Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik [1 ed.] 9783428505807, 9783428105809

Der Vergleich des deutschen und französischen Rechts ist bezüglich der Frage der deliktsrechtlichen Haftung Minderjährig

158 118 20MB

German Pages 226 Year 2001

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik [1 ed.]
 9783428505807, 9783428105809

Citation preview

FREDERIQUE NIBOYET

Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik

Untersuchungen zum Europäischen Privatrecht

Bandll

Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik Von Frederique Niboyet

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Niboyet, Frederique:

Die Haftung Mindetjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik I von Frederique Niboyet.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Untersuchungen zum europäischen Privatrecht ; Bd. 11) Zugl.: Potsdam, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10580-X

D517 Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humb1ot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1438-6739 ISBN 3-428-10580-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

A monpere

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2000 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen, deren Referenten Prof. Dr. Helmut Weber, Prof. Dr. Wemer Merle und Prof. Dr. Marianne Andrae waren. Besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Helmut Weber, für die Betreuung der Arbeit, die er durch vielfältige Anregungen und Hilfen förderte. Er hat die Untersuchung mit kritischer Anteilnahme begleitet und unterstützt. Herzlich danken möchte ich Herrn Professor Dr. Wemer Merle, zum einen für die Erstellung des Zweitgutachtens, zum anderen für die Förderung meines Studiums in Potsdam. Ferner möchte ich mich für die Nachkorrektur und für ihre Freundschaft bei Dr. Annette Sousa Costa MA., Tatjana Maikowski, Jens Baldschun sowie Daniel Müller und Ralf Treibmann bedanken. Schließlich möchte ich für ihre Unterstützung meiner damaligen Mitbewohnetin Melody Nuckowski sowie meiner Familie herzlich danken. Die Arbeit berücksichtigt Rechtsprechung und Literatur bis Dezember 2000. Paris, Mai 2001

Frederique Niboyet

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . .. .. . .. .. . . .. .. . .. . . . . . .. .. . . .. .. .. .. . . .. . . . . . . .. . . .. . . .. .. .. .. .. . . .. .. .. .

25

Erster Teil

Haftung und Mitverschulden Minderjähriger im deutschen und französischen Deliktsrecht

28

Erstes Kapitel

Der Minderjährige als Schädiger

28

Erstes Subkapitel

Die Verschuldenshaftung Minderjähriger im deutschen undfranzösischen Deliktsrecht

28

Erster Abschnitt: Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit (discemement) für die Verschuldenshaftung Minderjähriger . . .. .. .. .. .. . . .. . . . .. .. .. . .. .. .. . . .. . . . . .. .. . . .

29

A. Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit nach § 828 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

I. Die absolute Deliktsunfähigkeit Minderjähriger unter sieben Jahren gemäß § 828 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

II. Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für Minderjährige über sieben Jahren gemäß § 828 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

III. Kritik der Literatur zu § 828 BGB und Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

I. Kritik zu § 828 I BGB . . .. .. . . .. .. . .. . .. . .. . . . . . . .. . .. .. .. .. . .. . . . . . . .. . . ..

31

2. Kritik zu § 828 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

3. Referentenentwurf von 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

IV. Rechtsprechung .. . .. . . . . . . .. . . .. .. .. .. .. .. .. . . . .. . .. . .. .. . . .. . .. .. .. .. . .. . .. .

33

I. Der Vorlagebeschluß des OLG Celle vom 26. Mai 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

a) Verfassungswidrigkeit des § 828 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

aa) Ein leicht fahrlässiges Handeln eines Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . .

34

10

Inhaltsverzeichnis bb) Gefahr der Existenzvernichtung des Minderjährigen .... . .. . ... . ... .

34

cc) Eine Entschädigung von dritter Seite . . .. . ................. . .... . .. .

35

b) Zusammenfassung zu OLG Celle .. ... . .. .. ... ... ......... ..... . . . . ... . .

36

2. Fortsetzung des LG Bremen ................. . . ... .............. . .. .. ..... .

37

3. Fortsetzung des LG Dessau ................ . .. . .. . ............. . ... ... . . . . .

37

4. Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts . . ... . .............. . .. .. .. . .. .

38

B. Die Voraussetzung der Einsichtsfahigkeit für die Verschuldenshaftung Minderjähriger im Code civil .............. . .................... . . . .. .. . .............. ..... .. .

40

I. Der Begriff der faute .................... . ... .. . .. .. .. ................. . .. .. . .

40

1. Die Generalklausel des Art. 1382 Ce . . ....... . ... . ......... . . ...... . ... . . .

40

2. Die Definitionen der faute in der Literatur .... . ....... . ............. . ... . . .

41

a) Theorie de lafaute subjective ....... . ..... . ... . .. .. ................. . . .

41

b) Theorie de Ia faute objective . .. . .............. . .. . ... . .............. . . .

42

ß. Die Berücksichtigung der Einsichtsfahigkeit Minderjähriger in der Rechtsprechung des französischen Kassationshofs ..... .. .. . ... . ......... .. ...... . . .

43

1. Die Rechtslage bis zum Jahre 1968 ..... . ...... . .. . ... .. ...... . .......... . .

43

a) Der Ausschluß der Haftung bei Kleinkindem (infantes) .... ... . . .... . .. .

43

b) Die Voraussetzung der Einsichtsfahigkeit für die Haftung älterer Minderjähriger .. ... . .. . . . ..... . ... .. . . .. . ...... . ......... .. . . . . ...... . .. . . .

43

2. Auswirkung der Neueinführung des Art. 489-2 Ce im Jahre 1968 auf das Erfordernis der Einsichtsfahigkeit Minderjähriger .. . ................. .. .. . .

44

a) Die Rechtslage geistesgestörter Personen ....... . . . ............... . ... . .

44

aa) Die bisherige Nichthaftung geistesgestörter Personen ... . . .... . .. .. .

44

bb) Die Neueinführung des Art. 489-2 Ce .. . .. . ..... .. .. . .... . ... . ... .

(2) Bewertung des Art. 489- 2 Ce .. . ....... . ..... . ............ . .. . .

45 45 45

b) Die Wirkung des Art. 489-2 Ce auf die Rechtslage der Kleinkinder . .. .

46

aa) Die Auseinandersetzungen in der Literatur . . ... . . .. .. . ........ . ... .

46

bb) Antwort des Kassationshofs . .. .. .. . . .... . .. . .. .. . .. .. . .. .. .... . ... .

47

cc) Stellungnahme . . . . . ...... . ... . . . .. . ...... .. . ..... .. .. . . ... . ... . .. . .

48

(1) Die neue Haftung geistesgestörter Personen .. ... ......... . ... . .

Inhaltsverzeichnis

11

III. Die neue Rechtslage Minderjähriger durch die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

1. Der Rechtsprechungswandel im Jahre 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

a) Die Entscheidung Derguini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

b) Die Entscheidung Lemaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

2. Die Bestätigung dieser Neuerung durch die ständige Rechtsprechung . . . . . .

52

C. Vergleich des deutschen und französischen Rechts bezüglich des Merkmals der Einsichtsfähigkeit für die Verschuldenshaftung des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

I. Vergleich der Rechtslage vor dem französischen Rechtsprechungswandel aus dem Jahre 1984, der die Haftungsvoraussetzung der Einsichtsfähigkeit abschaffte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

U. Vergleich der geltenden Grundsätze bezüglich der Einsichtsfähigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

III. Stellungnahme zu den Ergebnissen und Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

1. Stellungnahme zum französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

2. Stellungnahme zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Zweiter Abschnitt: Das schuldhafte Verhalten des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

B. Was unter Fahrlässigkeit zu verstehen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

I. Der Begriff der Fahrlässigkeit nach § 276 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

U. Der Begriff der Fahrlässigkeit im französischen Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

1. Das Fehlen einer Legaldefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

2. Die getroffene Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

III. Vergleichendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

C. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger nach der deutschen und französischen Rechtsprechung .. . . .. . . . . . .. .. .. . .. .. . .. . . . .. .. . .. . .. .. .. .. . .. . .. . . .. . .. .. .

60

I. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger im deutschen Recht . . . . . . .

60

12

Inhaltsverzeichnis II. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger im französischen Recht

61

1. Die Rechtslage, als die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit noch bestand (vor 1984) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

2. Die Problematik seit der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsflihigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

a) Ansätze zur Korrektur der abstrakten Beurteilung der Fahrlässigkeit . . . .

62

aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

b) Die rein abstrakte Prüfung der Fahrlässigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . .

64

aa) Die Anwendung der Theorie de la faute objective . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

bb) Die neueste Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

111. Vergleich des deutschen und französischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

D. Die Bewertung der französischen und deutschen Lösung mit Blick auf die Rechtsdogmatik . .. . . .. .. . . . . .. . .. .. . . . . .. . . . . .. . . .. .. . . . .. . . . . .. . . .. . . . .. .. . . .. . .. . .. .. ..

66

I. Die Bewertung derfranzösischen Lösung . . .. . . . . .. . . .. .. .. .. . . . .. . . . . . . .. . ..

66

II. Die Bewertung der deutschen Lösung . .. .. . .. .. . . . .. .. .. .. . .. .. . . .. . .. . .. .. ..

69

Zweites Subkapitel

Die verschuldensunabhängige Haftung Minderjähriger im deutschen undfranzösischen Deliktsrecht

71

Erster Abschnitt: Die Billigkeitshaftung des Minderjährigen gemäß § 829 BGB

71

A. Die Merkmale der Billigkeitshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

I. Die Voraussetzung der fehlenden Einsichtsflihigkeit des Schädigers . . . . . . . . . .

72

II. Eine objektive Verschuldenshaftung .. . . .. .. . . .. .. . . . .. . . .. .. . . .. . . . .. .. . .. . . .

72

B. Das Billigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

I. Das Bestehen einer Versicherung auf Seiten des Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

1. Die Lösung der Rechtsprechung . .. .. . . .. . . . . . . .. . .. . . . . .. . .. . .. . .. . .. .. . ..

73

2. Meinungen in der Literatur . .. . . . . .. . .. . .. . . . . .. . . .. .. .. .. . .. . .. . .. . . . .. .. .

74

Inhaltsveneichnis

13

II. Gewährung des Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

III. Der Ausschluß des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Zweiter Abschnitt: Die Haftung als Halter der Sache gemäß Art. 1384 I Ce: Besonderheit des französischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

A. Darstellung der Haftung als Halter der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

B. Die Vereinbarkeit der Mindeljährigkeit mit einer Qualifikation als Halter der Sache

77

I. Die Auswirkungen der Entwicklung der Rechtslage geistesgestörter Personen auf einsichtsunfähige Minderjährige

78

II. Die Entscheidung Gabillet vom 9. Mai 1984 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

78

III. Die Bewertung der Lösung Gabillet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Vergleichende kurze Zusammenfassung des Subkapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

00

•••

00

00

•••



••

00



00 . . .

00

••

00





..







..



.. •

Zweites Kapitel

Der Minderjährige als Geschädigter

80

Erster Abschnitt: Das persönliche Mitverschulden des geschädigten Minderjährigen im allgemeinen deutschen und französischen Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

A. Das deutsche Recht ............ .. ......................

81

00



00

00

00

00



00

••

00

•••

00



00





I. § 254 BGB und das Mitverschulden Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

1. Die Berücksichtigung der Einsichtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

2. Die Maßstäbe für ein Mitverschulden Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

II. § 254 BGB und die Billigkeit bei mindeljährigen Geschädigten . . . . . . . . . . . . . .

82

III. § 254 und die Schadensteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

B. Das französische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

I. Die Merkmale des eigenen Mitverschuldeos des Mindeljährigen vor der Anerkennung derfaute objective im Jahre 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

1. La faute de la victime

00





00

00

00

00

00

00

00 . . 00

••

00

00



00

00

00

00

••

00



00

••

00

00

00





85

a) Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für das mitursächliche Verschulden des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

b) Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab .. .. . .

86

2. Die Anrechnung des fait non fautif .

00

00

00

••

00

00



00

00

00

••

••

00



••

00



00

00

••

•••

00

00

00

•••

00

00







00

•••

00

00

00



86

14

Inhaltsverzeichnis II. Die Anerkennung der faute objective im Jahre 1984

87

III. Die Schadensteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

I. Die traditionelle Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Der Umbruch mit dem Urteil Desmaresaus dem Jahre 1982 . . . . . . . . . . . . . . .

89

3. Der Rechtsprechungswandel im Jahre 1987 . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

C. Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

I. Zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

II. Zum französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

Zweiter Abschnitt: Der Bereich der Verkehrsunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

A. Das deutsche Straßenverkehrsgesetz .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .

94

I. Das Mitverschulden minderjähriger Straßenverkehrsopfer (§ 9 StVG i. V. m. § 254 BOB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

l. Die Voraussetzungen des Mitverschuldens des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . .

94

2. Die Festlegung der Haftungsquote . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . .. . . . .

95

II. Das Verhalten minderjähriger Geschädigter als "unabwendbares Ereignis" (§ 7 II StVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Ill. Der Ruf nach einem besseren Schutz minderjähriger Geschädigter im Straßenverkehr . . .... .. .. .. . . . . . .. . . . .. . . . ... . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .. .. . .

97

I. In der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

B. Das französische Sondergesetz über Verkehrsunfälle vom 5. Juli 1985 . . . . . . . . . . . . . .

98

I. Die Entstehung des Gesetzes . .. .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . .. . . . . .. . . . . . .. . ..

98

II. Darstellung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

99

I. Der Anwendungsbereich des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

2. Die Voraussetzungen für die Haftung des Kfz-Halters bzw. -Führers . . . . . . . 100 3. Die Entlastungsmöglichkeiten des Kfz-Halters bzw. -Führers . . . . . . . . . . . . . . 100 Ill. Die Rechtslage minderjähriger Unfallopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. Unfallopfer unter sechzehn Jahren .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . 101

Inhaltsverzeichnis

15

2. Unfallopfer über sechzehn Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Dritter Abschnitt: Die Anrechnung des Mitverschuldeos der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Drittes Kapitel

Fazit zu der Stellung Minderjähriger im deutschen und französischen Deliktsrecht Erster Abschnitt:

107

Zusammenfassung zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Zweiter Abschnitt: Zusammenfassung zum französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Dritter Abschnitt: Vergleich der Stellung des Mindetjährigen im deutschen und französischen Deliktsrecht................................... . ......................... . .. 109 Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Zweiter Teil

Die Haftung der Eltern für die unerlaubten Handlungen ihrer minderjährigen Kinder im deutschen und französischen Recht

112

Einführung .. . . . .. . . . . .. .. . . . .. . . . . .. . . . .. .. . . . .. .. . .. . . .. .. .. .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . .. . . . 112 A. Darstellung des§ 832 BGB .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 112

B. Darstellung des Art. 13841V, VII Ce .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 113 Erstes Kapitel

Die Tatbestandsvoraussetzungen der § 832 I S. 1 BGB und Art 1384 IV Ce

115

Erster Abschnitt: Die Voraussetzung der elterlichen Sorge (autorite parentale) . . . . . . . . . 115 A. Die elterliche Sorge als Haftungsanknüpfung des deutschen und französischen Rechts .. .. .......... ... .. .................. .. ............. . .. . . . .. .... . ........ . .. . 115 I. Gesetzliche Aufsichtspflichtige und Aufsichtsbedürftige gemäߧ 832 BGB . . 115 II. Die " gardiens" des mindetjährigen Kindes gemäß Art. 13841V Ce . . . . . . . . . . 115

16

Inhaltsverzeichnis

B. Die Regelungen über die elterliche Sorge in beiden Rechtsordnungen

118

I. Die elterliche Sorge bei bestehender Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Die elterliche Sorge bei dauerhafter Trennung während fortbestehender Ehe (separation defait)........ . .. . .................. . .. . .................. . .. . . .. 118 III. Die elterliche Sorge bei Auflösung der Ehe durch Scheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

2. Im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 IV. Die elterliche Sorge der nicht miteinander verheirateten Eltern . . . . . . . . . . . . . . . 120 V. Die elterliche Sorge für Adoptivkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 VI. Die elterliche Sorge bei Tod eines Elternteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 VII. Die Fälle des Ruhensund der Entziehung der elterlichen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . 122 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Zweiter Abschnitt: Das Tatbestandsmerkmal der cohabitation als Besonderheit des französischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 A. Eine weite Auslegung des Begriffs der cohabitation durch die Rechtsprechung . . . . . 124

I. Das Kriterium der cohabitation habituelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Die Bedeutung der cohabitation habituelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

2. Die Entwicklung im Fall eines Ferienaufenthaltes des Kindes . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Die cohabitation am Tag der Schadensanrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 III. Die cohabitation im Fall der Scheidung der Eltern.. . ................. . ....... 126 B. Die Erweiterung des Tatbestandsmerkmals auf Fälle der non cohabitation . . . . . . . . . . 128 I. Die unberechtigte non cohabitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Die Substitution der cohabitation durch die Aufsichtsmöglichkeit der Eltern . . 129 III. Die Grenzen der erweiterten Auslegung der cohabitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 C. Kritik des Tatbestandsmerkmals der cohabitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 D. Der Platz der cohabitation im deutschen Recht .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 133

Inhaltsverzeichnis Dritter Abschnitt: Die Handlung des Kindes im deutschen und französischen Recht

17 134

A. Die Handlung des Minderjährigen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Eine widerrechtliche Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

II. Der Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Der geschütze Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Die Handlung des Minderjährigen im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Die Akzessorietät der elterlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

1. Die Haftung des Minderjährigen fürjaute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Die Haftung des Minderjährigen als Halter der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Der Übergang zu einer selbständigen elterlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Die Entscheidung Fullenwarth vom 9. Mai 1984... . ... . . . ........... .. .... 139

2. Die Tragweite des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Die spätere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Das Weiterbestehen der traditionellen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Die Bestätigung des Urteils Fullenwarth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Ergebnis und Zukunftsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Die Einführung einer selbständigen Haftung der Eltern neben der Haftung ihrer minderjährigen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. In der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 C. Vergleich des deutschen und des französischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I. Vergleich des deutschen Rechts mit der traditionellen französischen Lösung . . 145 1. Die Haftung des Minderjährigen für jaute . .. . . .. . .. . . . . . .. . . . . .. . . .. . .. . . . 145 2. Die verschuldensunabhängige Haftung des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Vergleich des deutschen Rechts mit der neuen französischen Tendenz . . . . . . . . 146 2 Niboyet

18

Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel

Die Entlastung der Eltern nach§ 8321 S. 2 BGB und Art. 1384 Vll Ce

147

Erster Abschnitt: Die Rechtslage im deutschen Recht..... . . . . . .. . .............. . ... . .. 147 A. Eine verschuldensahhängige Elternhaftung nach§ 832 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

B. Die Widerlegung der Verschuldensvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Die Kriterien für die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Aufsicht . . . . . 148 1. Die Berücksichtigung der Eigenschaften des minderjährigen Schädigers und der Schadenssituation . .. . . . .. . .. . . . . . . . . .. . .. .. . . .. .. . . . .. . . . . .. . . .. .. 148 2. Die Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Der Umfang der Beweislastumkehr . .. .. . . . . . . . . . .. .. . . .. .. . . .. . . . .. .. .. .. .. . 150 111. Die Übertragung der Aufsichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IV. Einzel· oder Gesamtbetrachtung des Verschuldens der Eltern? . . . . . . . . . . . . . . . . 152 V. Ergebnis .. . . .. .. . .. . . . . . . . .. . .. .. . . .. . . . . .. .. . .. .. . . . .. . . . . . .. . . .. . . . . .. .. . . . 153 C. Die Widerlegung der Kausalitätsvermutung . .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. . .. .. .. . . . .. . .. .. 153 D. Die Art der Haftung............ . ......... . ............ .. . . .......... . ...... .. .... .. 154

Zweiter Abschnitt: Die Rechtslage im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 A. Die Gesetzesvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Art. 1384 Vß Ce .. . . . .. . . . .. .. . . .. .. .. .. .. . . .. .. . . .. .. . . . .. . . .. .. . .. .. .. . .. . . 154 II. Art. 482 Ce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Eine Haftung der Eltern für vermutetes Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Der Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Die Widerlegung des Aufsichtsverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 l. Die Kriterien der Rechtsprechung für die Beurteilung des Aufsichtsver-

schu1dens.. .. .. . ...... .. .. . . ..... .. ..... .. ............. . .. .. .. .. .. . .. ... ... 157

Inhaltsverzeichnis

19

2. Die Gerichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Die strenge Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Die Unmöglichkeit für die Eltern, das Kind zu beaufsichtigen . . . . . . 157 (1) Die Abwesenheit der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Die Folgen der Übernahme der Aufsichtspflicht durch einen Elternteil für die Haftung des anderen Elternteils . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Die Beaufsichtigung des Mindeljährigen durch einen Dritten . . . 158 bb) Die Anforderungen an die Erfüllung der Aufsichtspflicht . . . . . . . . . . . 159 b) Die Unbeständigkeit der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Die Bedeutung der Vermutung des Erziehungsverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Das Erziehungsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Kritik an der Beweislastregelung bezüglich des Erziehungsverschuldens . . . 163 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 C. Der Übergang zu einer verschuldensunabhängigen Haftung der Eltern . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Die Entscheidungen des Kassationshofs vom 9. Mai 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Die Folgen der neuen Rechtslage Mindeljähriger für die Haftung der Eltern 165 2. Die Verschärfung der Haftung der Eltern mit dem Urteil Fullenwarth vom 9. Mai 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Das Urteil Blieck vom 29. März 1991 oder der Weg zur Begründung einer allgemeinen verschu1densunabhängigen Haftung ftir fremdes Handeln nach Art. 1384 I Ce? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Die Bedeutung des Art. 1384 I Ce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Die Neuerung durch das Urteil Blieck vom 29. März 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Die Folgen des Urteils Blieck für die Haftung der Eltern für ihre Kinder . . . 169 III. Die Begründung der Gefährdungshaftung der Eltern durch einen Rechtsprechungswandel aus dem Jahre 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Der Rechtsprechungswandel Bertrand vom 19. Februar 1997 . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die Bestätigung durch eine ständige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IV. Die verbleibenden Entlastungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 V. Die rechtliche Begründung der Gefahrdungshaftung der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . 173 D. Die Art der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2*

20

Inhaltsverzeichnis

Dritter Abschnitt: Vergleich des deutschen und des französischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 175 A. Vergleich des deutschen Rechts mit der traditionellen Auslegung des Art. 1384 VII Ce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Der Haftungsumfang der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Der Entlastungsbeweis . . . . . . . . . .. . . . . .. . .. .. . . . . .. . . . . .. .. .. .. . . . . . .. . . .. . .. . 177

1. Das Aufsichtsverschulden . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . .. . . .. .. . . . .. . .. . .. . .. . 177 2. Das Erziehungsverschulden . .. . . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . .. . . .. .. . . . .. .. . . .. . .. . 178 B. Vergleich des deutschen Rechts mit der neuen Auslegung des Art. 1384 VII Ce . . . . . 178

DritterTeil

Ausblick

179

Erstes Kapitel Die französische Gefahrdungshaftung der Eltern als Modell für das deutsche Recht

179

Zweites Kapitel Versicberungsrecbtlicbe Lösungen

183

Erster Abschnitt: Die Rechtslage in Frankreich .. . . .. . . . . . .. .. .. . . . .. . .. .. .. . .. .. . . .. . . 183 A. Die bestehenden Versicherungsmöglichkeiten der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Die Schulversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Die anderen Versicherungsmöglichkeiten . . .. . . . .. . .. .. .. . . .. . . .. . . . . . .. . . .. . . 185 B. Die Einrichtung eines Garantiefonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 C. Die Einführung einer Pflichthaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Vorschläge in der Literatur . . .. . . . .. .. . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .. . .. .. .. . . . . . 187 II. Meinungen von Versicherungsinstituten .. . . . . .. . . .. .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . .. . 189

Ill. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Inhaltsverzeichnis Zweiter Abschnitt: Die Rechtslage in Deutschland

21 190

A. Die bestehenden Versicherungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

B. Vorschläge über die Einführung einer elterlichen Pflichthaftpflichtversicherung . . . . 191 C. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Dritter Abschnitt: Die Durchführung der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Zusammenfassung . . .. . . .. .. . . . . .. . . . . .. . .. . .. .. .. .. .. . . . .. . .. . . .. . . .. .. . . . . .. . . . . .. . . 194 Anhang 1: Mehrfach zitierte Gesetzestexte . . . . .. .. .. .. . . .. . . .. . . .. . . .. . .. . . . .. . . . . .. 197 I. Französische Gesetzestexte . . . . .. . . . . .. .. . . .. .. .. . . . . . . . . .. . . . .. . .. .. . . . . . .. . . . .. 197 II. Deutsche Gesetzestexte . . .. . . . . . .. . . . .. .. .. .. . .. . . . . . . .. . . . . . .. .. . . .. . .. .. .. .. . . . 199 Anhang II: Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Ass. plen. 9. Mai 1984: Urteil Derguini ciTidu ............. .. ................. .. .... 202 Ass. plen. 9. Mai 1984: Urteil Gabillet c I Noye .. . . .. .. .. .. .. . . .. . . .. . . . . .. .. . .. . . . . . 203 Ass. plen. 9. Mai 1984: Urteil Lemaire ciDeclercq .. .. .. .. .. .. ................. .. .. . 203 Ass. plen. 9. Mai 1984: Urteil Fullenwarth c I Feiten . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. 204 Civ. 2, 19. Februar 1997: Urteil Bertrand ciDomingues . ... . ................... . ... . 204 Literaturverzeichnis .. . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . .. .. . . . . .. . . . . .. .. . . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . 206 Wissenschaftliche Arbeiten . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. . .. . .. . . . . .. .. . . .. . . .. . . .. . . . . . .. .. . . . 206 Gesetzestexte .................. . .. .. ................... . .. .. ...................... .. 213 Rechtsprechung . . . .. . . . . . .. . .. . . . . .. .. . . . . .. .. . .. . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . 214 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Abkürzungsverzeichnis I. Französische Abkürzungen Al. Ass. plen. BQ

Bull. civ. Bull. erim.

Alinea Assemblee pleniere de Ia Cour de eassation Bulletin officiel Bulletin des arrets des ehambres eiviles de Ia Cour de eassation Bulletin des arrets de Ia ehambre eriminelle de Ia Cour de eassation

Ce

Code civil

Ch. reun.

Chambres reunies de Ia Cour de eassation Chronique Chambre eivile de Ia Cour de eassation Chambre eommerciale de la Cour de eassation

Chron. Civ. Com. Comm. Conel.

Commentaires Conclusions

Crim. D. Defr.

Chambre eriminelle de Ia Cour de eassation Reeueil Dalloz Repertoire du notariat Defrenois

DH

Reeueil hebdomadaire de jurisprudenee Dalloz Doctrine Droit et patrimoine

Doetr. Droit et patr. Fase. Gaz. Pal. I. R. J.C.P. J. C. P. ed. G.

Fascieule Gazette du Palais Informations rapides du Reeueil Dalloz Juris-classeur periodique (Semaine juridique) Juris-classeur periodique edition generale

Jur.

Jurisprudenee

Obs. Petites affiehes R.C.

Observations Les petites affiehes Revue eritique de legislation et de jurisprudenee Revue de droit sanitaire et social

RD sanit. soe. Rep. civ. Dalloz

Repertoire de droit eivil Dalloz

Req.

Chambre des requetes de Ia Cour de cassation

Resp. eiv. et assur. RJPF RTD civ.

Responsabilire eivile et assurances Revue juridique personnes et famille Revue trimestrielle de droit civil

SMIC

Salaire minimum interprofessionnel de eroissanee

Abkürzungsverzeichnis Somm. Somm.comm. Trib. TGI

23

Sommaires Sommaires commentes Tribunal Tribunal de grande instance

II. Deutsche Abkürzungen AcP

RG RGZ StVG StVO VersR VVG

Archiv für die civilistische Praxis Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Deutsches Autorecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Familie und Recht Grundgesetz Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Juristische Schulung Juristen-Zeitung Zeitschrift für Insolvenzrecht (Konkurs. Treuhand. Sanierung) Landgericht Lindemaier/Möhring: Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Oberlandesgericht Protokolle Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Ordnung Versicherungsrecht Gesetz über den Versicherungsvertrag

ZAP ZRP

Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Rechtspolitik

BGB BGBI. BGH BGHZ BT-Drucks BVerfG BVerfGE DAR FamRZ FuR GG JA

JGG JuS JZ KTS LG LM MDR NJW NJW-RR OLG Prot.

Einleitung Sorglosigkeit und Abenteuerlust gehören zu den unverzichtbaren Attributen der Kindheit, sind aber häufig auch Grund für die von Minderjährigen angerichteten Schäden. Zur natürlichen Veranlagung des Kindes kommt hinzu, daß das Verhalten Minderjähriger gerade in unserer technisierten Gesellschaft leicht zu unverhältnismäßig großen Schäden führen kann. Die große Anzahl diesbezüglicher Rechtsstreitigkeiten ist deshalb nicht zufällig. Weiterhin arbeiten heutzutage oft beide Elternteile, mit der Folge, daß den Eltern weniger Zeit bleibt, ihre Nachkommen zu erziehen und zu beaufsichtigen, während die Jugendlichen ihrerseits mehr Selbständigkeit beanspruchen. Es stellt sich somit die Frage, welche Personen für die von Minderjährigen verursachten Schäden einstehen sollten und in welchem Umfang. Mehrere Interessen sind dabei zu berücksichtigen: der Schutz der Minderjährigen und ihrer Eltern ebenso wie die Entschädigung der Opfer. Der Vergleich des deutschen und französischen Rechts bezüglich der deliktischen Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern ist von besonderem Interesse, weil bei gleicher Interessenlage neuerdings gegensätzliche Wege beschritten wurden. Im deutschen Recht ist die Verschuldenshaftung von Kindem unter sieben Jahren gänzlich ausgeschlossen (§ 828 I BGB). Die Haftung Minderjähriger, die sieben Jahre alt oder älter sind, setzt voraus, daß sie einsichtsfähig sind(§ 828 II BGB). Darüber hinaus kommt den Minderjährigen zugute, daß der BGH die Fahrlässigkeitsprüfung korrigiert, indem er den abstrakten objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB durch eine Beurteilung nach Altersgruppen ersetzt. Die Minderjährigkeit wirkt in Deutschland also zweifach entlastend. Demgegenüber hat sich das französische Deliktsrecht von einer zunächst ähnlich wie im deutschen Recht subjektiven zu einer mittlerweile objektiven Verschuldenshaftung der Minderjährigen entwickelt, hat also zu einer Haftungsverschärfung geführt. Wendepunkt waren Grundsatzurteile aus dem Jahre 1984, durch welche der französische Kassationshof die Haftungsvoraussetzung der Einsichtsfähigkeit (discemement) abgeschafft hat, mit der Folge, daß auch Kleinkinder schuldhaft handeln können 1• Erforderlich, aber auch ausreichend für die Bejahung der Verschuldenshaftung ist seither lediglich, daß das Verhalten des Minderjährigen als fahrlässig qualifiziert wird. Dabei tendiert die Rechtsprechung dazu, die FahrläsI Ass. plen. 09. 05. 1984 (Urteile Derguini und Lemaire), J. C. P. ed. G. 1984. II. 20256, note Jourdain.

26

Einleitung

sigkeit rein in abstracto zu beurteilen. Das Verhalten von Minderjährigen wird demzufolge mit dem Verhalten des diligens pater familias verglichen. Während im deutschen Recht der Gedanke des Minderjährigenschutzes vorherrschend ist, führte der verstärkte Verkehrsschutz somit im französischen Recht zu einer für den Minderjährigen ungünstigen Entwicklung. Auch im Bereich der Haftung der Eltern für die unerlaubten Handlungen ihrer Kinder lassen sich in beiden Rechtsordnungen divergierende Tendenzen erkennen. Im deutschen Recht ist die Haftung der Eltern für unerlaubte Handlungen ihrer Kinder eine Haftung wegen vermuteten Verschuldens. Die Eltern können sich gemäß § 832 I S. 2 BGB exkulpieren, indem sie beweisen, daß sie kein Aufsichtsverschulden trifft oder daß der Schaden auch bei gehöriger Aufsicht entstanden wäre. Im französischen Recht wurde traditionell aus Art. 1384 IV, VII Ce ebenfalls eine elterliche Haftung wegen vermuteten Verschuldens hergeleitet, wobei nicht nur ein Aufsichts-, sondern auch ein Erziehungsverschulden vermutet wurde. Durch eine neue Entscheidung vom 19. Februar 1997 (Urteil Bertramlf hat der französische Kassationshof dies durch eine objektive Haftung der Eltern ersetzt. Ein Zwölfjähriger war beim Fahrradfahren mit einem Motorradfahrer zusammengestoßen, welcher daraufhin vom Vater des Minderjährigen Schadensersatz für die erlittenen Verletzungen verlangte. Das Berufungsgericht beschränkte die Entlastungsmöglichkeiten der Eltern nach Art. 1384 VII Ce auf Fälle der höheren Gewalt und des Mitverschuldens des Geschädigten und verurteilte den Vater, weil er einen solchen Entlastungsbeweis nicht erbracht hatte. Der Vater legte Revision ein und berief sich auf die traditionelle Lösung der Rechtsprechung, nach welcher sich die Eltern durch den Beweis einer ordnungsgemäßen Erziehung und Aufsicht ihres Kindes exkulpieren können. Der Kassationshof wies die Revision zuriick und bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts. Seither handelt es sich bei Art. 1384 IV, VII Ce nicht mehr um eine Haftung für vermutetes Verschulden, sondern um eine verschuldensunabhängige Haftung der Eltern. Die Eltern können sich nur noch von ihrer Haftung befreien, wenn sie einen Fall von höherer Gewalt oder ein Mitverschulden des Geschädigten beweisen. Die neue Gefährdungshaftung gewährt den Geschädigten somit einen optimalen Schutz. Es ist daher festzuhalten, daß im deutschen Deliktsrecht das Interesse des Minderjährigen und seiner Eltern beriicksichtigt werden, während im französischen Deliktsrecht dem Schutz des Opfers die Priorität gegeben wird. Dies führt zu der Frage, inwiefern die Verwirklichung neuer rechtspolitischer Ziele mit der tradierten Rechtsdogmatik kollidiert. Erstes Ziel dieser Arbeit ist, durch den Vergleich beider Rechtsordnungen, vor allem anband praktischer Fälle, auf die Frage nach dem Umfang des Schutzes Min2 Civ. 2, 19. 02. 1997 (Urteil Benrarul), D. 1997, jur. S. 265, note Jourdain; J. C. P. ed. G. 1997. II. 22848, concl. Kessous, note Viney; RD sanit. soc. 07-09. 1997, S. 660, note Dorsner-Dolivet; Droit de Ia famille 1997, comm. n° 83, S. 15, note Murat; Petites Affiches 15. 09. 1997, jur. S. 12, note Lebreton.

Einleitung

27

derjähriger als Schädiger und als mitverursachender Geschädigter eine Antwort zu geben. Zweites Ziel dieser Arbeit ist, der Frage nachzugehen, inwieweit die neu begründete verschuldensunabhängige Haftung der Eltern im französischen Recht das Problem der von Minderjährigen angerichteten Schäden zu lösen vermag und ob dies Vorbild für eine Entwicklung im deutschen Recht werden könnte. Da eine solche Lösung für die Eltern eine strenge Belastung bedeutet, stellt sich weiterhin die Frage nach der Versicherungslage der Eltern und der Möglichkeit der Einführung einer Pflichthaftpflichtversicherung. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile. Nach einer Analyse der Haftung und des Mitverschuldens Minderjähriger im deutschen und französischen Recht (Erster Teil) soll die Haftung der Eltern für ihre Kinder rechtsvergleichend behandelt werden (Zweiter Teil). Schließlich soll die Einführung einer elterlichen Gefährdungshaftung im deutschen Recht erwogen und die Möglichkeit der Einführung einer Pflichthaftpflichtversicherung in beiden Ländern erörtet werden (Dritter Teil).

Erster Teil

Haftung und Mitverschulden Minderjähriger im deutschen und französischen Deliktsrecht Da in den Fällen, in denen der Mindeijährige Schädiger und in denen er schadensmitverursachender Geschädigter ist, unterschiedliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können, wird ihnen je ein eigenes Kapitel gewidmet. Um der Klarheit und des besseren Vergleichs willen werden diese Kapitel darüber hinaus nach Themen unterteilt. Schließlich beendet eine Zusammenfassung der Rechtsstellung des Mindeijährigen im deutschen und französischen Recht diesen Teil.

Erstes Kapitel

Der Minderjährige als Schädiger Erstes Subkapitel

Die Verschuldeoshaftung Minderjähriger im deutschen und französischen Deliktsrecht Verursacht ein Mindeijähriger einen Schaden, kann er sowohl im deutschen als auch im französischen Recht nach den Grundsätzen der Verschuldeushaftung (responsabilite pour faute) in Anspruch genommen werden. Dazu ist grundsätzlich die Einsichtsfähigkeit (erster Abschnitt) und das schuldhafte Verhalten des Minderjährigen (zweiter Abschnitt) erforderlich.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

29

Erster Abschnitt

Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit (discernement) 1 für die Verschuldenshaftung Minderjähriger A. Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit nach § 828 BGB Gemäß § 828 BGB ist die Haftung einsichtsunfähiger Minderjähriger ausgeschlossen; es liegt hierin eine Einschränkung des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit im BGB2 •

I. Die absolute Deliktsunflihigkeit Minderjähriger unter sieben Jahren gemäß § 828 I BGB

Der im Vertragsrecht durch die Geschäftsunfähigkeit gemäß § 104 BGB bewirkte Schutz des Minderjährigen unter sieben Jahren hat im Deliktsrecht durch die im § 828 I BGB geregelte Deliktsunfähigkeit ein Äquivalent gefunden. Dem Wortlaut des § 828 I BGB nach ist derjenige, der nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Der Gesetzgeber hat somit das Alter von sieben Jahren als Altersgrenze für den automatischen Ausschluß der Deliktshaftung genommen. Die bloße objektive Feststellung der Nichtüberschreitung des siebten Lebensjahres schützt das Kleinkind vor einer Deliktshaftung.

I Im deutschen Recht wird die Haftung von Kindern unter sieben Jahren im § 828 I BGB gänzlich ausgeschlossen: Aus dem Grunde sind Kinder bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres deliktsunfahig. Minderjährige, die sieben Jahre alt oder älter sind, haften nicht, wenn sie beweisen, daß sie einsichtsunfähig sind (§ 828 II BGB). Man kann vom Prinzip her sagen, es besteht nach § 828 I BGB eine unwiderlegbare Vermutung, daß Kinder unter sieben Jahren einsichtsunfähig sind und nach§ 828 II BGB eine widerlegbare Vermutung, daß Minderjährige, die das siebente Lebensjahr vollendet haben, einsichtsfähig sind. In Frankreich ist eine Altersgrenze für den Ausschluß der Deliktshaftung nicht vorgesehen worden. Bis zum Jahre 1984 setzte die Haftung Minderjähriger die Bejahung ihres discemement voraus. Der Begriff des discemement ist weder von dem Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung präzisiert worden. Zur Verdeutlichung könnte man die von Carbonnier gegebene Definition heranziehen: "etat de discemer le bien du mal, le discemement supposant la fois une suffisante raison et une certaine force de volonte" ( Carbonnier, Les obligations 1994, S. 361, no 223). Das discemement entspricht daher am besten dem deutschen Begriff der Einsichtsfähigkeit (vgl.: Goecke, Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger, S. 162; Hennings, Persönliche Haftung und Mitverschulden von Kindern, S. 76). 2 Däubler, BGB Kommentar, Bd 3, BS, S. 972 Rn 1.

a

30

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger II. Die Voraussetzung der Einsichtsflihigkeit für Minderjährige über sieben Jahren gemäß § 828 II BGB

Die im Vertragsrecht bestehende beschränkte Geschäftsfähigkeit des Mindeijährigen, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, hat auch im Deliktsrecht durch die beschränkte Deliktshaftung des § 828 II BGB ein Gegenstück gefunden, wobei hier die Funktionsweise umgekehrt ist: Beschränkte Geschäftsfähigkeit i. S. v. §§ 106 ff BGB bedeutet grundsätzlich Geschäftsunfähigkeit, soweit es an der Einwilligung oder Genehmigung des gesetzlichen Vertreters fehlt; in § 828 II BGB wird hingegen von bestehender Einsichtsfähigkeit ausgegangen, solange nicht das Fehlen der Einsicht festgestellt wird. Nach § 828 II BGB sind Mindeijährige, die sieben Jahre alt oder älter sind, nicht verantwortlich, wenn sie "bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" besessen haben. Mangels gesetzgebenscher Definition hat die Rechtsprechung den Begriff der Einsichtsfähigkeit näher bestimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist allein die intellektuelle Reife desMindeijährigen entscheidend3 ; erforderlich, aber auch ausreichend ist nämlich, daß der Mindeijährige "diejenige geistige Entwicklung erreicht hat, die ihn in den Stand setzt, das Unrecht seiner Handlung gegenüber den Mitmenschen und damit zugleich die Verpflichtung zu erkennen, in irgendeiner Weise für die Folgen seines Tuns einstehen zu müssen"4 • Anders als im Strafrecht wird also die Steuerungsfähigkeit des Mindeijährigen (Fähigkeit, sich dem Willen gemäß zu verhalten) nicht berücksichtigt5 . Aus der negativen Formulierung des § 828 II BGB ergibt sich, daß das Gesetz von der Einsichtsfähigkeit des sieben Jahre alten oder älteren Mindeijährigen ausgeht6, so daß der mindeijährige Schädiger die gesetzliche Vermutung zu widerlegen hat7 • Diese Beweislastverteilung ist für den Mindeijährigen insofern sehr nachteilig, als Zweifel zu seinen Lasten gehen und der Beweis des Mangels an Einsichtsfähigkeit, d. h. an Verstandsreife, so schwer zu erbringen ist, daß er selten gelingt8 •

BGH 19. 12. 1961, VersR 1962,255 (256); BGH 22. 11. 1966, VersR 1967, 158 (158). BGH 23. 12. 1953, VersR 1954, 118 (119). s Vgl. BGH 28. 02. 1984, NJW 1984, 1958 (1958). 6 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 298. 7 Seit BGH 23. 10. 1952, LM Nr. 1 zu§ 828 BGB. s Borgelt, Das Kind im Deliktsrecht, S. 36; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band I, S. 89, Rn 71. 3

4

1. Kap.: Der Mindetjährige als Schädiger

31

Ill. Kritik der Literatur zu § 828 BGB und Reformvorschläge

1. Kritik zu § 828 I BGB

Die Festlegung der Altersgrenze auf sieben Jahren ist in der Literatur auf Kritik gestoßen, weil die Deliktsfähigkeit danach zu früh beginne. Gemäß einer von Piaget erstellten entwicklungspsychologischen Untersuchung ist festzustellen, daß das Kind mit sechs Jahren seine Handlungen "objektiv" (d. h. in Bezug auf das Ergebnis), während es sie ab zehn Jahren "subjektiv" (d. h. in Bezug auf die Absicht des Täters) beurteilt9 ; erst mit der Vollendung des elften bis zwölften Lebensjahres seien die Erkenntnismöglichkeiten des Minderjährigen völlig entwickelt 10• Nach Einschätzung des Psychologen Politsch sind Kinder unter zehn Jahren grundsätzlich realitätsfremd und leben in ihrer größenteils imaginären Welt. Aus Zeichungen von Kindern unter zehn Jahren ergebe sich deutlich ihr Mangel an Beobachtungskraft 11 • Er schlägt deshalb vor, daß bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres Kinder als deliktsunfähig betrachtet werden 12• Wille und Bettge begründen ihre Forderung nach Erhöhung der Altersgrenze des § 828 I BGB auf das zehnte Lebensjahr13 mit den empirischen Untersuchungen, die sie mit Schülern zwischen sieben und zehn Jahren durchgeführt haben: aus den von den Kindern beantworteten Multiple-choice-Fragebögen resultiere, daß siebenjährige Kinder nicht generell deliktsfähig seien, während die Deliktsfähigkeit zehnjähriger Kinder generell zu bejahen sei, wenn sie wenigstens sonderschulfähig sind 14•

Nach Scheffen entspricht die aktuelle Altersgrenze des § 828 I BGB weder den heutigen Erkenntnissen der Jugendpsychologie noch den erhöhten Anforderungen des Straßenverkehrs. Sie empfiehlt daher eine Erhöhung der Deliktsfähigkeit auf das vierzehnte 15, zumindest aber auf das zehnte Lebensjahr 16• Nach Borgelt ist die Altersgrenze auch zu erhöhen, damit Kindern ein größerer Entwicklungsspielraum gegeben wird: Als Begründung für die Wahl des zehnten Lebensjahres als Altersgrenze weist er darauf hin, daß für Kinder der zehnte Geburtstag in der Regel zugleich das Ende der Grundschulzeit bedeutet, mit der Folge, daß für sie eine neue Lebensphase beginnt 17. Piaget, Le jugement moral chez l'enfant, S. 94. w Piaget, Le jugement moral chez I'enfant, S. 253. ll Politsch, Schule und Psychologie 1. Jahrgang 1954, Heft 11, S. 339 (342). 12 Politsch, Schule und Psychologie 1. Jahrgang 1954, Heft 11, S. 339 (344). 13 Wille I Bettge, VersR 1971, 878 (882). 14 Wille/Bettge, VersR 1971, 878 (881). 1s Schelfen, FuR 1993, S. 82 (88). 16 Schelfen, DAR 1991, 121 (124); Schelfen/ Pardey, Schadensersatz bei UnfaJlen mit Kindem und Jugendlichen, S. 296, Rn. 676. 17 Borgelt, Das Kind im Deliktsrecht, S. 134. 9

32

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Es ist im Ergebnis festzustellen, daß viele Autoren 18 eine Erhöhung der Altersgrenze für die Haftung Minderjähriger von sieben auf zehn Jahre empfehlen.

2. Kritik zu § 828 II BGB Auch § 828 II BGB ist insofern kritisiert worden, als er eine unbegrenzte Haftung des Minderjährigen ermögliche, sobald dieser einsichtsfähig sei. Nach Kuhlen19 ist die unbegrenzte Deliktshaftung Minderjähriger schärfer als ihre strafrechtliche Haftung, was widersprüchlich klinge, da die Strafe die schlimmste Sanktion gegen ein Individium sein sollte. Im Strafrecht sei zunächst die Altersgrenze nicht sieben wie im Deliktsrecht, sondern vierzehn Jahre, zudem werde die Steuerungsfähigkeit (Fähigkeit, sich dem Willen gemäß zu verhalten) im Gegensatz zum Deliktsrecht berücksichtigt. Außerdem stehe das Schuldprinzip (die Strafe steht im Verhältnis zur Schuld) im Gegensatz zum zivilrechtliehen Alles-oder-Nichts Prinzip. Es müßten daher der zivilrechtliehen Deliktshaftung Minderjähriger "strafrechtliche Grenzen" gesetzt werden. Das Zivilrecht solle mit dem Strafrecht insofern einhergehen, als eine ruinöse Schadensersatzpflicht Minderjähriger vernieden werden müsse. Diese verstoße gegen das Prinzip der Sozialprävention des Strafrechts, da zu befürchten sei, daß der verurteilte Jugendliche aufgrund seiner aussichtlosen Zukunft auf Arbeit und Heirat verzichten wird und Zuflucht in der Verwendung von Drogen und Kriminalität sucht; eine Harmonisierung des Deliktsrechts mit dem Strafrecht sei wünschenswert. Auch Scheffen 20 empfiehlt, daß bei der Haftungsvoraussetzung der Einsichtsfähigkeit nicht nur die intellektuelle Reife sondern auch die individuelle Steuerungsfähigkeit des Minderjährigen berücksichtigt wird. Als Modell für eine Reform des § 828 II BGB sollte hiernach § 3 S. 1 JGG gelten, welcher lautet: ,,Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln".

3. Referentenentwurfvon 1967

Im Jahre 1967 ist ein Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften ausgearbeitet worden2 1• Nach dem IB Auch: NeuluJUs, 29. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, S. 72 (83); Kuhlen, JZ 1990, 273 (276). 19 Kuhlen, JZ 1990,273-279. 20 Scheffen, FuR 1993, 82 (82); Scheffenl Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Kindern und Jugendlichen, S. 295-296, Rn. 675. 21 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, Karlsruhe 1967.

1. Kap.: Der Mindexjährige als Schädiger

33

Entwurf bliebe der erste Absatz des § 828 BGB unverändert; es waren aber wichtige Modifikationen des zweiten Absatzes des § 828 BGB vorgesehen. Zum einen sollte die Steuerungsfähigkeit des Minderjährigen, d. h. die Fähigkeit, seiner Einsicht nach zu handeln, Voraussetzung für die zivilrechtliche Haftung werden. Somit wäre das im Strafrecht bekannte Kriterium der Steuerungsfähigkeit ins Zivilrecht übernommen worden. Zum zweiten sollte den Richtern die Möglichkeit gegeben werden, im Einzelfall die Schadensersatzpflicht des Minderjährigen nach Billigkeitsgesichtspunkten zu reduzieren. Der Entwurf würde somit zur Auflockerung des bis jetzt geltenden "Alles-oder- Nichts Prinzips" führen. Er ist aber bislang nicht von der Gesetzgebung umgesetzt worden.

IV. Rechtsprechung

1. Der Vorlagebeschluß des OLG Celle vom 26. Mai 1989

Daß der Schutz Minderjähriger im Bereich der Verschuldenshaftung ungenügend und unbefriedigend erscheint, hat das OLG Celle in einem Vorlagebeschluß vom 26. Mai 198922 hervorgehoben. Der Sachverhalt war folgender: Zwei knapp fünfzehn- bzw. sechzehnjährige Jugendliche hatten in einer Halle ein Telefonbuch angezündet, um sich zu wärmen. Vor dem Weggehen hatten sie die brennenden Reste des Buches ausgetreten, jedoch nicht sorgfaltig genug, so daß die Halle abbrannte. Es entstand ein Schaden in einer Höhe von 330.000 DM. Nachdem die Feuerversicherung des Geschädigten ihn entschädigt hatte, nahm sie die Jugendlichen auf 330.000 DM nebst Zinsen in Regreß. Die Beklagten besaßen die gemäß § 828 II BGB erforderliche Einsicht und ihr Verhalten war leicht fahrlässig. Ihre Verschuldenshaftung war also gemäß § 823 I i. V. m. § 828 II BGB gegeben. Die Verpflichtung zum Schadensersatz bedeutete jedoch praktisch eine unterschiedliche Belastung der Minderjährigen, da einer der beiden versichert war, der andere aber nicht. Das OLG Celle hat den haftpflichtversicherten Minderjährigen zum Ersatz des Schadens verurteilt. Für den nichthaftpflichtversicherten Minderjährigen würden die finanziellen und psychologischen Auswirkungen seiner Haftung in keinem vernünftigen Verhältnis zu der vorgeworfenen Tat stehen. Das OLG hat deshalb das Verfahren gemäß Art. 100 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 828 II BGB vorgelegt. Das OLG hält § 828 II BGB dann für verfassungswidrig, wenn eine nur leicht fahrlässige Handlung eines Minderjährigen zu seiner existenzvernichtenden Haftung führt, obwohl die Entschädigung des Opfers von dritter Seite gewährleistet ist. Es bestimmt somit drei Voraussetzungen für die Beschränkung der Deliktshaftung Minderjähriger, auf die im fol~enden näher eingegangen wird.

22

OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989, 709-711; JZ 1990,294-297.

3 Niboyet

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

34

a) Verfassungswidrigkeit des § 828 II BGB aa) Ein leicht fahrlässiges Handeln eines Minderjährigen Das OLG Celle zeigt Verständnis für das Verhalten von Jugendlichen, welches als "Dummerjungenstreich" bezeichnet wird. Es unterscheidet zwischen Minderjährigen und Erwachsenen, weil sich Erwachsene durch den Abschluß einer Versicherung schützen können, während sich Minderjährige auf das Verantwortungsbewußtsein ihrer Eltern zu verlassen haben23 . Lorenz begründet diese Unterscheidung auch damit, daß junge Leute schneller und häufiger leicht fahrlässig handeln als Erwachsene und daß das junge Alter ihre Dummheiten eher entschuldigt24.

bb) Gefahr der Existenzvernichtung des Minderjährigen Das OLG stellt fest, daß ein Minderjähriger aufgrund eines "Dummenjungenstreiches" "für Jahrzehnte, wenn nicht lebenslänglich, auf den einem Sozialhilfeempfänger vergleichbaren Status verwiesen werden wird"25 . Neben dem wirtschaftlichen Ruin des Minderjährigen bestehe das Risiko der Zerstörung seiner Persönlichkeit. Nach Ansicht des OLG führen diese harten Konsequenzen der Verschuldenshaftung zu einem Verstoß gegen die Verfassung: Die im Art. I GG geschützte Würde des Menschens werde durch die psychische Belastung des Jugendlichen verletzt; die finanziellen Auswirkungen der Haftung beeinträchtigten seine Zukunftsmöglichkeiten (Heirat, Kinder ... ) in einem so erheblichen Maße, daß eine solche Haftung Minderjähriger gegen Art. 2 I. i. V. m. Art. 1 I GG, der das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährt, verstoße. In verfassungsrechtlicher Hinsicht beruft sich das OLG Celle auf einen Beschluß des BVerfG vom 13. Mai 198626 • Das BVerfG hat es damals mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger (Art. 2 I i. V. m. Art. I I GG) für unvereinbar gehalten, "daß Eltern ihre Kinderkraft elterlicher Vertretungsmacht (§ 1629 BGB) bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell unbegrenzt verpflichten können". Das BVerfG beauftragte insoweit den Gesetzgeber, in Erfüllung seines Wächteramtes (Art. 6 II 2 GG) Vorschriften zu erlassen, die verhindern, daß dem Minderjährigen beim Volljährigkeitseintritt wegen unerträglicher finanzieller Belastungen nur eine "scheinbare Freiheit" gewährt wird27 • OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989, 709 (709-710). Lorenz, Anm. zu OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989, 711 (712). 25 OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989, 709 (710). 26 BVerfG 13. 05. 1986, NJW 1986, 1859-1861. 27 BVerfG 13. 05. 1986, NJW 1986, 1859 (1860); siehe nun das Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger vom 25. 08. 1998, BGBl. 1998. I. S. 2487 - 2488. 23

24

1. Kap.: Der Mindeijährige als Schädiger

35

Zwar unterscheide sich der vom BVerfG entschiedene Fall von dem vom OLG Celle behandelten Rechtsstreit dadurch, daß dort die Rechtslage des Minderjährigen ausschließlich von durch die Eltern getroffenen Verbindlichkeiten abhänge, während hier dem Minderjährigen ein "Dummenjungenstreich" vorzuwerfen sei. Entscheidend und beiden Fällen gemeinsam sei jedoch die vom BVerfG für verfassungwidrig gehaltene Tatsache, daß Eltern ihre Kinder in erheblichem Maße finanziell belasten, wodurch deren freie Entfaltung sowohl wirtschaftlich als auch persönlich beeinträchtigt werde. Es obliege den Eltern, eine Privathaftpflichtversicherung abzuschließen, um ihre Kinder vor einer existenzvernichtenden Haftung zu schützen. Es sei demzufolge Aufgabe des Gesetzgebers, Regelungen zu treffen, die junge Leute schützen, wenn die Eltern nicht verantwortungsbewußt genug seien, das Kind abzusichern, damit es bei Eintritt in die Volljährigkeit nicht schon überschuldet sei. cc) Eine Entschädigung von dritter Seite Das OLG Celle will die Haftungsbeschränkung Minderjähriger davon abhängig machen, daß der Geschädigte von "dritter Seite" entschädigt wird28. Diese Voraussetzung des Bestehens einer Entschädigung von dritter Seite priift das Gericht nicht, wenn der Minderjährige haftpflichtversichert ist, sondern erst dann, wenn er vermögenslos und nicht haftpflichtversichert ist. Unter "dritter Seite" versteht das OLG Celle vor allem die Versicherer des Geschädigten. Diese Voraussetzung ist sehr umstritten. Canaris stimmt mit dem OLG insofern überein, als die Haftungsbeschränkung Minderjähriger auch zu einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung auf seiten des Geschädigten führen kann und sich durch die Unverhältnismäßigkeil zwischen dem Eingriff in das Grundrecht des minderjährigen Schädigers und dem Ausgleichsinteresse des Geschädigten rechtfertigt. Jedoch solle nicht die Entschädigung des Geschädigten durch einen Dritten, sondern die Entschädigungsmöglichkeit des Geschädigten im allgemeinen inklusive seiner eigenen Vermögenslage das Kriterium sein29. Lorenz weist darauf hin, daß die Berechtigung einer solchen Kostenverlagerung in den Fällen bestreitbar ist, in denen die Kosten nicht von der Versicherung des Schädigers, sondern von der Versicherung des Geschädigten getragen werden, da sich hier Schädiger und Versicherungsnehmer unterscheiden, mit der Folge, daß der minderjährige Schädiger keine Aufwendungen erbracht hae0 . Kuhlen lehnt die Voraussetzung alternativer Entschädigungsmöglichkeiten des Geschädigten für die Haftungsbegrenzung Minderjähriger ab, weil sie im Strafrecht unmöglich ist und das Zivilrecht nicht strenger als das Strafrecht sein darf. 28

29 30

3*

OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989, 709 (710). Canaris, JZ 1990, 679 (681). Lorenz, Anm. zu OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989,711 (712).

36

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Als zweites Argument führt er an, daß das Risiko der Nichtentschädigung des Opfers der für die Haftungsbeschränkung Mindetjähriger zu zahlende Preis sei: Die Minderjährigenbegünstigung bedeute eine notwendige Kostenverlagerung, d. h. daß andere als der mindetjährige Schädiger die Kosten des Schadens tragen müssen, ohne daß es darauf ankomme, ob der Belastete Geschädigter oder Dritter sei 31 . Meines Erachtens sollte die Möglichkeit einer Entschädigung von "dritter Seite" für die Verschuldenshaftung Minderjähriger keine Rolle spielen, weil sich die Verschuldenshaftung von der Billigkeitshaftung unterscheidet, so daß Billigkeitsgründe im Hinblick auf die Rechtslage des Geschädigten bei der Verschuldenshaftung Mindetjähriger außer Acht gelassen werden sollten. Entscheidet man sich für den Schutz des Mindetjährigen, kommt eine Einschränkung seiner Verschuldenshaftung in Frage; entscheidet man sich dagegen für den Schutz des Geschädigten, ist die aktuelle Verschuldenshaftung Minderjähriger unverändert zu belassen oder unter Umständen zu verschärfen. In beiden Fällen sollten aber alternative Entschädigungsmöglichkeiten des Geschädigten die getroffene Wahl nicht mehr beeinflussen. b) Zusammenfassung zu OLG Celle Mit dem Vorlagebeschluß des OLG Celle ist eine deutliche Empfehlung für die Begrenzung der Haftung Mindetjähriger gegeben worden. Junge Menschen sollten nicht schon wegen eines "Dummenjungenstreiches" insolvent und ohne Zukunftsaussicht in das Erwachsenenleben eintreten, was aber die aktuelle Kombination der §§ 828 II, 823 BGB ermögliche. Nach dem OLG Celle bedeutet also die existenzvernichtende Haftung eines Mindetjährigen aufgrund eines nur leicht fahrlässigen Handeins und trotz Bestehens anderer Entschädigungsmöglichkeiten des Geschädigten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte des Minderjährigen aus Art. 1 und 2 GG, da dem Gesetzgeber alternative Lösungswege, die einen Verfassungsverstoß vermeiden, zur Verfügung stehen. So erwähnt das Gericht die Möglichkeiten einer Haftungsbegrenzung nach Billigkeit und einer staatlichen oder privaten Pflichthaftpflichtversicherung 32 • Das OLG Celle hat das Verfahren gemäß Art. 100 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 828 II BGB vorgelegt. Das BVerfG konnte diese Frage nicht beantworten, da sich die Parteien zwischenzeitlich in einem Vergleich einigten. Dieser Vorlagebeschluß hat sowohl in der Literatur als auch in der Gerichtspraxis Aufmerksamkeit erregt. Auf der einen Seite gab es Anlaß zur Diskussion in der Literatur, die sich fast einheitlich davon hat überzeugen lassen, daß die Haftung nach § 828 II BGB unerträglich hart sei. Aber auch in der Rechtsprechung ist der Vorlagebeschluß des OLG Celle kein Einzelfall geblieben. Andere Gerichte 31 32

Kuhlen, JZ 1990, 273 (279). OLG Celle 26. 05. 1989, VersR 1989,709 (710, 711).

1. Kap.: Der Mindeijährige als Schädiger

37

sind seinem Beispiel gefolgt und haben sich bezüglich des Umfangs der Haftung Minderjähriger immer wieder auf das OLG Celle berufen:

2. Fortsetzung des LG Bremen33 Fast zwei Jahre nach der Entscheidung des OLG Celle hat das LG Bremen die Gelegenheit ergriffen, den vom OLG Celle beschrittenen Weg fortzusetzen. In diesem Fall handelte es sich um den Regreßanspruch einer Feuerversicherung gegen zwei Jungen von 9 und 10 Jahren, die eine Lagerhalle in Brand gesetzt hatten. Mangels Haftpflichtversicherung des neunjährigen Minderjährigen weigerte sich das LG Bremen, der Klage gegen ihn stattzugeben. Als Begründung für seine Entscheidung berief sich das Landgericht ausdrücklich auf den Beschluß des OLG Celle und wies darauf hin, daß eine existenzvernichtende Haftung des Minderjährigen für ein lediglich leicht fahrlässiges Handeln gegen das Grundgesetz verstoße. Im konkreten Fall würde eine solche Haftung des Minderjährigen sowohl die Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I und 3 I, als auch die Art. 6 I und 20 I GG verletzen. Die Einwirkung der Grundrechte über die Generalklauseln des Zivilrechts gebe dem Richter das Recht und die Pflicht, den § 242 BGB so auszulegen, daß er eine solche Haftung des Minderjährigen verbiete. Gemäß § 242 BGB sind nämlich die Leistungen nach Treu und Glauben zu bewirken. Die existenzvernichtende Haftung des Minderjährigen aus der Kombination von §§ 823 I, 828 II S. 1 und 249 BGB verstoße gegen § 242 BGB. Das Gericht hat deshalb die Klage des Versicherungsträgers abgewiesen, aber auf seinen Hilfsantrag festgestellt, daß für den Fall, daß sich in der Zukunft die finanzielle Lage des Beklagten wesentlich verbessert, der Beklagte den Anspruch des Klägers teilweise oder ganz zu erfüllen hat.

3. Fortsetzung des LG Dessau34 Ein unversicherter Sechzehnjähriger fuhr ohne Führerschein Moped und stieß gegen einen vorfahrtsberechtigten Lkw. Seine dreizehnjährige Freundin, die auf dem Beifahrersitz saß, trug keinen Sturzhelm und ist bei dem Unfall schwer verletzt worden. Nachdem die Krankenversicherung des verletzten Mädchens es entschädigt hatte, nahm sie den sechzehnjährigen Mopedfahrer in Höhe von circa 150.000 DM in Regreß. Für das LG Dessau waren die Voraussetzungen für die deliktische Haftung des Minderjährigen erfüllt. Der Minderjährige sei einsichtsfähig i. S. v. § 828 II BGB, da er nach seiner geistigen Entwicklung allgemein imstande war zu erkennen, daß sein Verhalten Unrecht und daß er für die Folgen seines Tuns verantwortlich war. Auch die Fahrlässigkeit des Minderjährigen sei zweifellos zu bejahen, weil er sich der Gefahr seines Verhaltens (Mopedfahren 33 34

LG Bremen 15. 02. 1991, NJW-RR 1991, 1432-1435. LG Dessau 25. 09. 1996, VersR 1997,242-246.

38

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

ohne Versicherung, ohne Fahrerlaubnis, ohne die Verkehrsregeln zu beachten sowie seine Freundin ohne Helm mitzunehmen) bewußt sein mußte und die Geschwindigkeit des Lkw schuldhaft falsch einschätzte. Aufgrund der Unerträglichkeil des Ergebnisses weigerte sich jedoch das LG Dessau, die Haftung auszusprechen, setzte deshalb das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 828 II BGB vor. Nach Meinung des LG Dessau ist § 828 II BGB insofern verfassungswidrig, als er erlaube, daß aus einer Fahrlässigkeit, die ein typisches Jugendfehlverhalten bilde, die unbegrenzte Haftung des Minderjährigen resultiere, obwohl die finanzielle Entschädigung des Opfers von Dritter Seite (z. B. einer Versicherung) gewährleistet sei. Dieser Beschluß erinnert an die Entscheidungen des OLG Celle und des LG Bremen. Zweimal schon hatten Gerichte auf die Verfassungswidrigkeit des § 828 BGB hingewiesen. Im Fall des OLG Celle hatten die an dem Thema interessierten Juristen ungeduldig auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewartet. Ein Urteil war jedoch aufgrund der Einigung der Parteien im Endeffekt nicht gesprochen worden. Das LG Bremen hatte sich seinerseits auf die Generalklausel des § 242 BGB berufen, um die Klage abzuweisen. Die Entscheidung des LG Dessau war endlich Anlaß für die lang erwartete Antwort des Bundesverfassungsgerichts, auf die jetzt näher eingegangen wird.

4. Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts Am 13. August 1998 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung getroffen35. Es hat die Richtervorlage als unzulässig zurückgewiesen. Weder die Voraussetzungen des Art. 100 I GG, noch diejenigen des§ 80 II BVerfGG seien erfüllt. Das Normenkontrollverfahren im Rahmen des Art. 100 I GG ist deshalb gescheitert, weil § 828 II BGB vorkonstitutionelles Recht sei. Dieses Hindernis könne ausnahmsweise beseitigt werden, wenn festgestellt werden kann, daß das vorkonstitutionelle Gesetz nach Inkraftreten des GG vom Gesetzgeber bestätigt worden ist. Dieser Bestätigungswille sei hier zu verneinen. Die Änderungen des BGB führten nicht dazu, daß der Gesetzgeber dadurch die Verfassungsmäßigkeit des Gesamtgesetzes bejaht hätte. Entscheidend sei, daß seit dem Inkraftreten des GG die für verfassungswidrig gehaltene Vorschrift des § 828 II BGB und darüber hinaus die Deliktshaftung Minderjähriger nie Gegenstand einer gesetzlichen Reform gewesen sei. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers zu den kritischen richterlichen Reaktio35 BVerfG 13. 08. 1998, NJW 1998, 3557-3558; VersR 1998, 1289-1291; Sachs, Anm. zu BverfG 13. 08. 1998, JuS 1999, 812-813. Über diese Entscheidung, siehe auch die ausführlichen Aufsätze von Goecke: Unbegrenzte Haftung Minderjähriger?, NJW 1999, 2305231 0; Looschelders: Verfassungsrechtliche Grenzen der deliktischen Haftung Minderjähriger - Grundsatz der Totalreparation und Übermaßverbot - Zugleich Anmerkung zum Beschluß des BverfG vom 13. 8. 1998-, VersR 1999, 141-151 ; Müller, Restschuldbefreiung und materielles Recht, KTS 2000, 57 (62ft); Rolfs: Neues zur Deliktshaftung Minderjähriger, JZ 1999,233 - 242.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

39

nen auf § 828 II BGB ergebe sich auch kein Bestätigungswille. Folglich sei die Richtervorlage nach Art. 100 I GG unzulässig. Außerdem erfülle sie die Begründungserfordernisse des § 80 II BVerfGG nicht. Dieser Paragraph besagt, daß die Richter in ihrer Begründung darauf hinzuweisen haben, inwiefern ihre Entscheidung von der Gültigkeit der vorgelegten Rechtsnorm abhängt und inwiefern diese Vorschrift verfassungswidrig ist. Das LG Dessau habe die Entscheidungserheblichkeit des § 828 II BGB ausreichend begründet und auch die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift plausibel dargestellt. Jedoch wird dem LG Dessau vorgeworfen, daß es andere in Frage kommende Auslegungsmöglichkeiten zur Korrektur der Härte der Minderjährigenhaftung nicht genügend berücksichtigt habe. So wäre unter anderem die Möglichkeit einer Reduzierung des Schadensersatzumfangs des Minderjährigen nach § 76 II Nr 3 SGB IV zu untersuchen gewesen. Diese Vorschrift begrenzt nämlich den Regreß des Versicherungsträgers, wenn die Regreßforderung zu harte Rechtsfolgen bedeuten würde. Außerdem hätte das LG Dessau prüfen müssen, inwieweit durch die neue Insolvenzordnung die Gefahr der lebenslangen Überschuldung ausgeschaltet oder eingeschränkt worden ist. Schließlich wird den Richtern des LG Dessau der Vorwurf gemacht, daß sie die Anwendbarkeit des § 242 BGB ausgeschlossen haben, ohne sich mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung genügend auseinandergesetzt zu haben. Nach dem BVerfG verstoße die Anwendung des § 242 BGB nicht gegen Wortlaut und Sinn des § 828 II BGB. Eine Beschränkung der Haftung Minderjähriger nach § 242 BGB sei nach den Umständen des konkreten Falles zu entscheiden. Aus prozessualen Gründen ist die Vorlage an das BVerfG gescheitert. Interessant sind aber die vom BVerfG gegebenen inhaltlichen Hinweise. Die Verfassungsrichter betonen, daß die Verfassungswidrigkeit des § 828 II BGB im Hinblick auf Art. 2 I GG i. V. m. Art 1 GG plausibel ausgeführt worden ist. Entscheidend ist also, ob nicht andere rechtliche Möglichkeiten für eine Beschränkung der Deliktshaftung Minderjähriger bestehen. Im Rahmen von Verkehrsunfallen sollte die spezielle Reduktionsvorschrift des § 76 II Nr. 3 SGB IV von den Gerichten demzufolge öfters beachtet werden36• Im allgemeinen Deliktsrecht sollte die Generalklausel des § 242 BGB über Treu und Glauben nicht vergessen werden. Die Anwendbarkeit des § 242 BGB wird nicht allgemein begründet, sondern ergibt sich aus dem konkreten Fall. Sie scheint eine gute Schutzwehr gegen eine unbegrenzte Haftung Minderjähriger zu bilden. Von der Entscheidung des BVerfG hatte man sehr viel erwartet, nämlich die Erklärung der Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Regelung der Deliktshaftung Minderjähriger37 • Liest man die Entscheidung des BVerfG, wird man diesbezüglich stark enttäuscht. Zusammenfassend ergibt sich aus der Entscheidung des BVerfG, daß Minderjährige grundsätzlich unbegrenzt haften, daß aber die Richter die Haftung Minderjähriger aus Billigkeitsgründen selbst einschränken können. 36 37

Vgl. Ahrens, VersR 1997, 1064 (1064). Z. B.: von Hippe/, VersR 1998,26 (27).

40

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Die Entscheidung des BVerfG bleibt hinter den in sie gesetzten Erwartungen, ja Hoffnungen, weit zurück, und es ist fraglich, inwieweit diese Entscheidung das Problem der Deliktshaftung Minderjähriger gelöst hat. Hierbei bietet es sich an, den Blick auf das französische Recht zu richten.

B. Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die Verschuldeoshaftung Minderjähriger im Code civil Im Gegensatz zum deutschen Recht ist im französischen Gesetzestext keine ergänzende Regelung bezüglich der Deliktshaftung Minderjähriger getroffen worden. Die Verschuldeoshaftung Minderjähriger beurteilt sich deshalb ausschließlich nach dem Art. 1382 Ce. Problematisch ist dabei, ob die Einsichtsfähigkeit eine Voraussetzung für die Haftung Minderjähriger aus Art. 1382 Ce bildet. Für die Klärung dieser Frage kommt es entscheidend auf die Auslegung des Begriffs der faute gemäß Art. 1382 Ce an. I. Der BegritT der faute

1. Die Generalklausel des Art. 1382 Ce

Nach Art. 1382 Ce i. V. m. Art. 1383 Ce ist jeder, der einem anderen vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden zufügt, zum Ersatz verpflichtet 38 • Anders als § 823 BGB im deutschen Recht, der ausschließlich bestimmte Güter und absolute Rechte schützt, bildet Art. 1382 Ce eine GeneralklauseL Dies erklärt sich vor allem durch den historischen Kontext seiner Entstehung im Zuge der französischen Revolution. Der 1804 entstandene Text spiegelt den allgemeinen Gleichheits- und Freiheitsgedanken besonders deutlich wider. Art. 1382 Ce trägt dem Gedanken der Gerechtigkeit Rechnung und "liest sich wie ein Artikel aus der Erklärung der Menschenrechte"39 : "Tout fait quelconque de I' homme, qui cause aautrui un dommage, oblige celui par lafaute duquel il est arrive, ale reparer". Art. 1382 Ce begnügt sich damit, als Haftungsvoraussetzung eine faute, einen Schaden und einen Kausalzusammenhang zwischen beiden zu verlangen, ohne diese Begriffe weiter zu präzisieren. Zentralbegriff dieser Norm ist die faute. Die Auslegung des Begriffes der faute ist für die Verschuldeoshaftung Minderjähriger entscheidend, weil je nach seiner Definition die Einsichtsfähigkeit zur Voraussetzung der Verantwortlichkeit wird

a

38 Art. 1382 Ce: Tout fait quelconque de l'honune, qui cause autrui un donunage, oblige celui par Ia faute duquel i1 est arrive, Je reparer. Art. 1383 Ce: Chacun est responsable du donunage qu'il a cause non seulement par son fait, mais encore par sa negligence ou par son imprudence. 39 Ferid, Das Französische Zivilrecht, Band I, S. 829, Rn 2M43.

a

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

41

oder nicht. Da jeder empfinden kann, wann er schuldhaft handelt, hat der Gesetzgeber es für unnötig gehalten, diesen Begriff zu definieren40. Eine Definition der faute ist außerdem als ein unmögliches Unterfangen betrachtet worden. In der Literatur fehlt es dennoch nicht an Vorschlägen zu einer Präzisierung. Eine große Verbreitung fand die Definition von Planiol nach der eine faute die Verletzung einer vorgefundenen Pflicht sei (" violation d'une obligation preexistente ")41 • Dies hat sich indes als zu vage und damit als unzureichend erwiesen42. Der Mangel einer Legaldefinition der faute ging einher mit der Flexibilität des Begriffs und einer gewisseneo Rechtsunsicherheit Es oblag deshalb den Richtern, mit Hilfe der Literatur, den Begriff der faute auszulegen. Der den Richtern gegebene Freiraum bei der Auslegung sowie das Erfordernis einer Anpassung an die soziale und wirtschaftliche Entwicklung haben das Haftungsrecht zum Richterrecht gemacht43 .

2. Die Definitionen der faute in der Literatur In der Literatur werden überwiegend zwei Theorien vertreten: Zum einen eine subjektive Auffassung der faute (Theorie de Ia faute subjective) und zum anderen eine objektive Auffassung der faute (Theorie de Ia faute objective). a) Theorie de lafaute subjective

Traditionell faßte man die faule als ein dem Urheber vorwerfbares fehlerhaftes Verhalten auf (un fait illicite imputable a son auteur44 ). Die faute umfaßte nach dieser ehemals herrschenden Lehre45 somit zwei Elemente: die Vorwerfbarkeit des Verhaltens (l'imputabilite) als subjektives Element und ein fehlerhaftes Verhalten Rabut, De Ia notion de faute en droit prive, S. 8, n° 1. Planiol, R. C. 1905, S. 277 (287). 42 Dazu Malaurie/ Aynes, Les obligations 1998, S. 40, n° 52; Rabut, De Ia notion de faute en droit prive, S. 22-23, no 13. 43 Vgl. Malauriel Aynes, Les obligations 1998, S. 29-30, n° 30; Le Tourneau, RTD civ. 1988, 505 (508). 44 Wörtlich übersetzt heißt ein fait illicite imputable a son auteur ein dem Urheber zurechenbares rechtswidriges Verhalten. Eine solche Übersetzung würde jedoch zu Mißverständnissen mit den deutschen Begriffen führen und nicht alle Bedeutungsebenen des französischen Ausdrucks berücksichtigen. Die gewählte Übersetzung richtet sich deshalb nicht nach dem Wort, sondern nach Inhalt und Bedeutung des französischen Ausdrucks. 45 Planiol/ Ripert/ Esmein, Traite pratique de droit civil fran~ais, tome VI, S. 642, n° 477: ,,La faute consiste acomrnettre un acte interdit ou a s'abstenir d' accomplir un acte auquel on etait tenu. On doit donc Ia definir comrne un manquement a une Obligation. Mais il faut que l'auteur de ce manquement soit sujet a un reproche." Savatier, Cours de droit civil, tome II, S. 114, no 232; Savatier, R. C. 1934, S. 409 (410, no 2): ,,La faute comporte deux e1ements, l'un surtout objectif, 1e devoir vio1e,l'autre plutöt subjectif, l'imputabilite al'agent." 40 41

42

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

(un fait illicite) als objektives Element der faute. Weiterhin würde demnach das subjektive Element, Vorwerfbarkeit, die Einsichtsfähigkeit (discemement46) des Täters voraussetzen. Daraus folgt die absolute Nichthaftung von Geisteskranken und Kleinkindern, da es ihnen an der Einsichtsfähigkeit mangelt: Sie können das Unrecht der Schadenszufügung nicht einsehen und daher auch nicht vermeiden. Es ist festzustellen, daß nach der subjektiven Auffassung die juristische faute somit ein starkes moralisches Merkmal enthält47 . b) Theorie de lafaute objective

Ausgehend von der Prämisse, daß der Geschädigte schutzbedürftiger ist als der Schädiger, ist in der Literatur48 eine objektive Auffassung der faute entwickelt worden. Der klassischen subjektiven Auffassung der faute ist der Vorwurf gemacht worden, daß sie die Fahrlässigkeitsfalle zu wenig beriicksichtigt49. Nach der Theorie de Ia faute objective wird zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen Handlungen unterschieden. Beim Vorsatz wird das Element der Vorwerfbarkeit und somit der Einsichtsfähigkeit des Täters weiterhin vorausgesezt50• Sobald es aber um Fahrlässigkeit geht, kommt es auf die Vorwerfbarkeit nicht mehr an51 . Das Vorliegen des objektiven Elements der faute, nämlich eines fehlerhaften Verhaltens (illiceite) ist demnach erforderlich, aber auch ausreichend für die Bejahung der faute. Folge dieser Auffassung ist, daß auch Geisteskranke und infantes von der deliktischen Zivilhaftung erfaßt werden, da auch sie objektiv fahrlässige Taten begehen können52. 46 Carbonnier. Les Obligations 1994, s. 361, n° 223: "etat de discemer le bien du mal, le discemement supposant la fois une suffisante raison et une certaine force de volonre." 47 Esmein, RTD civ 1949, S. 481 (481-485); Rabut, De Ia notion de faute en droit prive, S. 147, no 117: "Tandis qu'une "maladresse", une imprudence, une negligence peuvent laisser place une faute morale (et meme souvent colncident si souvent avec eile que Ia substitution de concept est justifiee), la demence complete exclut toute volonte, toute raison, et par consequent toute faute morale: considerer I' acte du dement comme fautif serait donner une solution certainement Contraire celle de Ia regle de justice commutative." 48 Mazeaudl MazeaudiTunc, Traite theorique et pratique de Ia responsabilite civile delictuelle et contractuelle, tome I, S. 496, no 424. 49 Mazeaud I Mazeaud I Tune, Traite theorique et pratique de Ia responsabilire civile delictuelle et contractuelle, tome I, S. 473-479, n° 395-407. 50 Blanc-Jouvan, RTD civ. 1957, 28 (33, n° 4): " . . . i1 n'est pas contestable que I' infans est parfaitement incapable de commettre une faute intentionnelle. L' etre depourvu de raison, en effet, n'est pas en mesure d'agir avec la volonte de causer un dommage." Mazeaudl MazeaudiTunc, S. 480, no 410. st Blanc-Jouvan, RTD civ. 1957, 28 (54-55, no 16); ChabasiMazeaud/Mazeaudl Mazeaud, ~ons de droit civil, tome II, ler vol., S. 349, no 375. 52 Mazeaud I Mazeaud I Tune, Traite theorique et pratique de la responsabilite civile delictuelle et contractuelle, tome I, S. 528, no 464 ..... l'individu prive de raison peut commettre une faute civile, par suite est susceptible d' engager sa responsabilite civile. La solution contraire ne repose que sur une confusion, bien comprehensible d'ailleurs, de la faute civile et de Ia faute morale. On ne veut pas condarnner civilement quelqu'un que l'on ne condarnne pas

a

a

a

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

43

II. Die Berücksichtigung der Einsichtsflihigkeit Minderjähriger in der Rechtsprechung des französischen Kassationshofs

1. Die Rechtslage bis zum Jahre 1968

a) Der Ausschluß der Haftung bei Kleinkindern (infantes) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schloß die französische Rechtsprechung die zivile deliktische Haftung des Mindetjährigen in der frühen Kindheit, des sog. infans, aus53 . Der Ausschluß der Haftung der infantes entsprach der Theorie de La faute subjective und blieb für mehr als ein Jahrhundert ständige Rechtsprechung des Kassationshofs. Problematisch war jedoch der Mangel an Präzision des Begriffs infans. Er entstammt dem lateinischen und bedeutet etymologisch detjenige, der nicht sprechen kann. Die Rechtsprechung hat das Wort jedoch im weiteren Sinne angewandt und unter infans das Kind, das noch kein discernement besitzt, verstanden54• Die Instanzgerichte hatten jeweils die Psyche des Kindes daraufhin zu untersuchen, ob es seine Handlung begreifen konnte55 • Die Flexibilität des Begriffs führte zu Rechtsunsicherheit und Widersprüchlichkeiten in der Rechtsprechung56. b) Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die Haftung älterer Mindetjähriger Bezüglich der Haftung älterer Mindetjähriger bestand zwar im französischen Recht nie eine dem § 828 II BGB vergleichbare Vorschrift; zunächst wurden aber dadurch entsprechende Ergebnisse erzielt, daß die Einsichtsfähigkeit des Täters als erforderliches Element der faute angesehen wurde. Die Verschuldenshaftung Mindetjähriger setzte traditionell ein fehlerhaftes Verhalten voraus, das ihnen aufgrund ihrer Einsichtsfähigkeit vorgeworfen werden konnte.

moralement. C'est une illusion. L'homme est incapable de porter un jugement moral sur autrui, comme sur lui-meme d'ailleurs: de decouvrir Ia part de liberte, donc de responsabilite morale, qui a inspire un acte, et Ia part d'beredite, d'education, de conditionnement physique et mental, qui ont tendu al'imposer." Mazeaud, D. 1985, Chron. S. 13 (13-14). 53 Aix 19. 06. 1877, D. 1879. 5. 365 no 28. 54 Zu diesem Punkt, siehe Blanc-Jouvan, RTD civ. 1957, 28 (29). 55 Deutlich: Paris, 05. 06. 1959, D. 1959, somm. S. 76 (76): ,,La loi ne fixant aucun äge de discemement, il convient d'admettre Ia responsabilite de l'enfant lorsque ce dernier est assez intelligent pour comprendre sa faute. Lorsqu'il s'agit d'apprecier sa responsabilite, Je juge doit donc exarniner si l'enfant a agi avec discernement et dispose sur ce point d'un pouvoir souverain d' appreciation." 56 Blanc-Jouvan, RTD civ. 1957,28 (30).

44

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

2. Auswirkung der Neueinführung des Art. 489-2 Ce im Jahre 1968 auf das Erfordernis der Einsichtsfähigkeit Minderjähriger

a) Die Rechtslage geistesgestörter Personen Im deutschen Recht sind Geistesgestörte für die Schäden, die sie anrichten, aufgrund ihrer fehlenden Einsichtsfähigkeit nicht verantwortlich (§ 827 BGB). Aus den gleichen Gründen entfällt die entsprechende Haftung von Kleinkindem (§ 828 I BGB). Um jedoch die Folgen zu mindern, zu denen der Ausschluß der Haftung für den Geschädigten führen kann, sieht § 829 BGB eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen vo.-57 . Im Gegensatz zum deutschen Recht ist die Billigkeitshaftung dem französischen Recht fremd geblieben. Eine mögliche Korrektur der Nichthaftung käme somit nicht in Frage, so daß man in Frankreich vor die Alternative gestellt war, entweder stets den nicht Einsichtsfähigen oder den Geschädigten zu benachteiligen. aa) Die bisherige Nichthaftung geistesgestörter Personen In einem Grundsatzurteil vom 14. Mai 186658 sprach der Kassationshof den Grundsatz der zivilrechtliehen Haftungsfreiheit Geisteskranker aus. Dies entsprach der Theorie de la faute subjective, nach welcher die faute die Vorwerfbarkeit des Schädigers voraussetzt, was zur Unmöglichkeit der Haftung Geisteskranker führte. Der Interessenkonflikt zwischen dem geistesgestörten Schädiger und dem Geschädigten wurde somit zu Lasten des Geschädigten gelöst. Selbst wenn diese Rechtsprechung zunächst ständig bestätigt worden ist, hat der Kassationshof angesichts der Sorge um den Schutz des Geschädigten dem Grundsatz der Haftungsfreiheit geistesgestörter Personen eine enge Anwendung gegeben, indem er eine vollständige Geistesstörung zum Zeitpunkt der Schadensverursachung verlangte59. Außerdem versuchten die Gerichte möglichst die Haftung der aufsichtspflichtigen Person zu begründen60. Die Interessen des Geschädigten führten daher zu einer gewissen Zurückhaltung der Gerichte bei der Anwendung des Grundsatzes der Nichthaftung geistesgestörter Personen61 •

57 Siehe Zweites Subkapitel, Erster Abschnitt: Die Billigkeitshaftung des Minderjährigen gemäߧ 829 BGB. 58 Req. 14. 05. 1866, D. 1867. 1. 296-297. 59 Civ. 2, 15. 12. 1965, D. 1966, jur. S. 397 (397). 60 Civ. 2, 25. 01. 1957, D. 1957, jur. S. 163 (163); Civ. 2, 18. 10. 1967, Bull. civ. II. no 288, s. 201-202. 61 Burst, J. C. P. ed G. 1970. I. 2307.

1. Kap.: Der Mindeijährige als Schädiger

45

bb) Die Neueinführung des Art. 489-2 Ce (I) Die neue Haftung geistesgestörter Personen

Im Jahre 1967 hatte die französische Regierung dem Parlament zur Haftung geistesgestörter Personen einen Gesetzesänderungsvorschlag vorgelegt, der im folgenden Jahr zur Verabschiedung des neuen Art. 489-2 Ce führte 62. Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der im Zustande der Geistesgestörtheit einem anderen einen Schaden zufügt, trotzdem zum Ersatze des Schadens verpflichtet (" Celui qui a cause Un dommage 0 autrui a/ors qu'i/ etait SOUS /'empire d'un troub/e mental, n 'en est pas moins oblige areparation "). Die Gesetzesreform führte somit zur Möglichkeit einer Verschuldeoshaftung Geisteskranker und damit zu einem neuen Verständnis der herkömmlichen Verschuldenshaftung. Ziel des Art. 489- 2 Ce war es, dem Geschädigten einen Schadensersatz zu gewähren, ohne daß es auf die Einsichtsfähigkeit des Schädigers ankäme. (2) Bewertung des Art. 489-2 Ce

Auf der einen Seite ist die Tatsache, daß die Gesetzesänderung zur Verbesserung der Rechtsstellung des Geschädigten führt, zu begrüßen. Für den Geschädigten spielt es nämlich keine Rolle, ob eine geistesgesunde oder eine geisteskranke Person ihm einen Schaden zugefügt hat. Entscheidend ist nur, daß er einen Schaden erlitten hat und dafür Schadensersatz bekommt63 . Es war eine ungerechte Lösung, dem Geschädigten zusätzlich zu dem Unglück des Schadens noch das Unglück aufzubürden, daß er ersatzlos blieb. Auf der anderen Seite ist die Gesetzesänderung hinsichtlich der geltenden Theorie de Ia faute subjective jedoch rechtlich überraschend, da einem urteilsunfähigen Menschen sein Fehlverhalten vorgeworfen wird64 • Ironisch klingt auch der Titel des Code civil, in dem sich diese Vorschrift befindet, denn er benutzt den Ausdruck der "geschützten Volljährigen", während Art. 489- 2 Ce zur Verschärfung ihrer Haftung führt. Im Schrifttum65 war streitig, ob die durch Art. 489-2 Ce bewirkte Einschränkung der faute auf die illiceite des Verhaltens eine Ausnahme nur für geisteskranke Personen war. Andernfalls wäre Art. 489-2 Ce auch auf Kleinkinder, die ebenfalls 62 Loi no 68-5 du 3 janvier 1968 portant reforme du droit des incapables majeurs, J. C. P. ed. G. 1968. III. 33784. 63 Flourl Aubert, Les Obligations 1997, no 96. 64 Kritik dazu Viney, RTD civ. 1970, 251 (267). 65 Siehe z. B. Burst, I. C. P. ed. G. 1970. I. 2307/ Goupil, Gaz. Pal. 1972, Doctr. S. 269. Näher dazu unten in diesem Abschnitt, B. II. 2. b) aa) Die Auseinandersetzungen in der Literatur.

46

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

einsichtsunfahig und den Geisteskranken traditionell gleichgestellt sind, auszudehnen. b) Die Wirkung des Art. 489-2 Ce auf die Rechtslage der Kleinkinder Auf die Frage, ob auch geisteskranke Minderjährige in den Anwendungsbereich des Art. 489- 2 Ce fallen, hat der Kassationshof in seiner Entscheidung vom 20. Juli 197666 eine bejahende Antwort gegeben. Zu dem Problem, ob Art. 4892 Ce auch auf gesunde Kleinkinder Anwendung findet, gab die zitierte Entscheidung wegen ihrer Knappheit keinen Aufschluß. Im Schrifttum ist dies zu einem leidenschaftlich diskutierten Thema geworden. aa) Die Auseinandersetzungen in der Literatur Ein Teil der Literatur67 vertritt die Ansicht, daß Art. 489- 2 Ce zum allgemeinen Haftungssystem gehört und somit als Auslegungsregel der Art. 1382- 1386 Ce zu betrachten ist. Die Art. 1382 ff Ce würden von nun an das subjektive Element der Einsichtsfähigkeit nicht mehr beriicksichtigen. Die persönliche Haftung beruhe trotzdem noch auf der faute. Die schädigende Handlung stelle nämlich eine objektive faute dar, mit der Folge, daß auch das Kleinkind eine faute begehen könne. Nach Puech beruht die Nichthaftung aller Einsichtsunfähiger auf einem strengen Syllogismus. Geistesgestörte Personen und Kleinkinder haben keine Einsichtsfahigkeit. Die faute setzte die Einsichtsflihigkeit voraus, mit der Folge, daß geistesgestörte Personen und Kleinkinder nicht haften konnten. Mit der Einführung des Art. 489- 2 Ce bildet die Vorwerfbarkeit und somit die Einsichtsflihigkeit keine Voraussetzung für die Deliktshaftung geistesgestörter Personen mehr. Folglich könne sie auch keine Voraussetzung mehr für die Haftung der Kleinkinder sein, weil der Grund für den Ausschluß ihrer Haftung in beiden Fällen gleich war6s. Daß bei geisteskranken Personen der Beweis eines objektiven Fehlverhaltens für die Bejahung ihrer Haftung ausreiche, während die Haftung von Kleinkindem aufgrund ihrer mangelnden Einsichtsfähigkeit weiter ausgeschlossen werde, verstoße gegen das Prinzip der Gleichbehandlung69. Die Vertreter der anderen Auffassung, derzufolge Art. 489-2 Ce als Ausnahme anzusehen ist, meinten, daß Art. 489- 2 Ce keine die Art. 1382 ff Ce ergänzende 66 Civ. 1, 20. 07. 1976, Bull. civ. I. no 270, S. 218-219; J.C.P. ed G. 1978. II. 18793, obs. Dejean de Ia Batie. 67 Massip, Defr. 1968. I. 29055, S. 229 (245-246); Massip, La reforrne du droit des incapables rnajeurs, torne I, S. 49-50, no 36; Vzney, RTD civ. 1970, 251 (254). 68 Puech, L'illiceite dans Ia responsabilire civile extracontractuelle, S. 65-66, no 52. 69 Burst, J. C. P. ed. G. 1970. I. 2307; Vzney, RTD civ. 1970, S. 251 (264 - 265).

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

47

Vorschrift bildet, sondern daneben eine autonome Existenz und Tragweite besitzt70. Dafür wird zum einen der Wortlaut ins Feld geführt, denn die Vorschrift enthält weder das Wort Verantworlichkeit, noch das Wortfaute71 • Zum zweiten wird auf die systematische Stellung des Art. 489- 2 Ce hingewiesen72 : Der Art. 489- 2 Ce befindet sich im XI. Titel des ersten Buches des Code civil, das mit "Über die Volljährigkeit und die vom Gesetz geschützten Volljährigen" tituliert ist. Sollte der umstrittene Artikel die Art. 1382 ff Ce betreffen, wäre er im Kapitel II: Titel IV "Über Delikte und Quasi-Delikte" eingeordnet worden. Deshalb sei Art. 489-2 Ce nur auf geisteskranke Personen anzuwenden und betreffe geistig normale Kleinkinder nicht. Zum dritten ist auch auf die Bedeutung des im Art. 489- 2 Ce verwendeten Begriffes 'Geistesstörung' hingewiesen worden: Zwar sei ein Kleinkind einsichtsunfähig, aber es leide deshalb nicht an einer Geistesstörung73 . Eine Geistesstörung bedeute, daß eine Anomalie vorliege. Das Kleinkind, dessen Intelligenz normal entwickelt sei, leide aber unter keiner Störung; naturgemäß besitze es nur noch nicht den geistigen Entwicklungsstand eines Erwachsenen. Der natürliche Mangel an Einsichtsfähigkeit des Kleinkindes könne deshalb nicht einfach mit einer Geisteskrankeil gleichgesetzt werden. Da Art. 489-2 Ce aber ausdriicklich eine Geistesstörung voraussetzt, müßte diese Vorschrift für alle geistesgestörten Personen (gestörte Erwachsene ebenso wie Mindeijährige inklusive der Kleinkinder), jedoch nicht für geistig normale Kleinkinder Anwendung finden. Letzlieh sei es auch nicht überzeugend, Art. 489 - 2 Ce als eine Revolution des Haftungsrechts und insbesondere des Verschuldenskonzepts (faute subjective) zu bewerten, die vom Gesetzgeber so nicht beabsichtigt gewesen sei74. bb) Antwort des Kassationshofs - Art. 489 - 2 Ce ist keine eigene Anspruchsgrundlage: Nach der Rechtsprechung75 bildet Art. 489-2 Ce keinen selbständigen Anspruch: Der Geschädigte muß weiterhin das nach dem Art. 1382 Ce erforderliche Fehlverhalten beweisen. Während die faute des Art. 1382 Ce im traditionellen Sinne ein objektives und ein subjektives Element umfaßt, wird die faute des Geisteskranken durch Art. 489-2 Ce lediglich auf die illiceite des Verhaltens begrenzt. Für die Verschuldenshaftung des Geisteskranken ist also nunmehr das Vorliegen eines objektiven Fehlverhaltens erforderlich und ausreichend. 1o Gomaa, RTD civ. 1971, S. 29 (40, no 30 und 56-58, no 86-91).

Barbiiri, J. C. P. ed. G. 1982. I. 3057, no 29. Le Toumeau, J. C. P. ed. G. 1971. I. 2401 , no 31. 73 Durry, obs. Civ. 1, 20. 07. 1976, RTD civ. 1976, S. 783 (784). 74 Goupil, Gaz. Pal. 1972, Doctr. S. 269 (269); Barbieri, J. C. P. ed. G . 1982. I. 3057, n° 29. 11

12

48

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

- Art. 489 - 2 Ce ist nicht auf gesunde infantes ausdehnbar: Die Rechtsprechung verlangte weiterhin das Vorliegen des Einsichtsvermögens des Minderjährigen, wenn er nicht geistesgestört war. In einem Fall, in dem ein Kind ein Streichholz auf einen Heuhaufen geworfen hatte, bestätigte der Kassationshof die Lösung des Berufungsgerichts, welches die Anwendung des Art. 1382 Ce ausgeschlossen hatte, weil das Einsichtsvermögen des Minderjährigen nicht bewiesen worden war76• Der französische Kassationshof hat es somit abgelehnt, den Art. 489-2 Ce auf gesunde Kleinkinder auszudehnen. Für die Anwendung dieser Vorschrift ist eine Geistesstörung erforderlich.

cc) Stellungnahme Die Einführung des Art. 489-2 Ce zeigt deutlich, daß rechtspolitische Ziele (hier der Schutz des Geschädigten) den Vorrang vor der Dogmatik (Theorie de La faute subjective) haben. Die moralische Seite der Haftung fehlt somit, da dem haftenden Geisteskranken von dem Richter nichts vorgeworfen werden kann. Sucht man dennoch nach einer theoretischen Haftungsbegründung, könnte sich die Haftung des Geisteskranken durch die bloße Tatsache der Schadensverursachung erklären. Wenn aber die Einsichtsfähigkeit für die Haftung von Geisteskranken irrelevant ist, kann man sich fragen, warum diese Voraussetzung für die Haftung von Kleinkindem doch von Bedeutung bleibt. Bedeutet es, daß nicht mehr die Einsichtsfahigkeit, sondern das Alter entscheidend ist? Ist es also nicht das Merkmal der Einsichtsunfähigkeit, sondern der Grund für die Einsichtsunfähigkeit, der zur Haftungsbefreiung führt77? Pessimistisch gesehen bedeutet das, daß Geistesgestörte für ihren ohnehin schon unglücklichen Zustand bestraft werden. Optimisch gesehen bedeutet das, daß das Merkmal der Minderjährigkeit ein Grund für eine Ausnahme und eine bessere Rechtslage Minderjähriger begründet, jedenfalls solange der Minderjährige nicht geistesgestört ist. Wenn Minderjährige geisteskrank sind, kommt ihnen nach der Rechtsprechung ihre Minderjährigkeit nicht mehr zu Gute. Es zählt allein die Tatsache, daß der Minderjährige geisteskrank ise8 . Problematisch ist hierbei, daß sich der Art. 4892 Ce im XI. Titel des ersten Buches des Code civil befindet, dessen Titel lautet "Über die Volljährigkeit und die vom Gesetz geschützten Volljährigen", so daß Minderjährige nicht gemeint gewesen sein können. 1s Grundsatzurteil Civ. 2, 04. 05. 1977, Bull. civ. II. no 113, S. 79. 76 Civ. 2, 07. 12. 1977, Bull. civ. II. no 233, S. 170. 77 Vgl mit dem Titel des Aufsatzes von Savatier: Le risque, pour l'homme, de perdre l'esprit et ses consequences en droit civil, D. 1968, Chron. S. 109-116. 78 Civ. I, 20. 07. 1976, Bull. civ. I. no 270, S. 218-219.

1. Kap.: Der Mindeijährige als Schädiger

49

Sinn und Zweck der Gesetzesreform im Jahre 1968 war, die Stellung des von einer geistesgestörten Person Geschädigten zu verbessern. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Geschädigte nämlich keinen Anspruchsgegner und trug selbst die Schadenslast Diese vielleicht zunächst verwirrende und ungerecht erscheinende Situation resultierte zum einen daraus, daß der Geistesgestörte aufgrund seiner Einsichtsunfähigkeit als Anspruchsgegner ausschied. Zum anderen war eine spezifische Haftung für Personen, die Geistesgestörte beaufsichtigen, zu diesem Zeitpunkt von der Rechtsprechung noch nicht anerkannt79 • Die Situation stellte sich jedoch ganz anders dar, wenn der Schädiger ein geistesgestörter Minderjähriger war. Art. 1384 IV Ce sieht nämlich eine Haftung der aufsichtspflichtigen Eltern vor und enthält eine dem § 832 I BGB vergleichbare Regelung. Bei einer Schädigung durch einen geistesgestörten Minderjährigen stand der Geschädigte daher nicht unbedingt rechtlos, sondern konnte von den Eltern des Schädigers Ersatz verlangen. Daher bestand kein Grund, in diesem Fall den Schutz des Geschädigten weiter auszudehnen und auf das Merkmal der Einsichtsfähigkeit zu Lasten des geistesgestörten Minderjährigen zu verzichten. Aufgrund der möglichen Haftung der Eltern für die Schäden ihres Kindes besteht für eine entsprechende Anwendung des Art. 489- 2 Ce auf geistesgestörte Minderjährige keine Notwendigkeit und erscheint zudem dogmatisch sehr bedenklich. Dagegen ist die Weigerung des Kassationshofs, den Art. 489- 2 Ce auf gesunde Kleinkinder auszudehnen, zu begrüßen. Sie zeigt den Willen der Richter, dieser Vorschrift keinen zu großen Anwendungsbereich zu eröffnen. Zwar ist die Ungleichbehandlung von Geistesgestörten und Kleinkindern dogmatisch nicht stringent (was besonders auffällt, wenn man die Haftung eines geistesgestörten Kleinkindes mit derjenigen eines gesunden Kleinkindes vergleicht). Jedoch ist die Nichtanwendung des Art. 489-2 Ce auf gesunde Kleinkinder zum einen auf theoretischer Ebene zu begrüßen, weil Art. 489- 2 Ce von "Geistesstörung" spricht, ein Ausdruck, der infantes nicht umfasst. Zum anderen ist die Lösung auf praktischer Ebene auch sinnvoll, weil die Deliktshaftung geistesgestörter Personen nach Abschaffung der Einsichtsfähigkeit als Haftungsvoraussetzung ohnehin bereits unbefriedigend genug ist, und der Vorschrift des Art. 489- 2 Ce nicht noch einen größeren Anwendungsbereich zugestanden werden sollte. Nachdem sich die Gemüter auf beiden Seiten- sowohl Rechtsprechung als auch Literatur - in den siebziger Jahren ob der Unterscheidung bei der Haftung geistesgestörter und gesunder Minderjähriger stark erhitzt hatten, ist diese Diskussit>n mit dem Jahr 1984 hinfällig geworden. Dieses Jahr stellt einen weiteren bedeutenden 79

Erst im Jahre 1991 erkannte die Rechtsprechung an, daß über den Wortlaut des

Art. 1384 Ce hinaus auch nicht vom Artikel genannte Aufsichtspflichtpersonen doch in Anspruch genommen werden können: Ass. plen. 29. 03. 1991 (Blieck), Gaz. Pal. 1992, jur. S. 513, note Chabas; D. 1991, jur. S. 324, note Larroumet. Näher dazu unten: Zweiter Teil, Zweites Kapitel, Zweiter Abschnitt, C. II. 2. Die Neuerung durch das Urteil Blieck vom

29. März 1991.

4 Niboyet

50

l. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Einschnitt im Recht der Haftung Minderjähriger dar. Der Kassationshof hat nämlich den revolutionären Schritt gewagt, die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit gänzlich abzuschaffen.

III. Die neue Rechtslage Minderjähriger durch die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit

Im Jahre 1984 verzichtete der Kassationshof vollständig auf das Merkmal der Einsichtsfähigkeit Dieser Schritt überrascht jedoch nicht, wenn man in Betracht zieht, daß ein immer größerer Teil der Literatur auf die Wertungswidersprüche zwischen der Haftung Geistesgestörter und der Nichthaftung gesunder Kleinkinder trotz Ähnlichkeit der Situationen hingewiesen hatte. Auch die Sorge um die Entschädigung des Opfers wurde als Argument für eine Haftung der Kleinkinder gegeben80. Allerdings bedeutete die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die Haftung Geistesgestörter vielleicht eine zu große Ausnahme zur Theorie de lafaute subjective, als daß diese hätte weiter bestehen können. Da die Rechtsprechung eine direkte Anwendung des Art. 489- 2 Ce auf die Haftung von gesunden Kleinkindern ablehnte, haben sich die Richter auf eine andere Vorschrift, nämlich Art. 1382 (i. V. m. Art. 1383 Ce) gestützt. Am 9. Mai 1984 hat die Assemblee pleniere des Kassationshofs fünf wichtige Entscheidungen zum Problem der Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern getroffen81 . Drei dieser Entscheidungen, die Urteile Djouab, Derguini und Lemaire betreffen die Verschuldenshaftung Minderjähriger. Im Fall Djouab82 ist konkludent entschieden worden, daß für Vorsatztaten das Erfordernis der Einsichtsfähigkeit fortbesteht 83 . Von größter Relevanz sind hingegen die Grundsatzentscheidungen Derguini und Lemaire bezüglich des fahrlässigen Mitverschuldeos Minderjähriger. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für die Verschuldensproblematik Minderjähriger bedürfen sie hier einer ausführlichen Erörterung. Die beiden anderen, die Urteile Gabillet und Fullenwath betreffen jeweils die Haftung Minderjähriger als Halter einer Sache und die Haftung der Eltern; sie werden deshalb später erörtert.

80 Cabannes, concl. sous Ass. plen. 09. 05. 1984, D. 1984,jur. S. 525 (527); Fedou, rapport Ass. plen. 09. 05. 1984, J. C. P. ed. G. 1984. II. 20291. 81 Ass. plen. 09. 05. 1984, J. C. P. ed. G. 1984. II. 2091, rapport Fedou; D. 1984, jur. S. 525, concl. Cabannes, note Chabas; obs. Huet, RTD civ. 1984, S. 508-514. 82 Ass. plen. 09. 05. 1984, D. 1984,jur. S. 528-529. 83 Dazu Chabas, note D. 1984, jur. S. 530- 534; auch Hennings, Persönliche Haftung und Mitverschulden von Kindern, S. 102.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

51

1. Der Rechtsprechungswandel im Jahre 1984 a) Die Entscheidung Derguini84 Zum Sachverhalt: Ein fünfjähriges Mädchen war durch einen Autounfall tödlich verletzt worden. Die Eltern hatten daraufhin gegen den Autofahrer, der das Kind beim Überqueren der Straße auf einem Fußgängerüberweg erfaßt hatte, eine Klage angestrengt, bei der sie sich auf die Anspruchsgrundlage des Art. 1382 Ce stützten. Das Berufungsgericht hat den Autofahrer für verantwortlich erklärt, weil er angesichts vorhandener Schilder am Fußgängerüberweg sowie Hinweisen auf spielende Kinder aufmerksamer hätte sein müssen. Das Gericht hatte jedoch die Haftung des Autofahrers auf fünfzig Prozent beschränkt und dem Kind ein Mitverschulden von fünfzig Prozent angerechnet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte nämlich das Mädchen dadurch eine zur Verursachung des Schadens beitragende faute begangen, daß es trotz des nahenden Wagens die Straße plötzlich betrat, was dem Autofahrer jede Ausweichmöglichkeit entzog. Die Eltern legten dagegen Revision mit der Begründung ein, daß dem Kind kein Mitverschulden angelastet werden könne, weil es zu jung gewesen sei, um eine faute begehen zu können. Der Kassationshof bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts und wies darauf hin, daß das Berufungsgericht nicht zu untersuchen hatte, ob die Minderjährige in der Lage war, die Folgen ihres Handeln einzuschätzen; zur Annahme einer faute könne man trotzdem gelangen85 . b) Die Entscheidung Lemaire86 Ein Dreizehnjähriger war durch einen elektrischen Schlag in Folge von fehlerhaften Arbeiten an der elektrischen Anlage des Bauernhofs seiner Eltern getötet worden. Das Berufungsgericht beschränkte die Haftung des Elektrikers auf fünfzig Prozent und rechnete dem Jugendlichen ein hälftiges Mitverschulden an. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der Jugendliche nämlich insofern eine faute begangen, als er vor dem Einschrauben einer Glühlampe den Strom hätte unterbrechen müssen. Auch hier prüfte das Berufungsgericht nicht, ob der Minderjährige einsichtsfähig war und auch hier war dies Inhalt der Kassationsbeschwerde der Eltern. Die Assemblee pleniere des Kassationshofs bestätigte das Urteil und verwarf die Beschwerde mit fast der gleichen Formulierung wie im Fall Derguini, daß nämlich die Instanzgerichte zur Prüfung der Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen nicht verpflichtet seien87 . Ass. plen., 09. 05. 1984, J. C. P. ed. G. 1984. II. 20256, note Jourdain. "La Cour d'appel, qui n'etait pas tenue de verifier si Ia mineure etait capable de discerner !es consequences de tels actes, a pu sans se contredire, retenir, sur Je fondement de I' article 1382 du Code civil, que Ia victime avait commis une faute." 86 Ass. plen. 09. 05. 1984, J. C. P. ed. G. 1984. li. 20256, note Jourdain. 84 85

4*

52

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

2. Die Bestätigung dieser Neuerung durch die ständige Rechtsprechung

Aufgrund des einheitlichen Begriffs der faute konnte man davon ausgehen, daß das, was nun für die Kürzung des Anspruchs des Minderjährigen aufgrund seiner faute galt, auch auf seine Haftung als Schädiger aus faute Anwendung finden würde88. Der Kassationshof hat mögliche Zweifel über die Reichweite der zitierten Grundsatzentscheidungen beseitigt, indem er ein paar Monate später die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die Haftung Minderjähriger ausdrücklich bestätigte89 . Somit wurde die vorher herrschende subjektive Theorie von der objektiven abgelöst.

C. Vergleich des deutschen und französischen Rechts bezüglich des Merkmals der Einsichtsrähigkeit für die Verschuldeoshaftung des Minderjährigen I. Vergleich der Rechtslage vor dem französischen Rechtsprechungswandel aus dem Jahre 1984, der die Haftungsvoraussetzung der Einsichtsfähigkeit abschaffte

Während im deutschen Recht eine gesetzliche Altersgrenze festgelegt worden ist (7 Jahre gemäß § 828 I BGB), beruhte der Ausschluß der Haftung von Kleinkindem im französischen Recht auf Richterrecht Der Unterschied zwischen beiden Lösungen lag darin, daß der französische Kassationshof keine feste Altersgrenze vorgesehen hatte. Er berief sich vielmehr auf den flexiblen Begriff der infantes, der den Richtern einen gewissen Spielraum ließ. So wurden teilweise 6jährige Kinder nicht mehr als infantes bezeichnet90, während Kinder von 9 oder 10 Jahren noch als infantes galten91 . Mit der Festlegung einer bestimmten Altersgrenze bot das deutsche Recht somit mehr Rechtssicherheit an. Jedoch verhinderte es eine Anpassung an die besonderen Umstände des Falles. Grundsätzlich waren sich jedoch beide Rechtslagen insofern ähnlich, als sie die Verantwortung von Kleinkindem ausschloßen. Um die Haftung älterer Mindeijähriger bejahen zu können, wurde zunächst in beiden Rechtsordnungen die Einsichtsfähigkeit des Täters gefordert. Sowohl für die Feststellung der Einsichtsfähigkeit im deutschen Recht als auch für das damalige Erfordernis des discemement im französischen Recht war entscheidend, ob 87 "La Cour d'appel, qui n'etait pas tenue de verifier si Je mineur etait capable de discemer !es consequences de son acte, a pu estimer sur Je fondement de l'article 1382 du Code civil que Ia victime avait commis une faute." 88 So Jourt.Win, note SOUS Ass. plen. 09. 05. 1984, J. c. P. ed. G. 1984. II. 20256; zweifelnd noch Huet, obs. sous Ass. plen. 09. 05. 1984, RTD civ. 1984, S. 505 (508, 509). 89 Civ. 2, 12. 12. 1984, Bull.civ. II. n°193, S. 137. 90 Z. B.: CA Paris, 05. 06. 1959, D. 1959, sommaires. S. 76 (76). 91 Z. B.: CA Caen, 04. 02. 1988, D. 1989,jur. S. 295, note Prieur.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

53

sich der Minderjährige der Folgen seines Verhaltens bewußt war. Dabei kam es nur auf die intellektuelle Reife des Minderjährigen an92 ; nach seiner Fähigkeit, sich seinem Willen gemäß zu verhalten, wurde nicht gefragt. Beide Rechtssysteme waren damit von dem Gedanken geprägt, daß jemand nur dann schuldhaft handeln kann, wenn seine geistige Reife es ermöglicht, ihm sein Verhalten vorzuwerfen. Bezüglich des Verhältnisses der Einsichtsfähigkeit zu dem Merkmal des Verschuldens bestand in beiden Rechtssystemen ein Unterschied. Die Einsichtsfähigkeit bildet im deutschen Recht eine "Vorfrage" für die Priifung des Verschuldens des Minderjährigen. Das Verschulden umfaßt nach § 276 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit. Im französischen Recht ließ sich die Einsichtsfähigkeit von der faute nicht trennen, sondern bildete ein Element der faute. Der Begriff faute umfaßte somit zwei Elemente. Zum einen das subjektive Element der Vorwerfbarkeit des Verhaltens (imputabilite), zu welchem die Einsichtsfähigkeit gehörte, und zum zweiten das objektive Element des Fehlverhaltens (illiceite). Die Systematik und Einordnung der verschiedenen Haftungsvoraussetzungen war daher unterschiedlich, jedoch bestanden in beiden Rechtssystemen ähnliche Grundsätze bezüglich der Einsichtsfähigkeit Minderjähriger. Für die Rechtslage vor 1984 mußte der Vergleich demzufolge zu dem Ergebnis führen, daß die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit Minderjähriger im deutschen Recht ein Äquivalent in dem französichen Begriff discemement hatte. Während sich das deutsche Recht diesbezüglich nicht verändert hat, erschütterte 1984 ein kleines juristisches Erdbeben die responsabitUe pour faute des französischen Deliktsrechts: Die Rechtsprechung schaffte die Voraussetzung des discemement des Minderjährigen für die Bejahung der Fahrlässigkeit ab. Im Jahr 1984 tat sich somit eine Kluft zwischen dem deutschen und dem französischen Recht auf.

II. Vergleich der geltenden Grundsätze bezüglich der Einsichtsflihigkeit Minderjähriger

Im deutschen Recht ist der Deliktsschutz von Kindern unter 7 Jahren im Gesetz verankert. § 828 I BGB besagt ausdriicklich, daß solche Kinder aufgrund ihrer Deliktsunfähigkeit nicht schuldhaft handeln können. Der gleiche Ansatz findet sich in § 828 II BGB, der die Einsichtsfähigkeit Jugendlicher nur vermutet, mit der Folge, daß sie sich durch die Wiederlegung der Vermutung von der Haftung befreien können. Im deutschen Recht geht man also weiterhin davon aus, daß ein Mensch nur dann schuldhaft handeln kann, wenn man ihm seine Tat vorwerfen kann. Dies wird durch § 827 BGB bestätigt, welcher die Deliktshaftung geistesgestörter Personen ausschließt. 92 BGH 28. 02. 1984, NJW 1984, 1958 (1958): "nach seiner individuellen Verstandesentwicklung"; Paris, 05. 06. 1959, D. 1959, somm. 76 (76): "assez intelligent pour comprendre sa faute".

54

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Das französische Recht hat sich diesbezüglich für die entgegengesetzte Lösung entschieden (Art. 489-2 Ce). Mit der richterlichen Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die Deliktshaftung Minderjähriger wurde in Frankreich allmählich die subjektive Betrachtungsweise von der objektiven abgelöst93. Seit 1984 ist es in Frankreich ständige Rechtsprechung, daß weder für kleine Kinder, infantes, noch für Jugendliche das Einsichtsvermögen berücksichtigt wird.

111. SteUungnahme zu den Ergebnissen und Reformvorschläge

Allgemein läßt sich sagen, daß in Europa die Regelungen über die Haftung Minderjähriger zwar sehr unterschiedlich sind, daß aber in den meisten Ländern, von Frankreich einmal abgesehen, die Tendenz vorherrscht, Kleinkinder von der Deliktshaftung auszunehmen94. Dieser Gedanke ist es wert, verteidigt zu werden. Der Minderjährige befindet sich in einem Zustand geistiger Entwicklung, ist sozusagen noch unfertig; eine Tatsache, die beachtet werden muß. Wahrend dieser Rechtsgedanke im § 828 BGB wiederzufinden ist, ist er dem französischen Deliktsrecht durch die Abschaffung der Voraussetzung des discemement durch die Rechtsprechung im Jahre 1984 fremd geworden. 1. Stellungnahme zumfranzösischen Recht

Der französische Rechtsprechungswandel erklärt sich mit dem Verlangen eines besseren Schutzes Geschädigter. Praktisch gesehen liegt jedoch beim Geschädigten weiter das Risiko, es mit einem zahlungsunfähigen Schuldner zu tun zu haben. Außerdem trägt ein Minderjähriger die finanzielle Last des Schadens auf seinen Schultern und ist dadurch dem Risiko ausgesetzt, sein Leben als Erwachsener belastet mit finanziellen Sorgen zu beginnen. Carbonnier weist darauf hin, daß, sollten die Eltern für das Kind zahlen, dieses das Risiko einginge, daß die Summe auf den Erbteil angerechnet wird (Art. 851 Ce) und sollten die Eltern nicht für das Kind zahlen können, dieses bei Eintritt in das Erwachsenendasein stark verschuldet wäre95 • Einen mittelbaren Schutz Minderjähriger bildet die elterliche Haftung96. In der Entscheidung Bertrand vom 19. Februar 1997 hat der Kassationshof eine verschuldensunabhängige Haftung der Eltern etabliert97 . Demzufolge können sich die 93 Ass. plen. 09. 05. 1984, J. C. P. ed. G. 1984. II. 2091, rapport Fedou; D. 1984, jur. S. 525, concl. Cabannes, note Chabas. 94 Für eine Darstellung der Deliktshaftung Minderjähriger in Europa, siehe von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band I, S. 76-102, no 62-88. 95 Carbonnier, Les Obligations 1994, S. 384, no 241. 96 Vgl. Hennings, Persönliche Haftung und Mitverschulden von Kindern, S. 122.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

55

Eltern nicht mehr durch den Beweis entlasten, daß sie kein Aufsichts- oder Erziehungsverschulden trifft. Aufgrund der Verschärfung der Haftung der Eltern zur Risikohaftung und der in der Regel besseren Zahlungsfähigkeit werden sich die Geschädigten häufiger an diese wenden. Da sich aus der Praxis ergibt, daß Regreßansprüche der Eltern gegen das Kind quasi nicht geltend gemacht werden, führt die Verschärfung der Haftung der Eltern dazu, daß Minderjährige vor einer Deliktshaftung mittelbar geschützt werden. In den Fällen, in denen ein Anspruch gegen den Minderjährigen geltend gemacht wird, ist das Problem der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit dennoch akut. Unbefriedigend ist auch die Rechtslage geschädigter Minderjähriger, die sich ihr Mitverschulden anrechnen lassen müssen, selbst wenn sie einsichtsunfähig sind98. Nach dem Gesagten ist der französische Rechtsprechungswandel über die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit daher eher mißlungen. Theoretisch gesehen hat der Begriff der faute sein moralisches Element verloren, welches den Kern und die Rechtfertigung der Verschuldenshaftung ausmachte. Von nun an handelt es sich nicht mehr um eine faute subjective, sondern um eine faute objective. Die Folgen, die die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit auf den Begriff der faute gehabt haben, werden meines Erachtens schwer rückgängig zu machen sein. Die Berücksichtigung der Einsichtsfähigkeit Minderjähriger würde dann die Deliktshaftung geistesgestörter Personen nach Art. 489-2 in Frage stellen, welche doch seit mehr als dreißig Jahren im französischen Recht verankert ist. Eine mögliche Lösung wäre dann, den Art. 489 - 2 Ce als Ausnahme zu betrachten, die keinen Einfluß auf die Deliktshaftung nicht geistesgestörter Personen haben sollte99• Eine zweite Lösung könnte in der Wiedereinfügung der Voraussetzung der Einsichtsfabigkeit liegen. Hauptgedanke des Art. 489 - 2 Ce war es, die Rechtslage Geschädigter zu verbessern. Jedesmal, wenn ein Geistesgestörter einen Schaden verursachte, mußte man sich zwischen dem Schutz des Geistesgestörten und dem Schutz des Geschädigten entscheiden. Für die Folgen des Risikos der Geistesstörung sollte nicht der Geschädigte, sondern dann eher der Geistesgestörte einstehen. Seit 1991 erkennt die Rechtsprechung jedoch an, daß über den Wortlaut des Art. 1384 Ce hinaus nicht nur Eltern (Absatz IV), Geschäftsherrn (Absatz V), Handwerker und Lehrer (Absatz VI) für das Verhalten ihrer Schützlinge haften, sondern darüber hinaus nach Art. 1384 I Ce beispielsweise auch die für Geistesgestörte zuständigen Aufsichtspersonen, sobald sie es auf sich genommen haben, die 97 Civ. 2, 19. 02. 1997, D. 1997, jur. S. 265, note Jourdain; J. C. P. ed. G. 1997. II. 22848, concl. Kessous, note Viney. Siehe unten: Zweiter Teil, Zweites Kapitel, Zweiter Abschnitt, C. III. 1. Der Rechtsprechungswandel Benrand vom 19. Februar 1997. 98 Näher dazu unten: Zweites Kapitel, Erster Abschnitt, B. Il. Die Annerkennung der faute objective im Jahre 1984 und C. Il. Zum französischen Recht. 99 lAmbert-Faivre, RTD civ. 1987, S. 1 (4).

56

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

Lebensweise des Geistesgestörten zu kontrollieren und zu organisieren 100. Seit diesem Rechtsprechungswandel kann der Geschädigte auf andere Anspruchsgegner als den Geistesgestörten selbst zurückgreifen. Der Schutz Geschädigter kann demzufolge durch die Haftung anderer Personen gewährleistet werden. Daher sollte die Unvereinbarkeit zwischen Einsichtsunfähigkeit und Haftung im französischen Recht wiedereingefügt werden und auf die klassische Theorie de La faute subjective zurückgekommen werden. Das deutsche Recht sollte dabei als Ausgangspunkt zur Festlegung der Konturen der Einsichtsfähigkeit dienen. 2. Stellungnahme zum deutschen Recht

Im deutschen Recht schließt § 828 I BGB die Deliktshaftung von Kleinkindem unter 7 Jahren aus, und § 828 II BGB begründet eine widerlegbare Vermutung der Einsichtsfähigkeit älterer Minderjähriger. Studien der Jugendpsychologie zeigen, daß das 7. Lebensjahr als Altersgrenze gemäߧ 828 I BGB von der Realität divergiert, da bei Kindem unter 10 Jahren die Deliktsfähigkeit zweifelhaft ist 101 . Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft und verdienen einen höheren Schutz, so daß sie bis zum zehnten Lebensjahr geschützt werden sollten 102 . Ab dem zehnten Geburtstag erscheint der Jugendliche generell reif genug, um die Folgen seiner Handlungen zu verstehen, so daß der Ausschluß der Deliktshaftung nicht mehr gerechtfertigt wäre 103 . Bevor der Minderjährige mit vierzehn Jahren straffähig wird, muß er auch schon lernen, daß er für Schäden, die er anrichtet, zivilrechtlich einzustehen hat. Bei einer gesetzgebensehen Modifizierung des § 828 I BGB ist außerdem nicht zu vergessen, daß eine zu hohe Altersgrenze zu Lasten des Geschädigten geht. Die Wahl des zehnten Lebensjahres als Altersgrenze bildet einen guten Komprorniß zwischen dem Schutz des unreifenen Kindes und dem des Geschädigten. Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren sollten deshalb grundsätzlich haften. Ihre Einsichtsfähigkeit zu vermuten ist insofern realistisch, als dies dem Regelfall entspricht. Bei der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit berücksichtigt die Rechtsprechung nur die Verstandesreife des Minderjährigen, mit der Folge, daß die Vermutung der Einsichtsfähigkeit so gut wie nie widerlegt werden kann und eher theoretisch erscheint. Die Handhabung des Begriffs der Einsichtsfähigkeit durch die deutsche Rechtsprechung erscheint daher unbefriedigend. Erforderlich wäre, daß die Steuerungsfähigkeit Voraussetzung für die Zurechnung des Schadens wird. Die Rechtsprechung könnte es so auch vermeiden, auf der Ebene des Verschuldens eine 1oo Ass. plen. 29. 03. 1991, Gaz. Pa!. 1992,jur. S. 513, note Chabas; D. 1991,jur. S. 324, note Larroumet; über diesen Rechtsprechungswandel siehe näher unten, zweiter Teil, zweites Kapitel, zweiter Abschnitt, C.II. 2. Die Neuerung durch das Urteil Blieck vom 29. März 1991. 101 Siehe oben A. III. 1. Kritik zu § 828 I BGB. 102 Vgl. Scheffen, ZRP 1991, 458 (461). 103 Wille I Bettge, VersR 1971, 878 (881 ).

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

57

Korrektur zugunsten Minderjähriger zu unternehmen und den objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB durch eine Bemessung der Fahrlässigkeit nach Altersgruppen ersetzen zu müssen 104• Diese Lösung würde dem BGB-System eher entsprechen und wäre für den Minderjährigen günstiger.

3. Ergebnis

Im französischen Recht sollte die Voraussetzung des discernement wierdereingefügt werden. Darüber hinaus sollte der Schutz Minderjähriger in beiden Rechtsordnungen durch folgende Maßnahmen verbessert werden: - Der Ausschluß der Deliktshaftung von Kindem unter 10 Jahren. - Die Berücksichtigung der Steuerungsfähigkeit für die Bejahung der Einsichtsfähigkeit Jugendlicher zwischen 10 und 18 Jahren

Zweiter Abschnitt

Das schuldhafte Verhalten des Minderjährigen A. Einführung Sowohl im deutschen als auch im französischen Recht setzt die Verschuldeoshaftung des Minderjährigen voraus, daß der Minderjährige fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Im deutschen Recht deckt sich der Begriff Verschulden mit Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 823 i. V. m § 276 BGB). Die Voraussetzung des Verschuldens wird erst dann geprüft, wenn die Deliktsfähigkeit des Minderjährigen bejaht worden ist, d. h. wenn er sieben Jahre alt oder älter ist(§ 828 I BGB) und wenn er einsichtsfähig ist(§ 828 II BGB). Im französischen Recht wurde das Merkmal des discernement von dem der faute mitumfaßt. Die faute urnfaßte traditionell das objektive Element des Fehlverhaltens (illiceite) und das subjektive Element der Vorwerfbarkeit (imputabilite), das das Vorhandensein der Einsichtsfähigkeit (discernement) des Taters voraussetzte. Durch die Abschaffung der Voraussetzung des discernement in dem Rechtsprechungswandelaus dem Jahre 1984 hat der Kassationshof den Begriff derfaute objective anerkannt. Die faute setzt nunmehr lediglich ein fahrlässiges Verhalten voraus. Diese Voraussetzung ist umso wichtiger geworden, als sie jetzt das einzige Element der faute bildet. Liegt Vorsatz vor, so haftet nach beiden Rechtsordnungen der einsichtsfähige Minderjährige, ohne daß man eine weitere Privilegierung wegen der Minderjährig104 Siehe unten im zweiten Abschnitt, C. I. 1. Die Lösung der Rechtsprechung über eine Beurteilung nach Altersgruppen.

58

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

keit in Betracht ziehen müßte. Dagegen stellt die Haftung eines Minderjährigen wegen Fahrlässigkeit ein Problem dar, welches im folgenden erörtert wird. Problematisch ist hierbei die Bestimmung der außervertraglichen Sorgfaltspflichten des Minderjährigen. Vor der Beantwortung dieser Frage ist es erforderlich, den Begriff der Fahrlässigkeit im Allgemeinen zu erläutern.

B. Was unter Fahrlässigkeit zu verstehen ist I. Der Begriff der Fahrlässigkeit nach § 276 BGB

Fahrlässig handelt gemäß § 276 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Nach der gesetzgebensehen Definition der Fahrlässigkeit spielen subjektive Umstände im Zivilrecht keine Rolle, es gilt ein objektiver Sorgfaltsmaßstab105. Den Gesetzesmaterialien zufolge rechtfertigt sich der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab mit dem Vertrauensgedanken 106. Die Tatsache, daß die endgültige Fassung des § 276 BGB nicht mehr von dem ordentlichen Hausvater als Vergleichsmodell ausgeht, sondern auf die Verkehrserforderlichkeit abstellt, bestätigt die Wahl eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs 107 • Daß individuelle Eigenschaften des Einzelnen für die Fahrlässigkeitsbeurteilung im Zivilrecht außer acht bleiben, während sie im Strafrecht berücksichtigt werden, läßt sich mit der Funktion beider Rechtsgebiete erklären. Wahrend das Strafrecht ein individuelles mangelhaftes Verhalten bestraft, bezweckt das Zivilrecht nicht die Bestrafung des Einzelnen, sondern die Festsetzung eines generellen Sorgfaltstandards, auf welchen man im Rechtsverkehr vertrauen können müsse108 •

11. Der Begriff der Fahrlässigkeit im französischen Deliktsrecht

1. Das Fehlen einer Legaldefinition Der Art. 1383 Ce besagt, daß eine Haftung nach Art. 1382 Ce sowohl bei vorsätzlicher als auch bei fahrlässiger faute eintritt. Das Gesetz bestimmt den Begriff der Fahrlässigkeit aber nicht weiter. Da es an gesetzlichen Hinweisen für die Beurteilung der Fahrlässigkeit fehlt, kann der Richter, wenn er ein Verhalten zu beurteilen hat, potentiell zwischen zwei Methoden wählen. Er versucht entweder, alle 105 Siehe Prot. I. S. 187: " ... bei der Beurtheilung der Fahrlässigkeit (sei) auf dem Privatrechtsgebiet ein objektiver Maßstab anzulegen." Esser I Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Teilbd. 2, S. 71, § 25 V. 106 Prot. I. S. 187: "Wer mit einem Anderen in rechtlichen Verkehr trete, müsse darauf vertrauen dürfen, daß dieser bei der Erfüllung seiner Obligenheiten mit der im Leben üblichen Sorgfalt eines ordentlichen Mannes zu Werte gehe." 107 Erman, BGB § 276 (Battes), S. 671, Rn. 22. 108 Esser/ Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Teilbd. 2, S. 71 § 25 V.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

59

konkreten Umstände des Sachverhalts, inklusive derjenigen, die den Täter betreffen, zu berücksichtigen: Dies ist die sogenannte Bewertung der faute in concreto. Oder er geht von dem Leitbild eines sorgfaltigen Menschen aus und läßt die Besonderheiten der Person und ihrer besonderen Situation zur Tatzeit außer Acht: Dies ist die sogenannte Bewertung der faute in abstracto. 2. Die getroffene Wahl

Es läßt sich feststellen, daß die Gerichte im Bereich der außervertraglichen Haftung die Sorgfaltspflichten in abstracto bestimmen, sobald es um die Fahrlässigkeit geht 109: Das Verhalten des Täters wird mit dem Verhalten eines objektiven Dritten verglichen" 0 . Der Referenztyp ist der sorgfältige Mensch, .,l'homme raisonnahte et avise", .,le bon pere de famille" des Art. 1137 Ce. Weicht das Verhalten des Täters von diesem Idealverhalten ab, wird die Fahrlässigkeit bejaht. Demzufolge werden die Besonderheiten der Person außer Acht gelassen. Diese Wahl der In-abstracto-Methode begründet sich vor allem mit der Garantie eines Mindeststandards an Verkehrsschutz, weil jeder von den anderen ein vernünftiges Verhalten erwarten dürfem.

111. Vergleichendes Zwischenergebnis

Beide Rechtsordnungen stimmen überein in der Entscheidung für eine abstrakte Beurteilung des fahrlässigen Verhaltens. Im deutschen Recht ist dieses Prinzip im § 276 BGB verankert, der einen objektiven Sorgfaltsmaßstab vorsieht. Im französischen Recht ergibt sich die In-abstracto-Methode bei der Beurteilung der faute aus einer ständigen Rechtsprechung. In beiden Rechtsordnungen erschiene es somit konsequent, keinen günstigeren Sorgfaltsmaßstab für Minderjährige anzuwenden. Wie im folgenden zu zeigen ist, haben dennoch beide Rechtsordnungen unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen und die Anwendung der In-abstracto-Methode auf Minderjährige hat jeweils andere Ergebnisse gezeitigt.

109 Dejean de Ia Batie, Appreciation in abstracto, S. 23, no 25- 26; Mazeaud I Mazeaud I Tune, Traite tbeorique et pratique de Ia responsabilire civile delictuelle et contractuelle, tome I, S. 491-495, n° 418-495. uo Z. B.: Civ. 2, 16. 07. 1953, I. C. P. ed. G 1953. II. 7792, note Rodiere: ,,homme doue d'une prudence ordinaire"; Civ. 2, 08. 11. 1961, Bull. civ. 1961. II. no 732, S. 514 (515): "l'attention que l' on peut attendre, en pareille circonstance, de toute personne douee d'une prudence ordinaire". lll Viney, Les obligations, La responsabilite: conditions, S. 556, no 462.

60

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

C. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger nach der deutschen und französichen Rechtsprechung I. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger im deutschen Recht

Nach der Rechtsprechung läßt eine objektive Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabes dennoch zu, für die Frage der Fahrlässigkeit andere Anforderungen bei Jugendlichen als bei Erwachsenen zu stellen 112. Eine unterschiedliche Beurteilung sei sogar aufgrund der typischen Verschiedenheit ganzer Altersklassen notwendig 113 • Der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB wird dadurch gemildert, daß das Verhalten Minderjähriger mit einem die Besonderheiten der Minderjährigkeit berücksichtigenden Leitbild verglichen wird. Dieser Vergleichsmaßstab wird nicht nur nach dem allgemeinen Merkmal der Minderjährigkeit, sondern näher nach Altersgruppen bestimmt. Durch Beobachtung der typischen Fähigkeiten jeder Altersgruppe sind somit mehrere Vergleichsmaßstäbe entstanden. Die Fahrlässigkeit des Minderjährigen setzt zunächst voraus, daß er die Gefahr seines Verhaltens erkannt hat (bewußte Fahrlässigkeit) oder daß er nach dem allgemeinen Stande der Entwicklung seiner Altersgruppe die Gefahr hätte erkennen müssen, d. h. sie sorgfaltswidrig verkannt hat (unbewußte Fahrlässigkeit) 114• Wahrend auf der Ebene der Einsichtsfähigkeit ein allgemeines Verständnis des Minderjährigen für die Gefährlichkeit seines Tuns erforderlich, aber auch ausreichend ist, wird auf der Ebene der Fahrlässigkeit die Erkennbarkeit der konkreten Gefahr verlangt. Ferner wird die Zumutbarkeit, sich der Erkenntnis gemäß zu verhalten, vorausgesetzt115. Ob der Minderjährige in der Lage war, sich seiner Einsicht gemäß zu verhalten, wird nach Altersgruppen überprüft. Damit werden die individuellen Fähigkeiten des Schädigers außer Betracht gelassen 116. Die Rechtsprechung hat hierbei einen Kompromiß gefunden, indem sie einen objektiv-gruppenspezifischen Maßstab anwendet.

112 BGH 23. 10. 1952, LM, Nr. I zu § 828 BGB; BGH 23. 12. 1953, VersR 1954, 118 (119); BGH 17. 05. 1957, VersR 1957,415 (416); BGH 22. II. 1966, VersR 1967, 158 (159); BGH 16. 06. 1964, VersR 1964, 1023 (1023). 113 BGH 23. 12. 1953, VersR 1954, 118 (119). 114 BGH 21. 05. 1963, BGHZ 39, 281 (283). 115 BGH 23. 10. 1952, LM Nr. 1 zu§ 828 BGB. 116 BGH 17. 12. 1957, VersR 1958, 177 (177); BGH 10. 03. 1970, NJW 1970, 1038 (1039).

1. Kap.: Der Mindeijährige als Schädiger

61

II. Die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger im französischen Recht

1. Die Rechtslage, als die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit noch bestand (vor 1984) Die Berücksichtigung der Einsichtsfähigkeit vor 1984 diente dem Schutz von Kleinkindern und einsichtsunfähigen Minderjährigen. Zweifelhaft war, ob darüber hinaus das Merkmal der Minderjährigkeit bei der Prüfung der Fahrlässigkeit noch eine Rolle spielen durfte. Zunächst entschied sich die Rechtsprechung für den Vergleich des Verhaltens des Minderjährigen mit demjenigen eines sorgfaltigen Erwachsenen 117• Nach einer gründlichen Untersuchung der Rechtsprechung zog Dejean de La Biitie im Jahre 1965 den Schluß, daß sie dem Alter des Minderjährigen in der Regel keine Bedeutung zumaß 118• Selbst wenn die Gedankenlosigkeit des Kindes angesichts seines Alters natürlich war, wurde sie als faute qualifiziert. Ausreichend dafür war, daß die Gefährlichkeit des Verhaltens aus der Sicht und nach dem Maßstab eines sorgfaltigen Erwachsenen erkennbar war. Zwar waren auch einige Urteile von dieser Linie abgewichen, wenn die Richter angesichts der Minderjährigkeit milder gestimmt waren 119; aber solche Urteile waren eher selten und deshalb als Ausnahme zu betrachten 120. Darin wurde allerdings eine gewisse Unzufriedenheit mit der Einseitigkeit zu lasten der Minderjährigen erblickt 121 . Aus der Rechtsprechung der siebziger Jahren ergibt sich dann der Eindruck, daß die Richter begannen, dem Alter des Minderjährigen eine Bedeutung beizumessen122. Beispielhaft war folgender Fall des französischen Kassationshofs aus dem Jahre 1974 123: Während der Fahrt mit einem Freund in einem Schlauchboot war ein Jugendlicher ums Leben gekommen, weil das Boot kenterte. Seinem überlebenden Freund wurde dann vorgeworfen, er habe den Platz gewechselt und dadurch das Gleichgewicht des Schlauchboots gestört. Der Kassationshof entschied, daß dieses Verhalten dem eines gleichaltrigen sorgfaltigen Jugendlichen entsprach, mit der Folge, daß eine faute zu verneinen war. Die Rechtsprechung schwankt somit bei der Frage der Berücksichtigung der Minderjährigkeit beim Verschulden. 117 Z. B.: Req. 21. 07. 1932 (2 Urteile), Gaz. Pal. 1932. jur. S. 722-723; Paris, 08. 11. 1941, Gaz. Pal. 1941, jur. S. 514-515. Siehe im einzelnen die ausführliche Zusammenstellung bei Dejean de Ia Biitie, Appreciation in abstracto, S. 26, no 27, Fn (39); S. 27, no 27, Fn (40). 118 Dejean de Ia Biitie, Appreciation in abstracto, S. 28, no 27. 119 Trib. civ. Cosne, 13. 01. 1931, Gaz. Pal. 1931,jur. S. 483. 12o Dejean de Ia Batie, Appreciation in abstracto, S. 28, no 27. 121 Viney, Les obligations, La responsabilite: conditions, S. 559. 122 Civ. 2, 06. 02. 1974, Bull. civ. II. no 54, S. 44-45; Civ. 2, 29. 04. 1976, J. C. P. ed. G. 1978. II. 18793, 2eme espece, note Dejean de Ia Batie. 123 Civ. 2, 06. 02. 1974, Bull. civ. II. no 54, S. 44-45.

62

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Grundsätzlich wurde einer abstrakten Beurteilung der Fahrlässigkeit der Vorzug gegeben, jedoch sind auch abweichende Tendenzen festzustellen. Mit der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit im Jahre 1984 durch den Kassationshof erhielt die Verschuldenshaftung ein neues Gesicht. Die Neuerung hatte zur Folge, daß sich die Problematik der Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger in verschärfter Form stellte. Zwei Lösungswege boten sich an. Man konnte einerseits die Härten des Rechtsprechungswandels für die Minderjährigen dadurch abmildern, daß man zumindest bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit das Alter berücksichtigte. Oder man ließ für die faute künftig keine subjektive Merkmale in Betracht kommen.

2. Die Problematik seit der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit

a) Ansätze zur Korrektur der abstrakten Beurteilung der Fahrlässigkeit aa) Literatur Angesichts der schweren Folgen, die die Abschaffung der Haftungsvoraussetzung der Einsichtsfähigkeit (discemement) für Minderjährige mitsichbringt, hat sich ein Teil der Literatur für eine Anpassung der Beurteilung der Fahrlässigkeit an die Besonderheiten der Minderjährigen ausgesprochen. Insbesondere ist dafür geworben worden, das fahrlässige Verhalten des infans mit mehr Großzügigkeit zu bemessen, um die Härte der Folgen der Abschaffung seiner Haftungsverschonung zu mildem und den Graben zwischen moralischer faute und ziviler faute zu überbrücken124. Besonders für die Fälle, in denen es um das Mitverschulden des minderjährigen Geschädigten geht, ist vorgebracht worden, daß die Richter auf die Schwächen der Kleinkinder Rücksicht nehmen sollten, wie etwa auf das Fehlen an Erfahrung und an körperlicher Kraft, Tatsachen, die letztere daran hindern, sich vor gefährlichen Situationen zu schützen 125 . Die Rechtsprechung ist diesen Vorschlägen gegenüber zunächst nicht gleichgültig geblieben. Zwischen 1984 und 1992 finden sich somit Urteile, die für eine Anpassung der Beurteilung der Fahrlässigkeit auf die Besonderheit der Minderjährigkeit sprechen: bb) Rechtsprechung In einem im Jahre 1986 entschiedenen Fall ging es um ein junges Mädchen, das wegen seines Sturzes von der Schaukel eines Karussels gestorben war. Das Berufungsgericht hatte dem Mädchen ein Mitverschulden angerechnet, weil es unter 124 12s

Jourdain, obs Civ. 2, 04. 07. 1990, RTD civ. 1991, S. 123 (124). Viney, J. C. P. ed. G. 1993.1. 3664, S. 148, na 27-28.

1. Kap.: Der Mindeijährige als Schädiger

63

Mißachtung der auf dem Karossei angebrachten Warnhinweise die Schaukel vor dem Stillstand losgelassen hatte und heruntergefallen war. Der Kassationshof warf den Tatrichtern vor, in dem Verhalten des Mädchens eine faute gesehen zu haben, ohne der Frage nachzugehen, ob nicht ein bloßer Mangel an körperlicher Stärke des Kindes sein Verhalten erkläre 126• Für die Beurteilung der Fahrlässigkeit war demnach die körperliche Schwäche des Kindes zu berücksichtigen. Auch eine im Jahre 1990 getroffene Entscheidung des Kassationshofs 127 entspricht der Tendenz zu einer Korrektur der Prüfung der Fahrlässigkeit durch die Berücksichtigung des jugendlichen Alters. Anläßlich eines Feuerwerks hob ein neunjähriges Kind, das unter der Aufsicht eines Begleiters stand, ein Plastikobjekt in der Form einer kleinen Flasche ohne Zündschnur auf. Durch die Explosion des Objekts wurde das Kind verletzt. Fraglich war, ob es sich eine faute anrechnen lassen mußte. Das Berufungsgericht lehnte eine faute des Kindes ab, weil es einsichtsunfahig war. Der Kassationshof hat das Ergebnis des Berufungsgerichts bestätigt, dies aber nicht mit dem Mangel an Einsichtsfahigkeit, sondern mit der fehlenden Fahrlässigkeit des Kindes begründet. Aus dieser Entscheidung ist klar zu entnehmen, daß die faute von Kindem nicht an Hand eines Vergleichs mit dem Verhalten von Erwachsenen, sondern mit demjenigen von Kindem gleichen Alters zu bestimmen ist128 . Ein weiteres Beispiel ist eine Entscheidung der zweiten Kammer des Kassationshofs aus dem seihen Jahr129• Trotz entsprechender Verbotsschilder war ein Kind auf eine Baustelle gegangen und hatte sich verletzt. Fraglich war, ob sein Verhalten ein Mitverschulden begründete. Der französische Kassationshof folgte dem Berufungsgericht und verneinte die faute des Minderjährigen. Aus den konkreten Umständen des Sachverhalts (Fehlen eines Zaunes, die dem Kind zu einem früheren Zeitpunkt gegebene Eintrittserlaubnis und die freundschaftlichen und nachbarschaftliehen Beziehungen zu den Bauunternehmern) ergebe sich, daß das Kind berechtigterweise davon ausgehen durfte, das Grundstiick betreten zu dürfen. Die Besonderheit der Minderjährigkeit spielte demzufolge eine Rolle für die Qualifikation als faute. Eine Entscheidung des Kassationshofs vom 09. 12. 1992 130 hat ebenfalls zur Festigung des Maßstabes für die Haftung Minderjähriger beigetragen. Der Sachverhalt war folgender: Wahrend des Unterrichts amüsierte sich ein Schüler damit, auf Sachen anderer Schüler mit einem Lineal einzuschlagen. Um zu verhindern, daß sein Taschenrechner zerschlagen wird, ergriff ein Schüler das Lineal und zerbrach es, mit der Folge, daß ein Splitter ihn im Auge traf und verletzte. Das Berufungsgericht bejahte ein Mitverschulden des Verletzten. Der Fall gelangte bis 126 127 128

129 130

Civ. 1, 18. 02. 1986, Bull. civ. I. no 32, S. 28-29. Civ. 2, 04. 07. 1990, Bull. civ. II. no 167, S. 84. Jourdain, obs. Civ. 2, 04. 07. 1990, RTD civ. 1991, 123 (1 24). Civ. 2, 21. II. 1990, Bull. civ. Il. no 243, S. 123- 124. Civ. 2, 09. 12. 1992, J. C. P. ed. G. 1993. IV. 478.

64

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

zum Kassationshof. Der Kassationshof hob das Urteil des Berufungsgerichts auf, weil die faute des Geschädigten nicht begründet worden sei. Das Berufungsgericht könne nicht ein Mitverschulden des Minderjährigen bejahen, dessen Verhalten auf die Provokation durch den Schädiger zurückzuführen sei. Diese Urteile betreffen die Beurteilung der Fahrlässigkeit, wenn es um die Anrechnung des Mitverschuldens eines minderjährigen Geschädigten geht. Ein Urteil vom 07. 03. 1989 131 betraf einen Fall, in dem es um einen Minderjährigen als Schädiger ging. Während einer Schulwanderung in den Bergen hatte ein Sechzehnjähriger einen gefährlichen Weg eingeschlagen und das Abrutschen eines Felsens verursacht. Der Fels traf einen seiner Schulkameraden und tötete ihn. Der französische Kassationshof bejahte die faute des Minderjährigen, weil er aufgrund seines Alters die Gefährlichkeit seines Verhaltens hätte erkennen können. cc) Zwischenergebnis Diese Urteile zeigen deutlich, daß die Rechtsprechung nach 1984 zunächst bereit war, bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit, das Merkmal der Minderjährigkeit zu berücksichtigen. Die Härte des Rechtsprechungswandels im Jahre 1984, der die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit abschaffte, erklärt diese Abweichung von der bis dahin grundsätzlich ganz und gar abstrakt vorgenommenen Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger. b) Die rein abstrakte Prüfung der Fahrlässigkeit Minderjähriger aa) Die Anwendung der Theorie de Ia faute objective Nach der Theorie de Ia faute objective ist nicht nur die Einsichtsfähigkeit des Täters irrelevant. Darüber hinaus wird die Tat in objektiver Hinsicht bei Außerachtlassung der Täterpersönlichkeit geprüft. Eine faute liege dann vor, wenn sich aus der Tat die Fahrlässigkeit ergebe; berücksichtigt werde die Tat selbst und nicht der Täter132. Die Abschaffung der Voraussetzung des discernement zeigt den richterlichen Willen, diefaute von subjektiven Merkmalen zu befreien. Um eine wirklich objektive Beurteilung zu erreichen, ist es nach der Theorie de lafaute objective erforderlich, daß auch die Beurteilung der Fahrlässigkeit des Minderjährigen ohne Berücksichtigung seines Alters erfolgt. Wie jetzt zu zeigen ist, geht die aktuelle Rechtsprechung in diese Richtung.

131 Civ. 1, 07. 03. 1989, Bull. civ. I. no ll6, S. 75-76; J. C. P. ed. G. 1990. II. 21403, note Dejean de Ia Batie. 132 Mazeaud, D. 1985, Chron. S. l3 (14).

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

65

bb) Die neueste Rechtsprechung Eine Entscheidung vom 28. 02. 1996133 ist als Beispiel für die neue Tendenz 134 von besonderem Interesse. Nach dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein Kind X unter einem Tisch gespielt, war aber plötzlich hervorgekommen und hatte im Laufen ein anderes Kind Y. das heißes Wasser trug, heftig angestoßen. Das Kind X erlitt dabei Verbrennungen. Die Instanzgerichte hatten sich für die volle Haftung des Aufsichtspflichtigen entschieden und eine faute des verletzten Kindes und demzufolge eine Anrechnung des Mitverschuldeos ausgeschlossen. Dem Berufungsgericht zufolge war das Verhalten des Kindes im Hinblick auf sein Alter nicht schuldhaft; die Verhaltensweise sei vielmehr vorhersehbar und natürlich. Die Instanzgerichte hatten die abstrakte Beurteilung der faute dadurch flexibler gestaltet, daß sie das Verhalten des Kindes mit dem eines gleichaltrigen sorgfaltigen Kindes verglichen hatten. Der Kassationshof hob diese Entscheidung auf. Die Begründung ergab sich aus einem knappen Halbsatz, nach welchem ein solches Verhalten eine faute bilde, das zur Verursachung des Schadens beigetragen habe. Der Kassationshof zeigt damit konkludent, daß die Beurteilung derfaute völlig abstrakt zu erfolgen habe 135• Mit der Weigerung, die aus den konkreten Umständen gewonnenen Aspekte zu berücksichtigen, machte der Kassationshof deutlich, daß eine Flexibilisierung der rein abstrakten Feststellung der Fahrlässigkeit für ihn nicht in Betracht kommt. cc) Ergebnis Als die Haftungsvoraussetzung der Einsichtsfähigkeit noch bestand, wurde in der Rechtsprechung grundsätzlich einer abstrakten Beurteilung der Fahrlässigkeit der Vorzug gegeben und der alterstypische Sorgfaltsmaßstab nur vereinzelt angewendet. Indem die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit durch einen Rechtsprechungswandel im Jahre 1984 abgeschafft wurde, stellte sich die Problematik der Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger in verschärfter Form. Die oben nachgewiesenen Schwankungen in der Rechtsprechung des Kassationshofs seit 1984 lassen Zweifel an den Haftungsmaßstäben, die für Minderjährige entwickelt worden sind, erkennen. Aus der neuen französischen Rechtsprechung ergibt sich jedoch eine sichtbare Tendenz, das Verhalten Minderjähriger mit demjenigen eines sorgfaltigen Erwachsenen zu vergleichen. Diese Lösung ist für Minderjährige sehr hart. Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit besteht nicht mehr und auf der Ebene der Fahrlässigkeit scheint die Rechtsprechung das Merkmal der 133 134 135

Civ. 2, 28. 02. 1996, Bull. civ. II, D 0 54, S. 34; D. 1996, jur. S. 602, note Duquesne. Siehe auch Civ. 2, 19. 02. 1997 (Urteil Gullu), D. 1997, I. R. 119. Mazeaud, note sous Civ. 2, 28. 02. 1996, D. 1997, Somm. S. 28 (29).

5 Niboyet

66

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Minderjährigkeit für die Festlegung des Sorgfaltsmaßstabes nicht mehr beriicksichtigen zu wollen. 111. Vergleich des deutschen und französischen Rechts

Wahrend § 276 BGB die Fahrlässigkeit legal definiert, wurde in Frankreich die Definition des Fahrlässigkeitsbegriffs von der Rechtsprechung entwickelt. In beiden Rechtssystemen erfolgt die Beurteilung des fahrlässigen Verhaltens im Zivilrecht abstrakt, das heißt anhand eines objektiven Sorgfaltsmaßstabes. Obwohl sich somit beide Länder für eine abstrakte Fahrlässigkeitspriifung entschieden haben, wird der Begriff im deutschen Recht jedoch flexibler gehandhabt als im französischen Recht. Im deutschen Recht erfolgt die Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger nach Altersgruppen. Maßgebend ist das Vergleichsbild eines normal entwickelten Minderjährigen des gleichen Alters. Es wird gefragt, ob ein solcher Minderjähriger an Stelle des Beklagten die Geflihrlichkeit seines Verhaltens hätte voraussehen und dieser Einsicht gemäß hätte handeln können und müssen. Im französischen Recht dagegen ist die Tendenz sichtbar, das Verhalten Minderjähriger mit demjenigen eines sorgfaltigen Erwachsenen zu vergleichen. Die geltende französische Rechtslage stellt für Minderjährige eine besondere Härte dar. Deshalb sollen im folgenden Überlegungen angestellt werden, ob die Beriicksichtigung der Minderjährigkeit bei der Festlegung des objektiven Sorgfaltsmaßstabes tatsächlich der abstrakten Methode zuwiderläuft.

D. Die Bewertung der französischen und deutschen Lösung mit Blick auf die Rechtsdogmatik I. Die Bewertung der französischen Lösung

Die abstrakte Methode bedeutet, daß zur Feststellung der Fahrlässigkeit nicht innere Umstände (circonstances internes), sondern lediglich äußere Umstände (circonstances externes) beriicksichtigt werden dürfen 136. Ob das Alter und die damit verbundenen Fähigkeiten des Minderjährigen die Beurteilung der Fahrlässigkeit danach beeinflußen dürfen, hängt davon ab, wie das Merkmal des Alters einzuordnen ist. Stellt es einen inneren Umstand dar, der eine Überpriifung des intellektuellen und psychologischen Zustandes des Täters voraussetzt oder sollte es als ein äußerer Umstand behandelt werden? Nach Jourdain seien Umstände intellektueller Art solche, die zu schwer durchführbaren und unerwünschten Übergriffen auf die Persönlichkeit und das Innerste 136 Mazeaudl Mazeaud/Tunc, Traite theorique et pratique de la responsabilite civile delictuelle et contractuelle, tome I, S. 500, no 431.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

67

des lndividums führen würden. Anders sei es bezüglich Schwächen körperlicher Art wie z. B. dem Alter. Das Alter einer Person sei objektiv und leicht feststellbar

und dessen Berücksichtigung verstoße deshalb nicht gegen das Prinzip der abstrakten Bewertung des schuldhaften Verhaltens 137. Hierbei wird jedoch vergessen, daß das Alter vor allem aufgrund seiner Bedeutung für den geistigen Zustand einer Person berücksichtigt wird. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen: Verunglückt jemand auf einer Baustelle, weil er seiner geringen Körpergröße wegen die Schilder mit dem Betretungsverbot übersehen hat, wird er sich nicht auf seine Größe berufen können. Er müsste sich bewußt sein, daß er klein ist und daß Schilder für ihn immer zwei Köpfe höher hängen. Außerdem hätte er sich denken können, daß es verboten und gefährlich ist, auf eine Baustelle zu gehen. Wenn aber einem achtjährigen Kind das gleiche passiert, wird man sich nicht auf seine Größe berufen, um es zu entlasten. Das Alter ist vielmehr deshalb von Bedeutung, weil ihm die Erfahrung fehlte, die Gefahr zu erkennen. Entscheidend ist nicht die Tatsache, daß der Betroffene körperlich noch nicht voll entwickelt ist, sondern daß ihm die geistige Reife fehlt. Das Alter hat eine solche Bedeutung für den geistigen Zustand einer Person, daß es eher als Schwäche intellektueller Art einzuordnen ist und daher als innerer Umstand behandelt werden sollte 138• Selbst wenn es sich um einen inneren Umstand handelt, kann man sich fragen, ob das Alter nicht trotzdem berücksichtigt werden darf. So gibt es Fälle, in denen besondere geistige Fähigkeiten einer Person sehr wohl bei der Beurteilung der Fähelässigkeit eine Rolle spielen. Wird beispielsweise die Fahrlässigkeit eines Fachmannes geprüft, so wird sein Verhalten nicht mit dem eines sorgfaltigen Durchschnittsmenschen, sondern mit demjenigen eines sorgfaltigen Fachmannes desselben Verkehrskreises verglichen 139. Fragt man nach der Fahrlässigkeit des Verhaltens eines Arztes, so wird sein Verhalten mit demjenigen eines sorgfaltigen Arztes verglichen. Diese Fallgruppen zeigen, daß eine Anpassung des Sorgfaltsmaßstabes an die geistigen Fähigkeiten nicht notwendigerweise gegen die abstrakte Methode verstößt. Aus der Sicht des Geschädigten ist festzustellen, daß die Anpassung des Sargfaltsmaßstabes an die besonderen Fähigkeiten bestimmter Personen normalerweise zu einer Haftungsverschärfung führt. An Fachleute werden aufgrund ihrer besonderen Ausbildung höhere Anforderungen gestellt als an den Durchschnittsmenschen. Demgegenüber soll die Berücksichtigung des Alters des Minderjährigen ja gerade seine Entlastung mitsichbringen. Sinn und Zweck der abstrakten Beurteilung ist es, den Geschädigten zu schützen. Eine Abweichung vom Modell des Durchschnittsmenschen erfolgt in den dargestellten Beispielen deshalb zugunsten des Geschädigten. Dagegen würde die Berücksichtigung der Minderjährigkeit 137 138 139

5*

Jourdain, obs. Civ. 2, 04. 07. 1990, RTD civ. 1991, S. 123 (124). Vgl. Mazeaud, D. 1985, Chron. S. 13 (14). Civ.1 , 10.06.1980,D.198l.I.R. 11.

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

68

zwangsläufig zulasten des Geschädigten gehen. Es läßt sich also von den dargestellten Fallgruppen nicht automatisch auf die Situation der Mindeljährigen schließen und eine Berücksichtigung des Alters bejahen. Aus der Sicht des Schädigers bestehen weitere wichtige Unterschiede zwischen den dargestellten Fällen und der Situation des Mindeljährigen: - Eine Anpassung des abstrakten Vergleichsmodells kommt erst dann in Betracht, wenn sich jemand freiwillig in eine Situation begeben hat. Wer einen Beruf erlernt und sich besondere Fähigkeiten aneignet, tut dies freiwillig. Niemand wird beispielsweise gezwungen, den Beruf des Chirurgen zu erlernen. Wer es tut, weiß um die Gefahren des Berufs und das Risiko eines Fehlverhaltens und wird in der Regel für dieses Risiko bezahlt. Es erscheint deshalb nur billig, ihn strengeren Anforderungen auszusetzen und den Sorgfaltsmaßstab zu erhöhen. Anders verhält es sich bei dem Merkmal der Mindeljährigkeit bzw. der Kindheit, die ein natürlicher unfreiwilliger Entwicklungszustand ist. - Hier liegt ein weiterer Unterschied in der Qualität der geistigen oder inneren Umstände. Ebensowenig wie ein jähzorniger oder ungebildeter Mensch ein Recht darauf hat, daß die Beurteilung der Fahrlässigkeit sich an Hand eines Vergleichs mit anderen jähzornigen oder ungebildeten Menschen ergibt, hat ein Minderjähriger ein Recht darauf, mit anderen Menschen seines Alters verglichen zu werden. Im französischen Recht mag die Haftung Mindeljähriger besonders rigoros erscheinen, weil 1984 die Rechtsprechung auch die Voraussetzung des discernement abgeschafft hat. Dies ist aber kein Grund den objektiven Sorgfaltsmaßstab an die Mindeljährigkeit anzupassen und spricht vielmehr für die rein abstrakte Beurteilung der Fahrlässigkeit Minderjähriger. Dies soll näher erläutert werden. Nach dem Inkraftreten des Art. 489-2 Ce betonte Puech die Inkonsistenz eines Rechtssystems, das auf der einen Seite das discernement für entbehrlich hält, auf der anderen Seite aber annimmt, daß ein Verhalten unter Berücksichtigung der Psychologie des Taters beurteilt werden müsse 140. Mit der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit des Mindeljährigen wurde in Frankreich 1984 allmählich die subjektive Betrachtungsweise von der objektiven abgelöst. Verzichtet man nicht mehr nur ausnahmsweise (Art. 489-2 Ce), sondern grundsätzlich auf die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit, so hat es keinen Sinn, subjektive Merkmale auf der Ebene der Fahrlässigkeitsprüfung wiedereinzuführen 141 . Die Außerachtlassung des Alters ist eine logische Folge der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit Bezüglich der Bestimmung der Fahrlässigkeit Mindeljähriger Puech, L'illic6ite dans Ja responsabilite civile extracontractuelle, S. 75, no 69. Für eine Gegenmeinung siehe Jourdain, obs. Civ. 2, 04. 07. 1990, RTD civ. 1991, S. 123 (123); Jourdain, obs. Civ. 2, 28. 02. 1996, RTD civ. 1996, S. 628 (630); vgl. auch Dusquenes, note sous Civ. 2, 28. 02. 1996, D. 1996, jur. S. 602 (603): der Autor stellt die Frage der Vereinbarkeit des Auschlußes der imputabilite mit der Berücksichtigung des Alters bei der Prüfung des fahrlässigen Verhaltens, läßt die Antwort aber schwebend. 140

141

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

69

empfiehlt sich daher den Vergleich mit dem Vorbild des sorgfältigen Erwachsenen. Wie zu Recht bemerkt worden ist, ist die Abschaffung der Voraussetzung der Zurechenbarkeit und damit der Einsichtsfähigkeit aber keine Folge der abstrakten Methode, weil sie vor der Prüfung der Fahrlässigkeit in abstracto erfolgt 142 • Die Rechtsprechung hätte demzufolge weiterhin die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen verlangen können und anschließend sein Verhalten abstrakt prüfen können. Es ist zu hoffen, daß sie auf diesen Weg zurückkommen wird, damit die Minderjährigen besser geschützt werden, insbesondere wenn es um einen Minderjährigen als mitverursachenden Geschädigten geht.

II. Die Bewertung der deutschen Lösung

Einerseits erscheint es unbillig, die gleichen Sorgfaltsmaßstäbe bei der Fahrlässigkeitsbeurteilung für Minderjährige wie für Erwachsene anzuwenden. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, daß § 276 BGB einen objektiven Sargfaltsmaßstab vorsieht, welcher dazu dient, Dritten eine gewisse Rechtssicherheit zu gewähren. Problematisch ist hierbei, ob die richterliche Einführung der Fahrlässigkeitsbeurteilung nach Altersgruppen § 276 BGB noch entspricht. Zwar wird innerhalb der Altersgruppen ein objektiver Vergleich gezogen, jedoch stellt bereits die Unterteilung des Sorgfaltsmaßstabes in Gruppen eine Versubjektivierung des § 276 BGB dar. Nach § 276 BGB kommt es auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an. Für Verkehrskreise (wie z. B. Fachleute) wird deshalb angenommen, daß besondere Sorgfaltsmaßstäbe gelten 143 • Fraglich ist hierbei, ob auch Kinder Verkehrskreise bilden. Verkehrskreise sind homogene Gruppen, in denen sich Schädiger und Geschädigter freiwillig einstellen und die Gruppenregeln kennen. Entscheidend ist, daß derjenige, der am speziellen Verkehr teilnimmt, den eigenen Entschluß faßt und Vertrauen hat. Im Gegensatz dazu nehmen Kinder am allgemeinen Verkehr teil. Sie bilden grundsätzlich keinen Verkehrskreis, so daß sich das Opfer auf das Kinderrisiko nicht einstellen kann. Ausnahmsweise könnten jedoch Kinder auch ein Verkehrskreis bilden, wenn sie in einem Kindermilieu (etwa einen Kinderspielplatz) sind, so daß sie eine besondere Gemeinschaft bilden, in der die jugendlichen Besonderheiten natürlich erscheinen. Problematisch ist hierbei, ob in diesem besonderen Fall die Beurteilung der Fahrlässigkeit an das Alter angepasst werden darf. Ist der Geschädigte ein Erwachsener, der sich nicht bewußt in ein Kindermilieu begeben hat (z. B.: Fußgänger), sollte ihn das Argument des Verkehrskreises nicht betreffen. Hat er sich freilich auf das Kinderrisiko eingestellt (z. B.: Eltern, die ihre Kinder beaufsichtigen wol142 143

Puech, L'illiceite dans Ia responsabilite civile extracontractuelle, S. 69, n° 57. Münch-Komrn., BGB § 276 (Hanau), S. 835 - 836, Rn 82.

70

l. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindetjähriger

len), dann sollte die Minderjährigkeit des Schädigers Beachtung finden. Ist der Geschädigte ein Kind des Verkehrskreises, wird er sich bewußt in das Kindermilieu begeben haben. Unter dem Gesichtspunkt des Verkehrskreises dürfte hier die Beurteilung der Fahrlässigkeit des Schädigers nach Altersgruppe angepasst werden. Zu bemerken ist jedoch, daß der Schutz des minderjährigen Schädigers hier zu lasten des minderjährigen Geschädigten gehen würde. Es ist daher festzustellen, daß Kinder grundsätzlich keinen Verkehrskreis bilden und daß weitere Unterscheidungen für Ausnahmefalle ziemlich willkürlich sind. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß selbst wenn für Verkehrskreise (wie z. B. Fachleute) besondere Sorgfaltsmaßstäbe gelten, diese dazu dienen, höhere Anforderungen an diese Spezialisten zu stellen 144. Anders ist es, wenn es um eine Privilegierung geht, da sich hier die Anpassung nicht mehr mit dem Schutz des Geschädigten vereinbaren läßt, so daß es gegen die im § 276 BGB gewährte Rechtssicherheit Dritter verstößt. Gegen eine Versubjektivisierung des § 276 BGB ist auch darauf hinzuweisen, daß die Gesetzesvorschrift von der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt spricht. Das Wort erforderlich ist nicht personenbezogen, sondern verhaltensbezogen. Wenn das Verhalten eines dummen Erwachsenen geprüft wird, wird der Sorgfaltsmaßstab nicht an seine Dummheit angepasst. Verursacht eine Frau einen Schaden, wird die Fahrlässigkeit nicht an das "schwache Geschlecht" angepasst. Im § 276 BGB besteht kein dritter Absatz, der eine Ausnahme für die Beurteilung der Fahrlässigkeit von Kindern vorsieht, mit der Folge daß bei Kindern das Wort erforderlich nicht angepasst werden darf145. Vielmehr verweist§ 276 I S. 3 BGB ausdrücklich auf die Vorschriften der Verschuldensfahigkeit, so daß der Schutz Minderjähriger nicht durch die Anwendung des § 276, sondern durch die des § 828 BGB zu erfolgen hat. Es ist daher zu empfehlen, daß die deutsche Rechtsprechung, dem französischen Recht folgend, das Alter und die damit verbundenen Fähigkeiten des Minderjährigen bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit außer Acht läßt. Diese Lösung würde dem § 276 BGB entsprechen, welcher von einem objektiven Sorgfaltsmaßstab ausgeht146. Stellt sich dies als für den Minderjährigen zu streng dar, so bietet sich eine Korrektur auf der Ebene der Einsichtsfähigkeit (durch Berücksichtigung der Steuerungsfähigkeit) an. Solange § 828 II BGB nur die intellektuelle Reife des Minderjährigen berücksichtigt, bildet nämlich die Anwendung eines alterstypischen Sorg144 Vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 260, Rn 404: ,,Durch das Auftreten im Verkehrskreis wird garantiert, den Sorgfaltsstandard des Kreises einhalten zu können." 145 Vgl. Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 68, Rn 124: Die Beurteilung der Fahrlässigkeit durch Altersgruppen sei als Ausnahme von der objektiv erforderlichen Sorgfalt zu betrachten. 146 Vgl. Enneccerus I Nipperdey, Allgerneiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, § 213, S. 1323-1324, die die Anwendung eines "typisierten Maßstab" für Jugendliche als unvereinbar mit der objektiven Theorie betrachten.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

71

faltsmaßstabes einen guten Schutz für die minderjährigen Schädiger147 • Die Berücksichtigung der Steuerungsfähigeil im Rahmen des § 828 II BGB würde es somit ermöglichen, daß auch für Minderjährige der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB gilt. Zweites Subkapitel

Die verschuldeosunabhängige Haftung Minderjähriger im deutschen und französischen Deliktsrecht In beiden Rechtssystemen können Minderjährige auch ohne Verschulden haften. Das deutsche Recht kennt eine verschuldensunabhängige Haftung in Form der Billigkeitshaftung nach§ 829 BGB (erster Abschnitt). Diese wird dem Geschädigten als Ausgleich dafür gewährt, daß die Minderjährigkeit des Schädigers haftungsausschließend wirken kann. Das französische Recht, das den Minderjährigen den allgemeinen Deliktsregeln unterwirft, sieht im Art. 1384 I Ce eine Gefährdungshaftung vor. Sie wird auch auf Minderjährige angewandt und deshalb in einem zweiten Abschnitt dargestellt.

Erster Abschnitt

Die Billigkeitshaftung des Minderjährigen gemäß § 829 BGB Die beschränkte Deliktsfähigkeit Minderjähriger kann sich für den Geschädigten als besondere Härte darstellen, wenn er weder den Minderjährigen noch die aufsichtspflichtige Person erfolgreich in Anspruch nehmen kann. Verfügt das Opfer über geringe finanzielle Mittel, während der einsichtsunfähige Schädiger eine gute Vermögenslage hat, so widerspräche die Freistellung des Minderjährigen von der Haftung dem allgemeinen GerechtigkeitsgefühL In § 829 BGB hat der Gesetzgeber deshalb ein Sicherheitsnetz vorgesehen, das in solchen Fällen das Gleichgewicht durch einen Transfer der Schadenslast auf den einsichtsunfähigen Schädiger wiederherstellt. Scheidet die Verschuldenshaftung nicht einsichtsfähiger Personen aus, dann kommt eine Billigkeitshaftung des Minderjährigen in Betracht. Da das BGB vom Grundsatz der Verschuldenshaftung ausgeht, stellt die Billigkeitshaftung des § 829 BGB eine Ausnahmevorschrift dar.

147

Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 262, Rn 407.

72

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindetjähriger

A. Die Merkmale der Billigkeitshaftung I. Die Voraussetzung der fehlenden Einsichtsflihigkeit des Schädigers

Nach dem Wortlaut des § 829 BGB werden minderjährige Schädiger von der Billigkeitshaftung nur dann erlaßt, wenn sie i. S. v. § 828 BGB nicht verantwortlich sind, d. h. wenn ihre Einsichtsfahigkeit verneint wird. Die Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich der Norm aber dadurch ausgedehnt, daß sie § 829 BGB analog anwendet, wenn der Minderjährige zur Zeit der Schadensverursachung zwar einsichtsfähig war, aber infolge des alterstypischen Sorgfaltsmaßstabes nicht schuldhaft gehandelt hatte 148• Trotz der Kritik eines Teils der Literatur 149, die sich auf den eindeutigen Wortlaut sowie auf den Ausnahmecharakter des § 829 BGB stützt, hat die herrschende Lehre 150 die Lösung des Bundesgerichtshofs begrüßt. Sowohl im Rahmen der Prüfung der Einsichtsfähigkeit als auch durch Anwendung eines speziellen Sorgfaltsmaßstabes bei der Fahrlässigkeitsprüfung wird der Minderjährige gegenüber einem Erwachsenen privilegiert. Diese beiden Fälle könnten nicht unterschiedlich behandelt werden, ohne daß dadurch der in § 829 BGB zum Ausdruck kommenden gesetzgebensehen Intention widersprochen werde 151 .

II. Eine objektive Verschuldenshaftung

§ 829 BGB ermächtigt die Richter, eine Haftung billigerweise zu bejahen, wenn einer der "in den §§ 823 bis 826 bezeichneten Fälle" vorliegt, also in den Fällen, in denen eine Verschuldeoshaftung in Betracht käme. Problematisch ist allerdings, daß das Verschulden die Schuldflihigkeit voraussetzt. Man könnte daran denken, sich im Rahmen des § 829 BGB mit einer objektiven Schadensverursachung zu begnügen. Dies wäre jedoch insofern ungerecht, als der Schuldunfahige schlechter gestellt würde als der Schuldflihige 152• Man kann aber auch kein Verschulden im gewöhnlichen Sinne verlangen, weil ansonsten die Schuldunfähigkeit ein unüberwindbares Hindernis zur Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen wäre 153 • Die Rechtsprechung hat für diese diffizile Situation des § 829 BGB eine Kompromißlösung gefunden. So verlangt der BGH, daß die Tat des Minderjährigen die objektiven Voraussetzungen für eine Haftung nach §§ 823 bis 826 BGB erfüllen muß: Nur wenn ein einsichtsfähiger Erwachsener aus §§ 823 bis 826 BGB gehaftet hätte, käme gegen den Minderjährigen ein Anspruch aus § 829 BGB in Betracht154 • Der 148 149 150 151

152 153 154

Grundlegend BGH 21. 05. 1963, BGHZ 39, 281 (286, 287); VersR 1963, 953 (954). Z. B.: Böhmer, MDR 1964, 278-280. Deutsch, JZ 1964, 86 (90-91); Geilen, FamRZ 1965,401 (402). Geilen FamRZ 1965, 401 (402). Heinsheimer, AcP 95, 234 (245). Geilen, FarnRZ 1965,401 (407). BGH 21. 05. 1963, BGHZ 39,281 (284); VersR 1963, 953 (954).

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

73

Einsichtsunfähige haftet nach eben solchen Prinzipien, wie dies in Frankreich nach der Theorie de lafaute objective 155 der Fall wäre. B. Das Billigkeitserfordernis Für die Billigkeitshaftung ist es nicht ausreichend, daß ein Ausgleich angemessen erscheint; dieser hat in einem strengeren Sinne erforderlich zu sein. Um zu wissen, wann das Billigkeitserfordernis für eine Schadensersatzleistung gegeben ist, hat der Richter gemäߧ 829 BGB "alle Umstände" zu berücksichtigen 156• Diesem Billigkeitsmaßstab mangelt es zwar, was den Wortlaut des Gesetzes betrifft, an Präzision, aber die Analyse der gerichtlichen Entscheidungen macht es möglich, dem vagen Begriff "nach den Umständen" Kontur zu verleihen. Berücksichtigt werden danach die Folgen der Tat für den Geschädigten sowie die Diskrepanz zwischen den Vermögensverhältnissen des Schädigers und des Geschädigten. Als wichtigstes Kriterium für die Bemessung der Billigkeitshaftung gelten die jeweiligen Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem. Die Rechtsprechung ist hier insofern streng, als sie ein "wirtschaftliches Gefälle" fordert, d. h., daß die Vermögenslage des minderjährigen Schädigers erheblich besser sein muß als die des Geschädigten 157 . Der Versicherungsschutz des Geschädigten wird dabei ebenfalls berücksichtigt 158 • I. Das Bestehen einer Versicherung auf Seiten des Schädigers

In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, wie sich das Bestehen einer Versicherung auf Seiten des Schädigers auf die Prüfung seiner Vermögenslage auswirkt. Fraglich ist hierbei, ob diese Teil des Vermögens des Schädigers ist und somit für die Bestimmung der Billigkeitshaftung mit ins Gewicht fällt oder ob sie nur als Deckung für die zunächst isoliert zu bestimmende Billigkeitshaftung anzusehen ist. Hierzu hat sich eine umfassende Rechtsprechung entwickelt, die, wie noch dargelegt wird, ihre Entscheidungen anband subtiler Nuancierungen trifft. 1. Die Lösung der Rechtsprechung

In einem Grundsatzurteil 159 hat der BGH für Schmerzensgeldansprüche entschieden, daß das Bestehen einer Haftpflichtversicherung zu berücksichtigen ist. 155 156 157

Dazu oben im ersten Kapitel, B. I. 2. b) Theorie de lafaute objective. BGH 13. 06. 1958, NJW 1958, 1630 (1631). BGH 13. 06. 1958, NJW 1958, 1630 (1631); BGH 24. 04. 1979, VersR 1979, 645

(645). 158 t59

OLG Hamm, 14. 12. 1976, VersR 1977, 531 (532). BGH 06. 07. 1955, BGHZ 18, 149 (165 -167).

74

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

Ähnlich verhielt er sich im Rahmen des § 829 BGB. Auch hier hat der BGH eine gewisse Berücksichtigung des Versicherungsschutzes zugelassen 160. Wahrend die Versicherung aber im Rahmen von Schmerzensgeldansprüchen nur für deren Höhe relevant ist, ist sie bei der Billigkeitshaftung des § 829 BGB sowohl ftir Grund als auch für Höhe des Anspruchs entscheidend. Damit wird trotz gewisser Parallelen in beiden Bereichen die Versicherung unterschiedlich berücksichtigt. Bei der Anwendung des § 829 BGB unterscheidet der BGH danach, ob die Versicherung infolge eines gesetzlichen Zwangs oder freiwillig abgeschlossen worden ist. Gesetzliche Haftpflichtversicherungen sind nach ständiger Rechtsprechung für die Billigkeitshaftung des § 829 BGB haftungsbegründend und bestimmen daneben auch die Höhe des Anspruchs 161 . Fürfreiwillige Versicherungen entschied der BGH zunächst, daß sie nicht für den Grund, sondern lediglich für die Höhe des Anspruchs eine Rolle spielen 162• Diese Unterscheidung ließ sich durch den Zweck der freiwilligen Versicherung erklären. Während gesetzliche Haftpflichtversicherungen dem Schutz des Geschädigten dienen, schützen freiwillige Versicherungen ausschließlich den Schädiger vor den nachteiligen Folgen seines Handelns 163 • Heute schließt der BGH 164 die Einbeziehung freiwillig abgeschlossener Versicherungen zum Anspruchsgrund nicht mehr grundsätzlich aus, sondern hält sich offen, im Rahmen des § 829 BGB ihrem Funktionswandel dort Rechnung zu tragen, wo sie die Aufgabe der Schadensstreuung auch mit Blick und zugunsten des Geschädigten übernommen hat (z. B. bei gewissen Berufshaftpflichtversicherungen). Der BGH hältjedoch an die Unterscheidung zwischen freiwilliger Privathaftpflichtversicherung und Pflichtversicherung fest, weil der Zweck einer freiwillig abgeschlossenen Privathaftpflichtversicherung primär auf die Freistellung des Versicherungsnehmers gerichtet sei. Folglich dürfe das Bestehen einer freiwilligen Privathaftpflichtversicherung allein nicht die Haftung aus § 829 BGB begründen, sondern nur einen Einfluß auf die Höhe des Anspruchs in der Weise haben, daß die Grenzen des dem Schädiger mit Rücksicht auf seinen notwendigen Lebensunterhalt noch Zurnutbaren weiter ausgedehnt werden, dabei aber nicht jeden Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schädigers verlieren.

2. Meinungen in der Literatur In der Literatur haben sich die Autoren überwiegend für eine umfassende Berücksichtigung der freiwilligen Versicherungen ausgesprochen 165• Die UnterscheiBGH 15. 01. 1957, BGHZ 23,90 (100). BGH, VersR 56, 219, BGH 11. 10. 1994, NJW 1995,452. 162 BGH 13. 06. 1958, NJW 1958, 1630 (1631), BGH 26. 06. 1962, NJW 1962, 2201; BGH 24. 06. 1969, VersR 1969,860 (861). 163 BGH 13. 06. 1958, NJW 1958, 1630 (1631-1632). 164 BGH 18. 12. 1979, BGHZ 76,279-288 =NJW 1980, 1623-1625. 160 161

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

75

dung nach der Art der Versicherung sei ihrer Begründung nach unbefriedigend. Es ist angeführt worden, daß die Versicherung als Vermögenswert des Schädigers zu betrachten ist. Der wirtschaftliche Vorteil des Versicherungsnehmers bestehe in dem Anspruch gegen seine Versicherung auf Übernahme des Haftungsrisikos. Der Schädiger befinde sich daher zweifellos in einer besseren Position, wenn er haftpflichtversichert sei, als wenn er den Schaden allein zu tragen habe 166. Aufgrund des im Schuldrecht geltenden Trennungsprinzips, wonach die Versicherung der Haftung nachfolgt und sie nicht begründet, ist von anderen Autoren eine Reform vorgeschlagen worden. Man könne das Trennungsprinzip durchbrechen. Weiterhin ist auch eine Versicherungsvertragsreform vorgeschlagen worden: Die Versicherungsverträge sollten danach in einer Klausel vorsehen, daß, falls eine Billigkeitshaftung in Betracht kommen sollte, die Versicherung zur Vermögenslagedes Schädigers gezählt wird 167•

II. Gewährung des Existenzminimums

Der Schadenstransfer zugunsten des Geschädigten aufgrund von Billigkeitserwägungen wäre sinnlos, wenn sich hieraus wiederum ein unbilliges Ergebnis zulasten des Schädigers ergäbe. Um ein solches Ergebnis zu verhindern, sieht § 829 BGB als Grenze für die Haftung vor, daß das Recht des Schädigers auf angemessenen Unterhalt(§ 1610 BGB) sowie auf Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten ( §§ 1360 ff, 1601 ff, 1615 a ff, 1736, 1754 BGB) nicht gefährdet wird. Dadurch wird ihm und denjenigen, denen er unterhaltsverpflichtet ist, das Existenzminimum gewährt. Hier wird das Bestehen einer freiwilligen Versicherung umfangreich berücksichtigt.

ill. Der Ausschluß des Schadensersatzes

Nur wenn der Geschädigte von dem Aufsichtspflichtigen keinen Schadensersatz bekommen kann, wird ihm der Weg der Billigkeitshaftung des § 829 BGB eröffnet. Dabei spielt es keine Rolle, warum der Geschädigte ohne Schadensersatz bleibt; sei es, daß der Anspruch des Geschädigten gegen die Aufsichtsperson am Fehlen einer Aufsichtspflichtverletzung scheitert, sei es, daß der Geschädigte zwar eine nominelle Schadensersatzforderung hat, sie aber wegen Zahlungsunfähigeit der Aufsichtsperson nicht durchsetzen kann 168. 165 Kötz, Deli.k.tsrecht, S. 130, Rn 327; Lehnertz, VersR 1974, 940 (942), Pohle, Anm. zu BGH 13. 06. 1958, MDR 1958, 838 (839). 166 Lehnertz. VersR 1974, 940 (940). 167 Lorenz, VersR 1980, 697 (702). 168 Münch-Komm., BGB § 829 (Mertens), S. 1763, Rn 17.

76

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Der vorrangige Schutz des Minderjährigen im deutschen Deliktsrecht findet somit seine Grenze in der ungleichgewichtigen Rechtslage eines reichen freigestellten Schädigers mit einem schwerbelasteten Geschädigten. Eine Billigkeitshaftung i. S. v. § 829 BGB ist dem französischen Recht immer fremd gewesen. Anzumerken ist, daß eine solche Billigkeitshaftung jedoch im französischen Recht unnötig gewesen wäre, da dem Geschädigten ohnehin ein sehr hoher Schutz gewährt worden ist. Zweiter Abschnitt

Die Haftung als Halter der Sache gemäß Art. 1384 I Ce: Besonderheit des französischen Rechts Während im BGB die Gefährdungshaftung auf die Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) begrenzt ist, ist im französischen Code civil aus dem Art. 1384 I Ce eine allgemeine Gefährdungshaftung hergeleitet worden. A. Darstellung der Haftung als Halter der Sache

Nach Art. 1384 I Ce haftet man für Schäden, die durch Sachen verursacht worden sind, die man in seiner Obhut hat. Die Verfasser des Code civil hatten diese Vorschrift eigentlich nur als Einleitung für die folgenden Paragraphen (Art. 1385 Ce über die Haftung für Schäden, die durch Tiere verursacht worden sind und Art. 1386 Ce über die Haftung für Schäden, die durch den Einsturz von Gebäuden verursacht worden sind) aufgefaßt. Mit der Industrialisierung ist es aber zu Schäden gekommen, bei denen der Geschädigte kaum in der Lage war, den Beweis einer faute zu erbringen. Um den Geschädigten besser zu schützen, sind die Richter auf die Idee gekommen, den Art. 1384 I Ce als selbständige Anspruchsgrundlage zu betrachten. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde mit dem Urteil Teffaine 169 der erste Schritt in diese Richtung unternommen. Der Kessel eines Schleppdampfers war aus unbekannter Ursache explodiert und hatte den Tod eines Mechanikers verursacht, ohne daß ein Verschulden nachgewiesen werden konnte. Der Schiffseigentümer wurde daraufhin nach Art. 1384 I Ce als Halter für verantwortlich befunden. Im berühmten Urteil Jand'heur170 , das eine ständige Rechtsprechung begründete, hat der Kassationshof aus dem Art. 1384 I Ce eine allgemeine Gefährdungshaftung hergeleitet. Der Grund dieser Haftung liegt darin, daß der Halter einer Sache auch die Gefahren dieser Sache zu tragen hat. Nach Art. 1384 I Ce haftet 169 11o

Civ. 16. 06. 1896, D. 1897. 1. 433, concl. Sarrut, note Saleilles. Ch. reun. 13. 02. 1930, D. 1930. 1. 57, rapport Le Marc 'hadour; concl. Matter; note

Ripen.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

77

demzufolge deijenige, der die schädigende Sache in seiner Obhut hat. Es werden nicht nur gefährliche, sondern alle Sachen erlaßt. Der Begriff Obhut ist von der Rechtsprechung präzisiert worden. In seiner Entscheidung Franck 171 hat der Kassationshof die Obhut der Sache durch drei Wörter gekennzeichnet: usage, direction und controle. Halter der Sache ist danach derjenige, der die geistige 172 Herrschaftsmacht über die schädigende Sache ausübt 173 . Die Obhut unterscheidet sich somit von dem bloßen Besitz einer Sache 174 •

B. Die Vereinbarkeit der Minderjährigkeit mit einer Qualifikation als Halter der Sache Es kommt relativ häufig vor, daß Mindeijährige Dritten einen Schaden mittels einer Sache i. S. v. Art. 1384 I Ce (wie z. B. einem Stock, einem Spielzeug, einer Waffe oder einem Fahrrad) zufügen. Den Mindeijährigen aus Art. 1384 I Ce in Anspruch nehmen zu können, hätte für den Geschädigten den großen Vorteil, sich den Beweis der faute des Minderjährigen zu ersparen. Fraglich ist deshalb, ob der Mindeijährige als Halter der Sache bezeichnet werden kann. Zunächst hatte die Rechtsprechung dies mit der Begründung verneint, der unter elterlicher Aufsicht stehende Mindeijährige sei nicht selbständig genug, um selbst die Herrschaftsgewalt über eine Sache haben zu können. Erst in den sechziger Jahren hat der Kassationshof entschieden, daß ein Mindeijähriger als Halter der Sache gemäß Art. 1384 I Ce haftet 175 • Hierfür war Voraussetzung, daß der Mindeijährige deliktsfähig war. Folglich konnten weder Kleinkinder noch andere einsichtsunfähige Minderjährige als Halter der Sache haften. Der Mangel an Einsichtsfähigkeit stand der Ausübung der Obhut über eine Sache entgegen. Außer infantes und anderen einsichtsunfähigen Mindeijährigen waren konsequenterweise auch geistesgestörte Personen vom Anwendungsbereich des Art. 1384 I Ce ausgeschlossen. So liest man in der Entscheidung Escoffier176 vom 28. April 1947, daß Herrschaftsmacht und Einsichtsunfähigkeit unvereinbar sind.

Ch. n~un. 02. 12. 1941, D. 1942,jur. S. 25, noteRipert. Das Erfordernis einer geistigen Herrschaftsmacht führt dazu, daß der Verrichtungsgehilfe nicht als Halter der in Ausführung der Verrichtung veiWendete Sache bezeichnet werden kann. Vielmehr ist in solchen Fällen der Geschäftsherr Halter der Sache. Dazu Peano, D. 1991, Chron. S. 51-55. 173 Vgl. Burst, J. C. P. ed. G. 1970. I. 2307, no 46: "on admet generalement que l'usage, Ia direction et Je contröle doivent etre entendus dans un sens intellectuel et non pas materiel." 174 Malaurie I Aynes, Les Obligations, s. 112, no 199. 175 Civ. 2, 14. 03. 1963, Bull. civ. II. no 254, S. 186. 176 Civ. 28. 04. 1947, D. 1947, jur. S. 329, concl. Lenoan, note Lalou. 171

172

78

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger I. Die Auswirkungen der Entwicklung der Rechtslage geistesgestörter Personen auf einsichtsunfähige Minderjährige

In der Entscheidung Trichard 177 vom 18. Dezember 1964 entschied der Kassationshof, daß die epileptische Geistesabwesenheit (vorübergehende Einsichtsunfähigkeit) nicht zur Exkulpation des Halters der schädigenden Sache führt. In der Literatur sind zwei Auffassungen vertreten worden. Einige Autoren meinen, daß es eine Kohärenz zwischen der Entscheidung Trichard und der Entscheidung Escoffier gebe. Die Einsichtsfähigkeit sei erforderlich, um die Obhut der Sache zu erlangen (Escoffier), aber ein einsichtsfähiger Halter der Sache könne sich nicht durch den Nachweis einer vorübergehenden Einsichtsunfähigkeit exkulpieren (Trichard) 178 • Die herrschende Meinung vertritt die Ansicht, daß der Kassationshof auf die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für den Erwerb der Obhut verzichtet hat179• Die Einführung des Art. 489-2 Ce ermöglicht ausdrücklich die Haftung geisteskranker Personen als Halter der Sache. Fraglich war daher, ob die Einsichtsunfähigkeit generell für die Qualifikation als Halter der Sache unbeachtet bleiben sollte oder ob dies nur für geisteskranke Personen galt. Einige Autoren vertraten die Ansicht, daß die Lage der infantes mit der Lage geisteskranker Personen gleichzustellen sei 180. Dies entsprach einer Tendenz im französischen Recht, allgemeine Regeln festzulegen. Zunächst hat sich die Rechtsprechung jedoch geweigert, eine solche Angleichung vorzunehmen. Erst im Jahre 1984 ist auf die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die faute auf der einen Seite und für die Obhut über Sachen (garde) auf der anderen Seite verzichtet worden.

II. Die Entscheidung Gabillet vom 9. Mai 1984181

Beim Sturz von einer Schaukel hatte ein dreijähriges Kind einem Kameraden mit einem Stock ein Auge ausgeschlagen. Das Berufungsgericht erklärte das Kind zum Halter der Sache i.S.des Art. 1384 I Ce. Diesem Urteil ist vom Kassationshof zugestimmt worden. Allein die Feststellung, daß das Kind die Herrschaftsgewalt über den Stock hatte, begründe die Halterhaftung, und das Berufungsgericht habe nicht zu untersuchen gehabt, ob das Kind einsichtsfähig war, selbst wenn es sich um ein sehr kleines Kind handelte. Demnach kann jetzt selbst ein infans als Halter der Sache bezeichnet und nach Art. 1384 I Ce in Anspruch genommen werden. m Civ. 2, 18. 12. 1964, D. 1965, jur. S. 193, concl. Schmelck, note Esmein; J. C. P. ed. G. 1965. II. 14304 obs. Dejean de Ia Batie. 178 Dejean de Ia Batie, note SOUS Civ. 2, 18. 12. 1964, J. c. P. ed. G. 1965. II. 14304. 179 Massip, La reforme du droit des incapables majeurs, tome I, S. 47, no 32; Viney, RTD civ. 1970, 251 (255). 180 Z. B.: Burst, J. C. P. ed. G. 1970.1. 2307, no 21-31. 1s1 Ass. plen. 09. 05. 1984, J. C. P. ed. G. 1984. II. 20255, note Dejean de Ia Batie.

1. Kap.: Der Minderjährige als Schädiger

79

111. Die Bewertung der Lösung Gabület

Auf der einen Seite ist durch diesen Rechtsprechungswandel die Rechtslage des Geschädigten verbessert worden 182. Darüber hinaus bewirkte er eine Gleichstellung aller Einsichtsunfähigen. Auf der anderen Seite hat diese Rechtsprechung jedoch den Begriff der garde in seinen Grundfesten erschüttert. Die Entscheidung Gabillet führt den Begriff der garde ohne Einsichtsfähigkeit im französischen Recht ein. Vor der Entscheidung Gabillet stellte die Haftung einsichtsunfähiger Personen als Halter der Sache eine absolute Ausnahme dar und war durch Art. 489-2 Ce auf Geisteskranke beschränkt. Grundsätzlich bezeichnete die Rechtsprechung denjenigen als Halter der Sache, der die geistige Herrschaftsmacht über die Sache hatte. Es könne nicht gleichzeitig die geistige Herrschaftsgewalt über die schädigende Sache verlangt und auf das Merkmal der Einsichtsfähigkeit verzichtet werden 183 • Ein Minimum an Einsichtsfahigkeit sei erforderlich, um den Gebrauch (usage), die Einflußnahme (direction) und die Kontrolle (controle) der Sache bejahen zu können 184• Mit der traditionellen Definition der garde im Urteil Franck ließe sich das Urteil Gabillet schlecht vereinbaren 185 • Darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß die Haftung als Halter einer Sache nach Art. 1384 I Ce eine Gefahrdungshaftung ist. Das Erfordernis der Einsichtsfähigkeit des Schädigers bildete ein Minimum an Schutz des Schädigers im Rahmen dieser strengen Haftung. Die Entscheidung Gabillet führt zu einer Erweiterung des Anwendungsbereiches des Art. 1384 I Ce, welcher nicht zuzustimmen ist.

Vergleichende kurze Zusammenfassung des Subkapitels Das deutsche Recht mißt den Besonderheiten der Minderjährigkeit Bedeutung bei und verneint die Verschuldeoshaftung bei fehlender Einsichtsfahigkeit. Als Ausgleich hierfür hat es für den Geschädigten die Möglichkeit einer Billigkeitshaftung des Schädigers geschaffen. Die Billigkeitshaftung ist in Deutschland der einzige praktisch relevante Fall, in dem Minderjährige auch verschuldeosunabhängig in Anspruch genommen werden können. Die daneben bestehende Möglichkeit, aufgrund einer Gefährdungshaftung (z. B. § 833 S. 1 BGB, § 7 StVG) haftbar zu werden, ist hingegen im Vergleich zum französischen Recht vernachlässigenswert. Legeais, D. 1984, Chron. S. 237 (240). Lambert-Faivre, RID civ. 1987, S. 1 (3): "cette garde intellectuelle sans discemement est pure absurdite." 184 Legeais, D. 1984, Chron. S. 237 (241). 185 Viney, J. C. P. ed. G. 1985. I. 3189. 182 183

80

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

In Frankreich ist keine Billigkeitshaftung vorgesehen worden. Dort nimmt die verschuldeosunabhängige Haftung die Form der Gefährdungshaftung des Halters einer Sache nach Art. 1384 I Ce an. Diese strenge Gefährdungshaftung hat einen breiten Anwendungsbereich und wird auf Minderjährige oft angewandt, besonders seitdem auf die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit verzichtet worden ist. Im Bereich der Haftung Minderjähriger lassen sich in beiden Rechtsordnungen deutlich unterschiedliche Zielsetzungen erkennen. Während im deutschen Recht der Schutz Minderjähriger vorrangig ist, wird auf den Schutz Minderjähriger im französischen Recht zugunsten des Geschädigten immer mehr verzichtet. Fraglich ist nun, welche Stellung der Minderjährige als Geschädigter in beiden Rechtsordnungen innehat. Zweites Kapitel

Der Minderjährige als Geschädigter Bereits aus der Tatsache, daß jemandem ein Schaden zugefügt wird, ergibt sich seine besondere Nähe zu dem schädigenden Ereignis. Wäre er nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen, hätte er den Schaden nicht erlitten. Fraglich ist deshalb, wann ihm dieser Kausalbeitrag entgegenhalten werden kann und in welchem Maße seine Schadensersatzansprüche gegebenenfalls zu reduzieren sind. Während im deutschen Recht die spezielle Vorschrift des § 254 BGB die Frage des Mitverschuldeos des Geschädigten regelt, ist in Frankreich die Berücksichtigung des Verhaltens des Geschädigten Richterrecht Abgesehen von dieser allgemeinen Problematik stellt sich für minderjährige Geschädigte die Frage, inwiefern das Merkmal der Minderjährigkeit für die Anrechnung ihres Mitverschuldeos eine Rolle spielt. In einem ersten Abschnitt wird allgemein die Rechtslage von minderjährigen Geschädigten im deutschen und französischen Deliktsrecht analysiert, bevor in einem zweiten Abschnitt die speziellen Regeln im Bereich der Verkehrsunfälle untersucht werden. Da Minderjährige unter der Aufsicht ihrer Eltern stehen, wird anhand eines Vergleichs der beiden Rechtsordnungen schließlich untersucht, inwiefern sich Minderjährige das Mitverschulden ihrer Eltern anrechnen lassen müssen (dritter Abschnitt).

2. Kap.: Der Minderjährige als Geschädigter

81

Erster Abschnitt

Das persönliche Mitverschulden des geschädigten Minderjährigen im allgemeinen deutschen und französischen Deliktsrecht A. Das deutsche Recht Für die Gewährung von Schadensersatzansprüchen ist nicht nur das Verschulden des Schädigers, sondern auch das des Geschädigten von Bedeutung. Gemäß § 254 I BGB werden die Schadensersatzansprüche je nach Maß und Grad des Mitverschuldens des Geschädigten gekürzt. Es ist fraglich, inwiefern § 254 BGB auf Minderjährige Anwendung findet.

I. § 254 BGB und das Mitverschulden Minderjähriger

1. Die Berücksichtigung der Einsichtsfähigkeit

Nach der Rechtsprechung ist § 828 BGB im Rahmen von § 254 entsprechend anzuwenden. Der im § 828 I BGB vorgesehene Ausschluß der Deliktshaftung von Kindem unter sieben Jahren führt spiegelbildlich zu einer Unmöglichkeit der Anrechung ihres eventuellen Mitverschuldens 186• Für die Bejahung des Mitverschuldens von Jugendlichen zwischen sieben und achtzehn Jahren findet § 828 II BGB entsprechende Anwendung 187. Wie jedoch zu Recht bemerkt worden ist, kann § 828 II, im Gegensatz zu § 828 I BGB, nicht einfach wörtlich auf Mitverschuldensfälle übertragen werden: Das Problem ist der Begriff der "zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit gegenüber Dritten erforderlichen Einsicht", der im Rahmen von§ 254 BGB unpassend ist 188 . In der Tat geht es eher um eine Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst. Nach ständiger Rechtsprechung ist deshalb in Mitverschuldensfällen § 828 II BGB so zu lesen, als ob geschrieben stünde, daß von derjenigen Einsicht auszugehen ist, "die zur Erkenntnis der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens erforderlich ist" 189. Die Anwendung des § 828 II BGB auf § 254 BGB schützt den einsichtsunfähigen Minderjährigen vor einer Verkürzung seiner Schadensersatzansprüche 190. Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf die Fähigkeit des Kindes an, sich dieser BGH 29. 10. 1974, VersR 1975, 133 (135). BGH 17. 12. 1963, VersR 1964, 385 (386). 188 Dialinas, Das Mitverschulden des Minderjährigen, S. 47. 189 Z. 8.: OLG Celle, 26. 05. 1954, VersR 1955,396 (397). 190 Siehe z. 8: OLG Dresden, 22. 02. 1994, VersR 1995, 235-237 (ein siebenjähriges Kind, das sich über einen wackelnden Grabstein lehnte und durch den Umfall des Grabsteins verletzt worden war, trifft mangels Erkennung des Defekts des Grabsteins kein Mitverschulden). 186 187

6 Niboyet

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

82

Einsicht entsprechend zu verhalten. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine allgemeine Einsicht, daß das Verhalten gefährlich sein könnte 191 .

2. Die Maßstäbe für ein Mitverschulden Minderjähriger

Im Rahmen des § 254 BGB findet § 276 BGB, der eine objektive Beurteilung des Verschuldens vorsieht, Anwendung. Bei der Beurteilung des Verschuldens des Minderjährigen als Schädiger korrigiert die Rechtsprechung diesen objektiven Maßstab zugunsten Minderjähriger dadurch, daß sie einen altersspezifischen Sorgfaltsmaßstab anwendet. Eine derartige Korrektur wird auch dann vorgenommen, wenn es um das Mitverschulden Minderjähriger geht192. Das fahrlässige Mitverschulden setzt daher voraus, daß in Bezug auf den konkreten Sachverhalt ein Minderjähriger der gleichen Altersgruppe die Gefahr erkannt und sich demgemäß verhalten hätte; auf die individuelle Steuerungsfahigkeit des Jugendlichen kommt es nicht an 193 .

II. § 254 BGB und die Billigkeit bei minderjährigen Geschädigten

Die Anwendung des § 254 BGB kann entweder an der Einsichtsunfähigkeit des Minderjährigen oder an seinem fehlenden Verschulden scheitern. Dem Schädiger bleibt dann nur die Möglichkeit eine analoge Anwendung des § 829 BGB geltend zu machen, was nach ständiger Rechtsprechung beim Mitverschulden möglich ist194. Genau wie Billigkeitsgründe die Haftung eines minderjährigen Schädigers gemäß § 829 BGB begründen können, wird entsprechend angenommen, daß diese auch umgekehrt zur Minderung der Schadensersatzansprüche des minderjährigen Geschädigten führen. § 829 BGB bildet eine Ausnahmevorschrift, deren Anwendung sehr restriktiv gehandhabt wird. Die Rechtsprechung wendet kumulativ zwei Kriterien an, um eine Begrenzung der Haftung unter Billigkeitsgesichtspunkten zu bejahen. Zum einen muß festgestellt werden, daß das Verhalten des geschädigten Minderjährigen eine erhebliche Rolle bei der Schadensverursachung gespielt hat. Erforderlich ist ein sehr großes Gefalle in der Verantwortung und somit der Verursachungsanteile zulasten des minderjährigen Klägers 195 . Zum anderen sind die jeweiligen Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen 196. Erforderlich ist ein großer Unterschied in den BGH 28. 02. 1984, NJW 1984, 1958 (1958). BGH 30. 01. 1968, VersR 470 (472); siehe Henke, JS 1991,265 (267 -268). 193 Deutlich: OLG Köln, 10. 12. 1987, VersR 1989, 62 (63). 194 Ständige Rechtsprechung seit BGH 10. 04. 1962, NJW 1962, 1199 (1200); siehe auch BGH 17. 12. 1963, VersR 1964, 385 (386); BGH, 24. 06. 1969, NJW 1969, 1762 (1762); BGH 26. 06. 1973, NJW 1973, 1795 (1795). 195 Z. B.: BGH 24. 06. 1969, NJW 1969, 1762 (1763). 191

192

2. Kap.: Der Mindeijährige als Geschädigter

83

Vermögenslagen der Parteien. Es muß sich ein "wirtschaftliches Gefälle" zugunsten des minderjährigen Geschädigten ergeben, während die volle Haftung des Schädigers seinen finanziellen Ruin bedeuten würde. Dabei spielt das Bestehen einer Versicherung eine entscheidende Rolle. Wenn der Schädiger versichert ist, gibt es keinen Raum für eine Anwendung des § 829 auf das Mitverschulden des Geschädigten. Wenn Schädiger und Geschädigter versichert sind, ist die Rechtsprechung bei einer spiegelbildlichen Anwendung des § 829 BGB sehr zurückhaltend. In solchen Fällen könne "die Billigkeitshaftung .. . nur sehr begrenzt herangezogen werden" 197. Wenn der Geschädigte versichert ist, wird die Begrenzung der Haftung unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht bereits durch das Bestehen der Versicherung als solcher begründet, denn es geht nicht darum, ob der Geschädigte sich eine Klage hätte sparen können, sondern darum, ob der Schädiger im Ganzen zu haften hat 198. Das Vorhandensein einer Versicherung ausschließlich auf Seiten des Geschädigten führt aber in der Regel zur Feststellung eines "wirtschaftlichen Gefälles" zugunsten des Geschädigten. Für eine Anwendung des § 829 BGB im Rahmen des § 254 BGB sind damit zwei von der Rechtsprechung kumulativ angewandte Kriterien entscheidend: die Erheblichkeit des Verursachungsbeitrags auf Seiten des Geschädigten und ein wirtschaftliches Gefalle zu seinen Gunsten. Aufgrund des Ausnahmecharakters des § 829 BGB, dessen strengen Voraussetzungen und der Zurückhaltung der Rechtsprechung199 bei seiner Anwendung im Rahmen des § 254 BGB spielt diese Vorschrift in diesem Zusammenhang jedoch nur eine zweitrangige Rolle.

111. § 254 und die Schadensteilung

Ist einem minderjährigen Geschädigten ein persönliches Mitverschulden anzurechnen, bleibt zu entscheiden, inwiefern seine Schadensersatzansprüche zu kürzen sind. Mit Hilfe des § 254 BGB wird nicht nur entschieden, "ob" ein Mitverschulden zu bejahen ist, sondern auch "inwiefern" dieses Folgen hat. Dieses "inwiefern" führt zur richterlichen Bemessung der Höhe der jeweiligen Verschuldens- und Verursachungsanteile der Parteien, mit der Folge daß § 254 BGB eine Ausnahme zum "Alles oder Nichts Prinzip" bildet. Erst aus dieser Abwägung ergibt sich die Festlegung der Schadensquote, die Schädiger und Geschädigter zu tragen haben. Frag196 Nur das OLG Celle hatte eigenartigerweise aus der Vermögenslosigkeit des geschädigten Kindes nicht den Schluß ziehen wollen, daß die Anwendung des § 829 BGB deshalb automatisch ausgeschlossen war. Bei der spiegelbildlichen Anwendung des § 829 BGB auf Mitverschuldensfalle sei vor allem der Verusachungsbeitrag entscheidend: OLG Celle, 23. 01. 1969, NJW 1969, 1632 (1633). 197 BGH 24. 06. 1969, NJW 1969, 1762 (1763) =VersR 1969, 860 (862). 198 BGH 24. 06. 1969, NJW 1969, 1762 (1763); BGH 26. 06. 1973, NJW 1973, 1795 (1795). 199 Deutlich BGH 26. 06. 1973, NJW 1973, 1795 - 1796.

6*

84

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

lieh ist, wie diese Abwägung vorzunehmen ist. Nach § 254 BGB "hängt die Verpflichtung zum Ersatze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursacht worden ist". Unterschiedliche Auslegungen dieser Vorschrift sind denkbar und haben zu einem Meinungsstreit in der Literatur geführt. Für die Bestimmung der Haftungsquoten ist vertreten worden, nur die Verursachungsbeiträge200, nur den Grad des jeweiligen Verschuldens201 oder die Gesamtheit der Umstände (wie das jungendliche Alter, die Vermögensverhältnisse der Parteien, das Vorliegen eines besonders hohen Schadens) zu berücksichtigen202. Es ist auch vorgeschlagen worden, zwar nicht alle Umstände, wohl aber neben dem Maß an Verursachung und dem Verschulden auch die Besonderheiten des Alters und das Bestehen einer Versicherung zu berücksichtigen203 . Nach der Rechtsprechung bestimmt sich die Schadensteilung primär nach dem Maß der Verursachung und subsidiär nach dem des Verschuldens204. Hierbei müssen die Richter entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes entscheiden, welches Verhalten "vorwiegend" die Ursache des Schadens war. Bezüglich der Bestimmung des Grads des Mitverschuldeos minderjähriger Geschädigter neigen die Richter dazu, ihnen gegenüber eher großzügig zu sein205 . Diese Tendenz ist insbesondere im Rahmen der Straßenverkehrsunfälle sichtbar206. Was für Erwachsene einem schweren Verschulden gleichgekommen wäre, wird im Falle eines Minderjährigen milder bewertet. Im Vergleich zu der Schadensquote, die einem Erwachsenen für ein vergleichbares Verhalten auferlegt worden wäre, ist die Kürzung der Schadensersatzansprüche minderjähriger Geschädigter selten207. Die Parallelität zwischen Eigen- und Fremdverschulden führt zur Berücksichtigung des Merkmals der Minderjährigkeit im deutschen Recht, mag sie auch unzureichend sein. Die Anwendung desselben Prinzips im französischen Recht führt zum entgegengesetzten Ergebnis. Wie jetzt aufgezeigt werden soll, erscheint dort eine Begünstigung minderjähriger Geschädigter eher illusorisch. B. Das französische Recht

Bejahen die Richter die Haftung des Schädigers, sei es aus faute gemäß Art. 1382 i. V. m. Art. 1383 Ce oder als Halter der Sache gemäß Art. 1384 I Ce, kommt eine Verkürzung oder sogar ein Ausschluß der Schadensersatzansprüche 200

201 202

Dunz, JZ 1961,406- 411. Rother, VersR 1983, 793 (798). Böhmer, VersR 1963,26-28.

Borgelt, Das Kind im Deliktsrecht, S. 108-110. BGH 29. 01. 1969, VersR 1969, 406 (407). 2os Z. B.: OLG Stuttgart, 17. 11. 1977, VersR 1978,577 (578). 206 BGH, 13. 02. 1990, VersR 1990, 535 - 536. 207 Goecke, Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger im Deliktsrecht, S. 35-36. 203

204

2. Kap.: Der Minderjährige als Geschädigter

85

des minderjährigen Klägers in Betracht, wenn bewiesen wird, daß er selbst zu der Schadensverursachung beigetragen hat.

I. Die Merkmale des eigenen Mitverschuldeos des Minderjährigen vor der Anerkennung der faute objective im Jahre 1984

1. La faute de la victime

Die faute kann einerseits eine Haftung gegenüber Dritten begründen, andererseits aber auch zu einer "Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst"208 führen, so daß der Geschädigte für einen Teil oder für den ganzen Schaden selbst aufkommen muß. Die faute de la victime (Verschulden des Opfers) ist nichts anderes als das Gegenstück der haftungsbegründenden faute des Schädigers. Zu untersuchen sind demnach auch hier die Erfordernisse der Einsichtsfähigkeit und des schuldhaften Verhaltens. a) Die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für das mitursächliche Verschulden des Minderjährigen Die bis zum Jahre 1984 geltende faute subjective und die Symmetrie zwischen der faute des Schädigers und der faute de la victime führte zum Erfordernis der Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen in beiden Fällen. Ein Mitverschulden des Minderjährigen wurde demzufolge nur dann bejaht, wenn er die erforderliche Einsichtsfähigkeit besaß209 . Mit der Neueinführung des Art. 489-2 Ce im Jahre 1968 für die persönliche Haftung geistesgestörter Personen stellte sich die Frage, ob damit das subjektive Element der faute abgeschafft worden war. Nachdem die Rechtsprechung sich geweigert hatte, den Art. 489-2 Ce auf Kleinkinder als Schädiger anzuwenden, hat sie konsequenterweise auch für das Mitverschulden Minderjähriger nicht auf das Merkmal der Einsichtsfähigkeit verzichten wollen2 10. Demzufolge hätte das Weiterbestehen des subjektiven Elements der faute, welches die Einsichtsfähigkeit voraussetzt, die geschädigten Kleinkinder vor einer Kürzung ihrer Schadensersatzanprüche bewahren müssen. Es ist jedoch festzustellen, daß die Anwendung der faute de la victime dennoch teilweise unabhängig von der Einsichtsfähigkeit bejaht worden ist. Die Rechtsprechung behandelte das Mitverschulden im Rahmen der Verschuldenshaftung anders als das Mitverschulden im Fall der Haftung als Halter einer Sache. Im letzten Fall verzichtete sie auf das 208 Vgl. mit dem Titel des Aufsatzes von Josserand: La responsabilite envers soi-meme, D. 1934, Chron. S. 73-76. 209 Siehe z. B.: Civ. 2, 08. 04. 1957, Bull. civ. II, no 304, S. 202 - 203. 210 Civ. 2, 11. 06. 1980, Bull. civ. II. no 140, S. 97-98.

86

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Merkmal der Einsichtsfähigkeit211 • Diese Unterscheidung ergebe sich aus der Verschiedenheit der Anspruchsgrundlagen: Wenn der Schädiger subjektiv nach Art. 1382 Ce hafte, sei diefaute des Geschädigten subjektiv zu prüfen; anders verhalte es sich, wenn der Schädiger objektiv als Halter der Sache nach Art. 1384 I Ce hafte, weil hier das Verhalten des Geschädigten auch objektiv geprüft werden müsse212 . Da Schäden oft mittels einer Sache verursacht werden, hat der große Anwendungsbereich des Art. 1384 I Ce dazu geführt, daß für die Bestimmung des Mitverschuldens oft auf das Merkmal der Einsichtsfähigkeit verzichtet wurde. b) Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab Nach der herrschenden Rechtsprechung wurde das Verhalten Mindeijähriger mit dem Verhalten eines sorgfaltigen Erwachsenen verglichen 213 . Im Gegensatz zum deutschen Recht hat das französische Recht das Alter des Mindeijährigen für die Ermittlung der Fahrlässigkeit nicht berücksichtigt. Der einzige Schutz minderjähriger Geschädigter bei der Frage ihres Mitverschuldens lag daher in der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit Haftete der Schädiger als Halter der Sache, war sogar dieses Erfordernis für die Bejahung des Mitverschuldens mindeijähriger Geschädigter überflüssig214• Der Mindeijährige mußte sich daher oft ein Mitverschulden anrechnen lassen. Es liegt auf der Hand, daß der Vergleich seines Verhaltens mit dem einer sorgfältigen erwachsenen Person in der Regel zu seinen Lasten ging. 2. Die Anrechnung des fait non fautif Da Art. 1384 I Ce nicht nach einem Verschulden des Schädigers fragt, sondern eine reine Gefährdungshaftung darstellt, sind in der zweiten Zivilkammer des Kassationshofs Überlegungen laut geworden, auch den Geschädigten strenger zu behandeln. Danach soll dessen Anspruch bereits dann gekürzt werden, wenn sein Verhalten das schädigende Ereignis mitherbeigeführt hat. Gefragt wurde also auch bei ihm nicht nach einem Mitverschulden, sondern einer bloßen Mitverursachung ("fait non fautif de Ia victime"i 15 • Im Fall von Ansprüchen aus Art. 1384 I Ce wurden die Maßstäbe für eine Anrechnung des Verhaltens des Mindeijährigen immer niedriger angesetzt. Zunächst wurde auf die Voraussetzung der Einsichts211 Civ. 2, 12. 07. 1966, Bull. civ. Il. n° 781, S. 547-548; Civ. 2, 07. 03. 1974, Bu11. civ. II. n° 88, S. 73-74. 212 Warembourg-Auque, RTD civ. 1982, S. 329 (354, no 34). 213 Siehe oben, Erstes Kapitel, Zweiter Abschnitt, C. Il. 1. Die Rechtslage, als die Voraussetzung des discemement noch bestand (vor 1984). 214 Z. B.: Civ. 2, 12. 07. 1966, Bull. civ. II. no 781, S. 547-548. 215 Civ. 2, 17. 12. 1963, D. 1964, jur. S. 569, note Tune; J. C. P. ed. G. 1965. II. 14075, note Dejean de la Btitie.

2. Kap.: Der Minderjährige als Geschädigter

87

fähigkeit verzichtet. Anschließend wurde ihm sogar schon ein bloßer fait non fautif (Mitverursachung) angerechnet. Mangels richterlicher Definition des "fait non fautif de Ia victime ", ist dieser Begriff ziemlich vage geblieben. Einige Autoren vertraten die Ansicht, daß ausschließlich die Rolle des Verhaltens des Geschädigten bei der Schadensverursachung entscheidend sei216. Andere hielten einfait nonfautiffür gegeben, sobald das Verhalten des Geschädigten "aktiv und autonom" war, mit der Folge, daß bei einem rein passiven Verhalten des Geschädigten eine Anspruchskürzung ausgeschlossen war217 . Wenn das objektive Merkmal der faute, das heißt zumindest eine fahrlässige Mitverursachung, gegeben war, verhinderte lediglich das Fehlen des subjektiven Elements der Einsichtsfähigkeit, das Verhalten als faute zu qualifizieren. Vorgeschlagen worden ist deshalb, in dem fait non fautif ein Verhalten außerhalb der Norm zu sehen, mit der Folge daß diese fahrlässige Mitverursachung im Rahmen des Art. 1384 I Ce genüge, um dem einsichtsunfähigen Geschädigten einfait non fautif anzurechen. Darüber hinaus sei für das Bejahen des fait non fautif eines einsichtsfähigen Geschädigten die Feststellung eines bloßen "anormalen Verhaltens" erforderlich, aber auch ausreichend218 • Es war tatsächlich problematisch, bei der Behandlung des Mitverschuldeos im Rahmen der Haftung als Halter der Sache nach Art. 1384 I Ce auf das Erfordernis der Einsichtsfähigkeit zu verzichten und gleichzeitig den Begriff der faute de Ia victime zu verwenden, obwohl zu dieser Zeit die faute das subjektive Element der Einsichtsfähigkeit in sich schloß. Der Ausdruck fait non fautif ermöglichte es somit, Einsichtsunfähigen ein Mitverschulden anzurechnen, ohne daß man dem Begriff der faute verschiedene Bedeutungen gab. II. Die Anerkennung der faute objective im Jahre 1984

Die Aufgabe des Merkmals der Einsichtsfähigkeit für das Vorliegen einer faute durch den französischen Kassationshof im Jahre 1984 stellte eine kleine juristische Revolution dar. Das Ergebnis war, daß die vorher herrschende subjektive Theorie von der objektiven abgelöst wurde. Dieser Rechtsprechungswandel vollzog sich anläßlich einiger Fälle, in denen der Minderjährige Geschädigter war und es um die Anrechnung seines Mitverschuldens ging219 • Gerade in diesen Fällen erstaunt die Abschaffung des Merkmals 216 217

282.

Warembourg-Auque, RTD civ. 1982, S. 329 (356-357, no 36-37). Bonjean, Le fait personnel non fautif dans Je droit de Ia responsabilite civile, S. 281-

Tune, D. 1976, Chron. S. 13 (14); Puill, D. 1980, Chron. S. 157-164. Ass. plen. 09. 05. 1984 (Urteile Derguini, Lemaire und Gabillet), J. C. P. ed. G. 1984. II. 20291, rapport Fedou. 218

2 19

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

88

der Einsichtsfähigkeit, da sie nicht durch den Opferschutz gerechtfertigt werden kann. Während in den Fällen, in denen der Minderjährige Schädiger war, die Nichtberücksichtigung seiner Minderjährigkeit mit einem verbesserten Opferschutz erklärt werden konnte, scheidet dieses Argument aus, wenn der Minderjährige selbst Geschädigter ist. In den Fällen, in denen es um die Anrechung des Mitverschuldens geht, führt die Nichtberücksichtigung der Minderjährigkeit des Geschädigten nicht zu einem verbesserten Opferschutz, sondern lediglich zu einer Belastung des Minderjährigen. Die Anerkennung der faute objective im Jahre 1984 bedeute eine Ausdehnung der Rechtsprechung der zweiten Zivilkammer des Kassationshofs bezüglich des fait non fautif 220• Von nun an spielt die Einsichtsfähigkeit weder für das Mitverschulden im Rahmen von Ansprüchen aus Art. 1384 I Ce noch im Rahmen von Ansprüchen aus Art. 1382 Ce eine Rolle. Die faute des Geschädigten beschränkt sich nunmehr auf den Beweis der fahrlässigen Verursachung (illiceite) seines Verhaltens. Dabei ist in der Rechtsprechung die Tendenz erkennbar, das Verschulden des Minderjährigen rein abstrakt zu beurteilen. Folglich gilt das strenge Vergleichsmodell eines sorgfältigen Erwachsenen. III. Die Schadensteilung

1. Die traditionelle Lösung

Im Fall eines Mitverschuldens im Rahmen der Verschuldenshaftung (Art. 1382 Ce) oder der Haftung als Halter der Sache (Art. 1384 I Ce) wurde traditionell angenommen, daß sich die Schadensteilung nach den Verursachungsanteilen der Parteien richtet. Stellte sich das Mitverschulden des Geschädigten für den Schädiger als höhere Gewalt in Form eines unvorhersehbaren und unausweichlichen Ereignisses dar, so wurde der Schädiger von der Haftung befreit. In solchen Fällen war das Verhalten des Geschädigten Ursache des Schadens und schloß den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Schadensanrichtung aus. Stellte das Verhalten des Geschädigten dagegen nicht den einzigen Grund für den Schaden dar, führte sein Mitverschulden lediglich zu einer Kürzung der Schadensersatzansprüche. Diese traditionelle Gleichbehandlung der Schadensteilung im Rahmen der Verschuldenshaftung und der Haftung als Halter der Sache ist durch einen vorübergehenden Rechtsprechungswandel aus dem Jahre 1982 insofern zeitweise aufgehoben worden, als entschieden wurde, daß im Rahmen der Haftung als Halter der Sache das Mitverschulden keine Haftungsminderung mehr begründet.

22o

Lebreton, L'enfant et la responsabilite civile, S. 382-383.

2. Kap.: Der Mindeijährige als Geschädigter

89

2. Der Umbruch mit dem Urteil Desmaresaus dem Jahre 1982 Selten hat eine Gerichtsentscheidung in Frankreich so viel Leidenschaft in der Literatur erweckt wie das Urteil Desmares221 • Diesem am 21. Juli 1982 von der zweiten Zivilkammer des Kassationshofs erlassenen Urteil 222 lag ein sehr banaler Sachverhalt zugrunde. Ein Ehepaar überquerte eine Straße, als es von einem Wagen erfaßt wurde. Die Ehegatten nahmen den Versicherungsträger des Autofahrers Desmares in Anspruch. Die Instanzgerichte sahen in dem Verhalten der Geschädigten eine faute, die für den schädigenden Autofahrer einen Fall höherer Gewalt darstellte. Folglich wiesen sie die Klage der Geschädigten ab. Die Berufungsrichter waren jedoch anderer Meinung, verneinten das Vorliegen höherer Gewalt und bejahten die volle Haftung des Schädigers. Der Streitfall kam vor den Kassationshof, der in einem Grundsatzurteil entschied, daß ausschließlich ein Verhalten des Geschädigten, das die Voraussetzungen der höheren Gewalt erfüllt, den Schädiger entlasten kann, während die bloße Mitverursachung des Schadens für die Haftung des Schädigers aus Art. 1384 I Ce irrelevant ist223 . Anlaß für den Rechtsprechungswandel Desmares war zweifellos der richterliche Wille, die Rechtslage der in Verkehrsunfällen Geschädigten zu verbessern. Da sich der Gesetzgeber nicht zu einer Reform hatte durchringen können, entschied der Kassationshof, selbst einen Schritt in diese Richtung zu machen. Diesbezüglich ist diese Rechtsprechung in der Literatur gelobt worden224• Problematisch war jedoch, daß die Begrenzung der Entlastungsgründe auf höhere Gewalt nicht nur für den Bereich der Verkehrsunfälle, sondern für alle Ansprüche aus Art. 1384 I Ce galt225 . Die Anrechnung des Mitverschuldeos des Geschädigten zur Entlastung des Schädigers war damit in den Fällen der Gefahrdungshaftung grundsätzlich ausgeschlossen. Angesichts der Tatsache, daß Art. 1384 I Ce eine Art von Generalklausel darstellt und alle Schäden erfaßt, die mittels einer Sache verursacht werden, bedeutete diese neue Rechtsprechung eine extreme Härte für den Schädiger. Darüber hinaus führte diese Rechtsprechung zu einem enormen Unterschied in der Stellung des Schädigers nach Art. 1382 und Art. 1384 I Ce. Der Kassationshof hatte nämlich am selben Tag in dem sog. Urteil Guillaume entschieden, daß der 221 Lambert-Faivre, D. 1982, Chron. S. 207-210; Viney, D. 1982, Chron. S. 201-206; Aubert, D. 1983, Chron. S. 1-6; Bigot, J. C. P. ed. G. 1982. I. 3090; Bloch, J. C. P. ed. G. 1982. I. 3091; Landraud, J. C. P. ed. G. 1982. I. 3093. 222 Civ. 2, 21. 07. 1982, D. 1982,jur. S. 449, concl. Charbonnier, note Larroumet; J. C. P. ed. G. 1982. li. 19861, note Chabas. 223 Die Grundsatzentscheidung des Kassationshofs lautet: "Attendu que seul un evenernent constituant un cas de force rnajeure exonere Je gardien de Ia chose, instrurnent du dornmage, de Ia responsabilite par lui encourue par application de I' art. 1384 al. 1; que des lors, Je cornporternent de Ia victirne, s' il n'a pas ete pour Je gardien irnprevisible et irresistible, ne peut I' exonerer, rnerne partiellernent." 224 Viney, D. 1982, Chron. S. 201 (204-205). 225 Viney, D. 1982, Chron. S. 201 (205 - 206).

90

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Anspruch des Geschädigten aus Art. 1382 Ce, der eine Verschuldeoshaftung vorsieht, wegen eines Mitverschuldeos des Geschädigten zu kürzen war226• Diese Unterscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen227 . Als 1985 das Gesetz228 zur Verbesserung der Rechtslage der Opfer aus Verkehrsunfällen erlassen wurde, war das Ziel des Urteils Desmares erreicht. Fortan erschien es nicht mehr erforderlich, im Rahmen von Ansprüchen aus Art. 1384 I Ce auf eine Anrechung des Mitverschuldens und eine Anspruchskürzung zum Schutz des Geschädigten zu verzichten. Kurz danach sind die Richter deshalb auf die traditionellen Entlastungsmöglichkeiten zurückgekommen.

3. Der Rechtsprechungswandel im Jahre 1987 Mit vier wichtigen Urteilen vom 06. 04. 1987 wurde die Rechtsprechung Desmares beendet229. Als Verdeutlichung mag eines dieser Urteile dienen230• Eine Frau hatte Brennspiritus auf gemähtes Gras geschüttet, um es zu entzünden. Es kam zur Explosion und der neben der Frau stehende Mann und dessen Tochter erlitten dadurch Verbrennungen. Die Instanzrichter sahen in dem Verhalten der Geschädigten einefaute, weil es leichtsinnig war, so nah am Feuer zu stehen. Fraglich war, ob dieses Mitverschulden zu einer Anspruchskürzung führen sollte. Da Brennspiritus eine Sache i. S. v. Art. 1384 I Ce ist, war neben der Verschuldenshaftung der Frau aus Art. 1382 Ce auch eine Haftung als Halter der Sache aus Art. 1384 I Ce zu bejahen. Nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung hätte der Richter, sobald sich der Kläger auf Art. 1384 I Ce stützt, diese Anspruchsgrundlage wählen231 und dem Urteil Desmares zufolge eine Anspruchskürzung verneinen müssen. Die zweite Karnrner des Kassationshofs entschied jedoch anders. In den vier am gleichen Tag erlassenen Urteilen ist dazu dieselbe Begründung zu lesen: "Der Halter der Sache wird teilweise von seiner Haftung befreit, wenn er beweisen kann, daß ein Mitverschulden des Opfers den Schaden mitverursacht hat"232• Civ. 2, 21. 07. 1982, Gaz. Pal. 1982, somm. S. 317, note Chabas. Viney, J. C. P ed. G. 1984. I. 3155 (n° 18). 228 Loi no 85-677 du 5 juillet 1985; näher dazu unten, Zweiter Abschnitt, B. Das französische Sondergesetz über Verkehrsunfalle vom 05. 07. 1985. 229 Civ. 2, 06. 04. 1987 (vier Urteile): Urteil Mettetal, J. C. P. ed. G. 1987. II. 20828, note Chabas; Bull. civ. II. n° 86, S. 50: 1. Urteil (Bardeche), 2. Urteil (Chauvet), 3. Urteil (Belzedghoune). 230 Civ. 2, 06. 04. 1987 (Urteil Mettetal), J. C. P. ed. G. 1987.11. 20828, note Chabas. 231 Civ. 2, 03. 02. 1983, J. C. P. ed. G. 1984. II. 20270, note Chabas; Civ. 2, 25. 01. 1984, D. 1984,jur. S. 242, note Larroumet. 232 Civ. 2, 06. 04. 1987 (vier Urteile): Urteil Mettetal, J. C. P. ed. G. 1987. II. 20828; Bull. civ. II. no 86, S. 50: 1. Urteil (Bardeche), 2. Urteil (Chauvet), 3. Urteil (Belzedghoune): ,,Le gardien de Ia chose instrument du dommage est partiellement exonere de sa responsabilite s'il prouve que la faute de la victime a contribue au domrnage." 226

227

2. Kap.: Der Mindeijährige als Geschädigter

91

Damit wurde die Klammer Desmares geschlossen und die Möglichkeit einer Schadensteilung nach Verursachungsanteilen im Rahmen des Art. 1384 I Ce wiedereingeführt. Festzustellen ist auch, daß der Kassationshof im Rahmen dieser Entlastungsmöglichkeit den Begriff des fait non fautif durch denjenigen der faute de Ia victime ersetzt hat233 . Damit ist auch der in der Literatur kritisierte Unterschied zwischen Mitverschuldeosfällen im Rahmen des Art. 1382 und im Rahmen des Art. 1384 I Ce verschwunden. In beiden Fällen ist für eine Entlastung des Schädigers eine faute de Ia victime erforderlich, welche seit dem Rechtsprechungswandel aus dem Jahre 1984 die Einsichtsfähigkeit nicht mehr urnfaßt, sondern bereits bei einem fahrlässigen Verhalten bejaht werden kann. Das Verhalten des Minderjährigen wird hierzu mit demjenigen des sogenannten bonus pater familias verglichen. Wird ein Mitverschulden bejaht, so hängt der Umfang des Schadensersatzes von dem Grad der jeweiligen Schadensverursachung und des jeweiligen Verschuldeos ab.

C. Gesamtwürdigung I. Zum deutschen Recht

Die Regeln zum Schutz minderjähriger Schädiger finden auf minderjährige schadensmitverursachende Geschädigte entsprechende Anwendung. Die Hauptvorschläge in der Literatur gehen deshalb auch in diesem Bereich dahin, strengere Anforderungen an die Bejahung der Voraussetzungen der Einsichtsfähigkeit zu stellen und in die Prüfung auch die Steuerungsfähigkeit der Minderjährigen miteinzubeziehen234. Meines Erachtens sollte auch hinsichtlich schadensmitverursachender Geschädigter die Altersgrenze des § 828 I BGB auf das zehnte Lebensjahr angehoben werden, um der Schutzbedürftigkeit von Kindem besser Rechnung zu tragen. Außerdem sollte die Prüfung der Einsichtsfähigkeit des § 828 II BGB die Steuerungsfähigkeit des Minderjährigen mitberücksichtigen. Darüber hinaus ist eine Beurteilung der Fahrlässigkeit des Minderjährigen sowohl als Schädiger als auch spiegelbildlich als Geschädigter ohne Berücksichtigung der Altersgrenze zu empfehlen235.

Clwbas, note SOUS Civ. 2, 06. 04. 1987, J. c. P. ed. G. 1987. II. 20828. Siehe z. B. Scheffen, FuR 1993, 82 (82). 235 Siehe oben, Erstes Kapitel, Zweiter Abschnitt, D. II. Die Bewertung der deutschen Lösung. 233

234

92

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

II. Zum französischen Recht

Seit dem Rechtsprechungswandel aus dem Jahre 1984 wird auf die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit für die Bejahung der faute verzichtet, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Minderjährige Schädiger oder Geschädigter ist. Vor 1984 war zwar die Haftung von infantes aufgrund ihrer fehlenden Einsichtsfähigkeit ausgeschlossen, dennoch wurde ihr Mitverschulden oft bejaht, wenn sie Geschädigte waren und es nur um die Frage der Schadensteilung ging. Die nach 1984 herbeigeführte Gleichheit in der Behandlung schädigender und geschädigter Minderjähriger ist kohärent und wird gelobt236. Dadurch daß von nun an im Rahmen der Art. 1382 und 1384 I Ce die gleichen Grundsätze auf die Mitverschuldensfälle anwendbar sind, hat der Begriff des Mitverschuldeos außerdem an Einheitlichkeit gewonnen237 . Jedoch sei diese Lösung sowohl ungerecht als auch unlogisch. Ungerecht deshalb, weil sie den Schwächeren treffe. Unlogisch deshalb, weil sie dem verfolgten Ziel der besseren Entschädigung des Geschädigten widerspreche, wenn sie auf einen minderjährigen Geschädigten angewandt werde238 • Jourdain meint, daß in Fällen, in denen der Minderjährige Geschädigter ist, nicht auf die Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit verzichtet werden darf. Wenn der Minderjährige Schädiger sei, finde die Abschaffung des Merkmals der Einsichtsfähigkeit seine Begrundung in dem Wunsch, die Rechtslage der Geschädigten zu verbessern. Wenn er aber Geschädigter sei, führe die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit nicht mehr zur Verbesserung, sondern zur Verschärfung seiner Rechtslage239 . Der Autor betrachtet die Kürzung der Schadensersatzanspruche des Minderjährigen in solchen Fällen als eine private Strafe, die - wie im Strafrecht - nur gerechtfertigt sei, wenn das Merkmal der Einsichtsfähigkeit gegeben sei 240. Viney empfindet die Lösung der Rechtsprechung ebenfalls als zu hart241 • Hervorzuheben ist, daß selbst Autoren, die für die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit plädiert hatten, die neue Lösung bedauern, wenn sie sich zulasten minderjähriger Geschädigter auswirkt242. Dies zeigt die Schwäche hochtrabender theoretischer Überlegungen, wenn sie mit der Praxis konfrontiert werden. Es ist aber nicht zu spät, diese unbefriedigende Rechtslage zu ändern. Folgende Lösungswege kommen in Betracht: Starck I Roland I Bayer; Obligations 1996, S. 193 - 195, no 400-404. Vgl. Hennings, Persönliche Haftung und Mitverschulden von Kindern, S. 188. 238 Lapoyade Deschamps, D. 1988. Chron. S. 295 (303). 239 Jourdain, obs. Civ. 2, 28. 02. 1996, RTD civ. 1996, S. 628 (629); siehe auch Huet, obs. Ass. plen. 09. 05. 1984, RTD civ. 1984, S. 508 (514). 240 Jourdain, obs. Civ. 2, 28. 02. 1996, RTD civ. 1996, S. 628 (629). 241 Viney, J. C. P. ed. G. 1996. I. 3985, S. 485 (489, no 14). 242 Cabannes, concl. sous Ass. plen. 09. 05. 1984, D. 1984, jur. S. 525 (528); Chabas, note sous Ass. plen. 09. 05. 1984, D. 1984,jur. S. 530 (534). 236

237

2. Kap.: Der Minderjährige als Geschädigter

93

- Ein möglicher Lösungsansatz wäre der, die Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit auf die Fälle zu begrenzen, in denen der Minderjährige Schädiger ist. Dafür spricht zum einen das Ziel, die Rechtslage Geschädigter zu verbessern und nicht zu verschärfen. Dafür spricht zum anderen der Art. 489- 2 Ce. Er war es, der der Abschaffung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit Tür und Tor geöffnet hatte. Jedoch zielt er seinem Wortlaut nach nur auf diejenigen ab, die einem Dritten einen Schaden verursacht haben ("celui qui a cause un dommage aautrui"). Auf geistesgestörte Geschädigte sollte Art. 489-2 Ce daher keine Anwendung finden 243 . In den Fällen, in denen es um einsichtsunfähige Minderjährige als Geschädigte geht, dürfte demnach auch ihre Einsichtfähigkeit berücksichtigt werden. -

Der zweite mögliche Lösungsansatz, der meines Erachtens den Vorzug verdient, ist die Wiedereinführung der Voraussetzung der Einsichtsfähigkeit, und zwar nicht nur für die Bejahung des Mitverschuldens, sondern auch für die Bejahung des Verschuldens.

Darüber hinaus muß ein schuldhaftes Verhalten des Minderjährigen festgestellt werden, wobei für diese Prüfung das Alter in der Regel keine Rolle spielt244. Dieser Lösung ist zuzustimmen, weil die Anwendung der In-abstracto-Methode zu einer Beurteilung der Fahrlässigkeit führt, die nicht personen-, sondern verhaltensbezogen ist. Jenseits der allgemeinen Problematik der Anrechnung des Mitverschuldeos des Minderjährigen, stellt sich ein Rechtsbereich als besonders heikel dar, und zwar der der Straßenverkehrsunfälle.

Zweiter Abschnitt

Der Bereich der Verkehrsunfälle Oftmals sind Personenschäden die Folge von Verkehrsunfällen. Gerade deshalb erscheint es hart, dem Körperverletzten ein Mitverschulden anrechnen zu wollen, hat er doch bereits einen hohen Preis für sein Fehlverhalten bezahlt. Geht es um Minderjährige, insbesondere um Kleinkinder, so erscheint dies noch problematischer, da sie den Straßenverkehr noch nicht ausreichend beherrschen. Fraglich ist deshalb, wie das Allgemeininteresse an einem ordnungsgemäßen Verhalten im Straßenverkehr mit dem Bedürfnis des Minderjährigen nach besonderem Schutz vor Inanspruchnahme in Einklang zu bringen ist. In Deutschland regelt das Straßenverkehrsgesetz ergänzend den Bereich der Verkehrsunfalle. In Frankreich ist 1985 ein Sondergesetz erlassen worden, das den 243 244

Lapoyade Deschamps, La responsabilite de Ia victime, S. 401. Civ. 2, 28. 02. 1996, Bull. civ. II. no 54, S. 34.

94

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Bereich der Straßenverkehrsunfälle abschließend regelt. Wie im folgenden dargestellt werden wird, schützt das französische Recht minderjährige Unfallopfer stärker als das deutsche Recht.

A. Das deutsche Straßenverkehrsgesetz Aufgrund der großen Gefahren, denen Kinder im Straßenverkehr ausgesetzt sind, hat der Gesetzgeber in § 3 II a StVO eine besondere Sorgfalts- und Vorsichtspflicht zu ihren Gunsten vorgesehen. Die Pflicht ist dadurch erhöht worden, daß der Fahrzeugführer "sich insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so verhalten (muß), daß eine Gefahrdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist" (§ 3 II a StVO). Diese Pflicht gilt nicht nur Kindem gegenüber, sondern auch gegenüber Hilfsbedürftigen und älteren Menschen als besonders schutzbedürftigem Personenkreis. Diese Vorschrift reicht jedoch nicht aus, um "Kinderverkehrsunfalle" zu vermeiden und findet auf ältere Minderjährige keine Anwendung. Hinzu kommt, daß Minderjährige oft zu einem Schaden beitragen. Fraglich ist daher, inwiefern sich Minderjährige als Geschädigte ihre Schadensersatzansprüche kürzen lassen müssen, oder sogar ganz davon ausgeschlossen werden.

I. Das Mitverschulden minderjähriger Straßenverkehrsopfer (§ 9 StVG i. V. m. § 254 BGB)

1. Die Voraussetzungen des Mitverschuldens des Minderjährigen

§ 9 StVG verweist auf die allgemeine Deliktsvorschrift des § 254 BGB. Zum einen ist damit § 828 BGB entsprechend anwendbar. Kinder unter 7 Jahren werden vor der Anrechnung eines Mitverschuldens geschützt (§ 828 I BGB). Für ältere Minderjährige bildet § 828 II BGB einen geringen Schutz, da sich die Rechtsprechung245 mit einem Minimum an allgemeiner geistiger Reife des Minderjährigen begnügt und die Einsichtsfähigkeit daher nur in Extremfällen vemeint246. Wird die Einsichtsfähigkeit des minderjährigen Geschädigten bejaht, findet zum anderen § 276 BGB im Rahmen des § 9 StVG i. V. m § 254 BGB entsprechende Anwendung. Wie bereits erwähnt, korrigiert die Rechtsprechung den objektiven Sorgfaltsmaßstab des§ 276 BGB durch eine Anpassung des Sorgfaltsmaßstabes an Altersgruppen. Minderjährige Unfallopfer zwischen 7 und 18 Jahren werden somit nicht so sehr auf der Ebene der Einsichtfähigkeit, sondern vielmehr auf der Ebene BGH 28. 02. 1984, NJW 1984, 1958 (1958). Über die geringe Bedeutung des § 828 II BGB in der Praxis siehe Goecke, Die unbegrenzte Haftung Minderjähriger im Deliktsrecht, S. 30. 245

246

2. Kap.: Der Minderjährige als Geschädigter

95

der Beurteilung der Fahrlässigkeit durch die Anpassung des Sorgfaltsmaßstabes geschützt. Trotz Berücksichtigung des Merkmals der Minderjährigkeit müssen sich Minderjährige im Straßenverkehr sehr oft ein Mitverschulden anrechnen lassen. Ein Urteil des OLG Köln vom 26. 10. 1988 enthält die für diese Fälle typische Begründung, um das Mitverschulden eines knapp acht Jahre alten Kindes zu bejahen. Dem Gericht zufolge ist die Umschaupflicht eine "fundamentale verkehrsrechtliche Verhaltensregel, mit der Kinder üblicherweise bereits im VorschuBalter vertraut gemacht werden"247• Das Mitverschulden von Kindem wird bei objektiv fehlerhaftem Verhalten also quasi automatisch bejaht. 2. Die Festlegung der Haftungsquote

Wird ein Mitverschulden bejaht, so heißt es, die Schadensteilung zu bestimmen. Da § 9 StVG auf § 254 BGB verweist, gelten auch im Bereich der Straßenverkehrsunfalle die im allgemeinen Deliktsrecht gültigen Regeln für die Schadensverteilung. Nach der Rechtsprechung zum § 254 BGB ist vor allem das Maß der Verursachung und ergänzend der Grad des jeweiligen Verschuldeos entscheidend. Da es sich um eine Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters handelt, dürfte der Grad des jeweiligen Verschuldeos auf der Ebene der Schadensverteilung keine große Rolle spielen. Vielmehr könnte man erwarten, daß angesichts der Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beitrag des Halters zu der Schadensverursachung immer ausschlaggebend ist. Ein Blick auf die Rechtsprechung zeigt aber schnell, daß dem nicht so ist. Zwar weisen die Richter auf die Betriebsgefahr248 des Kfz hin, dies hindert sie jedoch nicht daran, die Kinder mit sehr hohen Mitverschuldensquoten zu belasten249• Der Aussage von Schelfen ist zuzustimmen, daß sich jugendliche Verkehrsopfer übertrieben hohe Mitverschuldensquoten anrechnen lassen müssen250. Ein wichtiges Urteil des BGH vom 13. Februar 1990251 , das dahin tendiert, minderjährige Unfallgeschädigte vor der Anrechnung ihres Verschuldeos besser zu schützen, macht jedoch Hoffnung. Ein achtjähriger Junge fuhr mit seinem Fahrrad aus der Garage seines Hauses und überquerte die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten. Es kam zum Unfall. Aufgrund des Mitverschuldeos des Kindes hatte das OLG Köln, 26. 10. 1988, VersR 1989, 206 (207). OLG Düsseldorf, 07. 10. 1968, VersR 1969, 380 (381): "Das Verschulden der beiden Unfallbeteiligten ist etwa gleich hoch zu bewerten. Indessen belasten die Beklagte zusätzlich die Betriebsgefahr des LKW", so daß der Fahrer 1/5 mehr als der Geschädigte zu tragen hat. 249 Siehe z. B.: OLG Düsseldorf, 16. 02. 1978, VersR 1978, 768 (768): ein neunjähriger Fahrradfahrer muß sich ein Mitverschulden in Höhe von 50% anrechnen lassen. 250 Scheffen, DAR 1991, 121 (123). 251 BGH 13. 02. 1990, VersR 1990,535 - 536. 247

248

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Mindeijähriger

96

Berufungsgericht den schuldlosen Fahrer von einer Haftung frei gesprochen. Laut BGH kann die für Erwachsene geltende Regel, nach welcher der Beweis eines grob verkehrswidrigen Verhaltens zur Haftungsfreistellung des Kraftfahrers führt, nicht ohne weiteres auf minderjährige Geschädigte übertragen werden. Die Betriebsgefahr, kombiniert mit dem Gesichtspunkt der den Kindem fehlenden Erfahrung im Umgang mit dem Straßenverkehr, rechtfertigen eine für den Geschädigten günstigere Lösung. Laut BGH ist zwar ein Ausschluß der Schadensersatzanspruche von Kleinkindem möglich, komme aber nur in Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung hierfür ist nicht nur, daß objektiv ein grob verkehrswidriges Verhalten gegeben ist, sondern auch, daß "auf der Seite des Kindes - gemessen an dem altersspezifischen Verhalten von Kindem-auch subjektiv ein besonders vorwenbarer Sorgfaltsverstoß vorliegt" 252 .

II. Das Verhalten minderjähriger Geschädigter als "unabwendbares Ereignis"(§ 7 II StVG)

Kann das Verhalten des Minderjährigen unter den § 7 II StVG subsumiert werden, so bleibt er als Geschädigter ohne Schadensersatz. § 7 II StVG setzt den Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses voraus. Die Definition eines solchen Ereignisses ist sehr eng. Die Rechtsprechung geht von einem sehr guten, überdurchschnittlichen, geradezu perfekten, sog. "Idealfahrer" aus und verlangt, daß dieser unter den gleichen Umständen den Schaden nicht hätte vermeiden können253. Dieser Idealfahrer hat nach ständiger Rechsprechung damit zu rechnen, daß ein Kind unvermittelt auf die Straße läuft, wenn es dazu einen "triftigen Anlaß" hat254 . Selten wird daher das Verhalten des Minderjährigen den Fall eines unabwendbaren Ereignisses darstellen können. Dies wird nur in Extremfällen bejaht, in denen Kinder z. B. hinter parkenden Autos hervor auf die Straße laufen und den Idealfahrer völlig überraschen255 . Zwar kommt das unabwendbare Ereignis in der Praxis selten vor, jedoch ist es unbefriedigend, daß auf diese Weise die Anspruche absolut deliktsunfähiger Minderjähriger, die nicht unter § 9 StVG fallen, auf dem Weg über § 7 II StVG ausgeschlossen werden können256.

252 253 254 255 256

BGH 13. 02. 1990, VersR 1990, 535 (536). OLG Karlsruhe, 14. 05. 1982, VersR 1983, 252 (252). BGH 21. 02. 1985, VersR 1985, 637 (639). Z. B.: OLG Harnrn 17. 03. 1992, VersR 1993, 711 (712). Vgl. Borgelt, Das Kind im Deliktsrecht, S. 117.

2. Kap.: Der Mindeijährige als Geschädigter

97

111. Der Ruf nach einem besseren Schutz minderjähriger Geschädigter im Straßenverkehr

1. In der Literatur

Angesichts der großen Gefahr, die der Straßenverkehr für unmotorisierte Leute und vor allem für Kinder bedeutet, ist in der Literatur nach einem besseren Schutz von Kindem und Jugendlichen gerufen worden. Kinder beherrschen die Regeln dieses oft tödlichen Spiels noch nicht, und die Folgen können so katastrophal sein, daß Großzügigkeit bezüglich ihres Verhaltens eine Selbstverständlichkeit sein sollte257 . Aus dieser Perspektive heraus schlug der 29. Verkehrsgerichtstag in Goslar vor, bei der Haftung gegenüber Kindern unter zehn Jahren sowohl ihre Mithaftung (§§ 9 StVG, 254 BGB) als auch die Anwendung des § 7 II StVG auszuschließen258. Nach Ansicht von Schelfen stellt diese Lösung zwar einen Fortschritt dar, geht jedoch noch nicht weit genug. Die Richterin vertritt die Ansicht, daß es dringend geboten sei, daß Kinder unter 10 Jahren weder passiv noch aktiv haften. Daher sei zum einen erforderlich, daß die Deliktsfahigkeit des § 828 I BGB auf das zehnte Lebensjahr erhöht wird, und zum anderen, daß die Definition des unabwendbaren Ereignisses des § 7 II StVG Kinder unter 10 Jahren nicht erfaßt259. In diesem Zusammenhang ist ein vor kurzem eingebrachter Gesetzesentwurf der Regierung zu erwähnen. Im Bereich der Straßenverkehrsunfälle Minderjähriger unter zehn Jahren soll danach künftig sowohl die Anrechnung eines Mitverschuldens als auch die Anwendung des § 7 StVG ausgeschlossen sein260. 2. Stellungnahme

Die geltende Verweisung auf das allgemeine Deliktsrecht bezüglich der Anrechnung des Mitverschuldeos (Art. 9 StVG i. V. m § 254 BGB) ist der Grund dafür, daß Kinder und Jugendliche vor der Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen nicht genügend geschützt werden. Es fallt besonders auf, daß Kindem unter zehn Jahren oft schon deshalb ein Mitverschulden angerechnet wird, weil sie in der Schule, bei den Eltern und nicht zuletzt aus der Sesamstraße gelernt haben sollten, sich im Straßenverkehr korrekt zu verhalten. Praktisch gesehen, fehlt es Kindem unter zehn Jahren jedoch an der nötigen Erfahrung, um sich den erlernten Lektionen gemäß in den Wirren des Straßenverkehrs zurechtzufinden 261 . Seine Gefahren erfordern eine schnelle Reaktion, die Kindem oft noch fehlt. 257 258 259 260

261

Schelfen, ZRP 1991, 458 (460-461). Verkehrsgerichtstag, 29. deutscher Verkehrsgerichtstag 1991, S. 9. Schelfen, ZRP 1991, 458 (463). BT-Drucks. 13110435 vom 21. 04. 1998. In diesem Sinne siehe Schelfen, ZRP 1991,458 (460).

7 Niboyet

98

l. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Angesichts der Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen und des Bestehens einer Ptlichthaftpflichtversicherung, sollte man Kinder unter zehn Jahren vor der Anrechnung eines Mitverschuldens schützen. Das Verhalten von Minderjährigen unter zehn Jahren sollte ebensowenig unter den Begriff des "unabwendbaren Ereignisses" i. S. v. § 7 II StVG subsumiert werden dürfen. Die Gefahr des Betriebs von Kraftfahrzeugen und die Schutzbedürftigkeit Minderjähriger empfiehlt auch für ältere Minderjähriger günstigere Regeln. Bei ihnen sollte ein fahrlässiges Verhalten nicht schon zu einer Anspruchsverkürzung führen. Vielmehr sollte ihr Mitverschulden erst dann bejaht werden, wenn sie grob fahrlässig gehandelt haben. Ein Beispiel für den erhöhten Schutz minderjähriger schadensmitverursachender Geschädigter im Straßenverkehr gibt das französische Recht.

B. Das französische Sondergesetz über Verkehrsunf3lle vom 5. Juli 1985 I. Die Entstehung des Gesetzes

Vor dem Inkrafttreten dieses Sondergesetzes fand die Halterhaftung gemäß Art. 1384 I Ce auch im Bereich der Verkehrsunfälle Anwendung. Kraftfahrzeuge sind "Sachen" i. S. v. Art. 1384 I Ce, und aufgrundder Häufigkeit der Verkehrsunfalle hatte der Art. 1384 I Ce hier einen großen Anwendungsbereich. Zwar beinhaltet diese Vorschrift eine Geflihrdungshaftung, jedoch schien sie ungenügend, um Verkehrsopfer ausreichend zu schützen. Die Halter eines Kfz konnten sich nämlich von der Haftung befreien, indem sie einen Fall höherer Gewalt oder ein Mitverschulden des Geschädigten nachwiesen. Da sich der Gesetzgeber, trotz einer Vielzahl von Gesetzesvorschlägen, nicht zu einer Reform durchringen konnte, ergriff der Kassationshof selbst die Initiative zu einer Verbesserung der Rechtslage der Unfallopfer. Im Urteil Desmares262 aus dem Jahre 1982 beschränkte er die Anrechnung des Mitverschuldens des Geschädigten im Rahmen des Art. 1384 I Ce auf Fälle höherer Gewalt. Diese überraschende Rechtsprechung wollte dem Gesetzgeber ein wenig nachhelfen und hat denn auch Früchte getragen. Der Ruf nach einer Gesetzesreform wurde immer lauter, und die Entscheidungstindung im Parlament vollzog sich besonders schnell. Am 5. Juli 1985 ist das sog. loi Badinter (der Name des damaligen Justizministers) unter dem Titel "Gesetz zur Verbesserung der Rechtslage von Verkehrsunfallopfern und zur Beschleunigung 262 Civ. 2, 21. 07. 1982, D. 1982, jur. S. 449, concl. Charbonnier; note Larroumet; für eine Darstellung des Urteils siehe oben, Erster Abschnitt, B. III. 2. Der Umbruch mit dem Urteil Desmaresaus dem Jahre 1982.

2. Kap.: Der Minderjährige als Geschädigter

99

des Entschädigungsverfahrens" erlassen worden263 . Der Titel klang vielversprechend und der Inhalt des Gesetzes stand ihm in nichts nach. Der Schutz der Verkehrsopfer wurde entscheidend verbessert. Ergänzend wurden die Vorschriften über die obligatorische Kfz-Versicherung264 angepasst, um den neuen Schutz der Unfallopfer zu effektivieren265 • Schäden, die entsprechend der alten Rechtslage keinen Versicherungsschutz benötigten, insbesondere Schäden, die in Folge eines Falles höherer Gewalt oder eines Mitverschuldens des Geschädigten entstehen, sind seither mitzuversichern. Der neue Art. L. 211-1 code des assurances bestimmt, daß derjenige, welcher mit einem Kfz am Straßenverkehr teilnehmen will, einen umfassenden Versicherungsschutz sicherstellen muß, welcher den neuen Haftungsmodalitäten entspricht. Die Versicherung ist auf das Kfz bezogen: Sie deckt die Haftung des Unterzeichners und auch diejenige des Eigentümers, wenn sich Unterzeichner und Eigentümer unterscheiden (Art. R. 211-2 codedes assurances); sie umfaßt außerdem die Haftung für weitere potentielle Halter oder Fahrer, selbst bei furtum usus (Art. L. 211 - 1 II code des assurances). In den Fällen, in denen der Schädiger (Fahrer oder Halter des Kfz) entweder unbekannt oder nicht versichert ist, hat der Geschädigte einen Anspruch gegen einen Garantiefonds (Art. L. 421-1 codedes assurances).

II. DarsteUung des Gesetzes

1. Der Anwendungsbereich des Gesetzes Das Gesetz findet Anwendung, sobald ein Kraftfahrzeug an einem Verkehrsunfall beteiligt ist (Art. 1); Anspruchsgegner ist der Führer oder Halter des Kfz (Art. 2). Zum Verständnis ist hier darauf hinzuweisen, daß die Definition der Haltereigenschaft im französischen Recht fast immer zur Identität mit dem Fahrer führt266. Halter eines Kfz ist demnach derjenige, der i.S.des Art. 1384 I Ce in der konkreten Situation den Gebrauch (usage), die Einflußnahme (direction) und die Kontrolle (controle) des Kfz hat. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen sind hingegen einerseits Anprüche gegen Fahrer oder Halter von Eisen- und Straßenbahnen, andererseits 263 Loi n° 85-677 du 5 juillet 1985 "tendant a l'amelioration de Ia situationdes victimes d'accidents de Ia circulation et a l'acceleration des procedures d'indernnisation". Für eine Darstellung des Gesetzes in deutscher Sprache, siehe: Wilmes, VersR 1986, 224- 226; von Bar, VersR 1986,620-629. 264 Die Kfz-Versicherung ist durch ein Gesetz aus dem Jahre 1958 obligatorisch geworden: loi n° 58-208 du 27 fevrier 1958. 265 Über die Kfz-Versicherung siehe Caille, Assurance automobile, Rep. civ. Dalloz. 266 Eine Ausnahme tritt aber z. B. ein, wenn der Fahrer ein Verrichtungsgehilfe des KfzEigentümers ist. Halter bleibt dann der Geschäftsherr. Siehe dazu Peano, L'incompatibilite entre les qualites de gardienet de prepose, D. 1991, Chron. S. 51-55.

7*

100

1. Teil: Haftung und Mitverschulden Minderjähriger

Ansprüche gegen Fußgänger und Fahrradfahrer267 . In diesen Fällen ist auf das allgemeine Deliktsrecht zurückzugreifen. Wenn der Schaden durch eine Sache (Eisenbahn, Straßenbahn oder Fahrrad) verursacht wird, unterliegen die Schadensersatzansprüche dem Art. 1384 I Ce, während für Schäden, die durch einen Fußgänger verursacht werden, der Art. 1382 Ce Anwendung findet. Ist der Anwendungsbereich des Sondergesetzes eröffnet, so schließt es alle anderen Anspruchsgrundlagen aus268.

2. Die Voraussetzungenfürdie Haftung des Kfz-Halters bzw. -Führers Voraussetzung für die Schadensersatzpflicht des Kfz-Halters bzw. -Führers ist, daß das Kraftfahrzeug an einem Verkehrsunfall beteiligt war. Problematisch ist insbesondere die Definition der Voraussetzung der Beteiligung (" implication "), die vom traditionellen Erfordernis des Kausalzusammenhangs ("Iien de causalite") im allgemeinen Deliktsrecht abweicht. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, daß der Begriff der Beteiligung weiter auszulegen ist als der traditionelle Begriff des Kausalzusammenhangs269 • Die Voraussetzung der implication sei erfüllt, wenn das Kraftfahrzeug in irgendeiner Weise in den Unfall270 und in den Schaden271 verwickelt sei. Der Geschädigte hat die Beteiligung des Kraftfahrzeugsam Unfall zu beweisen272, wohingegen die Beteiligung am Schaden vermutet wird273 . Die Bejahung der Beteiligung am Unfall ist vor allem in den Fällen problematisch, in denen es sich um Ketten- oder besonders komplexe Unf