeten Schädigungen zwar von Gewicht, jedoch nicht von so hohem Gewicht ist, daß der Gedanke des Minderjährigenschutzes hinter diesem Interesse völlig zurückzutreten hätte. Die Abwägung von Geschädigtenschutz und Minderjährigenschutz darf daher nicht dazu führen, daß der Minderjährigenschutz ganz zurückgedrängt wird. Vielmehr müßte eine angemessene Abwägung der jeweiligen Schutzinteressen wenigstens dazu führen, dem Richter im Einzelfall die Möglichkeit einer Schadensteilung einzuräumen. 5. Endergebnis Die oben (vgl. Zwischenergebnis, 3.) festgestellte uneingeschränkte und ausnahmslose Vernachlässigung des Minderjährigenschutzes durch das Prinzip uneingeschränkter Haftung minderjähriger Schädiger nach §§ 823, 249 iVm 828 II 1 ist auch unter Berücksichtigung der Interessen des Geschädigten nicht zu rechtfertigen.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Eine Erweiterung des Minderjährigenschutzes durch eine Gesetzesänderung ist daher erforderlich. C. Verstoß gegen Grundrechte des Minderjährigen?" I. Vorbemerkung Steht eine Gesetzesvorschrift auf dem Prüfstand oder wird in der wissenschaftlichen oder öffentlichen Diskussion um ihre Berechtigung bzw. Richtigkeit gerungen, werden heute fast stets auch verfassungsrechtliche Argumente bemüht. Wird eine Regelung als ungerecht oder unangemessen empfunden, fuhrt dies häufig dazu, daß die Kritiker der betreffenden Regelung auch deren Verfassungswidrigkeit behaupten. Das mag daran liegen, daß die Verfassung vielfach als der Garant „gerechter Gesetze" angesehen wird, so daß die empfundene „Ungerechtigkeit" zugleich als Verfassungswidrigkeit begriffen wird. Nicht zu unterschätzen ist jedoch auch die Tatsache, daß der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit eine „effektive Waffe" gegen die angegriffene Regelung darstellt; erlaubt es die Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit doch, eine Regelung ohne den mühevollen und langwierigen Gang durch den parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß zu Fall zu bringen. Den steigenden Einfluß des Verfassungsrechts auf die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion um Gesetzesvorschriften mag man begrüßen oder beklagen, er ist jedenfalls Realität. Die umfassende Bewertung einer gesetzlichen Regelung wird heute daher in vielen Fällen auch deren verfassungsrechtliche Beurteilung einzubeziehen haben. Auch bei der hier untersuchten Haftung deliktsfähiger Minderjähriger nach §§ 823, 249 sind verfassungsrechtliche Argumente in der Diskussion bisher von großer Bedeutung gewesen. Das Oberlandesgericht Celle hielt die Regelung jedenfalls in Fällen „existenzvernichtender" Haftung, bei nur leichter Fahrlässigkeit auf der Seite des Minderjährigen und Entschädigung des Opfers von dritter Seite für mit Art. 1,2 und 6 II 2 unvereinbar 100. Der Bewertung dieses Gerichts haben sich mehrere Autoren angeschlossen101. Das Landgericht Bremen meinte, die unbegrenzte Haftung Minderjähriger nach dieser Regelung sei mit Art. 1 I, 2 I, 3 I (Willkürverbot), 6 I und 20 I (Sozialstaatsprinzip) unvereinbar 102. Zur Begründung wird ausgeführt, die Regelung sei unverhältnismäßig. Anlaß und Reaktion stünden

99

Artikel ohne Gesetzesangabe sind solche des Grundgesetzes. OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (791 und 793). 101 Kuhlen, JZ 1990, 273 (278); Canaris, JZ 1990, 679. 102 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1433). 100

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

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bei der geltenden Regelung in einem Mißverhältnis zueinander 103. Eine unbegrenzte Haftpflicht werde als Folge auch leichtester Fahrlässigkeit angeordnet, mit dem Ergebnis, daß eine momentane und angesichts der Situation verständliche Unaufmerksamkeit eines Kindes oder Jugendlichen zu dessen unbegrenzten Haftung führe 104. Es wird darauf verwiesen, daß der Gedanke der Proportionalität von Schuld und Haftung rechtshistorisch eine lange Tradition habe105. Hinzu komme in den Fällen, in denen der Geschädigte durch eine Versicherung befriedigt wird, daß auf der einen Seite lediglich das Interesse der Versichertengemeinschaft, die Versicherung durch Regreßansprüche zu finanzieren, stehe, auf der anderen Seite aber die erhebliche materielle und psychische Belastung eines noch unfertigen Menschen106. Dagegen hält Heinrichs die gegenwärtige Regelung für verfassungsgemäß. Seiner Ansicht nach läßt sich der Verfassung nicht entnehmen, daß dem Schädiger (ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener) ein weitergehender Schutz als der der Vollstreckungsschutz-Vorschriften gewährt werden muß107. Angesichts der hohen Bedeutung der verfassungsrechtlichen Argumente in der Diskussion um die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 ist es daher auch hier erforderlich, auf die verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dieser Regelung einzugehen. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer gesetzlichen Vorschrift, insbesondere einer Vorschrift des Privatrechts, stellen sich jedoch auf Grund der Weite und Unbestimmtheit der in der Verfassung formulierten Grundrechte eine Reihe von schwierigen Fragen. Die erste Frage, ob der Gesetzgeber beim Erlaß von Normen des Privatrechts wie §§ 823, 249 iVm 828 II 1 überhaupt an die Grundrechte gebunden ist, wird zwar in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur noch einheitlich dahingehend beantwortet, daß der Gesetzgeber gemäß Art. 1 III auch hinsichtlich der Privatrechtsgesetzgebung an die Grundrechte gebunden ist, Normen des Privatrechts also unmittelbar am Maßstab der Grundrechte überprüft werden können108. Die weitere - in der verfassungsgerichtlichen Praxis entscheidende - grundsätzliche Frage danach, wie genau

103

OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (793 unter Ziff. 4). OLG Celle, NJW-RR 1989, 791. 105 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1434). 106 LG Bremen, a.a.O., 1435. 107 Heinrichs, in: Palandt, Vorbem. vor § 249 Rdn.6. 108 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. z.B. BVerfGE 57, 361 (388); 63, 88 (115); 72, 155 (170 ff.); 77, 308 (332 ff.); 79, 256 (268); 80, 286; 81, 242 (243, 252 und 263); 81, 1 (6); 87, 114 (146 ff.); 90, 263 (270 ff.); in diesem Sinne auch Stem, III/l; Rüfner, in: Kirchhofflsensee, Bd. V, § 117 Rdn.59; Medicus, AcP 192 (1992), 35 (54/55); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rdn.23. S.1566 f. 104

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

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die Vorgaben sind bzw. sein können, die sich aus den Grundrechten ableiten lassen, stellt sich dagegen in jedem Einzelfall wieder neu und wird häufig sehr unterschiedlich beantwortet. Diese Frage ist eng verknüpft mit der staatsorganisationsrechtlichen Frage, in welchem Verhältnis der parlamentarische Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht zueinander stehen und wie weit die Kontrollbefugnis des Bundesverfassungsgerichts über den Gesetzgeber gehen darf. Diesbezüglich ist in jüngster Zeit von verschiedenen Autoren auf die Gefahren - insbesondere für das Zivilrecht - hingewiesen worden, die mit einer extensiven Grundrechtsauslegung sowie detaillierten Ableitungen und Folgerungen aus den Grundrechten verbunden sind 1 0 9 . Als problematisch erweist sich hierbei insbesondere das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III) abgeleitete Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches vom Bundesverfassungsgericht stets bei der Überprüfung von Hoheitsakten am Maßstab der Freiheitsrechte herangezogen wird. Hierzu bemerkt Henckel uo: „Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot sind allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien. Die Deduktion aus solchen Prinzipien birgt die Gefahr, daß der Richter sich zum Herrn des Rechts erhebt, in dem er das gesetzte Recht an seinen eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen mißt, statt Diener des Rechts zu sein... So selbstverständlich der Satz klingt, daß der Richter im gewaltenteilenden Rechtsstaat seinen eigenen Vorstellungen von einem besseren oder gerechteren Recht nicht gegenüber einem verfassungsmäßigen

109

Vgl. z.B. Diederichsen, NJW 1994, 1089 (1097); Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff.; vgl. hierzu auch die Ausführungen des ehemaligen Verfassungsrichters Simon, in: Benda/Maihofer/Vogel, S. 1670 f.: "[Es] ist nachdrücklich daran zu erinnern, daß die Regelungsbefugnis des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ebenfalls zu den konstituierenden Elementen des demokratischen Rechtsstaats gehört und verfassungsrechtlich gemäß Art. 79 GG eher kräftiger garantiert ist als manche andere Verfassungspositionen...Die Entscheidung des Grundgesetzes für eine gewaltenteilende Demokratie verwehrt eine ungezügelte Verfassungsauslegung, die - ohne den Anforderungen an eine Verfassungsänderung zu genügen - die Grenzen zwischen Normauslegung und Normgebung verwischt und unmerklich den Hüter der Verfassung zu ihrem Herrn werden läßt. Der Gestaltungsbefügnis der demokratisch legitimierten Organe ist nur das unzugänglich, was die Verfassung selbst als unabstimmbar der demokratischen Mehrheitsentscheidung entzogen hat. Der Bereich des Unabstimmbaren darf aber nicht ohne zwingenden verfassungsrechtlichen Nachweis durch zementierende verfassungsgerichtliche Entscheidungen ausgeweitet werden. Vielmehr ist außerhalb diese Bereichs vor allem der durch das Volk unmittelbar legitimierte parlamentarische Gesetzgeber dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen nach dem Mehrheitsprinzip über die von der Verfassung offengelassenen Fragen zu entscheiden...Ebenso wie einer perfektionistischen Normgebungsflut zu widerstehen ist, sollte sich die Verfassungsgerichtsbarkeit an die Faustregel halten: Im Zweifel Verzicht auf eine ständige Verfeinerung der Verfassungsinterpretation und Offenlassen von Streitfragen zur Selbstregulierung im politischen Prozeß." 110

Henckel, JZ 1987, 209 (212).

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

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Gesetz Geltung verschaffen darf, so schwer ist er aber auch zu konkretisieren. Denn die unbestimmten Rechtsbegriffe, die uns die Verfassung und die Interpretation ihrer Begriffe vorgeben, wie etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot... scheinen dem Richter einen weiten Spielraum zu lassen. Ihn mit Hilfe der juristischen Methodenlehre einzugrenzen, ist bisher nicht gelungen."

Es kann nun nicht die Aufgabe dieser Untersuchung sein und würde ihren Rahmen sprengen, für diese schwierigen, ausschließlich verfassungsrechtlichen Fragen unter Berücksichtigung der in der Wissenschaft und Rechtsprechung vertretenen Meinungen nach Lösungen zu suchen. Diese Untersuchung ist in ihrem Schwerpunkt keine verfassungsrechtliche Arbeit und will es auch nicht sein. Sie muß sich auf das für die Zwecke dieser Arbeit wesentliche beschränken. Hierfür erscheint in erster Linie von Interesse zu sein, wie die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde eines Minderjährigen (Art. 93 I Nr. 4 a), der zu hohen Schadenersatzleistungen verurteilt wurde, oder eines zivilgerichtlichen Beschlusses, der die Verfassungsmäßigkeit der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegt (Art. 100 I), zu beurteilen wären. Wären nämlich die Erfolgsaussichten solcher verfassungsgerichtlicher Verfahren hoch, so würde sich daraus ohne weiteres die Notwendigkeit einer Änderung der geltenden Regelung ergeben. Denn der Gesetzgeber wäre im Hinblick auf die Verbindlichkeit (§311 BVerfGG), zum Teil sogar Gesetzeskraft (§ 31 II BVerfGG) der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehalten, die geltende Regelung zu ändern. Die Erfolgsaussichten lassen sich nur an Hand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt einigermaßen zuverlässig beurteilen. Im folgenden werden daher die §§ 823, 249 iVm 828 II 1 an der Verfassung, so wie das Bundesverfassungsgericht sie auslegt, überprüft. Auf Meinungen im verfassungsrechtlichen Schrifttum, die von dieser Rechtsprechung abweichen, wird hierbei nicht eingegangen werden können. Die folgende verfassungsrechtliche Beurteilung der Haftung deliktsfähiger Minderjähriger nach §§ 823, 249 iVm 828 II 1 wird daher getreu der von Smend bereits im Jahr 1962 formulierten - angesichts der Maßgeblichkeit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts treffenden - Beobachtung111 stattfinden: „Gegenüber allem Streit der Meinungen, gegenüber aller Kritik ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inzwischen eine große Tatsache geworden. Das Grundgesetz gilt nunmehr praktisch so, wie das Bundesverfassungsgericht es auslegt..." IL Vereinbarkeit

mit den speziellen („benannten") Freiheitsrechten

Die Haftung Minderjähriger nach §§ 823, 249 iVm 828 II 1 könnte zunächst gegen die speziellen („benannten") Freiheitsrechte verstoßen. 111 Smend, Das Bundesverfassungsgericht, in: Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S.581 (582).

6 Goecke

82

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Das Landgericht Bremen nennt Art. 6 I als betroffenes Grundrecht. Fraglich ist, ob der Schutzbereich des Art. 6 I durch die unbegrenzte Schadensersatzpflicht des Minderjährigen berührt wird. Weder die Familie des Minderjährigen noch die Ehe seiner Eltern ist dadurch betroffen. Gemeint hat das Landgericht Bremen vielleicht, daß eine vom Minderjährigen später zu gründende Ehe und Familie durch eine außerordentlich hohe finanzielle Belastung beeinträchtigt würde 112. Zwar ist die Familiengründungsfreiheit vom Schutzbereich des Art. 6 I umfaßt 113. Die Grundrechte schützen aber nicht gegen jede Einwirkung auf ihren Regelungsbereich, sondern nur gegen „Eingriffe" 114 . Der klassische Eingriff besteht in der zielgerichteten, regelnden, unmittelbaren Einwirkung auf ein Grundrecht. Hier wäre die Familiengründungsfreiheit lediglich „zufällig" und nur faktisch betroffen, also nur mittelbar berührt. Aus Art. 6 I kann daher nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß solche Vorschriften mit der Verfassung unvereinbar sind, die nur in bestimmten Fällen die unbeabsichtigte Nebenfolge haben können, sich als Beschwer ihrer Schutzgüter auszuwirken 115. Auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 1 wird durch außerordentlich hohe Schadensersatzpflichten des Minderjährigen nicht berührt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 141 nur konkrete Rechtspositionen, nicht das Vermögen als solches"6. Der allgemeine Vermögensschutz ist dagegen durch Art. 2 I gewährleistet 117. Daher liegt in der Auferlegung von Geldleistungspflichten grundsätzlich keine Beeinträchtigung des Art. 14 I 1 1 8 . Geldleistungspflichten können allerdings dann Art. 14 I berühren, wenn sie an einen Eigentumsgegenstand anknüpfen, z.B. wenn Abgaben an einen Gewerbebetrieb oder an die Verpachtung von Eigentum anknüpfen 119. Auch das ist hier aber nicht der Fall. III. Vereinbarkeit

mit Art. 21 (freie

Entfaltung

der Persönlichkeit)

Die geltende Regelung könnte gegen die durch Art. 2 I geschützte freie Entfaltung der Persönlichkeit des Minderjährigen verstoßen.

1,2

Von der Schwierigkeit einer späteren Familiengründung ist jedenfalls später die Rede, vgl. LG Bremen, a.a.O., 1433. 113 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6 Rdn.4 a. 114 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rdn.19. 115 BVerfGE 6, 55 (77); ebenso Pirson, in: BK, Art. 6 Rdn.92 und 36. 116 BVerfGE 4, 7(17); BVerfGE 78, 232 (243); in der Literatur vielfach bestritten, vgl. Kimminich, in: BK, Art. 14 Rdn.50-64. 1,7 Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdn.152 und 166. 118 BVerfGE 4, 7 ( 17); BVerfGE 78, 232 (243); BVerfGE 81, 108 ( 122). 119 Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdn.161.

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

7. Eingriff

83

in den Schutzbereich

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält der Schutz der „freien Entfaltung der Persönlichkeit" zwei Grundrechte: das Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Während die allgemeine Handlungsfreiheit jede Betätigung schützt, „ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt" 120 , steht dieser Aspekt beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Vordergrund 121. Es hat die Aufgabe, im Sinne „des obersten Konstitutionsprinzips der Würde des Menschen die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht erfassen lassen"122. In diesem Sinne ist das Recht auf Selbstbestimmung im Bereich der Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten als Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt 123. In der umfassenden Einschränkung der Privatautonomie der Minderjährigen durch die gesetzliche Vertretungsbefugnis hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrechts erblickt. Durch die gesetzliche Vertretungsbefugnis der Eltern und die damit verbundenen Rechtsmacht, die Kinder finanziell verpflichten zu können (§ 1629 Abs. 1 BGB), werde das Recht auf individuelle Selbstbestimmung in gleicher Intensität berührt, weil hierdurch „in erheblichem Maße die Grundbedingungen freier Entfaltung und Entwicklung und damit nicht nur einzelne Ausformungen allgemeiner Handlungsfreiheit, sondern die engere persönliche Lebenssphäre junger Menschen betroffen" werde 124. Bei der hier zu untersuchenden Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 ist fraglich, ob sie eher in den Regelungsbereich der „allgemeinen Handlungsfreiheit" oder des „allgemeinen Persönlichkeitsrechts" fällt. Denn zwar geht es bei dieser Regelung - anders als bei der Einschränkung der Privatautonomie des Minderjährigen - nicht darum, dem Minderjährigen umfassend die Entscheidungsbefugnis und die individuelle Selbstbestimmung in weiten Bereichen seines Lebens zu nehmen. Jedoch kann im Einzelfall auch die Auferlegung von Schadensersatzpflichten „die Grundbedingungen seiner freien Entfaltung und Entwicklung in erheblichem Maße berühren". Dies dürfte jedenfalls dann der Fall sein, wenn der Minderjährige zu sehr hohen Schadenersatzleistungen verpflichtet wird, die die Grundbedingungen seines weiteren Lebens entscheidend zu prägen geeignet sind. Die Regelung der Haftung deliktsfähiger Minderjähriger nach §§ 823, 249 iVm 828 II 1 dürfte daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen 120 121 122 123 124

BVerfGE 80, 137 (152 f.) Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rdn.3. BVerfGE 54, 148 (153); BVerfGE 72, 155 (170). Vgl. BVerfGE 72, 155 (170); BVerfGE 65, 1 (42). BVerfGE 72, 155 (170 f.).

84

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

berühren, soweit sie auch zur Auferlegung sehr hoher Schadenersatzleistungen ermächtigt, die die Grundbedingungen des weiteren Lebens des Minderjährigen zu prägen geeignet sind. Da in der bisherigen Diskussion nur fur diesen Fall die Verfassungsmäßigkeit der geltenden Regelung bezweifelt wird, soll im folgenden die Regelung nur insoweit und daher ausschließlich am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts untersucht werden. 2. Verfassungsrechtliche

Rechtfertigung

des Eingriffs

Der durch die §§ 823 I, 249 iVm 828 II 1, bewirkte gesetzliche Eingriff müßte den Anforderungen des Vorbehalts der „verfassungsmäßigen Ordnung" im Sinne des Art. 2 I genügen125. Die „verfassungsmäßige Ordnung" im Sinne des Art. 2 I ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes „die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell verfassungsmäßig sind" 126 . In formeller Hinsicht genügen die §§ 823 1,249 iVm 828 II 1 als Gesetze diesem Vorbehalt. In materieller Hinsicht müssen Normen, um zur „verfassungsmäßigen Ordnung" zu gehören, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten127. a) Vorüberlegung: verfassungsrechtliche Anforderungen an privatrechtliche Gesetze Das Bundesverfassungsgericht prüft öffentlich-rechtliche Vorschriften, die in Freiheitsrechte eingreifen, auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Hierbei wendet es eine dreistufige Prüfung an: Zunächst untersucht es, inwieweit die Vorschrift geeignet ist, ihren Zweck zu erreichen (Geeignetheit). Daran schließt sich die Frage an, ob es zur Erreichung des verfolgten Zwecks ein in gleicher Weise geeignetes, aber milderes Mittel gibt (Erforderlichkeit). Schließlich wird geprüft, ob das gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks nicht außer Verhältnis steht (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder Angemessenheit, das Bundesverfassungsgericht spricht auch häufig von „Zumutbarkeit"). Jedoch stellt sich bei privatrechtlichen Normen die Frage, inwieweit der Gesetzgeber bei ihrem Erlaß das Verhältnismäßigkeitsprinzip in diesem strengen Sinne berücksichtigen muß. Denn während im klassischen Grundrechtsverhältnis Bürger - öffentliche Gewalt Grundrechtsträger und Grundrechtsverpflichteter ein-

125 Das Bundesverfassungsgericht wendet nicht nur auf Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern auch auf Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Schrankenbestimmung der "verfassungsmäßigen Ordnung" nach Art. 2 Abs. 1 an: vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rdn.36. 126 Nachweise bei Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rdn.14. 127 Vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rdn.18.

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

85

ander gegenüberstehen, ist die Situation im privatrechtlichen Konflikt dadurch gekennzeichnet, daß sich typischerweise (mindestens) zwei Grundrechtsträger gegenüberstehen, die sich beide auf Grundrechte berufen können128. Gegenüber dem Mitbürger kann es daher auch kein grundsätzlich unbeschränktes Freiheitsrecht nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate" geben129. Stets muß der Tatsache Rechnung getragen werden, daß das Privatrecht „nichts zu verschenken hat; es kann dem einen nur geben, was es einem anderen nimmt" 130 . Bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Privatrecht muß daher stets berücksichtigt werden, ob und in welchem Umfang Grundrechte der jeweils anderen Partei zu beachten sind. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist hier „in seinem ursprünglichen Sinn ins Spiel zu bringen, nämlich als Maßstab für den Ausgleich zwischen einander widerstrebenden, aber womöglich prinzipiell gleichrangigen Werten...Es darf nicht bloß auf ein einzelnes Grundrecht abgestellt werden. Vielmehr sind alle beteiligten Grundrechte in ihrem Verhältnis zueinander und zu anderen verfassungsrechtlichen Werten - insbesondere den Ableitungen aus dem Rechsstaatsprinzip - zu sehen."131 Wenn privatrechtliche Vorschriften auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden, tritt daher auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Stelle des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte. Allerdings ist auch diese Abwägung deutlich von den Kategorien des Verhältnismäßigkeitsprinzips geprägt. Einige Beispiele mögen erläutern, welche Anforderungen das Bundesverfassungsgericht an privatrechtliche Verpflichtungen bzw. Belastungen stellt, die einem Bürger gegenüber dem anderen Bürger durch den Gesetzgeber auferlegt werden: Das Bundesverfassungsgericht hat zu Unterhalts- und Versorgungsausgleichsverpflichtungen ausgesprochen, es handele sich bei ihnen zwar nicht um einen Eingriff der öffentlichen Gewalt in den Freiheitsbereich des Einzelnen zum Schutz öffentlicher Interessen; indessen müsse der Staat „auch bei der Regelung des Privatrechtsverhältnisses der Ehegatten während ihrer Trennung und nach ihrer Scheidung unverhältnismäßige Belastungen des einen gegenüber dem anderen vermeiden" 132. Mit dieser Begründung wird § 1579 II BGB (Unterhaltsanspruch des kinderbetreuenden geschiedenen Ehegatten) für unverhältnismäßig gehalten, soweit er stets einen Unterhaltsanspruch in Höhe des angemessenen Eheunterhalts gewährt, auch wenn dieser seine Rechtfertigung nicht mehr in der eigenen Bedürfnislage des anderen Ehegatten,

128

Hesse, Rdn.354 f.; Medicus, AcP 192 (1992), 35 (59); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rdn.23. 129 Rüfner, in: Kirchhotflsensee, Bd. V, § 117 Rdn.70. 130 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (57). 131 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (60). 132 BVerfGE 57, 361 (388). vgl. auch BVerfGE 63, 88 (115).

86

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

sondern in dem Anspruch des Kindes auf Pflege und Erziehung durch einen Elternteil finde 133. Eine Versorgungsausgleichsregelung wird für unverhältnismäßig gehalten, weil ein für den Ausgleichspflichtigen milderes Mittel zur Erreichung des Versorgungszwecks hätte gewählt werden können134. Für nachvertragliche Wettbewerbsverbote für Handelsvertreter hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen135, der Gesetzgeber habe die Aufgabe, diese so zu regeln, daß einerseits für die Interessenwahrung auf Seiten der Unternehmer ausreichender Spielraum bleibe, andererseits aber die Verhandlungsschwäche auf Seiten der Handelsvertreter ausgeglichen werde. Weiter heißt es dort: „Die weitreichende Gestaltungsfreiheit, die dem Gesetzgeber bei der Lösung dieser Aufgabe zusteht, ist nach beiden Seiten begrenzt, weil es sowohl für die Unternehmer als auch für die Handelsvertreter um grundrechtlich geschützte Positionen geht. Weder Freiheitsbeschränkung noch Freiheitsschutz dürfen in einer solchen Wechselbeziehung unverhältnismäßig sein." Im Ergebnis wird der generelle Ausschluß der Karenzentschädigung im Falle einer außerordentlichen Kündigung des Unternehmers durch § 90a Abs. 2 Satz 2 HGB für „nicht erforderlich" zur Interessenwahrung des Unternehmers und „wegen ihrer einschneidenden Folgen vielfach unzumutbar" und damit für unverhältnismäßig gehalten. Die den Arbeitgebern gegenüber den Arbeitnehmern auferlegte Entgeltfortzahlungspflicht für Zusatzurlaub, den pädagogische Mitarbeiter an Bildungsveranstaltungen beanspruchen können, wird als unverhältnismäßig, weil zwar geeignet und erforderlich zur Erreichung des Gesetzeszwecks, aber unzumutbar angese" hen 136 ; desgleichen die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Gewährung bezahlten Sonderurlaubs an in der ehrenamtlichen Jugendarbeit tätige Arbeitnehmer 137. Eine den Verpächtern von Kleingärten auferlegte Pachtzinsbegrenzung auf den doppelten Betrag des ortsüblichen Pachtzinses im erwerbsmäßigen Obst- und Gartenbau wird als unzumutbare Beeinträchtigung des Eigentumsrechts der Verpächter angesehen, da das Regelungsziel eine Pachtzinsbegrenzung dieses Ausmaßes nicht rechtfertigen könne138.

133

BVerfGE 57,361 (388). BVerfGE 63,88(115). 135 BVerfGE 81, 242 (261). 136 BVerfGE 77, 308 (336 f.): Verfassungswidrigkeit des §3 des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes. 137 BVerfGE 85, 226 (235 f.): Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit. 138 BVerfGE 87, 114 (148 f.): Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs. 1 Satz 1 des Bundeskleingartengesetzes. 134

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

87

b) Ausreichende Beachtung der beiderseitigen Grundrechte durch die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1? Bei einer an dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientierten Untersuchung, ob die durch die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 betroffenen Grundrechte ausreichend beachtet worden sind, sind folgende Gesichtspunkte zu bedenken: (aa) der Zweck der Regelung, (bb) das Gewicht des durch die Regelung verfolgten Zwecks, (cc) das Gewicht der durch die Regelung beeinträchtigten Grundrechts, (dd) die Intensität des Eingriffs. Diese Gesichtspunkte sind in die anschließenden Abwägung (ee) einzustellen. aa) Zweck der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 Nach den Motiven sollten durch § 828 II 1 die „noch nicht zur vollen Verstandesreife gelangten Unerwachsenen"139 davor geschützt werden, „immer gerade so wie der Erwachsene als deliktsfähig angesehen" zu werden. Deshalb sollten die Minderjährigen, die bei Begehung einer unerlaubten Handlung „nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" haben, von der Haftung freigestellt werden. Der Zweck des § 828 II 1 ist also der Schutz der einsichtsunfähigen Minderjährigen. Die vom Schutzzweck des § 828 II 1 nicht umfaßten Minderjährigen unterfallen der allgemeinen Regelung des § 823. Sie sollen folglich nach dem Willen des Gesetzgebers wie Erwachsene nach den §§ 823, 249 der vollen Schadensersatzpflicht für ihre unerlaubten Handlungen unterliegen. In Bezug auf diesen Personenkreis läßt sich somit aus dem Zusammenspiel der Vorschriften der §§ 828 II 1 mit §§ 823, 249 der Zweck entnehmen, dem Geschädigten vollen Ausgleich für die erlittenen Schäden zu gewähren. Für diesen Zweck erweist sich die Regelung als grundsätzlich geeignet. Zwar dürfte der Geschädigte bei sehr hohen Schäden häufig nicht den ganzen Schaden ersetzt bekommen können, weil der Minderjährige typischerweise vermögenslos ist und auch als Volljähriger kaum in der Lage sein dürfte, die Schuld in vollem Umfang zu begleichen. Jedoch sichert die Regelung dem Geschädigten den für ihn maximal erreichbaren Schadensausgleich. bb) Gewicht des mit der Regelung verfolgten Zwecks Der vom Gesetzgeber mit § 823 I verfolgte Zweck, den Geschädigten im Fall einer Verletzung seiner Rechtsgüter zu entschädigen, entspricht dem durch Art. 2 II 1 (Leben, Gesundheit), Art. 2 II 2 (Freiheit), 14 I (Eigentum) bewirkten Schutz dieser Rechtsgüter. Zwar werden in den Fällen des § 823 I die genannten Grundrechte nicht durch das Handeln des Staates und seiner Organe beeinträch-

139

Vgl. Mot. II, 733.

88

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

tigt. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch anerkannt, daß die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen Handlungen des Staates, sondern auch Schutzpflichten des Staates begründen140. Die Grundrechte stellten zugleich eine objektive Wertordnung dar, aus der sich für den Staat die Aufgabe ergebe, die objektive Wertordnung zu verwirklichen und damit die Verpflichtung zu verhindern, daß die Schutzgüter der Grundrechte durch das Handeln Dritter beeinträchtigt würden 141. Diese Schutzpflichten erschöpfen sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht darin, Vorkehrungen zur Verhinderung der Beeinträchtigung zu treffen. Die Schutzpflicht des Staates gebiete es auch, für den Fall einer dennoch geschehenen Beeinträchtigung für einen Ausgleich zugunsten des Beeinträchtigten zu sorgen. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen 142, der Anspruch aus § 823 I (im konkreten Fall Schadensersatz für Freiheitsentzug) sei nicht ein beliebiger Geldanspruch, sondern eine Entschädigung für die Verletzung des verfassungsrechtlich besonders geschützten Rechtsgutes der persönlichen Freiheit; „Die Verbürgung des verfassungsrechtlichen Freiheitsrechts durch Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes wird durch das geltende Deliktsrecht konkretisiert, in dem es Sanktionen für dessen Beeinträchtigung durch Dritte bereithält. Die Haftungsregelung des § 823 I erweist sich demgemäß...unter dem Grundgesetz als Ausprägung des besonderen Schutzgehaltes des Grundrechts." Dies gelte auch, soweit die Norm zum Schadensersatz verpflichte, denn der Ersatzanspruch sei ein angemessenes Mittel der Wiedergutmachtung und diene zugleich dem präventiven Schutz. Der mit den §§ 823 I, 249 iVm 828 II 1 verfolgte Zweck dient daher der Verwirklichung der Grundrechte des Geschädigten aus Art. 2 II 1, 2 II 2, 14 I. In welchem Umfang die Grundrechte den Gesetzgeber dazu verpflichten, die grundrechtlichen Schutzgüter haftungsrechtlich abzusichern, ist durch die Verfassung allerdings nicht festgelegt. Hier hat der Gesetzgeber einen Spielraum 143. cc) Gewicht des beeinträchtigten Grundrechts Für die Bestimmung des Gewichts und der Bedeutung der Handlungsfreiheit des Minderjährigen kommt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom

140 Nachweise aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Isensee, in: Kirchhof/Isensee, Bd. V, § 111 Rdn.78 f. 141 Vgl. dazu ausführlich Isensee, in: Kirchhof/Isensee, Bd. V, § 111 Rdn.88 ff., 93 ff.; Stern, III/l, Rdn.1575. 142 BVerfGE 49, 304 (319 f.). 143 BVerfGE 49, 304 (320).

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

89

13. M a i 1986 eine besondere Bedeutung zu. Auch das Oberlandesgericht Celle 1 4 4 begründete die Verfassungswidrigkeit der §§ 823, 249 i V m 828 I I 1 vor allem mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dieser Entscheidung. In dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird die Regelung der elterlichen Sorge gemäß §§ 16291 i V m 1643 I für verfassungswidrig erklärt, soweit danach Eltern im Zusammenhang mit der Fortführung eines zu einem Nachlaß gehörenden Handelsgeschäfts

ohne vormundschaftsgerichtliche

Genehmigung

Verbindlichkeiten zu Lasten ihrer minderjährigen Kinder eingehen können, die über deren Haftung mit dem ererbten Vermögen hinausgehen 145 . In den Gründen heißt es zur Verfassungsmäßigkeit des umfassenden (Vermögens-) Sorgerechts der Eltern gemäß § 1629 I 1 4 6 : „Mit der Anordnung des gesetzlichen Vertretungsrechts der Eltern soll insbesondere verhindert werden, daß Kinder Verträge abschließen, die nicht in ihrem wohlverstandenen Interesse liegen. Soweit sich Fremdbestimmung der Kinder durch ihre Eltern danach als Minderjährigenschutz erweist, entspricht dies dem Kindeswohl, so daß eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausscheidet. Mit der Einräumung der gesetzlichen Vertretungsmacht ist aber gleichzeitig die Gefahr verbunden, daß sich eine unkontrollierte Entscheidungsbefugnis der Eltern nachteilig für die Kinder auswirken kann...Indessen kann nicht ausgeschlossen werden, daß Eltern nicht fähig oder nicht bereit sind, den Anforderungen des Elternrechts zu entsprechen. Insoweit ist der Gesetzgeber aufgerufen, in Wahrnehmung seines Wächteramts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1) Regelungen zu treffen, die verhindern, daß der volljährig Gewordene nicht mehr als nur eine scheinbare Freiheit erreicht. Das Recht zur Selbstbestimmung ist zwar nicht identisch mit der Freiheit von allen Bindungen, die kraft elterlichen Vertretungsrechts geschaffen wurden... Sie sind verfassungsrechtlich noch hinnehmbar, wenn sich die Haftung des Minderjährigen bei einem ererbten und fortgeführten Handelsgeschäft auf das im Wege der Erbfolge erworbene Vermögen beschränkt. Wenn aber der Gesetzgeber den Eltern das Recht einräumt, ihre Kinder in einem weitergehenden Maße zu verpflichten, dann muß er gleichzeitig dafür Sorge tragen, daß dem Volljährigen Raum bleibt, um ihr weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die sie nicht zu verantworten haben. Diese Möglichkeit ist ihnen jedenfalls dann verschlossen, wenn sie als Folge der Vertretungsmacht ihrer Eltern mit erheblichen Schulden in die Volljährigkeit „entlassen" werden." Damit hat das Bundesverfassungsgericht einen „Mindeststandard" für die Ausgestaltung bürgerlich-rechtlicher

Minderjährigenschutz-Vorschriften

aufgestellt.

Verallgemeinernd läßt sich sagen: Vorschriften wie § 1629 I i V m 1643 I, die letztlich

dem Minderjährigenschutz

dienen, müssen, um

dem

allgemeinen

Persönlichkeitsrechtsrecht des Minderjährigen aus Art. 1 I i V m Art. 2 I zu genü-

144 145 146

OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (793 unter III.4). BVerfG, Beschl.v. 13.5.86 -1 BvR 1542/84-, BVerfGE 72, 155 (156). BVerfG, a.a.O., 173.

90

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

gen, folgendes leisten: Sie müssen - negativ - in jedem Fall verhindern, daß der Volljährige mit erheblichen Schulden in die Volljährigkeit „entlassen" wird, und positiv - sicherstellen, daß dem volljährig Gewordenen Raum bleibt, sein weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten, die er nicht zu verantworten hat. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von dem „verfassungsrechtlichen Gebot des Minderjährigenschutzes" 147, welches es auf diese Weise inhaltlich näher bestimmt hat. Nur Regelungen, die diese Mindestanforderungen erfüllen, sind geeignet und damit verhältnismäßig, ihr Ziel den Schutz des Minderjährigen - zu erreichen. Aus der Entscheidung dürfte indes nicht ohne weiteres ableitbar sein, daß jede gesetzliche Vorschrift mit dem so konkretisierten Gebot des Minderjährigenschutzes vereinbar sein muß. Die Entscheidung dürfte nur im Hinblick auf Vorschriften, die dem Minderjährigenschutz dienen, verallgemeinerungsfähig sein. Dies wird daran deutlich, daß das Verfassungsgericht sich maßgeblich auf den Schutzzweck der Regelungen der elterlichen Sorge und ihre - in gewissen Fällen - mangelnde Eignung zur Erreichung ihres Zwecks stützt. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 1986 folgt somit noch nicht ohne weiteres die Verfassungswidrigkeit der §§ 823, 249 iVm 828 II 1. Denn deren Zweck ist, wie oben gesehen, - soweit sie deliktsfähige Minderjährige betrifft - gerade nicht der Schutz Minderjähriger, sondern der Schutz des Geschädigten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 1986 hat aber auch für die diese Regelung insofern eine Bedeutung, als sie die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Regelungen, die den darin konkretisierten verfassungsrechtlichen Mindeststandard an Minderjährigenschutz beeinträchtigen, erhöht haben dürfte. Denn wenn es die Aufgabe des Gesetzgebers ist, diesen Mindeststandard durch seine Schutzvorschriften in jedem Fall zu sichern, so müssen zwingende Gründe vorliegen, wenn dieser Mindeststandard zugunsten anderer Zwecke wieder aufgegeben wird. Das Bundesverfassungsgericht hat damit dem Minderjährigenschutz in dem von ihm umschriebenen Mindestumfang generell eine große Bedeutung zuerkannt. dd) Intensität des Eingriffs Aus diesen Überlegungen folgt, daß der durch die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 erfolgte Eingriff des Gesetzgebers in die Handlungsfreiheit des Minderjährigen als besonders schwerwiegend anzusehen sein dürfte. Denn diese Regelung ermächtigt im Einzelfall zu Eingriffen, die - mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts - „verhindern, daß der volljährig Gewordene nicht mehr als

147

BVerfGE 72, 155(175).

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

91

nur eine scheinbare Freiheit erreicht". Die Eingriffe führen dazu, daß den Volljährigen kein „Raum bleibt, um ihr weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten". Der Minderjährige wird im Einzelfall mit der Aussicht in die Volljährigkeit „entlassen", Jahrzehnte oder sogar sein Leben lang an der Pfändungsfreigrenze leben zu müssen. Vor dem Hintergrund anderer Eingriffe des Privatrechts, die vom Bundesverfassungsgericht bereits als „unzumutbar", zur Erreichung des angestrebten Zwecks unangemessen, angesehen hat 148 - etwa den Ausschluß einer Karenzentschädigung für Handelsvertreter während einer höchstens zweijährigen Karenzzeit, eine Pachtzinsbegrenzung für Eigentümer von Kleingärten, die Verpflichtung des geschiedenen Ehegatten zu eheangemessenen Unterhalt an den kinderbetreuenden Partner, die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung bezahlten Sonderurlaubs an ehrenamtlich in der Jugendarbeit tätige Arbeitnehmer usw. - zeigt sich die besondere Intensität des durch die §§ 823, 249 iVm 828 II 1 bewirkten Eingriffs zudem besonders deutlich. Auch die bereits oben149 beschriebenen besonders schädlichen Auswirkungen der Verpflichtung Minderjähriger zu hohen Schadensersatzleistungen und der nur ungenügenden Milderung dieser Verpflichtung durch bestehende Schuldnerschutzvorschriften 150 nötigen zu einer solchen Bewertung. ee) Abwägung Bei einer Abwägung der beiderseitigen Grundrechte, die sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht folgend an der Kategorie des Verhältnismäßigkeitsgedankens orientiert, ist der oben genannte Satz zu beachten, daß der Staat bei der Auferlegung privatrechtlicher Verpflichtungen „unverhältnismäßige Belastungen des einen gegenüber dem anderen Bürger zu vermeiden" hat bzw. „weder Freiheitsbeschränkung und Freiheitsschutz in der Wechselbeziehung unverhältnismäßig sein dürfen" 151. Daraus folgt, daß das gewählte Mittel - die Freiheitsbeschränkung - nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck - dem Freiheitsschutz - stehen darf. Ist daher der Eingriff besonders intensiv, müssen die Interessen, deren Schutz und Förderung mit dem Eingriff bezweckt werden, ihrerseits besonders schutzwürdig sein, um das gewählte Mittel als noch angemessen im Verhältnis zum Zweck erscheinen zu lassen. Zunächst lassen sich Fälle denken, in denen die Schutzwürdigkeit der mit der Regelung geschützten Interessen auf der Hand zu liegen scheint. Insbesondere in 148 149 150 151

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

in diesem Abschnitt, C. III. 2. a. in diesem Abschnitt, B. III. 1. in diesem Abschnitt, B. III. 2. die Darstellung der Rspr. des BverfG in diesem Abschnitt unter C. III. 2. a.

92

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

den Fällen, in denen der Geschädigte seinerseits zur Milderung der existenzbedrohenden Folgen der Schädigung auf die Schadensersatzforderung angewiesen ist, etwa, wenn der Geschädigte gegen die durch die Schädigung eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht durch eine Unfallversicherung geschützt war, dürfte die besondere Schutzwürdigkeit des Geschädigten kaum zu bezweifeln sein. Auch wenn die Schadenersatzforderung gegen den Minderjährigen nur einen geringen wirtschaftlichen Wert hat, stellt sie in diesen Fällen für den Geschädigten wenigstens einen gewissen Ausgleich dar. Es erscheint nicht unangemessen, wenn der Gesetzgeber - vor die Wahl gestellt, entweder die Existenzgrundlage des Opfers oder des minderjährigen Schädigers schwerwiegend zu beeinträchtigen - sich für die Beeinträchtigung des Minderjährigen als des Verursachers des existenzbedrohenden Schadens entscheidet. Andererseits bestehen Bedenken dagegen, die besondere Schutzwürdigkeit des Geschädigten im Verhältnis zum minderjährigen Schädiger in allen denkbaren Fällen allein daraus abzuleiten, daß der Geschädigte ohne irgend ein eigenes Zutun dem Schaden ausgesetzt wird, während der Minderjährige durch sein Verhalten den Schaden selbst verursacht hat. Das ergibt sich schon daraus, daß bereits im geltenden Deliktsrecht die Tatsache der Verursachung eines Schadens grundsätzlich noch nicht zur Haftung führt, sondern erst, wenn ein Verschulden des Schädigers hinzutritt. Selbst wenn dieses vorliegt, ergeben sich jedoch Zweifel, ob die Tatsache der verschuldeten Schädigung stets ausreichen kann, um die volle Haftung auch in Fällen außerordentlich hoher Schäden zu begründen. Denn - wie oben erörtert 152 - der Gesetzgeber ist bei den Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 106 ff.) davon ausgegangen, daß der Minderjährige gegenüber dem Erwachsenen geringere Fähigkeiten bei der Abschätzung und Beurteilung von Rechtsgeschäften hat. Wie oben bereits dargelegt 153, kann bei der Abschätzung und Beurteilung von Tathandlungen nichts wesentlich anderes gelten. Dem trägt der Gesetzgeber für die einsichtsunfähigen Minderjährigen bzw. Minderjährigen unter 7 Jahren auch Rechnung, indem er deren Verpflichtung zum Schadensersatz in diesen Fällen ausschließt. Der, wenn auch nicht völlig ausgeschlossenen, so doch „verminderten Urteilsfähigkeit" des Minderjährigen über 7 Jahren trägt der Gesetzgeber im Vertragsrecht durch die beschränkte Geschäftsfähigkeit Rechnung. Hier weigert sich der Gesetzgeber, allein aus der Tatsache, daß der Minderjährige die Verpflichtung zu einer Leistung selbst begründet hat, Ansprüche gegen den Minderjährigen herzuleiten. Dagegen nimmt er im Deliktsrecht auf die geringeren Fähigkeiten Minderjähriger keinerlei Rücksicht. Die Tatsache der geringeren Fähigkeiten Minderjähriger und die daraus resultierende - auch durch die Verfassung mit der Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 anerkannte - beson-

152 153

Vgl. in diesem Abschnitt, B. III. 1. Vgl. in diesem Abschnitt, B. III. 1.

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

93

dere Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen seinerseits läßt es daher als zweifelhaft erscheinen, ob das gewählte Mittel der stets vollen Haftung allein mit der verschuldeten Verursachung des Schadens durch den Minderjährigen gerechtfertigt werden kann. Dies gilt umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht selbst das bewußte und gewollte Verhalten von Volljährigen im geschäftlichen Verkehr nicht für ausreichend erachtet hat, um die Verhältnismäßigkeit außerordentlich hoher Zahlungsverpflichtungen zu begründen. In seiner „Bürgschaftsentscheidung" hat es beanstandet, daß die Tatsache, daß „die Beschwerdeführerin [Bürgin] im Haftungsfall voraussichtlich bis an ihr Lebensende nicht in der Lage sein würde, sich aus eigener Kraft von der übernommenen Schuldenlast zu befreien" 154, vom Bundesgerichtshof allein damit gerechtfertigt wurde, daß sie die Schuldenlast schließlich selbst veranlaßt habe. In der Entscheidung führt es aus155, daß sich die Gerichte bei Verträgen, die für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen seien, nicht mit der Feststellung begnügen dürften: „Vertrag ist Vertrag". Die Feststellung, der belastete Vertragspartner sei volljährig gewesen und habe sich über die entstehenden Risiken selbst vergewissern müssen, reiche in diesen Fällen zur Rechtfertigung der Wirksamkeit eines solchen Vertrages nicht aus. Vielmehr sei zu klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sei. Im konkreten Fall sei das Haftungsrisiko für die Beschwerdeführerin ungewöhnlich hoch und außerordentlich schwer abschätzbar gewesen. Bedeutung und Ausmaß des Risikos hätten selbst geschäftlich erfahrene Personen kaum abschätzen können. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber bei Rechtsgeschäften die geringeren Fähigkeiten auch des Minderjährigen über 7 Jahren zu Abschätzung und Beurteilung von Gefahren berücksichtigt, im Deliktsrecht dagegen - außer bei gänzlicher Unfähigkeit zur Einsicht - nicht, führt zudem, wie oben ausgeführt 156, zu der widersprüchlichen Situation, daß die Rechtsordnung den Minderjährigen für voll verantwortlich erklärt, ihm aber gleichzeitig die Möglichkeit versagt, selbst - etwa durch Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung - Vorsorge zu treffen, um seiner Verantwortlichkeit genügen zu können157. Damit bescheinigt die Rechtsordnung dem Minderjährigen einerseits durch die Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit, daß er nicht in der Lage ist, Vorsorge für sein Leben zu treffen und sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Andererseits erlegt sie ihm aber die Verantwortung für sein Tun in vollem Umfang auf. Daß für den Minderjährigen die gesetzlichen Vertreter hätten Vorsorge treffen können, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Minderjährigen hierbei nicht

154 155 156 157

BVerfGE 89, 214 (230 f.). BVerfGE 89, 214 (234 f.). Vgl. in diesem Abschnitt, B. III. 1. Daraufweist das OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (792) zu Recht hin.

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

in allen Fällen zugerechnet werden. Denn der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 1986 läßt sich der Gedanke entnehmen, daß dem Minderjährigen die Auswirkungen elterlicher Sorge dann nicht mehr zugerechnet werden können, wenn sie bewirken, daß dem Volljährigen kein Raum mehr bleibt, sein weiteres Leben selbst und ohne unzumutbare Belastungen zu gestalten158. Die gegenüber dem Erwachsenen geringeren Fähigkeiten des Minderjährigen und die daraus resultierende - durch Art. 6 Abs 2 Satz 2 von der Verfassung anerkannte - Schutzbedürftigkeit Minderjähriger sowie deren mangelnde Möglichkeit, selbständig Vorsorge für die eigene Verantwortlichkeit treffen zu können, lassen es daher als zweifelhaft erscheinen, ob die unbegrenzte Haftung Minderjähriger stets und in allen Fällen allein damit gerechtfertigt werden kann, daß er den Schaden verschuldet hat. Dies dürfte jedenfalls dann gelten, wenn der Minderjährige unabsichtlich gehandelt hat. Die besondere Schutzwürdigkeit der mit dem Eingriff geschützten Interessen könnte allerdings noch mit der oben - vgl. a) - beschriebenen Schutzpflicht des Staates für die Rechtsgüter des § 823 I begründet werden. Allerdings hat der Staat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Verwirklichung der durch Art. 2 II und Art. 14 I begründeten Schutzpflicht einen weiten Gestaltungsspielraum. Aus der Schutzpflicht dürfte daher nicht ohne weiteres ableitbar sein, daß der Geschädigte stets und in allen Fällen vorsätzlicher und fahrlässiger Schädigungen den vollen Ersatz erhalten muß. Zudem ist zu berücksichtigen, daß der Geschädigte heute häufig in vielfältiger Weise gegen drohende Schäden an den Rechtsgütern des §§ 823 I abgesichert ist: Die Behandlungs- und Heilungskosten bei Gesundheitsschäden sind durch die gesetzliche oder private Krankenversicherung abgedeckt; gegen die wirtschaftlichen Folgen von Gesundheitsschäden schützt ihn die Unfallversicherung; die Angehörigen sind im Fall des Todes des Geschädigten nicht selten durch eine Lebensversicherung abgesichert; wertvolle Vermögensgegenstände hat er häufig gegen Verlust oder Beschädigung geschützt - Gebäude durch eine Feuerversicherung, das Auto durch die Kraftfahrzeugkaskoversicherung, den Hausrat durch eine Hausratsversicherung. Dadurch hat sich der Schutzeffekt des § 823 heute oft verlagert. Die Schadensersatzverpflichtung aus § 823 schützt heute in vielen Fällen faktisch nicht mehr den Geschädigten, sondern den Versicherer, auf den die Schadenersatzansprüche gemäß § 116 SGB X, 87a BBG (bzw. vergleichbare Vorschriften der Landes-

158 Vgl. dazu auch OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (793): Danach liegen der Fall übermäßigen Haftung Minderjähriger und der Fall der Entscheidung vom 13. Mai 1986 in einem entscheidenden Punkt parallel. Denn die Eltern hätten der Erfüllung ihrer elterlichen Pflichten versagt. Verantwortungsbewußte Eltern schlössen für ihre Kinder eine Privathaftpflichtversicherung ab. Der Staat sei deshalb auch bei unversicherten Minderjährigen gehalten, in Erfüllung seiner Schutzpflicht nach Art. 6 II 2 tätig zu werden.

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

95

beamtengesetze) oder § 67 VVG übergegangen sind. In diesen Fällen des gesetzlichen Forderungsübergangs steht den Belangen des Minderjährigen nicht mehr das - nach dem Zweck der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 in erster Linie zu schützende - Interesse des Geschädigten, sondern das Interesse des Versicherers und der Versicherten an möglichst niedrigen Versicherungsbeiträgen gegenüber. Ob sich zum Schutz dieses Interesses ein derart schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht des Minderjährigen rechtfertigen läßt, erscheint zweifelhaft, zumal der wirtschaftliche Wert der übergegangenen Forderung gegen den Minderjährigen, da dieser typischerweise vermögenslos sein dürfte, in den meisten Fällen ohnehin gering sein - jedenfalls die administrativen Kosten des Versicherers kaum übersteigen dürfte. Es spricht somit manches für die Auffassung, daß das gewählte Mittel, die Verpflichtung des Minderjährigen zur vollen Ersatzleistung, jedenfalls in diesen Fällen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Regelung der §§ 823,249 iVm 828 II 1 eigentlich verfolgten Zweck steht159. Zweifelhaft erscheint schließlich auch, ob die Anwendung des Grundsatzes der Totalreparation auf den Minderjährigen angesichts der schwerwiegenden Folgen für den Minderjährigen mit dem Hinweis auf die Rechtssicherheit160 und die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse, die damit erzielt werden, begründet werden kann. Auch in anderen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht das Rechtsgut der Rechtssicherheit als nicht so gewichtig angesehen, daß es eine weitgehende Beeinträchtigung von Grundrechten rechtfertigen könnte161. ff) Ergebnis Insgesamt läßt sich somit sagen, daß - legt man die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der verfassungsrechtlichen Beurteilung zugrunde manches für die Auffassung spricht, daß jedenfalls in Fällen außerordentlich hoher, existenzbedrohender Schäden, bei unabsichtlichem Verhalten des Minderjährigen und Absicherung des Opfers gegen die Schäden die Verpflichtung des Minderjährigen zu voller Ersatzleistung nicht mit dessen Persönlichkeitsrecht zu vereinbaren ist.

159 Vgl. auch OLG Celle, NJW-RR 1989, 791: Die unbegrenzte Haftung des Minderjährigen bei leichter Fahrlässigkeit sei jedenfalls insoweit unverhältnismäßig, als die Entschädigung des Opfers von dritter Seite gesichert ist. Ebenso LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1434 f.). 160 Vgl. dazu Medicus, AcP 192 (1992), 35 (60 f.). 161 Vgl. BVerfGE 90, 263 (273), in der die Nachrangigkeit der Rechtssicherheit gegenüber weitgehenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Kindes betont wurde (betr. Einschränkungen der Anfechtung der Ehelichkeit durch das Kind).

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1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

IV. Auswirkungen eines Verstoßes gegen Art. 21 Folgt man dieser Auffassung, daß die bisherige Anwendung der Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 im Einzelfall zu grundrechtswidrigen Ergebnissen fuhrt, stellt sich die Frage, wie die Zivilgerichte einen solchen Grundrechtsverstoß in einem Verfahren gegen einen minderjährigen Schädiger zu berücksichtigen hätten, ob und in welchem Verfahren das Bundesverfassungsgericht angerufen werden müßte, schließlich, in welcher Form das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsverstoß festzustellen hätte. 7. Verfassungskonforme Auslegung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 oder Anwendung des § 242 möglich? Zunächst hätten die Zivilgerichte zu prüfen, ob sich grundrechtswidrige Ergebnisse durch eine verfassungskonforme Auslegung ausräumen lassen162. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist, bevor die Nichtigkeit oder Unvereinbarkeit einer Vorschrift mit dem Grundgesetz festgestellt wird, stets vorrangig die Möglichkeit zu prüfen, ob ihr durch Auslegung ein Sinn beigemessen werden kann, der dem Grundgesetz entspricht 163: „Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßgen Ergebnis führt, so ist eine Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht."164 Dieser sogenannten „verfassungskonformen Auslegung" sind jedoch Grenzen gesetzt. Die Auslegung darf nicht „mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten" 165 und „der normative Gehalt einer auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt"166 werden. Zunächst könnte an eine erweiternde Auslegung des Einwands der Einsichtsunfähigkeit (§ 828 II 1) gedacht werden, die das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen wesentlich stärker berücksichtigt. § 828 II 1 könnte in der Weise zugunsten des Minderjährigen ausgelegt werden, daß die „zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht" bereits der nicht hat, der lediglich vermindert einsichtsfahig ist. Diese Auslegung verbietet sich jedoch angesichts des klaren Wortlauts des § 828 II 1, wonach eben nur die vom Minderjährigen zu beweisende gänzliche Einsichtswwfähigkeit die Haftung hindert. Ebenso ist es mit

162 163 164 165 166

Ebenso OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 f. Zur verfassungskonformen Auslegung vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn.23a. BVerfGE 69, 1 (55). BVerfGE 71, 81 (105); 18, 97 (111); 67, 382 (390). BVerfGE 71, 81 (105).

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

97

dem Wortlaut des § 828 II 1 nicht zu vereinbaren, die Voraussetzungen des § 828 II 1 auch dann zu bejahen, wenn der Minderjährige steuerungsunfähig war. Eine noch weitergehende minderjährigenfreundliche Auslegung des Merkmals der „Fahrlässigkeit" in § 823 I in dem Sinne, daß der Sorgfaltsmaßstab, der an das Verhalten Minderjähriger angelegt wird, noch weiter herabgesetzt wird, wäre mit der Entscheidung des Gesetzgebers für den Maßstab der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" in § 276 nicht mehr zu vereinbaren. Die weitgehende Verneinung von sorgfaltswidrigem Handeln würde zudem die dem § 828 II 1 zu entnehmende Entscheidung des Gesetzgebers unterlaufen, einsichtsfahige Minderjährige grundsätzlich wie Erwachsene haften zu lassen. Schließlich verbietet sich auch eine richterliche Korrektur des Prinzips der Totalreparation bei Minderjährigen. Denn aus dem klaren Wortlaut der §§ 823 I („...den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen") und 249 Satz 1 („...hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersätze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre") bzw. 249 Satz 2 („...kann der Gläubiger den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen") ergibt sich der Wille des Gesetzgebers, daß der Verpflichtete stets den ganzen Schaden zu ersetzen hat. Dieser Wille darf auch nicht über eine Heranziehung des § 242 korrigiert werden. Dies hält zwar, an Canaris anknüpfend 167, das Landgericht Bremen für zulässig. Es führt aus, die in den Grundrechtsvorschriften enthaltenen Wertentscheidungen wirkten insbesondere über die privatrechtlichen Generalklauseln in das Privatrecht ein; sie begründeten hier für den übermäßig belasteten Minderjährigen den Einwand des Rechtsmißbrauchs (§ 242) 168 . Der Einwand des Rechtsmißbrauchs paßt jedoch für die vorliegende Konstellation nicht 169 . Die Fallgruppen, die sich im Bereich der unzulässigen Rechtsausübung herausgebildet haben170 unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsstellung, Verletzung eigener Pflichten, Fehlen eines schutzwürdigen Eigeninteresses, geringfügige Interessenverletzung, widersprüchliches Verhalten - zeigen, daß das Problem nicht in den anerkannten Anwendungsbereich des Rechtsmißbrauch-Einwands fällt. Wenn Canaris UnVerhältnismäßigkeit als weitere Fallgruppe anführt 171, so paßt auch diese nicht, weil

167

Canaris, JZ 1990, 679 (681) und JZ 1987, 993 (1001/1002) hält im Fall übergroßer Schadensersatzpflichten stets - nicht nur bei Minderjährigen - den Einwand aus § 242 BGB iVm Art. 2 I, 1 I GG für begründet. 168 LG Bremen, NJW-RR 1991, 1432 (1433) im Anschluß an Canaris, JZ 1987, 993

(1001/1002). 169

Scharf gegen die von Canaris vertretene Auffassung: Medicus, AcP 192 (1992), 35

(67). 170

Vgl. bei Heinrichs, in: Palandt, § 242 Rdn.42-57 bzw. bei Roth, in: MünchKomm, § 242 Rdn.249-448. 171 JZ 1990, 681. 7 Goecke

98

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

hiermit bisher stets Fälle gemeint waren, in denen mehrere Möglichkeiten der Reaktion auf Pflichtverletzungen bestanden, unter welchen wegen § 242 das mildere Mittel zu wählen war 172 . Vor allem aber ist es nicht zulässig, § 242 heranzuziehen, um gegenteilige klare Entscheidungen des Gesetzgebers zu korrigieren. Anderenfalls könnten sich die Zivilgerichte über die Anwendung des § 242 stets dem Verwerfüngsmonopol des Bundesverfassungsgerichts für formelle Gesetze nach Art. 100 I entziehen und selbst die verfassungsrechtlichen Entscheidungen treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher die Anwendung von § 242 zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse dann abgelehnt, wenn ein gegenteiliger klarer Wille des Gesetzgebers erkennbar war 173 . Eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 ist daher nicht möglich. 2. Feststellung der Verfassungswidrigkeit

durch das Bundesverfassungsgericht

Da eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 nicht möglich ist, hätten die Zivilgerichte als nächstes zu fragen, ob sie selbst befugt sind, den Grundrechtsverstoß durch die geltende Regelung festzustellen, oder ob sie die Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müßten. Hierfür ist entscheidend, ob die geltende Regelung ein „Gesetz" im Sinne des Art. 1001 ist. Nur dann wären die Gerichte in einem Fall, in dem es auf die Verfassungsmäßigkeit der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 ankommt, gehalten, die Frage der Verfassungsmäßigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind „Gesetze" im Sinne des Art. 100 I nur nachkonstitutionelle Gesetze sowie Gesetze, die zwar der vorkonstitutionelle Gesetzgeber geschaffen, der nachkonsitutionelle Gesetzgeber aber „in seinen Willen aufgenommen hat" 174 . Maßgeblich für die Frage der Anwendbarkeit des Art. 1001 ist hier daher, ob der nachkonstitutionelle Gesetzgeber die - vorkonstitutionelle - Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 „in seinen Willen aufgenommen hat" 175 . Ein Bestätigungswille des Bundesgesetzgebers ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann anzunehmen, wenn eine neue, nachkonsitutionelle Norm auf die alte Norm verweist. Im Jahr 1974 hat der Gesetzgeber die Norm des § 992 geändert 172 Vgl. bei Roth, in: MünchKomm, § 242 Rdn.409; bei Heinrichs, in: Palandt, § 242 Rdn.54. 173 Vgl. BVerfGE 57, 361 (388); BVerfGE 55, 134 (143). 174 Vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 100 Rdn.6. 175 Bejahend OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (794); zweifelnd Canaris, JZ 1990, 679

(681).

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

99

und damit in ihrer neuen Fassung bestätigt176. Diese Norm verweist - als Rechtsgrundverweisung 177 - auf „die Vorschriften über den Schadensersatz wegen unerlaubter Handlungen", folglich auf die §§ 823 ff. einschließlich des § 828, die folglich ebenfalls durch den nachkonstitutionellen Gesetzgeber „in seinen Willen aufgenommen" wurden. Im Jahr 1961 hat der Gesetzgeber § 829 geändert und damit bestätigt178. Auch diese Vorschrift weist sowohl auf § 823 als auch auf § 828 hin und bestätigt sie damit. Weiterhin finden sich Bezugnahmen auf „Ansprüche aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen" in verschiedenen nachkonstitutionellen Gesetzen, so in §302 Nr. 1 InsO, §850 f II ZPO, 84 II 2 des Bundesbeamtengesetzes. Die §§ 823,249 iVm 828 II 1 dürften daher als „Gesetze" im Sinne des Art. 100 I anzusehen sein. Die Zivilgerichte hätten die Frage der Verfassungsmäßigkeit damit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine verfassungswidrige Regelung im konkreten Normenkontrollverfahren nach Art. 100 I grundsätzlich für „nichtig" zu erklären (§§ 82 I iVm 78 Satz 1 BVerfGG). Jedoch beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht in Fällen, in denen „dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit zur Verfügung stehen", darauf, die verfassungswidrige Regelung für mit der betreffenden Grundgesetzvorschrift „unvereinbar" zu erklären 179. Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht stets an, daß der Weg zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustands der Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers vorbehalten sei 180 , der das Verfassungsgericht nicht vorgreifen dürfe 181. Gleiches gilt in Fällen, in denen „der verfassungswidrige Teil der Norm nicht klar abgrenzbar ist" 182 . Auch hier beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht darauf, die Verfassungswidrigkeit lediglich festzustellen, da sich der verfassungswidrige Teil der Norm nicht isoliert für nichtig erklären lasse183.

176

Vgl. die Änderung des § 992 durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl. 1974 I, S.469). 177 Vgl. Bassenge, in: Palandt, § 992 Rdn.2 f. 178 Vgl. die Änderung des § 829 durch das Familienrechtsänderungsgesetz vom 11.8.1961 (BGBl. 1961 I, 1221). * 179 Vgl. u.a. BVerfGE 90, 263 (276); 85, 226 (237); 81, 242 (263); 77, 308 (337); 87, 114 (150); vgl. auch Pestalozza, S.346 f. 180 Vgl. BVerfGE 87, 114(150). 181 BVerfGE 85, 226 (237); 77, 308 (337); vgl. auch Pestalozza, S.346 f. 182 Vgl. BVerfGE 90, 263 (276). 183 Vgl. BVerfGE 90, 263 (276).

100

1. Teil: Die Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht

Die „Unvereinbarkeitserklärung" läßt den rechtswidrigen Zustand bestehen; sie hebt - anders als die Nichtigerklärung - die Norm nicht auf 8 4 . Was das Bundesverfassungsgericht nicht selbst tut, muß jedoch der Normgeber erledigen. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Gericht verpflichtet den Gesetzgeber, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen185. Hierfür setzt das Gericht dem Gesetzgeber häufig eine Frist 186 . Schwebende Verfahren, insbesondere jenes, welches Anlaß zur Richtervorlage nach Art. 100 I gegeben hat, sind in der Hauptsache auszusetzen, bis der Normgeber Ersatz geschaffen hat 187 . Darauf weist das Bundesverfassungsgericht zuweilen ausdrücklich hin 188 . Bei der hier untersuchten Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 bestehen, wie in Teil 3 noch zu zeigen sein wird, für den Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, den Minderjährigen von der unbegrenzten Haftung zu verschonen. Damit hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Zudem lassen sich die Fälle, in denen die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 als verfassungswidrig anzusehen wäre, nicht klar von den Fällen abgrenzen, in denen die Regelung als noch verfassungsgemäß zu betrachten ist. Daher kommt für die Regelung der §§ 823, 249 iVm 828 II 1 nur eine „Unvereinbarkeitserklärung" - eventuell verbunden mit einer bestimmten Frist zur Neuregelung an den Gesetzgeber - in Betracht. Schwebende Verfahren wären dann bis zur Abhilfe durch den Gesetzgeber auszusetzen. V. Ergebnis Unter Zugrundelegung der durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesetzten Maßstäbe bestehen Zweifel daran, ob die Regelung der §§ 823 iVm 828 II 1 und 249 mit dem Grundrecht aus Art. 2 I iVm 1 I auch insoweit vereinbar sind, als sie einsichtsfähige Minderjährige über 7 Jahren für unerlaubte Handlungen in jedem Fall, ohne Rücksicht auf Höhe des Schadens, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Minderjährigen und des Anspruchsinhabers zur vollen Schadensersatzleistung verpflichten. Die geltende Regelung ist einer korrigierenden Auslegung durch den Richter nicht zugänglich. Ein Zivilgericht hätte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 I einzuholen, wenn es die Regelung für verfassungswidrig hält. Angesichts der inhaltlichen Offenheit der dem minderjährigen Schädiger und dem Geschädigten jeweils zur Seite stehenden Grundrechte und des weiten Spielraums, den eine an den Kategorien des Verhältnismäßigkeitsprinzips orientierte Abwägung der beiderseitigen 184 185 186 187 188

Pestalozza, S.354 Rdn.129. Pestalozza, S.354 Rdn.129. Vgl. u.a. BVerfGE 90, 263 (276 f.); 85, 226 (238); 87, 114 (151). Pestalozza, S.359 Rdn.139 sowie S.357 f. Rdn.136. Vgl. u.a. BVerfGE 90, 263 (277); 85, 226 (238); 81, 242 (263).

3. Abschnitt: Bewertung der geltenden Regelung

101

Grundrechte dem Verfassungsinterpreten gewährt, läßt sich eine zuverlässige Prognose über die Erfolgsaussichten einer Normenkontrolle oder Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht nicht stellen.

2. Teil

Rechtsvergleich: Die Begrenzung der Deliktshaftung Minderjähriger in anderen Rechtsordnungen Nachdem die Bewertung der unbegrenzten Deliktshaftung Minderjähriger in Teil 11 ergeben hat, daß das geltende Recht geändert werden muß, um eine Begrenzung der Haftung des Minderjährigen zu erreichen, werden im folgenden Teil 2 die Regelungen anderer Staaten zu dieser Frage untersucht, um hierdurch Anregungen und Anschauungsobjekte ftir Änderungsmöglichkeiten zu gewinnen. Der Rechtsvergleich wird hierbei bestätigen, daß es sich bei der Frage, inwieweit Minderjährige für die von ihnen angerichteten Schäden einstehen müssen, um ein überaus schwer zu lösendes Problem handelt. Das zeigt sich bereits daran, daß eine allen Staaten gemeinsamen Rechtsüberzeugung zu dieser Frage überhaupt nicht erkennbar wird. Vielmehr haben die verschiedenen Rechtsordnungen sehr unterschiedliche Antworten auf diese Frage gefunden. Dies ist besonders aufschlußreich vor dem Hintergrund, daß in anderen Bereichen des Deliktsrechts die Abweichungen der Rechtsordnungen voneinander verhältnismäßig gering sind. Es ist - soweit ersichtlich - in allen Rechtsordnungen vollkommen selbstverständlich, daß ein Erwachsener, der vorsätzlich oder fahrlässig Körper oder Eigentum eines anderen beschädigt, grundsätzlich voll ersatzpflichtig ist2. Ebenso selbstverständlich haften in jeder Rechtsordnung die Eltern, wenn sie durch eigenes pflichtwidriges Verhalten - sei es durch Tun, sei es durch Unterlassen - dazu beitragen, daß ein Minderjähriger vorsätzlich oder fahrlässig Körper oder Eigentum eines anderen beschädigt3. Schädigt jedoch ein Minderjähriger auf diese Weise vorsätzlich oder objektiv fahrlässig einen anderen, so hat das für ihn in den verschiedenen Staaten sehr unterschiedliche Folgen, da die deliktsrechtliche Haftung Minderjähriger in den verschiedenen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede in Voraussetzungen und Umfang aufweist.

1

Vgl. 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 5. Vgl. in diesem Teil: 1. Abschnitt, A. II. 1. (für die Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises) sowie 2. Abschnitt, Α. I. und A. II. (für die Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises). 3 Vgl. dazu die Nachweise in 3. Teil, 4. Abschnitt, C. I. 2

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

103

Im folgenden sollen zunächst die Rechtsordnungen des sogenannten kontinental-europäischen Rechtskreises (Civil Law) untersucht werden. Danach wird die Rechtslage in dieser Frage in den Rechtsordnungen des angloamerikanischen Rechtskreises (Common Law)4 betrachtet.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises A. Überblick Auf Grund der Vielgestaltigkeit der anzutreffenden Regelungen zur Deliktshaftung Minderjähriger in den Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises ist es nicht nur unmöglich, eine gemeinsame Rechtsüberzeugung aller Staaten festzustellen. Es ist sogar schwierig, wenigstens bestimmte Staaten nach gemeinsamen Merkmalen zu Gruppen zusammenzufassen. L Bisherige Einteilungen Die, soweit ersichtlich, einzigen deutschen Autoren, die zum Thema der Minderjährigenhaftung rechts vergleichende Hinweise geben, sind Deutsch im Abschnitt „Verschuldensfähigkeit und Haftungsfahigkeit" in seinem Lehrbuch „Haftungsrecht" (Band 1) und von Bar in einem Gutachten für das Bundesjustizministerium zur Reform des Deliktsrechts im Abschnitt „Haftung Minderjähriger und Schuldunfähiger" 5. Sie teilen die Rechtsordnungen hinsichtlich der Haftung „Minderjähriger" (Deutsch) bzw. Junger Täter" (von Bar) sowie Geisteskranker in vier Gruppen nach folgenden Kriterien ein: 1. Volle Haftung. 2. Volle Entschuldigung, Schaden trägt der Verletzte. 3. Sondergruppe der Staaten des angolamerikanischen Rechtskreises. 4. Haftung nach Billigkeitserwägungen. Die gleiche Einteilung findet sich im französischen Lehrbuch „Responsabilité civile" von Mazeaud/Tunc e, auf welches sich beide Autoren im Laufe ihrer Ausführungen mehrfach berufen 7. Allerdings beziehen sich die rechtsvergleichenden

4 Zur Einteilung der Rechtsordnungen der Welt in diese zwei großen Rechtskreise vgl. Rheinstein/von Borries, Einführung in die Rechtsvergleichung, S.77 f. 5 Deutsch, S.300 f.; von Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 1739 f. 6 Mazeaud/Tunc, Responsabilité civile, Bd. 1, 6. Auflage, Nr.475. 7

Deutsch, S.300 f.; von Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 1739 f.

104

2. Teil: Rechtsvergleich

Hinweise bei Mazeaud/Tunc nicht auf die Haftung Minderjähriger, sondern ausschließlich auf die Haftung der „«déments ", also der Geisteskranken8. Diese Einteilung, welche von Mazeaud/Tunc für die Haftung Geisteskranker aufgestellt wurde, scheint auf Minderjährige nicht übertragbar zu sein. Hier sprechen mehrere Gründe dafür, bei der Einteilung der verschiedenen Regelungssysteme noch weiter zu differenzieren. Zum einen ist beim Minderjährigen zu beachten, daß das Ob und das Ausmaß der Haftung entscheidend vom Alter und/oder von dessen individuellen Fähigkeiten abhängt. Es kann daher oft nur für bestimmte Altersstufen - unter Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Einzelnen - gesagt werden, ob der Minderjährige voll, überhaupt nicht, oder nach Billigkeit haftet. Eine allgemeine Aussage darüber, ob „Minderjährige" bzw. „Kinder", „Jugendliche" oder, junge Täter" 9 in einem bestimmten Staat ganz, gar nicht oder nach Billigkeit haften, kann dagegen meist nicht getroffen werden. Sicherlich wollten Deutsch und von Bar ihre rechtsvergleichenden Hinweise auch nur auf einsichtsunfähige Minderjährige bezogen verstanden wissen. Aber selbst eine gemeinsame Abhandlung der als einsichtsunfähig angesehenen Minderjährigen und der Geisteskranken stößt auf Schwierigkeiten, da selbst die Haftung dieser beiden Personengruppen in vielen Staaten jeweils eigenen, von einander verschiedenen Regeln folgt. So haften auf Grund jungen Alters noch einsichtsunfähige Minderjährige in Belgien nicht10, Geisteskranke dagegen gemäß

8

Auch wenn die Zugehörigkeit der rechtsvergleichenden Hinweise (überschrieben mit: "Projets et propositions de lois - Droit comparé", vgl. Mazeaud/Tunc, Nr.475) zum Gliederungspunkt "A. Responsabilité de l'individu privé de raison: fou, infans, etc." (vgl. Mazeaud/ Tunc, Nr.448) zunächst etwas anderes vermuten lassen würde, ergibt sich der Bezug auf die Geistekranken aus dem Text der rechtsvergleichenden Hinweise sowie aus den von Mazeaud/Tunc zitierten Gesetzesvorschriften: Bereits im Anfangssatz des entsprechenden Abschnitts heißt es (S.535): "Puisque la jurisprudence ne peut se résoudre à indemniser la victime d'un dément, il appartient au législateur de l'y contraindre". Vgl. ferner Nr.475, S.536: "...l'Espagne et le Portugal refusent de tenir compte de la démence" und S.537: "la plupart des auteurs..considèrent que la démence n'est pas en elle-même une cause d'exoneration". Mazeaud/Tunc, Nr.475 zitieren auch - soweit in den Staaten die Haftung Minderjähriger und Geisteskranker in jeweils eigenen Bestimmungen geregelt ist - jeweils nur die die Geisteskranken betreffenden Vorschriften: In Fn.12 Art. 452/453 und nicht Art. 450/451 des russischen ZGB von 1964; in Fn.13 Art. 2377/2378 und nicht Art. 2379 des portugiesischen C.civ. von 1867; in Fn.23 Art. 1386bis des belgischen C.civ, der ausschließlich Geisteskranke betrifft; in Fn.25 Art. 915 und nicht Art. 916/917 des griech. ZGB von 1940. 9

Vgl. die bei Deutsch, Haftungsrecht Bd. 1, S.300 f. und von Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S.1739 f. verwendeten Begriffe. 10 Ständige Rechtsprechung in Belgien, vgl. in diesem Abschnitt, Ε. I. 1. b.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

105

Art. 13866/5 C.civ. nach Billigkeit 11 ; in den Niederlanden haften Minderjährige unter 14 Jahren überhaupt nicht, während Geisteskranke uneingeschränkt haften 12. Eine ausführliche rechtsvergleichende Untersuchung der Minderjährigenhaftung findet sich noch in der International Encyclopedia of Comparative Law u. Zwar wird in dieser Darstellung die Haftung Minderjähriger immerhin gesondert von der Haftung Geisteskranker behandelt. Jedoch wird auch hier bei der Einteilung nicht nach Altersstufen differenziert, sondern es werden ähnlich der gerade genannten Einteilung drei Gruppen gebildet unter den Überschriften 14: i. „Complete Liability" ii. „Total Immunity" und iii."Liability Based on Equitable Considerations" Allen genannten rechtsvergleichenden Untersuchungen ist gemeinsam, daß sie kaum oder gar nicht auf die Frage eingehen, in welchem Umfang der Minderjährige haftet. In nicht wenigen Staaten bestehen für den Minderjährigen auch hinsichtlich des Haftungsumfanges besondere, von den allgemeinen Vorschriften abweichende Regeln. Das Ausmaß der Haftung kann aber für Schädiger wie Geschädigten eine fast ebenso große Bedeutung haben wie das Ob der Haftung. IL Eigene Einteilung Aus diesen Überlegungen ergeben sich für die vorliegende Einteilung und Darstellung der Vorschriften zur Minderjährigenhaftung in den Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises zwei Zielvorgaben. Zum einen müssen Einteilung und Darstellung berücksichtigen, daß die Haftung des Minderjährigen von dessen Alter und/oder seiner Einsichtsfähigkeit abhängt. Zum anderen soll aus Einteilung und Darstellung ersichtlich werden, in welchem Umfang der Minderjährige haftet, falls die betreffende Vorschrift dessen Haftung anordnet. Der vorliegenden Einteilung liegt hierbei der Gedanke zu Grunde, daß sich die gesetzlichen Vorschriften zur Deliktshaftung Minderjähriger in den untersuchten Staaten stets als Einschränkung des deliktsrechtlichen Grundtatbestandes auffassen lassen. Denn in allen untersuchten Staaten werden die Minderjährigen grund11 Es ist daher zumindest irreführend, wenn Deutsch und von Bar Belgien unter die Gruppe einordnen, in denen "junge oder debile Täter" bzw. "junge oder geistesgestörte Täter" nach Billigkeit haften. 12 Vgl. Buch 6 Art. 164 NBW (Minderjährige unter 14 Jahren) einerseits und Buch 6 Art. 165 (Geisteskranke) andererseits, zu den Motiven hierzu vgl. Vranken, AcP 191 (1991), S.419, zur Deliktshaftung Minderjähriger in den Niederlanden näher in diesem Abschnitt, B. III. 13 Limpens/Kmithof7Meinertzhagen-Limpens, IECL XI, 2-194 ff. 14 Vgl. die Abschnittsüberschriften vor Nr. 2-196, 2-203, 2-206 und Nr. 2-195.

106

2. Teil: Rechtsvergleich

sätzlich den allgemeinen, für alle Personen geltenden deliktsrechtlichen Grundtatbeständen (wie § 823) unterworfen (dazu unten 1.). Die speziellen Vorschriften zur Deliktshaftung Minderjähriger schränken dann diesen Grundtatbestand für die Minderjährigen in gewissem Umfang wieder ein (wie § 828) (dazu unten 2.). Inwieweit der Grundtatbestand durch die speziellen Vorschriften zurückgenommen wird, wieweit also die Haftung des Minderjährigen durch die speziellen Vorschriften begrenzt wird, darin unterscheiden sich die Rechtsordnungen. Hierbei lassen sich die Rechtsordnungen - entsprechend der genannten zwei Zielvorgaben - nach zwei Gesichtspunkten einteilen: Einmal danach, für welchen Personenkreis, d.h. insbesondere für welche Altersgruppe der Grundtatbestand zurückgenommen, also die Haftung begrenzt wird (dazu unten 2.a)). Zum anderen danach, in welchem Umfang die Haftung des betreffenden Personenkreises begrenzt wird, ob also der betreffende Personenkreis vollkommen von der Haftung freigestellt wird, oder ob lediglich die Möglichkeit zu einer Herabsetzung der Schadensersatzhöhe besteht (dazu unten 2 b)). In manchen Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises fehlen spezielle gesetzliche Vorschriften zur Deliktshaftung Minderjähriger (z.B. Frankreich, Belgien, Luxemburg, Spanien). In diesen Staaten hat zum Teil die Rechtsprechung besondere Grundsätze zur Einschränkung des deliktsrechtlichen Grundtatbestands bei Minderjährigen entwickelt. Soweit sich eine gefestigte Rechtsprechung in diesem Sinne herausgebildet hat, soll diese für Einteilung und Darstellung der Rechtsordnungen berücksichtigt werden. Soweit es an einer gefestigten Rechtsprechung zur Minderjährigenhaftung fehlt (Spanien), soll die in der Literatur hierzu vertretene Ansicht maßgeblich sein. Nicht nur bei diesen Staaten, auch bei den Staaten mit speziellen Vorschriften zur Minderjährigenhaftung sollen die Ergebnisse der Rechtsprechung - soweit sie dem Verfasser zur Verfügung standen - bei Einteilung und Darstellung der Rechtsordnungen beachtet werden. Denn trotz der gesetzlichen Regelung der Minderjährigenhaftung in diesen Staaten ergeben sich aus den gesetzlichen Vorschriften oft weite Auslegungsspielräume, so daß erst die Beachtung von gesetzlicher Regelung und Rechtsprechung ein vollständiges Bild über die Rechtslage bei der Deliktshaftung Minderjähriger entstehen läßt. Außer Betracht bleiben für die Einteilung der Rechtsordnungen allerdings allgemeine haftungseinschränkende Vorschriften, also Vorschriften, die den Grundtatbestand für alle Personen, nicht lediglich für Minderjährige zurücknehmen (vgl. unten 1.), es sei denn, daß sie nachweisbar insbesondere auch auf Minderjährige angewandt werden bzw. angewandt werden sollen (so in der Schweiz, Art. 43 1 OR, und in den Niederlanden, Buch 6 Art. 109 NBW). Sie werden, soweit sie auch für Minderjährige Bedeutung haben können, nur in der Darstellung der jeweiligen Rechtsordnung erwähnt.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

107

Die hier zugrundegelegte Einteilung der Rechtsordnungen - unter Beachtung sowohl der gesetzlichen Vorschriften also auch der Rechtsprechung - nach den beiden oben genannten Kriterien, also einmal nach dem Personenkreis, der jeweils Haftungsmilderung genießt, zum anderen nach der Art der Haftungsmilderung, soll zunächst durch eine Tabelle anschaulich gemacht werden (Tabelle zu A.II.). Im Anschluß daran soll diese Einteilung näher erläutert werden (A.II.l. ff.).

2. Teil: Rechtsvergleich

108

Tabelle zu A.II.: Art und Umfang der Haftungsmilderungen für Minderjährige im Deiiktsrecht der Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

ART

flir

durch Mj.

DER Freistel-

Schweiz0

unter

10 Jahren

vg ID. wenn einsichtsunfahig (bzw. unter 7 Jahren)

vgl.E.

Freistellung Begrenzung der und/oder

Schadensersatzhöhe

Art.18,16 ZGB

Rspr./Art.43 I OR, 54 OR Kap.2 § 2 SkadestL Kap.2 § 2 SchadG Kap.l § 1-1 LSkad § 21 II 2 MündG Buch 6 Art. 109

Schweden Finnland Norwegen Island Niederlande 10 Buch 6 Art. 164 VR China Albanien 10 Art.338 I

vgLB.

vg/.C.

IL

lung

jeden Alters

unter 13-16 Jahren

H A FTUΝ GSM I L D E R U Ν G

0 Rspr. Art.450, Österreich* 451 Dänemark ehem. Sowj. c ) Brasilien Art.5, Polen Art. 426 156 Spanien*0 (?) Guatemala Art. 1660

Rußland

Argentinien Kolumbien Uruguay El Salvador 0

0 Art. 1076 Griechenland Art.916 Art.2346 Art. 1322 Art.2070

Frankreich Belgien Luxemburg Spanien8* Québec

ält.Rspr. Rspr. Rspr. Lit. Art. 1457 Art.2319 § 422 I 1 Art.712 Art.753

Chile Tschech. Japan Korea

Deutschland Italien Portugal Ungarn fr. Jugosl. Taiwan Ägypten Libanon

§ 828 Art.2046 Art.488 § 347 I Art. 160 Art.187 I Art. 164 I Art. 122 II

§§ 133 AGZivR Art.339 II §§ 1310 HS 5, 1308, 21 II 2 § 63 HS 2 MyndL Art.428 Art.20 Primera , 8 C.pen. Art.918

§ 829 Art.2047 II Art.489 § 347 II Art. 169 BOblG Art.187 II Art. 164 II Art. 122 III

Keine Haftungsmilderung fiir Mj.: Frankreich (Rspr. seit 1984), Mexiko (Art. 1911 unbegr. Haftung jed. subsidiär)

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

109

Anmerkungen zur Tabelle a)

Grundsätzliche Freistellung urteilsunfahiger Minderjähriger; Haftungsbegrenzung fur

urteilsfähige Minderjährige. b)

Freistellung Minderjähriger unter 14 Jahren; Haftungsbegrenzung für Minderjährige

über 14 Jahren. c)

Gesetzesvorschriften der jeweiligen Staaten siehe bei C. I. 2.

d)

Grundsätzliche Freistellung einsichtsunfahiger Minderjähriger, Haftungsbegrenzung

für einsichtsfahige Minderjährige unter 14 Jahren. e)

bei Straßaren Schädigungen, vgl. die Darstellung unter C. II. 4.

0

Haftungmilderung auch für einsichtsunfähige Minderjährige unter 10 Jahren.

8)

bei nicht strafbaren Schädigungen, vgl. die Darstellung unter C. II. 4.

(?) Die Zugehörigkeit Spaniens (bei strafbaren Schädigungen) zu dieser Rubrik ist unsicher.

1. Grundsätzliche Haftung Minderjähriger nach dem jeweiligen deliktsrechtlichen Grundtatbestand Das Deliktsrecht der untersuchten Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises kennt stets einen Grundtatbestand (entsprechend § 823, ergänzt durch 826 BGB) und zusätzlich meist besondere Einzeltatbestände (wie §§ 824 ff, 831 ff.) 15. Die Minderjährigen unterliegen grundsätzlich in allen untersuchten Ländern dem jeweiligen Grundtatbestand des Deliktsrechts. Sie haften also grundsätzlich, wenn die Voraussetzungen dieses Tatbestands vorliegen. Der Grundtatbestand des jeweiligen Deliktsrechts setzt jeweils zumindest eine schädigende Handlung, Kausalität zwischen Handlung und Schaden sowie Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Handelnden voraus 16. In allen untersuchten Staaten gilt damit wie in Deutschland das Prinzip der Verschuldenshaftung, also der Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Bei der Anwendung des deliktsrechtlichen Grundtatbestands durch die Rechtsprechung im Bereich der Fahrlässigkeitshaftung besteht in manchen Staaten die Besonderheit, daß an den Minderjährigen geringere Sorgfaltsanforderungen ge-

15 Zum Begriff des Grundtatbestandes in Abgrenzung von den Einzeltatbeständen vgl. Larenz, § 71 I. 16 Europäische Staaten: vgl. z.B. Art. 1382 franz., belg. und lux. C.civ.; Art. 1902 span. C.civ., Art. 2043 italien. C.civ.; Art. 483 portug. C.civ.; Art. 914 griech. BGB; § 1295 österr. ABGB; Art. 41 Schweiz. OR; Buch 6 Art. 162 niederl. NBW; Kap. 2 § 1 schwed. SkadestL; Kap. 2 § 1 finn. SchadG; Dänemark: vgl. Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.87: Außereuropäische Staaten: vgl. z.B. Art. 1457 C.civ. Québec; Art. 2314 chilen. C.civ.; Art. 1910 mexikan. C.civ.; Art. 1319 C.civ. Uruguay; Art. 709 japan. BGB; Art. 184 taiwan. BGB; Art. 122 I liban. C.civ.; Art. 163 ägypt. C.civ.

110

2. Teil: Rechtsvergleich

stellt werden als an den Erwachsenen. Dies entspricht der Rechtslage bei uns (vgl. die Rspr. in Deutschland zur Fahrlässigkeit bei Minderjährigen, Teil 1, Abschnitt 1,2.2.).

Als Rechtsfolge des deliktsrechtlichen Grundtatbestands wird meist die volle Haftung angeordnet: Derjenige, der die Voraussetzungen des deliktsrechtlichen Grundtatbestandes erfüllt hat, ist stets verpflichtet, den ganzen Schaden zu ersetzen, ohne daß die Höhe der Ersatzpflicht reduziert werden könnte. In diesen Staaten gilt, wie in Deutschland, das Alles-oder-Nichts-Prinzip 17. Demgegenüber ist in manchen Staaten die Verpflichtung zur Schadenersatzleistung aus dem deliktsrechtlichen Grundtatbestand begrenzbar: Es gelten dort allgemein geltende Ermächtigungen an den Richter, Schadensersatzansprüche unter bestimmten Voraussetzungen herabzusetzen (allgemeine Reduktionklauseln)18. Solche allgemein geltenden Reduktionsklauseln finden sich etwa in den Niederlanden (Buch 6 Art. 109 NBW), Dänemark (§24 EAL), Schweden (Kap. 6 § 2 SkadestL), Finnland (Kap. 2 § 1 Satz 2 SchadG); Portugal (Art. 494 C.civ.), Spanien (. 1103 C.civ.), Argentinien (Art. 1069 II C.civ.), den meisten osteuropäischen Staaten19, sowie einigen asiatische Staaten20. Da diese Reduktionsklauseln Art jeweils allgemein - mindestens für alle Fälle deliktsrechtlicher Schadensersatzpflichten - gelten, können sich daraus Haftungsmilderungen auch für Minderjährige ergeben. 2. Haftungsmilderung für Minderjährige In wenigen Rechtsordnungen werden neben den allgemeinen keine weiteren besonderen Haftungsvoraussetzungen bei Minderjährigen aufgestellt. Der Minderjährige haftet hier also unter den gleichen Voraussetzungen wie der Erwachsene (so in Frankreich seit 1984). Die weitaus meisten Rechtsordnungen sehen zusätzliche Bedingungen vor, die bei Schädigungen durch Minderjährige zu beachten sind (wie etwa § 828). Diese Zusatzbedingungen bewirken eine Milderung der Haftung des Minderjährigen und schützen den Minderjährigen davor, im Haftungsrecht ebenso streng wie ein Erwachsener behandelt zu werden.

17

Dies ist etwa der Fall in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Italien, Österreich, im Québec, in Griechenland, Chile, Mexiko, Kolumbien, Uruguay. 18 Ausführliche rechtsvergleichende Übersicht hierzu bei Stoll, in: IECL XI, Chapter 8, Consequences of Liability: Remedies, 8-163 ff., sowie bei Stoll, RabelsZ 1970, S.491 ff. 19 Polen: Art. 440 ZGB, Ungarn: Art. 339 Abs. 2 ZGB, Tschechische Republik: Art. 450 ZGB, Rußland: Art. 458 Abs. ZGB,. 20 Republik China (Taiwan), Art. 218 ZGB; Südkorea, Art. 765 Abs. 2 BGB.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

111

a) Durch Haftungsmilderung geschützter Personenkreis Die Rechtsordnungen der verschiedenen Staaten unterscheiden sich darin, welcher Personenkreis innerhalb der Minderjährigen in den Genuß der Haftungsmilderung kommt. Nach dem geschützten Personenkreis lassen sich vier Gruppen von Rechtsordnungen unterscheiden: aa) Haftungsmilderung für alle Minderjährigen Die 1. Staatengruppe sieht Haftungsmilderungen für alle Minderjährigen vor. Hierzu gehören die skandinavischen Staaten, die Schweiz, die Niederlande, Albanien und die VR China. bb) Haftungsmilderung für Minderjährige unter 13-16 Jahren Bei der 2. Staatengruppe sind alle Minderjährigen unter 13-16 Jahren durch Haftungsmilderung geschützt. Zu dieser Staatengruppe gehören Polen (Minderjährige unter 13 Jahren); Österreich (Minderjährige unter 14 Jahren); Dänemark, Rußland, einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Guatemala (Minderjährige unter 15 Jahren); sowie Spanien - bei Straßaren Schädigungen - und Brasilien (Minderjährige unter 16 Jahren). Die Gemeinsamkeit dieser Staaten besteht darin, daß sie jedenfalls Minderjährige vor der Pubertät generell vor der vollen deliktischen Haftung schützen. cc) Haftungsmilderung für Minderjährige unter 10 Jahren Die 3. Staatengruppe sieht eine Haftungsmilderung für alle Minderjährigen unter 10 Jahren vor. Zu dieser 3. Staatengruppe gehören die lateinamerikanischen Staaten Argentinien, Kolumbien, Uruguay und El Salvador sowie Griechenland. Zum Teil wird dieser Schutz über diesen Personenkreis hinaus auch noch auf einsichtsunfahige Minderjährige über 10 Jahren erstreckt (El Salvador, Griechenland). dd) Haftungsmilderung für einsichtsunfähige Minderjährige (bzw. Minderjährige unter 7 Jahren) Die 4. Staatengruppe schützt jedenfalls das einsichtsunfähige Kind vor strenger Haftung. Die Rechtsordnung dieser Staaten geht von der Annahme aus, vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten sei einer Person nur dann zurechenbar, wenn dessen individuelle Verstandesfähigkeiten bereits ausreichend entwickelt sind. Diese Verstandesfähigkeiten werden in den Vorschriften dieser Staatengruppe unterschiedlich umschrieben und es werden an sie unterschiedliche Anforderun-

112

2. Teil: Rechtsvergleich

gen gestellt. In jedem Fall wird die Einsichtsfähigkeit verlangt. Von manchen Staaten wird zusätzlich die Willens- oder Steuerungsfähigkeit vorausgesetzt21. Nicht immer bezeichnen diese (zumindest) auf die Einsichtsfähigkeit abstellenden Vorschriften ausdrücklich, daß es hierbei um eine haftungseinschränkende Vorschrift für Minderjährige geht. In diesen Fällen wird dann lediglich gesagt, daß (zumindest) einsichtsunfähige Personen nicht oder nur nach Billigkeit haften (z.B. Italien, Art. 2046). Der Sache nach beziehen sich diese Vorschriften aber vor allem auch auf Minderjährige. Sie sind nur weiter gefaßt, um auch andere Ursachen von Einsichtsunfähigkeit, also vor allem Geisteskrankheit, mit zu erfassen. Die Entscheidung über die Frage der Einsichtsfähigkeit hat in diesen Staaten der Richter zu treffen, ohne daß ihm feste Altersgrenzen als Entscheidungshilfe vorgegeben werden. Nur manche Staaten - so Deutschland, Portugal, Chile, Staaten des ehemaligen Jugoslawien - sehen zusätzlich noch eine feste Altersgrenze vor, bei der die Einsichtsunfähigkeit absolut (Deutschland, Chile, ehem. Jugoslawien) oder widerleglich (Portugal) vermutet wird, wobei jeweils die aus dem römischen Recht bekannte 7-Jahres-Grenze gewählt wird. Die meisten Staaten verzichten auf eine entsprechende Festlegung. Jedoch fällt auf, daß sich die in der Praxis erzielten Ergebnisse bei den Staaten, die das Alter von 7 Jahren neben der Einsichtsfähigkeit als Haftungsvoraussetzung vorsehen, und den Staaten, die ausschließlich auf die Einsichtsfähigkeit abstellen, weitgehend entsprechen. Auch in der letzteren Gruppe von Staaten sieht die Rechtsprechung - soweit sie untersucht wurde - Kinder unter 7 Jahren fast immer als einsichtsunfähig an, mit der Folge, daß auch in diesen Staaten Kinder unter 7 Jahren grundsätzlich Haftungsmilderungen genießen. Daher werden in der vorliegenden Einteilung beide Gruppen zu einer Staatengruppe zusammengefaßt. Zu dieser 4. Staatengruppe lassen sich zuordnen: neben Deutschland die romanischen Staaten Belgien, Luxemburg, Québec, Italien, Portugal, viele lateinamerikanische Staaten, einige osteuropäische Staaten wie Ungarn, die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, die Tschechische Republik und die Slowakische Republik, viele arabische und asiatische Staaten. Dieses System geht auf das römische Recht zurück 22, hat dann Eingang in Kodifikationen (Deutschland, Österreich bis 1916, Chile) bzw. Gerichtspraxis (Frankreich, Belgien, Québec) des 19. Jahrhunderts gefunden, und ist in zahlreiche Kodifikationen des 20. Jahrhunderts übergegangen (Italien, Portugal, osteuropäische, arabische, asiatische Kodifikationen).

21 22

Zu diesen Begriffen, vgl. 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. I. Vgl. 1. Teil, 2. Abschnitt, B.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

113

b) Art der Haftungsmilderung Innerhalb jeder der vier gerade genannten Staatengruppen lassen sich jeweils zwei Arten der Haftungsmilderung unterschieden. aa) Haftungsmilderung durch Freistellung In einigen Staaten wird die Haftung des Minderjährigen in der Weise begrenzt, daß er, soweit er dem geschützten Personenkreis angehört, von der Haftung vollkommen freigestellt wird. So werden in Belgien, Luxemburg, im Québec, in der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik, in Japan und in Südkorea einsichtsunfähige Kinder von der Haftung freigestellt. In den Niederlanden und Albanien werden Minderjährige unter 14 Jahren, in der Russischen Föderation, einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie in Guatemala werden Minderjährige unter 15 Jahren und in Brasilien Minderjährige unter 16 Jahren von der Haftung freigestellt. bb) Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadenersatzhöhe Die zweite Möglichkeit der Haftungsmilderung besteht darin, dem Richter die Befugnis zu geben, die Schadensersatzhöhe herabzusetzen. In manchen Staaten tritt diese Form der Haftungsmilderung lediglich alternativ neben die grundsätzlich bestehende Freistellung, nämlich in den Fällen, in denen an die Stelle einer Freistellung ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen eine Billigkeitshaftung tritt. Bei der Billigkeitshaftung kann die Haftung des Minderjährigen dann der Höhe nach begrenzt werden. So tritt in Italien, Portugal, Ungarn, den Staaten des ehemaligen Jugoslawien sowie in einigen außereuropäischen Staaten alternativ zur grundsätzlichen Freistellung einsichtsunfähiger Kinder eine der Höhe nach begrenzbare Billigkeitshaftung für diesen Personenkreis. In anderen Staaten dagegen tritt Haftungsmilderung nur in der Form der Begrenzung der Schadenersatzhöhe auf. Dies gilt etwa für die skandinavischen Staaten sowie für Spanien (bei zivilrechtlichen Ansprüchen wegen strafbarer Handlungen) und die VR China. III. Mögliche Gründe für die Entwicklung und Herausbildung der verschiedenen Regelungssysteme bei der Deliktshaftung Minderjähriger Wie bereits ausgeführt, geht die Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger in den Staaten der 4. Staatengruppe (Haftungsmilderung für einsichtsunfähige Minderjährige bzw. Mindeijährige unter 7 Jahren) auf das römische Recht zurück. Fragt man nach den Gründen für die weitergehende Haftungsmilderung, die die Minderjährigen in den Staaten der 1. bis 3. Staatengruppe genießen, erscheint die 8 Goecke

114

2. Teil: Rechtsvergleich

Annahme plausibel, daß die Regelungen zur Deliktshaftung Minderjähriger in diesen Staaten meist durch das jeweilige nationale Strafrecht und dessen Vorschriften über die Strafmündigkeit beeinflußt wurden. Diese Annahme geht davon aus, daß in diesen Staaten das Deliktsrecht an einer Entwicklung im Strafrecht teilgenommen hat, die um die Mitte des 19.Jahrhunderts begann und allmählich das Strafrecht überall in Europa veränderte. Das römische Recht hatte noch nicht scharf zwischen Haftungsrecht und Strafrecht getrennt, so daß nicht nur im Haftungsrecht das Alter von 7 Jahren und die Einsichtsfähigkeit Voraussetzung der Verantwortlichkeit war, sondern ebenso im Strafrecht. Im Strafrecht des gemeinen Rechts galt dies ebenso23, auf Grund des Einflusses des römischen Rechts galt die Regel Anfang des 19. Jahrhunderts auch im französischen Strafrecht 24, im englischen und schottischen25, schwedischen26, spanischen27, russischen28 Strafrecht und wohl weitgehend überall sonst in Europa. Unter dem Einfluß der gewandelten Strafrechtstheorien und dem Aufkommen des Erziehungs- und Besserungsgedankens im Strafrecht um die Mitte des ^.Jahrhunderts begann sich vor allem im Jugendstrafrecht überall in Europa langsam der Erziehungsgedanke durchzusetzen. Das führte bald dazu, daß bei Kindern die Strafe zunehmend überhaupt für sinnlos erachtet, und stattdessen auf Erziehung gesetzt wurde. In der Folge wurden überall in Europa die Strafmündigkeitsgrenzen allmählich nach oben verschoben29. Bald waren in den Staaten des kontinental23

Vgl. Waibel, S.19. Vgl. Waibel, S.22. 25 Vgl. Schuster, in: von Liszt, Das Strafrecht der europäischen Staaten, S.611 (626). 26 Vgl. Igney, S.59. 27 Vgl. Rosenfeld, in: von Liszt (Hrsg.), Das Strafrecht der Staaten Europas, S.483 (500). 28 Art. 94 des Strafgesetzes in der Fassung von 1866. 29 In Deutschland 1871 auf 12 Jahre (§ 56 RStGB), 1923 auf 14 Jahre (§ 3 JGG), in Norwegen 1842 auf 10 Jahre (vgl. Getz, in: von Liszt, Das Strafrecht der Staaten Europas, S.227 [229/230]), 1902 auf 14 Jahre (§ 46 Strafgesetz), in Schweden 1864 auf 15 Jahre (Kapitel 5 § 1 Strafgesetz (vgl. Uppström, in: von Liszt, Das Strafrecht der Staaten Europas, S.244 [257]; ferner Igney, S.61., heute Kapitel 33 § 1 Strafgesetz), in Dänemark 1866 auf 10 Jahre (§ 36/37 des Strafgesetzes von 1866), 1911 (Gesetz Nr.63 vom 1.4.1911 ) auf 14 Jahre, später auf 15 Jahre (§ 15 Strafgesetz), in Spanien auf 1870 auf 9 Jahre (vgl. Rosenfeld, in: von Liszt (Hrsg.), Das Strafrecht der Staaten Europas, S.483 [507]), später auf 16 Jahre (Art. 8 C.pen. jetzige Fassung), in der. Niederlanden 1881 auf 10 Jahre (vgl. van Hamel, in: von Liszt, das Strafrecht der Staaten Europas, S.184 [196]), später auf 12 Jahre (§ 77a des Strafgesetzes jetzige Fassung), in Finnland 1889 auf 15 Jahre (Kapitel 3 § 1 Strafgesetz), in Italien 1889 auf 9 Jahre (Art. 53 C.pen. von 1889), später auf 14 Jahre (Art. 97 C.pen. jetzige Fassung), in Frankreich auf 13 Jahre (Art. 66/67 C.pen.), 24

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

115

europäischen Rechtskreises zumindest Minderjährige unter 13/14 Jahren fast gänzlich von der Strafbarkeit ausgenommen30. Während in den Staaten, die der 4. Staatengruppe zugehören, diese Entwicklung des Jugendstrafrechts im Haftungsrecht folgenlos geblieben ist - hier verharrte das Haftungsrecht bei den vom römischen Recht hergebrachten Grundsätzen hat sie sich in den Staaten, welche der 1.-3. Staatengruppe zuzurechnen sind, ausgewirkt. Und dies in der Weise, daß auch im Haftungsrecht strafunmündige Minderjährige von der vollen Verantwortlichkeit befreit wurden. Diese Annahme stützt sich auf folgende Erwägungen: - In den skandinavischen Staaten ergab sich der Einfluß des Strafrechts auf das Haftungsrecht von selbst, da das Haftungsrecht dort lange nur in den Strafgesetzen geregelt war und die haftungsrechtlichen Folgen strafbarer Handlungen festlegte. Es war nur folgerichtig, daß das Haftungsrecht dort an die jeweilige Strafmündigkeitsgrenze anknüpfte und für die Strafunmündigen eine haftungsbegrenzende Sondervorschrift vorsah 31. - Das gleiche gilt für Spanien, welches die haftungsrechtlichen Folgen strafbarer Handlungen noch heute separat im Strafgesetz regelt. Auch hier ist eine besondere Bestimmung für Strafunmündige enthalten32. - In Rußland spricht manches dafür, daß die Wirkungen des Strafrechts für die deliktsrechtliche Regelung der Minderjährigen entscheidend wurden. Der Svod Zakonov, das Gesetzbuch der Zarenzeit, hatte in erster Linie haftungsrechtliche Regeln für strafbare Handlungen enthalten, und die haftungsrechtlichen Regeln für nicht strafbare Handlungen an die ersteren angelehnt. Im Svod Zakonov gab es eine Haftungsmilderung jedenfalls für alle Minderjährigen unter 14 Jahren. Dieser Grundsatz ist von den sozialistischen Kodifikationen übernommen worden 33.

in Österreich 1929 auf 14 Jahre (§ 9 ÖstJGG), in Polen 1932 auf 13 Jahre (vgl. Andrejew, in: Mezger/Schönke/Jescheck, S.37), später auf 16 Jahre (Art. 9 § 2 Strafkodex). 30 Vgl. neben den bereits genannten Staaten: Portugal (16 Jahre, Art. 19 C.pen.), Rußland (14 Jahre, Art. 10 Abs. 2 Strafgesetz), Ungarn (14 Jahre, § 20 Strafgesetz), Tschechische Republik und Slowakische Republik (15 Jahre, § 11 Strafgesetz), Bulgarien (14 Jahre, Art. 32 Abs. 1), Island (15 Jahre, § 14 Strafgesetz), Brasilien (18 Jahre, Art. 23 C.pen.), Südkorea (14 Jahre, Art. 9 Strafgesetz). 31 Vgl. dazu näher die allgemeinen Bemerkungen zum Deliktsrecht der skandinavischen Staaten, in diesem Abschnitt, Β. I., sowie die Darstellungen zu den einzelnen skandinavischen Staaten in diesem Abschnitt, unter C. II. 3. (Dänemark) und Β. I. (übrige skandinavische Staaten). 32 Vgl. dazu in diesem Abschnitt, C. II. 4. 33 Vgl. dazu in diesem Abschnitt, C. I. 1.

2. Teil: Rechtsvergleich

116

- In Österreich wurde die Haftungsmilderung für einsichtsunfähige Kinder gerade zu einem Zeitpunkt auf alle Kinder unter 14 Jahren ausgedehnt, als bereits ein Entwurf für die Anhebung der Strafmündigkeit auf 14 Jahre ausgearbeitet war 34. - In den Niederlanden hatte der Entwurf für ein neues Bürgerliches Gesetzbuch zunächst unter Verweis auf die Strafrnündigkeitsgrenze eine haftungsrechtliche Freistellung der Kinder unter 12 Jahren enthalten, wobei die Altersgrenze im Laufe der Gesetzesberatungen sogar noch auf 14 Jahre heraufgesetzt wurde 35. Auch hier ging damit der Anstoß für eine weitergehende Haftungsmilderung für Kinder von Wertungen des Strafrechts aus. - In Polen spricht viel für die Annahme, die Altersgrenze von 13 Jahren als Voraussetzung für die volle Haftung des Minderjährigen gehe auf die Strafmündigkeitsgrenze zurück, welche bereits seit langem bei 13 Jahren lag36. - In Argentinien war wenige Jahre vor der Verabschiedung des Codigo Civil (1869), nämlich im Jahr 1865 der erste Entwurf eines Strafgesetz-buches für Argentinien veröffentlicht worden. In diesem Entwurf war die Strafmündigkeit bei 10 Jahren - der gleichen Grenze wie für die Deliktsfähigkeit im wenig später verabschiedeten Codigo Civil - festgelegt worden 37. IV. Gang der Darstellung Im folgenden soll nun die Deliktshaftung Minderjähriger in den einzelnen Staaten dargestellt werden. Auf Grund des in Teil 1 gefundenen Ergebnisses, daß der Minderjährigenschutz im Deliktsrecht erweitert werden muß, sind für die Zwecke dieser Arbeit in erster Linie die Rechtsordnungen von Interesse, in denen die Minderjährigen im Deliktsrecht stärker geschützt werden als im deutschen Recht. Zunächst werden daher die Regelungen der 1. Staatengruppe eingehend untersucht, in denen alle Minderjährigen Haftungsmilderungen gewährt werden (in der oben bei 1.2. aufgeführten Tabelle: 1. Reihe). Es folgt eine eingehende Untersuchung der Staaten der 2. Staatengruppe (Haftungsmilderung für Minderjährige unter 13-16 Jahren), bei denen die Haftungsmilderung durch Freistellung verwirklicht wird (in der Tabelle: 2. Reihe, 1. Quadrant), und danach der Staaten der 2. Staatengruppe, bei denen die Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadenersatzhöhe erreicht wird (in der Tabelle: 2. Reihe, 2. Quadrant). Anschließend werden die in der 3. Reihe aufgeführten Staaten (Haftungsmilderung für Minderjährige unter 10 Jahren) dargestellt. 34 35 36 37

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

dazu in diesem Abschnitt, dazu in diesem Abschnitt, dazu in diesem Abschnitt, dazu in diesem Abschnitt,

C. II. 2. B. III. C. II. 1. D. I. 1.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

117

Um ein vollständiges Bild der anzutreffenden Regelungen zu geben, werden schließlich noch kurz die Staaten der 4. Staatengruppe behandelt, die wie das deutsche Recht lediglich den einsichtsunfähigen bzw. unter 7jährigen Minderjährigen schützen (in der Tabelle: 4. Reihe), sowie Frankreich und Mexiko, in denen Haftungsmilderungen für Minderjährige nicht bestehen (in der Tabelle: letzte Reihe). B. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung für alle Minderjährigen /. Skandinavische Staaten Den skandinavischen Staaten ist gemeinsam, daß sie das Zivilrecht nie in einem großen Gesetzbuch kodifiziert haben. Zivilrechtliche Vorschriften finden sich in diesen Staaten verstreut in einzelnen Gesetzen, in denen bestimmte Teilbereiche des Zivilrechts niedergelegt wurden. Die außervertragliche Haftung - also Schadensersatzpflichten, welche nicht aus Vertrag resultieren - ist in den skandinavischen Staaten lange nur in den Strafgesetzen geregelt worden. Dort wurde festgelegt, unter welchen Voraussetzungen der Täter für Schäden ersatzpflichtig ist, die er durch seine Straftat verursacht hat. Lange sind also in den skandinavischen Staaten nur die Rechtsfolgen strafbarer Handlungen gesetzlich geregelt gewesen, während es für sonstige unerlaubte Handlungen an gesetzlichen Regelungen fehlte. Für nicht strafbare Delikte behalf man sich damit, die strafgesetzlichen Vorschriften analog anzuwenden. Man kann daher sagen, daß sich das Deliktsrecht in den skandinavischen Staaten aus Regelungen in den Strafgesetzen entwikelt hat38. Auch die Regeln über die deliktsrechtliche Haftung Minderjähriger lassen den strafgesetzlichen Ursprung insofern erkennen, als sie die volle Haftung erst mit der Strafmündigkeit beginnen ließen. In den neueren Schadensersatzgesetzen wurde dies beibehalten, wobei die beschränkbare Haftung dann sogar auf alle Minderjährige ausgedehnt wurde. /. Schweden a) Regelung bis 1972 Gesetzliche Bestimmungen über außervertragliche Schadensersatzpflichten finden sich in Schweden erstmals im Strafgesetz von 186439. Zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtungen im eigentlichen Sinne hatte es bis dahin nicht gegeben,

38 39

Vgl. Igney, S.58. Igney, S.58.

118

2. Teil: Rechtsvergleich

da man noch nicht zwischen Bestrafung und Schadensersatz unterschied40. Ausgleich für erlittene Schäden sollte man durch „Buße" (bot) erhalten, deren Bedeutung in der Mitte zwischen Strafe und Ersatzpflicht lag41. Untere Altersgrenze für die Auferlegung einer Buße war das dem römischen Recht entnommene Alter von 7 Jahren42. Im Strafflag (StL, Strafgesetz) von 1864 war dann neben dem eigentlichen Strafrecht auch ein eigenes Kapitel (Kapitel 6) mit Vorschriften über die zivilrechtlichen Folgen strafbarer Handlungen geschaffen worden. Gleichzeitig war 1864 das Alter der Strafmündigkeit auf 15 Jahre heraufgesetzt (Kapitel 5 § 1 StL) worden. Die Schadensersatzpflicht der strafunmündigen Minderjährigen für strafbare Handlungen enthielt Kapitel 6 § 6 StL. Danach haftete der Minderjährige unter 15 Jahren ungeachtet seiner Unzurechnungsfähigkeit, soweit der Ersatz nicht von der Aufsichtsperson erlangt werden konnte, mit seinem Vermögen 43. Kapitel 6 § 6 StL wurde im Jahr 1924 neu gefaßt. Satz 1 der Neufassung hatte folgenden Wortlaut 44: „Ist der Schaden durch eine Person unter 15 Jahren... verursacht, so ist sie verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, wenn und in dem Maße wie dies unter Berücksichtigung ihrer Geistesverfassung, der Beschaffenheit der Tat und den Umständen im übrigen als angemessen zu betrachten ist."

Diese Bestimmung, die eigentlich nur für Schäden durch strafbare Handlungen galt, wurde von der Rechtsprechung auf nicht strafbare schädigende Handlungen analog angewandt45 - wie überhaupt die gesamte Regelung des 6. Kapitels des Strafgesetzes von den Gerichten bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts auf nicht strafbare unerlaubte Handlungen entsprechend Anwendung fand 46. Die Minderjährigenhaftung unterlag also in der Praxis für alle unerlaubten Handlungen - ob strafbar oder nicht strafbar - den durch Kapitel 6 § 6 StL festgelegten Regeln. Kapitel 6 des Strafgesetzes von 1864 blieb auch in Kraft, als Anfang der 60er Jahre ein neues Strafgesetzbuch das ältere ersetzte47.

40

Igney, S.57. Igney, S.57. 42 Igney, S.59. 43 Bengtsson, RIDC 1962, 33 (36): Die Bestimmung des Kapitel 6 § 6 hatte den gleichen Inhalt wie Kapitel 9 § 5 des finnischen Strafgesetzbuches von 1889. Der Wortlaut dieser Bestimmung ist unten, in diesem Abschnitt, 2.1.2., abgedruckt. 44 Deutsche Übersetzung bei Niâl/Dix, in: Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Das Zivilrecht der nordischen Länder, Teil I, Das Zivilrecht Finnlands und Schwedens, Lieferung 2b, Berlin 1939, S.123. 45 Igney, S.63. 46 Hellner, RIDC 1967, 779 (780). 47 Hellner, RIDC 1967, 779 (780) und AJCL 1974, 1 (3): Kapitel 6 StL blieb in Kraft, während der Rest des StL durch das Strafgesetz von 1962 ersetzt wurde; ebenso Igney, 41

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

119

aa) Haftungsvoraussetzungen: Verschulden, Sorgfaltsmaßstab Auch nach schwedischem Deliktsrecht ist Verschulden grundsätzlich Voraussetzung für die Schadensersatzpflicht. Bei fahrlässigem Verhalten, das in Schweden objektiv bestimmt wird 48 , stellte sich auch hier für Minderjährige die Frage des Sorgfaltsmaßstabs. Die schwedischen Gerichte haben an Minderjährige unter 15 Jahren nur verminderte Sorgfaltsanforderungen gestellt49. Ein Mindestalter für die Zurechnung von Fahrlässigkeit wurde nicht ausdrücklich festgelegt. Jedoch hatte die Rechtsprechung Kinder unter 5 Jahren in keinem Fall für haftpflichtig gehalten50. bb) Haftungsumfang Entscheidende Bedeutung maß die Rechtsprechung dem Älter des Schädigers bei - obwohl es im Wortlaut des Kapitel 6 § 6 StL nicht ausdrücklich erwähnt war. Die Gerichte neigten dazu, die Ersatzpflicht schematisch nach einer bestimmten Quote je nach Altersstufe herabzusetzen - wohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des Entscheidungsergebnisses51. Die Versicherungspraxis stellte sich auf diese Quotierung ein. Folgende Regeln bildeten sich heraus52: Alter Ersatzquote Unter 5 Jahren: Keine Ersatzpflicht 5 - 8 Jahre: 1/4 bis 1/3 des Schadens 8 - 12 Jahre: 1/4 bis 2/3 des Schadens 12-15 Jahre: 2/3 bis 3/4 des Schadens Neben dem Alter war aber auch dem Entwicklungsstand des Kindes Rechnung zu tragen 53. Bei der Beschaffenheit der Handlung nach Kapitel 6 § 6 StL prüfte die Rechtsprechung zum einen die objektive Gefährlichkeit, sowie die subjektive Einsicht in die Gefährlichkeit des Verhaltens54. Die Gerichte hielten es in diesem ZusammenS.63. Von Bar, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S.1741, behauptet demgegenüber, 1962 sei das schwedische Haftungsrecht in einen unkodifizierten Zustand übergegangen. 48 Igney, S.64. 49 Igney, S.65/66. So wurden Schädigungen im Hinblick auf das Alter als "ganz gewöhnlich" bezeichnet, und eine Haftung daher abgelehnt: Rechtsprechungsnachweise bei Igney, S.67. 50 Igney, S.67 mit Rechtsprechungsnachweisen Fn.52. 51 Igney, S.67/68. 52 Igney, 68. 53 Igney, S.68. 54 Igney, S.69.

120

2. Teil: Rechtsvergleich

hang aber auch für bedeutsam, in welchem sozialen Handlungsraum sich die Schädigung abspielte. Das Verhalten von Kindern im Straßenverkehr wurde streng gewertet, weil sich Kinder schon früh an verkehrsgerechtes Verhalten gewöhnen müßten55. Dagegen wurde das kindliche Verhalten beim Spiel milde bewertet, weil Kinder weniger Einsicht in die Risiken des Spieles hätten, und diese Risiken in gewissen Grenzen hinzunehmen seien56. Zu den übrigen Umständen im Sinne des Kapitels 6 § 6 StL wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers gerechnet, jedoch findet sich kaum eine Entscheidung, in der das Vermögen des Kindes für den Haftungsumfang entscheidend gewesen wäre 57. Das Bestehen einer Haftpflichtversicherung wurde allerdings mehrfach als Gesichtspunkt bei der Bemessung der Schadensersatzsumme herangezogen58 - nicht jedoch in der Weise, daß allein wegen des Bestehens einer Haftpflichtversicherung stets zu vollem Schadensersatz verurteilt worden wäre 59. b) Regelung seit 1972: Kapitel 2 § 2 SkadestL Im Rahmen der ersten umfassenden Kodifikation des Haftungsrechts in Schweden wurde auch die bisherige Regelung der Minderjährigenhaftung überarbeitet. Die Neufassung findet sich im Skadestândslag (SkadestL) in Kapitel 2 § 2 und hat folgenden Wortlaut 60: „Verschuldet jemand, der noch nicht 18 ist, Personen- oder Sachschaden, muß er den Schaden in dem Umfang ersetzen, wie es billig ist mit Rücksicht auf sein Alter, seine Entwicklung, die Beschaffenheit der Handlung, das Vorliegen einer Haftpflichtversicherung und die anderen wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die übrigen Umstände."

aa) Haftung, soweit Haftpflichtversicherungsschutz besteht Abgesehen davon, daß Kapitel 2 § 2 SkadestL nun auch nicht strafbare Handlungen erfaßt, liegt eine wesentliche Änderung gegenüber dem bisherigen System darin, daß das Vorliegen einer Haftpflichtversicherung ausdrücklich als Wertungskriterium genannt wird. In den Motiven des Gesetzgebers heißt es zur Neuregelung der Minderjährigenhaftung, das bisherige System habe zu große Rücksicht auf die Interessen des schädigenden Kindes genommen und die Interessen

55

Igney, S.70. Igney, S.70. 57 Igney, S.71. 58 Z.B. Högsta Domstol (Oberster Gerichtshof), 22.11.60 - Ivar Hellsing ./. Hans Brohlin - Nordisk Domssamling, S.505. 59 Igney, S.72ff., insbes. 74/75. 60 Sveriges Rikes Lag, 130. Aufl., Uppsala 1992, S.577. In deutscher Übersetzung abgedruckt bei Deutsch, Haftungsrecht I, S.301 Fn. 37 und bei Igney, S.192. 56

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

121

des Geschädigten nicht genügend gewahrt 61. Man hatte daher zunächst auch die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung erwogen 62. Davon nahm man aber wieder Abstand in der Erwägung, ein solches Pflichtversicherungssystem sei nur dort gerechtfertigt, wo besondere Schadensrisiken einen umfassenden Schutz des Geschädigten erforderten; dieser Fall sei aber bei Schädigungen durch Minderjährige nicht gegeben63. Zudem erfordere der Haftpflichtzwang einen teuren Verwaltungsapparat 64. Man hielt es daher für besser, sich die in Schweden weitverbreitete freiwillige Haftpflichtversicherung - in Schweden sind über 85% der Haushalte haftpflichtversichert 65 - nutzbar zu machen66. Dies soll dadurch geschehen, daß dem Versicherungsschutz in weit stärkerem Maße als bisher (zugunsten des Geschädigten) Rechnung getragen wird 67 . Mit der Regelung ist daher beabsichtigt - auch wenn dies im Wortlaut des Kapitel 2 § 2 nicht direkt zum Ausdruck kommt -, daß eine Herabsetzung der Ersatzpflicht ausgeschlossen sein soll, wenn der Minderjährige haftpfichtversichert ist68. Eine Herabsetzung soll grundsätzlich nur noch möglich sein, falls der Minderjährige keine Haftpflichtversicherung hat. Hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen ergeben die Motive, daß bei der Verschuldensprüfung statt des alterstypischen Sorgfaltsmaßstabes ein „etwas objektiverer" Maßstab angelegt werden soll 69 . Dadurch soll es mehr als bisher ermöglicht werden, Minderjährige im Hinblick auf ihren Versicherungsschutz zum Schadensersatz zu verpflichten 70. Ein rein objektiver Sorgfaltsmaßstab soll aber auch künftig nicht angelegt werden - so soll nach den Motiven weiterhin die Haftung der Kinder im allerjüngsten Alter ausgeschlossen sein71. Die Verschuldensunfahigkeit eines 3 Jahre und 2 Monate alten Kindes wurde demgemäß im Jahr 1974 vom Obersten Gerichtshof bestätigt72.

61 62 63 64 65 66

Igney, S.96 mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven. Igney, S.96. Igney, S.97, mit Nachweisen aus den Gesetzgebungsmotiven. Igney, S.97, mit Nachweisen aus den Gesetzgebungsmotiven. Igney, S.90. Hellner, ACJL 1974 1 (6); Igney, S.97 mit Nachweisen aus den Gesetzgebungsmo-

tiven. 67 68 69 70

Hellner, ACJL Hellner, ACJL Hellner, ACJL Igney, S.94/95

1974, 1 (6); Igney, S.90. 1974, 1 (7) mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven. 1974, 1 (7). mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven; Hellner, ACJL 1974, 1

(7).

71

Igney, S.95 mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven. Högsta Domstol (Oberster Gerichtshof), 3.2.1977 - Lars-Magnus Edfeldt./. Erik Darin - Nordisk Domssamling, S.23 (25). Allerdings war hier die Ersatzpflicht nicht voll durch die Haftpflichtversicherung gedeckt. 72

122

2. Teil: Rechtsvergleich

bb) Haftung, soweit kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht Nach den Gesetzgebungsmotiven soll es bei minderjährigen Schädigern unter 15 Jahren, wenn oder soweit der Schaden nicht durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt ist, grundsätzlich beim Rechtszustand wie unter Kapitel 6 § 6 StL bleiben - Herabsetzung unter Berücksichtigung des Alters 73. Allerdings soll die bisherige Praxis einer quotenmäßigen Verminderung durch die Herabsetzung auf bestimmte Beträge ersetzt werden. Die Ersatzpflicht lasse sich nach Billigkeitsgesichtspunkten nicht auf einen ideellen Teil des Schadens festlegen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien für die Billigkeitsabwägung von so großer Bedeutung, daß die Ersatzpflicht auf einen bestimmten Betrag festgelegt werden sollte, der die Zahlungsfähigkeit des Minderjährigen nicht übersteigt74. Ferner ist eine Änderung der Rechtsprechung zu den Sorgfaltsanforderungen an Minderjährige zu erwarten. Schon in den Jahren 1969/1970 war unter dem Einfluß der neueren schwedischen Kinderpsychologie in der Rechtsprechung eine Wende zu milderer Beurteilung typisch kindlicher Verhaltensweisen zu beobachten75. Unter Berufung auf diese Rechtsprechung gehen die Motive sogar davon aus, daß Kindern bis etwa 10 Jahren fast keine Ersatzpflicht mehr auferlegt werden darf 6 . Diese Linie wird bestätigt durch ein höchstrichterliches Urteil aus dem Jahr 197477. Die kinderpsychologischen Erkenntnisse zeigten, daß Kinder in schwierigen Situationen, insbesondere im Verkehr, stark von den Verhaltensweisen Erwachsener abweichen78. cc) Haftung 15- bis 18jähriger Eine zweite wesentliche Änderung liegt darin, daß nunmehr alle Minderjährigen - unabhängig von ihrer Strafmündigkeit, die weiterhin bei 15 Jahren liegt79 -, also auch die über 15jährigen Minderjährigen nicht mehr der vollen Haftpflicht unterliegen. Auch bei ihnen ist nun eine Billigkeitsabwägung möglich. Der erste Entwurf von 1963 hatte sogar eine derartige Privilegierung der Jugendlichen bis zum 21. Lebensjahr - dem damaligen Volljährigkeitsalter 80 - enthalten81. 73

Igney, S.105 mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven; Hellner, ACJL 1974, 1

(7).

74

Igney, S. 108 mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven. Igney, S. 135 und 89. 76 Igney, S. 106 mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven. 77 Högsta Domstol (Oberster Gerichtshof), 8.11.1974 - Curt Segerlund ./. Tore Sandberg - Nordisk Domssamling, S.469 (472/473). 78 Igney, S.106 mit Nachweis aus den Gesetzgebungsmotiven. 79 Vgl. Kapitel 33 § 1 Brottsbalk (Strafgesetz). 80 Vgl. Igney, S.91 Fn.161. 81 Igney, S.89. 75

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

123

Die Gesetzgebungsmotive ergeben, daß mit der Änderung keine generelle Privilegierung der 15- bis 18jährigen erstrebt wurde. Vielmehr sei der Minderjährige dieser Altersgruppe regelmäßig voll entwickelt und grundsätzlich wie ein Erwachsener voll ersatzpflichtig 82. Eine Herabsetzung komme in in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen in Betracht. Da eine Jugendlicher sich häufig noch in der Ausbildung befinde oder noch nicht zu einem höheren Einkommen aufgestiegen sei, könne eine Ersatzpflicht in manchen Fällen „unbillig belastend" (oskäligt betungande) wirken. Dabei seien nicht nur die absolute Schadenshöhe, sondern auch die übrigen Umstände des Falles zu berücksichtigen83. Auf diese Gesetzgebungsmotive stützt sich eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahre 197684. Der 15jährige Beklagte hatte der 16jährigen Klägerin aus Eifersucht Verletzungen zugefügt. Obwohl der Beklagte keine Haftpflichtversicherung hatte, wurde ihm die volle Ersatzpflicht auferlegt. Aus den Gesetzgebungsmotiven ergebe sich, so das Höchste Gericht, daß von der Herabsetzungsmöglichkeit bei 15- bis 18jährigen nur sehr restriktiv Gebrauch gemacht werden sollte. Die dort genannten Voraussetzungen fur eine Herabsetzung seien nicht gegeben: zum einen habe der Beklagte vorsätzlich gehandelt; zum anderen stelle die Ersatzpflicht in Höhe von 7.500 Schwed. Kronen angesichts der Vermögensverhältnisse des Beklagten keine unbillige Belastung dar 85. 2. Finnland In Finnland galten bis 1.9.1974 die in Kapitel 9 des Strafgesetzbuches vom 19.12.1889 enthaltenen Vorschriften über zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bei strafbaren Handlungen86. Diese Vorschriften waren nach dem Vorbild des Kapitel 6 des schwedischen Strafgesetzbuches von 1864 gefaßt 87. Wie in Schweden waren Minderjährige unter 15 Jahren strafunmündig (Kapitel 3 § 1 des finnischen Strafgesetzes). Deren Schadensersatzpflicht war in Anlehnung an Kapitel 6 § 6 schwed. StraffL (ursprüngliche Fassung)88 in Kapitel 9 § 5 so geregelt: „Ist ein Schaden von einem Kinde unter 15 Jahren...verursacht worden und kann der, der wegen unterlassener Aufsicht über eine solche Person oder wegen einer anderen

82

Igney, S. 103 mit Nachweisen aus den Gesetzgebungsmotiven. Igney, S.104 mit Nachweisen aus den Gesetzgebungsmotiven. 84 Högsta Domstol, 23.3.1976 - Lars Jörgensen ./. Carina Jansson - Nordisk Domssamling 1976, 183. 85 Högsta Domstol, ebendort, S.185. 86 Deutsche Übersetzung in: Sammlung Außerdeutscher Strafgesetzbücher, Bd.66, Das Finnische Strafgesetzbuch, Berlin 1954. 87 Hellner, RIDC 1967, 779 (780). 88 Erste Fassung des Kapitel 6 § 6 des schwedischen Strafgesetzes von 1864 und Kapitel 9 § 5 stimmten überein, vgl. Bengtsson, RIDC 1962, 33 (36). 83

124

2. Teil: Rechtsvergleich

ähnlichen Fahrlässigkeit zur Vergütung des Schadens verpflichtet worden ist, den Schadensersatz nicht zahlen, so ist dieser aus dem Eigentum des Täters zu entrichten."

Diese Bestimmung nahm insofern auf die Interessen des Kindes Rücksicht, als die Entschädigung nur aus dessen vorhandenen Vermögen genommen werden konnte89. Die Einschränkung, daß das Kind Vermögen haben muß, um verurteilt werden zu können, minderte die praktische Bedeutung der Kinderhaftung erheblich 90 . Während die damalige schwedische und die dänische Regelung den Richter zur Festlegung einer Ersatzpflicht auch dann ermächtigte, wenn das Kind zur Zeit des Prozesses kein Vermögen hatte91, konnte der Richter nach finnischem Recht ein Kind nur zum Schadensersatz verurteilen, soweit es Vermögen besaß92. Am 1.9.1974 wurde diese Bestimmung durch Kapitel 2 §2 des neuen Schadensersatzgesetzes vom 31.Mai 1974 Nr. 412 ersetzt, die wie in Schweden das Alter der vollen Haftung auf 18 Jahre heraufsetzt und auch im übrigen der Vorschrift Kapitel 2 § 2 des schwedischen SkadestL entspricht - mit der Ausnahme, daß die Haftpflichtversicherung im Gesetzestext keine Erwähnung findet. Das könnte daraufhindeuten, daß die Rechtsprechung zum alten Recht, nach der einer Haftpflichtversicherung keine Auswirkungen auf die Frage der Verantwortlichkeit zugemessen wurde 93, nicht geändert werden sollte. Die Gesetzesmaterialien ergeben aber, daß bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung die volle Haftung des Minderjährigen nicht als unbillig angesehen wird 94 . Damit entspricht das finnische Recht zur Haftung Minderjähriger dem schwedischen Recht. 3. Norwegen Zivilrechtliche - außervertragliche - Ersatzansprüche waren in Norwegen zunächst im 3. Kapitel des Einflihrungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Lov om Straffelovens Ikrafttraeden) vom 22. Mai 190295 mit dem Titel „Einzelne Bestimmungen betreffend den Schadensersatz" geregelt96. § 22 dieses Gesetzes enthielt folgende Vorschrift: „Hat ein Kind unter 14 Jahren einen Schaden verursacht, so ist das Kind für den Schaden nicht haftpflichtig. Hat das Kind Vermögen, so kann es jedoch dazu verpflichtet werden, den Schaden ganz oder teilweise aus diesem Vermögen zu ersetzen, wenn dies nach den Umständen als billig angesehen wird." 89 90 91 92 93 94 95 96

Bengtsson, RIDC 1962, 33 (35). Bengtsson, RIDC 1962, 33 (35). Bengtsson, RIDC 1962, 33 (36). Bengtsson, RIDC 1962, 33 (35 und 37). Bengtsson, RIDC 1962, 33 (38). Igney, S.101. Deutsche Übersetzung bei Igney, S.98. Igney, S.58.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

125

Die Altersgrenze von 14 Jahren ergab sich daraus, daß sie die Grenze der Strafmündigkeit bildete (§46 des Strafgesetzes vom 22. Mai 1902). Im Jahre 1969 wurden dann einzelne Bereiche des Deliktsrechts, darunter auch die Minderjährigenhaftung, außerhalb der Strafgesetze in einem eigenen Gesetz, dem „Gesetz über Schadensersatz in gewissen Fällen" (Lov om skadeserstatning i visse forhold 97, vom 13.6.1969, in Kraft seit 1.7.196998) geregelt. Kapitel 1 § 1-1 dieses Gesetzes regelt die Minderjährigenhaftung: „Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind verpflichtet, einen Schaden zu ersetzen, den sie vorsätzlich oder fahrlässig verursacht haben, soweit es billig ist unter Berücksichtigung des Alters, der Entwicklung, des gezeigten Verhaltens, der wirtschaftlichen Verhältnisse und der übrigen Umstände."

Wie in Schweden wird also das Alter der vollen Haftung von 14 auf 18 Jahre heraufgesetzt. Auch im übrigen entspricht der Wortlaut des § 1-1 des Gesetzes dem gerade erläuterten Kapitel 2 § 2 des schwedischen Schadensersatzgesetzes ebenfalls mit einer Ausnahme: das Gesetz erwähnt nicht, daß das Bestehen einer Haftpflichtversicherung berücksichtigt werden soll. Daraus könnte geschlossen werden, daß die norwegische Rechtsprechung zum alten Recht, die die Berücksichtigung einer Haftpflichtversicherung stets abgelehnt hatte99, nicht geändert werden sollte. In den Gesetzesmaterialien wird die Haftpflichtversicherung jedoch als ein Bestandteil der „wirtschaftlichen Verhältnisse" angesehen100. Die Rechtslage in Norwegen entspricht damit heute der dargestellten Rechtslage in Schweden. 4. Island Für die Deliktshaftung Minderjähriger in Island ist § 21 II des Gesetzes über die Mündigkeit Nr. 95 vom 5.6.1947101 (MündG) von Bedeutung. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut: „Der Unmündige muß dem Vertragsgegner dessen Verlust ersetzen, wenn er einen Betrug begangen oder in anderer Weise sich bei dem Vertragsschluß oder bei der Ablieferung der im Vertrag bedungenen Werte vergangen, oder durch strafbares Verhalten den Untergang der Werte verursacht hat, die er auf Grund des Vertrages zurückgeben muß. Das Gericht kann jedoch den Erstattungsbetrag unter angemessener Berücksichtigung

97

Durch Gesetz vom 25. Mai 1973 Nr. 26 wurde der Titel des Gesetzes geändert in: Lov om skadeserstatning. 98 In: Norges Lover 1682-1989, Oslo 1990, 13. Juni. Nr. 26. 1969, in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Igney, S.192. 99 Bengtsson, RIDC 1962, 33 (38). 100 Igney, S.99. 101 Deutsche Übersetzung in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Kindschaftsrecht, Island, Nr. 5 der abgedruckten Gesetze.

2. Teil: Rechtsvergleich

12

des Verschuldens und der Höhe des Verlustes, der Vermögensverhältnisse des Unmündigen usw. herabsetzen."

Zwar geht es in der Vorschrift des § 21 MündG lediglich um Fälle der vertraglichen Haftung, nicht um die außervertragliche Haftung des Minderjährigen. Die Reduktionsklausel in Satz 2 des § 21 II MündG wird jedoch von der Rechtsprechung analog auf die außervertragliche Haftung angewandt102. So hat der isländische Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem ein lOjähriger mit selbstgebastelten Pfeil und Bogen spielend einen 5jährigen ins Auge getroffen hatte, den lOjährigen Schädiger zur Schadensersatzleistung wegen fahrlässiger Schädigung verurteilt 103. In Analogie zu § 21 II 2 des Gesetzes über die Mündigkeit setzte er jedoch die Schadensersatzsumme „um einen wesentlichen Grad" herab 104: Bei einem auf 530.000.-- isländische Kronen angesetzten Vermögensschaden und auf 60.000.- isländische Kronen angesetzten Nichtvermögensschaden wurde der Beklagte lediglich zur Zahlung von 200.000.- isländischen Kronen verurteilt. Der Oberste Gerichtshof begründete die Herabsetzung mit folgenden Erwägungen 105: Zum einen sei der Bogen nur „schwach" und daher nicht besonders gefährlich gewesen. Außerdem sei in Anbetracht des Alters des Beklagten und der Umstände des Unfalls seine Schuld nicht als besonders schwer einzustufen. Schließlich verweist es darauf, daß der Beklagte vermögenslos war und dessen Eltern keine Haftpflichtversicherung für ihn abgeschlossen hatten. IL Schweiz 1. Verschuldenshaftung

(Art. 41 OR, 18, 19 III ZGB)

a) Voraussetzungen der Verschuldenshaftung Der deliktsrechtliche Grundtatbestand der Verschuldenshaftung ist in Art. 41 des Bundesobligationengesetzbuchs von 1911 (OR) geregelt. Unter welchen Voraussetzungen Minderjährige nach Art. 41 OR in Anpruch genommen werden können, ergibt sich aus Art. 18, 19 III, 16 des Zivilgesetzbuchs von 1907 (ZGB). Danach sind Personen nach den allgemeinen Deliktstatbeständen nur haftbar, wenn sie „urteilsfähig" sind. Urteilsunfähige Personen trifft lediglich eine Billigkeitshaftung nach Art. 54 OR.

102

Vgl. die Entscheidung des isländischen Obersten Gerichtshofs vom 21.3.1974, Nordisk Domsamling 1974, S.77 (78) und die in einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1986 (in: Nordisk Domssamling 1986, S.240) mitgeteilte erstinstanzliche Entscheidung. 103 Urt.v.21.3.1974, Nordisk Domssamling 1974, S.77 (78). 104 Urt.v.21.3.1974, Nordisk Domssamling 1974, S.77 (79). 105 Ebendort, S.79.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

12

aa) Urteilsfähigkeit Der Begriff der „Urteilsfähigkeif' ist in Art. 16 ZGB näher definiert: „Urteilsfähig im Sinne des Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit....die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäß zu handeln."

Die Rechtsprechung zu Art. 16 ZGB hat „die Fähigkeit, vernunftgemäß zu handeln" in zahlreichen Entscheidungen so definiert: „Vernunftgemäß handelt, wer Einsicht in die Tragweite seiner Handlungen besitzt und fähig ist, sich gemäß dieser Einsicht zu verhalten." 106

Demnach umfaßt die Urteilsfähigkeit zwei Elemente: ein intellektuelles, die Fähigkeit den Sinn und die Folgen einer Handlung zu begreifen, und ein „charakterliches", nämlich die Fähigkeit, gemäß dieser Einsicht nach eigenem freien Willen zu handeln; kurz: die Einsichtsfähigkeit und die Steuerungsfähigkeit. In der Schweiz ist also das bereits verwirklicht, was sich viele Autoren in Deutschland wünschen107: die Berücksichtigung der Steuerungsfähigkeit. Im Hinblick auf diesen Änderungswunsch ist es nun besonders aufschlußreich, wie sich die Berücksichtigung der Steuerungsfähigkeit in Art. 16 ZGB in der Praxis auswirkt. Blickt man auf die Ergebnisse der Praxis zur Haftung Minderjähriger, so fällt auf, daß die Gerichte zur Begründung der Urteilsfähigkeit des Minderjährigen fast stets nur dessen Einsicht anführen. Einige Beispiele aus der Rechtsprechung mögen dies erläutern: die Urteilsfähigkeit 9jähriger, die mit Pfeil und Bogen spielten, wurde damit begründet, sie seien sich der Risiken ihres Tuns bewußt gewesen108; ein 9jähriger, der grob verkehrswidrig mit dem Fahrrad eine Straße überquerte, wurde als urteilsfähig betrachtet, weil er sich der Unerlaubtheit und Gefährlichkeit seines Verhaltens bewußt gewesen sei 109 ; ein 12jähriger, der an Schrauben, die zur Befestigung eines Leitungsmastes dienten, die Muttern löste, wurde für urteilsfähig gehalten, weil er als normal entwickelter 12jähriger die Kenntnis der Risiken seines Tuns hatte110; Bei einem 12jährigen Radfahrer, der auf der falschen Straßenseite fuhr, wurde seine Deliktsfähigkeit damit begründet, er sei normal entwickelt, fahre seit einem Jahr Fahrrad und sei sich daher der Gefahren des Straßenverkehrs bewußt gewesen111; ein 7jähriger, der mit seinem

106

Vgl. BG, 24.9.73 i.S. Ch., BGE 99 III 4 (6 E.3); ähnlich BG, 14.6.51 i.S. Blätter und Waller./. Waller, BGE 77 II 97 (99 E.2). Siehe ferner BG, 17.9.13 i.S. Krummenacher./. Eiholzer, BGE 39 II 190 (200); BG, 10.10.29 i.S. Frauenfelder ./. Frauenfelder, BGE 55 II 225 (229). 107 Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, Α.; vgl. dazu auch noch unten, 3. Teil, Abschnitt 4, B. 108 BG, 11.7.78 i.S. Maillard ./. Guy und Gutknecht, BGE 104 II 184 (186 E.2). 109 BG, 19.2.85 i.S. A../. Alpina Versicherungsgesellschaft, BGE 111 II 89 (91 E.lb). 110 BG, 21.1.64 i.S. Zuffrey ./. O. Kuli u.a., BGE 90 II 9 (11/12 E.3). 1,1 BG, 14.5.41 i.S. Zahnd ./. Rigotti, BGE 67 II 49 (52 E.l).

12

2. Teil: Rechtsvergleich

Schlitten auf einen Bahndamm gefahren war, wurde als urteilsfähig angesehen, weil die Gefährlichkeit des Bahnübergangs im Bereich seiner Auffassungsgabe gelegen habe, zumal er Verkehrsunterricht gehabt habe112; die Urteilsfähigkeit eines 10jährigen, der mit einer Axt hantierte, wurde damit begründet, er habe den gefährlichen Charakter seiner Handlung erkannt 113. Nur in sehr alten Entscheidungen wird die Steuerungsfähigkeit berücksichtigt. So wurde in einer Entscheidung aus dem Jahr 1932 ein lOjähriger Junge, der hinter einer Straßenbahn hervor auf die Straße rannte, weil er verspätet war und noch rechtzeitig zur Schule kommen wollte, nicht als voll urteilsfähig angesehen, weil die Angst vor der drohenden Verspätung seine an sich vorhandenen Fähigkeiten zur Aufmerksamkeit absorbiert und verdrängt habe114. Ein 9jähriger, der über eine Straße gerannt war, wurde auf Grund mangelnder Steuerungsfähigkeit für urteilsunfähig gehalten: die Urteilsfähigkeit erfordere nicht nur die Fähigkeit, die Gefahren des Straßenverkehrs, insbesondere des Überqueren einer Straße zu erkennen, sondern auch die Kraft, sein Verhalten an diese Erkenntnis anzupassen (Entscheidung aus dem Jahr 1928)115. In der Schweiz gibt es kein gesetzlich festgelegtes Alter, unterhalb dessen der Minderjährige generell als urteilsunfähig angesehen wird 116 . Allerdings heißt es bei Bucher, daß Kinder unter 7 Jahren ganz allgemein als urteilsunfähig gelten; in diese Richtung weise auch die romanistische Tradition bzw. das BGB. Entgegenstehende Urteile seien nicht bekannt117. Tatsächlich ist die Urteilsfähigkeit der Kinder unter 7 Jahren fast immer verneint worden. Dabei wurde die Urteilsunfähigkeit stets unter Hinweis auf das junge Alter des Schädigers abgelehnt118. Nur eine einzige Entscheidung, eine untergerichtliche aus dem Jahr 1927, ist ersichtlich, in der ein Kind unter 7 Jahren - im konkreten Fall ein 6jähriger - als urteilsfähig angesehen wurde 119.

112 BG, 7.3.46 i.S. Gemeinde Oberhofen u.a../. Haller, BGE 72 II 198 (204); kritisch zu dieser Entscheidung Bucher, in: Berner Kommentar, Art. 16 ZGB, Rdn.l 17. 113 BG, 29.6.44 i.S. Vermot./. Gilliéron, BGE 70 II 136 (140). 114 BG, 5.7.32 i.S. Hegelbach ./. Reutter, BGE 58 II 213 (217 E.2). 115 BG, 6.3.1928 i.S. Arrigoni./. Zariffi, BGE 54 II 138 (141 E.2). 116 Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 41 OR Rdn.173. 117 Bucher, in: Bemer Kommentar, Art. 16 ZGB Rdn.l 19. 118 5jähriges Kind, das auf die Straße rennt: BG, 26.2.63 i.S. Gétaz ./. Chapuis und Gindroz, BGE 89 II 60 (E.3); 5 und 6jährige Kinder, die mit Spielzeuggewehr spielen: BG, 28.4.17 i.S. Affolter ./. Elise Müller u.a., BGE 43 II 205 (208/209); 6jähriger, der mit Pfeilbogen spielt: Obergericht Zürich, 10.11.55, B1ZR 56, Nr.94 S.156 (157); 672jähriger, der mit Zündhölzern eine Feuerbrunst verursacht: Tribunal Cantonal Fribourg, 25.4.67, SJZ 65, Nr. 128 S.241 (242). 119 Berichtet bei Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 41 OR Rdn.l77 und bei Oftinger, Bd. 1,S. 154/155 Fn.102.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Bei Minderjährigen über 7 Jahren wurde dagegen die Urteilsfähigkeit nur selten verneint, Beispiele hierfür finden sich nur in älteren Entscheidungen bei Minderjährigen knapp über 7 Jahren 120. Die die Urteilsfähigkeit bejahenden Urteile überwiegen bei weitem121. bb) Beweislast hinsichtlich der Urteilsfähigkeit Die Beweislast liegt nach einhelliger Doktrin und Praxis bei dem, der sich auf die mangelnde Urteilsfähigkeit beruft 122. cc) Sorgfaltsmaßstab bei Minderjährigen Zu den Voraussetzungen der Haftung nach Art. 41 OR gehört „Absicht" oder „Fahrlässigkeif'. Der Fahrlässigkeitsbegriff ist wie in allen bisher untersuchten Rechtsordnungen, so auch in der Schweiz ein objektiver m. Maßstab ist der umsichtig und besonnen handelnde „bonus pater familias". Hätte er genauso gehandelt wie der Täter, liegt keine Fahrlässigkeit vor; hätte er anders gehandelt, ist sie dem Täter anzulasten124. Wichtig für die Haftung Minderjähriger ist, ob junges Alter die Sorgfaltsanforderungen vermindert. In der Literatur wird diese Frage bejaht125. Auch die Gerichte stellen geringere Anforderungen an die Sorgfalt minderjähriger Täter. Jedoch spielen in der Praxis die geringeren Sorgfaltsanforderungen fast ausschließlich bei der Beurteilung des Ausmaßes, der Schwere der Fahrlässigkeit eine Rolle 126 ; sie führen hingegen kaum dazu, daß die Fahrlässigkeit des Minderjährigen gänzlich verneint wird. Jedenfalls ist kein Fall ersichtlich, in dem Fahrlässig120 Beispiele: 7jähriger, der mit einer Trottinette auf die Straße fahrt: Berner Appellationshof, 22.6.51 i.S. André M. gg. Jules C., ZBJV 88, 484 (486); 7jähriger, der mit einem Stock eine Augenverletzung beibringt: Berner Appellationshof, 3.2.37, SJZ 35, S.326; 9jähriger: BG, 6.3.28 i.S. Arrigoni./. Zariffi, BGE 54 II 138 (141 E.2); 10l/2jähriger: BG, 5.7.32 i.S. Hegelbach ./. Reutter, BGE 58 II 213 (217 E.2); 9jähriger: BG, 13.7.06 i.S. Rükert./. Bläsi, BGE 32 II 459 (465 E.6). 121

Vgl. neben den gerade angeführten Beispielen (Fn. 105-110): 8jährige spielen mit bengalischen Zündhölzern und stecken damit Scheune in Brand: BG, 6.12.74 i.S. Barbay u.a../. Denoréaz, BGE 100 II, 332 (337); lOjähriger entwendet Handgranate von Militärgelände: BG, 26.1.45 i.S. Kastelberg ./. Eidgenossenschaft, BGE 71 I 48 (58); 13jähriger fahrt mit dem Fahrrad, ohne sich umzublicken, über einen Bahnübergang: BG, 7.6.45 i.S. Spiess ./. SBB, BGE 71 II 117 (121); 15jähriger hält Zündholz in ein leeres Benzinfaß: BG, 28.5.40 i.S. Blanc und Chabley ./. François Beney u.a., BGE 66 II 114 (118). 122 123 124 125 126

Oftinger/Stark, Bd. 2 Teilb. 1 Rdn.42. Oftinger, Bd. 1, S. 142/143. Brehm, in: Berner Kommentar, Art. 41 OR Rdn.l84. Vgl. Oftinger, Bd. 1, S.147; Brehm, in: Berner Kommentar, Art. 41 OR Rdn.184. Vgl. sogleich unten: Rspr. zu Art. 43 OR.

9 Goecke

2. Teil: Rechtsvergleich

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keit wegen geringerer Sorgfaltsanforderungen vollständig verneint worden wäre wie dies in der deutschen Praxis häufig geschieht127. Dieser erhebliche Unterschied zwischen der deutschen und der schweizerischen Praxis mag damit zusammenhängen, daß das schweizerische Recht den Gerichten die Möglichkeit gibt, Schadensersatzhöhe nach der Schwere des Verschuldens abzustufen (Art. 43 I), während der deutsche Richter vor die Alternative „alles oder nichts" gestellt ist. b) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch Art. 43 I OR Die Rechtsfolge der Verschuldenshaftung aus Art. 41 OR ergibt sich aus Art. 43 I OR (Art. 51 I OR von 1881): „Art und Größe des Ersatzes für eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Größe des Verschuldens zu würdigen hat."

Neben den „Umständen" soll also die „Größe des Verschuldens" die Höhe des Ersatzes festlegen. Der Gedanke einer Abstufung der Ersatzhöhe nach dem Grad des Verschuldens, der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommt, war zwar zur Entstehungszeit der Vorschrift vor 1881 nicht neu. Schon das preußische128 und das österreichische Recht kannten gewisse Abstufungen der Ersatzhöhe nach dem Verschuldensgrad. So ist nach § 1324, 1323 österr. ABGB der entgangene Gewinn nur dann zu ersetzen, wenn dem Schädiger Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Nach § 1331 hat den Wert der besonderen Vorliebe eines Vermögensgegenstands zu ersetzen, wer aus Mutwillen und Schadenfreude handelte. Ganz ähnliche Abstufungen waren im Privatrechtlichen Gesetzbuch für den Kanton Zürich von 1855 enthalten (§§ 1833, 1847, 1848). Dessen Redaktor Bluntschli vertrat ebenso wie Ihering den Grundsatz des Gleichgewichts zwischen Schuld und Schadensersatz: die Ersatzpflicht müsse um so größer sein, je schwerer das Verschulden wiege 129 . Die Bestimmungen des Züricher PGB gingen über die Vorentwürfe in das OR ein, allerdings in wesentlicher Vereinfachung 130. Das grundsätzlich Neue an Art. 51 OR von 1881 = Art. 43 OR von 1911 lag darin, daß das Gesetz keine starren, festliegenden Regeln für die Berücksichtigung des Verschuldensgrades aufstellt wie das preuß. ALR und das österr. ABGB,

127

Vgl. 1. Teil, 1. Abschnitt, B. II. Preuß. ALR I, 6. Teil §§1-21. 129 Bluntschli, Erläuterung zu § 999 des Züricher ZGB, in: Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich, Bd. 3, Zürich 1855. 130 Vgl. die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Art. 51 OR von 1881 (= Art. 43 OR von 1911) des Bundesgerichts, in: Rückert./. Bläsi, 13.7.1906, BGE 32 II 459 (465 E.6); ferner Guhl/Merz/Kummer, S.78; Stoll, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd.l 1. Kap.8, Nr. 168. 128

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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sondern diese vollkommen in das richterliche Ermessen stellt. Die Kombination der Proportionalität von Schuld und Schadensersatzhöhe mit dem freien richterlichen Ermessen ist das Besondere des schweizerischen Obligationenrechts. Jedoch wird Art. 43 I OR in der Praxis nicht in dem strengen Sinne angewandt, daß einer gleitenden Skala von leichtestem bis schwerstem Verschulden als Rechtsfolge 0% bis 100% der Schadensersatzsumme gegenübergestellt würden. Vielmehr gilt auch in der Schweiz die volle Ersatzpflicht als die Regel131. Art. 43 I OR wird in der schweizerischen Praxis lediglich als Ermächtigungsnorm zur Herabsetzung der Schadensersatzpflicht unter bestimmten Umständen, insbesondere bei nur leichtem Verschulden, herangezogen132. aa) Haftungsbegrenzung wegen geringen Verschuldens Im Rahmen des Art. 43 I OR wird nun bedeutsam, daß die schweizerischen Gerichte an Minderjährige geringere Sorgfaltsanforderungen stellen. Ein objektiv schweres Verschulden wird auf Grund des jungen Alters als nur leichtes Verschulden angesehen, und damit die Anwendung des Art. 43 I OR gerechtfertigt 133. So wendet das Bundesgericht gegenüber einem 12-jährigen, der an Schrauben zur Befestigung eines Leitungsmastes die Muttern gelöst hatte, Art. 43 I OR mit folgender Begründung an 134 : „Le juge détérmine l'étendue de la réparation d'après les circonstances et la gravité de la faute (art. 43 al. 1 CO). La faute du recourant en soi est grave. Mais, commise par un garçon de douze ans dans les circonstances de l'espèce, elle apparaît légère."

Im Ergebnis wird der Junge nach Abwägung seines Verschuldens mit dem Mitverschulden des klagenden Elektrizitätsunternehmen (Art. 44 I OR) nur zu einem Sechstel des Schadensersatzes verurteilt 135. Einem 15jährigen Skifahrer, der in einer Schülergruppe einen Abhang zu schnell herunterfährt und dabei einen stehenden erwachsenen Skifahrer anfährt und verletzt, wird nur geringes Verschulden angelastet, „weil fünfzehnjährige Schüler geneigt sind, die Geschwindigkeit ihres Lehrers einzuhalten und dessen Bewegungen mitzumachen". Da gemäß Art. 43 I OR leichtes Verschulden nicht in gleichem Maße ersatzpflichtig mache wie grobes, habe der Kläger einen Teil des Schadens selber zu tragen. Im Ergebnis wird er nur zur Hälfte des Schadensersatzes verurteilt, wobei auch das Mitverschulden des Klägers berücksichtigt wird 136 . Das Verhalten eines 12jährigen, der 131

Oftinger, Bd. 1, S.264.; Merz, in: von Greyerz/Gutzwiller, Bd.6 Teilb.l, S.220/221; Guhl/Merz/Kummer, S.78. 132 Merz, in: von Greyerz/Gutzwiller, Bd.6 Teilb.l, S.220/221. 133 Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 43 OR Rdn.77. 134 BG, 21.1.64 i.S. Zuffrey ./. 0 . Kuli u.a., BGE 90 II 9 (13 E.5). 135 BG (vorhergehende Fn.), S.14 (E.7). 136 BG, 7.2.56 i.S. Bally ./. Rosti, BGE 82 II 25 (31f).

2. Teil: Rechtsvergleich

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mit dem Fahrrad auf der falschen Straßensseite fuhr und dadurch den Sturz eines Mofa-Fahrers verursachte, wird nicht als grob fahrlässig angesehen, weswegen er nach Abwägung mit dem Mitverschulden des Klägers nur zu einem Viertel des Schadensersatzes verurteilt wird 137 . Die Kürzung von Schadensersatzansprüchen gegen minderjährige Schädiger ist dabei nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein Mitverschulden des Geschädigten mitgewirkt hat. Das Bundesgericht erklärt, bei einem nur leichten Verschulden des Schädigers könne es gerechtfertigt sein, den Geschädigten einen Teil des Schadens selber tragen zu lassen, „und zwar unbekümmert darum, ob er seinerseits durch ein schuldhaftes Verhalten zur Entstehung oder Größe des Schadens beigetragen hat" 138 . So wird der Ersatzanspruch eines 3jährigen (und daher schuldlosen) Mädchens gegen einen 10jährigen, der es mit einer Axt beim Holzspalten verletzt hatte, insofern real gemindert, als der eingeklagte Betrag nicht ftir sofort fällig, sondern erst für den Zeitpunkt für fällig erklärt wird, in dem das Mädchen 16 Jahre alt wird. Dies wird unter anderem mit dem geringen Verschulden des lOjährigen begründet 139. Bei einem 12jährigen, der mit einer Armbrust auf ein anderes Kind geschossen hatte, wird der Schadensersatz wegen infolge Kindesalters geringeren Verschuldens um ein Viertel gekürzt 140. Allgemein erklärte das schweizerische Bundesgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1974 - BGE 100 II 332 - unter Berufung auf die gerade erläuterten Entscheidungen, es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, den Ersatzanspruch gegenüber Schädigern, die „Kinder" (enfants) sind, grundsätzlich herabzusetzen; der Umfang der Kürzung hänge von der Schwere des Verschuldens und dem Alter des Schädigers ab 141 : „II est vrai que le Tribunal fédéral opère généralement une réduction sensible de l'obligation de réparer le dommage, lorsque le débiteur est un enfant. L'importance de la réduction dépend de la gravité de la faute et de l'âge du responsable (cf. notamment les arrêts RO 43 II 204, 67 II 49, 70 II 136, 80 II 25, 9 0 I I 9 cité dans les recours)".

Auch bei Merz 142 und bei Brehm 143 findet sich der Hinweis, daß das „Kindesalter" bzw. Jugendliche Alter" des Schädigers regelmäßig als Reduktionsfaktor 137

BG, 14.5.41 i.S. Zahnd ./. Rigotti, BGE 67 II 49 (53 E.l und 56 E.3). BG, 7.2.56 i.S. Bally ./. Rosti, BGE 82 II 25 (31); ebenso Obergericht Zürich, 21.2.75, SJZ 1975, S.352 (353). 139 BG, 29.6.44 i.S. Vermot./. Gilliéron, BGE 70 II 136 (140/141). 140 Berichtet bei Oftinger, Bd. 1, S.147 Fn. 39. 141 Vgl. BG, 6.12.74 i.S. Barbay u.a. ./. Denoréaz, BGE 100 II, 332 (337); bestätigt durch die Entscheidung BG, 11.7.78 i.S. Maillard ./. Guy und Gutknecht, BGE 104 II 184 (188 E.3a). 142 Merz, in: von Greyerz/Gutzwiller, Bd.6 Teilb.l, S.221. 143 Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 43 OR Rdn.77 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 138

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen R e c h t s k r e i s e s 1

anerkannt wird. Weder in der Rechtsprechung des Bundesgerichts noch bei Merz und Brehm wird hierbei eine Beschränkung der Haftungsmilderung nach Art. 43 I OR auf eine bestimmte Altersgruppe innerhalb der Minderjährigen erkennbar. Vielmehr dürften die Begriffe „Kind" und „Jugendlicher" in diesem Zusammenhang alle „Nichterwachsenen" meinen144, zumal auch sonst zuweilen die Begriffe „Kind" und „Minderjähriger" (in der Schweiz: „Unmündiger") synonym gebraucht werden 145. Die Haftungsmilderung nach Art. 43 I OR dürfte demnach alle Minderjährigen („Unmündigen" = Personen unter 20 Jahren [Art. 14 ZGB]) erfassen, wobei allerdings - wie der Entscheidung BGE 100 II 332 zu entnehmen ist - die Schadensersatzreduktion umso größer sein dürfte, je jünger der Minderjährige ist. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung sei noch angeführt, um die Vorgehensweise der schweizerischen Gerichte zu zeigen146: Das Obergericht Zürich hatte über die Klage gegen einen 10!/2jährigen zu entscheiden, der einen Spielgefährten beim „Chriergerlis"-Spiel mit dem Luftgewehr so unglücklich am Auge traf, daß dieses nicht mehr zu retten war. Das Gericht prüft im Rahmen der Prüfung der Haftungsvoraussetzungen des Art. 41 OR zunächst das Verschulden. Nachdem es ausführt, die Jungen hätten bei ihrem Kriegsspiel leichte Verletzungen des Gegners in Kauf genommen, weswegen „kein Zweifel daran bestehen könne", daß bei einem Erwachsenen bei gleicher Sachlage sogar Eventualvorsatz anzunehmen wäre, verweist es auf das junge Alter und die diesem eigene Unbekümmertheit, und nimmt Fahrlässigkeit an. Sodann prüft es Art. 43 I OR und erklärt, das Verschulden des Beklagten sei vor allem mit Rücksicht auf sein Alter und seine Entwicklung als bloße Fahrlässigkeit zu beurteilen. Das „Postulat des Gleichgewichts zwischen Schuld und Schadensersatz-

144 Der Gebrauch des Begriffes "Kind" in Abgrenzung vom Erwachsenen zeigt sich deutlich bei Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 43 OR Rdn.77 und 78, wo die Anwendung von Art. 43 I OR einmal auf "Kinder", einmal auf "Erwachsene" untersucht wird; bei Merz, in: von Greyerz/Gutzwiller, S.229 wird für das Selbstverschulden das Verhalten von "Kindern" und "Jugendlichen" dem Verhalten von "Erwachsenen" entgegengesetzt, so daß für die rechtlichen Folgen des Verschuldens (a.a.O., S.221) mit "Kindesalter" nichts anderes gemeint sein dürfte. Einige nach BGE 100 II 332 ergangene Entscheidungen des Bundesgerichts deuten ebenfalls darauf hin, daß alle "Nichterwachsenen" in den Genuß der Haftungmilderung kommen sollen. So heißt es in BGE 102 II 363: "...In diesem Sinne wird in der Praxis das Selbstverschulden von Kindern generell milder beurteilt als dasjenige von voll urteilsfähigen Erwachsenen" (BG, 28.10.76 i.S. Regotz./.SBB, BGE 102 II 363, 368 unten). In BGE 116 II 422 wird die Rechtsprechung, daß das "Verschulden...bei Kindern und Jugendlichen ohnehin milder beurteilt wird", auf einen 15jährigen Jungen angewandt (BG, Urt.v. 19.9.90 i.S. M../.D., BGE 116 II 422, 427 E.4). 145 146

Vgl. z.B. bei Tuor/Schnyder, § 9 I. a. Obergericht Zürich, 21.2.75, SJZ 1975, S.352 (352/353).

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2. Teil: Rechtsvergleich

pflicht" erscheine angemessen berücksichtigt, wenn die Haftung auf zwei Drittel des vollen Schadens festgesetzt wird. Schließlich prüft es ein Mitverschulden des Klägers gemäß Art. 44 I OR, kommt zu dem Ergebnis, Mitverschulden des Klägers und des Beklagten seien ungefähr gleich zu werten, und kürzt auf Grund dessen den Anspruch um ein weiteres Drittel. Im Ergebnis wird der 10'/ijährige Beklagte nur zu einem Drittel des Gesamtschadens verurteilt. bb) Haftungsbegrenzung wegen verminderter Urteilsfähigkeit Das schweizerische Bundesgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1976 die Haftungsbegrenzung für einen Minderjährigen erstmals auch mit einer „verminderten Urteilsfähigkeit" begründet 147. Damit folgt das Gericht einer vom schweizerischen Professor Bucher begründeten Auffassung, wonach Art. 43 I OR die Möglichkeit eröffnet, nicht nur beim Verschulden, sondern auch bei der Urteilsfähigkeit Abstufungen - mit der Folge entsprechender Abstufungen bei der Schadensersatzhöhe - zuzulassen148: Zwar sei die Urteilsfähigkeit nach dem gesetzlichen Leitbild vom „Alles-oder-Nichts-Gesetz" beherrscht, wonach sie entweder vorliegt oder nicht vorliegt. Dies sei jedoch nur für die Urteilfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung von Rechtsgeschäften zwingend, da Rechtsgeschäfte nur gültig oder ungültig sein können; in diesem Bereich sei der Jurist gezwungen, innerhalb der Grauskala jenen „Schwellenwert" zu ermitteln, der Urteilsunfähigkeit von der Urteilsfähigkeit trennt. Bei der Urteilsfähigkeit als Voraussetzung deliktischer Schadensersatzpflicht könne aber wegen Art. 43 I OR der sachlogisch gegebenen Möglichkeit gradueller Abstufung von Urteilsfähigkeit, einer „beschränkten Urteilsfähigkeit" Rechnung getragen werden. Ohnehin lasse sich die Feststellung der Verschuldensfähigkeit nicht konsequent von der Feststellung des Verschuldens trennen 149. Diese Entscheidung des Bundesgerichts ist in der Schweiz nicht unumstritten. Einige Autoren unterstützen diese Rechtsprechung150. Es stehe außer Zweifel, daß zwischen dem Vorliegen und dem Fehlen der Fähigkeit, vernunftgemäß zu handeln, nicht eine starre Grenze bestehe, sondern ein langsamer Übergang: Bei einem Kind stelle sich die Einsicht in die Gefährlichkeit eines bestimmten Tuns und die Willenskraft, die von ihm als gefährlich erkannte Handlung zu unterlassen nicht an einem bestimmten Geburtstag schlagartig ein. Die Ablehnung einer „Zwischenzone" beschränkter Urteilsfähigkeit entspreche daher nicht der Reali-

147

Vgl. BG, 28.10.76 i.S. Regotz ./. SBB, BGE 102 II 363 (367-369 E.4). Bucher, in: Bemer Kommentar, Art. 16 ZGB Rdn.3-4a. 149 Bucher, in: Bemer Kommentar, Art. 16 Rdn.l 11. 150 Vgl. Tuor/Schnyder, S.71; Oftinger/Stark, Bd. 2 Teilb. 1, § 18 Rdn.37; femer die bei Oftinger/Stark, a.a.O., § 18 Rdn.50 genannten Autoren. 148

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

15

tät 151 . Einige Autoren 152 halten demgegenüber daran fest, daß es bei der Feststellung der Urteilsfähigkeit nur eine Ja-Nein-Entscheidung geben kann, und wenden sich gegen ein Verschwimmen der Kriterien Urteilsfähigkeit und Verschulden, zwischen denen streng zu trennen sei. Es mache zudem keinen Sinn, dieselben Umstände zunächst bei der Urteilsfähigkeit und dann noch einmal beim Verschulden zu würdigen. cc) Haftungsbegrenzung auf Grund „der Umstände" Da der Richter gemäß Art. 43 I OR nicht nur die Größe des Verschuldens, sondern auch „die Umstände" berücksichtigen soll, kann es vorkommen, daß auf Grund besonderer Umstände eine Kürzung der Ersatzpflicht trotz jungen Alters des Schädigers nicht in Betracht kommt. In einer Entscheidung des Bundesgerichts wurde die Kürzung der Ersatzpflicht eines 9jährigen Schädigers auf Grund von Art. 43 I OR abgelehnt, weil er eine Haftpflichtversicherung hatte und der 9jährige Geschädigte schwere Verletzungen erlitten hatte, die seine Berufsaussichten als relativ begrenzt erscheinen ließen153. Das Bundesgericht begründet die Entscheidung damit, der Richter könne bei seiner Abwägung auch die ökonomischen und sozialen Verhältnisse der jeweiligen Partei berücksichtigen: „Fondé sur cette disposition [Art. 43 I OR, Anm. d. Verf.], le Tribunal fédéral opère généralement une réduction des dommages-intérêts, lorsque le responsable est un enfant...Mais le juge peut aussi rendre compte, dans le cadre de son pouvoir d'appréciation, des conditions économiques et sociales de chaque partie."

Auch in der Literatur wird die finanzielle Lage der Parteien als zu berücksichtigender „Umstand" im Sinne des Art. 43 I OR angesehen154. c) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch Art. 44 II OR Art. 44 II OR enthält eine weitere Ermächtigung zur Kürzung der Ersatzpflicht für den Fall, daß der Haftpflichtige bei voller Ersatzpflicht in eine Notlage geraten würde. Voraussetzung der Kürzung ist allerdings, daß den Haftpflichtigen nur leichtes Verschulden trifft (Art. 44 II OR), was bei Minderjährigen nach der schweizerischen Rechtsprechung zumeist der Fall sein dürfte (s.o.). Begründet wird die Regel des Art. 44 II OR damit, die Rechtsordnung solle bei einem nur leichten Verschulden des Haftpflichtigen möglichst zu verhindern suchen, daß das

151

Oftinger/Stark, Bd. 2, Teilb. 1, § 18 Rdn.37 und Fn.48. Vgl. Merz, in: von Greyerz/Gutzwiller, S.229 Nr.7; Guhl/Merz/Kummer, S.183; Wessner, SJZ 1983, 333 (338); Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 41 OR Rdn.l72. 153 BG, 11.7.78 i.S. Maillard ./. Guy und Gutknecht, BGE 104 II 184 (188 E.3a); dazu Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 43 OR Rdn.62 und 65. 154 Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 43 OR Rdn.62 ff mit weiteren Nachweisen. 152

2. Teil: Rechtsvergleich

1

Unglück des einen - des Geschädigten - noch ein zweites Unglück - das des Haftbaren - herbeiführe 155. Bei Minderjährigen ist die Vorschrift, soweit ersichtlich, noch nicht angewandt worden. So wurde vom Bundesgericht eine Schuld von 12.375 Fr. für drei zur Zeit der Urteilsverkündung 18jährige vermögenslose Jugendliche als tragbar angesehen und eine Kürzung um 3.000 Fr. nach Art. 44 II OR abgelehnt156. 2. Billigkeitshaftung

(Art. 54 OR)

Wie das deutsche Recht, so kennt auch das schweizerische Recht eine Haftung Unzurechnungsfähiger aus Billigkeit. In Art. 54 OR heißt es kurz und knapp, daß „aus Billigkeit" auch ein Urteilsunfähiger zu teilweisem oder vollem Ersatz verurteilt werden könne. In der Rechtspraxis zu Art. 54 OR werden folgende Grundsätze angewandt: (1) Auch in der Schweiz ist die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Schadens für die Parteien, ihre finanzielle Situation das Entscheidende157. (2) Die Haftpflichtversicherung des Schädigers kann - anders als in der deutschen Rechtsprechung - dessen Billigkeitshaftung begründen: Da der Schädiger durch eine Zahlungsverpflichtung nicht belastet werde, sei es nicht gerecht, den Geschädigten seinen Schaden selber tragen zu lassen158. Allerdings ist diese Auffassung in der Schweiz nicht unumstritten 159. (3) Auch auf der Seite des Geschädigten werden Versicherungen berücksichtigt. Ist der Geschädigte versichert, wird ihm zugemutet, sich zur Begleichung des Schadens an seine Versicherung zu wenden, soweit der Schaden durch sie gedeckt ist. Eine Billigkeitshaftung scheidet insoweit aus160. (4) Die Billigkeitshaftung wird, was in Deutschland (§ 829) schon das Gesetz klarstellt, auch in der Schweiz nur als subsidiär angesehen. Haftet ein Dritter, insbesondere ein Aufsichtspflichtiger, für den Schaden, hat man sich an den Dritten zu wenden161.

155

Vgl. bei Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 44 OR Rdn.67. BG, 6.12.74 i.S. Barbay u.a../. Denoréaz, BGE 100 II 332 (339). 157 Oftinger/Stark, Bd.2 Teilb.l, § 18 Rdn.62; Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 54 OR Rdn.l9ff. 158 BGE 103 II 330 (338); Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 54 OR Rdn.28 und 29; Oftinger/Stark, § 18 Rdn.63. 159 Vgl. Nachweise bei Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 54 OR Rdn.27. 160 Oftinger/Stark, § 18 Rdn.64; Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 54 OR Rdn.39 ff. 161 Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 54 OR Rdn.38; Oftinger/Stark, § 18 Rdn.74. 156

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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(5) Schließlich tritt eine Haftung nur ein, wenn ein Zurechnungsfähiger, hätte er die Tat begangen, haftpflichtig wäre, da anderenfalls der Unzurechnungsfähige strenger behandelt würde 162. III. Niederlande Bis zum 1.1.1992 galt das Deliktsrecht des alten Bürgerlichen Gesetzbuches vom 1.10.1838, welches sich stark an den Code Civil von 1804 anlehnte163. Wie im Code Civil, so war auch im niederländischen BGB die Haftung des Minderjährigen nicht geregelt, so daß die Entscheidung dieser Frage der Rechtsprechung überlassen war 164 . Im 6. Buch des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches (Nieuwe Burgerlijk Wetboek, NBW), das am 1.1.1992 in Kraft getreten ist, ist nunmehr eine gesetzliche Regelung der Minderjährigenhaftung enthalten. 1. Freistellung Minderjähriger

unter 14 Jahren

Minderjährige unter 14 Jahren sind von jeglicher Haftung freigestellt. Gemäß Buch 6 Art. 164 NBW „kann einem Kind, das noch nicht 14 Jahre alt ist, eine Handlung nicht als unrechtmäßig zugerechnet werden". Die Freistellung Minderjähriger unter 14 Jahren im Neuen Bürgerlichen Gesetzbuch geht im wesentlichen auf Überlegungen zurück, die der Regierungskommissar für das 6. Buch, Snijders 165, am 30. Januar 1976 der Zweiten Kammer des Parlaments vorstellte 166. Der erste Entwurf für ein neues Bürgerliches Gesetzbuch (Verfasser: Prof. Meijers) hatte sich noch verhältnismäßig eng an die bisherige Regelung gehalten. Er hatte nur insofern eine Änderung gegenüber dem bisherigen Recht enthalten, als demjenigen, dem auf Grund jungen Alters oder Geistesgestörtheit eine unerlaubte Handlung nicht zurechenbar ist, eine Haftung nach Billigkeit auferlegt werden sollte167. Gegen die Regelung des ersten Entwurfs hatte der Rechtsausschuß der Zweiten Kammer des Parlaments Bedenken angemeldet168. Insbesondere beanstandete er, daß der Richter bei der vorgeschlagenen Regelung ausschließlich 162 Vgl. Brehm, in: Bemer Kommentar, Art. 54 OR Rdn.l7; Oftinger/Stark, §18 Rdn.46 ff. 163 Vgl. Bloembergen, 25 Jahre Karlsruher Forum, S.4. 164 Vgl. dazu Hartkamp, Verbintenissenrecht III, Nr.84. 165 Allgemein zur Rolle des Regierungskommissars in der Ausarbeitung des 6. Buches Vgl. Pari. Gesch. Boek 6, Einleitung, S.X. 166 Note der Antwort an die Zweite Kammer vom 30.01.1976, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.652-655. 167 Art. 6.3.6 des Entwurf Meijers, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.645. 168 Vorläufiger Bericht der Zweiten Kammer vom 15.09.1975, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.645.

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2. Teil: Rechtsvergleich

an die „Billigkeit" gebunden sei und daher besonders viel Freiheit habe. Man frage sich, ob hier nicht die Rechtssicherheit bedroht sei. Der Rechtsauschuß hatte daher darum gebeten, daß der Minister für Justiz sich näher zur Sache äußere. Dies war der Anlaß für Snijders, einen eigenen, völlig neuen Vorschlag zur Minderjährigenhaftung vorzulegen. In der Begründung zu seinem Vorschlag schloß er sich den Bedenken des Rechtsausschusses an 169 . Ebenso wie der Ausschuß frage er sich, ob der Vorschlag mit einem vernünftigen Maß an Rechtssicherheit vereinbar wäre. Der Gesetzgeber dürfe sich nicht der prinzipiellen Entscheidung entziehen, ob junge Menschen sowie Geistesgestörte für ihre unerlaubten Handlungen verantwortlich sind oder nicht. Es gehe um eine Frage, die nicht zu sehr dem Billigkeitsurteil des Richters überlassen werden dürfe. Bereits gegenwärtig bestehe Streit und es könne sehr wohl streitig bleiben, ob in diesen Fällen grundsätzlich eine Verantwortlichkeit billig ist oder nicht. Es gehe immer um eine Abwägung einerseits der Belange von Personen, die einen gewissen Anspruch auf gesellschaftlichen Schutz geltend machen könnten, und andererseits um die Belange der Opfer, denen ohne ihr Zutun Schaden zugefugt worden sei. Deutliche Gründe, die den Richter in den Stand setzen würden zu entscheiden, welchem Belang er im konkreten Fall den Vorzug zu geben hat, seien nicht ersichtlich. Er schlage daher eine anderes System vor 170 , in dem bereits gesetzlich festgesetzt wird, ob den genannten Personen eine unerlaubte Handlung zugerechnet werden kann. Das Billigkeitsurteil des Richters spiele dann nur noch eine Rolle bei seiner Befugnis, die Ersatzpflicht auf Grund der allgemeinen Reduktionsklausel des geänderten Entwurfs zu ermäßigen. Gerade das junge Alter des Verantwortlichen könne, im Hinblick auf die Umstände des Falles -wozu auch die Leistungsfähigkeit der Parteien gehöre - zu dem Schluß führen, daß die Zuerkennung des vollen Schadensersatzanspruches zu offensichtlich unannehmbaren Folgen führe. Der beigefügte geänderte Entwurf enthielt demgemäß folgende Regelung171: 1. Einem Kind unter 12 Jahren kann ein Verhalten nicht als unerlaubte Handlung zugerechnet werden. 2. Einem Kind zwischen 12 und 14 Jahren kann ein Verhalten nicht als unerlaubte Handlung zugerechnet werden, wenn es ihm wegen seines jungen Alters nicht vorgeworfen werden kann.

Snijders begründete die vorgeschlagene Regelung so: Diese Regel stimme insofern mit dem bisherigen Recht überein, als das junge Alter die Verantwortlichkeit 169 Note der Antwort an die Zweite Kammer vom 30.01.1976, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.652. 170 Note der Antwort an die Zweite Kammer vom 30.01.1976, Pari. Gesch. Boek 6, S.652/653. 171 Art. 6.1.3.2a des Entwurfs: abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.655.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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ausschließen kann. Sie bestimme allerdings um der Rechtssicherheit willen, bis zu welchem Alter dies stets als der Fall anzusehen sei172. Was die Wahl der Altersgrenzen 12 und 14 Jahre betreffe, so trage eine so strikte Regel wie die vorgeschlagene notwendig einen einigermaßen willkürlichen Charakter. Bei der Wahl der Altersgrenze von 12 Jahren habe zum einen die Tatsache eine Rolle gespielt, daß das Kind in diesem Alter die Grundschule verläßt und eine fortgeschrittene Erziehung beginnt, die mehr an Selbständigkeit und Verantwortlichkeit appelliert; zum anderen die Tatsache, daß ein Kind ab 12 Jahren gemäß Art. 77a des Strafgesetzbuches (Wetboek van Strafrecht) strafrechtlich belangt werden kann173. Die Altersgrenze von 14 Jahren ergebe sich daraus, daß ab diesem Alter kaum mehr gesagt werden könne, daß das junge Alter die Einsicht hinsichtlich eines unrechtmäßigen schädigenden Verhaltens hindere. Für die Altersgrenze von 14 Jahren sei ferner mitbestimmend gewesen, daß es bei Minderjährigen über 14 Jahren nicht gerechtfertigt gewesen wäre, den Eltern eine objektive (d.h. verschuldensunabhängige) Haftung 174 für ihre Kinder aufzuerlegen 175. Somit hätte bei einer Entlastung auch von Minderjährigen über 14 Jahren kein „Ersatzschuldner" (in Gestalt der Eltern) zur Verfügung gestanden. Der Schutz der Kinder dürfe aber nicht auf Kosten des geschädigten Dritten gehen176. Die Festlegung der oberen Altersgrenze auf 14 Jahre erklärte sich also vor allem damit, daß Snijders die Regelung für die Minderjährigenhaftung auf die im geänderten Entwurf gleichzeitig vorgeschlagene objektive Elternhaftung abstimmen wollte. Die vorgeschlagene Regelung der Elternhaftung sah vor, daß die Eltern für alle unerlaubten Handlungen ihrer Kinder unter 14 Jahren ohne Rücksicht auf ihr eigenes Verschulden (z.B. Aufsichtsverschulden etc.) haften sollten, während sie für Minderjährige über 14 Jahren nur haften sollten, soweit ihnen ein Verschulden an der unerlaubten Handlung des Minderjährigen vorgeworfen werden kann 177 . Die vom Regierungskommissar vorgeschlagene Regelung zur Minderjährigenhaftung scheint im Rechtsausschuß der Zweiten Kammer keinen grundsätzlichen Widerspruch hervorgerufen haben. Lediglich in einem Punkt meldete der Rechtsausschuß Bedenken an: Es sei wünschenwert, die Nicht-Verantwortlichkeit der Minderjährigen und die objektive Haftung der Eltern mit dem gleichen Alter endi172

Note der Antwort an die Zweite Kammer, Pari. Gesch. Boek 6, S.653. Note der Antwort an die Zweite Kammer, Pari. Gesch. Boek 6, S.654. 174 Nähere Erläuterungen zur objektiven Haftung der Eltern für ihre minderjährigen Kinder unter 14 Jahren in Teil 3, Abschnitt 4, 3. 175 Note der Antwort an die Zweite Kammer, Pari. Gesch. Boek 6, S.654. Vgl. zur Begründung für diese Auffassung: Teil 3, Abschnitt 4, 3. 176 Note der Antwort an die Zweite Kammer, Pari. Gesch. Boek 6, S.654. 177 Nähere Erläuterungen zur objektiven Haftung der Eltern für ihre minderjährigen Kinder unter 14 Jahren in Teil 3, Abschnitt 4, 3. 173

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2. Teil: Rechtsvergleich

gen zu lassen178. Dementsprechend wurde im Rechtsausschuß beantragt und beschlossen, die Sonderregelung für die Minderjährigen zwischen 12 und 14 nach dem geänderten Entwurf zu streichen und alle Minderjährigen unter 14 Jahren von der Haftung freizustellen. Befürwortet wurde der Antrag vor allem, weil man darin ein einfaches und klares System erblickte, mit welchem niemand praktische Schwierigkeiten haben würde - unter 14 Jahren objektive Haftung der Eltern, über 14 Jahren Eigenhaftung der Minderjährigen 179. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist diese Regelung nicht mehr in Frage gestellt worden. 2. Haftungsbegrenzung für Minderjährige

über 14 Jahren

Minderjährige über 14 Jahre unterliegen dem deliktsrechtlichen Grundtatbestand der Verschuldenshaftung (Buch 6 Art. 162 NBW). Damit trifft sie zwar grundsätzlich die volle Ersatzpflicht für von ihnen angerichtete Schäden. Nach dem Willen der Gesetzesverfasser sollen jedoch auch ältere und damit verantwortliche Minderjährige vor schweren finanziellen Belastungen durch Schadensersatzpflichten bewahrt bleiben. In der Begründung zur Regelung der Minderjährigenhaftung (Buch 6 Art. 164 NBW 1 8 0 ) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Fälle, in denen die Ersatzpflicht eine unangemessen schwere Belastung für den verantwortlichen Minderjährigen bedeutet, durch Anwendung der gerade für derartige Fälle geschaffenen allgemeinen Reduktionsklausel (Buch 6 Art. 109 NBW 1 8 1 ) zu lösen seien182. Das Argument, nicht nur jüngere, sondern auch ältere Minderjährige dürfe man ihr Erwerbsleben nicht mit einer vielleicht untragbaren Schuld beginnen lassen, dürfe zwar nicht dazu führen, daß die Verantwortlichkeit des Minderjährigen ganz ausgeschlossen würde. Jedoch sei in solchen Fällen die Ersatzpflicht zu ermäßigen 183. Gerade das junge Alter des Verantwortlichen könne - unter Berücksichtigung der Umstände des Falles und der Leistungsfähigkeit der

178 Mündliche Beratung des Rechtsausschusses der Zweiten Kammer mit dem Minister der Justiz (gleichzeitig Abschlußbericht) vom 22.02.1977, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.656. 179 Vgl. das Protokoll der Öffentlichen Sitzung des Rechtsausschusses am 4. März 1977, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.657. 180 Nach der Nummerierung des Entwurfs: Art. 6.3.1.2a. 181 Nach der Nummerierung des Entwurfs: Art. 6.1.9.12a. Nach Buch 6 Art. 109 NBW (betrifft gesetzliche Schuldverhältnisse) kann die Schadensersatzpflicht herabgesetzt werden, wenn die Zuerkennung der vollen Ersatzpflicht zu offensichtlich unannehmbaren Folgen führen würde, wobei alle Umstände des Falles beachtet werden, darunter die Art der Verantwortlichkeit, das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis und deren beider Leistungsfähigkeit. 182 Pari. Gesch. Boek 6, S.654. 183 Pari. Gesch. Boek 6, S.654.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Parteien - zu dem Schluß führen, daß die Zuerkennung des vollen Schadensersatzanspruch zu offensichtlich unannehmbaren Folgen führen würde 184. Der Richter möge insbesondere in den Fällen, in denen der Minderjährige nicht haftpflichtversichert ist und - wie gewöhnlich - die Leistungsfähigkeit des Minderjährige gering ist, geneigt sein, die Reduktionsklausel anzuwenden185. In der Begründung zur Reduktionsklausel (Buch 6 Art. 109 NBW 1 8 6 ) wird ebenfalls auf die Anwendbarkeit gerade bei jungen Menschen hingewiesen187: Es könne nicht hinnehmbar sein, einen jungen Menschen mit einer großen Schuld in der Erwartung zu belasten, daß er diese vielleicht irgendwann einmal aus seinem zukünftigen Einkommen tilgen könne188. IV. Albanien Nach albanischem Recht beginnt die Deliktsfähigkeit gemäß Art. 338 I des Zivilgesetzbuches vom 26.6.1981 erst mit 14 Jahren. Damit fällt in Albanien die Deliktsfähigkeit zusammen mit der Strafmündigkeit, welche ebenfalls bei 14 Jahren liegt 189 . Minderjährige über 14 Jahren und damit grundsätzlich verantwortliche Minderjährige haften nur dann, wenn sie eigenes Vermögen oder Arbeitseinkünfte haben. Haben sie weder das eine, noch das andere, haften die Eltern oder der Vormund (Art. 339 II ZGB). V. Volksrepublik

China

Nach § 133 II der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts der Volksrepublik China vom 12.4.1986 ist der Minderjährige für von ihm verursachten Schaden nur ersatzpflichtig, wenn und soweit er Vermögen hat. Soweit der Schaden nicht aus seinem Vermögen gedeckt werden kann, haften statt der Minderjährigen die Eltern oder Vormünder (§ 133 I und II). Dem Minderjährigen wird damit nur das genommen, was er gegenwärtig hat. Der zukünftige Erwerb ist dem Zugriff der Gläubiger nicht ausgesetzt. § 133 der allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts bewirkt damit eine deutliche Milderung der Minderjährigenhaftung.

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Pari. Gesch. Boek 6, S.653. Pari. Gesch. Boek 6, S.654/655. 186 Nach älterer Nummerierung Art. 6.1.9.12a NBW. 187 Vgl. Pari. Gesch. Boek 6, 449 sowie Hartkamp, Verbintenissenrecht I, Nr. 495. 188 Vgl. Pari. Gesch. Boek 6, S.449 sowie Hartkamp, Verbintenissenrecht I, Nr. 495. 189 Vgl. Art. 7 des albanischen Strafgesetzbuches von 1977 (deutsche Übersetzung, in: Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung, Bd. 105, Berlin/New York 1990). 185

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2. Teil: Rechtsvergleich

C. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung für Minderjährige unter 13-16 Jahren /. Haftungsmilderung

durch Freistellung

1. Rußland Die deliktische Haftung Minderjähriger ist in Rußland (noch 190 ) im russischen Zivilgesetzbuch von 1965 in den Art. 450 und 451 geregelt. Danach haften für einen Schaden, den ein Minderjähriger unter 15 Jahren verursacht hat, nur die Eltern oder Vormünder (Art. 450). Der Minderjährige unter 15 Jahren ist damit von der Haftung vollkommen freigestellt. Erst wenn der Minderjährige 15 Jahre alt geworden ist, haftet er selbst wie Erwachsene nach den allgemeinen Vorschriften (Art. 451), also grundsätzlich voll - mit der Möglichkeit einer Reduktion der Ersatzpflicht nach der allgemeinen Reduktionsklausel des Art. 458 II ZGB. Die weitgehende Verschonung der Minderjährigen von der Haftung geht - über Art. 405 iVm Art. 9 des russischen ZGB von 1922191 - bis auf die Gesetzbung der Zaren zurück: In Art. 686 Satz 1 des Zivilkodex 192 , dem 10. Buch Teil 1 des Generalkodex [Svod Zakonov], des großen Gesetzgebungswerkes des Zaren Nikolaus I. von 1828193) war niedergelegt, daß für den von „Minderjährigen" verursachten Schaden die Eltern aufzukommen haben; es wurde sogar ausdrücklich klargestellt, daß dies auch dann zu gelten habe, wenn der „Minderjährige" Vermögen besaß. Nur in dem Fall, in denen eine Verantwortlichkeit der Eltern ausschied, weil „sie keinerlei Mittel hatten, um dem Verbrechen oder Vergehen des Minderjährigen vorzubeugen", wurden „Schaden und Verluste aus dem Vermögen des letzteren eingezogen" (Art. 686 Satz 2 des Zivilkodex). Dann spielte die Frage, ob der 190 Mit Inkrafttreten des ersten Teils des neuen russischen Zivilgesetzbuchs am 1.1.1995 sind die Art. 1 - 236 des Zivilgesetzbuchs von 1965 außer Kraft getreten. Die Art. 237 ff. des Zivilgesetzbuchs von 1965 bleiben vorerst weiter in Kraft. Vgl. dazu Hüper, WiGO 1995, S.162. 191 Nach Art. 405 iVm Art. 9 des russischen ZGB von 1922 waren Minderjährige unter 14 Jahren freigestellt (vgl. die deutsche Übersetzung des russ. ZGB von 1922 in: Freund, Heinrich: Das Zivilrecht Sowjetrußlands, Mannheim/Berlin/Leipzig 1924). Daß sich die Regelung an die bisherige Gesetzgebung anlehnt, ist weniger überraschend, als es scheint, da das Gesetzgebungswerk von 1922 insgesamt keineswegs einen Bruch mit der russischen Rechtstradition vollzogen hat. Die Ausarbeitung eines Zivilgesetzbuches wurde zur Zeit der sogenannten Neuen Ökonomischen Politik 1922 in Auftrag gegeben und innerhalb von vier Monaten beendet. Für weite Teile des Gesetzbuches wurde auf einen Gesetzentwurf zurückgegriffen, der unter dem letzten Zaren 1913 in die Staatsduma eingebracht worden war (vgl. Gsovski, Bd. 1, S.24 f.). 192 Kommentierte deutsche Übersetzung in: Klibanski, Hermann O. (Hrsg.), Handbuch des gesamten russischen Zivilrechts, Bd.l, Berlin 1911. 193 Das Deliktsrecht wurde im Jahre 1851 in den Zivilkodex eingefügt, vgl. Gsovski, Bd.l, S.494.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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„Minderjährige" Vermögen besaß, eine Rolle: Der „Minderjährige" war dann, soweit Vermögen vorhanden war, ersatzpflichtig. Gsovski bezeichnet diese subsidiäre Haftung des Vermögens des Minderjährigen nach Art. 686 Satz 2 des Zivilkodex als eine Regel, die auch dem deutschen Recht und schweizerischen Recht eigen sei, womit er wohl auf § 829 BGB und Art. 54 OR anspielt194. Unsicher ist, wer mit „Minderjähriger" im Sinne der Art. 653 und 686 des Zivilkodex gemeint war 195 , da die Definitionsnorm zum Begriff „Minderjähriger" (Art. 213 des Zivilkodex) insoweit unklar ist. In einem sechsbändigen Werk zum russischen Zivilrecht der Zarenzeit, im „System des russischen Zivilrechts" von Annenkow, findet die Aufassung, die Vorschrift des Art. 653 erfasse nur Minderjährige unter 14 Jahren 196 - was dann auch für Art. 686 Zivilkodex gelten dürfte 197. Wenn diese Deutung die damals herrschende Praxis wiedergibt, und damit die Vorschrift für alle Minderjährige unter 14 Jahren galt, waren bereits im zaristischen Rußland zumindest Minderjährige unter 14 Jahren von der Haftung grundsätzlich freigestellt und unterlagen nur einer subsidiären Billigkeitshaftung. Möglicherweise beruhte diese Regelung letztlich auf strafrechtlichen Wertungen. Denn auffällig an der Regelung des Deliktsrechts im Svod Zakonov ist, daß zunächst ausführlich die schadensersatzrechtlichen Folgen strafbarer Handlungen behandelt werden (Art. 644-683 Zivilkodex des Svod Zakonov), während das Schadensersatzrecht sonstiger unerlaubter Handlungen im Anschluß daran nur äußerst knapp behandelt ist (Art. 684-689 Zivilkodex). So ist auch Art. 686 Zivilkodex - die Regelung für nicht strafbare schädigende Handlungen Minderjähriger - Art. 653 Zivilkodex, der Regelung für strafbare Handlungen Minderjähriger, nachgebildet: Art. 653 Zivilkodex wird in weiten Teilen wörtlich übernommen 198. 2. Andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion Die Rechtslage in fast allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion entspricht der russischen199.

194

Gsovski, Bd.l, S.532. Klibanski, Kommentierung Nr. 1 zu Art. 653. 196 Diesen Hinweis gibt Klibanski, Anm.l zu Art. 653. 197 Klibanski verweist in Anm. 3 seiner Erläuterungen zu Art. 686 allgemein auf die Erläuterungen zu Art. 653. 198 Mit einer Ausnahme: Art. 653 galt nur für Minderjährige, die die nach der Feststellung des Strafgerichts die Straftat "ohne Verstand" begangen hatten, vgl. Klibanski, Anm.2 zu Art. 653. Diese Einschränkung findet sich in Art. 686 nicht. 199 Vgl. Art. 447/448 des weißrussischen ZGB, Art. 446/447 des ukrainischen ZGB, Art. 454/455 des estnischen ZGB, Art.489/490 des litauischen ZGB, Art. 446 des kasachischen ZGB, Art. 453/454 des armenischen ZGB, Art.451/452 des turkmenischen ZGB. 195

2. Teil: Rechtsvergleich

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3. Brasilien In Brasilien setzt die deliktsrechtliche Haftung erst mit dem 16. Lebensjahr ein: Dies wird von Autoren aus Art. 5 (absolute Handlungsunfähigkeit Minderjähriger unter 16 Jahren), insbesondere aber im Umkehrschluß aus Art. 156 des Codigo civil von 1916 geschlossen200, wonach „der Minderjährige zwischen 16 und 21 Jahren einem Volljährigen gleichgestellt wird in bezug auf Verbindlichkeiten aus unerlaubten Handlungen, die ihm zur Last fallen." 201 4. Guatemala In Guatemala haften Minderjährige erst nach dem 15. Lebensjahr (Art. 1660 Cödigo civil von 1964). IL Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe L Polen Die deliktische Minderjährigenhaftung ist in Art. 426-428 des polnischen Zivilkodex von 1964 geregelt. Die Vorschriften sind auch nach der politischen Wende 1988/89 unverändert in Kraft 202 . Nach Art. 426 des Zivilkodex ist ein Minderjähriger erst mit 13 Jahren deliktsrechtlich verantwortlich. Damit wandte sich der polnische Zivilkodex von 1964 von dem bis dahin geltenden Rechtszustand ab, wonach die Einsichtsfähigkeit - ohne feste Altersgrenze - über die Deliktsfähigkeit und damit die Haftung entscheiden sollte203. Bei der Schaffung des neuen Zivilkodex verlangte man demgegenüber nach einer präziseren Regelung204. Dementsprechend wurde 1961 eine feste Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von zunächst 14 Jahren vorgeschlagen205. Bei der endgültigen Festlegung - 13 statt 14 Jahre - mag das polnische Strafrecht einen gewissen Einfluß ausgeübt haben. Der polnische Strafkodex von 1932, dessen Vorschriften zum Jugendstrafrecht auch noch nach Inkrafttreten des Straf-

200

Pontes de Miranda, S.212 § 63; Alves, Comm. zu § 156 C.civ. Deutsche Übersetzung in: Die Zivilgesetze der Gegenwart (Hrsg. Karl Heinsheimer), Bd.3, Mannheim/Berlin/Leipzig 1928. 202 Vgl. Kodeks cywilny, in: Polskic Ustawy [Loseblattsammlung], München/ Warschau 1993. 203 Vgl. Art. 138 § 1 in Verbindung mit Art. 142 Obligationenkodex des polnischen Obligationenkodex von 27.10.1933, der noch bis 1964 in Kraft war - vgl. dazu Szpunar, RIDC 1963, 19(20). 204 Szpunar, RIDC 1963, 19 (22). 205 Szpunar, RIDC 1963, 19 (22). 201

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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kodex von 1969 fortgalten 206, unterschied innerhalb der Jugendlichen zwei Altersstufen: Jugendliche unter 13 Jahren und Jugendliche über 13 Jahren. Bei Jugendlichen unter 13 Jahren, die eine strafbare Handlung begingen, konnte das Gericht ausschließlich Erziehungsmittel anordnen 207. Deliktsunfähige Minderjährige unterliegen allerdings einer Billigkeitshaftung (Art. 428 des Zivilkodex) 208 . Diese besteht, wenn der Geschädigte von aufsichtspflichtigen Dritten Ersatz nicht erlangen konnte und sich aus den Umständen, insbesondere aus dem Vergleich der Vermögensverhältnisse der Parteien, ergibt, daß die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenleben eine Ersatzpflicht des Schädigers erfordern. Bei deliktsfähigen Minderjährigen kommt die Anwendung der allgemeinen Reduktionsklausel nach Art. 440 des Zivilkodex in Betracht. 2. Österreich Im österreichischen ABGB vom 1. Juni 1811 hat die Frage der deliktischen Minderjährigenhaftung eine sehr ausfuhrliche Regelung erfahren (§§ 1308-1310, 153, 244). Eine wichtige Rolle spielt hierbei das Mündigkeitsalter, also die Vollendung des 14. Lebensjahres (§ 21 II 2 ABGB) 209 . Minderjährige über 14 Jahren haften, da gemäß § 21 II 2 ABGB mündig, wie Erwachsene voll und ohne Einschränkungen für ihre unerlaubten Handlungen (§ 153 ABGB sowie arg. § 1308 ABGB). Warum der Gesetzgeber sich zu der Festlegung der Altersgrenze bei 14 Jahren entschlossen hat, ist nicht ganz klar. Die Altersgrenze wurde in der ursprünglichen Fassung des ABGB von 1811 im Einklang mit dem römischen Recht bei 7 Jahren festgelegt, und erst im Jahr 1916 mit der dritten Teilnovelle zum ABGB durch eine Änderung des § 1308 auf 14 Jahre heraufgesetzt 210. Im „Bericht der Kommission für Justizgegenstände über die Gesetzesvorlage, betreffend die Änderung und Ergänzung einiger Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches"211 aus dem Jahre 1912 findet sich nur eine karge Begründung zu dieser Änderung: 206

Vgl. Andrejew, in: Mezger/Schönke/Jescheck, Bd. 6, Fn. 21. Vgl. Andrejew, in: Mezger/Schönke/Jescheck, Bd. 6, S.37 sowie Fn. 21. 208 Eine solche hatte schon der Obligationenkodex von 1933 enthalten (Art. 143). 209 Das österreichische Recht unterteilt die Minderjährigen - wie das römische Recht (vgl. oben Teil 1, Abschnitt 2, 2.2.) - in Unmündige (Minderjährige unter 14 Jahren) und Mündige (Minderjährige über 14 Jahren) (§ 21 Abs. 2 Satz 2 ABGB). 2.0 Kaiserliche Verordnung vom 19. März 1916 über die dritte Teilnovelle zum ABGB, Reichsgesetzblatt für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder 1916, S.135. § 158 der Verordnung: Änderung des § 1308 ABGB (Ersetzung des Wortes "Kinder" durch das Wort "Unmündige"). 2.1 Nr. 78 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, XXI. Session 1912. 207

10 Goecke

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2. Teil: Rechtsvergleich „Die (zivilrechtliche) Deliktsfähigkeit beginnt nach geltendem Rechte - arg. 1308 und § 1310 a.b.G.B. - mit dem vollendeten siebenten Jahre. Die Folgerung aus dem Schlußsatze des § 248 a.b.G.B., daß die Deliktsfähigkeit erst mit dem zurückgelegten 20. Jahre beginne, ist schwerlich haltbar. Gewiß ist, daß die letztere Grenze zu hoch, die erstere zu niedrig scheint. Die Ständige Kommission schlägt deshalb vor, die Grenze mit der erreichten Mündigkeit (14 Jahre) zu ziehen..."

Es ist denkbar, daß sich hier damalige Entwicklungen im Strafrecht ausgewirkt haben. Kurze Zeit vor der dritten Teilnovelle zum ABGB hatte es mehrere Versuche zu einer Reform des Jugendstrafrechts gegeben. Wesentlicher Bestandteil war eine Änderung des Strafmündigkeitsalters. Hatte das Strafgesetz von 1852 noch in Übereinstimmung mit dem römischen Recht - die Altersgrenze von 7 Jahren enthalten, wurde nun eine Heraufsetzung auf 14 Jahre für notwendig erachtet. So war die Altersgrenze von 14 Jahren bereits in der Regierungsvorlage eines Gesetzes betreffend die strafrechtliche Behandlung und den strafrechtlichen Schutz Jugendlicher von 1907 vorgesehen212. In dem Jahr (1912), in dem die Kommission für Justizgegenstände die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit von 7 auf 14 Jahre heraufzusetzen vorschlug, war auch in der Regierungsvorlage eines neuen Strafgesetzbuches213 die Heraufsetzung der Strafmündigkeit von 7 auf 14 Jahre vorgeschlagen worden. Zur Begründung hierfür war angeführt worden, daß „die Bestimmungen des geltenden Rechts über die strafrechtliche Behandlung von Kindern und jugendlichen Personen...eine der rückständigsten und schädlichsten Partien des Strafgesetzes" bildeten214. Die Haftung Unmündiger, also Minderjähriger unter 14 Jahren, ist an zahlreiche zusätzliche Voraussetzungen geknüpft: (1) Der Verletzte kann Unmündige nur in Anspruch nehmen, wenn er selbst zur Schädigung keine Veranlassung gegeben hat (§ 1308 ABGB). (2) Unmündige haften nur subsidiär, d.h. nur, wenn der Verletzte keinen Ersatz von aufsichtspflichtigen Dritten erlangen kann (§ 1309, 1310 Halbsatz 1 ABGB). (3) Auch wenn die Voraussetzungen (1) und (2) vorliegen, haftet der Unmündige nur, wenn eine der drei weiteren Bedingungen erfüllt ist: (3.1.) wenn ihm „ungeachtet er gewöhnlich seines Verstandes nicht mächtig ist, in dem bestimmten Falle nicht dennoch ein Verschulden zur Last" liegt (§ 1310 Fall 1); oder

212 Vgl. Art. I Nr. 1 der Regierungsvorlage in: Nr. 28 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, XVIII. Session 1907, S.l-80 (S.l). 213 Vgl. § 4 des Strafgesetzbuches nach der Regierungsvorlage, in: Nr. 58 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, XXI. Session 1912. 214 Vgl. S.l5 der Begründung zur Regierungsvorlage, Fundstelle: vgl. vorhergehende Fn.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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(3.2.) wenn der Verletzte aus Schonung des Schädigers die Verteidigung unterlassen hat (§ 1310 Fall 2); oder (3.3.) „mit Rücksicht auf das Vermögen des Schädigers" (§1310 Fall 3). Selbst wenn die Voraussetzungen der Haftung nach §§ 1308-1310 ABGB erfüllt sind, bedeutet dies noch nicht die volle Haftung des Minderjährigen. Vielmehr ist die Rechtsfolge gemäß § 1310 letzter Halbsatz, der „ganze Ersatz" oder ein „billiger Teil desselben". Während die Bedeutung der Voraussetzungen (1) und (2) ohne weiteres verständlich ist, stellen sich hinsichtlich der Bedeutung der drei Fälle des § 1310 (Voraussetzungen (3.1.) bis (3.3.)) weitere Fragen: a) Verschuldenshaftung (§ 1310 Fall 1 ABGB) aa) Voraussetzungen der Verschuldenshaftung Bei § 1310 Fall 1 ABGB stellt sich die Frage, wann ein Verschulden des Unmündigen vorliegt, unter welchen Voraussetzungen es ihm zugerechnet werden kann und wie es bestimmt werden soll. Insoweit enthält § 1310 Fall 1 ABGB lediglich eine Wiederholung des allgemeinen Verschuldenserfordernisses, welches für die allgemeinen Deliktstatbestände ohnehin gilt (vgl. §§ 1294, 1295 ABGB), gibt also keine Auskunft zu dieser Frage. In Österreich war es daher Aufgabe der Gerichte, Maßstäbe für die Verschuldenshaftung aufzustellen. α) Einsichtsunfähigkeit Entscheidend ist nach der Rechtsprechung die Einsichtsfähigkeit des Unmündigen215. Diese wird - anders als in der deutschen Rechtsprechung - in Bezug auf die von der Handlung ausgehenden konkreten Gefahren geprüft. War der Unmündige im konkreten Fall hinsichtlich der konkreten Gefahren seines Tuns der Einsicht fähig, so kann ihm ein Verschulden zugerechnet werden und er unterliegt der Haftung aus § 1310 Fall 1 ABGB; war er nicht einsichtsfähig, so scheidet eine Haftung aus § 1310 Fall 1 ABGB aus. Der Oberste Gerichtshof betont hierbei, daß es nicht darauf ankomme, was an Einsicht zugemutet werden konnte oder vorauszusetzen war, sondern darauf, welche Einsicht der Schädiger im konkreten Fall tatsächlich hatte216. Ein schönes Beispiel für die Prüfung der tatsächlichen Einsicht im konkreten Fall bietet folgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde: Ein 6jähriger und ein 8!/2jähriger hatten ein Feuer nur unzulänglich ausgetreten. Das Oberlandesgericht 215 Vgl. z.B. OGH, 19.3.1969, - 6 Ob 57/69 -, JB1. 1969, 503 (505); femer Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.4, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 216 OGH, 19.3.1969, - 6 Ob 57/69 -, JB1. 1969, 503 (505).

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2. Teil: Rechtsvergleich

fuhrt aus, zwar seien Mündige in der Lage gewesen, die Gefahr zu erkennen, die Beklagten aber seien noch nicht fähig gewesen einzusehen, daß sich aus der Glut wieder ein Feuer entwickeln kann 217 . Die Frage Einsichtsfähigkeit ist auf Grund ihrer konkreten Prüfung in Österreich von wesentlich größerer praktischer Bedeutung als in Deutschland. Wie die schweizerische, so erkennt auch die österreichische Rechtsprechung die Altergrenze von 7 Jahren nicht als strikte Grenze einer absoluten Deliktsunfähigkeit an. Der Oberste Gerichtshof stellte in diesem Sinne fest: „Kinder unter 7 Jahren sind nicht unter allen Umständen deliktsunfähig"; ihre Verantwortlichkeit sei vielmehr unter Berücksichtigung des Maßes an Einsicht und der Art des ursächlichen Verhaltens zu beurteilen 218. Im konkreten Fall wurde einem 6jährigen, der trotz Warnung an einem schlecht aufgestellten Grabstein hochgeklettert war, Mitverschulden zugerechnet. In einer anderen Entscheidung wurde einem 5jährigen, der auf eine Straße gelaufen war, selbstverständlich, ohne ein Wort zur Deliktsfähigkeit zu verlieren, Mitverschulden angelastet219. Allerdings gilt der Satz, bei Kindern unter 7 Jahren sei nur ausnahmsweise Verschulden anzunehmen220. Im Gegensatz zu den genannten Entscheidungen zum Mitverschulden (Kind als Opfer) ist daher auch kein Fall ersichtlich, in dem ein Kind unter 7 Jahren als Täter nach § 1310 Fall 1 ABGB verantwortlich gemacht worden ist 221 . Allgemein wird zwar die Bestimmung der Deliktsfähigkeit an einem rein abstrakten Maßstab für bestimmte Altersstufen abgelehnt222, jedoch wird das Alter zur Orientierung herangezogen223. So wird gesagt, je entfernter das Alter von der Mündigkeitsgrenze liege, desto eher sei die Einsichtsfähigkeit abzulehnen224. Eine Durchsicht der Entscheidungen bestätigt diese Aussage: So wurde häufig bei Unmündigen unter 10 Jahren eine Anwendung der Verschuldenshaftung abge lehnt225. Bei Unmündigen über 10 Jahren dagegen wird sehr häufig die Verschul2.7 Entscheidungsgründe des OLG Innsbruck mitgeteilt bei OGH, 14.11.79 - 6 Ob 631/79-, SZ 52, Nr. 168, S.817 (819). 2.8 OGH, 3.12.52 - 1 Ob 965/52 -, SZ 25 Nr. 318, S.808 (813); von Koziol, S.311 als "herrschende Auffassung" bezeichnet. 2.9 OGH, 26.10.55 - 2 Ob 569/55 -, JB1. 1956, 73. 220 Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.4 und 15. 221 Vgl. die ausführliche Darstellung der Kasuistik des OGH bei Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.5 und 6. 222 Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.4. 223 Koziol, S.311/312. 224 Vgl. Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.4. 225 Vgl. z.B. OGH, 14.11.79 - 6 Ob 631/79 -, SZ 52, Nr. 168, S.817 (819) - 6jähriger und 8'/2jähriger treten ein Feuer nur unzulänglich aus; OGH, 3.4.74 - 5 Ob 76/74 -, SZ 47, Nr. 43, S.202 - 5jähriger spielt mit Streichhölzern; in OGH, 1.7.1981 - 1 Ob 623/81 - JB1.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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denshaftung bejaht226. Fälle, in denen die Verschuldenshaftung in dieser Altersgruppe verneint wurde, sind fast gar nicht zu verzeichnen 227. Nicht selten wird auch in der Entscheidungsbegründung direkt auf das Alter und die Entwicklung des Kindes abgehoben: Die für sein Alter „normale Entwicklung" des Kindes wird dann als Begründung für die Verschuldensfähigkeit herangezogen228. In einer Entscheidung des OGH heißt es etwa: der 1214jährige, der mit einer Rübe nach einem Spielgefährten geworfen habe, sei normal entwickelt gewesen; daher habe er die Fähigkeit zu der Einsicht gehabt, daß es zu einer Körperverletzung führen kann, wenn er mit einer Rübe nach dem anderen Jungen wirft. ß) Verschulden (Sorgfaltsmaßstab) Auch in Österreich gilt bei der Fahrlässigkeitsprüfung der objektive Sorgfaltsmaßstab (§ 1297 Satz 1 ABGB). Einen besonderen alterstypischen Sorgfaltsmaßstab kennt die österreichische Rechtsprechung nicht. In der österreichischen Praxis konzentriert sich die Prüfung der Verschuldenshaftung daher meist ausschließlich auf die Frage der Einsicht; eine zweistufige Prüfung wie in Deutschland - subjektive Einsichtsfahigkeit, objektives Verschulden am alterstypischen Sorgfaltsmaßstab - findet nicht statt229.

1982, 149 (150) - 7jähriger zündet ein Feuer in einem Holzschuppen an - wird die Verschuldenshaftung nicht einmal erwogen; weitere Fälle bei Reischauer, in: Rummel, ABGB, §1310 Rdn.5 (Fälle der Verschuldenshaftung) und Rdn.l6 (Mitverschuldensfalle). 226 OGH, 8.1.58 - 2 Ob 558/57 -, JB1. 1958, 401 (402) - 12!4jähriger wirft mit Rübe; OGH, 11.5.60 - 1 Ob 152/60 -, SZ 33, Nr. 54 (S.151) - 12jähriger schmeißt mit spitzem scharfkantigem Holz; OGH, 19.3.69 - 6 Ob 57/69 -, JB1. 1969, 503 (505) - lljähriger schießt mit U-Häkchen; OGH, 16.12.70 - 6 Ob 311/70 -, JB1. 1971, 312 (313/314) lOjähriger wirft mit Plastikauto nach Spielgefährten -; OGH, 11.3.81 - 1 Ob 553/81 -, JB1. 1982, 375 (376) - 13jähriger rollt Baumstamm einen Hang hinunter. Weitere Fälle bei Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.6 (Verschuldenshaftung) und Rdn.l7 (Mitverschulden). 227 Vgl. bei Reischauer, in: Rummel, ABGB, Rdn.5 (Verschuldenshaftung) und 16 (Mitverschuldensfalle). 228 Vgl. die Entscheidungen des OGH: OGH, 8.1.58 - 2 Ob 558/57 -, JB1. 1958, 401 (402) - 12'/2jähriger wirft mit Rübe; OGH, 21.10.60 - 1 Ob 242/60 -, JB1. 1961,282; OGH, 16.12.70 - 6 Ob 311/70 -, JB1. 1971, 312 (313/314) - lOjähriger wirft mit Plastikauto nach Spielgefährten. 229 Beispiele aus der Rechtsprechung, vgl. die gerade zitierten Entscheidungen in Fn. 222 und 223. Auch Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.4 trennt nicht zwischen diesen beiden Merkmalen; ebensowenig Koziol, S.312.

2. Teil: Rechtsvergleich

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γ) Beweislast Die Beweislast für die Einsichtsfähigkeit und das subjektive Verschulden weist die österreichische Praxis - anders als die deutsche Praxis - dem Geschädigten

bb) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch § 1310 HS 5 ABGB Für die Verschuldenshaftung nach § 1310 Fall 1 ABGB gilt wie für alle anderen Fälle des § 1310 die Rechtsfolge des letzten Halbsatzes des § 1310: ganzer Ersatz oder „ein billiger Teil desselben". In diesem Sinne heißt es in einem Urteil des Obersten Gerichtshofes: „Nach ständiger Rechtsprechung muß das Gericht gegen einen minderjährigen Schädiger, auch wenn diesem ein Verschulden anzulasten ist, nicht mit der ganzen Strenge der §§ 1295 ff ABGB vorgehen; vielmehr ist es in jedem der im § 1310 ABGB angeführten Ausnahmsfälle dem billigen Ermessen des Richters überlassen, das Maß des zu leistenden Schadenersatzes festzusetzen...In allen Fällen kann der Richter mit Rücksicht auf die Umstände auch bloß auf Teilersatz erkennen." 231

Von der Möglichkeit zur Reduktion auf einen billigen Teil wird in der Praxis auch Gebrauch gemacht. In die Billigkeitserwägungen werden einbezogen: die Vermögensverhältnisse der Beteiligten, wozu auch die Haftpflichtversicherung rechnet 232, zum anderen die Höhe des Verschuldens unter Berücksichtigung des Alters 233 . Nicht selten wird die Ersatzpflicht erheblich gemindert: so wurde in einer Entscheidung der Anspruch zu einem Drittel gekürzt 234, in drei weiteren Entscheidungen die Ersatzpflicht nach § 1310 letzter Halbsatz sogar auf die Hälfte reduziert 235. In einem dieser Fälle war die Ersatzpflicht sogar gemindert worden, obwohl der ev^jährige Schädiger, der haftpflichtversichert war, durch eine volle Haftung nicht belastet worden wäre. Der Oberste Gerichtshof rechtfertigte die Minderung um 50% mit folgender Begründung 236: „Der Anspruch des Beklagten aus einer Haftpflichtversicherung stellt wohl ein Vermögen iS des § 1310 ABGB dar und ist daher bei den Billigkeitserwägungen iS dieser Gesetzesstelle zu berücksichtigen..., schließt aber einen nur teilweisen Ersatz nicht aus. 230

Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.l 1 mit weiteren Nachweisen. OGH, 15.6.72 - 2 Ob 197/71 -, SZ 45 Nr. 69 (S.299). 232 OGH, 19.3.1969, - 6 Ob 57/69 -,JB1. 1969, 503 (505); OGH, 15.6.72 - 2 Ob 197/71 -, SZ 45 Nr. 69 (S.299). 233 OGH, 11.5.60 - 1 Ob 152/60 -, SZ 33 Nr. 54 (S.151); OGH, 15.6.72 - 2 Ob 197/71 -, SZ 45 Nr. 69 (S.299). 234 OGH, 16.12.70-6 Ob 311/70-, JB1. 1971,312. 235 OGH, 11.5.60 - 1 Ob 152/60 -,SZ 33 Nr. 54 (S.151); OGH, 21.10.60 - 1 Ob 242/60 -, JB1. 1961, 282; OGH, 15.6.72 - 2 Ob 197/71 -, SZ 45 Nr. 69 (S.299). 236 OGH, 15.6.72 - 2 Ob 197/71 -, SZ 45 Nr. 69 (S.300). 231

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß das Verschulden des beim Unfall erst 8jährigen Beklagten unter den gegebenen Verhältnissen verhältnismäßig gering zu werten ist, sodaß im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Bestimmung des § 1310 ABGB die Kürzung des Schadensersatzes um die Hälfte frei von Rechtsirrtum ist."

Auch bei Mitverschuldensfällen betont die österreichische Praxis immer wieder, daß das Mitverschulden eines Unmündigen milder zu beurteilen sei als das eines Deliktsfähigen 237. b) § 1310 Fall 2 ABGB Fall 2 des § 1310 - er betrifft die Haftung des Mindeijährigen, falls der Geschädigte zur Schonung des minderjährigen Schädigers die Verteidigung unterlassen hat - ist in der Praxis ohne Bedeutung. Selbst in der ausführlichen Kommentierung von Reischauer ist nicht eine Entscheidung zum 2.Fall zitiert. c) Billigkeitshaftung (§1310 Fall 3 ABGB) Das österreichische ABGB von 1811 kennt anders als das römische Recht und als der Code civil neben der Verschuldenshaftung eine Haftung des Verschuldensunfähigen. Für die Billigkeitshaftung gem. § 1310 Fall 3 ABGB ist nach der Rechtsprechung entscheidend, inwieweit eine Haftung für den Schädiger „wirtschaftlich tragbar" ist 238 . Es kommt also in erster Linie auf die Vermögens Verhältnisse der Beteiligten an 239 . Die wichtigste und zugleich schwierigste Frage ist hierbei, ob eine Haftpflichtversicherung des Schädigers dessen Ersatzpflicht begründen kann. Es hat sich eine „nunmehr ständige Rechtsprechung"240 gebildet, die diese Frage bejaht. Die Rechtsprechung begründet ihre Auffassung damit, es komme bei § 1310 Fall 3 ABGB darauf an, wer den Schaden wirtschaftlich leichter tragen könne241. Da ein haftpflichtversicherter Schädiger durch eine Schadensersatzpflicht nicht belastet werde, könne die Haftpflichtversicherung seine Ersatzpflicht aus § 1310 Fall 3

237 So z.B. in OGH, 28.10.87 - 3 Ob 516/87 -, SZ 60, Nr. 225 S.474 (479): "wesentlich milder zu beurteilen"; weitere Nachweise bei Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.l 4. 238 OGH, 3.4.74 - 5 Ob 76/74 -, SZ 47, Nr. 43 S.202 (205/206); OGH, 14.11.79 - 6 Ob 631/79 -, SZ 52, Nr. 168 S.817 (820/821). 239 Reischauer, in: Rummel, ABGB, § 1310 Rdn.9. 240 So der Oberste Gerichtshof, 14.11.79 - 6 Ob 631/79 - in SZ 52, Nr. 168 S.817

(820/821). 241

OGH, 3.4.74 - 5 Ob 76/74 -, SZ 47, Nr. 43 S.202 (205/206); OGH, 14.11.79 - 6 Ob 631/79 -, SZ 52, Nr.168 S.817 (820/821); OGH,1.7.81 - 1 Ob 623/81 - JB1. 1982, 149 (150).

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2. Teil: Rechtsvergleich

ABGB begründen. Konsequenterweise werden aber nicht nur Versicherungen des Schädigers, sondern auch Versicherungen des Geschädigten in die Vermögensbilanz einbezogen. Zum Beispiel wurde in zwei Entscheidungen die Feuerversicherung des Feuerversicherers berücksichtigt 242. Diese Rechtsprechung ist allerdings in Österreich nicht unumstritten. Einige Autoren kritisieren sie mit dem Argument, der Versicherungsschutz habe den Zweck, Ersatzpflichten des Versicherten abzudecken; sie setze daher das Bestehen der Ersatzpflicht voraus, könne aber eine Ersatzpflicht aber nicht begründen 243. Wie in Deutschland, so setzt auch in Österreich die Haftung aus Billigkeit voraus, daß ein Erwachsener, hätte er die Tat begangen, haften würde 244. 3. Dänemark a) Motive für die geltende Regelung (§ 63 MyndL) Für Minderjährige galt in Dänemark bis 1922 folgende Regelung: Der Minderjährige unter 15 Jahren war nach der Bestimmung 1-24-9 des Dänischen Gesetzbuchs (Danske Lov) von 1683 für vorsätzliches rechtswidriges Verhalten ersatzpflichtig, für fahrlässiges dagegen nicht 245 . Aus § 300 des dänischen Strafgesetzbuches folgte allerdings, daß er dennoch für fahrlässiges Verhalten ersatzpflichtig war, soweit er für dieses bestraft werden konnte246. Da die Strafmündigkeit, die zunächst bei 10 Jahren lag 247 , nach dem Gesetz Nr. 63 vom 1.4.1911 auf 14 Jahre festgelegt wurde, hatte dies von da an nur noch Bedeutung für Minderjährige zwischen 14 und 15248. Diese Regelung wurde als zu starr empfunden, weil sie den Minderjährigen unter 14 Jahren für vorsätzliche Taten ohne Einschränkung, für fahrlässige Taten dagegen gar nicht belangte. Stattdessen erstrebte man eine Regel, die „geschmeidiger und elastischer" war 244 . So sei es anstößig, 242

OGH, 14.11.79 - 6 Ob 631/79 -, SZ 52, Nr. 168 S.817 (820/821); OGH, 1.7.81 - 1 Ob 623/81 - JB1. 1982, 149(150). 243 So Koziol, S.313 und Kerschner, ÖJZ 1979, 282. Vgl. zu dieser - auch im deutschen Recht umstrittenen - Frage noch ausführlicher: 3. Teil, 4. Abschnitt, D. II. 2. b. bb. α. 244 Koziol, S.313. 245 Rechtslage bis 1922 geschildert in der Begründung zu § 65 des Entwurfs eines Gesetzes über Unmündigkeit und Vormundschaft (Udkast til Lov om Umyndighed af Vaergemâl), Kopenhagen 1921, S.97. 246 Begründung zu § 65 des Entwurfs (Udkast til Lov om Umyndighed af Vaergemâl), 5.97. 247 Vgl. § 36 des Allgemeinen Bürgerlichen Strafgesetzbuches für das Königreich Dänemark, deutsche Übersetzung in: Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher, Bd. 16, Berlin 1899. 248 Begründung zu § 65 des Entwurfs (Udkast til Lov om Umyndighed af Vaergemâl), 5.98. 249 Begründung zu § 65 des Entwurfs, S.98 f.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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wenn der Geschädigte den Schaden allein tragen müsse, den ein Minderjähriger in einem hohen Grad von Fahrlässigkeit verursacht habe. Dies Ergebnis sei vor allem dann unvorteilhaft, wenn der Minderjährige eigentlich im Stande wäre, den Schaden zu deken. Aus diesen Gründen war man der Auffassung, die deliktische Haftung Minderjähriger müsse neu geregelt werden 250. Die Kommission zur Ausarbeitung eines Gesetzes über Unmündigkeit und Vormundschaft (Lov on Umyndighed af Vaergemâl) schlug vor, die Minderjährigen unter 15 Jahren grundsätzlich den allgemeinen Regeln zu unterwerfen, jedoch in Anlehnung an andere Rechtsordnungen dem Gericht die Befugnis zu geben, mit Rücksicht auf die Billigkeit den Umfang der Ersatzpflicht herabzusetzen, oder unter Umständen sogar den Minderjährigen ganz freizustellen 251. Die Kommission bezieht sich hierbei auf § 22 des Norwegischen Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 22. Mai 1902, auf Art. 54 des schweizerischen Obligationenrechts und auf § 829 BGB. Die volle Haftung ab 15 Jahren soll beibehalten werden, eine Heraufsetzung der Grenze auf 18 Jahre wurde ausdrücklich abgelehnt252. Demgemäß wurde folgende Regelung in das Lov om Umyndighed af Vaergemâl vom 30.6.1922 (neubekanntgemacht am 3.10.1985253 als Myndighedsloven [Mündigkeitsgesetz]) aufgenommen: „§ 63. Ein Kind unter 15 Jahren ist für schadensstiftende Handlungen nach denselben Vorschriften ersatzpflichtig wie Personen, die älter sind; der Schadensersatz kann jedoch herabgesetzt werden oder sogar ganz wegfallen, soweit dies als billig anzusehen ist aufgrund fehlender Entwicklung des Kindes, der Beschaffenheit der Handlung und der sonstigen Umstände, darunter namentlich des Verhältnisses zwischen der Fähigkeit des Schädigers und des Geschädigten, den Verlust zu tragen, und der Aussicht dararuf, daß von anderen Ersatz erlangt werden kann."

b) Voraussetzungen der Verschuldenshaftung Das in § 63 Halbsatz 1 Myndighedsloven (MyndL) aufgestellte Prinzip, Kinder nach der gleichen Regel254 haften zu lassen wie Personen über 15 Jahren, bedeutet nicht, daß die Kinder auch vollkommen gleich wie Erwachsene behandelt werden. Vielmehr gilt auch in Dänemark bei fahrlässigen Handlungen von Kindern ein verminderter Sorgfaltsmaßstab. Fahrlässigkeit kann einem Kind danach nur zur Last gelegt werden, wenn es anders gehandelt hat, als es von einem normalen 250

Begründung zu § 65 des Entwurfs, S.98 f. Begründung zu § 65 des Entwurfs, S.99. 252 Begründung zu § 65 des Entwurfs, S.99. 253 Abgedruckt in: Karnov's Lovsamling, 13 Ausgabe, Kopenhagen 1993, Band 3, S. 4247 (4263). Deutsche Übersetzung in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Dänemark, S.75. 254 Zu den Voraussetzungen der allgemeinen Verschuldenshaftung in Dänemark vgl. Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.87. 251

2. Teil: Rechtsvergleich

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Kind im gleichen Alter in der gleichen Situation erwartet werden konnte255. So gibt es zahlreiche Urteile, die Fahrlässigkeit bei Kindern unter Hinweis auf ihr geringes Alter verneint haben256. Eine absolute Altersgrenze, ab der Fahrlässigkeit überhaupt nicht mehr angenommen wird, ist nicht erkennbar. Jedoch wird bei 4jährigen und jüngeren Kindern Fahrlässigkeit fast stets verneint 257. c) Rechtsfolge: Haftungsbegrenzung durch § 63 HS 2 MyndL Nach § 63 Halbsatz 2 MyndL hat der Richter bei der Prüfung der Frage, ob er von seiner Herabsetzungsbefugnis Gebrauch macht, mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Erstens hat er die (psychische und physische258) „Entwicklung" des Kindes zu bedenken. Zweitens hat er auf die „Beschaffenheit der Handlung" zu achten. Unter „Beschaffenheit der Handlung" ist hierbei die Verschuldensform zu verstehen, also die Frage, ob das Kind vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat 259 . Schließlich hat er die „wirtschaftlichen Verhältnissen", wozu auch der Versicherungsschutz beider Parteien rechnet 260, in seine Erwägungen einzubeziehen. Einige Beispiele aus der Rechtsprechung sollen anschaulich machen, wie die Reduktionsklausel des § 63 Halbsatz 2 MyndL gehandhabt wird. § 63 Halbsatz 2 MyndL wurde angewandt in folgenden Fällen: Bei einem bald 13jährigen, der durch Anzünden eines Feuerwerkskörpers einen Brandschaden verursacht hatte, wurde die Ersatzpflicht von 5.400 auf 1.000 Dänenkronen gesenkt, weil seine Fahrlässigkeit nicht so grob gewesen sei, daß § 63 Halbsatz 2 MyndL ausscheide. Außerdem sei der 13jährige Beklagte unvermögend, und der Schaden durch eine

255

Kamovs Lovsamling, Band 3, 1993, S.4263 Anm. 170; Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.95; Norgaard/Vagner, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Dänemark, S.l3. 256 Vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise in Kamovs Lovsamling, Band 3, 1993, S.4264 Anm. 170. 257 Vgl. Entscheidungen U 1944 392 (knapp 4jähriger); U 1951 894 (3 Kinder zw. VA und 3 Jahren); U 1952 196 (4jähriger); U 1958 168 (3^jähriger); U 1959 755 (knapp 4jähriger); U 1963 303 (knapp 4jährige); U 1966 179 (4jähriger); U 1968 Β 337 (4 Jahre 8 Monate); U 1981 630 (knapp 4jähriger). Anders nur U 1941 1054 (4!4jähriger); vgl. auch Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.95. 258 Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.95; Norgaard/ Vagner, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Dänemark, S.13. 259 Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.95; Norgaard/ Vagner, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Dänemark, S.13. 260 Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.95; Norgaard/ Vagner, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Dänemark, S.13.

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Versicherung des Geschädigten gedeckt261. Ist der Schaden durch eine Versicherung gedeckt, wird dies auch in anderen Entscheidungen als Grund zur Herabsetzung der Ersatzpflicht anerkannt 262. Bei einem fast 15jährigen, der mit einem Auto fahrend Schaden anrichtete - der durch eine Versicherung gedeckt war -, wurde die Ersatzpflicht herabgesetzt, weil er unvermögend war. Einem 7jährigen, der mit Pfeil und Bogen spielend ein 2jähriges Mädchen ins Auge traf, wurde die Ersatzpflicht gemäß § 63 Halbsatz 2 MyndL wegen geringer Fahrlässigkeit ganz erlassen2 6 3 . Die Ersatzpflicht wurde in zahlreichen weiteren Fällen wegen geringer, oder jedenfalls nicht erheblicher Fahrlässigkeit herabgesetzt264. Einem 5!/2jährigen, der im Kindergarten einen 6jährigen Spielgefährten verletzte, wurde die Ersatzpflicht gemäß § 63 Halbsatz 2 MyndL ganz erlassen, weil der Kläger auch noch einen Anpruch gegen die Kommune als Betreiber des Kindergartens geltend machen konnte265. § 63 Halbsatz 2 MyndL wurde nicht angewandt in folgenden Fällen: Bei einem knapp 15jährigen wegen dessen erheblicher Unachtsamkeit266; bei einem 13jährigen, der mit einer Birne nach einem 9jährigen Mädchen geworfen hatte, weil er vorsätzlich gehandelt hatte - ohne Rücksicht auf dessen wirtschaftlichen Verhältnisse 267; bei einem 6jährigen, der einen Brandschaden durch Spiel mit Zündhölzern verursacht hatte, weil er in Höhe des eingeklagten Betrages haftpflichtversichert war 268 . In mehreren Entscheidungen ist in diesem Sinne ausgesprochen worden, daß die Ersatzpflicht im allgemeinen nicht herabgesetzt wird, wenn sie durch erne Haftpflichtversicherung gedeckt ist 269 . Für Minderjährige über 15 Jahre kann in besonderen Härtefällen 270 noch die Anwendung der allgemeinen Reduktionsklausel des § 24 Erstatningsansvarsloven in Betracht kommen. So ist diese Vorschrift, die bisher nur in wenigen Ausnahme-

261

U 1951 294 (Entscheidung des Hojesteret [Oberster Gerichtshof]). Nachweise in Kamovs Lovsamling, Anm. 174 a.E. 263 U 1958 387. 264 Vgl. Nachweise in Kamovs Lovsamling, Band 3, 1993, S.4264 Anm. 172. 265 U 1975 667. 266 U 1958, 821 (Entscheidung des Landgerichts vom Hojesteret [Oberster Gerichtshof] bestätigt). 267 U 1978 700 (701). 268 U 1959 716. 269 Vgl. dazu jüngst die Entscheidung des Hojesteret (Obersten Gerichtshofs) in: U 1991, 274 (285 f.). Weitere Nachweise aus der Rechtsprechung hierzu in: Kamovs Lovsamling, Band 3, S.4265 Anm. 174 a.E. 270 Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.86, bezeichnet § 24 Erstatningsansvarsloven (EAL) allgemein als "Sicherheitsventil" zur Vermeidung unbilliger Härten. 262

2. Teil: Rechtsvergleich

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fällen herangezogen worden ist 271 , in dem Regreßprozeß eines KaskoVersicherers gegen junge Autodiebe angewandt worden 272. 4. Spanien Der spanische Cödigo civil von 1889 enthält die Besonderheit, daß er nur die Rechtsfolgen von unerlaubten Handlungen regelt, die nicht strafbar sind: Gemäß Art. 1093 C.civ. bezieht sich der 16. Titel, Kapitel 2 des 4. Buches (Art. 1902 ff. C.civ.), in dem das Deliktsrecht niedergelegt ist, nur auf unerlaubte Handlungen, die nicht mit Strafe bedroht sind. Art. 1092 C.civ. verweist dagegen hinsichtlich der zivilrechtlichen Rechtsfolgen von Straftraten und Übertretungen auf das Strafgesetzbuch (Cödigo penal). Dort finden sich im 2. Kapitel („De las personas responsables civilmente de los delitos y faltas") Regeln über die zivilrechtlichen Folgen von Straftaten und Übertretungen. Damit ist das Deliktsrecht in Spanien zweigeteilt, die Rechtsfolgen von strafbaren und nicht strafbaren unerlaubten Handlungen unterschiedlich. a) Haftung für strafbare Schädigungen Die Haftung Minderjähriger für strafbare Handlungen und Übertretungen ist in Art. 8 Nr. 2 C.pen. und 20 C.pen. geregelt. Minderjährige unter 16 Jahren sind danach zwar strafunmündig (Art. 8 Nr. 2 C.pen.). Zivilrechtlich haften sie für solche Handlungen aber gleichwohl (Art. 20 C.pen.), allerdings nur subsidiär: ihre Haftung tritt gemäß Art. 20 Primera C.pen. erst ein, wenn Ansprüche der Opfer gegen obhutspflichtige Dritte nicht bestehen, weil es keine obhutspflichtigen Dritten gibt, oder weil diese insolvent sind: „Ist weder ein Gewalthaber noch eine gesetzliche Aufsichtsperson vorhanden oder sind diese zahlungsunfähig, so haften [responderân] die Geisteskranken, Minderjährigen oder Taubstummen selbst mit ihrem eigenen Vermögen [con sus bienes] innerhalb der Grenzen der Pfandungsvorschriften der Zivil- und Strafprozeßordnung."

Art. 20 Primera C.pen. enthält den Zusatz, die strafrechtlich nicht Verantwortlichen hafteten mit ihrem Vermögen, „responderân con sus bienes u. Die Bedeutung dieses Zusatzes ist nicht leicht zu erschließen. Der Zusatz könnte einmal lediglich klarstellende Funktion haben und betonen, daß diese Personen dann selbst, und nicht etwa das Vermögen der gesetzlichen Aufsichtsperson haftet. Um die Eigenhaftung des strafrechtlich nicht Verantwortlichen zu begründen, hätte es allerdings des Zusatzes con sus bienes nicht bedurft, da bereits durch die Worte responderân ..." eindeutig ausgesprochen ist, daß eben diese Personen, und nicht andere Personen haften. Der Zusatz con sus bienes könnte aber auch eine ein271 272

Norgaard, in: Krüger Andersen u.a. (Hrsg.), Dansk Privatret, S.86. Norgaard/Vagner, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa: Dänemark, S.22.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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schränkende Funktion haben und bedeuten, daß der unter 16jährige nur dann und nur insoweit ersatzpflichtig ist, als Vermögen vorhanden ist. Aus aktuellen Kommentierungen zu Art. 20 Primera C.pen. geht die genaue Bedeutung des Zusatzes con sus bienes nicht hervor 273. Entscheidungen zu Art. 20 Primera C.pen. scheint es kaum zu geben. Auch eine grundlegende Entscheidung des Obersten Gerichts (Tribunal Supremo) zu Art. 20 Primera C.pen. gibt keinen Aufschluß zu dieser Frage 274. Die Entstehungszeit des Art. 20 Primera C.pen. - er war bereits im Codigo Penal von 1870 enthalten (damals Art. 19 Primera C.pen275) - mag darauf hindeuten, daß mit dem Zusatz con sus bienes die Beschränkung der Haftung auf das vorhandene Vermögen gemeint war, etwa wie in den ganz ähnlich lautenden, ebenfalls im 19. Jahrhundert entstandenen Normen Kapitel 9 § 5 Finn. Strafgesetz und Art. 686 Russ. Zivilkodex 276 . In diesem Sinne wird auch die Haftung nach Art. 20 Primera C.pen. in einem älteren rechtsvergleichenden Nachschlagewerk der Billigkeitshaftung zugeordnet 277. Trifft diese Zuordnung zu, so hätte Art. 20 Primera haftungsbegrenzende Funktion. Er beschränkt dann die Haftung des Minderjährigen unter 16 Jahren der Höhe nach auf einen Betrag, der dessen vorhandenem Vermögen entspricht, und schützte den Minderjährigen vor einem Zugriff des Gläubigers auf seinen zukünftigen Erwerb. b) Haftung fur nicht strafbare Schädigungen Die Haftung Minderjähriger ist nur für die strafbaren Handlungen und Übertretungen gesetzlich geregelt, während im Codigo civil für die nicht strafbaren unerlaubten Handlungen eine Bestimmung über die Minderjährigen fehlt. Angesichts dieser Gesetzeslücke erstaunt es nicht, daß sich in der Literatur unterschiedliche Meinungen zur Haftung Minderjähriger nach dem Codigo civil gebildet haben. Die erste Auffassung greift den naheliegenden Gedanken auf, die Gesetzeslücke durch die analoge Anwendung des Art. 20 Primera Cödigo penal zu schliessen, was bedeutet: auch für die nicht strafbaren unerlaubten Handlungen haften die Minderjährigen subsidiär mit ihrem Vermögen, nämlich dann, wenn Ansprüche gegen die Eltern nicht bestehen278. Diese Auffassung will die analoge Anwendung 273 Vgl. Kommentierungen zu Art. 20 C.pen. bei Manzanares Samaniego / Albacar Lopez, Cödigo Penal; Navarro Pérez, Codigo Penal; Garcia Gil, Codigo Penal. 274 Tribunal Supremo, Urt. v. 8.3.1984, Repertorio de Jurisprudencia 1984, Nr.1719 (Entscheidung betrifft Haftung eines Geisteskranken nach Art. 20 Nr. 1 C.pen.). 275 Vgl. die deutsche Übersetzung von Art. 19 Primera C.pen. von 1870 in: Spanische Strafgesetzbuch vom 17. Juni 1870 (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher, Bd. 26), Berlin 1909. 276 Vgl. zu diesen Vorschriften in diesem Abschnitt, Β. I. 2. und C. I. 1. 277 Vgl. Titze, in: Schlegelberger (Hrsg.), Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslands, Bd.6, Berlin 1938, S.711. 278 Perez, in: Alvarez de Miranda y Torres, Quintus Mucius Scaevola, T. 23, Art. 19021929, S.475 im Anschluß an de Castro, dortselbst zitiert.

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2. Teil: Rechtsvergleich

allerdings insofern einschränken, als die subsidiäre Haftung nach Art. 1902 C.civ., Art. 20 Primera C.pen. analog nur eintreten soll, wenn dem Minderjährigen ein Verschulden (gem. Art. 1902 C.civ.) zugerechnet werden kann. Das Verschulden aber setzt dieser Auffassung zufolge voraus, daß der Minderjährige mit Einsicht „con conoscimiento" - gehandelt hat 279 . In diesem Punkt überschneidet sich diese Auffassung mit derjenigen einer Gruppe von Autoren, die die Haftung des Minderjährigen ebenfalls von seiner Einsichtsfahigkeit - „discernimiento" - abhängig machen280. Minderjährige ohne „discernimiento" sind danach von der Haftung freigestellt. Hergeleitet wird diese Regel aus dem Begriff des Verschuldens - der „culpa" 281 , die als Haftungsvoraussetzung der deliktsrechtlichen Generalklausel in Art. 1902 C.civ. zugrundeliegt. Das Verschulden setzt danach ein gewisses Maß an Einsicht voraus 282. Ähnlich hält Albaladejo den Minderjährigen nur für verantwortlich, wenn er die „aptidud natural para entender y querer", die „Fähigkeit zu erkennen und zu wollen" hatte283. Diese zweite Auffassung unterscheidet sich von der ersten darin, daß sie eine analoge Anwendung des Art. 20 Primera C.pen. im übrigen ablehnt284. Schließlich wird die Auffassung vertreten, aus Art. 1903 C.civ., der die Haftpflicht der Eltern für die unerlaubten Handlungen ihrer minderjährigen Kinder normiert, könne der Umkehrschluß gezogen werden, daß eine direkte Verantwortlichkeit der Kinder bis zur Volljährigkeit überhaupt nicht besteht285. Insgesamt läßt sich somit ein „kleinster gemeinsamer Nenner" der Literaturmeinungen dahingehend feststellen, daß jedenfalls Minderjährige, die nicht einsichtsfahig sind, deliktsrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden können und damit von jeder Haftung freigestellt sind. Die Aufassung der Rechtsprechung hierzu konnte der Verfasser nicht ermitteln, da die zu Rate gezogenen zivilrechtlichen Kommentierungen und Lehrbücher durchweg keinen einzigen Rechtsprechungshinweis zur Haftung Minderjähriger enthielten.

279 Perez, in: Alvarez de Miranda y Torres, Quintus Mucius Scaevola, T. 23, Art. 19021929, S.475. 280 Puig Pefia, S.683; Castan Tobefias, S.955; Santoz Briz, S.52 und 54; ders., in: Albaladejo (Hrsg.), Art. 1902, S.l 17 und 119; Santdiumenge - er spricht von "Einsichtsvermögen" -, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Spanien, S.35. Bei Santoz Briz findet sich auch die Formulierung "capacidad de comprender la injusticia de su accion y de obrar en consecuencia", die die Steuerungsfahigkeit mit einschließt. 281 Castan Tobefias, S.956. 282 Castan Tobefias, S.955 und 956. 283 Albaladejo, § 152, S.521. 284 Puig Pena, S.683. 285 Puig Bruitau, S.87; Pérez y Alguer, zitiert bei Perez, in: Alvarez de Miranda y Torres, Quintus Mucius Scaevola, T. 23, Art. 1902-1929, S.475.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Für deliktsfähige, und damit haftbare Minderjährige, kann sich, wenn sie lediglich leicht fahrlässig gehandelt haben, noch eine Haftungsmilderung aus der allgemeinen Reduktionsklausel des § 1103 C.civ. ergeben. D. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung für Minderjährige unter 10 Jahren I. Haftungsmilderung 1. Argentinien,

durch Freistellung

Uruguay, Kolumbien

Mehrere lateinamerikanische Staaten setzen das Alter von 10 Jahren als Grenze der absoluten Deliktsunfähigkeit fest: Argentinien (Art. 1076 Satz 2 Cödigo civil von 1869), Uruguay (Art. 1320 Halbsatz 1 Cödigo civil von 1868), Kolumbien (Art. 2346 Halbsatz 1 Cödigo civil von 1873). Diesen Staaten ist ferner gemeinsam, daß die Haftung von Minderjährigen über 10 Jahren nicht noch von der Einsichtsfähigkeit abhängig gemacht wird, vielmehr der Minderjährige über 10 Jahren stets verantwortlich ist. Damit folgen die genannten Staaten einem „rein biologischen System", wie es in einer Kommentierung zum argentinischen Cödigo civil heißt286. Dieses System, so heißt es dort, habe den Vorzug der Bestimmtheit und Rechtssicherheit. Das z.B. in Italien geltende System, wonach ohne feste Altersgrenzen die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen in jedem Einzelfall zu bestimmen ist, sei zwar in der Theorie perfekter, weil es auf die Gegebenheiten des Einzelfalles eingehe; es mangele diesem System aber an Rechtssicherheit287. Die Frage, warum in diesen Staaten die Altersgrenze in Abweichung vom römischen Recht auf 10 Jahre statt auf 7 Jahre festgelegt worden ist, läßt sich schwer beantworten, ohne die Gesetzgebungsmaterialen aus dem 19.Jahrhundert zu studieren. Die Vermutung liegt nicht fern, in diesen Staaten habe man die Voraussetzungen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Verantwortlichkeit aufeinander abstimmen wollen. Für Argentinien mag diese Vermutung durch die Tatsache unterstützt werden, daß wenige Jahre vor der Verabschiedung des Cödigo civil (1869), nämlich im Jahr 1865 der erste Entwurf eines Strafgesetzbuches für Argentien veröffentlicht worden war 288 . In diesem Entwurf, dem nach seinem Verfasser so bezeichneten „Projecto Tejedor", war die Strafmündigkeit ebenfalls bei 10 Jahren festgelegt (Art.147) 289 .

286 287 288 289

Kemelmajer de Carlucci, in: Belluscio/Zannoni, Bd.5, § 6 zu Art. 1076. Kemelmajer de Carlucci, in: Belluscio/Zannoni, Bd.5, § 6 zu Art. 1076. Jimenez de Asùa, S. 1015. Jiménez de Asùa, Bd.l, S. 1016 Buchst, e) sowie S. 1017 Buchst, i).

2. Teil: Rechtsvergleich

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Für Minderjährige über 10 Jahren ist in Argentinien die allgemeine Reduktionsklausel des § 1069 II C.civ. zu beachten. 2. El Salvador Nach Art. 2070 des Cödigo civil von 1912 sind neben Minderjährigen unter 10 Jahren auch einsichtsunfähige Mindeijährige über 10 Jahren von der Haftung freigestellt. II. Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe: Griechenland Die Bestimmungen des griechischen ZGB von 1941, in Kraft seit 23.2.1946, über deliktsrechtliche Haftung Minderjähriger (Art. 916-918 griech. ZGB) sind zwar den Regeln des deutschen BGB nachgebildet: Art. 916 ZGB entspricht § 828 I BGB, Art. 917 ZGB entspricht § 828 II BGB, Art. 918 ZGB entspricht im wesentlichen § 829 BGB. Die Altersgrenze liegt in Griechenland jedoch bei 10 statt bei 7 Jahren (Art. 916, 917 ZGB). E. Rechtsordnungen mit Haftungsmilderung für einsichtsunfahige Minderjährige (bzw. Minderjährige unter 7 Jahren) I. Haftungsmilderung

durch Freistellung

1. Deliktsrecht des Code civil Im Code civil von 1804, der in Frankreich, Belgien und Luxemburg (mit den jeweiligen nationalen Abänderungen) gilt, ist die Frage, inwieweit Minderjährige deliktisch haften, gesetzlich nicht geregelt. Hin und wieder ist die Bestimmung des Art. 1310 C.civ. als Argument dafür angeführt worden, daß Minderjährige ohne Rücksicht auf ihre Einsichtsfähigkeit deliktsrechtlich verantwortlich seien290. Die systematische Stellung der Vorschrift im Titel „Über das Erlöschen von Schuldverhältnissen" im Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse zeigt jedoch, daß Art. 1310 C.civ lediglich klarstellen soll, daß die Aufhebbarkeit bzw. Unwirksamkeit von Verträgen mit Minderjährigen Verpflichtungen des Minderjährigen aus Delikt unberührt läßt. Art. 1310 C.civ. besagt nur, daß einer deliktischen Haftpflicht Minderjähriger die Vorschriften über die Aufhebbarkeit und Unwirksamkeit von Verträgen mit Minderjährigen nicht entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in Frankreich gibt daher Art. 1310 C.civ. keine Auskunft darüber, ob und wann Minderjährige deliktisch haften 291. 290

Vgl. Nachweise bei Hennings, S.53. Zur französischen Praxis Nachweise bei Hennings, S.54; zur belgischen Rechtsprechung vgl. belg. Kassationshof, 30.5.1969, Pas., S.879 (880 Leitsatz 3 sowie 882). 291

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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In Frankreich hat außer Art. 1310 noch eine weitere Bestimmung, Art. 489-2 C.c., der vom Gesetzgeber 1968 eingefügt wurde, für die Diskussion um die Deliktsfähigkeit Minderjähriger eine Rolle gespielt. Art. 489-2 C.c. bestimmt, daß - entgegen der Rechtsprechung bis 1968 - Geisteskranke, obwohl sie keine Verstandesfähigkeit besitzen, gleichwohl für ihre schädigenden Handlungen ersatzpflichtig sind. Daraus ist von manchen a minore ad maius geschlossen worden, daß nun auch Minderjährige ohne Rücksicht auf ihre Verstandesfähigkeiten haftbar sind 292 . Von dieser Auffassung ist die Rechtsprechung im wesentlichen unbeeindruckt geblieben, vor allem seit der Kassationshof in einem Urteil vom 7.12.1977 klarstellte, daß sich Art. 489-2 C.c. lediglich auf die Geisteskranken beziehe und daraus keine Schlüsse für die Haftung der Minderjährigen gezogen werden könnten293. Da also der Code civil zur Frage der Minderjährigenhaftung schweigt, war es in diesen Ländern Aufgabe der Rechtsprechung, Regeln über die Minderjährigenhaftung zu entwickeln. a) Frankreich (Rechtsprechung bis 1984) Die französische Rechtsprechung bis 1984 folgte der auf das römische Recht zurückgehenden Auffassung 294, daß infantes als absolut deliktsunfähig anzusehen sind, also auf Schadensersatz in keinem Falle in Anspruch genommen werden können295. Diese Rechtsprechung befand sich im 19. Jahrhundert 296 im vollkommenen Einklang mit der Lehre, und war von der ersten Zeit an weitgehend einheitlich. So bemerkt von Kübel im Jahr 1882, in Frankreich werde es von „maßgebenden Autoritäten als communis opinio und konstante Praxis bezeichnet, daß der durch unzurechnungsfähige Personen, besonders Kinder und Geisteskranke, verursachte Schaden nicht zu ersetzen ist" 297 . Allerdings folgte die französische Rechtsprechung dem römischen Recht nicht auch insoweit, als es die Altersgrenze von 7 Jahren für maßgeblich hält 298 . Vielmehr war das allein entscheidende Kriterium das „discernement" 299, also die Einsicht, welches wiederum seinen Vorläufer im römischen Recht hat 300 . Der Kassationshof, die oberste Instanz in Zivilsachen,

292

Zu dieser Debatte Hennings, S.59 ff. Cass. civ. II., 7.12.1977, D.1978,1.R.205. 294 Vgl. dazu 1. Teil, 2. Abschnitt, Β. I. 295 Hennings, S.35; Nachweise aus der Rechtsprechung bei ihm S.35 ff. und 75 ff. 296 Nachweise bei Hennings, S.35 ff. 297 Vgl. von Kübel, in: Die Vorlagen der Redaktoren, Bd. 2, S.689. 298 Sohm-Bourgeois, Minorité-Majorité, Nr. 47, in: Dalloz, Répertoire de Droit Civil, Bd. VI; Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, S.474. 299 Hennings, S.34 unter B; Ausführlich zum "discernment" Hennings, S.75 ff. 300 Vgl. Inst. 4,1,18: "si... intellegat se delinquere"; vgl. 1. Teil, 2. Abschnitt, B. II. 293

11 Cîoecke

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2. Teil: Rechtsvergleich

gebrauchte in seinen Entscheidungen zur Haftung Minderjähriger eine weitgehend einheitliche Formulierung. Nach dieser war für die Verantwortlichkeit des Minderjährigen entscheidend, „si le mineur était capable de discerner les conséquences de son acte" 301 . Wie im deutschen Recht wurde also zur Bestimmung der Deliktsfähigkeit lediglich auf die Erkenntnisfähigkeiten, nicht auch auf die Steuerungsfähigkeit des Minderjährigen abgestellt302. Das „discernement" entsprach also weitgehend der Einsichtsfähigkeit des § 828 II Satz 1 BGB. Ein Unterschied ergab sich nur insoweit, als die französische Rechtsprechung auf die Einsicht in die konkrete Gefährlichkeit der Handlung abstellte303. Die Beweislast hinsichtlich der Einsichtsunfähigkeit lag in Frankreich ebenso wie in Deutschland beim Minderjährigen: er mußte seine Einsichtsunfähigkeit beweisen. Aufschlußreich ist eine Analyse der Rechtsprechung bei Hennings 304, die zeigt, daß, obwohl eine 7-Jahresgrenze oder sonstige Altersgrenze in Frankreich nicht gesetzlich festgelegt ist, die Gerichte gleichwohl zu Ergebnissen gelangten, die der Festlegung einer Altersgrenze gleichkommen. Hennings kann nur zwei veröffentlichte Entscheidungen ausmachen, in denen 6jährige für einsichtsfähig gehalten wurden; Kinder im Alter von 5 Jahren oder darunter waren überhaupt nicht verurteilt worden 305. In der Altersgruppe der 6-10jährigen hat es sowohl zahlreiche die Einsichtsfähigkeit verneinende als auch bejahende Urteile gegeben306. Dagegen ist im Bereich über 10 Jahren nur noch sehr vereinzelt die Einsichtsfähigkeit verneint worden. Hennings kann nur zwei solcher Fälle ausmachen - in beiden Fällen handelte es sich um 11-jährige, in allen übrigen Fällen sind über 10jährige für einsichtsfähig gehalten worden 307. Die Praxis orientierte sich bei der Bestimmung der Einsichtsfähigkeit häufig am Alter; nicht selten wurde allein das Alter zur Begründung oder Verneinung der Einsichtsfähigkeit angeführt 308. Bei Kindern unter 6 Jahren hat der Kassationshof sogar den Schluß vom Alter auf die Einsichtsunfähigkeit zugelassen309.

301 302 303 304 305 306 307 308 309

Vgl. Hennings mit Nachweisen aus der Rechtsprechung, S.77/78. Hennings, S.80/81. Hennings, S.79 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. S.81 ff. Hennings, S.82, 85. Nachweise bei Hennings, S.82/83. Nachweise bei Hennings, S.83-85. Vgl. Nachweise bei Hennings, S.78 Fn.23. Vgl. Nachweise bei Hennings, S.87 Fn.72 und 73.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Die Rechtsprechung, wonach in Fällen fehlender Einsichtsfähigkeit die Haftung ausgeschlossen ist, war bis etwa 1977 einheitlich und konstant310. Wohl auf Grund der scharfen Kritik, die sich die Regelung von Seiten namhafter französischer Autoren gefallen lassen mußte, bahnte sich dann eine Abkehr von dieser Rechtsprechung an, die mit den Urteilen der Assemblée plénière des Kassationshofes vom Mai 1984 vollzogen wurde. Mit diesen Urteilen ließ der Kassationshof das „discernement" als Voraussetzung für die Haftung des Minderjährigen fallen 311. Seither gelten für Minderjährige die gleichen Maßstäbe wie für Erwachsene: Der Minderjährige haftet dann, wenn er eine „faute" im Sinne des deliktsrechtlichen Grundtatbestandes (Art. 1382 C.civ.) begangen hat, d.h. dann, wenn er sich - nach einem objektiven (am Erwachsenen orientierten) Maßstab beurteilt - „falsch" verhalten hat 312 . Hierbei wirkt sich aus, daß die Rechtsprechung auch bei Minderjährigen stets - anders als die deutschen Gerichte - einen objektiven, an dem Maßstab „des besonnenen Familienvaters" orientierten, und nicht einen alterstypischen Sorgfaltsmaßstab anlegten313. b) Belgien In Belgien hat die Rechtsprechung den gleichen Weg beschritten wie die französische Rechtsprechung bis 1984. Die ständige Rechtsprechung in Belgien hält ebenfalls Minderjährige ohne discernement für deliktsunfähig. So hat der belgische Kassationshof mehrfach entschieden, daß Minderjährige, die noch nicht das Alter der Einsichtsfähigkeit erreicht haben, nicht persönlich für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können: „un enfant qui n'a pas atteint l'âge de discernement ne peut-être rendu personellement responsable de ses actes"314. Maßgeblich für das discernement ist, ob der Minderjährige sich der Gefährlichkeit seines Tuns im konkreten Fall bewußt war; hierbei hat der Richter die Art der Handlung sowie alle sonstigen Umstände zu berücksichtigen 315. Insoweit stimmt die Rechtsprechung in Belgien mit derfranzösischen bis 1984 überein. Hinsichtlich des Alters aber folgt die belgische Rechtsprechung der 7-JahresGrenze des römischen Rechts. So wurde die Deliktsfähigkeit von 6jährigen in drei Entscheidungen verneint. In der Begründung wurde zwar jeweils betont, daß es im belgischen Recht keine feste Altersgrenze gibt und die Festlegung des Alters, in dem Kinder „zu Verstand gelangen" dem Richter überlassen sei; es wurde jedoch in allen Fällen berücksichtigt, daß das römische und deutsche Recht das Alter von 310 311 312 3.3 3.4 3.5

Chabas, D. 1984, 532 unter Nr. 2. Vgl. dazu in diesem Abschnitt F. I. Vgl. dazu in diesem Abschnitt F. I. Hennings, S.89/90. Cass. 30.5.1969, Pas., S.879 (880 Leitsatz 2, 883); Cass, 3.5.1978, Pas., S.1012. Cass., 30.5.1969, Pas., S.879 (882).

2. Teil: Rechtsvergleich

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7 Jahren für maßgeblich halten316. Im Urteil des Brüsseler Berufungsgerichts vom 2.12.1955 wird sogar ausgeführt, die Rechtsprechung erkenne an, daß mit dem siebten Lebensjahr im allgemeinen die nötige Erkenntnis des „caractère fautif 4 einer Handlung beginne: „...la loi, à l'inverse du droit romain et du droit allemand, ne fixe pas l'âge auquel l'enfant est réputé capable de discernement; mais la jurisprudence, se fondant sur les circonstances, admet que la septième année en général apporte la compréhesion nécessaire du caractère fautif des faits matériels."

In Belgien hat die Lehre, anders als in Frankreich, diese auf die Einsichtsfähigkeit abstellende Rechtsprechung zumindest bis zum Jahr 1967 nicht in Frage gestellt317. Vielleicht ist es auch darauf zurückzuführen, daß die Rechtsprechung sich bisher anscheinend von der Wende in Frankreich unbeeindruckt zeigt 318 . Einer Kehrtwende in der belgischen Rechtsprechung dürfte auch der vom belgischen Gesetzgeber im Jahre 1935 eingefügte Art. 13866/5 C.civ. entgegenstehen, der eine Billigkeitshaftung der Geisteskranken einführte. Damit hat der Gesetzgeber indirekt anerkannt, daß Personen ohne Einsichtsfähigkeit nicht der Verschuldenshaftung unterliegen 319. c) Luxemburg Die Rechtsprechung in Luxemburg entspricht der französischen bis 1984. So wurden 2, 3 und 7jährige als nicht deliktsfähig angesehen, weil sie nicht das nötige „discernement" besaßen320. 2. Québec Auch Québec hat das Deliktsrecht des franz. Code civil von 1804 fast unverändert übernommen (Art. 1053-1056), jedoch ist in der ansonsten Art. 1382 und 1383 franz. C.civ. entsprechenden deliktsrechtlichen Generalklausel des Art. 1053 3.6

Brüssel, 4. Nov. 1955, Pas., S.l22 (123); Brüssel, 2. Dez. 1955, Pas., S.l24 (124/125); Brüssel, 15. Nov. 1963, Pas., S.59 (60). 3.7 Vgl. Dalcq, Nr. 2302. 3.8 In der Ausgabe des "Les Codes Larcier" von 1990 (hrsg. v. Schetter, Lamberts u.a.), einer durch Leitsätze der Rechtsprechung kommentierten Ausgabe der wichtigsten belgischen Gesetze, darunter des Code civil, finden sich jedenfalls immer noch die Leitsätze der oben zitierten Urteile des Kassationshofes vom 30.5.1969, Pas., S.879 und 3.5.1978, Pas., S. 1012, welche Kinder ohne "discernement" für deliktsrechtlich nicht verantwortlich halten: vgl. Les Codes Larcier, Band 1, S.l22. Auch im Ergänzungsband 1991 finden sich keine abweichenden Entscheidungen, vgl. Les Codes Larcier - Contenant 1991. 3.9 Dalcq, Nr. 2302. 320 Cass. 2.7.1964; Cour, 2.10.1963; Diekirch, 30.10.1935, jeweilige Leitsätze zitiert in: Code Civil et Code de procédure civile en viguer dans le Grand-Duché de Luxembourg, annotés d'après la jurisprudence luxembourgeoise, Luxemburg 1967, S. 121.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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des Code Civil Québecs von 1866 im Sinne der damals auch in Frankreich herrschenden allgemeinen Ansicht klargestellt worden, daß nur Personen, die „Gut und Böse unterscheiden können", für Delikte verantwortlich gemacht werden dürfen: „Toute personne capable de discerner le bien du mal, est responsable du dommage causé par sa faute à autrui..."

Die Rechtslage in Québec entspricht damit dem Rechtszustand in Frankreich bis 1984 und den anderen Staaten des napoleonischen Deliktsrechts, mit dem Unterschied, daß sich hier die Rechtsprechung stets auf eine eindeutige gesetzliche Grundlage berufen konnte. Auch in Québec wird die „capacité de discerner" nicht abstrakt bestimmt, sondern es wird untersucht, ob der Minderjährige im konkreten Fall, unter Berücksichtigung aller Umstände und der Art der Tat, die Folgen seines Tuns erkennen konnte321. Die Rechtsprechung erkennt allerdings wie die belgische faktisch eine Altersgrenze von 7 Jahren an 322 . Zwei weitere Besonderheiten der Praxis in Québec sind anzumerken: Die Schädigung durch einen Deliktsunfähigen wird von der Praxis einem „cas fortuit", einem Zufall gleichgestellt323 - ganz im Sinne des römischen Juristen Ulpian 324 - und ein alterstypischer Sorgfaltsmaßstab wird anerkannt325. Im Jahre 1991 ist ein vollkommen neuer Code civil vom Parlament verabschiedet worden 320, in dem auch das Deliktsrecht vollständig umgearbeitet ist. Im neuen Art. 1457 heißt es: ( 1 ) Every person has a duty to abide by the rules of conduct which lie upon him, according to the circumstances, usage or law, so as not to cause injury to another. (2) Where he is endowed with reason and fails in this duty, he is reponsible for any injury he causes to another person...

Die neue Formulierung „where he is endowed with reason" in Art. 1457 (2) C.civ. dürfte gegenüber der Regelung des Art. 1053 C.civ. inhaltlich keine Änderung bedeuten. Daß unter der neuen Regelung Minderjährige weiterhin nur

321

Vgl. Boucher and another v. Henderson [1965] B.R. 681 (682); Ginn v. Sisson [1969] C.S. 585 (587/588); vgl. außerdem Baudoin Nr.49 und Nr.53. 322 Baudoin, Nr.53, mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen in Fn.8, vgl. z.B. Stagno v. Primo [1968] C.S. 185 (186); Baudoin nennt nur eine Ausnahme: In Ginn v. Sisson [1969] C.S. 585 (587/588) wurde ein 6 Jahre und 9 Monate alter Junge für deliktsfähig gehalten. 323 Baudoin, Nr.54; vgl. z.B. Stagno v. Primo [1968] C.S. 185 (187). 324 Vgl. dazu oben 1. Teil, 2. Abschnitt, Β. I. 1. 325 Baudoin, Nr.53; vgl. z.B. Boucher v. Henderson [1965] B.R. 681 (682). 326 Civil Code of Québec, Statutes of Québec 1991, Ch.64, S. 1059.

1

2. Teil: Rechtsvergleich

bei Einsichtsfähigkeit haften, wird dadurch bestätigt, daß eine noch im Gesetzentwurf 27 enthaltene Bestimmung, wonach Minderjährige auch bei Einsichtsunfähigkeit verantwortlich sein sollten, von der Nationalversammlung Québecs aus dem Gesetz herausgenommen wurde 328. 3. Chile Der chilenische Codigo civil von 1857 regelt die deliktische Haftung Minderjähriger nach dem Vorbild des römischen Rechts: Minderjährige unter 7 Jahren sind absolut deliktsunfähig (Art. 2319 I C.civ.), bei Minderjährigen zwischen 7 und 16 Jahren hängt die Deliktsfähigkeit davon ab, ob sie bei der Begehung des Delikts die nötige Einsicht („discernimiento") gehabt haben (Art. 2319 II C.civ.). Eine Billigkeitshaftung Deliktsunfähiger kennt das chilenische Recht nicht - auch darin folgt es dem römischen Vorbild. 4. Tschechische Republik Das tschechoslowakische ZGB von 1964, das in der Tschechischen Republik 329 fortgilt, regelt die Minderjährigenhaftung in § 422 330 : Danach haftet ein Minderjähriger, wenn er „fähig ist, seine Handlungen zu beherrschen und ihre Folgen zu beurteilen". § 422 ZGB verzichtet damit im Gegensatz zur bis dahin geltenden Regelung, wonach die Deliktsfähigkeit erst im Alter von 15 Jahren begann331, auf die Festlegung einer Altersgrenze. Im Einklang mit dem schweizerischen und italienischen Recht wird neben der Einsichtsfähigkeit auch die Steuerungsfähigkeit als Voraussetzung der Deliktsfähigkeit angesehen. §422 ZGB enthält damit neben dem intellektuellen auch ein Willenselement332. Die Beweislast liegt - insofern abweichend von den bisher dargestellten Rechtsordnungen - beim Geschädigten, der nachweisen muß, daß der Minderjährige die von § 422 ZGB vorausgesetzten Fähigkeiten zum Zeitpunkt der Schädigung hatte333.

327 Act to add the reformed law of obligations to the Civil Law of Québec (1987), vgl. dazu Kassirer, AJCL 40 (1992), 343 (344 f. und Fn. 5). 328 Kassirer, AJCL 40 (1992), 343 (344). 329 Vgl. Verfassungsgesetz vom 15.12.92 (Gesetzbl. 31.12.92 Nr.3, Pos.4), wonach die Rechtsvorschriften der CSFR grundsätzlich übernommen werden, vgl. WGO-MföR 1993, 83. 330 § 422 ist unverändert in Kraft, vgl. Obcansky Zâkonic (Zivilgesetzbuch), Nr. 100, in: Ceskoslovenské Zâkony Ùlpné zueni [Loseblattsammlung], München Prag 1993. 331 So die Rechtslage nach dem ZGB von 1950, vgl. Kanda, RIDC 1965, 895 (899). 332 Vondracek, Kommentierung zu § 422, S.381. 333 Vondracek, Kommentierung zu § 422, S.381.

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Eine Billigkeitshaftung des Deliktsunfähigen ist nicht vorgesehen. Hinsichtlich des Haftungsumfangs ist die allgemeine Reduktionsklausel des Art. 450 ZGB zu beachten. 5. Japan und Republik Korea (Südkorea) In Japan und in Südkorea ist der einsichtsunfähige Minderjährige von der Haftung freigestellt. Eine Billigkeitshaftung ist nicht vorgesehen334. In Südkorea ist hinsichtlich des Haftungsumfangs die allgemeine Reduktionsklausel des Art. 765 I BGB zu beachten. IL Haftungsmilderung durch Freistellung oder Begrenzung der Schadensersatzhöhe 1. Italien a) Verschuldenshaftung (Art. 2043, 2046 C.civ.) Voraussetzung für die Haftung aus dem Grundtatbestand der deliktsrechtlichen Verschuldenshaftung (Art. 2043 C.civ.) ist gemäß Art. 2046 C.civ., daß der Schädiger zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung die „Fähigkeit zu begreifen und zu wollen" besaß (la capacità d'intendere e di voler e). Der Kassationshof umschreibt die capacità d'intendere als Fähigkeit, den sozialen Sinn des konkreten Verhaltens angemessen zu bewerten; die capacità di volere als Fähigkeit, das zu wollen, was einem die Einsicht gebietet, in der Fähigkeit, sich eher auf autonome Weise zu bestimmen als nur durch Impulse335. Bei der Anwendung der Vorschrift in bezug auf Minderjährige wird zunächst betont, die im Strafrecht geltende gesetzliche Vermutung der Einsichts- und Willensunfahigkeit von Minderjährigen unter 14 Jahren (Art. 97 Codice penale) habe keine Relevanz für das Zivilrecht; es sei vielmehr in das Ermessen des Richters gestellt, jeweils im konkreten Fall zu bestimmen, ob die Einsichts- und Willensfähigkeit vorliege 336. Bei der Ausübung seines Ermessens habe er das Alter des Minderjährigen, dessen intellektuelle und körperliche Entwicklung, Charakterstärke in seine Überlegungen einzubeziehen337. So wurde vom Kassationshof die

334

Art. 712 des japanischen BGB von 1896, Art. 753 des koreanischen BGB. Corte di Cassazione, Sezione III, 4.4.1959, n.1006, in: Resp.civ. 1960, S.58 (61). 336 Corte di Cassazione, 18.6.53, n.1812, in: Foro it., I, S.l431 (1432 Leitsatz 2); Corte di Cassazione, 4.4.1959, n.1006, in: Resp.civ. 1960, S.58 (59 Leitsatz 5); de Cupis, in: Scialoja/Branca, Art. 2046 Nr.2; Cian/Trabucchi, Art. 2046 Rdn.3. 337 Venchiarutti, in: Alpa/Bessone, Bd.l, S.208; Rubini, Art. 2046 § 31; CianyTrabucchi, Art. 2046 Rdn.3. 335

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2. Teil: Rechtsvergleich

Annahme der Deliktsfähigkeit bei einem 9jährigen nicht beanstandet338. Bei Venchiarutti 339 findet sich dazu der Hinweis, wenn es auch im Zivilrecht keine absolute Vermutung der Einsichts- und Willensunfähigkeit unter einem bestimmten Alter gebe, so könne doch in extrem jungem Alter eine relative Vermutung der Einsichts- und Willensunfähigkeit gegeben sein. Er nennt als Beispiel einen Fall 340 , in dem der Kassationshof einen 6jährigen ohne weitere Begründung für deliktsunfähig gehalten hatte. Die strafrechtliche Altersgrenze von 14 Jahren hatte allerdings für die Ersetzbarkeit des immateriellen Schadens (danno non patrimoniale) eine Bedeutung: Der Kassationshof vertrat lange Zeit die Auffassung, von einem strafrechtlich nicht verantwortlichen Minderjährigen könne der Ersatz des immateriellen Schadens nicht verlangt werden 341, rückte dann aber später von dieser Rechtsprechung wieder ab 342 . Die Sezioni Unite della Corte di Cassazione, also die vereinigten Abteilungen des Kassationshofes - eine Entsprechung zum Großen Senat des Bundesgerichtshofes - haben schließlich in einer Entscheidung aus dem Jahr 1982 klargestellt, daß auch der Nichtvermögensschaden könne von einem strafrechtlich unverantwortlichen Minderjährigen verlangt werden könne343. b) Billigkeitshaftung (Art. 2047 II C.civ.) Der italienische Codice civile von 1942 kennt im Gegensatz zu seinem Vorgänger von 1865344 eine Haftung Deliktsunfähiger aus Billigkeitsgründen. Die Billigkeitshaftung nach Art. 2047 II C.civ. entspricht der Billigkeitshaftung im schweizerischen und österreichischen Recht. Nicht nur das Ob, ebenso die Höhe des zu zahlenden Schadensersatzes ist - wie bei jeder anderen Billigkeitshaftung auch - nach billigem Ermessen festzulegen 345. 2. Portugal Hin und wieder findet sich in der Literatur die Behauptung, im portugiesischen Recht hafte der Minderjährige ohne Rücksicht auf sein Alter und seine persönliche 338

Cass. civ., 4.4.1959, n.1006, in: Resp. civ. 58 (61). Venchiarutti, in: Alpa/Bessone, S.208. 340 Cass. pen., 25.3.82, in: Resp. civ. 1983, 437. 341 Vgl. z.B. Corte de Cassazione, 4.4.1959, n.1006, in: Resp.civ. 1960, S.58 (59 Leitsatz 7 und 61 a.E.). 342 Nachweise zur Entwicklung der Rspr. in der Entscheidung der Sezioni Unite della Corte de Cassazione, 6.12.82, n.6651, in: Foro it., S.l631 (1639). 343 Cass. Sez. Un., 6.12.82, n.6651, in: Foro it., S.l631 (1631 Leitsatz 2, Begründung 1639 ff.); vgl. dazu Venchiarutti, in: Alpa/Bessone, Bd.l, Nr.8 S.215. 344 Vgl. Venchiarutti, in: Alpa/Bessone, Bd. 1, Nr.14 S.223. 345 Venchiarutti, in: Alpa/Bessone, Bd. 1, Nr. 15 S.224. 339

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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Entwicklung. Das ist nicht (mehr) zutreffend. Während sich der portugiesische Cödigo Civil von 1867 (Art. 2379) noch darauf beschränkte festzustellen, daß der Verantwortlichkeit für unerlaubte Handlungen die Mindeijährigkeit nicht entgegensteht, erfuhr die Haftung Mindeijähriger im Cödigo Civil von 1966 eine ausführliche und differenzierte Regelung. Wie aus den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, hielt es der portugiesische Gesetzgeber nunmehr für unzulässig, Minderjährige ohne weiteres haftbar zu machen, da Verantwortlichkeit ein Verschulden - culpa - voraussetze346. Dieses Verschulden schien ihm nur bei einsichtsfähigen Minderjährigen gegeben zu sein347. Der Gesetzgeber orientierte sich bei der Neuregelung der Minderjährigenhaftung am deutschen BGB, dem schweizerischen OR und dem Italienischen ZGB von 1942, wie aus den Gesetzgebungsmaterialien deutlich wird 348 . Nach dem Vorbild des italienischen ZGB sind gemäß Art. 488 I C.civ. Personen, welchen die Fähigkeit „zu erkennen und zu wollen" - de entender ou querer abgeht, nicht verantwortlich. In Absatz 2 dieser Vorschrift wird die widerlegliche Vermutung aufgestellt, daß der Minderjährige unter 7 Jahren diese Fähigkeit nicht hat. Unter Berufung auf § 829 BGB, Art. 54 Schweiz. OR und § 2047 ital. C.civ. führte auch der portugiesische Gesetzgeber eine Billigkeitshaftung für unverantwortliche Personen ein (Art. 489 C.civ.) 349 . Hinsichtlich des Haftungsumfanges ist generell die allgemeine Reduktionsklausel für Schadensersatzpflichten nach Art. 494 C.civ. zu beachten, welche dem Richter bei einfacher Fahrlässigkeit die Möglichkeit einräumt, die Ersatzpflicht des Schädigers herabzusetzen. 3. Ungarn Das ungarische ZGB von 1959 verzichtet wie das schweizerische und das italienische Recht auf gesetzlich festgelegte Altersgrenzen zur Bestimmung der Deliktsfähigkeit. In § 347 I Satz 1 ZGB heißt es schlicht, daß derjenige, „dessen Einsichtsvermögen fehlt oder mangelhaft ist" nicht zur Verantwortung gezogen werden kann 350 .

346 Vgl. die Gesetzgebungsmaterialien zu Art. 488, im Wortlaut wiedergegeben bei Bastos, S.73/74. 347 Vgl. die Gesetzgebungsmaterialien zu Art. 488 bei Bastos, S.74. 348 Vgl. die Gesetzgebungsmaterialien zu Art. 488 und 489 bei Bastos, S.72, 74, 78 ff. 349 Vgl. die Gesetzgebungsmaterialien zu Art. 489 bei Bastos, S.78/79. 350 Deutsche Übersetzung, in: Hatâlyos magyar jogszabâlyok - Geltende Ungarische Rechtsnormen, Budapest 1990.

2. Teil: Rechtsvergleich

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Nach der Rechtsprechung ist die Einsichtsfähigkeit in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Eigenschaften und der Intelligenz des Minderjährigen zu prüfen 351. Die Einsichtsfähigkeit wurde bejaht352: bei einem 9jährigen Kind, das einen anderen absichtlich verletzte; bei einem 10jährigen Kind, das unvorsichtig auf die Straße lief; bei einem 11jährigen Kind, das trotz Mahnung mit einem Stein geworfen und einem Spielgefährten eine Augenverletzung beigebracht hatte; bei einem 12jährigen Kind, das auf die Fahrbahn gegen einen Radfahrer lief. Allgemein wird die nötige Einsichtsfähigkeit bei einem normal entwickelten 12jährigen grundsätzlich für gegeben gehalten353. Die Einsichtsfähigkeit wurde dagegen verneint 354 bei einem ballspielenden 9jährigen Kind sowie bei einem 9jährigen Kind, das mit einem Pfeil geschossen hatte und das Auge eines Spielgefährten traf Fehlt dem minderjährigen Schädiger die Einsichtsfähigkeit, so kann ihn allerdings noch die - gegenüber der Haftung der Eltern subsidiäre - Billigkeitshaftung nach § 347 II ZGB treffen. Hinsichtlich des Haftungsumfanges ist bei der Verschuldenshaftung die allgemeine Reduktionsklausel des § 339 ZGB zu beachten. 4. Staaten des ehemaligen Jugoslawien Im ehemaligen Jugoslawien galt das Bundesgesetz über Obligationen von 1978 (OblG). Das jugoslawische Zivilrecht gilt in den aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen neuen Staaten als Recht des neuen Staates fort, soweit es den neuen Verfassungen nicht widerspricht 355. Da das Bundesobligationengesetz in fast allen Bestimmungen mit den neuen Verfassungen vereinbar ist, gilt es in den neuen Staaten fast unverändert fort 356 . Das gilt auch für die Minderjährigenhaftung, die im OblG folgendermaßen geregelt ist: Minderjährige unter 7 Jahren sind nicht verantwortlich, Minderjährige zwischen 7 und 14 Jahren haften, wenn sie einsichtsfähig sind, und Minderjährige über 14 Jahren haften wie Erwachsene 351

Benedek, in: A Polgâri Tôrvénykônyv Magyarâzata, § 347 Anm. 1. Rechtsprechungsnachweise bei Benedek, in: A Polgâri Tôrvénykônyv Magyarâzata, § 347 Anm. 1. 353 Benedek, in: A Polgâri Tôrvénykônyv Magyarâzata, § 347 Anm. 1. 354 Rechtsprechungsnachweise bei Benedek, in: A Polgâri Tôrvénykônyv Magyarâzata, § 347 Anm. 1. 355 Radtéic, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Jugoslawien, S.7. vgl. z.B. für Slowenien das Verfassungsgesetz für die Ausführung der Grundverfassungsurkunde über die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Republik Slowenien vom 25.6.91 - zitiert bei Gec-Korosec, Überblick über das Rechtssystem der Republik Slowenien, WGO-MfÖR 1992, 346 (349): Danach werden Bundesvorschriften, soweit sie Republiksrecht nicht widersprechen, als Republiksvorschriften angewandt. 356 RadiSic, in: von Bar, Deliktsrecht in Europa, Jugoslawien, S.7. 352

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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(Art. 160 OblG) 357 . Diese Regelung kodifizierte lediglich die bereits vorher von der Rechtsprechung angewandten Regeln358. Nichtverantwortliche Minderjährige unterliegen einer subsidiären Billigkeitshaftung (Art. 169 OblG) 359 . 5. Außereuropäische Staaten Die Zivilrechtskodifikationen vieler außereuropäischer Staaten verzichten auf eine feste Altersgrenze zur Bestimmung der Deliktsfähigkeit. Die Vorschriften beschränken sich darauf klarzustellen, daß die deliktsrechtliche Haftung grundsätzlich nur eintritt, wenn der Schädiger die erforderlichen intellektuellen Fähigkeiten - die Einsichtsfähigkeit - besessen hat. Solche Vorschriften sind insbesondere in den arabischen Staaten360 verbreitet. Ein weiteres Beispiel ist die Republik China (Taiwan) 361 . In diesen Staaten ist stets auch eine Billigkeitshaftung des Einsichts- und damit Deliktsunfähigen vorgesehen362. F. Rechtsordnungen ohne Haftungsmilderung für Minderjährige /. Frankreich

(Rechtsprechung seit 1984)

1. Die neue Rechtsprechung seit 1984 Mit den fünf Entscheidungen (arrêts) der Assemblée plénière des Kassationshofs 363 vom 9.5.1984364 hat sich die Rechtsprechung in Frankreich von den bislang stets von ihr vertretenen Grundsätzen365 zur deliktsrechtlichen Haftung Minderjähriger abgewandt. Sie vertritt nunmehr die Auffassung, Minderjährige haften ohne Rücksicht auf ihre Einsichtsfähigkeit, nach den gleichen Grundsätzen und Maßstäben wie Erwachsene. 357

Vgl. Stankovic, RIDC 1979, 765 (766 Nr.5). Stankovic, RIDC 1979, 765 (766 Nr.5). 359 Stankovic, RIDC 1979, 765 (767 Nr.8). 360 Art. 122 Abs. 2 des libanesischen Schuld- und Vertragsgesetzes, Art. 164 Abs. 1 des ägyptischen Zivilkodex, Art. 167 Abs. 1 des libyschen Zivilkodex, Art. 165 des syrischen Zivilkodex, vgl. Chehata, RIDC 1967, 883 (900). 361 Art. 187 Abs. 1 des BGB der Republik China [Taiwan]. 362 Art. 187 Abs. 3 BGB der Republik China [Taiwan], Art. 122 Abs. 3 des libanesischen Schuld- und Vertragsgesetzes, Art. 164 Abs. 2 des ägyptischen Zivilkodex, Art. 167 Abs. 2 des libyschen Zivilkodex. 363 Die Assemblée plénière ist ein besonderer Spruchkörper des Kassationshofes, der in seinem Aufgabenbereich dem Großen Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs vergleichbar ist. 364 D. 1984 J., 525 ff. 365 Vgl. dazu in diesem Abschnitt, Ε. I. 1. a. 358

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2. Teil: Rechtsvergleich

Im „arrêt Gabillet" 366 wurde die Kassationsbeschwerde eines zur Tatzeit 3jährigen zurückgewiesen. Er hatte mit einem Stock einen Spielgefährten verletzt, und war deshalb vom Berufungsgericht aus Art. 1384 I, 2. Alt. C.civ. - der die sogenannte „gardien-Haftung" wegen Verantwortlichkeit für eine Sache normiert verurteilt worden. Die Assemblée plénière erklärt, das Berufungsgericht hätte die Frage der Einsichtsfähigkeit des Jungen trotz seines sehr jungen Alters nicht prüfen müssen367. Bis dahin hatte der Kassationshof die Haftung eines einsichtsunfähigen Kindes als gardien stets abgelehnt368. Im „arrêt Derguini" 369 wurde die Kassationsbeschwerde eines zur Tatzeit 5jährigen Mädchens zurückgewiesen, welchem vom Berufungsgericht Mitverschulden angelastet worden war. Es war plötzlich auf eine Straße gelaufen und von einem Auto angefahren worden. Die assemblée plénière erklärte auch hier, das Berufungsgericht sei nicht gehalten gewesen, die Einsicht der Minderjährigen in die Folgen solcher Handlungen zu überprüfen; es habe, ohne sich zu widersprechen, annehmen können, daß das Opfer eine „faute" begangen habe370: Fast die gleiche Formulierung findet sich im „arrêt Lemaire" 371 , in dem einem 13jährigen Jungen ohne weiteres Mitverschulden zugerechnet wurde. Während in der Rechtsprechung bislang stets das „discernement" als Voraussetzung der Zurechnung von Mitverschulden angesehen worden war 372 , ist mit diesen beiden Entscheidungen die Frage, inwieweit die minderjährigen Opfer „discernement" hatten, für unerheblich erklärt worden. Damit ist das „discernement" als Haftungsvoraussetzung abgeschafft worden. In diesem Sinne wurden die Entscheidungen der Assemblée plénière in der Literatur interpretiert 373. Bestätigt wurde diese Deutung durch eine den Urteilen der Assemblé plénière unmittelbar folgende Entscheidung der zweiten Zivilkammer des Kassationshofes, die bis zum Mai 1984 unerschütterlich an der Einsichtsfähigkeit als Voraussetzung für die Haftung Minderjähriger festgehalten hatte374. In

366

3. Espèce, D. 1984 J., S.529. "la cour d'appel qui n'avait pas, malgré le très jeune âge de ce mineur, à rechercher si celui-ci avait un discernement, a légalement justifié sa décision..." 368 Vgl. Hennings, S. 101 und 135 ff. 369 4. Espèce, D. 1984 J., S.529. 370 "la cour d'appel, qui n'était pas tenue de vérifier si la mineure était capable de discerner les conséquences de tels actes, a pu, sans se contredire, retenir... que la victime avait commis une faute..." 371 5. Espèce, D. 1984 J., S.529. 372 Vgl. Nachweise bei Hennings, S. 159 Fn.12. 373 Vgl. Tunc, Responsabilité (en general), Nr. 101, in: Dalloz, Répertoire de Droit Civil, Bd. 7; Chabas, D. 1984 J., S.532; weitere Nachw. bei Hennings, S. 108 Fn.29 und 30, der auch einzelne zweifelnde Stimmen nennt. 374 Vgl. Nachweise bei Chabas, D. 1984 J., S.532 Fn.20. 367

1. Abschnitt: Staaten des kontinentaleuropäischen Rechtskreises

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dieser griff die zweite Zivilkammer die Formulierungen der arrêts Derguini und Lemaire auf und entschied zuungunsten eines zur Tatzeit 7jährigen Jungen, der wegen „faute" aus Art. 1382 C.civ. verurteilt worden war, ohne daß auf seine Einsichtsfähigkeit eingegangen worden wäre 375. Zudem war dadurch klargestellt, daß die Abschaffung des „discernment" nicht nur im Rahmen des Mitverschuldens und für die gardien-Haftung nach Art. 1384 C.civ., sondern auch für die Verschuldenshaftung des Art. 1382, 1383 C.civ. Gültigkeit besaß. Somit setzt nach der neuen Rechtsprechung schuldhaftes Handeln nicht mehr eine Verschuldensfähigkeit voraus. Die „grande idée" 376 der Entscheidungen der Assemblée plénière besteht darin, daß nunmehr auch Kleinkindern ein Verschulden zugerechnet werden kann. Nach der neuen Rechtsprechung ist es unerheblich geworden, ob ein Minderjähiger bereits in einem Alter ist, in dem er „vernünftig" ist 377 . 2. Gründe für die Wende in der Rechtsprechung Mit der Kehrtwende in seiner Rechtsprechung hat sich der Kassationshof dem in der Lehre vorherrschenden Konzept einer strikten Anwendung der „faute objective" angeschlossen378. Nach diesem Konzept besteht die deliktsrechtliche Haftung nach Art. 1382 C.civ. - also die Haftung für „faute", die Verschuldenshaftung - immer dann, wenn der Schädiger sich objektiv falsch verhalten hat, also nicht in der Weise, wie ein besonnener, sorgfältiger Mensch sich unter den gleichen Umständen verhalten hätte379. Auf subjektive, persönliche Faktoren wird hierbei keine Rücksicht genommen380. Ausnahmen von diesem Prinzip werden nicht zugelassen. Das bedeutet, daß in jedem Fall das Verhalten des Schädigers mit dem Verhalten der abstrakten, fiktiven Vergleichsperson eines besonnenen, sorgfältigen Familienvaters („bon père de famille") verglichen wird: Auch wenn ein Kleinkind Schaden anrichtet, ist es daher haftbar, wenn sich ein besonnener, sorgfältiger Familienvater unter den gegebenen Umständen anders verhalten hätte381. Ein nach Altersgruppen abgestufter Sorgfaltsmaßstab wird daher abgelehnt 382 , ebenso die Rücksichtnahme auf die Einsichtsunfähigkeit des Schädigers. Begründet wird der strikt objektive Maßstab damit, im Haftpflichtrecht gehe es nicht um die moralische Bewertung menschlichen Verhaltens, sondern um die, aus 375 376 377 378 379 380 381 382

Cass.civ.II, 12.12.1984, Gaz.Pal. 1985.11, Pan.235. So Chabas, D. 1984 J., S.530. Starck, Nr. 365. Vgl. Hennings, S.59. Starck, Nr. 369. Starck, Nr. 369. Vgl. Hennings, S.48. Mazeaud/Tunc I, Nr. 482-487.

2. Teil: Rechtsvergleich

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Gründen des Vertrauensschutzes rein objektiv zu bestimmende, Abgrenzung von Handlungsspielräumen im sozialen Gefüge. Gegen die Berücksichtigung der Einsichtsunfähigkeit sprächen zudem die großen praktischen Schwierigkeiten, die der Begriff verursache. Denn die Menschen ließen sich nicht einfach in die zwei Kategorien der Einsichtsunfähigen und der geistig Normalen einteilen. Die Mehrheit liege vielmehr zwischen diesen Extremen. Die Grenze zwischen der Situation verminderter Einsichtsfähigkeit und der Situation völliger Einsichtsunfähigkeit sei aber kaum eindeutig auszumachen. Selbst die vor Gericht oft beigezogenen Sachverständigen kämen häufig nur zu unsicheren Einschätzungen. Das Bedürfiiis nach Rechtssicherheit habe hier Vorrang vor unpraktikablen Differenzierungen. Zudem sei es nicht einzusehen, warum Einsichtsunfähige besser behandelt werden sollten als einsichtsfähige, aber überdurchschnittlich ungeschickte oder nervöse Personen. Auch widerspreche es der Billigkeit, einem Geschädigten, dem kein eigenes Mitverschulden entgegengehalten werden könne, die volle Entschädigung zu versagen wird die Verantwortlichkeit des Jungen wegen trespass bejaht383. IL Mexiko In Mexiko ergibt sich die zwar subsidiäre, aber der Höhe nach unbegrenzte Haftung Minderjähriger aus Art. 1911 des Cödigo civil federal von 1928. Danach ist auch ein „incapaz", also ein zivilrechtlich Handlungsunfähiger, für seine Delikte verantwortlich, es sei denn, die Eltern oder sonstige aufsichtspflichtige Dritte können nach den Bestimmungen der Art. 1919-1922 verantwortlich gemacht werden. Dabei besteht die Haftung nach Art. 1911 nicht nur billigkeitshalber. Sie besteht vielmehr auch da, wo die Vermögensverhältnisse des Geschädigten nicht ungünstiger als die des Unzurechungsfähigen sind sind384 .

2. Abschnitt: Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises A. Überblick In den Lehrbüchern zum Deliktsrecht (Law of Torts) der Staaten des Common Law findet sich zunächst meist der Hinweis, daß die Minderjährigkeit des Täters dessen deliktsrechtliche Verantwortlichkeit nicht hindert, also grundsätzlich auch der Minderjährige der Deliktshaftung unterliegt. Zugleich wird aber stets deutlich, 383 384

Vgl. Wiedergabe der genannten Argumente bei Hennings, S.50/51,55,49,57. Vgl. Titze, in: Schlegelberger, S.715.

. Abschnitt: Staaten des a l e r i s c h e n Rechtskreises

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daß das Alter des Täters für dessen Haftung nicht ohne Bedeutung ist. Diese allgemeinen Aussagen treffen für alle Staaten des Common Law zu1. Auf die Frage, wie sich das junge Alter des Schädigers konkret auf dessen Haftung auswirkt, kann dagegen eine einheitliche, für alle Staaten des Common Law und für alle denkbaren Fallgestaltungen geltende Antwort nicht gegeben werden. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens kennt das Deliktsrecht des Common Law - anders als die Zivilrechtskodifikationen - keinen allgemeinen Tatbestand der Verschuldenshaftung wie etwa Art. 1382 franz. C.civ., nach dem die verschuldete rechtswidrige Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet: Das Common Law - wie auch das römische Recht2 - unterscheidet zwischen verschiedenen Deliktsarten und kennt demgemäß mehrere, in den Voraussetzungen voneinander verschiedene Deliktsklagen (actions in tort) 3. Das bedeutet bei Minderjährigen, daß deren deliktische Verantwortlichkeit keinen allgemeinen Regeln unterliegt, sondern von den besonderen Regeln für die jeweilige Deliktsklage abhängt. Zweitens ist die Rechtsprechung wie die Literatur in den verschiedenen Staaten des Common Law zur Frage der Minderjährigenhaftung nicht einheitlich: es lassen sich Unterschiede von Staat zu Staat feststellen, aber auch innerhalb eines Staates können verschiedene Lösungsansätze beobachtet werden. /. Haftung Minderjähriger

für trespass

Im Common Law gibt es Deliktstatbestände, die in das aus dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis vertraute Konzept der Verschuldenshaftung (Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit) nicht recht hineinpassen. Hierzu gehört (neben anderen) der praktisch wichtige Deliktstatbestand trespass , also die direkte Einwirkung auf Körper oder Besitz des Opfers 4. Dieser Tatbestand erforderte nach traditioneller Auffassung nur einen direkten, gegen den Willen des Klägers vorgenommenen, sich unmittelbar gegen seine Person oder seine Sachen richtenden Angriff, außer Betrachtung blieb dabei, ob der Schädiger vorsätzlich, fahrlässig oder schuldlos gehandelt hatte5. Subjektiv

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England: Winfield & Jolowicz, S.688; Salmond & Heuston, S.485. Schottland: Walker, S.86. Irland: McMahon & Binchy, S.714. Kanada: Linden, S.36 (für Absichtsdelikte), S.l26 (für Fahrlässigkeitsdelikte). USA: Prosser & Keeton, § 134. Australien: Balkin & Davis, S.893; Fleming, S.103. Indien: Anand & Sastri, S.191. 2 Vgl. Heilfron, Rom. Rechtsg., § 114 a 3. 3 Vgl. Zweigert/Kötz, Bd. 2, S.365. 4 Vgl. Salmond & Heuston, S.46 (trespass to land), S. 104 (trespass to goods), S.151 (trespass to person). 5 Kötz, Rdn.21; Salmond & Heuston, S.l06.

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2. Teil: Rechtsvergleich

setzte der Tatbestand lediglich voraus, daß die Handlung, die den Verletzungserfolg herbeiführt, willentlich ausgeführt wurde 6. Nicht dagegen mußte sich der Täter der Verletzung der Rechts- oder Interessensphäre des Opfers bewußt sein. Dementsprechend erforderte auch battery {trespass to person ), als eine Form des trespass (die Anwendung körperlicher Kraft auf den Körper eines anderen)7, nach traditioneller Auffassung nur eine willentliche Handlung,, nicht aber eine willentliche Verletzung des anderen8. Da aber immerhin hinsichtlich der Handlung Vorsatz vorliegen muß, wird trespass dennoch in der Common Law-Literatur häufig bei den intentional torts , also den Vorsatzdelikten eingeordnet9. Die Haftung ohne Rücksicht auf Verschulden erschien den Gerichten in der Zeit der Industrialisierung zunehmend nicht mehr angemessen, allmählich verlangte man daher auch für die trespass-YAdigz immer mehr die Feststellung zumindest von negligence (Nachlässigkeit, als Verschuldensform) 10. Heute verlangen die Gerichte häufig für die action in trespass , daß intention (Vorsatz) oder negligence (Nachlässigkeit) nachgewiesen werden 11. Es besteht aber nach wie vor Unsicherheit über die notwendigen Elemente des Deliktstatbestands trespass 12. Vorliegend ist nur von Bedeutung, wie der Deliktstatbestand trespass auf Minderjährige angewandt wird. In der Literatur findet sich hierzu die Auffassung, Minderjährige haften für intentional torts (wozu trespass vielfach gezählt wird) dann, wenn sie fähig sind, den von dem entsprechenden Deliktstatbestand vorausgesetzten Vorsatz zu formen13. Sehr junges Alter sei insofern relevant, als es geeignet sei, die Behauptung des Vorsatzes zu widerlegen 14, insbesondere wenn es um unter 4jährige geht15. Dementsprechend findet sich häufig die Meinung, daß Minderjährige für trespass

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Vgl. Zweigert/Kötz, Bd. 2, S.345 f. Vgl. Salmond & Heuston, S.l34. 8 Salmond & Heuston, S.l35. 9 Vgl. z.B. bei Linden, Chapter 2. 10 Kötz, Rdn.22. 11 Salmond & Heuston, S.l06 (für trespass to goods) und S.151 (für trespass to person) sowie S. 134. Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der trespass-Klage Kötz, Rdn.21 f. 12 Vgl. den Bericht der Irish Law Reform Commission on the liability in tort of minors and the liability of parents for damage caused by minors (LRC 17-1985), Dublin 1985, S.2 und 62. 13 Charlesworth & Percy, Rdn. 2-195; Salmond & Heuston, S.485; Linden, S.36/37; McMahon & Binchy, S.714. 14 Salmond & Heuston, S.485. 15 Linden, S.37. 7

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in gleicher Weise haften wie Erwachsene, zumindest, soweit sie alt genug sind, die auf das Opfer einwirkende Handlung - den act of trespass - zu wollen 16 . Da die Vertreter dieser Auffassung wohl auf dem Standpunkt stehen, daß es bei trespass nicht darauf ankommt, die Rechtswidrigkeit oder Schädlichkeit der Handlung zu wollen oder auch nur zu begreifen 17, dürfte das Erfordernis fast immer gegeben sein. Es ist daher nur konsequent, wenn Balkin & Davis empfehlen, eine Klage gegen Minderjährige möglichst auf trespass und nicht auf negligence 18 zu stützen 19. In der Praxis ist aber der Erfolg einer Deliktsklage gegen Minderjährige, die auf trespass gestützt ist, unsicher. Einmal sind die Präjudizien (abgesehen von den Vereinigten Staaten) zu trespass bei Minderjährigen so spärlich, daß von einer gefestigten Rechtsprechung in den meisten Staaten des Common Law nicht gesprochen werden kann. Zum anderen haben die wenigen berichteten Entscheidungen sehr unterschiedliche Antworten gefunden, inwieweit Minderjährige für trespass verantwortlich sind. Das hängt vor allem mit der oben beschriebenen Unsicherheit über die notwendigen Elemente von trespass zusammen: Entscheidungen, die für trespass die negligence (als Verschuldensform) des minderjährigen Schädigers verlangen, kommen naturgemäß zu anderen Ergebnissen als Entscheidungen, die negligence (als Verschuldensform) nicht als Voraussetzung von trespass ansehen. IL Haftung Minderjähriger

für negligence

Von der negligence als Verschuldensform etwa im Rahmen des Delikts trespass ist der Deliktstatbestand negligence zu unterscheiden. Dieser selbständige Deliktstatbestand negligence , der sich erst im 19. Jahrhundert und damit viel später als trespass im Common Law entwickelt hat, setzt voraus, daß der Beklagte eine ihm dem Kläger gegenüber obliegende duty of care verletzt hat, indem er sich anders als a reasonably prudent person verhalten und dadurch dem Kläger Schaden zugefügt hat20. Zur Haftung Minderjähriger auf Grund des Deliktstatbestands negligence lassen sich in den angloamerikanischen Staaten - mit Ausnahme der USA - nur wenige Entscheidungen finden. Aus den bisher vorhandenen Entscheidungen aber

16

Salmond & Heuston, S.485; Balkin & Davis, S.893; Trindade/Cane, S.36 und 207; McMahon & Binchy, S.714; Anand & Sastri, S.191. 17 Trindade/Cane, S.36 und 207 differenzieren: Nach ihnen muß der Schädiger "nature and quality" der Handlung erkennen, nicht aber deren "wrongfulness". 18 Zum Deliktstatbestand negligence sogleich unten, A. II. 19 Balkin & Davis, S.893/894. 20 Zweigert/Kötz, Bd. 2, S. 347 ff.; Kötz, Rdn. 22. 12 Goecke

2. Teil: Rechtsvergleich

18

läßt sich immerhin eine gemeinsame Grundposition des Common Law entnehmen: Die Sorgfaltsanforderungen an Minderjährige bemessen sich grundsätzlich nicht danach, was von einem vernünftigen Erwachsenen in der gleichen Situation erwartet werden konnte, sondern danach, was von einem vernünftigen Minderjährigen gleichen Alters hätte erwartet werden können. Wie diese herabgesetzten Sorgfaltsanforderungen an den mindeijährigen Schädiger im konkreten Fall aussehen, läßt sich - schon wegen der in den meisten Staaten geringen Anzahl an Präjudizien - hingegen schwer einheitlich beantworten. Auffallig ist, daß kein einziger Fall nachzuweisen ist, in dem ein englisches, schottisches, irisches, kanadisches oder australisches Gericht ein Kind unter 13 Jahren wegen negligence verurteilt hätten. Nur in den USA lassen sich solche Fälle finden. III. Heranziehung der Präjudizien

zur contributory

negligence

Mit Fällen, in denen sich die Frage einer contributory negligence (mitwirkende Nachlässigkeit, in etwa dem Mitverschulden (§ 254 BGB) vergleichbar) eines minderjährigen Geschädigten stellt, haben sich die Gerichte wesentlich häufiger zu beschäftigen gehabt als mit der Frage der negligence eines minderjährigen Schädigers. Daher ist es nicht erstaunlich, daß die wenigen Urteile zu minderjährigen Schädigern sich vor allem auf Entscheidungen zur contributory negligence minderjähriger Geschädigter gestützt haben. Auch die Autoren zahlreicher Lehrbücher zum Tort Law orientieren sich in ihren Ausfuhrungen zur negligence minderjähriger Schädiger auf Entscheidungen zur contributory negligence minderjähriger Geschädigter. Auf Grund ihrer Bedeutung für die Frage der Verantwortlichkeit Minderjähriger für negligence sei daher im Anschluß an das Fallmaterial zur Verantwortlichkeit minderjähriger Schädiger noch die Rechtsprechung zur contributory negligence minderjähriger Geschädigter dargestellt. IV. Verantwortlichkeit

minderjähriger

Schädiger für sonstige Delikte

Bei Jackson/Boottf\ finden sich umfangreiche Rechtsprechungsnachweise, denen zufolge Minderjährige grundsätzlich für folgende weitere Deliktstatbestände des Common Law verantwortlich gemacht werden können: Betrug (fraud ), Diebstahl, conversion (unübersetzbar: diese Deliktsklage ist zulässig, wenn der Beklagte mit den beweglichen Sachen ernes anderen im Widerspruch zu dessen Besitzrecht verfährt 22). Außerdem werden noch bestimmte Einzelfälle genannt, in 21 In: Halbury's Laws of England, Bd. 24, Nr.422 (fast ausschließlich Entscheidungen des 17.-19. Jahrhunderts). 22 Vgl. Salmond & Heuston, S.l08.

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denen sich der Mindeijährige unlauter verhalten hatte. Da es sich hier durchweg um intentional torts handelt, dürften die oben genannten, in den Lehrbüchern für intentional torts genannten Grundsätze gelten23. Da diese Vorsatzdelikte nicht die klassischen Fälle der Minderjährigenhaftung darstellen, soll der Behandlung Minderjähriger in bezug auf diese Delikte im folgenden nicht weiter nachgegangen werden. B. Haftung Minderjähriger für trespass und negligence Ι. England Englische Entscheidungen zur Verantwortlichkeit Minderjähriger wegen trespass oder negligence sind rar. In Burnard v. Haggis 24 hatte ein Undergraduate am Trinity College, Cambridge, (damals lag das Alter der Volljährigkeit noch bei 21 Jahren) ein Pferd gemietet. Der Händler hatte ihn darauf hingewiesen, das Pferd dürfe nicht zum Springen verwendet werden. Dieses Verbot wurde nicht beachtet, und das Pferd wurde bei einem Sprung schwer verletzt. Die Richter bewerteten das Verhalten als trespass und verurteilten den Minderjährigen. In Gorely v. CodcP 5 hatte ein 16 !/2j ähriger Junge, beim Spiel mit einem Luftgewehr einen anderen Jungen schwer verletzt. Das Gericht bejahte negligence : „...in my judgement that indicates really veiy clearly negligence in the infant defendant. I would not like him to leave this court with a profound sense of guilt. Let him be sustained by the old saying that „boys will be boys", but in the circumstances here it seems to be beyond question that with the larking about that was going on this weapon should not have been discharged and that there is negligence in John Codd."

In Williams v. Humphrey 26 hatte ein fast 16jähriger den Kläger in ein Schwimmbecken gestoßen, der sich dabei Verletzungen zuzog. Der 16jährige Beklagte wurde zur Zahlung von 13.352 Pfund verurteilt. In der unveröffentlichten Entscheidung Staley v. Suffolk County Council and Dean Masorf 1 wurde die negligence eines 12jährigen Beklagten nur nach dem Sorgfaltsmaßstab seiner Altersgruppe gemessen. Leider wird nicht mitgeteilt, ob negligence in diesem Fall

23

Vgl. dazu in diesem Abschnitt, Α. I. (1863) C.B. (N.S.) [143 E.R. 360]. 25 [1967] 1 WLR 19. 26 Veröffentlicht in: The Times, 20. Februar 1975, berichtet bei Salmond & Heuston S.486 Fn.78 und Hepple & Matthews, S.267. 27 Entscheidung vom 28.11.85, unveröffentlicht; berichtet bei Hepple & Matthews, S.267 und Balkin & Davis, S.273 Fn.77. 24

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2. Teil: Rechtsvergleich

bejaht wurde. Ferner wird noch Buckpitt v. Oates 2% genannt, in dem zwei 17jährige Schädiger fur haftbar gehalten wurden. Ein obiter dictum findet sich in Carmarthenshire C.C. v. Lewis 29, einem Fall, in dem ein Lastwagenfahrer zu Tode gekommen war, weil er einem auf die Straße rennenden 4jährigen Kind ausgewichen war. Das House of Lords hatte nur über die Klage gegen den Aufsichtspflichtigen zu entscheiden, aber Lord Reid erklärte obiter, daß das 4jährige Kind nicht alt genug war, um selbst verantwortlich zu sein. Bei einem weiteren, manchmal zur Verantwortlichkeit minderjähriger Schädiger zitierten Fall handelt es sich ebenfalls lediglich um ein obiter dictum: Lord Kenyon C.J. äußerte in Jennings ν. Rundall, „ i f an infant commit an assault, or utter slander, God forbid that he should not answer for it". Mehr Entscheidungen als die genannten finden sich in den Lehrbüchern zum Law of Torts nicht zitiert. Salmond & Heuston (1987) meinen, es sei noch nie entschieden worden, welche Sorgfaltsanforderungen an Minderjährige (als Täter) zu stellen sind30. Balkin & Davis (1991) erklären, es habe sich mit Staley v. Suffolk County Council and Dean Mason nur eine einzige englische Entscheidung, eine erstinstanzliche, finden lassen, welche das Verhalten eines vernünftigen Kindes des gleichen Alters als Sorgfaltsmaßstab zugrundelege31. Hepple & Matthews (1991) sprechen von einer „surprising dearth of direct English authority on the standard of care expected of infants" 32. Vielleicht hängt der Mangel an Entscheidungen mit der häufig zu findenden Annahme zusammen, es lohne sich nicht, Mindeijährige zu verklagen 33. In Ermangelung von Präjudizien vertreten viele Autoren die Auffassung, die von den englischen Gerichten zur contributory negligence von minderjährigen Opfern aufgestellten Grundsätze seien bei der action in negligence analog anzuwenden34. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß es nur vereinzelt englische Entscheidungen zur Verantwortlichkeit Minderjähriger gibt, aus denen sich keine allgemeinen Regeln ableiten lassen. Auffällig ist allerdings, daß sich keine einzige englische Entscheidung finden läßt, in der ein Minderjähriger unter 14 Jahren wegen trespass oder negligence verurteilt worden wäre.

28

[1968] 1 A l l E.R. 1145, 1149. [1955] AC 549 (563). 30 Salmond & Heuston, S.485/486; Hepple & Matthews, S.267. 31 Balkin & Davis, S.273 Fn.77. 32 Hepple & Matthews, S.267. 33 Mit dieser Annahme befassen sich: Charlesworth & Percy, Rdn. 2-197; Salmond & Heuston, S.486; Hepple & Matthews, S.267; McTiernan A.C.J., in: McHale v. Watson 115 CLR 199 (204). 34 Salmond & Heuston, S.486; Winfield & Jolowicz, S.688; Hepple & Matthews, S.267; Charlesworth & Percy, Rdn. 2-195 und Fn.50. 29

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IL Irland, Schottland, Australien, Kanada Auch in anderen Common Law-Staaten gibt es kaum Entscheidungen zur Verantwortlichkeit minderjähriger Täter. Insbesondere auf negligence gestützte Entscheidungen gegen Minderjährige scheinen in diesen Staaten kaum vorzukommen. So heißt es in einem aktuellen Lehrbuch zum irischen Deliktsrecht, daß Fälle, bei denen von den irischen Gerichten negligence geprüft worden ist, bisher noch nicht vorgekommen seien35. Ein schottisches Lehrbuch leitet die von ihm vertretenen Grundsätze zur negligence ausschließlich aus schottischen Fällen zur contributory negligence ab36. Bei Linden, einem kanadischen Standardwerk zum Deliktsrecht mit umfangreichem Fußnotenapparat finden sich insgesamt lediglich drei kanadische Entscheidungen. Die Autoren eines aktuellen australischen Lehrbuchs zum Deliktsrecht (aus dem Jahr 1991)37 denken über die Frage nach, warum Entscheidungen zu Minderjährigen als Beklagten so selten sind. Sie meinen, für die Vergangenheit erkläre sich das möglicherweise damit, daß Minderjährige, weil meist mittellos, es nicht wert waren, verklagt zu werden. Heute aber umfasse ja häufig der Haftpflichtversicherungsschutz den ganzen Haushalt, einschließlich der Kinder. Vielleicht sei es auch einfacher, die Eltern zu verklagen 38. Der - soweit ersichtlich - einzige irische Fall ist O'Brien v. McNamee 39. Ein 7j ähriger hatte ein Stück Papier angezündet und war mit dem brennenden Papier in die Scheune des Klägers gelaufen, in der zu beiden Seiten längs Heu gestapelt war. Der Junge hatte das Papier zwar in der Mitte der Scheune auf den Boden gelegt, aber die Flammen erfaßten das Heu und die Scheune brannte ab. Der Kläger verlangte Schadensersatz, gestützt auf negligence und trespass. Davitt P. bejaht trespass („Strange as it may seem, the defendant is liable"), ohne auf negligence näher einzugehen. Er folgt der Argumentation der Anwälte des Klägers, Minderjährigkeit sei nur relevant, wenn eine Deliktsklage Vorsatz (intention ) notwendig voraussetze; dann sei fraglich, ob der Minderjährige auch die Konsequenzen seiner Handlung wollte. Minderjährigkeit sei dagegen irrelevant, wenn es auf die intention für die Verwirklichung der Voraussetzungen einer Deliktsklage überhaupt nicht ankomme40. So aber liege es bei trespass. Hier verweist Davitt P. auf die traditionelle Auffassung, wonach es für trespass genügt, wenn eine willentliche Handlung vorliegt, Verletzungs\orsa\z hingegen nicht nachgewiesen sein muß (s.o.). Davitt P. kommt daher zu dem Schluß:

35 36 37 38 39 40

McMahon & Binchy, Law of Torts, 2. Aufl., Dublin 1990. Walker, Law of Delict in Scotland, 2. Aufl., Edinburgh 1981. Balkin & Davis, Law of Torts, Sydney u.a. 1991. Balkin & Davis, S.272. [1953] LR. 86 (High Court, per Davitt P.). [1953] LR. 86 (87/88).

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2. Teil: Rechts vergleich

„Accordingly, if the only essential of trespass is that it be voluntary and no question arises whether there is intention or malice, the defendant is liable."

In Ermangelung von Präjudizien stützt er seine Entscheidung auf Lehrbücher: „There is very little authority, but the textbooks support the liability of an infant in such a matter."

Die Begründung in O'Brien v. McNamee dürfte mittlerweile nicht mehr haltbar sein, da eine trespass inzwischen wohl ausscheidet, wenn weder intention noch negligence auf der Seite des Schädigers vorliegen 41. Im kanadischen Fall Walmsley v. Humenick 42 hatten der 5!/2jährige Kläger und der fast 5jährige Beklagte „Cowboys und Indianer" gespielt. Dabei hatte ein Pfeil des Beklagten den Kläger ins Auge getroffen. Die Klage war sowohl auf negligence als auf trespass gestützt. Clyne J. untersucht zunächst negligence . Unter Berufung auf kanadische Entscheidungen (ergangen zur contributory negligence von Kindern), wonach Kinder in sehr jungem Alter der contributory negligence nicht fähig sind, kommt er zu dem Ergebnis, der minderjährige Beklagte habe noch nicht den geistigen Entwicklungsstand erreicht, in dem gesagt werden könnte, daß er sei für seine nachlässigen Handlungen rechtlich verantwortlich gemacht werden sollte: „In the present case I have no hesitation in finding that the infant defendant had not reached that stage of mental development where it could be said that he should be found legally responsible for his negligent acts."43

Sodann prüft Clyne J. trespass. Hier untersucht er zunächst, welchen Regeln die Verantwortlichkeit des Minderjährigen für trespass unterliegt. Wie schon Davitt P. in O'Brien ν. McNamee zieht Clyne J., wohl ebenfalls in Ermangelung von Präjudizien, Lehrbücher zum Tort Law heran und entnimmt ihnen wie Davitt P. den Grundsatz, daß Kinder für trespass in gleicher Weise haften wie Erwachsene, es sei denn, es könne gezeigt werden, daß intention oder negligence notwendig zum Klagegrund gehört. In diesem Fall müßten die geistigen Fähigkeiten des Kindes berücksichtigt werden: „...in an action for trespass a child is as fully liable as an adult unless it can be shown that either wrongful intent or negligence is an essential ingredient to the cause of action in which case the mental capability of the child must be considered" 44.

41 Vgl. den Bericht der Irish Law Reform Commission on the liability in tort of minors and the liability of parents for damage caused by minors (LRC 17-1985), Dublin 1985, S.2 und 62. 42 [1954] 2 DLR 232 (British Columbia Supreme Court, Clyne J., 1954). 43 [1954] 2 DLR 232 (238). 44 [1954] 2 DLR 232 (240).

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Anders als Davitt P. gelangt er aber nach einer ausführlichen Untersuchung von Präjudizien, die sich teils für den Nachweis, teils gegen den Nachweis von intention oder negligence aussprechen, zu der Auffassung, daß auch bei einer Klage in trespass intention oder negligence nachgewiesen werden muß. Da weder das eine noch das andere beim fast 5jährigen Beklagten bewiesen werden konnte, sei daher die Klage abzuweisen45. Die Begründung in Walmsley v. Humenick ist aus folgendem Grund aufschlußreich: sie läßt vermuten, daß hier der Richter nach einem Weg gesucht hat, wie er das von ihm als unerwünscht angesehene Ergebnis vermeiden kann, daß ein sehr junges Kind haftbar gemacht wird. Die Verantwortlichkeit eines jungen Minderjährigen in trespass gänzlich zu leugnen, schien nicht möglich, weil sich keine Autoritäten für diesen Weg hätten finden lassen. Damit blieb nur noch der kaum weniger mühevolle Weg, die Notwendigkeit einer zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzung intention oder negligence für trespass zu behaupten. Auch diesem Weg stand „considerable weight of authority and opinion" entgegen, wie Clyne J. selbst die bis dahin herrschende Meinung in leichtem understatement kennzeich* net46. Dieser Weg hatte aber den Vorteil, daß sich immerhin vereinzelte Entscheidungen finden ließen, die die Behauptung stützen konnten. Die in Walmsley v. Humenick verfolgte Argumentationslinie wird in der kanadischen Entscheidung Tillander v. Gosselin 47 aufgegriffen und unverändert übernommen. Einem fast 3jährigen Kind - es hatte ein Baby aus einem Kinderwagen gezogen und anschließend (auf welche Weise, blieb unklar) schwer verletzt könne negligence nicht vorgeworfen werden. Da wenigstens negligence Voraussetzung für trespass sei, müsse die Klage gegen das Kind abgewiesen werden. Mit einem etwas älteren Jungen hatte sich ein kanadisches Gericht im Fall Y orkton Agricultural & Industrial Exhibition Ass. Ltd. v. Morley et α/. 48 , zu befassen. Hier hatten drei Jungen zwischen 6 und 8 Jahren in einer Scheune gespielt. Der älteste 8 Jahre alte Junge hatte ein Streichholz angezündet und auf den Boden fallen lassen. Bevor er die Flamme austreten konnte, hatte einer der jüngeren Stroh auf das brennende Streichholz geworfen. Dieses fing sofort Feuer und die Scheune brannte ab. Tucker J. erklärt ohne weitere Begründung, Voraussetzung der Haftung des 8jährigen trespassers sei, daß dessen negligence nachgewiesen werde 49. Unter Berufung auf Walmsley v. Humenick und kanadische Präjudizien zum Mitver45

[1954] 2 DLR 232 (252/253). [1954] 2 DLR 232 (241). An anderer Stelle heißt es: "the weight of opinion in favour of the plaintiff's submission is impressive" (244). 47 60 DLR (2d) 18 (Ontario High Court, Grant J., 1966). 48 58 DLR (2d) 282 (Saskatchewan Queen's Bench, per Tucker J., 1966); Berufungsentscheidung: 66 DLR (2d) 37 (Saskatchewan Court of Appeal, 1967). 46

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2. Teil: Rechtsvergleich

schulden von Kindern wendet er dann bei der Prüfimg der negligence einen verminderten Sorgfaltsmaßstab an („reasonable care as was to be expected from him, having regard to his youth and general intelligence")50. Der 8jährige Beklagte sei sich nicht der Gefahr eines Großbrandes bewußt gewesen. Aus einem psychiatrischen Gutachten gehe ferner hervor, daß 8jährige, die noch kein großes Feuer gesehen hätten, normalerweise die Gefahren nicht richtig einschätzen könnten, die mit einem Spiel mit Streichhölzern in einer Scheune verbunden seien. Daher sei negligence zu verneinen und die Klage abzuweisen. Sie sei außerdem schon deshalb abzuweisen, weil der dazwischentretende Akt des jüngeren Kindes nicht vorherzusehen gewesen sei51. In einem weiteren kanadischen Fall, Hatfield et al. v. Pearson et al. 52, ging es um einen 13^jährigen Jungen, der erne Spielgefährtin mit einem automatischen Gewehr getroffen hatte. Der Richter bejahte das Verschulden des Jungen, weil er auf Grund seiner Erfahrung mit dem Gewehr, der Art und dem Grad der vorherigen Instruktion über den Umgang mit dem Gewehr sowie seiner für das Alter durchschnittlichen Intelligenz in der Lage war, die voraussichtlichen Konsequenzen seines Tuns zu erkennen. Die meist zitierte und ausführlichste Entscheidung im Commonwealth zur deliktischen Minderjährigenhaftung ist die australische Berufungsentscheidung Mc Hale v. Watsorf 3. Ein 12jähriger hatte mit einem scharfen Metallstück nach einem Holzpfahl geworfen, dabei aber ein danebenstehendes jüngeres Mädchen ins Auge getroffen. In der ersten Instanz war die Klage des Mädchens, die sowohl auf trespass als auch auf negligence gestützt war, abgewiesen worden 54. Die Berufung räumte ausdrücklich ein, daß die Klage insgesamt abgewiesen werden müßte, wenn negligence des Beklagten nicht nachgewiesen werden könnte55, rügte also nicht, daß die erstinstanzliche Entscheidung negligence als Voraussetzung einer action in trespass angesehen hatte56. Die Berufung war aber der Auffassung, der Richter in erster Instanz hätte an den Beklagten die gleichen 49

58 DLR (2d) 282 (285). Etwas anders die Berufiingsentscheidung: Sie kommt zu dem Ergebnis, daß trespass überhaupt nicht vorgelegen habe, da die Kinder mit der Erlaubnis des Eigentümers in der Scheune gespielt hätten, vgl. 66 DLR (2d) 37 (43) per Brownridge, J.A. 50 Bestätigt durch die Berufungsentscheidung: 66 DLR (2d) 37 (42). 51 58 DLR (2d) 282 (287 f.). 52 1 DLR (2d) 745 (British Columbia Supreme Court, Lett C.J.S.C., 1956). 53 (1966) 115 CLR 199 (High Court of Australia), Beruflingsentscheidung zu (1964) 111 CLR 384. 54 Vgl. Zusammenfassung bei McTiernan A.C.J. (1966) 115 CLR 199 (202/203). 55 Vgl. den Hinweis bei Menzies J. (1966) 115 CLR 199 (216). 56 Vgl. den Auszug aus der erstinstanzlichen Entscheidung bei McTiernan A.C.J. (1966) 115 CLR 199 (203).

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Sorgfaltsanforderungen wie an einen Erwachsenen stellen müssen, weswegen negligence des Beklagten hätte bejaht werden müssen. Drei der vier urteilenden Richter des High Court of Australia , des obersten australischen Gerichtshofes, wiesen die Berufung zurück. Sie erklärten, gestützt insbesondere auf Entscheidungen englischer und australischer Gerichte zur contributory negligence (s.u.), aber auch auf Lehrbücher zum Tort Law, daß an Kinder ein anderer Sorgfaltsmaßstab anzulegen sei als an Erwachsene: „...they [i.e. children] are expected to exercise the degree of care one would expect, not of the average reasonable man, but of a child of the same age and experience" 57. „the standard of care is objective; it is the standard to be expected of a child, meaning any ordinary child, of comparable age..."58

In der Literatur finden sich noch drei weitere australische Entscheidungen zitiert: Η. v. Penneil and the State of South Australia , in der ein 15jähriger, der ein gleichaltriges Mädchen beim Spiel mit einer Autoantenne verletzt hatte, für ersatzpflichtig erklärt wurde 59; Smith v. Leurs 60, in der ein 13jähriger wegen intentional battery verurteilt wurde, weil er nach dem Kläger mit einem Stein geworfen hatte; sowie eine unveröffentlichte Entscheidung aus dem Jahre 1979, in der ein 5jähriger wegen battery für verantwortlich gehalten wurde 61. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß sich die Gerichte in den wenigen zur negligence von Minderjährigen ergangenen Entscheidungen stets auf Präjudizien zur contributory negligence gestützt und die dafür geltenden Regelungen - hinsichtlich Sorgfaltsmaßstab, Mindestalter usw. - angewandt haben. Nur in einem dieser Fälle, hier handelte es sich fast schon um einen Jugendlichen (13i4jähriger), hatte die auf negligence gestützte Klage Erfolg. In allen anderen Fällen - hier handelte es sich um Minderjährige zwischen 3 und 12 Jahren - wurde die Klage abgewiesen. Dagegen gibt es in Schottland, Irland, Australien und Kanada keinen Fall, in dem ein Minderjähriger unter 13 Jahren wegen negligence verurteilt wurde. Dagegen gibt es vereinzelte - möglicherweise überholte - Entscheidungen, die auch bei sehr jungen Kindern trespass bejaht haben. III. Vereinigte

Staaten

In den Vereinigten Staaten gibt es eine vergleichsweise reiche Rechtsprechung zur Haftung Minderjähriger bei trespass. Hierbei hat es auch zahlreiche Entschei57

McTiernan A.C.J. (1966) 115 CLR 199 (205). Kitto J. ( 1966) 115 CLR 199 (215). 59 (1987) 46 SASR 158. 60 [1944] SASR 213. 61 Hart v. A-G (Supreme Court of Tasmania, 1979) berichtet bei Balkin & Davis, S.893 Fn.128; der gleiche Fall zitiert bei Trindade/Cane, S.207. 58

2. Teil: Rechtsvergleich

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düngen zur Haftung sehr junger Kinder gegeben. Dabei sind die Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt: Manche Entscheidungen folgen der traditionellen Auffassung und setzen ftir trespass lediglich eine willentliche Handlung („intent to complete the physical act") voraus und halten es daher für irrelevant, inwieweit sich das Kind der rechtsgutsverletzenden Konsequenzen seines Tuns bewußt ist62. Sie kommen folgerichtig zu dem Ergebnis, daß auch sehr junge Kinder zur Begehung von trespass fähig sind63. Ähnlich streng sind Entscheidungen, welche erklären, es sei für die Verantwortlichkeit eines Kindes in trespass nicht notwendig, daß es das Opfer habe verletzen wollen 64 , oder daß es schon die Fähigkeit besitze, die Fehlerhaftigkeit seiner Handlung einzusehen65. Darin bestehe gerade der Unterschied zwischen den Delikten battery (trespass to person) und negligence**: „...an infant may have the capacity to intend the violent contact which is essential to the commission of battery when the same infant would be incapable of realizing that his heedless conduct might foreseeably lead to injury to another which is the essential capacity of mind to create liability for negligence."

So wird in einer Entscheidung die Verantwortlichkeit eines 4jährigen Jungen wegen trespass bejaht67, während in derselben Entscheidung die Verantwortlichkeit des Jungen wegen negligence mit folgender Begründung verneint wird 68 : „We are satisfied from our own common knowledge of the mental development of four year old children, that it is proper to hold that they have not at that age developed the mental capacity for foreseeing the possibilities of their inadvertent conduct, which would rationally support a finding that they were negligent."

62

Cleveland Park Club v. Perry (Municipal Court of Appeals of D.C., 1960) 165 A.2d 485 (488) per Rover C.J.: Im konkreten Fall Verantwortlichkeit eines 9jährigen für die Beschädigung eines Schwimmbeckens angenommen; Seaburg v. Williams (App. Ct. of Illinois, 1958) 148 N.E.2d 49 (55) per Crow P.J. 63 Seaburg v. Williams (App. Ct. of Illinois, 1958) 148 N.E.2d 49 (55) per Crow P.J.: im konkreten Fall wird daher die Verantwortlichkeit eines 6jährigen, der eine Garage in Brand gesetzt hatte, wegen trespass für möglich gehalten (Tatfrage: Überlassung an die Geschworenen). 64 Garratt v. Dailey (Supreme Court of Washington, 1955) 279 P.2d 1091 (1094): Im konkreten Fall daher Verantwortlichkeit eines 5jährigen, der den Stuhl unter einem Mädchen weggezogen hatte, wegen trespass für möglich gehalten. 65 Elis v. D'Angelo (District Court of Appeal, California, 1953) 253 P.2d 675 (677 [2,3]) per Nourse P.J. 66 Elis v. D'Angelo (District Court of Appeal, California, 1953) 253 P.2d 675 (677 [2,3]) per Nourse P.J. 67 Elis v. D'Angelo (District Court of Appeal, California, 1953) 253 P.2d 675 [8] per Nourse P.J. 68 (District Court of Appeal, California, 1953) 253 P.2d 675 (678 [6,7]) per Nourse P.J.

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Andere Entscheidungen folgen der Auffassung, daß für die Verantwortlichkeit wegen trespass wenigstens das Bewußtsein des Kindes zu fordern sei, daß die Handlung unrecht ist, daß die Handlung schädlich sein würde 69. Schließlich gibt es Entscheidungen, in denen die Grundsätze über das Mindestalter bei der contributory negligence ebenfalls auf das Delikt trespass angewandt werden. So verneint der Supreme Court of Ohio die Fähigkeit zur Begehung von trespass bei Kindern unter 7 Jahren. Er führt dazu aus70: „Our laws and our moral concepts assume actors capable of legal and moral choices, of which a young child is incapable...For that reason, a child under seven years of age was at common law considered incapable of criminal responsibility. For the same reason, we cannot accept those rules which hold a child strictly liable, or which permit a jury to find liability, in cases of intentional tort... The same public policy considerations which led this court...to hold that children under the age of seven are not liable for contributory negligence convince us that children under the age of seven also should not be held liable for intentional torts."

Auch in den Vereinigten Staaten ist die Mehrzahl der Entscheidungen, in denen es um die negligence von Kindern geht, zur contributory negligence ergangen71. Daher berufen sich amerikanische Gerichte in Fällen von actions in negligence nicht selten auf die Präjudizien zur contributory negligence und wenden die dort entwickelten Regeln - zu Sorgfaltsmaßstab, Mindestalter usw. - entsprechend an72. Auf diese Weise gelangen z.B. die Gerichte in Pennsylvania dazu, Kinder unter 7 Jahren nicht nur als incapable of contributory negligence (der contributory negligence unfähig), sondern auch als incapable of negligence anzusehen. Der Superior Court of Pennsylvania, per Price J., führt zur Begründung für die Anerkennung der 7-Jahres-Grenze folgendes aus73: „We must...recognize that the capacity to understand and appreciate the consequences of acts develops gradually with the acquisition of age and experience. The conclusive presumption that a child was incapable of contributory negligence until he reached the age of seven years develloped out of the need for a practical and simple rule to achieve expedienca in determination of capacity. The need is equally apparent in cases of actionable negligence."

69

Horton v. Reaves (Supreme Court of Colorado, 1974) 526 P.2d 304 (307/308) per Groves J.; Baldinger v. Banks (Sp. Ct. of New York, 1960) 201 N.Y.S.2d 629: im konkreten Fall Unrechtbewußtsein bei 6jährigem, der ein Mädchen umgestoßen hatte, bejaht. 70 Deluca v. Bowden (Supreme Court of Ohio, 1975) 329 N.E.2d 109 (111/112). 71 Prosser, S.181. 72 Kuhns v. Brugger (Supreme Court of Pennsylvania, 1957) 135 A.2d 395 (401 [9,14]); Dunn v. Teti (Superior Court of Pennsylvania, 1980) 421 A.2d 782 [9]. 73 Dunn ν. Teti (Superior Court of Pennsylvania, 1980) 421 A.2d 782 [9].

2. Teil: Rechtsvergleich

18

Mit dieser Erwägung wird die Verantwortlichkeit eines 5jährigen Jungen verneint, der einen 6jährigen Spielgefährten mit einem Stock getroffen hatte74. Bei einem 12jährigen, der einen Gefährten mit einer geladenen Pistole verletzt hatte, wird unter Berufung auf die Regel, wonach bei Kindern zwischen 7 und 14 Jahren (widerleglich) die Fähigkeit zur contributory negligence vermutet wird, die Entscheidung den Geschworenen überlassen, ob er der negligence fähig war 75 . In anderen Bundesstaaten wird dagegen die Berechtigung einer analogen Anwendung der Regeln zur contributory negligence verneint. So hat das Oberste Gericht von New Jersey bei einem 5I/2jährigen, der mit einem Metallgegenstand einen anderen Jungen verletzt hatte, es für möglich gehalten, daß er der negligence fähig war und dies in die Entscheidung der Geschworenen gestellt76. Die Regel, daß Kinder unter 7 Jahren für contributory negligence nicht verantwortlich seien77, hindere nicht, daß bei ihnen negligence angenommen werden könne. C. Einwand der contributory

negligence gegenüber Minderjährigen

Da sowohl Gerichte wie Autoren häufig auf die Rechtsprechung zur contributory negligence verweisen, sei diese im folgenden noch kurz dargestellt. Als Ausgangspunkt der englischen Rechtsprechung78 zur contributory negligence wird häufig der Fall Lynch v. Nurdin 19 aus dem Jahr 1841 zitiert: Ein Kind war auf einen unbeaufsichtigt gelassenen Kutschwagen geklettert. Als das Pferd, von einem anderen Kind angetrieben, anzog, fiel das Kind heraus und verletzte sich. Lord Denman C.J. hielt allein den Besitzer des Pferdewagens für verantwortlich und wies den Einwand zurück, das Kind selbst habe die übliche Sorgfalt (ordinary care) außer Acht gelassen und dadurch selbst zu dem Schaden beigetragen: „He [the defendant] has been deficient in ordinary care: the child, acting without prudence or thought, has, however, shewn these qualities in as great a degree as he could be expected to possess them. His misconduct bears no proportion to that of the defendant which produced it."

74

Dunn v. Teti [Superior Court of Pennsylvania, 1980] 421 A.2d 782 [9]. Kuhns v. Brugger (Supreme Court of Pennsylvania, 1957) 135 A.2d 395 (402 [9,14]). 76 Zuckerbrod v. Burch (Superior Court of New Jersey, 1965) 210 A.2d 425 (429). 77 Vgl. Bush v. New York Transit Co. (Supreme Court of New Jersey, 1959) 153 A.2d 28 (29). 78 Eine ausführliche und vertiefte Analyse der englischen Rechtsprechung zur contributory negligence (mitwirkenden Fahrlässigkeit) Minderjähriger findet sich bei Charlesworth & Percy, On Negligence, Rdn. 3-36 ff. 79 (1841) 1 QB 29 [113 E.R. 1041]. 75

2. Abschnitt: Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises

189

„Ordinary care must mean that degree of care which may reasonably be expected from a person in the plaintiffs situation; and this would evidently be very small indeed in so young a child."

Seitdem, häufig unter ausdrücklicher Berufung auf Lynch v. Nurdin 80, sind die englischen Gerichte sehr zurückhaltend, minderjährigen Opfern contributory negligence anzurechnen. So wurde contributory negligence in folgenden Fällen abgelehnt oder gar nicht erst geprüft: bei einem 4jährigen Kind, das auf einen Bahnübergang gelaufen 81; einem 4jährigen Kind, das auf einen schadhaften Zaun geklettert war 82 : einem 7jährigen Kind, das attraktiv aussehende giftige Beeren von einem Busch in einem öffentlichen Park gegessen hatte83; einem 9jährigen, der einen benzingetränkten Rohrkolben angezündet hatte, wobei er ihn über einem mit Benzin gefüllten Eimer hielt 84 ; einem 10jährigen, der bei der Arbeit ein Bündel Stroh mit dem Fuß in eine Dreschmaschine gestoßen hatte, und dabei von der Maschine erfaßt wurde 85; einer 13 ^jährigen, die, ohne sich umzusehen, auf die Straße gelaufen war, weil sie auf den Wink eines Lastwagenfahrers vertraute 86; einer 14jährigen, deren Schürze beim Feuerschüren Feuer fing 87 . Charlesworth & Percy nennen nur zwei Fälle, in denen bei Minderjährigen contributory negligence bejaht wurde. Der eine betrifft einen 19jährigen, weshalb er in dieser Untersuchung irrelevant ist. Der andere ist ein sehr alter Fall (1863) und betrifft ein 7jähriges Kind, bei welchem contributory negligence mit der Begründung bejaht wurde, sein junges Alter sei irrelevant für die Frage, ob eigene negligence zum Schaden beigetragen hat88. Diese Begründung ist, wie Charlesworth & Percy anmerken, heute - im Lichte der auf Lynch v. Nurdin folgenden Fälle - nicht mehr haltbar 89. Die Gerichte anderer Common Law Staaten sind wesentlich eher bereit, Kindern Mitverschulden - selbst in jungem Alter - anzurechnen, als englische Gerichte. So ist in Schottland sogar 41/2jährigen, 5jährigen und 6jährigen Kindern contributory negligence zugerechnet worden 90. Die irischen, kanadischen und 80 Vgl. z.B. Harrold v. Wattney [1898] 2 QB 320 (322); Yachuk v. Oliver Biais Co. Ltd [1949] AC 386 (387 und 395/396); weitere Nachweise bei Charlesworth & Percy, Rdn. 336 Fn.17. 81 Williams v. G.W.Ry (1874) L.R. 9 Ex. 157. 82 Harrold v. Watney [1898] 2 QB 320. 83 Glasgow Corpn. v. Taylor [1922] 1 AC 44. 84 Yachuk v. Oliver Biais Co. Ltd [1949] AC 386. 85 Holdman v. Hamlyn [1943] KB 664. 86 Gough v. Thome [1966] 1 WLR 1387. 87 Smith v. Martin and Hull Corpn. [1911] 2 KB 775. 88 Hughes v. Macfie (1863) 2 H & C 744 [159 E.R. 308 (310)] per Pollock L.B. 89 Charlesworth & Percy, Rdn. 3-40 Fn.40. 90 Rspr.-Nachw. bei Charlesworth & Percy, Rdn. 3-42 Fn.46 f. u. Walker, S.88 Fn.16.

190

2. Teil: Rechtsvergleich

australischen Gerichte sind ebenfalls nicht zurückhaltend, Minderjährigen auch in jüngerem Alter contributory negligence zuzurechnen91. Gleiches gilt für die Vereinigten Staaten92. /. Sorgfaltsmaßstab Die Aussage von Lord Denman C.J. in Lynch v. Nurdin enthält eine Milderung der Sorgfaltsanforderungen, die an ein Kind gestellt werden. Nach dem Wortlaut von Lynch v. Nurdin bleibt allerdings der Sorgfaltsmaßstab grundsätzlich objektiv: Ein Kind hat die Sorgfalt zu beobachten, die von einem Kind dieses Alters vernünftigerweise erwartet werden kann. Dieser objektive alterstypische Sorgfaltsmaßstab ist auch Grundlage späterer englischer Entscheidungen. Ein Beispiel für die Anwendung dieses objektiv-alterstypischen Sorgfaltsmaßstab ist Gough v. Thome - eine 1314jährige, war, ohne sich umzusehen, auf die Straße gelaufen, weil sie auf den Wink eines Lastwagenfahrers vertraute 93. Lord Denning M.R. führt darin aus: „ A judge should only find a child guilty of contributory negligence if he or she is of such an age as reasonably to be expected to take precautions for his or her own safety...Here she [i.e. the infant plaintiff] was with her elder brother crossing a road. They had been beckoned on by the lorry driver. What more could you expect the child to do than to cross in pursuance of the beckoning? It is said by the judge that she ought to have leant forward and looked to see whether anything was coming. That indeed might be reasonably expected of a grown-up person with a fully developped road sense, but not of a child of 13Î4."

In Jones v. Lawrence 94 - es ging um einen 7jährigen, der ebenfalls, ohne sich umzubliken, auf die Straße gelaufen war - wurde das Mitverschulden ebenfalls verneint, weil Kinder in diesem Alter geneigt seien zu vergessen, was sie über Sicherheit im Straßenverkehr gelernt hätten, wenn etwas anderes in dem Moment ihre Gedanken festhält. Der objektive alterstypische Sorgfaltsmaßstab wird auch im Fall Yachuk v. Oliver Biais Co., Ltd 95 angewandt, wo allerdings angedeutet wird, der Fall wäre möglicherweise zuungunsten des minderjährigen Klägers ent91 Fälle aus der irischen Rechtsprechung: Brennan v. Savage Smith & Co.(Supreme Court of Ireland): 7,/4jähriges Kind, berichtet bei McMahon & Binchy, S.720; Hosty v. McDonagh (Supreme Court of Ireland): lOjähriges Kind, berichtet ebd., S.718 Fn.21. Fälle aus der kanadischen Rechtsprechung: Nachweise bei Linden, S.l30 Fn.201-207: Kinder im Alter von 6, 8, 9, 11, 12, 13l/2, 15 Jahren. Fälle aus der australischen Rechtsprechung: Berzins v. Lulic (1986) 41 SASR 306: 11 jähriger; weitere Nachweise bei Balkin & Davis, S.348 Fn.56: 5 ιΔ und 6!/2jährige Kinder. 92 Vgl. Prosser, S.l80. 93 Gough v. Thome [1966] 1 WLR 1387. 94 Berichtet bei Charlesworth & Percy, Rdn. 3-38. 95 Yachuk v. Oliver Biais Co. Ltd [1949] AC 386.

2. Abschnitt: Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises

191

schieden worden, wenn bewiesen wäre, daß er bereits mehr Einsicht in die Gefährlichkeit seiner Handlung hatte, als Kinder seines Alters üblicherweise haben. In den anderen Staaten des Common Law besteht häufig Unklarheit, welcher Sorgfaltsmaßstab auf Kinder anzuwenden ist. Einigkeit besteht nur - im Einklang mit der englischen Rechtsprechung - insoweit, als der Sorgfaltsmaßstab auch gegenüber Kindern ein objektiver bleibt, daß aber das junge Alter des Kindes die Sorgfaltsanforderungen mindert. Jedoch berücksichtigen die Gerichte in diesen Staaten häufig noch weitere subjektive Elemente, wenn sie die Sorgfaltsanforderungen an Kinder formulieren: In Kanada, ebenso in den USA 96, prüfen die Gerichte meist, ob ein Kind die Sorgfalt ausgeübt hat, welche von einem Kind gleichen Alters, gleicher Intelligenz, und gleicher Erfahrung erwartet werden konnte; dieser Sorgfaltsmaßstab wird aber keineswegs in allen Entscheidungen angewandt97. In Australien findet sich manchmal die gleiche Formulierung 98, manchmal wird Alter, Intelligenz, Ausbildungsstand und Wissen99, nicht selten nur Alter und Intelligenz100, in neueren Entscheidungen101 meist nur das Alter des Kindes berücksichtigt. Die irischen Gerichte prüfen häufig, welche Sorgfalt von einem Kind gleichen Alters und gleicher geistiger Entwicklung verlangt werden kann; nicht selten wird auf Alter und Erfahrung abgehoben; aber auch Entscheidungen, die nur das Alter berücksichtigen, lassen sich finden 102. II. Mindestalter m

Bereits in Gardner v. Grace hatte es geheißen: „The doctrine of contributory negligence does not apply to an infant of tender age". In späteren englischen Entscheidungen zur contributory negligence taucht immer wieder der Gedanke auf, Kinder in sehr jungem Alter könnten überhaupt nicht negligent handeln: ein 23jähriges Kind sei „too young to be capable of contributory negligence"104; ein 7jähriges Kind sei „of such tender age as to be regarded in law as incapable of contributory negligence"105; Kleinkinder seien, da „not having reached reason or 96 97 98

Vgl. Prosser, S.181. Linden, S.l28 m.w.N.

Z.B. bei Balkin & Davis, S.348. Vgl. Trindade/Cane, S.339. 100 Z.B. Cotton v. Commissioner for Road Transport, &c. 43 SR (NSW) 66 (69/70). 101 Vgl. Berzins v. Lulic (1986) 41 SASR 306 (311); Bearsley v. Marshall (1977) 17 SASR 456 (459). 102 Ausführliche Nachweise bei McMahon & Binchy, S.718-721. 103 Gardner v. Grace (1858) 1 F & F 359 [175 E.R. 763]. 104 Latham v. R.Johnson & Nephew Ltd. [1913] 1 KB 398 (416) per Hamilton L.J. (obiter). 105 Liddle v. Yorkshire (North Riding) C.C. [1934] 2 KB 101 (125) per Greer L.J.(obiter). 99

192

2. Teil: Rechtsvergleich

understanding", „not guilty of contributory negligence"106; Lord Denning M.R. erklärt lapidar: „ A very young child cannot be guilty of contributory negligence"107. Der Gedanke eines Mindestalters als Voraussetzung dafür, capable of contributory negligence zu sein, beherrscht auch die Rechtsprechung in anderen Staaten des Common Law; hierbei ist die Aussage, ein sehr junges Kind sei des Verschuldens nicht fähig, vorzugsweise bei Fällen mit Kindern unter 5 Jahren vorgekommen 108 . In manchen Staaten der USA vertreten die Gerichte sogar feste Altersgrenzen zur Bestimmung der capability of negligence : So haben die Gerichte in etwa einem Dutzend der Bundesstaaten folgende Regeln aufgestellt: Ein Kind unter 7 Jahren ist nicht verschuldensfähig, zwischen 7 und 14 Jahren wird die incapability vermutet und kann widerlegt werden, über 14 Jahren wird die capability (widerleglich) vermutet 109. Die Gerichte anderer Bundesstaaten hingegen erkennen ein festes Mindestalter für die capability nicht an 110 .

3. Abschnitt: Fallbeispiel Der Rechtsvergleich zeigt, daß die deliktsrechtliche Haftung Minderjähriger in den verschiedenen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede in Voraussetzungen und Umfang aufweist. Abschließend soll ein Fallbeispiel die verschiedenen Regelungen der einzelnen Staaten zur Deliktshaftung Minderjähriger anschaulich machen: Wenn ein normal entwickelter 12-jähriger ein Gebäude objektiv fahrlässig in Brand setzt, so hat das für ihn folgende Konsequenzen, je nach dem, welchem Recht er unterliegt: In Frankreich, Mexiko (wenn sich die Eltern entlasten können), Argentinien (wenn nicht die allgemeine Reduktionklausel angewandt wird), Kolumbien, Uruguay ist er voll ersatzpflichtig.

106

Philipps v. Rochester Corpn. [1955] 1 QB 450 (458) per Devlin J. (obiter). Obiter in Gough v. Thome [1966] 1 WLR 1387 = [1966] 3 All ER 398. 108 Vgl. die Nachweise aus der irischen Rechtsprechung bei McMahon & Binchy, S.715717; aus der kanadischen Rechtsprechung bei Linden, S.l26/127; aus der australischen Rechtsprechung bei Bulkin & Davis, S.348 Fn.61; aus der schottischen Rechtsprechung bei Walker, S.87 Fn.15; aus der amerikanischen Rechtsprechung bei Prosser, S.l80. 109 Vgl. Prosser, S.l80; vgl. dazu Dunn ν. Teti [Superior Court of Pennsylvania, 1980] 421 A.2d 782; Seaburg v. Williams [App. Ct. of Illinois, 1958] 148 N.E.2d 49 (51); Holbrock v. Hamilton Distributing [Supreme Court of Ohio, 1967], 228 N.E.2d. 628. 110 Nachw. bei Prosser, S.l80. 107

. Abschnitt:

l l e i e

193

- In Belgien, Luxemburg, im Québec, in Italien, Portugal, Griechenland käme es auf die Einsichtsfähigkeit bzw. auf die Einsichts- und Steuerungfähigkeit des 12jährigen an. Ist sie gegeben, ist der 12jährige voll ersatzpflichtig. - In den Niederlanden und in der Russischen Föderation und den übrigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, in Bulgarien und Albanien, Brasilien, Guatemala haftet er überhaupt nicht. - In Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Island käme es auf die Umstände der Tat und Vermögensverhältnisse der Beteiligten, insbesondere das Bestehen einer Haftpflichtversicherung an: Möglicherweise haftet er überhaupt nicht, möglicherweise hat er einen Teil des Schadens zu ersetzen, möglicherweise ist er voll ersatzpflichtig. - In Spanien (war die Tat als fahrlässige Brandstiftung strafbar) und in der Volksrepublik China käme es allein darauf an, ob der 12jährige Vermögen hat. Hat er Vermögen, so haftet sein Vermögen, hat er keines, so haftet er nicht. - In der Schweiz und in Österreich wird bei einem normal entwickelten 12jährigen in der Gerichtspraxis die Deliktsfähigkeit fast stets bejaht, womit der 12jährige hier der Deliktshaftung unterläge. Jedoch würde die Ersatzpflicht des 12jährigen sehr wahrscheinlich reduziert werden. - In Deutschland wäre zunächst die Deliktsfähigkeit des 12jährigen zu prüfen, die fast stets bejaht wird. Sodann käme es darauf an, ob der 12jährige nach einem alterstypischen Sorgfaltsmaßstab fahrlässig gehandelt hätte. - In den Staaten des Common Law käme es darauf an, ob der 12jährige auch nach einem alterstypische Sorgfaltsmaßstab unsorgfältig gehandelt hätte. In den meisten Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises, wie Großbritannien, Australien, in den meisten Bundesstaaten Kanadas, Irland wäre allerdings der Erfolg einer Klage gegen den 12jährigen höchst ungewiß. Wegen negligence ist dort bisher - soweit ersichtlich - noch kein Minderjähriger unter 13 Jahren verurteilt worden.

13 Goecke

3. Teil

Möglichkeiten einer Begrenzung der Deliktshaftung Minderjähriger im deutschen Recht 1. Abschnitt: Überblick Nachdem die Bewertung der unbegrenzten Deliktshaftung Minderjähriger im 1. Teil ergeben hat, daß das geltende Recht geändert werden muß, um eine Begrenzung der Haftung des Minderjährigen zu erreichen, wurden im 2. Teil zunächst die Regelungen anderer Staaten zu dieser Frage untersucht, um hierdurch Anregungen und Anschauungsobjekte für Änderungsmöglichkeiten zu gewinnen. Der Rechtsvergleich hat nun gezeigt, daß die im BGB getroffene Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger nicht selbstverständlich ist und der Minderjährigenschutz im Deliktsrecht vieler Staaten sehr viel weiter geht als in Deutschland (während es lediglich zwei Staaten gibt, in denen Minderjährige schärfer haften als in Deutschland, nämlich Frankreich und Mexiko). Die Regelungen der Staaten, die den Minderjährigen stärker schützen als Deutschland, können nun entsprechend der Ziel vorgäbe, die mit dem 2. Teil verbunden war, als Anregungen und Anschauungsobjekte der Untersuchung von Änderungsmöglichkeiten im deutschen Recht zugrunde gelegt werden. Um diese Untersuchung der jeweiligen Änderungsmöglichkeiten, ihre Vor- und Nachteile sowie die Auswirkungen, die sie in der Praxis hatten oder hätten, soll es nun im folgenden dritten Teil der Arbeit gehen. A. Bisherige Lösungsvorschläge Hierbei sollen in erster Linie alle in der bisherigen Diskussion bereits vorgeschlagenen Änderungen des deutschen Rechts untersucht werden. Dabei zeigt es sich, daß vieles von dem, was in Deutschland an Änderungen der Deliktshaftung Minderjähriger vorgeschlagen wurde, in anderen Staaten bereits verwirklicht ist. Von den bisher für das deutsche Recht vorgeschlagenen Lösungen sind folgende in anderen Staaten geltendes Recht: - Deliktsfähigkeit nicht mehr ab 7 Jahren, sondern erst in einem höheren Alter (dazu 4. Abschnitt, Α.): Die Altersgrenze, ab der die Deliktshaftung des Minderjährigen beginnt, ist in zahlreichen Staaten erheblich höher als in Deutschland, so etwa in den Niederlan-

. Abschnitt:

195

erlic

den, in Rußland, mehreren osteuropäischen Staaten und mehreren lateinamerikanischen Staaten. - Haftung des Minderjährigen 4. Abschnitt, B.):

nur noch, wenn er steuerungsfähig

ist (dazu

Die Steuerungsfähigkeit ist Haftungsvoraussetzung in vielen Staaten, so in der Schweiz, in Italien und in der Tschechischen Republik. - Haftung der Eltern an Stelle des Minderjährigen

(dazu 4. Abschnitt, C.):

Der Vorschlag, die Minderjährigenhaftung durch eine verschuldensunabhängige Elternhaftung zu ersetzen, ist in den Niederlanden verwirklicht. - Ermächtigung des Richters zur Schadensersatzminderung sel) (dazu 4. Abschnitt, D.):

(Reduktionsklau-

Allgemeine, fur alle Schuldner geltende Reduktionsklauseln (dazu 4. Abschnitt, D.I.) gibt es in den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Finnland, Spanien, Portugal, Argentinien, vielen osteuropäischen Staaten. Die allgemeine Reduktionsklausel des niederländischen Schadenersatzrechts soll nach den Gesetzesmotiven insbesondere bei übermäßigen Ersatzpflichten minderjähriger Schädiger über 14 Jahren angewandt werden. Eine spezielle Reduktionsklausel für Minderjährige (dazu 4. Abschnitt, D.II.) unter 15 Jahren gibt es in Dänemark. In der Schweiz, in Österreich und den übrigen skandinavischen Staaten kann der Richter den Umfang der Schadensersatzpflicht des Minderjährigen nach seinem Ermessen festlegen, was im praktischen Ergebnis einer Reduktionsklausel für Minderjährige nahekommt. Von den bisher in Deutschland gemachten Vorschlägen ist lediglich die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige (dazu 2. Abschnitt, Α.), soweit ersichtlich, bisher noch in keinem Staat verwirklicht. B. Weitere denkbare Lösungen Daneben soll auch noch auf andere denkbare Lösungsmöglichkeiten eingegangen werden, die - soweit ersichtlich - bisher nicht als Lösungen für die Begrenzung der Deliktshaftung Minderjähriger vorgeschlagen und auch nirgendwo verwirklicht worden sind: Das sind im einzelnen: - Öffentlichen Versicherung für die Opfer minderjähriger Schädiger (dazu 2. Abschnitt, B.) - Höhere Pfändungsfreigrenzen für Minderjährige (dazu 3. Abschnitt, A.) - Verkürzung der Verjährungsfrist rechtskräftig festgestellter Ansprüche gegen Minderjährige (dazu 3. Abschnitt, B.) - Einführung eines Entschuldungsverfahrens (3. Abschnitt, C.)

196

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

C. Gang der Darstellung Bei der Untersuchung der genannten Änderungsmöglichkeiten sollen - thematisch geordnet - zunächst die Vorschläge erörtert werden, die das Problem durch Bereitstellung von Versicherungsschutz lösen wollen. Sodann werden die Möglichkeiten zu einer Änderung des Vollstrekungsrechts ausgelotet. Am Schluß werden denkbare Änderungen des materiellen Zivilrechts untersucht.

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz A. Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige Ein Weg zur Entlastung des Minderjährigen wäre die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige - sei es als gesetzliche Haftpflichtversicherung, sei es als gesetzliche Verpflichtung zum Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung. /. Modellfall: Versuch der Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung in den skandinavischen Staaten Der Nordische Rat, eine von den skandinavischen Staaten getragene internationale Organisation, die sich um die Rechtsvereinheitlichung in Skandinavien bemüht, hat sich bereits Anfang der 60er Jahre mit dem Thema der deliktischen Haftung von Minderj ährigen befaßt. Im Jahr 1963 brachten Mitglieder des Nordischen Rates einen Vorschlag „zur Gesetzgebung hinsichtlich der Schadensersatzpflicht von Kindern" ein1. Danach sollte der Nordische Rat den Regierungen empfehlen, in den nordischen Ländern „gleichartige Bestimmungen hinsichtlich der Schadensersatzpflicht von Kindern einzuführen, welche auf einem System mit obligatorischer Haftpflichtversicherung basieren"2. Den Anstoß für diesen Mitgliedervorschlag hatte der kurz zuvor veröffentlichte Entwurf einer schwedischen Gesetzgebungskommission zur Schadensersatzpflicht von Kindern gegeben3. Dieser Entwurf, der in Zusammenarbeit mit Kommissionen der übrigen skandinavischen Staaten4 mit dem Ziel einer einheitlichen skandi-

1

Medlemsförslag om lagstifting rörande barns skadestândsansvar, S A K A 30, Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.992-994. Abgedruckt femer in: A 11/j, Nordiska Ràdet, 14:e sess. 1966, S.241-243. 2 Medlemsförslag, Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.994. 3 Vgl. den historischen Rückblick in der Stellungnahme des Rechtsausschusses des Nordischen Rates, in: A 1 l j Bilaga 2, Nordiska Ràdet, 14:e sess. 1966, S.244 (246).

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

197

navischen Regelung der deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit von Kindern 5 ausgearbeitet worden war, sah vor: für Mindeijährige unter 15 eine Haftung nach Billigkeitserwägungen und für Mindeijährige über 15 Jahren eine grundsätzlich volle Ersatzpflicht mit Herabsetzungsmöglichkeit bei unbillig harter Belastung des Minderjährigen 6. Aus dem Entwurf ging hervor, daß die finnische Kommission einen gleichlautenden, die norwegische Kommission und die dänische Kommission einen ähnlichen Vorschlag machen werde7. Der schwedische Entwurf erwähnte kurz die Möglichkeit einer obligatorischen Haftpflichtversicherung, lehnte deren Einführung aber mit der Bemerkung ab, daß keine der Kommissionen der übrigen nordischen Staaten hinreichende Veranlassung gesehen hätten, eine solche Lösung vorzuschlagen8. Die betreffenden Mitglieder des Nordischen Rates wandten sich gegen die in den Entwürfen der Kommissionen der vier Staaten vorgesehene Regelung mit folgenden Argumenten: - Im Schadensersatzrecht sei sowohl auf den Schädiger als auch auf den Geschädigten Rücksicht zu nehmen. Schon bei den geltenden Regeln - in jedem Fall denjenigen Dänemarks und Schwedens9 - habe die Rücksicht auf den Schädiger ein Übergewicht bekommen10. Dies gelte gleichermaßen für die vorgelegten Entwürfe. - Die vorgeschlagene Regelung werde häufige Rechtsstreitigkeiten und für den Geschädigten Rechtsunsicherheit hervorrufen - wie die dänisch-schwedische Rechtspraxis schon jetzt beweise11. Diese Schwierigkeiten könnten gelöst werden durch die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung, die sowohl die persönliche Haftpflicht der Kinder, als auch die Haftpflicht der Eltern für schädigende Handlungen ihrer Kinder deckt. Die Vorteile einer obligatorischen Haftpflichtversicherung gegenüber den Kommissionsentwürfen seien die folgenden: - Sie bedeute eine wesentliche Vereinfachung des Problems. 4

Vgl. den historischen Rückblick in der Stellungnahme des Rechtsausschusses des Nordischen Rates, in: A 1 l j Bilaga 2, Nordiska Ràdet, 14:e sess. 1966, S.244 (246). Dem schwedischen Entwurf folgten Entwürfe aus Dänemark und Norwegen, vgl. Stellungnahme des Rechtsausschusses, ebendort, S.246. 5 Hellner, AJCL 1974, 1 (2). 6 Inhalt dieses Entwurfs mitgeteilt ebenda, S.993. Zu diesem Entwurf auch Igney, S.89. 7 Berichtet in Medlemsförslag, Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.993. 8 Berichtet in Medlemsförslag, Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.994. 9 Vgl. dazu die in Schweden und Dänemark in den 60er Jahren geltenden Regeln, 2.Teil, 1. Abschnitt, Β. I. l.und C. II. 3. 10 Medlemsförslag, Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.993. 11 Medlemsförslag, Nordiska Ràdet, 12:esess. 1964, S.994.

198

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

- Sie spare eine Menge Rechtsstreitigkeiten. - Sie sichere, daß der Geschädigte entschädigt wird. - Sie lege den Eltern und dem Kind keine wesentliche wirtschaftliche Belastung auf, weil die Versicherungsbeiträge ganz unbedeutend wären 12. Zu dem Mitgliedervorschlag des Nordischen Rates äußerten sich zahlreiche Behörden, Einrichtungen, Verbände und Vereine der skandinavischen Staaten (abgedruckt in: Nordiska Râdet, 12:e sess. K0benhavn 1964, S.995-1025). Nur wenige Stellungnahmen äußerten sich positiv zu einer obligatorischen Haftpflichtversicherung 13. Positiv wurde bewertet, daß eine obligatorische Haftpflichtversicherung den Richter von der selbst für Sachverständige schwierigen Aufgabe entheben würde, den Entwicklungsstand des Kindes - und seine Auswirkungen auf die Ersatzpflicht zu beurteilen 14. Die im schwedischen und finnischen Entwurf vorgesehene Festlegung der Ersatzpflicht unter Abwägung aller Umstände könne nicht gebilligt werden 15: Sie räume dem Richter ein weitreichendes Prüfungsrecht und die Möglichkeit zu gänzlich willkürlichen Entscheidungen ein. Angesichts so unbestimmter Vorschriften sei es schwer vorstellbar, daß sich eine feste Praxis entwickeln könne, zumal die Frage der Ersatzpflicht nicht einmal nach objektiven Kriterien, sondern nach den subjektiven Auffassungen des Richters entschieden werde. Aus diesem Dilemma biete die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung einen Ausweg. Die Versicherungsbeiträge seien zudem nicht allzu belastend. Die weitaus meisten Äußerungen sprachen sich gegen eine obligatorische Haftpflichtversicherung aus16 oder äußerten zumindest Bedenken17. Unter dem Eindruck der starken Skepsis, die in den eingegangenen Äußerungen zum Mitgliedervorschlag zum Ausdruck kam, und der ebenfalls ablehnenden Haltung der später eingereichten dänischen und norwegischen Kommissions-Denkschriften kam dann 12

Medlemsförslag, Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.994. Vgl. die Stellungnahmen der schwedischen Medizinalverwaltung und Sozialverwaltung (ohne weitere Begründung), in: Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.l009; der finnischen Medizinalverwaltung, S.l001; der finnischen und schwedischen Vereinigungen der Amtsrichter, S.1004/1005 und 1013 (1016). 14 Finnische Medizinalverwaltung, in: Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.l001. 15 Vereinigung der Amtsrichter in Finnland, a.a.O., S.l004 f. 16 Finnisches Justizministerium und Sozialministierum, a.a.O., S.999-1001; Ausschuß des dänischen Justizministeriums betreffend die Schadensersatzpflicht von Kindern und Eltern, a.a.O., S.996 f.; Vereinigung der schwedischen Stadtrichter, a.a.O., S.l021; Oberlandesgericht von Svealand (Schweden), a.a.O., S.1007 f.; Schwedischer Anwaltsverein, S.l021; Finnischer Anwaltsverein, a.a.O., S.l002 f.; Dänische Versicherungssozietät, a.a.O., S.998 f.; Schwedischer Reichsverband der Versicherungen, a.a.O., S. 1022 f.; Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S. 1010 ff. 17 Dänisches Justizministerium, S.995. 13

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

199

auch der Rechtsausschuß des Nordischen Rates zu dem Ergebnis, daß dem Mitgliedervorschlag nicht ohne weiteres zugestimmt werden könne18. Damit wurde die Einführung einer obligatorische Haftpflichtversicherung für Kinder zunächst nicht weiter betrieben. Auch später konnte sich der Vorschlag nicht durchsetzen. Die skandinavischen Staaten gingen vielmehr einen anderen Weg. Schweden, Norwegen und Finnland erließen zwar neue Regeln über die Haftung von Kindern 19, hielten sich dabei aber im wesentlichen an die Vorschläge der im Mitgliedervorschlag kritisierten jeweiligen nationalen Kommissionen. Dänemark änderte seine Regelung nicht 20 . IL Vorschläge und Argumente der Befürworter Argumente zugunsten der obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige finden sich zunächst - wie gerade ausgeführt - in den Dokumenten zum Mitgliedervorschlag des Nordischen Rates. Hinsichtlich des Inhalts dieser Argumente sei daher auf den vorhergehenden Gliederungspunkt (I.) verwiesen. Auch in Deutschland haben sich mehrere Autoren für die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige ausgesprochen21. Scheffen meint, die Einführung einer Pflicht-Haftpflichtversicherung würde das Problem der Minderjährigenhaftung stark entschärfen. Vorab solle den Eltern bereits durch Schule und Medien dringend nahegelegt werden, für ihre Kinder eine Familienhaftpflichtversicherung abzuschließen. Den finanziell schwächeren Bevölkerungsteilen könne zur Finanzierung der Versicherung aus allgemeinen Steuermitteln - etwa durch Erhöhung des Kindergeldes - geholfen werden 22. Hennings befürwortet eine Haftpflichtversicherung, weil sie die „drei Hauptprobleme der Kinderhaftung" befriedigend lösen würde 23: - Die Entschädigung der Opfer wäre gesichert - Die Kinder wären keiner unbilligen Haftung ausgesetzt - Die Berechenbarkeit der Ergebnisse würde das Bedürfiiis nach Rechtssicherheit befriedigen.

18

Stellungnahme des Rechtsausschusses des Nordischen Rates, in: A 1 l j Bilaga 2, Nordiska Râdet, 14:e sess. 1966, S.244 (250). 19 Vgl. hierzu 2. Teil, 1. Abschnitt, Β. I. 20 Vgl. 2. Teil, 1. Abschnitt, C. II. 3. 21 Wille und Bettge, VersR 1971, 878 (882) [für Kinder bis zum 10. Lebensjahr]; Scheffen, FuR 1993, 82 (88); Hennings, S.128/129. 22 Scheffen, FuR 1993, 82 (88). 23 Hennings, S.128/129.

200

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Zudem komme der Vorteil der schnellen und kostengünstigen Konfliktlösung ohne langwierige Inanspruchnahme der Gerichte zum Tragen. Wille und Bettge denken vor allem daran, daß eine Pflicht-Haftpflicht die Opfer minderjähriger Schädiger absichert24. Auch von mehreren französischen Autoren ist die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Minderjährige befürwortet worden 25. Sie verweisen darauf, daß viele Eltern über das bestehende Haftungsrisiko nicht informiert seien und sich deshalb nicht freiwillig versicherten. Außerdem verzichteten gerade ärmere Familien, die den Versicherungsschutz am nötigsten hätten, oft aus Kostengründen auf diese Versicherung 26. Puill weist darauf hin, je mehr es Zweck des Deliktsrechts werde, eine immer bessere Garantie der Rechte der Opfer zu erreichen, umso mehr werde darauf zurückgegriffen, für die Opfer Versicherungsschutz bereitzustellen. Zwar sei die Einführung einer neuen Versicherungspflicht nicht notwendig zufriedenstellend im Hinblick auf die individuellen Freiheitsrechte der Verpflichteten 27. Jedoch seien die Kosten einer Privat-Haftpflichtversicherung („l'assurance responsabilité civile chef de famille") relativ gering 28. Die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung allein reiche allerdings nicht aus. Denn es sei zu befürchten, daß viele Eltern sich weigern, eine Versicherung abzuschließen, oder dies aus Nachlässigkeit nicht täten. In dem Fall müsse ein Garantiefonds sicherstellen, daß die Opfer nicht leer ausgehen29. Zur praktischen Durchführung schlägt Lapoyade Deschamps vor, die Versicherung könnte vom gesetzlichen Vertreter des Kindes anläßlich der Deklaration der Geburt abgeschlossen werden oder zumindest von der Einschulung an30. Die Versicherung könnte nicht nur die vom Minderjährigen verursachten Schäden, sondern auch die von ihm erlittenen Schäden abdeken31. III. Argumente der Kritiker In den Stellungnahmen der verschiedenen skandinavischen Institutionen zu dem Mitgliedervorschlag des Nordischen Rates (abgedruckt in: Nordiska Râdet, 24

Wille und Bettge, VersR 1971, 878 (882). Lapoyade Deschamps, D.1988 Chr.299 (305); Starck, Nr. 375; Viney, Nr. 593; vgl. auch die Übersicht bei Hennings, S. 120/121. 26 Vgl. Darstellung bei Hennings, S.121. 27 Puill, D.1988 Chr. 191 Nr. 25. 28 Puill, D.1988 Chr. 191 Nr. 25; ebenso Starck, Nr. 375. 29 Puill, D.1988 Chr.191/192 Nr. 28; Ebenso Starck, Nr. 375 und Viney, Nr. 593. 30 Lapoyade Deschamps, D.1988 Chr.305. 31 Lapoyade Deschamps, D.1988 Chr.305 im Einklang mit anderen französischen Autoren, vgl. bei Hennings, S.121. 25

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

201

12:e sess. K^benhavn 1964, S.995-1025, vgl. dazu I.) wurden folgende Argumente gegen eine obligatorische Haftpflichtverssicherung für Minderjährige ins Feld geführt: (1) Beträchtliche administrative Probleme32 bei der Durchführung einer solchen Versicherung seien zu befürchten. (2) Bei einer Lösung, bei der private Versicherungsgesellschaften die Versicherung anbieten, müsse sichergestellt werden, daß der Versicherungspflicht nachgekommen werde 33. Schwierigkeiten seien bei der Kontrolle zu erwarten, ob die Eltern dieser Pflicht genügen34; damit auch Schwierigkeiten, den Versicherungsschutz für alle Kinder sicherzustellen - z.B. bei Kindern, die sich nur zu Besuch im betreffenden Land aufhalten 35. Damit ergebe sich - neben der allgemeinen Notwendigkeit, Regeln für die Durchsetzung der Versicherungspflicht aufzustellen auch die Notwendigkeit, eine besondere Deckungsmöglichkeit für Schäden zu schaffen, die von ausnahmsweise unversicherten Kindern verursacht werden, oder von solchen, deren Identität sich nicht feststellen lasse36. Für unversicherte Kinder müsse dann etwa ein gemeinsames Organ der Versicherungsgesellschaften einstehen37. (3) Eine obligatorische Haftpflichtversicherung bedeute hohen Verwaltungsaufwand und damit hohe Verwaltungskosten38. Zwar bleibe die Risikoprämie niedrig, die zu zahlende Versicherungsprämie werde aber einen verhältnismäßig hohen Anteil zur Deckung der Verwaltungskosten enthalten. Dies sei nicht zufriedenstellend39. Die hohen Verwaltungkosten ergäben sich bei jeder denkbaren Organisationsform: (3.1) Am nächsten liege es, daß private Versicherungsgesellschaften die Pflicht-Haftpflichtversicherung bereitsstellten. Man könne sich denken, daß diese Pflichtversicherung von den Versicherungsgesellschaften nach dem Vorbild der Kraftfahrzeug-Haftpflicht organisiert werde. Gegenwärtig aber könne die Haft-

32 Dänisches und Finnisches Justizministerium, in: Nordiska Ràdet, 12:e sess. 1964, S.995 und 1000; Vereinigung der schwedischen Stadtrichter, a.a.O., S.l021; Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1012. 33 Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S. 1010 ff. 34 Dänisches Justizministerium, a.a.O., S.995; Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1012. 35 Dänische Versicherungsgemeinschaft, a.a.O. S.998/999. 36 Dänische Versicherungsgemeinschaft, a.a.O., S.998/999. 37 Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1010/1011. 38 Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S. 1023; Dänische Sozietät der Versicherer, a.a.O., S.998; Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.lOlOf. 39 Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1010.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Pflichtversicherung der Kinder von den Versicherern gemeinsam mit den Heim-, Haus- und anderen Versicherungen verwaltet werden 40. Gegenwärtig seien die Verwaltungskosten für die Kinder-Haftpflicht daher nur unbedeutend. Bei einer Pflichtversicherung müßte die Kinder-Haftpflicht aus der Familienversicherung herausgebrochen werden 41. Die Kostenersparnis durch die gemeinsame Verwaltung mit anderen Versicherungen würde bei einer separaten Kinder-Versicherung verloren gehen42. (3.2) Werde die Versicherung durch eine staatliche Versicherungseinrichtung bereitgestellt, so müßten dieser Einrichtung Sachverständige zur Verfügung stehen. So sei beispielsweise für Invaliditätsfälle medizinische Sachkunde, aber auch Sachkunde in Fragen der Rehabilitierung erforderlich. Bei Sachschäden seien wieder Sachverständige anderen Typs erforderlich 43. Eine staatliche Versicherungseinrichtung hätte aber nicht wie private Versicherungsgesellschaften die Möglichkeit, die Schadensregulierung bei der Haftpflicht von Kindern mit entsprechenden Schadensregulierungen angrenzender Bereiche zu koordinieren 44. Der Staat müsse daher eine eigene qualifizierte Organisation aufbauen 45. (3.3.) Das gelte gleicherweise, wenn der Staat sich verpflichte, den den Kindern obliegenden außervertraglichen Schaden direkt an den Geschädigten zu bezahlen46. (4) Die Untersuchung der schädigenden Handlungen können eine schwierige Aufgabe sein, die den Umfang der Streitigkeiten nur erhöht statt mindert 47. (5) Durch Kinder verursachte Schäden, die ungedeckt blieben, kämen nur selten vor. (5.1) Schon die Häufigkeit der insgesamt von Kindern verursachten Schäden werde oft falsch eingeschätzt. Der Anteil der von Kindern unter 15 Jahren verursachten Schäden sei nicht so groß, daß er es rechtfertige, eine Versicherungspflicht einzuführen, welche schwer handhabbar und teuer sei48.

40 Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.l011; Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023. 41 Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023. 42 Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023; Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1011. 43 44 45 46 47 48

Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1011. Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1011. Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1012. Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1011/1012. Finnisches Sozialministerium, a.a.O., S.l001. Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023.

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

203

(5.2) Die freiwillige Haftpflichtversicherung sei im übrigen bereits sehr weit verbreitet 49. Daher werde ungedeckter Schaden nur sehr vereinzelt vorkommen 50. Die Ausgaben für den kostspieligen Verwaltungsapparat stünden damit in einem Mißverhältnis zu den durch die bestehenden freiwilligen Versicherungen nicht erfaßten Schäden51. Auch die freiwillige Haftpflichtversicherung könne zu weitgehendem Schutz der Opfer des Geschädigten nutzbar gemacht werden, indem man im Fall eines durch Versicherung gedeckten Schadens stets den vollen Ersatz zuspreche52 - diese Praxis könne zum Schutz der Geschädigten auch auf die bisher als verschuldensunfähig angesehenen Kinder unter 5 Jahren ausgeweitet werden 53. Es sei schon jetzt dänische Praxis, die Ersatzpflicht von Kindern nicht herabzusetzen, wenn sie eine Haftpflichtversicherung haben54. (5.3) Der Geschädigte sei gegen Personenschaden [jedenfalls] in Schweden durch die allgemeine Sozialversicherung geschützt. Daher seien nennenswerte Verluste für den Geschädigten nur bei Sachschaden zu befürchten. Diese Verluste würden aber bei fahrlässig verursachtem Sachschaden häufig durch die weit verbreitete freiwillige Haftpflichtversicherung des Kindes gedeckt. Der verbleibende Sachschaden, der durch unversicherte Kinder verschuldet wird, sei im Vergleich zu Sachschaden, welcher von Erwachsenen verursacht wird und ungedeckt bleibt, nicht von einem solchen Umfang, daß er es rechtfertige, eine obligatorische Haftpflichtversicherung einzuführen 55. (6) Es sei schwer zu rechtfertigen 56, ja willkürlich 57 , eine obligatorische Haftpflichtversicherung nur für Kinder, nicht aber für andere Personen einzuführen. Der von Kindern verursachte Schaden könne nicht als ein Schaden angesehen

49 Dänische Sozietät der Versicherer, a.a.O., S.998: In Dänemark seien etwa 1 Millionen Haushalte haftpflichtversichert. Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023: in Schweden bestünden etwa 1,7 Millionen Versicherungsverträge, damit sei die Mehrzahl der Kinder in Schweden haftpflichtversichert. Vgl. auch Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S. 1013; Ausschuß des dänischen Justizministeriums betreffend die Schadensersatzpflicht von Kindern und Eltern, a.a.O., S.997; Oberlandesgericht von Svealand (Schweden), a.a.O., S.l008. 50 Dänische Sozietät der Versicherer, a.a.O., S.998. 51 Dänische Sozietät der Versicherer, a.a.O., S.998. 52 Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023; Oberlandesgericht von Svealand, a.a.O., S.l008. 53 Reichsverband der schwedischen Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S.1023. 54 Ausschuß des dänischen Justizministeriums, a.a.O., S.997. 55 Oberlandesgericht von Svealand (Schweden), a.a.O., S.l008. 56 Finnisches Justizministerium, a.a.O., S.l000; Vereinigung der Stadtrichter Schwedens, a.a.O., S.l021; Schwedische Versicherungsinspektion, a.a.O., S.1012. 57 Ausschuß des dänischen Justizministeriums betreffend die Schadensersatzpflicht von Kindern und ihren Eltern, a.a.O., S.997.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

werden, für den ökonomische Sicherheit wichtiger sei als für andere Schäden58. Die Frage der Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung könne daher nicht begrenzt auf Kinder gestellt werden 59. (7) Die (faktische) Abschaffung der Schadensverantwortlichkeit des Kindes, die eine solche Versicherung bedeute, könne dazu führen, daß die Vorsicht der Kinder und ihrer gesetzlichen Vertreter abnimmt, das Verantwortungsgefühl schwindet und die Schadenshäufigkeit zunimmt60. Mit ganz ähnlichen Argumenten hat sich auch die niederländische Regierung während der Beratungen über ein neues Bürgerliches Gesetzbuch gegen die Einführung einer Versicherungspflicht der Eltern für ihre Kinder ausgesprochen61. Der Regierungskommissar für das Buch 6 des Gesetzbuches, Snijders, begründete die ablehnende Haltung der Regierung in einer Antwort an die zweite Kammer des Parlaments so62: - Der von Kindern verursachte Schaden sei kein so allgemeines und ernstes Risiko, daß eine so schwere Maßnahme am Platze sei. - Es sei zu bedenken, daß eine solche Verpflichtung keinen Sinn hätte, wenn keine Gewähr bestünde, daß der Verpflichtung auch nachgekommen werde, zumal bei einem höheren Prämienniveau als heute. Eine solche Gewähr zu schaffen sei jedoch ohne einen breiten Kontrollapparat und administrative und strafrechtliche Sanktionen schwer zu verwirklichen. Darüber hinaus würden diese Umstände die Kosten erhöhen, wodurch das Prämienniveau und damit die Schwierigkeiten noch zunähmen. - Es sei auch fraglich, inwiefern eine zusätzliche Versicherungspflicht in Verbindung mit den bereits vorhandenen Belastungen durch soziale Versicherungen verantwortbar sei. Auch in der Literatur wird in der Durchsetzung der Versicherungspflicht das Hauptproblem der obligatorischen Haftpflichtversicherung gesehen. So sieht Kötz 58

Dänische Sozietät der Versicherer, a.a.O., S.999. Ausschuß des dänischen Justizministeriums betreffend die Schadensersatzpflicht von Kindern und ihren Eltern, a.a.O., S.997. 60 Finnnisches Sozialministerium, a.a.O., S.l000; Finnischer Anwaltsverein, a.a.O., S.1002; Finnischer Zentralverband der Versicherungsgesellschaften, a.a.O., S. 1003. 61 Vgl. die kritischen Äußerungen des Justizministers zur Versicherungspflicht für Kinder vor dem Rechtsausschuß der Zweiten Kammer, in: Mündliche Beratung des Rechtsausschusses der Zweiten Kammer mit dem Minister der Justiz (gleichzeitig Abschlußbericht) vom 22.02.1977, abgedruckt in: Parlamentaire Geschiedenis van het Nieuwe Burgerlijk Wetboek, Boek 6, S.656/657; sowie die Äußerungen des Regierungskommissars Snijders (vgl. folgende Fußnote). 59

62 Note der Antwort an die Zweite Kammer vom 30.01.1976, abgedruckt in: Parlamentaire Geschiedenis von het Nieuwe Burgerlijk Wetboek, Boek 6, S.680.

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

205

die Schwierigkeit der obligatorischen Haftpflichtversicherung darin, wie die Verpflichtung der Eltern, eine Versicherung abzuschließen, kontrolliert werden könnte 63 . Lorenz weist auf „technische" Probleme bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung hin, die in der Kontrolle und ihrer Bezahlung lägen, wobei es auf diese Probleme - soweit ersichtlich - bisher keine genauen Antworten gebe64. IV. Stellungnahme 1. Vorteile einer obligatorischen Haftpflichtversicherung Die obligatorische Haftpflichtversicherung hat vor allem den Vorzug, daß die Entlastung des Minderjährigen nicht auf Kosten des Geschädigten geht. Die Position des Geschädigten wird faktisch sogar erheblich besser, weil er in der Haftpflichtversicherung immer einen solventen Schuldner haben wird. Aber auch der Minderjährige wird erheblich besser gestellt als bisher. Er wird durch den Eintritt der Haftpflichtversicherung faktisch völlig entlastet. Nur im Falle vorsätzlicher Schädigung65 - wenn Vorsatz sowohl hinsichtlich des Schadensereignisses als auch hinsichtlich der Schadensfolge gegeben ist 66 - oder im Fall eines Schadens, der die Versicherungssumme übersteigt, bliebe er ungeschützt (jedenfalls bei obligatorischer Privathaftpflichtversicherung). Der letztere Fall dürfte allerdings nur selten eintreten. Die Versicherungssumme bei der allgemeinen Haftpflichtversicherung liegt meist bei 2 Millionen D M für Personenund 500 000 DM für Sachschäden je Schadensereignis67. Unter den veröffentlichten Entscheidungen zur Mindeijährigenhaftung findet sich keiner, in dem diese Schadenssumme erreicht worden wäre. Im übrigen bieten Versicherungsunternehmen mittlerweile Versicherungsverträge an, die die Privathaftpflicht für Schäden in unbegrenzter Höhe decken und für die nur geringfügig höhere Prämien verlangt werden 68.

63

Kötz, Rdn.332. Lorenz, VersR 1989, 711 (713). 65 Vgl. § 152 VVG und § 4 Abs. 2 Satz 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB). 66 Dieser Grundsatz bei der Auslegung von § 4 Abs. 2 Satz 1 AHB gilt auch bei Minderjährigen, vgl. BGH VersR 1983, 477 und Späte, § 4 AHB Rdn.206. Bei Minderjährigen kann dieser Schädigungsvorsatz durch Spieltrieb ausgeschlossen sein, vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1966,481 und Späte, § AHB Rdn.206. 64

67

Vgl. Verband der Haftpflichtversicherer, Unfallversicherer, Autoversicherer und Rechtsschutzversicherer e.V. [HUK-Verband] [Hrsg.], Die Haftpflichtversicherungen für Familie, Haus und Freizeit, 2. Auflage, Karlsruhe 1991, S.8. 68 So z.B. der Versicherer HUK-Coburg lt. Auskunft des Unternehmens.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Insgesamt ist die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung somit eine Lösung, die die Interessen beider Parteien befriedigt. Sie verwirklicht den Mindeijährigenschutz und beachtet das Restitutionsinteresse des Opfers. 2. Nachteile Die Untersuchung der obligatorischen Haftpflichtversicherung soll nach der Art der Durchsetzung der Versicherungspflicht zwischen zwei verschiedenen Modellen differenzieren: einmal der der „direkten" Durchsetzung der Versicherungspflicht durch eine Verwaltungsinstitution, zum anderen „indirekten" Durchsetzung über Anreize zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung in Betracht. a) Obligatorische Haftpflichtversicherung mit „direkter" Durchsetzung der Versicherungspflicht Wie aus den Stellungnahmen der verschiedenen Institutionen der skandinavischen Staaten (vgl. A.III.) deutlich geworden ist, sind der Verwaltungsaufwand und die hohen Verwaltungskosten die Hauptprobleme der obligatorischen Haftpflichtversicherung. Verwaltungsaufwand und hohe Kosten sind danach bei jeder denkbaren Organisationsform zu erwarten: Bietet eine öffentliche Versicherung die Leistung an, so muß eine neue Organisation mit eigenen Sachverständigen aufgebaut werden. Der Vorschlag der Einführung einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung müßte sich zudem die Frage gefallen lassen, ob es richtig ist, die ohnehin zunehmende Entwicklung weiter voranzutreiben, daß private Risiken auf die Gemeinschaft abgewälzt werden. Bieten private Versicherer die Versicherung an, so haben die Versicherer zusätzliche Verwaltungskosten, weil die Kinderhaftpflicht nunmehr getrennt von der allgemeinen Haftpflicht verwaltet werden müßte (bisher: Versicherung eines ganzen Haushaltes üblich 69 ), was die Versicherungsbeiträge erhöht. Dazu müßten kostspielige Kontrollbehörden und Kontrollverfahren eingerichtet werden, sowie ein Fonds, der dennoch denkbare Fälle von Schäden durch unversicherte Kinder abdeckt. b) Obligatorische Haftpflichtversicherung mit indirekter Durchsetzung der Versicherungspflicht Die Versicherungspflicht könnte auch lediglich indirekt durchgesetzt werden, indem eine Haftung der Eltern festgesetzt wird, falls sie ihrer Versicherungspflicht

69

Vgl. Verband der Haftpflichtversicherer, Unfall Versicherer, Autoversicherer und Rechtsschutzversicherer e.V. (HUK-Verband) [Hrsg.], Die Haftpflichtversicherungen für Familie, Haus und Freizeit, 2. Auflage, Karlsruhe 1991, S.l 1.

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207

nicht nachkommen, ähnlich wie dies von Bar vorgeschlagen hat70. Damit wäre ein starker Anreiz geschaffen, eine Versicherung abzuschließen. Zwar müßten die Versicherungsgesellschaften auch hier künftig eine von der allgemeinen Familienhaftpflicht getrennte Kinderhaftpflicht anbieten - mit der Folge höherer Versicherungsbeiträge. Jedoch würde die Notwendigkeit kostspieliger Kontrollbehörden und Kontrollverfahren entfallen. Dieser Form der Durchsetzung der Versicherungspflicht stehen aber folgende Überlegungen entgegen: Zwar enthebt die indirekte Form der Durchsetzung von der Notwendigkeit eines Kontrollverfahrens. Es bleibt aber die Notwendigkeit einer Institution, die die Information der Eltern sicherstellt. Nur, wenn die Eltern von ihrer Versicherungspflicht auch wissen, kann eine Haftung für den Nicht-Abschluß einer Versicherung überhaupt vertretbar sein. In jedem Fall bleibt jedoch das Risiko, daß Eltern von der Versicherungspflicht uninformiert bleiben. Sähe man die Versicherungspflicht als eine öffentlich-rechtliche Pflicht an, so wäre ihre Durchsetzung mittels eines privatrechtlichen Schadensersatzanspruches mindestens ungewöhnlich. Üblicherweise werden öffentliche Pflichten durch Ordnungsgelder bzw. Strafsanktionen durchgesetzt. Eine Schadensersatzpflicht könnte im Einzelfall um ein vielfaches höher ausfallen als ein angemessenes Ordnungsgeld ausfallen würde. Damit wäre die Verhältnismäßigkeit der Ersatzpflicht im Einzelfall in Frage gestellt. Sähe man die Versicherungspflicht als privatrechtliche Pflicht an, so ließe sie sich mit der Schutz-Verpflichtung der Eltern gegenüber dem Kind aus dem ElternKind-Verhältnis begründen. Mit dieser Schutz-Verpflichtung könnte aber ein gesetzlich angeordneter Direktanspruch des Geschädigten gegen die Eltern wegen Nicht-Abschluß der Versicherung nicht gerechtfertigt werden. Denn die SchutzVerpflichtung der Eltern bestünde ja nur als Pflicht gegenüber dem Kind, nicht aber dem Dritten gegenüber. Lediglich ein Freistellungsanspruch des Kindes gegen die Eltern könnte aus der Schutz-Verpflichtung abgeleitet werden. Ein solcher Freistellungsanpruch würde aber geringere Anreizwirkung zum Abschluß einer Versicherung entfalten. Überdies würde dadurch das Kind nicht entlastet, 70

Allerdings trifft diese Haftung die Eltern bei von Bar nur, wenn sie im Verkehr erwarteten Versicherungsschutz nicht besorgt haben: Die vorgeschlagene Regel lautet (Vgl. Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band 2, 1762): "§ 829 (3) Hat der gesetzliche Vertreter den im Verkehr erwarteten Versicherungsschutz nicht besorgt, so haftet er neben dem Vertretenen. Im Verhältnis zueinander haftet der Vertreter allein. § 1664 Abs. 1 findet keine Anwendung." Nach von Bar (ebendort, 1775) zählt zum erwarteten Versicherungsschutz zwar nicht generell die Privathaftpflichtversicherung, aber "in bezug auf die wirtschaftlich besser gestellten sozialen Schichten" komme "eine entsprechende Verkehrserwartung in Betracht".

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

wenn die Eltern vermögenslos sind. Ein Freistellungsanspruch würde also nicht weiterhelfen. Eine gesetzlich angeordnete privatrechtliche Haftung der Eltern gegenüber Dritten wegen Verletzung der Versicherungspflicht wäre also nur zu rechtfertigen, wenn diese Versicherungspflicht gerade dem Dritten gegenüber bestünde. Es erscheint aber schwierig zu begründen, warum Eltern Dritten gegenüber die Versicherung ihres Kindes schulden. Wären Kinder besonders gefährlich, das Schadensrisiko bei Kindern besonders hoch, könnte dies eine Versicherungspflicht rechtfertigen. Das aber ist nicht der Fall. Bei einer Haftung der Eltern für NichtAbschluß einer Haftpflichtversicherung stellt sich somit die Frage nach dem Zurechnungsgrund für diese Haftung. Der bloße Nicht-Abschluß einer Versicherung als Zurechnungsgrund erscheint nach alledem problematisch. Eine solche Haftung wäre im Deliktsrecht im übrigen ohne Vorbild. Dem Deliktsrecht, das auf dem Verschuldensprinzip, und - bei gefährlichen Gegenständen - auf dem Gefährdungsprinzip beruht, ist eine Haftung fremd, die schlicht aus der Tatsache abgeleitet wird, daß eine Versicherung nicht abgeschlossen wurde. Hält man sich vor Augen, welche Konsequenzen ein Direktanspruch des Geschädigten für die Eltern haben kann, so muß eine auf Nicht-Abschluß einer Versicherung beruhende Haftung der Eltern als nicht begründbar und unverhältnismäßig abgelehnt werden. c) Gemeinsame Nachteile beider Formen der obligatorischen Haftpflichtversicherung (1) Bei jeder Organisationsform und Form der Durchsetzung der Versicherungspflicht würden somit entweder die Eltern und/oder der Staat erheblich belastet. Familien mit Kindern würden hierdurch noch stärker finanziell belastet. Dies ist sozialpolitisch nicht wünschenswert. Eine erhebliche zusätzlich Belastung des Staates wäre angesichts der gegenwärtig allseits für notwendig gehaltenen Ausgabendisziplin nur schwer durchzusetzen. (2) Die Haftpflichtversicherung dient dem Hauptzweck der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit: sie sichert ab, daß der Schaden nicht vom Geschädigten getragen werden muß. Zugleich aber gefährdet die Versicherung einen weiteren Zweck zivilrechtlicher Verantwortlichkeit: den Präventionszweck. Es ist anerkannt, daß zivilrechtliche Schadensersatzpflichten nicht nur dem Schadensausgleich dienen, sondern auch präventiv wirken sollen71. Sie sollen zum einen verhindern, daß überhaupt Eingriffe stattfinden; zum andern, daß ein geschehener Eingriff vom Täter wiederholt wird 72 . Wird die persönliche Haftung durch Versicherungsschutz ersetzt, droht die Gefahr, daß der Anreiz zur Schadensverhütung geringer wird 73 . 71 72 73

Larenz, Schuldrecht AT, § 27 I; Deutsch, JZ 1971, S.244 (246). Vgl. Deutsch, JZ 1971, S.244 (246). Kötz, Rdn.621.

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Da die Versicherung faktisch eine völlige Entlastung des Mindeijährigen mit sich bringen würde, entfiele die präventive Wirkung der Ersatzpflicht weitgehend; die Nachlässigkeit der Kinder und Eltern nähme möglicherweise zu. (3) Ein weiteres Problem, welches in der Diskussion um die obligatorische Haftpflichtversicherung bisher nicht erörtert wurde, liegt in folgendem: Es steht zu befürchten, daß dieses Versicherungssystem in besonderer Weise zum Mißbrauch einlädt. Da in vielen Haushalten nur noch die Kinder versichert wären, wäre die Möglichkeit eröffnet, als Schadensverursacher möglichst die Kinder - auch wenn sie es nicht waren - anzugeben, um in den Genuß der Versicherungsleistung zu kommen. (4) Die Versicherungspflicht beeinträchtigt die Entscheidungsfreiheit der Eltern. (5) Insgesamt muß schließlich berücksichtigt werden, daß das Risiko erheblicher Schädigung durch Kinder - im Vergleich zu anderen Schädigungen, etwa durch Kraftfahrzeuge - nicht sehr bedeutend ist. Und selbst im Schadensfall ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß die Schäden durch die allgemeine Haftpflichtversicherung gedeckt werden. Immerhin haben 62,9 % der westdeutschen und sogar 77 % (geschätzt) der ostdeutschen Haushalte eine Privathaftpflichtversicherung 74. Dabei liegt der Anteil westdeutschen Haushalte mit Kinder unter 14 Jahren, der eine Privathaftpflichtversicherung hat, ebenfalls bei über 70 % 7 5 . Die Privathaftpflicht eines Haushaltes bezieht in den Versicherungsschutz immer auch Schadensfalle durch die dort wohnenden Kinder bis zu 18 Jahren mit ein76. Der Anteil der haftpflichtversicherten Kinder in Deutschland dürfte also wohl bei über 70 % liegen. Die verbleibenden wenigen Fälle von ungedeckten, durch Kinder verursachten erheblichen Schäden können es nicht rechtfertigen, ein aufwendiges und teures, entweder den Staat und/oder die Eltern erheblich belastendes System einzuführen. d) Ergebnis Nachdem die oben erwähnten Nachteile schwerer wiegen als die genannten Vorteile, kann die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung nicht empfohlen werden.

74 Vgl. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft [Hrsg.], Versicherungswirtschaft in Zahlen [Faltblatt], Ausgabe März 1994. 75 Vgl. Gesamtverband der Versicherungswirtschaft [Hrsg.], Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 1993, Karlsruhe 1993, Nr. 18. 76 Vgl. Verband der Haftpflichtversicherer, Unfallversicherer, Autoversicherer und Rechtsschutzversicherer e.V. [HUK-Verband] [Hrsg.], Die Haftpflichtversicherungen für Familie, Haus und Freizeit, 2. Auflage, Karlsruhe 1991, S.l 1.

14 Goecke

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B. Einführung einer Versicherung für die Opfer minderjähriger Schädiger Eine weiterer Weg zur Entlastung des Minderjährigen wäre, den Minderjährigen von der deliktischen Haftung freizustellen und dem Staat, d.h. letztlich dem Steuerzahler, die Verpflichtung aufzuerlegen, die Opfer minderjähriger Schädiger zu versichern und damit sicherzustellen, daß die Opfer minderjähriger Schädiger entschädigt werden. Eine öffentliche Entschädigung für Opfer minderjähriger Schädiger ist in Deutschland - soweit ersichtlich - bisher nicht erörtert worden. Dagegen ist von französischen Autoren für Schädigungen durch einsichtsunfähige Personen bereits die Ersetzung der haftungsrechtlichen Lösung durch eine öffentliche Versicherung vorgeschlagen worden 77. Mit einer öffentlichen Entschädigung wäre - ebenso wie bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung - gesichert, daß der Geschädigte befriedigt wird und die Entlastung des Minderjährigen nicht auf dessen Kosten geht. Zugleich könnten einige der Nachteile der obligatorischen Haftpflichtversicherung vermieden werden: Die Eltern würden nicht belastet; in ihre Entscheidungsfreiheit würde nicht eingegriffen. Es bestünde keine Mißbrauchsgefahr wie bei der Haftpflichtversicherung. Bei der Bewertung dieser Lösungsmöglichkeit ist nach zwei verschiedenen denkbaren Entschädigungssystemen zu differenzieren: /. Entschädigung der Opfer bei Personen- und Sachschäden Es wäre fraglich, ob sich eine generelle Entschädigung der Opfer minderjähriger Schädiger in das bestehende öffentliche Entschädigungsrecht einfügt. Der Bürger ist durch das Sozialrecht in vielfältiger Weise gegen Personenschäden abgesichert. Dabei deckt die gesetzliche Krankenversicherung in erster Linie die direkten Gesundheitsschäden ab. Darüber hinaus wird in bestimmten Fällen für Absicherung gegen weitergehende Folgen von Gesundheitsschäden gesorgt: so im Bereich der Arbeits- und Wegeunfälle durch die gesetzliche Unfallversicherung (§§ 1542 ff RVO), für die Kriegsopfer durch Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz, für die Opfer von Impfschäden nach dem Bundesseuchengesetz, für die Opfer von Straftaten nach dem Opferentschädigungsgesetz. Stets geht es dem Gesetzgeber hier darum, Geschädigte und deren Angehörige gegen die Folgen von Personenschäden zu sichern. Die Absicherung der Bürger durch die öffentliche Hand beschränkt sich allerdings fast ausschließlich auf Personenschäden. Dagegen gibt es kaum öffentliche Entschädigungssysteme, welche Vorsorge gegen Sachschäden treffen. 77

Nachweise bei Hennings, S.121.

2. Abschnitt: Bereitstellung von Versicherungsschutz

211

Einzige Ausnahme ist der öffentliche Entschädigungsfonds bei Kraftfahrzeugunfällen gemäß § 12 des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter 78 . Dieser Fonds gewährt Ersatz gegen Personen- und Sachschaden ( § 1 2 1 1 PflVG), Ersatz für Sachschäden allerdings nur mit gewissen Einschränkungen (vgl. § 12 II 2 PflVG). Der Fonds gewährt Schadensersatz im übrigen stets nur, wenn der Ersatzberechtigte von anderen Ersatzverpflichteten keinen Ersatz zu erlangen vermag (§1212 PflVG). Auch im Ausland gibt es kein Vorbild für öffentliche Entschädigungssysteme, welche sowohl bei Personen- wie bei Sachschäden eingreifen. Selbst das weltweit wohl einzigartige Entschädigungssystem „Accident Rehabilitation and Compensation Insurance Scheme" in Neuseeland gewährt nur Ersatz von Personenschäden. Es ist teuer (weswegen inzwischen Leistungen gekürzt werden mußten) und erheblicher Kritik ausgesetzt. Für Opfer von Verkehrsunfällen gibt es in Frankreich einen öffentlichen Fonds, der - ähnlich wie der Entschädigungsfonds nach § 12 PflVG - Schadensersatz bei Personenschäden und in begrenztem Umfang bei Sachschäden gewährt. Auch er zahlt nur, wenn das Opfer vom Schädiger und Versicherern keinen Ersatz erlangen konnte79. Von daher ist eine generelle öffentliche Entschädigung für Opfer minderjähriger Schädiger, welche sich neben Personen- auch auf Sachschäden bezieht, kaum zu rechtfertigen. Denn es wäre die Frage zu stellen, warum Opfer minderjähriger Schädiger so besonders schützenswert sind, warum sie den besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft verdienen, daß ihnen eine öffentliche Entschädigung zugesprochen wird, die sonst keine andere Personengruppe für sich in Anspruch nehmen könnte. Eine generelle öffentliche Entschädigung in Fällen von Schädigungen durch Minderjährige bedeutete zudem, daß ein eigenes Entschädigungsrecht und ein besonderer Verwaltungsapparat für den - insgesamt gesehen - vergleichsweise unbedeutenden Bereich der Schädigungen durch Kinder aufgebaut werden müßte. Die Einführung der öffentlichen Entschädigung hätte also hohen Verwaltungsaufwand und damit hohe Kosten zur Folge. IL Entschädigung nur bei Personenschäden In Betracht käme also allenfalls eine Absicherung der Opfer minderjähriger Schädiger gegen Personenschäden. Hier käme etwa eine Erstreckung der Opferentschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) 80 von 1976 auf die 78 79 80

Gesetz vom 5. April 1965, BGBl. 1965 I S.213. Vgl. Ferid/Sonnenberger, Französisches Zivilrecht, Bd.2, Rdn.2 Ο 401. Neubekanntmachung vgl. BGBl 1985 I, 1.

212

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

durch Minderjährige Geschädigten in Betracht. In § 1 OEG würde etwa folgender Abs. 2a eingefügt: „(2a) Einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 steht gleich die vorsätzliche oder fahrlässige unerlaubte Handlung eines Minderjährigen."

Mit dieser Lösung wären die Opfer minderjähriger Schädiger immerhin hinsichtlich der folgenschwersten Schäden - Körperschäden mit der Folge der Arbeitsunfähigkeit - abgesichert. Die Kosten einer Entschädigung der Opfer minderjähriger Schädiger ließen sich gegenüber einem allgemeinen Entschädigungsregime erheblich vermindern, weil kein eigener Verwaltungsapparat aufgebaut werden muß. Zuständig wären wie bei Entschädigungen nach dem OEG und dem Bundesversorgungsgesetz die Versorgungsämter (§ 6 OEG), die die zusätzliche Aufgabe mit verwalten könnten. Diese Lösung ermöglicht aber nur, den Minderjährigen von der Haftung für Personenschäden freizustellen. Für den Fall von Sachschäden wäre erne Freistellung des Minderjährigen dagegen nicht möglich - es sei denn, man wollte den Geschädigten im Fall von Sachschäden vollkommen leer ausgehen lassen, was unbillig wäre. Für Sachschäden könnte daher mit dieser Lösung eine Haftungsbegrenzung des Minderjährigen nicht erreicht werden. In Fällen, wie dem in der Einleitung81 erwähnten des Oberlandesgerichts Celle, müßte der Minderjährige dann nach wie vor, den ganzen Schaden ersetzen. III. Gemeinsame Nachteile beider Entschädigungssysteme Die präventive Wirkung der Schadensersatzpflicht (so sie besteht) entfiele vollkommen. Mehr noch als bei einer obligatorischen Haftpflichtversicherung, welche Eltern und Kinder nur faktisch entlastet, würde die Ersetzung der persönlichen Ersatzpflicht durch eine staatliche Entschädigung das Gefühl für Verantwortlichkeit bei Eltern und Kindern abhandenkommen. Dementsprechend wäre zu befürchten, daß Vorsicht und Vorsorge bei Eltern wie Kindern abnehmen und die Zahl der Schadensfälle steigt. IV. Ergebnis Aus den obengenannten Gründen kann ein öffentliches Entschädigungssystem bei Schädigungen durch Minderjährige nicht empfohlen werden.

81

S.l ff.

. Abschnitt:

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213

3. Abschnitt: Änderungen des Vollstreckungsrechts Bevor geprüft wird, inwieweit das materielle Zivilrecht geändert werden könnte, um den Minderjährigen vor übermäßiger Haftung zu bewahren, stellt sich die Frage, ob nicht eine Änderung des Vollstreckungsrechts ausreicht, oder gar die bessere Alternative darstellt. In anderem Zusammenhang hat bereits Medicus darauf hingewiesen, daß erst das Vollstreckungsrecht - nicht schon das materielle Recht - der Ort sei, an dem die Leistungsunfahigkeit des Schuldners berücksichtigt werden sollte1. Zur Begründung führt er unter anderem an, erst die Zwangsvollstrekung ermögliche es dem Gläubiger, die Leistungsunfähigkeit und Vermögenssituation des Schuldners einigermaßen sicher festzustellen 2; denn im Vollstrekungsverfahren könne der Schuldner zur eidesstattlichen Versicherung gezwungen werden. Außerdem sei das Vollstreckungsrecht elastischer, weil es positive Veränderungen im Leistungsvermögen des Schuldners zu erfassen vermöge3. Bezogen auf die Problematik übermäßiger Haftung hat er dementsprechend eine Lösung im Vollstreckungsverfahren befürwortet, in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Restschuldbefreiung verwiesen4. Diese grundsätzlichen Überlegungen könnten auch auf das Problem der unverhältnismäßigen Haftung des Minderjährigen angewandt werden. Im folgenden sollen daher Lösungen untersucht werden, die für den Minderjährigen noch nicht im Erkenntnisverfahren - hier würde dem Geschädigten wie bisher der volle Schadenersatzanspruch zugesprochen - sondern erst im späteren Vollstreckungsvefahren Entlastungen brächten. A. Änderung der Pfandungsschutzvorschriften Zunächst könnte an eine Anhebung der Pfändungsfreigrenzen gedacht werden. Dies könnte allerdings grundsätzlich nur für alle Schuldner gleichmäßig geschehen. Bei einer allgemeinen Anhebung wäre zum einen zweifelhaft, ob sie erwünscht und angemessen wäre; zum anderen, selbst wenn eine Anhebung erwünscht sein sollte, ob sie so hoch wäre, daß sie dem Minderj ährigen die gewünschte Lebensperspektive ermöglicht. Sondervorschriften wie § 850 f I a) ZPO und § 850 f II ZPO zeigen allerdings, daß es von den grundsätzlich für alle Schuldner in gleicher Weise geltenden Pfandungsschutzvorschriften unter gewissen Bedingungen Ausnahmen gibt. Denkbar

1

Medicus, ZIP 1989, 817 (824 Ziff. 5. und 822/823); zustimmend Prütting, ZIP 1992, 882 (883). 2 Medicus, ZIP 1989, 817 (822 unter Ziff. 1.2). 3 Medicus, ZIP 1989, 817 (823). 4 Medicus, AcP 192 (1992), 35 (66/67).

214

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

wäre also, eine Sondervorschrift dieser Art auch für einen gemäß §§ 823, 828 II 1 zum Schadensersatz verurteilten Minderjährigen einzuführen. Jedoch ist die Erweiterung des Pfändungsschutzes für einen als Minderjährigen verurteilten Schädiger keine Antwort auf die zeitliche Dimension des Problems übermäßiger Ersatzpflichten. Das Problem, daß der Minderjährige sich für Jahrzehnte, möglicherweise sein ganzes Leben, der Vollstreckung durch den Gläubiger ausgesetzt ist, bleibt ungelöst. Dieser Perspektive sollte der Minderjährige wie bereits oben ausgeführt 5 - nicht gegenübergestellt werden. Eine Erweiterung des Pfändungsschutzes entlastet den Minderjährigen daher nicht hinreichend und ist damit nicht geeignet, daß vorliegende Problem zu lösen. B. Verkürzung der Verjährung des rechtskräftig festgestellten Anspruchs Eine wirksame Entlastung des Minderjährigen würde dagegen eine Abänderung des § 218 BGB bringen, der die 30-jährige Verjährungsfrist für Ansprüche aus rechtskräftigen Vollstreckungstiteln anordnet. Denkbar wäre etwa, in Anlehnung an die 7-Jahresfrist bei der Restschuldbefreiung (vgl. 1. Teil, 2. Abschnitt) die Verjährungsfrist des § 218 BGB bei Ersatzansprüchen aus §§ 823, 828 II 1 auf 7 Jahre zu verkürzen. In § 852 BGB, der die Verjährung deliktischer Ansprüche regelt, könnte etwa ein Absatz 4 mit folgendem Wortlaut angefügt werden: „(4) Der rechtskräftig festgestellte Anspruch nach Absatz 1 verjährt, wenn der Schädiger zum Zeitpunkt der unerlaubten Handlung minderjährig war, in sieben Jahren. § 218 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Eine Unterbrechung der Verjährung nach § 209 Abs. 2 Nr. 5 wird ausgeschlossen."

Um zu verhindern, daß der Gläubiger durch stetig wiederholte Vollstreckungshandlungen die Frist immer wieder unterbrechen und damit von neuem beginnen lassen kann, wird 209 Nr. 5 BGB ausgeschlossen. Die Verkürzung der Verjährungsfrist hätte mehrere Vorteile: Für den Minderjährigen ist die Zeit absehbar, in der er dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Er hat damit in absehbarer Zukunft die wünschenswerte Startchance. Außerdem wäre eine solche Regel einfach und leicht zu handhaben. Die Kehrseite der Einfachheit und Rechtssicherheit der Regel ist allerdings, daß sie zwischen den verschiedenen denkbaren Fallgruppen nicht genügend differenziert. Fraglich wäre z.B., ob die Regel auch für den Fall absichtlicher Schädigung (im Sinne von dolus directus) gelten sollte. Sodann bedeutet die Verkürzung der Verjährungsfrist, daß faktisch nur noch ältere Minderjährige ersatzpflichtig wären, da bei Schädigungen durch jüngere Minderjährige, z.B. bei 8- bis 10jährigen, regelmäßig die Verjährungsfrist bereits abgelaufen sein dürfte, bevor sie ihr erstes 5

Vgl. oben 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 1.

. Abschnitt:

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215

Einkommen bzw. nennenswertes Vermögen haben. Ein hinreichender sachlicher Grund für eine solche Differenzierung zwischen jüngeren und älteren Minderjährigen ist aber nicht ersichtlich. Ließe man, um diese Ungerechtigkeit zu verhindern, den Lauf der Verjährungsfrist erst mit Erreichen des 18. Lebensjahres beginnen, stellte sich stattdessen eine andere Ungerechtigkeit ein: der Student bliebe von der Haftung verschont, der früh Erwerbstätige müßte zahlen. Das gleiche wäre der Fall, wenn man statt der Verjährungsfrist von 7 Jahren eine längere Verjährungsfrist, etwa von bis zu 15 Jahren, vorsähe. Schließlich gibt die starre Regelung der Verkürzung der Verjährungsfrist keine Möglichkeit, die Situation des Geschädigten zu berücksichtigen. Diese Überlegungen zeigen, daß die Instrumente des Verjährungsrechts für eine Lösung des in Rede stehenden Problems nicht passen. Dies wird verständlich vor dem Hintergrund, daß das Rechtsinstitut der Verjährung nicht dazu dient, den Schuldner vor übermäßiger Haftung zu schützen, sondern dazu, den Schuldner vor unvorhergesehener oder unvorhersehbarer Inanspruchnahme zu schützen und Streitigkeiten über lang zurückliegende Sachverhalte zu verhindern. Dieses Schutzes bedarf der Schuldner bei rechtskräftig festgestellten Ansprüchen sehr viel weniger als bei anderen Ansprüchen. Denn, wie es in den Motiven zur jetzigen Regelung des § 218 heißt, „das ursprüngliche Rechtsverhältniß tritt gegenüber der in dem Urtheile erstrittenen neuen Grundlage zurück: der Rechtsfriede ist gewahrt, die Verdunkelung des Sachstandes für lange Zeit ausgeschlossen"6. Vor dem Hintergrund dieses Schutzzwecks der Verjährung erscheint die Wertung des § 218 angemessen, die Erwägungen, welche zu der Regelung des § 218 geführt haben, als nach wie vor zutreffend. Für rechtskräftig festgestellte Ansprüche gegen Minderjährige gilt hier nichts anderes. Das Rechtsinstitut der Verjährung würde daher zwekentfremdet, würde es dazu eingesetzt, Schuldner vor übermäßiger Haftung schützen. Die Verkürzung der Verjährungsfrist rechtskräftig festgestellter Ansprüche kann daher nicht empfohlen werden. C. Entschuldungsverfahren Gedacht werden könnte ferner an ein Entschuldungsverfahren, daß jedenfalls auch die Entschuldung minderjähriger Schädiger ermöglichte. Das Verfahren zur Gewährung von Restschuldbefreiung im Insolvenzrecht ist allerdings, wie bereits oben7 erörtert, ungeeignet, das angestrebte Ziel der Entlastung des Minderjährigen zu erreichen.

6 7

Vgl. Mot. I., 337 f. Vgl. 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 2. b.

216

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Das Ziel, den Mindeijährigen vor einer zu hohen Belastung zu bewahren, könnte daher allenfalls durch ein Entschuldungsverfahren außerhalb des Insolvenzverfahrens erreicht werden, wie es von vielen Seiten befürwortet worden ist. So hatte der Bundesrat vorgeschlagen, statt einer Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren die Möglichkeiten für eine Verbraucherentschuldung weitgehend ohne gerichtliche Verfahren zu prüfen 8. Nach seinem Vorschlag sollte das Verfahren so strukturiert werden, daß die gesamte Sachverhaltsermittlung, Beratung und Betreuung der Schuldner in erster Linie anderen Stellen außerhalb der Justiz obliege und zwar unabhängig von einer Antragstellung nach der InsO. Nicht nur der Bundesrat, auch die weitaus meisten Sachverständigen und Verbände, die sich bei der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung geäußert haben, befürworteten ein Entschuldungsverfahren ohne vorausgehendes Involvenzverfahren 9. Die Einführung eines selbständigen Entschuldungsverfahrens außerhalb der InsO ist jedoch nicht mehr wahrscheinlich, nachdem sich der Gesetzgeber trotz der zahlreichen Bedenken für eine Restschuldbefreiung im Rahmen der InsO entschieden hat. Von daher hätte auch der Vorschlag eines selbständigen Entschuldungsverfahrens wenig Erfolgsaussichten, nachdem man sich nun stattdessen gerade auf die Einführung der Restschuldbefreiung geeinigt hat. Davon einmal abgesehen wäre ein Entschuldungsverfahren außerhalb des Insolvenzverfahrens - nicht anders als die Restschuldbefreiung nach der InsO - in erster Linie für den durch zahlreiche Vertragsschulden überschuldeten Verbraucher konzipiert. Wie schon für die Restschuldbefreiung ausgeführt 10 würde deshalb bereits der Grundgedanke - dem wirtschaftlich gescheiterten Verbraucher oder Unternehmer einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen - nicht für den Minderjährigen passen, zumal nicht für den durch eine hohe Deliktsschuld überschuldeten Minderjährigen. Es erscheint daher zweifelhaft, ob sich die Regelung eines Entschuldungsverfahrens außerhalb der Insolvenzordnung für den Minderjährigen besser eignen würde.

8

Vgl. Nr. 1 b) der Anlage zu BR-Drucks. 336/94 (Beschluß). Vgl. Protokoll der 74. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.4.1993, Öffentliche Anhörung zu dem Entwurf einer Insolvenzordnung der Bundesregierung: Sv. Dr. Ackmann, S.14 und 213; Sv. Dr. Kothe, S.28; Sv. Hupe, S.74;; Sv. Dr. Reifner, S.222; Sv. Dr. Uhlenbruch S.228; Sv. Dr. Postler, S.240; Sv. Dr. Grub, S.243. vgl. femer die schriftlichen Stellungnahmen: Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, S.l92 (205); Prof. Dr. Bender, S.388 (392); DGB, S.530; Deutscher Anwaltverein, S.542; Prof. Dr. Uhlenbruch S.353. 1 . Teil, 3. Abschnitt, B. III. . 9

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

217

Ein Entschuldungsverfahren zur Begrenzung der Deliktshaftung Mindeijähriger kann daher nicht empfohlen werden.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts A. Anhebung der unteren Altersgrenze in § 828 I I 1 Wie der rechtsvergleichende Teil gezeigt hat, sehen zahlreiche Staaten erheblich höhere Altersgrenzen für die Verschuldenshaftung des Minderjährigen vor. Es wäre denkbar, nach dem Vorbild dieser Staaten die Altersgrenze von 7 Jahren in § 828 I heraufzusetzen, und die Verschuldenshaftung erst in einem höheren Alter beginnen zu lassen. Damit würde die Haftung der Minderjährigen unterhalb dieses Alters begrenzt, denn sie wären nur noch einer Haftung nach § 829 ausgesetzt, die nur greift, wenn die Billigkeit eine Haftung erfordert. /. Argumente der Befürworter Von vielen Autoren wird gefordert, die Altersgrenze für die Haftung Minderjähriger von 7 auf 10 Jahre heraufzusetzen 1. Zur Begründung wird vor allem angeführt, Kinder unter 10 Jahren seien noch nicht in der Lage, sich im Straßenverkehr zu orientieren und sicher zu bewegen2. Danach gibt es in dieser Altersgruppe noch erhebliche Defizite bei Entfernungsschätzungen, bei dem zur Verfügung stehenden Gesichtsfeld, bei der Lokalisation von Geräuschen, in der motorischen Koordination - etwa beim Fahrradfahren -, bei der Ablenkbarkeit 3. Wille und Bettge begründen eine Heraufsetzung auf 10 Jahre4 mit Befragungen, die sie an 7jährigen Grundschülern und 10jährigen Sonderschülern durchgeführt haben. Danach waren manche der 7jährigen Grundschüler der Auffassung, im Wald (8,8 %) bzw. in der Nähe einer Scheune (14,7 %) könne man ein Feuer machen, während die 10jährigen Sonderschüler alle wußten, daß man dies nicht 1

Empfehlungen des 29. Deutschen Verkehrsgerichtstages 1991, in: 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S.9, (insbesondere für Haftung aus Verkehrsunfall); Neuhaus, in: 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, S.72 (83); Scheffen, ZRP 1991, 463; Kötz, Rdn.332; Kuhlen, JZ 1990, 276; Wille und Bettge, JZ 1971, 878 (882); Entwurf einer neuen Schadensordnung, § 4, Berichte der Akademie für Deutsches Recht Nr. 14, S.90. 2 So insbesondere, mit ausführlicher Begründung, Neuhaus, in: 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, S.72 (78 ff.); Verweis auf die starke Ablenkbarkeit von Kindern unter 10 Jahren schon Limbourg, in: Verkehrsgerichtstag 1978, S.267 (274). 3 Neuhaus, in: 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, S.72 (78 ff.). 4 VersR 1971, 878 (882).

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

tun sollte. Auf die Frage, was passiert, wenn man einem anderen Kind ein Bein stellt, obwohl man es nicht gewollt hat, antworteten die Sonderschüler zu 86,5 %, daß dann die Eltern alles bezahlen müßten, während wesentlich weniger Grundschüler dieser Auffassung waren5. Die 10jährigen Sonderschüler hätten bei allen ihnen vertrauten Fragen sachlich richtige Antworten gegeben, die den Antworten der einzelbefragten Grundschüler weit überlegen waren6. Daraus folgern die Autoren, daß 7jährige Kinder nicht generell deliktsfähig seien, während 10jährigen als generell deliktsfähig gelten könnten. IL Stellungnahme (1) Aus den Untersuchungen von Wille und Bettge folgt nicht, daß Kinder mit 7 Jahren generell einsichtsunfähig wären, sondern nur, daß einige Kinder in diesem Alter in bestimmten Situationen noch nicht über das für die Situation erforderliche Urteilsvermögen verfügen. (2) Die Schwierigkeiten von Kindern unter 10 Jahren im Straßenverkehr können nur als Argumente für eine Änderung der Haftungsvorschriften des Straßenverkehrsrechts herangezogen werden, etwa zur Beseitigung des Einwandes des unabwendbaren Ereignisses (§ 7 Abs. 2 StVG) oder des Mitverschuldens (§ 9 Abs. 2 StVG) gegenüber Kindern unter 10 Jahren. Sie können aber keine allgemeine Haftungsfreistellung für Kinder unter 10 Jahren begründen. Dementsprechend erwägt das Bundesjustizministerium gegenwärtig allgemein eine Streichung des § 7 Abs. 2 StVG sowie eine Einschränkung des § 9 StVG in bezug auf Minderjährige 7, nicht aber die allgemeine Anhebung der Altersgrenze. (3) Entwicklungspsychologen und Kinderpsychiater zeigen, daß das Alter von 6-7 Jahren - der Übergang vom Kleinkindalter zum Schulalter - einen bedeutenden Einschnitt in der körperlichen und geistigen Entwicklung markiert. So schreibt die Psychologin Neuhaus %\ „Ein akustisches Bewußtsein entwickelt sich erst ab dem 6. Lebensjahr (Strommen, 1983), vorher ist die auditive Identifikation, Diskriminierung, Analyse und Synthese nicht möglich... zudem hat das Kind aufgrund seiner egozentrischen Betrachtungsweise noch bis zum 7. Lebensjahr kein Positionsbewußtsein, kann zudem nicht zwei getrennte Wahrnehmungen, wie z.B. Größe und Entfernung, zu

5

Wille und Bettge, VersR 1971, 878 (879). Allerdings wußten die Grundschüler genauso gut über Verletzungsgefahr Bescheid, die durch das Beinstellen entsteht, wie die Sonderschüler. 6 Wille und Bettge, VersR 1971, 878 (881). 7 Auskunft des Bundesjustizministeriums vom 22.2.1994 (Schreiben an den Verfasser). 8 Neuhaus, in: 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S.72 (76).

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

219

einer Wahrnehmung koordinieren, ist entsprechend absolut unfähig, Geschwindigkeit einzuschätzen". Bei der Kinderpsychiaterin Dauner heißt es: „Unter reifungsbiologischen und entwicklungspsychologischen Aspekten ergeben sich eine Vielzahl von Fakten, die zeigen, daß sich eine deutlich sichtbare Veränderung in der äußeren und inneren Entwicklung des Kindes um das 6./7. Lebensjahr vollzieht. Das Kleinkind wird zum Schulkind. Dieser erste Gestaltwandel ist auf psycho-physischem und sozialem Gebiet charakteristisch durch einen Zuwachs an Ernst und Einsicht, erhöhte Einordnungsfahigkeit, Konzentration, Fähigkeit zur Erfassung, Aneigung und Verarbeitung des Lernstoffes, altersgemäße Sprachentwicklung und der zunehmenden Fähigkeit, affektive Regungen zu zügeln, mit anderen Worten, das Kind gewinnt an Selbstbeherrschung." 9

Und an anderer Stelle: „[Das Kind über 6/7 Jahre] verliert seine Naivität und tritt uns als ein ernsteres und einsichtsvolleres Kind entgegen, das der realen Welt und dem Denken des Erwachsenen näher steht. Es vermag jetzt seine aufkeimenden Regungen zu zügeln und zielstrebig im Dienste eines neu aufkeimenden Leistungsehrgeizes zu handeln. Nach Leferenz darf daher „ein gewisses Verantwortungs- und Rechtsgefühl" vorausgesetzt werden, d.h. also eine Entwicklungsstufe, bei der man schon von „Kriminalität" reden kann. Dementsprechend datiert der Gesetzgeber den Beginn der Deliktfähigkeit mit Vollendung des 7. Lebensjahres, und bürdet damit einem Kind dieses Alters eine sehr grosse und weitreichende Verantwortung auf." 10

Angesichts dieser Erkenntnisse der Entwicklungspsychologen und Kinderpsychiater erscheint es nicht sachwidrig, daß der Gesetzgeber die maßgebliche Altersgrenze bei 7 Jahren festgelegt hat. Die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologen und Kinderpsychiater sind jedenfalls nicht geeignet zu beweisen, daß eine höhere Altersgrenze (z.B. bei 10 Jahren) die „richtigere" wäre. Dies zeigen auch die Untersuchungen von Dauner, die die Deliktfähigkeit von 31 Brandstiftern im Alter zwischen 7 und 14 Jahren untersucht hat. Dabei ist sie zu dem Ergebnis gelangt, daß „die naheliegende Hypothese, daß unter entwicklungspsychologischen und reifungsbiologischen Aspekten Kinder, die bei Begehung der Brandstiftung unter 9;11 Jahren [9 Jahre und 11 Monate, Anm. d. Verf.] waren, häufiger als „nicht deliktfähig" zu beurteilen sind, als über 9;11jährige" sich nicht bestätigt habe. In beiden Altersgruppen (7 bis 9;11 und 10 bis 13; 11 Jahre) hätten sich „keine signifikanten Unterschiede im bezug auf die Zuerkennung der Deliktfähigkeit unter entwicklungspsychologischen, kinderpsychiatrischen Aspekten"

9

Dauner, S.l27. Dauner, S.42/43.

10

220

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

ergeben1 Dauner kann sich daher der Forderung, das Alter beginnender Deliktfähigkeit von 7 auf 10 Jahre heraufzusetzen, nicht anschließen12. Die Wertung des deutschen Gesetzgebers wird schließlich auch dadurch unterstützt, daß die Altersgrenze von 6-7 Jahren auch in vielen anderen Staaten, in denen das Gesetz eine feste Altersgrenze nicht vorschreibt, in der Praxis die Grenze der Deliktsfähigkeit ist. Die Rechtsprechung in diesen Staaten verneint regelmäßig die Deliktsfähigkeit unterhalb dieses Alters (Schweiz, Österreich, Belgien, Frankreich bis 1984, Québec). (4) Die Erhöhung der Altersgrenze bedeutet für den Geschädigten, daß er bei Schädigungen durch Minderjährige unterhalb dieses Alters lediglich den Anspruch aus § 829 BGB hätte, der ihm allein bei Vorliegen besonderer Umstände, die obendrein schwierig darzulegen und zu beweisen sind, einen Ersatzanspruch gewährt: Der Anspruch aus § 829 dürfte bei Minderjährigen aber schon deswegen fast immer ausscheiden, weil bei § 829 BGB auf ein erhebliches Vermögensgefälle zugunsten des Schädigers abgestellt wird, was bei mindeijährigen Schädigern kaum je - es sei denn, bei einer Erbschaft - vorliegen dürfte. Schon die Siebenjahres-Grenze bedeutet für den Geschädigten daher einen Mangel an Rechtsschutz. Die 7-Jahres-Grenze erscheint aber noch als sachlich begründbar, weil Kinder erst ungefähr in diesem Alter eine gewisse Ernsthaftigkeit und Einsicht zeigen. Würde die Altersgrenze erhöht - und dies gilt insbesondere für eine Erhöhung auf 14 Jahre oder mehr, wäre der potentiell Geschädigte noch in erheblich größerem Maße dem Risiko ausgesetzt, überhaupt keinen Ersatz für Schäden von Minderjährigen zu erhalten. (5) Insbesondere eine Altersgrenze bei 14 bis 18 Jahren ist auch aus präventiven Gesichtspunkten bedenklich. Gerade in der Altersgruppe der älteren Kinder und Jugendlichen ist es nicht unwahrscheinlich, daß eine praktisch sanktionslose Hinnahme zu Schädigungen geradezu ermuntert, zumindest aber von Schädigungen nicht mehr abschreckt. Das Bewußtsein, für Schädigungen dem Geschädigten gegenüber verantwortlich zu sein, sollte nicht erst mit 14 oder gar erst mit 18 Jahren entwickelt werden. Die Rechtsordnung sollte eine frühe Entwicklung des Verantwortungsbewußtseins fordern und nicht verhindern. (6) Schließlich und vor allem hat die in Rede stehende Lösung folgenden Nachteil: Die Festlegung einer zwar höheren, aber eben starren Altersgrenze bewirkt zwar, daß der Minderjährige unterhalb der neuen Altersgrenze freigestellt wird. Für den Mindeijährigen, der oberhalb der neuen Altersgrenze liegt, ändert sich dagegen gegenüber der jetzigen Regelung nichts. Damit wären die Probleme, die das Alles-oder-Nichts-Prinzip der jetzigen Regelung für Mindeijährige

11 12

Dauner, S.l28. Dauner, S.129.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

221

(§§ 823, 249 iVm 828 II 1) bereitet, nicht beseitigt. Der Minderjährige oberhalb der neuen Altersgrenze würde nach wie vor dem Alles-oder-Nichts-Prinzip unterliegen. Er wäre - wie unter der jetzigen Regelung - der vollen Härte der Ersatzpflicht ausgesetzt, ohne daß er - etwa durch Abschluß einer Versicherung - selbst Vorsorge dagegen treffen könnte. III. Ergebnis Die Anhebung der Altersgrenze ist daher keine Lösung. Weder psychologische Erkenntnisse noch sonstige sachliche Argumente sind ersichtlich, die begründen könnten, daß eine höhere Altersgrenze sachgerechter oder,»richtiger" wäre als die bestehende von 7 Jahren. Die Anhebung der Altersgrenze bewirkt zudem lediglich eine Verschiebung des Problems, da Minderjährige oberhalb der neu festzusetzenden Altersgrenze nach wie vor der Härte des Alles-oder-Nichts-Prinzips ausgesetzt wären, während bei Minderjährigen unterhalb der neuen Altersgrenze der Geschädigte völlig leer ausginge. B. Einführung der Steuerungsfahigkeit als Haftungsvoraussetzung Vielfach wird gefordert, nach dem Vorbild des § 3 Satz 1 JGG in § 828 II BGB das Element der Steuerungsfähigkeit als Haftungsvoraussetzung einzufügen 13. Während die in § 828 II BGB bisher vorausgesetzte Einsichtsfähigkeit lediglich die Fähigkeit ist, das Unrecht einer Handlung einzusehen, geht die Steuerungsfähigkeit darüber hinaus. Sie bezeichnet die Fähigkeit, das, was man als gut und richtig eingesehen hat, auch in die Tat umzusetzen, und von dem, was man als Unrecht erkannt hat, Abstand zu nehmen14. I. Argumente der Befürworter Den Befürwortern einer solchen Änderung geht es im Kern darum, daß bei Kindern in Zukunft berücksichtigt wird, daß sie gerade in bestimmten Spielsituationen nicht mehr fähig sind, ihren rationalen Einsichten zu gehorchen. Kinderpsychiater weisen immer wieder darauf hin, daß bei Kindern nicht selten - insbesondere beim Spiel - Impulse und Triebe so die Oberhand gewinnen können, daß

13 Befürworter einer Angleichung an § 3 JGG vgl. die oben im Teil 1 Abschnitt 3, 1. angegebenen Autoren. Gegen eine Angleichung: Wille und Bettge, VersR 876 (881 f.); Dauner, S.l37 und 145. Dauner meint, im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen von Schadensund Strafrecht sei dies nicht opportun. Sie plädiert stattdessen für den "Einbau und die Berücksichtigung der phasenspezifischen, kindgemäßen Emotionalität und Triebdynamik als wesentliche Kriterien für die Beurteilung der Deliktfahigkeit im gültigen § 828 BGB". 14 Vgl. auch 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. I.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

ihre rationalen Einsichten „überrannt" werden 15. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, wird die Einführung der Steuerungsfahigkeit als Haftungsvoraussetzung gefordert. Auf diese Weise wäre sichergestellt, daß Kinder von der Haftung freigestellt werden könnten, wenn sie zwar das Unrecht der beabsichtigten Handlung erkannt haben, aber auf Grund ihrer kindlichen Unbeherrschtheit unfähig waren, von der Handlung Abstand zu nehmen. Als Vorbild für eine entsprechende Änderung des § 828 II BGB könne hier § 3 Satz 1 JGG dienen: „Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln [Hervorhebung d. Verf.]."

IL Stellungnahme (1) Das geltende Recht bietet bereits jetzt die Möglichkeit, diese alterstypischen Defizite bei der Prüfimg eines Anspruchs aus §§ 823, 828 II 1 zu berücksichtigen. Für Kinder typische Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeit in Spielsituationen lassen sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen des objektiven alterstypischen Sorgfaltsmaßstabes - berücksichtigen, in dem man in Spielsituationen die Sorgfaltsanforderungen herabsetzt. Lediglich auf individuelle Defizite des Minderjährigen im Bereich der Steuerungsfähigkeit kann das geltende Recht keine Rücksicht nehmen16. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies überhaupt wünschenswert wäre. Denn es ist daraufhinzuweisen, daß die objektiv-generelle, typisierende Betrachtungsweise im Bereich des Haftungsrechts grundsätzlich gilt und es einer besonderen Rechtfertigung dafür bedürfte, von diesem Grundsatz bei Minderjährigen eine Ausnahme zu machen. Besser erscheint es daher, die altersbedingten Defizite bei der Beherrschbarkeit und Steuerbarkeit des Verhaltens im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung im konkreten Fall stärker zu berücksichtigen. Dies ist allerdings eine Aufgabe, die nur die Gerichte, nicht aber der Gesetzgeber leisten kann. Hier erscheint die Mahnung von Scheffen gerechtfertigt, typische kindliche Verhaltensweisen und Defizite sollten von den Gerichten in Zukunft stärker als bisher in ihre Entscheidungen einbezogen werden 17. (2) Es sind erhebliche praktische Schwierigkeiten zu erwarten, wollte man die individuelle Steuerungsfähigkeit zur Haftungsvoraussetzung machen. Selbst für Sachverständige ist es keine leichte Aufgabe, Aussagen zur individuellen Einsichts· und Steuerungsfähigkeit eines Minderjährigen zu treffen. 15

Vgl. z.B. Dauner, S.141 f. Vgl. Teil 1 Abschnitt 1, 2.2. 17 Vgl. Scheffen, FuR 1993, 82 ff. mit zahlreichen "Negativbeispielen" aus der Rechtsprechung. 16

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

223

Dies wird im geltenden Recht besonders deutlich an der Beurteilung der Einsichts· und Steuerungsfähigkeit gemäß § 3 JGG. Hier werden die praktischen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Jugendlicher als „nach wie vor erheblich" und „im Vergleich zu den allgemeinen Regeln über die Schuldunfähigkeit wesentlich größer" bezeichnet18. Der Grund hierfür erschließt sich, wenn die Fälle des § 3 JGG mit sonstigen Fällen verglichen werden, in denen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit geprüft werden müssen. Hier ist etwa an die allgemeinen Regeln über die Schuldunfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) zu denken. Nach §§ 20,21 StGB handelt ein Täter ohne oder nur mit verminderter Schuld, wenn er „bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder danach zu handeln". Im Gegensatz zu § 3 JGG kann bei §§20, 21 StGB die Ausgangsbasis, nämlich die „biologischen Merkmale" (d.h. die vier in §§ 20,21 StGB genannten Defizite) auf der Grundlage einer gefestigten medizinisch-psychiatrischen Tradition mit relativer Sicherheit festgestellt werden19. Hat man erst einmal eines der in §§ 20, 21 StGB vorausgesetzten biologischen Defizite bejaht, läßt sich bei §§ 20, 21 StGB die Einsichts- und Steuerungsunfähigkeit mit dem Vorliegen des biologischen Defizits in den meisten Fällen überzeugend begründen. Viel komplexer und unsicherer ist dagegen die Reifeentscheidung, die im Rahmen des § 3 JGG zu treffen ist20. Denn hier ist die „Ausgangsbasis" des § 3 JGG, also die mangelnde „Reife" (§ 3 JGG: »...reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln") kaum an Hand objektiver Kriterien feststellbar. So kennzeichnet Bresser die Reifeentscheidung als „relativ", Reifestörungen und Abweichungen von der Norm als nur schwer exakt bestimmbar oder auch nur begrifflich definierbar 21. Rasch meint, bei einer Durchsicht der jugendpsychiatrischen Veröffentlichungen zur Problematik des § 3 JGG treffe man kaum einmal auf einen Fall, in dem das Fehlen der altersbedingten Entwicklung bei einem straffälligen Jugendlichen überzeugend dargetan worden sei22. Manche ziehen daraus die Konsequenz, § 3 JGG sei neben §§ 20, 21 StGB überflüssig, zumindest aber sei § 3 JGG keine Frage an den Sachverständigen, sondern nur durch normative Beurteilung des Richters zu entscheiden23.

18 19 20 21 22 23

Lenckner, in: Göppinger/Witter, Bd. 1, S.252; Bresser, ZStW 74, 587 ff. Lenckner, in: Göppinger/Witter, Bd. 1, S.252. Lenckner, in: Göppinger/Witter, Bd. 1, S.252; im gleichen Sinne Rasch, S.66. Bresser, in: Göppinger/Witter, Bd. 1, 534 (565 f.). Rasch, S.290. So Bresser, ZStW 74, 579 (594).

224

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Da aber bei § 3 JGG schon die Ausgangsbasis, nämlich die mangelnde „Reife", nur schwer festgestellt werden kann, gilt das gleiche auch für die Steuerungsunfähigkeit. Denn die Steuerungsunfähigkeit könnte ja nur damit begründet werden, daß der Minderjährige eine mangelnde Reife besaß, die ihn daran hinderte, sich seinen Einsichten gemäß zu verhalten. Unter Kinderpsychiatern ist bereits die Frage umstritten, inwieweit wissenschaftlich begründbare Aussagen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von Minderjährigen überhaupt gemacht werden können. Einig ist man sich unter den sachverständigen Kinderpsychiatern nur, daß bei geisteskranken, bzw. schwachsinnigen Kindern oder Kindern mit vergleichbarer seelischer Abartigkeit die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit begründetermaßen verneint werden kann24. Denn hier läßt sich (wie bei §§ 20, 21 StGB) eine „Ausgangsbasis" für die Einsichts· und Steuerungsunfähigkeit, nämlich ein biologisches Defizit relativ sicher feststellen. Für den Bereich lediglich unterbegabter oder normal begabter Kinder ist dagegen umstritten, inwieweit hier überhaupt ein wissenschaftlich begründbares Sachverständigenurteil möglich ist25. Dies hat auch damit zu tun, daß Unreife und dauerhafte Minderbegabung kaum auseinandergehalten werden könnten. So schreibt der Kinderpsychiater Bresser. 26 „Jugendliche oder Heranwachsende, die als nicht altersgemäß entwikelt erscheinen und die somit als noch relativ unreif eingeschätzt werden könnten, weisen durchweg Merkmale auf, mit denen sie sich in ihrer Wesensart vom Durchschnitt der Altersgenossen unterscheiden. Es läßt sich leicht durch die interindividuell sehr abwechslungsreichen biographischen Verläufe verfolgen, daß die Anzeichen der vermeintlichen Unreife als mehr oder weniger dominante Persönlichkeitszüge fortbestehen. Ein Jugendlicher, bei dem sich beispielsweise Mängel der Willensbildung als eine relativ konstante Auffälligkeit erkennen lassen, wird in der Regel als in seinem Willen nicht genügend gefestigt beurteilt. In diesen Fällen können praktisch nie hinreichend überzeugende Kriterien aufgedeckt werden, die es wahrscheinlich machen würden, daß sich nach einem psychologischen Entwicklungsgesetz oder im Vollzug eines spontanen Reifungsvorganges zu einem späteren Zeitpunkt eine normale Willensstärke einstellt...Entsprechendes gilt für Mängel der Selbstsicherheit, der gemütlichen Bindungsfahigkeit und für viele anderen Konstanten des seelischen Soseins, die auf je besondere Weise den Eindruck der sittlichen, charakterlichen oder persönlichen Unreife erwecken." Die Folge der Unsicherheiten bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit gemäß § 3 JGG sind erhebliche Divergenzen zwischen einzelnen Gerichten und Gutachtern 27.

24

Vgl. Bresser, ZStW 74, 579 (587 ff.); Dauner, S.l38 f. Verneinend Bresser, ZStW 74, 579 (587 ff); ders., in: Göppinger/Witter, Bd. 2, S.l284 (1288 f.); Bejahend Lempp, in: Nissen/Schmitz, S.l8 f, 22 f. 26 Bresser, in: Göppinger/Witter, Bd. 1, 534 (568). 27 Lenckner, in: Göppinger/Witter, Bd. 1, S.252; Bresser, ZStW 74, 587 f. 25

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

225

Neben der Schwierigkeit einer Festlegung der psychiatrischen Kriterien bei der Feststellung der Verantwortlichkeit ergibt sich ein weiteres Problem daraus, daß die psychiatrische Begutachtung häufig erst lange Zeit nach der schädigenden Handlung stattfindet. Maßgeblich ist aber stets die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zur Zeit der Tat. Dies ist zwar ein allgemeines Problem jeder psychiatrischen Begutachtung. Bei der Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eines Kindes stellt sich aber das zusätzliche Problem, daß sich das Kind in der Zwischenzeit weiterentwickelt hat. Wille und Bettge weisen hierbei daraufhin, daß die „Reifung der verschiedenen Funktionen mit unterschiedlichem Entwicklungstempo" erfolgt, so daß „grundsätzlich schon die altersabhängige Phaseneinteilung hypothetisch" erscheine. Sie meinen daher, daß ein Gutachter nur selten die Situation des Kindes, seinen damaligen Wissensstand und seine Entscheidungsfähigkeit völlig rekonstruieren und damit beurteilen könne. Sie halten daher die Steuerungsfähigkeit eines Kindes für „praktisch nicht beurteilbar" 28. Die Schwierigkeiten einer psychiatrischen Begutachtung bei zeitlicher Verzögerung werden in einigen bei Dauner mitgeteilten Gutachten deutlich29. (3) Die Berücksichtigung einer Steuerungsunfähigkeit würde auf Grund dieser praktischen Schwierigkeiten in der Praxis gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage vermutlich kaum eine Begrenzung der Minderjährigenhaftung mit sich bringen. Dies scheint die Rechtspraxis der schweizerischen Gerichte zu bestätigen: in ihren praktischen Ergebnissen hinsichtlich der Hafhmgsvoraussetzungen unterscheidet sie sich kaum von der deutschen Rechtspraxis, obwohl die schweizerischen Gerichte die Steuerungsfähigkeit prüfen müssen (Art. 16 ZGB). Dies dürfte mit den gerade genannten praktischen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Steuerungsfähigkeit zusammenhängen. Da nicht jedesmal ein Sachverständiger zur Begutachtung herangezogen werden kann, dürfte die Steuerungsfähigkeit vom erkennenden Richter häufig unterstellt werden. Darauf deuten jedenfalls zahlreiche schweizerische Gerichtsentscheidungen hin, in denen die Deliktsfähigkeit des

28

Wille und Bettge, VersR 1971, 876 (881 f.). So heißt es in einem Gutachten zu § 828 (mitgeteilt bei Dauner, S.118) über einen zur Tatzeit 8jährigen: "Setzt man für die Tatzeit einen IQ von 80 an - er könnte auch 75 oder 85 betragen haben - so errechnet sich für das damalige Lebensalter von 8;2 Jahren ein Entwicklungsalter von 6;6 Jahren...berücksichtigt man außerdem, daß A. damals in seiner Steuerungsfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit noch wesentlich begrenzter war als heute, so wird man nicht annehmen können, daß er in der Lage war, die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht zu entwickeln". In einem anderen Gutachten zu § 828 (mitgeteilt bei Dauner, S.l 14): "Wenn H. spielt, scheint sich, wie wir auch hier beobachten konnten, sein Wahrnehmungsfeld ganz auf sein Spiel einzuengen. So ist vorstellbar, daß H. auch damals auf die Idee, Streichhölzer anzuzünden, fixiert war, sich von dieser Vorstellung und deren Realisierung in einer Weise einfangen ließ, daß andere Erwägungen und Überlegungen gar nicht mehr in ihm aufkamen..." 29

15 Goecke

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Minderjährigen allein mit seiner Einsichtsfähigkeit begründet wird, ohne daß die Frage der Steuerungsfähigkeit überhaupt Erwähnung findet 30. (4) Von der Haftungsbegrenzung würden nur die steuerungsunfähigen Minderjährigen erfaßt. Einer verminderten Steuerungsfähigkeit, einer im Verhältnis zum Erwachsenen geringeren Beherrschbarkeit des eigenen Verhaltens, von der der Gesetzgeber bei den Minderjährigen nach den Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit ausgeht, könnte dagegen keine Rechnung getragen werden. III. Ergebnis Auf die Einführung der Steuerungsfähigkeit als Haftungsvoraussetzung, etwa durch eine Angleichung an § 3 JGG, sollte aus den genannten Gründen verzichtet werden. C. Ersetzung der Minderjährigenhaftung durch Elternhaftung Neben dem Minderjährigen haften unter bestimmten Voraussetzungen auch die Eltern, oder sonstige gesetzliche Vertreter. Die Haftung der Eltern kann für die tatsächliche Belastung des Minderjährigen eine ebenso große Bedeutung bekommen wie der Umfang seiner eigenen Ersatzpflicht gegenüber dem Geschädigten: Es entlastet den Minderjährigen, wenn die Eltern ebenfalls für den Schaden einstehen müssen. Diese Überlegung legt es nahe, über eine Ausweitung der Elternhaftung nachzudenken, um auf diesem Wege zu der erwünschten Entlastung des Minderjährigen zu gelangen. Würde die in § 832 vorgesehene Exkulpationsmöglichkeit der Eltern entfallen, hätte der Geschädigte im Falle der Schädigung durch Minderjährige stets einen Anspruch gegen dessen Eltern. Seine Stellung verbesserte sich sogar gegenüber dem bisherigen Recht. Der Geschädigte erhielte einen typischerweise leistungsfähigeren Schuldner, würde sich also im Normalfall an die Eltern halten. Um eine Inanspruchnahme des Minderjährigen in jedem Fall zu verhindern, müßte die Eigenhaftung des Minderjährigen allerdings gänzlich ausgeschlossen werden. Da der Geschädigte sich stets an die Eltern halten könnte, wäre eine vollkommene Freistellung des Minderjährigen ohne Verletzung der Interessen des Geschädigten möglich. Bei der rechtsvergleichenden Untersuchung zeigt sich, daß - wie im deutschen Recht (§ 832) - in fast allen Rechtsordnungen die Eltern nicht generell für die Delikte ihrer Kinder haften, sondern nur unter der Voraussetzung, daß sie in 30 Vgl. dazu die Beispiele aus der schweizerischen Rechtsprechung, 2. Teil, 1. Abschnitt 1, B. II. l.a.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

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irgendeiner Weise - sei es durch pflichtwidriges Tun, sei es durch pflichtwidriges Unterlassen - zur schädigenden Handlung des Kindes beigetragen haben31. Dabei bestehen Unterschiede lediglich in bezug auf das Ausmaß der den Eltern auferlegten Pflichten sowie hinsichtlich der Beweislast. In einigen Staaten besteht eine Vermutung der Pflichtverletzung, in anderen Staaten muß der Geschädigte die Pflichtverletzung beweisen. Lediglich in den Niederlanden (bei Kindern unter 14), in Norwegen, in einigen Staaten der USA und in der Volksrepublik China besteht eine Haftung der Eltern ohne Rücksicht auf ihr Verschulden (objektive Haftung) 32. Diese objektive Haftung ist jedoch in Norwegen auf 1000 Kronen begrenzt, in den meisten Bundesstaaten der USA auf 100-500 Dollar. In der Volksrepublik China kann die Ersatzpflicht der Eltern herabgesetzt werden, wenn sie keine Verantwortung für das Verhalten ihrer Kinder trifft. Nur in den Niederlanden ist eine uneingeschränkte verschuldensunabhängige Haftung der Eltern vorgesehen. Es erscheint daher sinnvoll, das einzige existierende Vorbild für das vorgeschlagene Modell einer objektiven Elternhaftung näher zu untersuchen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Motive den niederländischen Gesetzgeber dazu bewogen haben, für Kinder unter 14 Jahren eine objektive Elternhaftung einzuführen, und wie es zu der Regelung kam.

31 Vgl. für die französisch beeinflußten Rechtsordnungen: Art. 1384 Abs. 4 und Abs. 7 franz. C.civ.; Art. 1384 Abs. 2 und 5 belg. C.civ.; Art. 1054 Abs. 2 und Abs. 6 C.civ. Québec; Art. 2048 Abs. 1 und Abs. 3 ital. C.civ.; Art. 1903 Abs. 2 und Abs. 7 span. C.civ.; Art. 491 port. C.civ.; Art. 1922 mex. C.civ..; Art. 2320 Abs. 5 chilen. C.civ.; Art. 2347 Abs. 5 kolumb. C.civ. Weitere Rechtsordnungen des kontinentaleuropischen Rechtskreises: vgl. § 832 deutsch. BGB; § 333 Schweiz. ZGB; § 1309 österr. ABGB; Buch 6 Art. 169 Abs. 2 niederl. NBW (für Jugendliche zwischen 14 und 16); Art. 923 griech. BGB, Art. 187 Abs. 1 und Abs. 2 BGB Taiwan; Art. 714 japan. BGB; Art. 427 poln. ZGB; Art. 451 ZGB der russ. Föderation; § 352 Abs. 1 ungar. ZGB.

Zu den skandinavischen Staaten Schweden, Dänemark, Finnland: vgl. Igney, S.l73. Zu den Staaten des anglo-amerikanischer Rechtskreises: vgl. Winfield/Jolowicz/ Rogers, S.689; Salmond/Heuston/Buckley, S.488/489; Jackson/Booth, in: Halsbury's Laws of England, Band 24 - Infants Nr.424. 32 Niederlande: Buch 6 Art. 169 Abs. 1 Nieuwe Burgerlijk Wetboek, dazu Hartkamp, Nr. 130 ff. Norwegen: § 1-2 Abs. 2 und Abs. 3 Lov om skadeserstatning vom 13.6.69, in: Norges Lover 1682-1989, 13. Juni Nr. 26. 1969, in deutscher Übersetzung bei Igney, Anhang, S.l93, die allerdings von einem heute veralteten Text ausgeht: mittlerweile wurde die Haftungsgrenze von 500 auf 1000 Kronen heraufgesetzt; zur Elternhaftung in Norwegen Igney, S.l 14 und 176. Zu der Rechtslage in den Bundesstaaten der USA: Prosser, §§ 869-871; vgl. dazu auch Igney, S.l74. VR China: § 133 II der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts vom 12.4.1986.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

I. Modellfall: Einführung einer objektiven Haftung der Eltern in den Niederlanden Der erste Entwurf fur ein neues niederländisches Gesetzbuch hatte noch eine Regelung der Elternhaftung nach dem Vorbild der übrigen kontinentaleuropäischen Regelungen enthalten - d.h. eine Haftung mit Exkulpationsmöglichkeit33. Der Rechtsausschuß der Zweiten Kammer des Parlaments verwies jedoch darauf, eine nicht geringe Anzahl bedeutender Autoren habe sich mit der Frage beschäftigt, ob es nicht besser wäre, eine objektive Haftung („risico-aansprakelijkheid") der Eltern einzuführen. Die Mehrheit dieser Autoren habe sich dafür ausgesprochen34. An Argumenten 35 für eine objektive Haftung wurde unter anderem vorgebracht, die Eltern seien eher als der geschädigte Dritte in der Lage, unerlaubte Handlungen ihrer Kinder zu verhindern; ferner sei es unbefriedigend, daß nach bisherigem Recht bei Unfällen, die durch kleine Kinder verursacht werden, der Geschädigte häufig selbst den Schaden tragen müsse: Seine Klage gegen das Kind werde mangels Zurechenbarkeit, gegen die Eltern mangels Aufsichtspflichtverletzung abgewiesen. Der Rechtsausschuß war in dieser Frage jedoch uneins und bat den Minister für Justiz um eine Stellungnahme36. In der Antwort an die Zweite Kammer, welcher zugleich ein geänderter Entwurf beigefügt war, sprach sich der vom Minister beauftragte Regierungskommissar Snijders dafür aus, eine objektive Haftung der Eltern einzuführen. Der von ihm ausgearbeitete geänderte Entwurf enthielt dementsprechend eine verschuldensunabhängige, objektive Haftung derjenigen, die als Eltern oder Vormünder die elterliche Gewalt ausüben, für die schädigenden Handlungen ihrer Kinder unter 14 Jahren, soweit diese den Kindern wegen Art. 6.3.1.2a (heute: Buch 6 Art. 164) nicht zugerechnet werden können. Snijders begründete die Einführung einer objektiven Haftung mit folgenden Argumenten 37: (1) Einerseits sei die Autorität und Aufsicht des gesetzlichen Vertreters im allgemeinen von direktem Einfluß auf das Betragen des Kindes. Andererseits bringe es eine vernünftige Aufsicht mit sich, daß dem Kind eine gewisse Freiheit gelassen werden müsse. Infolgedessen müßten die Eltern Risiken eingehen, wovon Dritte aber im Grundsatz nicht das Opfer werden dürften. 33 Erster Entwurf mit Begründung abgedruckt in: Parlamentaire Geschiedenis van het Nieuwe Burgerlijk Wetboek, Boek 6, S.674-677. 34 Vorläufiger Bericht der Zweiten Kammer vom 15.09.1975, abgedruckt in: Pari.Gesch. Boek 6, S.677. 35 Zusammenfassung der Argumente der Befürworter bei Hartkamp, Verbintenissenrecht III, Nr. 131. 36 Vorläufiger Bericht der Zweiten Kammer vom 15.09.1975, Pari. Gesch. Boek 6, S.678. 37 Note der Antwort an die Zweite Kammer vom 30.01.1976, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, 678/679.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

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(2) Die vorgeschlagene Regel mache es unnötig, sich in lästige Beweisfragen zu vertiefen, z.B., ob unter den gegebenen Umständen von den Eltern oder dem Vormund Maßnahmen zur Verhinderung des Schadens hätten verlangt werden können, inwiefern das Betragen des Kindes einem Erziehungsfehler zugeschrieben werden könne, und - bei einer Exkulpation der Eltern oder des Vormunds -, inwieweit das Kind selbst verantwortlich gemacht werden könne, weil ihm die Tat selbst vorwerfbar sei. (3) Die Regel nehme auf die gegenwärtige Praxis bei dem Abschluß von Privathaftpflichtversicherungen Bezug. Im Jahre 1974 habe es über 3 Millionen Versicherungen dieser Art gegeben -bei etwa 3,5 Millionen Familien und 0,7 Millionen Alleinstehenden - wobei anzunehmen sei, daß diese Zahl noch zugenommen habe. Die Versicherungen deckten hierbei meist auch Schäden ab, die durch vorsätzliche Handlungen von Kindern bis einschließlich 12 Jahren entstehen. (4) Der Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung zur Absicherung gegen die vorgeschlagene objektive Haftung dürfe daher als eine in der Regel erreichbare und naheliegende Maßnahme angesehen werden. Der Akzent bei der Versicherung würde sich gegenüber der gegenwärtigen Praxis nur auf die Versicherung der eigenen Verantwortlichkeit für Handlungen des Kindes verschieben. (5) Bei den Eltern komme noch der Gesichtspunkt zum Tragen, daß die objektive Haftung im Einklang stehe mit der Verantwortlichkeit der Eltern auf Grund der Tatsache, daß sie das Kind „in die Gesellschaft einbringen", eine Verantwortlichkeit, wie sie auch an anderen Stellen im Gesetz zum Ausdruck komme. Diese führe ja nicht nur zu der Verpflichtung zu Versorgung und Erziehung sondern auch zu der Verpflichtung, die Kosten hierfür zu tragen. Dieser Gesichtspunkt gewinne an Gewicht in einer Gesellschaft, in der die Eltern zunehmend selbst hätten bestimmen können, ob und wieviel Kinder sie wünschen. (6) Wenn man eine verschuldensunabhängige Haftung für Schäden durch Kinder einführen wolle, so sei es gerechter, sie nicht dem Kind selbst - wie dies bei einer Billigkeitshaftung der Fall wäre -, sondern den gesetzlichen Vertretern aufzuerlegen, welche sich durch eine Versicherung vor der Ausweitung des Risikos schützen könnten38. Für Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sah der Entwurf die Beibehaltung der bisherigen Haftung mit Exkulpationsmöglichkeit vor. Snijders hielt eine Begrenzung der objektiven Haftung der Eltern auf Kinder unter 14 Jahren für angezeigt39. Zwar hielten viele Autoren eine objektive Haftung auch für ältere Kinder für richtig. Seiner Ansicht nach stünden aber zwei Erwägungen dagegen: zum einen müsse beachtet werden, daß sein geänderter Entwurf nur für Kinder 38 39

Note der Antwort an die Zweite Kammer, Pari. Gesch. Boek 6, S.681. Note der Antwort an die Zweite Kammer, Pari. Gesch. Boek 6, S.680.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

unter 14 Jahren die Verantwortlichkeit ausschließe. Daher habe der Geschädigte bei minderjährigen Schädigern über 14 Jahren immerhin die Möglichkeit, sich bei Exkulpation der Eltern wenigstens an den Minderjährigen zu halten. Zum anderen würde eine Ausweitung des Risikos, welches die Eltern durch erne Versicherung abdecken müßten, dazu führen, daß die Versicherungsprämien stiegen, wodurch eine vergleichbare weite Verbreitung der Haftpflichtversicherung gefährdet würde. In diesem Zusammenhang sei namentlich an den nicht unbedeutenden Anteil der 14- und 15jährigen an Vermögens- und Gewaltvergehen (zwischen 1971 und 1972 bei 7,5 %) zu denken. Bei der anschließenden Beratung im Rechtsausschuß wurde von einigen in Zweifel gezogen, daß der Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung für die Kinder allgemein verbreitet ist. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß man sich im allgemeinen nicht verantwortlich fühle, wenn man selbst kernen Fehler gemacht habe40. Bei der weiteren parlamentarischen Beratung des geänderten Entwurfs im Ausschuß41 und im Plenum42 sowie bei der parlamentarischen Beratung des Einführungsgesetzes43 für die Bücher 3, 5 und 6 des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches wurden keine weiteren Bedenken mehr gegen die objektive Haftung der Eltern für Kinder unter 14 Jahren geäußert. Diskutiert wurde nur noch die Frage, ob die verschuldensunabhängige Haftung auch noch auf Kinder zwischen 14 und 16 Jahren ausgedehnt werden sollte. Mehrere Abgeordnete 44 setzten sich für die zusätzliche Ausweitung der Elternhaftung ein oder machten ihre Sympathie dafür deutlich. Dabei wurden zwei Anliegen verfolgt: Zum einen sollten bei der Anhebung der Altersgrenze auf 16 Jahre gleichzeitig auch die Minderjährigen zwischen 14 und 16 Jahren von jeder Haftung freigestellt werden, weil auch von ihnen nicht erwartet werden könne, daß sie ihre eigene Haftpflicht durch Abschluß einer Versicherung decken. Zum anderen wurde befürchtet, daß die Rechtsprechung bei Minderjährigen zwischen 14 und 16 Jahren den Eltern nicht leicht ein Aufsichtsverschulden zur Last legen würde, weswegen ein unzureichender Schutz des 40 Mündliche Beratung des Rechtsausschusses der Zweiten Kammer mit dem Minister der Justiz (gleichzeitig Abschlußbericht) vom 22.02.1977, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.656. 41 Vgl. das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Rechtsausschusses am 4. März 1977, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.657-659. 42 Protokoll der Verhandlungen der Zweiten Kammer, Sitzung am 20.04.1977, abgedruckt in: Pari. Gesch. Boek 6, S.659-660. 43 Vgl. dazu die abgedruckten Dokumente in: Parlamentaire Geschiedenis van het Nieuwe Burgerlijk Wetboek, Invoering Boeken 3, 5 en 6, Boek 6, S. 1358-1370. 44 Vgl. das Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses der Zweiten Kammer vom 01.06.1987, abgedruckt in Pari. Gesch. Boek 6 (Inv. 3, 5 en 6), S. 1360, 1362ff (Abg. Van der Burg für die CDA-Fraktion, Abg. Wolffensberger für die Fraktion D'66). Vgl. bereits vorher Abg. Haas-Berger, Pari. Gesch. Boek 6, S.657-660.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

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geschädigten Dritten drohe 45. Der Justizminister trat einer Ausweitung der Elternhaftung entgegen46. Er verwies darauf, daß die Haftung der Eltern für Vorsatztaten von 14- und 15jährigen Jugendlichen kaum versicherbar sein dürfte. Viele Versicherer hätten schon erklärt, sie seien dazu nicht bereit. Vor diesem Hintergrund könne eine objektive Haftung der Eltern nicht mehr vernünftig genannt werden. Falls das Risiko versichert werden könne, so wäre in jedem Fall mit einem erheblichen Anstieg der Versicherungsprämien zu rechnen, was zur Folge hätte, daß die gegenwärtig sehr weite Verbreitung der Privathaftpflichtversicherung zwischen 85 und 90 % gefährdet würde. Er verwies zudem auf den starken Anstieg der Kriminalität bei Jugendlichen über 14 Jahren und deren nicht unbedeutenden Anteil an der Gesamtkriminalität. IL Vorschläge und Argumente der Befürworter Die meisten Argumente zugunsten einer objektiven Haftung der Eltern für ihre Kinder finden sich zunächst - wie gerade dargestellt - in den Motiven zu Buch 6 Art. 169 des neuen niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches. Auf deren Darstellung im vorhergehenden Gliederungspunkt (I.) sei daher zunächst verwiesen. In Deutschland ist dagegen bisher kaum darüber nachgedacht worden, den jetzt geltenden § 832 - Haftung der Eltern bei Aufsichtspflichtverletzung - durch die Einführung einer strengen, verschuldensunabhängigen Haftung der Eltern für unerlaubte Handlungen ihrer Kinder zu ersetzen. Soweit ersichtlich, findet sich das Thema zuerst bei von Hippel behandelt47. In einer Urteilsrezension aus dem Jahre 1968 befürwortet er die Einführung einer objektiven Elternhaftung - in Verbindung mit einer obligatorischen Haftpflichtversicherung. Der Vorschlag war nicht mit Blick auf die Entlastung der Minderjährigen gemacht - maßgeblich war bei ihm vielmehr ein Unbehagen an der bestehenden Regelung des § 832 BGB. In jüngster Zeit hat Scheffen die Frage erneut aufgeworfen - jetzt aber im Zusammenhang mit der Minderjährigenhaftung. Scheffen, die für eine Freistellung von Kindern unter 10 Jahren eintritt und eine Haftungsbegrenzung von Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren befürwortet, hat in mehreren Aufsätzen vorgeschlagen, die Elternhaftung auszuweiten, um die durch die Begrenzung der Minderjährigenhaftung beim Dritten verbleibenden Schäden aufzufangen 48. Sie denkt dabei an die Einführung einer objektiven Haftung der Eltern für ihre

45

Abg. Van der Burg (CDA-Fraktion), Pari. Gesch. Boek 6 (Inv. 3, 5 en 6), S. 1360; Wolffensberger (Fraktion D'66), Pari. Gesch. Boek 6 (Inv. 3, 5, en 6), S.1362ff. 46 Pari. Gesch. (vorherg. Fußn.), S.l362. 47 von Hippel, FamRZ 1968, 574 (575). 48 Scheffen, FuR 1993, 88; vorher bereits ZRP, 1991, 463.

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Kinder ohne Exkulpationsmöglichkeit und verweist auf das niederländische Recht 49 . Sie begründet ihren Vorschlag damit, die Haftung der Eltern erscheine ihr gerechter, weil nur sie die Möglichkeit zum Abschluß der Haftpflichtversicherung hätten, und der Nachteil des mangelnden Abschlusses also sie selber treffe 50 . Damit würde dem derzeitigen Mißstand vorgebeugt, daß das zum Schadensersatz verpflichtete K i n d es selbst überhaupt nicht in der Hand habe, ob ein Haftpflichtversicherer an seiner Stelle eintrete. Die Eltern könnten durch Schule und öffentliche Medien auf die Bedeutung des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung hingewiesen werden 51 . V o n französischen Autoren hat sich Puill

ausführlicher mit einer objektiven,

verschuldensunabhängigen Haftung der Eltern auseinandergesetzt und sich dafür ausgesprochen 52 . Eine solche Haftung der Eltern habe ihren Grund nicht mehr in der Erziehungs- und Aufsichtspflicht, sondern in der Entscheidung für die Mutterschaft bzw. Vaterschaft. Die Eltern hätten die Verantwortung, Kinder zu haben, auf sich genommen und seien demzufolge verpflichtet, die Verantwortlichkeit für die Taten ihrer Kinder auf sich zu nehmen. Eine Ausweitung der Elternhaftung sei unter vielerlei Gesichtspunkten gerechtfertigt. Die Erziehungs- und Aufsichtspflichten der Eltern seien gegenüber früher wesentlich reduziert - auf Grund der Lockerung der familiären Bindungen, sichtbar in der größeren Freizügigkeit, und wegen der Aufsplitterung des Familienlebens, zum Teil auf Grund der Arbeit beider Eltern außerhalb von zu Hause. Im letzteren Fall hätten die Schulen und entsprechende Institutionen immer mehr die Aufgaben der Aufsicht und Erziehung übernommen. Es sei aber nicht wünschenswert, wenn die Eltern sich ihrer Verantwortlichkeit dadurch entziehen könnten, daß sie das Fehlen einer Aufsichtspflicht- oder Erziehungspflicht geltend machen. Das Interesse des Opfers überwiege in den meisten der Fälle. Eine objektive Haftung der Eltern würde vermeiden, daß der Richter dazu veranlaßt wird, das Erfordernis der Aufsichtspflicht zu extensiv auszulegen.

III. Argumente der Kritiker Die irische Law Reform Commission hat sich im Jahr 1985 in einer ausführlichen Studie mit Fragen der Reform der deliktischen Haftung Minderjähriger beschäftigt. In diesem Zusammenhang hat sie auch die Frage der Einführung einer objektiven Haftung der Eltern behandelt 53 und im Ergebnis verworfen 54 . 49

Scheffen, FuR 1993, 88; ZRP 1991, 463. Scheffen, FuR 1993, 88. 51 Scheffen, ZRP 1991,463. 52 Puill, D.1988 Chr., S.l89Nr. 16/17. 53 The Law Reform Commission [An coimisiun um athchôiriù an dli], Report on the liability in tort of minors and the liability of parents for damage caused by minors (LRC 171985), Dublin 1985, S.66ff. 50

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

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Einleitend verweist die Law Reform Commission darauf, daß das gegenwärtige Recht in Irland bezüglich der Haftung der Eltern für unerlaubte Handlungen ihrer Kinder 5 5 keiner größeren öffentlichen Kontroverse ausgesetzt sei. Daher spreche einiges dafür, das gegenwärtige Recht beizubehalten. Gleichwohl habe die K o m mission es für ratsam erachtet, im Hinblick auf ihre Empfehlungen zur Minderjährigenhaftung auf diese Frage einzugehen 56 . Es sei - so die Law Reform Commission - vertreten worden, daß die Ausübung der Personensorge über ein K i n d ähnliche Probleme hervorrufe wie das Halten eines wilden Tieres oder der Besitz gefährlicher Gegenstände, die leicht Gefahr verursachten, wenn sie aus dem Besitz entwichen. M i t dem Argument, daß das geltende Recht in beiden Fällen eine strikte Haftung auferlege, sei die strikte Haftung ebenfalls für die Fälle von Schäden durch Kinder vorgeschlagen worden 5 7 . Die Law Reform Commission sei demgegenüber der Auffassung, das Recht dürfe die Kinder nicht wilden Tieren oder gefährlichen Gegenständen gleichsetzen. Die Elternschaft erfülle eine wichtige soziale und moralische Funktion, welche vom Recht unterstützt werden sollte 58 . Z u Gunsten der strikten Elternhaftung könne zwar außerdem angeführt werden, daß sie gut zu der partiellen Entlastung der Kinder von der Deliktsverantwortlichkeit passe. So könne gesagt werden, daß die Belange des Kindes nicht isoliert betrachtet werden dürften und es daher als vernünftig und fair anzusehen sei, wenn das Opfer sich bei den Eltern schadlos halten kann, soweit es von deren K i n d nichts bekomme. Zur Unterstützung dieses Arguments könne die Tatsache dienen, daß Eltern es als ihre moralische Verantwortung ansehen, die Opfer ihrer Kinder zu entschädigen 59 . Jedoch hält die Law Reform Commission auch diese Argumentationslinie zugunsten der strikten Elternhaftung für nicht überzeugend: Damit könne nicht begründet werden, warum gerade die Eltern (und nicht andere Personen) die Opfer ihrer Kinder zu entschädigen haben. Die Tatsache, daß die Kinder auf Grund mangelnder Reife selbst nicht verantwortlich sind, mache die moralische Verantwortlichkeit der Eltern nicht größer - mögen die Eltern auch aus finanziellen Gründen einen günstigen Anspruchsgegner darstellen 60 .

54

The Law Reform Commission, a.a.O., S.75. Das irische Recht läßt die Eltern - wie alle Staaten des anglo-amerikanischen Rechts nur haften, wenn ihnen eigenes Verschulden hinsichtlich der Tat ihres Kindes nachgewiesen werden kann, vgl. dazu: The Law Reform Commission, a.a.O., S.70 ff. und 75. 56 The Law Reform Commission, a.a.O., S.66. 57 The Law Reform Commission, a.a.O., S.68. 58 The Law Reform Commission, a.a.O., S.69. 59 The Law Reform Commission, a.a.O., S.68. 60 The Law Reform Commission, a.a.O., S.69/70. 55

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3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Insgesamt sieht die Kommission eine strikte Haftung der Eltern als eine zu drastische Lösung an, die den Eltern gegenüber ungerecht sei, welche ihr Bestes getan hätten, und deren K i n d trotz ihrer Anstrengungen eine andere Person schädige 6 1 . Auch der französische Autor Durry weist den Gedanken einer objektiven Haftung der Eltern zurück 6 2 . Auch das Argument, daß die Eltern sich leicht gegen ihre Haftung versichern könnten, reiche zur Begründung für die Einführung einer strikten Elternhaftung nicht aus. Denn dieses Argument laufe darauf hinaus, das Verschulden der Eltern darin zu erblicken, daß sie keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hätten, was sicherlich unrichtig wäre. Wenn man dem Opfer unbedingt vollen Ersatz garantieren wolle, dann solle man lieber die Lösung in der Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung suchen.

IV. Stellungnahme L Vorteile der objektiven Elternhaftung Die Vorteile der objektiven Haftung der Eltern liegen insgesamt in folgendem: (1) Die Entlastung des Minderjährigen geschieht nicht auf Kosten des Geschädigten. Der Geschädigte erhält stattdessen einen typischerweise leistungsfähigeren Schuldner. Dem Schutz des Geschädigten ebenso wie dem Minderjährigenschutz wäre genüge getan. (2) Die Einführung einer objektiven Elternhaftung bei gleichzeitiger Freistellung des Minderjährigen bringt eine wesentliche Vereinfachung der Rechtslage, so daß weniger Rechtsstreitigkeiten anfallen. Schwierige Rechtsfragen (Wann ist Einsichtsfähigkeit gegeben? Welche Sorgfalt konnte von einem Minderjährigen dieses Alters erwartet werden? Wie weit reicht die Aufsichtspflicht der Eltern?) stellen sich nicht mehr. Die Eltern haften, wenn die Tat des Minderjährigen, hätte sie ein Erwachsener begangen, zum Schadensersatz verpflichten würde.

2. Bedenken gegen eine objektive Elternhaftung (1) Die objektive Haftung der Eltern wäre nur für Fahrlässigkeitstaten, nicht dagegen für Vorsatztaten tragbar. Die Haftung der Eltern für Vorsatztaten zumindest Jugendlicher dürfte kaum versicherbar sein und würde zu einer unzumutbaren Belastung der Eltern führen. Diese Überlegung hat auch in den Niederlanden dazu geführt, die objektive Haftung der Eltern für ihre minderjährigen Kinder auf Kinder unter 14 Jahre zu beschränken. 61 62

The Law Reform Commission, a.a.O., S.70. Durry, Rev. trim. dr. civ. 1975, 313.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

235

(2) Erklärt der Staat die Eltern für jedes schädigende Verhalten ihrer Kinder haftbar, so erklärt er damit, daß das Verhalten der Kinder den Eltern in jedem Fall zurechenbar sei. Gegen eine solche Wertung bestehen Bedenken. W i r d ein Geschehen einer Person zugerechnet, so w i r d sie als dessen eigene Tat angesehen und damit von einem zufälligen Geschehen abgegrenzt. Larenz formuliert: „ D i e Zurechnung bedeutet nichts anderes als den Versuch, die eigene Tat vom zufälligen Geschehen abzugrenzen." 63 W i r d ein Geschehen einer Person als eigene Tat zugerechnet, so ist damit gesagt, daß sie nicht ein Werk des Zufalls, sondern ein Werk des eigenen Willens ist 64 . Eine Person kann verantwortlich gemacht werden, wenn ein Geschehen in irgendeiner Weise ihrem Willen zugerechnet werden kann: „Verantwortlichkeit ist mögliche Zurechnung zum W i l l e n " 6 5 . Dabei kann der Wille eine nur äußere, lose Beziehung zur Tat haben, die sich in der Beherrschbarkeit des Verhaltens ausdrückt 66 . Bisher beruht die Haftung der Eltern auf ihrem pflichtwidrigen Verhalten, in einem Verhalten, welches gegen die Aufsichts- und Erziehungspflichten verstößt. Das Geschehen, die schädigende Handlung des Kindes, kann den Eltern zugerechnet werden, weil sie durch ihr Verhalten zu dem Schaden beigetragen haben. Der durch das K i n d bewirkte Schaden kann unmittelbar auch ihrem Verhalten zugerechnet werden und kann daher auch als ihr Werk betrachtet werden. Eine strikte, verschuldensunabhängige Haftung hingegen würde die Eltern auch in den Fällen haftbar machen, in denen sie keinen Beitrag zur Handlung ihres Kindes geleistet haben. Eine Zurechnung zu einer Handlung

der Eltern kommt

hier nicht in Betracht. Die Zurechnung eines Geschehens an eine Person wegen rechtswidrigen

Handelns,

die ihre gesetzliche Ausgestaltung in den §§ 823 ff.

gefunden hat, ist in diesen Fällen nicht möglich. Zur Rechtfertigung der Haftung bliebe daher nur das der Gefährdungshaftung zugrundeliegende Prinzip: Die Zurechnung eines Schadens wegen (abstrakter) Gefährdung

anderer durch eine von der Rechtsordnung erlaubte (rechtmäßige)

Betätigung, z.B. durch den Betrieb eines Eisenbahnunternehmens oder das „Halten" von Tieren oder eines Kraftwagens 67 . Hierbei ist gleichgültig, ob der zu ersetzende Schaden auf einer Handlung,

sei es des aus „Gefährdung" Verantwort-

lichen selbst, sei es eines anderen, oder auf einem Naturvorgang

63

(Verhalten eines

Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung (1927),

S.61. 64 65 66 67

Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S.61. Deutsch, Haftungsrecht I, S.23. Deutsch, Haftungsrecht I, S.23. Larenz, Schuldrecht BT, § 77, S.698.

236

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Tieres) oder auf der mechanischen

Wirkung eines technischen Vorgangs beruht 68 .

Larenz kennzeichnet die Schadenszurechnung bei der Gefährdungshaftung so: „Die Schadenszurechnung, die auch hier die Grundlage der Ersatzpflicht bildet, ist keine Zurechnung „zur Handlung", sondern zum „Verantwortungsbereich"; sie besagt nichts über einen Handlungszusammenhang, sondern nur etwas über einen Gefahr- und Haftungszusammenhang". Das mit einer erlaubten Betätigung verbundene spezifische Risiko einer Schädigung anderer werde dem Verantwortlichen auferlegt, weil „der, der durch seine Verwirklichung zu Schaden kommt, sich dagegen im allgemeinen nicht oder nur unzureichend zu schützen vermag, und weil er andererseits die Gefahrenquelle geschaffen hat oder unterhält und insofern dem Schaden nahe steht." {Larenz)

69

„ D i e Zurechenbarkeit stützt sich auf die Willensherrschaft über die Sache oder den Betrieb, von denen die Gefahr ausgeht." {Deutsch)™ W i l l man eine strikte Elternhaftung mit diesen der Gefährdungshaftung zugrundeliegenden Erwägungen begründen, so müßte man folgendes behaupten: Die Eltern gefährden andere durch eine erlaubte Betätigung, nämlich durch das Großziehen von Kindern. Die schädigenden Handlungen der Kinder werden den Eltern zugerechnet, weil sie eine Gefahrenquelle geschaffen haben und unterhalten und damit dem Schaden nahestehen, der Geschädigte andererseits sich kaum oder nur unzureichend gegen Schäden auf Grund der Gefährdung schützen kann. Die Zurechnung erfolgt nicht zu einer elterlichen Handlung, gende Geschehen in ihren Verantwortungsbereich

sondern weil das schädi-

fällt. Die Zurechenbarkeit stützt

sich auf die Willensherrschaft der Eltern über ihre Kinder. Ganz ähnlich rechtfertigt der niederländische Gesetzgeber die strikte Elternhaftung mit dem direkten Einfluß der Eltern auf das Verhalten der Kinder im allgemeinen. Gegen eine solche Herleitung der strikten Elternhaftung bestünden aber Bedenken. Zunächst ist es problematisch, wenn das Großziehen von Kindern den Betätigungen gleichgestellt wird, welche bisher die Gefährdungshaftung begründen: Autofahren, Betreiben einer Eisenbahn, eines Flugzeugs, eines Atomkraftwerkes, von Gas- oder Elekzitritätsleitungen, Halten von Luxustieren, Herstellung von Arzneimitteln, Einleiten von Stoffen in ein Gewässer. Stets - vielleicht ausgenommen beim Halten von Luxustieren - drohen aus der gefährdenden Tätigkeit besonders schwerwiegende Gefahren, weil die Gefahr besonders groß, besonders häufig oder besonders verletzend erscheint, also daß ein hoher, häufiger oder persönlich nahegehender Schaden zu erwarten ist 71 . Daher besteht, wie Larenz formuliert, für den Gesetzgeber als Alternative „das Verbot einer solchen Betätigung 68 69 70 71

Larenz, Schuldrecht BT, § 77, 698. Larenz, Schuldrecht BT, § 77, S.698 f. Deutsch, Haftungsrecht I, S.30. Vgl. Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn.345.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

237

eben wegen ihrer Gefährlichkeit fur andere; da ein solches Verbot aber aus guten Gründen nicht ausgesprochen werden kann, verbindet der Gesetzgeber die Erlaubnis mit der Anordnung einer Risikoabnahme" 72 . Nur bei einer erheblichen oder übermäßigen Gefahr besteht also Anlaß für eine Gefährdungshaftung 73 . Zwar sei eingeräumt, daß sich auch mit dem Großziehen von Kindern Gefahren für Dritte ergeben, insofern also von einer „gefährlichen Betätigung" gesprochen werden könnte. Die Gefahren, welche von einem K i n d ausgehen, können aber weder als besonders hoch, noch als besonders häufig, noch als besonders verletzend bezeichnet werden. Überdies ist das Großziehen von Kindern keine Betätigung, bei der sich die Frage von Erlaubnis oder Verbot stellen könnte. Das zeigt, daß die Erwägungen, welche die Gefährdungshaftung begründen, hier nicht passen. Etwas anders liegen die Dinge bei der Gefährdungshaftung für Luxustiere (§ 833 Satz 1). Hier erscheint die Gefahr nicht bei jedem Tier und in jedem Fall als besonders groß, besonders häufig, oder besonders verletzend. Entscheidend ist hier die Unberechenbarkeit der Gefahrenquelle. Die objektive Haftung des Tierhalters ist wegen der Unberechenbarkeit des Verhaltens der Tiere angeordnet 74 . Eine gewisse Unberechenbarkeit kennzeichnet sicher auch das Verhalten des Kindes, jedoch kann hier zumindest ab einem gewissen Alter eine größere Einsichtigkeit und damit auch Berechenbarkeit angenommen werden. Insofern kann auch der Gesichtspunkt der Unberechenbarkeit eine Gefährdungshaftung für Kinder nicht begründen. Noch aus einem anderen Grund erscheint eine Gefährdungshaftung problematisch: Voraussetzung der Zurechnung ist stets die Herrschaft

über die Gefahren-

quelle. „Verantwortlich ist grundsätzlich derjenige, der die Gefahrenquelle im allgemeinen - wenn auch nicht notwendig: diesen besonderen, den Schaden herbeiführenden Verlauf - beherrscht..."

75

. Es ist fraglich, ob die bei dem Betreiber

von gefährlichen Gegenständen gegebene absolute Einwirkungsmöglichkeit auch bei Kindern gegeben ist. Dies ließe sich allenfalls bei Kleinkindern, keinesfalls aber bei Jugendlichen sagen. In zunehmendem Alter muß den Kindern ein Freiheitsraum und die Möglichkeit zur Entfaltung ihres eigenen Willens gegeben werden. Damit sinkt zugleich die Einwirkungsmöglichkeit der Eltern. V o n einer „Herrschaft" kann in zunehmendem Alter der Kinder immer weniger geprochen werden.

72 73 74 75

Larenz, Schuldrecht BT, § 77, S.698 f. Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn.345. Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn.356. Larenz, Schuldrecht BT, § 77, S.698 f.

238

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

(3) Zudem stellt sich die Frage, wie die Haftung der Eltern in den immer häufiger werdenden gestörten Familienbeziehungen ausgestaltet werden soll. Bei geschiedener Ehe oder nicht ehelichen Kindern müßte man konsequenterweise zu einer objektiven Haftung auch des nicht sorgeberechtigte Elternteils bzw. des nichtehelichen Vaters gelangen, sieht man - wie der niederländische Gesetzgeber den Grund der objektiven Haftung darin, daß man Kinder in die Welt gesetzt hat. Gegen die Haftung des nicht sorgeberechtigten Elternteils bzw. nichtehelichen Vaters spricht andererseits, daß diese auf die Erziehung des Kindes keinen Einfluß nehmen können, so daß es bei ihnen an einer „Willensherrschaft" über das K i n d fehlt und daher eine Begründung ihrer Haftung mit dem Gefährdungsprinzip kaum gelingen kann. Die objektive Haftung lediglich der alleinerziehenden Mutter wiederum würde dem Geschädigten nicht viel bringen, da diese meist nicht in der Lage sein wird, große Schadensersatzleistungen aufzubringen. (4) V o r allem aber muß bei der Gefahrdungshaftung auch der gesellschaftliche oder natürliche Stellenwert der „gefährlichen" Betätigung bedacht werden. Das Großziehen von Kindern erfüllt eine wichtige moralische und soziale Funktion hierauf hat die irische Law Reform Commission zurecht hingewiesen 76 . Es ist schlicht die notwendige Voraussetzung für Entwicklung und Fortbestand der Gemeinschaft. Das unterscheidet es von allen anderen angesprochenen Betätigungen. Es ist daher zweifelhaft, ob die Zuweisung des wirtschaftlichen Risikos dieser „Betätigung" allein an die Eltern gerechtfertigt ist. M i t der Zurechnung des Schadens an den „Betreiber" der Gefahr ist stets zugleich auch das wirtschaftliche Risiko der Ausübung der gefährdenden Tätigkeit dem Betreiber zugewiesen. Die Gefährdungshaftung bewirkt so eine Prävention im betriebswirtschaftlichen Sinne: Nur derjenige soll eine Gefahr schaffen oder ausnutzen, der die schädlichen Auswirkungen der Gefahrverwirklichung zu tragen vermag 77 . So soll, wer nicht die Haftpflichtversicherungsprämien für ein Kraftfahrzeug aufbringen kann, nicht mit einem Fahrzeug fahren, das für seine Mitmenschen gefährlich ist. Es ist aber nicht in gleicher Weise wünschenswert, wenn das „wirtschaftliche Risiko", welches beim Großziehen von Kindern besteht, allein den Eltern zugewiesen wird. Das der Gesetzgeber auch sonst den sozialen Stellenwert oder die Notwendigkeit einer Betätigung berücksichtigt, zeigt wiederum der Vergleich mit der Tierhalterhaftung: die Tierhalterhaftung ist nur bei den sogenannten „Luxustieren" erne Gefährdungshaftung. Bei den Haustieren, die dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt dienen, ordnet der Gesetzgeber dagegen lediglich eine Haftung für vermutetes Verschulden an (§ 833 Satz 2). (5) Der niederländische Gesetzgeber verweist zur Rechtfertigung der strikten Haftung auch auf die leichte Versicherbarkeit des Schadensrisikos durch Abschluß 76 77

Vgl. oben, in diesem Abschnitt, III. Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn.344.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

239

einer Haftpflichtversicherung und auf die weite Verbreitung der allgemeinen Haftpflichtversicherung. Dies mag die tatsächliche wirtschaftliche Belastung der Eltern durch die Ausweitung ihrer Haftung erheblich mindern, jedoch enthebt auch die Versicherbarkeit oder das Bestehen einer Versicherung nicht von der Notwendigkeit, einen Haftungsgrund zu benennen. Die Versicherbarkeit oder das Bestehen einer Versicherung allein ist kein Grund für die Zurechnung des Schadens zur versicherten Person 78 .

V. Ergebnis Es gibt keinen hinreichenden Grund, den Eltern jedes schädigende Verhalten ihrer minderjährigen Kinder zuzurechnen. Der Einführung einer objektiven Haftung der Eltern für ihre Kinder stehen grundsätzliche Erwägungen und Begründungsprobleme entgegen.

D. Ermächtigung zur Schadensersatzminderung (Reduktionsklausel) Eine weitere Möglichkeit zur Entlastung des Mindeijährigen wäre, das erkennende Gericht gesetzlich zu ermächtigen, bei Vorliegen bestimmter Umstände die Höhe der Ersatzpflicht des Schädigers herabzusetzen. Damit könnte die Belastung des minderjährigen Schädigers im Einzelfall auf ein für ihn erträgliches Maß reduziert werden. Je nach Inhalt kommen für eine Regelung der Reduktionsklausel verschiedene Abschnitte des B G B in Frage.

/. Allgemeine Reduktionsklausel

(im Rahmen der §§ 249-255)

1. Vorschläge und Argumente der Befürworter Denkbar wäre einmal die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel für alle Fälle von Schadensersatzpflichten, wie sie zum Beispiel die Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland, Spanien oder Portugal kennen 79 . Systematisch wäre eine solche Reduktionsklausel in das Allgemeine Schuldrecht bei §§ 249255 einzuordnen. Canaris spricht sich nachdrücklich dafür aus, das Problem der Minderjährigenhaftung als Teil des Gesamtproblems unverhältnismäßig hoher Schadensersatzpflichten zu sehen. Seiner Ansicht nach greift es zu kurz, übergroße Schadensersatzpflichten für Minderjährige als Sonderproblem anzusehen. Es dürfe nicht ausschlaggebend sein, ob jemand kurz vor oder nach seinem 18. Geburtstag einen

78 79

Vgl. Deutsch, Haftungsrecht I, S.36. Vgl. 2. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1.

240

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Schaden anrichtet, den er voraussichtlich während seines gesamten Lebens nicht bezahlen könne und durch den daher seine Zukunft wirtschaftlich ruiniert werde 80 . Die Tatsache, daß sich der Erwachsene i m Gegensatz zum Minderjährigen selbst durch Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung vor ruinöser Haftung schützen könne, sei nicht geeignet zu begründen, daß man ihn im Gegensatz zum Minderjährigen in den wirtschaftlichen Ruin treiben dürfe. Aus der bloßen Möglichkeit zum Abschluß einer Versicherung könne nicht auf die Legitimität oder Legalität einer Schadenszurechnung geschlossen werden 81 . Wer wie Canaris eine Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips für Kinder und Erwachsene und alle Arten von Schadensersatzansprüchen w i l l , würde eine solche allgemeine Reduktionsklausel befürworten.

2. Stellungnahme Eine allgemeine Reduktionsklausel würde die Einfügung einer Generalklausel in das Schadensersatzrecht bedeuten. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, Notwendigkeit und Problematik einer solchen Generalklausel i m einzelnen zu untersuchen. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es, daraufhinzuweisen, daß die Notwendigkeit, aber auch die konkrete Ausgestaltung einer allgemeinen Reduktionsklausel im Schadensersatzrecht hoch umstritten ist 8 2 . Oben 8 3 wurde bereits darauf hingewiesen, daß zahlreiche Versuche einer Milderung des Alles-oderNichts-Prinzips im Schadensrecht gemacht wurden. Zumeist wurde hierbei die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel empfohlen. Andere dagegen haben sich zum Teil scharf gegen eine solche Klausel ausgesprochen 84 Aber auch unter den Befürwortern hat es in der konkreten Ausgestaltung erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben 85 . Das liegt vor allem daran, daß Unklarheit und Streit darüber herrscht, in welchen Fällen eine Milderung des Alles-oder-NichtsPrinzips als wünschenswert anzusehen ist. Bei der Ausgestaltung einer Reduktionsklausel entsteht das Dilemma: einerseits möglichst viele Fälle erfassen zu wollen, in welchen eine Milderung der Ersatzpflicht angemessen erscheint, dann aber eine so weite Formulierung wählen zu müssen, daß erne konturenlose Gene80

Canaris, JZ 1990, 679 bis 681. Canaris, a.a.O., S.680. 82 Vgl. Hohloch, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I, S.460. 83 Vgl. 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 1. 84 Vgl. vor allem Löwe, VersR 1970, 289 ff; Flume, Diskussionsbeitrag, 43. DJT 1960, C 80-83; Stoll, RabelsZ 1970, 501. Hinweise zur Kritik an der Reduktionsklausel des Referentenentwurfs ferner bei Weitnauer, Karlsruher Forum 1962, S.4. 85 Vgl. die jeweils unterschiedlichen Vorschläge des Bundesjustizministeriums von 1967, der Gutachter und Referenten des 43. Deutschen Juristentages 1960, von Larenz, Bydlinski, zitiert alle in 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 1. 81

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

241

ralklausel entsteht, die eine übermäßige Anwendung und unvorhersehbare Ergebnisse befürchten läßt 8 6 ; andererseits eine möglichst klar umrissene Klausel formulieren zu wollen, dann aber wichtige Fälle aus dem Anwendungsbereich der N o r m ausklammern zu müssen 87 . Hier liegt daher die Frage nahe, ob es nicht besser ist, statt der Schaffung einer Generalklausel die einzelnen Fallgruppen (also z.B.: Schädigungen durch leichte bzw. leichteste Fahrlässigkeit, Schädigungen im Rahmen von Gefälligkeitsverhältnissen, Schädigungen durch Mindeijährige usw.) bei denen das Alles-oderNichts-Prinzip als ungerecht empfunden wird, jeweils einer besonderen Regelung zuzuführen. Diesen Lösungsweg hat schon Stoll in einem Aufsatz aus dem Jahre 1970 empfohlen 88 . Er würde ein höheres Maß an Rechtssicherheit bringen. Überdies könnte auf diese Weise für jede Fallgruppe gesondert beleuchtet und geprüft werden, inwieweit für sie ein Reformbedürfiiis besteht, und es könnte dann die ihr jeweils angemessene Regelung getroffen werden. Die Schaffung einer allgemein gefaßten General-Reduktionsklausel kann daher nicht empfohlen werden.

IL Besondere Reduktionsklausel für Minderjährige

(bei §§ 828, 829)

1. Vorschläge und Argumente der Befürworter a) Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums von 1967 Ebenso wie Stoll (vgl. den vorhergehenden Gliederungspunkt 4.1.2.) hatte sich bereits Weitnauer bemüht, einzelne Fallgruppen, in denen eine Ermäßigung der Ersatzpflicht wünschenswert wäre, herauszugreifen und für sie jeweils besondere Vorschriften vorzusehen 89 . Z u den Fallgrppen, bei denen Weitnauer eine Reduktionsmöglichkeit für notwendig hält, gehört auch die Fallgruppe der Schädigungen durch Minderjährige. Es sei bekannt, daß diese Gruppe den Richtern große Schwierigkeiten mache 90 . In dem Augenblick, in dem die Einsicht bejaht wird, müsse nach B G B , ohne Rücksicht auf sonstige doch noch geminderte geistige und charakterliche Entwicklungsstadien, voller Schadensersatz zugesprochen werden. Diesen charakteristischen Fall könne man gut einfangen, indem man dem § 828 eine Klausel anfüge, welche sage, daß bei einem unter 18jährigen Jugendlichen

86

Hiervor warnt Flume, Diskussionsbeitrag zum 43. DJT 1960, C 80/81. So die Kritik Stolls an der Reduktionsklausel des Referentenentwurfs, RabelsZ 1970, S.483-486. 88 Vgl. Stoll, RabelsZ 1970, S.494-502. 89 Vgl. Weitnauer, in: Karlsruher Forum 1961, S.32 f. 90 Weitnauer, in: Karlsruher Forum 1961, S.33. 87

16 Goecke

242

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

der Umfang der Ersatzpflicht reduziert werden könne 9 1 . Damit würden in der richterlichen Praxis viele Schwierigkeiten und manche Gewissenskonflikte beseitigt. Denn gegenwärtig müsse der Richter manchmal zu nicht ganz ehrlichen Entscheidungen kommen. Er müsse z.B. mitwirkendes Verschulden finden oder er müsse die Einsichtsfähigkeit ganz verneinen, weil er sich sage, der Schadensersatz sei so horrend, daß eine Verurteilung einfach nicht zu verantworten wäre 9 2 . Diese Überlegungen Weitnauers haben später ihren Niederschlag in der Reduktionsklausel des § 828 I I des Referentenentwurfs des Bundesjustizministeriums von 1967 zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften - der von der Regierung nicht weiterverfolgt wurde - gefunden 93 . Diese Reduktionsklausel ermächtigt das Gericht, die Ersatzpflicht einzuschränken, wenn der Minderjährige „ i n geringeren Maße als ein Erwachsener" die Fähigkeit hat, „das Unrecht der Handlung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", und zwar „soweit dies nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, der Billigkeit entspricht." In der Begründung zu dieser Bestimmung heißt es, die Unterwerfung des Minderjährigen unter das Alles- oder Nichts-Prinzip habe in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt, weil sie - anders als das Strafrecht - keine Möglichkeit gebe, die rechtliche Reaktion nach dem Grad der geistigen Entwicklung des Jugendlichen abzustufen und der Tatsache Rechnung zu tragen, daß zwischen der NichtVerantwortlichkeit und der vollen geistigen Reife vielerlei Zwischenstufen bestünden. Die vorgeschlagene Neufassung helfe dieser Schwierigkeit ab und ermögliche eine sachgemäße Anpassung der Schadensersatzpflicht im Einzelfall. Der Unterschied zum geltenden § 829 bestehe darin, daß die Ersatzpflicht nach der Neufassung des § 828 I I grundsätzlich bestehe und lediglich eine Einschränkung des Ersatzes zugelassen werde, während i m Falle des § 829 bei grundsätzlicher NichtVerantwortlichkeit nur im Einzelfall eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen auferlegt werden könne 94 . Die praktische Bedeutung der Vorschrift bestehe namentlich darin, daß sie erlaube, den Umfang der Ersatzpflicht der voraussichtlichen Leistungsfähigkeit des Schädigers anzupassen und so eine das Berufs- und Erwerbsstreben des Jugendlichen lähmende Überbelastung zu vermeiden.

b) Vorschlag von Bars Wie der Referentenentwurf, so schlägt auch von Bar in seinem Gutachten und Entwurf zur Überarbeitung des Deliktsrechts eine Regelung vor, die die Ein-

91

Weitnauer, in: Karlsruher Forum 1961, S.33. Weitnauer, in: Karlsruher Forum 1961, S.33. 93 Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 1967,1, S.4. 94 Begründung zum Referentenentwurf, a.a.O., S.73 f. 92

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

243

schränkbarkeit der Ersatzpflicht für Minderjährige einführt. Infolge seiner Kritik an der Berücksichtigung subjektiv-individueller Elemente bei der Verschuldenshaftung möchte er zwar auf das Kriterium der Einsichtsfähigkeit ganz verzichten 95 . Auch die Altersgrenze von 7 Jahren solle deshalb abgeschafft werden, zumal deren genaue Festlegung ohnehin umstritten sei 96 . Gleichzeitig sollen aber Billigkeitserwägungen die Haftung des Minderjährigen einschränken können, was i m Ergebnis der Reduktionsklausel des Referentenentwurfs nahekommt: Jedenfalls für die Minderjährigen zwischen 7 und 18 Jahren ist nach beiden Vorschlägen eine einschränkbare Haftung des Minderjährigen vorgesehen. Der Unterschied zum Referentenentwurf besteht lediglich darin, daß von Bar die Haftungsfreistellung für Minderjährige unter 7 Jahren abschaffen und ebenfalls durch eine einschränkbare Haftung ersetzen möchte. Statt der alten §§ 828, 829 schlägt von Bar eine einheitliche Vorschrift mit folgendem Wortlaut vor 9 7 : „§ 829 (1) Wer das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist zum Schadensersatz insoweit nicht verpflichtet, als dies im Hinblick auf sein Alter, seine Entwicklung, die Art der Tat, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und die übrigen Umstände des Einzelfalls der Billigkeit entspricht. Bei der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann ein vorhandener oder im Verkehr erwarteter Versicherungsschutz berücksichtigt werden..."

2. Stellungnahme Bevor auf die Einzelheiten der Vorschläge - Anwendungsbereich der Reduktionsklausel und ihre nähere Ausgestaltung - eingegangen wird, soll zunächst erörtert werden, wie eine Ermächtigung zur Schadensersatzminderung bei minderjährigen Verpflichteten grundsätzlich zu bewerten ist. a) Vorteile (1) Die Einführung einer besonderen Reduktionsklausel für Minderjährige ermöglicht es, die Haftung des Minderjährigen im Einzelfall auf ein vertretbares Maß zu beschränken und damit eine für die Umstände des Einzelfalls angemessene Lösung zu finden. (2) Die bloße Einschränkbarkeit der Ersatzpflicht hat gegenüber den Lösungen, die auf Freistellung bzw. Haftungsverlagerung auf andere setzen, den Vorteil, daß der Minderjährige frühzeitig lernt, daß er für seine Handlungen verantwortlich ist und für diese einzustehen hat. Die Reduktionsklausel sorgt aber dafür, daß die

95

von Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1774.

96

von Bar, a.a.O., 1774. von Bar, a.a.O., 1762.

97

244

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Last der Verantwortlichkeit den Minderjährigen nicht erdrückt und erhält ihm die Chance eines unbelasteten Eintritts in das Erwerbsleben in absehbarer Zeit. (3) Die Reduktionsklausel für Minderjährige trägt der Überlegung Rechnung, daß das Verschulden eines Minderjährigen auf Grund seiner Unerfahrenheit und seines unreflektierten Handelns oft in milderem Licht erscheint als bei einem Erwachsenen; daß es ihm häufig nur in geringem Maße persönlich vorgeworfen werden kann, weswegen es bei einem Mitverschulden Minderjähriger schon jetzt gängige Praxis ist, die Quote geringer festzusetzen, als bei einem Erwachsenen in der vergleichbaren Situation 98 . (4) Die Reduktionsklausel für Minderjährige fügt sich als Ausdruck des M i n derjährigenschutzgedankens problemlos in das geltende Bürgerliche Recht ein. Im Bürgerlichen Recht wie in anderen Rechtsgebieten ist der Minderjährigenschutzgedanke und die damit verbundene Privilegierung des Minderjährigen gegenüber dem Erwachsenen bereits jetzt enthalten. Im B G B erhielte kein systemfremder Gedanke Einzug. b) Stellungnahme zu Nachteilen und möglichen Einwänden aa) Ungerechtfertigte Privilegierung des Minderjährigen? Die besondere Reduktionsklausel für Minderjährige wäre zunächst einmal dem Einwand ausgesetzt, sie privilegiere die Minderjährigen ungerechtfertigt gegenüber den Erwachsenen". Zwar ist Canaris m

beizupflichten, daß sich das Problem ruinös wirkender

Ersatzpflichten nicht nur bei Minderjährigen stellt. Ihm ist auch zuzustimmen, daß das Argument, der Erwachsene hätte sich durch Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung vor der übermäßigen Haftung schützen können 1 0 1 , nicht geeignet ist, dessen unbeschränkbare Haftung zu begründen. Auch Canaris räumt aber ein, daß das Risiko einer ruinösen Haftung für den Minderjährigen noch größer ist, als er dieses nicht einmal selbst durch den Abschluß einer Haftpflichtversicherung mildern kann, sondern insofern auf das Handeln seines gesetzlichen Vertreters ange-

98

Vgl. 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. IV. Vgl. zur Kritik von Canaris an einer Sonderbehandlung des Problems ruinöser Haftung Minderjähriger: oben in diesem Abschnitt, D. I. 1. 100 Canaris, JZ 1990, 679 (680). 101 Mittlerweile ist es möglich, sich durch den Abschluß einer Privathaftpflichtversicherung mit nur geringfügig höherer Prämie tatsächlich - anders als Canaris, JZ 1990, 679 (680) noch annahm - vor der Haftpflicht für Schäden in unbegrenzter Höhe zu schützen. Versicherungsunternehmen bieten jetzt solche Verträge an, z.B. der Versicherer HUK-Coburg lt. Auskunft des Unternehmens. 99

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

245

wiesen ist. Auch er hält daher eine Wertung dahingehend für zulässig, daß jedenfalls bei Minderjährigen eine übermäßig belastende Haftung nicht vertretbar ist 1 0 2 . Für die besondere Behandlung der Fallgruppe von Schädigungen durch M i n derjährige gibt es auch Vorbilder in anderen Rechtordnungen, so in den skandinavischen Staaten, in der Schweiz und in Österreich. Dort ist die richterliche Befugnis, den Umfang des deliktischen Ersatzanspruches individuell, mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, festzulegen, für minderjährige Schädiger besonders vorgesehen 103 . Diese richterliche Befugnis ist in den skandinavischen Staaten und in Österreich in besonderen Normen, die die Minderjährigenhaftung regeln, festgeschrieben. In der Schweiz verlangt die Rechtsprechung bei Erwachsenen für die Herabsetzung der Ersatzpflicht gemäß Art. 43 Abs. 1 OR stets eine besondere Rechtfertigung für das Abrüken von der Verpflichtung zum vollen Schadensersatzleistung, während sie bei Minderjährigen generell ein „geringeres Verschulden" für gegeben erachtet und die Ersatzpflicht mit dieser Erwägung grundsätzlich vermindert w i r d 1 0 4 . Die Privilegierung des Minderjährigen hat ihren sachlichen Grund in dem M i n derjährigenschutzgedanken. Dieser Gedanke gilt im Deliktsrecht nicht anders als in anderen Rechtsbereichen, wie in Teil 1 ausführlich begründet wurde 1 0 5 . Im Hinblick auf den Gedanken des Minderjährigenschutzes sieht das Recht, insbesondere auch das Bürgerliche Recht, bisher schon zahlreiche Privilegierungen zugunsten Minderjähriger vor (vgl. etwa §§ 106 ff. B G B ) 1 0 6 . Insgesamt ist daher festzustellen, daß der mögliche Einwand, der Minderjährige würde mit der Reduktionsklausel ungerechtfertigt gegenüber dem Erwachsenen privilegiert, letztlich nicht durchgreift. bb) Vernachlässigung der Interessen des Geschädigten? Die Reduktionsklausel hat den Nachteil, daß die Entlastung des Minderjährigen auf Kosten des Geschädigten geht. Gegen dessen Belastung spricht, daß er ohne eigenes Zutun den Schädigungen des Minderjährigen ausgesetzt ist. Zudem steht der Belastung des Geschädigten die Tendenz entgegen, keinen Schaden unersetzt

102

Canaris, a.a.O., S.680 bezeichnet die ruinöse Haftung Minderjähriger sogar als verfassungswidrig. 103 Vgl. 2. Teil, 1. Abschnitt, C. II. 2. (Österreich), C. II. 3. (Dänemark), Β. I. (weitere skandinavische Staaten), B. II. (Schweiz); in Österreich besteht diese richterliche Befugnis nur bei Minderjährigen bis zu 14 Jahren, in Dänemark bei Minderjährigen bis zu 15 Jahren, vgl. ebendort. 104

Vgl. 2. Teil, 1. Abschnitt, B. II. 1. b. aa. Vgl. 1. Teil, 3. Abschnitt, B. II. und B. III. 106 Vgl. zu den Ausprägungen des Minderjährigenschutzes in den verschiedensten Rechtsbereichen, 1. Teil, 3. Abschnitt. Β. I. 105

246

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

zu lassen. Auch ist zu bedenken, daß es bei dem Schutz des Mindeijährigen vor zu hohen Ersatzpflichten um ein soziales Anliegen geht. V o n diesen Überlegungen ausgehend erscheint es eher angemessen, die Kosten einer Entlastung des Minderjährigen die Allgemeinheit tragen zu lassen als den Geschädigten. α ) Indirekter Schutz des Geschädigten durch die Haftpflichtversicherung des minderjährigen Schädigers Härten, die die Reduktionsklausel für den Geschädigten bedeuten kann, können allerdings dadurch vermieden werden, daß man dem Bestehen einer Haftpflichtversicherung eine entscheidende Bedeutung einräumt. Hierbei könnte ein Gedanke aufgegriffen werden, der in der Praxis einiger skandinavischer Staaten (so in Schweden und Dänemark) verwirklicht ist. Dort ist die richterliche Befugnis zur Herabsetzung der Ersatzpflicht in den Fällen grundsätzlich ausgeschlossen, in denen der Minderjährige haftpflichtversichert ist 1 0 7 . Die Herabsetzungsbefugnis besteht dort also grundsätzlich nur bei Minderjährigen ohne Haftpflichtversicherung. Die weitaus meisten Minderjährigen in Deutschland - wohl um die 70 % - sind haftpflichtversichert 108 . In den meisten Fällen würde daher der Geschädigte vollen Ersatz bekommen, die Herabsetzungsbefugnis wäre ausgeschlossen. Gegenüber dem Einwand, die Entlastung des Minderjährigen dürfe nicht auf Kosten des Geschädigten gehen, würde damit die Berücksichtigung einer Haftpflichtversicherung für die Mehrzahl der Fälle Abhilfe schaffen. α α ) Mögliche Bedenken gegen eine Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung Damit ist ein Problem angesprochen, welches besonders bei der Anwendung des § 829 intensiv diskutiert worden ist 1 0 9 : Wieweit darf der Versicherungsschutz auf die Haftung zurückwirken? Immerhin ist das Verhältnis von Haftung und Versicherung grundsätzlich ein einseitiges und nicht ein wechselseitiges: Die Haftung wirkt auf die Versicherung, denn die Deckungspflicht des Versicherers bemißt sich nach dem Umfang der Haftung. Dagegen wirkt die Versicherung nicht zurück 1 1 0 .

107

Vgl. 2. Teil, 1. Abschnitt, C. II. 3. (Dänemark) und Β. I. 1. (Schweden). Vgl. die Zahlenangaben der Versicherungswirtschaft: in diesem Teil, 2. Abschnitt, A. IV. 2. (am Ende). 109 Vgl. 1. Teil, 1. Abschnitt, B. III. 110 Vgl. Hanau, VersR 1969,291. 108

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

247

Den - in der Literatur zahlreich vertretenen - Befürwortern 111 einer Einbeziehung des Versicherungsschutzes in die Billigkeitsabwägung nach § 829 werden dabei folgende Einwände entgegengehalten. Hanau m

meint, es seien zwei Fragen voneinander zu trennen: die erste sei, ob

das Haftungsrecht die Einbeziehung der Haftpflichtversicherung verlangt, die zweite, ob das Versicherungsrecht

die Einwirkung auf die Haftung gestattet. Nur

wenn beide Fragen bejaht werden könnten, sei die Berücksichtigung des Versicherungsschutzes zulässig. Die zweite Frage sei aber bei der freiwilligen Haftpflichtversicherung regelmäßig zu verneinen. Aus § 149 V V G („Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherer verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat.") ergebe sich, daß Ansprüche, die nicht auf der Verantwortlichkeit

des Versicherungsneh-

mers, sondern auf dessen Versicherung beruhen, vom Regelungsbereich der Haftpflichtversicherung ausgenommen sind. Diese Auslegung des Versicherungsvertrages entspreche auch der Interessenlage. Der Versicherungsnehmer habe kein Interesse daran, daß die Haftungslast steigt und damit Prämiensteigerungen drohen. Auch für den Versicherer seien Prämiensteigerungen unerwünscht, weil sie die Verbreitung der Versicherung erschweren könnte. In diesem Sinne hat auch der Bundesgerichtshof mehrfach ausgesprochen, daß der Zweck der Haftpflichtversicherung „ i n erster Linie auf Freistellung des Versicherungsnehmers und damit den Schutz seines Vermögens vor Haftpflichtansprüchen gerichtet ist" 1 1 3 . Jedenfalls im Bereich der freiwilligen Privathaftpflichtversicherung habe sich der Gedanke des Schutzes des Geschädigten noch nicht so weit durchgesetzt, daß das Interesse des Geschädigten „ i n den vertraglichen Deckungsbereich der privaten Haftpflichtversicherung einbezogen ist" 1 1 4 . Wenn der Versicherungsschutz auch im Sinne einer „Korrektur hinsichtlich der Höhe des zu zahlenden Betrages nach oben" Berücksichtigung finden dürfe, so sei es aber jedenfalls nicht Zweck der Haftpflichtversicherung, „eine Haftungsgrundlage erst zu schaffen". Ebenso verweist Lorenz 115

auf die Funktion des Haftpflichtversicherungsver-

trages. Seine Ausgestaltung durch Gesetz (§§ 149 bis 158 V V G ) und durch A H B und A K B lasse eindeutig erkennen, daß die Haftpflichtversicherung dazu diene, den Schädiger vor der durch Haftung entstehenden Belastung zu bewahren. M i t 111 Vgl. die Nachweise bei Zeuner, in: Soergel, § 829 Rdn.8; ausführliche Begründung bei Knütel, JR 1980, 20 f. 1.2 Hanau, VersR 1969, 291 (293/294). 1.3 BGH, Urt. v. 18.12.1979 - VI ZR 27/78 - BGHZ 76, 279 (285). 1.4 BGH, a.a.O., S.286. 115 Lorenz, VersR 1980, 697 (700).

248

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

dieser Funktion sei es unvereinbar, daß die Haftpflichtversicherung die Ersatzpflicht, die sie abwenden soll, erst begründet. Eine Deutung der Versicherungsverträge als Verträge, welche dem Geschädigten im Falle des § 829 eine billige Entschädigung sichern sollen, führe zu einer Änderung des Vertragsinhalts, nämlich zu einer Ausweitung der durch das V V G und die Versicherungsbedingungen beschriebenen Verpflichtungen des Versichereres. Eine Änderung des Vertragsinhalts könne aber nur durch den Gesetzgeber (durch Änderung des V V G ) oder durch Änderung der Versicherungsbedingungen bewirkt werden. Die Gerichte seien zu einer solchen Vertragsänderung nicht befugt. Das Prinzip der strikten Trennung von Haftung und Versicherungsschutz diene dazu, die Versicherer davor zu bewahren, daß ihre Leistungen über den Haftpflichtversicherungsvertrag hinaus ohne ihre Beteiligung, ohne Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens und ohne Bezahlung (Prämienanpassung) erweitert werde. Dieser Schutzzweck werde verletzt, wenn die Gerichte die nach den geltenden Versicherungsbedingungen ausgestalteten Haftptlichtversicherungsverträge bei der Haftungsbegründung nach § 829 berücksichtigen 116 . Allerdings macht Lorenz deutlich, daß er die Berücksichtigung des Versicherungsschutzes bei § 829 zwar für gegenwärtig nicht zulässig, zukünftig aber für wünschenswert hält. Wenn der Schädiger in dem Umfang, in dem er haftpflichtversichert ist, auf Grund von § 829 ersatzpflichtig wäre, so würde dies „ i n der Tat die meisten der Probleme, die das Unbehagen an der geschilderten Rechtslage begründen" bereinigen 117 . Er empfiehlt daher die Einfügung einer Klausel in den Versicherungsvertrag,

welche den formell

als

Haftpflichtversicherungsvertrag

geschlossenen Vertrag für die Fälle des § 829 materiell in eine als Schadensversicherung verstandene Personen- und Sachversicherung für Rechnung des Geschädigten umgestaltet 118 . Eine solche Vermengung zweier Versicherungsvertragstypen sei angesichts der Tatsache, daß bereits viele versicherungsvertragliche Reglungen entstanden sind, die mit den herkömmlichen Typenschablonen nicht mehr voll zu erfassen sind, vertretbar.

ßß) Stellungnahme zu den Bedenken Bei der hier erwogenen Neuregelung des § 828 besteht die Haftung des M i n derjährigen grundsätzlich in voller Höhe, sie kann nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen der Reduktionsklausel zu dessen Gunsten gemildert werden. Die Haftpflichtversicherung begründet also die Haftung nicht, sondern sie sichert den grundsätzlich in voller Höhe bestehenden Anspruch ab.

1,6 117 118

Lorenz, a.a.O. S.703. Lorenz, a.a.O., S.700. Vgl. Lorenz, a.a.O., S.702/703.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

249

Da der Bundesgerichtshof es aber lediglich für unzulässig hält, wenn die Versicherung die Haftung, die sie abwenden wolle, gerade begründet, dürften die Bedenken, welche vom Bundesgerichtshof gegen eine Berücksichtigung des Versicherungsschutzes durch die Gerichte bei § 829 vorgebracht werden, hier nicht bestehen. Das gleiche dürfte für die Bedenken Hanaus gelten. Denn die Haftpflichtversicherung sichert bei der erwogenen Neuregelung einen Schaden ab, für den der minderjährige Schädiger grundsätzlich voll verantwortlich ist. Die Haftpflichtversicherung soll nicht Schäden abdecken, die sie selbst begründet hat, sondern Schäden, die die Verantwortlichkeit des Minderjährigen begründet hat. Auch die Interessenlage der Parteien des Versicherungsvertrages, welche Hanau gegen eine Berücksichtigung des Versicherungsschutzes bei § 829 anführt, dürfte nicht gegen die erwogene Neuregelung zu sprechen: Prämienerhöhungen sind mit der Neuregelung nicht zu befürchten, da bei Schäden durch haftpflichtversicherte Minderjährige die Rechtslage unverändert bliebe: die Verpflichtung des Minderjährigen und damit seiner Versicherung zu vollem Schadensersatz. Damit tritt auch das Problem nicht auf, auf das Lorenz bei § 829 hingewiesen hat, nämlich, daß die Leistungen der Versicherer über den Versicherungsvertrag hinaus ohne ihre Beteiligung und ohne ihre Bezahlung (Prämienanpassung) erweitert werden. Auch die weiteren von Lorenz im Zusammenhang mit § 829 vorgetragenen Bedenken, daß dem Versicherungsvertrag ohne gesetzliche vertragliche

Ermächtigung

oder

ein anderer Inhalt gegeben werde, wenn die Gerichte

den Versicherungsschutz in die Abwägung nach § 829 einbezögen, sind bei der hier erwogenen Neuregelung gegenstandslos. Denn hier würde nicht eigenmächtig durch die Gerichte, sondern durch den Gesetzgeber angeordnet, daß die Haftpflichtversicherung berücksichtigt werden soll. Damit wäre die von Lorenz bei § 829 vermißte gesetzliche Ermächtigung geschaffen.

ß) Weitere Schutzmöglichkeiten für den Geschädigten Neben der Möglichkeit, die Haftpflichtversicherung des minderjährigen Schädigers zu Gunsten des Geschädigten zu berücksichtigen, entfaltet die Reduktionsklausel auch insofern eine Schutzfunktion zugunsten des Geschädigten, als es sich lediglich um eine Ermächtigung Verpflichtung

zur Schadensersatzminderung, nicht um eine

handelt. Das Gericht muß nicht ermäßigen. Dadurch können auch

die Belange des Geschädigten angemessen berücksichtigt werden. Insbesondere in Fällen, in denen durch den Schadenseintritt die wirtschaftliche Existenz des Geschädigten

bedroht ist, kann das Gericht daher auch den Minderjährigen den

größeren Teil des Schadens tragen lassen oder vollen Schadensersatz zusprechen. Die Reduktionsklausel wird in diesen Fällen kein Hindernis darstellen, dem Geschädigten zum nötigen Ausgleich zu verhelfen. Eine Anwendung der Reduk-

250

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

tionsklausel in diesem Sinne kann dadurch sichergestellt werden, daß man das Gericht gesetzlich verpflichtet, bei Anwendung der Reduktionsklausel auf die Art

des Schadens, die Aussicht auf anderweitige

Ersatzmöglichkeit,

bzw. die Ver-

mögenslage des Geschädigten Bedacht zu nehmen. γ) Gewicht des Geschädigtenschutzes Schließlich muß hingenommen werden, daß die Reduktionsklausel die Interessen des Geschädigten im Einzelfall erheblich beeinträchtigen kann. Oben 1 1 9 wurde bereits darauf hingewiesen, daß es nicht für jeden Schaden, der entsteht, stets einen Ersatzpflichtigen geben kann und nach dem Leitbild des BGB-Gesetzgebers jeder die seine Güter und Werte bedrohenden Risiken grundsätzlich selbst zu tragen hat. Oben 1 2 0 ist weiterhin ausführlich begründet worden, daß weder die Tatsache, daß der Minderjährige als Schadensverursacher dem Schaden „näher steht", noch der grundsätzlich zu gewährleistende Schutz des Geschädigten vor fahrlässigen Schädigungen begründen können, daß der Geschädigte auch von einem minderjährigen Schädiger stets vollen Ersatz erhalten müßte. A u f die obigen Ausführungen wird hier verwiesen. Der Gedanke des Schutzes des Geschädigten ist daher gegenüber dem Minderjährigenschutzgedanken nicht so gewichtig, daß er stets den Vorrang beanspruchen könnte. Es erscheint daher nicht unangemessen, wenn die Reduktionsklausel im Einzelfall den Geschädigtenschutz hinter dem Minderjährigenschutz zurücktreten läßt. cc) Verursachung von Rechtsunsicherheit? Ein weiterer Nachteil der Reduktionsklausel liegt darin, daß sie - wie jede Einräumung von weitem Ermessen - zwar zu höherer Einzelfallgerechtigkeit, aber zu geringerer Rechtssicherheit führt. Die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse gerichtlicher Entscheidungen zur Minderjährigenhaftung nähme ab. Es dürfte zuweilen nicht vorhersehbar sein, ob die Reduktionsklausel von den Gerichten angewandt wird; insbesondere aber dürfte bei den Parteien oft Unsicherheit darüber herrschen, auf welchen Betrag der Haftungsumfang von den Gerichten festgelegt wird. A u f der anderen Seite zeigt allerdings die Praxis zu Art. 43 des schweizerischen O R 1 2 1 , daß auch ein System, in dem das Alles-oder-Nichts-Prinzip durch Einräumung von richterlichem Ermessen gemildert wird, funktioniert. Auch die jahrzehntelange Praxis der skandinavischen Staaten bei der Minderjährigenhaftung bestätigt dies 1 2 2 . Dort hat man an dem System des richterlichen Ermessens bei der

1,9 120 121 122

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 4. 1. Teil, 3. Abschnitt, B. III. 4. 2. Teil, 1. Abschnitt, Β. II. 2. Teil, 1. Abschnitt, Β. I.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

251

Bestimmung der Ersatzpflicht eines Minderjährigen auch festgehalten, als das Deliktsrecht in den 60er/70er Jahren in Schadensersatzgesetzen kodifiziert wurde und sich die Gelegenheit geboten hätte, von dem bisherigen System abzurücken. Schlösse man überdies nach dem Vorbild der skandinavischen Staaten eine Reduktionsmöglichkeit bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung aus, so würden in der Mehrzahl der Fälle, nämlich bei Schäden durch versicherte Kinder, die gerade genannten Probleme nicht auftreten: In den Fällen, in denen eine Haftpflichtversicherung besteht, bestünde damit auch nicht die Gefahr unvorhersehbarer Ergebnisse. Rechtsunsicherheit wäre nicht zu befürchten. Auch unserer Rechtsordnung ist im übrigen die Eröffnung von Ermessen nicht nur im öffentlichen Recht vertraut. Das Privatrecht kennt ebenfalls die Einräumung von weiten Ermessensspielräumen: Ein sehr weites Ermessen des Gerichts besteht beispielsweise bei der Bemessung der Mitverschuldensquote nach § 254 B G B , bzw. bei §§ 17 und 9 StVG. Insbesondere im Verkehrsunfallsprozeß gehört die Quotelung nach Ermessen des Gerichts zum festen Bestandteil der heutigen Rechtspraxis. Ein weiteres Beispiel ist die Vorschrift des § 343 B G B , die dem Gericht die Möglichkeit verleiht, eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen. Gerade diese Beispiele zeigen, daß es in bestimmten Fällen keinen anderen Weg gibt, als dem Gericht ein weites Ermessen einzuräumen, um überhaupt angemessene Ergebnisse erzielen zu können. Ingesamt fallen daher die Einbußen bei der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Ergebnisse richterlicher Entscheidungen gegenüber den oben dargestellten (vgl. oben a)) Vorteilen des richterlichen Ermessensspielraums nicht sehr ins Gewicht. dd) Zunahme der Rechtsstreitigkeiten? Schon bisher sind schwierige Rechtsfragen bei der Kinderhaftung zu entscheiden (Wann liegt Einsichtsfähigkeit vor? Was ist alterstypische Sorgfalt?). Durch die Einführung einer Reduktionsklausel wird die Rechtslage noch komplizierter. Nunmehr hätte das Gericht auch noch in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob Umstände vorliegen, die eine Reduktion der Ersatzpflicht rechtfertigen. Ferner müßte es festlegen, wie weit die Reduktion reichen soll. Angesichts dieser zusätzlichen rechtlichen Schwierigkeiten bei der Behandlung von Schadensfallen durch Kinder könnte es zu einem Anstieg der Rechtsstreitigkeiten kommen. Dies würde höhere „soziale Kosten" mit sich bringen. Soweit jedoch - wie oben ausgeführt in den meisten Fällen - eine Haftpflichtversicherung für den minderjährigen Schädiger besteht, wäre dieses Problem nicht zu befürchten. Das Einstehen einer Haftpflichtversicherung ließe die Frage überflüssig werden, ob zugunsten des Mindeijährigen die Reduktionsklausel angewandt werden müßte. Zusätzliche, schwierige Rechtsfragen stellten sich damit

252

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

nicht. Ausgenommen wären lediglich Fälle, in denen der Schaden die Deckungssumme übersteigt - was ein extremer Ausnahmefall bleiben dürfte. Die verbleibenden Fälle, in denen die Rechtlage komplexer wird, dürften nicht sehr zahlreich sein, jedenfalls nur gering im Vergleich zur Anzahl von Haftpflichtprozessen

(insbesondere

Verkehrsunfallprozessen)

insgesamt.

Die

höheren

„sozialen Kosten" dürften sich daher in vernünftigen Grenzen halten, so daß dieser Nachteil im Vergleich zu den genannten Vorteilen der Reduktionsklausel und zur Notwendigkeit eines erweiterten Minderjährigenschutzes nicht schwer wiegt. ee) Schwierigkeiten bei der Feststellung der Vermögensverhältnisse des Minderjährigen i m Erkenntnisverfahren? Schließlich könnte gegen die Reduktionsklausel eingewandt werden, daß sie im Einzelfall dazu zwingt, bereits im Erkenntnisverfahren die Vermögensverhältnisse der Beteiligten feststellen zu müssen 123 . I m Rahmen des Erkenntnisverfahrens ist eine Feststellung der Vermögenslage des Schuldners allerdings durchaus möglich, wie die Praxis zu § 829 zeigt 1 2 4 . Bei der bloßen Einschränkbarkeit der Ersatzpflicht ergibt sich zudem noch ein Vorteil gegenüber der Situation bei Klagen aus § 829: Die Ersatzpflicht besteht anders als bei § 829 - grundsätzlich in voller Höhe. Soll die Ersatzpflicht ermäßigt werden, muß der Minderjährige die Umstände darlegen, die ausnahmsweise eine Herabsetzung der Ersatzpflicht rechtfertigen. Die Feststellung des Schuldnervermögens läßt sich hier also dadurch erreichen, daß die Beweislast für die Unverhältnismäßigkeit des Ersatzanspruchs dem Schuldner auferlegt wird. Er hat dann zu beweisen, daß er nur ein geringes Vermögen hat. Als Beweis könnte man hier ein Bestandsverzeichnis des Vermögens des Minderjährigen verlangen (ähnlich dem in § 807 ZPO geforderten Vermögensverzeichnis). Zwar kann der Minderjährige im Erkenntnisverfahren nicht zur eidesstattlichen Versicherung gezwungen werden, daß das Vermögensverzeichnis richtig und vollständig ist. Doch können jedenfalls minderjährige Schuldner unter 16 Jahren ohnehin nicht, auch nicht im Vollstreckungsverfahren,

zur eidesstattlichen Versicherung gezwungen werden,

weil ein Minderjähriger unter 16 Jahren den persönlich zu leistenden Eid (vgl. § 807 I I 2 ZPO i V m § 478 ZPO) wegen Eidesunmündigkeit (§ 393 ZPO analog) nicht leisten kann. Im übrigen sind die Vermögensverhältnisse eines Minderjährigen in aller Regel übersichtlich. Bei einem minderjährigen Schuldner droht damit nicht die Gefahr, daß sich das Gericht im Erkenntnisverfahren mit langwierigen Beweiserhebungen über die Vermögenslage des Minderjährigen Gewißheit verschaffen muß. 123 124

Vgl. dazu auch: in diesem Teil, 3. Abschnitt. BGHZ 76, 107; BGH NJW 1962, 2201; BGH NJW 1962, 1199.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

253

ff) Ergebnis Die Nachteile einer Reduktionsklausel für Minderjährige erwiesen sich im Vergleich zu den Nachteilen der anderen untersuchten Lösungen als am wenigsten schwerwiegend und fallen im Vergleich zu den mit ihr verbundenen Vorteilen nicht sehr ins Gewicht. Die Einführung einer Reduktionsklausel für Minderjährige kann daher empfohlen werden.

3. Vorschlag für den Anwendungsbereich der Reduktionsklausel Nachdem damit die Einführung einer Reduktionsklausel grundsätzlich positiv zu bewerten ist, sind nun die näheren Einzelheiten einer solchen Reduktionsklausel zu bestimmen. Zunächst ist der Anwendungsbereich der Reduktionsklausel festzulegen. Hierbei besteht zum einen die Möglichkeit, die einschränkbare Haftung für Minderjährige zwischen 7 und 18 Jahren einzuführen und es für Minderjährige unter 7 Jahren bei der Freistellung gemäß § 828 I (lediglich durchbrochen durch § 829) zu belassen (Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums). Zum anderen ist es denkbar, für alle Minderjährigen von 0 bis 18 Jahren unterschiedslos die einschränkbare Haftung einzuführen und die Haftungsfreistellung gemäß § 828 I abzuschaffen {von Bar). a) Freistellung sehr junger Kinder von der Verantwortlichkeit? Der rechtsvergleichende Teil hat gezeigt, daß in allen Staaten, ob im kontinentaleuropäischen oder im angloamerikanischen Rechtskreis, (anders nur in Frankreich seit 1984 und Mexico) Kinder in sehr jungem Alter von der Haftung freigestellt sind. Daß auch in den Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises ein bestimmtes Alter für die Haftung vorausgesetzt wird, ist besonders aufschlußreich: Hier sind die Gerichte zu einer Haftungsfreistellung sehr junger Kinder gelangt, obwohl es keine sie dahingehend bindenden Vorschriften gab und obwohl die römisch-rechtliche Doktrin der Haftungsfreistellung bei Einsichtsunfähigkeit in diesen Staaten augenscheinlich kaum Spuren hinterlassen hat. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich folgendes vergegenwärtigt: Die Gerichte des angloamerikanischen Rechtskreises waren mangels entgegenstehender Bestimmungen gezwungen, die allgemeinen deliktsrechtlichen Regeln auch auf Kinder anzuwenden. Bei Vorsatzdelikten hatten sie daher zu prüfen, ob das K i n d vorsätzlich gehandelt hat, bei dem Delikt der Fahrlässigkeit {negligence) ob das K i n d fahrlässig

mußten sie prüfen,

gehandelt hat. Hierbei ergaben sich nun erkennbar Schwie-

rigkeiten: denn es erschien zweifelhaft, ob ein K i n d in sehr jungem Alter überhaupt vorsätzlich im Rechtssinne handeln kann. Erst recht erschien zweifelhaft, ob sehr jungen Kindern überhaupt der V o r w u r f fahrlässigen

Verhaltens gemacht

werden kann. In zahlreichen Entscheidungen sind daher Schadensersatzklagen gegen Kinder abgewiesen worden, weil sehr jungen Kindern ein Vorsatz- oder

254

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung

Fahrlässigkeitsvorwurf nicht gemacht werden könne 1 2 5 . Bei Vorsatzdelikten wurde zur Begründung darauf abgestellt, ein sehr junges K i n d sei noch nicht in der Lage, den

erforderlichen

Willen,

ein

Rechtsgut

zu

verletzen,

zu

formen.

Bei

Fahrlässigkeit wurde darauf verwiesen, daß nur die für erne bestimmte Altersgruppe typische Sorgfalt verlangt werden könne, bei sehr jungen Kindern aber könne noch überhaupt keine Sorgfalt erwartet werden. Durch diese Überlegungen wird deutlich, daß sich - würde die Altersgrenze von 7 Jahren abgeschafft - auch in Deutschland bei Kleinkindern die Frage stellen würde, ob und inwieweit sie die in § 823 I B G B vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale vorsätzlich

oder fahrlässig

überhaupt erfüllen können. Diese Frage

würde sich nur dann nicht stellen, wenn in Deutschland wie in Frankreich streng objektive Sorgfaltsmaßstab des Verhaltens eines bonus pater familias

angewandt

werden würde. Da jedoch von der deutschen Rechtsprechung wie in den Staaten des angolamerikanischen Rechtskreises der alterstypische Sorgfaltsmaßstab angewandt wird, würden die Gerichte diese Frage zu beantworten haben. Die Klärung dieser wichtigen und zugleich sehr schwierigen Frage sollte aber nicht den Gerichten überlassen, sondern durch den Gesetzgeber entschieden werden. In Übereinstimmung mit fast den gesamten untersuchten Rechtsordnungen wird hierbei davon auszugehen sein, daß bei Kleinkindern der V o r w u r f des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit

nicht erhoben werden kann: von Kleinkindern kann weder gesagt

werden, daß sie in der Lage sind, einen rechtlich erheblichen Willen zu formen (davon geht auch § 104 I B G B aus); noch kann von Kleinkindern - mangels genügender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - irgendeine Sorgfalt verlangt werden. Deshalb sollte der Gesetzgeber durch eine besondere Regel, wie sie § 828 I B G B enthält, aussprechen, daß Kleinkinder nicht verantwortlich sind.

b) Festlegung einer Altersgrenze? Sodann ist zu entscheiden, ob das Erreichen eines bestimmten Alters darüber entscheiden soll, ob das Kleinkind freigestellt wird. Immerhin sehen zahlreiche Rechtsordnungen hierfür keine Altersgrenze vor (so die Schweiz, Italien, Österreich, die skandinavischen Staaten). M i r scheint eine feste Altersgrenze vorzugswürdig: Eine gesetzlich festgelegte Altersgrenze kommt den Bedürfnissen der Praxis entgegen. Eine schwierige Wertungsfrage wird vom Gesetzgeber entschieden und bleibt nicht den Gerichten überlassen.

125

Vgl. zu diesen Entscheidungen 2. Teil, 2. Abschnitt, B.

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

255

c) Festlegung der Altersgrenze auf 7 Jahre? Wie bereits oben dargestellt 126 , kann weder mit entwicklungspsychologischen oder psychiatrischen Untersuchungen noch mit anderen Argumenten schlüssig begründet werden, daß eine höhere Altersgrenze als die bisherige von 7 Jahren besser geeignet wäre, Kinder, von denen eine gewisse Einsicht und Sorgfalt begründetermaßen erwartet werden kann, von den Kindern zu scheiden, von denen dies nicht erwartet werden kann. Andererseits zeigen die oben 1 2 7 erwähnten entwicklungspsychologischen und kinderpsychiatrischen Erkenntnisse, daß das Alter von 6-7 Jahren einen bedeutenden Einschnitt in der körperlichen und geistigen Entwicklung markiert, so in Bezug auf das akustische Bewußtsein, das Positionsbewußtsein, die Wahrnehmungsfähigkeit,

Einsicht, Konzentration,

Selbstbeherr-

schung und Verantwortungsgefühl. Angesichts dessen besteht auch kein Anlaß, die bisherige Altersgrenze nach unten zu korrigieren. Sie sollte deshalb beibehalten werden.

d) Freistellung einsichtsunfähiger Minderjähriger? Sodann stellt sich die Frage, ob neben Minderjährigen unter 7 Jahren auch einsichtsunfähige Minderjährige über 7 Jahren von jeder Haftung freigestellt werden sollten; anders gesagt: ob die Einsichtsfähigkeit bei Mindeijährigen über 7 Jahren als Haftungsvoraussetzung beibehalten werden soll. Durch einen Wegfall der Einsichtsfähigkeit würde sich in der Praxis

kaum

etwas ändern, denn das Merkmal der Einsichtsfähigkeit hat in der Praxis nahezu kerne Bedeutung. Die Rechtsprechung sieht, wie oben gesehen 128 , fast jeden M i n derjährigen über 7 Jahren als einsichtsfähig an. Sie stellt lediglich auf die allgemeine Fähigkeit zur Einsicht, nicht auf die konkrete Einsicht in der betreffenden Situation ab; und sie läßt bereits die Einsicht in die allgemeine

Gefährlichkeit

einer Handlung genügen 129 . Insofern ist die Frage, ob der Einwand der Einsichtsunfähigkeit nach § 828 I I 1 gestrichen werden sollte, von nur sehr geringer praktischer Bedeutung. Da jedoch seltene atypische Fälle möglich sind - insbesondere Fälle von in der Reife nachweisbar stark zurückgebliebenen Kindern -, in denen der § 828 I I 1 noch eine Schutzwirkung entfaltet, erscheint eine Beibehaltung des § 828 I I 1 auch nicht als völlig sinnlos. Eine Abschaffung des § 828 I I 1 ist daher weder von praktischer Wichtigkeit noch erscheint sie als dringend geboten.

126 127 128 129

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

in diesem Teil, diesem Abschnitt, A. II. unter (3). in diesem Teil, diesem Abschnitt, A. II. unter (3). 1. Teil, 1. Abschnitt, Β. I. 1. Teil, 1. Abschnitt, A. II. 1.

256

3. Teil: Möglichkeiten einer Begrenzung der Minderjährigenhaftung e) Ergebnis

Die Freistellung Minderjähriger unter 7 Jahren gemäß § 828 I und einsichtsunfähiger Minderjähriger über 7 Jahren gemäß § 828 I I 1 kann beibehalten werden. Die Reduktionsklausel würde damit nur auf Minderjährige Anwendung finden, deren Verantwortlichkeit nicht bereits nach § 828 I und § 828 I I 1 ausgeschlossen ist.

4. Vorschlag für die nähere Ausgestaltung der Reduktionsklausel Nachdem der Anwendungsbereich der Vorschrift abgesteckt ist, müßte noch die nähere Ausgestaltung der Reduktionsklausel festgelegt werden. Die Reduktionsklausel sollte sich nicht mit einer allgemeinen Billigkeitsformel begnügen, etwa derart, daß die Ersatzpflicht herabzusetzen ist, „wenn es billig ist". Dem Gericht sollten vielmehr auch Hilfen und Leitlinien zur Verfügung stehen, wie es das ihm eingeräumte Ermessen ausüben soll. Das Gesetz sollte dem Gericht daher die Gesichtspunkte an die Hand geben, die es bei der Bemessung der Ersatzpflicht in die Entscheidung einbeziehen soll. I m einzelnen sollten folgende Punkte brücksichtigt werden: (1) Aus den obigen Ausführungen folgt zunächst, daß die Vermögenslage des Minderjährigen und das Bestehen einer Haftpflichtversicherung

zu den maßgebli-

chen Gesichtspunkten gehört. (2) Ein wichtiger Gesichtspunkt sind ferner Art und Umstände der schädigenden Handlung.

Die Möglichkeit einer Einschränkung der Ersatzpflicht soll auch

den unversicherten und vermögenslosen Minderjährigen nicht ermutigen, einen anderen absichtlich (d.h. mit dolus directus) zu schädigen. Bei der Bemessung der Ersatzpflicht sollten daher auch Art und Umstände der schädigenden Handlung berücksichtigt werden können. Dabei wird bewußt die Formulierung Art Umstände der schädigenden

Handlung

und

vorgeschlagen und nicht der Grad des

Verschuldens. Denn zum einen liegt die vorsätzliche Verwirklichung des 823 I bereits vor, wenn die Eigentums- bzw. Körperverletzung vorsätzlich war, während sich der Vorsatz nicht auf den Schaden und nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität zu beziehen braucht 1 3 0 . Gerade in Fällen, in denen sich der Schädiger die eingetretenen Folgen überhaupt nicht vorgestellt hat und, hätte er sie sich vorgestellt, keinesfalls gewollt hätte - diese Fälle werden gerade bei Kindern häufig sein 1 3 1 -, kann auch bei einer vorsätzlichen Verwirklichung des § 823 I eine Herabsetzung der

130 131

So Canaris, JZ 1990, 679 (681). Vgl. den Beispielsfall bei Canaris, JZ 1990, 679 (681).

4. Abschnitt: Änderungen des materiellen Zivilrechts

257

Ersatzpflicht angebracht sein. Die Herabsetzung der Ersatzpflicht sollte daher bei vorsätzlichen wie bei fahrlässigen Handlungen möglich sein 1 3 2 . Z u m andern könnte ein Abstellen auf den Grad des Verschuldens dazu verleiten, die Begriffe leichte Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz ohne weiteres und ungeprüft auf Minderjährige anzuwenden. Es kann aber aus jugendpsychologischer Sicht problematisch sein, beispielsweise den Begriff der groben Fahrlässigkeit auf die intellektuelle und emotionale Entwicklungsstufe von Kindern und Jugendlichen zu übertragen 133 . Schließlich kann auch eine bei Erwachsenen als vorsätzlich (wobei j a schon Eventualvorsatz reicht) einzustufende Schädigung einer typisch kindlichen unbeherrschten Handlungsweise entspringen und die Handlung daher in milderem Licht erscheinen lassen. Das Gericht hat daher bei der Bewertung der Handlung auch immer das Alter und die Entwicklung

des M i n -

derjährigen zu Grunde zulegen. (3) Aus den obigen Überlegungen folgt schließlich, daß der Schutz des Geschädigten bei der Neuregelung beachtet werden muß. Deshalb ist zu berücksichtigen, wenn der Schaden beim Opfer zur Existenzbedrohung führt, etwa durch Krankheit oder/und Arbeitsunfähigkeit, weil das Opfer nicht versichert oder seinerseits finanziell schlecht gestellt ist 1 3 4 . Auch die Folgen der Handlung wirtschaftlichen

Verhältnisse

und die

des Opfers sind daher Gesichtspunkte, die in die

Abwägung einbezogen werden können. A u f diesen Überlegungen fußend schlage ich folgende - dem § 828 als Absatz 3 anzufügende - Bestimmung vor: (3) Wenn die Verantwortlichkeit des Minderjährigen nicht bereits nach Absatz 1 oder Absatz 2 ausgeschlossen ist, so kann, soweit es die Billigkeit erfordert, die Ersatzpflicht des Minderjährigen gemindert werden, wobei dessen Alter und Entwicklung, Art, Umstände und Folgen der schädigenden Handlung, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien sowie deren Versicherungsschutz zu berücksichtigen sind.

132 133 134

Canaris, JZ 1990,679(681). OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (793). So auch OLG Celle, NJW-RR 1989, 791 (793).

17 Goecke

Zusammenfassung der Ergebnisse und Vorschlag für eine Gesetzesinitiative In Teil 1 der Untersuchung wurde zunächst das geltende Recht der Deliktshaftung Minderjähriger und ihre Entstehungsgeschichte dargestellt und einer Bewertung unterzogen. Die Bewertung der unbegrenzten Deliktshaftung Minderjähriger in Teil 1 ergab, daß die geltende Regelung den Minderjährigenschutzgedanken zu sehr vernachlässigt und daß im Einzelfall erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der unbegrenzten Haftung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen aus Art. 1 I i V m Art. 2 I bestehen. Nachdem somit festgestellt wurde, daß die geltende Regelung geändert werden muß, um eine Milderung der Haftung des Minderjährigen zu erreichen, wurden in Teil 2 zunächst die Regelungen anderer Staaten zu dieser Frage untersucht, um hierdurch Anregungen und Anschauungsobjekte für Änderungsmöglichkeiten zu gewinnen. Der Rechtsvergleich zeigte, daß die im B G B getroffene Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger nicht selbstverständlich ist und der Minderjährigenschutz im Deliktsrecht vieler Staaten sehr viel weiter geht als in Deutschland. Insbesondere zeigte sich, daß Minderjährige z.B. in den skandinavischen Staaten Schweden, Norwegen, Finnland, Island, sowie in der Schweiz und in den Niederlanden durch die Möglichkeit zur Herabsetzung der Ersatzpflicht vor übermäßig hohen Schadensersatzverpflichtungen geschützt werden, und daß in zahlreichen weiteren Staaten, so etwa Österreich, Dänemark und Polen weitreichende Haftungsmilderungen immerhin für Minderjährige unter 13-16 Jahren gelten. Die Regelungen der Staaten, die den Minderjährigen stärker schützen als Deutschland, konnten entsprechend der Zielvorgabe des Teils 2 als Anregungen und Anschauungsobjekte der Untersuchung von Änderungsmöglichkeiten

im

deutschen Recht (Teil 3) zugrunde gelegt werden. Diese Untersuchung der Änderungsmöglichkeiten, ihrer Vor- und Nachteile sowie ihrer praktischen Auswirkungen ergab, daß es eine ideale Lösung des Problems nicht gibt, vielmehr jede Lösungsmöglichkeit auch Nachteile in sich birgt. Unter den untersuchten Lösungsmöglichkeiten zeigte sich die Einführung einer Reduktionsklausel für Minderjährige als am ehesten geeignet. Die Nachteile dieser Lösung erwiesen sich als am wenigsten schwerwiegend und fielen im Vergleich zu den mit ihr verbundenen Vorteilen nicht sehr ins Gewicht. A u f Grund dessen wurde ein Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgeschlagen, mit dem in § 828 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (abgedruckt im Anhang dieser Arbeit) folgender Absatz 3 angefugt wird:

Zusammenfassung und Vorschlag für eine Gesetzesinitiative

259

(3) Wenn die Verantwortlichkeit des Mindeijährigen nicht bereits nach Absatz 1 oder Absatz 2 ausgeschlossen ist, so kann, soweit es die Billigkeit erfordert, dessen Ersatzpflicht gemindert werden, wobei Alter und Entwicklung des Minderjährigen, Art, Umstände und Folgen der schädigenden Handlung, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien sowie deren Versicherungsschutz zu berücksichtigen sind. M i t der vorliegenden Arbeit verbindet sich zugleich die Hoffnung, daß die Bundesregierung im Geiste ihrer in der Ratifikationsurkunde zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderkonvention) 1 i m Jahr 1992 abgegebenen Erklärung 2 , wonach „...sie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes als einen Meilenstein der Entwicklung des internationalen Rechts begrüßt und die Ratifizierung zum Anlaß nehmen wird, Reformen des innerstaatlichen Rechts in die Wege zu leiten, die dem Geist des Übereinkommens entsprechen und die sie nach Artikel 3 Abs. 2 des Übereinkommens für geeignet hält, dem Wohlergehen des Kindes zu dienen/4, das Inkrafttreten der Kinderkonvention zum Anlaß nimmt, auch eine Gesetzesinitiative zur Änderung der gegenwärtig bestehenden unbegrenzten Haftung M i n derjähriger einzubringen. Die weitaus minderjährigenfreundlicheren Regelungen in den meisten unserer Nachbarstaaten - der Schweiz, der Niederlande, Österreichs, Polens und Dänemarks - sowie in den übrigen skandinavischen Staaten könnten dem deutschen Gesetzgeber hierbei die Richtung angeben. Die Richtschnur für eine solche Gesetzesinitiative müßte in jedem Fall die Präambel der Kinderkonvention sein, wonach „...das Kind 3 wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, insbesondere eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt, bedarf." Es würde mich freuen, wenn ich mit der vorliegenden Arbeit und dem darin vorgetragenen Reformvorschlag den Vorbereitungen einer solchen Gesetzesinitiative gedient haben könnte.

1

Text der Konvention: vgl. BGBl. 1992 II, S.121. BGBl. 1992 II, S.990. 3 "Kind" im Sinne der Konvention ist jede Person unter 18 Jahren, soweit nicht in einem Staat die Volljährigkeit vor Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt (vgl. Art. 1 der Kinderkonvention): in Deutschland also jeder Minderjährige. 2

Anhang

Abdruck der gesetzlichen Bestimmungen zur Deliktshaftung Minderjähriger in den untersuchten Staaten Ägypten, Libyen Ägypt. CC v. 29.7.1948; Lib. CC ν. 20.2.1954 Art. 167 Lib. Civil Code = Art. 164 Ägypt. Civil Code1. Abs. 1 Every person in possession of discretion is responsible for his unlawful acts. Abs. 2 When an injury is caused by a person not in possession of discretion the Jugde may, if no one is responsible for him, or if the victim of the injury cannot obtain reparation fromthe person responsible, condemn the person causing injury to pay equitable damages, taking in account the position of the parties.

Albanien ZGB v. 26.6.1981

2

Art. 338 Abs. 1. Ein Minderjähriger, der das Alter von 14 Jahren nicht vollendet hat, haftet nicht für den von ihm verursachten Schaden. Für diesen Schaden haften seine Eltern oder der Vormund. Art. 339 Abs. 1. Ein Minderjähriger, der das Alter von 14 Jahren vollendet hat, haftet für den von ihm verursachten Schaden. Abs. 2. Bezieht ein Minderjähriger, der das Alter von 14 Jahren vollendet hat, keine Arbeitseinkünfte oder hat er kein eigenes Vermögen, haften für den von ihm verursachten Schaden die Eltern oder sein Vormund.

Argentinien Codigo Civil vom 29.9.1869 3 Art. 1076 Satz 2. El demente y el menor de diez afios no son responsables de los perjuicios que causaren.

Art. 1076 Satz 2. Der Geisteskranke und der Minderjährige unter 10 Jahren sind nicht verantwortlich für Schäden, die sie verursacht haben.

1 Englische Übersetzung in: Ansell/Massaud al-Arif: The Libyan Civil Code, an English translation and a comparison with the Egyptian Civil Code, ... 2

Deutsche Übersetzung abgedruckt in: WGO-MfOR 1986, 109 ff.

3

Übersetzung des Verf.

Anhang

261

Brasilien Côdigo Civil vom 1.1.19164 Art. 5. Säo absolutamente incapazes de exercer pessoalmente os atos da vida civil: I. os menores de 16 (dezesseis) anos

Art. 5 Vollständig (absolut) unfähig, persönlich die Rechtshandlungen des bürgerlichen Lebens auszuführen, sind: I. die Minderjährigen unter sechzehn Jahren

Art. 156. Ο menor, entre dezeseis e vinte e um annos, equipara-se ao maior quanto as obrigaçoes résultantes de actos illicitos, em que for culpado.

Art. 156. Der Minderjährige zwischen sechzehn und einundzwanzig Jahren wird einem Volljährigen gleichgestellt in bezug auf Verbindlichkeiten aus unerlaubten Handlungen, die ihm zur Last fallen.

Chile Côdigo Civil vom 1.1.1857 s Art. 2319 Abs. 1. No son capaces de delito ο cuasidelito los menores de siete anos... Abs. 2. Queda a la prudencia del juez determinar si el menor de dieciséis anos ha cometido el delito ο cuasidelito sin discernimento; y en este caso se seguirâ la regia del inciso anterior.

Art. 2319 Abs. 1. Unfähig zur Begehung eines Delikts oder Quasidelikts sind Minderjährige unter sieben Jahren... Abs. 2. Es verbleibt der Klugheit des Richtes zu bestimmen, ob der Minderjährige unter sechzehn Jahren bei der Begehung des Delikts oder Quasidelikts ohne Einsicht handelte; und in diesem Fall ist die Folge die Regel des vorherigen Absatzes.

Republik China (Taiwan) BGB, Zweites Buch v. 22.11.1929, in Kraft seit 5.5.1930 6 Art. 187 Abs. 1. A person without disposing capacity or limited in disposing capacity, who has wrongfully injured the rights of another, shall be liable jointly with his statutory representative for any damages arising therefrom if he is capable of discernement at the time of committing the act. If he is capable of discernement at the time of committing the act, his statutory agent alone shall be liable for such damages.

4

Deutsche Übersetzung in: Die Zivilgesetze der Gegenwart (Hrsg. Karl Heinsheimer), Bd. 3, Mannheim/Berlin/Leipzig 1928. 5 6

Übersetzung des Verf.

Englische Übersetzung in: Civil Code of the Republic of China, translated by Ching-Lin Hsia/J.E.Chow/Lin Chieh/Yukon Chang, Shanghai u.a. 1931.

262

Anhang

Abs. 3. I f compensation cannot be obtained according to the provisions of the two preceding paragraphs, the Court may, on the application of the injured party, take into consideration the fmancial conditions of the doer and the injured party, and order the doer to compensate for a part or the whole of the damages.

Volksrepublik China Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts Kraft seit 1.1.1987 (vgl. § 156) 7

der Volksrepublik

China vom 12.4.1986, in

§ 133. Abs. 1 Satz 1. Wenn ein nicht oder begrenzt Zivilgeschäftsfähiger die Schädigung eines anderen herbeifuhrt, übernimmt der Vormund die zivile Haftung. Wenn der seiner Verantwortung als Vormund voll nachgekommen ist, kann seine zivile Haftung entsprechend ermäßigt werden. Abs. 2. Wenn ein nicht oder begrenzt Zivilgeschäftsfahiger, der Vermögensgut hat, die Schädigung eines anderen herbeiführt, wird der Ersatz für die Aufwendungen aus seinem Vermögensgut gezahlt. Der nicht gedeckte Teil wird vom Vormund entsprechend gedeckt, außer wenn eine Einheit die Vormundschaft übernommen hat. [Begrenzt zivilgeschäftsfähig sind gemäß § 12 Minderjährige über zehn Jahren, nicht zivilgeschäftsfähig sind Minderjährige unter zehn Jahren. § 16 ergibt, daß Vormund grundsätzlich die Eltern sind, wenn nicht vorhanden, dann Verwandte wie Großeltern, rüder usw.]

Dänemark

Lov om Umyndighed afVœrgemàl (Myndighedsloven) (Gesetz über Unmündigkeit u Vormundschaft [Mündigkeitsgesetz]) vom 30.6.1922 in der Fassung vom 3.10.1985 [Gesetz Nr. 443] 8 § 63. Barn under 15 âr er erstatningspligtigt for skadegerende handlinger efter samme regier som personer over denne alder, dog kan erstatningen nedsaettes eller endog helt bortfalde, for sà vidt det findes billigt pâ grund af manglende udvikling hos barnet, handlingens beskaf-

§ 63. Ein Kind unter 15 Jahren ist für schadensstiftende Handlungen nach denselben Vorschriften ersatzpflichtig wie Personen, die älter sind; der Schadensersatz kann jedoch herabgesetzt werden oder sogar ganz wegfallen, soweit dies als billig anzusehen ist aufgrund fehlen-

7

Deutsche Übersetzung bei: Münzel, Frank (Hrsg.), Chinas Recht (Loseblattsammlung, Hamburg), Nr. 12.4.1986/1. 8

Abgedruckt in: Karnov's Lovsamling, 13 Ausgabe, Kopenhagen 1993, Band 3, S.4247 (4263). Deutsche Übersetzung in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Dänemark, S.75.

Anhang jfenhed og omstaendighederne i ovrigt, derunder navnlig forholdet mellem den skadegorendes og den skadelidendes evne til at baere tabet og udsigten til, at skaden kan fàs godtgjort hos andre.

263

der Entwicklung des Kindes, der Beschaffenheit der Handlung und der sonstigen Umstände, darunter namentlich des Verhältnisses zwischen der Fähigkeit des Schädigers und des Geschädigten, den Verlust zu tragen, und der Aussicht dararuf, daß von anderen Ersatz erlangt werden kann.

Deutschland BGB vom 18.8.1896 § 828. Abs. 1 Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Abs. 2 Wer das siebente, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufugt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Das gleiche gilt von einem Taubstummen. § 829. Wer in einem der in den §§ 823 bis 826 bezeichneten Fälle für einen von ihm verursachten Schaden auf Grund der §§ 827, 828 nicht verantwortlich ist, hat gleichwohl, sofern der Ersatz des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann, den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum angemessenen Unterhalte sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.

El Salvador Côdigo Civil (amtl. Fassung festgelegt am 20.11.1912) 9 Art. 2070 Abs. 1. No son capaces de delito, cuasidelito ο falta, los menores de diez afios... Abs. 2. Queda a la prudencia del Juez determinar si el menor de quince anos ha cometido el delito ο cuasidelito sin discernimiento; y en este caso se seguirâ la regia del inciso anterior.

9

Übersetzung des Verf.

Art. 2070 Abs. 1. Unfähig zur Begehung eines Delikts oder Quasidelikts sind Minderjährige unter zehn Jahren.. Abs. 2. Es verbleibt der Klugheit des Richters zu bestimmen, ob der Minderjährige unter fünfzehn Jahren bei der Begehung des Delikts oder Quasidelikts ohne Einsicht handelte; und in diesem Fall ist die Folge die Regel des vorherigen Absatzes.

Anhang

264

Finnland Schadensersatzgesetz vom 31.5.1974

10

Kapitel 2 § 2. Verursacht jemand, der noch nicht das 18. Jahr vollendet hat, einen Schaden, hat er den Schaden in dem Maße zu ersetzen, wie es im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung, die Art und Weise der Handlung, die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die übrigen Verhältnisse des Schadensverursachers und des Geschädigten für Recht erkannt wird.

Griechenland ZGB von 1940, in Kraft seit 23.2.1946

11

Art. 916. Wer das zehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, haftet nicht für den von ihm verursachten Schaden. Art. 917. Wer das zehnte, aber nicht das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat, haftet für den von ihm verursachten Schaden, es sei denn, daß er bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht hatte. Das gleiche gilt von einem Taubstummen. Art. 918. Wer Schaden verursacht hat, kann, sofern nach den Vorschriften der Art. 915 bis 917 nicht haftet, durch das Gericht, das die Verhältnisse der Beteiligten abzuwägen hat, zu einer angemessenen Entschädigung verurteilt werden, wenn der Schaden nicht anders ausgeglichen werden kann.

Guatemala Côdigo Civil v. 1.7.1964

12

Art. 1660. El menor de edad, pero mayor de quince afios, y el incapaz cuando obra en momentos de lucidez, son responsables de los daiïos ο perjuicios que ocasionen. En los demâs casos, son responsables los padres, tutores ο guardadores.

Art. 1660. Der Minderjährige über fünfzehn Jahren und der Geisteskranke, der in einem lichten Augenblick handelt, sind für die Schäden und Nachteile, die sie verursachen, verantwortlich. In den übrigen Fällen sind die Väter, Vormünder oder Aufseher verantwortlich.

10

Gesetz vom 31.5.1974, Finlands Författningssamling 1974 Nr. 412 S.765 ff. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: VersRAI 1995, 14. 11

Deutsche Übersetzung in: Materialien zum ausländ, und internat. Privatrecht, (Hrsg.: Max-Planck-Institut für ausländ, und internat. Privatrecht), Bd. 1, Das Zivilgesetzbuch von Griechenland (1940) mit Einführungsgesetz, Berlin/Tübingen 1951. 12 Übersetzung des Verf.

Anhang

265

Island Gesetz über die Mündigkeit Nr. 95 vom 5.6.1947 13 § 21 Abs. 2. Der Unmündige muß dem Vertragsgegner dessen Verlust ersetzen, wenn er einen Betrug begangen oder in anderer Weise sich bei dem Vertragsschluß oder bei der Ablieferung der im Vertrag bedungenen Werte vergangen, oder durch strafbares Verhalten den Untergang der Werte verursacht hat, die er auf Grund des Vertrages zurückgeben muß. Das Gericht kann jedoch den Erstattungsbetrag unter angemessener Berücksichtigung des Verschuldens und der Höhe des Verlustes, der Vermögensverhältnisse des Unmündigen usw. herabsetzen.

Satz 2 wird analog auf andere Deliktsansprüche gegen Minderjährige

angewandt

Italien Codice Civile von 1942 14 Art. 2046. Non risponde delle conseguenze dal fatto dannoso chi non aveva la capacità d'intendere ο di volere al momento in cui lo ha commesso... Art. 2047 Abs. 2. Nel caso in cui il danneggiato non abbia potuto ottenere il risarcimento da chi è tenuto ail sorveglianza, il guidice, in considerazione delle condizioni economiche delle parti, puö condannare l'autore del danno a un'equa indennità.

Art. 2046. Wer in dem Zeitpunkt, in dem er die schädigende Handlung begangen hat, die Einsichts- oder Willensfähigkeit nicht hatte, haftet nicht für die Folgen der schädigenden Handlung... Art. 2047 Abs. 2. Hat der Geschädigte von der aufsichtspflichtigen Person den Ersatz nicht erlangen können, so kann der Richter mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien den Urheber des Schadens zu einer billigen Entschädigung verurteilen.

Japan Japan. BGB vom 27.4.1896

15

Art. 712. Ein Minderjähriger, der einem anderen Schaden zugefügt hat, ist wegen seiner Handlung nicht zu Schadensersatz verpflichtet, wenn er zum Zeitpunkt der Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gehabt hat.

13

Deutsche Übersetzung in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Kindschaftsrecht, Island, Nr. 5 der abgedruckten Gesetze. 14

Deutsche Übersetzung in: Materialien zum ausländ, und internat. Privatrecht, hrsg. vom Max Planck Inst, für ausländ, und internat. Privatrecht, Bd. 6, Berlin 1965. 15

Deutsche Übersetzung in: Das japanische BGB in dt. Sprache, Köln u.a. 1983.

Anhang

266

Staaten des ehemaligen Jugoslawien Bundesgesetz über Obligationen von 1978 16 Art. 160. Abs. 1 Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet hat, haftet nicht für den Schaden, den er einem anderen zufügt. Abs. 2 Ein Minderjähriger nach vollendetem siebenten aber noch nicht vollendetem vierzehnten Lebensjahr haftet für den Schaden ebenfalls nicht, es sei denn, es wird bewiesen, daß der Minderjährige bei der Schadenszufügung urteilsfähig war. Abs. 3 Ein Minderjähriger, der das vierzehnte Lebensjahar vollendet hat, haftet nach den allgemeinen Regeln der Schadenshaftung. Art. 169. Abs. 1 Hat eine Person einen Schaden verursacht, für den sie nicht verantwortlich ist und kann Ersatz von der aufsichtspflichtigen Personen nicht erlangt werden, so kann das Gericht, sofern es die Billigkeit und besonders die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und Geschädigten erfordern, anordnen, daß der Schädiger den Schaden ganz oder teilweise zu ersetzen hat. Abs. 2 Hat ein Minderjähriger, der nicht imstande ist, den Schaden zu ersetzen, den Schaden zugefügt, so kann das Gericht die Eltern zu vollständigem oder teilweisem Schadensersatz verurteilen, auch wenn sie kein Verschulden trifft, sofern es die Billigkeit besonders mit Rücksicht auf ihre und des Geschädigten wirtschaftliche Verhältnisse erfordern.

Kolumbien Côdigo Civil vom 26.5.1873

17

Art. 2346. Los menores de diez anos no son capaces de cometer delito ο culpa...

Art. 2346. Die Minderjährigen unter zehn Jahren sind nicht fähig, ein Delikt zu begehen oder schuldhaft zu handeln.

Republik Korea (Südkorea) Korean. BGB vom 22.2.1958

18

Art. 753. Der Minderjährige ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte.

16

Übersetzung abgedruckt bei RadiSiè, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa: Jugoslawien, S. 65. 17

Übersetzung des Verf.

18

Deutsche Übersetzung in: Koreanisches Bürgerliches Gesetzbuch, Frankfurt a.M.

1980.

Anhang

267

Libanon Code des obligations et contrats ν. 9.3.1932 Art. 122 Abs. 2. L'incapable est obligé par ses actes illicites pourvu qu'il ait agi avec discernement. Abs. 3. En cas de dommage causé par une personne privée de discernement, si la victime n'a pu obtenir réparation de lui qui est tenu de la surveillance, les juges peuvent, en considération de la situation des parties, condamner l'auteur du dommage à une indemnité équitable.

Mexiko Côdigo Civil Federal v. 26.5.1928, in Kraft Art. 1911. El incapaz que cause dano debe repararlo, salvo que la responsabilidad recaiga en las personas de él encargadas, conforme lo dispuestos en los articulos 1919, 1920, 1921, 1922.

1.10.1932 19

Art. 1911. Der Geschäfts- (bzw. Delikts-) unfähige, der Schaden verursacht, muß ihn ersetzen, außer die Verantwortlichkeit fällt auf die seinetwegen beauftragten Personen gemäß der Art. 1919, 1920, 1921 und 1922.

[Aus Art. 1919, 1920 ergibt sich, daß die Eltern und andere Aufsichtspflichtige für schädigende Handlungen minderjährigen Kinder haften, es denn (§ 1922), sie können nachweisen, daß sie den Schaden nicht verhindern konnten]

Niederlande Nieuwe Burgerlijk Wetboek (Neues Bürgerliches Gesetzbuch), in Kraft seit 1.1.1992 20 Boek 6 Art. 164. Een gedraging van een kind dat de leeftijd van veertien jaren nog niet heeft bereikt, kan aan hem niet als een onrechtmatige daad worden toegerekend.

Buch 6 Art. 164. Ein Verhalten eines Kindes, das noch nicht vierzehn Jahre alt ist, kann ihm nicht als unerlaubte Handlung zugerechnet werden.

Boek 6 Art. 169. 1. Voor schade aan een derde toegebracht door een als een doen te beschouwen gedraging van een kind dat nog niet de leeftijd van veertien jaren heeft bereikt en aan wie deze gedraging als een onrechtmatige daad

Buch 6 Art. 169. 1. Für Schaden, der einem Dritten durch ein als ein Tun anzusehendes Verhalten eines Kindes zugefugt wird, das noch nicht vierzehn Jahre alt ist, und dem dieses Verhalten als unrechtmäßige Tat zugerechnet werden

19

Übersetzung des Verf.

20

Übersetzung des Verf.

268

Anhang

zou kunnen worden toegerekend zijn leeftijd daaraan niet in de weg zou staan, is degene die de ouderlijke macht of de voogdij over het kind uitoefent, aansprakelijk.

würde, wenn sein Alter dem nicht entgegenstünde, ist derjenige verantwortlich, der die elterliche Gewalt oder die Vormundschaft über das Kind ausübt.

2. Voor schade, aan een derde toegebracht door een fout van een kind dat de leeftijd van veertien jaren al wel maar die van zestien jaren nog niet heeft bereikt, is degene die de ouderlijke macht of de voogdij over het kind uitoefent, aansprakelijk, tenzij hem niet kan worden verweten dat hij de gedraging van het kind niet heeft belet.

2. Für Schaden, der einem Dritten durch das Fehlverhalten eines Kindes zugefügt wird, das über vierzehn Jahre aber noch nicht sechzehn alt Jahre ist, ist derjenige verantwortlich, der die elterliche Gewalt oder die Vormundschaft über das Kind ausübt, es sei denn, ihm kann nicht vorgeworfen werden, daß er das Verhalten des Kindes nicht verhindert hat.

Norwegen Lov om skadeserstatning

(Gesetz über Schadensersatz) vom 13.6.1969 21

Kapitel 1 § 1-1 Barn og ungdom under 18 âr plikter à erstatte skade som de voider forsettlig eller uaktsomt, for sâ vidt det finnes rimelig under hensyn til alder, utvikling, utvist adferd, okonomisk evne og forholdene ellers.

Kapitel 1 § 1-1. Kinder und Jugendliche unter achtzehn Jahren sind verpflichtet, einen Schaden zu ersetzen, den sie vorsätzlich oder fahrlässig verursacht haben, soweit es billig ist unter Berücksichtigung des Alters, der Entwicklung, des gezeigten Verhaltens, der wirtschaftlichen Verhältnisse und der übrigen Umstände.

Österreich ABGB von 1811 § 153. Soweit einem minderjährigen ehelichen Kind nicht bereits früher ein Verschulden zugerechnet werden kann (§ 1310), wird es, vorbehaltlich des § 866, mit der Erreichung der Mündigkeit nach den schadensersatzlichen Bestimmungen verschuldensfähig. § 21 Abs. 2. ...Innerhalb der Gruppe der Minderjährigen sind unter Unmündigen diejenigen zu verstehen, die das vierzehnte...Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

21

In: Norges Lover 1682-1989, Oslo 1990, 13. Juni. Nr. 26. 1969, in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Igney, S. 192: Allerdings war der Name des Gesetzes damals noch "Lov om skadeserstatning i visse forhold", vgl. Norges Lover 1682-1969, 13.Juni. Nr. 26. 1969.

Anhang

269

§ 1308. Wenn Wahn- oder Blödsinnige oder Unmündige jemanden beschädigen, der durch irgendein Verschulden hierzu selbst Veranlassung gegeben hat, so kann er keinen Ersatz ansprechen. § 1309. Außer diesem Falle gebührt ihm der Ersatz von denjenigen Personen, denen der Schade wegen Vernachlässigung der ihnen über solche Personen anvertrauten Obsorge beigemessen werden kann. § 1310. Kann der Beschädigte auf solche Art den Ersatz nicht erhalten; so soll der Richter mit Erwägung des Umstandes, ob dem Beschädiger, ungeachtet er gewähnlich seines Verstandes nicht mächtig ist, in dem bestimmten Falle nicht dennoch ein Verschulden zur Last liege; oder, ob der Beschädigte aus Schonung des Beschädigers die Verteidigung unterlassen habe; oder endlich, mit Rücksicht auf das Vermögen des Beschädigers und des Beschädigten; auf den ganzen Ersatz, oder doch einen billigen Teil desselben erkennen.

Polen ZGB v. 23.4.1964 22 Art. 426. Ein Minderjähriger, der das dreizehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, haftet für einen von ihm verursachten Schaden nicht. Art. 428. Haftet der Schädiger wegen seines Alters...nicht und sind Aufsichtsverpflichtete nicht vorhanden oder kann von ihnen Schadensersatz nicht erlangt werden, so kann der Geschädigte ganz oder teilwese Schadensersatz vom Schädiger selbst verlangen, wenn sich aus den Umständen und insbesondere aus einem Vergleich des Vermögensstands des Geschädigten und des Schädigers ergibt, daß die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens dies erfordern.

Portugal Côdigo Civil von 1966 23 Art. 488. 1. Näo responde pelas consequências do facto danoso quem, no momento em que ο facto ocorreu, estava, por qualquer causa, incapacitado de entender ou querer... 2. Presume-se falta de imputabilidade nos menores de sete anos...

22

Art. 488. 1. Nicht verantwortlich für die Folgen einer schädigenden Handlung ist, wer in dem Moment ihrer Vornahme einsichts- und willensunfahig war... 2. Die Unzurechnungsfähigkeit wird bei Minderjährigen unter sieben Jahren vermutet...

Deutsche Übersetzung: Berichte des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin, Heft 69: Zivilgesetzbuch der Volksrepublik Polen, Berlin 1965. 23

Übersetzung des Verf.

270

Anhang

Art. 489. 1. Se ο acto causador dos danos tiver sido practicado por pessoa näo imputavel, pode esta, por motivo de equidade, ser condenada a reparâ-los, total ou pracialmente, desde que näo seja possivel obter a dévida reparaçâo das pessoas a quem incumbe a sua vigilância. 2. A indemnizaçâo sera, todavia, calculada por forma a näo privar a pessoa näo imputavel dos alimentos necessâiros, conforme ο seu estado e condiçâo...

Art. 489. 1. Wenn eine schädigende Handlung von einem Unzurechnungsfähigen begangen wird, kann dieser aus Gründen der Billigkeit verurteilt werden, den Schaden ganz oder teilweise zu ersetzen, vorausgesetzt, daß es nicht möglich ist, gehörigen Ersatz von den Personen zu erhalten, denen die Aufsicht über ihn obliegt. 2. Die Entschädigung soll jedoch auf solche Weise berechnet werden, daß sie den Unzurechnungsfähigen nicht der gemäß seinem Stand und Rang notwendigen Alimente beraubt...

Québec Code Civil von 1991 Art. 1457. Every person has a duty to abide by the rules of conduct which lie upon him...Where he is endowed with reason and fails in this duty, he is reponsible for any injury he causes to another person...

Rußland und Nachfolgestaaten der Sowjetunion Art. 450 ZGB der Russ. Föderation v. 1.10.1965 24 = 447 Weißruss.ZGB = 446 Ukrain.ZGB = 454 Estn. ZGB = 489 Litau.ZGB = 446 Kas.ZGB = 453 Armen.ZGB = 451 Turkmen.ZGB Für einen Schaden, den ein Minderjähriger, welcher nicht das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hat, verursacht, haften seine Eltern oder Vormünder, wenn sie nicht beweisen, daß der Schaden nicht durch ihr Verschulden entstanden ist.

Art. 451 ZGB der Russ. Föderation = 448 Weißruss.ZGB = 447 Ukrain.ZGB 455 Estn.ZGB = 490 Litau.ZGB = 446 Kas.ZGB = 454 Armen.ZGB = 452 Turkmen.ZGB Abs. 1. Verursachen fünfzehn- bis siebzehnjährige Minderjährige einen Schaden, haften sie dafür nach den allgemeinen Grundsätzen...

24

Deutsche Übersetzung abgedruckt in: Das Zivilgesetzbuch und das Ehe- und Familiengesetzbuch der RSFSR, übersetzt von Dietrich Frenzke, Berlin 1988.

=

Anhang

271

Schweden Skadestàndslag (Schadensersatzgesetz) Kapitel 2 § 2 Vàllar nâgon som ej fyllt aderton àr person- eller sakskada, skall han ersätta skadan i den màn det är skäligt med hänsyn tili hans âlder och utveckling, handlingens beskaffenhet, föreliggande anvarsförsäkring och andra ekonomiska förhällanden samt övriga omständigheter.

vom 2.6.1972

25

Kapitel 2 § 2. Verschuldet jemand, der noch nicht achtzehn ist, Personenoder Sachschaden, muß er den Schaden in dem Umfang ersetzen, wie es billig ist mit Rücksicht auf sein Alter, seine Entwicklung, die Beschaffenheit der Handlung, das Vorliegen einer Haftpflichtversicherung und die anderen wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die übrigen Umstände.

Schweiz ZGB v. 10.12.1907 Art. 18. Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeiführen. Art. 19 Abs. 1. Urteilsfähige unmündige oder entmündigte Personen können sich nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter durch ihre Handlungen verpflichten. Abs. 3. Sie werden aus unerlaubten Handlungen schadensersatzpflichtig. Art. 16. Urteilsfähig im Sinne des Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder....die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäß zu handeln.

Obligationengesetzbuch v. 1911 Art. 43 Abs. 1. Art und Größe des Ersatzes für eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Größe des Verschuldens zu würdigen hat. Art. 54 Abs. 1. Aus Billigkeit kann der Richter auch eine nicht urteilsfähige Person, die Schaden verursacht hat, zu teil weisem oder vollständigem Ersätze verurteilen.

25

Sveriges Rikes Lag, 130. Aufl., Uppsala 1992, S. 577. In deutscher Übersetzung abgedruckt bei Deutsch, Haftungsrecht I, S. 301 Fn. 37 und bei Igney, S.192.

Anhang

272

Spanien Côdigo penal von 1973

26

Art. 8. Estan exentos de responsabilidad criminal:

Art. 8. Von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit sind ausgenommen:

2. El menor de dieciséis anos.

2. Der Minderjährige unter 16 Jahren

Art. 20. La exencion de responsabilidad criminal declaradaen los nûmeros l.,2.,3.,7. und 10 del articulo 8. no comprende la responsabilidad civil, la cual se harâ efectiva son sujétion a las réglas siguientes:

Art. 20 Die Ausschließung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, die in den Nummern 1,2,3,7 und 10 des Artikels 8 bestimmt ist, gilt nicht auch für die zivilrechtliche Verantwortlichkeit, die sich nach folgenden Regeln richtet:

Primera : De los hechos que ejecutaren las personas senalades en los numéros 1., 2. y 3. del articulo 8., séran responsables civilmente quienes las tengan bajo su potestad ο guarda legal, siempre que hubiere por su parte culpa ο negligencia.

Erstens: In den Fällen 1,2 und 3 sind für Handlungen der Geisteskranken, der Minderjährigen unter 16 Jahren.. .diejenigen zivilrechtlich haftbar, die deren Gewalthaber oder gesetzlichen Aufsichtspersonen sind, ausgenommen in dem Falle, daß von ihrer Seite keinerlei Verschulden noch Nachlässigkeit vorliegt.

No habiendo persona que las tenga bajo su potestad ο guarda legal, ο siendo aquélla insolvente, responderân con sus bienes las propias personas a que hace referencia el pârrafo anterior, dentro de los limites que para el embargo de bienes seûalas las Leyes de Enjuiciamiento Civil y Criminal.

Ist weder ein Gewalthaber noch eine gesetzliche Aufsichtsperson vorhanden oder sind diese zahlungsunfähig, so haften die Geisteskranken, Minderjährigen oder Taubstummen selbst mit ihrem eigenen Vermögen innerhalb der Grenzen der Pfändungsvorschriften der Zivil- und Strafprozeßordnung.

26 Deutsche Übersetzung: Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher, Bd. 69, Das Spanische Strafgesetzbuch vom 23. Dezember 1944, Berlin 1955: Der Wortlaut der Art. 8 Nr. 2 und Art. 20 Nr. 1 Cödigo penal von 1944 simmt mit dem der Art. 8 Nr. 2 und 20 Nr. 1 Cödigo penal von 1973 überein.

Anhang

273

Tschechische Republik ZGB v. 28.2.1964 27 § 422 Abs. 1 Satz 1 HS 1. Ein Minderjähriger oder derjenige, welcher mit einer geistigen Störung behaftet ist, haftet fur einen von ihm verursachten Schaden, wenn er fähig ist, seine Handlungen zu beherrschen und ihre Folgen zu beurteilen;

Ungarn ZGB v. 1959 28 § 347 Abs. 1. Derjenige, dessen Einsichtsvermögen fehlt oder mangelhaft ist, kann nicht zur Verantwortung gezogen werden. An seiner Stelle haftet sein Pfleger... Abs. 2. Wenn der Schädiger keinen Pfleger hat oder die Verantwortung des Pflegers nicht nachweisbar ist, dann kann ausnahmsweise auch der Schädiger zur teilweisen oder völligen Ersetzung des Schadens verpflichtet werden, vorausgesetzt, daß dies durch die Umstände des Falles und die materiellen Verhältnisse der Parteien offensichtlich gerechtfertigt wird.

Uruguay Côdigo Civil vom 23.1.1868 29 Art. 1320. No son capaces de delito ο cuasi-delito los menores de diez afios...

Art. 1320. Eines Delikts oder Quasidelikts unfähig sind Minderjährige unter 10 Jahren...

27

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