Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht: Eine Untersuchung auf europarechtlicher und rechtsvergleichender Grundlage [1 ed.] 9783428520299, 9783428120291

Der Verfasser formuliert die Rechtsstaatlichkeitsvoraussetzungen moderner Staatshaftung, indem er der Judikatur des EGMR

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Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht: Eine Untersuchung auf europarechtlicher und rechtsvergleichender Grundlage [1 ed.]
 9783428520299, 9783428120291

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1024

Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht Eine Untersuchung auf europarechtlicher und rechtsvergleichender Grundlage

Von

Athanasios Gromitsaris

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ATHANASIOS GROMITSARIS

Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1024

Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht Eine Untersuchung auf europarechtlicher und rechtsvergleichender Grundlage

Von

Athanasios Gromitsaris

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-12029-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena im Oktober 2004 als Habilitationsschrift angenommen. Meinem Habilitationsvater Herrn Professor Walter Pauly bin ich für die instruktiven Gespräche sowie für seine Unterstützung während meiner Zeit als sein Assistent bzw. Mitarbeiter in Halle an der Saale und Jena zu Dank verpflichtet. Herrn Professor Karl M. Meessen danke ich für weitere wertvolle Anregungen und die Erstellung des Zweitgutachtens. Dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Professor Dr. jur. h. c. Norbert Simon, danke ich für die großzügige Förderung und die Bereitschaft, diese Arbeit in die Reihe Schriften zum Öffentlichen Recht aufzunehmen. Ich widme die Arbeit Catherine Guillot, „que je ne sçay nommer com a mon gré desireroye“, und unseren beiden Kindern, Philippe und Nicolas. Méteren, im November 2005

Athanasios Gromitsaris

Inhaltsverzeichnis Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Erster Teil Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

17

A. Ausgleichende und austeilende Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Lastengleichheitsprinzip und Aufopferungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verteilung von Gefahr- und Verantwortungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versicherungsschutz und Entschädigungsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis von Staatshaftung und Versicherungswirtschaft . . . . . . . . . . . 2. Entschädigungsfonds als Mechanismus der Ersatzleistungsreduktion . . IV. Gründe für Subsidiarität der Haftung der öffentlichen Gewalt . . . . . . . . . . .

17 18 20 22 22 25 27

B. Effiziente Ressourcenallokation als Grund für Begründung, Änderung oder Ausschluß von Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

C. Historizität und Pluralität der Funktionen von Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . .

36

Zweiter Teil Rechtliche Rahmenbedingungen für eine Haftung der öffentlichen Gewalt in den untersuchten Rechtsordnungen

40

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung der öffentlichen Gewalt . . . . . . . . . . I. Haftungsrechtliche Berufbarkeit des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten II. Berufbarkeit in wirksamen, vergleichbaren und gleichwertigen Verfahren III. Einwirkung des Unionsrechts auf die innerstaatliche Tatbestandsausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstruktion der Mitgliedstaatshaftung als Haftung für administratives Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitgliedstaatshaftung als „misfeasance“ und als „breach of statutory duty“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mitgliedstaatshaftung als drittgerichtete Amtspflichtverletzung . . . . . . .

40 41 44

53 56

B. Haftung der öffentlichen Gewalt wegen Verletzung der EMRK . . . . . . . . . . . . . I. Schutz im Bereich der materiellen Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigentumsschutz nach Art. 1 des 1. ZP zur EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 60 70

49 49

8

Inhaltsverzeichnis III. Schutz wegen Verletzung von Verfahrensgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftungsrechtliche Ermessensausübung und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Verfassungsrechtliche Einbettung des Rechts der Haftung der öffentlichen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien und Rechtsgrundlagen nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parlamentssouveränität und Human Rights Act 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Declaration des droits de l’homme et du citoyen“ und „Conseil Constitutionnel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Staatsorganisationsrechtliche Bedingungen der Haftung der öffentlichen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Haftung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Haftungsrechtliche Privilegierung richterlicher Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haftungsimmunität der Exekutive („actes de gouvernements“) . . . . . . . . . . IV. Staatshaftung und staatliches Strafmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Stellung des Beamten, Trennung von Gerichtsbarkeiten und Trennung von öffentlichem Recht und Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74 86 90 91 95 96 98 98 102 105 107 109

E. Konsequenzen für die untersuchten Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Dritter Teil Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

117

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Aufhebung und Haftung in nationalen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorrang des Primärrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Alternative remedies“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Distinction des contentieux“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 128 130 134

C. Verhältnis von Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht . . I. Eigenständigkeit der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Unionshaftungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigenständigkeit der Begründetheitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Pflicht zur Urteilsdurchführung und Schadensersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . 1. Folgenbeseitigung und Kompensation als Urteilsdurchführung . . . . . . . 2. Folgenbeseitigung als Rechtsintegritätsanspruch oder als Aufhebungswirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Volle Rechtsprechungskompetenz und Komplementarität des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 137 140 142 143 146 153

D. Abstimmung von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Problematik nicht finaler Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Inhaltsverzeichnis II. Lösungen durch Haftungsobjektivierung: Sonderopfer, „présomption de faute“, „strict liability“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektivierung von „faute“, „faute présumée“ und „préjudice spécial et anormal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Strict liability“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eingriffe und Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltsbestimmung und Schwellentheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

163 163 167 171 171 179

E. Wirksamkeit des Rechtsschutzes als Kriterium der Abstimmung von Aufhebung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Vierter Teil Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

189

A. Kausalität und Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. Beamten- und Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Konzeptionen des haftungsrelevanten Schutzgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Torts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Préjudices“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200 200 202 205

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzzweck, Unmittelbarkeit und Sonderopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verschulden und „misfeasance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Legislative intention“, „duty of care“ und „section 8 (1) Human Rights Act 1998“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Legislative intention“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Duty of care“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Section 8 (1) Human Rights Act 1998“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. „Faute“ und „faute lourde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Faute“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Faute lourde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209 209 209 211 213 220 221 221 224 229 232 232 233 239

D. Bedeutung von Schutzgutkonzeption sowie von spezifisch haftungsrechtlichen Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

10

Inhaltsverzeichnis Fünfter Teil Mitverschulden und Schadenshöhe

253

A. Mitverschulden, Vorteilsausgleichung und Status des Geschädigten . . . . . . . . . 253 B. Schadenshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schadensersatz und Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Materielle und immaterielle Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255 256 257 261 265

Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 A. Haftungsgründe und Subsidiarität der Haftung der öffentlichen Gewalt . . . . . . 268 B. Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 C. Schutzgutbestimmung und Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 D. Aufhebung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 E. Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 F.

Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

G. Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 H. Beamten- und Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I.

Totalreparation und Staffelung der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Abkürzungsverzeichnis Verzeichnis englischer Abkürzungen AC AllER App. Cas. C.A. C.B. Ch Chap. ChD CLJ CLR CMLR C.O.D. Corp CPA CPR DC DFE DGFT DTI ed. eds El & Bl ELR EMLR ERPL Ex. Ex p. F 2d Fam. Law FLR FSMA FTCA HC HL

Appeal Cases All England Reports Law Reports Appeal Cases, House of Lords Court of Appeal Common Bench Reports Law Reports, Chancery Chapter Chancery Division of the High Court Cambridge Law Journal Commonwealth Law Reports Common Market Law Review Crown Office Digest Corporation Crown Proceedings Act Civil Procedure Rules Divisional Court Discretionary Function Exception (USA) Director General of Fair Trading Department of Trade and Industry editor editors Ellis & Blackburn’s Queen’s Bench Reports European Law Review European Market Law Review European Review of Public Law Exchequer Division ex parte Federal Reporter, Second Series (USA) Family Law Family Law Reports Financial Services and Markets Act Federal Tort Claims Act (USA) High Court House of Lords

12 HLR HRA ICJ ICLQ J J.P.L. KB KBD Law Com. LC LCA L.G.O. L.G.R. Liverpool L.R. LJ LQR LR L.T. Ltd. MLR O.J.L.S. P.C. PCA PL QB QBD RSC SCA Sched. Scot Law Com. Sec. TCPA UKHRR USC WLR oder W.L.R.

Abkürzungsverzeichnis Housing Law Reports Human Rights Act International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly Justice Journal of Planning and Environmental Law King’s Bench King’s Bench Division Law Commission Lord Chancellor Local Commissioner for Administration Local Government Ombudsman Local Government Report Liverpool Law Review Lord Justice Law Quarterly Review Law Reports Law times limited Modern Law Review Oxford Journal of Legal Studies Privy Council Parliamentary Commissioner for Administration Public Law Queen’s Bench Reports Queen’s Bench Division Rules of the Supreme Court Supreme Court Act schedule Scottish Law Commission Section Town and Country Planning Act UK Human Rights Reports United States Code (USA) Weekly Law Reports

Verzeichnis französischer Abkürzungen AJDA AJPI ALD BJDU

Actualité juridique de droit administratif Actualité juridique et droit immobilier Actualité législative Dalloz Bulletin de jurisprudence de droit de l’urbanisme

Abkürzungsverzeichnis Bull. civ. C.A. C.A.A. C. adm. Cass. 1ere civ., 2e civ., 3e civ. C. assur. C. civ. C. communes CCons C. dom. Et. CDE CE C. expr. CGI chron. civ. 1ere, 2e et 3e CJA CJCE CJEG concl. C. org. jud. C. séc. soc. CSS C. trib. adm. oder C.T.A.C.A.A. C. urb. D D. oder décr. DA DC DH DP DPU Dr. adm. éd. EDCE Gaz. Pal. I.R. J.-Cl. (adm.) JCP (éd. E)

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Bulletin des arrêts de la Cour de cassation: chambres civiles (civ. avec indication du nº de la chambre) Cour d’appel Cour administrative d’appel code administratif arrêt d’une chambre civile de la Cour de cassation code des assurances Code civil code des communes Conseil Constitutionnel code du domaine d’Etat Cahiers de droit européen arrêt du Conseil d’Etat code de l’expropriation pour cause d’utilité publique code général des impôts chronique arrêts de la 1ere, 2eme ou 3eme chambre de la Cour de cassation Code de justice administrative arrêt de la Cour de justice des Communautés européennes Cahiers juridiques de l’électricité et du gaz conclusions code de l’organisation judiciaire code de la Sécurité sociale code de la sécurité sociale code des tribunaux administratifs et cours administratives d’appel code de l’urbanisme recueil Dalloz-Sirey (+ somm. pour les sommaires; IR pour les informations rapides) décret recueil analytique Dalloz recueil critique Dalloz recueil hebdomadaire Dalloz (< 1941) recueil périodique Dalloz (< 1941) droit de préemption urbain Droit administratif édition Etudes et documents du Conseil d’Etat Gazette du Palais Informations rapides du Recueil Dalloz Juris-classeur de droit administratif Juris-classeur périodique (Semaine juridique): édition entreprise

14

Abkürzungsverzeichnis

JO L. Lebon obs. ord. PER pet. aff. POS RDP

Journal officiel: Lois et décrets loi Recueil des arrêts du Conseil d’Etat observations ordonnance Plan d’exposition aux risques (naturels prévisibles) Les petites affiches Plan d’occupation des sols Revue du droit public et de la science politique en France et à l’étranger rec. recueil Rec. CE oder Rec. Recueil des décisions du Conseil d’Etat (Lebon) Rec. Cons. const. Recueil des décisions du Conseil constitutionnel Rép. Defrénois Répertoire du notariat Defrénois Rép. resp. puiss. publ. Répertoire Dalloz de la responsabilité de la puissance publique Rev. adm. oder RA Revue administrative Rev. crit. DIP Revue critique de droit international privé Rev. jur. env. Revue juridique de l’environnement RFDA Revue française de droit administratif RGAT Revue générale des assurances terrestres R.I.D.C. Revue internationale de droit comparé RJC Recueil de jurisprudence constitutionnelle RTD civ. Revue trimestrielle de droit civil RTDE oder Rev. Trim. dr. eur. Revue trimestrielle de droit européen S Recueil Sirey SA société anonyme SAFER sociétés d’aménagement foncier et d’établissement rural sect. section somm. sommaire sté société TA tribunal administratif T. confl. Tribunal des conflits TGI Tibunal de grand instance TI Tribunal d’instance vol. volume ZAC zones d’aménagement concerté ZAD zones d’aménagement différé ZUP zones à urbaniser par priorité Für die deutschen Abkürzungen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl. 1993 verwiesen.

Fragestellung Das Staatshaftungsrecht ist weitgehend Richterrecht. Die starke Heterogenität seiner Anspruchsgrundlagen wird als einer der Gründe für die dogmatische Krise angesehen, in der sich dieses Rechtsgebiet befindet.1 Als zweiter Grund werden Defizite des haftungsrechtlichen Rechtsschutzes moniert.2 Die Haftungslücken, die das Nebeneinander von Beamtenhaftung und Aufopferung übrig ließ, wurden zwar unter der Geltung des Grundgesetzes durch Richterrecht und bereichsspezifische einfachgesetzliche Kodifikationen geschlossen. Die Anspruchsgrundlagen müssen aber nach wie vor „aus dem vorhandenen Material der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgefiltert und zusammengestellt werden“, während es auch vorkommt, daß ein und derselbe Schadensfall „durch verschiedene Anspruchsgrundlagen abgedeckt wird, die in unterschiedlichen Rechtswegen verfolgt werden müssen“.3 Angesichts der legislativen Zurückhaltung ist die Wissenschaft zunehmend bemüht, nicht nur Richterrecht übersichtlich zu machen, sondern darüber hinaus de lege ferenda das gesamte geltende Staatshaftungsrecht auf neue, dogmatisch konsistent herausgearbeitete Anspruchsgrundlagen zu stützen.4 Der hier unternommene Versuch wählt die normativen Vorgaben der europäischen Rechtsordnung als Ausgangspunkt und arbeitet deren Bedeutung für das Staatshaftungsrecht der deutschen, englischen und französischen Rechtsordnung heraus. Die Fragestellung lautet: Was verlangt die Staatshaftungsjudikatur von EGMR, EuGH und EuG von diesen Rechtsordnungen? Gibt es einen diese Rechtsordnungen verbindenden Vorrat an Gemeinsamkeiten? Wie haben sich ihre Unterschiede auf die europäische Ausgestaltung der Haftung der öffentlichen Gewalt ausgewirkt? Die Beantwortung dieser Fragen soll auf die Formu-

1 Schmitt-Kammler, Das „Sonderopfer“ – ein lebender Leichnam des Staatshaftungsrechts?, NJW 1990, 2515; Schwabe, Entschädigung für Naturschutzmaßnahmen, Jura 1994, 529, 529 f.; Schenke, Der Rechtsweg für die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums, NJW 1995, 3145, 3151; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. VI; T. von Danwitz, in: H. v. Mangoldt/ F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 4. Aufl. 2000, Art. 34 Rn. 6 ff., 18 ff., 24 ff.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober 2000, S. 519 f. 2 Hierzu statt aller Schoch, Die Verwaltung 2001, 261, 262 ff. 3 Ossenbühl, StHR 1998, S. 4. 4 Külpmann, Enteignende Eingriffe? 2000; Röder, Die Haftungsfunktion der Grundrechte, 2002; Höfling, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, in: VVDStRL 2002, S. 260 ff.; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002.

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Fragestellung

lierung von Thesen über die rechtsstaatlichen Mindestvoraussetzungen moderner Staatshaftung hinauslaufen. Die erste grundlegende Unterscheidung der Arbeit betrifft die Trennung von Haftungsgrund und Haftungsanknüpfung. Unter Haftungsgrund ist die rechtstheoretische Grundlegung, der Rechtsgrund oder der Rechtfertigungsgrund (ratio) der Haftung zu verstehen. Er ist der Haftungsanknüpfung gegenüberzustellen, welche die Haftung im Einzelfall auslöst und dem Staat durch Verweis auf eine Anspruchsgrundlage die Verantwortung für bestimmte Schadensfolgen zurechnet. Im ersten Teil werden die Haftungsgründe in der Bedeutung untersucht, die ihnen in den untersuchten Rechtsordnungen zukommt. Der zweite Teil faßt die Faktoren zusammen, denen in allen drei nationalen Rechtsordnungen der Status einer unverfügbaren, rechtlichen Rahmenbedingung für die Haftung der öffentlichen Gewalt zukommt. Es geht um die europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie die Bedeutung der Besonderheiten der Staatsorganisation für die Staatshaftung. Nachdem der Rahmen festgelegt worden ist, kann auf das Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung sowie auf die Operationalisierung der letzten mit Hilfe der einschlägigen Tatbestandsmerkmale eingegangen werden. Es wird nicht nach Ländern, sondern nach Tatbestandsmerkmalen und Rechtsfolgen gegliedert, unter denen dann die nationalen Regelungen behandelt werden. Dies läßt Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Vordergrund treten. Die unionsrechtlichen Regelungen werden im Zusammenhang mit den nationalen Regelungen behandelt, denen sie von der Konzeption her am nächsten stehen. Neben der Formulierung der Rechtsstaatlichkeitsvoraussetzungen moderner Staatshaftung läßt diese Vorgehensweise auch zu, daß die Einflüsse der europäischen Rechtsordnung auf die untersuchten nationalen Rechtsordnungen sowie die Einflüsse letzterer auf erstere5 herausgearbeitet werden können.

5 Zu diesem Ansatz s. Gerven, The Invader Invaded or The Need to Uncover General Principles Common to the Laws of the Member States, in: Rodriguez Iglesias/ Due/Schintgen/Elsen (éd.), Mélanges en hommage à Fernand Schockweiler, 1999, S. 593.

Erster Teil

Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt A. Ausgleichende und austeilende Gerechtigkeit Das Staatshaftungsrecht bringt eine Grundstruktur ausdifferenzierter Rechtsordnungen zum Ausdruck. Sie besteht darin, daß die rechtliche Normierung des Verhaltens sowohl der öffentlichen Gewalt als auch der Bürger mit der Normierung der Reaktion auf Normübertretungen sowie mit der Normierung der Reaktion auf fehlerhafte Reaktion gekoppelt wird. Die Verpflichtung der öffentlichen Gewalt, gesetz- und verfassungsmäßig zu handeln, ist Primärpflicht. Auf ihre Verletzung wird i. d. R. zunächst durch Aufhebungsrecht reagiert. Das Staatshaftungsrecht hat seinerseits den Charakter eines „,Konsequenz-Rechts‘1 oder eines „öffentlichen Sekundärrechts“.2 Es reagiert auf die Defizite des Aufhebungsrechts, indem es fortbestehende Schäden, die dem Bürger durch rechtswidrige Staatstätigkeit verursacht wurden, ausgleicht. Es beruht insofern auf dem Postulat der ausgleichenden Gerechtigkeit. Der Ersatz verletzter Primärpflichten des Staates durch Geldersatzpflichten zum Ausgleich geschehenen Unrechts kann allerdings nicht die Gesamtproblematik des Staatshaftungsrechts erfassen. Enteignungsentschädigungen beruhen nicht auf der ausgleichenden Gerechtigkeit. Sie werden gezahlt, damit der Staat rechtmäßig im Namen des Gemeinwohls enteignen kann. Sie sind insofern nicht reaktiv, sondern prospektiv, sie reagieren nicht auf eine geschehene Pflichtverletzung. Auch in den Fällen der Unrechtshaftung des Staates haben restitutive Wertungen nicht das Monopol. Die Regelung der Chance, für einen erlittenen Nachteil Ersatz zu erhalten, ist stets auch eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit.3 Denn das Staatshaftungsrecht regelt die Haftung einer Gewalt, die sich dem Recht einer Rechtsgemeinschaft unterwirft und diese zugleich vertritt. Bei 1 Leisner, Französisches Staatshaftungsrecht, VerwArch. 1963, 1 (15). „Modell der konditionalen Rechtsordnung“: Breuer, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 2002, S. 431. 2 Morlok, Erstattung als Rechtmäßigkeitsrestitution, Die Verwaltung 1992, 371, 374 ff. 3 Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, 1997, S. 187, 191, 199, 200 f., 204. Zu den Kombinationsmöglichkeiten beider Formen der Gerechtigkeit

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

der Haftung des Staates knüpfen distributive Überlegungen an die Verteilung von Gütern und Lasten in der Staatsgemeinschaft an. Sie betreffen die besondere Stellung der Geschädigten in ihr und sie müssen Gründe dafür angeben, warum Schäden bzw. Risiken, die der Staat verursacht, zuläßt, duldet oder nicht verhindert, vom betroffenen Staatsbürger auf die Allgemeinheit verlagert werden sollten. Diese Probleme betreffen weniger das Problem des Verhältnisses des Geschädigten zum Staat als vielmehr sein Verhältnis zu den anderen Staatsbürgern. Für die Haftungsbegründung bedeutet dies, daß die Schadens- oder Risikoübertragung auf den Staat auch im Verhältnis zu den anderen Bürgern gerechtfertigt sein muß. Lastengleichheitsprinzip, Schutzgutbestimmung, Gefährdungshaftung sind Stichworte, unter denen dieses Verhältnis des Geschädigten zu den anderen Staatsbürgern thematisiert wird. Einen besonderen verteilungstheoretischen Ansatz, der Maßstäbe zur Prüfung von Haftungsregeln formuliert, stellt die wirtschaftstheoretische Betrachtung der Institutionenökonomik dar. Sie betrachtet das Haftungsrecht unter dem Aspekt der effizienten Ressourcenallokation. Darüber hinaus ist das Verhältnis der Staatshaftung zu den Schadensund Risikoverteilungsmechanismen des Sozialrechts, der Versicherungswirtschaft und der Entschädigungsfonds zu diskutieren.

I. Lastengleichheitsprinzip und Aufopferungsgrundsatz Die enge Verknüpfung der Haftung des Staates mit verteilungstheoretischen Überlegungen führte die französische Doktrin des Staatshaftungsrechts in ihren Anfängen dazu, das Lastengleichheitsprinzip zum generellen Haftungsgrund zu erheben, wobei man sich dessen bewußt war, daß die Einheitlichkeit des Rechtsgrundes nicht zu einer einheitlichen Haftungsnorm führen muß.4 Heute gilt das Prinzip der Gleichheit vor den öffentlichen Lasten als Grundlage der Staatshaftung bei rechtmäßigem Handeln, was der deutschen Sonderopferkonzeption nahe kommt. Als Rechtsgrund dienen Lastengleichheitsprinzip und Sonderopfer dazu, spezielle Institute des Staatshaftungsrechts zu rechtfertigen und kategorial zusammenzuhalten. Auf der Ebene der Tatbestandsausgestaltung kommt es darauf an, ob das Gleichheitsgebot als Rechtmäßigkeits- oder Haftungsvoraussetzung fungiert. Die drei Funktionen des Gleichheitsgebots als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung (Willkürverbot), Haftungsgrund und haftungs-

über die Staatshaftung hinaus s. die Einleitung und den ersten Teil in Meessen, Economic Law in Globalizing Markets, 2004, insbes. S. 18. 4 Duez, La responsabilité de la Puisance publique (en dehors du contrat), 2ème éd. 1938, S. 313: Das Lastengleichheitsprinzip ist „un fondement unique à la théorie de la responsabilité administrative“. Hierzu Deguergue, Jurisprudence et doctrine dans l’élaboration du droit de la responsabilité administrative, 1994, S. 509 ff., 691 ff. Vgl. auch den Hinweis bei Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, 1996, S. 204.

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rechtliches Tatbestandsmerkmal sind nicht immer auseinandergehalten worden. Dies führte dazu, daß die Frage, auf die der Sonderopferbegriff eine Antwort geben wollte, nicht hinreichend bestimmt war. Sie ging nämlich dahin, ob eine staatliche Tätigkeit eine Entschädigungspflicht des Staates auslösen sollte. Sie differenzierte somit nicht nach den Bedingungen, unter denen ein Vorgang eine ungerechtfertigte Willkür, eine aufzuhebende Rechtsverletzung ist, und den Voraussetzungen, unter denen er zwar einen Rechtseingriff, eine Ungleichheit darstellt, aber trotzdem gegen Entschädigung zugelassen werden soll.5 Der Eigenständigkeitsthese des Sonderopfers bei Rechtswidrigkeit6 wird man nicht gerecht, wenn man meint, sie sehe im Sonderopfer ein Merkmal, das die Verletzung des subjektiven Rechts bestimme.7 Die Rechtsverletzung wird ohne Bezugnahme zum Sonderopfer bestimmt. Letzteres führt nach Feststellung der Rechtswidrigkeit eine zusätzliche Beurteilungsebene ein, auf der die Frage gestellt werden kann, ob der Staat in bestimmten Fällen auch und gerade haftungsrechtlichen Schutz gewähren soll. Dem Gedanken der eigenständigen Bedeutung des Sonderopfers im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffs liegt die Vorstellung zugrunde, daß nicht jede Rechtsverletzung entschädigt werden soll. Impliziert wird damit, daß die allgemeinen Normen über die Grenzen des jeweiligen subjektiven Rechts als Entscheidungsgrundlage für eine Entschädigung in den Fällen des legislativen und normativen Unrechts, die eine große Zahl von Bürgern betreffen, nicht ausreichen. Das Sonderopfermerkmal soll als Kombination von Eingriffsintensität und Gleichheitsvorstellung das nötige verteilungstheoretische Selektionskriterium für eine Entschädigungsentscheidung liefern. Hinter der Problematik der Eigenständigkeit des Sonderopfererfordernisses bei der Unrechtshaftung steckt gerade die Frage nach der theoretischen Bestimmung des Verhältnisses der ausgleichenden zur austeilenden Gerechtigkeit. Die Berücksichtigung der Verteilungswirkung ist schließlich von der Natur des Schutzgutes nicht unabhängig. Bei Vermögensschäden nützt eine aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Staatshaftung nur jenen, die staatlich gefährdetes Vermögen schon haben und es privat nutzen. Dieses verteilungstheoretische Problem besteht bei der Staatshaftung wegen Beeinträchtigungen von allen zukommenden Gütern wie Leben und Gesundheit nicht. Hierbei ist allerdings sowohl eine Quantifizierbarkeit bestimmter Schutzgüter als auch eine Personalisierung des Schutzgutträgers vorausgesetzt, welche die Ebene abstrakter Definition von Schutzgut und Träger unterschreitet.8 Hält man diese Unterschreitung für juristisch unzulässig, heißt das noch nicht, daß das verteilungstheoretische 5 Die graduelle Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung einerseits und Enteignung andererseits nach der früheren Sonderopfertheorie entspricht nicht mehr der Rechtsprechung des BGH. Siehe z. B. BGHZ 99, 24 (28 f.); 126, 379 (381); 128, 204 (204). 6 Ossenbühl, StHR 1998, S. 259. 7 Schmitt-Kammler, Der Aufopferungsgedanke, JuS 1995, 473, 477.

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

Problem verschwindet. Es liegt darin, inwieweit die vorhandenen Asymmetrien der realen Güterverteilung durch die eventuellen Verteilungseffekte der Staatshaftung noch verstärkt werden und ob diese Effekte durch haftungsrechtliche Tatbestandsmerkmale und Zurechnungskriterien zu berücksichtigen sind.

II. Verteilung von Gefahr- und Verantwortungsbereichen Distributive Überlegungen haben die Rechtsgründe für die Einführung von Gefährdungshaftungstatbeständen geleitet. Das französische Staatshaftungsrecht, das eine eigenständige Gefährdungshaftung kennt, kann die Beispiele liefern. Einen ersten Haftungsgrund stellt der Topos dar, daß jener, der Nutzen und Vorteil aus einer Aktivität zieht, auch die dadurch verursachten Nachteile tragen soll. Die Fallentscheidungen die unter dieser Rubrik behandelt werden, betreffen vor allem die objektive Haftung des Staates für Unfallschäden von Hilfspersonen der Verwaltung. Der eigentliche Grund scheint aber woanders zu liegen: In einem Land, in dem nicht ein großangelegtes Sozialgesetzgebungswerk nach deutschem Muster der Bismarck-Ära die Lage rechtzeitig entschärft hatte,9 mußte die Garantiepflicht des Staates für die Arbeitsunfälle freiwilliger Helfer oder Dienstverpflichteter in der objektiven Haftung gesucht werden. Ein weiteres deutsches Pendant findet sich in der polizeirechtlichen Figur des Polizeihelfers. Der Staat muß ferner die Gefahrenquellen beherrschen, die er selbst geschaffen hat. Hierhin gehört die Haftung für gefährliche Sachen (auch Einrichtungen) und gefährliche Methoden (z. B. offene Strafanstalt). Ungewöhnliche vom Staat induzierte Gefährdungen sind von ihm zu verantworten. Neben dem Gefährdungsgedanken spielt allerdings auch die Idee eine Rolle, daß der Staat bei der Durchführung öffentlicher Arbeiten im öffentlichen Recht sonst unbekannte Vorrechte genießt (z. B. „intangibilité de l’ouvrage public“), die durch eine besondere Haftung ausbalanciert werden müssen. Schließlich wird der Solidaritätsgedanke als Rechtsgrund für die Staatshaftung wegen zufälliger Verwirklichung von Gefahren im Rahmen der Anwendung innovativer Behandlungsmethoden in öffentlichen Krankenhäusern angeführt. Trotz fehlenden Verschuldens und Wissenslücken über Kausalität wurde die Haftung der öffentlichen Gewalt bejaht, da ein außergewöhnlicher und äußerst schwerer Schaden in ihrem Verantwortungsbereich erfolgte. Der Haftungsausuferung, die ein derart genereller Haftungsgrund wie Solidarität nach sich ziehen könnte, mußte 8 Das tun etwa Rebhahn 1997, S. 217 f. und insbes. Levinson, Making Government Pay: Markets, Politics and the Allocation of Constitutional Costs, The University of Chicago Law Review 2000, 345 ff., 406: „A theory of distributive justice that would entitle the fortunate beneficiaries of privacy and speech rights to demand that lesswell-off taxpayers subsidize the maintenance of their greater wealth by indemnifying them against violations of these rights would certainly be counterintuitive“. 9 Leisner, Französisches Staatshaftungsrecht, VerwArch. 1963, S. 246.

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durch eine mit Hilfe strenger Tatbestandsmerkmale ausgestaltete Anspruchsgrundlage ein Riegel vorgeschoben werden. Kollektivierte man aus Solidaritätsgründen jeden Schaden, so negierte man die schadensverteilende Funktion des Staatshaftungsrechts. Einerseits bekommt ein Staatshaftungsrecht, das Solidarität als Haftungsgrund wählt, einen sozialrechtlichen Einschlag. Dennoch nehmen Staatshaftung und Sozialrecht unterschiedliche Funktionen wahr.10 Dies macht der Vergleich mit der Sozialhilfe deutlich. Sozialhilfe geht davon aus, daß die Inklusion von einzelnen in die funktional ausdifferenzierten Teilsysteme sowie in die Bildungs-, Gelderwerbs- oder Gesundheitsorganisationen der Gesellschaft den Teilsystemen und Organisationen selbst überlassen wird. Die Inklusion in Gelderwerbsorganisationen darf der Staat nicht erzwingen, die Inklusion in die Wirtschaft soll er hingegen unter bestimmten Voraussetzungen durch helfende Leistungen (Ermöglichung von Zahlungen und Zahlungsversprechen) aufrechterhalten und hierdurch die Chance einer Inklusion auch in Gelderwerbsorganisationen offen halten. Was der sozial intervenierende Staat „kompensiert“, ist der den Teilsystemen, Organisationen und Individuen zuzurechnende Inklusionsausfall11, wohingegen der haftende Staat Schäden ersetzt, die er durch Inklusionsstörung oder durch die Verletzung von sozialrechtlich konstruierten Exklusionsvermeidungs-, Inklusionsvermittlungs- oder Exklusionsverwaltungspflichten selbst verursacht. Die Ausgleichsbedingungen von Inklusionsstörungen sind somit von den Bedingungen der Ermöglichung von Inklusion zu trennen. Solidarität bringt andererseits zum Ausdruck, daß dem einzelnen ein Ersatzanspruch nicht als Individuum, sondern als Mitglied einer Solidargemeinschaft zusteht. Historisch haben meistens gemeinsame Gefahren als Zugehörigkeitskriterium fungiert. Man denke an die Eigentümer der geretteten Waren beim Seewurf (lex Rhodia de jactu),12 die Mitglieder einer Wassergenossenschaft, die der Staat zur Ergreifung abwehrender Maßnahmen unter Kostenverteilung nötigt,13 oder die von Deichbruch, Tierkrankheiten oder Reblaus Betroffenen.14 10 Zur Heranziehung von Final- und Kausalprinzip als Abgrenzungskriterium bei der Trennung von sozialer Entschädigung, Sozialhilfe und Staatshaftung s. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, 1981, S. 126 f. und ferner Rüfner, Empfielt es sich, die soziale Sicherung für den Fall von Personenschäden, für welche die Allgemeinheit eine gesteigerte Verantwortung trägt, neu zu regeln?, in: 49. DJT Bd. I Teil E 1972, S. E 30 f., E 37; Kunz, Probleme der Opferentschädigung im deutschen Recht, 1994, S. 102 f. 11 Bommes/Scherr, Exklusionsvermeidung, Inklusionsvermittlung und/oder Exklusionsverwaltung, np 1996, 107 ff., 120 f. 12 Hierzu Bienenfeld, Die Haftungen ohne Verschulden, 1933, S. 123. 13 Mataja, Das Recht des Schadenersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomie, 1888, S. 69. 14 Mauczka, Der Rechtsgrund des Schadenersatzes außerhalb bestehender Schuldverhältnisse, 1904, S. 224, 225.

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

Man sah hier ein Problem des „Schadenverteilungsrechts im Gegensatz zum Schadenersatzrecht“.15 Damit ist schon das Verhältnis von Versicherungsschutz und Schadensersatz angesprochen.

III. Versicherungsschutz und Entschädigungsfonds 1. Verhältnis von Staatshaftung und Versicherungswirtschaft Im Zivilrecht wird bei der Berufung auf distributive Erwägungen bedacht, ob die Zurechnung eines Schadens zu einem einzelnen oder zu einer Gemeinschaft von Haftpflichtversicherten erfolgen soll. Die Möglichkeit der Weiterwälzung des Schadens auf den Versicherer hat zu richterrechtlicher Neubewertung der Haftungsvoraussetzungen und insbesondere zu Steigerung der Verhaltensanforderungen und zu schnellerer Bejahung von Fehlverhalten auf der Ebene des Individualhaftungsrechts geführt. Im englischen Recht finden sich solche versicherungsrechtlichen Überlegungen hinter der Prüfung und Besprechung des Begriffs von Sorgfalt im Bereich der Verkehrsunfälle und der Arzthaftung versteckt. Im Bereich der Verkehrsunfälle wird Sorgfalt auch dann bejaht, wenn der Unfall statistisch unvermeidbar war; die Haftung wird objektiviert, obwohl sie tatbestandsmäßig auf Fahrlässigkeit beruht.16 Im Arzthaftungsrecht hat man zwischen Sorgfalt und (nicht haftungsbegründendem) „Fehler“ unterschieden und versucht, einer dem amerikanischen Abschreckungsbeispiel ähnelnden Situation entgegenzuwirken, die zu einer übermäßigen Erhöhung der Prämien der Arzthaftpflichtversicherung und einer defensiven Medizin geführt hätten.17 Im französischen Zivilrecht war die Ausdehnung der objektiven Haftung (vertragliche „obligation de resultat“, Haftung für „inconvénients anormaux ou excessifs de voisinage“, „gardien“ – Haftung nach Art. 1384 Abs. 1, 2. Alt. C. civ., unwiderlegbare Verschuldensvermutung bei der Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1384, Abs. 5 C. civ.) von der Absicht beseelt, soweit wie möglich, die Pflicht zum Schadensausgleich mit den Möglichkeiten des Zugriffs auf eine Versicherung zu vereinbaren.18 Und jenseits der Subtilität allen Nachweises von Schadenskausalität kommt es etwa in der Rechtsprechung zur französischen Geschäftsherrenhaftung doch hauptsächlich auf die Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung des Geschäftsherrn, des „chef d’entreprise“ an.19 Der Haft15

So Mauczka 1904, S. 223. Henderson v. Jenkins [1970] A.C. 282; Nettleship v. Weston [1971] 2 Q.B. 691, 700; Dutton v. Bognor Regis Urban District Council [1972] 1 Q.B. 373, 397; Robertson v. Ramsbotton [1980] 1. W.L.R. 823. 17 Siehe die Ausführungen von Lord Denning in [1980] 1 All E.R. 650, 658. 18 Hierzu Viney, Le déclin de la responsabilité individuelle, 1965, Rn. 246 ff., 257 ff. 19 Siehe etwa CC, chambre civile, 7.12.1983, D. 1984, 170, note C. Larroumet. 16

A. Ausgleichende und austeilende Gerechtigkeit

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pflichtige wird auch als „fournisseur d’assurance“ betrachtet, ein Phänomen, das unter dem Stichwort der „société assurancielle“ oder „socialisation des risques“ diskutiert wird.20 Demgegenüber liegt eine Besonderheit der Haftung der öffentlichen Gewalt darin, daß der Solidargemeinschaft der Versicherten die Steuerzahler gegenüberstehen. Die Entschädigung erfolgt immer aus Steuermitteln nach den Kriterien der Steuerbelastung ohne jeglichen Bezug auf die individuelle Gefährdung oder Schädigung. Die Amtshaftung bei der Überplanung von Altlasten wird etwa auch von all jenen Steuerzahlern mitfinanziert, die nicht die Absicht haben, Bauherr zu sein. Die Staatshaftung führt zur Risikostreuung auf die Allgemeinheit, während die Versicherung aus den Schadensteilungsgemeinschaften der in gleicher Not Befindlichen stammt. Eine der Funktionen der Übernahme von Schäden durch die Allgemeinheit war dementsprechend die Überwindung der ständischen Solidarität.21 Ausschlaggebend ist aber, daß die Versicherten Versicherungsschutz am Versicherungsmarkt durch Prämien kaufen. Aus diesem Grunde geht das verteilungstheoretische Argument dahin, den Solidargemeinschaften der Versicherten dürften die finanziellen Lasten staatlichen Unrechts nicht aufgebürdet werden, zumal der Versicherungsanspruch des Geschädigten durch eigene Leistungen erworben werde und die Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen mit Prämienverlust und Rückstufungen für den Versicherten verbunden sei.22 Die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB gilt aber nach der differenzierten Lösung des BGH auch im deutschen Recht weiter, wenn es um das Verhältnis zwischen Schädiger und dem Staat als Zweitschädiger geht. Die Leistung des Haftpflichtversicherers des Erstschädigers soll den dem Geschädigten zugefügten Schaden endgültig übernehmen. Ein Ausgleich mit dem ebenfalls verantwortlichen Hoheitsträger als Zweitschädiger scheidet in diesem Fall aus.23 Die nur bedingte Möglichkeit, Risiken im freien Versicherungsmarkt zufriedenstellend zu plazieren, stellt den Staat vor das Problem, ob er nicht für bestimmte dieser Risiken die Verantwortung auch dann übernehmen sollte, wenn er sie nicht selbst herbeigeführt hat. Es geht um staatliche Solidarität, die etwa in Fällen von Natur- und Medizinkatastrophen, Terroranschlägen24 und Gewaltopfern auf den Plan gerufen wird und Regelungsbedarf entstehen läßt. Die Distanzierung aller nicht gefährdeten oder geschädigten Bürger verstieße hier gegen Garanten-, Einstands- bzw. Schutzpflichten des Staates und die austeilende 20 Hierzu und zum Vergleich m. w. N. s. Viney/Markesinis, La réparation du dommage corporel. Essai de comparaison des droits anglais et français, 1985, S. 26 ff. 21 Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 125. 22 BGH, NJW 1981, 623, 625. 23 BGHZ 91, 48, 54; Ossenbühl, StHR 1998, S. 83 f. 24 Siehe das Buch von Renoux, L’indemnisation publique des victimes d’attentats, 1988 zum einschlägigen französischen Gesetz von 1990.

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

Gerechtigkeit.25 Ob die staatliche Verantwortungsübernahme dem Haftungsoder dem Sozialrecht zuzuordnen ist, läßt sich nicht immer eindeutig sagen. Die §§ 18–25 StHG-Entwurf etwa, die von der Subsidiarität der Tumultschädenhaftung ausgingen, hatten von der Rechtsfolgenseite her als Rechtsgrund der Haftungszuweisung eine final an der Lage des Opfers orientierte Solidarität angenommen. Von der Tatbestandsseite her folgte jedoch aus der staatlichen Pflichtverletzung als Haftungsgrund das Ziel der Schadenskompensation ohne Rücksicht auf die näheren Umstände der Lage des Opfers.26 In Frankreich entscheidet bei Tumultschäden Kausalität über die Zuordnung. Der Staat haftet seit 1983 (Gesetz vom 7.1.83, Art. 92) „à raison du risque social“ für „à force ouverte ou par violence“ vorgenommene Akte, die „dégats et dommages de toute nature“ (auch Erhöhung von Ausgaben oder Verlust von Einnahmen) unmittelbar verursachen.27 Der Schadensersatzanspruch steht dem Geschädigten oder auch den Versicherungsgesellschaften zu, die eine Klage gegen den Staat auf den Schadensersatzanspruch der bei ihnen Versicherten stützen können („action subrogatoire“, Art. L 121-11 C. assur.). Schließlich liegt bei Nichtversicherbarkeit oder beim politisch unannehmbaren Charakter eines Versicherungstyps (z. B. für bestimmte Umweltverschmutzungen) ein rechtspolitisches Problem vor: Auf den Staat wird Druck ausgeübt, selber für Sicherheit zu sorgen, indem er etwa einen Zweig der Verursacherindustrie (z. B. Kernwerke) gänzlich verbietet oder im Schadensfall selber die Verantwortung übernimmt.

25 Siehe etwa das französische Gesetz Loi no 82-600 du 13 juillet 1982 relative à l’indemnisation des victimes de catastrophes naturelles. Zur Komplementarität von Assekuranz und staatlicher Verantwortung s. Pontier, L’Etat et les calamités naturelles, R.I.S.A. 1981, 1 ff.; ders., Le législateur, l’assureur et la victime, RFDA 1986, 98 ff.; ders., La subsidiarité en droit administratif, RDP 1986, 1515 ff. und umfassend Sousse, La notion de réparation de dommages en droit administratif français 1994, S. 250 ff., 260 ff. 26 Bonk, in: Schäfer/Bonk, StHG, § 15 Rn. 89; Bogs, Anrecht und Gestaltungsfragen eines besonderen Tumultschadensausgleichs, ZSR 1975, 593, 607; Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, 1987, S. 42 ff.; Rieve, Kollektive Sicherungssysteme bei Tumultschäden, 1997, S. 54. 27 Siehe die restriktive Rechtsprechung des T.C., 7.6.1982, Préfet du Pas-de-Calais, Rec. 457 und die Haftungserweiterung durch den CE, 6.4.1990, Cofiroute et Société nationale des chemins de fer français, Rec. 95; Avis du CE, Ass., 20.2.1998, Société Etudes et construction de sièges pour automobiles et al., RFDA 1998, 590 f.: „ce régime d’indemnisation (die gesetzliche Regelung) n’est applicable que si le dommage résulte de manière directe et certaine de crimes ou de délits déterminés comme par des rassemblements ou attroupements précisément identifiés“ (591).

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2. Entschädigungsfonds als Mechanismus der Ersatzleistungsreduktion Die Einrichtung von Entschädigungsfonds ist ein Mechanismus der Ersatzleistungsreduktion, auf die Gesetzgeber unter bestimmten Bedingungen zurückgreifen können.28 Wenn weder Verschuldens- noch Gefährdungshaftung geeignete Behelfe zur lückenlosen zivilrechtlichen Schadensdeckung anbieten können, ist das Instrumentarium des Individualhaftpflichtrechts erschöpft. Kann dann selbst die „Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz“29 die bestehenden Lücken im Schutz der Geschädigten nicht füllen, kommt noch vor der Auslösung einer eventuellen Haftung des Staates die Einrichtung eines Entschädigungsfonds in Betracht. Im „Contergan Fall“ etwa hatten die Schadensfälle die Allgemeinheit berührt und eine das staatliche Eingreifen fordernde Dimension erreicht. Die Fondslösung konnte dann im Vorfeld der Staatshaftung die Schadensregelung aus der Beziehung Schädiger – Geschädigter herausnehmen. Im Falle der HIV-Infektion hat der französische Gesetzgeber einen Entschädigungsfonds gegründet, der aufgrund einer widerlegbaren Vermutung des Kausalzusammenhangs zugunsten des Geschädigten aufkommt.30 Sinnvoll sind Fonds vor allem, wenn sie über das individuelle Haftpflichtrecht hinaus eingreifen und bei fehlender Identifizierbarkeit des Verursachers sowie fehlendem Kausalitätsnachweis Ersatz für Schäden gewähren, die nach dem Haftpflichtrecht nicht gedeckt sind.31 Die Subsidiarität der Staatshaftung kommt schließlich in den Erwägungsgründen der unionsrechtlichen Einlegerschutzrichtlinie zum Ausdruck. Die Mitgliedstaaten oder ihre zuständigen Behörden könnten aufgrund dieser Richtlinie den Einlegern gegenüber nicht haftbar gemacht werden, wenn sie für die Einrichtung bzw. die amtliche Anerkennung eines Sicherungssystems Sorge getragen hätten.32

28 Siehe Rehbinder, Der Beitrag von Versicherungs- und Fondslösungen zur Verhütung von Umweltschäden aus juristischer Sicht, in: Endres/Rehbinder/Schwarze (Hrsg.), 1992, S. 120 ff.; Deutsch, Arzneimittelschaden: Gefährdungshaftung, Verschuldenshaftung, Staatshaftung, in: Canaris/Diedrichsen (Hrsg.), FS Larenz 1983, S. 111, 123 f.; Brüggemeier, Staatshaftung für HIV-kontaminierte Blutprodukte, 1994, S. 46 f. Vgl. auch Knothe, Staatshaftung bei der Zulassung von Arzneimitteln, 1989, S. 160 ff. Siehe übergreifend Hohloch, Entschädigungsfonds auf dem Gebiet des Umwelthaftungsrechts, 1994, S. 26, 53 f. 29 So der zum Schlagwort gewordene Buchtitel: Hippel, Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz, 1980. 30 Cass. civ. 1re, 09.07.1996, D. 1996. 613. Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, 1998, S. 87 ff. 31 Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze (Hrsg.) 1992, S. 142, 144. 32 ABlEG 1994, Nr. L 135, S. 5, 7, 24. Begründungserwägung. A contrario könnte argumentiert werden, daß die 24. Begründungserwägung bei Nichtumsetzung, verspäteter oder fehlerhafter Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie für eine umfassende Haftung spricht.

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Fondslösungen müssen allerdings ihre verfassungsrechtlichen Schranken beachten. Fonds müssen zunächst, soweit sie sich als schadensverursacherfinanzierte kollektive Schadenstragungssysteme darstellen, die Hürde der Verfassungsmäßigkeit ihrer Finanzierung überwinden. Die Zulässigkeit von Finanzierungsabgaben ist an Voraussetzungen wie Gruppenhomogenität, Gruppenverantwortung und gruppennützige Verwendung gebunden.33 Die vom Staat wahrgenommene Möglichkeit, Ansprüche zu verkürzen (z. B. Abkehr vom Prinzip der Totalreparation) oder zu pauschalieren bzw. auf bestimmte Schadensarten zu konzentrieren, ist dann nicht verfassungswidrig, wenn den Geschädigten andere Vorteile angeboten werden, insbes. die Schließung einer Haftungslücke oder die gegenüber prozessualer Schadensregulierung erleichterte Geltendmachung der Entschädigungsansprüche gegenüber dem Fonds.34 Zu beachten ist, daß Entschädigungsfonds im Grunde Selbstregulierungsmechanismen eines Wirtschaftssektors sind. Sie beruhen auf dem Gedanken, haftpflichtrechtlich nicht erfaßte Schäden ganz oder teilweise aus einer Kasse auszugleichen, die aus Mitteln vor allem der Schadensverursacher gespeist wird. Sie sind besonders nützlich, wenn zu erwarten ist, daß eine bekannte, nicht völlig auszuschließende Gefahr sich zufällig gerade bei einem bestimmten Haftpflichtigen verwirklicht. Zweck des Fonds ist dann, dessen individuelle Ersatzpflicht im voraus zu kollektivieren. Angesichts dieses Bauprinzips sind sie von der Perspektive des Haftpflichtigen konzipiert. Das ist ein Punkt, den die Kritik am § 6 Abs. 3 KWG a. F./§ 6 Abs. 4 KWG n. F. nicht unterlassen hat, besonders zu betonen.35 Die Reduktion des Individualschutzes zugunsten der Verwirklichung institutionentheoretischer Ziele muß bei Vermeidung von Haftungslücken erforderlich und angemessen sein. Dies betrifft vor allem die Einräumung eines Rechtsanspruchs des Geschädigten an den Fonds auf Leistung sowie die Statuierung einer Mitwirkungspflicht der Haftpflichtigen am Fonds und die Gewährung von ausgleichenden Vorteilen für Anspruchsabkürzungen und Pauschalierungen. Der Staat darf seine Schutzpflicht nicht lediglich insofern wahrnehmen, als er die freiwillige Einrichtung von Entschädigungsfonds ermöglicht. Er muß darüber hinaus mit Art. 6 EMRK vereinbare Mindestanforderungen an den durch die Fonds gewährleisteten Rechtsschutz stellen.

33 Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze (Hrsg.) 1992, S. 147, 148 m. w. N. unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG. 34 Zur Verfassungsmäßigkeit der Anspruchsausschlüsse des § 23 StiftG im Falle also des Entschädigungsfonds des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“ („Contergan-Entschädigung“) siehe BGH 64, 30; siehe ferner BVerfG, NJW 1976, 1873; hierzu Hohloch 1994, S. 71, 76. 35 Siehe nur Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht? Zu den Grenzen der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers, 1988, S. 53 ff.

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IV. Gründe für Subsidiarität der Haftung der öffentlichen Gewalt In den Fällen, in denen die Gefährdung der Rechtsgüter Privater nicht unmittelbar von staatlicher Tätigkeit ausgeht, sondern von privatwirtschaftlichen Aktivitäten, über die der Staat lediglich eine Aufsichtsfunktion ausübt, stellt sich als Vorfrage für die Bejahung der Drittgerichtetheit der staatlichen Aufsichtsund Kontrollpflicht das Problem der Subsidiarität staatshaftungsrechtlicher Ansprüche (Verweisungsprivileg nach § 839 Abs. 1 S. 2 BGB). Eine dem § 839 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechende Vorschrift findet sich weder im englischen noch im französischen Recht. Die englischen Gerichte ziehen das Argument des „alternative relief“ zur Begründung eines Staatshaftungsausschlußes heran. Auf die Natur des verfügbaren „alternativen“ Rechtsbehelfs kommt es nicht an. Es wird etwa nicht zwischen parallel noch bestehenden Staatshaftungsansprüchen, außerrechtlichen Instrumenten („Ombudsman“) und Rechtsbehelfen des Primärrechtsschutzes („Judicial Review“) unterschieden. Die mit der Verfügbarkeit eines alternativen Rechtsbehelfs zu verbindende Rechtsfolge ist einzelfallabhängig.36 Direkt die Subsidiaritätsfrage betrifft hingegen im französischen Recht die Problematik der Entlastung des Staates von einer Haftung für „faute“ bei einer den Schaden mitverursachenden Handlung eines Dritten („fait du tiers“). Das Problem der Haftungssubsidiarität stellt sich verstärkt bei staatlicher Gefahrenabwehr, Aufklärung und Fürsorge. So betrifft die Staatshaftung für „mangelnde Gefahrenabwehr“37 Fälle, in denen der Staat für Gefahren verantwortlich gemacht wird, die er nicht selbst verursacht hat. Dennoch haftet er für sie, da er vor ihnen hätte warnen oder er sie hätte abwenden müssen. Von Bedeutung ist hier der Unterlassungsbegriff. Während deutsches und englisches Recht38 besonderen Argumentationsaufwand dafür verwenden, um eine Handlungs- bzw. Schutzpflicht zu konstruieren, deren Verletzung die Unterlassung überhaupt sichtbar macht, lösen Unterlassungen im französischen Recht genauso wie Handlungen eine Haftung aus, solange eine haftungsbegründende „faute“ vorliegt. Unterlassungen kommt somit derselbe haftungsrechtliche Status wie rechtswidrigen Handlungen zu. Manchmal ist eine „faute lourde“ erforderlich. Dies gilt aber auch für Handlungen. Es muß nicht auf bestimmte Vorschriften hingewiesen werden, die Schutz- und Sicherungspflichten statuieren,

36 Zu beiden Rechtsbehelfen X v. Bedfordshire County Council [1995] A.C. 633, 751 A–B und 762 F–G; Barrett v. London Borough of Enfield [1999] 3 W.L.R. 79, 94 C–D, 114 D; Elguzouli-Daf v. Commissioner of the Police the Metropolis; McBrearty v. Ministry of Defence [1995] 2 W.L.R. 173, 186. 37 Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, 1997. 38 Zur Besonderheit der englischen Unterlassungskonzeption s. Weir, A Casebook on Tort, 1996, S. 82; Winfield/Jolowicz, On Tort (Rogers, W. V. H.), 15. Aufl. S. 119, 120 ff.

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

deren Verletzung erst die Haftung auslöst. Der deutschen Konzeption sehr nahe steht hingegen die unionsrechtliche Rechtsprechung. Unterlassungen der Unionsorgane können nur dann die Unionshaftung begründen, wenn die Organe gegen eine Rechtspflicht zum Tun verstoßen haben, die sich aus einer Unionsvorschrift ergibt.39 So muß der Kläger stets angeben, nach welcher Vorschrift des Unionsrechts das Unionsorgan eine Handlungs- bzw. Schutzpflicht trifft.40 Die Subsidiarität kann im Vorfeld der Haftung schon die Handlungspflicht betreffen. Denn einerseits ist Staatshandeln bei fehlendem Wissensvorsprung auf Wissen und Kooperation gesellschaftlicher Akteure angewiesen. Andererseits bleibt der Staat trotz Informationsdefizit hinsichtlich Normen und Wissen ein besonderer Akteur: Nur staatlichen Warnungen kommt eine besondere Eingriffsqualität in die Wettbewerbs- und Eigentumsfreiheit der betroffenen Unternehmen zu. Die in § 8 S. 2 ProdSG geregelte Subsidiarität behördlicher Warnungen bringt diesen Doppelaspekt zum Ausdruck. Und ihre Mißachtung stellt eine amtshaftungsrechtlich relevante Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Verhältnismäßige Warnungen sind subsidiäre Warnungen.41 Um Subsidiarität geht es auch beim Verständnis des Hilfebegriffs in Kindesvernachlässigungsfällen, das im juristischen Spannungsfeld zwischen staatlichem Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, Elternrecht und Kindesgrundrechten seine Wirkung entfaltet.42 Die Bestimmung der Reichweite von Handlungspflichten bedingt auf diese Weise die Haftungssubsidiarität. Eine haftungsrelevante Schutzpflicht kann somit schon mit Blick auf Haftungseinschränkung als „an obligation as to measures to be taken and not as to results to be achieved“ definiert werden.43 Mit Subsidiarität und Informationsdefizit des Staatshandelns kann nicht lediglich die Haftungssubsidiarität, sondern manchmal auch ein Haftungsausschluß begründet werden. Die Rechtsprechung des House of Lords liefert dafür ein Beispiel. Wenn mehrere Hoheitsträger oder mehrere staatliche und nicht staatliche Instanzen, die ein interdisziplinäres Geflecht von Institutionen und Berufen (etwa Polizisten, Erziehungswissenschaftler und Mediziner) darstellen, den 39 EuGH, Rs. C-146/91, KYDEP/Rat und Kommission, Slg. 1994, I-4199, Rn. 58, und Beschluss des EuG vom 26. Juni 2000 in den Rs. T-12/98 und T-13/98, Argon u. a./Rat und Kommission, Slg. 2000, II-2473, Rn. 18; EuG, Urteil vom 26.2.2003, Rs. T-344/00, T-345/00, CEVA Santé animale SA, Pharmacia Entreprises SA/Kommission, Rn. 102–103. 40 EuG, Urteil vom 10.4.2003, Rs. T-195/00, Travelex Global and Financial Services Ltd, Interpayment Services Ltd/Kommission, Rn. 143. 41 Hierzu Tremml/Nolte, Amtshaftung wegen behördlicher Warnungen nach dem Produktsicherheitsgesetz, NJW 1997, 2265, 2269 ff. 42 Hierzu instruktiv Mörsberger/Restemeier (Hrsg.), Helfen mit Risiko. Zur Pflichtenstellung des Jugendamtes bei Kindesvernachlässigung, 1997. 43 So etwa der EGMR in: Plattform „Ärzte für das Leben“/Austria, A 139, § 34. Eine Schutzpflichtverletzung wurde in diesem Fall schließlich verneint (§ 39).

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Schaden verursacht haben, wird die Haftung der öffentlichen Gewalt deshalb verneint, weil die Bestimmung des Pflichtadressaten entweder „unfair“ (bei Haftung aller Instanzen und Berufsgruppen) oder nicht richtig (bei Haftung einer Instanz oder Gruppe) wäre.44 Die Rechtsprechung des BGH ist demgegenüber aus der Sicht des Geschädigten konzipiert. Dieser soll geradezu nicht Gefahr laufen, daß „impossible problems of disentangling the respective liability of each of the participants“45 die Haftung vereiteln. Es soll geradezu vermieden werden, daß jeder der beteiligten Schädiger auf den jeweils anderen verweist und die Kausalität des eigenen Handelns bestreitet.46 Ferner kann die Haftungssubsidiarität in dem Sinne abgestuft werden, daß die Haftungsschwelle erhöht wird. Dies erfolgt aufgrund einer Bewertung der Selbstregulierung des jeweiligen sozialen Bereichs, in den der Staat handelnd oder haftend eingreift. Staatlich beaufsichtigte Minderjährige werden vom französischen Recht nach dem institutionellen Status der Beaufsichtigung und nach ihrer Gefährlichkeit für Dritte in verschiedenen Kategorien eingeordnet, an welche unterschiedliche Haftungsinstitute angeknüpft werden. Je restriktiver die staatshaftungsrechtlichen Voraussetzungen sind, desto deutlicher tritt die Subsidiarität von Staatshaftung in den Vordergrund. Diese Überlegungen sind für die Haftung im Bereich der Bankenaufsicht von Bedeutung.47 Für restriktive Haftungsvoraussetzungen oder für Haftungsausschluß wird optiert, wenn Haftung strengere Kontrollen von Aufsichtsbehörden und somit einerseits eine gewisse „Verstaatlichung“ der zu beaufsichtigenden privaten Tätigkeit und andererseits eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreudigkeit der Behörden bei der Ermessensausübung herbeiführen würde. Das deutsche Recht schließt nicht zuletzt unter Hinweis auf ein Sicherungssystem die Haftung völlig aus.48 Das französi44 So das Argument in X v. Bedfordshire County Council [1995] A.C. 633, per Lord Browne-Wilkinson 750. 45 Ebd. 46 BGH, NJW 1992, 2691 (2692). 47 Eine vergleichende Analyse wird von Andenas/Fairgrieve To Supervise or to Compensate? A Comparative Study of State Liability für Negligent Banking Supervision, in: Andenas, Mads/Fairgrieve, Duncan (eds.), Liber Amicorum in Honour of Lord Slynn of Hadley: Judicial Review in International Perspective, 2000, 333 in: Andenas/Fairgrieve (Hrsg.) 2000, 333 ff. vorgenommen. 48 Hierzu s. LG Bonn, RIW 384, 388; OLG Köln, Urt. vom 11.1.2001 – 7U 104/ 00, NJW 2001, 2724 ff. sowie die EuGH-Vorlage des BGH, Beschluß vom 16.5.2002 – III ZR 48/01 und die Schlussanträge von GA Stix-Hackle vom 25.11.2003 zu EuGH, Rs. C-222/02, Peter Paul u. a./Bundesrepubik Deutschland. Sicherungssysteme gibt es auch in Frankreich (Einführung eines öffentlich-rechtlich organisierten „Fonds de Garantie des Dêpots“ durch das Gesetz vom 25. Juni 1999, welches das durch die „Association Française des Banques“ organisierte Einlagensicherungsystem ersetzte, hierzu Stoufflet, Revue de droit bancaire et de la bourse 1999, 144 ff.) und in England: Der Financial Services and Markets Act 2000 hat in seinem Part XV (sections 212–224) sogar ein einheitliches Sicherungssystem, das Financial Services Compensation Scheme vorgesehen, das eine Reihe zersplitterter Sicherungssysteme ersetzt hat

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

sche Recht erhöht hingegen lediglich die Haftungsschwelle („faute lourde“) und unterscheidet implizit zwischen typischen Einlegern und Spekulanten. Bei letzteren ist die Begründung einer Aufsichtshaftung wegen „faute lourde“ sehr unwahrscheinlich.49 Der Conseil d’Etat hat betont, daß es nicht die Aufgabe des Staates ist, anstelle der Kreditinstitute gegenüber den Einlegern zu haften.50 Hieraus wurde allerdings kein Haftungsausschluß, sondern eine Erhöhung der Haftungsschwelle abgeleitet. Das englische Recht verlangt für die Haftung eine willentliche Aufsichtspflichtverletzung. Eine Aufsichtsbehörde muß (subjektiv) in Kenntnis der Wahrscheinlichkeit der Schadensfolgen gewesen sein. Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, daß alle staatliche Wirtschaftsaufsicht trotz unumgänglicher Informationsasymmetrien ausgeübt werden muß. Die Aufsichtsbehörde kann somit für objektiv vorhesehbare Schadensfolgen oder Nebenfolgen der fehlsamen Aufsicht nicht haften.51 Dem steht ein besonderes Verständnis von Staat und Wirtschaft zugrunde, das davon ausgeht, daß der Markt sich selbst zu helfen weiß und Sanierungsmaßnahmen eher als (haftungsrechtliche) Sanktionen einem Kreditinstitut und dem Gemeinwohl nützlich sind. Es ist dann für die Aufsichtsbehörde legitim, bei erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen den Erfolg abzuwarten, ohne Gefahr zu laufen mit Schadensersatzansprüchen überzogen zu werden. Der Financial Services and Markets Act (FSMA) 2000 sieht vor dem Hintergrund dieser Überlegungen einen generellen Haftungsdispens und zwei Ausnahmefälle vor, in denen Staatshaftung zulässig ist.52 Die erste Ausnahmeregelung übernimmt die Formulieund bei Zusammenbrüchen von Finanzunternehmungen an Ein-, Anleger und Versicherungsnehmer Entschädigung gewährt. Zu erwähnen ist schließlich die unionsrechtliche Einlagensicherungsrichtlinie (EG-RL 94/19EWG vom 30.5.1994). Zum Zweck dieser RL s. EuGH Rs C-233/94 Bundesrepublik Deutschland/Europäisches Parlament und Rat 1997 I-2405, Rn. 19. Zu einer Kritik an der deutschen Umsetzung s. Andenas/Fairgrieve, To Supervise or to Compensate? A Comparative Study of State Liability für Negligent Banking Supervision, in: Dieselben (eds.), Liber Amicorum in Honour of Lord Slynn of Hadley: Judicial Review in International Perspective, 2000, S. 333, 359 f. (mit Note 151). 49 Siehe z. B den einzigen Fall, in dem bislang eine „faute lourde“ bejaht wurde: CE, 24.01.1964, Achard, Rec. 43. 50 CE Ass. 30.11.2001 Ministre de l’économie, des finances et de l’industrie c/M. et Mme Kechichian et autres, req. nº 219562: „Considérant que la responsabilité de l’Etat pour les fautes commises par la Commission bancaire dans l’exercice de sa mission de surveillance et de contrôle des établissements de crédit ne se substitue pas à celle de ces établissements vis-à-vis, notamment, de leurs déposants; que, dès lors, et eu égard à la nature des pouvoirs qui sont dévolus à la Commission bancaire, la responsabilité que peut encourir l’Etat pour les dommages causés par les insuffisances ou carences de celle-ci dans l’exercice de sa mission ne peut être engagée qu’en cas de faute lourde; qu’il suit de là qu’en jugeant que toute faute commise par la Commission dans la surveillance et le contrôle des établissements de crédit pouvait engager la responsabilité de l’Etat, la cour administrative d’appel de Paris a commis une erreur de droit.“ 51 Zur Anwendung des tort „misfeasance in public office“ auf die Bankenaufsicht s. Three Rivers C.C. v. Bank of England (No. 3) C.A. [2000] 2 W.L.R. 15, 104.

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rung der section 1 (4) des Banking Act 1987. Eine Haftung wird hiernach ausgelöst, wenn die Aufsichtsbehörde bei ihrer Handlung oder Unterlassung „in bad faith“ war. Der zweite Ausnahmefall setzt die Anwendung der section 6 (1) des Human Right Act 1998 voraus: Eine Haftung soll nach section 102 (2) (b) FSMA 2000 zulässig sein, wenn die Aufsichtsbehörde gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen hat und aus diesem Grunde haftbar gemacht wurde. Der Staat kann schließlich seine Haftung nicht dadurch „privatisieren“, daß er sich seiner Verantwortung entledigt, indem er seine Aufsichtstätigkeiten oder die Wahrnehmung seiner Handlungspflichten auf Private überträgt. Die Haftung des Staates für das Verhalten eines Privaten, der Tätigkeiten von Privaten kontrolliert, ist ein Fall der Haftung des Staates für Beliehene, Verwaltungshelfer, Privatunternehmer53 oder Beauftragte i. S. des § 1 Abs. 1 StHG-DDR.54 Im französischen Recht wird die Staatshaftung für die Beaufsichtigung Privater durch Private unter den Rubriken der Haftung für „collaborateurs occasionels“ und der „délégation de service public“ behandelt. Letztere betrifft Fälle der Übertragung von Kompetenzen sowohl an Private als auch an andere Behörden. Meistens erfolgt die Übertragung mit Hilfe eines Vertrags („concession“). Für die Schäden, die durch die Ausübung des übertragenen „service public“ an Dritten oder den „usagers“ des „service“ verursacht werden, haftet die mit den Kompetenzen betraute (private oder öffentlich-rechtliche) Person.55 Die die Kompetenzen übertragende Behörde haftet nur subsidiär, wenn die mit den Kompetenzen betraute Person nicht leistungsfähig ist.56 Es kommt somit eine Art „Amtsübertragungs- bzw. Anvertrauenstheorie“ zur Anwendung: Es haftet die Behörde, die die Aufgaben übertragen hat, wenn ihr Organisationsfehler, fehlerhafte Kontrolle der Wahrnehmung der übertragenen Aufgabe oder Auferlegung eines Risikos zugerechnet werden. Andererseits können die Gerichte die die übertragene Aufgabe wahrnehmende Person als „durchsichtig“ („transpa52 „Exemption from liability in damages 102 (1) Neither the competent authority nor any person who is, or is acting as, a member, officer or member of staff of the competent authority is to be liable in damages for anything done or omitted in the discharge, or purported discharge, of the authority’s functions. (2) Subsection (1) does not apply- (a) if the act or omission is shown to have been in bad faith; or (b) so as to prevent an award of damages made in respect of an act or omission on the ground that the act or omission was unlawful as a result of section 6(1) of the Human Rights Act 1998.“ 53 Ossenbühl, StHG 1998, S. 15 ff., 17, 23 ff.; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, 1992, 141 ff.; Papier, in: MünchKomm., BGB, § 839 Rn. 17, 136; Meysen, Der haftungsrechtliche Beamtenbegriff am Ziel? – BGH NJW 1996, 2431, JuS 1998, 404, 407. 54 Lühmann, in: Herbst/Lühmann, § 1 Abs. 1 StHG, Rn. 100; Herbst, ebd., § 1 Abs. 3 StHG, Rn. 29 ff. 55 CE, 7.03.1934, Compagnie Le Phénix, Rec. 311. 56 CE, 13.11.1970, Ville de Royan, Rec. 683; 21.04.1982, Dames Daunes et Bareille, Rec. 745.

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

rente“) behandeln. In diesem Fall haftet nur die die Aufgabe übertragende Behörde („persone publique instigatrice du service“).57 Nach englischem Recht haben alle Aktivitäten von unbestrittenen Trägern der öffentlichen Gewalt (z. B. Ministerien, Verwaltungs-, Kommunal-, Gesundheitsbehörden oder öffentliche Treuhandstellen) gem. section 6 (3) HRA 1998 öffentlich-rechtlichen Charakter auch dann, wenn sie für die Zwecke des „Judicial Review“-Verfahrens als nicht öffentlich gelten und nicht angefochten werden können.58 „Obvious public authorities“ müssen die EMRK bei allem beachten, was sie tun.59 Die Geltung des HRA 1998 und die Haftung wegen Konventionswidrigkeit sollen aber über die unbestrittenen Erscheinungsformen der öffentlichen Gewalt hinaus auf Körperschaften erstreckt werden, die nur in gewissen, nicht in allen Hinsichten öffentlich-rechtlichen Charakter haben. Private Sicherheitsdienste sind etwa „public authority“, wenn sie ein privatisiertes („contracted out“) Gefängnis überwachen und private Stelle, wenn sie die Räume von Geschäftshäusern kontrollieren.60 Hinweise darauf, nach welchen Kriterien die Aktivitäten Privater die Haftung des Staates nach dem HRA 1998 begründen können, finden sich in der Rechtsprechung des EGMR zum konventionswidrigen Verhalten von „regulatory bodies“ und zur Übertragung der staatlichen Sicherungs- und Gewährleistungsaufgabe der Menschenrechte auf private Stellen.61 Die unionsrechtliche Dimension des Problems der Reichweite des Staatsbegriffs findet sich in der Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen Direktwirkung von Richtlinien. Die Bestimmung des Staatsbegriffs verfolgt hier den Zweck festzustellen, ob und gegen wen die vertikale Direktwirkung einer Richtlinie geltend gemacht werden kann.62

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CE, 17.04.1964, Commune d’Arcueil, Rec. 230; 2.02.1979, Gauthier, Rec. 39. Das ist der Fall von „employment contracts“, die dem „judicial review“-Verfahren nicht unterliegen. Siehe R v. East Berks Health Authority ex p Walsh [1985] QB 152, 162, per Sir John Donaldson MR: „Employment by a public authority does not per se inject any element of public law“. Craig, Administrative Law, S. 778 ff., 782 f. 59 Coppel, The Human Rights Act 1998: Enforcing the European Convention in the Domestic Courts, 1999, S. 20. 60 Coppel 1999, S. 25. 61 EGMR, Casado Coca v. Spain, 24.02.1994, no. 15450/89, A 285-A § 20; Costello Roberts v. The United Kingdom, 25.03.1993, no. 13134/87, A 247-C, §§ 25, 27; Van der Mussele v. Belgium, 23.11.1983, Nr. 8919/80, A/70, §§ 28–29. 62 EuGH C-188/89, Foster u. a./British Gas plc. Slg. 1990, I-3313, Rn. 20. 58

B. Effiziente Ressourcenallokation

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B. Effiziente Ressourcenallokation als Grund für Begründung, Änderung oder Ausschluß von Haftung Die Institutionenökonomik befaßt sich schon seit langem mit der Analyse des Deliktsrechts. Ihr diagnostischer Aspekt betrifft die Bewertung der Wirkungen von Haftungsregeln aus wirtschaftstheoretischer Sicht. Haftungsregeln oder ihre Änderung können „Angebot“ und „Nachfrage“ von Verhaltensweisen beeinflussen. Sie werden somit als ökonomische Institutionen behandelt, deren Qualität durch das Kriterium der effizienten Ressourcenallokation (und das ist der normative Aspekt dieses Ansatzes) beurteilt wird. Effizienz liegt nicht nur vor, wenn es nicht möglich ist, jemanden besser zu stellen, ohne die Position eines anderen zu verschlechtern; sie ist auch dann möglich, falls eine Allokationsänderung Gewinner und Verlierer schafft, solange jene mehr gewinnen als diese verlieren. Sobald diese Bedingung erfüllt ist, wäre es sinnvoll, daß die Verlierer für ihre Verluste kompensiert werden.63 Von Effizienz ist auch dann die Rede, wenn allgemein die gesellschaftliche Wohlfahrt maximiert wird.64 Eigentlich setzt diese Feststellung empirische Forschung voraus, die aber nicht in allen Bereichen gleich fortgeschritten bzw. zufriedenstellend betrieben werden kann. Statt dessen kann man sich begrifflicher Instrumente bedienen, die auf die Feststellung zielen, ob Haftungsregeln „Externalitäten“ ausgleichen und „Transaktionskosten“ minimieren, die beide als „soziale Kosten“ und Hauptursachen von Ineffizienz gelten. Die Anwendung dieses Ansatzes auf die Staatshaftung fragt zunächst nach den sozialen Kosten von staatlicherseits verursachten Schäden, den Kosten der Schadensabwendung und der Geltendmachung von Schadensersatzklagen. Wird die Wohlfahrt erhöht, wenn der Staat haftet oder wenn der einzelne die Schädensabwendungskosten etwa durch Versicherungsschutz selbst übernimmt? Effiziente Ressourcenallokation wird dann zum Grund für die Begründung oder den Ausschluß der Haftung der öffentlichen Gewalt. Die Stärke dieses Ansatzes liegt darin, daß er kontrollierbare Begriffe für eine Folgenanalyse bereitstellt und Haftungsregeln auf sinnvolle funktionale Alternativen hin prüfen kann. Diese diagnostische Analyse kann allerdings dem Juristen noch keine direkte Entscheidungshilfe leisten, denn Effizienz stellt aus der Sicht des Rechts nur einen Wert unter anderen dar. Auch wenn sie feststeht, muß sie in eine Abwägung gegen andere Werte wie staatliche Aufgabe, Grundrechtsschutz, sozialrechtliche Ansprüche eingebracht werden. Mit diesem Ansatz kann man feststellen, inwiefern die Verwaltung bei ihrem Versuch, die Kosten von Schadensverhütung, Schadensausgleich und Prozeßführung zu reduzieren, auch jenseits der 63 64

Cooter/Ulen, Law and economics, 2 edition 1996, S. 41 f. Ebd. S. 375 ff.

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

Gerichte kontrollierbar ist. Eine fahrlässig handelnde Verwaltung, die sich selbst gegen potentielle Haftungsprozesse durch Ressourcenbindung „versichert“, hat entweder weniger Ressourcen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, oder sie muß mehr Steuermittel in Anspruch nehmen, was aber nicht zuletzt auch politisch gegenüber den Wählern begründet werden muß.65 Jedenfalls hängen haftungsrechliche und außergerichtliche Kontrolle der Verwaltung zusammen: Gewähren die Gerichte bestimmten Verwaltungszweigen generell Haftungsimmunität, entfällt samt den individuellen Ausgleichsmöglichkeiten auch die Selbstversicherungsfunktion und mit ihr ein zusätzlicher Mechanismus der Kontrolle der Kostenreduktion und Disziplinierung. Obwohl aber mit diesem Ansatz feststellen kann, daß Selbstversicherung aufgrund der gestiegenen Rückstellungen für Prozeßrisiken manchmal teurer als eine Haftpflichtversicherung sein kann,66 läßt sich hieraus nicht ohne weiteres auf eine Versicherbarkeit der Haftpflicht der öffentlichen Gewalt schließen. Denn jedenfalls verlangt Art. 34 GG, daß der Staat die Verantwortung gegenüber den geschädigten Bürgern selbst übernehmen muß,67 während Versicherungsgesellschaften das Interesse ihrer Aktionäre sowie ihre Refinanzierungsmöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt im Auge haben. Aus juristischer Sicht kommt es darauf an, daß die Bindung der öffentlichen Gewalt an Gesetz und Verfassung nicht durch, sei es auch wirksame, Bonus-Malus-Regelungen der Versicherungswirtschaft verdrängt werden.68 Im juristischen Kalkül kommt eine staatliche Versicherung nicht lediglich als Effizienzfaktor, sondern auch als mögliche Beeinträchtigung für den Bürger in Betracht.69 Nur Kommunalbehörden („collectivités locales“) dürfen sich in Frankreich wie ein privater Versicherungsnehmer vor allem im Bereich fiskalischen Handelns versichern. Sie schließen neben Haftpflichtversicherungen sogar Ver65 Howarth, Rezension von P. S. Atiyah, The Damages Lottery, in: The Times Literary Supplement, 5. Juni 1998, zitiert nach Markesinis u. a. 1999, S. 85. 66 Das ist genau die Feststellung des Landesrechnungshofes von NRW im Falle der Selbstversicherung der medizinischen Einrichtungen der Hochschulen gewesen, da die Versicherungsprämien in die Bemessung der Pflegesätze einbezogen werden könnten. Darauf hin schlossen die landeseigenen Universitätskliniken in NRW (1990) Betriebshaftpflichtversicherungen ab. Uhlenbruck in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., 1999, § 22 Fn. 11; Hanau, Haftungssystem und Haftpflichtversicherung der Medizinischen Einrichtungen der Universitäten und ihrer Mitarbeiter im stationären Bereich, MedR 1992, 18. 67 Vgl. Geck, Diskussionsbeitrag, in: Mosler (Hrsg.), Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe. Länderberichte und Rechtsvergleichung, 1967, S. 855. 68 Einseitig insofern die Aussage bei Markesinis u. a. 1999, S. 85: „Where public bodies carry third party insurance, we would expect insurance companies to monitor their internal processes for assessing and managing risk, in this way contributing to improved effectiveness in the delivery of public services“. 69 Vgl. Alstyne, Diskussionsbeitrag, in: Mosler, Hermann (Hrsg.), Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe. Länderberichte und Rechtsvergleichung, 1967, S. 857.

B. Effiziente Ressourcenallokation

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sicherungen gegen Verwaltungsfehler („erreurs administratives“) ab.70 Der Staat ist demgegenüber „son propre assureur“. Ihn trifft etwa keine Pflicht, eine KfzVersicherung abzuschließen.71 Dem entspricht im deutschen Recht eine Tradition der öffentlichen Haushalte, nach der sich die großen Gebietskörperschaften wie der Bund, die Länder und zahlreiche Großstädte nicht versichern müssen. Die Spannung zwischen diagnostischer und normativer Funktion der Institutionenökonomik gegenüber dem Staatshaftungsrecht wird ferner deutlich, wenn man die Rechtsprechung des House of Lords heranzieht, die auf diesen Ansatz bei der Anwendung des „tort of negligence“ auf Unterlassungen der öffentlichen Gewalt eingegangen ist. Abstrakt gesehen mag zwar zutreffen, daß das Haftungsrecht durch die Statuierung einer Unterlassenshaftung alle Aktivitäten sanktioniert, die es mit zusätzlichen Handlungs-, Sicherungs- oder Schutzpflichten und somit mit Haftungsrisiken belastet. Denn die Auferlegung von Handlungspflichten, wenn keine Wechselseitigkeit der Vorteile zwischen Unterlassendem und Geschädigtem vorliegt, führt in der Regel einen „Mangel“ an solchen Aktivitäten herbei. Zunächst kann dieser Gedanke schon auf privatrechtliche Abhängigkeits- bzw. Interdependenzverhältnisse nicht angewandt werden. Denn „liability rarely arises between strangers“.72 Ferner scheitert die Anwendung dieses Grundsatzes auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse daran, daß die Verwaltung unter einer Handlungspflicht steht, die vor der Entstehung des Verhältnisses zwischen ihr und dem geschädigten Bürger besteht und auf ihre Befugnisse zurückzuführen ist. Eine Handlungspflicht kann hier nicht „de novo“ auferlegt werden. Ebensowenig kann im Falle der Unterlassenshaftung der Verwaltung behauptet werden, die Haftung würde eine Reduzierung der Verwaltungstätigkeit und somit einen „Mangel“ an erwünschten administrativen Aktivitäten zur Folge haben.73 Administrative Handlungs- und Sicherungspflichten gehören geradezu zur Erfüllung der einschlägigen öffentlichen Aufgabe. Die Verwaltung wird übrigens mit den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ressourcen prinzipiell von vornherein ausgestattet.74 Das bedeutet, daß die Inanspruchnahme von Ressourcen nicht in derselben Weise wie bei der Erfüllung einer Handlungspflicht, die einem Privaten auferlegt wird, begründungsbedürftig ist. Und es 70 Antoine/Landel, Responsabilités et assurances des collectivités locales, Précis pratique, 1985, S. 66 ff., 141. 71 Art. 3 Gesetz vom 27.02.1958: „L’État étant par principe son propre assureur, l’obligation d’assurance ne s’applique pas“. 72 Markesinis u. a., Tortious Liability of Statutory Bodies: A Comparative and Economic Analysis of Five English Cases, 1999, S. 77. 73 Markesinis u. a. 1999, S. 78. 74 Stovin v. Wise (H.L. (E.)) [1996] A.C. per Lord Hoffmann: „The argument is that while it may be unreasonable to expect a private landowner to spend money for the benefit of strangers who have the right to cross his land, the very purpose of the existence of a public authority like the council (highway authority) is to spend its resources on making the roads convenient and safe.“

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

muß – anders als bei Privaten75 – nicht geprüft werden, ob die Behörde konkret genug Mittel zum Handeln hat, bevor man ihr eine Handlungspflicht auferlegt. Der schadensersatzrechtliche Aspekt betrifft bei behördlicher Unterlassenshaftung die Frage, ob für die Verletzung der öffentlich-rechtlich auferlegten Sicherungs- und Handlungspflicht Schadensersatz gewährt werden soll, nicht jedoch ob das „tort law“ unabhängig von gesetzlichen Befugnissen und Pflichten der Behörde eine Sicherungs- und Handlungspflicht erst statuiert. Die haftungsrechtliche Frage, die anhand der Prüfung einer „duty of care“ gestellt wird, geht dahin, ob die Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Handlungspflicht gleichzeitig Mißachtung einer Sorgfaltspflicht bedeutet.76

C. Historizität und Pluralität der Funktionen von Staatshaftung Staatshaftungsrechtliche Funktionen sind nicht ontologisch vorgegeben, sondern sie stehen im Zusammenhang mit der Differenzierung der Gesellschaft. Das kann man am Verhältnis der Haftung der öffentlichen Gewalt zur Abwehrfunktion der Grundrechte, an der Funktion von Geldentschädigung und am Eigentumsschutz sehen. Die Überlegungen zum Verhältnis von austeilenden und austeilenden Gerechtigkeit machen schon deutlich, daß die Funktion des Staatshaftungsrechts allein aus seinem ausgleichenden Aspekt nicht abgeleitet werden kann. Ebensowenig kann aus der Abwehrfunktion der Grundrechte eine Haftungsfunktion abgeleitet werden. Die Grundrechte sind gleichzeitig subjektive Rechte und Institutionen der sozialen Differenzierung, die den verschiedensten Tendenzen zur sozialen Entdifferenzierung durch Politisierung einen Riegel vorschieben. Die funktionale soziale Differenzierung kann aber für sich noch keine Haftungsfunktion der Grundrechte begründen. Das Gegenteil ist der Fall: Da sie die Politisierung von sozialen Bereichen zurückdrängt, wehrt sie prinzipiell auch staatliche Geldersatzleistungen ab, soweit diese durch eine Erhöhung staatlicher Einflußnahme entdifferenzierend wirken. Der ausgleichenden Gerechtigkeit zufolge ist jeder Wiedergutmachungsanspruch das Heilmittel für die Folgen eines rechtswidrigen Hoheitsakts, die mit Hilfe des Abwehrrechts nicht verhindert werden können. Der Eindämmung von unerwünschten Politisierungs75

Goldman v. Hargrave [1967] 1 A.C. 645, 663. Dies wird von Lord Nicholls of Birkenhead in seinem abweichenden Votum deutlich hervorgehoben: „(I)f there were a common law obligation in the present case, sounding in damages, the extent of the obligation would march hand in hand with the authority’s public law obligations (. . .) The council’s public law obligation was to act as a reasonable authority (. . .) The common law duty would impose, not a duty to act differently, but a liability to pay damages if the council failed to act as it should (. . .) What is in point, in effect though not in legal form, is an obligation to pay damages for breach of public law obligations“. Stovin v. Wise, 923, 936. 76

C. Historizität und Pluralität der Funktionen von Staatshaftung

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effekten muß auf der Ebene der Tatbestandsausgestaltung Rechnung getragen werden. Die Haftung der öffentlichen Gewalt dient zwar dem Rechtsschutz, da Rechtsverletzungen nicht ohne Entschädigung bleiben. Ihre besondere Leistung liegt aber darin, Staat und Bürger in den Stand zu setzen, trotz hoher Interdependenz aller Handlungen in der Gesellschaft unabhängig voneinander zu handeln und zu planen, da Spannungen und Kollisionen nachträglich durch Kompensation entschärft werden können.77 Darüber hinaus können Entschädigungen dafür eingesetzt werden, um den Widerstand und die Beteiligung von Betroffenen am Planungsverfahren einzugrenzen.78 Als Reaktion auf diesen Sachverhalt, soll der Vorrang des Primärrechtsschutzes zweierlei leisten. Er soll zum einen in den Vordergrund stellen, daß die Voraussetzungen der Staatshaftung für rechtswidrige Schadensverursachung an primäre Entscheidungsprogramme anknüpfen, die die Rechtmäßigkeit des Staatshandelns beurteilen. Er soll zum anderen die Staatshaftung bei Rechtswidrigkeit durch die besondere Bestimmung des Verhältnisses des Haftungsrechts zum gerichtlichen Primärrechtsschutz eingrenzen. Dies entspricht der heutigen deutschen Rechtslage. Wählte man aber diese Funktionsbestimmung als Ausgangspunkt, legte man der Rechtsvergleichung Steine in den Weg. Man würde hinsichtlich Rechtswidrigkeit, Hoheitlichkeit und Rechtsverletzung im deutschen, englischen und französischen Recht von vornherein Konsens unterstellen, die Wertungen von Art. 19 Abs. 4 GG sowie von § 42 Abs. 2 VwGO in das englische und französische Recht hineinlesen und schließlich stillschweigend annehmen, daß Aufhebungs- und Haftungsrecht zwingend identische Anknüpfungspunkte wählen müßten. Was Eigentum angeht, es konditioniert nicht nur Erwerb, Gebrauch und Zugang zum Rechtsschutz, es bedingt und koordiniert darüber hinaus das Entscheidungsverhalten von Nichteigentümern und Gesetzgeber. Die Tatsache, daß der Zugriff des Eigentümers auf knappe Güter von Nichteigentümern toleriert wird, obwohl diese dieselben Bedürfnisse wie der Eigentümer haben, macht deutlich, daß Eigentum eine „Entscheidungsstruktur der Gesellschaft“79 ist. Das erklärungsbedürftige Phänomen ist zunächst nicht die Verfügungsmacht des Eigentümers, sondern das Stillhalten der Nichteigentümer, die nur über Arbeit oder Geld ans Eigentum kommen können. Die Rolle der generellen Enthaltungspflicht in rem wird daran deutlich, daß die Einführung neuer Formen von Eigentum ohne Bestimmung von Enthaltungspflichten seitens der Nichteigentümer nicht erfolgen kann.80 Die Frage danach, ob ein Kläger eine behauptete 77

Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, 1965. Siehe hierzu die Kritik von McAuslan, The Ideologies of Planning Law, 1980, S. 106–117 an dem britischen Land Compensation Act 1973. 79 So der Aufsatztitel von Podlech, Eigentum – Entscheidungsstruktur der Gesellschaft, Der Staat 1976, 31–52. 80 Hierzu Penner 1997, S. 73 f. 78

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1. Teil: Gründe (ratio) für die Haftung der öffentlichen Gewalt

Eigentumsverletzung mit Grund geltend macht, läuft auf die Prüfung der Frage hinaus, ob den Schädiger des angeblichen Eigentums eine Enthaltungspflicht trifft. Im common law, wo der Eigentumsschutz deliktsrechtlich konzipiert ist („law of wrongs, both civil and criminal“) ist die Konstruktion von Eigentum aus der Perspektive der sich enthaltenden Dritten evident. Die negative Eigentumsfreiheit versteht sich als Abwesenheit von verfügungsbeschränkenden Normen. An die positive Eigentumsfreiheit, die auf das Handeln des Eigentümers abstellt, konnte auch der Korpus von Normen angeknüpft werden, die in der philosophischen Tradition (z. B. Kant und Hegel) qualitative Ansprüche an das soziale Handeln stellten81, wie z. B. der kategorische Imperativ. Unter diesem Aspekt wirkt die positive Freiheit wie jedes soziale Handeln auch selbstverpflichtend. Eigentumsbindungen sind in dieser Tradition Verpflichtungen des Eigentümers gegenüber sich selbst und der Gesellschaft, sie sind keine von außen gesetzte Beschränkungen. Geht man hingegen von den mangelnden Verfügungsbeschränkungen, also von der negativen Freiheit aus, dann stellt sich Eigentumsbindung als Regelung und (aus der Sicht des Eigentümers) als externe Vermittlung von Nutzungskonflikten dar. Nutzungsregelungen müssen demnach nicht zu Maxime des Handelns des Eigentümers werden, sie müssen keinen ethischen Wert besitzen, sie schränken lediglich Handlungs- und Verwendungsalternativen ein. Insofern kann die Vermittlung von Nutzungskonflikten in dieser Sicht einer staatlichen Instanz oder aber auch den Marktprozessen selbst überlassen werden, und zwar mit der Begründung, der marktliche Austausch fasse staatliche Nutzungsbeschränkungen als störendes Element auf. Seit Verabschiedung des Naturrechts ist klar, daß der Gesetzgeber den Inhalt des Eigentums zu bestimmen hat. Er bestimmt auf diese Weise zugleich die jeweiligen Grenzen der Eigentumsunfähigkeit mit Rücksicht auf die politischen und sozialen Verhältnisse seiner Zeit. Funktionen unterliegen schließlich historisch bedingten Änderungen. Die Staatshaftungsjudikatur des EuGH ist in einer Entwicklungsphase des Unionsrechts entstanden, als ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat nur zu einem Feststellungsurteil führen konnte. Bei Außerachtlassung dieses Urteils konnte die Kommission ihre Zuflucht zu einem zweiten Verstoßverfahren nehmen, das ebenfalls mit einem Feststellungsverfahren endete. Die Mitgliedstaatshaftung diente gerade nicht dazu, „eigensinnig-rationales Handeln“ der Mitgliedstaaten „trotz starker Interdependenz aller Handlungssysteme“82 zu ermöglichen. Vielmehr wird sie zur Durchsetzung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts instrumentalisiert, indem sie eben die nationale Hand81 Unter dieser Prämisse läßt sich die „Frage nach dem Staat“ sowie die nach der Lösung der Spannung zwischen sozialem Funktionsschutz und Individualrechtsschutz nicht lediglich mit Hilfe monofunktionalen Kategorien stellen: Pauly, Hegel und die Frage nach dem Staat, Der Staat 2000, 381, 385. 82 So Luhmann 1965, S. 28 für das nationale Staatshaftungsrecht.

C. Historizität und Pluralität der Funktionen von Staatshaftung

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lungsrationalität bindet. Mit dem Europäischen Unionsvertrag 1992 sind allerdings die Enstehungsbedingungen dieser Funktion entfallen. Denn nun besteht die Möglichkeit, daß der EuGH gegen den betreffenden Mitgliedstaat die Zahlung eines Pauschalbetrags oder eines als Beugemittel dienenden Zwangsgeldes verhängt. Einerlei, wie man Funktionen bestimmt, sind Funktionsbestimmungen nicht schon haftungsrechtliche Anspruchsgrundlage. Denn, während die Funktion von Funktion in der Vergleichbarkeit von ontologisch Heterogenem und in dem Hinweis auf eine Palette funktionaler Äquivalente liegt, besteht die Funktion von Anspruchsgrundlagen geradezu in der normativen Eingrenzung von Alternativen. Dieser Unterschied macht sich bis in die Begriffsbildung hinein bemerkbar.

Zweiter Teil

Rechtliche Rahmenbedingungen für eine Haftung der öffentlichen Gewalt in den untersuchten Rechtsordnungen Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung des Staatshaftungsrechts in den untersuchten Rechtsordnungen werden von der geltenden europäischen Rechtsordnung wesentlich bestimmt. Die Faktizität der Wirkung der überstaatlichen Rechtsprechung von EuGH und EGMR hat die Alternative von Monismus oder Dualismus bei der Öffnung nationaler Rechtsordnungen zum Völker- und Unionsrecht zum Gegenstand einer überholten Grundsatzdebatte gemacht.1 Innerstaatliche Gerichte und Verwaltungen müssen mit der Rechtsprechung dieser überstaatlichen Spruchkörper zunehmend auseinandersetzen und besonders argumentieren, wenn sie davon abweichen wollen. Zu den innerstaatlichen Rahmenbedingungen gehören neben den verfassungsrechtlichen Vorgaben die staatsorganisationsrechtlichen Anforderungen an das Haftungsrecht, die der Eigentümlichkeit der unterschiedlichen Erscheinungsformen der öffentlichen Gewalt und der von ihnen wahrgenommenen Funktionen Rechnung tragen. Schließlich ist die Trennung der Gerichtsbarkeiten und die über sie hinausgehende Trennung von privatem und öffentlichem Recht eine Rahmenbedingung, die für die historische Entwicklung und Durchsetzung der Normen sowie für die Prägung der dogmatischen Begrifflichkeit im Staatshaftungsrecht von Bedeutung ist.

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung der öffentlichen Gewalt Den unionsrechtlichen Grundsatz der Mitgliedstaatshaftung hat der EuGH aus der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts, dem Prinzip des Schutzes der unionsrechtlich begründeten Rechte, aus seiner eigenen Rechtsprechung zur Unionshaftung (Art. 288 Abs. 2 EGV) und aus Art. 10 Abs. 1 EGV abgeleitet. Die Voraussetzungen haftungsrechtlicher Berufbarkeit des Unionsrechts in wirksamen, vergleichbaren und gleichwertigen Verfahren setzen die innerstaatliche 1 Uerpmann, Völker- und Europarecht im innerstaatlichen Recht – Ein Kommentar aus deutscher Sicht, in: Grewe, Constance/Gusy, Christoph (Hrsg.), Französisches Staatsdenken, 2002, S. 196 ff., 201, 208 ff.

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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Tatbestandsausgestaltung einem einheitlichen Einfluß aus, auf den die nationalen Rechtsordnungen in verschiedener Weise reagieren.

I. Haftungsrechtliche Berufbarkeit des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten Der „gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch“ stellt neben der Ersetzungs- und der (vorbeugenden) Ausschlußberufbarkeit2 eine Möglichkeit dar, sich innerstaatlich auf Unionsrecht zu berufen. Er stellt eine besondere Stufe von Justitiabilität dar. Die den Mitgliedstaat treffende Entschädigungspflicht stellt einen tragenden Grundsatz des Unionsrechts dar, ebenso wie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts oder der unmittelbaren Wirkung. Mehr noch, er ist die notwendige Weiterführung des allgemeinen Grundsatzes eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes oder des Rechts auf Gerichtszugang dar. Diese haftungsrechtliche Berufbarkeit ist von dem materiellen Individualrecht abzuschichten, das von der verletzten Unionsnorm verliehen wird, ohne jedoch stets direkt definiert3 sein zu müssen, solange es hinreichend bestimmt ist. Begründungserwägungen von Richtlinien haben beschränkte Subjektivierungswirkung. Um Rechte einzelner zu begründen, bedarf es einer Bestimmung im verfügenden Teil einer Richtlinie.4 Unter diesem Vorbehalt reicht dem Gerichtshof als Subjektivierungsmaßstab die Bestimmung der Personenkategorie (z. B. Arbeitnehmer) oder personenbezogener Rechtsgüter (z. B. Gesundheit) aus. Die haftungsrechtliche Berufbarkeit hängt nicht mit der Direktwirkung der verletzten Unionsnorm zusammen. Die fehlende (horizontale) unmittelbare Wirkung hindert nicht an der Erhebung der Mitgliedstaatshaftungsklage.5 Umgekehrt 2 Diese Spielarten von „invocabilité“ werden vom Generalanwalt Philippe Léger in seinen Schlußanträgen zu EuGH, Rs. C-287/98, Linster, 2000, Slg. I-6917, I-6920 ff. herangezogen. Zum Vorbeugungscharakter s. EuGH, C-129/96, Inter-Environnement Wallonie ASBL/Région Wallone, Slg. 1997, I-7411, Rn. 47. s. ferner Danwitz, DÖV 1996, 481, 483. Zur Problematik der Natur des gemeinschaftsrechtlichen subjektivöffentlichen Rechts gibt es mittlerweile umfangreiche Literatur, s. nur Masing, 1997, S. 41 f.; Eilmansberger 1997, S. 200 ff., der auf den Schutzzweckgedanken als Subjektivierungskriterium im Europarecht abstellt; Triantafyllou, DÖV 1997, 192, 195 ff.; Ruffert 1996, S. 220 ff.; ders., DVBl. 1998, 69, 73; v. Danwitz 1996, S. 230 ff.; Schoißwohl 2002, 237 ff. Mit Blick auf die unmittelbare Wirkung s. nur Calliess, NVwZ 1996, 339, 340 f.; Epiney, ZUR 1996, 229, 233; Schmitz, ZUR 1996, 12, 13, 15; Gellermann, DÖV 1996, 433, 436. Rechtsvergleichend instruktiv Ruffert, CMLR 1997, 307, 310 ff. s. auch die Hinweise in ders. in: Callies/ders. (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 249, Rn. 35. 3 EuGH, Verb. Rs. C-178, 179 u. 188–190/94, Dillenkofer/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1996, I-4845, Rn. 35 f. 4 Hierzu die Schlußanträge von GA Christine Stix-Hackl vom 25.11.2003 zur BGH-Vorlage in EuGH, Rs. C-222/02, Peter Paul u. a./Bundesrepublik Deutschland, Rn. 121–134 (bankenaufsichtsrechtliche Richtlinien).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

schließt das Vorhandensein unmittelbarer Wirkung die Haftungsklage nicht aus. Ganz im Gegenteil stelle der Haftungsanspruch eine notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts dar.6 Nach der Judikatur des EuGH ist der Verstoß gegen eine Rechtsnorm die bezweckt, dem Bürger Rechte zu verleihen, die erste Haftungsvoraussetzung. Die zweite Voraussetzung ist das Erfordernis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes, der seit der Brasserie-Entscheidung von der Judikatur zur Unionshaftung übernommen worden ist. Der EuGH berücksichtigt dieses Erfordernis nur dann, wenn das Unionsrecht den Mitgliedstaaten Einschätzungs- und Gestaltungsspielräume einräumt. Ein Verstoß, der nach einem Urteil des EuGH, in dem er festgestellt wird, fortbesteht oder sich eindeutig aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt, ist stets hinreichend qualifiziert.7 Die bloße Verletzung der Pflicht zur Richtlinienumsetzung erfüllt bereits das Erfordernis des qualifizierten Pflichtverstoßes, denn die Umsetzungspflicht ist eine gebundene, die den Mitgliedstaaten kein Ermessen zugesteht.8 Dasselbe gilt, wenn die Mitgliedstaaten die Implementationszuständigkeit der Kommission nicht beachten.9 Darüber hinaus findet die Voraussetzung des qualifizierten Verstoßes bei Klagen des primärrechtsschutzes keine Entsprechung. Nationale Maßnahmen zur Durchführung einer Richtlinie können somit vom nationalen Richter als unionsrechtswidrig beurteilt werden, ohne daß ein qualifizierter Verstoß des nationalen Normgebers in Rechnung zu stellen wäre. Aus haftungsrechtlicher Sicht kommt es hingegen darauf an, ob der Mitgliedstaat in einem Bereich normativ tätig wird, in dem ihm ein erheblicher Gestaltungsspielraum zusteht. In diesem Fall kommt eine Haftung nur bei hinreichend qualifizierter Pflichtverletzung in Betracht, wobei unter anderem die Klarheit und Genauigkeit der verletzten Pflicht entscheidend ist. Dieser Unterschied wirkt sich auf den gerichtlichen Prüfungsumfang aus. So konnte etwa die Berücksichtigung eines Gestaltungsspielraums in der Rechtssache „British Telecommunications“ bei der Prüfung der Frage, ob der britische Normgeber eine Richtlinie falsch auslegt hatte,10 die gerichtliche Kontrolldichte nicht einschränken. Bei der Prüfung der Frage hingegen, ob ein Mitgliedstaat, der eine Richtlinie in sein innerstaatliches Recht falsch umgesetzt hat, aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, den Betroffenen den ihnen durch diesen Fehler 5 EuGH, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Rn. 20; Rs. C-97/96, Verband Deutscher Daihatsu Händler, Slg. 1997, I-6843, Rn. 24 f. 6 EuGH, Rs. C-46/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1143, Rn. 19 ff., 21, 22. 7 EuGH, Rs. C-118/00, Gervais Larsy/Inasti, 28.6.2001, Rn. 38 ff. 8 EuGH, verb. Rs. C-6 u. 9/90, Francovich u. Bonifaci/Italien, Slg. 1991, I-5357; EuGH, Verb. Rs. C-178, 179 u. 188–190/94, Dillenkofer/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1996, I-4845. 9 EuGH, Rs. C-5/94, The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Hedley Lomas (Ireland) Ltd, Slg. 1996, I-2553, Rn. 14 ff. 10 EuGH, Rs. C-392/93, The Queen/H. M. Treasury, ex parte British Telecommunications plc. Slg. 1996, I-1631, Rn. 23–29.

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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entstandenen Schaden zu ersetzen, weist der EuGH auf die schon in „Brasserie“11 herausgearbeitete haftungsrechtliche Relevanz der Gestaltungsspielräume des Mitgliedstaates hin.12 Auch in „Denkavit“ wird auf Primärebene eine fehlerhafte Richtlinienumsetzung objektiv festgestellt.13 Dennoch könne diese Fehlumsetzung keinen qualifizierten Verstoß darstellen, denn „nahezu alle Mitgliedstaaten“ hätten die gleiche Auslegung wie der beklagte Mitgliedstaat zugrunde gelegt und die vorliegende Rechtssache sei die erste zur Auslegung der streitigen Richtlinie.14 Nun hatten diese Gesichtspunkte bei der Feststellung der Fehlumsetzung, also bei der Heranziehung eines primärrechtlichen Rechtswidrigkeitsmaßstabs keine Rolle gespielt. Das Tatbestandsmerkmal des qualifizierten Pflichtverstoßes dient dazu, das Verhältnis des mitgliedstaatlichen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums zum haftungsrechtlichen Individualrechtsschutz ad hoc zu regeln. Zwischen dem Unionsrechtsverstoß des Mitgliedstaates und dem Schaden muß – und das ist die dritte Haftungsvoraussetzung – ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen15. Das Merkmal des unmittelbaren Kausalzusammenhangs ist im Sinne der deutschen Adäquanzlehre zu verstehen. Der EuGH sieht darin das Erfordernis der objektiven Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts und weist dessen Prüfung den nationalen Gerichten zu.16 Es kann an den Schutzzweck der verletzten Norm angeknüpft werden. Was den Eintritt außergewöhnlicher oder unvorhersehbarer Ereignisse angeht, so können sie die Kausalkette nicht unterbrechen, solange die verletzte Erfolgspflicht die Geschädigten geradezu gegen derartige Risiken schützen wollte. Ferner ist Kausalität von Mitverschulden zu trennen. Wenn ein unmittelbarer Kausalzusammenhang nachgewiesen ist, kann die Haftung des Mitgliedstaates wegen Richtlinienverstoßes nicht durch fahrlässiges Verhalten ausgeschlossen werden.17 Der dem Mitgliedstaat bei der Umsetzung von Richtlinien belassene Spielraum schließt die Kausalität nicht aus.18 Der EuGH19 kann den unmittelbaren Kausalzusammenhang verneinen, wenn die innerstaatlichen Behörden unmittelbar die einschlägigen 11 EuGH, Rs. C-46/93, Brasserie du Pêcheur u. Factortame, Slg. 1996, I-1143, Rn. 45. 12 EuGH, Rs. C-392/93, The Queen/H. M. Treasury, ex parte British Telecommunications plc. Slg. 1996, I-1631, Rn. 40. 13 EuGH, verb. Rs. C-283/94, C-291–292/94, Denkavit Internationaal BV u. a./Bundesamt für Finanzen, Slg. 1996, I-5063, Rn. 18–36. 14 Ebd. Rn. 51–53. 15 EuGH, Brasserie, Rn. 51; EuGH, Dillenkofer, Rn. 21. 16 EuGH, Brasserie, Rn. 65. 17 EuGH, Rs. C-140/97, Rechberger und Greindl/Republik Österreich, Slg. 1999, I3499, Rn. 74–77. 18 EuGH, Francovich, Rn. 42; EuGH, Brasserie, Rn. 67. 19 EuGH, Rs. C-319/96, Brinkmann Tabakfabriken GmbH/Skatteministeriet, Slg. 1998, I-5255, Rn. 28–29 unter Hinweis auf EuGH, Dillenkofer, Rn. 29.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

Vorschriften einer nicht umgesetzten Richtlinie bereits zur Anwendung gebracht haben.20 Dem EuGH geht hier nicht um „Kausalitätstheorie“, sondern darum, ob Sinn und Zweck von Richtlinienrecht in die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt werden. Trotz der Aussage in „Brasserie“, die Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft solle bei der Mitgliedstaatshaftung herangezogen werden,21 sind zumindest in puncto „Kausalität“ noch keine Prinzipien von dieser Rechtsprechung übernommen worden.

II. Berufbarkeit in wirksamen, vergleichbaren und gleichwertigen Verfahren Die Suche des Unionsrichters nach einem Gleichgewicht zwischen der nationalen Verfahrensautonomie und dem Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts, der den wirksamen Schutz unionsrechtlich verliehener Rechte fordert, betrifft auch die haftungsrechtliche Berufbarkeit des Unionsrechts. Der effektive Individualrechtschutz gebietet den Urteilen „Johnston“ und „Heylens“ des EuGH zufolge (in Anlehnung an Art. 6 und 13 EMRK) eine Klagemöglichkeit gegen jeden unionsrechtswidrigen belastenden mitgliedstaatlichen Akt.22 Nach anfänglicher23 Betonung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten stellte der EuGH das Effektivitätserfordernis in den Vordergrund24 und verlangte zumindest die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme.25 Nun 20

EuGH, Brinkmann, Rn. 29. Gerven, Taking Article 215 (2) EC Seriously, in: Beatson, Jack/Tridimas, Takis (eds.), New Directions in European Public Law, 1998, S. 35 ff. 22 EuGH, Rs. 222/84, Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, Slg. 1986, 1651; Rs. C-222/86, UNECTEF/Heylens, Slg. 1987, 4097 und ferner EuGH, verb. Rs. C-65/95 und C-111/95 Shingara und Radiom, Slg. 1997, I-3343, Rn. 28–30. Zu einer systematischen Ausarbeitung der Implikationen des Rechts auf gerichtlichen Zugang s. das Sammelwerk Rideau, Joël (éd.), Le droit au juge dans l’Union Européenne, 1998 sowie die Beiträge zum Thema „Le droit au juge indépendant et impartial en matière administrative“ in AJDA 2001, 514. Zum „Johnston-right of access to effective judicial review“ s. nur Ward, Judicial Review and the Rights of Private Parties in EC Law, 2000, S. 70 ff. Vgl. ferner die Rechtsschutzgarantien in der RL des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (86/665/EWG). 23 EuGH, 33/76, Rewe-Zentralfinanz eG und Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976, 1989, Rn. 5; s. ferner EuGH, 45/76, Comet BV/ Produktschap voor Siergewassen, Slg. 1976, 2043, Rn. 11–18, 13. Für einen Systematisierungsvorschlag der Judikatur nach drei Phasen s. Tridimas, Enforcing Community Rights in National Courts: Some Recent Developments, in: David O’Keeffe/Antonio Bavasso (eds.), Judicial Review in European Union Law 2000, S. 464, 465 ff. 24 EuGH, Rs. 222/84, Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, Slg. 1986, 1651, Rn. 19 ff. Siehe auch Rs. C-120/97, Upjohn, Slg. 1999, I-223, Rn. 32. 25 EuGH, Rs. 222/86, Heylens, Slg. 1987, 4097; Rs. C-213/89, Factortame, Slg. 1990 I-2433, Rn. 21–23. 21

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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scheint er selektiv vorzugehen und eine Bewertung der den nationalen Verfahrensvorschriften zugrunde liegenden ratio vorzunehmen, wie z. B. den Schutz der Verteidigungsrechte, den Grundsatz der Rechtssicherheit und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens. Es dürfte für den EuGH ferner nicht ohne Bedeutung sein, daß nach der Rechtsprechung des EGMR die Frage, ob ein Verfahren den Anforderungen des Artikels 6 der EMRK entspreche, unter Berücksichtigung des Verfahrens in seiner Gesamtheit einschließlich der Rolle des Rechtsmittelgerichts zu beurteilen ist.26 So kann es darauf ankommen, ob die nationale Vorschrift lediglich eine Ausschlußfrist für eine Klage vorsieht oder der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts eines ganzen Systems (etwa des Sozialversicherungssystems) dient.27 Die Vorschrift muß ein dem von ihr verfolgten Zweck angemessenes Mittel darstellen28 und zugleich mit Blick auf unionsrechtliche Rechtsschutzziele verhältnismäßig sein. Das gilt etwa für unangemessene Vermutungswiderlegungsregeln.29 In „Petersbroek“ reichte somit der Beschleunigungszweck im bestimmten Kontext (Steuerrechtsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht) nicht aus, um die Präklusion der unionsrechtlichen Einwendungen des Klägers zu rechtfertigen. In „Van Schijndel“ wird hingegen festgestellt, daß die Dispositionsmaxime Ausdruck der von den meisten Mitgliedstaaten geteilten Auffassung vom Verhältnis zwischen Staat und Individuum ist,30 was natürlich die gleiche Beschränkung der Durchsetzung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten mit sich bringt. In Fällen, in denen es um die einheitliche Anwendung grundlegender unionsrechtlicher Bestimmungen geht, die (wie Art. 81 EGV) für die Erfüllung der Aufgaben der Union und insbeson26 So der Hinweis der Beklagten in EuGH, Rs. C-63/01, Samuel Sidney Evans/The Secretary of State for Environment, Transport and the Regions und The Motor Insurers’ Bureau, 4.12.2003, Rn. 42. 27 Siehe die Relativierung der Emmott-Formel (EuGH, Rs. C-208/90, Emmott, Slg. 1991, 4269, Rn. 21; zu den befürchteten Folgen dieser Rechtsprechung für die Bestandskraft nationaler Bescheide s. Lohse, Europäische Lücken in der Bestandskraft von Umsatzsteuer-Bescheiden?, UR 1993, 288) in der Folgerechtsprechung: EuGH, Rs. C-338/91, Steenhorst-Neerings/Bestuur van de Bedrijfvereiniging voor Detailhandel, Ambachten en Huisvrouwen, Slg. 1993 I-5475, Rn. 23. Siehe die Bestätigung in EuGH, Johnson, Slg. 1994, I-5483, Rn. 26; s. ferner EuGH, Rs. C-188/95, Fantask u. a./Industriministeriet, Slg. 1997 I-6783, Rn. 48, 50 ff. und Rs. C-78/98, Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a/Midland Bank plc., Slg. 2000 I-3201, Rn. 35. Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-246/96, Magorrian/Eastern Health and Social Services Board, Slg. 1997, I-7153, Rn. 42–44. 28 EuGH, Rs. C-312/93, Peterbroek/Belgischer Staat, Slg. 1995 I-4599, Rn. 14, 17– 19. 29 EuGH, Rs. C-343/96, Dilexport, Slg. 1999, I-579, Rn. 52 im Gegensatz zu Rn. 53. Siehe auch die Schlußanträge von GA L. A. Geelhoed vom 3.6.2003, in EuGH, Rs. C-129/00, Kommission/Italienische Republik, Rn. 96 mit Rechtsprechungsrückblick. 30 EuGH, Verb. Rs. C-430/93 und C-431/93, Jeroen van Schijndel und Johannes Nicolaas Cornelis van Veen/Stichting Pensioenfonds voor Fysiotherapeuten, Slg. 1995 I-4705, Rn. 19–21.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

dere für das Funktionieren des Binnenmarktes (Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen) unerläßlich sind,31 scheint sogar eine (entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften verdrängende) Pflicht zur Berücksichtigung der unionsrechtlichen Rechtslage von Amts wegen zu bestehen. Schließlich ist der Mißbrauch an sich zulässiger Vorschriften zur Vereitelung der Anwendung des Unionsrechts mit dem Effektivitätsgrundsatz offensichtlich unvereinbar.32 Die dem Diskriminierungsverbot immanente Frage, nach welchen Kriterien zu ermitteln sei, ob die Verfahrensmodalitäten bei der Durchsetzung von Unionsrecht weniger günstig sind als andere Verfahrensmodalitäten, die für gleichartige das innerstaatliche Recht betreffende Klagen gelten,33 muß auch im Rahmen der haftungsrechtlichen Berufbarkeit beantwortet werden. Das nationale Gericht hat sowohl den Gegenstand als auch die wesentlichen Merkmale und den Rechtsgrund34 der vergleichbaren Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, zu prüfen.35 Der Gleichwertigkeitsgrundsatz verpflichtet nicht dazu, die günstigste innerstaatliche Regelung auf alle Klagen zu erstrecken, die im einschlägigen Rechtsbereich nach nationalem Recht erhoben werden können.36 Ebensowenig dürfen die verschiedenen Aspekte der Verfahrensmodalitäten getrennt geprüft werden.37 Die nationalen Haftungsinstitute müssen an diesen Grundsätzen gemessen werden. So ist eine einjährige Ausschlußfrist, die ein Mitgliedstaat für die Erhebung einer Mitgliedstaatshaftungsklage vorschreibt, mit dem Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts vereinbar, „weil die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlußfristen ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist.“38 Der Effektivitätsgrundsatz verlangt ferner, daß die Wiedergutmachung angemessen und vollständig garantiert sein muß. Im Falle einer verspätet umgesetzten Richtlinie können demnach die Verspätungsnachteile durch die rückwirkende und vollständige Anwendung 31 EuGH, Rs. C-126/97, Eco Swiss China Time ltd/Benetton International NV, Slg. 1999, I-3055, Rn. 36, 40. Die Vorlagefrage des niederländischen Hoge Raad betraf Schiedsrichter, der EuGH stellte allerdings auf die für die Überprüfung der Wirksamkeit von Schiedssprüchen zuständigen staatlichen Gerichte ab. 32 EuGH, Rs. C-326/96, Levez/Jennings (Harlow Pools) Ltd, Slg. 1998, I-7835, Rn. 31–34. 33 Das ist die Frage, die das House of Lords dem EuGH in Rs. C-78/98, Preston u. a./Wolverhampton Healthcare NHS Trust Trust u. a. und Dorothy Fletcher u. a/Midland Bank plc., Slg. 2000 I-3201, Rn. 46 vorlegte. 34 EuGH, Preston, Rn. 57. 35 EuGH, Rs. C-326/96, Levez, Slg. 1998, I-7835, Rn. 39 und 43. 36 EuGH, Levez, Rn. 42. 37 EuGH, Preston, Rn. 62. 38 EuGH, Rs. C-261/95, Rosalba Palmisani/INPS, Slg. 1997, I-4025, Rn. 28 unter Hinweis auf EuGH, Rs. 33/76, Rewe-Zentralfinanz eG u. Rewe-Zentral AG/Landwirtschaftskammer für das Saarland (Äpfel), Slg. 1976, 1989, Rn. 5.

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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der Maßnahmen zur Durchführung einer Richtlinie nur insofern behoben werden39 als die Betroffenen nicht dartun, daß ihnen zusätzliche Einbußen durch die Verspätung entstanden sind.40 Für das Verhältnis der Mitgliedstaatshaftung zum Primärrechtsschutz bedeutet der Effektivitätsgrundsatz, daß Aufhebungsklagen nicht schon in abstracto den Vorrang genießen. Wenn der Primärrechtsschutz keinen wirksamen Rechtsschutz sicherstellen würde, kann die Unterlassung der Erhebung einer negatorischen Klage, die zu einem früheren Zeitpunkt auf eine Vorabentscheidungsvorlage hätte hinauslaufen können, die Haftungsklage gegen den Mitgliedstaat nicht ausschließen.41 Der Betroffene darf nicht vor die Alternative gestellt werden, entweder einen defizitären Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen oder die Abweisung seiner Erstattungs- bzw. Schadensersatzklagen und die Abkürzung seiner erhobenen Ansprüche hinnehmen zu müssen.42 Der effektive Schutz von Unionsrechten durch nationale Gerichte kann nur bedingt am rein nationalen Modell des Rechtsschutzes orientiert werden. Der Haftungsanspruch gegen den Mitgliedstaat muß mit Hilfe des jeweiligen nationalen Haftungsinstituts durchgesetzt werden, das allerdings den Anforderungen eines Anspruchs auf Zugang zum Gericht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprechen muß. Das Institut, das den Zugangsanspruch verwirklicht, wird im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten nach innerstaatlichen Kriterien bestimmt. Der Versuch, einen Teil der nationalen Abweichungen mit Hilfe der Differenz von „constitutive remedial rules“ und „executive remedial rules“ zu überbrücken43, postuliert ein nicht vorhandenes einheitliches Verständnis der Trennung von Prozeß- und Verfahrensrecht einerseits und materiellem Recht andererseits. Es wird demnach pragmatisch dabei bleiben, daß bestimmte Elemente, die in der Rechtsprechung des EuGH bestimmt worden sind, wie z. B. die Haftungsbedingungen der hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung oder das Erfordernis der Rechtsverleihung, unionseinheitlich anzuwenden sind. Andere Elemente, die – wie das Kausalverhältnis oder der Schaden – auf unionsrechtlicher Ebene noch nicht hinreichend bestimmt worden sind, werden mit Hilfe von Effektivitäts- und Gleichwertigkeitsgebot vereinheitlicht werden müssen.44 Die Mitgliedstaaten haben die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben. Dieser Rahmen umfaßt z. B. 39 EuGH, verb. Rs. C-94/95 und C-95/95 Bonifaci u. a. und Berto u. a., Slg. 1997, I-3969. 40 EuGH, Rs. C-261/95, Rosalba Palmisani/INPS, Slg. 1997, I-4025, Rn. 35; Rs. C131/97, Annalisa Carbonari/Università degli Studi di Bologna u. a., Slg. 1999, I-1103, Rn. 53. 41 EuGH, verb. Rs. C-397/98 und C-410/98, Metallgesellschaft Ltd und andere, Hoechst AG und Hoechst (UK) Ltd/Commissioners of Inland Revenue und HM Attorney General, Slg. 2001, I-1727, Rn. 99, 104–105. 42 Ebd. Rn. 106. 43 Gerven, Of Rights, Remedies and Procedures, CMLR 2000, 501, 529 ff.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

auch eine Entschädigung in Form von Zinsen wegen des durch die entgangene Nutzung eines Geldbetrags entstandenen Liquiditätsnachteils. 45 Es wird aber aus der Sicht des EuGH nach der Rechtsprechung zum Effektivitätsgebot auch darauf ankommen müssen, ob ein Verfahrenserfordernis „als völlig normale Verfahrensweise bei vielen Gerichten“46 erscheint oder ob es dem Betroffenen einen nicht angemessenen Wettbewerbsnachteil mit Blick auf Betroffene in ähnlicher Lage, die ähnlichen Rechtsschutz in anderen Mitgliedstaaten begehren, zufügt. Die Mitgliedstaaten haften für jede Form öffentlicher Gewalt; diese Haftpflicht ergibt sich sowohl aus dem Vertrag (Artikel 10 und 249 Absätze 2 und 3 EG) als auch aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH, wonach Schäden ersetzt werden müssen, gleichgültig, welches Staatsorgan diesen Verstoß begangen hat. Der EuGH geht vom völkerrechtlichen Grundsatz der Einheit47 des Staates aus. Der Rechtsschutz kann nicht unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Stelle, die den Schaden verursacht hat, eine richterliche, legislative oder administrative Funktion erfüllt, vorbehaltlich bestimmter Anpassungen, die an ihre spezielle Funktion anknüpfen. So kann die Besonderheit der jeweiligen Funktion zwar die Schaffung einer besonderen Haftungsregelung, keinesfalls aber a priori einen Ausschluß des Grundsatzes der Haftung des Mitgliedstaates rechtfertigen. Der Schutz der Rechtskraft ist etwa nach dem EuGH in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR kein prinzipielles Haftungshindernis.48 Die Voraussetzung der hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung wird vom EuGH nicht nur dazu benutzt, Gestaltungsspielräumen der Staatsorgane, sondern auch den Besonderheiten der jeweiligen Staatsfunktion Rechnung zu tragen. Höchstgerichte sind z. B. (anders als der Gesetzgeber oder die Verwaltung) nicht ohne weiteres in der Lage, vom Verhalten der Kommission Kenntnis zu erlangen, die einschlägige Rechtsprechung des Unionsrichters müssen sie je44 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Rn. 30. Siehe ferner Schlußanträge des GA Philippe Léger vom 15. März 2001 in EuGH, Rs. C118/00, Rn. 54. 45 Siehe Rn. 53 der Schlußanträge von GA Nial Fennelly in EuGH, verb. Rs. C397/98 u. C-410/98, Slg. 2001, I-1727. 46 Schlußanträge von GA Francis G. Jacobs vom 11.6.2002, in EuGH, Rs. C-112/ 00, Firma Eugen Schmidberger Internationale Transporte und Planzüge/Republik Österreich, Rn. 43. 47 Hierzu zusammenfassend Schlußanträge von GA Philippe Léger vom 25.9.2003, in EuGH, Rs. C-344/01, Bundesrepublik Deutschland/Kommission, Rn. 44–50, der von einem „tiefgreifenden Wandel in der Rechtsprechung“ des EuGH in Richtung der Beachtung des völkerrechtlichen Grundsatzes der staatlichen Einheit spricht (Rn. 44); vgl. auch die Schlußanträge von GA L. A. Geelhoed vom 3.6.2003, in EuGH, Rs. C129/00, Kommission/Italienische Republik, Rn. 55. 48 So die Schlußanträge des GA Philippe Léger vom 8.4.2003 in EuGH, C-224/01, Gerhardt Köbler/Republik Österreich, Rn. 70 und EuGH, Rs. C-224/03, Gerhardt Köbler/Republik Österreich, 30.9.2003, Rn. 39, 49.

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doch kennen. Solche Faktoren sind für die Bestimmung der Offenkundigkeit und Entschuldbarkeit des begangenen Rechtsfehlers (z. B. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 101 GG) maßgeblich.

III. Einwirkung des Unionsrechts auf die innerstaatliche Tatbestandsausgestaltung 1. Konstruktion der Mitgliedstaatshaftung als Haftung für administratives Unrecht Mit der Entwicklung der Mitgliedstaatshaftung geriet vor allem die französische Konzeption der Staatshaftung für Gesetzgebungsakte in Schwierigkeiten. Sie beruhen darauf, daß, während der EuGH von einer Mitgliedsstaatshaftung für Rechtswidrigkeit ausgeht, der französische Verwaltungsrichter nur eine Haftung des Gesetzgebers bei Rechtmäßigkeit annimmt.49 Entsprechend der Ablehnung der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit verkündeter Gesetze sah sich der Conseil d’Etat kompetenziell nicht in der Lage, die Kontrolle der Vereinbarkeit formeller Gesetze mit dem Unionsrecht vorzunehmen. Er entwickelte einerseits die „théorie de la loi écran“: Ein Verwaltungsakt, der auf der Anwendung eines unionsrechtswidrigen Gesetzes beruht, kann weder angegriffen noch als Grundlage für einen Staatshaftungsanspruch herangezogen werden, da dies auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Gesetzes hinauslaufen würde. Dann schiebt sich das unangreifbare Gesetz wie eine Wand zwischen den Verwaltungsakt und die vom Betroffenen geltend gemachte höherrangige Norm des Unionsrechts.50 Andererseits entwickelte der Conseil d’Etat die „acte-clair-doctrine“: Eine Vorlage an den EuGH ist nach dieser Theorie trotz des Art. 234 Abs. 3 EGV (ex Art. 177 Abs. 3) dann nicht erforderlich, wenn sich die Lösung einer auftretenden gemeinschaftsrechtlichen Frage eindeutig ergibt, wobei der Conseil d’Etat selbst über Klarheit und Vorlagebedürftigkeit entschied.51 Die Kehrtwendung erfolgte erst in der „Nicolo“-Entscheidung52 aus dem Jahre 1989. Der Conseil d’Etat hat unter formeller Gleichbehandlung von Uni-

49 Vgl. die Darstellung der Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung in Frankreich bei Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzungen: Anspruchsgrundlage und materielle Voraussetzungen, 2002, S. 165–173. 50 CE, 1.3.1968, Syndicat général des fabricants des semoules de France, Rec. 149; CE, 13.12.1985, Société international sales and import corporation, AJDA 1986, 174; CE, 27.4.1988, Société Bernard Carant et compagnie, Rec. 171. 51 Wolf, Die Staatshaftung der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik für Verstöße gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht (EGV), 1999, S. 249; Heim, Unmittelbare Wirkung von EG-Richlinien im deutschen und französischen Recht am Beispiel des Umweltrechts, 1999, S. 126 ff. 52 CE, 20.10.1989, Nicolo, Rec. 190.

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onsrecht und Völkerrecht (auf der Grundlage des Art. 55 FV) den generellen Vorrang des primären und sekundären Unionsrechts vor nationalen Parlamentsgesetzen anerkannt.53 Ferner wurde die ursprüngliche, auf einer restriktiven Wortlautinterpretation des Art. 249 Abs. 3 (ex Art. 189 Abs. 3) EGV beruhende Weigerung54 des Conseil d’Etat aufgegeben55, Richtlinien unmittelbare Wirkung entgegen nationalen individuellen Administrativakten zuzuerkennen. Allerdings handelt es sich hierbei immer noch nur um indirekte Wege („diverses voies indirectes“)56 der Berufung des Bürgers auf eine Richtlinie.57 Die „Philip Morris“-Entscheidung hat nunmehr den Begriff der Legalität derart ausgedehnt, daß er internationale und unionsrechtliche Normen umfaßt. Durch sie wurde eine Rechtswidrigkeitshaftung für national rechtmäßiges aber unionsrechtswidriges Verwaltungshandeln angenommen.58 Bis dahin reichte es aus, daß es von der Verwaltung vorgebracht wurde, sie habe aus Gründen des Allgemeininteresses – etwa der öffentlichen Sicherheit bei befürchteten Gewalttätigkeiten demonstrierender Weinbauern59 – gehandelt, um das Faktum der Anwendung eines gemeinschaftsrechtswidrigen Gesetzes zu umgehen und sogleich zur Haftung ohne „faute“ überzugehen. Dies war eine Konstellation, die dem französischen Recht in den Fällen der rechtmäßigen Vollstreckungsverweigerung seit 1923 bekannt ist.60 Wenn durch die Vollstreckung eines Urteils schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung drohen, darf die Verwaltung ihren Beistand versagen. In den Fällen, in denen die rechtmäßige Nicht-Ausführung eines Urteils dem Eigentümer die Geltendmachung seines Rechts unmöglich macht, vervollständigt die Entschädigungsgewährung auf der Grundlage einer Haftung für fehlerfreies Staatsverhalten den Eigentumsschutz. Die Vollstreckungsverweigerung ist etwa deshalb rechtmäßig, weil der gewalttätige Widerstand streikender Arbeiter oder schwere Unruhen bei Ausführung von Räumungsurteilen zu befürchten sind.61

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CE, 20.10.1989, RFDA 1989, S. 823. Hierzu m. w. H. Wolf 1999, S. 245. CE, 22.12.1978, Ministre de l’Intérieur c/Cohn-Bendit, Rec. 524. 55 CE, 7.12.1984, Fédération francaise des sociétés de protection de la nature, Rec. 409; CE, 3.2.1989, Compagnie Alitalia, Rec. 44 (refus d’abroger un reglement). CE, 28.2.1992, Société Arizona Tobacco Products et SA Philipp Morris France, Rec. 78; CE, 17.3.1993, Groupement pour le développement de la coiffure, Rec. 68. 56 Hierzu Goulard, La responsabilité de l’Etat du fait de la violation d’une directive communautaire: contentieux indemnitaire ou contentieux fiscal?, RFDA 1997, 1056, 1063. 57 Heim 1999, S. 117 ff. CE, 22.12.1978, Cohn-Bendit, Rec. 524; RFDA 1997, 1023. 58 CE, 28.2.1992, SA Rothmanns International France et SA Philip Morris France, Rec. 80; hierzu m. w. H. Wolf 1999, S. 251. 59 CE, 7.12.1979, Société „Les Fils de Henri Ramel“, Rec. S. 456. 60 CE, 30.11.1923, Couitéas, Rec. S. 789. 61 CE, 22.01.1943, Braut, Rec. S. 19. 54

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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Die legislative Haftung wird auch durch die prozessuale Durchsetzung der Staatshaftungsklage in Frankreich verdeckt. Nach dem prozessualen Erfordernis der „décision préalable“62 muß der durch legislatives Handeln Geschädigte, der auf der Grundlage der Haftung ohne „faute“ Schadensersatz verlangt, einen Antrag auf Schadensersatz an die zuständige Verwaltungsstelle, also an ein Ministerium richten. Erst die Ablehnung des Antrags kann als rechtswidrig angegriffen werden. Das Gericht kann dann gleichzeitig mit der Aufhebung der Ablehnung des Schadensersatzes den von der Verwaltung eingeforderten Schadensersatz gewähren. Bei der Anwendung nationaler Gesetzesvorschriften, die gegen unmittelbar wirksames Unionsrecht verstoßen, lassen sich Schaden und Staatshaftung zwanglos an administratives Handeln anknüpfen. Bei umsetzungsbedürftigem (nicht unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht hingegen kann die Unionsrechtswidrigkeit nur in der unterlassenen legislativen Umsetzung liegen. Die Haftung kann hier prinzipiell nicht an ein Verwaltungshandeln angeknüpft werden, da die Verwaltung mangels geeigneter Ermächtigungsgrundlage nicht tätig werden kann. Im Fall „Dangeville“ mußte sich zunächst die Cour administrative d’appel mit dem Problem des legislativen Unterlassens befaßen. Sie gewährte Schadensersatz. Die Entscheidung wurde mit Blick auf den Conseil d’Etat sehr vorsichtig und ohne ausdrücklichen Hinweis auf das legislative Verhalten hinreichend unbestimmt mit „der rechtswidrigen Situation“ begründet, die entstanden war. Die Staatshaftung für legislatives Unrecht durch Unterlassen wurde somit faktisch anerkannt, ohne jedoch explizit gemacht zu werden.63 Der Conseil d’Etat hat aber zum Problem des legislativen Unrechts durch Unterlassen nicht Stellung nehmen müssen. Er konnte alle Ansprüche aufgrund der Mißachtung des Verfahrensgrundsatzes der Trennung der Steitigkeitsarten („distinction des contentieux“) abweisen. Die Zweifeln hinsichtlich der Haftungsmöglichkeit des Staates infolge einer Unterlassung wurden in zwei ebenfalls steuerrechtlichen Entscheidungen64 zerstreut. In Anlehnung an nationale Präjudizien ohne unionsrechtlichen Bezug wurde die zu überwindende Hauptschwierigkeit darin gesehen, ob eine Rechtsnorm auch dann aufgehoben werden oder unanwendbar bleiben muß, wenn sie eine pflichtwidrige Unterlassung darstellt. Die Präjudizien des nationalen Rechts betrafen untergesetzliche Normen („décrets“), die gesetzlich geforderte Regelungen nicht enthielten. Auch nationale Gesetze müßten demnach bei Nichtenthaltung unionsrechtlich geforderter Regelungen unanwendbar bleiben, sonst wäre die Parität zwischen der Anwendung des nationalen Rechts und der Anwendung des Unionsrechts in gleich gelagerten Fällen 62

Paillet, La responsabilité administrative, 1996, Rn. 532 ff. Prétot, Obssous l’arret „Dangeville“ (CAA de Paris, 1.7.1992), in: AJDA 1992, 768 (770). 64 CE, 17.3.1993, Groupement pour le développement de la coiffure, Rec. 68; CE, 30.10.1996, SA Cabinet Revert et Badelon, RFDA 1997, 1066. 63

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

gestört.65 In beiden Fällen ging es darum, daß die 6. Richtlinie des Rates zur Umsatzsteuerharmonisierung, die bestimmte Aktivitäten von der Mehrwertsteuer befreite, nicht umgesetzt worden war. Die Kläger hatten aufgrund von Art. 256 des französischen Steuergesetzbuches entgegen der nicht umgesetzten Richtlinie Mehrwertsteuer bezahlen müssen. Der Conseil d’Etat entschied, daß diese Vorschrift hätte unanwendbar bleiben müssen und daß die hierauf gestützte Einzelmaßnahme ohne gesetzliche Grundlage getroffen worden war. Erneut wurde die haftungsauslösende „faute“ nicht im legislativen Unterlassen, sondern im Verwaltungshandeln gesehen. Der Conseil d’Etat ließ es damit nicht auf die Ursache der Unanwendbarkeit des Gesetzes (d. h. die fehlende Richtlinienumsetzung), sondern auf deren Folge (d. h. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns) ankommen.66 Was das Merkmal der „violation suffisamment caractérisée“ angeht, so wird darin ein „faisceau d’indices“ und ein Gedanke der Differenzierung zwischen verschiedenen Schweregraden haftungsrechtlicher Rechtswidrigkeit gesehen, der dem französischen Recht nicht fremd sei. Die nationale Trennung von „faute simple“ und „faute lourde“ entspreche der unionsrechtlichen Unterscheidung von „simple infraction“ und „violation caractérisée du droit communautaire“. Begründet wird die Parallelisierung damit, daß sowohl die „faute lourde“ als auch die „violation caractérisée“ die Haftung bei fehlerhafter Ermessensausübung (also bei Vorliegen eines „large pouvoir d’appréciation“) begründen. Der Vergleich hinkt auch nicht daran, daß der EuGH nicht von „faute“, sondern von „violation“ spricht. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß „violation“ den objektiven Charakter der Haftung besser hervorhebt und die Einheitlichkeit der Anwendung von Unionsrecht besser gewährleistet, da der Begriff „faute“ nicht denselben Inhalt in allen Rechtssystemen hat. Während sich aber die „faute lourde“ ausschließlich auf administratives Handeln bezieht, zieht der EuGH die „violation caractérisée“ für die Auslösung einer Haftung (auch) für normatives Unrecht heran.

65 So der commissaire du gouvernement Goulard, RFDA 1997, 1056, 1064 f. in der Dangeville Entscheidung. Die einschlägigen Präjudizien sind CE, 28.5.1971, Sieur Barrat, Rec. 387; CE, 20.11.1981, Fédération générale des transports et de l’équipement CFDT, Rec. 432; CE, 1.7.1988, Société immobilière d’économie mixte de la Ville de Paris, Rec. 274. 66 Die Klägerin „est fondée à soutenir que la taxe sur la valeur ajoutée qui lui a été réclamée (. . .) est dépourvue de base légale“: CE, 30.10.1996, SA Cabinet Revert et Badelon, RFDA 1997, 1066, 1067.

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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2. Mitgliedstaatshaftung als „misfeasance“ und als „breach of statutory duty“ Alle sich aus dem EG-Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten wurden durch sec 2 (1) des European Communities Act 197267 in das englische Recht inkorporiert. Diskutiert wurde zunächst die Frage nach dem geeigneten Anknüpfungspunkt im englischen Recht für eine Verletzung von unmittelbar geltendem Unionsrecht. Ein in den siebziger Jahren entwickelter Ansatz ging dahin, daß ein Verstoß gegen Unionsrecht, namentlich gegen Art. 81, 82 EGV (ex Art. 85, 86), einen jeweils eigenständigen, neuen deliktischen Tatbestand des englischen Rechts darstelle.68 Das Unionsrecht sei demnach auch dann mit Mitteln des englischen Schadensersatzrechts durchzusetzen, wenn im konkreten Fall das common law keinen einschlägigen Tatbestand bereit halte. In den achtziger Jahren wurde diese Konstruktion als überflüssig mit der Begründung abgelehnt, daß die Verletzung unionsrechtlich statuierter Mitgliedstaatspflichten im englischen Recht als „breach of statutory duty“ zu qualifizieren sei.69 In seiner „Bourgoin“-Entscheidung ist der Court of Appeal vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung auf die Mitgliedstaatshaftung für die Verletzung von unmittelbar wirkenden Vorschriften des Unionsrechts eingegangen. Die erste Instanz war zu dem Ergebnis gekommen, daß, da Art. 28 EGV (ex Art. 30) ebenso wie Art. 82 EGV (ex Art. 86) EGV nach der Rechtsprechung des EuGH innerstaatlich unmittelbar gelte, ein Verstoß gegen Art. 28 EGV (ex Art. 30) ebenso wie ein Verstoß gegen Art. 82 EGV (ex Art. 86) als „breach of statutory duty“ zu qualifizieren sei. Die Mehrheitsentscheidung des Court of Appeal folgte dieser Auffassung nicht. Sie hob hervor, aus dem „ultra vires“ – Charakter einer Maßnahme könne automatisch kein Schadensersatzanspruch abgeleitet werden. Es könne nur die Aufhebung der Maßnahme im Wege des „Judicial Review“-Verfahrens verlangt werden, während die Schadensersatzklage das Vorliegen eines anerkannten „tort“ zusätzlich voraussetze.70 Die Relevanz eines „breach of statutory duty“ wurde also aus diesem Grund verneint, doch kam das Gericht zu dem Ergebnis, daß ein Schadensersatzanspruch zu bejahen ist, soweit die Voraussetzungen des Amtsmißbrauchs („misfeasance in public office“) vorliegen. Das Gericht stellte fest, daß der beklagte Minister die aus Art. 28 EGV (ex Art. 30) EGV hervorgehende Pflicht wissentlich und in 67 Auszüge des European Communities Act 1972 sind abgedruckt in Rajani, Die Geltung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Der Grundsatz der Parlamentssouveränität im Wandel, 2000, S. 233 ff. Siehe ferner die Darstellung der Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung im Vereinigten Königreich bei Schoißwohl 2002, S. 180–185. 68 Application des Gaz S.A. v. Falks Veritas [1974] 3 W.L.R. 235. 69 Garden Cottage Ltd. v. Milk Marketing Board (1984) A.C. 130. 70 Bourgoin SA v. Minister of Agriculture, Fisheries and Food (1986) Q.B. 716, 787.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

Kenntnis der Tatsache verletzt hatte, daß das klagende französische Unternehmen wirtschaftlichen Schaden nehmen würde. Ein Schadensersatz sei zu gewähren, soweit der Kläger den entsprechenden Nachweis führe. Ergebnis der „Bourgoin“ Entscheidung ist, daß die Haftung des Mitgliedstaates für nicht vorsätzliche Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen ist. Dies veranlaßte den EuGH zur Bewertung, daß die im englischen Recht ggf. aufgestellte Voraussetzung des Nachweises eines Amtsmißbrauchs in Ausübung einer hoheitlichen Befugnis geeignet ist, bei legislativem Unrecht den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch praktisch unmöglich zu machen.71 Auch das House of Lords hat Bedenken dahingehend geäußert, ob „Bourgoin“ richtig entschieden worden ist.72 In der Literatur meint man demgegenüber, daß „Bourgoin“ der damaligen Rechtslage im englischen Recht und im Unionsrecht doch entsprach.73 Im Grunde wies der Court of Appeal in „Bourgoin“ darauf hin, daß die Anwendung von „breach of statutory duty“ in „Garden Cottage“ auf zivilrechtliche Schadensersatzklagen beschränkt war. „Garden Cottage“ wäre für Fälle, in denen die öffentliche Gewalt Haftungsschuldner sei, nicht relevant. Denn nach englischem Recht löse Rechtswidrigkeit allein keine Staatshaftung aus. Der „tort“ von „misfeasance in a public office“ sei lediglich einer der anerkannten „torts“, die neben Rechtswidrigkeit ein zusätzliches Element, einen zusätzlichen Klagegrund verlangten und zur Auslösung der Haftung der öffentlichen Hand herangezogen werden könnten.74 Unter diesem Aspekt wird in der Tat klar, daß der EuGH mit seiner Stellungnahme zum „misfeasance“Tatbestand im Grunde es vermeiden wollte, daß nur beim Vorliegen von „misfeasance in a public office“ ein hinreichend qualifizierter Unionsrechtsverstoß bejaht wird. Der Anwendungsbereich der „Bourgoin“-Entscheidung sollte lediglich auf die Fälle eindeutiger Unionsrechtsverletzungen, namentlich auf die Nichtumsetzung von Richtlinien beschränkt werden. In diesen Fällen, in denen dem Mitgliedsstaat keinerlei Ermessen zukommt, ist das schädigende Handeln stets ein Handeln in Kenntnis der Rechtswidrigkeit, so daß der „misfeasance“ Tatbestand doch als erfüllt anzusehen ist. Das Merkmal des „serious breach“ (hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung) ist weniger streng als die vom „misfeasance“-Tatbestand verlangten Elemente von böser Absicht bzw. Kenntnis von Rechtswidrigkeit. Die „Bourgoin“-Entscheidung wurde in ihrem An71

EuGH Brasserie du Pecheur/Factortame, Rn. 73. Kirklees Metropolitan Borough Council v. Wickes Buildings Supplies (1992) A.C. 227, 281. 73 „The Bourgoin decision has been criticised but, it is submitted, was correctly decided in the light of Community law and English law prevailing at the time. (. . .) English law does not recognise a right to damages for ultra vires action simpliciter.“ Lewis, Clive/Moore, Sarah, Duties, Directives and Damages in European Community Law, PL 1993, 151, 166. 74 Craig, Once more Unto the Breach: the Community, the State and Damages Liability LQR 1997, 67, 88. 72

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wendungsbereich durch die Entscheidung „An Bord Bainne“ erweitert,75 die auf die Gestaltungs- und Entscheidungsspieräume der öffentlichen Gewalt abstellte und betonte, daß der vom EuGH aufgestellte Grundsatz der Haftungsbeschränkung bei Ermessen nicht auf legislative Maßnahmen „stricto sensu“ beschränkt werden sollte. Auch Verwaltungsmaßnahmen („administrative“ oder „executive orders“), die in Wahrnehmung eines Ermessensspielraums ergehen, sollten keine reine Rechtswidrigkeitshaftung auslösen. Es kommt somit nicht auf die Erscheinungsform der öffentlichen Gewalt, sondern auf die Wahrnehmung eines Ermessens an. In den Fällen, in denen aufgrund eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums gehandelt wurde, kann allerdings nicht von einem Handeln in Kenntnis der Rechtswidrigkeit und von einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Unionsrecht ausgegangen werden. In diesen Fällen wird der Tatbestand des „breach of statutory duty“ als der geeignete Anknüpfungspunkt angesehen. Im Rahmen dieses Tatbestandes kann die vom EuGH aufgestellte Haftungsvoraussetzung des hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes unproblematisch berücksichtigt werden. Schon bei der Prüfung des Vorliegens der haftungsrelevanten Verletzung einer gesetzlich statuierten Pflicht in rein nationalen Fällen spielen Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie die Genauigkeit der verletzten Norm eine wichtige Rolle. Problematisch ist nur für das englische Recht die Vereinbarkeit der Haftung für legislatives Unrecht mit dem Grundsatz der Parlamentssouveränität. Allerdings sieht section 2 (4) des European Communities Act vor, daß die nationalen Gesetze in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ausgelegt und angewandt werden sollen, was die Überprüfbarkeit nationaler Gesetze durch die Gerichte in dieser Hinsicht voraussetzt. Unionsrechtswidrige Gesetze werden in der Folge der Factortame-Entscheidungen76 „disapplied“ bzw. „overridden“, „set aside“ oder „disregarded“, ohne daß dafür vorher eine Vorlage an den EuGH erforderlich wäre.77 Schließlich kann zur Begründung der Mitgliedstaatshaftung der „negligence“Tatbestand herangezogen werden. Auch hier ist der Nachweis von Rechtswidrigkeit zur Haftungsauslösung unzureichend. Ebensowenig reicht ein Nachweis der fahrlässigen Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht aus.78 Es muß zusätzlich 75 An Bord Bainne Co-operative Ltd. v. Milk Marketing Board, CMLR 1988, S. 605. 76 R. v. Secretary of State for Transport, ex p. Factortame [1990] 2 A.C. 85; R. v. Secretary of State for Transport, ex p. Factortame (Nr. 2) (Case 213/89) [1991] 1 A.C. 603; (Nr. 3) (Case 221/89) [1992] Q.B. 580; EuGH, Rs. Brasserie du Pecheur SA v. Deutschland, C-46/93; R. v. Secretary of State for Transport, ex p. Factortame (Nr. 4) (Case C 48/93) [1996] Q.B. 404; (Nr. 5) European Law Review, 1998, 456. 77 Rajani 2000, S. 192. 78 So explizit X (Minors) v. Bedfordshire C.C. [1995] 2 A.C. 633, 732–735 per Lord Browne-Willkinson: „The careless performance of a statutory duty“ sei „no common law duty of care“.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

eine „duty of care“ nachgewiesen werden.79 In Fällen, in denen der Verwaltung Ermessen zukommt („statutory discretion“), muß das Ermessen justitiabel sein. Der Kläger muß nach englischem „tort law“ zunächst nachweisen, daß die Verwaltung jenseits ihres Ermessens gehandelt hat: Der Ermessensgebrauch „falls altogether outside the ambit of the statutory discretion“.80 In diesem Fall kann „Justitiabilität“ bejaht und der Haftungstatbestand von „negligence“ angewandt werden, der erst zur Annahme einer „duty of care“ führen kann. Die Justitiabilitätsprüfung wird in der Literatur mit dem unionsrechtlichen Erfordernis des „serious breach“ verglichen. Den einzigen Unterschied erblickt man darin, daß die Justitiabilität vom EuGH implizit, während sie vom House of Lords explizit geprüft wird.81 Das Erfordernis, daß die verletzte Unionsnorm Rechte an einzelne verleihen wollte, kann im Rahmen der Prüfung, ob es „fair, just and reasonable“ ist, eine „duty of care“ aufzuerlegen, berücksichtigt werden. Als ein weiterer Aspekt der Auferlegung einer „duty of care“ kann auch das dritte Tatbestandsmerkmal der Mitgliedstaatshaftung, das unmittelbare Kausalverhältnis angesehen und geprüft werden. Sollte die Unmittelbarkeit des Kausalverhältnisses unabhängig von dem Test der „duty of care“ geprüft werden, würde diese eigenständige Prüfung keine große Umstellung bedeuten.82 Nach alldem wird deutlich, daß mit Hilfe der unionsrechtskonformen Auslegung der Tatbestände von „breach of statutory duty“ und „negligence“ die Mitgliedstaatshaftung im englischen Recht geltend gemacht werden kann. 3. Mitgliedstaatshaftung als drittgerichtete Amtspflichtverletzung Bei Verstößen gegen Pflichten, die aus dem Unionsrecht folgen, kommt meistens als Amtspflicht im deutschen Amtshaftungsrecht eine Rechtsetzungspflicht bzw. Rechtsanpassungspflicht83 in Betracht. Die Tatbestandsmerkmale des Amtshaftungsanspruchs werden im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung inhaltlich determiniert. Als problematisch hat sich vor allem die Drittgerichtetheit der Amtspflicht im Falle des legislativen Verstoßes erwiesen. Der Amtshaftungsanspruch findet bei nationalem legislativen Unrecht – außer bei sog. Maßnahme- und Einzelfallgesetzen – wegen fehlender Drittbezogenheit keine An79 Der Test für „negligence“ betrifft die Fragen: „Was the injury forseeable; were the parties sufficiently proximate; was it fair, just and reasonable to impose a duty of care?“. So seit Caparo Industries Plc v. Dickman [1990] 2 A.C. 605. 80 X (Minors) v. Bedfordshire C.C. [1995] 2 A.C. 633, 736–737 per Lord BrowneWilkinson. 81 So Craig, LQR 1997, 67, 93. 82 Zu diesen Aspekten Craig, LQR 1997, 67, 93. 83 Die Bestimmung des Haftungsschuldners (Bund und/oder innerstaatliche Körperschaft) bleibt somit dem innerstaatlichen Recht überlassen: EuGH, Rs. Klaus Konle/ Republik Österreich, Slg. 1999, I-3099, Rn. 63 f.; EuGH, Rs. Salomone Haim/Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Slg. 2000, I-5123, Rn. 27 ff.

A. Unionsrechtlicher Grundsatz der Haftung

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wendung.84 Im unionsrechtlichen Kontext kommt hingegen ein legislativer Verstoß bei Nichtanpassung eines bestehenden oder bei Verabschiedung eines neuen Gesetzes durchaus in Betracht. Im Falle der Nichtumsetzung von EURichtlinien befindet sich aber der mitgliedstaatliche Gesetzgeber in einer eher mit der Nichtbefolgung hierarchischer Weisungen exekutivähnlichen Situation. Übrigens ist das Kriterium der Drittbezogenheit durch die Francovich-Doktrin auf die Ebene des Gemeinschaftsrechts verlagert.85 Die Amtspflicht zur Richtlinienumsetzung ergibt sich aus dem grundsätzlich objektiven Art. 249 Abs. 3 EGV, wobei sich der Drittbezug am Schutzzweck der Richtlinie zu messen hat. Die Drittgerichtetheit der nationalen Umsetzungsnorm ist hierfür nicht relevant. So bedarf es zur Bejahung des drittschützenden Charakters der Richtlinie und damit der Drittbezogenheit der Amtspflicht nicht der Bejahung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf mitgliedstaatlicher Ebene86. Insofern geht hier der Begriff der unionsrechtsbezogenen Drittgerichtetheit in § 839 BGB weiter als jener des deutschen subjektiven öffentlichen Rechts. Im Falle der Staatshaftung wegen verspäteter Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie konnte der Verweis des deutschen Gerichts auf einen fehlenden konkurrierenden Anspruch aus Amtspflichtverletzung diesen Punkt deutlich machen.87 Ein weiteres Problem besteht im Verhältnis von Verschulden, Vorrang des Primärrechtsschutzes und Mitverschulden. Verschuldenselemente spielen in der Judikatur des EuGH insofern eine Rolle, als sie in das Tatbestandsmerkmal des hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes verlagert und dort geprüft werden. Sie erscheinen somit nur systematisch anders eingeordnet als dies im deutschen Amtshaftungsanspruch üblich ist. Der Vorrangklausel des § 839 Abs. 3 BGB stehen keine unionsrechtlichen Bedenken entgegen, weil der EuGH selbst eine Obliegenheit des Geschädigten zur Ausschöpfung gegebener Rechtsschutzmöglichkeiten kennt88. Bei legislativen Verstößen gegen unmittelbar anwendbare Richtlinien kommt § 839 Abs. 3 BGB nicht zur Anwendung, denn der Rechtsschutz suchende Geschädigte müßte die allein in Frage kommende, auf Normerlaß gerichtete Verfassungsbeschwerde89 einlegen. Diese zählt aber wegen ihres Ausnahmecharakters nicht zu den Rechtsmitteln im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB. Sie zu fordern, verstieße gegen das Vereitelungs- und Erschwerungsverbot des EuGH. 84

BGHZ 56, 40, 44 ff.; 84, 292, 300; 87, 321, 335; 102, 350, 367 f. Schimke, Zur Haftung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Bürgern wegen Nichtumsetzung der EG-Richtlinie über Pauschalreisen, EuZW 1993, 698, 700. 86 Geiger, Die Entwicklung eines europäischen Staatshaftungsrechts – Das Francovich-Urteil des EuGH und seine Folgen, DVBl. 1993, 465, 472. 87 LG Bonn, Urteil vom 16.04.1999 – 1 O 186/98, RIW 2000, 384, 388. 88 EuGH-Brasserie, Rn. 84; vgl. Bröhmer, Die Weiterentwicklung des europäischen Staatshaftungsrechts – EuGH, EuGRZ 1996, 144, JuS 1997, 117 JuS 1997, 117, 123. 89 Dazu BVerfGE 72, 170, 214. 85

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

Ob der Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 BGB) zum Tragen kommen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.90 Der EuGH geht davon aus, daß die Rechtsmittelversäumung im Zusammenhang mit der Prüfung des Mitverschuldens bei der Zumutbarkeit des Primärrechtsschutzes berücksichtigt werden soll.91 In der Systematik des BGB ist der Vorrang des Primärrechtsschutzes zwar auch ein Sonderfall des Mitverschuldens. Sofern jedoch das Mitverschulden an der Schadensentstehung in der Versäumung von Rechtsmitteln liegt, geht die Regelung des § 839 Abs. 3 BGB der des § 254 BGB vor. Nach § 839 Abs. 3 BGB kann der Haftungsanspruch entweder nur entstehen oder ganz entfallen. Angesichts der Tatsache, daß die unmittelbare Anwendbarkeit von Unionsrecht in unterschiedlichem Maß erkennbar und der Primärrechtsschutz somit aus der Sicht des Bürgers nicht immer zumutbar ist, könnte eine anteilige Bemessung der Vorwerfbarkeit der Rechtswegversäumung den Verhältnissen besser Rechnung tragen. § 254 BGB würde dann beim unionsrechtlichen Amtshaftungsanspruch § 839 Abs. 3 BGB verdrängen. Dagegen wird eingewandt, daß auf diese Weise der Haftungsanspruch von der Geltendmachung eines Mitverschuldenseinwands durch den Schädiger abhängig gemacht wird, obwohl der Vorrang des Primärrechtsschutzes zu den Entstehungsbedingungen des Haftungsanspruchs gehört und vom Gericht stets berücksichtigt werden sollte.92 Die unionsrechtskonforme Auslegung betrifft schließlich das Verweisungsund Richterprivileg sowie die Rechtsfolgen. Der deutsche Amtshaftungsanspruch ist subsidiär, wenn dem handelnden Amtswalter nur Fahrlässigkeit zur Last fällt und der Geschädigte auf andere Weise, d. h. durch Ansprüche gegen Privatpersonen, Ersatz erlangen kann (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB). In der Literatur wird die Anwendbarkeit der Subsidiaritätsklausel auf den Staatshaftungsanspruch wegen Verstoßes gegen Unionsrecht schon mit dem Hinweis verneint, daß auf die von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB verlangte Fahrläßigkeit nicht ankommen kann, da die Mitgliedstaatshaftung verschuldensunabhängig ist.93 Raum für eine Differenzierung nach dem Verschuldensgrad gibt es nur im Rahmen der Prüfung des qualifizierten Verstoßes. Zudem wird die Verweisung des Geschädigten an Dritte überwiegend für unzumutbar gehalten. Schließlich soll das Verweisungsprivileg in der deutschen Amtshaftungskonstruktion dem persönlich

90 Hierzu s. nur Leible/Sosnitza, „MP Travel Line“, EG-Recht und Staatshaftung, MDR 1993, 1159, 1165 mit Blick auf die Rechtsprechung des BGHZ, 95, 238; 100, 157, 171 zur sog. „Vorauskasse“. Vgl. aber EuGH-Dillenkofer, Rn. 73 (Vorleistung ohne Absicherung begründe noch kein Mitverschulden). 91 EuGH-Brasserie, Rn. 84. 92 Ehlers, Die Weiterentwicklung des Staatshaftungsrechts durch das europäische Gemeinschaftsrecht, JZ 1996, 776, 779. 93 So etwa Leible/Sosnitza, „MP Travel Line“, EG-Recht und Staatshaftung, MDR 1993, 1159, 1162.

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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haftenden Amtswalter in den Fällen zugute kommen, in denen eine Haftungsübernahme durch den Staat ausscheidet. Im Falle der Mitgliedstaatshaftung, die eine Haftung des Mitgliedstaates begründet, ist kein Grund für die Geltung der Subsidiaritätsklausel ersichtlich. Das Verweisungsprivileg würde übrigens den Haftungsanspruch um seine Funktion der Durchsetzung des Unionsrechts bringen. Zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit und der Rechtskraft von Urteilen schränkt § 839 Abs. 2 S. 1 BGB die deutsche Amtshaftung für richterliches Unrecht ein. In einem Rechtsstaat ist Haftung für judikatives Unrecht beim Vorsatz praktisch auszuschließen. Sie kann allenfalls bei entgegenstehendem EuGH-Urteil und Vorlagepflichtverletzung (Art. 234 Abs. 3 EGV) in Betracht kommen. Der EuGH weist darauf hin, daß der zu leistende Ersatz der Schäden dem erlittenen Schaden angemessen94 und vom Schutzzweck95 der konkret verletzten Unionsvorschrift gedeckt sein muss. Der entgangene Gewinn96 (im Gegensatz zu deutschem Recht) kann ebensowenig wie der immaterielle Schaden97 vom ersatzfähigen Schaden ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der Art des Schadensersatzes kommt nach deutschem Amtshaftungsrecht nur Geldersatz, keine Naturalrestitution in Frage. Diese Beschränkung soll nach Stimmen in der Literatur beim unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht vorgenommen werden, da es sich hier um eine reine Verbandshaftung handele.98

B. Haftung der öffentlichen Gewalt wegen Verletzung der EMRK Die Rechtsprechung des EGMR zur Haftung bei Verletzung der EMRK betrifft die untersuchten Rechtsordnungen gleichermaßen, da diese sich als Vertragsstaaten dieser Gerichtsbarkeit unterworfen haben. Die Darlegung der haftungsrechtlichen Grundsätze wird die Entschädigungsfälle bei materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Konventionsverletzungen auseinanderhalten, wobei der Eigentumsschutz wegen seiner relativen Eigenständigkeit im Rahmen des Art. 41 EMRK separat behandelt wird. Unterschieden wird auch zwischen den Argumenten des Gerichtshofes beim Ersatz des materiellen und beim Ersatz des immateriellen Schadens. 94

EuGH-Brasserie, Rn. 90. Hierzu s. Deckert, Zur Haftung des Mitgliedstaates bei Verstößens seiner Organe gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, EuR 1997, 203, 230 mit Blick auf den Schutzzweck der Pauschalreiserichtlinie. 96 EuGH-Brasserie, Rn. 87. 97 EuGH, Rs. C-168/00, vom 12.3.2002, Leitner, Rn. 19–24. 98 Ossenbühl, StHR, S. 521; Detterbeck, Haftung der Europäischen Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, AöR 2000, 202, 247. 95

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

I. Schutz im Bereich der materiellen Menschenrechte Die EMRK verfügt über eine allgemeine (Art. 41 EMRK) und eine spezifische (Art. 5 Abs. 5 EMRK) Rechtsgrundlage für die konventionsrechtliche Haftung der Vertragsstaaten. Art. 5 Abs. 5 EMRK hat die Spielräume des EGMR bei seiner Entscheidung im Rahmen des Art. 41 EMRK nicht eingeschränkt.99 Das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 1 EMRK) ist ein haftungsrechtlich geschütztes Recht, obwohl eine Entschädigung bisher selten gewährt wurde. Grundsätzliche Vorbehalte dahingehend, es sei ungehörig, „to derive financial gain from the death of a relative“100, sind in der Rechtsprechung ohne Wirkung geblieben. Im ersten erst 1995 entschiedenen Fall wurde der Ersatz allen materiellen und immateriellen Schadens wegen der mangelnden Schutzwürdigkeit des Verhaltens der Opfer (getötete Terroristen) abgelehnt. Die rechtswidrige Tätigkeit der Opfer spielte hingegen bei der Kostenerstattung an den Vermögensvertreter der Opfer keine Rolle.101 In Entscheidungen, in denen die Umstände des Todes des Opfers umstritten sind, moniert der EGMR die Nicht-Durchführung einer angemessenen Untersuchung („investigative obligation“), was – mit oder ohne Verletzung von Art. 13 neben der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 EMRK – zum Ersatz des immateriellen Schadens führen kann.102 Eine Untersuchung nach dem Verstoß kann nicht als Folgenbeseitigung angeordnet werden.103 Entschädigung für den vom Opfer erlittenen immateriellen Schaden wird dem hinterbliebenen Verwandten grundsätzlich zugesprochen, wenn das Opfer vor seinem Tod bzw. Verschwinden gefoltert (Art. 3) oder einer willkürlichen Freiheitsentziehung (Art. 5) unterzogen worden war.104Abgesehen vom immateriellen Schaden kann der auf Billigkeitsbasis kalkulierte105 Verdienstaus99 Siehe EGMR Neumeister v. Austria (No 2) no 1936/63, 7.5.1974, § 30; Tsirlis and Kouloumpas v. Greece (Merits and just satisfaction), nos 19233/91, 19234/91, 29.5.1997, §§ 64–66, 80; Fox, Campbell and Hartley v. The United Kingdom (Just satisfaction), nos 12244/86, 12245/86, 12383/86, 27.3.1991, §§ 2, 10; Brogan and others v. The United Kingdom (Just satisfaction), nos 11209/84 and others, 30.5.1989, §§ 2, 9. 100 Gülec v. Turkey, no 21593/93, 27.7.1998 (Sondervotum des Richters Gölcüklü). 101 McCann v. United Kingdom (Merits and just satisfaction), no 18984/91, 27.9. 1995, §§ 219, 220–222. 102 Kaya v. Turkey (Merits and just satisfaction), no 22729/93, 19.2.1998, §§ 86– 92; Yasa v. Turkey (Merits and just satisfaction) no 22495/93, 2.9.1998, §§ 98–108, 115; Kurt v. Turkey (Merits and just satisfaction), no 24276/94, 25.5.1998, § 142; Irfan Bilgin v. Turkey, no 25659/94, 17.7.2001, § 158; Hugh Jordan v. The United Kingdom, no 24746/94, 4.5.2001, § 170; Paul and Auldrey Edwards, no 46477/99, 14.3.2002, § 106; Tepe v. Turkey, no 27244/95; 9.5.2003, § 215. 103 Finucane v. The United Kingdom, no 29178/95, 1.7.2003, § 89. 104 Kaya v. Turkey, No. 22535/93, 28.3.2000, § 138; Kilic v. Turkey, no 22492/93, 28.3.2000, § 105. 105 Hierzu Velikova v. Bulgaria (Merits and just satisfaction), no 41488/98, 18.5. 2000, § 100 (Tätigkeit in der Schattenwirtschaft und zweifelhafte Lebenserwartung

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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fall des Opfers ersetzt oder die Rückvergütung der Bestattungsauslagen angeordnet werden.106 Wie bei Verletzungen des Art. 2 trifft die Vertragsstaaten auch bei Verletzungen des Art. 3 EMRK eine haftungsrechtlich relevante Pflicht zu wirksamer Untersuchung. Dieser „procedural aspect“ von Art. 3 ist besonders nützlich, wenn keine Verletzung von Art. 13 geltend gemacht wird.107 In Fällen, in denen eine Verletzung des Verbots der Folter und inhumanen Strafe drohend bevorstand, doch nicht verwirklicht wurde, hat der EGMR eine Entschädigung immer abgelehnt und höchstens die Erstattung von Kosten und Auslagen angeordnet. Die Feststellung der Konventionsverletzung sei schon eine „just satisfaction“.108 Bei tatsächlicher Verletzung von Art. 3 EMRK durch Handeln109 oder Unterlassen110 kann hingegen i. V. m. einer Verletzung von Art. 3, 5, 8, 13 EMRK bzw. mit Art. 1 des 1. ZP und/oder mit Blick auf die Schwere der unmenschlichen Behandlung eine beträchtliche Entschädigung für immateriellen111 oder sogar unter besonderen Umständen für materiellen 112 Schaden ge-

des Opfers); Kilic v. Turkey, no. 22492/93, 28.3.2000, § 102 (spekulatives Einkommen); Tanli v. Turkey, no 26129/95, 28.8.2001, §§ 182–183. 106 Salman v. Turkey, no 21986/93, 27.6.2000, § 137; Öneryildiz v. Turkey, no 48939/99, 18.6.2002, § 159. 107 Hierzu das Sondervotum von Richter Zagrebelsky in Craxi (no. 2) v. Italy, no 25337/94, 17.7.2003 und das Sondervotum von Richter Bratza in Elci and others v. Turkey, nos 23145/93 and 25091/94, 13.11.2003 unter Hinweis auf Ilhan v. Turkey, no. 22277/93, 27.6.2000, § 92; s. ferner M.C. v. Bulgaria, no 39272/98, 4.12.2003, §§ 148–153, 194; Sadik Önder v. Turkey, no 28520/95, 8.1.2004, § 50. 108 Soering v. United Kingdom (Merits and just satisfaction), no 14038/88, 7.7. 1989, § 126; Chahal v. United Kingdom (Merits and just satisfaction), no 22414/93, 15.11.1996, § 158; Ahmed v. Austria (Merits and just satisfaction), no 25964/94, 17.12.1996, § 49. 109 Aydin v. Turkey (Merits and just satisfaction), no 23178/94, 25.9.1997, § 131; Aksoy v. Turkey (Merits and just satisfaction), no 21987/93, 18.12.1996, §§ 64, 113; Selcuk and Asker v. Turkey (Merits and just satisfaction), nos 23184/94, 23185/94; 24.4.1998, §§ 80, 115, 118; siehe ferner Ribitsch v. Austria (Merits and just satisfaction) no 18896/91, 4.12.1995, §§ 36–40, 46 („undeniable non-pecuniary damage“). 110 A v. United Kingdom (Merits and just satisfaction), no 25599/94, 23.9.1998, §§ 24, 34 (Schutz vor der Mißhandlung von Kindern); s. ferner Kurt v. Turkey (Merits and just satisfaction), no 24276/94, 25.5.1998, § 175; Sevtap Veznedaroglu v. Turkey, no. 32357/96, 11.4.2000, § 39 und Assenov and others v. Bulgaria (Merits and just satisfaction), no 24760/94, 28.10.1998, § 175 (given the gravity and number of violations found); Ülkü Ekinci v. Turkey, no 27602/95 16.7.2002, § 171 (Untersuchungspflichtverletzung). 111 „Some moral damage“ muß vorliegen: Van der Ven v. The Netherlands, no 50901/99, 4.2.2003, § 76; „seriousness of violations“ (Verletzung von 3, 8, 13, P11): Yoyler v. Turkey, no 26973/95, 24.7.2003, § 118; Keenan v. The United Kingdom, no 27229/95, 3.4.2001, § 138; Deniszci and others v. Cyprus, nos 25316–25321/94 and 27207/95, 23.5.2001, § 425 (Verletzung von 3, 5 und P4-2); Akdeniz and others v. Turkey, no 23954/94, 31.5.2001, § 134; Anguelova v. Bulgaria, no 38361/97, 13.6. 2002, § 173.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

währt werden. Ersetzt werden auch die Ausgaben für ärztliche Behandlung sowie der Verdienstausfall des Opfers. Im Geltungsbereich von Art. 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz bzw. Verbot rückwirkender Strafen) mußte der EGMR nur in wenigen Fällen die Frage prüfen, ob eine Entschädigung notwendig ist, damit „just satisfaction“ herbeigeführt wird. Erfolgreich war eine Entschädigungsklage (für „distress“) bei Verletzung von Art. 7 neben Art. 6 und Art. 10113 oder neben Art. 10.114 Auch bei alleinigem Verstoß gegen Art. 7 wurde der immaterielle Schaden ersetzt.115 Ohne Entschädigung blieb hingegen ein verurteilter Drogenhändler, gegen den eine Beschlagnahmeanordnung aufgrund rückwirkender Gesetzesanwendung zwar erlassen aber von den innerstaatlichen Behörden nie durchgesetzt worden war.116 Die Feststellung des Verstoßes gegen Art. 7 EMRK galt als „just satisfaction“ auch im Falle, in dem ein Drogenhändler rückwirkend zu einer gesetzwidrigen überlangen Ersatzfreiheitsstrafe wegen Nichtbezahlung einer Geldstrafe verurteilt worden war, die er aber nicht verbüßen mußte.117 Die Gewährung einer Entschädigung wegen Verletzung des in Art. 8 EMRK geschützten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens hängt vom Typus des Klägers und von den fallbezogenen Umständen ab. Eine Reihe von Fällen betrifft die Einschränkung des Briefverkehrs von Strafgefangenen und derer Klagen auf Ersatz von „non pecuniary loss“. In der Regel gilt die Feststellung des Verstoßes als „sufficient satisfaction“.118 In einigen Fällen hebt der EGMR hervor, die Intensität des zugefügten immateriellen Schadens, die vom Staat nach der Anrufung des EGMR getroffenen eingriffsbereinigenden und folgenbeseitigenden Maßnahmen oder das satzungswidrige Verhalten des Klägers im Gefängnis rechtfertigten keine Entschädigung.119 Wenn der Kläger nicht Strafgefangener, sondern in Untersuchungshaft war und/oder seine Korrespondenz nicht lediglich eingeschränkt, sondern ihm die ganze Post vorenthalten wurde, 112 Berktay v. Turkey, no 22493/93, 1.3.2001, §§ 168, 215 („Fall“ vom Balkon eines 17jährigen). 113 Baskaya and Okçuoglu/Turkey, 23536/94, 24408/94, 8.7.1999. 114 E.K. c. Turquie, no 28496/95, 7.2.2002, § 106. 115 Puhk v. Estonia, no 55103/00, 10.2.2004, § 49. 116 Welch v. United Kingdom (just satisfaction), no 17440/90, 26.2.1996, §§ 9, 19. 117 Jamil v. France (Merits and just satisfaction), no 15917/89, 8.6.1995, § 39. 118 Golder v. United Kingdom, no 4451/70, 21.2.1975, § 46. 119 Silver and others v. United Kingdom (Just satisfaction), no 5947/72 and others, 24.10.1983, § 10; „a transgression of the prison regulations which, in this respect, have not been found by the Court to be incompatible with the Convention“ (ebd. § 16); ferner Campbell and Fell v. United Kingdom, nos 7819/77, 7878/77, 28.11. 1984, §§ 120, 128, 141; Schönenberger and Durmaz v. Switzerland, no 11368/85, 20.6.1988, § 36; McCallum v. United Kingdom, no 9511/81, 30.8.1990, §§ 31, 37; Pfeiffer and Plankl v. Austria, no 10802/84, 25.2.1992, § 51; Campbell v. United Kingdom, no 13590/88, 25.3.1992, § 70.

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

63

ist seine Klage auf Ersatz des immateriellen Schadens erfolgreich.120 Dasselbe gilt bei kumulierten Verletzungen (z. B. von Art. 5 Abs. 4, Art. 8 und Art. 10 EMRK), wobei nicht spezifiziert wird, welcher Teil der Entschädigung dem auf die Briefsverkehrregelung zurückführbaren immateriellen Schaden entspricht.121 Eine Reihe von Entschädigungsklagen wegen Verletzung des Art. 8 EMRK betreffen das Fürsorgerecht und die staatliche Inobhutnahme122 von Kindern. Hierbei geht es vor allem um die Art und Weise bzw. die Durchsetzung123 der Entscheidung über die Personenfürsorge von Kindern. Oft kommt ein kombinierter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 EMRK124 vor, wobei sich der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 auf die Bewertung von „loss of opportunities“ und den immateriellen Schaden auswirkt.125 In Betracht kommen ferner eine Beschränkung des Anspruchs auf Einsichtnahme in die beim Jugendamt geführte persönliche Akte des Kindes126 oder des Rechts, das Kind zu sehen und mit ihm im Konkakt zu stehen.127 Ferner kann eine überlange Verfahrensdauer die Beziehung de facto determinieren, die das überlange Verfahren hätte eigentlich regeln sollen.128 Entschädigung wird auch wegen der unzureichenden Beteiligung der Eltern am Entscheidungsverfahren verlangt.129 In der Regel sind die Entschädigungsklagen der Eltern erfolgreich: Sie bekommen Ersatz nicht nur für „distress“, sondern auch für „loss of opportunities“ und Beziehungsverlust 120 Messina v. Italy, no 13803/88, 26.2.1993, § 30 („In this regard the present case is clearly distinguishable from the numerous cases concerning restrictions on the correspondence of prison inmates“). In Schönenberger and Durmaz v. Switzerland, no 11368/85, 20.6.1988 wurde eine Entschädigung abgelehnt, obwohl der Kläger ebenfalls in Untersuchungshaft war, da Einschränkung, keine völlige Postvorenthaltung vorlag. 121 Herczegfalvy v. Austria, no 10533/83, 24.9.1992, § 100. 122 K.A. v. Finland, no 27751/95, 14.1.2003, §§ 146, 149, 151. 123 Olsson v. Sweden (No. 1), no 10465/83, 24.3.1988, § 102; M. and R. Andersson v. Sweden, no 12963/87, 25.2.1992, §§ 97, 107; Hokkanen v. Finnland, no 19823/92, 23.9.1994, § 77; Iglesias Gil et A.U.I. c. Espagne, no 56673/00, 29.4.2003, §§ 59–60; Sylvester v. Austria, nos 36812/97, 40104/98, 24.4.2003, §§ 72, 83–84; Sophia Gudrun Hansen v. Turkey, no 36141/97, 23.9.2003, § 121. 124 W. v. United Kingdom (just satisfaction), no 9749/82, 9.6.1988; R v. United Kingdom (just satisfaction), no 10496/83, 9.6.1988; O v. United Kingdom (just satisfaction), no 9276/81, 9.6.1988; R v. United Kingdom (just satisfaction), no 10496/83, 9.6.1988; Olsson v. Sweden (No 2), no 13441/87, 27.11.1992, § 111; Eriksson v. Sweden, no 11373/85, 22.6.1989, §§ 80–81, 97–98. 125 McMichael v. United Kingdom, no 16424/90, 24.2.1995, § 103; Schaal c. Luxembourg, no 51773/99, 18.2.2003, § 57. 126 Gaskin v. The United Kingdom, no 10454/83, 7.7.1989, §§ 49, 58. 127 Margareta and Roger Andersson v. Sweden, no 12963/87, 25.2.1992, § 107. 128 H. v. United Kingdom, no 9580/81, 8.7.1987, § 85. 129 W. v. United Kingdom (merits), no 9749/82, 8.7.1987, §§ 71, 80; Hoppe v. Germany, no. 28422/95, 5.12.2002, § 52; Kosmopoulou v. Greece, no. 60457/00, 5.2. 2004, § 49; Covezzi and Morselli v. Italy, no. 52763/99, 9.5.2003, §§ 137–139; Venema v. The Netherlands, no 35731/97, 17.12.2002, § 108.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

zu eigenem Kind („loss of relationship“).130 Kosten, die beim Versuch, Fürsorgerecht und Besuchsregelung durchzusetzen, anfallen, werden als Teil des materiellen Schadens unter der Rubrik „Kosten und Auslagen“ geprüft.131 Der EGMR rechtfertigt diese großzügige Rechtsprechung mit der Irreversibilität derartiger Eingriffe und der Bedeutung dieses Menschenrechts.132 Eine großzügige Entschädigungspraxis wegen „non pecuniary loss“ besteht auch bei Erlaß, Fehlbzw. Nicht-Durchführung von Adoptionsbeschlüssen im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung des Kontakts der leiblichen Eltern mit ihren Kindern oder mit der heimlichen Unterbringung des Kindes zum Zwecke der Adoption. In Fällen der Durchsuchung von privaten und beruflichen Räumlichkeiten waren viele Kläger aufgrund des durch die konventionswidrige Durchsuchung zutage getretenen Beweismaterials bereits verurteilt worden. Der Ersatz des materiellen bzw. immateriellen Schadens scheitert regelmäßig am Kausalverhältnis133 bzw. an der Feststellung, die Konventionswidrigkeit sei schon die „just satisfaction“. Die Gründe für diese restriktive Praxis werden zwar nicht genannt, es scheint jedoch, daß das strafbare Verhalten des Klägers134 gegen die Entschädigung spricht. Die Gültigkeit des nationalen strafrechtlichen Urteils selbst bleibt von der Konventionswidrigkeit der Sammlung des Beweismaterials unangetastet.135 In Telephonabhörungsfällen sprechen hingegen Faktoren wie die Unzulässigkeit des mit der Abhörung verfolgten Zwecks, die Schwere des Eingriffs136 oder die Verletzung der staatlichen Diskretionspflicht bzw. der Untersuchungspflicht nach Verletzung der Diskretionspflicht137 für den Ersatz des immateriellen Schadens, während dieser bei zulässigem Durchsuchungszweck, wenn etwa die Konventionswidrigkeit in der Unbestimmtheit des gerichtlichen Befehls der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei liegt und der Kläger die Schädigung seines geschäftlichen Rufes als Anwalt geltend macht, nicht ersetzt wird.138 Ähnliches gilt beim ungesetzlichen Abfangen von Kommunikationen, das zur Aufdeckung von Verbrechen führt.139 130

„Entfremdung“: Kutzner v. Germany, no 46544/99, 26.2.2002, §§ 79, 87. Sylvester v. Austria, nos 36812/97, 40104/98, 24.4.2003, § 83. 132 H. v. United Kingdom, no 9580/81, 8.7.1987, § 85; H. v. United Kingdom (just satisfaction)A 136-B 1988, § 10. 133 Miailhe v. France (just satisfaction), no 12661/87, 29.11.1993, § 10. 134 Kruslin v. France, no 00011801/85, 24.4.1990, § 20. 135 Khan v. United Kingdom, no 35394/97, 12.5.2000, §§ 28, 34–35. 136 Halford v. United Kingdom, no 20605/92, 25.6.1997, § 76 (nicht legitimer Zweck); P. G. and J. H. v. The United Kingdom, no. 44787/98, 25.9.2001, § 92: Das Recht „was violated in several aspects“ und es gab „no effective remedy under domestic law“. 137 Craxi (no. 2) v. Italy, no 25337/94, 17.7.2003, §§ 74–75, 90. 138 Niemietz v. Germany, no 13710/88, 16.12.1992, §§ 42–43. 139 Taylor-Sabori v. The United Kingdom, no 47114/99, 22.10.2002, §§ 10, 28; Chalkley v. The United Kingdom, no 63831/00, 12.6.2003. 131

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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Eine Entschädigung wegen Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatund Familienlebens kommt ferner bei Einreiseverboten oder Ausweisungsbefehlen140, bei der Veröffentlichung persönlicher Gesundheitsdaten141 oder Bilder, bei der Diskriminierung unehelicher Kinder142, bei verweigertem Aktenzugang143 oder widerrechtlichem Gebrauch geheimer Akten144, bei Nicht-Achtung der Heimstätte einer Person145 oder bei Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Sexualorientierung bzw. bei Nicht-Anerkennung der sexuellen Identität146 einer Person in Betracht. Wenn ein Gesetz gleichgeschlechtliches Sexualverhalten anders als das entsprechende heterosexuelle Verhalten unter Strafe stellt, kann die nachfolgende Gesetzesänderung147 oder auch lediglich die Anerkennung einer Pflicht zur Gesetzesänderung, soweit gegen den Betroffenen keine das konventionswidrige Gesetz anwendenden Einzelmaßnahmen getroffen worden sind,148 zusammen mit der Feststellung der Konventionswidrigkeit eine „just satisfaction“ darstellen. Haftungsrechtlich relevant ist bereits der gesetzliche Eingriff selbst, nicht erst die auf ihn gestützte Einzelmaßnahme, etwa die Vornahme von polizeilichen Ermittlungen zum Zweck einer Strafverfolgung.149 Für die Ge140 Berrehab v. the Netherlands, no 10730/84, 21.6.1988, §§ 33–34 (Ersatz des immateriellen Schadens und z. T. der infolge der Familientrennung angefallenen Reisekosten von Tochter und Vater); Moustaquim v. Belgium, no 12313/86, 18.2.1991, §§ 45, 53–55 (die entgangene Chance der weiteren Ausübung einer normalen Berufstätigkeit in Belgien nach Verbüßung der Strafe des Klägers wurde im Gegensatz zum immateriellen Schaden wegen fehlender Kausalität nicht ersetzt.); Slivenko v. Latvia, no 48321/99, 9.10.2003, §§ 125, 128, 167 (Zerstörung von Integrationsverhältnissen durch Zwangsausweisung). 141 Ersatz des immateriellen Schadens wegen Bekanntgabe der Identität und Krankheit (HIV) der Klägerin: Z v. Finland, no 22009/93, 25.2.1997, § 122. 142 Marckx v. Belgium, no 6833/74, 13.6.1979, § 68: Feststellung der Konventionswidrigkeit als „just satisfaction“. Die Minderheit (6 Richter) optierte für eine „token satisfaction“ wegen Benachteiligung der unehelichen Tochter und Beleidigung der Mutter. 143 M.G. v. The United Kingdom, no 39393/98, 24.9.2002, §§ 31, 36 unter Hinweis auf Gaskin v. The United Kingdom, 7.7.1989, A 160, § 58. 144 Ersatz des durch die Publikation und Nicht-Korrektur von falschen Informationen verursachten immateriellen Schadens (Rufschädigung): EGMR, Rotaru v. Romania, no 28341/95, 4.5.2000. 145 Gillow v. United Kingdom (just satisfaction), no 9063/80, 14.9.1987, § 14: Ersatz des dadurch verursachten immateriellen Schadens, daß die Kläger im Ungewissen gehalten worden waren, ob sie in ihrem Haus auf der Insel Guernsey bleiben durften, und daß sie wegen unzulässiger Besitzergreifung ihres eigenen Hauses verfolgt wurden. 146 Etwa der post-operativen Identität eines Transsexuellen als Frau: B v. France, no 13343/87, 25.3.1992, §§ 57–58 (Mangels Kausalität wurden die nach dem EGMR auf dem französischem Markt überwindbaren Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche nicht als ersatzfähiger materieller Schaden anerkannt; der immaterielle Schaden wurde ohne besondere Begründung hingegen ersetzt.). 147 Dudgeon v. United Kingdom (just satisfaction), no 7525/76, 24.2.1983, §§ 5, 18. 148 Norris v. Ireland, no 10581/83, 26.10.1988, § 50.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

währung einer Entschädigung spricht der streng private Charakter des kriminalisierten Sexualverhaltens150 und die Schwere des Eingriffs.151 Beim Ersatz des materiellen Schadens werden entgangene Karrierechancen, Rentenansprüche und Verdienstausfall berücksichtigt.152 Schließlich kommen Umweltbeeinträchtigungen als Verletzung des durch Art. 8 EMRK geschützten Rechts auf Privat- und Familienleben in Betracht. Der Eingriff kann in der Beeinträchtigung von Gesundheit und Leben durch die Immissionen oder in der Verletzung einer staatlichen Informations- und Schutzpflicht hinsichtlich der einschlägigen Gefährdungen liegen. Derartige umweltrechtliche Haftungsklagen gehen auf den Ersatz sowohl des nachweisbaren materiellen (z. B. Heilungskosten wegen Gesundheitsschäden, Umzugskosten wegen notgedrungenen Umzugs, Mietzinskosten)153 als auch des immateriellen Schadens.154 Der geltend gemachte „biological damage“ muß auf die verletzte staatliche Informations- bzw. Schutzpflicht genau zurückführbar sein.155 Vorschriften, die den konventionskonformen Proselytismus verbieten und mit Geld- und Gefängnisstrafen ahnden, liegen einigen Urteilen des EGMR zugrunde, die den Ersatz des durch einen Verstoß gegen Art. 9 EMRK verursachten immateriellen Schadens anordneten.156 Demgegenüber wurde der geltend gemachte immaterielle Schaden in einem Fall, in dem die Kläger wegen ungenehmigter Gründung einer Kultstätte verurteilt worden waren, nicht ersetzt. Der Grund liegt wohl darin, daß die Klage weniger gegen eine persönliche Beeinträchtigung der Betroffenen als gegen eine allgemeine Obstruktionspolitik bei der Gründung von Kultstätten einer bestimmten Religionsgemeinschaft gerichtet

149

Ebd. ADT v. United Kingdom, no 35765/97, 31.7.2000 § 50. 151 Lustig-Prean and Beckett v. The United Kingdom (just satisfaction), nos. 31417/ 96 and 32377/96, § 12, 25.7.2000 („Lustig-Prean and Beckett (just satisfaction)“) and Smith and Grady v. The United Kingdom (just satisfaction), nos. 33985/96 and 33986/96, § 13, 25.7.2000, ECHR 2000-IX („Smith and Grady (just satisfaction)“); B.B. v. The United Kingdom, no 53760/00, 10.2.2004, § 34 („exceptionally intrusive character“). 152 Smith and Grady v. United Kingdom, nos 33985/96, 33986/96, 25.7.2000 (just satisfaction), § 13; Beck, Copp and Bazeley v. The United Kingdom, nos 48535/99, 48536/99, 48537/99, 22.10.2002, §§ 97–119. 153 In Lopez Ostra v. Spain, no 16798/90, 9.12.1994, § 65 hatte die Behörde die Miete der neuen Wohnung noch selbst bezahlt, während die emittierende Abfallverarbeitungsanlage vom Untersuchungsrichter zeitweilig doch geschlossen wurde. 154 Ebd. § 65: „situation persisting and her (the applicant’s) daughter’s health deteriorating“. 155 Das wurde in Guerra v. Italy, no 14967/89, 19.2.1998, §§ 64, 67 verneint; Ersatz des immateriellen Schadens. 156 Siehe vor allem Kokkinakis v. Greece, no 14307/88, 25.5.1993, § 59 mit Sondervoten und den ähnlichen Fall (mit „aggravating circomstances“) Larissis v. Greece, nos 23372/94, 26377/94, 26378/94, 24.2.1998, § 74. 150

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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war; sie stellte im wesentlichen eine Anfechtung gegen die einschlägigen Gesetzesvorschriften in der Form einer Normenkontrolle dar.157 Nicht ersetzt wurde ferner der immaterielle Schaden, welcher durch den eintägigen Ausschluß eines Schülers aus der Schule verursacht worden war, der aus religiösen Gründen an einer Schulparade nicht teilnehmen wollte.158 Die Feststellungsentscheidung wurde hier deshalb als „sufficient satisfaction“ angesehen, weil keine Verletzung von Art. 9, sondern eine Verletzung von Art. 13 i. V. m. Art. 9 und Art. 2 des 1. ZP festegestellt wurde. Bei konventionswidrigen Geldstrafen besteht der Ersatz des materiellen Schadens in der Zurückerstattung.159 Wenn der Nachweis des materiellen Schadens wegen staatlichen Verhaltens nicht erbracht werden kann, wird dies beim Ersatz des immateriellen Schadens berücksichtigt.160 Verstöße gegen die Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) sind vor allem für den Ersatz des materiellen Schadens relevant gewesen. Die Klagen sind erfolgreich, soweit der Kausalitätsnachweis gelingt161 (das gilt insbes. bei Verhängung von Geldbußen)162 oder entgangene Chancen („loss of opportunities“) auf Billigkeitsbasis ersetzt werden können.163 Der immaterielle Schaden wird ersetzt, 157 Manoussakis and others v. Greece, no 18748/91, 26.9.1996, §§ 38, 57. In Agga v. Greece (no 2), no 50776/99, 17.10.2002, § 66 verlangte der Kläger eine symbolische Währungseinheit, der EGMR ließ („given his request“) die Feststellungsentscheidung genügen. 158 Valsamis v. Greece, no 21787/93, 18.12.1996, §§ 49, 53. 159 Serif v. Greece, no 38178/97, 14.12.1999, § 61 (zugleich Ersatz des immateriellen Schadens). 160 Hasan and Chaush v. Bulgaria, no 30985/96, 26.10.2000, § 118. 161 Oberschlick v. Austria, no 11662/85, 23.5.1991, § 66; Krone Verlag GmbH & Co KG (no. 3) v. Austria, no 39069/97, 11.12.2003, § 40. Beispiele abgelehnten Kausalzusammenhangs zwischen materiellem Schaden und Verletzung von Art. 10: Vereinigung Demokratischer Soldaten Österreich and Gubi v. Austria, no 15153/89, 19.12. 1994, § 59; Informationsverein Lentia and others v. Austria, nos 13914/88 and others, 24.11.1993, § 46 (Verstoß nicht kausal bei ermessensabhänginger Lizenzgewährung); ähnlich in Radio ABC v. Austria, no 19736/92, 29.10.1997, § 41; Castells v. Spain, no 11798/85, 23.4.1992, § 55; Thorgeir Thorgeirson v. Iceland, no 13778/88, 25.6.1992, § 73; Grigoriades v. Greece, no 24348/94, 25.11.1997, § 55; Incal v. Turkey, no 22678/93, 19.6.1998, § 82; Hertel v. Switzerland, no 25181/94, 25.8.1998, § 59; News Verlag GmbH & Co KG v. Austria, no 31457/96, 11.1.2000, § 66. 162 Obeschlick v. Austria (No 2), no 20834/92, 1.7.1997, § 37 (Bestrafung wegen Beschimpfung eines Politikers als Verletzung der Pressefreiheit). Polat v. Turkey, no 23500/94, 8.7.1999, § 55; eine Geldbuße liegt auch dem Fall Krone Verlag GmbH & Co KG (no 2) v. Austria, no 40284/98, 6.11.2003, §§ 45, 49 zugrunde. 163 Lingens v. Austria, no 9815/82, 8.7.1986, § 51; Open Door and Dublin Well Woman v. Ireland, nos 14234/88, 14235/88, 29.10.1992, § 87 (Unterlassung der Beratung abtreibungswilliger Frauen, Ersatz des Verdienstausfalls einer „non-profit-makingcompany“); Baskaya and Okçuoglu v. Turkey, 23536/94, 24408/94, 8.7.1999, § 88 (Verstoß gegen Art. 6, 7 und 10 EMRK, Ersatz des Verdienstausfalls); Bergens Tidende v. Norway, no. 26132/95, 2.5.2000, §§ 64, 67 (Ersatz von materiellem Schaden, Kosten und Auslagen, die an einen Schönheitschirurgen infolge einer Verurteilung wegen übler Nachrede gezahlt worden waren).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

wenn der Verstoß gegen Art. 10 EMRK eine Freiheitsentziehung164 bzw. andere schwerwiegende Folgen165 mit sich gebracht hatte oder mit überlangem, aussichtslosem Prozessieren166 bzw. mit anderen Verstößen (etwa gegen Art. 8)167 verbunden war. Verletzungen der Vereinigungsfreiheit sind sowohl bei Verstößen gegen die negative168 als auch gegen die positive169 Vereinigungsfreiheit haftungsrelevant (Art. 11 EMRK). Entschädigt wird für materielle und immaterielle Schäden. Die Entschädigungsfälle im Bereich der positiven Vereinigungsfreiheit betreffen auch die Verletzung der staatlichen Pflicht zur Ermöglichung und Sicherung der Rechtsausübung170 sowie die Auflösung politischer Parteien. Wenn Statut und Parteiprogramm verfassungsmäßig waren und die Partei bis zur Auflösung eine Zeit lang bereits politisch aktiv171 gewesen oder gar durch Parlamentsabgeordnete vertreten172 war, wird der immaterielle Schaden ersetzt. Auch die individuelle Entschädigungsklage des Vorsitzenden der aufgelösten Partei ist erfolgreich, wenn es um einen Politiker geht, der eine verfassungsmäßige Tätigkeit an den Tag gelegt hatte und eine relativ anerkannte Position innegehabt hatte.173 Der immaterielle Schaden von Vereinigungen ist ersatzfähig, wenn er beachtenswert ist.174 Ähnliches gilt bei Verletzung der Versammlungsfreiheit.175

164 Incal v. Turkey, no 22678/93, 19.6.1998, § 16; Baskaya and Okçuoglu v. Turkey, no 23536/94, 24408/94, 8.7.1999, § 93; Polat v. Turkey, no 23500/94, 8.7.1999, § 16. 165 Etwa strafgerichtliche Verurteilung und Eintragung ins Strafregister: Scharsach and News Verlagsgesellschaft v. Austria, no 39394/98, 13.11.2003, §§ 31, 50; Berufsentlassung und Auswanderung: Feldek v. Slovakia, no 29032/95, 12.7.2001, § 98. 166 EKIN Association v. France, no 39288/98, 17.7.2001, § 84. 167 Ernst et autres c. Belgique, no 33400/96, 15.7.2003, §§ 120 mit § 11 des 2. Sondervotums. 168 Zur konventionswidrigen Anwendung des „Trade Union and Labour Relations Act 1974“: Young, James and Webster v. United Kingdom (just satisfaction), nos 7601/76, 7806/77, 18.10.1982, §§ 12–13. Siehe auch Sigurdur A. Sigurjonsson v. Iceland, no 16130/90, 30.6.1993, §§ 41, 46. 169 N.F. v. Italy, no 37119/97, 2.8.2001, §§ 31, 44. 170 Wilson & The National Union of Journalist and others v. The United Kingdom, no 30668/96, 2.7.2002, §§ 48, 58, 61 (Ersatz des von Gewerkschaftsmitgliedern eingeklagten immateriellen Schadens). 171 Yazar, Karatas, Aksoy and HEP v. Turkey, no 22723/93, 9.4.2002, § 74. Anders STP et autres c. Turquie, no 26482/95, 12.11.2003, §§ 8–14 (Auflösung gleich nach Gründung). 172 Dicle pour le Parti de la Démocratie c. Turquie, no 25141/94, 10.12.2002, § 78. 173 United Communist Party of Turkey v. Turkey, no 19392/92, 30.1.1998, §§ 69, 73 im Gegensatz zu Socialist Party v. Turkey, no 21237/93, 25.5.1998, § 67 und ÖZDEP v. Turkey, no 23885/94, 8.12.1999, § 57. Vgl. auch Sidiropoulos and others v. Greece, no 26695/95, 10.7.1998, §§ 47, 57 (Nichtregistrierung eines Vereins). 174 Grande Oriente D’Italia Di Palazzio Giustiniani v. Italy, no 35972/97, 2.8.2001, §§ 26, 38.

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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Die Feststellungsentscheidung über eine Verletzung von Art. 12 EMRK (meistens i.V. m einem Verstoß gegen Art. 8) löst keine Entschädigung aus, wenn sie eine positive Pflicht des Vertragsstaates zum Schutz gerade auch der Transsexuellen-Ehe spezifisch anerkennt und somit Reform-Entwicklungen im Vertragsstaat einleitet.176 Bei Verletzungen des konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art. 14 EMRK), wird der materielle Schaden bei Bejahung des Kausalzusammenhangs, und zwar ohne Ruckgriff auf den Argumentationstopos von „loss of opportunities“ in der Regel ersetzt.177 Was den immateriellen Schaden angeht, gilt meistens die Feststellungsentscheidung über die Verletzung als „just satisfaction“.178 Dieser wird aber bei Ungleichbehandlung unehelicher Kinder i. V. m. der Regelung von Besuchs- und Sorgerecht meistens ersetzt, da schon die Ungleichbehandlung nur aufgrund „very weighty reasons“ gerechtfertigt werden kann.179 Ein Ersatz kann es auch aber mit Blick auf „profoundly destabilising events“180, Verschärfung vorhandener finanzieller Schwierigkeiten,181 Verhinde-

175 In Ezelin v. France, no 11800/85, 26.4.1991, §§ 53, 55, 57 war die verhängte Sanktion „minimal“ (publizierte Zurechtweisung eines Rechtsanwalts wegen seiner Teilnahme an einer Kundgebung gegen ein Gerichtsurteil; keine Entschädigung wegen Rufschädigung). 176 I. v. The United Kingdom, no 25680/94, 11.7.2002, § 95; Christine Goodwin v. The United Kingdom, 11.7.2002, no 28957/95 § 120; s. ferner F. v. Switzerland, no 11329/85, 18.12.1987, § 45 (keine Entschädigung wegen geringer Schadenshöhe). 177 Schmidt v. Germany, no 13580/88, 18.7.1994, § 33; s. ferner Darby v. Sweden, no 11581/85, 23.10.1990, §§ 37–38 (diskriminierende Besteuerung). Anders aber in Van Raaalte v. Netherlands, no 20060/92, 21.2.1997 § 48. In Gaygusuz v. Austria, no 17371/90, 16.9.1996, § 63 führte die diskriminierende Anwendung sozialrechtlicher Vorschriften zum Verlegen des Wohnsitzes. Bei diskriminierender Kürzung rentenrechtlicher Ansprüche in Wessels-Bergervoet v. The Netherlands (just satisfaction and striking out) 34462/97, 12.11.2002, §§ 5, 7 enthielt die vom EGMR validierte gütliche Beilegung auf dem Vergleichsweg angemessene Entschädigung; s. auch Buchen c. République Tcheque, no 36541/97, 26.11.2002, § 81 (P1-1+Art. 14); Pine Valley Developments Ltd and others v. Ireland (just satisfaction), no 12742/87, 9.2.1993, § 11 (diskriminierende rückwirkende Anwendung von Gesetzen); Canea Catholic Church v. Greece, no 25528/94, 16.12.1997 (diskriminierende Anwendung der Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK; Ersatz des materiellen Schadens und der Schadensfolgen ohne Berücksichtigung der Ungewißheit des Ausgangs des nationalen Verfahrens, falls dies fortgeführt worden wäre). 178 Siehe etwa Adbulaziz, Cabales and Balkandali v. United Kingdom, no 9214/80, 9473/81, 9474/81, 28.5.1985, §§ 95–96 (diskriminierende Anwendung des Einwanderungsrechts; die Klägerinnen hätten von der Unmöglichkeit des Zusammenlebens im Vertragsstaat Bescheid gewußt). 179 Sommerfeld, v. Germany, no 31871/96, 8.7.2003, §§ 93, 105; Sahin v. Germany, no 30943/96, 8.7.2003, §§ 94, 100. 180 L. and V. v. Austria, no 39392/98 and 00039829/98, 9.1.2003, § 60; s. auch Koua Poirrez v. France, no 40892/98, 30.9.2003, §§ 10, 70 (sozialrechtliche Diskriminierung und nach dem Sondervotum des Richters Mularoni ungleicher Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben eines Behinderten wegen seiner Nationalität).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

rung des beruflichen Zugangs durch religiöse Diskriminierung182 bzw. der persönlichen Entwicklung durch sexuelle Diskriminierung,183 Entzug des Sorgerechts aufgrund religiöser Diskriminierung184 geben. Die legislative diskriminierende Pönalisierung homosexuellen Verhaltens führt zum Ersatz des immateriellen Schadens, wenn der Kläger strafgerichtlich verurteilt bzw. unter der Bedingung entlassen worden war, daß er innerhalb einer bestimmten Frist nicht straffällig wird.185 Haftungsrelevant sind schließlich Verletzungen der Wahlfreiheit (Art. 3 des 1 ZP zur EMRK). Wenn der materielle Schaden unbestimmt bleibt, kann Entschädigung für den immateriellen und den materiellen Schaden zugleich auf Billigkeitsbasis gewährt werden.186

II. Eigentumsschutz nach Art. 1 des 1. ZP zur EMRK Beim Art. 1 des 1. ZP zur EMRK handelt es sich um drei Normen. Der erste Satz von Art. 1 des 1. ZP wird als Generalklausel und Auffangnorm angesehen, die subsidiär bei Eingriffen in Anwendung kommt, die weder Enteignungen noch Nutzungsregelungen sind („sonstige Eingriffe“). Alle Eingriffsarten sind nur insofern rechtfertigbar, als sie ein allgemeines Interesse verfolgen. Eine nationale Maßnahme, die aus der Sicht des nationalen Rechts gesetzmäßig, aber aus der Sicht des europäischen Unionsrechts rechtswidrig ist, kann dem EGMR zufolge nicht dem allgemeinen Interesse dienen.187 Neben der formalen Eigentumsentziehung kennt der EGMR auch eine de facto Enteignung.188 Die Kriterien, die bei der Abgrenzung von Nutzungsregelungen gegen de facto Enteignungen vom EGMR herangezogen werden, sind nicht lediglich die faktische Entleerung des Eigentumsinhalts. Es kommt auf die Unwiderruflichkeit und Irreversibilität des Eingriffs, den völligen Wertverlust des Eigentumsrechts und das Fehlen einer jeden alternativen Nutzungsmög181 Pine Valley Developpments Ltd v. Ireland (just satisfaction), no 12742/87, 9.2.1993, §§ 16, 17. 182 Thlimmenos v. Greece, no 34369/97, 6.4.2000, § 70. 183 S.L. v. Austria, no 45330/99, 9.1.2003, § 52. 184 Palau-Martinez c. France, no 64927/01, 16.12.2003, § 50. 185 B.B. v. The United Kingdom, no 53760/00, 10.2.2004, § 34. 186 Selim Sadak and others v. Turkey, no 25144/94, 11.6.2002, § 56. 187 S.A. Dangeville v. France, no 36677/97, 16.04.2002, §§ 57 f. Siehe die stereotype Beschreibung der drei Normen vom EGMR etwa in der Sache Malama v. Greece, no 43622/98, 1.3.2001, § 41. 188 Zur Rechtfertigung des Begriffs s. Sporrong und Lönnroth v. Sweden, no 7151/ 75, 23.09.1982, § 63; Papapamichalopoulos and others v. Greece, no 14556/89, 24.06. 1993, § 42 (bislang einziger Fall einer de facto Enteignung); zu einem Fall „de facto confiscation“ s. Vasilescu v. Romania, no 27053/95, 22.5.1998.

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lichkeit189 an. Das Kriterium der Irreversibilität scheint zu erklären, warum in Entscheidungen wie Loizidou v. Turkey oder Vasilescu v. Romania keine faktische Enteignung angenommen wurde190. Es dürfen keine gerichtlichen, rechtspolitischen oder völkerrechtlichen Verfahren laufen, die Reversibilitätsmöglichkeiten bereithalten. Dies gilt auch dann, wenn diese Verfahren über Jahrzehnte hinweg dauern. In „Papamichalopoulos“ waren alle Verfahren ohne Ergebnis geblieben. Demgegenüber ging es in „Loizidou“ um andauernde völkerrechtliche Verhandlungen. In Landumverteilungsfällen191 kann keine de facto Enteignung angenommen werden, solange mit dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes und mit dem Zurückerhalten mindestens eines Teils der entzogenen Grundstücke gerechnet werden kann. Die Figur der de facto Enteignung wird äußerst restriktiv zugunsten der Nutzungsregelung und der „sonstigen Eingriffe“ gehandhabt. Erstens wird das Vertrauen des betroffenen Eigentümers auf den Fortbestand der entzogenen Nutzung sowohl bei der de facto Enteignung192 als auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Falle von Nutzungsregelungen193 geprüft; das führt dazu, daß die Ablehnung einer de facto Enteignung die Vereinbarkeit der Nutzungsregelung mit Art. 1 Abs. 2 ZP zur EMRK gleichsam präjudiziert.194 Die de facto Enteignung wird zweitens äußerst restriktiv zugunsten der „sonstigen Eingriffe“ gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 des 1. ZP zur EMRK gehandhabt.195 In der Judikatur des EGMR liegt der Schwerpunkt auf den Rechtsfolgen, die an die drei Eingriffsarten angeknüpft werden. Die definitorische Abgrenzung von Nutzungsregelung und de facto Enteignung ist insofern nicht entscheidend, als die Eingriffsart des „sonstigen“ Eingriffs bei Gemengelagen den Ausweg bietet.196 Sie ermöglicht darüber hinaus die Prüfung der verbundenen und ku189 Tre Traktörer v. Sweden, no 10873/84, 7.7.1989, § 55; Pine Valley Developments Ltd and others v. Ireland, no 12742/87, 29.11.1991, § 56. 190 Loizidou v. Turkey, no 15318/89, 18.12.1996, § 63 und hieran anknüpfend Eugenia Michaelidou Developments Ltd and Michael Tymvios v. Turkey, no 16163/90, 31.7.2003, § 31; ferner Vasilescu v. Romania, no 27053/95, 22.5.1998. Hierzu Mittelberger, Der Eigentumschutz nach Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK im Lichte der Rechtsprechung der Straßburger Organe, 2000, S. 76, 109. 191 Etwa in Erkner and Hofauer v. Austria, no 9616/81, 23.04.1987, § 74 oder in Wiesinger/Austria, no 11796/85, 30.10.1991, § 72. 192 Fredin v. Sweden, no 12033/86, 18.02.1991, §§ 42–47, insbes. § 46. 193 Fredin v. Sweden, § 54. 194 Fredin v. Sweden, §§ 53–55; hierzu Müller-Michaels, Olaf, Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, 1997, S. 76. 195 Fromont, La garantie du Droit de propriété selon la Cour Européenne des droits de l’homme, in: GS Geck, 1989, S. 213, 224; Gelinsky, Der Schutz des Eigentums gemäß Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1996, S. 196 ff; Loizidou v. Turkey, no 15318/89, 18.12.1996, § 63. 196 Charakteristisch hierzu Beyeler v. Italy, no 33202/96, 5.1.2000, § 106; Sovtransavto holding v. Ukraine (merits) no 48553/99, 25.7.2002, § 93.

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mulativen Intensität separat vorgenommener unterschiedlicher Eingriffe (Enteignung und Nutzungsregelung).197 Die Geldersatzleistungen, die bei einer rechtmäßigen Enteignung gewährt werden, können dem EGMR zufolge nicht der Wiedergutmachung gleichgestellt werden, auf die der Betroffene bei einer rechtswidrigen Eigentumsentziehung Anspruch hat. Wenn Gesetzmäßigkeitsprinzip und Willkürverbot verletzt sind, spricht der EGMR von Rechtswidrigkeit „eo ipso“ oder „per se“, die jenseits jedweder Verhältnismäßigkeitsüberprüfung liegt.198 Hier hilft nur eine restitutio in integrum und eine vollständige Beseitigung sämtlicher Folgen der Rechtswidrigkeit. Eine Entschädigung durch Orientierung am vollen Marktwert kommt erst in Betracht, wenn Rückgabe des Eigentums nicht möglich ist. Verlangt wird auch der Ersatz allen weiteren erlittenen materiellen und immateriellen (Verzögerungs-)Schadens nach Maßgabe der Rechtsprechung zu Art. 41 EMRK199, wenn etwa kein Übernahmeanspruch geltend gemacht werden kann und die ausgezahlte Enteignungsentschädigung den Verlust des enteigneten „outil de travail“ nicht deckt.200 In den Fällen, in denen das Gesetzmäßigkeitsprinzip201 beachtet wird und die Enteignung rechtmäßig wäre, wenn nur angemessene Entschädigung gezahlt worden wäre,202 nimmt der EGMR eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor:203 Nur Ausnahmezustände können hierbei den Ausfall einer Entschädigungsregelung rechtfertigen.204 Ebensowenig muß die Entschädigung in diesem Fall unbedingt dem vollen Marktwert des betroffenen Eigentums entsprechen. Sie muß vielmehr im Zusammenhang mit dem jeweils ad hoc verfolgten öffentlichen Interesse gesehen werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann auch die Zahlung von Verzugszinsen erfordern.205 Zwar gilt in solchen Fällen der Grundsatz voller Ent197

Hierzu Jokela/Finland, no. 28856/95, 21.05.2002, §§ 48–50. Iatridis c. Grèce, no 31107/96, 1999-II, § 62; Karahalios v. Greece, no 62503/ 00, 11.12.2003, Rn. 35. 199 Diese Stufung der Rechtsfolgen ist seit Iatridis c. Grèce (just satisfaction) no 31107/96, § 32 und Brumarescu c. Roumanie (just satisfaction) no 28342/95, § 20 standardisiert: s. etwa Yagtzilar and others v. Greece, no 41727/98 (just satisfaction), 15.1.2004, §§ 22–23. s. auch Almeida Garrett, Mascarenas Falcao et autres c. Portugal (satisfaction équitable), 10.4.2001, nos 29813/96 et 30229/96, §§ 23–25. 200 Lallement v. France, no 46044/99, 11.4.2002, § 28. Zur Schadensbemessung s. Lallement v. France (just satisfaction), no 46044/99, 12.6.2003, §§ 10–18. 201 Zum Gesetzesbegriff s. Hentrich v. France, no 13616/88, 22.09.1994, § 42; Vgl. ferner: Belvedere Alberghiera S.R.L. v. Italy, no 31524/96, 30.05.2000, § 57: „sufficiently accessible, precise and foreseeable.“ 202 Belvedere Alberghiera S.R.L. v. Italy, 30.05.2000, § 55; zur Anwendung dieses Grundsatzes s. The Former King of Greece and others v. Greece (just satisfaction), no 25701/94, 28.11.2002, § 75; Yagtzilar and others v. Greece (just satisfaction) no 41727/98, 15.1.2004, § 25. 203 The Former King of Greece and others v. Greece, 23.11.2000, § 90. Zu einer Enteignung ohne Entschädigung s. Serghides and Christophorou v. Cyprus, no 44730/ 98, 05.11.2002, § 52. 204 The Former King of Greece and others v. Greece, 23.11.2000, § 98. 198

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schädigung, doch können Abweichungen für zulässig206 erachtet werden, sofern dabei ad hoc207 ein gerechter Ausgleich zwischen dem Allgemeininteresse und dem Schutzbedürfnis des Eigentümers gewahrt bleibt. Bei der Überprüfung der Entschädigungsregelung ist sowohl der Zusammenhang zwischen Eigentum und Persönlichkeitsentfaltung als auch die Sozialbindung des Eigentums, die eigene Arbeitsleistung beim Eigentumserwerb und das legitime Ziel der Umgestaltung und Reform der Eigentumsrechte zu berücksichtigen.208 Bei Nutzungsregelungen gelten die gleichen Grundsätze wie für die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Schutzbedürfnis des Eigentümers bei Enteignungen. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung209 werden Intensität, Dauer und finanzielle Konsequenzen des nutzungsregelnden Eingriffs, das Vorsehen von Übergangsregelungen sowie die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Eigentümers auf Fortführung der bisherigen Nutzung berücksichtigt. Jedenfalls darf die Nutzungsregelung nicht offensichtlich einer vernünftigen Grundlage entbehren. Eine Entschädigungspflicht kann bei Nutzungsregelungen nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als erforderlich anerkannt werden. Sie besteht im Voraus grundsätzlich nicht.210 Bei Unverhältnismäßigkeit kann nach Art. 41 auch der immaterielle Schaden ersetzt werden.211 Die Ausgleichsleistungen im Rahmen der Regelungsform der „sonstigen“ Eingriffe verlangen vor allem die Flexibilität der Regelung, d. h. die Möglichkeit einer regelmäßigen Neubewertung der Eingriffssituation („reconsideration“) und begrenzen den Beurteilungsspielraum der Vertragsstaaten in einem über die Statuierung von Entschädigungspflichten hinausgehenden Maße.212 Trotz der prognostischen Unsicherheit der Eingriffslage wird das doppelte Ziel der Beachtung des Gesetzmäßigkeitsprinzips und der Effektivität des Rechtsschutzes erreicht: Derjenige, der eine Abänderung der nachteiligen Eingriffssituation verlangen kann, steht nicht schlechter als derjenige, der eine Entschädigung zugesprochen bekommt. Kennzeichnend ist die Berücksichtigung sämtlicher Faktoren des Einzelfalls.213 Es kommt auf die Flexibilität der Ausgleichsregelun205 Hierzu s. Malama v. Greece, 1.3.2001, § 51 unter Hinweis auf Stran Greek Refineries and Stratis Andreadis v. Greece, 9.12.1994, Series A 301-B, § 82. 206 Siehe etwa The Holy Monasteries/Greece, no 13092/87, 9.12.1994, §§ 70–71. 207 Die Anwendung unflexibler Regeln, wie etwa einer unwiderlegbaren Vermutung, bei der Festlegung der Entschädigungshöhe ist unzulässig: Papachelas v. Greece, no 1423/96, 25.03.1999, §§ 51–55. 208 Hierzu s. die Übersicht bei Gelinsky 1996, S. 168 ff. 209 Immobiliare Saffi v. Italy, no 22774/93, 28.07.1999, § 49. 210 Hierzu s. die Übersicht bei Gelinsky 1996, S. 189 ff. 211 Luordo c. Italie, no 32190/96, 17.7.2003, § 101. 212 Hierzu s. bspw. Erkner and Hofauer v. Austria, no 9616/81, 23.04.1987, § 77. Vgl. ferner Azinas v. Cyprus, no. 56679/00, 20.06.2002, §§ 35 ff. 213 Es kann etwa nicht ausschließlich auf den Faktor „Zeit“ ankommen. Siehe hierzu Wiesinger v. Austria, no 11796/85, 30.10.1991, § 77. „Unreasonable delay“ der

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gen an, die eine spätere Überprüfungsmöglichkeit der Aufrechterhaltung der Eingriffssituation bzw. eine Entschädigung vorsehen müssen.214 Wenn man davon absieht, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung den Prüfungsschritt der Erforderlichkeit nicht kennt215 und die Vertragsstaaten über einen Einschätzungsspielraum verfügen, sind die Anforderungen an Regelungsausgestaltung und Eingriffsrechtfertigung sehr hoch. Die Enteignung ist an den Aspekt des öffentlichen Nutzens gebunden.216 Das konventionskonforme Gesetz muß eine gerichtliche Nachprüfbarkeit der Eingriffssituation in einem kontradiktorischen, fairen Verfahren vorsehen. Das ermöglicht217 die Würdigung von Fällen, die sonst218 nur unter Art. 6 Abs. 1 EMRK behandelt würden.

III. Schutz wegen Verletzung von Verfahrensgarantien Entschädigung wegen Verletzung der in Art. 5 und 6 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantien ist in zahlreichen Fällen gewährt worden. Wie in aller Haftung bei Verfahrensfehlern treten auch hier schwierige Kausalitätsprobleme auf. Bei Verletzungen des Menschenrechts auf persönliche Freiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 EMRK scheitert meistens der Ersatz des durch die Freiheitsentziehung verursachten materiellen Schadens am Kausalitätsnachweis.219 Eine Entschädigung für den materiellen Schaden wird bei willkürlicher Freiheitsentziehung gewährt, wenn auch andere Verstöße vorliegen, z. B. wenn ein Militärgericht die Rechtsprechung zum Schutz der Religionsfreiheit „blatantly ignored“ hatte220 oder schwere Verletzungen von Art. 3 und 8 auch bejaht worden sind.221 Die Auszahlung macht aber schon die Entschädigung unangemessen: Almeida Garret, Mascarenhas Falcao and others v. Portugal, nos 29813/96, 30229/96, 11.1.2000, § 54. 214 Sporrong and Lönnroth v. Sweden, no 7151/75, 23.09.1982, A 52, § 70. Enteignungsgenehmigungen, die von der Stadt Stockholm verhängt und mit Veränderungssperren kombiniert wurden, waren in diesem Fall ohne jegliche flexible Ausgleichsregelung bis zu 25 Jahre in Kraft geblieben (§ 73). 215 Seit Hentrich v. France, no 13616/88, 22.09.1994, §§ 45–49 wird allerdings vom EGMR verlangt, daß die Staaten das Bestehen milderer Eingriffsmittel im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigen. Mittelberger 2000, S. 123, 148. 216 Das Mißbrauchsverbot der Technik der „réserves foncières“ (EGMR, Motais de Narbonne/France, no 48161/99 2.07.2002, § 21) führt zu Entschädigung für den Wertzuwachs nach der Enteignung nicht jedoch für den Nutzungsentzug (Motais de Narbonne c. France, no 48161/99, 27.5.2003, § 19). 217 Zumindest seit der Entscheidung EGMR, Hentrich v. France, no 13616/88, 22.09.1994, § 42. 218 Das heißt vor der „Hentrich“-Entscheidung. Vgl. Fredin/Sweden, no 12033/86, 18.02.1991, § 50. 219 Siehe z. B. Erkalo v. Netherlands, no 23807/94, 2.9.1998, § 70. 220 Tsirlis and Kouloumpas v. Greece, nos 19233/91, 19234/91, 29.5.1997-III, §§ 59, 80.

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Ablehnungsgründe werden nicht genannt, sie können jedoch dem vom EGMR bewerteten Sachverhalt entnommen werden. So ist die Dauer der konventionswidrigen Haft sowohl für die Haftungsbegründung als auch für die Schätzung des Verdienstausfalls von Bedeutung.222 Der Ersatz des immateriellen Schadens wird abgelehnt, wenn die rechtzeitige richterliche Haftprüfung nicht zu einer geringeren Freiheitsentziehung geführt hätte,223 wenn die Haftdauer besonders kurz gewesen war224, der Kläger keine Angaben zu einem Schaden machte225 oder wenn besondere Gründe die Schwere des Verstoßes abmildern können (z. B. Terrorismusverdacht).226 Besondere Umstände können selbst bei kurzer Freiheitsentziehung eine Entschädigung für „non pecuniary loss“ auslösen, wie im Falle einer nur siebenstündigen Haft der Kläger, die aber im Anschluß an „the peaceful exercise of their right to freedom of expression“ erfolgte,227oder im Falle der nur sechseinhalbstündigen Haft einer Person, die aber älter und fast blind war,228 oder im Falle einer nur zweistündigen Haft, wenn dem Kläger die Erniedrigung des Anlegens von Handschellen und der Festnahme in der Öffentlichkeit zugemutet worden war,229 oder im Falle der Anwendung von physischem und psychischem Zwang unter Bedingungen ungesetzlicher Freiheitsberaubung.230 Zum Ersatz des immateriellen Schadens trägt ferner die Kumulierung von Verstößen (z. B. „unlawfulness and protracted length of detention“),231 die Haftdauer im Zusammenhang mit dem Verhalten von Behörden und Betroffenem232 oder das vorsätzliche Fehlverhalten des Staates233 bei. Die Entschädi221

Elci and others v. Turkey, nos 23145/93 and 25091/94, 13.11.2003. Ebd. §§ 720–721. 223 Ein „state of uncertainty“ reicht zu Geldersatz nicht aus: Erkalo v. Netherlands no 23807/94, 2.9.1998, § 70. Vgl. auch Amuur v. France, no 19776/92, 25.6.1996, § 59. 224 K-F v. Germany, no 25629/94, 27.11.1997, §§ 13–17, 77. 225 Ciulla v. Italy, no 11152/84, 22.2.1989, §§ 24, 48. 226 Die Haft dauerte zwischen 30 und 40 Stunden („bona fide suspicion“): Fox, Campbell and Hartley v. United Kingdom (merits), nos 12244/86, 12245/86, 12383/ 86, 30.8.1990, §§ 20, 48; 27.3.1991 (just satisfaction), § 11. 227 Steel v. United Kingdom, no 24838/94, 23.9.1998, § 122. 228 Witold Litwa v. Poland, no 26629/95, 4.4.2000, §§ 6, 85. 229 Raninen v. Finnland, no 20972/92 16.12.1997, §§ 19–20, 69. 230 Riera Blume and other v. Spain, no 37680/97 14.10.1999, §§ 33, 42. 231 D.P. v. Poland, no 34221/96, 20.1.2004, § 101. Ferner Verstoß gegen die Absätze 1, 2 und 4 des Art. 5: Van der Leer v. The Netherlands, no 11509/85, 21.2.1990, § 42; Smirnova v. Russia, no 46133/99 24.7.2003, § 105 (Verstoß gegen 5-1 und 5-3, 6-1 und 8); Rakevich v. Russia, no 58973/00, 28.10.2003, §§ 52 (Art. 5-1, 5-4); gegen das Recht auf Familienleben Nowicka v. Poland, no 30218/96, 3.12.2002, §§ 65, 77, 83; gegen Art. 3 Pantea c. Roumanie, no. 33343/96, 3.6.2003, § 301; gegen Art. 2 und 13 Irfan Bilgin v. Turkey, no 25659/94, 17.7.2001, § 163–164 gegen Art. 5 Abs. 3, Art. 6 und 8 Goral v. Poland, no 38654/97, 30.10.2003, §§ 42, 91. 232 Quinn v. France, no 18580/91, 22.3.1995, §§ 16–18, 64 (fast zweijährige Haft); Lukanov v. Bulgaria, no 21915/93 20.3.1997, §§ 18, 53 (fast viermonatige Haft); Johnson v. United Kingdom, no 520/93, 24.10.1997, § 77 (Haft von Juni 1989 bis 222

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gungshöhe für den immateriellen Schaden hängt zum einen davon ab, ob ein alleiniger Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 vorliegt; zum anderen richtet sie sich nach der Schwere der gleichzeitigen Verletzung anderer Rechte (z. B. i.R. des Art. 3 danach, ob unmenschliche Gleichbehandlung oder Tortur bejaht wurde).234 Bei Verletzung des Rechts auf unverzügliche Vorführung vor einen Haftrichter, auf Freilassung während der Dauer des Prozesses oder auf eine Gerichtsverhandlung innerhalb einer angemessenen Frist (Art. 5 Abs. 3 EMRK) scheitert der Ersatz des materiellen Schadens am Kausalzusammenhang235 und insbes. daran, daß die Dauer der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet wurde.236 Wenn eine Berufung an ein höheres Gericht gegen das die Freiheitsstrafe ausgesprochene Urteil noch anhängig ist, verliert allerdings dieses Argument seine Geltung.237 Immaterielle Schäden hat der EGMR zunächst ersetzt.238 Anschließend machte sich nach Einschätzung des EGMR selbst239 eine Tendenz bemerkbar dazu, die Feststellung des Verstoßes als „just satisfaction“ ausreichen zu lassen, wenn vor allem keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 vorliegt.240 Besondere Umstände können aber eine Entschädigung für „non pecuniary loss“ nach wie vor rechtfertigen.241 Ähnliches gilt bei konventionswidriger Verweigerung der Entlassung aus der Haft gegen Sicherheitsleistung: Der Januar 1993; die ständige Verschiebung der Haftentlassung wurde allerdings nicht ausschließlich den Behörden zugerechnet). 233 Bozano v. France (just satisfaction), no 9990/82, 2.12.1987, § 8. 234 Hierzu Elci and others v. Turkey, nos 23145/93 and 25091/94, 13.11.2003, §§ 725–728. 235 Pauwels v. Belgium, no 10208/82, 26.5.1988, § 43 („The evidence, however, did not afford any reason to suppose that the applicant’s detention on remand would probably have been brought to an end if . . . an independent judicial officer had chaired the Board of Inquiry“). 236 Letellier v. France, no 12369/86, 26.6.1991, § 62; Toth v. Austria, no 11894/85, 12.12.1991, §§ 89, 91; Scott v. Spain, no 21335/93, 18.12.1996, § 87; Smirnova v. Russia, no 46133/99, 24.7.2003, § 109; Imre v. Hungary, 53129/99, 2.12.2003, §§ 32, 52. 237 Cesky v. Czech Republic, no 33644/96, 6.6.2000, § 91 (Ersatz des materiellen Schadens); vgl. hierzu den spiegelbildlichen Fall Punzelt v. Czech Republic, no 31315/ 96, 25.4.2000, § 103, wo die Dauer der Untersuchungshaft von der Freiheitsstrafe abgezogen und deshalb keine Entschädigung gewährt wurde. 238 De Jong, Baijet and Van den Brink v. Netherlands, nos8805/79, 8806/79, 9242/ 81, 22.5.1984, § 65; Van der Sluijs, Zuiderveld and Klappe v. The Netherlands, 9362/ 81, 9363/81, 9387/81, 22.5.1984, § 52; Duinhof and Duijf v. Netherlands, nos 9626/ 81, 9736/82, 22.5.1984, § 45: Immaterieller Schaden „not wholly compensated by the findings of violation or even by the deduction of the period spent in custody on remand from the sentence of imprisonment ultimately imposed“. 239 Niedbala v. Poland No 27915/95, 4.6.2000, § 88. 240 Brogan and others v. United Kingdom (merits), nos 11209/84 and others, 29.11. 1988; 30.5.1989 (just satisfaction), §§ 2 (a), 9; TW v. Malta, no 25644/94, 29.4.1999, § 57; Salapa v. Poland, no 35489/97, 19.12.2002, § 107.

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Kläger, dem die Haftentlassung gegen Kaution verweigert worden war, war etwa besonders alt oder krank,242 oder der Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK war mit einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK und/oder mit materiellen Menschenrechtsverletzungen kombiniert worden, was den EGMR dazu führte, den Ersatz des immateriellen Schadens mit der Zahl und Schwere der Verstöße243 bzw. mit den Eingriffsfolgen244 zu begründen. Bei gleichzeitigem Verstoß gegen Art. 3 und 6 EMRK kann der immaterielle Schaden ersetzt werden, obwohl das Opfer bereits nach nationalem Recht entschädigt worden ist.245 Die Verletzung des Rechts auf unverzügliche gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Festnahme oder Haft einer Person (Art. 5 Abs. 4 EMRK) löst in der Regel wegen fehlenden Kausalzusammenhangs keine Entschädigung für materielle Schäden aus246: Eine Beachtung von Art. 5 Abs. 4 EMRK hätte nach dem EGMR keine frühere Haftentlassung herbeigeführt.247 Wenn die Haft mit Art. 5 Abs. 1 EMRK vereinbar, doch der Richtervorbehalt verletzt worden war, kann unter Berufung auf die besonderen Umstände (z. B. junges Alter) für „loss of opportunities“ entschädigt werden, soweit die innerstaatliche Instanz die bedingte Haftentlassung wiederholt befürwortet hatte. Auch was den Ersatz des immateriellen Schadens angeht, reicht bei Befürwortung248 der Haftentlassung die bloße Feststellung des Verstoßes gegen den Richtervorbehalt als „sufficient just satisfaction“ nicht aus. Ähnliches gilt bei mangelnder Koordination von Instanzen.249 In der Regel wird aber der Ersatz des immateriellen Schadens 241 Etwa der symbolische Wert des Abgeordnetenstatus in Sakik and others v. Turkey, nos 23878/94 and others, 26.11.1997, §§ 6, 66 oder das Fehlen von „special diligence“ (Verletzung von 5-3 und 6-1 neben 8): Matwiejczuk v. Poland, no 37641/97; 2.12.2003, §§ 79, 86, 102, 110; Yankov v. Bulgaria, no 39084/97, 11.12.2003, § 211 (Art. 3, 10, 13, 5-3, 5-4, 5-5, 6-1). 242 Caballero v. United Kingdom, no 32819/96, 8.2.2000 § 31. 243 Labita v. Italy, no 26772/95, 6.4.2000, § 207. 244 Mansur v. Turkey, no 16026/90, 8.6.1995, §§ 72, 74–75; vgl. auch Yagci and Sargin v. Turkey, no 16419/90, 16426/90, 8.6.1995, §§ 72, 75: Die Kläger, die nach einer 3jährigen Haft freigesprochen worden waren, machten „suffering throughout detention and trial, the impossibility of carrying on their occupation and the slur on their honour“ geltend. 245 Tomasi v. France, no 12850/87, 27.8.1992, § 130. 246 Luberti v. Italy, 9019/80, 23.2.1984, § 40; Lamy v. Belgium, no 10444/83, 30.3. 1989, § 42; Bezicheri v. Italy, no 11400/85, 25.10.1989, § 29; Kampanis v. Greece, no 17977/91, 13.7.1995, § 66. 247 De Wilde, Ooms and Versyp v. Belgium (No 2), nos 2832/66, 2835/66, 2899/ 66, 10.3.1972, § 24; s. ferner Van Droogenbroeck v. Belgium (just satisfaction), no 7906/77, 25.4.1983, § 12. 248 Weeks v. United Kingdom (Just Satisfaction), no 09787/82, 5.10.1988, §§ 13, 14; Curley v. United Kingdom, No. 32340/96, 28.3.2000 (Divergenz von Parole Board und Minister). Anders, wenn die bedingte Haftentlassung durchweg verweigert worden war: Hussain v. United Kingdom, no 21928/93, 21.2.1996, §§ 13–18, 56. 249 R.M.D. v. Switzerland, no 19800/92, 26.9.1997, §§ 54, 59 (der Kläger war aufgrund der föderalen Struktur „continually transferred“ worden).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

bei Verstößen gegen Art. 5 Abs. 3 und/oder 4 ohne Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 seit der Entscheidung Nikolova v. Bulgaria250 nicht ersetzt. Kumulierung von Verfahrensfehlern allein ist für den Ersatz nicht ausschlaggebend.251 Anders liegt es, wenn materiell-rechtliche Verletzungen hinzukommen.252 Der Ersatz des materiellen Schadens scheitert bei Verstößen gegen Art. 6 EMRK meistens am fehlenden Kausalitätsnachweis.253 Dies gilt für die Verletzung des Rechtsschutzgewährleistungsanspruchs,254des Grundsatzes des gesetzlichen Richters255, der Unparteilichkeit bzw. Unabhängigkeit des Gerichts256, des Öffentlichkeitsprinzips257, des Rechts, sich nicht zu bezichtigen und zu schweigen258 oder des Grundsatzes der Waffengleichheit oder der Begründungspflicht.259 Der EGMR kann etwa nicht davon ausgehen, daß eine rechtmäßige Beweisaufnahme zu einem günstigeren Verfahrensausgang geführt hätte.260 Die Figur von „loss of opportunities“ ermöglicht allerdings unter Umständen die Kompensation des materiellen Schadens.261 Der immaterielle Schaden kann bei besonderer Schwere und Intensität262 selbst dann ersetzt werden, wenn die 250 Nikolova v. Bulgaria, no. 31195/96, 25.3.1999, § 76. Siehe zur „Anwendung“ dieses Grundsatzes die Entscheidungen Kampanis v. Greece, no 17977/91, 13.7.1995, § 66; Chahal v. United Kingdom, no 22414/93, 15.11.1996, § 158 („In view of its decision that there has been no violation of Article 5 para. 1 (art. 5-1) the Court makes no award for non-pecuniary damage in respect of the period of time [the applicant] has spent in detention“); s. ferner König v. Slovakia, no 39753/98, 20.1.2004, § 29. Anders früher: EGMR, Megyeri v. Germany, no 13770/88, 12.5.1992, §§ 31–32. 251 Vgl. die bes. Umstände in Öcalan v. Turkey, no 46221/99, 12.3.2003, § 250 mit Sondervotum. 252 Etwa Verstoß gegen Art. 8: G.K. v. Poland, no 38816/97, 20.1.2004, § 119. 253 Etwa in Pudas v. Sweden, no 10426/83, 27.10.1987, § 47. 254 Etwa in Airey v. Ireland (just satisfaction), no 6289/73, 6.2.1981, § 12; Boden v. Sweden, no 10930/84, 27.10.1987, § 40; Allan Jacobsson v. Sweden, no 10842/84, 25.10.1989, § 82; Morel c. France, no 43284/98, 12.2.2004, § 78. 255 Coeme and others v. Belgium, no 32492/96, 22.6.2000, § 108. 256 De Cubber v. Belgium, no 9186/80, 14.9.1987, §§ 22–23; Van Orshoven v. Belgium, no 20122/92, 25.6.1997, § 46. 257 Szücs v. Austria, no 20602/92 24.11.1997, § 51. 258 Saunders v. United Kingdom, no 19187/91, 17.12.1996, § 86. 259 Dombo Beheer BV v. The Netherlands, no 14448/88, 27.10.1993, § 33. Die Reichweite der Begründungspflicht hängt von der Natur der Gerichtsentscheidung (Karakasis c. Grèce, no 38194/97, 17.10.2000, § 27; Sakkopoulos v. Greece, no 61828/ 00, 15.1.2004, § 51). 260 Dombo Beheer BV v. The Netherlands, A 274-A 1993 § 40 (Zeugenaussage). Für ähnlich begründete Klageabweisungen s. etwa Bricmont v. Belgium, no 10857/84, 7.7.1989, § 97; Borgers v. Belgium, no 12005/86, 30.10.1991, § 31; Saidi v. France, no 14647/89, 20.9.1993, § 49; Ruiz-Mateos v. Spain, no 12952/87, 23.6.1993, § 70; Bulut v. Austria 1996-II; Mantovanelli v. France, no 21497/93, 18.3.1997, § 40; Nideröst-Huber v. Switzerland, no 18990/9, 18.2.1997, § 37; Van Orshoven v. Belgium, no 20122/92, 25.6.1997, § 46. 261 Bönisch v. Austria (just satisfaction), no 8658/79, 2.6.1986, § 11: „even if the prospects of realising (the lost opportunities) were questionable“; Delta v. France,

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Schätzung und Bestimmung des materiellen Schadens problematisch gewesen ist263 oder wenn dieser wegen des ungewissen Ausgangs des konventionskonformen Alternativverfahrens gar nicht ersetzt wurde.264 Eine Kompensation des immateriellen Schadens findet vor allem beim Verstoß gegen Verfahrensgarantien im Zusammenhang mit der Regelung des Phänomens der Transsexualität265 oder im Bereich der Inobhutnahme, Fürsorge und Adoption von Kindern statt, in denen die leiblichen Eltern Verlust oder Beeinträchtigung der Lebensgemeinschaft („loss of consortium“) mit dem Kind geltend machen.266 Ersetzt wird ferner der eingeklagte immaterielle Schaden bei Verletzung der Waffengleichheit267 oder der Begründungspflicht, soweit diese die weitere Verfahrensbeteiligung und Erfolgschancen des Klägers bedingt.268 Bei Kumulierung von Verfahrensfehlern269 und/oder materiell-rechtlichen Konventionsverletzungen (z. B. Verurteilung wegen Nicht-Offenlegung belastender Unterlagen und konventionswidrige Wohnungsdurchsuchung) wird jedenfalls der immaterielle Schaden ersetzt; es ist aber nicht immer klar, inwiefern sich die Entschädigung auf den Verfahrensfehler bezieht.270 Bei einer Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips und gleichzeitigem Verstoß gegen eine andere Verfahrensgarantie, kann für den immateriellen Schaden entschädigt werden; im Falle eines Freispruchs bei Prozeßwiederholung wird auch für Verdienstausfall und entgangene Karrierechancen entschädigt.271 Die alleinige Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips bleibt i. d. R. entschädigungslos; ersetzt werden aber no 11444/85, 19.12.1990, § 43; Sakkopoulos v. Greece, no 61828/00, 15.1.2004, § 56. 262 Coeme and others v. Belgium, no 32492/96, 22.6.2000, §§ 158, 164 („seriousness of the damage“). 263 Bönisch v. Austria (just satisfaction), no 8658/79, 2.6.1986, § 11. 264 De Cubber v. Belgium (just satisfaction), no 9186/80, 14.9.1987, § 24; De Moor v. Belgium, no 16997/90, 23.6.1994, § 72; Beaumartin v. France, no 15287/89, 24.11.1994, § 44; Devlin v. The United Kingdom, no 29545/95, 30.10.2001, §§ 39. 265 Van Kück v. Germany, no 35968/97, 12.6.2003, §§ 81–86, 96. 266 Siehe u. a. Olsson v. Sweden (No 2), no 13441/87, 27.11.1992, § 111; P.C. and S. v. The United Kingdom, no 56547/00, 16.7.2002, §§ 137, 149. 267 Kuopila v. Finland, no 27752/95, 27.4.2000, §§ 38, 42. 268 H.A.L. v. Finland, no 38267/97, 27.1.2004, §§ 51, 56; Entschädigungslos blieb allerdings die Verletzung der Begründungspflicht in Ruij Torija v. Spain, no 18390/91, 9.12.1994, §§ 30, 33; ablehnend auch in Georgiadis v. Greece, no 21522/93, 29.5.1997, §§ 43, 49 (grundlose Abweisung der von einem inhaftierten Wehrdienstverweigerer eingelegten Entschädigungsklage). 269 Weil c. France, no 49843/99, 5.2.2004: unfaires und überlanges Verfahren. 270 Funke v. France, no 10828/84, 25.2.1993 § 62. 271 Barberà, Messegué and Jabardo v. Spain (just satisfaction), nos10588/83, 10589/ 83, 10590/83, 13.6.1994, §§ 17–18, 20; anders Asan Rushiti v. Austria, no 28389/95, 21.6.2000, §§ 8, 38 (entschädigungslose Verletzung von Öffentlichkeitsprinzip und Unschuldsvermutung, doch volle Rückvergütung der Rechtsverfolgungskosten angesichts auch des Freispruchs des Klägers).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

(zumindest zum Teil) die Kosten der Rechtsverfolgung, die als ein durch die Konventionsverletzung verursachter materieller Schaden angesehen werden.272 Ähnliches gilt für die alleinige Verletzung des Rechts, sich nicht zu bezichtigen273, und des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, dessen Verletzung in aktuelleren Fällen entschädigungslos bleibt.274 Bei Verletzung dieses Grundsatzes i. V. m. materiell-rechtlichen Verstößen, z. B. ungerechtfertigtem „sonstigem Eingriff“ in das Eigentum wird hingegen der materielle und immaterielle Schaden ersetzt.275 Grundsätzlich kann die Verurteilung durch ein parteiisches und abhängiges Gericht dem EGMR zufolge am besten nur durch Prozeßwiederholung wiedergutgemacht werden, die aber vom EGMR nicht angeordnet werden darf.276 Eine Vielzahl von Entschädigungsfällen stützte sich auf die überlange Verfahrensdauer innerstaatlicher Prozesse. Übermäßiges Arbeitspensum der innerstaatlichen Gerichte ist kein die Haftung ausschließendes Argument.277 Beim Streik des Anwaltsvereins kommt es auf die dem Staat zuzurechnende Schutzpflichtverletzung an.278 Der Ersatz des materiellen Schadens scheitert meistens

272 Engel and others v. The Netherlands (No 2), no 5100/71, 23.11.1976, § 11; Le Compte, van Leuven and de Meyere v. Belgium (Article 50) A 54 1982; Albert and Le Compte v. Belgium (just satisfaction), nos 7299/75; 7496/76, 24.10.1983, §§ 11– 12; Campbell and Fell v. United Kingdom, no 7819/77, 7878/77, 28.6.1984, §§ 133, 142–143; Weber v. Switzerland, no 11034/84, 22.5.1990, §§ 54–55; Fischer v. Austria, no 16922/90, 26.4.1995, §§ 46–49; Diennet v. France, no 18160/91, 26.9.1995, §§ 43–46; Lobo Machado v. Portugal, no 15764/89, 20.2.1996, §§ 40, 43; Stallinger and Kuso v. Austria 14696/89; 14697/89, 23.4.1997, §§ 57, 60; Werner v. Austria, no 21835/93, 24.11.1997, §§ 72, 77; Szücs v. Austria, no 20602/92, 24.11.1997, §§ 51, 56; Ernst and Anna Lughofer v. Austria, no 22811/93, 30.11.1999, §§ 22, 24; Riepan v. Austria, no. 35115/97, 14.11.2000, §§ 46–47, 49. 273 EGMR, Saunders v. United Kingdom, no 19187/91, 17.12.1996, §§ 86, 89, 93; I.J.L and others v. The United Kingdom, nos 29522/95, 30056/96, 30574/96, 19.9. 2000, §§ 83, 146–147. 274 Feststellungsentscheidung als „just satisfaction“: Hauschildt v. Denmark, no 10486/83, 24.5.1989, § 57. Siehe ferner Sramek v. Austria, no 8790/79, 22.10. 1984, § 46; Langborger v. Sweden, no 1179/84, 22.6.1989, § 51; Oberschlick v. Austria, no 11662/85, 23.5.1991, § 69; Findlay v. United Kingdom, no 22107/93, 25.2.1997, § 88; De Haan v. The Netherlands, no 22839/93, 26.8.1997, § 60; Gautrin v. France, nos 21257/93, 21258/93, 21259/93, 21260/93, 20.5.1998, § 64; Çiraklar v. Turkey, no 19601/92, 28.10.1998, § 45. 275 Sovtransavto holding v. Ukraine (merits), no 48553/99, 25.7.2002, insbes. § 97 und § 3 des Sondervotums des Richters Cabral Barretto); Sovtransavto holding v. Ukraine (just satisfaction) no 48553/99, 2.10.2003. 276 Gençel v. Turkey, no. 53431/99, 23.10.2003, § 27; Ukunc and Gunes, no 42775/ 98, 18.12.2003, § 32; Alfatli and others v. Turkey (as regards the applicant Mahmut Memduh Uyan), no 32984/96, 30.10.2003, § 52. 277 Massa v. Italy, no 14399/88, 24.8.1993, § 31; s. ferner EGMR, Dactylidi c. Grèce, no 52903/99, 27.3.2003, § 41; Richart-Luna v. France, no 48566/99, 8.4.2003, § 47; Signe v. France, no 55875/00, 14.10.2003, § 37; Trippel v. Germany, no 68103/ 01, 4.12.2003, § 27.

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am Kausalitätsfilter.279 Immaterielle Schäden werden hingegen vor allem im Zivil-, Verwaltungs- und Verfassungsprozeß280 – anders als im Strafprozeß – öfter ersetzt, wobei allerdings nicht spezifiziert werden muß, ob der Prozeß ziviloder strafrechtlich gewesen war.281 Selbst Kapitalgesellschaften können für den ihnen zugefügten immateriellen Schaden entschädigt werden.282 Der immaterielle Schaden wird auch dann ersetzt, wenn die Entschädigung für den materiellen Schaden die Kausalitätshürde nicht überwindet.283 Die unangemessene Dauer führt mit Blick auf das, was für den Kläger auf dem Spiel steht,284 oder mit Blick auf die Qualifizierung des instanzlichen Verhaltens (die Verzögerung geht auf eine einzige Instanz285 oder auf Fahrläßigkeit bzw. Passivität und Stillstand des Verfahrens286 zurück) oder mit Blick auf die Verbindung mit anderen Verfahrensfehlern287 zur Verursachung eines ersatzfähigen immateriellen Schadens. Sie muß nicht den Kläger um seine Chancen gebracht haben, einen maßgeblichen Beweis zu erbringen.288 Der immaterielle Schaden wird umsomehr ersetzt, wenn das nationale Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 13 EMRK) gegen überlange Verfahren zur Verfügung stellt.289 Er wird demgegenüber im Todesfall des primär von der Konventionsverletzung Betroffenen, beim Selbstverschulden des Klägers oder auch bei innerstaatlichem Ersatz des materiellen Schadens nicht ersetzt. Erfolgreich sind meistens Klagen auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens gewesen, die einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK i. V. m. einem Verstoß gegen Art. 1 des 1. ZP zur EMRK 278 Pafitis et autres c. Grèce, no 20323/92, 26.2.1998, § 96; Terzis v. Greece, 29.1. 2004, no 64417/01, §§ 27, 28. 279 Siehe etwa Coudrier c. France, no 51442/99, 10.2.2004, § 36. 280 Voggenreiter c. Allemagne, no 47169/99, 8.1.2004, §§ 31, 52, 57 (7 Jahre). 281 W. R. v. Austria, no 26602/95, 21.12.1999, § 31. 282 Über den materiellen Schaden konnte der EGMR nicht spekulieren, da das innerstaatliche Verfahren noch anhängig war. 283 König v. Germany, no 6232/73 10.3.1980, § 19; Darnell v. United Kingdom, no 15058/89, 26.10.1993, § 24. 284 Lovasz v. Hungary, no 62730/00, 20.1.2004, §§ 41–43, 47; Kovacs v. Hungary, no 54457/00, 16.12.2003, § 34 (Bedeutung des Verfahrensausgangs für den Lebensunterhalt); Hartman c. République Tcheque, no 53341/99, 10.7.2003, § 88; Ciz v. Slovakia, no 66142/01, 14.10.2003, § 30; Napijalo v. Croatia, no 66485/01, 11.11.2003, §§ 62, 86; bes. Sorgfaltspflicht im Rentenrecht: H.T. v. Germany, no 38073/97, 11.1. 2002, §§ 37, 43–44; ähnlich Janssen v. Germany, no 23959/94, 20.12.2001, §§ 50–51, 57. 285 Coudrier c. France, no 51442/99, 10.2.2004, §§ 32, 37. 286 Morscher v. Austria, no 54039/00, 5.2.2004, §§ 39, 41, 47; Grela v. Poland, no 73003/01, 13.1.2004, §§ 31, 41; Earl v. Hungary, no 59562/00, 20.1.2004, §§ 41, 46. 287 Alge v. Austria, no 38185/97, 22.1.2004, §§ 25, 30, 36; Kyrtatos v. Greece, no 41666/98, 22.5.2003, § 59 (Rechtsschutzgewährleistung i. V. m. überlanges Verfahren). 288 H. v. France, no 10073/82, 24.10.1989, § 75. 289 Kormacheva v. Russia, no 53084/99, 29.1.2004, §§ 60, 71.

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geltend gemacht haben.290 Der EGMR stellte in diesem Zusammenhang fest, unter der Geltung des Art. 1 des 1. ZP zur EMRK sei die Gewährung von Entschädigung nur dann adäquat, wenn sie binnen einer angemessenen Frist erfolge.291 Bei strafgerichtlichen Verfahren kommt es darauf an, ob eine angemessene Verfahrensdauer zu einer geringeren Freiheitsentziehung geführt hätte (Kausalität des Verfahrensfehlers).292 Die in der Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 3 entwickelten Kriterien (besondere Sorgfaltspflicht und Straferlaß) finden hier ebenfalls Anwendung.293 Für den Ersatz des immateriellen Schadens können Schwere des Eingriffs (Dauer)294 und Eingriffsfolgen („applicant has lived and is still living in uncertainty and anxiety due to the duration of the proceedings“),295 Fahrlässigkeit und passive Untätigkeit der Instanzen296 sowie die Verbindung mit einer ebenfalls langen Haft des Betroffenen und zusätzlichen Verfahrensfehlern (z. B. ein gleichzeitiger Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK und Gesundheitsbeeinträchtigung wegen Haftbedingungen)297 maßgeblich sein. Gegen den Ersatz des immateriellen Schadens spricht die Schwere des vom Kläger begangenen Verbrechens.298

290 Sporrong and Lönnroth v. Sweden (just satisfaction), nos 7151/75, 7152/75 18.12.1984, § 32 und in Scollo v. Italy, no 19133/91, 28.9.1995, §§ 40, 44, 50. Das betrifft die Verbindung der Verletzung des Rechtsschutzgewährleistungsanspruchs i. V. m. einer Eigentumsverletzung; s. ferner Todorescu c. Roumanie, no 40670/98, 30.9.2003; Karahalios v. Greece, no 62503/00, 11.12.2003, §§ 30, 35 (Nichtimplementation eines Gerichtsurteils i.V.m. einem eigentumsrechtlichen „sonstigen Eingriff“); Katsaros c. Grèce, no 51473/99, 6.6.2002, §§ 35, 37 et 45 (merits) und Katsaros v. Greece, no 51473/99 (just satisfaction), 13.11.2003, § 19, 20; Serghides v. Cyprus, no 44730/98, 5.11.2002 (merits), §§ 52, 62–65, 70–71; Serghides v. Cyprus, no 44730/98, 10.6.2003 (just satisfaction), §§ 29, 34. Der in §§ 18–35 von Immobiliare Saffi v. Italy, no. 22774/93, 28.7.1999 dargestellte Sachverhalt hat eine Reihe von (ähnlichen) Entschädigungsfällen hervorgebracht, s. nur Soc. De. Ro. Sa. v. Italy, no 64449/01, 4.12.2003, §§ 29, 33 (Ersatz des materiellen Schadens). 291 Guillemin v. France (just satisfaction), no 19632/92 2.9.1998, § 24. 292 Verneinend B. v. Austria, no 11968/86, 28.3.1990, § 59; Milasi v. Italy, no 10527/83, 25.6.1987, §§ 10, 22; für einen seltenen Fall erfolgreicher Klage auf Ersatz des materiellen Schadens s. Foti and others v. Italy (just satisfaction), no 7604/76, 7719/76, 7781/77, 7913/77, 21.11.1983, § 18 (für „loss of employment“). 293 Abdoela v. The Netherlands, no 12728/87, 25.11.1992, § 24. 294 Baggetta v. Italy, no 10256/83, 25.11.1987, §§ 24, 28; Mitap and Müftüoglu v. Turkey, no 15530/89, 15531/89 25.3.1996, §§ 36, 41 (über 14 Jahre Verfahrensdauer: „considerable non-pecuniary damage“). 295 Rösslhuber v. Austria, no. 32869/96, 4.4.2001, § 35; Dirnberger v. Austria, no 39205/98, 5.2.2004, § 34 (16 Jahre). 296 Panek v. Poland, no 38663/97, 18.1.2004, § 35, 41; Girdauskas v. Lithuania, no 70661/01, 11.12.2003, §§ 27, 35; Nemeth v. Hungary, no 60037/00, 13.1.2004, §§ 30, 35. 297 Mansur v. Turkey, no 16026/90, 8.6.1995, §§ 72, 75. 298 Eckle v. Germany (just satisfaction), no 8130/78, 21.6.1983, § 24; Abdoela v. The Netherlands, no 12728/87, 25.11.1992, § 6, 28.

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Entschädigungsklagen wegen Verletzung des Prinzips der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) sowie der Rechte des Angeklagten auf Information über die Anklagepunkte (Art. 6 Abs. 3a EMRK), auf eine ordnungsgemäße Verteidigung (Art. 6 Abs. 3b und c EMRK), auf Zeugenvernehmung (Art. 6 Abs. 3d EMRK) und auf die unentgeltliche Verfügbarmachung der Dienste eines Dolmetschers haben ebenfalls mit dem Kausalitätsnachweis zu kämpfen. Wo dies unproblematisch ist299, können die eingeklagten Entschädigungssummen zugesprochen werden.300 Die Feststellungsentscheidung kann aber auch zusammen mit der Zurückerstattung der Kosten des Klägers als „just satisfaction“ anerkannt werden.301 Die Feststellung kumulierter Verstöße kann in strafrechtlichen Verfahren insofern für eine Entschädigung für „a loss of real opportunities“ sprechen, als eine Berücksichtigung der vom Betroffenen begangenen Straftat und der hiermit zusammenhängenden Schwierigkeiten bei der Sammlung von Beweismaterial hinzukommt. Die Bewertung fällt entsprechend der Natur der Straftat (Raubüberfall, Drogenhandel oder betrügerischer Bankrott) unterschiedlich aus. Das sieht man an Beispielen der Verletzung von Art. 6 Abs. 3d und Art. 6 Abs. 1302. Maßgeblich ist ferner, ob der Betroffene vor Eintritt des Verfahrenfehlers erstinstanzlich freigesprochen worden war.303 Kumulierung von Verfahrensfehlern kann, muß aber nicht zum Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens führen: Bei Darstellung des Anklagevorwurfs in einer dem (in seiner Abwesenheit) verurteilten Betroffenen nicht verständlichen Sprache wird der 299 In Sekanina v. Austria, no 13126/87, 25.8.1993, § 35 war dies eindeutig problematisch: „The violation found by the court (Verletzung der Unschuldsvermutung) does not concern the lawfulness of the detention on remand;“ ähnlich in Asan Rushiti v. Austria, no 28389/95, 21.3.2000, § 35. 300 Lüdicke, Belkacem and Koç v. Germany (merits), nos 6210/73, 6877/75, 7132/75, 28.11.1978, § 57 und Punkt 4 des verfügenden Teils (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 e EMRK: ausgezahltes Honorar zurückerstattet). 301 Minelli v. Switzerland, no 8660/79, 25.3.1983, § 44 (Verstoß gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung aufgrund der impliziten Annahme, der Kläger wäre im innerstaatlichen Prozeß ohne Verjährung des Strafanspruchs verurteilt worden). 302 Delta v. France, no 11444/85, 19.12.1990, § 43 (Verletzung des Rechts der Befragung von Belastungszeugen i. V. m. Verletzung der Waffengleichheit). Anders aber bei gleichen Verletzungen in Saidi v. France, no 14647/89, 20.9.1993, §§ 44, 49. Hier ging es nicht um Raubüberfall, sondern um Drogenhandel: „The Court is fully aware of the undeniable difficulties of the fight against drug-trafficking – in particular with regard to obtaining and producing evidence – and of the ravages caused to society by the drug problem“. 303 „The applicant had originally been acquitted after several witnesses had been heard. When the appellate judges substituted a conviction, they had no fresh evidence“: Vidal v. Belgium (merits), no 12351/86, 22.4.1992, § 34; Vidal v. Belgium (just satisfaction), no 12351/86, 28.10.1992, § 9 unter Hinweis auf Delta v. France; Freispruch von der Erstinstanz auch in Pélissier and Sassi v. France, no 25444/94, 25.3.1999, §§ 28, 80 (Verletzung des Informationsrechts der Angeklagten und überlange Verfahrensdauer).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

immaterielle Schaden nicht ersetzt, soweit Natur und Grund des Anklagevorwurfs dem zugestellten Schreiben doch entnommen werden konnten.304 Der besondere Unwert des Verhaltens des Vertragsstaates305, die Stützung strafgerichtlicher Verurteilungen ausschließlich oder entscheidend auf eine konventionswidrige Beweiserhebung – insbes. bei Unmöglichkeit innerstaatlicher Prozeßwiederholung306 – sowie die Anerkennung der Ersatzfähigkeit der eingeklagten Schadensposition bzw. die Anerkennung der Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers307 seitens des Vertragsstaates kommen für eine Entschädigung ebenfalls in Betracht. Wenn es sich ferner aus dem Sachverhalt ergibt, daß bei ordnungsgemäßer Verteidigung schwerwiegende Verletzungen des innerstaatlichen materiellen oder formellen Rechts wahrscheinlich aufgedeckt worden wären308 oder der Sachverhalt eine angemessenere Beurteilung gefunden hätte,309 wird der immaterielle Schaden nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Folgen310 des Verstoßes ersetzt. Der Unwert der begangenen Straftat, die Härte der zu verhängenden Strafe und die Komplexität des Verfahrens sind Faktoren, die bei der Frage berücksichtigt werden, ob die Dienste eines Anwalts das Verhalten des Betroffenen und des Gerichts beeinflußt hätten.311

304

Brozicek v. Italy, no 10964/84, 19.12.1989, § 42, 48. Allenet de Ribemont v. France, no 15175/89, 10.2.1995, § 62 (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und 2; Bewertung des Verhaltens des Vertragsstaates mit Blick auf „indisputably sustained non-pecuniary damage“: „The lack of restraint and discretion vis à vis the applicant was therefore all the more reprehensible“). 306 Unterpertinger v. Austria, no 9120/80, 24.11.1986, § 35 (Verurteilung aufgrund anonymer Zeugenaussagen: Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens); Van Mechelen v. The Netherlands (just satisfaction), no 21363/93, 21364/93, 21427/93, 22056/93, 30.10.1997, §§ 2, 18 (Verurteilung „based to a decisive extent on the evidence of police officers of whose identity the defence had been unaware and whose demeanour under direct questioning they had been prevented from observing“: Ersatz des immateriellen Schadens). 307 Perks and others v. The United Kingdom, 25277/94 et al., 12.10.1999, §§ 80–81 (andere Entscheidung, wenn ein Rechtsanwalt auf die gesundheitlichen Probleme des Klägers hingewiesen hätte). 308 Artico v. Italy, no 6694/74, 13.5.1980, § 47; s. ferner S v. Switzerland, no 12629/ 87, 13965/88, 28.11.1991, § 48, 55 (Kausalität ungehinderter Kommunikation mit dem Anwalt); Zana v. Turkey, no 18954/91, 25.11.1997, § 71 (Kausalität der Verletzung von Art. 6-3-c, zusätzliche Verletzung von 6-1 und 10: „If the applicant had been present at the hearing, he would have had an opportunity, in particular, to say what his intentions had been when he had made his statement and in what circumstances the interview had taken place, to summon journalists as witnesses or to seek production of the recording.“; in Goddi v. Italy, A 76, 9.4.1984, § 35 (Kausalität des Fehlens von „practical and effective defence“ unter Rückgriff auf loss of opportunities: Ersatz neben dem immareriellen auch des materiellen Schadens). Anders in Maxwell v. The United Kingdom, no 18949/91 28.10.1994, § 43 (Die Abweisung des Antrags des Angeklagten auf unentgeltliche Prozeßkosten- bzw. Beratungshilfe sei nicht kausal für den materiellen Schaden). 309 Michael Edward Cooke v. Austria, no 25878/94, 8.2.2000, §§ 42, 53. 310 Kyprianou v. Cyprus, no 73797/01, 27.1.2004, §§ 84–85 (Art. 6-1, 6-2, 6-3-a). 305

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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Die haftungsrechtliche Relevanz von Art. 13 EMRK kommt zum Ausdruck, wenn keine Verfahren zur Feststellung312 eines Konventionsverstoßes oder zur Haftungsbegründung313 wegen einer (Schutzpflicht-)Verletzung verfügbar sind. Oft wird das Fehlen von Ermittlungsverfahren mit wirksamer Beteiligungsmöglichkeit des Betroffenen314 bei Eingriffen in Art. 2, 3 oder 8 EMRK gerügt. Wenn Eigentumsverletzungen nicht geltend gemacht werden können, wird der materielle Schaden ersetzt.315 Das Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfs kann den durch eine materiell-rechtliche Verletzung316 oder ein überlanges Prozessieren317 bereits verursachten immateriellen Schaden318 verstärken und (erst recht) 311 Für Beispiele des Nicht-Ersatzes des immateriellen Schadens mit der Begründung, die Feststellungsentscheidung sei schon „just satisfaction“ s. Pakelli v. Germany, no 8398/78, 25.4.1983 § 46 (Verstoß gegen Art. 6-3-c, der Betroffene bestimmte nicht den Schaden); FCB v. Italy, no 12151/86, 28.8.1991, §§ 10, 33, 35, 38 (Verstoß gegen Art. 6-1 und 6-3-c, der Betroffene „was charged with very serious crimes“ und sein Verhalten „may give rise to certain doubts“); Lala v. The Netherlands, no 14861/89, 22.9.1994, §§ 10, 33, 38 (Verstoß gegen Art. 6-1und 6-3-c); Pelladoah v. The Netherlands, no 16737/90, 22.9.1994, § 9, 11, 44 (Verstoß gegen Art. 6-1+6-3-c, der Betroffene war in Besitz von über 20 kg Heroin festgenommen und verurteilt worden); Maxwell v. The United Kingdom, no 18949/91, 28.10.1994, §§ 8, 14, mit Sondervotum des Richters Freeland (Berufung wäre auch ohne Verstoß gegen Art. 6-3-c aussichtslos); in John Murray v. The United Kingdom, no 18731/91, 8.10.1996, §§ 76, 58 hätte der Anwalt ohnehin nichts bewirkt „it is true (. . .) that when the applicant was able to consult with his solicitor he was advised to continue to remain silent and that during the trial the applicant chose not to give evidence or call witnesses on his behalf“; in Averill v. The United Kingdom, no 36408/97, 6.6.2000, §§ 60, 66 war der Betroffene die ersten 24 Stunden seiner polizeilichen Haft ohne Anwalt geblieben; in Magee v. The United Kingdom, no 28135/95, 6.6.2000, §§ 45, 55 hatte der des Terrorismus verdächtige Betroffene während der ersten zwei Tage seiner Haft keinen Zugang zu einem Rechtsanwalt gehabt); Benham v. The United Kingdom, no 19380/92, 10.11. 1996, § 68. 312 D.P. & J.C. v. The United Kingdom, no 38719/97, 10.10.2002, § 138, 142. 313 Z. and Others v. The United Kingdom, no. 29392/95, 2001-V, § 109; Keenan v. The United Kingdom, no. 27229/95, 2001-III, §§ 122, 129; Paul and Audrey Edwards v. The United Kingdom, no. 46477/99, 14.3.2002, § 97; E. and others v. The United Kingdom, no 33218/96, 26.11.2002 §§ 115, 120–124; McGlinchey and others v. The United Kingdom, no 50390/99, 29.4.2003, §§ 66–67, 71. 314 Siehe unter vielen Kaya v. Turkey, no 22729/93, 19.2.1998, 1998-I, § 107. 315 Stockholms Forsakrings- och Skadestandsjuridik AB v. Sweden, no 38993/97, 16.9.2003, §§ 53–54, 71, 77–78 (unverhältnismäßiger Eigentumsentzug). 316 Peck v. The United Kingdom, no 44647/98, 28.1.2003. § 119 (Verletzung von Art. 13 und Art. 8); Hasan and Chaush v. Bulgaria, no 30985/96, 26.10.2000, § 121 and Metropolitan Church of Bessarabia and others v. Moldavia, no 45701/99, 13.12.2001 § 146 (Art. 9); Djavit An v. Turkey, no. 20652/92, 20.2.2003, §§ 61, 66– 67, 73, 83–84 (Art. 11); Bottaro c. Italie, no 56298/00, 17.7.2003, § 59 (P1-1, P4-2 und Art. 8); Tekdag v. Turkey, no 27699/95, 15.1.2004, § 117 (Art. 2). 317 Dactylidi c. Grèce, no 52903/99, 27.3.2003, §§ 51, 58; Kangasluoma v. Finnland, no 48339/99, 20.1.2004, §§ 49, 54. 318 Der Ersatz des materiellen Schadens bei Verletzung von Art. 13 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 wird meistens unter Hinweis auf Arvois c. France, no 38249/97, 23.11.1999, § 18 abgelehnt.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

ersatzfähig machen. Ersetzt wird der immaterielle Schaden auch beim Fehlen eines wirksamen Rechtsbehelfs zur Durchsetzung einer angemessenen Verfahrensdauer und/oder zur Geltendmachung des Verzögerungsschadens.319 Bei fehlendem gerichtlichem Zugang320 oder bei fehlender Wirksamkeit eines verfügbaren Rechtsbehelfs ohne materielle Rechtsverletzung321 gilt die Feststellungsentscheidung als „just satisfaction“.

IV. Haftungsrechtliche Ermessensausübung und Kausalität Der EGMR wird die Entschädigung nur anordnen, wenn dies erforderlich ist („if necessary“, „si il y a lieu“). Neben dieser Ermessensentscheidung, die eine Reihe von Faktoren berücksichtigt, stehen die unter dem Stichwort „Kausalität“ vom EGMR angestellten Überlegungen zur Billigkeit einer Haftung; ein Teil der Überlegungen zur Kausalität betrifft insbesondere die Problematik der entgangenen Chancen („loss of opportunities“). Schließlich ist der Ersatz der Kosten und Auslagen zu erwähnen, der vom Gerichtshof als Element der Entscheidung über „just satisfaction“ behandelt wird. Bei der Ermessensausübung werden die vom Vertragsstaat getroffenen Maßnahmen, die Schwere der Konventionsverletzung und die Schadensintensität, das Verhalten des beklagten Staates sowie die Mitverursachung des Schadens und die Schadensminderungspflicht des Geschädigten berücksichtigt. Die vom Vertragsstaat getroffenen Wiedergutmachungsmaßnahmen, die bei der Haftungsentscheidung des EGMR in Betracht gezogen werden und eine Haftung ausschließen können, betreffen die Durchführung eines neuen, zu demselben Ergebnis kommenden, diesmal aber verfahrensfehlerfreien Gerichtsverfahrens, den Abzug konventionswidriger Zeit in Haft von der endgültig ausgesprochenen Freiheitsstrafe und die Änderung322 des geltenden innerstaatlichen Rechts.323 Der Straferlaß stellt keine Naturalrestitution dar, doch kommt er ihr unter be319 Kudla c. Pologne, no 30210/96, 2000-XI, §§ 156, 159; Nouhaud et autres c. France, no 33424/96, 9.7.2002, §§ 44–45; Konti-Arvaniti c. Grèce, no 53401/99, 10.4.2003, §§ 30, 36; Loyen et autres c. France, no 55926/00, 29.4.2003, § 52; Doran v. Ireland, no 50389/99, 31.7.2003, §§ 73–76; Hartman c. République Tcheque, no 53341/99, 10.7.2003, §§ 81, 88; Gegielski v. Poland, no 71893/01, 21.10.2003, §§ 43, 47. 320 Hatton and others v. The United Kingdom, no. 36022/97, 8.7.2003, § 148. 321 Camenzind v. Switzerland, no 21353/93, 16.12.1997, 1997-VIII, §§ 57, 61. 322 Die Änderung muß das Unrecht und seine Folgen beseitigen: Wessels-Bergervoet v. The Netherlands (merits), no 34462/97, 4.6.2002, § 53; L. and V. v. Austria, no 9392/98 and 39829/98, 9.1.2003, § 60. 323 Dudgeon v. The United Kingdom (just satisfaction), no 7527/76, 24.2.1983, §§ 5, 14, 18; Norris v. Ireland, no 10581/83, 26.10.1988, § 50; Modinos v. Cyprus, no 15070/89, 22.4.1993, § 30.

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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stimmten Umständen sehr nah.324 Der partielle Straferlaß reduziert den Entschädigungsanspruch, schließt ihn jedoch nicht aus.325 Manchmal kann nicht mal ein voller Straferlaß als hinreichende Reparation angesehen werden, wenn der EGMR das Entgehen von Chancen („loss of opportunities“) infolge einer konventionswidrigen Verurteilung feststellt. Weder eine Begnadigung noch das Ausstreichen der Verurteilung und des Namens des Betroffenen vom Strafregister können entgangene Chancen wiederherstellen, eine Entschädigung muß gezahlt werden.326 Der EGMR sieht oft die gerichtliche Feststellung des Verstoßes gegen die EMRK als hinreichende „gerechte Entschädigung“ an. Mit diesem zur Formel erstarrten Ausdruck wird fast jede Entscheidung begründet, in der ein Ersatz des immateriellen Schadens abgelehnt wird.327 Nach diesem Grundsatz kann die Rechtsverletzung an sich keinen Entschädigungsanspruch begründen. Zumindest bei Verstößen gegen Art. 5 EMRK scheint ein solcher Anspruch eher die Ausnahme zu sein.328 Die Fälle, in denen der Ersatz des immateriellen Schadens verneint wurde, haben bestimmte gemeinsame Merkmale: Zum einen war der Gerichtshof bei der Feststellung der Konventionsverletzung im Haupturteil geteilt329; zum anderen waren die Betroffenen in der überwiegenden Mehrheit der Fälle strafrechtlich verfolgt oder verurteilt; in fast allen Fällen schließlich machten die Kläger Verfahrensfehler und insbesondere Verstöße gegen Art. 5 oder Art. 6 EMRK geltend. Die wenigen Fälle, in denen Ersatz für immaterielle Schäden von nicht Strafgefangenen beantragt und verneint wurde, betrafen ebenfalls Verfahrensfehler.330 Bei Verstößen gegen materielles Recht im Gegensatz zum Verfahrensrecht zeigt sich der EGMR bei der Gewährung gerechter Entschädigung großzügiger. Und bei materiellen Schäden wird die Feststellung der Konventionsverletzung an sich keine „gerechte Entschädigung“ darstellen können. Die Schwere der Konventionsverletzung („seriousness of violation“) macht meistens eine Entschädigung erforderlich. Sie bezieht sich etwa auf Folter, Tötung oder vorsätzliche Zerstörung von Eigentum.331 In diesen Fällen schwingt ein in den englischen „exemplary“ und „aggravated damages“ anzutreffendes 324

Neumeister v. Austria (just satisfaction), no 1936/83, 7.5.1974, §§ 40, 41, 43. Ringeisen v. Austria (just satisfaction), no 2614/65, 22.6.1972, §§ 21, 26, 27. 326 Bönisch v. Austria (just satisfaction), no 8658/79, 2.6.1986 § 11. 327 Siehe nur Golder v. The United Kingdom, no 4451/70, 21.2.1975, § 46. In Reid, Karen, A Practitioner’s Guide to the European Convention on Human Rights, 1998, S. 403 wird diese Formel („Finding of violation just satisfaction“) zu „FOVJS“ abgekürzt. 328 Bei Verstößen gegen Art. 5 Abs. 3 und 4 EMRK: Nikolova v. Bulgaria, no 31195/96, 25.03.1999, § 76. 329 Siehe etwa Jakupovich v. Austria, no 36757/97, 6.2.2003 (4 Richter zu 3). 330 So Shelton, Remedies in International Human Rights Law, 1999, S. 205. 325

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

sanktionierendes Element mit, obwohl der EGMR diese Entschädigungsart explizit in einer Reihe von Fällen verneint hat.332 Was die Schadensintensität angeht, sind geringe Schäden nicht geeignet, eine Haftung auszulösen, sie sind nicht hinreichend schwerwiegend, um eine Entschädigung „notwendig“ zu machen. Unterhalb einer gewissen Schwelle sind die mit der Konventionsverletzung verbundenen physischen und psychischen Belastungen entschädigungslos hinzunehmen. Wann diese Grenze überschritten ist, läßt sich allgemein nicht sagen. Bei lediglich „some annoyance and sense of frustration“ erscheint die Entschädigung nicht angezeigt oder nicht unerläßlich.333 Ein aggressives Verhalten des beklagten Staates erleichtert die Begründung eines Entschädigungsanspruchs. Eine rechtswidrige und willkürliche Freiheitsentziehung, die Gerichtsurteile mißachtet und das ordnungsgemäße Ausweisungsverfahren mißbraucht, löst somit die Haftung des Staates aus, obwohl die Freiheitsentziehung die rechtmäßige Untersuchungshaftzeit nur um zwölf Stunden überzog.334 Im Falle vom rechtswidrigen Abhören von Telefongesprächen seitens der Polizei wird die Entschädigung teilweise vom polizeilichen Zweck des Abhörens abhängig gemacht. Die Verletzung von Art. 8 und 13 EMRK löst eine Haftung nur dann aus, wenn die Polizei mit der Abhörung einen ungehörigen Zweck verfolgt. Dies war in einem Fall so gravierend („serious infringement of her rights by those concerned“), daß die Entschädigung gewährt wurde, obwohl kein Nachweis darüber erbracht werden konnte, daß der immaterielle Schaden der Betroffenen unmittelbar dem Abhörvorgang zuzurechnen war.335 Wird hingegen ein rechtmäßiges Ziel mit dem Abhörvorgang verfolgt und führen die hierdurch gewonnenen Informationen zur Vereitelung von Straftaten bzw. Festnahme der Täter, gilt die Feststellung der Konventionsverletzung bereits als Entschädigung.336 Die Bewertung des Staatshandelns und der verfolgte Zweck waren auch im Fall ausschlaggebend, in dem die Kläger wegen ihrer sexuellen Orientierung trotz musterhafter Laufbahn (aus der Berufsarmee des Vertragsstaates) entlassen worden waren.337 Von Bedeutung für die Ausübung des Ermessens seitens des EGMR ist auch, ob der beklagte Staat schon (mehr331 Aksoy v. Turkey, 18.12.1996, 21987/93, 1996-VI, § 47; Aydin v. Turkey, 25.9. 1997, 23178/94, 1997-VI; Kaya v. Turkey, 19.2.1998, 22729/93, 1998-I; Ayder and others v. Turkey, no 23656/94, 8.1.2004, § 159. 332 Akdivar v. Turkey, no 21893/93, 1.4.1998, §§ 35, 38; Mentes v. Turkey, no 23186/94, 24.7.1998, §§ 19, 21; Selcuk and Asker v. Turkey, no 23184/94, 24.4.1998, §§ 116, 119; Orhan v. Turkey, no 25656/94, 12.6.2002, § 448. 333 Koendjbiharie v. The Netherlands, no 11487/85, 25.10.1990, § 34; Silver v. The United Kingdom, no 5947/72 et al., 24.10.1983, § 10; William Faulkner v. The United Kingdom, no 37471/97, 4.6.2002, § 18. 334 Bozano v. France (just satisfaction), no 9990/8, 22.12.1987, § 8. 335 Halford v. The United Kingdom, no 20605/92, 25.6.1997, § 76. 336 Kruslin v. France, no 11801/85, 24.4.1990, § 39; A v. France, no 14838/89, 23.11.1993, § 42.

B. Haftung wegen Verletzung der EMRK

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mals) gegen die Konvention verstoßen hat und sein konventionswidriges Verhalten korrigiert oder nicht.338 Ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten bei der Verursachung des Eingriffsschadens wird nicht nur bei der Schadensbemessung, sondern auch bei der Begründung des Entschädigungsanspruchs berücksichtigt. Soll es berücksichtigt werden, muß es sich stets auch auf den tatsächlich eingetretenen Eingriffsschaden beziehen.339 Eine schuldhafte Prozeßverzögerung durch die verletzte Partei wird somit als Mitverschulden gewertet und führt zur Ablehnung des Ersatzes immateriellen Schadens.340 Der EGMR zählt aber auch eine Straftat zum Mitverschulden, die erst das Verfahren ausgelöst hat, in dem die Konvention dann verletzt wurde, obwohl diese Straftat den Eingriffsschaden nicht direkt mitverursacht hat.341 Noch klarer wird dies, wenn die verletzten Parteien konventionswidrig kurz vor der Verübung eines terroristischen Bombenanschlags getötet werden: Die Konventionsverletzung wurde festgestellt, die Entschädigung jedoch abgelehnt.342 Bei Angeklagten oder Verurteilten werden gravierende Straftaten meistens als Mitverschulden gewertet, obwohl sie zu keinem Verhältnis zur Verletzung der Verfahrensgarantien der Art. 5 und 6 EMRK stehen. Dies kommt der „ex turpi causa rule“ des englischen Rechts sehr nah.343 Bei Verstößen, die im Rahmen von Zivilverfahren stattfinden, ist eine Entschädigung wahrscheinlicher.344 Vom Mitverschulden zu unterscheiden ist die Schutzwürdigkeit der beeinträchtigten Rechtsposition. Haftungsrechtlichen Schutz genießt auch das bauund planrechtswidrige, doch vom Vertragsstaat geduldete Eigentum, soweit es als „possessions“ i. S. v. Art. 1 des 1. ZP anerkannt wird.345 Bei der Berücksichtigung der Schadensminderungspflicht ist das eigentliche Problem, welche Maßnahmen dem Geschädigten zugemutet werden können. Es wird darauf abge337 Smith and Grady v. The United Kingdom, no 33985/96, 33986/96, 25.7.2000, § 12: Der Gerichtshof verwendet Ausdrücke wie „especially grave interferences“ oder „exceptionally intrusive character“ bzw. „particularly intrusive and offensive“. 338 Siehe hierzu die Ausführungen von Shelton 1999, S. 219 zu der überlangen Dauer von Strafverfahren in Italien. Vgl. auch Verurteilungen Griechenlands wegen Verletzung der Religionsfreiheit. 339 Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1994, S. 243 ff. 340 Luberti v. Italy, no 9019/80, 23.2.1984, § 41: „some prejudice of a non pecuniary nature“. 341 Eckle v. Germany, no 8130/78, 21.6.1983, § 24; Dannemann 1994, S. 244. 342 McCann v. The United Kingdom, no 18984/91, 27.9.1995, § 219. 343 Siehe Clunis v. Camden and Islington Health Authority [1998] QB 978. 344 Shelton 1999, S. 209, 219; Dannemann 1994, S. 244; relativierend Mowbray, The European Court of Human Right’s Approach to Just Satisfaction, PL 1997, 647, 652. 345 Hierzu Öneryildiz v. Turkey, no 48939/99, 18.6.2002, §§ 141–142, 161 und 1. Sondervotum.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

stellt, was „reasonable“ ist. Nach der englischen „avoidable consequences rule“ sind Schäden, die der Geschädigte durch zumutbares Verhalten hätte vermeiden können, grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Übrigens muß der Schädiger die Kosten schadensmindernder Maßnahmen tragen, was schon aus dem Grundsatz der Totalreparation folgt und zugleich die Kehrseite der Schadensminderungspflicht darstellt.346 Was „Kausalität“ angeht, so verlangt der EGMR einerseits einen direkten und klaren Kausalzusammenhang, der ihn daran hindert, bei Verletzung von Verfahrensgarantien darüber zu spekulieren, welcher der Ausgang des nationalen Verfahrens ohne die Konventionswidrigkeit gewesen wäre.347 Andererseits348 kann Entschädigung für „entgangene Chancen“ verlangt werden. Hinzukommt die Kausalität bei nicht quantifizierbaren immateriellen Schäden. So gibt es drei Kalküle, die an den Beweis unterschiedliche Anforderungen stellen. Oft ist der EGMR mit konfligierenden Schadensbemessungen konfrontiert und nimmt ein eigenes „equitable assessment“ vor.349

C. Verfassungsrechtliche Einbettung des Rechts der Haftung der öffentlichen Gewalt Das Staatshaftungsrecht der nationalen Rechtsordnungen, auf das die europäische Rechtsordnung einwirkt, erfährt eine unterschiedliche Prägung, je nachdem, ob der Verfassungsvorrang oder der Grundsatz der Parlamentssouveränität gilt. Im Rahmen des Verfassungsvorrangs sind verschiedene Konstitutionalisierungsgrade des Staatshaftungsrechts möglich, die davon abhängen, ob Staatshaftung als Institut verfassungsrechtlich gewährleistet und ihre tatbestandliche Ausgestaltung derart vorbestimmt ist, daß die Spielräume nicht nur von Judikative und Verwaltung, sondern auch vom Gesetzgeber eingeschränkt sind.

346 347

Dannemann 1994, S. 248, 250, 251. Siehe z. B. De Cubber v. Belgium (just satisfaction), no 9186/80, 14.09.1987,

§ 23. 348 Der EGMR läßt beide Zugangsweise explizit nebeneinander gelten: Pélissier et Sassi v. France, no 25444/94, § 80; Sovtransavto holding v. Ukraine (just satisfaction), no 48553/99, 2.10.2003, § 51. Dannemann, Haftung für die Verletzung von Verfahrensgarantien nach Art. 41 EMRK, RabelsZ 1999, 452. 349 s. etwa EGMR, Zwierzynski v. Poland (just satisfaction), 34049/96, 2.7.2002, § 19; Lustig-Prean and Beckett v. The United Kingdom (just satisfaction), nos. 31417/ 96 and 32377/96, 25.7.2000, § 22; Katsaros v. Greece, no 51473/99, 13.11.2003, § 21. Zu den früheren strukturbedingten Problemen von Sachverhaltsermittlung und Beweislast im Konventionsverfahren s. Dannemann 1994, S. 63 ff. Zur besseren Stellung der Gerichtshofs in der neuen Struktur s. Mowbray, The Composition and Operation of the New European Court of Human Rights, PL 1999, 219, 228.

C. Verfassungsrechtliche Einbettung

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I. Verfassungsrechtliche Einrichtungsgarantien und Rechtsgrundlagen nach dem Grundgesetz Die Staatshaftung stellt eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten notwendige Form des Rechtsschutzes des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt dar. Man hat die Staatshaftung als ultima ratio des Rechtsstaates deshalb bezeichnet,350 weil die meist wirksameren Rechtsmittel des Primärrechtsschutzes den schon aus § 839 Abs. 2 BGB resultierenden und für das ganze Staatshaftungsrecht geltenden Vorrang haben. Die richtige systematische Stellung des Art. 34 GG, der die Staatshaftung gewährleistet, wäre demnach nicht im Abschnitt „Der Bund und die Länder“, sondern zusammen mit Art. 19 Abs. 4 GG, der dem Bürger einen lückenlosen Rechtsschutz garantiert und den Verstoß gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sanktioniert.351 Art. 34 GG konkretisiert das Rechtsstaatsprinzip und ergänzt somit als eine Gewährleistung sekundären Rechtsschutzes die Verfassungsgarantie primären Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG).352 Art. 34 GG ist aber selbst kein Grundrecht, sondern eine Einrichtungsgarantie, die zwar hinsichtlich der Modalitäten der Staatshaftung an § 839 BGB „angeseilt“353 ist, die vom einfachen Gesetzgeber überboten, niemals jedoch unterboten werden kann.354 Ein Haftungsausschluß durch Gesetz bzw. aufgrund gesetzlicher Ermächtigung ist dementsprechend nur in Ausnahmefällen zu, die durch sachliche Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werden müssen355. In diesen Fällen verbleibt es bei einer Eigenhaftung des Beamten nach Maßgabe des § 839 BGB. Art. 34 GG umfaßt ferner nach h. M. einen Gesetzgebungsauftrag.356 Dem einfachen Gesetzgeber ist es aber freigestellt, eine unmittelbare Staatshaftung einzuführen und das System der auf den Staat überzuleitenden Beamtenhaftung zu verabschieden.357 Der Staat ist nach Art. 34 S. 1 GG für 350

Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 321. So Bettermann, Die Amtshaftung: Art. 34 GG, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, 3. Band, 2. Halbband, Rechtspflege und Grundrechte, 1959, S. 830, 853. 352 Bonk, Heinz Joachim, Art. 34, in: Sachs, Michael (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Rn. 4. 353 Nach einem Wort von Jellinek, Schadensersatz aus Amtshaftung und Enteignungsentschädigung, JZ 1955, 147, 149. 354 Lerche, Amtshaftung und enteignungsgleicher Eingriff, JuS 1961, 240 f.; Leisner, Gefährdungshaftung im öffentlichen Recht?, in: VVDStRL 20, 185 (237); Dagtoglou, Art. 34 (Stand: September 1970), in: Dolzer, Rudolf/Vogel, Klaus/Graßhof, Karin (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz Art. 34 GG, Rn. 31; Bonk, in Sachs/Bonk, Art. 34 Rn. 3. 355 BGHZ 9, 289, 290. 356 Pfab, Staatshaftung in Deutschland: die Reformaufgabe und ihre Vorgaben in der rechtsstaatlichen Garantie des Art. 34 GG und durch die Erfordernisse des Gemeinschaftsrechts, 1997, S. 95 ff. 351

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

das Verhalten seiner Amtsträger „grundsätzlich“ verantwortlich. Art. 34 S. 1 GG begründet nicht die Staatshaftung, sondern er setzt deren anderweitige Begründung voraus. Die haftungsrechtliche Relevanz der Grundrechte betrifft nach geltendem Recht die Heranziehung von Art. 14, 2 und 3 GG zur Schutzgutbestimmung. Entschädigungsansprüche wegen enteignungsgleichen bzw. enteignenden Eingriffs oder wegen Plangewährleistung kommen nur bei Beeinträchtigung von Eigentum i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG in Betracht.358 Im Regelungsbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG kann bzw. muß der Gesetzgeber ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmungen359 vorsehen, während er unter der Geltung von Art. 14 Abs. 3 GG bei Schaffung von Enteignungstatbeständen zugleich Entschädigungsregeln vorsehen muß. Art. 2 Abs. 2 GG wird in Verbindung mit dem gewohnheitsrechtlich geltenden Aufopferungsgedanken herangezogen, um die immateriellen Rechtsgüter zu bestimmen, deren Beeinträchtigung auf der Grundlage des Aufopferungsanspruchs durch Entschädigung ausgeglichen werden soll.360 Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist für das Prinzip der Lastenund Opfergleichheit, d. h. für den Begriff des durch Eingriff in Eigentum und immaterielle Rechtsgüter erlittenen Sonderopfers konstitutiv. In der Literatur wird gefordert, auch Art. 12 Abs. 1 GG eine rechtsgutbestimmende Funktion beizumessen. Der Aufopferungsgedanke soll auf rechtswidrige Eingriffe in die Berufsfreiheit erstreckt werden.361 Der BGH und das BVerfG, haben die geforderte Ausdehnung des Aufopferungsanspruchs bislang abgelehnt.362 Angesichts der Tatsache, daß das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) – obwohl es in seiner Ausformung durch Art. 34 S. 1 GG maßgebend wird – die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als objektiv-rechtliches Prinzip normiert363 und keine Anspruchsgrundlage im Staatshaftungsrecht darstellen kann, wird zunehmend vorgeschlagen, die Grundrechte zu staatshaf357

Maurer, Die Gesetzgebungskompetenz für das Staatshaftungsrecht, 1981, S. 42. Heidenhain, Amtshaftung und Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff, 1965, S. 65 ff.; Papier, Enteignungsgleiche und enteignende Eingriffe nach der Naßauskiesungs-Entscheidung, JuS 1985, 184 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 687 ff. (Stand 1994); Ossenbühl, StHR 1998, S. 213 ff.; BVerfGE 14, 288 (293 f.); 16, 94 (11); 18, 392 (397); 24, 220 (226); BGHZ 45, 83; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 268 ff.; Oldiges, Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, 1970, S. 78 ff., 187 ff.; 347 ff.; Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1971, S. 110; Schenke, Gewährleistung bei Änderung staatlicher Wirtschaftsplanung, AöR 1976, 337, 349; Engelhardt, Neue Rechtsprechung des BGH zur öffentlichrechtlichen Entschädigung, NVwZ 1989, 1026. 359 BVerfG 58, 137, 144 (Pflichtexemplar-Entscheidung). Kimminich, Die „Zufallsenteignung“ im System des verfassungsrechtlichen Eigentumschutzes, NuR 1985, 1 ff. 360 Z. B. BGHZ 9, 83; 17, 172; 24, 45; 20, 61; 25, 238; 36, 379; 45, 58; 65, 196; Ossenbülh, StHR, 1998, S. 132. 361 Ossenbühl, StHR, 1998, S. 133 u. 244 ff. m. w. N. 362 BGHZ 65, 196, 206; BVerfG, NVwZ 1998, 272, 273. 358

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tungsrechtlicher Anspruchsgrundlage zu machen. Wichtigste Inspirationsquelle dieses dogmatischen Ansatzes sind zwei 1955 erschienene Abhandlungen von Menger364 und Haas365 sowie das Gutachten von Weyreuther zum 47. Deutschen Juristentag (1968).366 Menger spricht von „einer rechtsmaterialen Zusammengehörigkeit von Staatshaftungs- und Verwaltungsstreitsachen“, die durch den „Organisationsunterschied der Gerichtszweige“ verdeckt worden sei.367 Der aufgedeckte materiell-rechtliche Zusammenhang sollte der Dogmatik der Anfechtungs- und Vornahmeklage das „Kongruenzdenken zum allgemeinrechtlichen System der Restitution“ ermöglichen.368 Den Ausgangspunkt des „kongruenten Rechtsdenkens“ bilde die Tatsache, daß sich der Bürger in einer Rechtsstellung befinde, die „selbst kein Anspruch ist, jedoch im Falle ihrer widerrechtlichen Beeinträchtigung Ansprüche auf (Wieder-)Herstellung gegen den Störer entstehen läßt.“369 Diesen Gedanken, der das verletzte subjektive Recht zur Anspruchsgrundlage macht, formulierte Menger als eine materielle öffentlich-rechtliche Wiedergutmachungsgrundnorm. Diese sei eigentlich „ungeschriebenen Rechts“ und liege dem „Staatshaftungsanspruch und einem großen Teil der Verwaltungsstreitsachen“ zugrunde.370 Die zeitgenössischen Ansätze, die Staatshaftungsrecht als „Grundrechtsverletzungsreaktionsrecht“ rekonstruieren, verwerfen zwar die allgemeine Wiedergutmachungsnorm als solche, sie projizieren aber diese Wiederherstellungskonstruktion in jedes einzelne Grundrecht hinein. Sie nehmen also unter Beibehaltung oder Aufgabe des vorhandenen doppelten Rechtswegs gleichsam eine Multiplikation der Grundnorm Mengers vor.371 Die Brücke zur haftungsrechtlichen Funktion der Grundrechte schlägt der Folgenbeseitigungsanspruch. Da er keine „Privilegierung einzelner Schutzgüter“ kennt372, bietet er sich als konstruktiver Anknüpfungspunkt an. Er wird 363 Schoch, Folgenbeseitigungsanspruch und Wiedergutmachung im öffentlichen Recht, VerwArch. 1988, 1, 37; Ossenbühl, StHR, 1998, S. 298 f.; BVerwG NJW 1972, 269; BVerwGE 82, 24. 364 Menger, Über die Identität des Rechtsgrundes der Staatshaftungsklagen und einiger Verwaltungsstreitsachen, in: Bachof, Otto u. a. (Hrsg.), Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht: Gedächtnisschrift für Walter Jellinek 12. Juli 1885– 9. Juni 1955, S. 347 ff. 365 Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, 1955. 366 Weyreuther, 47. DJT, Bd. I, Gutachten, Teil B, 1968. 367 Menger 1955, S. 347 ff., 348. 368 Ebd., S. 351. 369 Ebd. Hervorhebung im Original. 370 Ebd., S. 350. 371 Deren Formulierung scheint vor allem die Stufung der Rechtsfolgen bestimmt zu haben, deren „nichtlogische“ Deduktion aus dem verletzten Grundrecht Röder, Daniel, Die Haftungsfunktion der Grundrechte, 2002, S. 199 ff., 219 „als methodischer Ansatz“ dient: Menger 1955, S. 359. 372 Höfling, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, in: VVDStRL 2002, S. 260, 267.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

als umgewandelter oder ersetzter grundrechtlicher Unterlassungsanspruch verstanden oder zum Ausdruck eines öffentlich-rechtlichen Bestandsschutzanspruchs erhoben und kompensatorisch in der Gestalt einer Folgenentschädigung verlängert. Mit welcher Konstruktion auch immer läutet der Folgenbeseitigungsanspruch den Beginn der wiederherstellenden Reaktion des verletzten Grundrechts ein.373 Auch die Grundrechtseingriffshaftung des gescheiterten StHG-1981 knüpfte an die Rechtswidrigkeit grundrechtsspezifischer Art an. Die Grundrechtseingriffshaftung war eine spezifische Ausprägung des Grundhaftungstatbestandes in § 1 Abs. 1 StHG, die eine haftungsrechtliche Gleichbehandlung aller durch Grundrechte geschützten Rechtspositionen ohne Rekurs auf die Krücke des Sonderopfers erreichen wollte. Der Unrechtstatbestand des StHG-1981 ist in Anlehnung an Art. 19 Abs. 4 GG formuliert. Die Verletzung einer Pflicht des öffentlichen Rechts, die der öffentlichen Gewalt einem anderen gegenüber obliegt, wird hier als Tatbestandsmerkmal durch den Grundrechtseingriff ersetzt. Die Verletzung des Bürgers in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten ist identisch mit der Pflichtverletzung der öffentlichen Gewalt gegenüber dem Bürger, denn die den Grundrechten entsprechenden Verhaltenspflichten des Staates haben stets Schutzcharakter. Die Schwere des Unrechts von Grundrechtsverletzungen sollte als Anknüpfungspunkt und Rechtfertigung der Haftung und des vollen Schadensersatzes dienen. Und man hielt es für dogmatisch verfehlt, trotz verfassungsrechtlicher Gleichrangigkeit der Grundrechte zwischen staatshaftungsrechtlich bedeutsamen und irrelevanten Grundrechtsverletzungen zu differenzieren.374 Das BVerfG sieht nach wie vor eine Haftung des Staates für alle auf rechtswidrigen Grundrechtseingriffen beruhenden vermögenswirksamen Nachteile nicht als notwendigen Inhalt der Grundrechtsgewährleistung an. Art. 34 GG fordere gerade keine umfassende unmittelbare Staatshaftung.375 Bei näherem Zusehen geht es allerdings nicht um eine Absage an die schutzgutbestimmende staatshaftungsrechtliche Relevanz aller Grundrechte. Das BVerfG nimmt vielmehr eine Herausnahme des sekundärrechtlichen Wertschutzes aus dem notwendigen Inhalt der Grundrechte vor. Es verneint somit die prinzipielle Generalisierbarkeit der Funktion der Grundrechte als haftungsrechtliche Anspruchsgrundlage, die eine Entschädigung bei aller Grundrechtsverletzung fordert. Diese Funktion nehmen die Grundrechte, die nach geltendem Recht bereits haftungsrechtlich relevant sind, ohnehin nicht wahr. Da jedoch andererseits das 373

Haas 1955, S. 65. Schäfer/Bonk, Staatshaftungsgesetz (StHG), 1982, Einleitung, Rn. 119. 375 BVerfG, Beschl. v. 20.11.1997-1 BvR 2068/93, NVwZ 1998, 271 (272). Zur Kritik dieser Konzeption s. Röder, Die Haftungsfunktion der Grundrechte, 2002 und Höfling in: VVDStRL 2002, S. 260 ff. 374

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BVerfG sich nicht für die Einführung einer Unterteilung der Grundrechte nach Maßgabe ihrer rechtlichen „Stärke“376 einsetzt, ist davon auszugehen, daß es gegen die – mit der EMRK übrigens konform gehende – schutzgutbestimmende Funktion aller Grundrechte nichts einzuwenden hat, solange Entschädigung nicht als notwendige Grundrechtsverletzungsfolge eingefordert wird.

II. Parlamentssouveränität und Human Rights Act 1998 Aufhebungs- und Staatshaftungsrecht sind im Vereinigten Königreich durch das Fehlen einer Verfassungsgerichtsbarkeit und den Grundsatz der Parlamentssouveränität geprägt. Nichtsdestotrotz spielen im englischen Recht verfassungsrechtliche Fragen für den Rechtsschutz eine wichtige Rolle. Das englische Pendant zum deutschen „Rechtsstaat“ ist die „rule of law“, die letztlich auf nichts anderes bedacht ist als zu sichern, daß jegliche Frage, um die ein Streit entsteht, durch ein gerichtliches Urteil zu beantworten ist. Dem steht nicht mal die Parlamentssouveränität im Wege. Der negative Aspekt der Parlamentssouveränität schließt zwar die Möglichkeit einer gerichtlichen Gesetzeskontrolle aus. Eine Kontrolle des Gesetzgebers durch die Gerichte erfolgt dennoch mit Hilfe einer Methode der Gesetzesinterpretation, die auf Vermutungen zugunsten individueller Rechte und eines Entschädigungsgebots für Enteignungen beruhen. Die Gerichte legen ferner gesetzliche Klauseln, die den gerichtlichen Zugang eingrenzen bzw. ausschließen wollen (z. B. „no certiorari clauses“), restriktiv aus.377 Andererseits kann selbst ein entschädigungslos hinzunehmender Eigentumsentzug, wie im Falle des War Damage Act 1965, gesetzlich normiert werden. Dieses Gesetz hob die gerichtliche Gewährung einer Entschädigung rückwirkend auf.378 Will allerdings das Parlament von der Regel des entschädigungspflichtigen Entzugs abweichen, muß es dies ausdrücklich zum Ausdruck bringen. Wenn das Gesetz keinen expliziten Entschädigungsausschluß enthält, der Vollzug des Gesetzes jedoch in das Eigentum eingreift, besteht bei Eigentumsentzug die Vermutung, daß hierfür eine Entschädigung zu entrichten ist. Diese Vermutung ist nur durch einen klaren Gesetzeswortlaut widerlegbar. Die Einschätzungsprärogative und Souveränität des Parlaments soll auch nach der Einführung des seit Oktober 2000 geltenden Human Rights Act 1998 (HRA) aufrechterhalten bleiben. Die nationalen Gerichte sollen die Urteile des

376 Für ein Beispiel derartiger Kategorisierung aus der spanischen Verfassung s. Sommermann, Der Schutz der Grundrechte in Spanien nach der Verfassung von 1978: Ursprünge, Dogmatik, Praxis, 1984, S. 219. 377 Leitentscheidung: Anisminic Ltd. v. Foreign Compensation Commission [1969] 2 A.C. 147, 170–171, 181, 200–201, 210. 378 Es ging um die Entscheidung Burmah Oil Co. v. Lord Advocate [1965] A.C. 75.

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EGMR berücksichtigen, die aber für sie nicht verbindlich sein sollen. Den Gerichten wird keine Verwerfungsbefugnis in bezug auf konventionswidrige Gesetze zuerkannt. Sie sind zwar befugt, Unvereinbarkeiten aufzudecken, doch bleibt dem Parlament allein (unter bestimmten Voraussetzungen auch der Regierung) vorbehalten, Gesetze zu ändern bzw. aufzuheben. Dieser Mechanismus kommt den Bestimmungen des Bill of Rights Act 1990 von New Zealand sehr nahe und wird als gelungene Versöhnung von Parlamentssouveränität und „Judicial Review“ angesehen. Nach section 8 (4) HRA 1998 sollen die Gerichte Schadensersatz auf der Grundlage der vom EGMR entwickelten Grundsätze („principles“) – z. B. „full reparation“ oder „restitutio in integrum – leisten.379 Die Gerichte haben bei der Gewährung von Schadensersatz nach section 8 (1) Ermessen. Dieses weite Ermessen wird in section 8 (3) spezifiziert. Eine Ersatzleistung kann nur gewährt werden, wenn sie nach Überzeugung des Gerichts für die Erreichung einer „just satisfaction“ des Betroffenen notwendig ist. Dieser muß demnach einerseits die Konventionswidrigkeit nachweisen. Andererseits muß er substantiiert geltend machen, daß andere Rechtsmittel und Rehtsbehelfe keine „just satisfaction“ herbeiführen würden.

III. „Declaration des droits de l’homme et du citoyen“ und „Conseil Constitutionnel“ Die französischen Verfassungen rechnen seit jeher die Staatshaftung nicht zum corpus der materiellen Verfassung. Die Gewährleistung der Staatshaftung gilt nicht als letzte Heilungsmöglichkeit verletzter Rechtsstaatlichkeit und konnte somit auch keinen Verfassungsrang in der Form einer allgemeinen Haftungsbestimmung erreichen. Die Haftung wird nicht aus der mittelbaren Freiheitssicherung, sondern aus der Gleichheit, und zwar aus dem Prinzip der Lastengleichheit hergeleitet. Der Conseil Constitutionnel hat das Lastengleichheitsprinzip in seiner Rolle als Haftungsgrund für rechtmäßige Ausübung der Staatsgewalt bestätigt und in dieser Hinsicht das legislative Handeln eingeschränkt.380 Er hat ferner in seiner „Eiffelturm“-Entscheidung bestimmte Verfahrensgarantien bestimmt, die allein die Wahrung des Lastengleichheitsprinzips ermöglichen. Selbst bei zumutbaren Eigentumsbeschränkungen muß der Staat ein in einer vernünftigen Zeitdauer ablaufendes Verfahren vorsehen, das es den Betroffenen erlaubt, über die Gründe und Ziele des Eigentumseingriffes informiert zu werden und hierzu Stellung zu nehmen. Die Auswahl des Eingriffsobjektes darf nicht willkürlich sein; die Entscheidung hinsichtlich der Einzelmaßnahme darf nur von einer staatlichen Stelle und nicht von einer Gebiets379 Siehe hierzu die Ausführungen von Lord Woolf MR in der Entscheidung des Court of Appeal Heil v. Rankin [2000] 2 W.L.R. 1173, 1180–1186. 380 CCons., 04.07.1989, Privatisations, Rec. Cons. const. 41.

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körperschaft getroffen werden. Übrigens darf ein Gesetz die Haftung des Staates nicht übermäßig einschränken, indem es bestimmte Schädigungen, die auf öffentliche Arbeiten („travaux publics“) zurückzuführen sind, von der Haftung ausschließt.381 Dieser Trend zur Konstitutionalisierung hat bislang noch keine Entsprechung im Bereich der Haftung für fehlerhafte Ausübung der Staatsgewalt („responsabilité administrative pour faute“) gefunden. Das Gesetz vom 30. Juni 2000, das ein neues Eilverfahren „référé-liberté“ einführte und den präventiven Bestandsschutz aller Grundfreiheiten vor der Regelmäßigkeit des Verwaltungshandelns in den Vordergrund stellte, betrifft nicht die Staatshaftung. Der in der Rechtsprechung des Verfassungsrates herangezogene Rechtsgedanke, jeder durch ein Fehlverhalten („faute“) verursachte Schaden sei vom Verursacher zu entschädigen, der in Art. 1382 C. civ. niedergelegt ist, betrifft explizit Privatpersonen und nicht den Staat.382 Er wird auch nicht zum Rang eines Verfassungsprinzips erhoben. Unter dem Druck der bereits erwähnten Judikatur des EGMR ist allerdings der Conseil Constitutionnel im Rahmen seiner preventiven Kontrollmöglichkeiten zunehmend bemüht, den Eigentumsschutz als Ausgangspunkt seiner Kontrolle zu wählen383, und aus den Gesetzesentwürfen all diejenigen Bestimmungen herauszustreichen, die „unverhältnismäßige“ Eigentumseingriffe darstellen. Der Gesetzgeber verfügt nichtsdestotrotz nach wie vor über beträchtliche Spielräume. Er kann ein besonderes Haftungsregime für bestimmte staatliche Tätigkeiten statuieren384 oder ein System pauschaler Entschädigung einführen bzw. einen qualifizierten Fehler zur Haftungsbegründung verlangen. Und man kann nicht ohne weiteres von der Verfassungswidrigkeit eines 381

CCons., 13.12.1985, Amendement Tour Eiffel, Rec. 78. CCons., 22.10.1982, Irresponsabilité pour faits de grève, Rec. 61. 383 Siehe den expliziten Hinweis auf die verfassungsgerichtlichen Kontrollkompetenzen hinsichtlich des Eigentumsschutzes in CCons, déc. 89-256 DC, 25.07.1989, Rec. 53 (Loi portant dispositions diverses en matière d’urbanisme et d’agglomérations nouvelles), Considérant 23; hierzu Bon, Le statut constitutionnel du droit de propriété, RFDA 1989, 1009. Siehe ferner die für französische Verhältnisse ausführliche Prüfung der Regelung der Eigentumsnutzung durch Eingrenzung des Jagdrechts in: Ccons., déc. No 2000-434 DC, 20.07.2000 (Loi relative à la chasse); hierzu Azoulay, Le Conseil constitutionnel et la chasse, Rev. jur. env. 2001, 355; Ribes, Droit de chasse, D. 2001 (23). somm. 1839; Pariente, Un coup d’arrêt aux limitations du droit de propriété en matière de chasse, RFDC 2001, 95; Luchaire, La chasse devant le Conseil constitutionnel, RDP 2000, 1542; Schoettl, Droit de la chasse et droit de non-chasse à l’épreuve de la Constitution, Les petites affiches, 24 juillet 2000 (146), 18. Verstärkt wird diese Tendenz zur „Grundrechtsorientierung“ durch eine „Konstitutionalisierung“ des Baurechts: CCons, déc. 2000-436 DC, 07.12.2000 (Loi sur la solidarité et le renouvellement urbains) Rec. 176; hierzu Schoettl, Le Conseil constitutionnel et la loi relative à la solidarité et au renouvellement urbains, AJDA 2001, 18; Fatin-Rouge, Droit de propriété, D. 2001 (23). somm. 1841; Trémeau, La constitutionnalisation du droit de l’urbanisme: quelques remarques sur la décision du conseil constitutionnel du 7 décembre 2000, BJDU, 2001, 146. 384 CCons., 22.10.1982, Irresponsabilité pour faits de grève, Rec. 61. 382

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

Gesetzes ausgehen, das die Staatshaftung für fehlerhafte Ausübung der öffentlichen Gewalt unter bestimmten Bedingungen erschwert oder gar ausschließt.385

D. Staatsorganisationsrechtliche Bedingungen der Haftung der öffentlichen Gewalt Die Rechtsprechung von EGMR und EuGH behandelt zwar den Staat als völkerrechtliche Einheit, sie läßt aber zugleich eine haftungsrechtliche Differenzierung nach den Erscheinungsformen und Funktionen der öffentlichen Gewalt zu. Während Haftungsimmunitäten a priori konventions- bzw. unionsrechtswidrig sind, kann die Sorge um die Funktionsfähigkeit von Legislative, Judikative, Exekutive und Staatsanwaltschaft durchaus angemessene Haftungsbeschränkungen begründen. Das ist ein in den untersuchten Rechtsordnungen bekannter Beschränkungsgrund, mit dem man aber angesichts der verschiedenen Konstitutionalisierungsgrade der Staatshaftung in verschiedener Weise umgegangen wird. Der Argumentationsaufwand, der zur Haftungsbegründung bei Funktionsschutz der öffentlichen Gewalt und der Beamten getrieben wird, führt – unabhängig von einer Trennung der Gerichtsbarkeiten – zur Entstehung spezifisch öffentlich-rechtlicher Haftungsinstitute oder zu öffentlich-rechtlicher Überformung der anzuwendenden Institute des Zivilrechts.

I. Haftung des Gesetzgebers Nach Verabschiedung der Auffassung, Gesetzgebungsakte seien soziale Akte ohne rechtliche Qualität386, rühren die prinzipiellen Probleme, die eine Haftung des Gesetzgebers zu überwinden hätte, vom Prinzip der Gewaltenteilung her. Das Gesetz ist Grundlage und nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Das Gericht, das die Haftung wegen legislativen Unrechts aussprechen würde, müßte die seines Erachtens richtige Norm bilden und auf diese Weise in die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen. Hierin liege eine Degradierung des Parlaments zu einem bloßen Vollzugsorgan der Verfassung und ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.387 Dem wird entgegengehalten, daß das Gewaltenteilungsprinzip in diesen Fällen ebensowenig wie durch die gerichtliche Nachprüfung administrativen Ermessensmißbrauchs im Rahmen ei385 Vedel/Delvolvé, Droit administratif, 1992, S. 547 f.; Latournerie, Responsabilité administrative et Constitution, in: Mélanges Chapus 1992, S. 353. 386 Kelsen, Über Staatsunrecht: Zugleich ein Beitrag zur Frage der Deliktsfähigkeit juristischer Personen und zur Lehre vom fehlerhaften Staatsakt, Zeitschrift für das Private und Öffentliche Recht der Gegenwart 1914, 95. Siehe auch Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht, 1963, 12 ff. 387 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 794 f.

D. Staatsorganisationsrechtliche Bedingungen der Haftung

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nes Amtshaftungsprozesses verletzt werde. Solange es nicht um Naturalrestitution bzw. Folgenbeseitigung, sondern nur um Geldausgleich wegen Ermessensfehlers geht, wird ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip verneint.388 Übrigens sehen Art. 93 und 100 GG Möglichkeiten der Überprüfung des Gesetzes durch Verfassungsgerichte vor; und zumindest bei unmittelbar eingreifenden Gesetzen ist gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg gegeben. In der Literatur wird eine Staatshaftung für alle Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt als Postulat des Prinzips des Rechtsstaates angesehen.389 Doch setzte sich bereits das StHG-1981 in Widerspruch zu dieser in der verwaltungsrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung. Die Rechtsprechung hat bislang eine generelle Haftung für legislatives Unrecht nicht anerkannt.390 Bei legislativem Unrecht findet der Amtshaftungsanspruch – außer bei sog. Maßnahme- und Einzelfallgesetzen – wegen fehlender Drittbezogenheit keine Anwendung. Eine Staatshaftung aus legislativem Unrecht für rechtswidrige Eingriffe ins Eigentum (enteignungsgleicher Eingriff) wird mit der Begründung verneint, daß die Anwendung des gewohnheitsrechtlich geltenden und richterrechtlich entwickelten Haftungsinstituts des enteignungsgleichen Eingriffs auf den Gesetzgeber die Zuordnung zwischen Legislative und Exekutive mißachtet.391 Auch auf der Grundlage des § 1 StHG DDR scheidet eine Haftung für legislatives Unrecht aus, da diese Vorschrift Schäden, die durch Kollektiventscheidungen verursacht werden, nicht einschließt. Legislatives Unterlassen könnte eine Amtspflichtverletzung darstellen, wenn der Gesetzgeber eine ausdrückliche Handlungs- bzw. Schutzpflicht evident verletzt hätte. Dann würde allerdings ein Amtshaftungsanspruch an der fehlenden Drittbezogenheit der legislativen Schutzpflichtverletzung scheitern. Ebensowenig kann eine Staatshaftung für legislatives Unterlassen auf das Enteignungsbzw. Aufopferungsrecht gestützt werden, denn die Voraussetzung eines Sonderopfers des Betroffenen kann bei massenhaft auftretenden – auf legislatives Unterlassen zurückgehende – Schäden nicht bejaht werden. Ob die Voraussetzungen einer Haftungsklage vorliegen, ist hiernach eine Frage des materiellen Rechts. Ein Haftungsanspruch scheitert jedenfalls nicht mehr prinzipiell an der Souveränität des Gesetzgebers. Nach der traditionellen Interpretation des britischen Grundsatzes der Parlamentssouveränität kann der souveräne Gesetzgeber kein Unrecht begehen.392 388

Weber, Staatshaftung für rechtswidrige Gesetzgebungsmaßnahmen, 1975, S. 28 ff. Traving, Die Staatshaftung nach Art. 34 GG und ihre Anwendbarkeit in Fällen rechtswidriger Gesetzesbeschlüsse durch Abgeordnete, 1958; Eckert, Die Haftung des Staates bei nichtigen Gesetzen und Verordnungen, 1973; Weber 1975; Fetzer, Die Haftung des Staates für legislatives Unrecht, 1994. 390 Siehe nur Ossenbühl, StHR 1998, S. 103 ff., 483. 391 Hiergegen de lege ferenda Fetzer 1994, S. 147. 389

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

Seine richterliche Kontrolle ist verzichtbar, da der demokratische Kreislauf legitimer Machtentstehung und Machtanwendung sich selbst korrigiere. In der Literatur ist zwar diese These unter dem Stichwort der Selbstbindung des Parlaments und der Beschränkbarkeit seiner Kompetenzen durch die Gerichte problematisiert worden.393 Die Rechtsprechung hält jedoch in Fällen ohne unionsrechtlichen Bezug Souveränitätsbeschränkungen materieller oder formeller Art für inakzeptabel. Es wird höchstens vom gegenseitigen Respekt zwischen Parlament und Gerichten, zwischen „two constitutional sovereignties“ gesprochen. Gesetze, die dem äußeren Anschein nach im ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden, müssen von den Gerichten akzeptiert und angewandt werden („enrolled bill rule“).394 Die konsequente Anwendung der Regel „lex posterior derogat legi priori“ macht ferner deutlich, daß es kein höheres Recht als das jeweils vom Parlament geschaffene gibt („implied repeal“).395 Ebensowenig binden völkergewohnheitsrechtliche oder völkervertragsrechtliche Verpflichtungen das britische Parlament, solange kein umsetzendes Parlamentsgesetz besteht, das die innerstaatliche Bindung vermittelt.396 Ähnliches gilt für überpositive naturrechtliche bzw. moralische Prinzipien, denen hinsichtlich der legislativen Tätigkeit jegliche Bindungswirkung abgesprochen wird.397 Trotz European Communities Act 1972 und Human Rights Act 1998 hat es im britischen Verfassungsrecht keine „Revolution“ gegeben. Im ersten Fall interpretieren die Gerichte nach wie vor die Intention des Gesetzgebers: „Parliament must state expressly that inconcistent Community law is not to prevail if the presumption against conflict between Community law and national legislation is to be rebutted“.398 Und im zweiten Fall ermächtigt der HRA 392 Dicey, Law of the Constitution 1959, S. 39 f., 69, 76 f., 80 f. Der historischen Entwicklung des Grundsatzes geht Goldsworthy, The Sovereignty of Parliament: History and Philosophy, 1999 unter Betonung ihrer Eigentümlichkeit nach. 393 Eine dokumentierte Darstellung samt geschichtlichem Hintergrund findet sich bei Rajani 2000, S. 77 ff. 394 Prebble v. Television New Zealand [1995] 1 AC 321, 332; R. v. Parliamentary Commissioner for Standards, ex p. Fayed [1998] 1 All ER 93, 94–95; Rajani 2000, S. 88 ff. 395 „The Legislature cannot, according to our constitution, bind itself as to the form of subsequent legislation, and it is impossible for Parliament to enact that in a subsequent statute dealing with the same subject-matter there can be no implied repeal. If in a subsequent Act Parliament chooses to make it plain that the earlier statute is being to some extent repealed, effect must be given to that intention just because it is the will of the Legislature“: Ellen Street Estates Ltd. v. Minister of Health [1934] 1 KB 590, 597 per Maugham L.J. 396 Brownlie, Principles of Public International Law, 1990, S. 48. 397 Doe, The Problem of Abhorrent Law and the Judicial Idea of Legislative Supremacy, Liverpool L.R. 1988, 113. 398 Allan, Parliamentary Sovereignty: Lord Denning’s Dexterous Revolution, OJLS 1983, 22, 31, 33; hierzu Allison, Parliamentary Sovereignty, Europe and the Economy of the Common Law, in: Andenas/Fairgrieve Bd. 2, 2000, S. 177, 192.

D. Staatsorganisationsrechtliche Bedingungen der Haftung

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1998 die Gerichte lediglich zur Erklärung der „incompatibility with Convention rights“. Der Crown Proceedings Act 1947 begründet die Haftung der Krone für unerlaubte Handlungen ihrer „servants“ und „agents“, also der Verwaltung und nicht der Gesetzgebung. Eine Haftung für legislatives Unrecht ist nur denkbar, wenn der Gesetzgeber selbst eine solche Haftung konkret anerkennt. Das Prinzip der Gewaltenteilung und der Gedanke von der Souveränität des Staates stehen grundsätzlich auch in Frankreich einer Haftung für legislatives Unrecht entgegen. Eine derartige Haftung wird als mittelbare Kontrolle des Gesetzgebers durch den Richter angesehen. Dem Dogma von der Souveränität und „Infaillibilität“ des Gesetzgebers zufolge war eine Haftung für „faute“ undenkbar. Als „faute“ käme nur ein Verfassungsverstoß in Frage, der aber (auch nach Schaffung des Conseil Constitutionnel) von keinem Richter angesichts der fehlenden verfassungsrechtlichen Prüfungskompetenz ex post festgestellt werden könnte. Dennoch konnte der Conseil d’État eine Haftung „du fait des lois“ entwickeln, die ohne Beurteilung des legislativen Aktes auskommt und die Entschädigungspflicht auf das „Sonderopfer“ des Betroffenen stützt. Der Richter darf sich nicht in Widerspruch zu (vermutetem) Willen des Gesetzgebers setzen. Der Gesetzgeber darf also eine Haftung nicht ausgeschlossen haben. Vor dem ersten Weltkrieg wurde aber sogar das Schweigen des Gesetzgebers zur Entschädigungsfrage als Verweigerung einer Entschädigung ausgelegt. Mit der Entscheidung „La Fleurette“ wurde eine Wende eingeleitet. Wenn weder der Gesetzestext selbst noch die Vorarbeiten noch die sonstigen Umstände des Falles erlauben anzunehmen, daß der Gesetzgeber den Betroffenen eine Belastung tragen lassen wollte, die einen Verstoß gegen das Lastengleichheitsprinzip darstellt, muß diese im allgemeinen Interesse geschaffene Belastung auch von der Allgemeinheit getragen werden.399 Die Rechtsprechung hat vier Hauptkriterien für die Gewährung einer Entschädigung „du fait des lois“ herausgearbeitet: Erstens kommt es auf die Zahl der durch die gesetzliche Maßnahme geschädigten Personen an. Je größer die Zahl ist, desto schwieriger ist es, die Betroffenen zu identifizieren, was die Vermutung begründet, der Gesetzgeber wolle eine Entschädigung ausschließen.400 Das ist das Kriterium der spécialité. Zweitens ist die große oder geringe soziale Wertigkeit und Nützlichkeit der beeinträchtigten Aktivität von Bedeutung („utilité sociale“). Drittens ist das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zu berücksichtigen. Wenn auch Gesetze stets im allgemeinen Interesse verabschiedet werden, gibt es gesetzlich geförderte Interessen, die als wichtiger denn andere beurteilt werden.401 Es geht vor allem um Volksgesundheit und nationale Verteidigung. Sonderopfer, die zugunsten dieser Interessen erbracht werden, gelten als nicht entschädigungspflichtig. Ähnliches gilt für ge399 CE, 14.01.1938, Société Anonyme des Produits Laitiers „La Fleurette“, Rec. 25 gefolgt und bestätigt von CE, 21.01.1944, Caucheteux et Desmont, Rec. 22. 400 CE, 15.07.1949, Ville d’Elbeuf, D 1950 J 62. 401 Rougevin-Baville, La responsabilité administrative, 1992, S. 90.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

setzliche Maßnahmen der Wirtschaftslenkung oder der Raumordnungspolitik („aménagement du territoire“), da sie von ihrem Regelungsobjekt her bestimmte Aktivitäten oder Raumgestaltungsprojekte zum Nachteil anderer fördern müssen (z. B. die Hersteller von rahmähnlichen Erzeugnissen und von Fremdstoffen zur Bierherstellung werden zum Vorteil der Milchwirtschaft bzw. der Getreideanbauer – wie in „la Fleurette“ und „Caucheteux“ – benachteiligt). Viertens spricht nur eine nicht unwesentliche Intensität der Beeinträchtigung („gravité du préjudice subi“) für einen Entschädigungswillen des Gesetzgebers.402

II. Haftungsrechtliche Privilegierung richterlicher Akte Schutz der richterlichen Unabhängigkeit und der Rechtskraft der Urteile sowie Schutz von Würde und Ansehen der richterlichen Gewalt sind die drei Hauptgründe für die haftungsrechtliche Sonderbehandlung richterlicher Akte.403 § 839 Abs. 2 BGB schränkt die Haftung für Amtspflichtverletzungen „bei dem Urteil in einer Rechtssache“ ein. Privilegiert ist die materielle Rechtsprechungstätigkeit, nicht jedoch das richterliche Verwaltungshandeln.404 Rechtsprechung liegt vor, wenn eine abschließende Entscheidung eines Rechtsstreits über einen zeitlich abgeschlossenen Sachverhalt zwischen zwei Parteien durch einen unbeteiligten Dritten vorliegt.405 Ebenso werden in Frankreich die „actes juridictionnels“, die der Rechtskraft („chose jugée“) fähig sind, nicht die „actes administratifs“ privilegiert.406 Das Gesetz vom 5. Juli 1972 (article L 781-1 du Code d’organisation judiciaire) bestimmt, daß eine Haftung nur bei Vorliegen einer „faute lourde“ oder „déni de justice“407 (Rechtsverweigerung) in Betracht kommt. Der Schutz der Rechtskraft wird allerdings derart in den Vordergrund gestellt, daß das Gesetz nicht

402 CE, 25.01.1963, Bovero, Rec. 53 und CE, 18.12.1981, Ministre de la Culture c/ Société Capri, Rec. 478. 403 Ohlenburg, Die Haftung für Fehlverhalten von Richtern und Staatsanwälten im deutschen, englischen und französischen Recht, 2000, S. 29 ff.; Anagnostaras, The Principle of State Liability for Judicial Breaches: The Impact of European Community Law, European Public Law 2001, 281, 286 ff.; Olowofoyeku, The Crumbling Citadel: Absolute Judicial Immunity De-Rationalised, Legal Studies 1990, 158; s. ferner den Sammelband Council of Europe (Hrsg.), Judicial Power and Public Liability for Judicial Acts, 1986. 404 Rechtsprechungsübersicht bei Ohlenburg 2000, S. 72. 405 Smid, Zum prozeßrechtlichen Grund des Haftungsausschlusses nach § 839 Abs. 2 S. 1 BGB, Jura 1990, 225, 226. 406 Martiny, Nichtstreitige Verfahren in Frankreich, 1976, S. 50 ff. 407 Zum Begriff s. Trib. gr. inst. Paris, 05.11.1997, Gauthier c/ministre de la Justice et autre, D. 1998. 9, note M.-A. Frison-Roche; CA Paris, 20.01.1999, Agent judiciaire du Trésor c/Gauthier, D. 1999, IR 125; CA Paris, 10.11.1999, Sarri, D. 2000, IR 31.

D. Staatsorganisationsrechtliche Bedingungen der Haftung

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großzügig zur Anwendung kommt.408 Daß es auf die materielle Rechtsprechungstätigkeit ankommt, sieht man an der Haftung der Commission Bancaire für von ihr getroffene Disziplinarmaßnahmen. Diese war bis 1978 generell deshalb ausgeschlossen, weil die Disziplinarmaßnahmen als „actes juridictionnels“ angesehen wurden und Haftungsimmunität genossen.409 Eine Relativierung dieser Auffassung erfolgte, als der Conseil d’État anläßlich der Beurteilung eines von der Commission erteilten Tadels („blâme“) restriktive Kriterien für die Staatshaftung bestimmte: Die Commission könne wegen „faute lourde“ auch für ihre rechtsprechende Tätigkeit haftbar gemacht werden, soweit sich die „faute lourde“ nicht auf den Inhalt einer Disziplinarmaßnahme beziehe, die eine abschließende Entscheidung der Commission, also eine „res judicata“ darstelle.410 Die Haftung wird somit bei übermäßigen Verzögerungen oder vorübergehenden Disziplinarmaßnahmen, die noch keinen abschließenden Charakter haben, bejaht.411 In England ergibt sich aus section 2 (5) des Crown Proceedings Act 1947, daß der Staat für deliktische Handlungen von Richtern, „magistrates“, Polizeibeamten („constables“) und Crown Prosecutors nicht haftet, die im Zusammenhang mit richterlichen Tätigkeiten stehen bzw. im Verlauf eines Prozesses erfolgen. Es wird zwischen haftungsrechtlich privilegierten richterlichen Akten („judicial acts“) und nicht privilegierten Entscheidungen verwaltender Natur („ministerial acts“) unterschieden. Man hält ferner Haftung für „intra vires“Akte und Haftung für „ultra vires“-Akte („acting without or in excess of jurisdiction“) auseinander. Haftungsrechtliche Immunität genießen Richter der unteren und oberen Gerichte („inferior“ und „superior courts“), solange sie innerhalb ihrer Zuständigkeit („intra vires“) handeln, selbst wenn sie böswillig waren („malicious“) oder bestochen wurden.412 Dies gilt gemäß der novellierten (1990) sections 44 und 45 des Justices of the Peace Act 1979 auch für Justices of the Peace. Richter der oberen Gerichte haften auch dann nicht, wenn sie ob408 Dony, Le droit francais, in: Georges Vandersanden/Marianne Dony (Hrg.), La responsabilité des Etats membres en cas de violation du droit communautaire, 1997, S. 235, 247. Siehe jedoch die Bejahung einer „faute lourde“ in Trib. gr. inst. Paris, 19.09.1990, Mme Le Ruec/Agent judiciaire du Trésor public, RDP 1990. 1859, note J.-M. Auby; Cass. 1ère civ. 09.03.1999, Malaurie et autres c/Agent judiciaire du Trésor, D. 1999, IR 104, JCP 1999. II. 10069, rapp. P. Sargos; Trib. gr. inst. Paris, 05.01.2000, Mme Dasquet, D. 2000, IR 45. 409 CE, 4.01.1952, Pourcelet, Rec. 4 bestätigt durch CE, 28.06.1963, Bapst, Rec. 411. 410 CE, 29.12.1978, Darmont, Rec. 542. Vgl. ferner CE, 12.10.1983, Consorts Lévi, Rec. 406; CAA de Lyon, 28.12.1990, Rec. CE, 963; TAA de Marseille, 1.12.1988, Fauvry, JCP, Edition Entreprise, 1989. II. 15480 411 CE, 29.12.1978, Darmont, Rec. 542, AJDA 1979 45 46 note M. Lombard; D. 1979 279 note M. Vasseur; RDP 1979 1742, 1745 note J.-M. Auby. 412 Sirros v. Moore [1975] Q.B. 118, 132 f.; Re McC (A Minor) [1985] A.C. 528, 540 f.; Ohlenburg 2000, S. 63 ff., 68.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

jektiv außerhalb ihrer Zuständigkeit handeln, subjektiv jedoch sich im guten Glauben befinden, sie hätten innerhalb ihrer Zuständigkeit gehandelt.413 Der Ausdruck „Handeln außerhalb der eigenen Zuständigkeit“ hat in diesem haftungsrechtlichen Zusammenhang eine engere Bedeutung als im Falle einer Klage „for Judicial Review“, mit der die Aufhebung des außerhalb der Zuständigkeit vorgenommenen Aktes beantragt wird.414 Die genaue Reichweite des Begriffsinhalts bleibt aber unklar.415 Daß sich die Begriffe nicht decken dürfen, wird daran deutlich, daß andernfalls der Richter immer dann haftbar würde, wenn seine Entscheidungen aufgehoben würden. Man unterscheidet drei Kategorien von Überschreitung von „jurisdiction“: Unzuständigkeit des Richters für die Beurteilung der Sache416, prozedurale Zuständigkeitsüberschreitung nach Anhängigkeit des Verfahrens („guilty of some gross and obvious irregularity of procedure“)417 oder schließlich fehlende Rechtsgrundlage der getroffenen Entscheidung.418 Alle drei Kategorien betreffen die Natur der Rechtsvorschriften, deren Verletzung durch eine Haftung für Judikatives Unrecht sanktioniert werden darf. Die Haftung wird – aus der Sicht der EMRK gesehen – auf den Fall eines Verstoßes gegen die Vorschriften in Art. 5 (Freiheitsentziehung) und/oder Art. 6 EMRK (mit Blick auf die Garantien für ein faires Verfahren während der Entstehung der gerichtlichen Entscheidung, nicht jedoch mit Blick auf die Garantien hinsichtlich des Inhalts der Entscheidung selbst) beschränkt. Die Kategorie „gross and obvious irregularity“ im Verfahren wirft oft Fragen auf, die sich im Überschneidungsbereich von Art. 5 und Art. 6 EMRK befinden. Der Human Rights Act 1998 hat hingegen in section 9 (3) ein neues Rechtsmittel gegen judikatives Unrecht eingeführt, das die Haftung allerdings, wahrscheinlich in Anlehnung an den EGMR, der Art. 5 und Art. 6 EMRK getrennt prüft, auf Verstöße gegen Art. 5 EMRK beschränkt.419 Er hat auf diese Weise die Haftung in sachlicher Hinsicht noch mehr reduziert, da Verstöße gegen Art. 6 EMRK nach s. 9 (3) HRA 1998 keine Haftung für judikatives Unrecht begrün413 Sirros v. Moore [1975] Q.B. 118, 134 f.; ReMcC (A Minor) [1985] A.C. 528, 541, 550. 414 „Jurisdiction“ ist weder spezifisch im weiten Sinne der Entscheidung Anisminic Ltd v. Foreign Compensation Commission [1969] 2 A.C. 147 noch generell im Sinne, der dem Begriff in aufhebungsrechtlichen Zusammenhängen zukommt, zu verstehen: [1985] A.C. 528, 542–544, 546. 415 ReMcC (A Minor) [1985] A.C. 528, 542, 543, 544, 546, 547 per Lord Bridge und Lord Templeman (558); Craig 1999, S. 887; Arrowsmith, Civil Liability and Public Authorities, 1992, S. 142 ff. 416 ReMcC (A Minor) [1985] A.C. 528, 546: dies wird unter der Bezeichnung „jurisdiction of the cause“ behandelt. 417 ReMcC (A Minor) [1985] A.C. 528, 546–547 per Lord Bridge. 418 Die Entscheidung „does not provide a proper foundation in law“: [1985] A.C. 528, 549; als Beispiel für diese Kategorie führt Lord Bridge den Fall O’Connor v. Isaacs [1956] 2 Q.B. 288 an. Die Grundsätze von ReMcC (A Minor) [1985] A.C. 528 wurden auch auf R v. Manchester City Magistrates’ Court ex parte Davies [1989] Q.B. 631 angewandt. Siehe [1989] Q.B. 631, 638 per O’Connor LJ und 643 per Neill LJ.

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den können, soweit die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht erfüllt sind. Unabhängig davon, wie sich die Haftungsregelung bei judikativem Unrecht in den drei hier untersuchten Rechtsordnungen gestaltet, ist die Zeit vorbei, wo man den Haftungsausschluß für fehlerhaftes richterliches Handeln mit der Staatssouveränität rechtfertigte. Nicht zuletzt das Unionsrecht spielt hier eine Rolle. In Großbritannien muß bei richterlichen Verstößen gegen Unionsrecht sogar eine Immunitätsvorschrift, nämlich section 2 (5) des Crown Proceedings Act 1947, unangewandt bleiben.420 Die Gesichtspunkte, die jedenfalls bei der Statuierung einer Haftung für judikatives Unrecht beachtet werden müssen, betreffen die Bestimmung von haftungsrelevanter Rechtswidrigkeit, die Unterscheidung von richterlichen Streitentscheidungen und richterlichen administrativen Akten, das Vorhandensein von Verschulden (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) sowie Fälle von Justizirrtum.421Allgemein kann zwischen einer Haftung für privilegierte und nicht privilegierte Tätigkeiten unterschieden werden.422

III. Haftungsimmunität der Exekutive („actes de gouvernement“) Bestimmte Akte der Staatslenkung, insbesondere die Vorrechte des Staatsoberhauptes oder die Beziehung der Staatsführung zum Parlament und zu anderen Staaten, sollten nach der im 19. Jh. entstandenen Lehre der gerichtsfreien Hoheitsakte der Exekutive („actes de gouvernement“) keine administrative Haftung, sondern nur politische Verantwortung gegenüber dem Parlament oder dem Volk auslösen.423 Mit seiner Theorie des „acte détachable“ versuchte der Conseil d’État in Fällen, in denen sich der schadenstiftende Akt von der politischen Tätigkeit trennen läßt, doch noch Entschädigung zu gewähren.424 Die Haftung kann im Unterschied zur Haftung „du fait des lois“ auch eine Haftung für „faute“ sein. Klare abstrakte Kriterien zur Unterscheidung von „détachable“ und „non détachable“ konnten vor allem im Bereich der auswärtigen Beziehungen des Staates erwartungsgemäß nicht herausgearbeitet werden.425 419 Siehe section 8 (2) und section 9 (4) HRA 1998. Eine Kommentierung dieser Vorschriften findet sich bei Olowofoyeku, State Liability for the Exercise of Judicial Power, PL 1998, 444, 459 ff. 420 Olowofoyeku, PL 1998, 444, 458 f. 421 Siehe die Systematisierung von Velu, Essential elements for a legal regime governing public liability for judicial acts in: Council of Europe (ed.) 1986, S. 77, 99 ff. 422 So die Trennung bei Ohlenburg 2000, S. 84, 91. 423 Brémond, Des actes de gouvernement, RDP 1896, 23; Lonné, Les actes de gouvernement, 1898, S. 81 f.; Duez, Les actes de gouvernement, S 1930, 176. Virally, L’introuvable acte de gouvernement, RDP 1952, 317. 424 CE, 16.05.1941, Giraud, S 1942 III 21 note P.L; CE, 30.01.1948, Rec. 48.

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Vergleicht man nun die haftungsrechtliche Beurteilung von Unionsakten im Rahmen der auswärtigen Beziehungen der Europäischen Union mit der Rechtsprechung des Conseil d’Etat zu den „actes de gouvernement“426, so stellt man fest, daß der EuGH auch in den Fällen eine Haftung annimmt, in denen der Conseil d’Etat einen gerichtsfreien und haftungsimmunen „acte de gouvernement“ angenommen hätte. Während der Conseil d’État davon ausgeht, daß sich die (Nicht-)Aushandlung eines internationalen Vertrages mit einem anderen Staat von den internationalen politischen Beziehungen von Frankreich nicht abtrennen lassen,427 hat der EuGH auf die Aushandlung und den Abschluß eines Fischereiabkommens mit einem Drittstaat sowie auf die (Nicht-)Gewährung diplomatischen Schutzes an Privatleute die Grundsätze der außervetraglichen Haftung der Gemeinschaft angewandt. Er hat einen etwaigen haftungsbegründenden Verstoß der Unionsorgane gegen den Grundsatz der Sorgfalt und der ordnungsgemäßen Verwaltung geprüft und verneint.428 Im Bereich des Abschlußes internationaler Verträge überprüft der Conseil d’Etat lediglich die Existenz des Aktes der Vertragsannahme sowie das Ratifikations- und Approbationsverfahren am Maßstab des Art. 53 der Verfassung („légalité externe“).429 Der EuGH beschränkt sich hingegen nicht auf eine Kontrolle des innerstaatlichen Verfahrens. Er geht auf die Überprüfung des Inhalts des Abkommens mit dem Unionsrecht ein. Er hat etwa den Artikel 1 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft für nichtig erklärt.430 Ferner hat der Gerichtshof eine vollständige Gültigkeitsprüfung einer Gemeinschaftsverordnung vorgenommen, mit der das Kooperationsabkommen zwischen der EWG und Jugoslawien ausgesetzt wurde. Er sah seine Prüfungszuständigkeit auf sämtliche Gründe erstreckt, aus denen solche Suspendierungen internationaler Abkommen ungültig sein können und wandte eine Gewohnheitsregel des Völkerrechts an.431 Der Conseil d’État hätte hier lediglich das formale ord425 Odent, concl. TC, 02.02.1950, Soc. Radio Andorre, RDP 1950, 418; Duez, S 1930, 176 f. 426 Hierzu s. die Untersuchung von Boulois, La théorie des actes de gouvernement à l’épreuve du droit communautaire, RDP 2000, 1791. Die einschlägige Rechtsprechung des CE ist: CE, 19.10.1962, Perruche, Rec. 555; CE, 02.03.1966, Dme Cremencel, Rec. 157; CE, 28.06.1967, Société des transports en commun de la région d’Hanoi, JCP 1968 II 15393; CE, 04.03.1970, Desdame, Rec. 152; CE, 30.03.1966, Compagnie générale d’énergie radioélectrique, Rec. 257. 427 CE, 13.07.1979, COPAREX, Rec. 319, AJDA 1980, 371, concl. A. Bacquet; CE, 25.03.1988, Soc. Sapvin c/Ministre des affaires étrangères, Rec. 133. 428 EuGH, T-572/93, Odigitria/Rat, Slg. 1995, II-2025. 429 CE, 18.12.1998, SARL du parc d’activités de Blotzheim et SCI Haselaecker, Rec. 483 concl. G. Bachelier, RFDA 1999, 315; CE, 23.02.2000, Bamba Dieng, RFDA 2000, 478. 430 EuGH, C-122/95, Bundesrepublik Deutschland/Rat der EU, Slg. 1998 I-973.

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nungsmäßige Zustandekommen der Verordnung überprüft, denn die Suspendierung eines internationalen Abkommens stellt nach seiner Ansicht einen Akt dar, der nicht „détachable“ von der Ausgestaltung der auswärtigen Beziehungen des Staates ist.432 Im Bereich der Verhängung finanzieller Sanktionen hat das EuG die außervertragliche Unionshaftung eines durch das Irak-Embargo angeblich geschädigten Unternehmens wegen des Fehlens eines tatsächlichen und sicheren Schadens verneint.433 Der EuGH bestätigte diese Entscheidung.434 Von Interesse ist hier, daß sich die europäische Gerichtsbarkeit für die Beurteilung von Haftungsklagen wegen Schädigungen, die durch Embargo-Maßnahmen gegen Drittstaaten verursacht werden, überhaupt für zuständig hält. Demgegenüber hat der Conseil d’État einen „recours pour excès de pouvoir“ gegen einen Dekret (vom 14.04. 1992), der eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Nr. 748 vom 31.03.1992) zur Verhängung eines Luftembargo gegen Libyen umsetzen sollte, mit der Begründung abgewiesen, er sei von der Führung der außenpolitischen Geschäfte des Staates nicht abtrennbar.435 Ebensowenig wurde die Nichtverlängerung einer vorläufigen Genehmigung zum Waffenexport nach Libyen auf der Grundlage dieses Dekrets der Kontrolle der Verwaltungsgerichte unterzogen.436

IV. Staatshaftung und staatliches Strafmonopol Hinsichtlich der Haftung für staatsanwaltliches Fehlverhalten ist zunächst auf die fehlende Parallele zur privilegierten Stellung des deutschen Richters hinzuweisen. Somit ist eine analoge Anwendung des § 839 Abs. 2 BGB nicht möglich.437 Für die Beurteilung staatsanwaltlichen Fehlverhaltens gilt das allgemeine Amtshaftungsrecht. Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung durch den Staatsanwalt wegen zu Unrecht angenommenen dringenden Tatverdachts (etwa der Untreue nach § 266 StGB, § 112 Abs. 1 S. 1 StPO) führt demnach zur Haftung. Nach der Rechtsprechung des BGH sind allerdings bestimmte Maß431 EuGH, C-162/96, A. Racke GmbH & Co./Hauptzollamt Mainz, Slg. 1998 I3655, Rn. 27. 432 CE, 30.07.1997, Etienne, Rec. 627; CE, 18.12.1992, Préfet de la Gironde c/ Mhamedi, Rec. 446, RFDA 1993, 333 concl. F. Lamy und note D. Ruzié, D 1994, J, 1 note F. Julien-Laferrière, AJDA 1993, 82 chr. R. Schwartz/Ch. Maugue. 433 EuG, Rs. T-184/95 Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH/Rat der EU, Slg. 1998 II-667, Rn. 99. 434 EuGH, Rs. C-237/98 P. 435 CE, 29.12.1997, Soc. Héli-Union, Droit administratif, mars 1998, Nr. 100, 24. 436 CE, 12.03.1999, Soc. Héli-Union, Nr. 162131. Hierzu Boulois, RDP 2000, 1791 ff. 437 Ohlenburg 2000, S. 40.

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nahmen des Staatsanwalts, zu denen auch der Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls gehört, im Amtshaftungsprozeß nicht auf ihre „Richtigkeit“, sondern nur daraufhin zu überprüfen, ob sie vertretbar sind.438 Reduziert ist jedoch nur der Prüfungsmaßstab nicht die Amtspflicht selbst.439 Die Unterlassung der Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung strafbarer Handlungen kann in aller Regel keine Amtspflichtverletzung gegenüber dem durch die Straftat Geschädigten darstellen.440 Anders liegt es, wenn der Staatsanwaltschaft in einem laufenden Ermittlungsverfahren konkrete Schutzpflichten gegenüber dem durch eine Straftat Geschädigten erwachsen, etwa zur Sicherstellung der Diebesbeute im Interesse des Bestohlenen.441 Im englischen Recht besteht seit dem „Prosecution of Offences Act 1985“ eine nationale Strafverfolgungsbehörde („Crown Procecution Service“), die von der Polizei völlig getrennt und dem Kronanwalt („Attorney-General“) gegenüber verantwortlich ist. Die Polizei befaßt sich mit der Ermittlung, die Staatsanwaltschaft ist zuständig für die Anklage. In zwei Fällen, in denen die von der Strafverfolgung Betroffenen aufgrund fahrlässiger Pflichtverletzung des „Crown Prosecution Service“ länger als nötig in Haft gewesen sind, wurde vom Court of Appeal dahingehend argumentiert, daß weder die Natur des Verhältnisses der Geschädigten zur Staatsanwaltschaft (sogen. „proximity“) noch Gründe des öffentlichen Interesses für die Annahme einer „duty of care“ sprechen.442 Hingewiesen wurde zunächst auf alternative Schutz- und Kontrollmöglichkeiten („Attorney-General“, „Judicial Review“, „tort of malicious prosecution“, „tort of misfeasance in public office“). Folgende Gründe des öffentlichen Interesses ließen ferner keine Haftung zu: die Hemmung der Strafverfolgung, die defensive Einstellung der Beamten, die Umleitung seltener Ressourcen von der Bewältigung der primären Aufgabe auf die Bewältigung von Schadensersatzklagen.443 Schließlich habe der Gesetzgeber die Materie selbst geregelt und doch keine Haftung vorgesehen.444 Und es wäre untunlich, den Anwendungsbereich des „tort of negligence“ zu Lasten der in diesem Fall in Betracht kommenden 438

BGH, NJW 1989, 96; NJW 1998, 751, 752. BGH, NJW 1998, 751 (752). 440 OLG Düsseldorf, NJW 1996, 530 m. abl. Anm. Hörstel, NJW 1996, 497, zust. Krohn, Günter, Anmerkung zum Beschluß des OLG Düsseldorf vom 2.1.1995, EwiR. 1995, 135. 441 BGH, NJW 1996, 2373; Steffen, Erich, Haftung für Amtspflichtverletzungen des Staatsanwalts, DRiZ 1972, 153. 442 Elguzouli-Daf v. Commissioner of Police of the Metropolis and another (C.A.) [1995] Q.B. 335. Der zweite Fall ist McBrearty v. Ministry of Defence and others, ebd. 443 Elguzouli-Daf v. Commissioner of Police of the Metropolis and another (C.A.) [1995] Q.B. 335, 349, per Steyn L.J. 444 So Morritt L.J. ebd., S. 351 unter Berufung auf Lord Keith of Kinkel in Yuen Kun Yeu v. Attorney-General of Hong Kong [1988] A.C. 175, 195. 439

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anderen „torts“ zu erweitern.445 Eine Haftung wäre demnach deliktsrechtlich nur mit Hilfe des „tort“ „malicious prosecution“ (böswillige Verfolgung) oder des „tort“ „misfeasance in public office“ (Amtsmißbrauch) möglich, die den schwierigen Nachweis von „malice“ bzw. „recklessness“ voraussetzen. Im französischen Recht ist die Frage der Strafentschädigung wie im deutschen Recht (verschuldenslose Haftung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen446) seit 1970 gesetzlich geregelt. Insbesondere werden Geschädigte entschädigt, die in Untersuchungshaft waren, soweit kein Hauptverfahren gegen sie eröffnet wurde bzw. keine Verurteilung erfolgte. Diese Entschädigung ist nicht verschuldensabhängig. Bis 1996 mußte jedoch der verursachte Schaden „offensichtlich anormal und besonders schwerwiegend“ sein. Diese Bedingung wurde gesetzlich beseitigt.447 Die Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 der EMRK können unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens gegeben sein, sie setzen aber eine rechtswidrige Freiheitsentziehung voraus.

V. Stellung des Beamten, Trennung von Gerichtsbarkeiten und Trennung von öffentlichem Recht und Zivilrecht Zu den staatsorganisationsrechtlichen Bedingungen der Staatshaftung gehören die Konzeption des Verhältnisses des Beamten zu seinem Amt, die Trennung der Gerichtsbarkeiten und die dogmatische Relevanz der Unterscheidung von öffentlichem Recht und Zivilrecht. Unterschiedliche historische Ausgangssituationen in Frankreich und Großbritannien konnten im Laufe der Entwicklung zu ähnlichen Ergebnissen führen, während ähnliche Ausgangslagen in Frankreich und Deutschland in unterschiedlichen Richtungen entwickelt wurden. In Frankreich hatte die ursprüngliche „garantie constitutionnelle“ gegen die gerichtliche Verfolgung der Verwaltungsbeamten (Art. 75 der Verfassung vom 22 frim. VIII – 23.12.1799), die 1870 formell abgeschafft wurde und im preußischen Konfliktsgesetz (13.02.1854) ihr Pendant448 fand, eine doppelte Konsequenz zur Folge. Zuerst begünstigte sie die Entwicklung eines Rechtsschutzes gegen Verwaltungsakte mit Hilfe einer Rechtmäßigkeitskontrolle, die den Verwaltungsakt in den Vordergrund stellte und zum Zentralbegriff des Verwal445

Ebd., S. 352. Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, 4. Aufl., 1997, Einleitung Rn. 1–70. 447 Loi du 30.12.1996 relative à la détention provisoire. Vgl. hierzu Markesinis u. a., Tortious Liability of Statutory Bodies: A Comparative and Economic Analysis of Five English Cases, 1999, S. 32. 448 Gehre, Die Entwicklung der Amtshaftung in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert, 1958, S. 41 ff. 446

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

tungsrechts machte. Sodann bereitete sie einer Haftungsklage direkt gegen den Staat den Weg. Denn der Staat haftete wegen rechtswidriger Handlungen seiner Beamten allein, solange die rechswidrige Handlung durch den Zusammenhang mit Verwaltungsakten gedeckt war. Nur schädigende Handlungen, die sich selbständig von einem Verwaltungsakt derart ablösten („détachable“), daß sie dem Zivilgericht greifbar wurden, ohne den Verwaltungsakt zu berühren, wurden als persönliche Handlungen („fait personnel“) des Beamten bezeichnet.449 Von diesen Ergebnissen wich die Entwicklung des deutschen Staatshaftungsrechts ab, die auf die Kompromißlösung der amtshaftungsrechtlichen Haftungsüberleitung hinauslief, obwohl in Preußen die gerichtliche Verfolgung des Beamten von einer Vorentscheidung wie in Frankreich abhängig war und der 9. DJT eine direkte Haftverbindlichkeit des Staates eingefordert hatte.450 In Großbritannien zwang hingegen die Haftungsimmunität der Krone den Bürger dazu, sich gegen den Amtsinhaber persönlich zu wenden.451 Dies hat erstens zur Folge gehabt, daß ein Sonderrichter entbehrlich war, da die ordentlichen Gerichte die Haftung des Amtsinhabers, der ja wie jeder Bürger haften sollte, feststellen konnte.452 Zweitens war die Entschädigung des Betroffenen angesichts der begrenzten Leistungsfähigkeit seines Schuldners nicht gewährleistet. Drittens war der Bürger gegen rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen nicht geschützt, solange diese keine Schäden verursachten. Diese Rechtsschutzlücke konnte nur durch die lange Entwicklung gefüllt werden, die schließlich auf die Schaffung des „Judicial Review“-Verfahrens und die faktische Behandlung der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten von jeweils einer Abteilung der Gerichte ermöglichte. Die haftungsrechtliche Rechtsschutzlücke wurde durch die Abschaffung der Haftungsimmunität der Krone durch den Crown Proceedings Act 1947 geschlossen. Die Trennung der Gerichtsbarkeiten in Frankreich und Deutschland bestimmte nicht nur Rechtsweg und Rechtsschutz, sondern auch die Begriffsgeschichte im staatshaftungsrechtlichen Bereich. Aus der Rechtsprechung verschiedener Gerichte sind verschiedene Fallsammlungen entsprungen, in denen Begriffe nach jeweils immanenten Gesichtspunkten definiert werden. Dies schloß allerdings Abstimmungen und gegenseitige Beeinflussung nicht aus. Die Entwicklung des französischen Staatshaftungsrechts ist ohne den Streit zwischen Cour de Cassation und Conseil d’Etat sowie die Schlichtungsfunktion des Tribunal des Conflits nicht nachzuvollziehen. Ähnliches gilt für die Entwicklung des deutschen Staatshaftungsrechts mit Blick auf das Zusammenspiel von BGH, BVerwG und BVerfG. Das Staatshaftungsrecht spiegelt nicht nur eine be449

Hierzu Burdeau, Histoire du droit administratif, 1995, S. 236 ff. Hierzu die Rekonstruktion von Loening, Die Haftung des Staats aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten nach deutschem Privat- und Staatsrecht, 1879, S. 5. 451 Zur Entwicklung Street, Governmental Liability, 1953, S. 2 ff. 452 Diesen Aspekt hat Dicey, Law of the Constitution, 1939, 369 ff. gegen ein Verwaltungsrecht französischer Prägung eingesetzt. 450

D. Staatsorganisationsrechtliche Bedingungen der Haftung

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griffstheoretische, sondern auch eine institutionelle Rationalität wider. Diesem Umstand ist zu verdanken, daß rechtsdogmatische Begriffe, wie etwa der Enteignungsbegriff, gleichsam in dreifacher Gestalt existieren können, soweit sie von den unterschiedlichen Rechtsprechungen des BGH, des BVerwG und des BVerfG geprägt sind. Eine Vorschrift wie Art. 14 GG läßt sich ebensowenig wie die ganze Eigentumsdogmatik aus der Geschichte des Eigentums- bzw. Aufopferungsbegriffs heraus erklären, wenn man Geschichte und Zukunftsperspektiven des institutionellen Zusammenspiels der Gerichtsbarkeiten nicht hinzu nimmt. Und umgekehrt läßt sich die Rechtswegfrage nicht ausschließlich danach entscheiden, wie weit der Umfang des Begriffs „Aufopferungsansprüche“ i. S. von § 40 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 VwGO ist, ob nämlich Aufopferung der Oberbegriff der Enteignung ist oder nur Ersatzansprüche für Schäden nicht-vermögensrechtlicher Art umfaßt.453 Das BVerfG hat nicht die Begriffsgeschichte, sondern Erwägungen hinsichtlich der institutionellen Bedingungen des Rechtsschutzes des Geschädigten über den Rechtsweg entscheiden lassen. Im Falle ausgleichspflichtiger Inhaltsbestimmungen soll es dem Betroffenen möglich sein, zu entscheiden, ob er den Eingriffsakt als verhältnismäßig hinnehmen oder anfechten will. Über die Geldausgleichspflicht soll nicht erst in einem separaten zivilgerichtlichen Verfahren entschieden werden.454 Der staatsorganisationsrechtliche Bezug der Unterscheidung von öffentlichem und Zivilrecht betrifft einerseits das Vorhandensein oder Fehlen einer Verwaltungsgerichtsbarkeit und andererseits die Anwendung zivilrechtlicher Haftungsgrundsätze auf die staatlichen Organisationsgebilde. In Deutschland hat der hoheitliche Impetus der öffentlichen Gewalt zumindest die Begründungsbedürftigkeit der Schaffung eines Sonderdelikts und der Anwendung des Zivilrechts auf verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse mit sich gebracht. Das deutsche Sonderdelikt der Amtshaftung ist zivilrechtlich konzipiert, doch es wird ausschließlich auf die Ausübung öffentlicher Gewalt angewandt. Es wird durch „gewöhnliches“ Zivilrecht, also durch die Haftung wegen Leistungsstörungen in verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen ergänzt. Grund für den Rückgriff auf das zivilrechtliche Leistungsstörungsrecht ist nicht die fehlende Anspruchsgrundlage (Rechtslücke), sondern vor allem die Vertragsähnlichkeit des Schuldverhältnisses. Auch die Vorteile haben hierbei eine Rolle gespielt, die die zivilrechtliche Vertragshaftung gegenüber der Amtshaftung (vor deren Relativierung durch die Rechtsprechung) zu bieten pflegte. Verneint wird die Anwendbarkeit der vertraglichen Haftungsgrundsätze, wenn dem „Fürsorgeverhältnis“ (wie im 453 Hierzu s. den Streit zwischen Schoch, Der Rechtsweg bei ausgleichspflichtigen Eigentumsinhaltsbestimmungen JZ 1995, 768, 770 und Lege, Der Rechtsweg bei Entschädigung für „enteignende“ Wirkung, NJW 1995, 2745, 2747 einerseits und Schenke, Der Rechtsweg für die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums, NJW 1995, 3145, 3147 andererseits. 454 BVerfG JZ 1999, 895 (898).

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

Strafgefangenen- und im Schulverhältnis) der Status lediglich einer Nebenpflicht zukommt.455 Auch kann die Anwendung der privatrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag auf den Staat456 nicht als Verstoß gegen die Privatautonomie dargestellt werden, der durch den mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn (§ 683 S. 1 BGB) oder die Erfüllung einer Pflicht im öffentlichen Interesse (§ 679 BGB) legitimiert werden könnte. Sie muß der Zuständigkeitsordnung der Verwaltung, dem Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes sowie der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der Finanzhoheit des Staates Rechnung tragen. Die englische Diskussion über den Wert und Unwert der Einführung einer eigentlich „kontinentalen“ Unterscheidung von öffentlichem Recht und Zivilrecht ist hauptsächlich für die Bestimmung der Fälle relevant, in denen ein „Judicial Review“-Verfahen unter Ausschluß aller anderen Verfahren herangezogen werden muß. Sie bedeutet für das englische Staatshaftungsrecht demnach nicht, daß Staatshaftungsansprüchen (nach welchem Kriterium auch immer) ein öffentlich-rechtlicher Charakter zukommen könnte. Schadensersatzansprüche bleiben zivilrechtliche Ansprüche. Allerdings wird die Problematik der Justitiabilität der Tätigkeit der öffentlichen Gewalt bei der Anwendung des Law of Torts als ein genuin öffentlich-rechtliches Element („public law element“) thematisiert, soweit die Verwaltung über Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume verfügt. Abgesehen davon steht ein Haftungsinstitut zur Verfügung, das ausschließlich auf Hoheitsträger anwendbar ist . Es geht um den „tort of misfeasance in public office“. Ein öffentlicher Bediensteter muß hiernach absichtsvoll eine auf Zufügung eines Nachteils gerichtete rechtswidrige Handlung vornehmen.457 Ausreichend ist aber auch Handeln in Kenntnis der Rechtswidrigkeit ohne Absicht der Schadenszufügung, wenn der Schadenseintritt notwendige und vorhersehbare Folge der Verwaltungshandlung war.458 Haftungsgrund ist der Gedanke, daß die Exekutive ihre Befugnisse nicht zu ungehörigen Zwecken 455 BGHZ 21, 214 (218 ff.); BGH NJW 1963, 1826 (1827); vgl. aber das Verhältnis Schulträger – Lehrer in: BayVGH Der Landkreis 1998, 750. 456 Jellinek, Verwaltungsrecht, 1931, S. 52, 240; Traeger, Die Haftung des Staates bei Einschaltung privater Kräfte, 1998, S. 127; Früh, Bürgerliches Recht in der Fallbearbeitung, JuS 1995, 418, 420 f.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 479 f.; Blas, Der Aufwendungsersatzanspruch aus öffentlich-rechtlicher GoA – eines Bürgers gegen einen Träger öffentlicher Gewalt, – BVerwG DVBl. 1989, S. 42 ff., JA 1989, 514, 516; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 1997, Rn. 271; Oldiges, Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, JuS 1989, 616, 621, 623; Einem, Geschäftsführung ohne Auftrag im Sozialrecht, NWVBl. 1992, 384, 387; Schoch, Geschäftsführung ohne Auftrag im Öffentlichen Recht, Jura 1994, 241, 246. Kischel, Handle und liquidiere? – Keine Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, VerwArch. 1999, 391, 403 ff.; Meysen, Die Haftung aus Verwaltungsrechtsverhältnis. Zugleich ein Beitrag zur Figur des „verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses“, 2000, S. 269; BayVBl. 1979, 621, 623; BVerwGE 80, 170 (174 f.). 457 Arrowsmith, Civil Liability and Public Authorities, 1992, S. 226–234. 458 Seit der europarechtlich relevanten Entscheidung Bourgoin S.A. v. Ministry of Agriculture 1986 A.C. 716

E. Konsequenzen für die untersuchten Rechtsordnungen

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mißbrauchen darf.459 Der Geschädigte darf den Ersatz aller Schäden verlangen, die vorhersehbar waren. In „Bourgoin“ war von vorhersehbaren Schäden („forseeable“)460, in „Mengel“ von einem übersehbaren Schadensrisiko („forseeable risk of harm“)461 die Rede. Im „North Wales Police“-Fall hat sich ein Polizeibeamter insofern haftbar gemacht, als er den inkriminierten Akt in Kenntnis seiner Befugnisüberschreitung sowie der damit eröffneten Schadensmöglichkeit vorgenommen hatte.462 Es ist das Kriterium der „Unredlichkeit“ („subjective recklessness“, „dishonesty“), das letzten Endes über die Haftungsauslösung entscheidet.463 Staatshaftungsrechtliche Bedeutung erlangt schließlich der Tatbestand von „abuse of legal procedure“ im Bereich der polizeirechtlichen bzw. staatsanwaltlichen Ermittlungen.464 Denn schon dem Bauprinzip dieses Tort liegt die Staatsbezogenheit zugrunde: Der Täter kann nur unter Einschaltung staatlicher Organe auf sein Opfer einwirken. Die Behörden werden hier zum deliktischen Instrument eines Privaten.465

E. Konsequenzen für die untersuchten Rechtsordnungen Die Rahmenbedingungen für eine Haftung der öffentlichen Gewalt ergeben sich aus dem Zusammenspiel der Vorgaben der europäischen Rechtsordnung einerseits und den verfassungsrechtlichen und staatsorganisationsrechtlichen Gewährleistungen und Beschränkungen andererseits. Die Rechtsprechung des EuGH hat allen drei der hier untersuchten Rechtsordnungen ein „aggiornamento“ auferlegt: Die unionsrechtskonforme Auslegung der Amtshaftung bringt eine Abschwächung der Konzeption der Schutznormtheorie, die Ersatzfähigkeit des lucrum cessans, eine Absorption des Verschuldens vom Kriterium der hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung und eine Haftung des Gesetzgebers mit sich. Letztere wurde vom französischen Recht an das Handeln der Verwaltung angeknüpft, die ein unionsrechtswidriges Gesetz anwendet. Im englischen Recht 459 Eine Analyse der „matrix“ und „ingredients of the tort“ findet sich in Three Rivers D.C. v. Bank of England (No. 3) 2 W.L.R. 2000, 1220, 1230 ff. 460 Bourgoin S.A. v. Ministry of Agriculture, Fisheries and Food [1986] Q.B. 716, 775–778, 788. 461 Northern Territory v. Mengel, zitiert in Three Rivers, S. 1234. 462 R. v. Chief Constable of the North Wales Police ex p. AB [1999] Q.B. 396. 463 Three Rivers D.C. v. Bank of England (No. 3) 2. W.L.R. [2000] 1220, 1235 per Lord Steyn. 464 Winfield/Jolowicz, On Tort, 1998, S. 678 ff.; Mayo, Die Haftung des Staates im englischen Recht – unter vergleichender Berücksichtigung des deutschen Rechts, 1999, S. 80. 465 „(I)f a prosecution is instituted by the police officer the proper view is that the prosecution has been procured by the complainant“ Martin v. Watson [1995] 3 W.L.R. 318 H.L., 327 per Lord Keith of Kinkel. Hierzu von Bar 1996, S. 273.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

hat die Rechtsprechung des EuGH nichts weniger als einen verfassungsrechtlichen Wandel insofern eingeleitet, als die Gerichte ein Parlamentsgesetz von sich aus bei Unionsrechtsverletzungen außer Acht lassen und statt dessen Normen des Unionsrechts anwenden können.466 Der EuGH beruft sich bei der innerstaatlichen Berufbarkeit des Unionsrechts, die diese Wandlungen herbeigeführt hat, auf Grundsätze, die der Rechtsprechung des EGMR entnommen sind. Das gilt für die völkerrechtliche Behandlung von Staaten als Einheiten, die für alle schadenstiftenden Tätigkeiten grundsätzlich haften, sowie für die Rechtsschutzgarantien von Art. 6 und 13 EMRK. Darüber hinaus betrifft die Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR für die untersuchten Rechtsordnungen das Erfordernis der Haftung der Vertragsstaaten unabhängig von der Form der öffentlichen Gewaltausübung, die Haftungsrelevanz aller Menschenrechtsverletzungen, den Grundsatz der Totalreparation, die Ersatzfähigkeit von Verzögerungs- und Nichtvermögensschäden sowie von entgangenem Gewinn und entgangenen Chancen, die Zahlung schließlich von Verzugszinsen und von Zinsen auf den erlittenen materiellen Schaden.467 Das Auseinanderfallen von Rechtsgutverletzung und Vermögenseinbuße oder das Fehlen eines materiellen Schadens bei Verletzung immaterieller Rechte stellt die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden nicht in Frage468, obgleich diese ihrer Natur nach im strengen Sinne nicht nachweisbar sind.469 Für die Verletzung von Verfahrensgarantien wird nicht nur gehaftet, wenn ohne den Verfahrensfehler nachweislich in der Sache anders entschieden worden wäre, sondern auch, wenn Billigkeitsgründe unter Rückgriff auf „entgangene Chancen“ für den Ersatz des materiellen Schadens sprechen. Unbedenklich ist schließlich die Entschädigung bei Verletzungen des Diskriminierungsverbots, das die Inhaltsleere eines allgemeinen Gleichheitssatzes durch die thematische Verbindung mit einem betroffenen, aber nicht verletzten Freiheitsrecht vermeidet. Der Rechtsprechung des EGMR kann kein Grundsatz der Notwendigkeit einer Entschädigung bei aller Menschenrechtsverletzung entnommen werden. Die Haftungsentscheidung setzt zwar notwendig die Feststellung einer Konventionsverletzung voraus, doch sie wird nach Maßgabe eigenständiger Wertungen470 gefällt, die separate Verstöße auch in ihrer kumulierten Wirkung haftungsrechtlich beurteilt. Hierbei sind die bereits erwähnten Faktoren der Ermessensaus466

Biggs v. Somerset County (CA) [1996] per Neil L.J. Lustig-Prean and Beckett v. The United Kingdom (just satisfaction) nos 31417/ 96 and 32377/96, 25.7.2000, § 28. 468 McGlinchey and others v. The United Kingdom, no 50390/99, 29.4.2003, § 65. 469 Davies v. The United Kingdom, no. 42007/98, 16.7.2002, § 38; Abdulaziz, Cabales and Balkandali v. The United Kingdom A 94 1985, § 96 470 „Taking the various relevant factors into account, and making its assessment on an equitable basis“: Ribitsch v. Austria (Merits and just satisfaction) no 18896/91, 4.12.1995, § 46. 467

E. Konsequenzen für die untersuchten Rechtsordnungen

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übung sowie die der Sachverhaltskonstitution und -beurteilung immanenten Wertungen maßgebend, die aber nicht explizit in der Begründung der Haftung wiederholt werden. Der EGMR weist stets auf „the circumstances“ hin.471 Diesen kann auch der Grund für die unterschiedliche Bewertung scheinbar ähnlicher Fälle entnommen werden. Die Entscheidung wird z. B. bei diskriminierender Besteuerung unterschiedlich ausfallen, jenachdem, ob der Betroffene ohne die Ungleichbehandlung selbst weniger Steuern hätte zahlen oder aber Dritte mehr Steuern hätten zahlen müssen.472 Alter, Gesundheitszustand, Art und Schwere der Rechtsverletzung473 werden zu einer spezifisch haftungsrechtlichen Beurteilung einer festgestellten Menschenrechtsverletzung herangezogen. Den Vertragsstaaten überlassen bleibt die Tatbestandsausgestaltung, soweit Art. 6 und 13 EMRK beachtet werden. Es geht vor allem um den in Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleisteten gerichtlichen Zugang, der als Maßstab für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Haftungsausschlüssen herangezogen wird.474 Dasselbe gilt in Fällen, in denen die Geschädigten vom nationalen Gesetzgeber auf einen Entschädigungsfonds auch dann verwiesen werden, wenn der Individualrechtsschutz im Rahmen dieses Fonds nicht ausreichend ausgebaut ist,475 oder wenn der Gesetzgeber rechtswidrige Maßnahmen nachträglich „validiert“476 oder Enteignungen ohne Stellungnahme des Enteignungseigentümers in einem kontradiktorischen Verfahren angeordnet und durchgeführt werden.477 Zu beachten sind ferner die aus der Rechtsprechung zum Eigentumsschutz hervorgehenden Anforderungen an Regelungsausgestaltung und Eingriffsrechtfertigung, wobei insbesondere das gesetzliche Vorsehen einer gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Eingriffssituation478, der Vorrang von Restitution

471 Siehe etwa die bewertende Darstellung der Fakten vom Kläger, Beklagten und CPT in Sakkopoulos v. Greece, no 61828/00, 15.1.2004, §§ 8–26, insbes. 13, 15, 21, 28, 29; Kosmopoulou v. Greece, no. 60457/00, 5.2.2004, Rn. 54. Unter diesen Umständen war eine Verletzung der Begründungspflicht schon haftungsauslösend. 472 Vgl. Schmidt v. Germany, no 13580/88, 18.7.1994, § 33 zu Van Raaalte v. Netherlands, no 20060/92, 21.2.1997 § 48 mit Sondervotum des Richters Foighel. 473 Sovtransavto holding v. Ukraine (just satisfaction), no 48553/99, 2.10.2003, § 52. 474 Osman v. The United Kingdom, no 23452/94, 28.10.1998; Z and others/United Kingdom, no. 29392/95, 10.05.2001. 475 Bellet/France, no 23805/94, 4.12.1995; F.E. v. France, no 382112/97, 30.10. 1998. 476 Zielinski and others v. France, no 24845/94, 28.10.1999, §§ 52–61; hierzu Mathieu, Les validations législatives devant le juge des Strasbourg: une réaction rapide du Conseil Constitutionnel mais une décision lourde de menaces pour l’avenir de la juridiction constitutionnelle, RFDA 2000, 289. 477 Hostiou/Struillou, Expropriation et Préemption. Aménagement, Urbanisme, Environnement, 2001, S. 115, Rn. 164. 478 Hentrich v. France, no 13616/88, 22.09.1994, § 42.

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2. Teil: Rechtliche Rahmenbedingungen

vor Geldentschädigung sowie die Bindung an den vor der Enteignung formulierten Enteignungszweck479 im Vordergrund stehen. Die Spannung zwischen den einheitlichen europarechtlichen Vorgaben und den unterschiedlichen verfassungs- und staatsorganisationsrechtlichen Bedingungen spiegelt sich sowohl in der Tatbestandsausgestaltung als auch in jeder konkreten haftungsrechtlichen Entscheidung wieder. Wenn man bedenkt, daß zur Staatsorganisation ihre dogmenrechtliche und theoretische Beschreibung gehört, ist zu untersuchen, in welcher Weise Verfassungsferne bzw. -nähe des Staatshaftungsrechts sowie Theorien der Gewaltenteilung die Abstimmung von Restitution und Geldersatz mit anderen Rechtsschutzmöglichkeiten beeinflussen.

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Motais de Narbonne v. France, no. 48161/99, 2.07.2002, § 21.

Dritter Teil

Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung Unterschiedliche Gewaltenteilungskonzeptionen haben unterschiedliche Konzeptionen des negatorischen Rechtsschutzes zur Folge, die wiederum die konkrete Regelung des Verhältnisses von Aufhebung und Haftung bedingen. Die Eigenständigkeit oder Subsidiarität der Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen der Haftungsklage gegenüber den entsprechenden Voraussetzungen der Aufhebungsklage hängt mit der Statuierung von Anfechtungslasten bzw. Duldungspflichten zusammen, die Rechtsfehler sanktionieren bzw. Gemeinwohlprojekten Geleitschutz bieten sollen. Die untersuchten Rechtsordnungen finden weder für die Reichweite und Rechtfertigung der Duldungspflichten noch für das Problem nicht-finaler Schäden eine einheitliche Lösung. Angesichts der Anforderungen der Rechtsprechung des EGMR müssen sie allerdings unabhängig vom jeweiligen institutionellen Kontext und von der subjektivrechtlichen oder objektiv-rechtlichen Orientierung der Aufhebungsverfahren („contentieux subjectif“ oder „objectif“) wirksamen Rechtsschutz bieten. Denn in einer komplexen Gesellschaft, in der selbst rechtmäßiges Handeln unerwünschte Nebenfolgen auslösen kann, steht das öffentliche Recht vor der Aufgabe, Gesetzmäßigkeit des Staatshandelns und Schutz der subjektiven Rechte der einzelnen aufeinander abzustimmen. Hierbei kommt es darauf an, ob die der öffentlichen Gewalt unterlaufenen Rechtsfehler vermeidbar und vorhersehbar waren und ob Rechtsschutz dem einzelnen rechtzeitig angeboten werden kann.

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes Im französischen Zivilrecht wird herkömmlicherweise die Beseitigung eines Zustandes und Verhinderung künftiger Beeinträchtigung vor dem Hintergrund deliktischen Verhaltens gesehen. Wo noch kein schädigender Eingriff stattgefunden hat, sondern ein Schaden nur aufgrund einer an sich erlaubten Tätigkeit oder aufgrund des Zustandes einer Sache zu erwarten ist, wird vorbeugender Schutz gewährt. Es handelt sich aber nicht um eine allgemeine Unterlassungsklage, sondern um konkrete Lösungen auf der Grundlage von Nützlichkeitserwägungen und der Gleichsetzung von drohender Gefahr („dommage futur certain“) und „dommage“ i. S. v. Art. 1382 C. civ. Das Urteil über die „certitude“

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

des zukünftig eintretenden Schadens ist mit dem Wahrscheinlichkeitsurteil vergleichbar, das der deutsche Richter abgeben muß, wenn er die Ernstlichkeit der drohenden Gefährdung der Rechte des Klägers bei der Entscheidung über eine vorbeugende Unterlassungsklage zu beurteilen hat. Trotz dieser Einbettung des negatorischen Rechtsschutzes in das Deliktsrecht wird zwischen Unterlassung, Beseitigung und Geldersatz unterschieden, wie man auch am Wortlaut des durch das Gesetz vom 17. Juli 1970 in den Code civil eingefügten neuen Art. 9 zum Persönlichkeitsschutz sehen kann.1 Obwohl die schadensrechtliche Auffassung nicht aufgegeben wird, stellt sich Art. 9 C. civ. als ein negatorischer Rechtsschutz dar, der vom Schutz und von der absoluten Natur des subjektiven Rechts her konzipiert wird.2 Alle Fälle der Einwirkung auf ein Grundstück, die nicht durch den negatorischen Eigentumsschutz durch die „action négatoire“ und durch die possessorischen Klagen der „complainte“, der „dénonciation de nouvel oeuvre“ und der „réintégrande“ abgedeckt sind, werden mit Hilfe der deliktsrechtlichen Generalnorm des Art. 1382 C. civ. bzw. über Art. 1384 C. civ. (Sachhalterhaftung, „Gardien“-Haftung) erfaßt. Die Fälle, die im deutschen Recht unter „Immissionen“ eingeordnet werden, erfahren im französischen Zivilrecht eine deliktsrechtliche Lösung. In den Fällen, in denen ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten fehlt, entwickelte die Rechtsprechung die Theorie der „troubles de voisinage“, die bei Störungen maßgeblich ist, die das Maß der „anormalité“ erreicht haben. Der Begriff der „troubles de voisinage“ ist weiter als der deutsche Immissionenbegriff. Es wird nicht danach differenziert, ob sich die Störung auf die Substanz des Grundstücks oder auf deren Bewohner auswirkt. Und die Haftung geht über immobiliarbezogene Schäden hinaus. Sie erstreckt sich auf die vom allgemeinen Deliktsrecht geschützten sonstigen Güter (Leben, Körper, Gesundheit, Vermögen).3 Der französische Richter hat bei der Auswahl der so breit verstandenen deliktsrechtichen Sanktionen (Unterlassung, Beseitigung, Naturalrestitution, Geldausgleich) ein „pouvoir souverain d’appré1 „Chacun a droit au respect de sa vie privée. Les juges peuvent, sans préjudice de la réparation du dommage subi, prescrire toutes les mesures telles que sequestre, saisie et autres, propres à empêcher ou faire cesser une atteinte à l’intimité de la vie privée; ces mesures peuvent, s’il y a urgence, être ordonnées en référé“. 2 Die Parallele zum deutschen Recht wird seit längerem gezogen. Siehe schon Mestre, La protection, indépendante du droit de réponse, des personnes physiques et des personnes morales contre l’altération de leur personnalité aux yeux du public, JCP 1974. I. 2623 no. 48, 51; hieraus wird abgeleitet, daß Bewegung oder gar Umorientierung im französischen Persönlichkeits- und Eigentumsschutz zu erwarten ist: So bereits Hohloch, Die negatorischen Ansprüche und ihre Beziehung zum Schadensersatzrecht, 1976, S. 120 und jetzt van Gerven u. a., Tort Law, 2000, S. 871 mit Hinweis auf eine mögliche Eingrenzung des „pouvoir souverain d’appréciation“ des Richters zugunsten eines prononcierteren negatorischen Rechtsschutzes. 3 Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19. Jahrhundert verglichen mit dem französischen Recht, zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des § 906 BGB, 1979, S. 190 f.; Bergmann, Der Schutz der Umwelt im französischen Recht, 1996, S. 39.

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes

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ciation“. Die Literatur fordert, daß der Geschädigte einen Anspruch4 auf Naturalrestitution haben sollte, wenn diese möglich sei.5 Nur wenn Geldersatz beantragt werde, dürfe der Richter die Art der Reparation frei wählen.6 Obwohl die Cour de Cassation diesen Gesichtspunkt nicht übernommen hat, optieren auch die Gerichte für Naturalrestitution, wenn mit Geldersatz wegen der Natur des verletzten Rechts oder Rechtsgutes (bei Ehrverletzungen) keine angemessene Wiedergutmachung erzielt werden kann. Ist die störende Tätigkeit öffentlichrechtlich genehmigt, wird meistens lediglich Schadensersatz gewährt. Öffentlich-rechtliche Genehmigungen werden nur unter dem Vorbehalt der Rechte Dritter erteilt, so daß der Genehmigungsempfänger von seiner privatrechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber einem beeinträchtigten Dritten nicht entlastet wird. Denn die privaten Interessen würden, so die Begründung, bei der Genehmigungserteilung nicht umfassend in die Abwägung einbezogen und das Gewaltenteilungsprinzip für eine Unabhängigkeit des Privatrechts vom öffentlichen Recht spreche.7 Der Einfluß einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung auf die Zivilrechtsprechung beschränkt sich meistens darauf, daß Geldausgleich gegenüber dem negatorischen Rechtsschutz, der eine zivilgerichtliche Korrektur verwaltungsrechtlicher Genehmigungen zur Folge hätte8, bevorzugt wird. Bei genehmigungspflichtigen Anlagen („installations classées“) fällt praktisch der zivilrechtliche negatorische Rechtsschutz aus. Verletzungen der städtebaurechtlichen Vorschriften können lediglich zivilrechtliche „actions pétitoires“ keine „actions possessoires“ begründen.9 Auch bestimmt Art. L 480-13 C. urb., daß die Zivilgerichte keine Maßnahme des Ausgleichs wegen Drittschäden, die durch den Verstoß des genehmigten Bauvorhabens gegen baurechtliche Vorschriften verursacht werden, anordnen dürfen, wenn nicht zuvor die Bauerlaubnis vom Verwaltungsgericht aufgehoben oder für nichtig erklärt worden ist. Der Haftungsanspruch verjährt fünf Jahre nach Abschluß der genehmigten Bauarbeiten10 und kann zur Naturalrestitution i. S. einer Wiederherstellung des früheren Zustandes nach Maßgabe von Art. 1143 oder 1382 C. civ. führen. Die Naturalrestitution wird bei Unmöglichkeit oder nachträglicher Rechtmäßigkeit, nicht jedoch bei Unzumutbarkeit („inconvenients disproportionnés avec le but à atteindre“)11 ausgeschlossen. 4

Hierzu: Roujou de Boubée, Essai sur la notion de réparation, 1974, 248. Mazeaud/Chabas Traité théorique et pratique de la responsabilité civile délictuelle et contractuelle, Bd. 3, 6. Aufl., 1978, S. 615, 633. 6 Viney/Jourdain, Traité de droit civil – Les obligations: les effets de la responsabilité, 1988, S. 60. 7 Ravanas, La réserve des droits des tiers en matière foncière, Rép. Defrénois 1984, 529 ff., 593 ff. 8 TC, 23.05.1927, S 1927, 3, 94. 9 Seit Cour de Cassation 23.6.1971, Aubineau c/Gastaud, Civ. 3e, JCP 1972, éd. G, II, 16965, note G. Goubeaux. 10 Soler-Couteau, Droit de l’urbanisme, 1996, Rn. 958. 5

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Im französischen öffentlichen Recht bestimmt der Grundsatz der „Unantastbarkeit“ („intangibilité de l’ouvrage public“), der als Ausfluß des Gewaltenteilungsprinzips gilt, das Ausmaß der Duldungspflichten. Er betrifft sowohl den einzelnen als auch die Gerichte. Für den einzelnen ist Art. 257 C. civ. einschlägig, der die Beeinträchtigung von „ouvrages publics“ unter Strafe stellt. Hierbei spielt keine Rolle, ob sie wissentlich oder unwissentlich in rechtswidriger Weise auf einem nicht der öffentlichen Hand gehörenden Grundstück errichtet worden sind („ouvrages mal plantés“).12 Der Ausschluß von Abwehrrechten erfolgt nicht nur gegenüber „gemeinwichtigen Anlagen“, sondern er bezieht sich auf alle öffentlichen Einrichtungen und Tätigkeiten. Der Verwaltungsrichter darf die Beseitigung eines „ouvrage public“ nicht anordnen, er kann dem Grundstückseigentümer lediglich eine dem Wert des verlorenen Gutes angemessene Entschädigung zusprechen. Ebensowenig darf er die Einstellung rechtswidrig begonnener „travaux publics“ befehlen. Der Zivilrichter seinerseits darf den Abbruch eines „ouvrage public mal planté“ nicht mal im Falle einer Gewaltmaßnahme („voie de fait“) anordnen. Er ist hingegen befugt, die Unterbrechung eines „travail public“ und die Zahlung eines Schadensersatzes anzuordnen, wenn mit der Arbeit eine „voie de fait“ begangen wurde. Der Grundsatz der Unantastbarkeit gilt nicht für die Verwaltung selbst, die ihre „ouvrages publics“ entwidmen, entfernen oder abändern kann. Hauptkonsequenz dieses Grundsatzes ist, daß der negatorische Rechtsschutz im öffentlichen Nachbarrecht ausfällt und sich der Betroffene auf einen Schadensersatz verwiesen sieht. Dieser Ausschluß von Abwehransprüchen ist jedoch nicht unangefochten. Kritisiert wird, daß der Grundsatz der Unantastbarkeit in keinem Gesetz und in keiner Verordnung niedergelegt ist, sondern auf eine veraltete Rechtsprechung des Conseil d’État zurückgeht.13 Es wird dafür plädiert, daß der einzelne nur das Ausmaß an Immissionen dulden sollte, wie, wenn anstatt des Hoheitsträgers, ein Privater die Störungen hervorrufen würde.14 Der zurückgedrängte Abwehrschutz bei Immissionen von hoheitlicher Hand wird durch die verschuldensunabhängige Haftung für „dommages permanents des travaux publics“ ausgeglichen, die an die zivil-

11 Hierzu die Leitentscheidung der Cour de Cassation 1.3.1965, Cliquet, Bull. civ. I, no 158, RTD civ. 1965, 834, note J.-D. Bredin, RDP 1966, 145, note Waline, RA 1965, 479, note G. Liet-Veaux; CJEG 1966, 294, note Guibert. Siehe die Bestätigung in Civ. 3e, 7.6.1979, Epoux Sanart c/Epoux Costet, Droit et Ville 1981, no 11, 182, obs. J.-C. Groslière, JCP 1980, éd. G, II, 19415, note J. Ghestin. Zur Kritik Savatier, Propriété immobilière et contrainte d’urbanisme: la condamnation à démolir, DS 1974, chron. 59. 12 Art. 257 C. civ.: „Quiconque aura détruit, abattu, mutilé ou dégradé des monuments, statues et autres objets destinés à l’utilité ou à la décoration publique, et élevés par l’autorité publique ou avec son autorisation, sera puni d’un emprisonnement d’un mois à deux ans, et d’une amende . . .“. 13 CE, 7.07.1853, Robin de la Grimaudière, S 1854. II. 113. 14 Caballero, Essai sur la notion juridique de nuisance, 1981, S. 277.

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes

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rechtliche Haftung für „troubles de voisinage“ angelehnt ist, doch neben der „anormalité“ auch noch die „spécialité“ des Schadens voraussetzt. Mit Hilfe einer im Jahre 2000 eingeleiteten Reform soll der negatorische Rechtsschutz im französischen Verwaltungsrecht nunmehr aufgewertet werden. Zunächst wurden die Befugnisse des Verwaltungsrichters zur Herstellung der aufschiebenden Wirkung erweitert. Dieser darf die Vollzugsaussetzung auch negativer Entscheidungen anordnen, und zwar unabhängig davon, ob deren Aufrechterhaltung eine gegebene rechtliche oder tatsächliche Lage verändern würde.15 Die Neuregelung hat ferner keinen automatischen Suspensiveffekt eingeführt, aber die Voraussetzungen des Antrags auf seine Herstellung zumindest der Intention nach gelockert. Dem Antrag wird stattgegeben, wenn er auf Dringlichkeitsgründe („urgence“) gestützt wird und der von ihm vorgebrachte Nichtigkeitsgrund nach dem Klarstellungszustand des Sachverhalts geeignet ist, ernsthafte Zweifel („doute sérieux“) hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aufkommen zu lassen.16 Das Erfordernis des „doute sérieux“ soll lediglich dilatorische Anträge ausschließen. Dem Antrag auf Herstellung des Suspensiveffekts soll nunmehr vorsichtshalber („par précaution“) und nicht nur in Ausnahmefällen stattgegeben werden.17 Es muß nicht mehr praktisch bereits feststehen, daß die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache annuliert werden wird. Nach wie vor bleibt die Stattgabe des Antrags auf Herstellung des Suspensiveffekts dem Ermessen des Verwaltungsgerichts anheimgestellt.18 Der Richter bekommt aber zusätzlich eine Befugnis zur Abänderung seiner bereits getroffenen Entscheidung. Im Lichte neuer Umstände darf er seine Meinung ändern und getroffene Maßnahmen modifizieren bzw. aufheben.19 Eine weitere Hürde wurde dadurch vorgesehen, daß der Richter Anträge von vornherein ausschließen kann, soweit sie keinerlei Dringlichkeitscharakter 15

Unter Aufgabe also der Rechtsprechung Amoros des CE. Art. L. 521-1 Code de justice administrative (CJA): „Quand une décision administrative, même de rejet, fait l’objet d’une requête en annulation ou en reformation, le juge des référés, saisi d’une demande en ce sens, peut ordonner la suspension de l’exécution de cette décision, ou de certains de ses effets, lorsque l’urgence le justifie et qu’il est fait état d’un moyen propre à créer, en l’état de l’instruction, un doute sérieux quant à la légalité de la décision“. 17 Fouletier, La loi du 30 juin 2000 relative au référé devant les juridictions administratives, RFDA 2000, 963, 969. 18 „(L)e sursis à exécution n’est pour le juge qu’une simple faculté“: CE, 2.07.1982, Huglo et autres, Rec. 258; AJDA 1982, 657, concl. Biancarelli und note Lukaszewicz; D. 1983. IR. 270, 328 note Delvolvé und note Dugrip; RA 1982, 627 note Pacteau. Die Rechtsprechung, die das Ermessen des Richters bestätigt hatte, wurde somit nicht aufgegeben: CE, 13.02.1976, Assoc. de sauvegarde du quartier Notre-Dame, Rec. 100; Rev. adm. 1976, 381 concl. Morisot; RDP 1976, 903 chron. Drago; AJDA 1976, 300 chron. Nauwelaers und Fabius; D. 1977, 116 note Pellet. 19 L. 521-4 CJA: „Saisi par toute personne intéressée, le juge des référes peut, à tout moment, au vu d’un élément nouveau, modifier les mesures qu’il avait ordonnées ou y mettre fin“. 16

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

aufweisen, offensichtlich unzulässig (insbes. wegen Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit) oder unbegründet sind.20 In diesen Fällen wird der Antrag ohne ein in kontradiktorischer Form durchgeführtes schriftliches oder mündliches Verfahren abgewiesen. Das Gesetz vom 30. Juni 2000 hat ferner die besonderen Eilverfahren der „référés administratifs“ zum Teil neu geregelt. Im Rahmen des „référé-conservatoire“21 durfte bisher der Richter in dringenden Fällen vorläufige Sicherungs- und Verwahrungsmaßnahmen treffen, die zur Unterbindung einer rechtswidrigen Situation oder zur Sicherung der Rechte und Interessen einer Partei nützlich waren. Allerdings durften im Rahmen des „référé“-Verfahrens keine Maßnahmen angeordnet werden, die die Hauptsacheentscheidung beeinträchtigen oder vorwegnehmen würden. Einstweilige Anordnungen waren im Rahmen des „référé“-Verfahrens ausgeschlossen, da sie im Hauptsacheverfahren ebenfalls versagt waren (Verbot der Erteilung von Anweisungen an die Verwaltung). Die Neuregelung hat diese Einschränkung zusammen mit dem Erfordernis des Vorliegens einer Verwaltungsentscheidung vor Anrufung des Verwaltungsrichters („désision administrative préalable“) aufgehoben.22 Das Erfordernis der Nichtbeeinträchtigung des Vollzugscharakters des angefochtenen Administrativaktes ist beibehalten worden. Dem präventiven Rechtsschutz soll ferner die Novellierung des „référé-précontractuel“ dienen. Sie soll zur Vermeidung der Schaffung von „faits accomplis“ im öffentlichen Vergabewesen und im Bereich der Angebotsausschreibungen von öffentlichen Arbeiten23 einen vorvertraglichen einstweiligen Rechtsschutz dadurch möglich machen, daß die Unterzeichnung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages für eine höchste Dauer von 20 Tagen aufgeschoben werden kann. Die wichtigste Neuerung der Reform ist allerdings die Einführung eines neuen Eilverfahrens, des „référé-liberté“, das explizit den Vorrang des Grundrechtsschutzes vor der Regelmäßigkeit des Verwaltungshandelns in den Vordergrund stellt. Dem Richter 20 Art. L. 522-3 CJA: „Lorsque la demande ne présente pas un caractère d’urgence ou lorsqu’il apparaît manifeste, au vu de la demande, que celle-ci ne relève pas de la compétence de la juridiction administrative, qu’elle est irrecevable ou qu’elle est mal fondée, le juge des référés peut la rejeter par une ordonnance motivée . . .“ 21 Es ist noch auf die Eilverfahren „référé-instruction“ und „référé-provision“ hinzuweisen. Der „référé-instruction“ erlaubt dem Richter Maßnahmen anzuordnen, die der Ermittlung des Hauptsacheverfahrens dienen, wie vor allem die Erstellung von Sachverständigengutachten. Der „référé-provision“ erlaubt dem Richter, eine Vorschußzahlung anzuordnen, bevor der endgültige Betrag, der auszuzahlen ist, nach einem langen Verfahren festgesetzt werden kann. 22 L. 521-3 CJA: „En cas d’urgence et sur simple requête qui sera recevable même en l’absence de décision administrative préalable, le juge des référés peut ordonner toutes autres mesures utiles sans faire obstacle à l’exécution d’aucune décision administrative“. 23 Art. L. 551-1 CJA betrifft „délégations de service public“, „contrats de marché publics de fourniture et de travaux“; Art. L. 551-2 CJA betrifft insbesondere „délégation de service publics“ und „contrats de fourniture et travaux“ im Bereich der Wasserwirtschaft, der Energie, Telekommunikation und im Transportwesen.

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes

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wird im Rahmen dieses Verfahrens die Befugnis gegeben, binnen 48 Stunden nach der entsprechenden Antragstellung die Maßnahmen zu treffen, die zum (präventiven) Bestandschutz („sauvegarde“) einer Grundfreiheit notwendig sind, sofern diese durch das Handeln der öffentlichen Verwaltung oder eines Beliehenen in schwerwiegender und offensichtlich rechtswidriger Weise beeinträchtigt werden könnten. Zum ersten Mal wird hier dem Richter vor der endgültigen Entscheidung, ja sogar vor der Erhebung eines jedweden Rechtsbehelfs in der Hauptsache ein echtes „pouvoir d’injonction“ gegenüber der Verwaltung anvertraut. Der neue Art. L. 521-2 CJA24 geht weit über die Reformen des Gesetzes vom 8. Februar 1995 hinaus, die das „pouvoir d’injonction“ des Verwaltungsrichters auf die Gewährleistung der Vollziehung einer endgültigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung beschränkte. Nunmehr darf der Richter der Verwaltung aufgeben, sowohl einen Real- oder Administrativakt zu unterlassen und eine Betätigung zu unterbrechen als auch einem Unterlassen abzuhelfen. Schutzgegenstand dieses präventiven und negatorischen Rechtsschutzes sind sämtliche „libertés fondamentales“, aktiv legitimiert ist „toute personne intéréssée“.25 Zweck dieser Vorschrift ist es, die Lücke im bestehenden Rechtsschutzsystem zu schliessen: Der „référé liberté“ ergänzt den „référé suspension“ des Art. L. 521-1 CJA, denn er betrifft nicht nur formelle Administrativakte, sondern auch Realakte und schlichtes Verwaltungshandeln oder Unterlassen. Anders als der „référé conservatoire“ des Art. L. 521-3 CJA ist das neue Verfahren nicht durch das Erfordernis eingeschränkt, die Vollziehung eines Administrativaktes nicht zu beeinträchtigen. Schließlich stellt der „référé liberté“ das verwaltungsgerichtliche Pendant zum zivilrechtlichen Schutz der Grundfreiheiten durch die „voie de fait“, die lediglich gegen „Gewaltmaßnahmen“ Schutz bietet. Eine Trennung von öffentlichem und Zivilrecht ist für die Darstellung des Stellenwertes des negatorischen Rechtsschutzes im englischen Recht irrelevant. Eigentumsrecht und Deliktsrecht sind in der englischen Rechtsordnung keine distinkte Rechtsgebiete im deutschen Sinne, denn im „property law“ sind auch Elemente des „tort law“ enthalten und umgekehrt. Für den negatorischen Schutz ist bereits entscheidend, daß das englische Recht die „rei vindicatio“ nie rezipiert hat. Die Problematik der haftungsrechtlichen Beziehungen zwischen Grundstückseigentümern findet im englischen Recht ihre Lösung im Bereich des Deliktsrechts. Die Lösungskomponenten verteilen sich auf den „tort of trespass to land“, den „tort of nuisance“ und den im Fall „Rylands v. Fletcher“ 24 Art. L. 521-2 CJA: „Saisi d’une demande en ce sens justifiée par l’urgence, le juge des référés peut ordonner toutes mesures nécessaires à la sauvegarde d’une liberté fondamentale à laquelle une personne morale de droit public ou un organisme de droit privé chargé de la gestion d’un service public aurait porté, dans l’exercice d’un de ses pouvoirs, une atteinte grave et manifestement illégale. Le juge des référés se prononce dans un délai de quarante-huit heures“. 25 Fouletier, RFDA 2000, 963, 971.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

entwickelten Grundsatz. Es wird keine Trennung zwischen verschuldensunabhängigem Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, nachbarrechtlichem Ausgleichsanspruch und verschuldensabhängigem Schadensersatzanspruch vorgenommen. Dementsprechend gering ist der Einfluß sachenrechtlicher Ordnungsvorstellungen auf das englische Deliktsrecht. Der eigentumsrechtliche Ansatz des deutschen Rechts in § 906 Abs. 2 S. 2 BGB begreift den Geldausgleichsanspruch im Falle des Zwangs zur Duldung wesentlicher Beeinträchtigungen als Folge der Duldungspflicht und bringt den gestörten Eigentümer in eine „enteignungsähnliche“ Lage. Der Unterlassungsklage kommt somit die Rolle einer negativen Voraussetzung für die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs zu. Trotz ihrer Bedeutung für das englische Deliktsrecht sind Unterlassungs- und Beseitigungsanordnungen in der Form von „injunctions“ im englischen „öffentlichen Recht“ eine periphere Erscheinung geblieben.26 Dies hängt zunächst damit zusammen, daß die „prerogative orders“ („certiorari“, „mandamus“, „prohibition“) die eigentlichen Mittel zur gerichtlichen Überprüfung des Staatshandelns sind. Ferner waren die Kriterien aktiver Legitimation bei den „injunctions“ von dem Klagebefugniserfordernis in Fällen von „public nuisance“ übernommen. Sie waren entsprechend streng. Lagen sie nicht vor, so war nur der Kronanwalt („Attorney General“) befugt, „injunctions“ zu beantragen. Vor der Reform von 1978 waren somit „injunctions“ vor allem ein „private law remedy“, das zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche herangezogen wurde. Der Kläger mußte nachweisen, daß die Behördenbetätigung ihn in seinen zivilrechtlichen spezifischen Rechten verletzte bzw. ihm einen besonderen Schaden zufügte, der über den Schaden hinausging, der der Allgemeinheit verursacht wurde. Ein Kläger, der eine gerichtliche Unterlassungsverfügung gegen eine Behörde beantragte, war somit meistens nicht imstande, die Verletzung eines eigenen spezifischen Rechts nachzuweisen.27 Nach der Einführung des „Judicial Review“-Verfahrens müssen Unterlassungs- und Beseitigungsanordnungen gegen Behörden mit Hilfe einer „Application for Judicial Review“ beantragt werden. Öffentlich-rechtliche Pflichten der Verwaltung werden nunmehr mit Hilfe von „mandamus“ oder „mandatory injunctions“ im Rahmen des „judicial review“-Verfahrens durchgesetzt.28 „Mandatory injunctions“ gegen Behörden werden allerdings nur erlassen, wenn das Gericht genau bestimmt, was die Behörde tun muß, um ihre gesetzliche Pflicht zu erfüllen.29 Auch für „injunctions“ reicht Craig, Administrative Law, 4th ed. 1999, S. 744. Lewis, Judicial Remedies in Public Law, 2000, S. 236. 28 Der praktische Unterschied zwischen „mandamus“ und „mandatory injunction“ liegt darin, daß kein einstweiliger Rechtsschutz in Verbindung mit der Verpflichtungsklage („mandamus“) möglich ist. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung („mandatory injunction“) ist somit das einzige während des noch schwebenden „judicial review“-Verfahrens verfügbare Mittel vorläufigen Rechtsschutzes zur Durchsetzung einer gesetzlichen Pflicht. 29 Lewis 2000, S. 237. 26 27

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes

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jetzt zur Aktivlegitimation das Vorliegen eines „sufficient interest“ aus, das die strengen Kriterien des verletzten spezifischen Rechts („specific right“) und des besonderen Schadens („special damage“) ersetzt hat. Behördliche Pflichten, denen zivilrechtliche Ansprüche gegenüber stehen, lassen sich mit Hilfe einer Schadensersatzklage oder einer Unterlassungs- bzw. Beseitigungsanordnung durhsetzen. Hier sind aber „injunctions“ ein „private law remedy“, das als „ordinary remedy“ nicht im Rahmen des „Judicial Review“-Verfahrens geltend gemacht werden kann.30 „Injunctions“ sind „equitable remedies“ und stehen im Ermessen des Gerichts auch in den Fällen, in denen sie sich gegen die öffentliche Verwaltung richten. Nach den Prinzipien des „equity“-Rechts kann ungerechtfertigte Verzögerung, Einwilligung oder Duldung seitens des geschädigten Bürgers zum Ausschluß seines Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs führen. Die Verfügbarkeit einer Schadensersatzklage wird meistens auch gegen den Erlaß von Unterlassungs- oder Beseitigungsanordnungen an die Behörde sprechen. Die Probleme praktischer Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit des Unterlassungs- bzw. Herstellungsanspruchs werden wie in zivilrechtlichen Konstellationen ebenso berücksichtigt. Es wird eine Abwägung zwischen dem drohenden bzw. zugefügten Schaden und den Kosten seiner Unterlassung bzw. Beseitigung vorgenommen.31 Der vorläufige Rechtsschutz („interim relief“), der angesichts der Verfahrensdauer von besonderer Bedeutung ist, wurde im 25. Teil der Civil Procedure Rules 1998 unter der Rubrik „interim remedies“ geregelt. Sein kennzeichnendes Merkmal ist das weite Ermessen, über welches die Gerichte verfügen. In einem Abwägungsvorgang („balance of convenience“) wägen sie die konfligierenden Belange gegeneinander ab, wobei es vor allem auf das Vorliegen oder NichtVorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses („wider public interest“) ankommt.32 Nur wenn keine Indizien für eine Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns sprechen, kann vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden.33 In zivilrechtlichen Konstellationen34 orientiert sich die „balance of convenience“ an den Erfolgsaussichten der Hauptklage (Vorliegen eines „prima facie case“), am 30

Lewis 2000, S. 238. „(G)eneral pleas by a public institution of the disruptive effects or difficulty of complying with a court order will not, in general, bar the remedy“: Craig 1999, S. 748. 32 Lewis 2000, S. 245 ff. 33 Eine Behörde dürfe nicht davon abgehalten werden, „by interim injunction from enforcing an apparently authentic law unless (the court) is satisfied that the challenge to the validity of the law is, prima facie, so firmly based as to justify so exceptional a course beint taken.“: R. v. Secretary of State for Transport, ex p. Factortame Ltd. (Nr. 2) [1991] 1 A.C. 603, 674. 34 Der Abwägungsvorgang beim Erlaß einstweiliger Anordnungen geht auf die zivilrechtliche Entscheidung American Cyanamid Co. v. Ethicon Ltd. [1975] AC 396 zurück. 31

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Vorliegen eines seriösen Rechtsanliegens („serious issue to be determined“) sowie an den Möglichkeiten der Gewährung von Schadensersatz („relevance of damages“) für den Antragsteller für den Ausgleich der ungerechtfertigten Nicht-Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes oder für den Antragsgegner für den Ausgleich der ungerechtfertigten Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Bei der Übertragung dieser Abwägungsprinzipien auf öffentlich-rechtliche Konstellationen wird nun aber hervorgehoben, daß die Orientierung an den Schadensersatzmöglichkeiten, angesichts der Besonderheiten des im Vergleich zur Haftung von Privaten strengeren Staatshaftungsrechts für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entscheidend ist. Als Hauptgrund wird einerseits die Strenge des Staatshaftungsrechts genannt. Andererseits wird auf die Asymmetrie des Verhältnisses der öffentlichen Gewalt zum Privaten hingewiesen.35 Maßgeblich ist eher das „wider public interest“, das den Erlaß einer „interim injunction“ trotz der bevorstehenden Beeinträchtigung der finanziellen Interessen oder auch der Rufschädigung eines Privaten verhindern kann. Vorläufiger Rechtsschutz kann gegenüber allen hoheitlichen Maßnahmen (auch gegenüber den Maßnahmen, die von den „Crown Ministers“ erlassen werden36) gewährt werden. Was die aufschiebende Wirkung („stay of proceedings“) angeht, so bestimmt CPR Schedule 1 Ord. 53, rule 3 (10) (a)37, daß die Klagezulassung („leave“) bei den Rechtsmitteln „certiorari“ und „prohibition“ das Aussetzen des behördlichen Verfahrens bewirkt. Bei anderen Rechtsmitteln steht es im Ermessen des Gerichts, jederzeit nach der Gewährung von „leave“ die aufschiebende Wirkung des eingelegten Rechtsmittels anzuordnen. Die Ermessensausübung orientiert sich an den Prinzipen, die den Abwägungsvorgang beim Erlaß von „interim injunctions“ leiten.38 Wenn das Aussetzen des Verfahrens einen Dritten beeinträchtigt, muß der Antragsteller grundsätzlich ein Schadensersatzversprechen diesem gegenüber geben, durch das die aufschiebende Wirkung gleichsam als Konzession vom Dritten erwirkt wird.39 35

Lewis 2000, S. 243, 245. Diese Möglichkeit geht erst auf das Urteil „Factortame II“ des EuGH, Rs. C213/89, Slg. 1990, I-2433 zurück, das zunächst die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Fällen mit unionsrechtlichem Bezug und sodann den generellen Erlaß von „interim injunctions“ gegen die Krone unabhängig von einem eventuellen unionsrechtlichen Bezug ermöglichte. Hierzu M v. Home Office [1994] 1 AC 377. 37 Where permission to apply for judicial review is granted, then (a) if the relief sought is an order of prohibition or certiorari and the court so directs, the grant shall operate as a stay of the proceedings to which the application relates until the determination of the application or until the court otherwise orders; (b) if any other relief is sought, the court may at any time grant in the proceedings interim remedies in accordance with CPR Part 25. 38 Zu den „principles governing the grant of a stay“ s. Lewis 2000, S. 184 f. m. N. aus der Rechtsprechung. 39 Vgl. die Formulierung bei Lewis 2000, S. 185 mit Hinweis auf die Entscheidung R. v. Inspectorate of Pollution, ex p. Greenpeace [1994] 1 W.L.R. 570: „In particular the applicant will normally be expected to give a cross-undertaking in damages to the 36

A. Stellenwert des negatorischen Rechtsschutzes

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Aus deutscher Sicht hat man angesichts des zivilrechtlichen negatorischen Rechtsschutzes ein „offenkundiges Bedürfnis“ danach verspürt40, auch bei öffentlich-rechtlich bewirkten Rechtsverletzungen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche anzuerkennen. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, haben Lehre und Rechtsprechung einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungs- und einen (Folgen-)Beseitigungsanspruch entwickelt. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch wurde entwickelt, um Immissionen von öffentlich-rechtlich betriebenen Anlagen abzuwehren. Ursprünglich wurde wegen der Verwandtschaft zum zivilrechtlichen Abwehranspruch seine Rechtsgrundlage in dem § 1004 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken gesehen. Das Verhältnis von Eigentums- und Deliktsrecht sowie das Denkmodell der Anspruchsumwandlung im Zivilrecht hat die Diskussion im öffentlichen Recht inspiriert. Der von Georg Jellinek entwickelte „status libertatis“ wurde als Pendant zum Begriff des Rechtsguts im Deliktsrecht angesehen.41 Sowohl bei den deliktsrechtlichen Rechtsgütern als auch bei dem status gehe es nicht um vorgegebene subjektive Rechte, sondern um die Bündelung normativer Enthaltungspflichten Dritter im ersten, der Verwaltung im zweiten Fall. Erst die Verletzung einer dieser Enthaltungspflichten lasse ein subjektives Abwehrrecht entstehen. Eine die Pflichtseite aus den Augen verlierende „Rechtsgutbetrachtung“ reifiziere in naturrechtlicher Weise metajuristische „rechtlich geschützte Interessen“. Die Unterlassung ungesetzlichen Zwangs wird allerdings heutzutage doch als Ausdruck der Abwehrfunktion der Grundrechte angesehen. Ebensowenig ließ sich das Anspruchsumwandlungsmodell ins öffentliche Recht übertragen.42 Der Anspruch nach § 249 S. 1 BGB geht grundsätzlich auf Naturalrestitution. Er verwandelt sich aber in einen Geldanspruch, wenn die Voraussetzungen der §§ 249 S. 2, 250, 251 BGB vorliegen. Naturalrestitution und Geldersatz sind dann Abwandlungen, differenzierte Rechtsfolgen, ein und desselben Grundtatbestands. In dieser Form ist aber dieser einheitliche Anspruch für die Abwicklung öffentlich-rechtlicher Fehler nicht geeignet. Denn er trägt der Differenzierung zwischen anfechtbaren und nicht anfechtbaren Maßnahmen keine Rechnung. Ein den Vorrang des Primärrechtsschutzes einbauendes Denkmodell gilt in der zeitgenössischen Dogmatik als „grundrechtlicher Schutzanspruch auf Unterlassung, Beseitigung und Herstellung“.43 Aus den Grundrechten wird nicht ein Schadensersatzanspruch, sondern ein Stufenmodell des negatorischen Rechtsschutzes abgeleitet.44 Selbst bei

third party and the courts will be reluctant to grant a stay in the absence of such a cross-undertaking.“ 40 Martens, Negatorischer Rechtsschutz im öffentlichen Recht, 1973, 7. 41 Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1991, S. 160 ff. 42 Menger, Über die Identität des Rechtsgrundes der Staatshaftungsklagen und einiger Verwaltungsstreitsachen, in: GS Walter Jellinek 1955, S. 347 ff. 43 Ossenbühl, StHR, 1998, S. 285 ff. 44 Ossenbühl, StHR, 1998, S. 285 ff.; Maurer, Allg. VerwR § 29 Rn. 6.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

fehlender Duldungspflicht besteht allerdings nach geltendem Recht noch die Möglichkeit, über die Unzumutbarkeit des Folgenbeseitigungsanspruchs eine angemessene Beschränkung von Abwehr- und Beseitigungsansprüchen gegenüber dem rechtswidrigen „fait accompli“ staatlicher Investitionen des Gemeinwohls zu erreichen.45 Ein Zustand ist rechtswidrig und somit nicht zu dulden, soweit er von einer verfassungsmäßigen Ermächtigung zum Eingriff in das subjektive Recht des Betroffenen nicht oder nicht mehr gedeckt ist. Die öffentliche Gewalt ist auf diese Weise auch dann zur Beseitigung eines Zustandes verpflichtet, wenn dieser zunächst rechtmäßig war und erst später rechtswidrig geworden ist, wenn also ein Zustand der rechtmäßigen Rechtsbetroffenheit in einen der Rechtsverletzung umschlägt. Umgekehrt kann aber die Verwaltung einen rechtswidrigen Zustand, der zur Folgenbeseitigung berechtigte, nachträglich legalisieren. Genau dieser letzten Fallgruppe, in der die Möglichkeit der nachträglichen Legalisierung besteht, verdankt übrigens der Grundsatz der „intangibilité de l’ouvrage public“ im französischen Recht seine Entstehung. Der Abriß einer rechtswidrig errichteten Anlage würde dem Staat unnötige Kosten aufbürden, falls die Anlage nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Enteignungsverfahrens rechtmäßig wiederaufgebaut werden könnte. Allerdings wird der Grundsatz der „intangibilité“ heutzutage nicht mehr auf diese Fallgruppe beschränkt. Beseitigungsklagen werden ohne Prüfung späterer Legalisierungsmöglichkeiten des rechtswidrigen Zustandes abgewiesen.

B. Aufhebung und Haftung in nationalen Verfahren I. Vorrang des Primärrechtsschutzes Der Vorrang des Primärrechtsschutzes ist in § 839 Abs. 3 BGB positiviert. Er ist zunächst ein Sonderfall des Mitverschuldens. Es kann auf Gesichtspunkte der Zumutbarkeit ankommen. Hierzu zählen das Kostenrisiko und die Schwierigkeit, die Aussichten der Abwehrklage zu beurteilen.46 Gelobt wird an dieser Rechtsprechung die Flexibilität, die in der Anwendung des § 254 liege, denn es sei oft zweifelhaft, ob eine Abwehrklage Aussicht auf Erfolg habe.47 Kritisch wird zu dieser Praxis des BGH vermerkt, durch die Anwendung des § 254 Abs. 2 BGB werde der Vorrang des Primärrechtsschutzes relativiert bzw. unterlaufen, denn es sei irrelevant, ob der Betroffene erkennen konnte oder hätte er45

Külpmann, Enteignende Eingriffe?, 2000, S. 173. Vgl. BGH VersR 1985, 358; BGHZ 90, 17; 92, 34 (50 f.). Hierzu Schlichter, Primärrechtsschutz – Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende?, in: FS Sendler, S. 246 f. 47 Rüfner zitiert von Schlichter in: FS Sendler, S. 248. 46

B. Aufhebung und Haftung in nationalen Verfahren

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kennen müssen, daß zunächst der Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten – notfalls durch die Instanzen hindurch – in Anspruch zu nehmen sei; übrigens komme es auf die Kostenfrage gar nicht an.48 Ferner soll mit dem Vorrang des Primärrechtsschutzes geleistet werden, daß über spezifisch öffentlich-rechtliche Fragen vorrangig die Verwaltungsgerichte und nicht die Zivilgerichte entscheiden.49 Das Problem stellt sich auch in Fallkonstellationen des enteignenden Eingriffs, in denen der BGH seine Prüfungskompetenz im Hinblick auf bestandskräftige Verwaltungsakte betont und zugleich Entschädigungsklagen ohne vorherigen Primärrechtsschutz zuläßt, wenn sich der Kläger auf den Standpunkt stellt, das Verwaltungshandeln sei rechtmäßig gewesen.50 Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Eingriffsakten der Verwaltung in vollem Umfang sind die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Staatshaftungsklage darf nicht als Mittel dazu benutzt werden, die Nachprüfung von Verwaltungsakten durch die ordentlichen Gerichte zu begehren, denn diese sind auch im Rahmen des Staatshaftungsprozesses nicht befugt, Verwaltungsakte aufzuheben. Die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts über die Rechtmäßigkeit eines erlassenen oder unterlassenen Verwaltungsaktes bindet das über die Haftung entscheidende Zivilgericht. Abweichungen von der Vorrangregel gibt es, wenn die Rechtsordnung nicht erfolgreich durch Klagen vor den Verwaltungsgerichten hergestellt werden kann, also bei Realakten, bei denen eine Anfechtung versagt, oder bei Verzögerungsschäden, bei denen ebenfalls Primärrechtsschutz nicht in Anspruch genommen werden kann. Wenn etwa ein Bauherr erst nach einem überlangen Verwaltungsstreitverfahren ein ihm die Baugenehmigung zusprechendes Urteil erstreitet, ist zwar die Rechtsordnung wiederhergestellt. Entschieden ist aber immer noch nicht darüber, ob die Verzögerung von der Behörde zu vertreten war und welchen Schaden sie dem Bauherrn zugefügt hat. Der Verzögerungsschaden kann vor dem Zivilgericht eingeklagt werden, das in diesem Fall über die Rechtswidrigkeit der Verzögerung zu entscheiden hat.51 Der Vorrang des Primärrechtsschutzes steht auch in engem Zusammenhang mit der Bindungswirkung von Verwaltungsentscheidungen. Die Zivilgerichte sind an eine Verwaltungsentscheidung, die bis zu ihrer Aufhebung als rechtmäßig gilt, gebunden. Relevant wird diese Bindung etwa bei der Frage, ob der Betroffene seine zivilrechtliche Abwehrklage nach §§ 906, 1004 BGB einbüßt, 48 Schlichter, Primärrechtsschutz – Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende?, in: FS Sendler, S. 248, 251. Vgl. hierzu auch Axer, Primär- und Sekundärrechtsschutz im öffentlichen Recht, DVBl. 2001, 1322, 1325 f. 49 Zur Relativierung des Vorrangs des Primärrechtsschutzes durch Prüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte durch die Zivilgerichte s. Axer, DVBl. 2001, 1322, 1326 mit Hinweise auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH. 50 Axer, DVBl. 2001, 1322, 1327. 51 Schlichter in: FS Sendler 1991, S. 252.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

wenn er es unterläßt, zunächst vor dem Verwaltungsgericht Rechtsschutz zu suchen. Eine konsequente Anwendung des Vorrangs des Primärrechtsschutzes verlangt, daß rechtmäßige öffentlich-rechtlich genehmigte Anlagen, die nicht oder verspätet verwaltungsgerichtlich angefochten wurden, wegen ihrer Auswirkungen nicht über §§ 906, 1004 BGB in Frage gestellt werden dürfen.52 Der Zivilrichter hat die Auswirkungen zu akzeptieren, die von dem genehmigten Vorhaben ausgehen, soweit sie sich innerhalb des durch die Genehmigung Gestatteten halten. Der höhere Stellenwert der „eingriffsbereinigenden Kraft“53 des Primärrechtsschutzes kommt auch in der Rechtsprechung des BVerfG zum Ausdruck, das mit der Möglichkeit, rechtswidrige Real- bzw. Verwaltungsakte zur Kontrolle der Verwaltungsgerichte zu stellen, eine „Anfechtungslast“ verknüpft.54

II. „Alternative remedies“ Es gibt im englischen Staatshaftungsrecht kein Pendant zum deutschen Ausdruck „Vorrang des Primärrechtsschutzes“. Man spricht von „relevance of alternative remedies“ und von „availability of „Judicial Review“. Wenn rechtswidrige behördliche Maßnahmen im Wege von „Judicial Review“ oder „appeal“ aufgehoben werden können, wird diese Möglichkeit von den Gerichten oft als Indiz darauf angesehen, daß kein zusätzliches Rechtsmittel, etwa eine Haftung aus „negligence“ erforderlich ist.55 Dies ist besonders dann der Fall, wenn „Judicial Review“ oder „appeal“ geeignet sind, einen Ausgleich zu erzielen, und der einzige erlittene Schaden in der Verzögerung und den Kosten für die gerichtliche Aufhebung der Maßnahme besteht. Letztere sind zwar als reiner Vermögensschaden56 nicht ersatzfähig, sie können aber über den Weg der Erstattung der Prozeßkosten (für das Aufhebungsverfahren) ersetzt werden. Bei Maßnahmen, die „ultra vires“ und mit Hilfe von „Judicial Review“ oder „appeal“ aufzuheben sind, läßt sich also grundsätzlich keine Haftung aus „negligence“ begründen. Der Geschädigte wird aber entschädigt, wenn ihm der Nachweis von „misfeasance in public office“ gelingt. Es kommen übrigens auch andere „alternative remedies“ neben der Aufhebungsklage in Betracht, wie etwa gesetzlich vorgesehene Beschwerdeverfahren („complaints procedure“) oder das „ombudsman“-Verfahren. Allerdings führt das nicht zwingend zu Haftungsausschluß, wie Entscheidungen des House of Lords auch belegen können.57 Wenn 52

Hierzu Schlichter in: FS Sendler 1991, S. 254 ff., 256. Erbguth, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 2002, These 4. 54 BVerfGE 58, 300 (324); Schlichter in: FS Sendler 1991, S. 241, 244. 55 Jones v. Department of Employment [1989] Q.B. 1; X (Minors) v. Bedfordshire County Council [1995] A.C. 633, 751, 762. 56 Calveley v. Chief Constable of Merseyside [1989] A.C. 1228. 53

B. Aufhebung und Haftung in nationalen Verfahren

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Billigkeitsgründe dennoch für die Annahme einer „duty of care“ sprechen, kann eine Haftung aus „negligence“ angenommen werden. Im Falle der Haftung wegen „breach of statutory duty“ kommt es darauf an, ob der Gesetzgeber ein „alternative remedy“ vorgesehen hat, was aus der Sicht des Richters gegen die Annahme eines zusätzlichen haftungsrechtlichen Rechtsmittels spricht. Ausgenommen von dieser allgemeinen Regel ist die Konstellation, in der die Absicht des Parlaments, eine besondere Personengruppe auch haftungsrechtlich zu schützen, klar ist. Die Absicht des Gesetzgebers kann z. B. daran sichtbar werden, daß den Arbeitgebern die Pflicht auferlegt wird, den Arbeitnehmern sichere Arbeitsräume zu gewährleisten. Wenn eine gesetzliche Vorschrift eine Pflicht statuiert und ihre Erfüllung auf eine bestimmte Weise vorschreibt, geht der Richter davon aus, daß die Pflicht nicht in anderer Weise erfüllt werden soll. Wird indessen eine Pflicht ohne Bestimmung ihrer Erfüllungsweise gesetzlich statuiert, kann das „common law“ eine für den konkreten Fall geeignete Erfüllungsweise, also auch Haftung, zur Verfügung stellen.58 Werden gesetzliche Pflichten zur Gewährung von Begünstigungen und Leistungen von der Behörde verletzt, kann eine andere Behörde, meistens ein Regierungsminister oder in Wales die „National Assembly“, befugt sein, die Funktionen der ihrer Verpflichtung nicht nachkommenden Behörde zu übernehmen oder diese anzuweisen, bestimmte Handlungen vorzunehmen, die durch „mandamus“ (Verpflichtungsklage) durchsetzbar sind. Gesetze bestimmen auch manchmal ausdrücklich, daß „mandamus“ zur Durchsetzung der statuierten Pflicht heranzuziehen ist. Sie können ferner die Möglichkeit von „appeal“ gegen behördliche Maßnahmen eröffnen. Sieht das Gesetz solche Rechtsmittel vor, gehen die Gerichte davon aus, daß eine zusätzliche Haftungsklage vom Gesetzgeber nicht gewollt war.59 Früher schlossen solche „alternative administrative remedies“ sowohl Schadensersatzklagen wegen „breach of statutory duty“ als auch „public law remedies“ wie „mandamus“ zur Erzwingung der gesetzlichen Pflicht aus.60 Nunmehr wird lediglich der Haftungsausschluß, nicht aber der Ausschluß von „Judicial Review“ bejaht, obwohl das Vorhandensein von „alternative administrative remedies“ einen Gesichtspunkt bei der Ermessensentscheidung über die Nichtzulassung der „Judicial Review“ darstellt.61 Eine 57 Vgl. bspw. X (Minors) v. Bedfordshire County Council [1995] A.C. 633, 751, 762 und das Votum von Lord Slynn in Barett v. London Borough of Enfield 1999, der Geeignetheit und vor allem Effizienz von „statutory complaints“ und „local government ombudsman“ gegenüber einer Haftung aus „negligence“ in Zweifeln zieht. 58 Doe d. Murray v. Bridges (1831) 1 B. Ad. 847, 849 per Lord Tenterden C.J.; X (Minors) v. Bedfordshire County Council 731; Lewis 2000, S. 451. 59 X (Minors) v. Bedfordshire County Council. 60 Pasmore v. Ostwaldwistle Urban District Council [1898] A.C. 387. 61 R. v. Secretary of State for the Environment, ex p. Ward [1984] 1 W.L.R. 834.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Haftungsklage wegen „breach of statutory duty“ kann bei Vorhandensein von alternativen verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen dennoch zugelassen werden, wenn die Rechtsbehelfe als nicht adäquat charakterisiert werden.62 Eher mit dem Vorrang des Primärrechtsschutzes vergleichbar wäre der Einfluß der Verfügbarkeit von „Judicial Review“ auf die Haftungsklage wegen „breach of statutory duty“. Nach einer Grundsatzentscheidung gilt die Regel, wenn das Gesetz ein spezifisches Rechtsmittel vorsieht, ist eine Haftungsklage ausgeschlossen, und wenn umgekehrt das Gesetz kein besonderes Rechtsmittel vorsieht, wird die Zulässigkeit einer Haftungsklage vermutet.63 Die für die Haftungsklage sprechende Vermutung soll dazu dienen, daß das Gesetz nicht zu „frommem Wunsch“ wird.64 Wenn das Gesetz eine Pflicht statuiert und zugleich der Verwaltung Ermessen einräumt, gehen die Gerichte davon aus, daß das Parlament Ermessensfehler nicht auch haftungsrechtlich (zivilrechtlich) sanktionieren wollte. Die Verwaltungskontrolle durch „Judicial Review“ gilt als geeignet und ausreichend, um die Normintention zu verwirklichen.65 Das House of Lords wies den Antrag eines Polizisten auf Schadensersatz wegen Verletzung der gesetzlichen Pflicht der Verwaltung, ihn über das gegen ihn laufende Disziplinarverfahren genau in Kenntnis zu setzen, mit der Begründung ab, die Pflicht verfolge vor allem den Zweck der Gewährleistung eines einwandfreien Verfahrens. Dieses Ziel könne durch „Judicial Review“ erreicht werden, eine Haftungsklage sei nicht erforderlich und nicht adäquat.66 Es gibt nach englischem Recht Konstellationen, in denen „Judicial Review“ nicht als geeignetes Rechtsmittel angesehen wird. Diese sind Fälle, in denen auch nach deutschem Recht die rechtswidrigen Folgen weder durch Aufhebung der Maßnahme noch durch Folgenbeseitigungsanspruch beseitigt werden können. Dann kommt als ultima ratio nur Geldausgleich in Betracht. Allerdings kommt im englischen Recht dem Willen des Gesetzgebers ein besonderes Gewicht zu. Wenn etwa die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht dem Geschädigten Körperschäden zufügt, kann die „Judicial Review“ keinen Ausgleich erzielen. Denn hier geht es nicht um das Aufheben von gesetzwidrigen Maßnahmen ex tunc oder um die Verpflichtung zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht. Verfolgt nun das Gesetz den Zweck, Gesundheits- bzw. Körperschäden abzuwenden, werden die Gerichte eine Haftung der Behörde annehmen.67

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So etwa in Reffell v. Surrey County Council [1964] 1 W.L.R. 358. Doe d. Murray v. Bridges (1831) 1. B. & Ad. 847; Cutler v. Wandsworth Stadium Ltd. [1949] A.C. 398. 64 Cutler v. Wandsworth Stadium Ltd [1949] A.C. 398, 407 per Lord Simmonds. 65 O’Rourke v. Camden London Borough Council [1998] A.C. 188, 194. 66 Calveley v. Chief Constable of Merseyside [1989] A.C. 1228. 67 Reffell v. Surrey County Council [1964] 1 W.L.R. 358. 63

B. Aufhebung und Haftung in nationalen Verfahren

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Der zweite Aspekt des Verhältnisses von Aufhebung und Haftung betrifft die Frage, ob die Haftung in einer eigens dafür geschaffenen Verfahrensart oder auch im Rahmen des Aufhebungsverfahrens geltend gemacht werden kann. Dies hängt nicht zuletzt auch von den Anwendungsvoraussetzungen des Aufhebungsverhahrens. Nach der in „O’Reilly v. Mackman“68 aufgestellten Regel soll bei Geltendmachung von „public law rights“ ausschließlich das Verfahren der „Judicial Review“ zur Verfügung stehen. Unproblematisch ist diese Regel nur, wenn ein Fall lediglich öffentlich-rechtliche oder lediglich zivilrechtliche Fragen anschneidet. In einer Reihe von Entscheidungen mußte die Folgerechtsprechung jedoch die Anwendungsreichweite der Regel in den Fällen bestimmen, in denen sowohl zivirechtliche als auch öffentlich-rechtliche Fragen beantwortet werden mußten. Schon in O’Reilly v. Mackman wurden zwei Ausnahmen vorgesehen: Die Verwaltung könnte trotz Vorliegens öffentlich-rechtlicher Fragen der Einleitung einer (zivilrechtlichen) „ordinary action“ zustimmen. Bei der zweiten Ausnahme stellt die Rechtmäßigkeitsfrage lediglich eine Vorfrage69 bei der Entscheidung über die Verletzung eines „private law right“ dar. Öffentlichrechtliche Fragen über die Rechtmäßigkeit hoheitlicher Akte können mit Hilfe einer Einrede oder Gegenklage („defence“ und „counter-claim“) im Rahmen eines zivilprozeßrechtlichen Verfahrens geltend gemacht werden, ohne einen Fall von „Verfahrensmißbrauch“ („abuse of process“) darzustellen.70 Entscheidend sind drei Faktoren: die privatrechtliche Natur der geltend gemachten Rechte, die auch den Hauptstreitgegenstand bilden sollen; die Geeignetheit des zivilrechtlichen Verfahrens („ordinary claim procedure“) zur Klärung tatsächlicher Fragen; Zweckmäßigkeits- und Billigkeitserwägungen dahingehend, daß die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche nicht von der Zulassung zur „Judicial Review“ und der spezifisch für dieses Verfahren geltenden Verjährungsvorschrift abhängig gemacht werden sollte.71 Wo zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Klagen aus ein und demselben Sachverhalt entstehen, ist der Kläger befugt, die zivilrechtlichen Klageanträge in einem zivilrechtlichen Verfahren geltend zu machen.72 Der Aufhebungsantrag einer (Ermessens-)Entscheidung kann mit einer Schadensersatzklage aus „negligence“ oder aus dritt-

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[1983] 2 A.C. 237. „(T)he invalidity of a decision arises as a collateral issue in a claim for infringement of a right of the plaintiff arising under private law“ O’Reilly v. Macman [1983] 2 A.C. 237, 285 per Lord Diplock. 70 Wandsworth LBC v. Winder [1985] A.C. 461; Gillick v. West Norfolk and Wisbech Area Health Authority and the DHSS [1986] A.C. 112. 71 Roy v. Kensington and Chelsea Family Health Practioner Committee [1992] 1 A.C. 624, 654 per Lord Lowry. Siehe ferner British Steel plc v. Commissioners of Customs & Excise [1997] 2 All E.R. 366; Hutchings v. Islington London Borough Council [1998] 1 W.L.R. 1629. 72 An Bord Bainne Co-operative (Irish Dairy Board) v. Milk Marketing Board [1984] 2 CMLR 584. 69

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

bezogenem „breach of statutory duty“ gekoppelt werden. Das haftungsbegründende (zivilrechtliche Frage) Delikt „tort of misfeasance in public office“ verlangt schon tatbestandsmäßig, daß eine Behörde einen „ultra vires“-Akt (öffentlich-rechtliche Frage) vorgenommen hat. Und das Delikt „tort of false imprisonment“ setzt ebenfalls eine Rechtmäßigkeitsprüfung der behördlichen Entscheidung voraus. So kann entweder der Schadensersatzantrag im „Judicial Review-Verfahren geltend gemacht oder ein Aufhebungsantrag („request for certiorari“) mit dem Schadensersatzantrag im Rahmen eines „ordinary claim procedure“ verbunden werden. Die Gegenmeinung, haftungsrechtliche und öffentlich-rechtliche Anträge müßten in getrennten Verfahren oder aber nur im „Judicial Review“-Verfahren zusammen geltend gemacht werden73, ist vom House of Lords nicht bestätigt worden.74 Nach den neuen Verfahrensregeln (Civil Procedure Rules) kann eine Schadensersatzklage nicht eigenständig (unabhängig von einem Antrag auf Judicial Review) vor dem „Administrative Court“ geltend gemacht werden.75

III. „Distinction des contentieux“ Die Frage, ob der Kläger einen Schadensersatzantrag in einem Verfahren des „plein contentieux“ mit einem Antrag auf Aufhebung der Verwaltungsentscheidung verbinden darf, war im französischen Recht ursprünglich ein Kompetenzverteilungsproblem zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Sie brachte dasselbe Problem zum Ausdruck, das man im Anwendungsbereich der Aufhebungsklage („recours pour excès de pouvoir“) mit der negativen Zulässigkeitsvoraussetzung der „absence de recours parallèle“ zu lösen versuchte; diese sollte die Kompetenzverteilung zwischen dem für Aufhebungsklagen ursprünglich direkt zuständigen Conseil d’Etat und den Conseils de préfecture, die für die anderen Verfahren zuständig waren, stabilisieren. Heute, nach der Einführung der Tribunaux admninistratifs (1953) dient diese Voraussetzung der Beachtung der Trennung der verschiedenen Verfahrensarten, die sich sowohl hinsichtlich der Anträge als auch der richterlichen Befugnisse unterscheiden. Die Aufhebungsklage ist hiernach zulässig, wenn dem Kläger kein anderes, gleich wirksames Verfahren offensteht, mit dem die Folgen des Verstoßes gegen das 73 Vertreten vom Court of Appeal in Davy v. Spelthorne Borough Council (1983) 81 L.G.R. 580. 74 Mercury Communications Ltd v. Director General of Telecommunications [1996] 1 W.L.R. 48, 57. 75 Bis 2004 gab es 36 updates. Die einschlägigen Normen lauten: „A claim for judicial review may include a claim for damages, restitution or the recovery of a sum due but may not seek such a remedy alone“ (CPR 54.3 (2)). „The court’s permission to proceed is required in a claim for judicial review whether started under this Section or transferred to the Administrative Court“ (CPR 54.4). S. hierzu auch Andrews v. Reading BC (2004) UKHRR 599 (29.4.4) per Collins J.

B. Aufhebung und Haftung in nationalen Verfahren

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Legalitätsprinzip ebensogut beseitigt werden können. Haben beide Verfahren nicht die gleiche Wirkung, gilt der Grundsatz vom fehlenden parallelen Rechtsbehelf nicht. Der Kläger hat die Wahl zwischen den Verfahren. Es geht um Fälle, in denen sowohl der „recours pour excès de pouvoir“ als auch ein „recours de pleine juridiction“ in Betracht kommt. Bei einem Streit etwa um Beamtenzulagen kann der Kläger einen „recours pour excès de pouvoir“ gegen die ablehnende Entscheidung des Dienstherrn einlegen, genauso gut wie einen auf Zahlung der Zulage gerichteten „recours de pleine juridiction“. Der „recours pour excès de pouvoir“ ist also heute unzulässig, wenn der Streit den Zivilgerichten oder einer spezialen Verwaltungsgerichtsbarkeit zugewiesen wird. Er ist ferner unzulässig, wenn der Rechtsweg des „plein contentieux“ eröffnet ist. Um die Beachtung der Trennung von Verfahrensarten, geht es auch bei der Bestimmung des Verhältnisses von Schadensersatz- und Aufhebungsklage, wenn das Schadensersatzbegehren auf die Rechtswidrigkeit eines bestandskräftig gewordenen Geldbescheids gestützt wird. Die Zahlungsweigerung wird nach Ablauf der Frist der Aufhebungsklage „mit allen untrennbaren finanziellen Konsequenzen bestandskräftig“.76 Die Unzulässigkeit der Schadensersatzklage soll in diesem Fall verhindern, daß die Verfahrensregeln und Fristen besonderer Verfahrensarten durch die Verkleidung einer bestimmten Klageart in Schadensersatzklage umgangen werden. Ist ein „recours pour excès de pouvoir“ gegen einen Administrativakt abgewiesen worden, so ist eine Schadensersatzklage, die auf die behauptete Rechtswidrigkeit desselben Aktes gestützt wird, nur dann zulässig, wenn ihr Streitgegenstand mit dem Streitgegenstand des „recours pour excès de pouvoir“ nicht identisch ist. Der Charakter der Schadensersatzklage als Ersatzklage für die Aufhebungsklage wird aus der Sicht des Verwaltungsrichters auch nicht dadurch verdeckt, daß der Geschädigte, um die Unzulässigkeit seiner Klage zu umgehen, zusätzliche, jedoch offensichtlich unbegründete Schadensersatzansprüche geltend macht. Soweit es keine weiteren ersatzfähigen Schäden als den durch den Geldbescheid nicht ausgezahlten Betrag gibt und soweit nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Geldbescheides die Schadensersatzklage begründen kann, ist letztere nach Ablauf der Frist des „recours pour excès de pouvoir“ nicht zulässig. Diese Zulässigkeitsbeschränkung der Schadensersatzklage gilt allerdings nur dann, wenn der mit der Aufhebungsklage nicht angegriffene Geldbescheid eine ausdrückliche, keine fiktive ablehnende Entscheidung war.77 76 „(E)st devenue définitive avec toutes les conséquences pécuniaires qui en sont inséparables“. Leitentscheidung: CE, 2.5.1959, Lafon, 282; AJDA 1960, 160, chron. M. Combarnous/J.-M. Galabert; siehe ferner CE, 22.6.1960, Rouan, 1089 (Zahlungseinstellung der rückständigen Raten einer Rente); CE, 16.10.1981, Ville de LevalloisPerret, Rec. 372; CE, 26.5.1989, Dufourq, Rec. 843 (unzureichende Rente); CE, 4.3. 1994, Mme Mondon (Nichtauszahlung der Hälfte der Leibrente des Ehemannes an dessen Ehefrau). 77 Chapus, Droit du contentieux administratif, 1996, S. 601, 602.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Diese Rechtsprechung ist bislang auf zwei Gebieten angewandt und verfeinert worden: auf Steuerstreitigkeiten und Streitigkeiten um Beamtenzulagen. Unzulässig sind Schadensersatzklagen, wenn die verlangte Schadensersatzhöhe mit dem ausstehenden, fälligen Betrag der Beamtenzulage, so wie er in einer bestandskräftigen Entscheidung fixiert wurde, identisch ist.78 Zulässig sind hingegen Schadensersatzklagen, die den Ersatz eines Schadens begehren, der vom Betrag des Zahlungsrückstandes unterschiedlich ist, wie bspw. der Antrag auf Ersatz eines immateriellen Schadens. Im Bereich der Steuerstreitigkeiten geht der Conseil d’Etat auf dieselbe Weise vor. Er hat das Schadensersatzbegehren eines Unternehmers, dessen Einspruch gegen eine zu hohe Steuer mit einer verwaltungsgerichtlichen, rechtskräftig gewordenen Entscheidung zurückgewiesen worden war, entgegen der Cour administrative d’appel für zulässig erklärt. Die Schadensersatzklage sei deshalb zulässig, weil sie nicht auf die Gewährung einer Schadensersatzsumme ging, die mit der versagten Steuerentlastung identisch wäre. Sie begehre vielmehr den Ersatz eines deutlich verschiedenen Schadens („préjudice distinct“), und zwar des Geschäftsverlustes und des finanziellen Schadens.79 Der doppelte Zweck, den diese Rechtsprechung verfolgt, ist einerseits Justizverweigerung und Rechtsschutzlosigkeit des Bürgers auszuschließen. Andererseits soll der Kläger daran gehindert werden, mit Hilfe der Schadensersatzklage das zu erreichen, was er im Rahmen des Steuerstreitigkeitsverfahrens hätte mit Erfolg rechtzeitig beantragen können (Art. L 190 ff. Livre des procédures fiscales). Es soll ferner die Möglichkeit ausgeschlossen werden, im Schadensersatzverfahren ein erstinstanzliches Urteil anzugreifen, obwohl die Berufungsfrist abgelaufen ist, oder den Streit erneut aufzurollen, obwohl eine letztinstanzliche Entscheidung in der Sache bereits vorliegt. Eine Schadensersatzklage kann auf die Rechtswidrigkeit einer Steuerfestsetzungsentscheidung nur dann gestützt werden, wenn diese von der allein zuständigen speziellen Gerichtsbarkeit für Steuerstreitigkeiten aufgehoben worden ist. Erstreckt wurde dieser Grundsatz später auf die Steuerstreitigkeiten, die den Verwaltungsgerichten zugewiesen werden. Die Schadensersatzklage ist unzulässig, wenn der Conseil de préfecture oder der Conseil d’Etat die beantragte Steuerentlastung nicht gewährt hat. Die Rechtsprechung hat demnach einen Grundsatz der allgemeinen Unzulässigkeit aller Schadensersatzklagen bei fehlender Feststellung seitens der Steuergerichte der Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung bzw. des Steuerbescheids entwickelt. Dieser Grundsatz dient dem Prinzip der Trennung der Verfahrensarten und der Gerichtsbarkeiten sowie der Verhinderung des Umgehens von Verfahrensregeln und Fristen. Er steht somit dem Rechtsgedanken nahe, der der Unzulässigkeit 78

CE, 5.10.1984, Tambafedouno, Rec. 320 (Verweigerung einer Rentenerhöhung). Hierzu m. w. N. Goulard, La responsabilité de l’Etat du fait de la violation d’une directive communautaire: contentieux indemnitaire ou contentieux fiscal?, RFDA 1997, 1056 ff. 79

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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von Schadensersatzanträgen zugrunde liegt, die sich auf die angebliche Rechtswidrigkeit eines bestandskräftig gewordenen Geldbescheids berufen.

C. Verhältnis von Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht Wie die nationalen Rechtsordnungen muß auch das Recht der Unionshaftung das Verhältnis der Haftungs- zur Aufhebungsklage im Sinne einer wie auch immer gearteten Interdependenz oder Autonomie regeln. Dieses Verhältnis ist im Unionsrecht nicht explizit geregelt. Art. 233 (ex 176) EGV bestimmt lediglich, daß die Pflicht zur Durchführung eines Urteils, das die Rechtswidrigkeit eines Unionsaktes festgestellt hat, „unbeschadet“ der eventuellen Schadensersatzpflicht gemäß Art. 288 (ex 215) Abs. 2 EGV besteht. Diese abstrakte Formulierung überläßt es dem Unionsrichter, die Kriterien zur Koordination beider Klagemöglichkeiten zu entwickeln. Im Unionsrecht bestehen allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den Zulässigkeitsvoraussetzungen der individuellen Nichtigkeits- und der Unionshaftungsklage. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Haftungsklage sind erheblich großzügiger als diejenigen der Nichtigkeitsklage. Dasselbe gilt für die Frist zur Erhebung der Haftungsklage, die wesentlich länger (5 Jahre) als die Frist der Nichtigkeitsklage (2 Monate) ist. Auch die Wirkungen der Haftungsklage sind dem Kläger günstiger als diejenigen der Nichtigkeitsklage, die ihrer Konzeption nach lediglich auf die Beseitigung des für nichtig erklärten Aktes gerichtet ist.

I. Eigenständigkeit der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Unionshaftungsklage Die Zulässigkeit der Haftungsklage ist nicht problematisch, sofern diese in Verbindung mit einer Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsklage oder im Anschluß an diese erhoben und auf eine gerichtlich bereits festgestellte Rechtswidrigkeit gestützt wird. Das gleiche gilt, wenn die Haftungsklage im Anschluß an ein die Rechtswidrigkeit eines Rechtsaktes feststellendes Vorabentscheidungsurteil (Art. 234 EGV) erhoben wird. In diesen Fällen werden mit der jeweiligen Klage die ihr eigentümlichen Zwecke verfolgt. In den Fällen aber, in denen die schadenstiftende Rechtswidrigkeit noch nicht festgestellt worden ist, stellt sich das Problem des Mißbrauchs der Haftungsklage zur Erschleichung des Rechtswegs. Optiert man für die generelle Eigenständigkeit der Unionshaftungsklage, setzt man sich der Gefahr aus, daß die Kläger aus den günstigeren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Haftungsklage insofern Vorteile zu ziehen versuchen, als sie im Rahmen der Haftungsklage die Rechtmäßigkeit von Unionsakten in Frage

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

stellen, die sie eigentlich hätten anfechten sollen. Die entgegengesetzte Lösung, die eine Haftungsklage ohne vorherige oder gleichzeitige Erhebung einer Nichtigkeitsklage für unzulässig hält, läuft auf eine Angleichung der Zulässigkeitsvoraussetzungen beider Klagen und somit praktisch auf eine Zugangssperre zur Unionshaftungsklage hinaus. Denn die Frist der Haftungsklage würde praktisch durch die Ausschlußfrist der Nichtigkeitsklage ersetzt. Dies wäre insofern nicht zweckmäßig, als der Schaden erst nach Ablauf der Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsklage eintreten oder festgestellt werden kann. Der Konflikt zwischen diesen beiden Extrempositionen erklärt die Unsicherheiten in der Judikatur des EuGH. Dieser favorisierte zunächst die Subsidiarität der Haftungsklage,80 während er nachfolgend die Eigenständigkeit der Voraussetzungen des Art. 288 Abs. 2 EGV gegenüber den in Art. 230 und 232 EGV vorgesehenen Voraussetzungen in den Vordergrund stellte.81 Nunmehr setzt zwar die Haftungsklage nicht voraus, daß der schädigende Unionsakt primärrechtlich angegriffen oder sogar bereits aufgehoben worden ist82, doch findet diese Eigenständigkeit ihre Grenze im Umgehungsverbot der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklage. Der Schadensersatzantrag, der auf die angebliche Rechtswidrigkeit eines Rechtsaktes gestützt wird, und in Wirklichkeit auf Zahlung eines Betrages gerichtet ist, der die Rechtswirkungen ausgleichen soll, die dem rechtswidrigen Rechtsakt innewohnen, stellt eine verkleidete Nichtigkeitsklage dar. Denn die Rechtswirkungen, die dieser Schadensersatzantrag ausgleichen soll, hätte die Nichtigerklärung des rechtswidrigen Rechtsaktes nach einer rechtzeitig erhobenen und erfolgreichen Nichtigkeitsklage beseitigt, da dies zu den Durchführungsmaßnahmen gehört hätte, die das betroffene Unionsorgan gemäß Artikel 233 EGV hätte ergreifen müssen, um dem Nichtigkeitsurteil nachzukommen.83 Entscheidender Beweggrund für die Verbindung der grundsätzlichen Eigenständigkeitsregel mit der Ausnahmeregel der Rechtswegerschleichung dürften Überlegungen zum Rechtsschutz gewesen sein. Die Frage war, ob den Klägern, die angesichts der restriktiven Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art. 230 EGV und Art. 232 EGV keine Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsklage erheben dürfen, die Möglichkeit der Erhebung einer die Rechtswidrigkeit eines Rechtsaktes geltend machenden Haftungsklage nichtsdestotrotz offen bleiben sollte. Würde man die Haftungsklage wegen rechtswidriger Schadenszufügung immer dann 80

EuGH, Rs. 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 211, 240. Siehe z. B. EuGH, Rs. 4/69, Lütticke/Kommission, Slg. 1971, 325, Rn. 6; Rs. 43/72, Merkur/Kommission, Slg. 1973, 1055, 1070. 82 EuG, Urteil vom 2.7.2003, Rs. T-99/98, Hameico Stuttgart GmbH u. a./Rat und Kommission, Rn. 37. 83 Siehe etwa Urteil des EuG vom 17. Oktober 2002 in der Rs. T-180/00, Astipesca/Kommission, Slg. 2002, Rn. 146; EuG, Urteil vom 3.4.2003, Rs. T-44/01, T-119/01 und T-126/01, Eduardo Vieira SA, Vieira Argentina SA, Pescanova SA/Kommission, Rn. 213–216. 81

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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ausschließen, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit im Wege der Nichtigkeitsklage nicht geltend machen kann, liefe dies darauf hinaus, die Unionshaftung wegen rechtswidriger Verordnungen praktisch unmöglich zu machen. Die Eigenständigkeit der Haftungsklage ermöglicht demgegenüber eine Ergänzung des Nichtigkeitsverfahrens durch das subjektiv-rechtlich orientierte Haftungsverfahren. Denn mit Hilfe der Haftungsklage können die Wirkungen einer Verordnungsbestimmung auf die Rechtsposition eines einzelnen rückgängig gemacht werden. So wird den Rechtsunterworfenen aufgrund der Tatsache, daß ein Verhalten ohne Entscheidungscharakter nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann, der Zugang zu den Gerichten nicht versagt, da noch die Möglichkeit einer Klage aus außervertraglicher Haftung besteht, wenn ein solches Verhalten dazu angetan ist, die Haftung der Gemeinschaft auszulösen.84 Die Subsidiarität der Haftungsklage hätte ferner zur Folge, dem Unionsrichter die Befugnis zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Unionsaktes oder einer Unterlassung außerhalb der Nichtigkeits- bzw. der Untätigkeitsklage abzusprechen. Dies stünde jedoch der Konzeption, die in Art. 241 (ex 184) EGV und in Art. 234 (ex 177) EGV zum Ausdruck kommt, entgegen. Beide Artikel lassen eine Rechtswidrigkeitsprüfung außerhalb des Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsverfahrens zu. Ersterer gibt „jeder Partei“ die Möglichkeit, die „Unanwendbarkeit“ einer Verordnung aus den in Art. 230 Abs. 2 EGV genannten Gründen geltend zu machen. Nach dieser inzidenten Normenkontrolle kann in einem beim EuGH oder EuG anhängigen Verfahren allerdings die Rechtswidrigkeit von Entscheidungen einredeweise nicht geltend gemacht werden, da der betroffene Mitgliedstaat oder Private in der Regel die Möglichkeit hatte, diese direkt anzufechten. Für Private ist die inzidente Kontrolle von Verordnungen hingegen insofern wichtig, als diesen das Recht nicht zusteht, Verordnungen unmittelbar mit Nichtigkeitsklage anzugreifen. Art. 234 EGV statuiert seinerseits für den nationalen Richter die Möglichkeit bzw. die Pflicht zur Gültigkeitsvorlage. Die Eigenständigkeit der Haftungsklage gegenüber der Nichtigkeits- und der Untätigkeitsklage bedeutet, daß die Rechtmäßigkeitskontrolle eines Unionsaktes eine Vorfrage im Haftungsprozeß darstellt. Könnte ein Unionsgericht nicht die Rechtmäßigkeit des Verhaltens eines Organs oder einer Einrichtung der Gemeinschaft prüfen, wäre dem in Art. 235 EG vorgesehenen Verfahren die praktische Wirksamkeit entzogen.85 Die Haftungsklage bezweckt schlicht die Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs. Da dieser Anspruch von der Rechtswidrigkeit einer Handlung oder Unterlassung abhängt, muß diese Rechtswidrigkeit festgestellt werden. Und da diese Feststellung angesichts der restrik84 EuG, Urteil vom 15.1.2003, verb. Rs. T-377/00, T-379/00, T-380/00, T-260/01, T272/01 Philip Morris International, Inc. u. a./Kommission, Rn. 133. 85 EuGH, Rs. C-234/02 P, Europäischer Bürgerbeauftragter, Urteil vom 23.3.2004, Rn. 61 und Schlußanträge des GA Geelhoed vom 3.7.2003, Rn. 113–120, insbes. 116.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

tiven Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage nicht stets im Wege und im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens erfolgen kann, muß sie im Rahmen des Haftungsverfahrens stattfinden. Für die Zulässigkeit der Haftungsklage und die Geltendmachung der diese Klage rechtfertigenden Rechtswidrigkeit von Verordnungsbestimmungen ist es somit nicht erforderlich, daß der Kläger i. S. des Art. 230 Abs. 4 EG unmittelbar und individuell betroffen ist.86 Allerdings bieten Art. 235 EG und Art. 288 Abs. 2 EGV keinen geeigneten alternativen Rechtsbehelf zur Nichtigkeitsklage. Denn eine Haftungsklage erlaubt dem Unionsrichter nicht, eine umfassende Kontrolle sämtlicher Faktoren vorzunehmen, die die Rechtmäßigkeit einer Uniionsmaßnahme beeinträchtigen können.87

II. Eigenständigkeit der Begründetheitsvoraussetzungen Die Auslösung der Unionshaftung setzt eine Verbindung der drei klassischen Elemente eines jeden Haftungsantrags voraus: ein schadenstiftendes und haftungsrechtlich relevantes Verhalten, einen ersatzfähigen Schaden und einen Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und Schaden. Eine spezifisch unionsrechtliche Schwierigkeit liegt in der Bestimmung des haftungsrechtlich relevanten schädigenden Verhaltens, sofern die Unionsorgane durch die Ausübung einer normativen Tätigkeit Schäden verursacht haben. Hier hat der EuGH besondere Grundsätze an den Tag gelegt, die vor allem das Verhältnis von Rechtswidrigkeit und Haftung betreffen. Es geht also um ein Problem, das sich bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung in der Gestalt des eigenständigen Charakters der Haftungsklage gegenüber der Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage stellt. Im Rahmen der materiellen Haftungsvoraussetzungen kehrt dieses Problem in der Form der Frage nach der spezifisch haftungsrechtlichen Relevanz von Rechtswidrigkeit wieder. Die Unionsgerichte gehen von einer Trennung von aufhebungsrechtlicher und haftungsrechtlicher Rechtswidrigkeit aus. Zum einen schließt die Rechtmäßigkeit eines Rechtsaktes auf Primärebene die Unionshaftung für die durch diesen Rechtsakt verursachten Schäden wegen Rechtswidrigkeit nicht aus. Es geht um Unionshandeln, das in haftungsrechtlicher Hinsicht als rechtswidrig angesehen wird, obwohl seine Gültigkeit auf Primärebene anerkannt worden war. So hat der EuGH bestimmt, daß der Erlaß einer Verordnung, die die Abschaffung von Ausgleichsbeträgen auf einem Einzelsektor vorschreibt, gültig ist, da die Vorschriften, nach denen sich die Anwendung und die Abschaffung dieser Ausgleichsbeträge bestimmt, nicht auf die individuelle Lage der Unternehmer abstellen und diesen somit keine Gewähr für eine fortdauernde Geltung der Regelung bieten.88 Nichtsdestotrotz wurde auf 86

EuG, Urteil vom 17.12.2003, Rs. T-146/01, DLD Trading Co/Rat. Schlußanträge des GA Francis Jacobs vom 10.7.2003 in EuGH, Rs. C-263/02 P, Kommission/Jégo-Quéré et Cie SA, Rn. 44. 87

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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Sekundärebene ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes bejaht, da die Kommission, ohne daß ein zwingendes entgegenstehendes Interesse des Gemeinwohls sie dazu veranlaßt hatte, von der Gewährung von Ausgleichbeträgen mit sofortiger Wirkung und ohne vorherige Ankündigung bzw. Übergangsmaßnahmen Abstand genommen hatte.89 Ähnlich hat die in jeder Hinsicht rechtmäßige Aufhebung einer Ausschreibung seitens des Europäischen Parlaments90 die Auslösung der Unionshaftung nicht verhindern können. Diese wurde damit begründet, daß das Parlament bei dem klagenden Bieter dadurch ein berechtigtes Vertrauen geweckt hatte, daß es ihn veranlaßt hatte, „ein Risiko einzugehen, das über das von Bietern in einem Vergabeverfahren üblicherweise eingegangene Risiko“ hinausgegangen war, und den Bieter „nicht von einer wichtigen Änderung des Ablaufs des Vergabeverfahrens unterrichtet hat(te)“.91 Insofern blieb die Aufhebungsentscheidung des Parlaments ein gültiger Akt, obwohl sein Verhalten während des Ausschreibungsverfahrens eine haftungsrechtliche Pflichtwidrigkeit darstellte.92 Eine haftungsrechtliche Rechtswidrigkeit kann ferner auch dann in Betracht kommen, wenn der streitige Rechtsakt keine direkten verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt, die die Rechtsstellung des Haftungsklägers beeinträchtigen könnten.93 So entstehen nach dem Verfahren der Vergabe öffentlicher Aufträge, das durch die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union eingeführt wurde, zwischen den Bietern und der Kommission keine Rechtsbeziehungen, da sich die Kommission darauf beschränkt, im Namen der Union die Finanzierungsentscheidungen zu treffen. Folglich kann es in diesem Bereich gegenüber den Bietern keine Handlung der Kommission geben, die Gegenstand einer individuellen Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 230 Abs. 4 EGV sein könnte. Dagegen ist die Erhebung einer Unionshaftungsklage möglich, da sich nach dem EuG nicht ausschließen läßt, daß anläßlich der Vergabe oder der Durchführung der finanzierten Vorhaben Dritte durch Handlungen oder Verhaltensweisen geschädigt werden, die der Kommission zuzurechnen sind.94 Zum anderen kommt die Abkopplung von aufhebungsrechtlicher und haftungsrechtlicher Rechtswidrigkeit auch in umgekehrter Weise zum Ausdruck: Nicht jeder Verstoß gegen eine Rechtsnorm, nicht jedes rechtswidrige Verhalten 88

EuGH, Rs. 74/74, CNTA, Slg. 1975, 533, Rn. 38–40. Ebd. Rn. 41–43. 90 Bei der Beurteilung der Gesichtspunkte, die bei einer Entscheidung über die Vergabe eines ausgeschriebenen Auftrags zu berücksichtigen sind, verfügte das Parlament über ein weites Ermessen, so daß sich die Kontrolle des Gerichts auf die Prüfung der Frage beschränken mußte, ob kein schwerer und offenkundiger Fehler vorlag. EuG, Rs. T-203/96, Embassy Limousines and Services, Slg. 1998, II-4239, Rn. 56. 91 Ebd., Rn. 86 f. 92 Ebd., Rn. 88. 93 EuG, Rs. T-185/94, Geotronics/Kommission, Slg. 1995, II-2795, Rn. 33. 94 Ebd., Rn. 38 ff. 89

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

der Unionsorgane führt zur Haftung. Bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, bei denen den Unionsorganen ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wird, kann die Unionshaftung nur im Falle einer qualifizierten95 Rechtswidrigkeit ausgelöst werden. Dem entspricht eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte im Haftungsverfahren. Die inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit des schadenstiftenden Rechtsaktes, die zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Rechtsnorm im Haftungsprozeß führen kann, ohne allerdings ihre Gültigkeit im übrigen anzutasten, beschränkt sich auf die Prüfung, ob dem betreffenden Organ „kein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmissbrauch unterlaufen ist“ oder ob das Organ die „Grenzen (seines) Ermessensspielraums nicht offensichtlich überschritten hat“.96

III. Pflicht zur Urteilsdurchführung und Schadensersatzpflicht Das Verhältnis von Nichtigkeits- und Unionshaftungsklage wird durch die Wirkungen des Nichtigkeitsurteils vorbestimmt. Schon das Umgehungsverbot bedeutet, daß in den Fällen, in denen eine Haftungsklage eine Umgehung der Art. 230 und Art. 233 EGV darstellen würde, die Beseitigung der Rechtswidrigkeitsfolgen nach Art. 233 EGV die Haftungsklage nach Art. 288 Abs. 2 EGV verdrängt. Letztere scheidet aus, soweit eine Folgenbeseitigung nach Art. 233 EGV zur Bereinigung der Rechtswidrigkeitsfolgen möglich ist und ausreicht. Das Unionsorgan, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, hat die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Voraussetzung für das Ergreifen dieser Maßnahmen ist die Ungültigkeitsfeststellung nach Art. 231 EGV. Die Verpflichtung aus Art. 233 EGV gilt entsprechend, wenn durch ein Vorabentscheidungsurteil die Ungültigkeit einer Handlung der Gemeinschaft festgestellt wird.97 Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle kann der Gerichtshof die ihm zur Prüfung vorliegende Handlung nur für nichtig erklären oder die Ungültigkeit feststellen; er kann aber an ein Organ keine Anweisungen erteilen. Es kann nämlich nicht die zu ergreifenden Maßnahmen bestimmen und auch nicht zur Zahlung eines Geldbetrags verurteilen.98 Es bleibt Sache des Organs, gemäß Art. 233 EGV die sich aus einem Nichtigkeits- oder Vorabentscheidungsurteil ergebenden Maßnahmen im Rahmen seines Ermessens zu ergreifen. Das Organ komme nach st. R. dem Urteil nur dann nach und führe es nur dann voll durch, wenn es nicht nur den Tenor des Urteils 95

EuGH, Rs. 5/71, Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975, Rn. 11. EuG, Rs. T-571/93, Lefebvre Frères/Kommission, Slg. 1995, II-2379, Rn. 49. 97 EuG, Rs. T-220/97, H & R Ecroyd Holdings Ltd/Kommission, Slg. 1999 Seite II-01677, Rn. 49. 98 Siehe z. B. EuGH, Rs. 53/85, Akzo/Kommission, Slg. 1986, 1965, Rn. 23; Rs. C199/91, Foyer culturel du Sart-Tilman ASBL/Kommission, 1993, I-02667, Rn. 17. 96

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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beachte, sondern auch die Gründe, die zu diesem geführt hätten. Denn diese trügen dem EuGH zufolge den Tenor in dem Sinne, daß sie zur „Bestimmung seiner genauen Bedeutung unerlässlich“ seien. Einerseits benannten sie „exakt die Bestimmung, die als rechtswidrig angesehen werde“, und andererseits ließen sie die „spezifischen Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit“ erkennen, die das betroffene Organ „bei der Ersetzung des für nichtig erklärten Aktes“ zu beachten habe.99 1. Folgenbeseitigung und Kompensation als Urteilsdurchführung Art. 233 EGV statuiert auch eine Kompensationspflicht. Trotz der Beseitigung der rechtswidrigen Handlung „auf der Ebene der Gesetzgebung und der Verwaltung“ hat das Unionsorgan festzustellen, ob diese Handlung für den Kläger zu einem Nachteil geführt hat, der auszugleichen ist.100 Durch den Erlaß etwa einer Verordnung, die es lediglich möglich macht, unter bestimmten Voraussetzungen eine spezifische Referenzmenge den Erzeugern zuzuteilen, denen sie rechtswidrig verweigert worden war, kann das Unrecht, das diesen Erzeugern durch die Anwendung der aufgehobenen Vorschrift zugefügt worden war, nicht wiedergutgemacht werden. Die Verordnung soll als Ersetzungsakt nicht die Nachteile ausgleichen, die diese Erzeuger wegen der Anwendung dieser rechtswidrigen Vorschrift bereits erlitten haben.101 Aus diesem Grunde ist das Unionsorgan verpflichtet, „konkrete Maßnahmen zur Wiedergutmachung der gegenüber der Klägerin begangenen“ und im durchzuführenden Urteil festgestellten Rechtsverletzung zu erlassen. Die Durchführungsverpflichtung umfaßt neben der Pflicht zum Erlaß der „unbedingt erforderlichen gesetzgeberischen oder Verwaltungsmaßnahmen“ auch die Wiedergutmachungspflicht des Schadens, der sich aus dem rechtswidrigen Verhalten ergibt.102 Die Anerkennung einer Kompensationspflicht als eine Pflicht zur Durchführung eines Urteils bringt es mit sich, daß, wenn die Durchführung eines Nichtigkeitsurteils „besonderen Schwierigkeiten begegnet“, das beklagte Unionsorgan seiner Verpflichtung aus Art. 233 EGV „durch jede Entscheidung gerecht werden (kann), die den Nachteil auf billige Weise ausgleicht, den der Betroffene durch die aufgehobene Entscheidung erlitten hat“.103 Auch soll das Organ 99 EuGH, Rs. 97/86, 193/86, 99/86 und 215/86, Asteris u. a./Kommission, Slg. 1988, 2181, Rn. 27; s. auch EuG, Rs. T-206/99, Métropole télévision/Kommission, Slg. 2001, II-1057, Rn. 35 und die dort zitierte Rechtsprechung. 100 Vgl. EuGH, Rs. 76/79, Könecke/Kommission, Slg. 1980, 665, Rn. 15. 101 EuG, Rs. T-220/97, H u. R. Ecroyd Holdings Ltd/Kommission, Slg. 1999, II1677, Rn. 55. 102 EuG, Rs. T-220/97, H u. R. Ecroyd Holdings Ltd/Kommission, Slg. 1999, II1677, Rn. 56. 103 EuGH, Rs. 76/79, Könecke, Slg. 1980, 665, Rn. 9, 15; EuG, T-91/95, De Nil u. Impens/Rat, Slg. 1996, II-959, Rn. 34.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

falls nötig mit der Klägerin „in Verhandlungen treten, um zu einer Vereinbarung zu gelangen, mit der das der Klägerin zugefügte Unrecht in billiger Weise ausgeglichen“ werden kann.104 Nun stellt die Gewährung eines Schadensersatzes als Durchführungsmöglichkeit eines Nichtigkeitsurteils das Problem des Verhältnisses von Art. 233 EGV und Art. 288 Abs. 2 EGV. Nach der Rechtsprechung von EuGH und EuG dürfen zum einen die Durchführungsmaßnahmen gemäß Art. 233 EGV nicht zur Umgehung der Unionshaftungsvoraussetzungen führen. Zum anderen dient die Verzahnung von Art. 233 EGV und Art. 288 Abs. 2 EGV dazu, den Umfang und Inhalt der in Art. 233 EGV vorgesehenen Schadensersatzpflicht zu bestimmen. Art. 233 EGV normiere außer der Verpflichtung der Verwaltung, die aus dem Nichtigkeitsurteil resultierenden Maßnahmen zu ergreifen, „diejenige, den durch die für nichtig erklärte rechtswidrige Handlung möglicherweise bewirkten zusätzlichen Schaden zu beheben, sofern die Voraussetzungen des Art. 288 Abs. 2 EGV (nämlich ein rechtswidriges Verhalten, ein Schaden und ein Kausalzusammenhang) erfüllt sind.“105 Daher hat das Unionsorgan „von sich aus zu einer Entschädigung“ des durch den aufgehobenen Rechtsakt Geschädigten tätig zu werden, sofern sich die Erfüllung der Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der Union aus dem Nichtigkeitsurteil in Verbindung mit der entsprechenden Rechtsprechung ableiten läßt.106 Nach dieser Rechtsprechung ergibt sich die Verpflichtung zum Schadensersatz aus Art. 233 EGV, während die Trias der Unionshaftungsvoraussetzungen in Art. 288 Abs. 2 EGV und der entsprechenden Judikatur geregelt ist. Dies impliziert, daß es sich bei Schadensersatzansprüchen, die im Anschluß an Nichtigkeitsurteile geltend gemacht werden, um die haftungsrechtliche Relevanz der vom Nichtigkeitsurteil festgestellten Rechtswidrigkeit handelt: Da die Pflicht zur Behebung des durch die aufgehobene rechtswidrige Handlung bewirkten „zusätzlichen Schadens“ bereits in Art. 233 EGV geregelt ist, „macht (dieser Artikel) den Schadensersatz somit nicht davon abhängig, daß ein neuer, sich von der ursprünglichen rechtswidrigen und für nichtig erklärten Handlung unterscheidender Fehler vorliegt“.107 Dies bedeutet aber nicht, daß die Nichtigerklärung einer Rechtsnorm per se genügt, um die Haftung der Gemeinschaft auszulösen. Der „Fehler“, der in der für nichtig erklärten Handlung zum Ausdruck kommt, kann, er muß aber nicht eine haftungsrechtlich relevante Rechtswidrigkeit darstellen. Ist der Rechtsverstoß „technischer“ Natur, vermag er nicht die

104 EuG, Rs. T-84/91, Meskens/Parlament, Slg. 1992, II-2335, Rn. 80; EuGH, Rs. C-412/92P, Parlament/Meskens, Slg. 1994, I-3757, Rn. 28. 105 EuGH, Rs. C-412/92P, Parlament/Meskens, Slg. 1994, I-3757, Rn. 24. 106 EuG, Rs. T-220/97, H u. R. Ecroyd Holdings Ltd/Kommission, Slg. 1999, II1677, Rn. 56. 107 EuGH, Rs. C-412/92P, Parlament/Meskens, Slg. 1994, I-3757, Rn. 24.

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Haftung auszulösen; er kann nicht als „schwerwiegende Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm“ angesehen werden.108 Art. 233 EGV ordnet den Ersatz des Schadens an, der Folge der für nichtig erklärten Handlung ist. Der behauptete Schaden muß sich mit hinreichender Unmittelbarkeit aus dem rechtswidrigen Verhalten des betreffenden Organs ergeben.109 EuGH und EuG prüfen demnach, ob ein materieller oder immaterieller Schaden unmittelbar durch die festgestellte Rechtswidrigkeit verursacht wurde. Schließlich muß ein Schaden nachweisbar sein. Bei Schadensersatzansprüchen, die im Anschluß an ein Nichtigkeitsurteil geltend gemacht werden, muß allerdings der durch die aufgehobene Handlung verursachte Schaden „nach ihrer Nichtigerklärung fortbestehe(n)“ und, da die Nichtigerklärung die Pflicht zur Vornahme von Durchführungshandlungen mit sich bringt, muß der ersatzfähige Schaden auch noch nach „der Durchführung des Nichtigkeitsurteils durch die Verwaltung fortbesteh(en)“.110 Der Erlaß einer neuen, die aufgehobene Handlung ersetzenden Maßnahme reicht daher zur Erfüllung der sich aus Art. 233 EGV für die Verwaltung ergebenden Verpflichtungen nicht aus. Es kann auch geboten sein, den Kläger wieder in den Stand einzusetzen, in dem er sich vor dem aufgehobenen Rechtsakt befand.111 Hierzu gehört auch die Zahlung von Zinsen.112 Zahlt somit die Kommission keinerlei Zinsen dem Betroffenen für den zurückgezahlten Betrag einer rechtswidrig verhängten Geldbuße, versäumt sie es, eine sich aus der Nichtigkeitsentscheidung ergebende Maßnahme113 zu ergreifen. Die nach Ablauf einer angemessenen Frist erhobene Schadensersatzklage114 gemäß Artikel 34 EKSV wurde daher als in der Sache begründet angesehen; und der Klägerin wurde eine Entschädigung in Geld in Höhe des Zinsbetrags zugesprochen, der mit dem Hauptbetrag zu zahlen gewesen wäre.115 Das EuG geht davon aus, daß „der Anspruch auf eine solche Verzinsung unabhängig

108 EuGH, Rs. C-194-206/83, Asteris/Kommission, Slg. 1985, 2815, Rn. 23; EuG, Rs. T-220/97, H u. R. Ecroyd Holdings Ltd/Kommission, Slg. 1999, II-1677, Rn. 57. 109 EuGH, Rs. 64 u. 113–76, 167 u. 239–78, 27, 28 u. 45–79, Dumortier Frères u. a./Rat, Slg. 1979, 3091, Rn. 21. 110 EuGH, Rs. C-412/92P, Parlament/Meskens, Slg. 1994, I-3757, Rn. 24. 111 Vgl. EuGH, Rs. C-22/70, Kommission/Rat, Slg. 1971, 263, Rn. 60; Rs. C-92/ 78, Simmenthal/Kommission, Slg. 1979, 777, Rn. 32; Rs. C-21/86, Samara/Kommission, Slg. 1987, 795, Rn. 7; EuG, verb. Rs. T-480/93 u. T-483/93, Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2305, Rn. 59 u. 60, und Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, Rn. 47. 112 EuG, Rs. 171/99, Corus UK Ltd/Kommission, Slg. 2001, Rn. 54 113 Vgl. EuGH, Rs. C-266/82, Turner/Kommission, Slg. 1984, 1, Rn. 5. 114 Klage wegen Ersatzes des Schadens, der der Klägerin daraus entstand, daß die Kommission den der Klägerin zur Durchführung des Urteils des EuG, mit dem eine gegen sie verhängte Geldbuße herabgesetzt worden war, zu zahlenden Betrag nicht verzinste. 115 EuG, Rs. 171/99, Corus UK Ltd/Kommission, Slg. 2001, Rn. 58.

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vom Nachweis eines Schadens“ besteht,116 obwohl er mit Hilfe des Rechtsmittels einer Schadensersatzklage geltend gemacht wird. Der Verstoß gegen die aus Art. 233 EGV resultierenden Pflichten kann seinerseits wiederum eine haftungsbegründende Rechtswidrigkeit darstellen. So ist etwa die Weigerung des Unionsorgans, „über die nicht rückwirkende Änderung (einer) allgemeinen Regelung hinaus eine konkrete Maßnahme im Hinblick auf die Klägerin zu erlassen, eine Verletzung“ des Art. 233 EGV. Sie ist damit zugleich ein „dienstlicher Fehler“, der geeignet sein kann, die Haftung der Union auszulösen.117 Die Weigerung eines Unionsorgans, ein Urteil durchzuführen, stellt nach dem EuG eine „Beeinträchtigung des Vertrauens“ dar, das der einzelne in das Unionsrechtssystem, das sich insbesondere auf die Beachtung der Entscheidungen der Unionsgerichte stütze, haben müsse. Die ausdrückliche Weigerung, ein Urteil durchzuführen, führe „für sich allein schon zu einem immateriellen Schaden für die Partei, zu deren Gunsten dieses Urteil ergangen“ sei.118 2. Folgenbeseitigung als Rechtsintegritätsanspruch oder als Aufhebungswirkung? Der Grund für die Aufnahme des Art. 233 Abs. 2 EGV in das Vertragswerk liegt nicht in seiner unmittelbaren Aussage. Sie sollte vor allem das Haftungsrecht des EG-Vertrages deutlich von seinem montanrechtlichen Vorbild abkoppeln und klarstellen, daß die im Recht der Montanunion bestehende Dualität des Haftungssystems im EG-Recht keinen Platz hat. Das Fehlen eines unionsrechtlichen Pendants zur Spezialnorm des Art. 34 Abs. 1 S. 3 EGKSV in Verbindung mit dem Vorbehalt des Art. 40 Abs. 1 EGKSV ist schon ein Indiz dafür, daß die Schadensersatzklage des Art. 288 Abs. 2 EGV nicht nur bei erfolgreich durchgeführten Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsklagen ein gegenüber den Art. 230 (ex 173) und 232 (ex 175) EGV selbständiger und unabhängiger Rechtsbehelf sein soll, sondern auch dann, wenn die Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsklage scheitert bzw. nicht zur Durchführung kommt. Art. 233 Abs. 2 EGV statuiert die Pflicht, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Er stimmt insofern mit Art. 34 EGKSV überein. Ein bedeutsamer Unterschied besteht aber darin, daß in Art. 233 EGV keine Spezifizierung dieser Maßnahmen enthalten ist. Die Vorschrift beschränkt sich ledig116

Ebd., Rn. 56. EuG, Rs. 84/91, Mireille Meskens/Parlament, Slg. 1992, II-2335, Rn. 81. bestätigt durch EuGH, Rs. C-412/92 P, Parlament/Meskens, Slg. 1994, I-3757. Siehe ferner EuG, Rs. T-11/00, Michel Hautem/Europäische Investitionsbank, Sgl. 2000, II-4019, Rn. 43. 118 EuG, Rs. T-11/00, Michel Hautem/Europäische Investitionsbank, Sgl. 2000, II-4019, Rn. 51. 117

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lich darauf festzustellen, daß die Pflicht, die sich aus den Urteilen ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, unbeschadet einer etwaigen Schadensersatzpflicht nach Art. 288 Abs. 2 EGV besteht. Damit ist klargestellt, daß der Begriff „Maßnahmen, die sich aus dem Urteil ergeben“ die Leistung von Schadensersatz nicht umschließt. Eine Schadensersatzpflicht kann nunmehr kein Bestandteil der Pflicht sein, das Urteil des EuGH auszuführen. Da Art. 233 EGV im Unterschied zu Art. 34 EGKSV die Feststellung eines haftungsbegründenden Fehlers nicht vorschreibt, kann sich aus dem Nichtigkeitsurteil allenfalls eine der Haftungsvoraussetzungen ergeben, nämlich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme der Gemeinschaft. Grundsätzlich muß das unterlegene Organ die Situation herstellen, die bestehen würde, wenn der für nichtig erklärte Akt nie erlassen worden wäre. Das folgt aus der ex tunc Wirkung der Nichtigkeitsurteile und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Ausnahmen gibt es, soweit die Folgenbeseitigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.119 Der EuGH hat zwar in seiner Rechtsprechung hervorgehoben, daß Art. 233 EGV außer der Verpflichtung der Verwaltung, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, auch die Verpflichtung normiert, den durch die nichtige Handlung bewirkten zusätzlichen Schaden zu beheben.120 Dies setze allerdings voraus, daß die Voraussetzungen des Art. 288 Abs. 2 EGV erfüllt sind. Artikel 233 EGV mache somit dem EuGH zufolge den Schadensersatz nach Art. 288 Abs. 2 EGV nicht davon abhängig, daß ein neuer, sich von der ursprünglichen rechtswidrigen und für nichtig erklärten Handlung unterscheidender Fehler vorliege, sondern ordne den Ersatz des Schadens an, der Folge dieser Handlung sei und nach ihrer Nichtigerklärung und der Durchführung des Nichtigkeitsurteils durch die Verwaltung fortbestehe.121 In einem Fall, in dem die Bestimmung einer Kommissionsverordnung über die Bemessung einer Beihilfe für Tomatenkonzentrat für die nationalen Erzeuger eines Mitgliedsstaates für ungültig erklärt wurde, weil sie gegen den Gleichheitssatz verstieß, wurde den diskriminierten Erzeugern ein Schadensersatzanspruch nach Art. 288 Abs. 2 EGV abgesprochen. Die Schadensersatzklage (Rs. 194-206/83) scheiterte an der fehlenden qualifizierten Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm, da der Rechtsverstoß der legislativ tätig gewesenen Kommission nach Auffassung des EuGH lediglich technischer Natur war.122 Dieser Fall macht einerseits deutlich, daß die Rechtswidrigkeit einer Vorschrift für sich al119 Daig, Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen im Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 207. 120 EuGH, Rs. C-412/92 P., Europäisches Parlament/Mireille Meskens, Slg. 1994, I3757, Rn. 24. 121 Ebd. 122 Der EuGH hat in der Rs. 192/83, Griechenland/Kommission (Tomatenkonzentrate), Slg. 1985, 2791, Rn. 36.

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lein auch dann nicht genügt, um die außervertragliche Haftung der Union zu begründen, wenn die Vorschrift bereits für nichtig erklärt worden ist. Andererseits kann Art. 233 EGV nicht zur Umgehung der Voraussetzungen einer Haftungsklage nach Art. 288 Abs. 2 EGV herangezogen werden. Objektive Nichtigkeitsklage und subjektive Schadensersatzklage ergänzen einander insofern, als die von der ersten verlangte Wiederherstellung in einem Komplementaritätsverhältnis zu der von letzterer begehrten Kompensation steht. Art. 233 EGV bringt nicht zum Ausdruck, daß sich beide Rechtsmittel in ihren Rechtswirkungen überschneiden können. Er bedeutet vielmehr, daß die Wiederherstellung der Rechtsordnung mit Hilfe von Maßnahmen gemäß Art. 233 EGV den Ersatz weiterer Schäden nach Art. 288 Abs. 2 EGV nicht ausschließt. Rechtsgrundlage für die Klage auf Ersatz des weiteren Schadens ist nicht Art. 233 EGV, sondern Art. 288 Abs. 2 EGV. Und umgekehrt fallen Rechtswidrigkeitsfolgen, die durch Maßnahmen nach Art. 233 EGV beseitigt werden können, nicht unter den Begriff des Schadensersatzes nach Art. 288 Abs. 2 EGV. Für die Wiedergutmachung nach Art. 233 EGV gelten daher auch die restriktiven Voraussetzungen der Haftungsklage nach Art. 288 Abs. 2 EGV nicht. Während die Schadensersatzverpflichtung nach Art. 288 Abs. 2 EGV – um mit den Kategorien des englischen Haftungsrechts zu sprechen – der „tortious liability“ angehört, stellt die Wiedergutmachungsverpflichtung nach Art. 233 EGV eine „quasi-contractual liability“ dar. Im deutschen Recht geht es im letzten Fall um ein Anwendungsgebiet des Folgenbeseitigungsanspruchs. Den Folgenbeseitigungsanspruch des deutschen Rechts gibt es allerdings im Europäischen Recht nicht. Dies ist nicht lediglich eine Frage des unterschiedlichen Umfangs, sondern vor allem eine der Konzeption. Bei der wissenschaftlichen Begründung des Folgenbeseitigungsanspruchs mußte Bachof auf den Zusammenhang von Aufhebungsurteil und Folgenbeseitigungspflicht eingehen, zumal er die Untätigkeitsklage in § 35 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit (VGG) zu den Anfechtungsklagen rechnete.123 Er stand vor dem Problem zu bestimmen, wie die Verpflichtung der Behörde zur Folgenbeseitigung nach gerichtlicher Aufhebung geltend gemacht werden sollte. Entweder ergebe sich die Folgenbeseitigungspflicht aus dem Ausspruch der Aufhebung, wobei die Durchsetzung dieser Pflicht eine Frage der Vollstreckung des Aufhebungsurteils wäre. Oder aber sei der explizite Ausspruch der Folgenbeseitigungspflicht in einem Urteil unerläßliche Bedingung ihrer Vollstreckung.124 Schon die Fragestellung bringt uns in die Nähe des Art. 233 EGV. Bachof hat die Annahme, das Aufhebungsurteil enthalte bereits eine vollstreckbare Folgenbeseitigungspflicht, wegen einer „Verwechslung“ der „mate123 Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1968, S. 38. 124 Bachof 1968, S. 139.

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riellrechtlichen“ Folgenbeseitigungspflicht mit einem „prozessualen Ausspruch dieser Verpflichtung“ verworfen.125 Die Betonung des materiellrechtlichen Aspekts stellt gerade den Unterschied zur Konzeption der Folgenbeseitigung in der Rechtsprechung des EuGH dar. Nach Bachof besteht der Anspruch auf Rückgängigmachung schon vor der Rechtskraft des Aufhebungsurteils „von der Vollziehung des objektiv rechtswidrigen Aktes an“. Lediglich seine „Realisierung“ sei durch die gerichtliche Anerkennung der Rechtswidrigkeit „aufschiebend bedingt“.126 Hierin liegt der Keim der späteren Entwicklung eines umfassenden Folgenbeseitigungsanspruchs im deutschen Recht, der unter Orientierung an der Abwehrfunktion der Grundrechte in Verbindung mit dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz die Gestalt eines grundrechtlichen (Folgen-)Beseitigungsanspruchs annahm. Während das materielle Recht und der entsprechend gestellte Antrag im deutschen Recht der Restitution durch Folgenbeseitigung ihre Konturen gibt, muß im Unionsrecht das Unionsorgan die nach seiner Ansicht notwendigen Folgerungen aus dem Urteil ziehen. Daß hiermit rechtliche Zweifeln über Inhalt und Umfang der Beseitigungspflicht sowie über die Befugnisse gegenüber Dritten verbunden sind, hatte schon Bachof hervorgehoben.127 Es ist auch nicht von Ungefähr, daß Bachof an der Ableitung des Folgenbeseitigungsanspruchs vom Rechtsstaatsprinzip und insbesondere vom Gesetzmäßigkeitsgrundsatz trotz geübter Kritik festgehalten hat. Dieses „besagt zwar nichts darüber, was im Falle einer dennoch erfolgten Rechtswidrigkeit zu geschehen hat“,128 es macht aber klar, daß sich Inhalt und Ausmaß der Handlungs- und Folgenbeseitigungspflichten nicht ausschließlich, ja oft nicht einmal überwiegend, aus dem Aufhebungsurteil, sondern aus der Rechtsordnung ergeben. Entsprechend muß das Unionsorgan prüfen, welche Verpflichtungen ihm die Nichtigerklärung als solche und die sie stützenden Entscheidungsgründe in Verbindung mit den Grundsätzen und Normen des Unionsrechts auferlegen.129 Diese Problemkonzeption entstammt dem französischen Recht. Die deutsche Folgenbeseitigung ist nur ein Teil der Wirkungen des unionsrechtlichen Nichtigkeitsurteils und des französischen Aufhebungsurteils. Diese erfassen die Frage nach der Ersetzung des aufgehobenen Maßnahme, die Frage nach der Wiederherstellung der Vergangenheit („reconstitution du passé“) sowie die Frage nach den Auswirkungen der Nichtigerklärung auf die Legalität anderer Rechtsakte und Realhandlungen.130 Die materielle Berechtigung ist zwar nicht 125 126 127 128 129 130

Ebd. Ebd., S. 146. Ebd., S. 145. Ebd., S. XIV. Vgl. Daig 1985, S. 204. Chapus, Droit du contentieux administratif, 1996, S. 866 ff.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

ohne Bedeutung, ihr kommt aber nicht die zentrale Funktion zu, die sie im deutschen Folgenbeseitigungsanspruch wahrnimmt. Im Rahmen der Problematik der Wiederherstellung der Lage, die vor dem Erlaß der aufgehobenen Maßnahme bestand, steht dem Betroffenen nach französischer Konzeption das Recht zu, die gerichtliche Anordnung derjenigen Anweisungen an die Behörde zu veranlassen, die das Aufhebungsurteil zwingend nach sich zieht.131 Im Rahmen der Problematik der Auswirkungen des Aufhebungsurteils auf nicht angefochtene Maßnahmen kommt der materiellen Berechtigung („droits acquis“) die Rolle zu, die Aufhebung von Einzelmaßnahmen, die Anwendungsakte einer aufgehobenen Verordnung darstellen oder in engem Zusammenhang mit der aufgehobenen Einzelmaßnahme stehen, zu verhindern.132 Das entscheidende Problem ist aus französischer Sicht die Bestimmung des Verhältnisses der gerichtlich aufgehobenen zu nicht angefochtenen Maßnahmen, die auf der Grundlage des Aufhebungsurteils von der Behörde auf Antrag aufgehoben werden sollen. Das Aufhebungsurteil kann die behördliche Aufhebung bestimmter nicht angefochtener Maßnahmen zwingend nach sich ziehen („impose nécessairement“): Die Pflicht zur Wiederverwendung eines Beamten zwinge notwendigerweise zur Aufhebung der Berufung seines Nachfolgers in das Beamtenverhältnis. Ferner können die nicht angefochtenen Maßnahmen an derselben Rechtswidrigkeit wie die gerichtlich aufgehobene Maßnahme leiden, und in engem Zusammenhang mit ihr stehen („connexité“). Die Verwaltung kann sich schließlich genötigt sehen, dem Antrag auf Aufhebung nicht (fristgerecht) angefochtener und bestandskräftig gewordener Einzelmaßnahmen stattzugeben, soweit dieser Antrag denselben Gegenstand und dieselbe Begründung wie ein bereits ergangenes Aufhebungsurteil hat, das eine Verordnung für nichtig erklärte.133 Das Schicksal, das der Richter einem der Anwendungsakte einer aufgehobenen Verordnung vorbehalten hat, muß demnach auch die anderen Anwendungsakte treffen, die an demselben Rechtswidrigkeitsgrund leiden. Die Ähnlichkeit dieser Konstellation mit der Problematik der Wirkungen des Nichtigkeitsurteils in der vom EuG im französischen Sinne entschiedenen und vom EuGH kassierten Rechtssache „AssiDomän“ liegt auf der Hand:134 Das dem Art. 233 EGV zugrundeliegende Konzept ist eher der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip der „ordnungsmäßigen Verwaltung“ als das verletzte Individualrecht. Nach dieser Entscheidung des EuG ist das Unionsorgan, dessen 131

Chapus 1996, S. 867. Chapus 1996, S. 873. 133 Diese Problematik wird vor allem im Zusammenhang mit dem „décret du 28 novembre 1983“ diskutiert, das die Konsequenzen der Nichterwähnung der Rechtsmittelfristen im behördlichen Bescheid regelt: Chapus, Le contentieux administratif, 1996, S. 494 ff., 874. 134 EuG, Rs. T-227/95 AssiDomän Kraft Products AB u. a./Kommission, Slg. 1997, II-1185; EuGH, Rs. C-310/97, Kommission/AssiDomän Kraft Products AB u. a., Slg. 1999, I-5363. 132

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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Rechtsakt für nichtig erklärt wurde, nach den „Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der ordnungsmäßigen Verwaltung“ dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Durchführung des Nichtigkeitsurteils und somit zur Folgenbeseitigung nicht nur im Hinblick auf die Rechtsverletzungen der obsiegenden Nichtigkeitskläger, sondern auch im Hinblick auf die Rechtsverletzungen derjenigen Adressaten des teilweise für nichtig erklärten Rechtsaktes zu treffen, die keine Nichtigkeitsklage erhoben hatten. Andernfalls würde Art. 233 EGV „jede praktische Wirksamkeit verlieren“.135 Nach deutschem Verständnis ergäben sich die Anspruchsgrenzen schon aus der Nicht-Geltendmachung des materiell-rechtlichen subjektiven Rechts und der Wirksamkeit des dieses verletzenden Verwaltungsaktes gegenüber den Adressaten, die keine Anfechtungsklage erhoben haben. Der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch wird übrigens meistens als Annex-Antrag zu einem Anfechtungsantrag gestellt und setzt die Geltendmachung (vom Betroffenen selbst) einer Anfechtungsklage voraus. Der EuGH hat demgegenüber die Wiederherstellungspflicht der Kommission auf der Grundlage des Grundsatzes der Rechtssicherheit verneint.136 Ebensowenig läßt sich die Grenze zwischen restitutiver Folgenbeseitigung und Schadensersatz auf der Grundlage des materiellen subjektiven Rechts ziehen. Nach diesem Verständnis wäre auf Schadensersatzansprüche erst zurückzugreifen, wenn es um „mehr“ ginge, als einen Zustand herzustellen, der dem verletzten Individualrecht entspricht.137 In seinen Urteilen beschränkt sich der EuGH darauf, die Ergänzungsbedürftigkeit der objektiv-rechtlichen Wirkungen des Nichtigkeitsurteils durch den Erlaß individualrechtlich orientierter („konkreter“) Maßnahmen zu betonen und eine Wiedergutmachungspflicht als in Art. 233 EGV begründet anzusehen.138 Zu den „konkreten“ Maßnahmen gehört zwar auch eine Schadensersatzpflicht, doch gilt diese nicht als „Folgenersatzpflicht“, die unabhängig davon besteht, ob die Rechtsverletzung in besonders qualifizierter Weise erfolgt.139 Die Voraussetzungen des Art. 288 EGV müssen auch in dieser Konstellation vorliegen. Nach dem EuGH ergeben sich Beschränkungen der Wirkungen des Urteils auf nicht angefochtene Rechtsakte dadurch, daß der Unionsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nicht ultra petita entscheiden darf und die Drittwirkung des Nichtigkeitsurteils in Grenzen halten muß.140 Selbst wenn sowohl die für nichtig erklärten als auch die nicht angefochtenen Einzelentscheidungen auf135 EuG, Rs. T-227/95 AssiDomän Kraft Products AB u. a./Kommission, Slg. 1997, II-1185, Rn. 72, 92. 136 EuGH, Rs. C-310/97P, Kommission/AssiDomän Kraft Products AB u. a., Slg. 1999, I-5363, Rn. 63. 137 Sack, Die Folgenbeseitigung im Gemeinschaftsrecht, EuR 1986, 241, 249. 138 EuG, Rs. T-220/97, H u. R. Ecroyd Holdings Ltd/Kommission, Slg. 1999, II-1677, Rn. 56 139 Sack, EuR 1986, 241, 255.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

grund ein und desselben Verwaltungsverfahrens getroffen worden sind, müssen die nicht angefochtenen Einzelentscheidungen nicht von Amts wegen und rückwirkend auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Selbst wenn sich die nicht angefochtenen Einzelentscheidungen auf eben die Sachverhaltsfeststellungen und wirtschaftlichen und rechtlichen Erörterungen141 stützen, die mit dem Urteil aufgehoben worden sind, läßt sich hieraus nicht folgern, daß sich die Nichtigkeit auf die belastenden Einzelmaßnahmen erstreckt, deren Adressaten selbst keine Klage erhoben haben.142 Der EuGH hat zwar eine Beseitigungsverpflichtung der Union auch bei Vorabentscheidungsurteilen als begründet gesehen. Dies spricht aber nicht für einen hinter der prozessualen Grundlage des Art. 233 EGV stehenden materiellen Anspruch im deutschen Sinne.143 Denn der Gerichtshof stützte die Begründung dieser Beseitigungspflicht eben auf die entsprechende Anwendung des Art. 233 EGV. Auch was die Problematik der Wiederherstellung der Vergangenheit angeht, ist der Umfang der verletzten materiellen Berechtigung des Betroffenen nicht die eigentliche Grenze der Wiederherstellung. Der EuGH hat seine Theorie des faktischen Beamten144, die der Rückwirkungslimitierung dient, vom französischen Recht und in der Form seiner klassischen „théorie des fonctionnaires de fait“ übernommen.145 Übrigens stellen die abweichenden Problemlösungen, die zwischen dem Unionsrecht und dem französischen Verwaltungsprozeßrecht bestehen, die Ähnlichkeit der grundlegenden Problemstellung nicht in Frage. Anders als der Unionsrichter146 darf etwa der französische Verwaltungsrichter eine Wirkungslimitierung ratione temporis explizit auch dann nicht anordnen, wenn die Nichtigerklärung lediglich auf Form- bzw. Verfahrensfehler zurückgeht oder ein „vide juridique“ bis zum Erlaß der neuen Maßnahmen überbrückt werden muß. Dennoch entspricht die Problemkonzeption im Unionsrecht der des französischen Rechts. Anders als das deutsche Recht gibt Art. 233 EGV dem Folgenbeseitigungsanspruch eine schmale prozessuale Grundlage. 140 Siehe etwa EuGH, Rs. 46/59 u. 47/59, Meroni/Hohe Behörde, Slg. 1962, 837, 854; Rs. 37/71, Jamet/Kommission, Slg. 1972, 483, Rn. 12. 141 EuG, Rs. T-227/95 AssiDomän Kraft Products u. a./Kommission, Slg. 1997, II–1185, Rn. 71 f. 142 EuGH, Rs. C-310/97P, Kommission/AssiDomän Kraft Products AB u. a., Slg. 1999, I-5363, Rn. 56. 143 Sack, EuR 1986, 241, 246. 144 EuGH, verb. Rs. 341/85 u. a., Erik van der Stijl u. Geoffrey Cullington/Kommission, Slg. 1989, 511, Rn 25. 145 Chapus 1996, S. 880 ff. 146 Siehe die Rückwirkungsbegrenzung in Art. 231 Abs. 2 EGV und ihre Erweiterung von Verordnungen auf haushaltsrechtliche Maßnahmen (EuGH, Rs. 34/86, Rat/ Parlament, Slg. 1986, 2155, Rn. 48; Rs. C-284/90, Rat/Parlament, Slg. 1992, I-2322, Rn. 37) und Richtlinien (EuGH, Rs. C-295/90, Parlament/Rat, Slg. 1992, I-4193); zur Begrenzung wegen Formfehler: EuGH, Rs. C-271/94, Parlament/Rat, Slg. 1996, I-1689, Rn. 39–40.

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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Die materiell-rechtlichen Bezüge sind allerdings der Begründung des Urteils zu entnehmen und gehen über den deutschen, an der Wiederherstellung des verletzten subjektiven Rechts orientierten Folgenbeseitigungsanspruch hinaus. Sie betreffen die Limitierung der Wirkungen des Nichtigkeitsurteils in zeitlicher, personaler und sachlicher Hinsicht. Anders als im deutschen Recht dient das subjektive Recht nicht der Wiederherstellung des subjektiv-rechtlichen Inhalts. Vielmehr kann die Ausübung unionsrechtlich gewährleisteter subjektiver Rechte zur Begrenzung der Rückwirkung des Nichtigkeitsurteils herangezogen werden.147

IV. Volle Rechtsprechungskompetenz und Komplementarität des Rechtsschutzes Das Verhältnis von Aufhebung und Haftung betrifft nicht nur den Ausschluß des haftungsrechtlichen zugunsten des aufhebungsrechtlichen Schutzes, sondern auch die Berücksichtigung öffentlicher Belange, die den negatorischen Rechtsschutz zugunsten der Haftung einschränken. Die Rechtsprechung des EuGH zur Unionshaftung im Beamtenrecht ist somit allein mit der Einschränkung der Haftungsklagen in den Fällen, in denen eine rechtswidrige Verfügung nicht (fristgerecht) angefochten wurde148 und in denen das angestrebte finanzielle Ziel der Haftungsklage mit dem der Anfechtungsklage identisch ist, nicht zu erklären. Von Bedeutung ist darüber hinaus, daß der EuGH „die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung einschließlich der Befugnis zur Aufhebung oder Änderung der getroffenen Maßnahmen“ in einem „Verfahren mit unbeschränkter Rechtsprechung“ hat.149 Auf eine Klage im Verfahren mit unbeschränkter Rechtsprechung kann der Gerichtshof selbst bei Fehlen ordnungsgemäßer Anträge nicht nur aufheben, sondern auch von Amts wegen zu einer Ersatzzahlung verurteilen.150 Das begründet und erklärt die Flexibilität der 147 Die schlichte Nichtigerklärung der Richtlinie 90/366 über das Aufenthaltsrecht der Studenten könnte dem EuGH zufolge der Ausübung eines sich aus dem Vertrag ergebenden Rechts, nämlich des den Studenten für die berufliche Bildung zustehenden Aufenthaltsrechts, abträglich sein. Dies sei ein wichtiger Grund für die Begrenzung der Wirkungen der Nichtigerklärung der Richtlinie: EuGH, Rs. C-295/90, Parlament/ Rat, Slg. 1992, I-4193, Rn. 23. 148 EuGH, Rs. 401/85, Schina/Kommission, Slg. 1987, 3911, Rn. 8, 9; Rs. 106/80, Fournier/Kommission, Slg. 1981, 2759, Rn. 17, 19; Rs. 4–67, Müller/Kommission, Slg. 1967, 488, 499; Rs. 59–65, Schreckenberg/Kommission, Slg. 1966, 816, 827; EuG, Rs. 9–75, Meyer-Burckhard 1975, 1171, Rn. 7, 10/11. 149 EuGH, Meyer-Burckhard, Rn. 7. 150 EuGH, Rs. 23/69, Fiehn/Kommission, Slg. 1970, 547, Rn. 1, 24. Vgl. auch den Begriff der unbeschränkten (Ermessens-)Nachprüfung. Dieser bezieht sich auf den Umfang der Befugnisse des Gemeinschaftsrichters, der mit einer Nichtigkeitsklage befaßt ist. Er bedeutet, daß der Gemeinschaftsrichter die Beurteilung des Unionsorgans durch seine eigene und damit die Entscheidung des Unionsorgans durch eine andere

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Rechtsprechung des Gerichtshofes. In „Fiehn“ begehrte somit die Klägerin die Wiedergutmachung des ihr durch das Verschulden der Kommission entstandenen Schadens entweder durch ihre Wiederverwendung auf einer ihrer früheren vergleichbaren Stelle oder durch Verurteilung der Kommission zur Schadensersatzzahlung. Der EuGH meinte, die Zuerkennung einer Schadensersatzzahlung sei die den Interessen der Klägerin und dem Dienstinteresse am besten entsprechende Form der Wiedergutmachung.151 In „Oberthür“152 wurde dieses Vorgehen bestätigt. Die Klägerin hatte zwar hier die Nichtigerklärung eines Beförderungsverfahrens beantragt, in dem sie angeblich benachteiligt wurde. Der Gerichtshof befand jedoch, daß die Aufhebung der Beförderungen von 40 tatsächlich in die höhere Besoldungsgruppe beförderten Beamten eine im Hinblick auf die geschehene Rechtsverletzung übermäßige Maßnahme wäre. Bei der Schätzung des erlittenen Schadens wurde berücksichtigt, daß die Klägerin an einem zukünftigen Beförderungsverfahren würde teilnehmen können, in dem die Kommission für eine ordnungsgemäße Abwicklung Sorge tragen würde. Der EuGH optierte demnach für eine billige Entschädigung. In „Mavridis“ wurde eine Nichtigkeitsklage deshalb erhoben, weil das Europäische Parlament in einer Stellenausschreibung nicht deutlich gemacht hatte, daß das besondere Einstellungsverfahren gemäß Art. 29 Abs. 2 des Statuts durchgeführt wurde.153 Der EuGH bemerkte hierzu, der Verstoß gegen diese Verpflichtung darüber zu informieren, daß ein besonderes Auswahlverfahren angewandt wurde, habe nicht ohne weiteres die Unwirksamkeit des angefochtenen Rechtsaktes zur Folge, sondern könne gegebenenfalls, wenn dadurch dem Betroffenen ein Schaden verursacht wurde, die Zubilligung von Schadensersatz rechtfertigen. Der Gerichtshof hat nichtsdestotrotz, da von dem Kläger kein Antrag in diesem Sinne gestellt wurde, gemeint, daß er darüber nicht zu entscheiden hat. In der Kostenentscheidung wurde das Parlament zur Erstattung der dem Kläger wegen der unnötigen Klageerhebung entstandenen Kosten verurteilt. In „Houyoux“ und „Güry“ (1987) optierte demgegenüber der EuGH für die Haftung der Gemeinschaft gegenüber einer Beamtin, obwohl kein Schadensersatzantrag gestellt worden war. Er könne, selbst wenn er einen Aufhebungsantrag sowie einen Antrag auf Gewährung einer im Statut vorgesehenen Zulage abweise, von Amts wegen einen Amtsfehler des Beklagten Organs feststellen und dieses zum Ersatz des dem Beamten hieraus entstandenen Schadens verurteilen. Der Schaden wurde nach billigem Ermessen geschätzt.154 Immer wenn der EuGH der Auffassung ersetzen kann. Siehe hierzu die Schlußanträge des GA Jean Mischo in EuGH, Rs. C245/99 P, vom 25.10.2001, Montedison/Kommission u. a., Rn. 28 (der Schlußanträge). 151 EuGH, Fiehn 1970, Rn. 25. 152 EuGH, Rs. 24–79, Oberthür/Kommission, Slg. 1980, 1743, Rn. 13 bis 15. 153 EuGH, Rs. 289/81, Mavridis/Kommission, Slg. 1983, 1731, Rn. 24, 28, 29. 154 EuGH, verb. Rs. 176 u. 177/86, Houyoux und Güry/Kommission, Slg. 1987, 4333, Rn. 2.

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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ist, daß die Aufhebung einer rechtswidrigen Maßnahme keine zufriedenstellende Berücksichtigung der Interessen des Klägers und der beklagten Anstellungsbehörde im Rahmen des engen Beamtenverhältnisses sicherstellen würde, gewährt er Schadensersatz. Letzterer fungiert als geeignetes Rechtsschutzmittel für den Geschädigten, ohne die Rechtsfolgen der einschlägigen rechtswidrigen Maßnahme erga omnes und ex tunc beseitigen zu müssen, was schwerwiegende Folgen für andere Beamte haben würde. Wenn eine Aufhebung für Verwaltung, Dienstorganisation und andere Beamten zu eingriffsintensiv wäre, ist Schadensersatz die geeignete Rechtschutzform. Umgekehrt kann die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung als solche eine angemessene Wiedergutmachung des geltend gemachten Schadens darstellen.155 Demgegenüber ist das Unionshaftungsverfahren kein Verfahren „mit unbeschränkter (voller) Nachprüfungs- und Entscheidungsbefugnis“156, in dem der geeignete Rechtsschutz, also Aufhebung, Haftung oder andere Anordnungen vom Amts wegen gewählt werden kann. Die Gewährung von Schadensersatz ist die einzig mögliche Anordnung, die ein Haftungsurteil gemäß Art. 288 Abs. 2 EGV enthalten darf. Entsprechend bewirkt ein Nichtigkeitsurteil gemäß Art. 230 EGV nur die Nichtigerklärung einer rechtswidrigen Maßnahme. Auch liegen Sinn und Zweck des Art. 233 EGV darin, den Anspruch des durch eine für nichtig erklärte unionsrechtliche Maßnahme Geschädigten auf den Ersatz allen weiteren Schadens aufrechtzuerhalten. Die Vorschrift dient gerade nicht dazu, die Befugnisse des EuGH im Rahmen von Unionshaftungsverfahren zu ändern.157 Der Unionsrichter sieht in der Unabhängigkeit der Zulässigkeitsbedingungen von Nichtigkeits- und Unionshaftungsklage voneinander geradezu „einen verstärkten Schutz der Bürger“.158 Angesichts der Schwierigkeit, bei Verordnungen, die mit einem haftungsbegründenden Fehler behaftet sind, die für eine Nichtigkeitsklage erforderliche individuelle Betroffenheit nachzuweisen, verneint der Unionsrichter die Identität159 der Rechtswirkungen von Aufhebung und Haftung mit dem Argument, die Zuerkennung des Ersatzanspruchs sei eine Leistung, die ihre Wirkungen allein gegenüber dem Kläger entfalte.160 Ähnlich 155

EuGH, Rs. C-62/01 P, 23.4.2002, Campogrande/Kommission, Rn. 41. So die Übersetzung des „contentieux de pleine juridiction“ von Much, Die Amtshaftung im Recht der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1952, S. 87 ff. 157 Hierzu GA Tesauro Schlußanträge zu EuGH, Rs. C-63/89, Assurances du crédit SA und Compagnie belge d’assurance credit SA/Rat und Kommission, Slg. 1991, I1799, Rn. 10 der Schlußanträge und Rn. 32 des Urteils. 158 EuG, Rs. T-246/93, Günther Bühring/Rat und Kommission, Slg. 1998, II-171, Rn. 68. 159 Siehe zur Annahme dieser Identität etwa EuGH, Rs. 543/79, Birke/Kommission und Rat, Slg. 1981, 2669, Rn. 28; Rs. 799/79, Bruckner/Kommission und Rat, Slg. 1981, 2697, Rn. 19; verb. Rs. C-199/94 P und C-200/94, Pevesa und Inpesca/Kommission, Slg. 1995, I-3709, Rn. 27; EuG, Rs. T-186/98, Inpesca/Kommission, Slg. 2001, II-557, Rn. 77. 156

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

argumentierte der EuGH auch in einem Fall, in dem nach Auffassung des verklagten Unionsorgans die Unzulässigkeit einer Untätigkeitsklage wegen unterlassenen Erlasses einer Verordnung der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs entgegenstehen sollte. Es liefe sowohl der Selbständigkeit der Haftungsklage als auch der Wirksamkeit des durch den Vertrag geschaffenen Rechtswegsystems zuwider, wenn ein Grund für die Unzulässigkeit darin erblickt würde, daß die allein gegenüber dem Kläger Wirkungen erzeugende Haftungsklage unter gewissen Umständen zu einem ähnlichen Ergebnis wie die in Art 232 EGV geregelte Untätigkeitsklage führen könne.161 Das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes verlangt, daß, wenn praktisch weder die Aufhebung noch der Erlaß von Verordnungen von Privaten erzwungen werden kann, mindestens der punktuell von ihnen verursachte Schaden ersetzt werden sollte. Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes durch innerstaatliche Gerichte regiert nach dem EuGH das Verhältnis der Unionshaftungsklage zu innerstaatlichen Rechtsmitteln. Die Zulässigkeit der Unionshaftungsklage kann in bestimmten Fällen von der Erschöpfung der innerstaatlichen Klagemöglichkeiten abhängig sein, mit denen die Aufhebung einer Entscheidung der nationalen Behörde betrieben werden kann; dazu ist allerdings erforderlich, daß die nationalen Klagemöglichkeiten den Rechtsschutz wirksam sicherstellen, indem sie zum Ersatz des geltend gemachten Schadens führen können.162 Dies war weder in „Unifrex“ noch in „De Boer Buizen“ der Fall, denn auch wenn die streitige Unionsregelung durch eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes im Rahmen eines nationalen Anfechtungsverfahrens für ungültig erklärt und die nationale Entscheidung aufgehoben würde, könnte eine solche Aufhebung ohne vorheriges Tätigwerden des Unionsgesetzgebers doch nicht die nationale Behörde zum vom Kläger beantragten positiven Tun verpflichten (höhere Währungsausgleichsbeträge, Erteilung von Ausfuhrlizenzen). Ebensowenig besteht eine innerstaatliche Rechtsschutzmöglichkeit, durch die der Geschädigte Ersatz für seinen Schaden hätte erlangen können, soweit die Haftung der nationalen Behörden vom Nachweis einer Pflichtverletzung der zuständigen Behörde abhängt und die einschlägige Unionsnorm wegen eines pflichtwidrigen Verhaltens der Unionsorgane für ungültig erklärt wurde.163 Andererseits steht das die Unions160 „Zuckerfabrik Schöppenstedt“ (1971) „Compagnie d’ approvisionnement“ (1972) „Merkur“ (1973). 161 „Holtz“ (1974). 162 EuGH, Rs. 96/71, Hägeman/Kommission, Slg. 1972, 1005; Rs. 281/82, Unifrex/ Kommission und Rat, Slg. 1984, 1969; Rs. 81/86, De Boer Buizen/Rat und Kommission, Slg. 1987, 3677; Rs. C-282/90, Vreugdenhil/Kommission, Slg. 1992, I-1937; EuG, Urteil vom 10.4.2003, Travelex Global and Financial Services Ltd, Interpayment Services Ltd/Kommission, Rs. T-195/00 Rn. 87. 163 EuGH Unifrex/Kommission und Rat, Rn. 12; Rs. C-119/88, AERPO u. a./Kommission, Slg. 1990, I-2189, Rn. 13; Rs. 81/86 De Boer Buizen/Rat und Kommission, Slg. 1987, 3677, Rn. 41.

C. Nichtigkeit, Wiedergutmachung und Haftung im Unionsrecht

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haftungsklage abweisende Urteil einer Schadensersatzklage derselben Kläger gegen ihren Staat nicht entgegen, die auf einen eigenen Amtsfehler oder ein eigenes vorwerfbares Verhalten der nationalen Behörden gestützt ist. Die Kläger hatten zwar in „Asteris“ die Zahlung der Beträge erlangen können, die ihnen nach dem Unionsrecht zustanden. Dies sollte ihnen jedoch nicht das Recht nehmen, den Ersatz des darüber hinausgehenden Schadens geltend zu machen, den sie dadurch erlitten hatten, daß sie diese Beträge infolge eines Amtsfehlers der nationalen Behörden nicht zu dem Zeitpunkt erhalten hatten, zu dem sie diese normalerweise hätten beanspruchen können. Die nationalen Klagemöglichkeiten können in vier Gruppen164 eingeordnet werden: Sie betreffen Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, wenn Beträge an mitgliedstaatliche Behörden ohne Rechtsgrund von einer Privatperson gezahlt wurden165 oder wenn vom Mitgliedstaat geschuldete Zahlungen an Privatpersonen nicht geleistet werden.166 Sie können sich ferner auf das Versagen einer Lizenz oder eines anderen spezifischen Administrativaktes seitens der mitgliedstaatlichen Behörden beziehen. Läßt sich der negative Bescheid nach nationalem Recht aufheben und führt die Aufhebung zur Erteilung der Lizenz bzw. zum Erlaß des Administrativaktes, ist der Weg zur Unionshaftungsklage gesperrt. Die letzte (vierte) Gruppe betrifft Fälle, in denen die rechtswidrige Maßnahme gemeinsam von Union und Mitgliedstaat erlaßen worden ist. Hier wird eine eventuelle Unionshaftungsklage während der Anhängigkeitsdauer eines Prozesses vor den nationalen Gerichten ausgesetzt.167 Geht die rechtswidrige Maßnahme allein auf Unionsorgane zurück, ist eine Klage nach Art. 288 Abs. 2 EGV zulässig.168 In der Rechtssache „Vreugdenhil“ (1992) hat der EuGH das Verhältnis von nationalen Rechtsbehelfen und Gemeinschaftshaftung eher als ein Verhältnis der Komplementarität als eins der Subsidiarität angesehen. Hier hatte die Klägerin mit ihrer beim niederländischen „College van Beroep voor het bedrijfsleven“ erhobenen Klage tatsächlich erreicht, daß die von der niederländischen Interventionsstelle zu Unrecht erhobenen Beträge einschließlich Zinsen zum gesetzlichen Satz zurückgezahlt und die Kosten des Verfahrens erstattet worden waren. Ein Mißbrauchsund Umgehungsverbot zieht dieser der Optimierung des Rechtsschutzes dienenden Komplementarität die Grenze. Die Unionshaftungsklage darf nicht dazu mißbraucht werden, um die Folgen eines rechtswidrigen Unionsaktes zu beseitigen bzw. zu neutralisieren, wenn dies durch Anfechtung von Umsetzungsmaßnahmen vor einem nationalen Gericht und anschließendes Vorabentscheidungs164 So die Einordnung bei Wils, Concurrent Liability of the Community and a Member State, ELR 1992, 191, 199 ff. 165 EuGH, Rs. 20/88, Roquette/Kommission, Slg. 1989, 1553, Rn. 15 f. 166 EuGH, Rs. C-119/88 AERPO/Kommission, Slg. 1990, I-2189. 167 EuGH, Verb. Rs. 5, 7 und 13-24/66 Kampffmeyer/Kommission, Slg. 1967, 332. 168 EuGH, Verb. Rs. C-104/89 und C-37/90 Mulder/Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061; Rs. C-282/90 Vreugdenhil/Minister van Landbouw en Visserij, Slg. 1992, I-1937.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

verfahren hätte herbeigeführt werden können.169 Dies führt dazu, daß, wenn es an einer direkten Anfechtungsmöglichkeit nach nationalem Recht fehlt, der Bürger sich unionsrechtswidrig verhalten muß, damit die hieran anschließenden Reaktionsmaßnahmen der nationalen Behörden vor dem nationalen Richter angefochten werden können.170 Nach dieser Konzeption wird der Unionsrichter die Unionshaftungsklage stets verneinen, solange eine Anfechtungsmöglichkeit vor dem nationalen Gericht besteht, die im Gegensatz zu einer Haftungsklage zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle der unionsrechtlichen Maßnahme führen würde.

D. Abstimmung von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz Nach alldem ist die Ausgestaltung des Bezugs der Haftung zum Aufhebungsrecht von den jeweiligen institutionellen Bedingungen abhängig. Alle drei nationalen Rechtsordnungen müssen die Staatshaftung in das Spannungsfeld zwischen objektiver Rechtskontrolle und subjektivem Rechtsschutz situieren. Der französische „recours pour excès de pouvoir“ und das englische Verfahren der „Application for Judicial Review“ (AJR) sind objektiv-rechtlich orientiert, während die entsprechenden Haftungsklagen in einem Verfahren „de pleine juridiction“ bzw. im Rahmen des Verfahrens der AJR, das alle Abhilfearten gegen die öffentliche Gewalt umfaßt, geltend gemacht werden und dem subjektiv-rechtlichen Schutz dienen („private law cause of action“, intérêt juridiquement protégé“). Dies macht deutlich, daß das Verhältnis von Aufhebung und Haftung nicht im Voraus in einer prinzipiell bestimmten Weise, sondern nach Maßgabe der Wirksamkeit des Rechtsschutzes zu regeln ist. Denn historisch vorgegebene Verfahren mit unterschiedlichen richterlichen Befugnissen lassen jeweils spezifische Lücken im nationalen System des Rechtsschutzes entstehen, die nur konkret geschlossen werden können. Das ist nichts anderes als der Sinn der Rechtsprechung des EGMR zu den Art. 6 und 13 EMRK. Unter diesem Aspekt ist auch das Verhältnis von Nichtigkeits- und Haftungsklage im Unionsrecht zu sehen. Im Gesamtkontext der zentralen und dezentralen Kontroll- und Rechtsschutzmechanismen bietet die Eigenständigkeit der Unionshaftungsklage in Verbindung mit einem Umgehungsverbot einen wirksameren Rechtsschutz als dies von einem grundsätzlichen Vorrang der Nichtigkeitsklage gewährleistet werden könnte. Unter dem Aspekt der erwähnten rechtlichen Rahmenbedingungen der Staatshaftung ist auch die Statuierung, Reichweite und Rechtfertigung von Dul-

169 Generalanwalt Tesauro in EuGH, Rs. C-63/89, Assurances du credit sa und compagnie belge d’assurance credit SA/Rat und Kommission, Slg. 1991, I-1799, Rn. 6-8. 170 Ebd., Rn. 9.

D. Abstimmung von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz

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dungspflichten zu sehen, die Infrastruktureinrichtungen dem Zugriff des negatorischen Rechtsschutzes entziehen. Damit ist die Problematik nicht-finaler Schäden und die Abstimmung von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz angesprochen. Gesetze bestimmen zumeist entweder Entscheidungsbedingungen für die Exekutive oder Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger, sie können aber oft keine Abstimmung beider Regelungen gewährleisten. Beide Regelungsziele kommen im Prinzip der Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck: einerseits in Art. 20 Abs. 3 GG in der Form des Vorrangs des Gesetzes unter dem Aspekt der Gesetzesbindung und andererseits u. a. in Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG in der Form des Vorbehalts des Gesetzes unter dem Aspekt des Rechtsschutzes. Sie tendieren deshalb zur Divergenz, weil ein die Verwaltung bindendes Gesetz nicht alle Rechtsbeeinträchtigungen im voraus berücksichtigen kann, die bei seinem Vollzug eintreten können. Nicht finale Schäden sind das Phänomen des Staatshaftungsrechts, das die Abstimmungsschwierigkeiten von Gesetzesvorrang und Gesetzesvorbehalt sichtbar und zugleich Einrichtungen nachträglicher Koordination unerläßlich macht. Die Frage lautet demnach, wie eine Haftungsnorm für den Fall von rechtlich mißbilligten nicht finalen Schäden staatlicher Tätigkeit auszusehen hat.

I. Problematik nicht finaler Schäden Spricht man von nicht finalen Schäden staatlichen Handelns, so bildet man eine zu allgemeine Fallgruppe, die ihr Verhältnis zum Primärrechtsschutz nicht thematisieren kann. Während es bei der Haftung für rechtswidriges Staatshandeln auf den Unterschied von intendierten und nichtintendierten Schäden nicht ankommt,171 sieht das bei nicht finalen Schäden erlaubten Staatshandelns anders aus. Rechtmäßiges Staatshandeln darf und soll nicht aufgehoben werden. Diese Konstellation wird vom enteignenden Eingriff betreut. Manche Autoren halten diese Konstruktion einer Haftung für rechtswidrige Folgen rechtmäßigen Handelns für unbefriedigend. Sie schließen von den Unrechtsfolgen zurück auf das Handeln selbst, sehen es ex post ebenfalls als rechtswidrig an und plädieren für eine schuldlose Unrechtshaftung.172 Andere weisen auf die Notwendigkeit hin, riskantes, doch sozial erwünschtes Handeln zu erlauben, das trotz der Unrechtsfolgen für rechtmäßig gehalten werden müsse.173 Hieran konnte der Vorschlag der Einführung einer Gefährdungshaftung im öffentlichen Recht angeknüpft werden. Das Bedürfnis für ein solches Institut ist stets mit der Begrün171 Etwa für den enteignungsgleichen Eingriff und den Grundhaftungstatbestand des § 1 Abs. 1 StHG-DDR Lühmann, § 1 Abs. 1 StHG in Herbst/Lühmann, Rn. 44, 46 f., 51. Zu Handlung und Unmittelbarkeit: Boujong, Zum Staatshaftungsrecht im Gebiet der früheren DDR, in: Lenz, Werner (Hrsg.), FS für Konrad Gelzer, 1991, S. 273, 277. 172 Siehe etwa Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 457, 459 f.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

dung abgelehnt worden, die Institute des enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs sowie der Aufopferung könnten diese Fälle betreuen. Dabei wird allerdings verkannt, daß der vor allem von Forsthoff ausgegangene Vorschlag174 geradezu den Sinn hatte, die erfolgte Erweiterung der Aufopferungsinstitute unnötig zu machen und statt dessen ein neuartiges Kriterium der Haftungsanknüpfung anzubieten. Denn anders als der BGH verlangte Forsthoff beim enteignenden und enteignungsgleichen Eingriff sowie bei der Aufopferung das Vorliegen eines zielgerichteten Eingriffs.175 Die unter Zugrundelegung seiner Ansicht entstehende Haftungslücke in den Fällen des „Querschlägers“, der „Zwangsimpfung“, des „feindlichen Grüns“, der „Mülldeponie“ und des „Rohrbruchs“176 sollte durch den eigenständigen Gefährdungshaftungstatbestand geschlossen werden. Die Schwäche dieses Vorschlags lag allerdings in der Ungeeignetheit des Gefahrbegriffs als Anspruchsgrundlage und somit am eigentlichen Fehlen von Anknüpfungskriterien. Die Thematisierbarkeit und Möglichkeit des negatorischen Rechtsschutzes ist das eigentliche, der Trennung von Erfolgs- und Handlungsunrecht sowie der Gefährdungshaftung zugrundeliegende Problem. Das kann man an der Diskussion über die Daseinsberechtigung des enteignenden Eingriffs nach dem Naßauskießungsbeschluß des BVerfG sehen. Zunehmend wird die These vertreten, die unter dieser Figur behandelten Fälle könnten mit den anderen vorhandenen Instituten (Enteignung, enteignungsgleicher Eingriff, Inhalts- und Schrankenbestimmung) verfassungskonform gelöst werden.177 Daß man Fälle, die bis auf die fünfziger Jahre zurückgehen, nach Verabschiedung des materiellen Enteignungsbegriffs und nach Maßgabe des heute geltenden Rechts anders lösen kann, ist klar. Daß atypische Eigentumsbeeinträchtigungen nicht nur als nicht regelungsfähige, sondern auch als nicht unmittelbare Beeinträchtigungen einzustufen sind, da sie keine typische Gefahr realisieren, ist vertretbar. Beim aktuellen Verständnis des enteignenden Eingriff kommt es aber darauf an, daß der Primärrechtsschutz legitimerweise bereits ausgeschlossen ist und Schäden dennoch „unfallartig“ entstanden sind. Die Frage ist, welche praktische Bedeutung der Annahme einer Rechtswidrigkeitshaftung oder der Konstruktion einer Haftung bei Rechtmäßigkeit zukommt. Dies erfordert den Bezug zum Rechtswidrigkeitsurteil im Aufhebungsrecht.

173 Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951, S. 117, 126 ff.; Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, 1955, S. 27. 174 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil, 1973, S. 359 ff. 175 Forsthoff 1973, S. 359. 176 BGHZ 20, 81; 9, 83; 54, 332; BGH NJW 1980, 770; BGHZ 55, 229. 177 So Külpmann, Enteignende Eingriffe? 2000.

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Das Aufhebungsrecht läßt eine rückwirkend eintretende Rechtswidrigkeit nicht zu. Im Anfechtungsprozeß gegen einen Verwaltungsakt für dessen Rechtmäßigkeit kommt es grundsätzlich auf den Sach- und Rechtsstand an, wie er sich im Zeitpunkt seines Erlaßes darstellte. Nachträglichen Änderungen kann die Behörde nach Maßgabe der Fehlerfolgenregelungen des VwVfG bis in den Verwaltungsgerichtsprozeß hinein bis zu einem bestimmten Grade Rechnung tragen. Der Standpunkt ex ante ist der Bezugspunkt des Rechtswidrigkeitsurteils auch im Polizeirecht. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme zur Gefahrenabwehr bei Gefahrenverdacht bzw. Vorliegen einer Anscheins- oder Scheingefahr wird von denjenigen Umständen ausgegangen, die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung erkennbar waren. Die getroffene Maßnahme wird nicht dadurch rechtswidrig, daß sich die Prognose, die ex ante objektiv gerechtfertigt erschien, im Lichte der weiteren Entwicklung als unzutreffend erweist. Die Rechtmäßigkeit wird in diesen Fällen mit der mangelnden Voraussehbarkeit der nachträglich eingetretenen mißbilligten Folgen gerechtfertigt. Die Tatsache, daß Geldausgleich trotz Rechtmäßigkeit der Maßnahme gewährt wird, läßt sich wiederum dadurch rechtfertigen, daß die Rechtsordnung die Nebenfolgen, also den nachträglich eingetretenen Zustand mißbilligt. Der Sinn dieser Mißbilligung vom Standpunkt ex post beschränkt sich nicht auf die Feststellung des Unwerts nachträglicher Rechtsbeeinträchtigungen. Er impliziert zugleich, daß die Voraussehbarkeit der Rechtsverletzung das Staatshandeln rechtswidrig gemacht hätte. Ein Aufgehen des enteignenden im enteignungsgleichen Eingriff würde eine innere Spaltung letzteren herbeiführen. Dieser müßte neben den Fällen der Verbindung von Handlungs- und Erfolgsunrecht auch die Konstellation der Haftung für rechtswidrige Folgen rechtmäßigen Handelns betreuen und noch extra signalisieren, daß die Handlung zulässig war und rückwirkend nicht angreifbar ist.178 Wenn Handlung und Erfolg haftungsrechtlich als ein einheitlicher und natürlicher Vorgang behandelt werden, müssen sie auf der Primärebene dennoch getrennt bleiben. Dies wird evident, wenn man bedenkt, daß eine Entschädigung nur dann in Betracht kommen darf, wenn ein Störungsabwehranspruch ausgeschlossen ist. Das ist der eigentliche Grund, warum das geltende Recht am Handlungsunrecht festhält. Das Abstimmungsproblem von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz kann man nur durch adäquate Berücksichtigung der Komplexität der Zeitdimension sowohl auf Aufhebungs- als auch auf Haftungsebene einer Lösung zuführen. Schäden etwa, die zum ersten mal eintreten, mögen zwar als untypisch und unvorhergesehen eingestuft werden. Treten sie jedoch in bestimmten Situationen immer wieder ein, können sie nicht mehr von der Zweckrationalität des Han178 Vgl. Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, 1997, S. 238 f.

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delns ignoriert werden. Es ist mittlerweile klar, daß Straßen ohne den Verlust von Grundstückszufahrten nicht gebaut werden können und daß Straßenverkehrslärmimmissionen oder Immissionen von Kläranlagen bzw. Flugplätzen nicht mehr als atypisch und unvorhersehbar behandelt werden können. In diesen Fällen muß die Erweiterung der Zweckrationalität durch die Einführung von Vergleichsgesichtspunkten vor bzw. bei der Entscheidung über Zwecke und Mittel erfolgen. Dies kann durch die Berücksichtigung von zulässigen Alternativen bei der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ebenso wie durch die Anlegung des Gleichheitssatzes als Rechtmäßigkeitsmaßstab geschehen. Dann müssen halt Maßnahmen, die nicht erforderlich sind oder ihre typischen ungleichen Auswirkungen auf Eigentumspositionen Dritter nicht begründen können, als rechtswidrig angesehen werden. Hier ist Art. 3 GG als Rechtmäßigkeitsmaßstab, nicht als Haftungsvoraussetzung heranzuziehen. Denn die Lösung des Abstimmungsproblems kann nicht in einem Ausbau des Sekundär- zulasten des Primärrechtsschutzes, sondern vielmehr in einer Anpassung des präventiven und negatorischen Rechtsschutzes an die Komplexität der Zeitdimension liegen. Dem Gesetzgeber ist dementsprechend abzuverlangen, der als einer bloßen Möglichkeit existierenden späteren Schadensentwicklung durch Ausgleichsregelungen und verfahrensrechtlich rechtzeitig bereitgehaltene Rechtsschutzmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Das im Vorrang des Primärrechtsschutzes zum Ausdruck kommende Kopplungsverhältnis von Aufhebung und Haftung bringt es mit sich, daß das haftungsrechtliche Rechtswidrigkeitsurteil nicht unabhängig von der Rechtswidrigkeit im Anfechtungsprozeß gefällt werden kann. Dies macht klar, wodurch die scheinbare Einfachheit der Lösung einer Erfolgsunrechtshaftung erkauft werden muß: durch die Komplikation der Verdoppelung des Rechtswidrigkeitsbegriffs.179 Sie muß eine Haftung wegen Rechtswidrigkeit (Erfolgsunrecht) bejahen, obwohl weder Anfechtungschancen noch Anfechtungslast je bestanden haben. Eine unter diesem Gesichtspunkt bessere Alternative liegt darin, eine Rechtswidrigkeitshaftung anzunehmen, die aber den Grund für die Nicht-Anfechtbarkeit der staatlichen Tätigkeit auf Primärebene (d. h. die mangelnde Voraussehbarkeit der rechtswidrigen Folgen) durch eine hypothetische Konstruktion erkennen lassen kann. Eine Haftung wird hiernach dann ausgelöst, wenn der negatorische Rechtsschutz nur wegen der mangelnden Voraussicht nachträglicher Rechtsverletzungen unmöglich war und eine Voraussicht der Rechtsverletzungen das Verhalten anfechtbar gemacht haben würde. Das ist im Grunde eine Haftung für hypothetisches Handlungsunrecht180, bei der aber schließlich ge179 Dies gilt für alle Ansätze, die den enteignenden Eingriff, mit welcher Begründung auch immer, im Ergebnis dem Staatsunrecht zuordnen, wie etwa Külpmann 2000, Röder, Die Haftungsfunktion der Grundrechte, 2002 oder Grzeszick 2002. 180 Siehe die Formulierung des § 2 im Staatshaftungsgesetz-Vorschlag von Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, 1965, S. 233.

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nauso wie beim enteignenden Eingriff ermittelt werden muß, ob die Schadensfolge wirklich unvorhersehbar und/oder unvermeidbar war und das Handeln wirklich nur aus diesem Grunde erlaubt worden war.

II. Lösungen durch Haftungsobjektivierung: Sonderopfer, „présomption de faute“, „strict liability“ Die Beschreibung der Problematik nicht finaler Schäden ging bislang vom deutschen Verständnis des Vorrangs des Primärrechtsschutzes aus. In Rechtsordnungen, in denen dieser Grundsatz in dieser strengen Form nicht gilt, werden nicht-finale Schäden ohne Thematisierung der Alternative von Handlungs- oder Erfolgsunrecht mit Hilfe von Instrumenten der Haftungsobjektivierung bewältigt. Diese bezieht sich auf die nicht-finalen Schäden sowohl fehlerhaften als fehlerfreien Handelns. Das französische Recht kennt drei Objektivierungsgrade der Haftung, ausgehend von der objektivierten Haftung für „faute“ über die Haftung für „faute présumée“ bis hin zur Haftung „sans faute“. Die Haftung für objektivierte „faute“ wird somit als haftungsrechtliches Pendant zum enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriff und deren nicht finalen Schäden herangezogen. Das englische Recht kennt seinerseits verschiedene Tatbestände von „strict liability“, die ebenfalls über die vom enteignenden Eingriff betreuten Fallgruppen hinausgehen.

1. Objektivierung von „faute“, „faute présumée“ und „préjudice spécial et anormal“ Das französische Recht hat in allen Phasen seiner Entwicklung im Lastengleichheitsgrundsatz den Rechtsgrund für die Entwicklung einer objektiven Haftung ohne „faute“ im öffentlichen Recht gesehen. Hierzu gehören auch die Fälle, die aus deutscher Sicht unter der Rubrik „Gefährdungshaftung“ diskutiert werden. In der einschlägigen Rechtsprechung des Conseil d’Etat orientiert sich allerdings die Haftungsanknüpfung nicht am Gefahrbegriff („risque“) selbst, der keine Anspruchsgrundlage darstellen kann, sondern an bereichsspezifischen Kriterien, die Prognosemöglichkeiten zur Zeit der Entscheidung und Betrachtung ex post zugleich berücksichtigen. Es geht um die fallbezogene Bestimmung der Anormalität und Spezifizität des durch den Staat verursachten Schadens, also um die Zufügung eines „Sonderopfers“. Unter dem Rechtsgrundsatz „responsabilité pour risque“ findet man die Haftung des Staates für Unfallschäden von Hilfspersonen der Verwaltung, die objektive Haftung für den Einsatz gefährlicher Geräte und Stoffe, für die Anwendung gefährlicher Methoden, für Unfälle durch Energie-, Gas- und Wasserleitungen und für Unfallschäden durch öffentliche Arbeiten. Auch Zufallsschäden im medizinischen Bereich gehören hierzu,

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

solange das Staatshandeln als direkte Ursache eines schwerwiegenden Schadens anzusehen ist, der sich als außergewöhnliche Verwirklichung einer bekannten Gefahr darstellt. Die Besonderheit der französischen Tatbestände der Haftung „sans faute“ ist nicht eine angebliche Fixiertheit auf den Gefahrbegriff. Vielmehr ist sie darin zu sehen, daß sie auf eine Beurteilung der Behördenbetätigung am Maßstab einer – sei es auch objektiven – Verfehlung („faute“) gänzlich verzichtet. Die Verwaltung haftet, sie wahrt aber bei gleichzeitiger Einflußnahme auf ihr Sorgfalts- und Aktivitätsniveau ihr Gesicht. Seinerseits hat der Geschädigte lediglich das Kausalverhältnis sowie die Spezialität und Anormalität des Schadens nachzuweisen. Aus eben diesem Grunde läßt sich auch die herkömmliche Haftung für „risque“ von einer Renaissance der Haftung für „faute“ auf der Grundlage des Vorsichtsprinzips („principe de précaution“) nicht verdrängen.181 Ferner finden sich objektive Haftungsstrukturen im Bereich der Haftung für „présomption de faute“. In der Rechtsprechung des Conseil d’État182 ist die „présomption de faute“ – abgesehen von der gesetzlichen Regelung der Haftung für Impfschäden und (administrative) Verkehrsunfälle, wo die Haftung stets auf eine „faute présumée“ gestützt wird („jeu systematique de la présomption“) – auf den Einzelfall zugeschnitten („jeu occasionnel de la présomption“).183 Es ist vom Einzelfall abhängig, ob die Vermutung zu einer Umkehr der objektiven Beweislast (actori incumbit probatio) oder lediglich zu einer Verschlechterung der Beweissituation der Behörde führt. Bei der Haftung für „travaux publics“ bzw. „ouvrages publics“ kommt es für eine Amtsfehlerhaftung infolge einer „faute présumée“ auf die Eigenschaft des Geschädigten als Benutzer oder Dritter an. Eine „faute“ kommt nur in Betracht, wenn das Opfer als Benutzer zu qualifizieren ist. Die Bedeutung der Benutzereigenschaft wird darin gesehen, daß der Benutzer (z. B. Autofahrer) von der öffentlichen Einrichtung profitiert und daher die dem normalen Betrieb inhärenten Gefahren selbst zu tragen hat oder daß er diese Gefahren durch die nähere Beziehung zur Einrichtung in Kauf nimmt. Die Benutzer müssen bei Unfallschäden nur den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden und den öffentlichen Arbeiten bzw. Einrichtungen führen. Der Conseil d’Etat nimmt hier eine Beweislastumkehr vor, denn die Behörde muß einen vollen Gegenteilsbeweis antreten.184 Der Begriff „défaut d’entretien“ ist noch objektiver als der Begriff 181 Wie Kourilsky und Viney in ihrem „rapport au premier ministre“ zum Thema „Le principe de précaution“, 2000, S. 181 ff., 182 feststellen. 182 Rép. resp. puiss. publ.: Stichwort „faute de service“, Rn. 344 ff. 183 Rép. resp. puiss. publ., Rn. 353, 358–360; Llorens-Fraysse, La présomption de faute dans le contentieux administratif de la responsabilité, 1985, S. 237 ff. behandelt diese Fälle unter der Sonderrubrik „présomptions du fait du juge“. 184 CE, 18.1.1991, SA Alta, RDP 1991, 1441; CE, 14.3.1969, Ville de Marseille, Rec. 266.

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„faute“ in der Haftung für „faute“ ausgerichtet. Entscheidend ist weniger das behördliche Verhalten als der Zustand der öffentlichen Einrichtungen oder Bauten, der eine Benutzung gefährlich macht. Der Richter untersucht, ob ungewöhnliche Gefahren für den normalen Benutzer vorhanden waren, er untersucht nicht, ob die Verwaltung gut oder schlecht funktioniert hat. Der von der Verwaltung zu erbringende entlastende Nachweis eines fehlenden „défaut d’entrétien“ ist somit ein Nachweis fehlender Kausalität. Anders als normalerweise in den Fällen der Haftung für „faute“ kann sich die Verwaltung mit Hilfe einer Berufung auf das Verschulden dritter Personen („fait du tiers“) gegenüber dem Schadensersatzanspruch des Benutzers nicht entlasten.185 Im Bereich der Haftung wegen mangelhafter Aufsichtsführung, wenn namentlich bei Beaufsichtigung von geistig Kranken oder Schülern keine konkrete Bewachungspflichtverletzung („défaut de vigilance“) gegeben ist, muß die Behörde nicht das Gegenteil der Vermutung einer fehlerhaften Aufsicht („défaut de surveillance“) beweisen, sondern einen anderweitigen Umstand als möglich dartun, der diese Vermutung erschüttert. Dies kann ihr etwa dann gelingen, wenn sie nachweist, daß die zu beaufsichtigende geistig kranke Person unberechenbar war186 oder daß äußere Umstände die von der Person vorgenommene schädigende Handlung ermöglichten.187 Gegenüber minderjährigen Vollwaisen, die sich unter staatlicher Vormundschaft befinden, haftet der Staat, der an sich nach zivilrechtlichen Grundsätzen wie die Eltern für ihre Kinder „de plein droit“188 haften sollte, ebenfalls auf der Grundlage einer „présomption de faute“.189 Die Zivilgerichte beziehen hier die Haftung auf das Prinzip der „garde“ (Obhut, Sorgerecht),190 während der Conseil d’Etat auf „présomption de faute“ oder „risque“ rekurriert. Letzteres ist bei der Anwendung liberaler Erziehungsmethoden oder bei der strafrechtlichen Verurteilung bzw. Beschuldigung von Minderjährigen der Fall.191 Wenn der Minderjährige bereits verurteilt ist und Dritte schädigt, wird die Staatshaftung „automatisch“ ausgelöst. Der „risque“ wird in diesem Fall gleichsam „vermutet“. Wenn die Schäden hingegen durch einen unter Anklage stehenden Minderjährigen verursacht werden, 185 CE, 24.1.1990, Université des sciences et techniques de Lille, RDP 1990, 1445; Paillet, La responsabilité administrative, 1996, S. 104. 186 CE, 26.7.1985, CHS de Chazal-Benoit c/Cendrier, RDP 1986, 897. 187 CE, 25.7.1986, CH de Mulun c/Mensdorff, RDP 1987, 466. 188 Cass. civ. 2e, 19.02.1997, Bertrand c/Domingues, Bull. civ. 1997. II. 56; JCP 1997. II. 22848. 189 CE, 19.10.1990, Ingremeau, Rec. 284. Bon, La responsabilité du fait des personnes dont on a la garde: sur un rapprochement des jurisprudences administrative et judiciaire, RFDA 1991, 991, 995 f. 190 Blin-Franchomme, Le critère de „garde“ des personnes au regard du principe général de responsabilité civile du fait d’autrui, Petites Affiches, 1997, Nr. 141, 5 ff. 191 CE, 5.12.1997, Garde des Sceaux, Ministre de la Justice c/M. Pelle, RFDA 1998, 573.

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muß sich die haftungsbegründende Gefährlichkeit der vom Staat angewandten Methode aus der Akte konkret ergeben und nachgewiesen werden.192 In den Fällen der Haftung öffentlicher Krankenhäuser für „faute“ verfügt die Behörde sogar nur theoretisch über eine Befreiungsmöglichkeit. In der Rechtsprechung wird explizit keine Möglichkeit des Gegenteils- bzw. Gegenbeweises erwähnt und in der Literatur geht man davon aus, daß dieser praktisch nicht gelingen kann.193 Historisch wurde die Technik der Vermutung in diesem Bereich zunächst – und bis zu deren gesetzlichen Regelung – bei den Zwangsimpfungen herangezogen.194 Von praktischer Bedeutung ist sie ferner bei Verursachung gravierender und unerwarteter Gesundheitsstörungen, die durch ganz übliche Behandlungsmethoden verursacht werden.195 Ein drittes Anwendungsfeld der „présomption de faute“ betrifft die heilbehandlungsbedingte Übertragung von Krankheiten im Krankenhaus („infections nosocomiales“).196 Zunächst hatte der Conseil d’Etat dem öffentlichen Krankenhaus noch die Möglichkeit zugestanden, nachzuweisen, daß Träger verschiedener ansteckender Krankheiten voneinander hinreichend isoliert behandelt worden waren.197 Später hat er aber entschieden, daß die „présomption de faute“ auch dann unerschüttert bleibt, wenn alle Hygiene- und Keimfreiheitsbedingungen eingehalten worden waren und kein anderer Infektionsfall eingetreten war.198 Ähnliches gilt bei unerwarteten Gesundheitsschäden infolge einer üblichen, unproblematischen Behandlung, da das Krankenhaus auch dann haftet, wenn die Ursache des Unfalls unbekannt bleibt.199 Schließlich sind die „présomptions de faute“ zu erwähnen, die einen Organisationsfehler „offenbaren“.200 Unter diesen Bedingungen kommt der tatsächlichen Vermutung die Funktion einer unwiderleglichen gesetzlichen Vermutung zu, die aus der Haftung öffentlicher Krankenhäuser der Sache nach eine objektivierte Haftung „sans faute“ macht. Der Conseil d’État bedient sich allerdings nach wie vor in diesem Bereich der Begrifflichkeit und der Instrumentarien der Haftung für „faute“. Der Haftungsobjektivierung trägt 192 Dietsch, Observations sous CE, 5.12.1997, Garde des Sceaux, Ministre de la Justice c/M. Pelle, RFDA 1998 574, 575. 193 Vedel/Delvolvé, Droit administratif, Bd. 1, S. 594; Paillet 1996, S. 107. 194 CE, 7.3.1958, Dejous, Rec. 153. 195 CE, 23.2.1962, Meier, Rec. 122: Lähmung eines Gliedes, die durch intravenöse Spritze ausgelöst wurde. 196 CE, 19.2.1992, Musset, RDP 1993, 253: Einführung eines Keimes im Laufe einer Arteriographie. 197 CE, 25.1.1974, CH Ste-Marthe-d’Avignon, Rec. 64. 198 CE, 1.3.1989, Bailly, RDP 1990, 1166. 199 CE, 31.10.1990, M. et Mme Pelletier, RDP 1991, 1446. 200 CE, 15.4.1983, Ep. Rousseau, D 1984, 156: Ein stationär behandeltes kleines Kind wurde in ein normales Bett schlafen gelegt, von dem es herunter gefallen ist. Es geht um Tatsachen, deren Vorhandensein „révèle une faute dans l’organisation ou le fonctionnement du service“.

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er dadurch Rechnung, daß er unter der Geltung der Untersuchungsmaxime eine Mitwirkungspflicht der Behörde im Sinne der – ohnehin sehr schwierigen – Führung des Gegenteilsbeweises praktisch nicht entstehen läßt.201 Auch ohne eine Vorrangstellung des Primärrechtsschutzes nimmt das französische Recht schließlich bei nicht finalen Schäden rechtmäßigen Handelns besondere Wertungen vor, obwohl es sowohl bei rechtswidrigem als auch bei rechtmäßigem Handeln eine Objektivierung der Haftung kennt. Der Geschädigte kann nach den Grundsätzen der Haftung für „faute“ unabhängig von einem besonderen Schadenscharakter, also ohne Rücksicht auf die Besonderheit und Intensität des Schadens entschädigt werden. Demgegenüber setzt eine Entschädigungspflicht bei erlaubtem Handeln ein Sonderopfer voraus. Dieses „préjudice spécial et anormal“ ist das kennzeichnende Merkmal der Haftung für „situations non fautives“, die in die Haftung für „risques“ und in die Haftung für „dommages permanents des travaux publics“ zerlegt werden. Die Haftung für „risques“ ist der prominenteste, aber nicht der einzige Fall objektiver Haftung; sie ist im Zusammenhang mit den spezifisch haftungsrechtlichen Zurechnungskriterien unter der Rubrik des Sonderopfers im vierten Teil zu untersuchen. Die Haftung für „dommages permanents“ betrifft die nicht-finalen Schäden, die keine Unfälle, sondern die vorhersehbare, aber natürliche und unvermeidliche Konsequenz der Durchführung öffentlicher Arbeiten oder der Präsenz öffentlicher Werke sind. Diese „dommages“ beeinträchtigen in erster Linie das Eigentum („troubles de juissance“, „préjudices commerciaux“). Sie werden aus diesem Grunde im Folgenden im Zusammenhang mit dem haftungsrechtlichen Eigentumsschutz behandelt. Sie umfassen aber auch Eingriffe in Leben und Gesundheit („préjudices corporels“). Da übrigens die Haftungsbegründung vom Schadensnachweis und nicht von der Verletzung eines subjektiven Rechts abhängt, deckt das Haftungsinstitut den Anwendungsbereich sowohl des enteignenden Eingriffs als auch des Aufopferungsanspruchs im engeren Sinne ab. 2. „Strict liability“ Im englischen Recht gibt es eine Reihe älterer Torts, die eine „strict liability“ begründen. Sie verzichten sowohl auf Fahrlässigkeit als auch auf Vorsatz. „Trespass to land“ löst eine Haftung auch dann aus, wenn der Beklagte die tatsächlichen Besitz- und Eigentumsverhältnisse ignoriert. Es wird lediglich „intention“ i. S. einer bewußten, vom Willen getragenen Handlung gefordert. Bei „nuisance“ entsteht die Haftung in einigen Fällen, insbesondere bei Hinderung der Straßennutzung ohne Nachweis von Verschulden. „Conversion“ kann auch gegen gutgläubig Handelnde eingesetzt werden. Und bei „defamation“ kann die 201

Chapus, Droit administratif, Bd. 1, 1995, Rn. 1255 B, 1257 b).

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Haftung begründet werden, selbst wenn der Beklagte nicht die Absicht hatte, den Kläger zu verleumden bzw. nicht fahrlässig gehandelt hat. Er trägt gewissermaßen die Gefahr seiner Publikation. Der Gedanke der schuldlosen, an rechtmäßiges Handeln anknüpfenden Haftung kommt aber vor allem in der Entscheidung Rylands v. Fletcher zum Ausdruck: Wer für eigene Zwecke auf seinem Grundstück Stoffe lagert, die im Falle ihres Entweichens Schaden anrichten, haftet prima facie für denjenigen Schaden, der die natürliche Folge dieses Entweichens ist.202 Die Regel in „Rylands v. Fletcher“ konnte eigentlich keine wirkliche Anwendung auf öffentlichrechtliche Entschädigungsfälle finden. Denn die übliche Nutzungsart eines Grundstücks sowie die Nutzungen, die einem öffentlichen Zweck dienen, lösen keine Gefährdungshaftung aus.203 Die Erfüllung eines öffentlichen Zwecks wurde etwa bei Energieversorgungsbetrieben und Wasserwerken angenommen, die aus dem Anwendungsbereich von Rylands v. Fletcher herausgenommen wurden. Die Gerichte hätten die Haftungsregel in Konstellationen ohne weiteres heranziehen können, in denen der Gesetzgeber der Verwaltung Ermessen gewährt und bei Verursachung von Störungen und Immissionen („nuisance“) eine Haftung vorsieht. Solche Klauseln, die „liability in nuisance“ vorsehen, sind allerdings dahingehend interpretiert worden, die Haftung nur dann zuzulassen, wenn die Behörde fahrlässig gehandelt hat. Die Möglichkeit einer „strict liability“ ist somit ausgeschlossen worden. Beim Fehlen einer derartigen Klausel, kann ohnehin keine Haftung der Behörde für ihre Ermessensausübung begründet werden („no nuisance section, no liability“). Im Falle gebundener Verwaltungsentscheidungen hingegen besteht keine Haftung, wenn die Behörde kein Verschulden trifft und die schädigende behördliche Betätigung vom Gesetz explizit verlangt oder mit der vom Gesetz vorgeschriebenen Tätigkeit angemessen verbunden war („reasonably incidental to (the statutory) requirement“).204 Ein Wasserunternehmen, das nicht nur gesetzlich befugt war, Wasserrohre zu legen, sondern auch gesetzlich zu ununterbrochener Wasserversorgung verpflichtet war, wurde für einen Rohrbruch nicht haftbar gemacht. Der hierbei verursachte Schaden wurde als unvermeidliche Folge der Pflicht zur Sicherung einer konti202

Rylands v. Fletcher (1868) L.R. 3 H.L. 279, 280. Die klassische und lehrbuchmäßige Formulierung der „rule in Rylands v. Fletcher“ ist wie folgt: „We think that the true rule of law is, that the person who for his own purposes brings on his lands and collects and keeps there anything likely to do mischief if it escapes, must keep it in at his peril, and, if he does not do so, is prima facie answerable, for all the damage which is the natural consequence of his escape“. Winfield/Jolowicz 1998, S. 539. 203 „It must be some special use bringing with it increased danger to others and must not merely be the ordinary use of the land or such as is proper for the general benefit of the community“ Rickards v. Lothian [1913] A.C. 263, 279–280 per Lord Moulton. Siehe ferner Cambridge Water Co. v. Eastern Counties Leather plc [1994] 2 A.C. 264, 308: Die Regel findet auf „ordinary uses of the land“ keine Anwendung. 204 Craig, Administrative Law, 1999, S. 884 mit Hinweis u. a. auf Department of Transport v. North West Water Authority [1984] A.C. 336, 359.

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nuierlichen Wasserversorgung gewertet. Das Gesetz befreite das Unternehmen „by necessary implication“ von der Haftung für verschuldensunabhängige unvermeidbare Schäden.205 Demgegenüber wurde ein anderes Wasserunternehmen unter ähnlichen Umständen haftbar gemacht. Der Unterschied lag darin, daß das zweite Unternehmen Wasser für Industriezwecke liefern sollte und gesetzlich nicht verpflichtet war, die Rohre ständig mit Hochdruckwasser zu versorgen.206 Die Haftungsfreizeichnung der öffentlichen Verwaltung wird mit zwei Gründen gerechtfertigt: Erstens wird der verursachte Schaden als unvermeidbar angesehen; wollte man ihn vermeiden, müßte man die gesetzlich vorgeschriebene Tätigkeit unterlassen. Solange das Gesetz eine Tätigkeit vorschreibt, gelten die mit ihr unzertrennlich verbundenen Nebenwirkungen bei sinngemäßer Gesetzesauslegung oder sogar explizit als vom Gesetz gedeckt.207 Hiermit hängt auch die Funktion des Verteidigungsmittels des „gesetzlich befugten Verwaltungshandelns“ („defence of statutory authority“) zusammen: Es bewirkt ein Entfallen der Rechtswidrigkeit der Verursachung und somit auch des „Tort“-Tatbestands. Zweitens setzt die Haftungsregel in „Rylands v. Fletcher“ voraus, daß der Schädiger für eigene Zwecke gefährlich handelt; da die Verwaltung von Haus aus im Interesse des Gemeinwohls handelt, kann die Regel auf sie keine Anwendung finden.208 In der Literatur wird diese Rechtsprechung kritisiert. Diese beiden Gründe hätten zu Unrecht „strict liability“ auf ungewöhnliche Eigentumsnutzungen und soziale Aktivitäten beschränkt und die Entwicklung einer Rechtsprechung zur Haftung der öffentlichen Gewalt für rechtmäßiges Handeln im Keim erstickt. Vor allem verbaute man sich auf der Grundlage der Regel in „Rylands v. Fletcher“, die einen „non-natural user“ voraussetzt, die Möglichkeit, einen Zusammenhang zwischen üblichen, normalen Aktivitäten und der Haftung für ihre Nebenwirkungen herzustellen. Ferner konnte man nicht einsehen, daß es geradezu wegen der Tatsache, daß die öffentliche Verwaltung das Gemeinwohl fördern soll und nicht eigene Zwecke verfolgt, ungerecht ist, dem einzelnen die Kosten des ihn treffenden schädlichen Unglücks zuzumuten, anstatt sie auf die Gemeinschaft, die von der gefährlichen, autorisierten Tätigkeit profitiert, zu verteilen. Aus diesem Grunde wird die Initiative des Gesetzgebers, Tatbestände verschuldensunabhängiger Haftung für rechtmäßiges Handeln einzuführen, begrüßt.209 Nach der gesetzlichen Regelung der Haftung im Bereich

205 Green v. Chelsea Waterworks Co. (1894) 70 L.T. 547 zitiert nach Winfield/Jolowicz 1998, S. 553. 206 Charing Cross Electricity Co. v. Hydraulic Power Co. [1914] 3 K.B. 772 zitiert nach Winfield/Jolowicz 1998, S. 553. Siehe ferner die Besprechung ebd., S. 554. 207 Smeaton v. Ilford Corp. [1954] Ch. 450, 475–477. 208 „Public Bodies act for the general public benefit not for their own purposes“. Siehe hierzu den Court of Appeal in Dunne v. Notth Western Gas Board [1964] 2 Q.B. 806. Lewis, Judicial Remedies in Public Law, 2000, S. 448. 209 Craig 1999, S. 884 f.

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der Betriebe der Daseinsvorsorge käme das Prinzip aus Rylands v. Fletcher ohnehin nur noch subsidiär zur Anwendung.210 Auf die Problematik der Haftung für Schäden, die durch „public works“ verursacht werden, ist noch im Zusammenhang mit dem Eigentumsschutz einzugehen. „Strict liability“ kann schließlich mit Hilfe eines weiteren Tort, nämlich des „breach of statutory duty“ begründet werden. Dieses Delikt kann verschuldensabhängig sein oder aber eine verschuldensunabhängige Haftung begründen, je nachdem ob die verletzte Norm Verschulden verlangt oder nicht. Im zweiten Fall löst lediglich der Verstoß gegen die Norm beim Vorliegen von Schaden und Kausalzusammenhang eine Haftung aus. Einige Gesetze sehen selbst Schadensersatz im Falle ihrer Verletzung vor. Die Regel ist, daß ein Gesetz ausschließlich durch die Rechtsmittel durchgesetzt werden darf, das es selbst vorsieht. Beim Schweigen des Gesetzgebers geht das House of Lords restriktiv vor. Es kommt auf die hypothetische Intention des Gesetzgebers an. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber bestimmte Individuen schützen wollte, reicht an sich nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. „Something more“ muß dazu kommen.211 Dieses zusätzliche Erfordernis kann in der legislativen Absicht liegen, einen zivilrechtlichen Rechtsbehelf zu gewähren. In den Fällen, in denen die gesetzliche Vorschrift ein „public right“ verleiht, kann ein Schadensersatzanspruch entstehen, wenn der Kläger einen besonderen Schaden erlitten hat, der über den Schaden hinausgeht, der dem Rest der Bürger entstanden ist.212 Jedenfalls kann eine Gefährdungshaftung durch „breach of statutory

210 So sieht der Gas Act 1965 (section 14) in der Fassung durch den Gas Act 1986 eine verschuldensunabhängige Haftung für alle Schäden vor, die im Zusammenhang mit der unterirdischen Speicherung von Gas entstehen. Der Water Industry Act 1991 (section 209), der den Water Act 1981 (section 6) ersetzte, macht die Unternehmen der Wasserversorgung, soweit sie nicht bereits privatisiert sind, für Schäden die durch Entweichen von Wasser aus Rohren verursacht werden, haftbar. Der Nuclear Installations Act 1965 statuiert eine verschuldensunabhängige Haftung der United Kingdom Atomic Energy Authority und die von dieser lizenzierten Unternehmen für Schäden haftbar, die bis zum Ablauf von 10 Jahren nach Austreten von radioaktiven Stoffen vorliegen und 20 Millionen Pfund nicht übersteigen. Für Schäden, die nach Ablauf der Zehnjahresfrist eintreten oder die Haftungsgrenze übersteigen, haftet die Krone. 211 „(I)t must always be a matter for consideration whether the legislature intended that private law rights of action should be conferred upon individuals in respect of breaches of the relevant statutory provision. The fact that a particular provision was intented to protect certain individuals is not of itself sufficient to confer private law rights of action upon them, something more is required to show that the legislature intended such conferment“: R. v. Deputy Governor of Parkhurst Prison, ex p. Hague [1992] 1 AC 58, 170-1. 212 Das ist der Fall, „where the statute creates a public right (i. e. a right to be enjoyed by all those of Her Majesty’s subjects who wish to avail themselves of it) and a particular member of the public suffers (. . .) (a) ,particular, direct and substantial‘ damage ,other and different from that which was common to all the rest of the public‘“: Lonrho Ltd. v. Shell Petroleum Co. Ltd. (Nr. 2) [1982] AC 173, 182, HL,

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duty“ begründet werden, allerdings herrscht Unsicherheit darüber, wann ein Schadensersatzanspruch in der Intention des Gesetzgebers liegt.213

III. Eigentum Unter dem Stichwort des Bestands- und Wertschutzes bietet das Eigentumsrecht die Paradebeispiele für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Aufhebung und Haftung unter dem Aspekt nicht-finaler Schäden. Verfassungs- und staatsorganisationsrechtliche Unterschiede wirken sich auch auf den Eigentumsschutz aus. Anhand der deutschen Diskussion zur Bedeutung der Schwellentheorien lassen sich die hohen Rechtfertigungsanforderungen und anspruchsvollen Ausgleichsregelungen behandeln, die dem bereits herausgearbeiteten Eigentumsschutz gemäß der EMRK gerecht werden und in den nationalen Rechtsordnungen Geltung beanspruchen. Die zwei wichtigsten Instrumente der Nutzungsbeschränkung im französischen Recht sind die „servitudes administratives“ und die Thematik der „travaux publics“. Eigentumsbeeinträchtigungen bei Konstruktion und Betrieb von „public works“ ist auch die thematische Grundlage der Entschädigung bei Nutzungsregelungen im englischen Recht, wobei historisch ein starker Bezug zur Enteignung besteht. 1. Eingriffe und Entschädigung Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz beruht in Frankreich auf dem Zusammenspiel dreier verschiedener Texte: der Verfassung von 1958, der Präambel von 1946 und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (Art. 2 und Art. 17 der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen). Der Conseil Constitutionnel hat das Eigentum als verfassungsrechtliche Institutsgarantie anerkannt,214 die er aus Art. 2 Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen herleitet.215 Es gebe einen Eigentumsbereich „champs de la propriété privée“, in den nicht mal der Gesetzgeber eingreifen dürfe.216 Andererseits bestimmt Art. 34 der Verfassung von 1958, der die durch Parlamentsgesetz zu per Lord Diplock. Besprechung bei Winfield/Jolowicz 1998, S. 258 f. mit Hinweis auf Benjamin v. Storr (1874) L.R. 9 C.P. 400, 407. 213 Mit britischer Beiläufigkeit bemerkt Lord Denning M. R. hierzu: „you might as well toss a coin to decide it“, zitiert nach Winfield/Jolowicz 1998, S. 259. 214 CCons., déc. No 81-132 DC, 11.02.1982, (Loi de nationalisation), Rec. 131. Hierzu Leonard, De la constitutionnalité des nationalisations, Gaz. Pal. 1981, 440; Chartier, Les nationalisations. Problèmes juridiques en France et dans le Monde, Gaz. Pal. 1981, 448; de Villiers, Du principe des nationalisations – Contrôle minimal de constitutionnalité et erreur manifeste, Rev. adm. 1982, 153. 215 CCons., déc. No 81-132 DC, 16.01.1982, Considérant Nr. 16. Hierzu Colly, RDP 1988, 135. 216 CCons., déc. No 81-132 DC, 11.02.1982, Considérant Nr. 20.

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regelnden Bereiche enumerativ aufführt, daß der Gesetzgeber die „principes fondamentaux“ des Eigentumsrechts festlegt.217 Kennzeichnendes Merkmal der Enteignung ist der Eigentumsentzug, die „privation“, die gemäß Art. 17 der Menschenrechtserklärung nur aufgrund einer öffentlichen Notwendigkeit erfolgen darf. Eine „privation“ kann ausnahmsweise dann vorliegen, wenn der Eingriff zu einer Denaturierung und Entleerung des Eigentumsrechts führt.218 Bei den „servitudes administratives“219 geht es im französischen Recht um durch oder aufgrund Gesetzes herbeigeführte Eigentumsbeschränkungen, die weder einen Rechtsträgerwechsel noch einen Besitzentzug zur Folge haben. Nur wenn die Schwelle der noch zumutbaren Störung („gêne supportable“) für den Betroffenen überschritten wird, kommt eine „privation“ im Sinne von Art. 17 der Menschenrechtserklärung in Betracht.220 Die „servitudes administratives“ werden als Instrument der Konfliktvermeidung im französischen Umweltrecht in Anspruch genommen. In Schutzzonen, die um die emittierenden Anlagen geschaffen werden, können alle Bauvorhaben mit nutzungsbeschränkenden Auflagen belegt werden. (z. B. Einhalten bestimmter Abstände, Schallschutz oder sogar Bauverbot). Es handelt sich stets nur um Maßnahmen des passiven Schutzes gegen Störungen, welche die Störungsquelle unberührt lassen. Im Baurecht statuiert Artikel L 160-5 C. urb. das Prinzip der Nichtentschädigung der städtebaulichen Servitute („principe de non-indemnisation des servitudes d’urbanisme“). Explizit wird hiernach ein Anspruch auf Entschädigung für Servitute nicht gewährt, die die Bodennutzung, die Höhe der Gebäude, das Verhältnis der bebauten und unbebauten Flächen bei jedem Grundstück, das Bauverbot in bestimmten Zonen und am Rande bestimmter Verkehrswege sowie die Aufteilung des Grundeigentums in verschiedene Zonen betreffen. Die Rechtfertigung dieses Grundsatzes wird darin gesehen, daß die Anwendung der allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Instrumentarien zu großzügigen Entschädigungen der beeinträchtigten Eigentümer und somit auch zu einer nicht effizienten städtebaulichen Entwicklung und Organisation führen würde.221 Art. L 160-5 C. urb. sieht zwei Ausnahmefälle vor: Hiernach ist eine Entschädigung zu leisten, wenn die 217

CCons, déc. No 81-132 DC, 16.01.1982, Considérant Nr. 18. CCons, déc. No 84-172 DC, 26.7.1984 (Loi relative au contrôle des structures des exploitations agricoles et au statut du fermage) Rec. 58. 219 Die Monographie hierzu: Piquemal, Droit des servitudes administratives, 1967. 220 Zur Einführung dieses materiellen Abgrenzungskriteriums s. CCons, No 85-198 DC, 13.12.1985 (Loi modifiant la loi nº 82-652 du 29 juillet 1982 et portant diverses dispositions relatives à la communication audiovisuelle) Rec., 78; hierzu: Sabliere, La décision du conseil constitutionnel du 13 décembre 1985: vers une théorie générale des servitudes administratives?, CJEG 1986, 109; Dufau, „L’amendement Tour Eiffel“ et le régime des servitudes administratives, JCP 1986. I. 3237. 221 Hostiou, La non-indemnisation des servitudes d’urbanisme, AJDA 1993, Sonderheft, S. 27; Auby, Le principe de non-indemnisation des servitudes institutées par application du Code de l’urbanisme, Droit et ville 1981, Nr. 10.169. 218

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Servitute eine Beeinträchtigung der wohlerworbenen Rechte („droits acquis“) oder eine Veränderung des vorherigen Bestandes herbeiführen, durch die ein unmittelbarer, materieller und bestimmter Schaden entsteht. „Droits acquis“ bestehen nur, wenn eine individuelle Entscheidung ergangen ist, z. B. eine Parzellierungsgenehmigung eines Geländes („autorisaton de lotir“) oder eine Baugenehmigung („permis de construire“). Die zweite Ausnahme hat keinerlei praktische Relevanz, denn weder die Beschränkung der Baufreiheit noch eine Bausperre gegenüber einzelnen Grundstücken innerhalb bebaubarer Zonen noch die Einbeziehung eines Grundstücks in ein unbebaubares Gebiet erfüllen ihre Voraussetzung.222 Eine dritte Ausnahme findet sich im Art. L 123-9 C. urb., der die Gebiete mit vorbehaltener städtebaulicher Erschließung („emplacements réservés“) betrifft. Der Art. L 123-1-8 C. urb. bestimmt, daß der Bodennutzungsplan („POS“) Flächen festsetzen kann, die später einer öffentlichen Nutzung zugeführt werden sollen. Die Festsetzung errichtet eine „servitude d’urbanisme particulière“, die mit einer Bausperre verbunden ist, es sei denn, eine Sonderbaugenehmigung unter bestimmten in Art. R 123-32, al. 1, C. urb. geregelten Voraussetzungen erteilt werden kann. Der Art. L 123-9 C. urb. gibt dem Eigentümer des Grundstücks, das mit einem derartigen Servitut belastet ist, die Möglichkeit, ein Abtretungs- oder Überlassungsrecht („droit de délaissement“) auszuüben. Auf diese Weise kann der Bedarfsträger, zu dessen Gunsten der Nutzungsvorbehalt besteht, vom Eigentümer aufgefordert werden, das Grundstück im Rahmen eines in Art. R 123-32 C. urb. geregelten Verfahrens zu erwerben. Der Preis wird ohne Rücksicht auf die mit dem Servitut des Nutzungsvorbehalts (Bausperre) verbundene Wertminderung festgesetzt. Eine Parallelität dieses Zusammenspiels von Vorschriften mit der Regelung des § 40 Abs. 1 und 2 BauGB ist nicht zu übersehen. Bei der Haftung wegen „travaux publics“ geht es um Eigentumsbeeinträchtigungen, die sowohl mit Bau und Betrieb des öffentlichen Werks („ouvrage public“) als auch mit den Tätigkeiten oder Erhaltungsmaßnahmen („execution du travail“) – tatsächlicher oder rechtlicher Art – zusammenhängen. Auszugleichen sind „troubles de jouissance“, „préjudices commerciaux“ und Wertminderungen von Gründstücken. „Troubles de jouissance“ betreffen Beeinträchtigungen durch unangenehme Gerüche, die von einer Kläranlage oder einer Mülldeponie ausgehen, aber auch die dem deutschen „öffentlich-rechtlichen Nachbarrecht“ bekannten Fälle der Beeinträchtigungen durch Geräuschbelastungen aufgrund der Vergrößerung eines Bahnhofs, durch das Aufstellen einer Telephonzelle, durch Lärmimmissionen des Straßen- bzw. Flugverkehrs oder schließlich durch zu starkes Glockengeläut. Sind diese Beeinträchtigungen „permanents“, d. h. nicht durch einen Unfall bedingt, kann eine Haftung bei „spécialité“, und „anorma222 CE, 24.07.1981, Woll Bret, Rec., 316; 08.01.1993, Société Cie fermière et foncière de Font-Romeu, DS 1994, somm., S. 65, obs. P. Bon und Ph. Terneyre.

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lité“ begründet werden. Bei den „troubles de jouissance“ müssen die Störungen in ihrer Intensität über den „inconvéniens normaux de voisinage“ liegen.223 Die Rechtsprechung berücksichtigt bei der Bestimmung der Opfergrenze die bestehende Grundstücksvorbelastung.224 Die kommerziellen Einbußen („préjudices commerciaux“) betreffen die Reduktion des Umsatzes und die Reduktion der Einnahmen etwa durch den Bau eines Staudammes der die bis dahin lukrative Vermarktung der Besichtigung eines Wasserfalls touristisch völlig unattraktiv machte.225 Ähnlich gelagert sind Fälle, in denen ein Geschäft seine Dauer- und Stammkundschaft verliert oder der Zugang der Kunden zum Geschäft (z. B. Parkplätze) besonders erschwert wird.226 Bei erlittenen Wertminderungen stehen den Grundstückseigentümern Entschädigungsansprüche zu, die das Pendant zum Sonderrecht der Verwaltung darstellen, Wertsteigerungen herauszuverlangen. Hierin wird eine Möglichkeit gesehen, das Lastengleichheitsprinzip gegenüber der Gesamtheit der Steuerzahler zu wahren, die den Bau der öffentlichen Einrichtungen finanzieren, ohne in der Form von Wertsteigerungen hiervon zu profitieren.227 In drei Sonderfällen gelten im Falle dauerhafter Beeinträchtigungen durch öffentliche Einrichtungen und Arbeiten besondere Bedingungen. Es geht um Dauerschäden wegen Streckenverlängerungen („allongements de parcours“), wegen Entzuges von Zufahrts- bzw. Zutrittsrechten („privation du droit d’accès“) und wegen Umänderungen der allgemeinen Situation des Straßenverkehrs („modifications apportées à la circulation générale“). Die Streckenverlängerungen bedingen Beeinträchtigungen, die von der nachbarschaftlichen Beziehung zur öffentlichen Einrichtung nicht zwingend bedingt sind. Sie machen ferner die Entschädigung von der Eigenschaft des Geschädigten als Dritter oder als Benutzer abhängig. Dem Benutzer (nicht aber dem Dritten) wird grundsätzlich eine Entschädigung versagt.228 Der Entzug (nicht das Erschweren der Ausübung) des Zugangsrechts wegen öffentlicher Arbeiten stellt insofern einen Sonderfall dar, als er immer einen Entschädigungsanspruch begründet. Erklärt 223 Standardformel: „travaux qui n’ont pas excédé les simples inconvénients ou gênes que les rivérains doivent normalement supporter sans indemnité“. 224 Stellvertretend für die Urteile zur Geräuschbelastung wegen Autobahn- und Straßenverkehr s. CE, 22.10.1971, Blandin, Rec. 631. 225 CE, 28.06.1972, Soc. Des gorges du Pont du diable, RDP 1973, 497, note M. Waline. 226 CE, 31.01.1968, Soc. d’écon. mixte pour l’aménagement de la Bretagne, Rec. 83; CE, 27.11.1974, Amouzehg, Rec. 595; CE, 22.06.1992, Soc. Bac Montalembert et Saint Martin, RDP 1993, 249. 227 Chapus, Droit administratif, 1995, Bd. 2, Rn. 687. 228 Bspw. CE, 2.04.1965, Boudy, Rec. 222. Während der Zeit der Befestigung einer Straßenbrücke wurde die Entfernung zwischen dem Benutzer (einer Tischlerei) und dem Warenbahnhof von 3 auf 20 km verlängert: CE, 20.02.1970, Soc. an. Burin des Roziers, Rec. 130. Demgegenüber wurde ein Dritter (ein Fischhändler „conserverie“) entschädigt, der wegen des Baus eines Militärhafens die Entfernung zwischen seinem Geschäft und dem Ausschiffungsort des von ihm benutzten Fisches von 50 m auf 1 km verlängert sah.

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wird dies damit, daß der Schaden in diesem Fall zwingend durch „anormalité“ charakterisiert wird.229 Die Änderungen der allgemeinen Verkehrssituation, die auf den Bau neuer Straßen, die Verlegung oder den Richtungswechsel öffentlicher Verkehrswege zurückzuführen sind, begründen keinen Entschädigungsanspruch. Dies gilt unabhängig davon, welcher der Grad von „spécialité“ und „anormalité“ der hierdurch verursachten Beeinträchtigungen ist. Begründet wird dies damit, daß Entschädigungspflichten in diesen Fällen die ohnehin hohen finanziellen Lasten von Großprojekten weiter erhöhen und die Tätigkeit der öffentlichen Hand hemmen würden.230 Der englische Begriff für Enteignung lautet „compulsory purchase“. In den ermächtigenden Gesetzen wird der Gegenstand der Enteignung regelmäßig als „land“ bezeichnet. Er dient als Oberbegriff für alle enteignungsfähigen Grundstücksberechtigungen. Das Enteignungsverfahren ist zum größten Teil im Acquisition of Land Act 1981 geregelt. Im englischen Recht gibt es zwei Anspruchsgrundlagen für die Entschädigung wegen Wertminderungen durch „public works“: Sec 10 des Compulsory Purchase Act 1965 sieht (wie vorher sec 68 des Lands Clauses Consolidation Act 1845) vor, daß Entschädigung für „injurious affection“ gewährt wird, die durch Bauarbeiten „execution of the (public) works“ verursacht wurde; „execution“ ist i. S. v. „construction of public works“ zu verstehen. Part I des Land Compensation Act 1973, der eingeführt wurde, um Defizite des geltenden Rechts auszugleichen, läßt ein Entschädigungsrecht für die Wertminderung von „land“ entstehen, die bei der Nutzung („use“) von „public works“ durch „physical factors“ verursacht wurde. Die Rechtsprechung hat auf der Grundlage von sec. 68 des Lands Clauses Consolidation Act 1845 vier Entschädigungsvoraussetzungen aufgestellt.231 Gefordert wird zunächst rechtmäßiges Staatshandeln („authorised exercise of the statutory powers of the acquiring authority“), das eigentlich dem Geschädigten die Möglichkeit nahm, die Beeinträchtigung mit einer Unterlassungsklage („injunction“) abzuwehren. Die öffentliche Hand macht sich übrigens nach den Haftungsregeln des „tort law“ haftbar, wenn der schädigende Eingriff, etwa die Verschmutzung eines Flusses232, eine vermeidbare Folge der Ausübung ihrer gesetzlichen Befugnisse und somit auch „ultra vires“ ist. Die Bauarbeiten sind 229 CE, 2.07.1969, Leveel, Rec. 357; 30.06.1976, Sarl Martinet frères, Rec. 345; 20.01.1988, cons. Métral, RDP 1988, 896. 230 CE, 2.06.1972, Soc. Les Vedettes blanches, Rec. 414; CE, 3.10.1979, Ep. Bellemère Guelard, Rec. 915. 231 Siehe vor allem Metropolitan Board of Works v. McCarhy [1874] L.R. 7 H.L. 243. Seit dieser Entscheidung spricht man von den „vier McCarthy Regeln“. Hierzu Davies, Law of Compulsory Purchase and Compensation, 1984, S. 183 ff. 232 Clowes v. Staffordshire Potteries Waterorks Co [1872] 8 Ch. App. 125; s. auch Imperial Gas Light and Coke Co v. Broadbent [1859] 7 H.L. Cas 600.

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zulässig, soweit sie „with all reasonable regard and care for the interests of others“ durchgeführt werden.233 Es muß ferner (zweite McCarthy-Regel) um Eigentumsbeeinträchtigungen gehen, die nach allgemeinen Grundsätzen des „tort law“ auch gegenüber einer Privatperson als „nuisance“ ersatzfähig wären („the damage is such as would be actionable but for the statutory authority“). Eine Entschädigungsklage für „loss of privacy“ scheiterte dementsprechend daran, daß dies keinen deliktsrechtlichen Klagegrund („cause of action in tort“) darstellt und auch gegenüber einem Privaten keine Aussicht auf Erfolg hätte.234 Wäre aber der geschädigte Grundstückseigentümer teilenteignet, fiele er unter die erste Spielart der Entschädigung für „injurious affection“ und wäre damit auch nach der Buccleuch-Entscheidung235 entschädigugngsberechtigt. Ferner setzt das common law of nuisance das Fehlen von „reasonable consideration for the neighbours“ (the „Andreae principle“)236 voraus. Lärm und Immissionen („noise, dust and vibration“) während der Bauarbeiten wären somit nur bei Bejahung von „unreasonableness“ nach common law ersatzfähig. Bei „unreasonableness“ sind aber die Bauarbeiten von der „statutory authority“ nicht mehr gedeckt, so daß sec. 10 des 1965 Act in diesem Fall nicht zur Anwendung kommt. Dieser Grundsatz („Andreae principle“) erstreckt sich nicht auf Fälle, in denen es um mehr als lediglich „discomfort and inconvenience“ geht und dem Nachbargrundstück „actual physical damage“ durch Bauarbeiten zugefügt wird.237 Der Entzug von Zufahrts- und Zutrittsrechten wäre nach common law nuisance ersatzfähig und er kann selbst bei vorübergehendem Charakter des Entzuges auch gemäß sec. 10 des 1965 Act eine Entschädigungspflicht begründen. Die Beeinträchtigungen müssen drittens (dritte McCarthy-Regel) das Grundstück selbst betreffen. Persönliche Nachteile oder Einbußen eines auf dem Grundstück bestehenden Gewerbebetriebs dürfen nicht berücksichtigt werden („injury to land and not a personal injury or an injury to trade“). Schäden, die sich auf den Mietwert („letting value in the open market“) des Grundstücks auswirken, sind hingegen ersatzfähig. Entgangener Gewinn wird berücksichtigt, „to the extent that loss of profitability affected the value of the interest in the land“.238 Die den Gewerbebetrieb treffenden Nachteile („compensation for loss of trade“) können unter der Rubrik von „disturbance“ ersetzt werden, was aber wiederum 233

Allen v. Gulf Oil Refining Ltd [1981] AC 1001, 1011G. Re Penny and South Eastern Rly Co [1857] 7 E & B 660. 235 Duke of Buccleuch v. Metropolitan Board of Works (1872) L.R. 5 H.L. 418. 236 Andreae v. Selfridge & Co Limited [1938] Ch 1, 5–6, per Sir Wilfred Greene MR; Wildtree Hotels v. Harrow London BC [2001] 2 AC 1, 13 C, per Lord Hoffmann. 237 Hierzu s. Clift v. Welsh Office [1999] 1 WLR 796, 805-6, per Sir Christopher Slade, der die Unterscheidung zwischen „the category of private nuisance that consists of interference with one’s neighbour in the comfortable and convenient enjoyment of his land“ und „the category that consists of causing actual damage to his land“ trifft. 238 Wildtree Hotels v. Harrow London BC [2001] 2 AC 1, 16 G–H, 18 C. 234

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eine Enteignung der Geschäftsräume („premisses“) selbst voraussetzt. Bei Servituten („rights in alieno solo“) geht es um die Entwertung des herrschenden Grundstücks. Schließlich (vierte McCarthy-Regel) muß der ersatzfähige Schaden auf die Errichtung, nicht Nutzung bzw. Betrieb rechtmäßiger „public works“ zurückzuführen sein („the damage is caused by the execution of the authorised works and not by their use“). Die McCarthy-Regeln befassen sich nur mit der Entschädigung im Falle von „construction of public works“ und wurden vom House of Lords erneut bestätigt.239 Schon im Fall Hammersmith & Co v. Brand240 ließ sich nach dem House of Lords den maßgeblichen Regelungen in Lands Clauses Consolidation Act 1845 und in Railways Clauses Consolidation Act 1845 ein Entschädigungsanspruch auch für den nicht in den Gesetzen vorgesehenen Fall der Schädigung durch „use“ einer Schienenstrecke nicht entnehmen. Der Erlaß des Land Compensation Act 1973 ist Ergebnis der Kritik an den „McCarthy rules“. Seine wichtigsten Neuerungen waren die Gewährung eines Entschädigungsanspruchs nach sec. 1 (1), soweit der Wert des Grundeigentums oder eines Rechts daran durch „physikalische Faktoren“ (d. h. durch Lärm, Vibrationen, Gerüche, Rauch, künstliches Licht und Zuführung von flüssigen bzw. festen Stoffen) gemindert wird, die durch den Betrieb öffentlicher Anlagen verursacht werden. Der neue Anspruch wurde als Entschädigungsanspruch für legalisierte Störung oder für öffentliche Arbeiten („compensation for a legalised nuisance“ oder „compensation for depreciation by public works“) beschrieben.241 Die erlittenen Nachteile werden nicht als „injurious affection“ bezeichnet, obwohl sie genau den herkömmlichen Nachteilen ohne Landeinbuße („injurious affection not arising on land taken“) entsprechen. Section 20 sieht im Unterschied zur „tort law“-Klage aus „nuisance“ die Vornahme von Schallschutzmaßnahmen vor. Neben diesen zwei Anspruchsgrundlagen ist auf die Bodennutzungskontrolle nach englischem Recht hinzuweisen. Der Rechtsschutz muß hier dem Umstand Rechnung tragen, daß die rechtliche Nutzungsqualität eines bestimmten Grundstücks nicht unmittelbar durch das Planungsrecht bestimmt wird. Wenn eine behördliche Entscheidung unter Berücksichtigung des „development plan“ („structure plan“ und „local plan“) getroffen werden muß, muß sie in Übereinstimmung mit dem Plan getroffen werden, wenn nicht wesentliche Erwägungen („material considerations“)242 etwas anderes erfordern.243 Das wichtigste Instru239 In etwas abgeänderter Formulierung in: Wildtree Hotels v. Harrow London BC [2001] 2 AC 1. 240 Hammersmith & City Rly Co v. Brand [1869] L.R. 4 H.L. 171 (189 f., 194). Davies 1984, S. 185, 187, 188. 241 Moore in: Gavin M. Erasmus (Hrsg.) 1990, S. 1, 19. 242 Diese „wesentlichen Erwägungen“ können die Vermutung für die Befolgung des Plans zugunsten der Eigentums- und Baufreiheit des Antragstellers widerlegen: Harri-

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ment des „planning control“, die „planning permission“, steht im weiten Ermessen der Behörde. Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes orientiert sich somit an der Strukturierung dieses Ermessens, im Rahmen dessen der erteilten Entwicklungsgenehmigung Auflagen beigefügt werden können.244 Auch negative Auflagen sind möglich, die als „Grampian conditions“245 bekannt sind und in den Fällen vornehmlich eingesetzt wurden, in denen die Realisierung einer Bodennutzung von der Durchführung von (Um-)Bauarbeiten an Hauptverkehrsstraßen auf fernliegenden fremden Grundstücken abhängig gemacht wurde. Die Ermessensausübung bei der Erteilung von Auflagen ist rechtmäßig246, wenn die Auflage nicht zweckwidrig ist; sie muß zur Erreichung des Planungszwecks („,fit‘ from a planning point of view“) und nicht eines ferneren sachfremden Ziels erteilt worden sein. Die Auflage darf ferner die allgemeine Rechtslage nicht tiefgreifend verändern, sie muß in vernünftigem Zusammenhang zum zugelassenen Entwicklungsvorhaben stehen, hinreichend bestimmt und durchführbar sein.247 Das House of Lords hat die Rechtsprechung systematisiert und drei Voraussetzungen angegeben, unter denen Auflagen rechtmäßig sind („Newburytest“).248 Eine Auflage kann allein aus dem Grunde, daß sie in existierende

son, A Presumption in Favour of Planning Permission?, JPL 1992, 121 ff. Siehe eine Rechtsprechungsübersicht zur Bestimmung des abstrakten Rechtsbegriffs bei Moore, A Practical Approach to Planning Law, 1994, S. 189 ff. 243 Siehe Art. 26 Planning and Compensation Act 1991, der den Art. 54 A TCPA 1990 eingefügt und die Bedeutung des „development plan“ für die Genehmigung von Vorhaben aufgewertet hat. Siehe ferner Art. 70 TCPA 1990. Art. 54 A TCPA 1990 lautet: „Where, in making any determination under the planning Acts, regard is to be had to the development plan, the determination shall be made in accordance with the plan unless material considerations indicate otherwise“. Hierzu Gatenby/Williams, Section 54 A: The Legal and Practical Implications, JPL 1992, 110 ff. 244 Nach section 70 (1) Town & Country Planning Act 1990 eine lokale Planungsbehörde “ (a) . . . may grant planning permission, either unconditionally or subject to such conditions as they think fit“; or (b) . . . may refuse planning permission“; s. ferner die Bestätigung durch Fawcett Properties Ltd. v. Buckingham County Council [1961] A.C. 636 und die Präzisierung durch Newbury District Council v. Secretary of State for the Environment [1981] A.C. 578. Zu „planning conditions“ s. Heap, An Outline of Planning Law, 1996, S. 214 ff. 245 Grampian Regional Council v. City of Aberdeen (1984) J.P.L. 590 = (1984) 47 P & CR 633; s. ferner British Railways Board v. Secretary of State for the Environment [1994] J.P.L. 32. Hier hing die Umsetzung der Planungsgenehmigung vom Willen des Grundstückseigentümers (der nicht der Antragsteller war) ab. 246 Zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen s. Pyx Granite Co. Ltd. v. Ministry of Housing & Local Government [1958] 1 QB 554 per Lord Denning (572). 247 Mixnam’s Properties v. Chertsey Urban District Counsil [1964] 1 Q.B.D. 214 bestätigt vom House of Lords sub. nom., Chertsey Urban District Council v. Mixnam’s Properties [1965] A.C. 735 248 „They must be imposed for a planning purpose and not for an ulterior one; they must fairly and reasonably relate to the development permitted, they must not be so unreasonable that no reasonable authority could have imposed them“: Newbury District Council v. Secretary of State for the Environment [1981] A.C. 578 ff.

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Nutzungsrechte eingreift, nicht rechtswidrig („ultra vires“) sein, solange sie nicht „manifestly unreasonable“249 ist. Was Entschädigung angeht, statuiert Section 102 i. V. m. 105 TCPA 1990 eine Entschädigungspflicht ohne Übernahmepflicht bei Unterbrechungs- und Einstellungsbescheiden („discontinuance orders“). Section 107 TCPA 1990 statuiert eine Entschädigungspflicht bei Widerruf oder Abänderung vorhandener Nutzungsrechte („revocation or modification of existing rights“).250 Entschädigung ist ferner im Rahmen der Durchsetzung von „planning control“ bei der Aufhebung von Vollstreckungsbescheiden („enforcement notices“) vorgesehen, wenn rechtswidrige Stopp-Verfügungen („stop notices“), die etwa ein auflagenwidriges Verhalten unterbrechen sollen, Zinsverluste, Betriebsstillstand, Verzögerungen und Verschlechterungen verursachen.251 2. Inhaltsbestimmung und Schwellentheorien Das BVerfG definiert die Enteignung als einen gezielten konkret-individuellen Zugriff auf das Eigentum, mittels eines Rechtsaktes (Norm oder Verwaltungsakt), der zu einer vollständigen oder teilweisen Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen führt.252 Das Problem, daß unter dem Etikett einer Inhaltsbestimmung in Wahrheit eine Enteignung vorgenommen werden könnte,253 betrifft die juristische Qualifikation und Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Handelns. Bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung darf allerdings der 249 Siehe Allnat London Properties Ltd. v. Middlesex County [1964] 15 P & CR 288; Minister of Housing and Local Government v. Hartell [1965] A.C. 1134 = [1965] 1 All ER 490. Diese zwei Urteile haben die Kommentierung auf die falsche Bahn geleitet: „On the basis of these authorities it seemed reasonable in some earlier editions of this book to suggest that a local planning authority should not attempt to restrict existing use rights by attaching conditions to a grant of planning permission; the more regular course would be for the authority to make an order under what is now section 102 of the Act of 1990, paying compensation accordingly. However, it appears in the light of subsequent case law that this proposition may not be correct.“ So Duxbury, Telling & Duxbury’s, Planning Law and Procedure, 1996, S. 189. In diesem Sinne Kingston upon Thames Royal London Borough Council v. Secretary of State for the Environment [1973] 1 WLR 1549 = [1974] 1 All ER 193. Siehe ferner Peak Park Joint Planning Board v. Secretary of State for the Environment [1980] JPL 114; Hall & Co Ltd. v. Shoreham-by-Sea UDC [1964] 1 All ER 1 = [1964] 1 W.L.R. 240 (C.A.); R v. Hillington London Borough Council (ex parte Royco Homes Ltd) [1974] Q.B. 720. Zu einem Versuch, die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes darzustellen s. Sieckmann, Zum verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz im deutschen und britischen Recht, 1999, S. 103 ff. 250 Telling & Duxbury’s 1996, S. 205–213. 251 Sec. 9 Planning and Compensation Act 1991; sec. 186 TCPA 1990; J Sample (Warkworth) Ltd v. Alnwick District Council [1984] JPL B 36 zitiert nach Telling & Duxbury’s 1996, S. 250–251. 252 Siehe etwa BVerfGE 79, 174, 191. 253 BVerfGE 42, 263, 295.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Prüfungsmaßstab nicht mehr geändert werden.254 Wenn nach Auffassung des Gesetzgebers der Gemeinwohlzweck trotz Aufhebung der Privatnützigkeit verfolgt werden müsse, so könne dies nach dem BVerfG nur auf dem Wege der Enteignung geschehen.255 Angesprochen wird hier die Schwellentheorie in ihrer Rolle bei der legislativen Folgenorientierung. Sie übernimmt für den Gesetzgeber eine „kollisionsnormenrechtliche“ Funktion. Anzuwenden wäre dann der Abs. 3 und nicht der Abs. 2 S. 1 des Art. 14 GG. Demgegenüber betrifft das Verbot des Umschlagens der verfassungswidrigen Inhaltsbestimmung in verfassungsmäßige Enteignung die richterliche Perspektive ex post und die Rechtmäßigkeit des Eingriffs. In diesem Zusammenhang ist das Umschlagsverbot zugleich ein Verbot des Rückgriffs auf die Schwellentheorie in ihrer kollisionsrechtlichen Funktion. Die richterliche Einordnung der zur Prüfung gestellten gesetzlichen Regelung als Inhaltsbestimmung behält ihre Gültigkeit „auch in den Fällen, in denen der Eingriff in seinen Auswirkungen für den Betroffenen einer Enteignung nahe- oder gleichkommt“.256 Ebenfalls aus der Perspektive ex post ist die Enteignungsgleichheit der Eingriffstiefe zu beurteilen. Auch hier dient die herangezogene Schwellentheorie nicht dazu, zwischen Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Art. 14 Abs. 3 GG zu „wählen“. Die Enteignungsgleichheit der inhaltsbestimmenden Regelung betrifft die Schutzgutbestimmung und Eingriffstiefe (Privatnützigkeitsaufhebung), die Angleichung des Rechtsschutzes und die Beachtung des Gesetzmäßigkeitsprinzips. Die gesetzlichen Ausgleichsregelungen müssen dem auch in § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG zum Ausdruck kommenden Stufenmodell des negatorischen Rechtsschutzes entsprechen.257 Die Möglichkeit, die Verhältnismäßigkeit der Regelung herzustellen, muß bereits bei Erlaß der belastenden Einzelmaßnahme und zusammen mit dieser geprüft werden. Das vom BVerfG explizit statuierte verwaltungsprozeßrechtliche Junktim zwischen eigentumsbeschränkendem Verwaltungsakt und der Entscheidung über die ausnahmsweise Geldausgleichsfolge soll sicherstellen, daß über den Geldausgleich nicht erst in einem separaten nachträglichen Verfahren vor den Zivilgerichten zu entscheiden ist.258 Die Garantie für die Enteignungsgleichheit des Rechtsschutzes ist aber der Übernahmeanspruch.259 Wenn das weitere Behalten 254

BVerfGE 58, 300, 320. BVerfG JZ 1999, 895, 897; vgl. BGHZ 121, 328, 337. 256 BVerfGE 83, 201, 211 ff.; BVerfG JZ 1999, 895, 896. 257 Vgl. Ossenbühl, StHR 1998, S. 279 f. 258 BVerfG JZ 1999, 895 (898). Eine angesichts der knappen Ressourcen der dritten Gewalt längst fällige Änderung, s. Schmaltz, Anmerkung zu BGH v. 15.2.1996 – III ZR 49/95, DVBl. 1996, 675; Hermes, Entschädigung und Vorrang verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Zum enteignungsgleichen Eingriff und salvatorischen Entschädigungsklauseln im Denkmalrecht, NVwZ 1990, 733; Schmidt, Die Aufopferung vermögensrechtlicher Rechte, NJW 1999, 2847, 2850. 259 BVerfG JZ 1999, 895, 898. Zu dieser Rechtsfigur s. Schmidt-Aßmann, Übernahmeansprüche im Enteignungsrecht, BauR 1976, 144. Vgl. BVerwGE 61, 295, 305; 75, 255

D. Abstimmung von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz

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des Eigentums260 unzumutbar ist, kann der Eigentümer die entschädigungspflichtige Entziehung des Eigentums verlangen. Da die Ausgestaltung von Eigentumspositionen von der Überlagerung einer Vielzahl nutzungsbeschränkender – nicht zuletzt europarechtlicher – Normen abhängt261, wird eine Berücksichtigung kumulativer Belastungen unerläßlich, die den Zeitpunkt der Realisierung des unzumutbaren Eingriffs unbestimmt lassen. Die Einschätzung der Belastung setzt somit die Beurteilung der im Zeitpunkt ihrer Realisierung vorhandenen Eigentumsposition voraus. Hier bietet sich ein gesetzlich geregelter Übernahmeanspruch als enteignungsgleiche Lösungsmöglichkeit, nicht aber die Enteignung an. Dem Gesetzgeber wird bei enteignungsgleichen Inhaltsbestimmungen letztlich kein größerer Spielraum zugestanden, als wenn er zu Enteignungen überginge. Die Übernahme kann zwar, anders als die Enteignung, nicht im voraus mit dringenden Gründen des Gemeinwohls begründet werden, da es um atypische Fälle geht und der Eigentümer zur Eigentumsübertragung nicht gezwungen wird. Nichtsdestoweniger ist die Statuierung der Übernahmemöglichkeit bei Inhaltsbestimmungen auf Null nicht lediglich zulässig, sondern verfassungsrechtlich geboten. Die Teillösung eines Geldausgleichsanspruchs, bei dem das nudum ius in der Hand des Eigentümers verbleibt und lediglich die bei der Bewirtschaftung entstehenden Vermögensnachteile ausgeglichen werden, kann den Interessen des Eigentümers nicht gerecht werden. Nur wenn die Aufhebung der Privatnützigkeit durch vollständigen Nutzungsentzug unvorhersehbar war, entspricht es dem Sinn und Zweck der Inhaltsbestimmung, einen Übernahmeanspruch vorzusehen, der enteignungsgleichen Rechtsschutz gewähren soll. Die Frage, ob Privatnützigkeitsaufhebung vorliegt, entscheidet sich nicht nach dem Vergleich mit dem Nachbarn in ähnlicher Lage (Sonderopfertheorie), sondern nach dem Umfang der gesetzlich bestimmten Eigentumsposition262 und den Befugnissen, die nach dem Eingriff übrig bleiben. Die Frage, ob die Privatnützigkeitsaufhebung vorhersehbar war, entscheidet sich nach dem objektiven Sinn der Regelungsabsicht. Bei einem objektbezogenen Zumutbarkeitsbegriff, der sich etwa nach dem verbleibenden Nutzwert des Denkmals und nicht nach den allgemeinen Vermögensverhältnissen des Eigentümers bestimmt, ist die Zumutbarkeitsschwelle durchaus vorhersehbar.263 An214, 260; 77, 295, 298; 87, 332, 383; Berkemann, Anmerkung zu BGH, Urteil v. 6.5.1999-III ZR 174/98, DVBl. 1999, 1285, 1286. 260 Hierzu BGHZ 63, 240, 251; 93, 165, 167. 261 Albrod, Entschädigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nach Art. 14 I 1, 2 GG, 1995, S. 211 f. 262 Daß dieser variiert, ist Bedingung erwünschter Vielfalt im Besonderen Verwaltungsrecht, vgl. Wahl, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 1992, S. 292. 263 Zur Begründung eines objektbezogenen Zumutbarkeitsbegriffs s. Lülsdorf, Eigentumsrelevante Maßnahmen im Denkmalschutzrecht, Entschädigung und Über-

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

ders läge es nur bei einem rein subjektiven Zumutbarkeitsbegriff.264 Der Gesetzgeber darf die enteignungsgleiche Inhaltsbestimmung im Gegensatz zur Enteignung nur bei mangelnder Finalität verwenden, sonst wäre die Junktim-Klausel umgangen. Nach dem BGH265 ist eine Anwendung der Vorwirkungsgrundsätze auf den Fall einer Übernahme ausgeschlossen. Für die Inkorporierung des Übernahmeanspruchs in die Ausgleichsregelungen von Inhaltsbestimmungen spricht schließlich die Natur des Eigentumsrechts, das auch die Freiheit des einzelnen bei seiner Teilnahme an der Wirtschaft schützt, Verwendungsalternativen subjektiv zu hierarchisieren bzw. zu kombinieren.266 Vor allem die Rechtsprechung zur Bestimmung der Zumutbarkeitsschwelle hebt neben der Bestandsgarantie auch die Freiheit, über das vermögenswerte Gut zu verfügen und es jeder Zeit zu veräußern. Das sei ein elementarer Bestandteil der Handlungsfreiheit im Bereich der Eigentumsordnung.267 Es ist nur noch eine Konsequenz dieses neuen Typus „salvatorischer“ Ausgleichsregelungen, daß die entschädigungsrechtliche Notkompetenz der Zivilgerichte reduziert wird. Für Entschädigungsansprüche wegen rechtmäßigen enteignenden Eingriffs bleibt wenig Raum übrig. Denn eine ausreichende Ausgleichsregelung ist auch dann möglich und geboten, wenn die Aufhebung der Privatnützigkeit zwar in concreto nicht vorhersehbar ist, doch ihre Eintrittsmöglichkeit in der Form der Gewährung eines Übernahmeanspruchs gesetzlich einkalkuliert wird.

E. Wirksamkeit des Rechtsschutzes als Kriterium der Abstimmung von Aufhebung und Haftung Die Abstimmung von Aufhebung und Haftung kann wie im europäischen Unionsrecht und im französischen Recht auf ein Umgehungsverbot des Aufhebungsverfahrens gestützt werden. Sie kann aber auch wie im englischen Recht an der ad hoc Berücksichtigung substitutiver bzw. alternativer Rechtsmittel oder wie im deutschen Recht am institutionalisierten Vorrang des Primärrechtsschutzes orientiert werden. In allen Fällen muß sie, wenn sie mit der EMRK vereinbar sein will, die übrigens in Art. 19 Abs. 4 GG zum Ausdruck kommende Effektivität und Lückenlosigkeit des Rechtsschutzes gewährleisten. Für § 839 Abs. 3 BGB bedeutet dies, daß der Gedanke des Umgehungsverbots sein Verhältnis zu § 254 BGB bedingen sollte. Solange ein Aufhebungsmittel nicht ge-

nahme: eine die Rechtslage in den Bundesländern vergleichende Darstellung, 1992, S. 59 ff. 264 Vgl. BGHZ 63, 240, 249; 93, 165, 167; 97, 1. 265 NVwZ 1988, 963 266 So schon Layer, Principien des Enteignungsrechts, 1902, S. 426; vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 123. 267 BVerfGE 26, 215, 222; 38, 348, 370; 52, 1, 31.

E. Wirksamkeit des Rechtsschutzes

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eignet ist, den gesamten Schaden abzuwenden, kann die Erhebung einer Haftungsklage nicht ein Ergebnis herbeiführen, das mit dem Ziel des Aufhebungsmittels identisch wäre. Es wäre keine Umgehung des Aufhebungsmittels, eine Haftungsklage zuzulassen, die auf den Ersatz eines durch das schuldhaft unterlassene Aufhebungsmittel nicht mehr abwendbaren Schadens gerichtet ist. Ein totaler Anspruchsverlust wäre hier weder mit Art. 19 Abs. 4 GG noch mit Art. 6 EMRK vereinbar. Die Rechtsmittelversäumung müßte in diesem Fall durch § 254 BGB erfaßt oder die Ersatzpflicht unter Anwendung von § 839 Abs. 3 BGB nur zum Teil entfallen.268 Ferner kommt es auf wirksamen Rechtsschutz und nicht auf abstrakte Rechtsschutzmöglichkeiten an. Die eigentumsbeschränkenden öffentlichen Belange dürfen etwa in der Praxis nicht umgangen werden. Das ist das Problem des Instituts des Vorkaufsrechts im französischen Baurecht,269 das die Bauspekulation hemmen und vorbehaltene Bauflächen, also Bauerwartungsland in vom Bodennutzungsplan (POS) nicht erfassten Gebieten schaffen soll, das aber oft andere (unzulässige) Zwecke verfolgt.270 Der Conseil d’Etat versucht durch die Prüfung sowohl der Legalität der Zwecke als auch des Vorhandenseins eines Gemeinwohlinteresses am zu realisierenden konkreten Vorhaben, der illegalen 268

s. Ossenbühl, StHR 1998, S. 93 f. unter Hinweis auf die BGH-Rechtsprechung. Nach den Vorschriften C. urb. (Art. L. 210-1 und Art. L. 300-1) sowie Art. 23 und 24 des Gesetzes vom 13. Dezember 2000 zur Solidarität und städtebaulichen Erneuerung geht es darum, „de mette en oeuvre un projet urbain, une politique locale de l’habitat, d’organiser le maintien, l’extension ou l’accueil des activités économiques, de favoriser le développement des loisirs et du tourisme, de réaliser des équippements collectifs, de lutter contre l’insalubrité, de permettre le renouvellement urbain, de sauvegarder ou de mettre en valeur le patrimoine bâti“. Das städtebauliche Vorkaufsrecht (DPU) wurde zunächst in den früheren Gebieten mit vorrangiger städtebaulicher Erschließung (ZUP) in Anspruch genommen, die durch die Gebiete mit konzertierter städtebaulicher Ordnung (ZAC) ersetzt wurden (vgl. Art. L311-1 ff. C. urb.). Auch die landwirtschaftlichen Entwicklungsgesellschaften (SAFER) sind berechtigt, ein Vorkaufsrecht auszuüben, um durch Neuverkauf und Zusammenlegung der erworbenen Flächen die Schaffung betriebsfähiger landwirtschaftlicher Einheiten zu ermöglichen. Heute wird das Vorkaufsrecht vor allem in für spätere städtebauliche Erschließung vorgesehenen Gebieten (ZAD), in schützbedürftigen Landschaftsräumen oder in Gebieten künftiger Urbanisierung als Instrument gemeindlicher Sozialwohnungspolitik und Integration von Einwanderern eingesetzt. Über das Juristische hinaus werden allerdings die bereits erwähnten Abkürzungen des Städtebaurechts soziologisch mit Vorstellungen fehlgeschlagener sozialer Integration in Verbindung gebracht. 270 Hierzu Hostiou/Sruillou, Expropriation et Préemption. Aménagement, Urbanisme, Environnement, 2001, S. 250 f. „Le droit de préemption est ainsi parfois exercé pour contrôler l’origine et l’identité des personnes désireuses d’acquérir un bien, empêcher la construction de logements sociaux, éviter l’ implantation de grandes surfaces, faire obstacle à l’installation d’une entreprise, évincer les gens du voyage, maintenir dans un secteur des valeurs immobilières de référence en vue d’un projet futur. L’utilisation de ce droit a parfois pour seul but de permettre la réalisation d’une plus-value. Parfois, il constitue un instrument de négociation autour du non-exercice de la préemption ou du retrait de la décision, lorsque celle-ci a été prise.“ 269

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

Praxis einen Riegel vorzuschieben.271 Ferner haben rechtsstaatlich strukturierte Enteignungsverfahren vor faktischen Enteignungen den Vorrang. Regelungsinstrumente mit langer Tradition, aber auch mit enteignender Wirkung ohne Enteignungsverfahren, wie die „expropriation indirecte“ und der „alignement“, müssen eine neue Gestalt annehmen oder aufgegeben werden. Die Cour de Cassation hat die mit dem Grundsatz der „intangibilité des ouvrages publics“ zusammenhängende Theorie und Praxis der „expropriation indirecte“272 mittlerweile aufgegeben. Eine vom Eigentümer nicht beantragte Eigentumsübertragung darf weder faktisch noch auf der Grundlage einer gerichtlichen Entschädigungsentscheidung erfolgen.273 Problematisch bleibt darüber hinaus der Fluchtlinienplan274 („plan d’alignement“), bei dem die Verwaltung durch einseitige Akte die einmal fixierten Grenzen einer Straße zu Lasten der Anlieger ausdehnen und Privateigentum zunächst mit einer „servitude de reculement“ belasten und schließlich in den „domaine public“ gegen Entschädigung einbeziehen darf.275 Das Postulat wirksamen Rechtsschutzes hat schon Einschränkungen mit sich gebracht: Der Fluchtlinienplan darf keine Verlaufsänderung einer bereits bestehenden Straße oder keinen Bau einer neuen Straße vorsehen, die Verwaltung darf das Grundstück nur „à l’amiable“ oder im Wege des Expropriationsverfahrens erwerben, und es liegt der Anfechtungsgrund „détournement de procédure“ vor, wenn anstatt des erforderlichen Expropriationsverfahrens das schnelle Fluchtlinienverfahren stattfindet.276 Auch hat der Eigentümer bei Festlegung eines „plan d’urbanisme“ oder eines „plan d’occupation des sols“ die Möglichkeit, die Enteignung seines gesamten Grundstücks zu verlangen, wenn der Grundstücksrest nicht mehr nutzbar ist (Art. L 123-9 C. urb.).277

271 Zur verwaltungsgerichtlichen Judikatur s. Hostiou/Struillou 2001, S. 252 ff., 259 ff. 272 Zur Kritik wegen defizitären Rechtsschutzes s. schon Di Qual, Une manifestation de la désagrégation du droit de propriété: la règle „Ouvrage public mal planté, ne se détruit pas“ JCP 1964. I. Nr. 1852 und Waline, Impossibilité pour l’autorité judiciaire d’ordonner la destruction d’un ouvrage public, même si son édification a eu le caractère d’une voie de fait, Note Cass. civ., 17.02.1965, commune de Manosque, RDP 1965, 984, 991. 273 Cour Cass. Civ., 6.01.1994, Consorts Baudon de Mony c/E.D.F. et autre, D. 1994, I, 153, concl. M. Jéol; J.C.P. 1994. II. 22207; AJDA 1994, 339, note Hostiou; Carrias, La nouvelle expropriation indirecte, D. 1994. Chr. 327; Chapus, Droit administratif, 1995, Bd. 2, S. 500 ff. 274 Auby/Bon, Droit administratif des biens: domaine, travaux publics, expropriation pour cause d’utilité publique, 1995, S. 57 ff. 275 „L’incorporation à la voie se produit alors de plein droit, sans intervention d’un jugement ou d’un acte administratif et sans nécessité d’une indemnisation préalable“: Auby/Bon 1995, S. 59. 276 Auby/Bon 1995, S. 60; Dufau, tome 1, 1993, S. 249; Chapus, Droit administratif général, tome 2, 1995, S. 410 f. 277 Auby/Bon 1995, S. 60–61; Chapus 1995, Bd. 2, S. 410, 411.

E. Wirksamkeit des Rechtsschutzes

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Die Bedeutung des vorläufigen und negatorischen Rechtsschutzes für die Betroffenen, die eine (Folgen-)Beseitigung der nachträglichen Kompensation vorziehen, wird an den französischen Instituten der „emprise“ und „voie de fait“ und dem damit zusammenhängenden Verhältnis von Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit deutlich. In Fällen von „emprise irrégulière“ ist Rechtsschutz durch die Zivilgerichte geboten. Zu dieser Fallgruppe gehört die versehentliche Errichtung eines öffentlichen Bauwerks auf einem Privatgrundstück oder die im Wege der Enteignung erfolgte Eigentumsentziehung, wenn die Enteignungsverfügung aufgehoben wurde bzw. die Enteignungsbehörde die Entschädigung nicht im voraus bezahlt hat. Die durch eine „emprise irrégulière“ hervorgerufenen unmittelbaren Schäden werden ebenso wie die Folgeschäden (z. B. Mietausfall, Umzugskosten oder Gerichtskosten) nach zivilrechtlichen Grundsätzen bemessen und ersetzt. Die Verwaltung kann vom Zivilrichter aber nicht zum Handeln (z. B. Räumungsanordnung) verurteilt werden, es sei denn, die Besitzentziehung ist gleichzeitig als „voie de fait“ zu qualifizieren.278 Der „voie de fait“, die von ihrer Konzeption her für den Ausnahmefall gedacht war (die Verwaltung wird wegen der Gewaltmaßnahme vom Zivilgericht wie jede Privatperson behandelt), kommt eine für den Grundrechtsschutz zentrale Bedeutung zu. Insbesondere haben der sehr schwach ausgeprägte vorläufige Rechtsschutz und die fehlende Verpflichtungsklage dazu geführt, daß sich die Bürger zunehmend der ordentlichen Gerichtsbarkeit wenden, um wirksamen Rechtsschutz zu bekommen.279 Bei Vorliegen einer „voie de fait“ darf der Zivilrichter die Verwaltung zu bestimmten Handlungen, wie etwa zur Herausgabe von Sachen oder zur Räumung von Grundstücken dadurch zwingen, daß er ihr Zwangsgelder („astreintes“) auferlegt. Oft werden demnach die Zivilgerichte in diesem Zusammenhang angerufen, obwohl sie nicht zuständig sind, was wiederum eine Reihe von Entscheidungen des „tribunal des conflits“ zur Lösung des Zuständigkeitsproblems notwendig macht.280 Das Gericht mußte präzisieren,281 daß Art. 66 der Französischen Verfassung282 den Grundrechtsschutz nicht ausschließlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbehalte. Nun sah sich auch der Gesetzgeber gezwungen zu intervenieren. Seine Novelle vom 30. Juni 2000

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Chapus 1995, Bd. 2, S. 498. Zu dieser Rechtsschutzlücke s. Tsiklitiras, La protection effective des libertés publiques par le juge judiciaire en droit français, 1991, der durch das Beiwort „effective“ im Buchtitel die Lücke geradezu unterstreicht. 280 Siehe etwa TC, 20.06.1994, Madaci et Youbi, Petites affiches 20.05.1996, Nr. 61, 7; TC, 16.01.1995, Préfet de la Gironde c/Diaz-Canete, JCP 1995, jurisp., 127. 281 TC, 12. 03 1997, Préfet de police de Paris c/TGI de Paris, AJDA 1997, 575, 635; D. 1997, jurisp., 567, note A. Legrand; Petites affiches, Nr. 8, 19.01.1998, 15 und Nr. 9, 21.01.1998, 9; Gaz. Pal., Nr. 353, 19.12.1997, note P. Sangos. 282 „Nul ne peut être arbitrairement détenu. L’autorité judiciaire, gardienne de la liberté individuelle, assure le respect de ce principe dans les conditions prévues par la loi“. 279

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

zum verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz soll dem Grundrechtsträger den Rechtsschutz bieten, den er bislang um den Preis der Entstellung des Verfahrens der „voie de fait“ nur beim Zivilrichter finden konnte. Mit dieser Reform will man einerseits den präventiven Rechtsschutz verbessern und andererseits das verlorene Terrain der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Sachen Grundrechtsschutz zurück gewinnen. Was nationale formelle Enteignungsverfahren angeht, diese müssen, einerlei, wie sie im einzelnen organisiert sind, institutionelle Verflechtungen vermeiden, die an verschienenen Stellen des Instanzen- und Rollenspiels vorkommen können. In Frankreich betreffen sie die Rolle des „commissaire du gouvernement“ bei der Festsetzung der Entschädigungshöhe.283 Im englischen Recht betreffen sie die Rolle des „Secretary of State“. Dieser unterliegt zwar bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses i. S. des Art. 1 des 1. ZP zur EMRK lediglich einer „democratic accountability“, da die EMRK nicht verlangt, das ein unabhängiger Richter das öffentliche Interesse bestimmen sollte.284 Agiert er aber als Rechtsmittelinstanz im Rahmen eines der Festsetzung der Entschädigungshöhe dienenden „appeal against certificate of appropriate alternative development“, so ist er als gleichzeitige Enteignungsinstanz (wo „aquiring authority“ ein „government department“ ist) Richter in eigener Sache. Court of Appeal und House of Lords285 haben dies verneint, doch stellt die Law Commission286 die Vereinbarkeit mit Art. 6 EMRK in Frage. Wenn Zivil- und Verwaltungsgerichte arbeitsteilig am Expropriationsverfahren wie in Frankreich beteiligt sind, darf ihr Zusammenspiel keine Rechtsschutzlücken entstehen lassen.287 Der Betroffene darf nicht zu spät eingeschaltet werden.288 Fraglich ist ferner die Konventionskonformität der Regel, die bestimmt, daß der Enteignungsrichter (Zivilgerichtsbarkeit) 8 Tage Zeit ab Ein283 Hierzu Hostiou/Sruillou 2001, S. 378, Rn. 713; vgl. auch die „Quatrième suggestion“ im „Rapport de l’an 2000“ der Cour de Cassation. 284 R (Alconbury Developments Ltd) v. Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions [2001] 2 WLR 1389, 1412, per Lord Hoffmann. 285 Begum v. Tower Hamlets LBC [2002] 2 All ER 668; Begum v. Tower Hamlets LBC [2003] 2 AC 430. 286 LawCom No 286, 7. 62, unter Hinweis auf Pentrehobyn Trustees v. National Assembly for Wales [2003] RVR 140 para 2. 287 Zur Kritik der Konsequenzen des französischen „dualisme juridictionnel“ für den Enteignungseigentümer seitens des EGMR, Guillemin v. France, 21.02.1997, No 19632/92, 1997-I, § 42. 288 Carrias, La fin d’un deni de justice, D. 1995, somm. 217; Morel, Une brèche dans la séparation du pouvoir judiciaire et du pouvoir administratif, AJPI 1995, 299; Lemasurier, La loi Barnier du 2 févr. 1995 et le nouvel article L. 12-5 du Code de l’expropriation, Petites affiches 13. März 1996, Nr. 32, 15; Deville, Une réforme commandée par le droit européen, Gaz. Pal. 1996, 4 V. Vgl. die Beschreibung des Verfahrens vom EGMR, Guillement v. France, 21.02.1997, No 19632/92, 1997-I, § 27.

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gang der Unterlagen hat (gemäß Art. R. 12-2 C. expr.), um diese zu prüfen und die „ordonnance d’expropriation“ zu erlassen. Problematisch ist hierbei, daß kein kontradiktorisches Verfahren unter Beteiligung von Antragsteller und Eigentümer stattfindet. Der Enteignungseigentümer kann hierzu keine Stellung nehmen und das Zivilgericht kann die Rechtmäßigkeit des behördlichen Verfahrens nicht prüfen. Es obliegt lediglich dem Exproprianten, die „ordonnance d’expropriation“ dem Enteignungseigentümer bekanntzugeben. Erst hierdurch wird das Verfahren kontradiktorisch.289 Darüber hinaus ist der Staat in der Verwendung der enteigneten Güter nicht frei. In dem Fall, in dem das enteignete Grundstück zur Verwirklichung des ursprünglichen Vorhabens nicht verwandt wurde, sieht der C. expr. lediglich eine Rückübertragungsmöglichkeit des Eigentums („rétrocession“) auf den Enteigneten oder eine ergänzende Entschädigung vor (Art. L 12-6 C. expr.). Nach dem EGMR muß das tatsächlich realisierte Vorhaben dem in der „declaration d’utilité publique“ bezeichneten Vorhaben und der dort definierten „cause d’utilité publique“ entsprechen. Es sei zwar zulässig, daß das enteignete Grundstück zur Realisierung des ursprünglichen Vorhabens lange Zeit nicht verwandt werde. Es gehe aber nicht an, mit dem Grundstück zu spekulieren und dessen Wertzuwachs zu erzielen, obwohl die Enteignungsbetroffenen von der Steigerung des Wertes des enteigneten Gutes nicht profitieren könnten. Dieser Wert mußte an die Betroffenen gezahlt werden.290 Wirtschaftsreformen, die eine Umgestaltung der Eigentumsordnung im Namen der sozialen Gerechtigkeit herbeiführen, dürfen nicht zur Umgehung der Junktimklausel bzw. zur Herabsetzung des Rechtsschutzes führen. Das BVerfG hat für diesen Sachverhalt die Figuren der „zugleich enteignenden Inhaltsbestimmung“291 und der „Umgestaltung“292 entwickelt, um die Überleitungsfrage zu lösen. Es sollte nicht auf die Definition, sondern auf die Wirksamkeit des Rechtsschutzes ankommen. Die Grundsätze der „Umgestaltungs“-Rechtsprechung des BVerfG, nach denen eine Neuregelung des Eigentums einheitlich eine Inhaltsbestimmung für die Neu- wie für die Alteigentümer ist, sollten in den Fällen zum Zuge kommen, in denen die Aufhebung der Privatnützigkeit objektiv nicht vorhersehbar oder notwendiges Nebenprodukt des Neugestaltungs- und Angleichungsprozesses293 der Eigentumsordnung ist. Zwar ist in die289 Hostiou/Sruillou 2001, S. 115, Rn. 164. Vgl. hierzu die „deuxième suggestion“ der Cour de Cassation in ihrem „Rapport de l’an 2000“. 290 EGMR, Motais de Narbonne v. France, no 48161/99, 2.7.2002, § 21. 291 BVerfGE 52, 1, 28. 292 BVerfGE 31, 275, 284 f. 293 A. A. Ossenbühl, Eigentumsschutz gegen Nutzungsbeschränkungen, FS Leisner 1999, S. 689, 702, der die generelle Anwendung des Art. 14 Abs. 3 GG ohne Berücksichtigung von Finalität bei einem Totalentzug – nicht bei einem Teilentzug – der Nutzungsmöglichkeiten fordert.

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3. Teil: Verhältnis von negatorischem Rechtsschutz und Haftung

sen Fällen die Junktimklausel nicht unmittelbar anzuwenden, doch kann ihrer Funktion, ein Verharmlosen und Degradieren von Eigentumsentziehungen zum Status von Nebenfolgen zu verhindern, durch die Gewährung enteignungsgleichen Rechtsschutzes im Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Rechnung getragen werden. Ein Anwendungsbereich der „zugleich enteignenden Inhaltsbestimmung“ sollte dann bestehen bleiben, wenn sich die gezielte Aufhebung eines eigentumsrechtlichen Zuordnungsverhältnisses oder der Privatnützigkeit in den Status der akzessorischen Nebenfolge der Umgestaltung nicht hineinzwängen läßt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß die Akte der Inhaltsbestimmung und des Entzuges als zwei separate Vorgänge nur äußerlich in einem Gesetz zusammentreffen.294 Zusätzlich zur Inhaltsbestimmung muß dann der Entzug von Positionen angeordnet werden, die an sich nach der geltenden Eigentumsordnung bestehen bleiben dürften. Insoweit muß das Gesetz eine Entschädigungsregelung vorsehen. Die Rechtmäßigkeit beider getrennter Vorgänge muß sich auch separat nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 14 Abs. 3 GG bestimmen. Die Enteignung geht somit bei Reformen in der Problematik des Vertrauensschutzes und des schonenden Übergangs nicht auf.295 Übrigens gehört der Entzug von Altrechten gegen Enteignungsentschädigung nach dem BVerfG zu den Optionen des Gesetzgebers bei der Neuordnung eines Rechtsgebiets.296

294 Vgl. Schmitt-Kammler, Ungelöste Probleme der verfassungsrechtlichen Eigentumsdogmatik, in: FS Rechtswiss. Fakultät Köln 1988, 821, 834. 295 So aber Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, 1998, S. 155 f. 296 Vgl. auch Götz, Ein Jahrzehnt Naßauskiesungsbeschluß – Zur Entwicklung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes im Bodenrecht, AgrarR 1994, 1 (3), der vier Optionen des Gesetzgebers herausarbeitet.

Vierter Teil

Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung Unter Berücksichtigung der einschlägigen europa-, verfassungs- und staatsorganisationsrechtlichen Rahmenbedingungen kann die Haftung der öffentlichen Gewalt an besondere Tatbestände angeknüpft werden. Zunächst bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Bestimmung des Verhältnisses der persönlichen Beamtenhaftung zur Haftung der öffentlichen Gewalt im Außenverhältnis. Kausalität und verletztes Schutzgut sind ferner unverzichtbare Tatbestandsmerkmale, hinter denen allerdings abweichende Wertungen und unterschiedliche Selektionsstrategien stecken. Diese Unterschiede gilt es zunächst herauszuarbeiten und mit den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen des Unionshaftungsrechts zu vergleichen. Schließlich stellt sich die Frage, warum die untersuchten Rechtsordnungen spezifisch haftungsrechtliche Tatbestandsmerkmale zur Verfügung stellen, die von den aufhebungsrechtlichen Wertungs- und Zurechnungskriterien abzuschichten sind und besondere Funktionen wahrnehmen.

A. Kausalität und Zurechnung I. Kausalität Kausalitätsprobleme werden im deutschen Staatshaftungsrecht mit Hilfe der Theorie des adäquaten Kausalzusammenhangs gelöst.1 Nach englischem „tort law“ prüfen die Gerichte neben dem Vorliegen eines Kausalzusammenhangs („but for test“) auch die damit zusammenhängende Voraussetzung von „remoteness“: Ersatzfähig sind lediglich die Schäden, die sich als eine vernünftig vorhersehbare Konsequenz („reasonable forseeability“) des vom Beklagten begangenen Unrechts („wrong“) darstellen. Unvorhersehbare konkrete Schäden sind nur insofern ersatzfähig, als sie sich einem vorhersehbaren Schadenstypus zuordnen lassen.2 Von Bedeutung ist auch die Schuld des Beklagten. Im Falle des „tort of deceit“ sowie bei allen „intentional torts“ haftet der Beklagte für alle

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Ossenbühl, StHR 1998, S. 70 ff. Diese Abweichung von der Regel ist unter der Bezeichnung „,thin skull‘ principle“ oder „,egg-shell skull‘ principle“ bekannt: Smith v. Leech Brain & Co Ltd [1962] 2 QB 405; Hughes v. Lord Advocate [1963] AC 837. Winfield/Jolowicz 1998, S. 221. 2

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

Schadensfolgen, die aufgrund des Schuldmoments als intendierte Folgen gelten. Intendierte Handlungsfolgen können nicht als „remote“ charakterisiert werden.3 Das englische Recht kann ferner beim Versuch, die Rechtsprechung des EGMR zu „loss of opportunity“ bei der Anwendung des HRA 1998 zu bewältigen, an die Rechtsprechung der Gerichte zu Schadensersatzanträgen wegen „loss of a chance“ anknüpfen. Der Geschädigte erhält nur einen Anteil, der der Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts entspricht.4 Der Kläger muß nachweisen, daß er eine reale Chance verloren hat.5 Der Übernahme zivilrechtlicher Lösungen in das englische Staatshaftungsrecht im Bereich der Gewährung eines Ersatzes für „loss of a chance“ zieht allerdings das britische Verfassungsrecht Grenzen. Das Gericht darf Überlegungen über hypothetische Entscheidungsverläufe bei Rechtmäßigkeit anstellen, nicht aber der Verwaltung Entscheidungen diktieren.6 Jedenfalls haben sich die „public law ombudsmen“ über diese verfassungsrechtlichen Bedenken in ihrer Entschädigungspraxis von „lost opportunities“ hinweggesetzt.7 Der Kausalitätsbegriff im französischen Staatshaftungsrecht ist vor dem Hintergrund seines zivilrechtlichen Pendant zu sehen. Im Zivilrecht geht man von der Äquivalenztheorie („équivalence des conditions“) aus, deren Großzügigkeit bei der Bejahung von Kausalzusammenhängen8 in der Praxis durch den Einbau von Bewertungs- und Wahrscheinlichkeitsurteilen korrigiert wird. Der wichtig3

Burrows, Remedies for Torts and Breach of Contract, 2. Aufl. 1994, S. 44 f. Hotson v. East Berkshire Area Health Authority [1987] A.C. 750. Hier hat das House of Lords keinen Ersatz für die verlorene Chance gewährt, eine Gefäßnekrose zu vermeiden. „(O)n a balance of probabilities the disability would have occured anyway“: Winfield/Jolowicz 1998, S. 205. 5 Siehe die Ausführungen des Stuart-Smith LJ in Court of Appeal, Allied Maples Group Ltd v. Simmons & Simmons [1995] 1 W.L.R. 1602. In dieser Entscheidung ging es um den Ersatz für verlorene Chancen wegen schlechter Beratung („professional negligence“ seitens der „sollicitors“ der Kläger) bei einer Unternehmensübernahme („take-over“). Winfield/Jolowicz 1998, S. 206; Gerven u. a., Tort Law, 2000, S. 226 f., 245. 6 Zu dieser Problematik s. Arrowsmith Civil Liability and Public Authorities, 1992, S. 31: „However the objections are not constitutional but practical – the court is not deciding what should be done but what the administrator would have done“. Eine verfassungsrechtliche Haftungssperre in solchen Fällen hätte einen Ausschluß aller Schadensersatzmöglichkeit bei der Verletzung der Verfahrensregeln im öffentlichen Beschaffungswesen zur Folge gehabt. Vgl. dieselbe, The Law of Public and Utilities Procurement, 1996, 891–895. 7 Commission for Local Administration in England, Guidance on Good Practice: Remedies, (London, September 1997, Revised March) 2003, Rn. 37: „Sometimes the injustice may be that the complainant was deprived of an opportunity. For example, the complainant may have been deprived of a right of appeal because the council did not inform him or her of that right.“ 8 Da ihre Heranziehung anders als die im deutschen Recht gebräuchliche Adäquanzlehre leicht zur Feststellung von Multikausalität führt, hat das französischen Zivilrecht ein ausgebautes Bewertungssystem des Umgangs mit der Pluralität von Ursachen entwickelt. Zum Vergleich s. Gerven u. a. 2000, S. 419, 436. 4

A. Kausalität und Zurechnung

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ste locus dieser Urteile ist die Einrede der Fremdverursachung („cause étrangère“), die eine Unterbrechung der Verursachungskette geltend macht (Dazwischentreten eines nicht voraussehbaren und unvermeidbaren Ereignisses). Darüber hinaus werden bei Fragen der Vielheit von Ursachen und Verursachern sowie der Ersatzfähigkeit verlorener Chancen („perte d’une chance“) Bewertungen vorgenommen, die der Adäquanztheorie sehr nahe stehen.9 Demgegenüber wird im Verwaltungsrecht implizit auf die Adäquanztheorie abgestellt.10 Die Äquivalenztheorie wird subsidiär insofern angewandt, als die Suche nach der „cause véritable“ bzw. „cause initiale“ oder „cause adequate“ nichts ergibt. Die Entwicklung des Grundsatzes des „cumul des responsabilités“, d. h. die gleichzeitige Haftung von Verwaltungsverband und Beamtem erleichtert übrigens den Rückgriff auf die Äquivalenztheorie im Staatshaftungsrecht. Die Annahme einer „faute personnelle“ des Amtsinhabers, die vom öffentlichen Dienst nicht zu trennen ist und die Verbandshaftung auslöst, bedeutet nichts anderes als die implizite Annahme einer Mitverursachung der Schädigung seitens des „service public“: Das Amt ermöglicht das Begehen der „faute personnelle“. Die Haftungshäufung kann somit als eine gegen die Verwaltung streitende Kausalitätsvermutung angesehen werden, die der Gewährleistung des Ersatzes der dem Bürger angerichteten Schädigung dienen soll. Beim Regreß der Verwaltung gegen den Amtsinhaber kommt es auf diese Vermutung nicht mehr an.11 Auch im Staatshaftungsrecht spielt die Einrede der „cause étrangère“ eine wichtige Rolle. Allerdings wird sie an die Erfordernisse der Interessen des Allgemeinwohls angepaßt. Zunächst kennen weder die Zivigerichte noch der Code civil (Art. 1148) die Trennung von höherer Gewalt („force majeure“) und Zufall („cas fortuit“), die im Staatshaftungsrecht durch Hauriou eingeführt und vom Conseil d’Etat bestätigt worden ist.12 Höhere Gewalt liegt vor, wenn ein unvorhersehbares und unwiderstehliches Ereignis an die Verwaltungstätigkeit von außen herantritt. Der Haftungsausschluß infolge höherer Gewalt ist allerdings nicht generell. Im Bereich der Haftung wegen „travaux publics“ kann die Verwaltung wegen höherer Gewalt auch nur zum Teil entlastet werden, wenn etwa der Zustand der „travaux publics“ oder ein „défaut d’entretien normal“ die Folgen des externen, unwiderstehlichen Ereignisses verschlechtert haben.13 Insofern findet auch hier eine implizite Anwendung der Äquivalenztheorie statt, da 9 Viney/Jourdain, Traité de droit civil. Les condititions de la responsabilité, 2. Aufl. 1998, 247 ff. 10 Paillet, La responsabilité administrative, 1996, S. 46. 11 Deguergue, Jurisprudence et doctrine dans l’élaboration du droit de la responsabilité administrative, 1994, S. 443, 444. 12 Hauriou, note sous CE, 10.05.1912, Ambrosini, S. 1912. III. 161; bestätigt durch CE, 25.01.1929, Société du Gaz de Beauvais, Rec. 94, S. 1929. III. 81. 13 „(L)es conséquences dommageables dudit événement auraient été aggravées du fait soit d’un défaut d’entretien normal, soit d’une mauvaise conception dans l’aménagement de l’ouvrage public“: CE, 27.06.1963, Calkus, Rec. 401. Ferner:

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

Verwaltung und höhere Gewalt einen Schaden mitverursacht haben können. Anders als die höhere Gewalt entfaltet der Zufall prinzipiell keine entlastende Wirkung. Er wurde von Hauriou als „une faute de service qui s’ignore“ bezeichnet, da er impliziere, daß nicht alle notwendigen Vorkehrungen zur Abwendung der Gefahr bzw. des Unfalls getroffen würden.14 Entlastende Wirkung kommt ihm lediglich bei der „Faute“-Vermutung im Rahmen der Theorie des „défaut d’entretien normal des ouvrages publics“ zu. Hierbei trägt er zum Nachweis der „normalen Unterhaltung“ der öffentlichen Einrichtung bei.15 Die Problematik der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch das Dazwischentreten eines Dritten („fait du tiers“) hat im Staatshaftungsrecht ihre Eigentümlichkeit darin, daß die Fremdverursachung im Bereich der Haftung für „ouvrages“ oder „travaux publics“ keinen Haftungsausschlußgrund darstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Geschädigte Dritter, Benutzer oder Beteiligter ist. Dies gilt demnach auch unabhängig davon, ob die Haftung der Verwaltung für „ouvrages“ oder „travaux publics“ auf „risque“, „faute présumée“ oder „faute prouvée“ beruht. Begründet wird dies mit der Gefährlichkeit der Einrichtungen bzw. der Arbeiten oder mit der die Verwaltung treffenden Pflicht zur normalen Unterhaltung der öffentlichen Einrichtungen. Der „fait du tiers“ entfaltet ausnahmsweise entlastende Wirkung, soweit der Besteller des öffentlichen Werkes („maître de l’ouvrage“) über keine Gewährleistungsklage („action en garantie“), d. h. über keine Regreßklage („action recursoire“) bzw. Klage aus dem Recht des Geschädigten („action subrogatoire“) gegen den Dritten verfügt. Dies ist vor allem der Fall, wenn der den Schaden schuldhaft mitverursachende Dritte der Arbeitgeber des Opfers eines Arbeitsunfalls ist. Hier verbietet das Gesetz vom 30. Oktober 1946 außer bei Vorsatz alle Rechtsmittel des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.16 Der Geschädigte muß sich zur Komplettierung seines Schadensersatzes an den Dritten wenden, den er vor den ordentlichen Gerichten verklagen muß. Staat und Dritter sind demnach nicht in solidum für die volle Schadenshöhe verantwortlich, was der „solidarité de la part des débiteurs“ nach den Art. 1200 ff. des Code civil entsprechen würde. Der Staat haftet entsprechend dem Kausalitätsbeitrag seiner „faute“, während der Geschädigte zwei Klagen – eine vor dem Verwaltungs- und eine vor dem Zivilgericht – erheben muß und sich dem Risiko ausgesetzt sieht, auf einen zahlungsunfähigen Mitverursacher seines Schadens zu stoßen. Wenn aber die Mitverursacher verschiedene Behörden oder Instanzen der öffentlichen Gewalt sind, kann eine von ihnen vom Verwaltungsgericht in voller Schadenshöhe verurteilt werden.17

25.05.1990, Abadie, Rec. 1026; AJDA 1990, 824, note G. Darcy; hierzu Deguergue 1994, S. 450. 14 Deguergue 1994, S. 447. 15 Ebd. 16 Ebd., S. 453.

A. Kausalität und Zurechnung

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Erfolgt die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch ein „fait de la victime“, so ist damit im Zivilrecht eine echte „faute“ des Opfers gemeint. Im Staatshaftungsrecht wird zwischen „faute“ und „fait“ des Opfers unterschieden. Ferner kann die Kausalitätsunterbrechung auf die bewußte Hinnahme einer Gefahr seitens des Opfers zurückzuführen sein. Während dieser Gedanke im Zivilrecht lediglich im Rahmen der Vertragshaftung relevant ist, soweit das Opfer mangelnde Vorsicht („imprudence“) an den Tag legt, findet er im Staatshaftungsrecht generelle Anwendung. Der Conseil d’Etat hält dem Geschädigten die Hinnahme von Gefahren entgegen, die sowohl von bekannt gefährlichen Sachen bzw. Aktivitäten der Verwaltung ausgehen als auch durch per se nicht gefährliche Tätigkeiten verursacht werden. Eine Haftungsentlastung wird somit unter diesem Aspekt im Staatshaftungsrecht viel öfter und leichter als im Zivilrecht, wo die Verletzung einer Sorgfaltspflicht seitens des Opfers nachgewiesen werden muß, bewirkt.18 Ein Blick in die Rechtsprechung des EuGH macht klar, daß diese Zusammenhänge dort wieder zu finden sind. Das betrifft die Unmittelbarkeitskonzeption sowie die Unterbrechung bzw. Störung des Kausalzusammenhangs durch die Tätigkeit bzw. das Mitverschulden des Geschädigten oder durch Mitgliedstaatshandeln. Der Schaden muß unmittelbar und ausschließlich auf die Handlung zurückzuführen sein.19 Der Kausalzusammenhang wird verneint, wenn der Schaden auch ohne die fragliche Handlung der Unionsorgane gleichermaßen eingetreten wäre.20 Der ein Problem der Begründetheit betreffende21 und vom Kläger nachzuweisende22 Kausalzusammenhang i. S. v. Artikel 288 Abs. 2 EGV liegt vor, wenn ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem 17 CE, 24.03.1978, Laporta, Rec. 159; 22.06.1987, Ville de Rennes, Rec. 223; 9.04. 1993, M.D., Rec. 110. 18 Deguergue 1994, S. 457 ff., 459 ff. 19 EuGH, Rs. 180/87, Hamill/Kommission, Slg. 1988, 6141, Rn. 14 und verb. Rs. 64/76 und 113/76, 167/78 und 239/78, 27/79, 28/79 und 45/79, Dumortier Frères u. a./Rat, Slg. 1979, 3091, Rn. 21; EuG, Rs. T-220/96, EVO/Rat und Kommission, Slg. 2002, II-2265, Rn. 41, und die dort zitierte Rechtsprechung. 20 Vgl. u. a. die Urteile vom 9. Dezember 1965 in den verb. Rs. 29/63, 31/63, 36/ 63, 39/63 bis 47/63, 50/63 und 51/63 (SA des Laminoirs, Hauts Fourneaux, Forges, Fonderies et Usines de la Providence u. a./Hohe Behörde, Slg. 1965, 1198, 1234 ff.) und in den verb. Rs. 5/66, 7/66 und 13/66 bis 24/66, Firma E. Kampffmeyer u. a./ Kommission, Slg. 1967, 332, 352 ff.; Rs. C-358/90, Compagnia Italiana Alcool, Slg. 1992, I-2457, Rn. 47. 21 EuGH, Worms/Hohe Behörde, Slg. 1962, 397, 416. 22 EuG, Rs. T-168/94, Blackspur u. a./Rat und Kommission, Slg. 1995, II-2627, Rn. 40; T-231/97, New Europe Consulting und Brown/Kommission, Slg. 1999, II2403, Rn. 57; EuGH, Rs. T-451/93, San Marco, Slg. 1994, II-1061, Rn. 118: Der Kläger muß etwa vortragen und beweisen, daß der ihm entstandene Schaden durch den gerügten Amtsfehler und nicht durch Bürgerkrieg, Diebstahl oder andere äußere Umstände entstanden ist. EuGH, Rs. C-257/98 P, Arnaldo Lucaccioni/Kommission, Slg. 1999, I-5251, Rn. 63.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

von dem betreffenden Organ begangenen Fehler und dem geltend gemachten Schaden besteht.23 Dies betrifft die Problematik der überholenden Kausalität: Selbst wenn man zu der Auffassung gelangt, daß jede der einschlägigen Verhaltensweisen des Unionsorgans, isoliert betrachtet, kausal gewesen sein könnte, ist noch zu prüfen, ob die Kausalkette durch eine Zweitursache unterbrochen wurde oder nicht; es muß also zusätzlich das Verhältnis der verschiedenen Ursachen zueinander, die Auswirkung der Zweitursache (Reserveursache) auf die Kausalkette, die mit der ersten Ursache beginnt, geprüft werden.24 Die Union haftet auf diese Weise nicht für ferne, durch ihr rechtswidriges Handeln nicht mehr bedingte Wirkungen auf Wirtschaftsunternehmen. Dies ist der Fall, wenn die Schwierigkeiten von Unternehmen auf besonderen Umständen des Einzelfalles, wie Überalterung der Produktionsanlagen und Leitungs- und Finanzierungsproblemen beruhen.25 Die Einreichung „globaler Statistiken, deren Auslegung unsicher ist“, reicht nicht zum Kausalitätsnachweis, da es sich um eine „konjunkturelle Entwicklung“ handeln kann,26 die ihren Ursprung nicht in der streitigen Maßnahme hat. Ebensowenig können subjektive Absichtserklärungen als objektive Belege für den Kausalitätszusammenhang anerkannt werden.27 Der eigene ursächliche Beitrag des Geschädigten unterbricht bzw. stört den Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Handeln bzw. Unterlassen des Unionsorgans und dem ihm angeblich entstandenen Schaden.28 Es handelt sich um eine besondere Form einer durch das Verhalten des Geschädigten erfolgten Unterbrechung des Kausalverlaufs bzw. der überholenden Kausalität.29 Der Geschädigte bringt sich durch eine eigene Handlung in eine Lage, in der er 23 Vgl. EuGH Rs 9/60 und 12/60, Société commerciale AntoineVloeberghs/Hohe Behörde, Slg. 1961, 429, Rs. 18/60, Worms/Hohe Behörde, Slg. 1962, 397, 420, Rs. 36/62, Société des Aciéries du Temple/Hohe Behörde, Slg. 1963, 621, 638 f; Rs. 241/ 78, 242/78 und 245/78 bis 250/78, DGV u. a./Rat und Kommission, Slg. 1979, 3017, 3040 f., Rs. C-363/88 und C-364/88, Finsider u. a./Kommission, Slg. 1992, I-359, Rn. 25; Rn. C-220/91 P, Kommission/Stahlwerke Peine-Salzgitter, Slg. 1993, I-2393; EuG, Rs. T-168/94, Blackspur u. a./Rat und Kommission, Slg. 1995, II-2627, Rn. 40. 24 Siehe für ein Beispiel einer solchen Prüfung die Schlußanträge von GA Christine Stix-Hackl vom 28.11.2002, in Rs. C-472/00 P, Kommission/Fresh Marine Company SA, Rn. 48–65. 25 EuGH, verb. Rs. 64 u. 113/76, 167 u. 239/78, 27, 28 u. 45/79, Dumortier, Slg. 1982, 1748, Rn. 21. 26 EuGH, Rs. 26–74, Roquette frères, Slg. 1976, 67, Rn. 19–24. 27 EuG, Rs. T-199/94, vom 7.2.2002, Gosch/Kommission, Rn. 67. 28 Unterbrechung etwa durch die Aufnahme eines Kredits: EuG, Urteil vom 13.2.2003, Rs. T-333/01, Karl L. Meyer/Kommission, Rn. 45. 29 Vgl. zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch den Geschädigten beispielsweise die Schlußanträge von Generalanwalt Van Gerven vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache Mulder II Nr. 38, sowie das Urteil vom 29. September 1982 in der Rs. 26/81 (Oleifici Mediterranei, Slg. 1982, 3057, Rn. 23. Hierzu s. auch die Schlußanträge von GA Christine Stix-Hackl vom 20.11.2003, in Rs. C-164/01 P G. van den Berg/Rat und Kommission, Rn. 58.

A. Kausalität und Zurechnung

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den Schaden auch ohne die fragliche rechtswidrige Handlung der Unionsorgane gehabt hätte und dieser Schaden daher nicht mehr unmittelbar bzw. ausschließlich auf diese Handlung zurückzuführen ist. Dies hat eine Minderung des Schadensersatzes bzw. sogar einen Haftungsausschluß zur Folge. Aufgrund des festgestellten Zusammenwirkens von Fehlern, sieht das EuG „aus Billigkeitsgründen“ einen meistens kleinen Betrag „als angemessene Entschädigung des Klägers“ an.30 Es wird allerdings stets einzelfallbezogen bestimmt, welcher Sorgfaltsmaßstab bei der Einschätzung des Mitverschuldens an der Schadensentstehung oder Schadensbegrenzung angelegt werden muß. Der Geschädigte darf es an der „normalen Umsicht“ nicht fehlen lassen.31 Er muß sich in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen.32 Als Mitverschulden ist nicht das Unterlassen anzusehen, Nichtigkeitsklage zu erheben. Soweit dies vom EuGH vor allem in Streitigkeiten über rechtswidrig vorenthaltene Beamtenzulagen verlangt wird, verfolgt der Gerichtshof einen anderen Zweck. Er will nämlich der Instrumentalisierung der Schadensersatzklage zur Umgehung der Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage einen Riegel vorschieben. Demgegenüber muß sich der Geschädigte im Rahmen der Mitgliedstaatshaftung33 rechtzeitig von den verfügbaren Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch machen. Zur Problematik des Kausalzusammenhangs gehört auch die Verantwortungszurechnung im Rahmen des Verhältnisses von Mitgliedstaats- und Unionshaftung. Die von den nationalen Organen verursachten Schäden können nur die Haftung dieser Organe auslösen.34 Es muß eine „selbständige Entscheidung“ der nationalen Stellen vorliegen.35 Wenn aber das europäische Organ seine Verpflichtung, die Mitgliedstaaten und die Unternehmen der Gemeinschaft zur Beachtung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs anzuhalten, nicht einhält, kann dies seine Haftung auslösen.36 Der Schaden, den die Durchführung einer rechtswidrigen Unionsregelung durch die nationalen Behörden nach sich ziehen könnte, ist der Union anzulasten.37 Die Mitgliedstaaten haften nicht für den Vollzug fehlerhaften Unionsrechts, soweit die nationalen Instanzen keinen Gestaltungsspielraum haben. Wo Unionsorgane Aufsichtsaufgaben wahrzunehmen 30

EuGH, Nijman, Rn. 44. EuGH, Rs. 58–75, Sergy, Slg. 1976, 1139, Rn. 43 bis 47. 32 Siehe EuGH Rs. C-248/98 P, Slg. 2000 I-01527, Rn. 57 unter Hinweis auf Sergy/Kommission, Rn. 41, und Giry/Kommission, Rn. 19, sowie verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Rn. 85. 33 EuGH, Brasserie, Rn. 84. 34 EuGH, verb. Rs. 89 u. 91/86, Etoile Commerciale, Slg. 1987, 3005, Rn. 20. 35 EuGH, Rs. 132–77, Société pour l’Exportation des sucres S.A., 1978, 1061, Rn. 23 bis 27. 36 EuGH, verb. Rs. 9 u. 12–60, Societe commerciale Antoine Vloeberghs AG, Slg. 1961, 429, Rn. 8. 37 EuG Rs. T-18/99, Cordis/Kommission, Slg. 2001 II-913 Rn. 26–27. 31

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

haben, können sowohl die beaufsichtigten Mitgliedstaaten als auch das Unionsorgan einen Beurteilungsspielraum haben. In solchen Fällen muß zur Begründung der Unionshaftung eine Verletzung der Aufsichtspflicht und anschließend ein bestehender Kausalzusammenhang zwischen der Aufsichtspflichtverletzung und dem angeblich hierdurch verursachten Schaden nachgewiesen werden. Bei Erfüllung der Aufsichtspflicht muß aber der Beurteilungsspielraum, der den Mitgliedstaaten gelassen ist, berücksichtigt werden.38 Die Unionsorgane haben jedenfalls nur einzugreifen, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, daß die nationalen Behörden die ihnen obliegende Kontrolle nicht in befriedigender Weise vornehmen.39 Ist der Schaden auf rechtswidriges Verhalten sowohl eines Mitgliedstaates als auch eines Unionsorgans zurückzuführen, so haften Union und Mitgliedstaat gemeinsam.40 Das nationale Gericht kann sich allerdings nicht zur Unionshaftung äußern, selbst wenn das Unionsorgan bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat. Die Unionsorgane haben jedoch mit den nationalen Gerichten zusammenzuarbeiten, indem sie ihnen die für die sachgerechte Anwendung und Wahrung des Gemeinschaftsrechts im Rahmen der nationalen Gerichtsverfahren unerläßlichen Informationen erteilen.41 Bei gemeinsamer Unions- und Mitgliedstaatshaftung bietet somit ein Modell der gesamtschuldnerischen Haftung ohne kompetenzielle Präzisierungen keine befriedigende Lösung. Demgegenüber ist eine Anwendung des französischen Grundsatzes, nach dem der Geschädigte sowohl den mitgliedstaatlichen Rechtsweg als auch den Weg zum Gemeinschaftsrichter beschreiten müßte, um vollen Schadensersatz zu erlangen, nicht ohne Weiteres zumutbar. In der Literatur wird dafür plädiert, eine Entscheidungskompetenz des EuGH über die gemeinsame Haftung von Union und Mitgliedstaaten anzuerkennen.42 Das Kriterium der Unmittelbarkeit im französischen Recht und im Unionsrecht stimmt nach alledem nicht mit dem überein, was heute im deutschen Recht, insbes. im Folgenbeseitigungsanspruch unter einem unmittelbaren Schaden verstanden wird. Es entspricht eher einer früheren Kausalitätsbetrachtung im deutschen Recht, die ebenfalls auf das Fehlen von Zwischenursachen abstellte.43 Jedenfalls bedeutet Unmittelbarkeit im französischen und unionalen Recht nicht den Ausschluß aller Zweit- und Spätfolgen eines Ereignisses von 38

EuGH, Rs. 4–69, Lüttike, Slg. 1971, 325, Rn. 14/15. EuGH, verb. Rs. 326/86 u. 66/88, Benitto Francesconi, Slg. 1989, 2087, Rn. 25. 40 EuGH, Kampffmeyer, S. 350. 41 Siehe hierzu die Schlußanträge des GA Philippe Léger in EuGH, Rs. 275/00, vom 19.3.2002, First und Franex (Rn. 52 ff.) unter Hinweis auf EuGH, Rs. C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935, Rn. 53 zur „loyalen Zusammenarbeit“ (Rn. 57). 42 So Renzenbrink, Gemeinschaftshaftung und mitgliedstaatliche Rechtsbehelfe, 2000, S. 176–183. 43 Ossenbühl, StHR 1998, S. 249 ff., 302 ff. 39

A. Kausalität und Zurechnung

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der Haftung. Sie kann nicht dazu benutzt werden, um den Ersatz entgangenen Gewinns oder des Zinsverlustes auszuschließen. Ein Antrag auf Zahlung von Zinsen ist nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich zulässig. Damit wird dem Grundsatz entsprochen, wonach das Vermögen des Geschädigten vollständig wiederherzustellen ist.44

II. Beamten- und Staatshaftung Im englischen Recht ist zum ersten Mal mit Erlaß des Crown Proceedings Act 1947 zwischen der Person des Königs und der Krone im Sinne von Staat unterschieden worden. Und erst jetzt wurde möglich, den Staat vor seinen eigenen Gerichten zu verklagen. Nach sec. 2 (1) Crown Proceedings Act 1947 gilt nunmehr, daß eine Haftung der Krone aus „tort“ nur dann in Betracht kommt, wenn eine schädigende Handlung vorliegt, die auch von einer Privatperson hätte begangen werden können und aufgrund derer auch eine Privatperson zur Schadensersatzleistung aus „tort“ verpflichtet wäre. Diese Angleichung zieht zugleich eine Haftungsbeschränkung nach sich. Denn bei Tätigkeiten, die von Privatpersonen nicht ausgeübt werden können, ist eine Haftung der Krone aus „tort“ ausgeschlossen. Soweit öffentliche Aufgaben von Privatpersonen nicht wahrgenommen werden können, kann auch die Krone bei Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht wie eine Privatperson aus „tort“ haften. Ihre Haftung entfällt wegen mangelnder Möglichkeit der Haftung von Privatpersonen.45 Wie die Literatur auch moniert, ist dem Gesetzgeber nicht gelungen, die Haftungsprivilegien der Krone zu beseitigen.46 Die Krone haftet nach der Doktrin der „vicarious liability“ sowohl für ihre Erfüllungsgehilfen („servants“) als auch für ihre Stellvertreter („agents“).47 Der Amtswalter kann Erfüllungsgehilfe der Krone selbst oder einer Kronbehörde sein. Alle Amtsträger, die der Krone unmittelbar angehören (z. B. Minister) gelten nicht als Erfüllungsgehilfen, sondern als Stellvertreter der Krone.48 Für die Qualifizierung als „servant“ wird auf die Beziehung „master-servant“, die Weisungsbefugnisse des „master“ und den Grad der Abhängigkeit des „servant“ insgesamt abgestellt.49 Die unerlaubte Handlung des 44

EuGH, Rs. 152/88, Sofrimport/Kommission, Slg. 1990, I-2477, Rn. 32 und vom 19. Mai 1992 in den verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder u. a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061, Rn. 35; Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder u. a./Rat und Kommission, Slg. 2000, I-203, Rn. 216. 45 Veranschaulicht kann dies am Beispiel der öffentlichen Güterbeschaffung werden, hierzu Höfler, Haftung und Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers im englischen Recht, 1997, S. 148 ff., 152. 46 Arrowsmith 1992, S. 150, 158 ff. 47 Section 2 (1) (a) Crown Proceedings Act 1947. 48 British Medical Association v. Greater Glasgow Health Board [1989] AC 1211. 49 Mayo, Die Haftung des Staates im englischen Recht – unter vergleichender Berücksichtigung des deutschen Rechts, 1999, S. 39 ff.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

„servant“ muß in Ausführung der ihm übertragenen Tätigkeit begangen worden sein. Nach sec. 2 (6) haftet die Krone nur für diejenigen „servants“ der Krone, die von ihr ernannt und aus vom Parlament bereitgestellten Mitteln entlohnt werden. Die Haftung der Krone für deliktisches Verhalten ihrer „servants“ ist genauso ausgestaltet wie die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers für seine Arbeitnehmer. Auch die Haftung für „agents“ tritt nur ein, wenn der „agent“ im Rahmen seines Auftrags gehandelt hat. Bei „independent contractors“ haftet der Auftraggeber nicht für Fahrlässigkeit bei Gelegenheit der Auftragerfüllung („collateral“ oder „casual negligence“). Unter den Begriff des „agent“ fällt ausdrücklich nach sec. 38 (2) Crown Proceedings Act 1947 der selbständige Unternehmer („independent contractor“), der aufgrund eines „contract for services“ tätig wird und einen konkreten Leistungserfolg schuldet. Die Übertragung der Ausführung bestimmter Arbeiten auf den selbständigen Unternehmer, der dann weisungsfrei tätig wird, befreit den Geschäftsherrn nicht von der Haftung für die Verletzung von Pflichten, die nicht nur dem Unternehmer, sondern auch dem Geschäftsherrn obliegen (z. B. Verkehrssicherungspflichten und Sorgfaltspflichten bei gefährlichen Tätigkeiten). In diesen Fällen geht es um eigene Pflichtverletzung des Geschäftsherrn und somit eher um „direct liability“. Verwaltungsträger („public corporations“ oder „public authorities“ oder „statutory bodies“) können ebenfalls „servants“ oder „agents“ der Krone sein. Die Rechtsprechung hat zur Bejahung dieses Status verschiedene Kriterien entwickelt.50 Der Literatur ist aber klar, daß die Analogie zu zivilrechtlichen Konstruktionen nicht befriedigen kann.51 Krone und Amtswalter haften nach den Grundsätzen der Geschäftsherrnhaftung kumulativ. Eine objektivierende Tendenz im Sinne der Unabhängigkeit vom personengebundenen Fehler eines bestimmten Amtsträgers läßt sich insofern beobachten, als das Fehlverhalten einen Fall von „ultra vires“ darstellt und der Schadensersatzantrag im Verfahren der „Application for Judicial Review“ gestellt wird. Die Tatsache, daß Fragen des Primär- und Sekundärrechtschutzes zusammen in einem einheitlichen Verfahren behandelt werden, könnte Anlaß zu einer verwaltungsrechtlichen Ausarbeitung einer englischen Haftung für „faute de service“ geben.52 Die Unterscheidung von „faute personnelle“ und „faute de service“, die durch das Grundsatzurteil53 des „Tribunal des conflits“ in das französische 50 „Is the body a substitute for private enterprise?“, „has it independent discretionary powers“, „must it consult a Minister before it acts?“, „is its function one which has been historically regarded as governmental? „are its funds received from and to be returned to and audited by the Government?“, „is its authority general or local?“, „is it a delegation by the Crown of its authority to individuals?“, „is it a mere domestic body?“, Street, Governmental Liability, 1953, 29. 51 Arrowsmith 1992, S. 154; Atiyah, Vicarious Liability in the Law of Torts, 1967, S. 394. 52 So die Vermutung von Flogaitis, Administrative Law et Droit administratif, 1986, S. 207 f.

A. Kausalität und Zurechnung

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Staatshaftungsrecht eingeführt wurde, sollte bestimmen, wann der Staat für die Handlungen seiner Beamten belangt werden kann und wann diese persönlich haften sollten. Dies war nicht so sehr ein materiell-rechtliches Problem, sondern eine für die damalige Zeit wichtige Kompetenzfrage. Würde nämlich die ordentliche Gerichtsbarkeit über eine Klage gegen den Beamten entscheiden, bei der in Wirklichkeit allein der Staat haftet, so würde er gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen.54 Das gegen die ordentlichen Gerichte gewandte Verbot, verwaltende Tätigkeit zu überprüfen, blieb weiterhin unangetastet. Im Falle der Kumulierung einer „faute de service“ und einer „faute personnelle“ eines Beamten, darf der Geschädigte von der öffentlichen Gewalt in voller Schadenshöhe entschädigt werden55, wobei sich die öffentliche Gewalt ihre Regreßmöglichkeiten gegen den Beamten vorbehält. Der Regreß kann56 mit Hilfe einer „action en garantie récursoire“ geltend gemacht werden. Mit „actions récursoires“ werden neben den Klagen der Verwaltung gegen den persönlich haftenden Beamten oder des haftenden Beamten gegen die ebenfalls haftende Verwaltung57 auch Ansprüche von Verwaltungsbehörden gegen andere Verwaltungsbehörden oder der Gemeinden gegen den Staat geltend gemacht.58 Mit ihnen werden schließlich die Streitigkeiten zwischen der Verwaltung einerseits und den freiwilligen Verwaltungshelfern, den mit öffentlichen Aufgaben beliehenen Konzessionären („concessionaires de service public“)59 oder auch den Betriebsleitern von öffentlichen Werken („exploitants d’ouvrages publics“)60 andererseits entschieden. Die „actions récursoires“ können von jeweils besonderen, manchmal vertraglichen Bedingungen abhängig sein. Nach deutschem Recht stehen dem Geschädigten gegenüber Beamten, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt handeln, keine Ansprüche zu. Das ist der Sinn des Art. 34 GG. Der Ausschluß der persönlichen Beamtenhaftung gegenüber dem Geschädigten wird allerdings durch die disziplinierende Wirkung einer Regreßregelung, des haftungsrechtlichen Rückgriffs auf den vorsätzlich oder grob fahrlässig handelnden Beamten, ausgeglichen. 53 T.C. 30.07.1873, D. 1874, III, 5 concl. David, Sirey 1874, II, 28. Vgl. zur Auslegung des „Pelletier“-Urteils: Chapus, Droit administratif, 1995, Bd. 1, S. 1211, 1212. 54 Lepointe, L’évolution de la responsabilité administrative dans la France du XIX siècle, Revue historique du droit français et étranger 1959, 214, 216: „c’était d’ailleurs moins le fonctionnaire qui était protégé que la compétence administrative elle-même dans les cas de faute de service engageant la resposabilité du service et de l’administration.“. 55 Seit der Entscheidung CE, 3.03.1911, Anguet, Rec. 146. 56 Dies ist seit der Entscheidung CE, 28.07.1951, Laruelle, Rec. 464 möglich. 57 CE, 28.07.1951, Delville, Rec. 465. 58 CAA Lyon, 01.02.1990, Commune de Revel, Dr. Adm. 1990, no 362, Rec. 413. 59 CAA Paris, 04.02.1992, Fermier et autres, Rec. CE, table, 1118. 60 CE, 25.11.1987, Syndicat intercommunal pour le traitement des ordures ménagères de l’agglomération caennaise c/Zawadzki et Mihulka, Rec. 380.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

B. Konzeptionen des haftungsrelevanten Schutzgutes Ein besonderes Strukturmerkmal des Staatshaftungsrechts, das in der jeweiligen Rechtsordnung als selbstverständlich gilt, aber im Rechtsvergleich als nicht zwingend erscheint, betrifft die Bestimmung des haftungsrechtlichen Schutzgutes. Die Herausarbeitung der Unterschiede in der Schutzgutbestimmung macht ferner den Blick für Unterschiede im rechtsdogmatischen Zugriff auf das Verhältnis von Aufhebung und Haftung frei. Denn dieser erfolgt in verschiedener Weise, je nachdem, ob das Haftungsrecht auf die Verletzung subjektiver Rechte, das Vorliegen eines „tort“ oder die Zufügung eines Schadens reagiert.

I. Subjektive Rechte Das deutsche Deliktsrecht reagiert auf die Verletzung subjektiver Rechte, die durch Gesetz und Rechtsprechung in den Genuß haftungsrechtlich relevanter Rechtsgüter gekommen sind. § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, daß bestimmte Rechtsgüter rechtswidrig und schuldhaft verletzt sein müssen, und zwar entweder das Leben, der Körper, die Gesundheit oder die Freiheit des anderen oder aber sein Eigentum oder Interessen, die nach der Rechtsprechung den Status eines „sonstigen Rechts“ genießen.61 Dazu gehören Interessen, die erga omnes geschützt werden, aber auch das Namens- und Patentrecht sowie das allgemeine „Persönlichkeitsrecht“62 und das „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb:“63 Ergänzt wird § 823 Abs. 1 BGB durch § 823 Abs. 2 BGB, das die schuldhafte Verletzung eines Schutzgesetzes, das die durch seinen Schutzzweck gedeckten Rechtsgüter bestimmter Personen schützt, zum Tatbestand hat. Nach § 826 BGB schließlich macht sich derjenige ersatzpflichtig, der sittenwidrig anderen vorsätzlich Schäden zufügt.64 Die Rechtsprechung hat die zwei letzteren Vorschriften gewissermaßen auch dazu benutzt, die Beschränkung des § 823 Abs. 1 BGB auf bestimmte haftungsrelevante Schutzgüter abzuschwächen. Als der deutschen Konzeption des Deliktsrechts charakteristisch ist ferner der in § 823 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommende Schutzzweckgedanke anzusehen, der sowohl den Kreis der schutzwürdigen Personen als auch die ersatzfähigen Rechtsgüter dieser Personen eingrenzt. Dem Eingriff in subjektive Rechte kommt auch im deutschen Staatshaftungsrecht zentrale Bedeutung zu. Als subjektive öffentliche Rechte werden im Haftungsrecht vor allem die Interessen behandelt, die mit Mitteln des Primärrechts61 62 63 64

Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, 13. Aufl., 1994, S. 373 f. BGHZ 24, 72; BGH, NJW 1994, 127. BGHZ 29, 65. Larenz/Canaris 1994, S. 450 ff., 455 ff.; BGH, NJW 1994, 128.

B. Konzeptionen des haftungsrelevanten Schutzgutes

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schutzes verfolgt werden können. Und der Schutz eines verletzten Interesses durch ein subjektives Recht gilt als Indiz dafür, daß auch ersatzrechtlicher Schutz zu gewähren sein wird.65 Ohne Eingriff in ein subjektives öffentliches Recht können weder öffentlich-rechtliche Unterlassungs- und (Folgen-)Beseitigungsansprüche noch Entschädigungsansprüche nach dem Aufopferungsgrundsatz geltend gemacht werden. Auch der Amtshaftungsanspruch, der primär auf eine schuldhafte Pflichtverletzung gestützt wird, greift gemäß § 839 i. V. m. Art. 34 GG nur im Falle der Drittbezogenheit der Amtspflicht ein, so daß im Einzelfall festzustellen ist, ob ein verletztes Recht oder Rechtsgut von der drittschützenden Wirkung erfaßt wird.66 Der Unterlassungsanspruch ist nicht auf die Unterlassung lediglich eines Schadens, sondern auf die eines drohenden Eingriffs gerichtet. Er bezieht sich ebenso wie der (Folgen-)Beseitigungsanspruch auf den rechtswidrigen Eingriff in jedwedes Grundrecht. Auch einfachgesetzlich normierte subjektiv-öffentliche Rechte können im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs geschützte Rechtspositionen bilden. Demgegenüber beschränkt das Aufopferungsrecht Entschädigungsansprüche nicht lediglich auf Eingriffe, sondern auch auf Eingriffe in spezifische Rechte (Art. 2 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG), so daß nur die Aufopferungsverluste von bestimmten materiellen und immateriellen Rechtsgütern ersetzt werden können. Der deutschen Konzeption der Verletzung eines subjektiven Rechts entspricht das Erfordernis der Schutznormverletzung bei der Unions- und Mitgliedstaatshaftung. Anders als im deutschen Recht gibt es allerdings keine Beschränkung im Voraus der subjektiven Rechte, deren Verletzung eine Unionshaftung auslösen könnte. Die Möglichkeit, einen Verstoß gegen eine unionsrechtliche Bestimmung rügen zu können, hängt in der Unionshaftung unter materiellrechtlichem Aspekt davon ab, ob die fragliche Vorschrift unmittelbar anwendbar ist. Für einige Vorschriften des EG-Vertrags hat der EuGH dies anerkannt. So z. B. für die Art. 25, 49, 90 und 141 EG.67 Zahlreiche andere Bestimmungen sind hingegen nicht unmittelbar anwendbar, z. B. Art. 293 EG68. Die Verletzung dieser Vorschriften kann von natürlichen oder juristischen Personen nur im Rahmen einer Inzidentkontrolle nach Artikel 241 EG geltend gemacht werden. Unmittelbare Anwendbarkeit genügt aber nicht. Die Vorschrift muß darüber hinaus den Schutz des Einzelnen bezwecken. Die Tatsache, daß eine Norm den Schutz von Allgemeininteressen verfolgt, schließt es im übrigen nicht aus, daß sie auch den Schutz der Interessen Einzelner bezweckt. Mit der Anerkennung von unmittel65

Papier, MünchKomm. zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2000, § 839 Rn. 195. Ossenbühl, StHR 1998, S. 58. 67 Siehe zu diesen Vorschriften EuGH Rs. 26/62, Van Gend & Loos, Slg. 1963, 3, 25; Rs. C-224/97, Ciola, Slg. 1999, I-2517, Rn. 27; Rs. C-159/89, Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-691, Rn. 6; Rs. 43/75, Defrenne II, Slg. 1976, 455, Rn. 21 bis 24. 68 EuGH, Rs. C-336/96, Gilly, Slg. 1998, I-2793, Rn. 17. 66

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

barer Wirkung und Schutznormcharakter wird dem Haftungskläger nicht die Möglichkeit eröffnet, von der Gemeinschaft ein bestimmtes Verhalten zu verlangen. Vielmehr geht es um die Begründung eines möglichen Schadensersatzanspruchs in Geld gegen die Union bzw. gegen die zuständigen Unionsorgane.69

II. „Torts“ Das englische Deliktsrecht limitiert den haftungsrechtlichen Schutz von vornherein nicht durch die Aufzählung wichtiger Rechtsgüter (wie das deutsche), sondern durch das Erfordernis einer besonderen Beziehung zwischen „tortfeasor“ und „victim“, die in den verschiedenen Tatbeständen typisiert ist. Die Orientierung an „remedies“ – oder genauer das Dual „wrong-remedy“ – führt zur Tendenz, die Intervention von Gerichten meistens nur auf „wrongs“ zu stützen.70 Auch die gerichtliche Durchsetzung von Erfüllungsansprüchen läßt sich als ein aus einem „wrong“ resultierendes „remedy“ interpretieren. Das „remedy“ knüpft etwa nicht an die primäre Verpflichtung des Beklagten, einen bestehenden Rechtsanspruch zu erfüllen, sondern an das rechtswidrige Verhalten an, durch welches die Erfüllung des Rechtsanspruchs vereitelt wurde.71 Und die ungerechtfertigte Bereicherung kann als ein „wrong of not repaying“ konstruiert werden,72 obwohl es hierbei nicht um Schadens-, sondern um Güterverteilung geht und es nicht auf den Einfluß, den ein beschädigendes Ereignis auf das Vermögen des Gläubigers, sondern auf den Einfluß, den ein günstiges Ereignis auf das Vermögen des Verpflichteten gehabt hat, ankommt.73 Diese Orientierung an „wrongs“ ist historisch und nicht logisch bedingt. Ursprünglich wurden „Verträge“ durch „remedies“ durchgesetzt, die an das „wrong“ des „breach of contract“ anknüpften.74 Nichterfüllung und „tort“ konnten nicht auseinander gehalten werden.75 Eine Möglichkeit, eine Verbindlichkeit

69 Schlußanträge des GA Siegbert Alber vom 15.5.2003, in EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret International SA/Rat, Rn. 49–52, 118. 70 Charakteristisch hierzu John Austin, Lectures on Jurisprudence, 3. Aufl. 1869, 793 zitiert nach Birks, Rights, Wrongs, and Remedies, OJLS 2000, 1, 26: „No Court of Justice would decide on a question of law or fact without a suggestion, on the part of the plaintiff, of a wrong, actual or impending“. 71 Birks, OJLS 2000, 1 ff., 27: „(C)reate a wrong out of the non-performance of the primary duty“. 72 Birks, OJLS 2000, 1 ff., 28. 73 Was die Pandektistik schon herausgearbeitet hatte: Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht II, S. 22, 38; von Mayr, Der Bereicherungsanspruch nach dem deutschen bürgerlichen Rechte, S. 591 f. Vgl. auch die Bemerkung von Birks ebd.: „(I)n relying on the facts in their character as a wrong, (the claimant) has taken himself out of the category of unjust enrichment“. 74 Hierzu Potter, An Historical Introduction to English Law and Its Institutions, 1932, S. 270.

B. Konzeptionen des haftungsrelevanten Schutzgutes

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durchzusetzen, ohne sich auf ein „wrong“ zu stützen, lag in der Benutzung der Klageformel des „writ of debt“. Diese diente nicht der Durchsetzung einer vertraglichen Vereinbarung im modernen Sinne. Vielmehr betraf sie die Verpflichtung zur Herausgabe einer Sache oder eines bestimmten Geldbetrages, sie setzte also eine Gegenleistung voraus, wobei bloßes Versprechen, das für sich nie durchsetzbar war, keine Gegenleistung sein konnte. Klagegrund war demnach ursprünglich nicht die vertragliche Vereinbarung, sondern die reale Gegenleistung, das quid pro quo im Rahmen eines „Realvertrages“, bei dem zum Vertragsabschluß eine Sach- oder Geldleistung gehörte. Nur die „Ecclesiastical Courts“ setzten die nach common law nicht durchsetzbaren „undertakings“ (Versprechen) und „agreements“ (Vereinbarungen) unter der Bezeichnung „fides facta“ und mit Hilfe der Doktrin der „laesio fidei“ durch.76 Das „common law“ konnte erst durch einen Rückgriff auf die deliktsrechtliche Klage des „Trespass on the Case“ das formlose Versprechen zur Übernahme einer Leistungsverbindlichkeit („assumpsit“) durchsetzungsfähig machen.77 Es entstand somit eine „action of Trespass on the Case on an Assumpsit“. Vertragliche Vereinbarungen konnten nur durch eine deliktsrechtliche Klage durchgesetzt werden. „Misfeasance“ (Schlechtausführung) war insofern auf der Grundlage von „trespass“ sanktionierbar, als der dem Kläger zugefügte Schaden mit der vom Beklagten übernommenen Verbindlichkeit („assumpsit“) zusammenhing.78 Neben „trespass on the Case“ wurde auch „the action of Deceit on the Case“ (Täuschung) zur Sanktionierung von rechtswidrigen Handlungen („malfeasance“) im Vertragsrecht herangezogen (z. B. willentlicher Verkauf schlechter Ware). Auch bei Nichterfüllung („nonfeasance“) ging es nicht um die Durchsetzung einer Vereinbarung, sondern um den Ersatz eines dem Kläger zugefügten Schadens mit Hilfe einer „action on the Case“. Diese deliktsrechtliche Durchsetzung der Vertragshaftung machte auch indirekt die Entwicklung der Doktrin der „consideration“ notwendig.79 Denn es mußte eine neue Grundlage für die Vertragshaftung gefunden werden, nachdem der deliktsrechtliche Bezug zu „misfeasance“ und „malfeasance“ gelockert worden war. Nach der Entdeckung der Bindungswirkung von Versprechen war „consideration“ die Antwort auf die Frage, welche Versprechen lediglich moralisch verbindlich und welche auch rechtlich durch75 „Like all early Actions on the Case the basis of the remedy was a wrong, which may be regarded rather as a tort than as a contract, but it is submitted that it would be more accurate to say that the distinction was not truly drawn.“: Potter 1932, S. 378. 76 Potter 1932, S. 367 f. 77 Hierzu und zum folgenden: Potter 1932, S. 370 ff., 377 ff., 380 ff., 385 ff. 78 Schadenszufügung durch „misfeasance“ allein könnte kein „Trespass“ begründen, da hierfür der Kläger die Rechtskontrolle über sein geschädigtes Vermögen haben müßte. 79 „Consideration was only an indirect consequence due to the necessity of finding some basis for enforceable agreements after they had broken loose from their origin of misfeasance and malfeasance“: Potter 1932, S. 278 (Note r).

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

setzbar sind. Schließlich sieht man in der mangelnden Effizienz früherer Rechtsmittel der Eigentumsrestitution („writ of right“, „writ of debt“) den Grund für ihre Verdrängung mit gleichzeitiger Übernahme ihrer Funktion von Rechtsmitteln strafrechtlicher Wiedergutmachung („writs of penal redress“ wie z. B. „writ of trespass“).80 Die Verfahren, in denen ein subjektives Recht streitig gemach werden konnte, wurden dann nicht mehr von den Verfahren getrennt, in denen lediglich um die Wiedergutmachung eines Unrechts, nicht jedoch zugleich um die Bestimmung des Umfangs eines Rechts bzw. seines Trägers ging.81 Erforderlich für die haftungsrechtliche Klageerhebung ist nicht eine Rechtsverletzung i. S. v. „interference with a right“, sondern ein „Klagegrund“.82 Dieser ist nichts anderes als die Zusammenschau aller Fakten, die für die Erhebung einer Klage notwendig sind. Man hat keine „rights“, solange man von keiner „cause of action“ gedeckt ist.83 Eine „cause of action“ ist eine Sachverhaltsfrage („factual situation“)84 bzw. eine Frage der Sachverhaltskonstitution und Sachverhaltsbeurteilung. Liegt sie vor, macht sie es dem Kläger möglich, vom Gericht ein „remedy“ zu bekommen. Der Kläger muß in seiner Klageschrift weder das einschlägige Rechtsgebiet noch eine besondere Kategorie aus einem Rechtsgebiet (z. B. negligence, trespass, sale) erwähnen. Die Tatsache, daß das englische „law of tort(s)“ die deliktischen Rechtsmittel in „interference“ und „damages actions“ zerlegt, zwingt nicht zur Annahme subjektiver Rechte im ersten Falle. In diesem Fall geht es um unerlaubte Handlungen, die klagbar per se sind. Trotz des Fehlens an einem nachweislichen Vermögensschaden kann hier der Beklagte zu „nominal damages“ verurteilt werden.85 Die Frage danach, 80

Winfield, The Province of the Law of Tort, 1931, S. 207. „In this way the distinction between proceedings taken on a disputed claim of right, and those taken for the redress of injuries where the right was assumed not to be in dispute, became quite obliterate.“: Pollock 1929, S. 13. 82 „It has not (. . .) been in accordance with the tradition of the common law to analyse rights as something separate from the remedy given to the plaintif, so that although we have abolished the procedural restrictions of the forms of action, it is still necessary for the plaintiff to establish a cause of action.“: Winfield/Jolowicz 1998, S. 57. 83 „In the pragmatic way in which English law has developed, a man’s legal rights are in fact those which are protected by a cause of action (. . .) in the ordinary case to establish a legal or equitable right you have to show that all the necessary elements of the cause of action are either present or threatened.“: Kingdom of Spain v. Cristie, Manson & Woods Ltd [1986] 1 W.L.R. 1120, 1129 per Browne-Willkinson. 84 Grundlegend hierzu Letang v. Cooper [1965] Q.B. 232, 244 per Diplock L.J. 85 „Nominal damages is a technical phrase which means that you have negatived anything like a real damage (Schaden), but that you are affirming by your nominal damages (Schadensersatz) that there is an infraction of a legal right which though it gives you no right to any real damages (Ersatz erlittenen Schadens) at all, yet gives you a right for the verdict or judgment because your legal right has been infringed.“: The Mediana [1900] A.C. 113, 116 per Lord Halsbury, L. C. 81

B. Konzeptionen des haftungsrelevanten Schutzgutes

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ob den Beklagten eine Pflicht gegenüber dem von ihm verursachten Schaden trifft, die bei „damages actions“ relevant ist, wird bei „interference actions“ durch die Vorstellung der Sanktionierung der Verletzung der Rechte des Klägers an sich („interference with rights“) ersetzt. Der verfassungsrechtliche Beigeschmack, den dieser Geldausgleich wegen subjektiver Rechtsverletzung gerade bei trespass-Klagen hat, die früher stets einen Bruch des königlichen Friedens („King’s peace“) sanktionierten, darf aus kontinentaleuropäischer Sicht nicht zur Reifikation eines subjektiven Rechts verführen. Das die Erstattung von Schadensersatz charakterisierende Merkmal der Kompensation für erlittene Schäden wohnt zwar der „interference action“ nicht inne. „Right“ ist aber hier meistens dazu benutzt, vermuteten Schaden zu beschreiben bzw. einen Geldausgleich auch dann zu ermöglichen, wenn die Schadenshöhe nicht bewiesen werden kann. Rechtsverletzung hat hier den Sinn, daß entschädigt wird, obwohl auf eine komplexe Einschätzung des Schadens nicht eingegangen wird.86 Für die Staatshaftung bedeutet die Orientierung des „tort law“ an „wrongs“, daß es ganze Fallgruppen gibt, für die das englische Deliktsrecht nicht ohne weiteres relevant ist. Denn wie soll eine haftungsrechtliche Reaktionsnorm, die an „wrongs“ anknüpft, auf die Haftung der öffentlichen Gewalt bei Rechtsmäßigkeit angewandt werden? In Rechtsordnungen, in denen der Aufopferungsgrundsatz nicht auf Enteignungsfälle beschränkt ist, gibt es eine selbstverständliche Alternative zum Deliktsrecht und zur Unrechtshaftung. Dies ist aber im britischen Verfassungssystem nicht in der gleichen Weise möglich, was für die Entwicklung des englischen Staatshaftungsrechts und insbes. des Eigentumsschutzes entscheidend gewesen ist.87

III. „Préjudices“ Aus französischer Sicht ist weder Schutzgutbestimmung noch das Verhältnis des Schädigers zum Geschädigten ein relevanter Ausgangspunkt bei der Prüfung, ob eine Ersatzpflicht vorliegt. Die Prüfung beginnt mit der Frage nach dem Vorliegen von „faute“, Kausalität und Schaden. Das französische Deliktsrecht schützt grundsätzlich alle legitimen Interessen („intérêts juridiquement protégés“)88 gegen alle Typen schädigenden Verhaltens ohne Rückgriff auf den 86 „(T)here are many interference torts, libel (Verleumdung) probably being a good example, where the ,right‘ might be said to be used to describe presumed damage.“: Samuel, ,Le droit subjectif‘ and English Law, CLJ 1987, 264, 275 87 Siehe etwa die konzeptuellen Voraussetzungen einer Staatshaftungsreform im englischen Recht bei Craig, Compensation in Public Law, LQR 1980, 413 ff., 435 ff., der für bestimmte Fallgruppen die Einführung einer „risk theory“ in Anlehnung an das französische Verwaltungsrecht in Erwägung zieht. 88 Viney/Jourdain, Traité de droit civil. Les condititions de la responsabilité, 2. Aufl. 1998, S. 59 f., Rn. 271.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

Schutzzweckgedanken. Die Rechtsfolge orientiert sich am Grundsatz der Totalreparation („réparation intégrale“).89 Es gibt einen allen Spezialtatbeständen gemeinsamen Grundsatz, der in der Generalklausel des Art. 1382 C. civ., die in Art. 1383 C. civ. spezifiziert wird, seinen Ausdruck findet. Während das englische Recht „wrongs“ und „remedies“ typisiert und kategorisiert, bleibt nach der französischen Generalklausel offen, was unter „dommage“ im Sinne des Art. 1382 C. civ. zu verstehen ist. Das Schutzgut bleibt unbestimmt. Es kommt darauf an, wie der Schaden bestimmt wird. Es ist ohne Bedeutung, an welchem Rechtsgut dieser Schaden entstanden ist. Immaterieller Schaden, Vermögensschaden, Personen- und Sachschaden sind alle grundsätzlich haftungsrechtlich relevant. Ähnlich wird im Staatshafungsrecht vorgegangen. Ersetzt wird jeder Schaden, der wirklich, bestimmt („caractère réel et certain“), unmittelbar („caractère direct“) und individuell („caractère personnel“) ist.90 Unter dem Merkmal der Bestimmtheit („préjudice certain“)91 werden die Probleme des künftigen Eintritts des Schadens („préjudice futur“) und des nur wahrscheinlichen Schadens („préjudice éventuel“) sowie der verlorenen Chancen („perte d’une chance“)92 behandelt. Als unmittelbar gelten die normalen Folgen der schadenstiftenden Handlung, wenn zwischen dem endgültigen Schaden und dem anfänglichen schädigenden Ereignis, das dem Schädiger zugerechnet werden soll, sich keine Umstände oder Ereignisse schieben, die es unmöglich machen, mit Sicherheit den Kausalzusammenhang zwischen dem realisierten Schaden und dem anfänglichen Ereignis festzustellen.93 Unter dem Stichwort des individuellen Schadens wird die Entschädigung von mittelbar Geschädigten problematisiert. Bei einer Körperverletzung oder Tötung sind die Personen, die in enger Verbindung mit dem Verletzten oder Verstorbenen stehen, von diesem Schadensereignis selten betroffen. Sie erleiden höchstens einen Schaden „reflechi“ oder „par ricochet“, einen materiellen oder auch immateriellen Reflexschaden. Zur Qualifikation als 89

Viney, Introduction à la responsabilité, 2. Aufl. 1995, S. 107 ff. Paillet, La responsabilité administrative, 1996, S. 195 ff. 91 CE, 14.04.1995, Sté de construction et de génie civil, Rec. CE, tables, 1031; CE, 16.10.1987, Houlard, RDP 1988, 909, obs. Y. Gaudemet, D. 1988. Somm. 378, obs. F. Moderne/P. Bon; CE, 21.02.2000, Vogel, Dr. adm. 2000, no 145, note P.F. 92 Keine „perte de chances sérieuses“ wegen Annulierung eines Auswahlverfahrens: CE, 25.11.1998, Peyrard, Dr. adm. 1999, no 13, note R.S. Vgl. demgegenüber CE, 12.05.1986, Fritel, RDP 1987. 255, obs. R. Drago, Rec., table, 713. 93 Siehe z. B. CE, 12.5.1986, Fritel, RDP 1987, 255; zur Würdigung des „caractère direct“: CE, 14.6.1999, Sté Molifranc, D 1999, IR 187; zum fehlenden „caractère direct“: CE, 18.9.1992, SA La Main, Rec. CE, table, 1301; D 1994, somm. 61, obs. P. Bon/Ph. Terneyre; CE, 10.5.1997, SARL La Roustance et autres et Université de Provence, Rec. 168; CAA Paris, 12.6.1997, Al Joujo, Rec. 562. Zur Verneinung wegen Dazwischentretens zivilrechtlicher Verpflichtungen: TA Lyon, 25.1.1995, SARL Martiner ETG, Rec. CE, tables, 1032; Aufwendungen des Opfers ohne nicht unmittelbar kausal: CE, 31.1.1990, Min. Affaires sociales c. Maison médicale de Saint-Benoit, RDP 1990, 1167. 90

B. Konzeptionen des haftungsrelevanten Schutzgutes

207

mittelbar Geschädigter ist ein Anspruch auf Versorgungsrente nicht (mehr) erforderlich.94 Ferner soll der „caractère personnel“ dem Ausschluß einiger Verbandsklagen dienen, die Schadensersatz für die Beeinträchtigung kollektiver Interessen begehren.95 Die Verletzung eines subjektiven Rechts des Betroffenen kann, muß aber heutzutage nicht mehr zur Bestimmung des „caractère personnel“ des Schadens und Begründung der haftungsrechtlichen Klagebefugnis („intérêt à agir“) vorliegen. Verlangt wird, daß der Schaden in der Beeinträchtigung einer „situation juridiquement protégée“ besteht. Dies reicht zur Begründung der aktiven Legitimation aus. Gleichzeitig schließt diese Voraussetzung die Ersatzfähigkeit von Schäden, die rechtswidrigen Interessen und Positionen des Haftungsklägers zugefügt wurden, aus. Der Begriff der „situation juridiquement protégée“ erfaßt neben den „droits subjectifs“ auch „intérêts légitimes“.96 Neben den notwendigen sind manchmal besondere Schadensmerkmale erforderlich. Sie verlangen für die Fälle der Verletzung des Lastengleichheitsgrundsatzes, also für die Haftung ohne „faute“, einen außerordentlichen („préjudice anormal“) und besonderen („préjudice spécial“) Schaden. Bei Maßnahmen, die an eine Vielzahl von Personen gerichtet sind (Verordnungen, règlements), wird ein „préjudice spécial“ nur bei denen angenommen, die eine besonders schwere Rechtsgutbeeinträchtigung erlitten haben.97 Die Rechtsprechung des EuGH zum EGKSV verlangte bereits einen wirklichen, feststellbaren und endgültigen Schaden.98 Diese dem französischen Recht entsprechenden Schadensmerkmale finden sich auch bei der Unionshaftung. Die Bestimmung der bei der Berechnung des Schadensausgleichs anwendbaren Merkmale ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern eine der Begründetheit der Klage.99 Die Klageschrift muß wenigstens die erforderlichen Angaben über den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten.100 Der Schaden kann auch im Laufe des schriftlichen und mündlichen Ver94 CE, 28.07.1951, Bérenger, Rec. 473; zur Entschädigungsberechtigung von Verwandten und nichtehelichen Lebensgefährten: CE, 3.3.1978, Mueser, Rec. 116, s. ferner zu Verlobten: CAA Paris, 21.1.1992, Centre hospitalier général de Meaux, Rec., tables, 1306. 95 Siehe z. B. CE, 20.11.1992, Commune de Saint-Victoret, Rec. 418; CE, 30.3.1981, Ministre des Transports c. Association pour la défence des sinistrés de la région morlaisienne, Rec. 175; hierzu Paillet 1996, S. 203. 96 Siehe z. B. CE, 21.10.1955, Dame Braud, Rec. 495; 8.11.1960, Savelli, RDP 1961, 1068; CE, 28.07.1951, Berenger, S. 1951.3.96; 25.01.1952, Simon, D. 1952. 649. Zur haftungsrechtlichen Bedeutung des subjektiven öffentlichen Rechts aus französischer Sicht instruktiv: Gest, Violation d’un droit et atteinte à une situation juridiquement protégée dans le contentieux de la responsabilité publique, RDP 1981, 1645. 97 Vedel/Delvolvé, Droit administratif, Bd. 1, 12. Aufl. 1992, S. 628. 98 EuGH, Rs. 23/59, Acciaieria Ferriera di Roma (FERAM)/Hohe Behörde, Slg. 1959 523, 534 I. 99 EuGH Schöppenstedt, Rn. 7–9. 100 EuGH, Rs. 68–63, Luhleich, Slg. 1965, 776, 803.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

fahrens präzisiert und beziffert werden.101 Im Verfahren kann beantragt werden, der Gerichtshof möge durch Zwischenurteil dem Grunde nach feststellen, daß die Gemeinschaft verpflichtet ist, den behaupteten Schaden zu ersetzen, und erst nach Einholung eines Gutachtens die Entscheidung über das genaue Ausmaß des Schadens und die Höhe der Ersatzleistung treffen.102 Art. 288 EGV steht einer Klage nicht entgegen, mit der die Feststellung der Unionshaftung für unmittelbar bevorstehende und mit hinreichender Sicherheit vorhersehbare – wenn auch noch nicht genau bezifferte – Schäden begehrt wird.103 Das Vorliegen eines tatsächlichen und sicheren Schadens wird vom Unionsrichter nicht abstrakt beurteilt, sondern anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts geprüft.104 Zwar trägt der Kläger dem EuGH zufolge die Beweislast, doch ist die beklagte Partei aufgefordert, zum Nachweis des Schadens beizutragen. Die beklagten Unionsorgane sollen nur Ihnen zugängliche Beweisstücke dem Gericht zur Verfügung stellen, die Höhe des Schadensersatzes ist im gegenseitigen Einvernehmen festzusetzen.105 Der EuGH geht davon aus, daß die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten allgemein dadurch gekennzeichnet sind, daß das Gericht in der Würdigung aller ihm vorgelegten Beweisstücke frei ist.106

101

EuGH, Rs. 25–62, Plaumann, Slg. 1963, 213, Rn. 5 EuGH, Rs. 74–74, CNTA, Slg. 1975, 533, Rn. 4, 5; s. ferner Rs. 238–78, IreksArkady, Slg. 1979, 2955, Rn. 18; EuG, Rs. T-187/94, vom 7.2.2002, Rudolph/Rat und Kommission, Rn. 51; EuG, Rs. T-20/94, Hartmann/Rat und Kommission, Slg. 1997, II-595, Rn. 132; EuG, Rs. T-76/94, Jansma/Rat und Kommission, Slg. 2001, II-243, Rn. 78; EuG, Rs. T-201/94, vom 7.2.2002, Kustermann/Rat und Kommission, Rn. 64 und 65. EuG, Urteil 26.2.2003, Rs. T-344/00, T-345/00, CEVA Santé animale SA, Pharmacia Entreprises SA/Kommission, Rn. 108. 103 EuGH Rs. 59/83, SA Biovilac/Kommission, Slg. 1984 4057 Rn. 8–9. 104 Zu Beweislast und Schadensnachweisanforderungen s. EuGH, Rs. 26/75, Roquette frères/Kommission, Slg. 1976, 677, Rn. 22–24. EuGH, Rs. C-362/95 P, Blackspur DIY u. a./Rat und Kommission, Slg. 1997, I-4775, Rn. 31; EuG, Rs. T-537/93, Tromeur/Rat und Kommission, Slg. 2000, II-2457, Rn. 36 EuG, Rs. T-145/98, ADT Projekt Gesellschaft der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter mbH/Kommission, Slg. 2000, II-387, Rn. 65–67, 74; EuGH, Rs. C-237/98 P., Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH/Rat und Kommission, Slg. 2000, I-4549, Rn. 23, 25–27; EuGH, Rs. C-136/92 P., Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., Slg. 1994 I-1981 Rn. 66 EuG, Rs. T-575/93, Koelman/Kommission, Slg. 1996 II-1 Rn. 97; EuGH, verb. Rs. 197–200, 243, 245 und 247/80, Ludwighafener Walzmühle Erling KG u. a./Rat und Kommission, Slg. 1981 3211 Rn. 50; EuG, verb. Rs. T-17/89 und T-25/89, Brazelli Lualdi u. a./Kommission, Slg. 1992 II-293 Rn. 42; EuG, Rs. T-1/99, T. Port GmbH & Co. KG/Kommission, Slg. 2001, II-465, Rn. 67; EuG, Rs. T-1/99, T. Port GmbH & Co. KG/Kommission, Slg. 2001, II-465, Rn. 57 ff., 72–73; EuGH, Urteil vom 8.5.2003, Rs. C-122/01 P, T. Port GmbH & Co. KG/Kommission, Rn. 20–22. 27. 105 EuG, verb. Rs. T-17/89 und T-25/89, Brazelli Lualdi u. a./Kommission, Slg. 1992 II-293 Rn. 42. 106 EuGH, Rs. 261/78, Interquell Stärke-Chemie GmbH u. CoKG/EWG, Slg. 1982 3271 Rn. 11. 102

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien Die europäische Rechtsordnung und die nationalen untersuchten Rechtsordnungen halten Zurechnungskriterien bereit, die dem Staatshaftungsrecht eigentümlich sind. Auf der einen Seite gelingt ihnen die Steuerung einer nach Feststellung der Rechtswidrigkeit zusätzlichen und eigenständigen Bewertung des Handelns und Unterlassens der öffentlichen Gewalt. Sie ermöglichen auf der anderen Seite eine haftungsrechtliche Beurteilung in den Fällen, in denen der öffentlichen Gewalt nach Maßgabe der Regeln des Aufhebungsrechts keine Fehler angerechnet werden konnten. In beiden Konstellationen ist in ihnen fallgerechtes Entscheidungswissen gespeichert, das thematisch unterschiedliche Bereiche erfaßt. Die nationalen Unterschiede bei ihrer Handbabung zeigen worin ihre Leistungsfähigkeit besteht: Sie sind nicht nur haftungseinschränkende, sondern auch107 haftungsbegründende Kriterien, die eine Haftung auch in Fällen möglich machen, in denen der Schutz von Entscheidungsfreudigkeit und Verwaltungsressourcen ohne derartige Kriterien Haftungsimmunität erfordern würde. Die Entwicklung der nationalen Rechtsprechungen zu diesen Kriterien macht dies deutlich. Gerade aus diesem Grunde kommt der normativen Wirkung von EMRK und Unionsrecht grundlegende vereinheitlichende Bedeutung zu. Neben den Kriterien, die nur in einer bestimmten Rechtsordnung vorkommen, gibt es Kriterien, wie Sonderopfer, die der französischen und deutschen Rechtsordnung bekannt sind. Das Kriterium der Unmittelbarkeit findet sich in allen drei nationalen Rechtsordnungen. Beim unionsrechtlichen Kriterium der hinreichend qualifizierten Rechtswidrigkeit ist der Bezug zu den nationalen Kriterien herzustellen, denen es am nächsten steht.

I. Schutzzweck, Unmittelbarkeit und Sonderopfer 1. Schutzzweck Der in § 823 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommende Schutzzweckgedanke ist schon als der deutschen Konzeption des Deliktsrechts charakteristisch anzusehen. Während er im niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch selbständigen positivrechtlichen Ausdruck gefunden hat,108 ist er im deutschen Recht nicht eigenständig in einer besonderen Norm geregelt. Er ist aber für Aufopferungs-, Amtshaftungs- und Polizeirecht unerläßlich. Er grenzt sowohl den Kreis der schutzwürdigen Personen als auch die ersatzfähigen Rechtsgüter dieser Perso107 Dies entspricht der Natur von Strukturen: Sie sind „constraints“ und wirken sowohl als „permitters“ als auch als „limiters“. Hierzu Medin u. a., Safe Takeoffs – Soft Landings, in: Cognitive Science 1990, 169 ff., 175. 108 Art. 163 Buch 6 (6.3.1.2) BW: „Geen verplichting tot schadevergoeding bestaat, wanneer de geschonden norm niet strekt tot bescherming tegen de schade zoals de benadeelde die heeft geleden“.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

nen ein. Im Amtshaftungsrecht dient er als Kriterium für die Bestimmung der Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht. Der Geschädigte ist zugleich „Dritter“ i. S. des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn er in den persönlichen Schutzbereich der einschlägigen Amtspflicht fällt. Er wird aber nicht absolut, sondern nur gegen die Schädigung jener Rechtsgüter geschützt, die in den Schutzzweck der verletzten Amtspflicht fallen. Auf den Schutzzweckgedanken rekurriert der BGH darüber hinaus im Rahmen der Haftung für rechtswidrige polizei- und ordnungsbehördliche Maßnahmen: Die Reichweite des Schutzzwecks der verletzten Norm bzw. der rechtswidrigen behördlichen Maßnahme (etwa die Reichweite der Funktion einer erteilten Baugenehmigung als Verläßlichkeitsgrundlage) bestimmt auch die Begründung des Entschädigungsanspruchs.109 In der Rechtsprechung finden sich verschiedene Beispiele für eine „gespaltene Drittbezogenheit“, d. h. für die Relativität des Schutzzwecks. Die Amtspflicht der Baugenehmigungsbehörde, die Statik ordnungsgemäß zu prüfen, kann hinsichtlich des Bauherrn einerseits drittschützend (mit Blick auf Körper und Gesundheit), andererseits hingegen (mit Blick auf das Vermögen) nicht drittschützend sein.110 Bei amtspflichtwidriger Bejahung der Wehrdienstfähigkeit eines Wehrdienstunfähigen unterlagen nur die Gesundheitsschäden, nicht aber die mit dem Wehrdienst verbundenen Zeitverlusten dem Schutzzweck der Amtspflicht.111 Die staatliche Aufsicht über die Personenbeförderung durch Seilbahn soll nach dem BGH allein Schäden von der Allgemeinheit, dem Unternehmer und sonstigen Dritten als Gliedern der Allgemeinheit abwenden, die für Leib, Leben, Gesundheit oder Eigentum drohen; die Seilbahnüberwachung verfolge jedoch nicht den Zweck, den Unternehmer vor mit dem Betrieb verbundenen finanziellen Risiken zu bewahren.112 Die Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Straßen besteht allen Straßenbenutzern gegenüber, aber nur mit dem Zweck, sie vor Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum zu schützen, nicht jedoch sei das Vermögen geschützt.113 Auch in Fällen der unzulässigen Überplanung von Altlasten differenziert der BGH nach Gesundheits- und Vermögensschäden. Diese Differenzierung ist aber nicht absolut, sie wird nuanciert nach Maßgabe von Überlegungen zur Begründung einer Sphärenverantwortung. Der BGH begründet den Drittschutz beim Erlaß eines Bebauungsplanes mit dem hohen Rang der durch § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BauGB geschützten Rechtsgüter (Leben und Gesundheit). Der sachliche Schutzbereich der Amtspflicht geht dahin, Gesundheitsgefahren für die Bewohner des Plangebiets zu vermeiden und sie nur vor den Vermögensdispositionen zu bewahren, die in unmittelbarer Beziehung zu der Gesundheitsgefährdung und zum Nutzungsausschluß 109 110 111 112 113

BGHZ 123, 191. BGHZ 39, 358, 363. BGHZ 65, 196. BGH, NJW 1965, 200 ff. BGH, NJW 1973, 463.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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stehen. Der BGH differenziert weiter danach, ob die auftretenden Gesundheitsgefahren auf nicht erkannten Altlasten oder sonstigen Ursachen beruhen. Die besondere Behandlung von Altlasten wird damit gerechtfertigt, daß die mit Altlasten verbundenen Gefahren nicht vorhersehbar und auch nicht beherrschbar seien, demzufolge falle ihre Abwendung auch nicht in den Verantwortungsbereich der Erwerber bzw. Bauherren. Ähnlich argumentierte der BGH im „Steilhangfall“.114 Hier war die Ungeeignetheit des Grundstücks zur Wohnbebauung ohne weiteres für den Betroffenen erkennbar gewesen. Der BGH neigt dazu, die Drittbezogenheit anzunehmen, wenn es sich um Schädigungen von Leben, Gesundheit, Körper oder anderen absoluten Rechtsgütern, nicht aber um reine Vermögensschäden handelt. Er tendiert dazu, die a priori verstandene Voraussetzung der drittbezogenen Amtspflicht zu einem nach dem schon geschehenen Eingriff (ex post) zu beurteilenden Kriterium der Schwere des Eingriffs oder seiner Unterlassung zu machen.115 2. Unmittelbarkeit Das Haftungsbegrenzungskriterium der Unmittelbarkeit ist zu einem Kriterium der Festlegung einer Sphärenverantwortung zwischen Staat und Bürger geworden. Trotz einer Vermischung faktischer Kausalitätszurechnung und rechtlicher Wertungszurechnung ist für die Bejahung der Unmittelbarkeit zumindest aus heutiger Sicht das Fehlen von Zwischenursachen nicht mehr entscheidend. Es geht nicht um die Zusammengehörigkeit und Einheitlichkeit der Einzelglieder eines Kausalverlaufs, sondern um Zurechnungswertungen.116 Es kommt darauf an, daß die Schädigungswirkung eine den Umständen nach notwendige, aus der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme sich ergebende Folge ist. Es muß sich eine besondere Gefahr verwirklichen, die bereits in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt ist. Dies wurde im Falle des Vandalismus durch Dritte an einem sichergestellten Fahrzeug verneint117 und im Falle des Manöver-Schadens118 bejaht. Bei der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen und Risikosphären berücksichtigt der BGH die gesetzliche Regelung der hoheitlichen Zuständigkeitsund Pflichtenordnung und stellt auf das aus dem Deliktsrecht bekannten Kriterium des Schutzzwecks ab, um die Haftungsreichweite zu bestimmen. Die Pflicht, z. B. ein Pumpwerk gegen Hochwasser zu sichern, hat nicht den Zweck, Anliegergrundstücke vor Schädigungen durch Hochwasser zu schützen, sondern dient lediglich der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Pumpwerks. Es 114

BGHZ 116, 215. Dagtoglou, BK Art. 34 Rn. 172. 116 Olivet, Der verantwortungsbezogene Rechtswidrigkeitsbegriff im öffentlichen und bürgerlichen Recht, 1996, S. 115. 117 BGHZ 100, 335, 338 f. 118 BGHZ 37, 44: Waldbrand als Nebenfolge der Schießübung. 115

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

fehle demnach an der Unmittelbarkeit, wenn eine Überschwemmung durch den Ausfall der Funktion des Abwasserpumpwerks verursacht wird. Sie sei aber gegeben, wenn sich eine Gefahr verwirklicht, die in der Existenz des Pumpwerks selbst und nicht erst im bloßen Ausbleiben des Abpumpens angelegt war: Wenn etwa Wassermassen zum Schaden beigetragen haben, die sich in den zum Pumpwerk gehörenden Speicher- und Rückhaltebecken angesammelt hatten.119 In rechtsvergleichender Hinsicht ist das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit insofern interessant, als es dem Haftungserfordernis von „proximity“ im englischen „tort“ von „negligence“ nahe kommt. In der Rechtsprechung des Conseil d’Etat läßt sich eine „Entortung“ des Begriffs der Nachbarschaftsgefährdung nachzeichnen. Zunächst ging es um Nachbarschaft im eigentlichen, dann im übertragenen Sinne. Es handelte sich um die Ersatzansprüche eines Hausbesitzers, bei dem zwei entwichene Zöglinge eines in der Nähe gelegenen Heimes für schwer erziehbare Kinder eingebrochen waren. Ein besonderes Risiko wurde nur für dritte Personen geschaffen, die in der Nachbarschaft wohnten. Denn nur sie genössen nicht mehr die gleiche Sicherheitsgarantie, wie sie die frühere strenge Bewachung der Jugendlichen für sie darstellte.120 In anderen Entscheidungen, in denen die entwichenen Jugendlichen 300 km bzw. 700 km von der Anstalt entfernt Unfälle verursachten, stellte der Conseil d’Etat nicht auf die Entfernung zwischen dem Ort des Schadens und dem Ort der Verwahrung der entwichenen Jugendlichen ab. Er verneinte vielmehr das Vorhandensein einer direkten Kausalbeziehung zwischen der Existenz der Erziehungseinrichtung und dem Schaden.121 In einer anderen Entscheidung hatten entwichene Jugendliche 50 km von der Besserungsanstalt entfernt einen Diebstahl begangen. Der Regierungskommissar sah diese Entfernung als genügend an, um die Haftung des Staates auf den Gedanken des „risque anormal du voisinage“ stützen zu können. Der Conseil d’Etat begründete die Haftung damit, daß durch die Abschaffung der strengen Beaufsichtigung der verwahrlosten Jugendlichen eine besondere Gefahr für Dritte geschaffen worden war. Diese ergebe sich allein aus der liberalen Art und Weise, in der die staatliche Erziehungsaufgabe in modernen Besserungsheimen erfüllt werde.122 Aus der Nachbarschaftsgefährdung wurde ein Problem des unmittelbaren Kausalverhältnisses zwischen Schadensentstehung und der in der Besserungsanstalt angewandten Methode. Mit der „Nachbarschaftsgefährdung“ konnte gerade noch in einem Fall argumentiert werden, in dem ein in „Hafturlaub“ befindlicher Strafgefangener den Inhaber 119

BGH, JZ 1994, 784, 785. CE, 3.02.1965, Thouzellier, Rec. 49; s. ferner die Weiterentwicklung durch CE, 5.12.1997, Garde des Sceaux, Miinistre de la Justice c/M. Pelle, RFDA 1998, 573. 121 CE, 24.02.1965, Caisse primaire centrale de la sécurité sociale de la région parisienne, AJDA 1965, 370; CE, 26.03.1965, Compagnie d’assurance ,La Zürich‘, AJDA 1965, 370. 122 CE, 9.03.1966, Garde des Sceaux, Ministre de la Justice c/Trouillet, Rec. 201. 120

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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einer Bar in der Nähe vom Dorf, in dem seine Familie wohnte, verletzte. Trotz der Tatsache, daß die Bar Hunderte von km vom Gefängnis entfernt war, war es voraussehbar, daß der Strafgefangene nach Hause gehen würde.123 Aber im Fall, in dem ein Strafgefangener sechs Monate nach Ablauf seines „Hafturlaubs“ jemanden ums Leben brachte, verneinte der Conseil d’Etat die Unmittelbarkeit des Kausalverhältnisses wegen der inzwischen verstrichenen Zeit.124 Die Funktion der französischen Kriterien „risque anormal de voisinage“ bzw. „risque pour tiers“ liegt darin, den Kreis von Personen zu bestimmen, die von der staatlich induzierten Gefährdung erreichbar sind. Die Unmittelbarkeit des Kausalverhältnisses wird am Kriterium des „risque pour tiers“ geprüft und zur Lösung von zwei Problemen herangezogen: Es grenzt genauso wie das deutsche „Unmittelbarkeitskriterium“ und die englische „proximity“ die Haftung ein. Anders jedoch als im englischen Recht125 bringt Unmittelbarkeit der Gefährdung zugleich zum Ausdruck, daß der Staat eben eine unmittelbare Gefährdung verursacht hat, die anormal ist, weil sie das Lastengleichheitsprinzip verletzt. Der Zusammenhang zwischen „proximity“ und Sonderopfer kann im englischen Recht deshalb nicht hergestellt werden, weil die Haftung aus „negligence“ ein „wrong“ voraussetzt. 3. Sonderopfer Beim Sonderopfergedanken in seiner Funktion als Tatbestandsmerkmal geht es zunächst um die Bestimmung der zumutbaren Opfergrenze. Ein Sonderopfer kann dann ausgeschlossen werden, wenn sich die erlittene Einbuße lediglich als Verwirklichung allgemeiner Risiken des sozialen Lebens darstellt, die nicht dem Staat überbürdet werden sollen. Bei Straßenbauarbeiten mußte also ein Anliegergewerbebetrieb die durch die Bauarbeiten bedingten Umsatzrückgänge für einige Wochen oder gar Monate deshalb entschädigungslos hinnehmen, weil die Arbeiten und die damit verbundenen Verkehrsstörungen unvermeidlich waren und ein gesunder Gewerbebetrieb sie vorher einzukalkulieren hatte.126 Die Paradebeispiele kommen aber aus dem Aufopferungsrecht im engeren Sinne. Hier ist der Fall der Schülerin zu nennen, die infolge einer im Turnunterricht angeordneten, ungefährlichen Turnübung aufgrund ihrer schwachen Konstitution einen atypischen, schweren Gesundheitsschaden erlitt. Der BGH verneinte das 123

CE, 2.12.1981, Garde des Sceaux, Ministre de la Justice c/Theys, Rec. 546. CE, 27.03.1985, Garde des Sceaux, Ministre de la Justice c/Henry, Rec. 92. Zu einer Besprechung der zeitlichen und insitutionellen Haftungsgrenzen („les limites à l’extension de la responsabilité sans faute pour risque social“) s. Guettier, Note, RFDA 1998, 575, 578 ff. 125 Monti, Osman v. UK – Transforming English Negligence Law into French Administrative Law?, ICLQ 1999, 757, 768. 126 BGHZ 57, 359, 368. 124

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

Sonderopfer, weil die Kindererziehung auch außerhalb der Schule zwangsläufig mit Risiken verbunden sei, die zu schwersten Verletzungen der Schülerin führen könnten. Anders als bei einer Zwangsimpfung sei in diesem Fall keine außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos liegende neue Gefahr vom Staat geschaffen worden, deren Verwirklichung für die Annahme eines Sonderopfers Raum ließe.127 Verneint wurde das Sonderopfer ebenfalls in den „Zellenmorden“, wenn ein Strafgefangener von einem unerkannt geisteskranken Mithäftling erschlagen wurde oder ein rechtmäßig inhaftierter Untersuchungsgefangener von einem Mithäftling verletzt wurde. Begründet wurde dies damit, daß der Geschädigte seine Inhaftierung und die damit verbundene Gefahrenlage schuldhaft herbeigeführt hatte.128 Anders wurde demgegenüber die Lage eines in einer Heilund Pflegeanstalt untergebrachten Patienten, der durch einen Mitpatienten verletzt wurde. Denn der Geschädigte hatte sich in diesem Fall nicht notwendig schuldhaft in die besondere Lage der Freiheitsentziehung gebracht.129 Ein „préjudice spécial“ und „anormal“ wird auch vom französischen Recht im Rahmen der Haftung für „situations non fautives“ verlangt. Hierzu gehört die Haftung für rechtmäßige abstrakt-generelle Regelungen in Form von verwaltungsbehödlichen Erlassen („arretés“) und Verordnungen („règlements“)130, die Haftung für rechtmäßige legislative Einwirkungen131 und die Haftung für verweigerte Vollstreckungshilfe,132 die im Laufe der Zeit zu einer Haftung für rechtmäßige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung erweitert wurde.133 127

BGHZ 46, 327, 330 f. BGHZ 17, 172, 175; 60, 302, 304 f. 129 BGH NJW 71, 1881 130 CE, 22.2.1963, Comm. De Gavarnie, Rec. 113; ähnlich CE, 13.5.1987, Aldebert, DA 1987, Nr. 380; JCP 1988, Nr. 20960, note B. Pacteau; RFDA 1988, 950, note H. Rihal; zur Verneinung der erforderlichen Schadensmerkmale (préjudice anormal et spécial) s. CAA Lyon 8.2.1993, Ep. Bougarel-Tessier, AJDA 1993, 706, chron. J.-P. Jouguelet. 131 CE, 14. 1938, Soc. des produits laitiers La Fleurette, Rec. 25; D 1938, 3, 41, concl. Roujou, note L. Rolland; RDP 1938, 87, concl., note G. Jèze; S 1938, 3, 25, concl. Note P. Laroque. 132 Leitentscheidung CE, 30.11.1923, Couitéas, Rec. 789; D 1923, 3, 59, concl. Rivet; RDP 1924, 75; S 1923, 3, 57, concl., note M. Hauriou. 133 Entschädigung wurde somit einem Unternehmen gewährt, dem massive Entlassungen im Interesse des lokalen Wirtschaftslebens rechtmäßig versagt wurden; CE 21.11.47, Soc. Boulenger, Rec. 436; entschädigt wurden ferner: ein Unternehmen, das im Vertrauen auf die Realisierung eines letztlich aufgegebenen Straßenbauprojekts der Stadt Paris eine große Parkfläche umsonst gebaut hatte CE 17.3.1989, Soc. Sodevam, Rec. 96; AJDA 1989, 472, concl. B. Stirn; obs. P. Bon/P. Terneyre, RFDA 1989, 562; ein Eigentümer, der die Abänderung einer erteilten Baugenehmigung infolge archäologischer Entdeckungen in seinem Grundstück beantragen mußte CE 20.1.1989, SCI Villa Jacob, Rec. 23; ein Grundstückseigentümer, dem die Beseitigungsverfügung eines rechtswidrig errichteten Nachbarbauwerks rechtmäßig nicht erteilt wurde CE 20.3.1974, Navarra, Rec. 200; Weineigentümer, die deshalb geschädigt wurden, weil 128

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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Bei der Haftung für gefährliche Sachen (z. B. Explosivstoffe134, Blutprodukte135 oder Waffengebrauch bei polizeilichem Einsatz) kommt es stets auf „anormalité“ und „specialité“ an. In Querschlägerfällen kommt es darauf an, ob die Geschädigten in keinem Verhältnis zum polizeilichen Einsatz stehen; andernfalls ist Haftung für „faute“ heranzuziehen.136 Nach dem Kassationshof ist der Staat auch dann haftbar, wenn der die Schüsse der Polizei erwidernde Verbrecher einen unbeteiligten Passanten trifft.137 Seit 1930 knüpft die Rechtsprechung des Conseil d’Etat eine Gefährdungshaftung auch an bestimmte öffentliche Einrichtungen an. Es ging zunächst vor allem um Infrastruktureinrichtungen des Verkehrs sowie um Gas-, Strom- oder Wasserleitungen.138 Seit 1973 zählen sogar Straßen-Streckenabschnitte zu den haftungsauslösenden „Sachen“, soweit sie schon aufgrund ihrer Konzeption als außerordentlich gefährlich anzusehen sind.139 Zur Haftung bei gefährlichen Methoden gehört neben der Anwendung liberaler Resozialisierungsmethoden in staatlichen oder auch staatlich autorisier-

das Schiff, das ihren Wein transportierte, den Zielhafen im Interesse der öffentlichen Sicherheit nicht anlaufen durfte CE 7.12.1979, Soc. Les fils de H. Ramel, Rec. 456; D 1980, 303, concl. B. Genevois; JCP 1981, Nr. 19500, note B. Pacteau; ein Apotheker, der seine ganze Kundschaft wegen der rechtmäßigen Schließung von zehn Wohnungstürmen in seiner Nachbarschaft verlor CE 31.3.1995, Lavaud, AJDA 1995, 384. Ähnliches gilt im Falle schädigenden administrativen Nichtentscheidens, wenn die Untätigkeit der Verwaltung mit Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründet wird. Dies ist etwa der Fall bei der Besetzung von Häfen oder Lufthäfen von streikendem Personal, soweit sich die Verwaltung rechtmäßig jeglicher Requisition oder Sanktionierung im Interesse der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung enthält CE 11.5.1984, Port autonome de Marseille, Rec. 178; CE 22.11.1984, Soc. Sealink, Rec. 246; CE 22.11.1984, Soc. Towsend car ferries, JCP 1985, Nr. 20444; CE 7.1.1987, Soc. Lauritzen-France, DA 1987, Nr. 128; CE, 9.10.1989, Sarl Cie Cote des Isles, DA 1989, Nr. 603. Hierzu m. w. N. Chapus, Bd. 1, 1995, S. 1198. 134 Leitentscheidung für die ganze Fallgruppe CE, 28.3.1919, Regnault-Desroziers, RDP 1919, 239, concl. Corneille; S 1919, 3, 25 note M. Hauriou. 135 CE, 26.5.1995, cons. N’Guyen, Jouan et cons. Pavan, AJDA 1995, 508, chron. J.-H. Stahl/D. Chauvaux; JCP 1995, Nr. 22467, note M. Moreau. 136 CE, 27.7.1951, Dme Aubergé et Dumont, Rec. 447; D 1952, 108, concl. F. Gazier, note G. Morange: das Opfer hatte eine polizeiliche Straßensperre durchbrochen, der Staat haftete für seinen Schaden wegen der schlechten Beschilderung auf der Grundlage von „faute simple“. Siehe ferner CE, 29.11.1963, Ep. Marchon, Rec. 581; AJDA 1964, 27, chron. J. Fourré/M. Puybasset; CE, 13.10.1982, Berrandou, Rec. 340, in beiden Entscheidungen kam es auf die fehlende „faute“ des Polizeibeamten an. 137 Civ. 1re, 10.06.1986, Consorts Pourcel c/Pinier, JCP 1986, éd. G, II. 20683. 138 Chapus, Droit administratif, Bd. 1, 1995, S. 1173; CE, 6.6.1962, EDF. C. cons. Malfait, Rec. 377; CE, 25.1.1929, Soc. du gaz de Beauvais, D 1929, 3, 35, concl. R. Latournerie; CE, 12.1.1934, Soc. des forces motrices du Haut-Rhin und CE, 17.5.1934, Soc. Sud-Lumière, S 1934, 3, 81, note A. Mathiot; CE, 1.5.1942, Soc. du gaz et de l’électricité de Marseille, Rec. 142; CE, 18.12.1953, Gain, Rec. 570, DA 1954, 26, concl. J. Donnedieu de Vabres. 139 CE, 6.7.1973, Dalleau, Rec. 482, AJDA 1973, 588, chron. M. Franc/M. Boyon; D 1973, 740, note F. Moderne; JCP 1974, Nr. 17625, note P. Tedeschi; CE, 3.11.1982, cons. Payet, Rec. 367.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

ten und beaufsichtigten140 Anstalten141 die objektive Haftung der Polizei für die Gefahren, denen sie Dritte beim Beschützen bestimmter Persönlichkeiten aussetzt142, sowie die objektive Haftung staatlicher Krankenhäuser, in denen innovative Heilbehandlungsmethoden auf stationär behandelte Patienten angewandt werden.143 Der Conseil d’Etat hat 1993 eine Haftung für die öffentlichen Krankenhäuser auch bei fehlerfreiem Eingriff bejaht, wenn es sich um einen für Diagnose oder Therapie unerläßlichen Routineeingriff handelt, der ein bekanntes Risiko mit sich bringt, dessen Verwirklichung aber außergewöhnlich ist und bei dem kein Grund für die Annahme besteht, daß der Patient ihm in besonderer Weise ausgesetzt ist. Verlangt wird ferner, daß der Eingriff die direkte Schadensursache ist, daß er in keinerlei Beziehung zum ursprünglichen Gesundheitszustand des Patienten oder zu dessen Evolution steht und daß er besonders schwerwiegende Schäden zugefügt hat.144 Wenn schließlich der Staat gefährliche Situationen aufzwingt, wird ebenfalls unter Absehen von „faute“ auf das Sonderopfer abgestellt. Das ist etwa bei Diplomaten145 der Fall, die trotz akuter Krisensituation ihre Stellung im fremden Land nicht verlassen dürfen oder bei einer schwangeren Lehrerin146, die in der Schule von einer Kinderkrankheit angesteckt wird. Im Falle einer HIV-kontaminierten Krankenschwester, die ihren Ehemann kontaminiert, wird diesem ein Haftungsanspruch zugestanden, während die Krankenschwester einen gesetzlichen Anspruch hat („législation des pensions“).147 Hierhin gehört schließlich die Haftung bei Zwangsimpfungen, die damit begründet wird, daß der Staat die Impflinge einer gefährlichen Situa140 CE, 19.12.1969, Etabl. Delannoy, Rec. 595; AJDA 1970, 99, chron. R. Denoix de Saint Marc/D. Labetoulle; D 1970, 268, note J.-M. Garrigou-Lagrange; RDP 1970, 787, concl. S. Grévisse und 1220, note M. Waline; Guettier, Note, RFDA 1998, 575 ff. Er spricht von „extension organique“ und „extension temporelle“ der Haftung für diesen „risque social“ (S. 577 f.). Siehe ferner CE, 5.12.1997, Garde des Sceaux, Ministre de la Justice c/M. Pelle, RFDA 1998, 573, concl. Bonichot (RFDA 1998, 569 ff.). 141 CE, 3.2.1956, Thouzellier, Rec. 49; AJDA 1956, 2, 96, chron. F. Gazier; D 1956, 597, note J.-M. Auby; DA 1956, 51, note F.-P. Bénoit; JCP 1956, Nr. 9608, note D. Lévy; RDP 1956, 854, note M. Waline. 142 TA Crenoble, 4.11.1991, Mme Colombier, D 1993, 161, note J.-F. Couzinet. 143 Es geht um das sog. „aléa thérapeutique“: CAA Lyon, 21.12.1990, cons. Gomez, 498, AJDA 1991, 126, chron. J.-P. Jouguelet/F. Loloum; D 1991, SC, 292, obs. P. Bon/P. Terneyre; G. Pal. 21.7.1991, note D. Chabanol; JCP 1991, Nr. 21698, note J. Moreau; RFDA 1991, 466, obs. C. B; CE, 9.4.1993, Bianchi, Rec. 127; RDP 1993, 1059, note M. Paillet; RFDA 1993, 573; CAA Lyon, 20.9.1993, Hopital Joseph-Imbert d’Arles, RFDA 1994, 99, obs. P. B. 144 CE, 09.04.1993, Bianchi, Rec. S. 127. 145 CE, 19.10.1962, Perruche, Rec. 555; AJDA 1962, 668, chron. M. Gentot/J. Fourré; CE, 16.10.1970, Ep. Martin, Rec. 593; JCP 1971, Nr. 16577, concl. G. Braibant, note D. Ruzié. 146 CE, 6.11.1968, Dme Saulze, Rec. 550; AJDA 1969, 117, note J. B., chron. J.-L. Dewost/R. Denoix de Saint Marc, 287; Rev. adm. 1969, 174, note J.-P. Chaudet; RDP 1969, 505, concl. L. Bertrand, note M. Waline.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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tion („accident vaccinatoire“) aussetzt. Ursprünglich unterlagen Zwangsimpfungen dem Regime der „faute présumée“ die eine objektive Haftung bereits vorausahnen ließ. Der Staat haftet auch dann, wenn die Zwangsimpfung in einer privaten Klinik oder in der Wohnung des Impflings vorgenommen wird. Bei freiwilligen148 Impfungen kommt nur eine Haftung für „faute“ in Betracht. Der Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Aufopferungsrecht besteht darin, daß ersteres einen Eingriff in spezifische Rechte verlangt. Da nun nicht jede hoheitliche Maßnahme, durch die das Eigentum i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG oder ein nichtvermögenswertes Recht i. S. d. Art. 2 Abs. 2 GG unmittelbar beeinträchtigt wird, einen Entschädigungsanspruch wegen Aufopferung auslöst, sondern es zudem eines Sonderopfers bedarf, gibt es Probleme bei der Bestimmung des Verhältnisses der Verletzung des subjektiven Rechts zum Sonderopfer. Diese können mit Hinweis darauf, die Rechtswidrigkeit indiziere das Sonderopfer deshalb nicht gelöst werden, weil sich hier das Rechtswidrigkeitsurteil auf die Eingriffshandlung bezieht, während das eigentliche Problem das Verhältnis vom Erfolgsunrecht (Rechtseingriff bzw. Rechtsverletzung) zum Sonderopfer betrifft. Daß das französische Recht diese Probleme umgehen kann, hängt damit zusammen, daß es die Verletzung des Lastengleichheitsgrundsatzes unspezifisch auf Schäden und nicht auf Eingriffe in bestimmte subjektive Rechte bezieht und das Sonderopfer als Eigenschaft des Schadens bestimmt. Bei der Haftung der EGKS unter Art. 34 Abs. 1 S. 3 EGKSV sowie bei der Unionshaftung nach Art. 288 Abs. 2 EGV ist ein Sonderopfer auch erforderlich. Nachteile, die keine „besonderen“ Nachteile sind, stellen deshalb keinen gemäß Art. 34 Abs. 1 S. 3 EGKSV Ersatzansprüche auslösenden Schaden dar, weil alle Unternehmen der Gemeinschaft von ihnen betroffen sind.149 Demgegenüber verlangt Art. 40 EGKSV im Wortlaut keinen „besonderen Schaden“. Bei Art. 40 EGKSV erfordert der EuGH einen „gegenwärtigen“ und „bestimmten“ Schaden. Er setzt aber zudem den Schaden in Zusammenhang mit der „Normalität“ des vom Geschädigten erlittenen Schadens, ohne allerdings zu klären, ob auch hier „Besonderheit“ des Schadens notwendig ist.150 Bei der Haftung der Gemeinschaft gemäß Art. 288 Abs. 2 EGV verlangt der EuGH neben dem bestimmten und gegenwärtigen nicht stets auch noch explizit einen besonderen Schaden. In der „Biovilac“-Entscheidung muß allerdings der vom Kläger geltend gemachte Schaden die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, überschreiten.151 Das entspricht der Zumutbarkeit, 147 TA Paris, 20.12.1990, Ep. B., Rec. 514; JCP 1991, IV, 395; RFDA 1992, 545, concl. S. Monchambert; hierzu Chapus, Droit administratif Bd. 1, 1995, S. 1179. 148 CE, 28.1.1983, Mlle Amblard, Rec. 32. 149 EuGH verb. Rs. 14, 16, 17, 20, 24, 26, 27/60 und 1/61, Meroni/Höhe Behörde, Slg. 1961, 347 (361). 150 EuGH ebd. 347 (362).

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

also der „Opferseite“ des Sonderopferbegriffs. Um festzustellen, wann diese Grenzen überschritten werden, stellt der EuGH auf die Vorhersehbarkeit der Risiken ab. Die Vorhersehbarkeit der Risiken etwa, die die Marktbedingungen zu dem Zeitpunkt in sich bargen, als ein Handels- und Industrieunternehmen die Herstellung und die Vermarktung seiner Erzeugnisse aufnahm, schließe einen Ersatz des von ihm erlittenen Wettbewerbsnachteils aus. Die Vorhersehbarkeit wird wiederum nicht subjektiv, sondern danach beurteilt, ob die einschlägigen Risiken zu den wirtschaftlichen Risiken gehören, die der Tätigkeit eines Unternehmens des betreffenden Sektors innewohnen.152 Der Sache nach ist die Überschreitung der Grenzen normaler wirtschaftlicher Risiken vom „besonderen Schaden“ nicht unterschiedlich. Auch soweit Landwirte unionsrechtswidrig vollständig daran gehindert werden, Milch zu vermarkten, liegt nach dem EuG ein „erhebliches Opfer“ vor, da sich nicht mehr „innerhalb der Grenzen der mit der fraglichen wirtschaftlichen Betätigung verbundenen Risiken“ hält.153 Eine zahlenmäßige Begrenzung der Geschädigten, die noch in den Quellmehl-/Maisgritzfällen eine Rolle spielte, ist seit der „Mulder“-Entscheidung nicht mehr erforderlich.154 Die Abgrenzbarkeit der Geschädigten von der Allgemeinheit nach objektiv feststehenden Merkmalen bleibt allerdings ein erforderliches Schadensmerkmal.155 Der Unterschied zwischen Art. 34 Abs. 1 EGKSV und Art. 288 Abs. 2 EGV hinsichtlich der Begründung des Erfordernisses des „besonderen Schadens“ liegt wohl an der Eigentümlichkeit der Montangemeinschaft. Die Haftung der Montangemeinschaft wird durch dieses Schadenserfordernis insofern eingeschränkt, als die Ersatzpflicht nur eingreift, wenn der Schaden auf das ersatzbegehrende Unternehmen oder auf eine Gruppe von Unternehmen beschränkt geblieben ist. Die Montangemeinschaft ist aber nicht die Europäische Union. Eine Haftung der ersten auch in den Fällen anzunehmen, in denen ein Schaden allen Unternehmen oder einem bedeutenden Teil von ihnen zugefügt ist, hätte – angesichts der begrenzten Zahl der von der Montangemeinschaft erfaßten Kohle- und Stahlunternehmen – „zur Selbstentschädigung der Unternehmen unter sich“ geführt. Alle Unternehmen bildeten in diesem Fall eine Verlustgemeinschaft.156 Dieses „Sonderopfer“ nimmt hier entgegen157 seinem historischen Ursprung aus 151

EuGH Rs. 59/83, SA Biovilac/Kommission, Slg. 1984 4057 Rn. 28. EuGH Rs. 59/83, SA Biovilac/Kommission, Slg. 1984 4057 Rn. 29. Hierzu Toth, The Concept of Damage, S. 179, 183. 153 EuG, verb. Rs. T-195/94 u. T-202/94, Quiller u. Heusmann/Rat u. Kommission, Slg., Rn. 74 f. 154 Heukels, Anm. zu EuGH, verb. Rs. C-104/89, C-37/90, Mulder u. a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061, in: CMLR 1993, 368 ff. 155 EuG, verb. Rs. T-195/94 u. T-202/94, Quiller u. Heusmann/Rat und Kommission, Slg. Rn. 66 ff. 156 Much, Die Amtshaftung im Recht der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1952, S. 50, 64. 152

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pragmatischen Gründen eine haftungsbeschränkende Funktion wahr. Auch bei Rechtwidrigkeit der schadenzufügenden Maßnahme bleiben alle betroffenen Unternehmen eine Verlustgemeinschaft. Das „Sonderopfer“ im Rahmen der Haftung nach Art. 288 Abs. 2 EGV verbindet ebenfalls die Rechtswidrigkeit des Unionsaktes mit der Schwere und Besonderheit des Schadens. Seine Rolle dient aber vor allem darin, die Haftungsschwelle bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu erhöhen ohne Bezugnahme zu irgendeiner „Verlustgemeinschaft“. Hiervon zu unterscheiden ist schließlich die Heranziehung des Sonderopferkriteriums im Falle einer Unionshaftung für rechtmäßiges Handeln. Der Rat und die Kommission bestreiten zwar, daß ein Grundsatz der Haftung der Gemeinschaft aus rechtmäßigem Handeln ihrer Organe im Gemeinschaftsrecht durch die Rechtsprechung bereits anerkannt sei oder daß er sich aus einer den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungsüberlieferung herleiten lasse. Der Unionsrichter prüft aber eine Rechtmäßigkeitshaftung durch.158 In diesem Fall stellt die Verletzung des Lastengleichheitsprinzips bereits den Rechtsgrund der Haftung dar. Zugleich trägt das Sonderopfer bei Rechtmäßigkeit des Handelns die ganze Last der Haftungsbeschränkung und wird eng und streng interpretiert. Der Geschädigte müßte etwa nachweisen, daß er das einzige Unternehmen war oder zu einer begrenzten Gruppe von geschädigten Wirtschaftsteilnehmern gehörte.159 Ein Schaden ist ein „besonderer“ Schaden, wenn er eine besondere Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber den anderen unverhältnismäßig belastet. Er ist ein „außergewöhnlicher“ Schaden, wenn er die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken überschreitet, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, ohne dass die dem geltend gemachten Schaden zugrunde liegende Regelung durch ein allgemeines wirtschaftliches Interesse gerechtfertigt wäre.160 157 Hierzu s. die Schlußanträge des GA Tesauro in Rs. C-46/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, Rn. 93 und die Schlußanträge des GA Lagrange in Rs. 14/60, Meroni, Slg. 1961, 381, die darauf hinweisen, daß zumindest im französischen Recht das Sonderopfer lediglich bei Rechtmäßigkeit des Handelns eine Rolle spielt. Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzungen: Anspruchsgrundlage und materielle Voraussetzungen, 2002, S. 192, 399 weist hingegen auf die Rolle des Sonderopfers beim deutschen enteignungsgleichen Eingriff hin. Nach (deutschem) geltendem Recht fungiert allerdings das Sonderopfer nicht als besondere Schadensqualifikation, sondern es wird mit der Rechtswidrigkeit gleichgesetzt. Die Meinung Ossenbühls, StHG 1998, S. 259, bei Anwendung des enteignungsgleichen Eingriffs auf Fälle normativen Unrechts müsse dem Sonderopfer eigenständige Bedeutung zukommen, ist (noch) kein geltendes Recht. 158 Siehe etwa EuG, Urteil vom 10.2.2004, Rs. T-64/01 und T-65/01 Afrikanische Frucht-Compagnie GmbH, Internationale Fruchtimport Gesellschaft Weichert & Co/ Rat und Kommission, Rn. 143–156. 159 EuG, Rs. T-184/95, Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH/Rat und Kommission, Slg. 1998, II-667, Rn. 82. 160 Ebd. 80. Siehe zur Unionshaftung bei Rechtmäßigkeit die Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juni 2000 in der Rs. C-237/98P, Dorsch Consult/Rat und Kommission,

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II. Verschulden und „misfeasance“ Im Unterschied zum Verschuldensmerkmal der Amtshaftung des deutschen Rechts, das sich lediglich auf die Amtspflichtverletzung, nicht jedoch auf die weiteren Folgen (Rechtsgutverletzung, Schaden) zu beziehen braucht, reicht bei „misfeasance in public office“ die schuldhafte Amtsüberschreitung an und für sich zur Haftungsbegründung nicht aus. Bei diesem „tort“ werden „abuse of power“, also rechtswidriges Verhalten und daraus resultierender Schaden nicht auseinandergehalten. Nach deutschem Amtshaftungsrecht begeht etwa der Polizist, der entgegen den ihm bekannten Dienstvorschriften seine Pistole im Aufenthaltsraum reinigt, vorsätzlich eine Amtspflichtverletzung, obwohl sich ein Schuß ohne sein Verschulden löst und einen Anwesenden verletzt. Es ist unerheblich, daß der Polizist weder den Schuß noch die Verletzung des Opfers, für sich betrachtet, verschuldet hat.161 Bei „misfeasance in public office“ ist neben der Ausübung öffentlicher Gewalt in „public office“ eine bestimmte geistige Einstellung des Beamten („state of mind of the defendant“) Voraussetzung, die zwar von „dishonesty“ (oder: „bad faith“, „corrupt“ bzw. „improper motive“) über „knowledge“ zu „recklessness“ reichen kann. Sie muß sich aber stets auch auf die Zufügung eines Schadens beziehen. In der Sache „Three Rivers“ trug dieses Tatbestandsmerkmal die ganze haftungsbegründende Argumentationslast, denn es ging darum, ob die Bank of England als Aufsichtsbehörde „unredlich“ (nicht) handelte und die Herbeiführung wahrscheinlicher Schäden grob fahrlässig nicht abzuwenden versuchte. Es wurde vor allem geprüft, welcher der beiden Erscheinungstypen dieses „tort“ relevant war, ob nämlich die Aufsichtsbehörde in „böser Absicht“ oder „in Kenntnis der Rechtswidrigkeit“ ihres schädigenden Verhaltens handelte. Eine böse Absicht („targeted malice“) seitens der Bank of England konnte ohne großen Argumentationsaufwand verneint werden. Die Frage, inwiefern der Aufsichtsbehörde ein Schadensbewußtsein zugerechnet werden sollte, konnte hingegen nicht so leicht beantwortet werden, sie betraf doch den Kern der Aufgabe einer jeden staatlichen Wirtschaftsaufsicht, d. h. die Notwendigkeit, trotz unumgänglicher Informationsasymmetrien Entscheidungen zu treffen. Es kam darauf an, ob tatsächliches Voraussehen oder lediglich Voraussehbarkeit der den Einlegern von BCCI zugefügten Schäden („foreseen“ oder „forseeable damage“) die Haftung auslösen sollte. Die Geschädigten müßten nachweisen, daß die Aufsichtsbehörde nicht nur in Kenntnis des Amtsmißbrauchs, sondern auch in Kenntnis der Wahrscheinlichkeit der Schadensfolgen und daher in bewußtem Mißachten („conscious disregard“) der Interessen der Geschädigten162 (nicht) gehandelt hatte. Es wird „subjective recklessness“, keine objektive Voraussehbarkeit hinsichtlich der Schadensfolgen verlangt. DieSlg. 2000, I-4549, Rn. 17 bis 19, und des EuG vom 6. Dezember 2001 in der Rs. T196/99, Area Cova u. a./Rat und Kommission, Slg. 2001, II-3597, Rn. 171. 161 BGHZ 34, 380.

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ses Ergebnis wird zunächst mit dem Widerstreit des öffentlichen Interesses an der Bekämpfung von Amtsmißbrauch einerseits und des ebenfalls öffentlichen Interesses an der Eindämmung offensichtlich unbegründeter Schadensersatzklagen („unmeritorious actions“) andererseits begründet.163 Hinzukommen aber Erwägungen, die der Komplexität der Aufgaben moderner Verwaltungen und insbesondere den zu Lasten der staatlichen Aufsicht bestehenden Informationsasymmetrien gelten. Die Begründung einer Staatshaftung für „unintentional infliction of damages“ hätte eine Lähmung des Ermessens von Aufsichtsbehörden zur Folge. Der Sache nach geht es nach dem House of Lords164 darum, in einer Gesellschaft, in der jedes Staatshandeln Nebenfolgen mit sich bringt, zumindest mit Hilfe des Instituts „misfeasance in public office“ keine Staatshaftung für Nebenfolgen entstehen zu lassen. Schließlich kommt es auf die Unterscheidung „forseen“ oder „forseeable“, die eigentlich dem Haftungsinstitut von „negligence“ angehört, nur insofern an, als die Zweckgerichtetheit des Handelns oder Unterlassens im Rahmen eines genuin „intentional tort“ nachgewiesen werden soll.165

III. „Legislative intention“, „duty of care“ und „section 8 (1) Human Rights Act 1998“ 1. „Legislative intention“ Die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht kann nach englischem Recht nur dann Grundlage einer Schadensersatzpflicht sein, wenn dies der gesetzgeberischen Absicht entspricht. Voraussetzungen der Haftung wegen „breach of statutory duty“ sind demnach neben dem verursachten Schaden die objektive Pflichtverletzung und die im Einzelfall zu ermittelnde gesetzgeberische Intention. Ver162 „(T)he common law has long set its face against any general principle that invalid administrative action by itself gives rise to a cause of action in damages by those who have suffered loss as a consequence of that action. There must be something more. And in the case of misfeasance of public office that something more, it seems to us, must be related to the individual who is bringing the action. While the cases have made it clear that the malice need not be targeted there must, (. . .) be a conscious disregard for the interests of those who will be affected by the making of the particular decision“. Garett v. Attorney-General [1997] 2 N.Z.L.R. 332, 350. 163 Three Rivers D.C. v. Bank of England (No. 3) H.L. [2000] 2 W.L.R. 1220, 1235 per Lord Steyn. 164 Per Lord Hutton unter Berufung auf die Entscheidung Garett, Three Rivers D.C. v. Bank of England (No. 3) H.L. [2000] 2. W.L.R. 1220, 1265 f., 1270. 165 Die entscheidende vom Court of Appeal und vom House of Lords verneinte Frage war bezeichnenderweise wie folgt: „Is it reasonably arguable that the Bank at any stage made an unlawful and dishonest decision knowing at the time that it would cause loss to the plaintiffs?“. Die Antwort war „plainly ,No‘“. Three Rivers D.C. v. Bank of England (No 3) C.A. [2000] 2 W.L.R. 15, 102.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

schulden ist hingegen nicht erforderlich.166 Wenn das Gesetz eine Sanktion vorsieht, wird es schwieriger sein, eine haftungsrechtliche cause of action anzunehmen.167 Berücksichtigt werden hierbei einerseits die Verfügbarkeit gesetzlich vorgesehener Rechtsbehelfe, die eine Alternative zum Schadensersatz darstellen, sowie die Natur und die Justitiabilität der verletzten gesetzlichen Pflicht. Ferner muß der zugefügte Schaden den Risiken angehören, die das Gesetz abwenden wollte.168 Zu den anderweitigen Rechtsschutzmöglichkeiten gehört eine breite Palette von nach Voraussetzungen und Wirkungsweise grundverschiedenen Instrumentarien wie verwaltungsinterne Aufsichts- und Weisungsbefugnisse oder Selbsteintrittsrechte, Beschwerden zu einem „tribunal“, gerichtliche Überprüfungsbefugnisse oder strafrechtliche Sanktionen („default powers“ „administrative remedies“, „criminal penalties“)169. Darüber hinaus kann das Vorhandensein von privatem Versicherungsschutz eine Rolle spielen.170 Schließlich kommt die Berücksichtigung der Verfügbarkeit der Anfechtungsklage („Judicial Review“) hinzu. Der Verfahrensweg der „Judicial Review“ wird nicht durch das jeweilige Gesetz eröffnet, sondern er besteht unabhängig von parlamentarischer Verleihung. Die Relevanz der anderen verfügbaren Rechtsschutzmöglichkeiten ist nicht unabhängig von der Natur der verletzten gesetzlichen Pflicht („nature of the legislation“). Bei Pflichten, Eingriffe in Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Sicherheit zu unterlassen („duties not to cause harm“, „legislation prescribing safety standards“), löst die Pflichtverletzung grundsätzlich eine Haftung aus. In der Leitentscheidung zu dieser Fallgruppe wurde die vom verletzten Gesetz vorgesehene Beschwerde zum zuständigen Minister als ein zum Rechtsschutz nicht ausreichendes Rechtsmittel angesehen, so daß dem Kläger der Anspruch auf Schadensersatz gewährt werden mußte.171 Geht es demgegenüber um die Verletzung gesetzlicher Pflichten aus dem Bereich des Sozialrechts („social welCraig, Administrative Law, 4th ed. 1999, S. 847 m. w. N. X (Minors) v. Bedfordshire CC [1995] 2 A.C. 633, 731 f. 168 Dieser Überblick bei Craig, Administrative Law, S. 847 f.; s. ferner Cane, Ultra Vires Breach of Statutory Duty, PL 1981, 11. 169 Siehe nur Lewis, Judicial Remedies in Public Law, 2000, Rn. 14-058. 170 Das betrifft vor allem die Ablehnung von Staatshaftungsansprüchen im Feuerwehrwesen: „(N)o remedy should be given here – whether in negligence or for breach of statutory duty – since plaintiffs are normally insured“. So Arrowsmith, Civil Liability and Public Authorities, 1992, S. 208 mit Blick auf die Fälle Atkinson v. Newcastle and Gateshead Waterworks Co. (1877) 2 Ex D 441; Dawson v. Bingley U.D.C. [1911] 2 KB 149. 171 Refell v. Surrey County Council (1964) 1 W.L.R. 358. Vgl. dazu aber Calveley v. Chief Constable of Merseyside [1989] A.C. 1228: Die Aufhebung rechtswidriger Disziplinarmaßnahmen (Verstoß gegen Anhörungspflicht) reiche zum Rechtsschutz des Schadensersatzklägers aus; die verletzte Pflicht verfolge den Zweck objektivrechtlicher Rechtmäßigkeit und schließe eine Haftung aus. Hierzu Lewis, Rn. 14-062; s. ferner Arrowsmith 1992, S. 205 f. 166 167

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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fare“, „provision of services“, „duties to provide benefits“), ist die Gerichtspraxis erheblich restriktiver.172 Dies hänge damit zusammen, daß einerseits der Gesetzgeber hier der Verwaltung Ermessen einräume und andererseits „Judicial Review“ das geeignete Rechtsmittel für schlechtes Verwalten von Ressourcen („maladministration“) sei.173 Die entschiedenen Fälle betreffen den Jugendschutz, die Wohnungsbeschaffung oder das Schulrecht. Die Grundidee lautet: „matters of administrative policy and discretion are not to be invaded by private law duties“.174 Die Vermutung der gesetzlichen Absicht, eine Haftung auszuschließen, wurde allerdings nicht nur auf das eingeräumte Ermessen, sondern auch auf die Natur des Regelungsgegenstandes gestützt: Entscheidungen über Wohnungsbeschaffung gingen über das Verhältnis des Klägers zum Beklagten hinaus.175 Ein Schadensersatzanspruch wird ferner nur gewährt, wenn die „statutory duty“ die Interessen eines abgegrenzten Personenkreises schützt („obligation imposed for a defined class of persons“), zu dem auch der Kläger gehören muß.176 Im Bereich der Leistungsverwaltung wird die Drittbezogenheit gesetzlich statuierter Pflichten deshalb verneint, weil diese als nur dem Gemeinwohl dienend angesehen werden. Dies gilt auch dann, wenn ein Antrag auf eine bestimmte Leistung gestellt wurde und ein engeres Rechtsverhältnis zwischen Behörde und Bürger entstanden ist. Drittgerichtetheit wird hingegen bei Pflichten bejaht, deren Verletzung Körper- oder Sachschäden zur Folge hat, also Rechtsgüter betrifft, die auch im übrigen deliktsrechtlich geschützt sind. Auch dies reicht allerdings zur Annahme einer Schadensersatzpflicht nicht aus, sondern es dient lediglich als Indiz, das Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Intention zuläßt. Nicht jeder Körper- oder Sachschaden kann ersetzt werden, sondern nur derjenige, den zu verhindern Zweck der Vorschrift ist.

172

Eine Rechtsprechungsübersicht findet sich bei Arrowsmith 1992, S. 206 ff. Winfield/Jolowicz 1998, S. 251. 174 Winfield/Jolowicz 1998, S. 252. 175 Die zentrale Bedeutung dieses Gedankengangs für die Rechtsprechung des House of Lords rechtfertigt ein längeres Zitat. „(T)he Act (The Housing Act 1985) is a scheme of social welfare, intended to confer benefits at the public expense on grounds of public policy. Public money is spent on housing the homeless not merely for the benefit of people who find themselves homeless but on grounds of general public interest: because, for example, proper housing means that people will be less likely to suffer illness, turn to crime or require the attention of other social services. The expenditure interacts with expenditure on other public services such as education, the National Health Service and even the police. It is not simply a private matter between the claimant and the housing authority.“ So die Interpretation der „duty of housing homeless persons“ nach Lord Hoffman in O’Rourke v. Camden L.B.C. [1997] 3 W.L.R. 86, 90. Hierzu Craig 1999, S. 848. 176 Winfield/Jolowicz 1998, S. 250 m. w. N. 173

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2. „Duty of care“ Die Verletzung einer Sorgfaltspflicht („duty of care“) ist Tatbestandsvoraussetzung für eine Haftung aus „negligence“. Sie liegt vor, wenn der Schaden vorhersehbar war („forseeability of harm to the plaintiff“), eine Nähebeziehung („proximity“) zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestand und es gerecht und vernünftig („fair, just and reasonable“) ist, dem Beklagten eine Sorgfaltspflicht aufzuerlegen. Im Rahmen der Prüfung des letzten Punktes werden Billigkeitserwägungen („public policy“) herangezogen, die für oder gegen die Haftung sprechen.177 Nach dem House of Lords sei die Annahme einer „duty of care“ „profoundly influenced by the statutory framework“.178 Gefragt wird demnach zunächst, ob der von der gesetzlichen Regelung verfolgte Zweck zumindest auch dem Schutz der Interessen des Klägers dient. Ferner kommt es auf die Natur der wahrgenommenen Staatsaufgabe („nature of the function“) sowie auf die praktischen Folgen der Staatshaftung. Von Bedeutung sind auch Überlegungen hinsichtlich der Einschränkung der Justitiabilität von Ermessensentscheidungen, der negativen Beeinflussung der Entscheidungsfreudigkeit des Amtswalters durch die Haftung oder des Ausschlußes der Haftung bei Vermögensschäden. Berücksichtigt werden schließlich die Art und Intensität des Schadens und die Verfügbarkeit alternativer Rechtsmittel und Rechtsbehelfe.179 In vielen Urteilen ist die Frage, ob es billig sei eine „duty of care“ der Verwaltung aufzuerlegen, problematisch gewesen. In „Hill“ wurde die „negligence“ Haftung der Polizei bei der Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung ausgeschlossen.180 Ausschlaggebend war hierbei, daß die Polizeibehörde weites Ermessen hinsichtlich der Erfüllung ihrer Pflicht zur Verbrechensverhütung hatte, da sie über den Einsatz der verfügbaren Ressourcen nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden darf. Aus diesem Grunde wurde eine allgemeine Sorgfaltspflicht gegenüber bestimmten Bürgern verneint, die übrigens nach Einschätzung des Gerichts zu einer „defensiven“ und somit unwirksamen Ausführung der polizeilichen Aufgaben führen würde. Eine „negligence“-Haftung der Feuerwehr wurde in „Capital“ verneint.181 Zunächst konnte keine „common law duty of 177 Diese dreiteilige Prüfung geht auf die Entscheidung Caparo Industries plc. v. Dickman [1990] 2 W.L.R. 358 zurück, die eine zweiteilige Prüfung in Anns v. Merton London Borough Council [1978] A.C. 728 und die Prüfung in einem Schritt in Donoghue v. Stevenson (1932) A.C. 562, 580 („neigbour principle“) ersetzte. Zur Kritik am von Lord Wilberforce entwickelten Prüfungsschema in „Anns“ s. Yuen Kun-Yeu v. Att. Gen. of Hong Kong [1988] A.C. 175. 178 X (Minors)v. Bedfordshire County Council [1995] A.C. 633, 739 per Lord Browne-Wilkinson. 179 Zu dieser Liste von Faktoren s. Lewis, Judicial Remedies in Public Law, 2000, Rn. 14-010 ff. 180 Hill v. Chief Constable of West Yorkshire [1989] A.C. 53. 181 Capital and Counties plc v. Hampshire CC [1997] Q.B. 1004.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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care“ zur Reaktion auf Hilferufe angenommen werden. Darüber hinaus wurde eine hinreichende Nähebeziehung zwischen der Feuerwehr und einem Gebäudeeigentümer verneint, die eine angebliche Sorgfaltspflicht aus der bloßen Tatsache des Feuerwehreinsatzes entstehen lassen sollte. Eine Haftung aus „negligence“ wäre nur gegeben, wenn die Feuerwehr die Gefährdungshaftung des Klägers durch ihren Einsatz erhöht und Schäden verursacht hätte, die sonst nicht entstünden. Ähnlich wurde mit Blick auf die Küstenwache argumentiert.182 In „Takaro“ machte der Kläger geltend, ein Minister hätte deshalb fahrlässig gehandelt, weil er ohne jegliche Rechtsberatung seine Entscheidung getroffen hatte.183 Das House of Lords verneinte eine Sorgfaltspflicht zur Rechtsberatung deshalb, weil sie die Entscheidungsfreudigkeit der Minister hemmen sowie Verzögerungen und höhere Verwaltungskosten verursachen würde. Ferner sei eine Pflicht zur Rechtsberatung weder verallgemeinerungsfähig noch hinreichend abgrenzbar. In „X v. Bedfordshire“ wurde eine Sorgfaltspflicht den Ortsbehörden mit Blick auf Kindermißbrauchsfälle als unbillig abgelehnt.184 Zunächst würde eine richterrechtlich auferlegte Sorgfaltspflicht dem vom Gesetzgeber aufgestellten Kinderschutzsystem, das auf der interdisziplinären Zusammenarbeit von Polizei-, Erziehungs- und Gesundheitsbehörden beruhte, quer stehen. Das Instanzenzusammenspiel mache ferner das Herausgreifen einer bestimmten Behörde, die dann alleine wegen Sorgfaltspflichtverletzung haften sollte, offensichtlich unfair. Würde man alle Instanzen haften lassen, brächte dies andererseits nach dem Gericht Probleme der Haftungsverteilung mit sich. Übrigens könne man dem vom Gesetzgeber verfolgten Doppelzweck der Förderung des Kindeswohls einerseits und des Schutzes der das Kind aufnehmenden Familie andererseits mit der Auferlegung einer haftungsbegründenden „duty of care“ nicht gerecht werden. Denn diese würde dringliche Entscheidungen und Einsätze nur verzögern und schließlich die vom Gesetz vorgesehenen alternativen Rechtsschutzmittel nur verdrängen. Die Gerichte neigen dazu, die „policy (planning)/operational“ Dichotomie, die bei der Beurteilung der haftungsrechtlichen Relevanz von Ermessensentscheidungen seit der „Anns“-Entscheidung185 explizit in Anspruch genommen wurde, aufzugeben und auf die Justitiabilität generell abzustellen. Schon in „Dorset Yacht“ hieß es, man könne vom Gericht verlangen, das Interesse der Gemeinschaft an der sozialen Integration von der Jugendstrafanstalt entwichenen Jugendlichen gegen das von ihnen ausgehende Schadensrisiko abzuwägen. Eine derartige Abwägung wurde als „decision of policy“ für nicht justitiabel gehalten.186 Haftung sei demgegenüber auf Operationsebene, also auf der 182 183 184 185

OLL Ltd v. Secretary of State for Transport [1997] 3 All E.R. 897. Rowling v. Takaro Properties Ltd [1988] A.C. 473. [1995] 2 A.C. 633, 749 ff. Anns v. London Borough of Merton [1978] A.C. 728, 754 f.

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Ebene der Umsetzung der aufgrund von „policy“ gewählten Resozialisierungsmethode (offene Strafanstalt) durchaus möglich. In „Takaro“ wurde darauf hingewiesen, daß es darum ging, die Verwaltung für gerichtsfreie Akte, die sich mit der Einschätzung von Risiken und der Verteilung von knappen Ressourcen befassen, nicht haftbar zu machen.187 Die Justitiabilität spielt die Rolle eines öffentlich-rechtlichen Hindernisses („public law hurdle“). Es kommt auf den in „Barett“ aufgestellten Maßstab an: Nur bei Ermessensentscheidungen, die justitiabel sind, kommt eine common law „duty of care“ in Betracht, die eine Haftung begründen kann. Andernfalls würde man über den Umweg der Haftungsklage Abwägungsentscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen, die im Rahmen des „Judicial Review“-Verfahrens nicht überprüfbar sind. Im Grunde geht es um „judicial restraint in tortious liability“.188 Einerseits kann es für „non-justiciable matters“ keine Haftung geben. Andererseits können nicht alle „justiciable matters“ eine Haftung auslösen. Es muß noch „just, fair and reasonable“ sein, die Haftung aus „negligence“ auszulösen. Bei pflichtwidrigen Unterlassungen („nonfeasance“ im Gegensatz zu „misfeasance“) gibt es zwei Mindestvoraussetzungen für die Auferlegung einer „duty of care“ im Falle der Nichtausübung von gesetzlich eingeräumtem Ermessen189: a) Die Nichtausübung des Ermessens müsse unvernünftig gewesen sein; diese „irrationality“ begründe ihrerseits eine öffentlich-rechtliche Handlungspflicht („public law duty to act“). b) Es müßten sich außerordentliche Gründe dafür angeben lassen, daß das Ermessen einräumende Gesetz ein Recht auf Schadensersatz denjenigen zu verleihen bezwecke, die durch die Nichtausübung des Ermessens geschädigt würden. Die bloße Tatsache, daß das Parlament der Verwaltung Ermessen eingeräumt hat, anstatt ihr eine Pflicht aufzuerlegen, soll an und für sich schon ein Indiz darauf sein, daß das Gesetz kein Recht auf Schadensersatz verleihen sollte. Im Bereich fehlsamer Wirtschaftsaufsicht kann die Rolle von Justitiabilität veranschaulicht werden. Im Falle des Konkurses eines in Hong Kong ansässigen Kreditinstituts wurde geprüft, ob die staatliche Aufsichtsbehörde („the commissioner“), die es unterlassen hatte, die Einstellung der Geschäftstätigkeit des Instituts rechtzeitig anzuordnen, eine den Einlegern gegenüber bestehende Sorgfaltspflicht verletzt hatte. Gefragt wurde insbesondere, ob potentielle Einleger („would-be depositors“) vom Schutzzweck einer angenommenen Sorgfaltspflicht gedeckt waren. Die Vorhersehbarkeit des Schadens allein begründe keine 186

So etwa das Votum von Lord Diplock, ebd. 1066 ff. Rowling v. Takaro Properties Ltd [1988] A.C. 473. 188 So Lord Slynn of Hadley in Barrett v. Enfield London Borough Council [1999] 3 W.L.R. 79, 95 in Anlehnung an den Aufsatztitel von Andenas/Fairgrieve, Sufficient Serious? Judicial Restraint in Tortious Liability of Public Authorities on the European Influence, in: Andenas (Hrsg.) 1998, S. 285. 189 Grundlegend Stovin v. Wise [1996] A.C. 923. 187

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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Sorgfaltspflicht, und die künftigen potentiellen Einleger seien nicht die einzige Personengruppe, die die Aufsichtsbehörde im Auge haben sollte, denn gegenwärtige Einleger wären von einer angeordneten Einstellung der Tätigkeit des Kreditinstituts schwer getroffen. Die Behörde sollte bei ihrer Ermessensausübung auch der Hoffnung Rechnung tragen, daß Sanierungsmaßnahmen erfolgreich sein könnten. Die Annahme einer Sorgfaltspflicht wurde mit Rückgriff auf eine Entscheidung zur fehlsamen Aufsicht entwichener Fürsorgezöglinge verneint.190 Im Unterschied zu dieser sei nämlich die Wirtschaftsaufsicht nicht dazu befugt, die Tagesgeschäfte der Schädiger zu überwachen („the commissioner had no power to control the day-to-day activities of those who caused the loss and damage“). Lediglich die Entscheidung über die Einstellung oder Fortsetzung der Geschäftstätigkeit des Kreditinstituts stehe in ihrem Ermessen. Untermauert wurde die Verneinung einer „duty of care“ mit Billigkeitsargumenten dahingehend, daß eine Haftung Ermessenslähmung bzw. „defensives“ Verhalten bei der Aufsichtsbehörde herbeiführen und eine Präjudizwirkung entfalten würde, die eine Haftungsausuferung in den verschiedensten Bereichen der staatlichen Aufsicht zur Folge haben könnte. Ein weiterer Argumentationsstrang hebt die fehlende Justitiabilität der Ermessensentscheidungen der Aufsichtsbehörde hervor. Wirtschaftsaufsicht wird mit Regieren im Interesse des Gemeinwohls gleichgesetzt („typical functions of modern government, to be exercised in the general public interest“), so daß die individuellen Interessen von Einlegern im institutionellen Schutz von Finanzstrukturen, also im Gemeinwohl aufgehen. Gegenstand der Abwägung ist ein Ausgleich zwischen (noch) erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen und Sanktionen, die das Kreditinstitut der Insolvenz näher bringen würden.191 Eine Liberalisierung der Staatshaftungsrechtsprechung des House of Lords ist durch die Entscheidung „Phelps v. Hillington L.B.C.“192 eingeleitet worden. Der Court of Appeal hatte die „duty of care“ einer Behörde im Bereich des Erziehungswesens, die trotz der Einschaltung eines Erziehungspsychologen die Lernschwierigkeiten eines Kindes nicht rechtzeitig feststellen konnte, mit der Begründung abgelehnt, daß schikanöse Schadensersatzklagen viele Jahre nach dem streitigen Schadenseintritt zu vermeiden seien. Eine Haftung wäre nur möglich, wenn der Erziehungspsychologe die Verantwortung für das bestimmte Kind übernommen hätte.193 Das House of Lords hob die Entscheidung auf und bestätigte somit eine bereits in der Entscheidung „Barrett v. Enfield L.B.C.“194 190

Dorset Yacht Co. Ltd v. Home Office [1970] A.C. 1004. „(I)t may for example be more in the public interest to attempt to nurse an ailing bank back to health than to hasten its collapse“, Davis v. Radcliffe [1990] 1 W.L.R. 821, 826 f. per Lord Goff. 192 [2000] 3 W.L.R., 776. 193 Phelps v. Hillington LBC [1999] 1 W.L.R. 500. 194 [1999] 3 W.L.R. 79. 191

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

zum Ausdruck gebrachte Tendenz zur Liberalisierung der Staatshaftung, indem es die in einer Reihe von Fällen stereotyp wiederholten Argumente für einen Haftungsausschluß aus Billigkeitsgründen („policy ground“) anders als der Court of Appeal in Zweifel zog bzw. offen revidierte. Diese Argumente, die im deutschen und französischen Recht in dieser Form keine Entsprechung finden, betreffen die Komplexität von Haftungsklagen und die damit einhergehende Ressourcenumleitung, die Herbeiführung eines die Haftung vermeidenden defensiven Verhaltens der Verwaltung, die um ihre Entscheidungsfreude gebracht werde und schließlich die kontraproduktive Vermehrung von Haftungsklagen. Die Entscheidungen in den Sachen „Barrett“ und „Phelps“ scheinen nunmehr die Prüfung des Vorliegens einer „duty of care“ zu verfeinern. „Barrett“ und „Phelps“ machen klar, daß der Begriff der „duty of care“ in der bisherigen Rechtsprechung gleichsam zu hoch aggregiert war. „Breach of duty of care“ und „causation“ werden nun als separate Elemente aus dem Begriff der „duty of care“ herausgenommen und getrennt geprüft.195 Dies wird durch die Einführung der Civil Procedure Rules 1998 (CPR) verstärkt. Die Neuregelung des „strikeout“-Verfahrens und des „summary judgment“-Verfahrens läßt anders als die frühere Rechtslage nunmehr den Nachweis von Tatsachenbehauptungen zu. Auch die Befugnisse196 des Richters sind erweitert worden: Er muß nicht mehr die Sachverhaltskonstitution, so wie sich diese aus dem Antrag auf die beiden summarischen Verfahren ergibt, hinnehmen, sondern er darf Beweisaufnahme vornehmen und Zeugenaussagen hören. Die Würdigungsmöglichkeit von Beweismaterial erweitert die Gründe, aus denen eine Haftungsklage aus „negligence“ abgewiesen werden kann. Die Klageabweisung kann nämlich nicht nur auf das Fehlen einer „duty of care“, sondern auch auf die fehlende Verletzung dieser gestützt werden. Die CPR 1998 machen deutlich, daß es auf die tatsächliche Sachverhaltsbeurteilung und Beweiswürdigung im konkreten Fall ankommt197 und daß Fallkategorien der weiteren Differenzierung ad hoc zugänglich und bedürftig sind.198 195 Siehe etwa die Differenzierung der Sorgfaltsstandards und ihrer Schutzrichtungen bei der Anwendung des Bolam-Test (Bolam v. Friern Hospital Management Committee [1957] 1 W.L.R. 582, 587) in Phelps v. Hillington L.B.C. [2000] 3 W.L.R. 776, 792. Zur Verselbständigung der Kausalitätsprüfung s. die Ausführungen von Lord Nicholls in Phelps v. Hillington L.B.C. [2000] 3 W.L.R. 776, 805. 196 Die einschlägigen Bestimmungen sind Rules 3.4 (2), 24.5, 24.6 CPR 1998. 197 Siehe hierzu die Ausführungen des Lord Justice May in Court of Appeal S v. Gloucestershire C.C. und L v. London Borough of Tower Hamlets and London Borough of Haveringi [2001] Fam. 313 und vgl. die Aussage von Lord Nicholls in Phelps v. Hillington L.B.C. [2000] 3 W.L.R. 776, 804. 198 Die Haftung der Ortsbehörde läßt sich somit in unterschiedlicher Weise beurteilen, je nachdem, ob etwa die mißhandelten schutz- und fürsorgebedürftigen Kinder einem örtlichen Pflegeheim oder aber einer Pflegefamilie zur Obhut und Personenfürsorge überwiesen wurden. Hierzu siehe die Diskussion und den Vergleich der Fälle Court of Appeal H. v. Norfolk County [1997] 1 W.L.R. 384 und „Barrett“ in Barrett v. Enfield L.B.C. [1999] 3 W.L.R. 79, 89, 114. In Andrews v. Reading BC (2004)

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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Schließlich ist auf den Einfluß der Rechtsprechung des EGMR hinzuweisen, der zwar seine erste negative Beurteilung (Verstoß gegen Art. 6 EMRK)199 der Praxis der englischen Gerichte, das Vorliegen einer „duty of care“ im Rahmen eines summarischen Verfahrens („striking out procedure“) zu prüfen, revidierte, doch den mit Art. 6 EMRK konformen Haftungsausschluß nunmehr als Fehlen eines wirksamen Rechtsmittels und daher als Verstoß gegen Art. 13 EMRK moniert, solange sich der zugefügte Schaden als eine Menschenrechtsverletzung (z. B. Verletzung von Art. 3 EMRK) darstellt.200 Was den Verstoß gegen Art. 13 EMRK angeht, kann ein effektives Rechtsmittel nunmehr in section 8 des Human Rights Act 1998 gesehen werden, der die Grundlage für eine Schadensersatzklage wegen Menschenrechtsverletzungen darstellt. Dieses Rechtsmittel kann die Liberalisierung der Haftung aus „negligence“ nur noch weiter verstärken, da die Gerichte es vermeiden werden, ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich zu beurteilen, je nach dem, ob section 8 HRA 1998 oder das Tort Law als Rechtsgrundlage herangezogen wird. Nicht zuletzt dieser Harmonisierungsbedarf wird die Relevanz des vom EGMR angewandten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Prüfung der Maßstabs von „just, fair and reasonable“ in den Vordergrund stellen. 3. „Section 8 (1) Human Rights Act 1998“ Nach section 8 (4) des seit 2000 geltenden Human Richts Act 1998 (HRA) sollen die Gerichte Schadensersatz auf der Grundlage der vom EGMR entwikkelten Grundsätze („principles“) – z. B. „full reparation“ oder „restitutio in integrum“ – leisten.201 Die Gerichte haben bei der Gewährung von Schadensersatz nach section 8 (1) Ermessen.202 Dieses weite Ermessen wird in section 8 (3) spezifiziert. Eine Ersatzleistung kann nur gewährt werden, wenn sie nach Überzeugung des Gerichts für die Erreichung einer „just satisfaction“ des Betroffenen notwendig ist. Dieser muß demnach einerseits die Konventionswidrigkeit nachweisen. Die Natur der Konventionswidrigkeit spielt hierbei eine Rolle. Die UKHRR 599 (29.4.4) per Collins J wurde eine „application for summary judgment“ abgewiesen, da ein Urteil darüber, ob der Behörde die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 2 EMRK gelingen würde, im voraus unmöglich sei. 199 In der Rechtssache EGMR, Osman/The United Kingdom, 28.10.1998, Nr. 23452/ 94, 1998-VIII. 200 EGMR, Z and others v. The United Kingdom, 10.05.2001, Nr. 20392/95, §§ 105–111; D.P. and J.C./The United Kingdom, 10.10.2002, no 38719/97, §§ 123– 130, 138; s. auch EGMR, Paul and Auldrey Edward v. The United Kingdom, 14.03.2002, no 46477/99, §§ 96–102. 201 Siehe hierzu die Ausführungen von Lord Woolf MR in der Entscheidung des Court of Appeal Heil v. Rankin [2000] 2 W.L.R. 1173, 1180–1186. 202 Und das auch in Fällen der Anwendung von Art. 5 Abs. 5 EMRK. Hierzu s. R(KB) v. Mental Health Review Tribunal and Secretary of State for Health [2004] QB 936 (13.2.3) per Stanley Burnton J.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

Entschädigungschancen sind höher, wenn eine Maßnahme nicht lediglich „procedurally unlawful“ oder „unreasonable“, sondern „substantively unlawful and a nullity“ ist.203 Andererseits muß er substantiiert geltend machen, daß andere Rechtsschutzmöglichkeiten keine „just satisfaction“ herbeiführen würden. Bei einer noch vorhandenen Unterlassungs- oder Aufhebungsmöglichkeit des schädigenden Aktes oder bei vorhandener Möglichkeit der restitutorischen Beseitigung seiner rechtswidrigen Folgen wird eine Schadensersatzklage von den Gerichten als nicht „necessary“ angesehen werden. Um ein Urteil über die Notwendigkeit einer Ersatzleistung fällen zu können, wird übrigens das Gericht manchmal den Ausgang eines bereits vor einem anderen Gericht anhängigen Verfahrens abwarten und das Haftungsverfahren aussetzen müssen.204 Verschulden soll in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zur Unions- und Mitgliedstaatshaftung weder Haftungsvoraussetzung sein noch völlig ignoriert werden.205 Eine andere Frage ist, ob die Konventionswidrigkeit selbst ein Verschuldenselement voraussetzt.206 Diese wird in Zusammenhang mit dem Begriff der Konventionswidrigkeit, d. h. „unlawfulness“ nach Maßgabe von section 6 (1) HRA 1998 geprüft. Die vom Gericht vorzunehmende haftungsrechtliche Folgenorientierung betrifft eine Abwägung zwischen dem Interesse des Geschädigten an einer „restitutio in integrum“ und eventuell entgegenstehenden öffentlichen Belangen, wobei etwa an das „floodgates“ – Argument (unerübersichtliche Vermehrung von Haftungsklagen) sowie an die Tatsache gedacht wird, daß ein und derselbe rechtswidrige Akt zahlreiche Schadensopfer haben kann.207 Dieser Abwägungsvorgang wird höchstwahrscheinlich auch die Angriffsfläche für die Berücksichtigung all derjenigen Billigkeitsgründe, die im Rahmen des „Caparo“-Tests bei der Prüfung einer „duty of care“ zur Bejahung oder Verneinung einer Haftung aus „negligence“ herangezogen werden. Section 8 (3) subsection (b) bezieht sich auf die Praxis des EGMR, der nicht gerichtliche Akte des beklagten Vertragsstaats als „just satisfaction“ ansehen kann. Gemeint sind damit vor allem gesetzliche oder verfahrensrechtliche Änderungen. Im nationalen Koordinatensystem bedeutet dies, daß nicht pekuniäre Restitutionsmaßnahmen gegenüber dem Geldausgleich den Vorrang haben sollen.208 Einen derart expliziten Vor203 Hierzu Ali v. Head Teacher and Governors of Lord Grey School [2004] 2 WLR 1442, CA (29.3.4), Rn. 58 per Sedley LJ. 204 Vgl. hierzu Lord Woolf, The Human Rights Act 1998 and Remedies, in: Andenas/Fairgrieve (Hrsg.) 2000, S. 429 ff., 434. 205 Nach dem Ausdruck von Lord Woolf, in: Andenas/Fairgrieve 2000, 433. 206 Zur Bejahung einer Schutzpflichtverletzung im Geltungsbereich des Art. 8 EMRK kein etwa ein „element of culpability“ erforderlich sein: Lord Woolf, in: Anufrijeva v. Southwark LBC (and two other appeals) [2004] 2 WLR 603, CA (16.10.3), Rn. 45. 207 Lord Woolf, ebd., S. 433: „There can be numerous victims of the same unlawful act.“

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rang der „non-pecuniary remedies“ vor den „pecuniary remedies“ kennt das common law zwar nicht. Doch kann die Praxis der „ombudsmen“, die ein differenziertes und flexibles System der Rechtsfolgen entwickelt hat, hier als innerstaatlicher Referenzpunkt und Inspirationsquelle herangezogen werden. Denn die „public law ombudsmen“ haben de facto einen Mechanismus zur Entschädigung für „administrative wrongfulness“ aufgestellt, der in der Praxis auf die Zustimmung und Kooperation der Behörden stößt. Die „Commission for Local Administration in England“ betont, daß Geldausgleich nicht das enzige „remedy“, die einzige Reaktion auf „maladministration“ ist. Die Ausgleichsmaßnahme muß angemessen sein. Sie muß vor allem geeignet sein, den Betroffenen in den Stand zu setzen, in dem er sich ohne die „maladministration“ befände.209 Nur wenn Restitution nicht mehr möglich ist, kommt Geldausgleich in Betracht. Manchmal kann lediglich die Veröffentlichung einer Entschuldigung („apology“) als Ausgleich ausreichen.210 Manchmal kann hingegen der Ausgleich und die Abmilderung der Unrechtslasten nur durch eine bestimmte behördliche Handlung („practical action“) oder auch durch die Berücksichtigung von Restitutions- und Abmilderungsvorschlägen seitens des Beschwerdeführers erreicht werden. Bei Unmöglichkeit der Beseitigung der Unrechtslasten sowie bei Immaterial- oder bei Verzögerungsschaden kommt „financial compensation“ als letztes „remedy“ in Betracht.211 Die Praxis der „ombudsmen“ geht schließlich mit der Bestimmung des ersatzfähigen Schadens großzügiger als das „tort law“ um, denn es wird Geldausgleich grundsätzlich auch für eine weit definierte Kategorie von seelischem Leid („distress“)212 wie auch für entgangene Chancen („lost opportunities“)213 gewährt.

208 „The fundamental principle underlying the award of compensation is that the Court should achieve . . . restitutio in integrum. The applicant should, insofar as this is possible, be placed in the same position as if his Convention rights had not been infringed. Where the breach of a Convention right has clearly caused significant pecuniary loss, this will usually be assessed and awarded“. So Lord Woolf in: Anufrijeva v. Southwark LBC (and two other appeals) [2004] 2 WLR 603, CA (16.10.3), Rn. 59. 209 Commission for Local Administration in England, Guidance on Good Practice: Remedies, (London, September 1997, Revised March) 2003, Rn. 7. 210 Siehe nun die Übernahme dieses Grundsatzes von den Gerichten in: R. (Bernard) v. Enfield LBC (2003) UKHRR 148 (25.10.2) per Sullivan J, Rn. 32–34, 36, 40: Fehlen von „apology“ und „explanation“ machen Entschädigung erforderlich. 211 Zum ganzen Zusammenhang s. Commission for Local Administration in England, Guidance on Good Practice: Remedies (London, September 1997, Revised March) 2003, Rn. 8, 10, 15–17, 19. Außer in Fällen des Art. 5 EMRK wird eine durch „maladministration“ bedingte Verzögerung nur bei besonders schwerwiegenden Schäden zur Entschädigung führen: Anufrijeva v. Southwark LBC (and two other appeals) [2004] 2 WLR 603, CA (16.10.3), Rn. 62, per Lord Woolf. 212 Commission for Local Administration in England, ebd., Rn. 39–40. Siehe etwa das Beispiel einer Entschädigung für „maladministration“ in „residential care“ in: The Commission for Local Administration in England, Digest of Cases 2001, Section K: Social Services (London 2003), Report 99/B/4621, S. 117–118: Die Geschädigten

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

IV. „Faute“ und „faute lourde“ 1. „Faute“ Eine allgemeingültige Definition des Amtsfehlers („faute“) wird mit Absicht vermieden. Die Rechtsprechung operiert mit einer breiten empirischen Typologie. Der spezifisch haftungsrechtliche Charakter der einschlägigen Wertungen kommt darin zum Ausdruck, daß es darauf ankommt, ob die „faute“ geeignet ist, die Haftung der Verwaltung herbeizuführen („faute de nature à engager la responsabilité de l’administration“). Nicht jede Rechtswidrigkeit stellt eine haftungsrelevante „faute“ dar214, es geht nämlich nicht um eine reine Rechtswidrigkeitshaftung, da es etwa an der erforderlichen Schadensqualifikation215 oder am Kausalzusammenhang216 fehlen kann. „Faute de service“ und Verletzung der „obligation de légalité“ sind nicht identisch. Bei Realakten kann zwar der schädigende Akt eine „faute“ doch kein rechtswidriger Akt sein. Dies ist der Fall bei medizinischen Behandlungsfehlern, bei Nichtvornahme der einschlägigen Ausschilderung trotz Rutschgefahr, bei Unterlassung der Reparatur eines beschädigten Straßenkörpers oder bei fehlerhaftem Schußwaffengebrauch. Geht hingegen der Schaden auf eine Regelung („décision“) zurück, so stellt diese bei Rechtswidrigkeit („illégalité“) zugleich einen Amtsfehler („faute“) dar. Die Vornahme eines rechtswidrigen Administrativaktes („acte administratif“) ist schon eine „faute“, unabhängig davon, ob materielle oder formelle Rechtswidrigkeit vorliegt („illégalité externe“ bzw. „interne“ oder „simple erreur d’appréciation“). Die frühere Rechtsprechung, die in Einschätzungsfehlern („simples erreurs d’appréciation“) keine haftungsbegründende „faute“ ansah, ist aufgegeben worden.217 Formfehler („illégalité externe“) sind aber nach wie vor nicht ohne weiteres haftungsrelevant.218 Die Entscheidung, eine Lungenheilanstalt zu schließen, wurde zwar wegen einer materiell unrichtigen Begründung wurden entschädigt für „considerable strain, anxiety and distress“. Ähnliche Fälle finden sich vor allem im Bereich der „child protection“. 213 Commission for Local Administration in England, Guidance on Good Practice: Remedies, (London, September 1997, Revised March) 2003, Rn. 38. 214 Z. B. „Erreur de droit“: TA Paris, 06.06.1986, Melle Brémilts c/Min. Commerce extérieur et tourisme, Gaz. Pal. 1987.1.92, concl. J.-Y. Plouvin; CE, 16.10.1987, Houlard, Rec. 315, D. 1988. somm. 378, obs. Fl Moderne/P. Bon. Oder „Erreur manifeste“: CE, 10.12.1993, min. Equipement et autres c/Durant, D. 1994. somm. 361, obs. P. Bon/Ph. Terneyre, Rec. CE, table, 1019; „incompétence“: CE, 12.06.1987, Preyval, D. 1988. Somm. 164, obs. F. Moderne/P. Bon, Les petites affiches 9. oct. 1987. 4, note F. Moderne, Rec., 210. 215 CE, 10.6.1992, Société Les Briqueteries Joly, RDP 1993, 261. 216 CE, 19.6.1981, Mme Carliez, Rec., 274. 217 So seit CE, 26.1.1973, Ville de Paris c/Driancourt, Rec. 77, Rev. Admin. 1974. 29, note F. Moderne; s. auch C.E. 22.5.1974, Charrois, Rec. 297; CE, 28.3.1980, Yverneau, RDP 1980, 1744. 218 Latournerie, concl. sur CE, 5.5.1986, Fonanille-Laurelli, AJDA 1986. 510.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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aufgehoben. Da aber die Entscheidung auch anders hätte begründet werden können, wurde der begangene Fehler nicht als haftungsrelevant angesehen.219 Und bei einer formell rechtswidrigen, aber materiell rechtmäßigen Bauerlaubnis stellt die formelle Rechtswidrigkeit ebensowenig eine die Staatshaftung auslösende „faute“ dar wie ein formell rechtswidriger, jedoch materiell rechtmäßiger Ablehnungsbescheid.220 Eine besondere Kategorie der Haftung für „faute“ ist die Haftung für schweren Amtsfehler („faute lourde“), die eine besonders qualifizierte Rechtswidrigkeit voraussetzt und somit eine Trennung von Rechtswidrigkeit und Haftung bedingt. Ist nun umgekehrt der schädigende Administrativakt rechtmäßig, stellt er nie eine haftungsrelevante „faute“ dar.221 Festzuhalten ist, daß unter dem Einfluß der Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel nunmehr die Tendenz nach einer Identifikation von Gesetzwidrigkeit und haftungsauslösender „faute“ explizit bestätigt wird.222 Schadensbegriff und Kausalität übernehmen dann die Beschränkungsfunktion. 2. „Faute lourde“ Anders als der Code Civil, der eine Haftung für jeden schädigenden Fehler unabhängig vom Grad seiner Schwere vorsieht (art. 1382 C. civ.: „tout fait quelconque de l’homme“), kennt das Staatshaftungsrecht eine Haftung für „faute lourde“. Zu unterscheiden sind die Tätigkeiten, die stets eine „faute lourde“ verlangen, von den Tätigkeiten, die – einzelfallabhängig – eine schwere Verfehlung verlangen können. Zur ersten Kategorie gehört die Haftung im Gefängnis223- und Feuerwehrwesen224, die Haftung für judikative Tätigkeit225 und die Tätigkeiten, für die eine gesetzliche oder vertragliche Haftungsbefreiungsklausel226 gilt. Die Rechtsprechung des Staatsrates geht von der unwiderleg219 CE, 22.1.1993, Soc. civ. d’études du centre commercial de Sannois, D 1994, SC, 66; CE, 15.7.1964, Prat-Flottes, Rec. 438. 220 CE, 20.3.1985, Ep. Ruby, RFDA 1986, 43, note Pacteau; CE, 2.3.1988, Exiga, RDP 1989, 555. 221 Vgl. die standardisierte Formel: Die Entscheidung sei nicht rechtswidrig „et, par suite, ne saurait présenter le caractère d’une faute du service public“ CE, 29.9.1982, Mme Vernet, Rec. 320. 222 CConst 88-248 DC du 17.1.1989, Rec. 18; CCons 93–325 DC du 13.8.1993, Rec. 224. 223 CE, 3.10.1958, Rakotoarinovy, Rec. 470; CE, 26.5.1978, Consorts Wachter, Rec. 222; CAA Nantes, 26.7.1991, Consorts Onno, RFDA 1992, 270. 224 Z. B. CE, 18.11.1994, Ep. Sauvi, RFDA 1995, 228. 225 CE, 29.12.1978, Darmont, Rec. 542. CE, 12.10.1983, Consorts Levi, Rec. 406; CE, 1.4.1992, Société Cicomap, Rec. 146. 226 Zur Überwindung der gesetzlichen Befreiungsklausel des art. L. 7 du Code des P et T: CE, 22.1.1986, Mlle Grellier, Rec. 643; vgl. nunmehr den art. L. 37 du Code des P et T. Zur vertraglichen Klausel: CE, 9.3.1977, Chambre de commerce de d’industrie de Douai, Rec., tables, 957.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

lichen Vermutung aus, daß in diesem Bereich besondere Schwierigkeiten der Natur der administrativen Tätigkeit inhärent sind. Eine nuancierte Einzelfallprüfung dahingehend, ob einfache oder schwere Verfehlung haftungsbegründend ist, bleibt hier aus. Die Kategorie staatlicher Aktivitäten, die nicht abstrakt im voraus, doch gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nur bei „faute lourde“ eine Haftung der öffentlichen Gewalt auslösen können, betrifft das Polizei-, Aufsichts- und Abgaben- bzw. Steuerrecht. Die Polizei („police administrative“ im Gegensatz zur „police judiciaire“) haftet nicht nach einheitlichen Prinzipien.227 Der Staatsrat macht das Erfordernis der „faute lourde“ von den konkreten Schwierigkeiten abhängig, auf welche die polizeiliche Tätigkeit in concreto gestoßen ist.228 Ein Systematisierungsansatz ist in der Zerlegung der polizeilichen Tätigkeit in präventive juristische Beurteilung („activité juridique“) oder – anders gesagt – in Ermessensausübung hinsichtlich des „ob“ des Einschreitens und polizeiliches Einschreiten selbst („operation sur le terrain“) zu sehen. Im ersten Fall, der die Bestimmung der zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßnahmen betrifft, wird lediglich „faute“ verlangt.229 Nur im zweiten Fall machen die mit jedem polizeilichen Einschreiten grundsätzlich zusammenhängenden Schwierigkeiten eine „faute lourde“ erforderlich, die angesichts der konkreten Umstände bejaht oder verneint werden kann.230 Auch bei Ausübung des polizeilichen Ermessens hinsichtlich des „ob“ des Einschreitens kann allerdings eine „faute lourde“ angesichts der Komplexität der Situation und der Dringlichkeitsstufe zur Haftungsbegründung erforderlich sein. Dies ist vor allem der Fall bei der Weigerung der Vollstreckung eines rechtmäßigen (Räumungs-)Urteils, wenn eine Störung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten ist.231 Hinsichtlich des „wie“ des Einschreitens reicht eine „faute“ zur Begründung der Haftung insofern aus, als die 227

Chapus, Droit administratif, Bd. 1, 1995, S. 1151. Die Standardformel ist „eu égard aux difficultés rencontrées au cas d’espèce“ s. z. B. CE, 5.4.1991, Société européenne de location et de service, Rec. 120. 229 Vor allem CE, 23.5.1958, Consorts Amoudruz, Rec. 301; s. ferner z. B. CE, 13.5.1983, Mme Lefebvre, Rec. 194: Haftung eines Bürgermeisters wegen einfachen Fehlers, d. h. wegen Nichttreffens erforderlicher Sicherheitsmaßnahmen. 230 Eine „faute lourde“ wurde in dem Fall anerkannt, in dem ein Jugendlicher gezwungen wurde, die Polizeistation in betrunkenem Zustand zu verlassen (CE, 10.12.1986, Robert, Rec. 701) oder in dem Fall, in dem die Polizei bei Hochwasser die von Überschwemmung gefährdeten Bewohner nicht alarmierte (CE, 22.6.1987, Ville de Rennes, Rec. 223). Eine „faute lourde“ wurde hingegen in dem Fall verneint, in dem ein ausländischer Diplomat trotz Sicherheitsmaßnahmen zum Opfer eines Attentats geworden ist (CE, 29.4.1987, cons. Yener et cons. Erez, Rec. 151) oder in dem Fall, in dem es der Polizei nicht gelungen ist, eine Straße von Prostitution frei zu halten (CE, 8.4.1987, Mme Virmaux, Rec. 140). 231 Bejahung einer „faute lourde“ CE, 7.11.1984, Me Horel, DA 1984, Nr. 541; CE, 2.12.1987, Soc. Anodisation, JCP 1988, IV, 88; Verneinung einer schweren Verfehlung: CE, 16.10.1987, Mme Tribier, Rec. 316. 228

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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Polizei auf keine besonderen Schwierigkeiten gestoßen ist. Eine einzelfallabhängige Unsicherheit hinsichtlich des Schweregrades der haftungsbegründenden „faute“ bleibt jedenfalls in der Rechtsprechung bestehen. Im Bereich staatlicher Überwachungs- und Beaufsichtigungsaktivitäten („activités de contrôle“) wurde das Erfordernis der „faute lourde“ zunächst bei der Ausübung des Überwachungsrechts („tutelle“) von übergeordneten Behörden gegenüber kommunalen Körperschaften und öffentlichen Anstalten verlangt. Das Erfordernis wurde dann auf die staatliche Beaufsichtigung privatrechtlicher Tätigkeiten verschiedener Art, wie etwa das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, auf die Kontrolle und Beaufsichtigung von Materialabbau in Flußbetten und Steinbrüchen sowie auf die Überwachung des Luft- und Schifffahrtsverkehrs und der Staatsgrenzen erstreckt.232 Auch im Falle der gesetzlich statuierten Genehmigungspflicht bei der Entlassung unselbständig Beschäftigter in der Privatwirtschaft („salariés privés“) wurde eine schwere Verfehlung der staatlichen Aufsichtsstelle verlangt. Eine Ausnahme ist bei besonderer Schutzbedürftigkeit („protection exceptionnelle“) nach dem Code du Travail vorgesehen. Dann reicht eine „faute“ der Aufsichtsstelle zur Haftungsbegründung aus.233 Herkömmlicherweise beruht die Haftung der Finanzverwaltung ebenfalls auf dem Erfordernis einer „faute lourde“. Wie die Polizei war auch die Finanzverwaltung Ausdruck staatlicher Souveränität par excellence. Ursprünglich galt demnach in diesem Bereich Haftungsimmunität. Der Staatsrat hat allmählich eine Haftung des Finanzamtes zunächst für außerordentlich gewichtige Fehler („faute d’une gravité exceptionnelle“),234 dann für offensichtliche und besonders gewichtige Fehler („faute manifeste et d’une particulière gravité“)235und schließlich für „faute lourde“236 eingeführt. Mit einer neueren Entscheidung237 hat der Conseil d’Etat präzisiert, daß die Finanzverwaltung auch für einfache Verfehlung haftbar gemacht werden kann, wenn die Ermittlung, Berechnung bzw. Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen auf keine besonderen Schwierigkeiten in concreto stoßen. Die Haftung wird nicht mehr auf die Natur des Steuerfestsetzungsverfahrens an und für sich ohne Ansehen der konkreten Umstände des Einzelfalles gestützt, die eine „faute lourde“ im Voraus erforderlich machen würde. Ebenso wie im Falle der Polizeihaftung wird eine „faute lourde“ zur Auslösung einer Haftung nur dann verlangt, wenn das Finanzamt bei der Steuerfestsetzung („procédures d’établissement et de recouv232

Chapus, Bd. 1, 1995, S. 1156. Ebd., S. 1157. 234 CE, 1.7.1927, Demoreuil, Rec. 739; D. 1928, 3, 21, note Trotabas; CE, 25.10. 1935, Epoux Fleur-Santucci, Rec. 983. 235 CE, 30.10.1954, Murat, Rec. 566. 236 CE, 21.12.1962, Dame Husson-Chiffre, Rec. 101. 237 CE, 27.7.1990, Bourgeois, Rec. 242; RFDA 1990, 899, concl. N. Chahid-Nourai. 233

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

rement de l’impôt“) tatsächlich mit besonderen Schwierigkeiten („difficultés particulières tenant à l’appréciation de la situation des contribuables“) zu kämpfen hatte. Auf eine Unterscheidung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuereinziehungs- bzw. Vollstreckungsverfahren kommt es nicht an. Entscheidend sind die reellen „difficultés particulières“, die in der Folgerechtsprechung begrifflich ad hoc bestimmt werden. Es besteht die Tendenz, diesen unbestimmten Rechtsbegriff im Interesse des Steuerbürgers nicht extensiv auszulegen.238 Zu dieser Kategorie gehörte bis 1992 die Fehlerhaftung öffentlicher Krankenhäuser. Bereits vorher hatte der Staatsrat das Erfordernis der „faute lourde“ streng auf fehlerhafte ärztliche Leistungen („actes medicaux“) beschränkt.239 Es handelt sich um Akte, die ausschließlich von einem Arzt oder unter seiner unmittelbaren Leitung vorgenommen werden können, wie etwa eine Diagnose, die Wahl einer Heilbehandlungsmethode oder ein chirurgischer Eingriff. Der Patient mußte die „faute lourde“ nachweisen, was einen krassen Gegensatz zu der Rechtslage und den Beweislastregeln bei der Arzthaftung im privatrechtlichen Bereich darstellte. Bei nicht ärztlichen Leistungen löste schon vor dem Umschwung der Rechtsprechung des Staatsrates eine „faute“ die Haftung des öffentlichen Krankenhauses aus. Es geht um „fautes“ bei Behandlungsakten, die keiner ärztlichen Leitung bedürfen („actes de soin“) wie Organisationsfehler, Enwilligungs- und Aufklärungsprobleme sowie Benutzung defekter Geräte und Fehler vom Personal.240 Im Falle anormaler Schäden galt und gilt eine tatsächliche Fehlervermutung („présomption de faute“) zugunsten des Geschädigten. Der Staatsrat hat das Erfordernis der „faute lourde“ für die ärztlichen Leistungen durch die Voraussetzung des medizinischen Fehlers („faute médicale“) ersetzt, der allerdings der Sache nach eine besonders qualifizierte „faute“ bleibt.241 Das Haftungsregime der „faute lourde“ ist im Rückzug begriffen. Dies bezeugen nicht nur die Entwicklungen im Arzthaftungsrecht, sondern auch Entscheidungen aus dem Bereich der staatlichen Aufsicht („activités de controle“) und der Verwaltungspolizei („polices administratives spéciales“). Angesichts der Reichweite seiner Kontrollbefugnisse und der Schwere des Eingriffs in vitale Interessen haftet der Staat im Falle von HIV-kontaminiertem Blut bei mangelhafter Überwachung der Bluttransfusion auch dann, wenn keine „faute lourde“ vorliegt.242 Für den Bereich des Seerettungsdienstes („sauvetage maritime“)243, 238 CE, 29.12.1997, Commune d’Arcueil, RFDA 1998, 105. Hierzu: Goulard, La responsabilité des services fiscaux: faute lourde ou faute simple?, RFDA 1998, 97. 239 CE, 8.11.1935, Vve Loiseau et Dme Philipponeau, Rec. 1019; CE, 26.6.1959, Rouzet, Rec. 405. 240 Z. B. CE, 8.10.1986, Langlet, Rec. 227. 241 CE, M. et Mme V. 10.4.1992, Rec. 171; hierzu Legal, La fin de la faute lourde médicale ou chirurgicale dans le droit de la responsabilité hospitalière, RFDA 1992, 571.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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des Krankennotfalltransports244 und für die Haftung des Nationalforstamtes245 wurde das Erfordernis der „faute lourde“ ganz aufgegeben. Ähnliches gilt für die Ausübung der sonderpolizeilichen Tätigkeit des Bürgermeisters246 gegenüber Geisteskranken („police des aliénés“) im Gegensatz zu Aktivitäten der Tierseuchenpolizei, die nach wie vor der „faute lourde“ unterliegen.247 Im Bereich der Bankenaufsicht schließlich unterscheidet die Rechtsprechung der Cour Administrative d’Appel (Paris) nunmehr zwischen der Rolle der Commission Banquaire und der Commission de contrôle des assurances als Kontrollinstanzen und den disziplinarischen Aufgaben mit richterlichem Charakter, die diese Organe ebenfalls wahrnehmen. Bei Überwachungstätigkeiten wird auf das Vorliegen einer „faute lourde“ verzichtet, eine „faute“ genügt, um die Haftung des Staates auszulösen. Bei Disziplinarmaßnahmen wird hingegen das Erfordernis der „faute lourde“ beibehalten.248 In Literatur und Rechtsprechung geht man davon aus, daß der Übergang von der „faute lourde“ zur „faute“ die Berücksichtigung der dem jeweiligen „service“ immanenten Schwierigkeiten nicht obsolet machen wird.249 Der Conseil d’Etat hat allerdings bislang diese Rechtsprechung nicht bestätigt. Er scheint sogar die Einführung eines unterschiedlichen Haftungsregimes für Aufsichts- und Disziplinarmaßnahmen nicht zu billigen, da er eine Entscheidung der Cour Administrative d’Appel (Paris), die die Commission Bancaire für „(toute) faute“ haftbar machte,250 aufgehoben hat.251 Die „faute lourde“ wird trotz Einschränkung des Anwendungsgebiets nicht zum Verschwinden kommen. In der neueren Rechsprechung des Conseil d’Etat 242 CE, 9.4.1993, D., G., B. Rec. 110.; Gannac, Information et responsabilité des autorités publiques dans la contamination des hémophiles, RFDA 1994, 541. 243 CE, 13.3.1998 M. Améon et autres, Rec. 82; AJDA 1998, 461, chron. F. Raynaud/P. Fombeur; RFDA 1998, 657. 244 CE, 21.6.1997 Theux, RFDA 1998, 90, concl. J.-H. Stahl. 245 CE, 25.3.1994, Commune de Kintzheim c/O.N.F., Dr. adm. 1994, Nr. 293, obs. B. du Marais; RFDA 1994, 640; Petites affiches 2.8.1994, 9, note M. Deguergue; D. 1996, somm. 48, obs. P. Bon/P. Terneyre. 246 CE, 14.4.1999, Sté AGF, Dr. adm. 1999, Nr. 180, note L. Touvet. 247 CE, 12.2.1992, Lequertier, RDP 1993, 254: „faute lourde“ im Falle einer „épizootie“. 248 CAA Paris 30.03.1999 M. El Shikh, AJDA 1999, 951; CAA Paris 13.07.1999 Groupe Dentressangle, AJDA 1999, S. 953, chron. M. Heers, 883. 249 Vgl. Stahl, concl. sur CE, 20.6.1997, M. Theux, RFDA 1998, 82, 87 und P. Bon, note sous CE, 10.11.1999, Sté de gestion du port de Campoloro et Sté fermière de Campoloro und CE, 21.6.2000, Ministre de l’Equipement, des Transports et du Logement c/Commune de Roquebrune-Cap-Martin, RFDA 2000, 1096 ff., 1106: „N’est il pas unanimement reconnu que, même dans un régime de faute simple, le juge peut être plus exigeant pour tenir compte des spécificités de l’action administrative en cause et notamment de ses difficultés?“ 250 CAA de Paris, 25.1.2000, Kechichian, req. 93PA01250. 251 CE Ass. 30.11.2001 Ministre de l’économie, des finances et de l’industrie c/M. et Mme Kechichian et autres, req. nº 219562.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

hat man es mit einer Neubewertung252 der von diesem Haftungsregime wahrgenommenen Funktion zu tun. Während sie früher vor allem dem behördlichen Ermessensschutz diente, wird sie nunmehr zur Haftungsbegründung auch in denjenigen Fällen herangezogen, in denen sonst Haftungsimmunität gälte. Wo die zugefügten Schäden wichtige Rechtsverletzungen wie die Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit darstellen, verdrängt der Conseil d’Etat die Haftung für „faute lourde“ zugunsten einer Haftung für „faute simple“.253 Wenn die Staatsaufgabe nicht als besonders schwierig gilt und die Anforderungen an den Rechtsschutz hoch sind, wird auf die „faute lourde“ verzichtet.254 Demgegenüber wird an der Haftung für „faute lourde“ festgehalten, wenn – wie im Steuerrecht – die staatliche Aufgabe als schwierig gilt und die möglicherweise zugefügten Schäden lediglich pekuniärer Natur sind.255 Schließlich ist die Haftung des Staates bei fehlsamer Bankenaufsicht ein Beispiel dafür, daß die „faute lourde“ die Haftung in Bereichen ermöglicht, in denen anderswo (z. B. in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten) eine Staatshaftung gesetzlich von vornherein oder richterlich grundsätzlich ausgeschlossen wird. Die „faute lourde“ ist weder als ein zum Verschwinden verurteiltes historisches Relikt an252 Hierzu siehe Seban, Conclusions sur CE, 30.11.2001, nº 219562, Ministre de l’économie et des finances c/M. Kechichian et autres, Pet. Aff. 2002, 28. 253 So bei ärztlichen Leistungen („activités médicales“) CE, Ass., 10.04.1992, Epoux V, Rec. 171 concl. H. Legal, beim Krankennotfalltransport („les services de secours d’urgence“) CE, Sect., 20.06.1997, Theux, Rec. 253 concl. J.-H. Stahl, beim Seerettungsdienst („service de secours en mer“) CE, Sect., 13.03.1998, Améon, Rec. p. 82, CJEG 1998, 197 concl. L. Touvet, D. 1998 p. 537 note G. Lebreton, AJDA 1998 p. 418 chron. F. Raynaud/P. Fombeur oder bei der Feuerwehr („lutte contre l’incendie“) CE, 29.04.1998, Commune de Hannappes, Rec. 185, RDP 1998. 1001 note X. Prétot, JCP 1999. II. 10109 note Genovese. 254 So im Bereich der Kontrolle von Entlassungen („le contrôle de l’inspection du travail sur le licenciement des salariés protégés“) CE, 9.06.1995, Ministre des affaires sociales et de l’emploi/Lesprit, Rec. 239, AJDA 1995 745 concl. J. Arrighi de Casanova. So auch im Bereich der Kontrollbefugnisse des Berufsstandes der Architekten über seine Mitglieder („le contrôle par l’ordre des architectes du respect par ses membres de l’obligation d’assurance professionnelle“) CE, 6.12.1995, Boisson et autres, Rec. 430, CJEG 1996 107 concl. A.-F. Roul. 255 CE, 27.07.1990, Bourgeois, Rec. 242, RFDA 1990. 899 concl. N. Chahid-Nouraï, AJDA 1991. 53 note L. Richer, Quot. jur. nº 76. 30.06.1990 18 note R. Blancher; CE, 29.12.1997, Commune d’Arcueil, Rec. 512, RJF 2/98 81 concl. G. Goulard, AJDA 1998 112 chron. T.-X. Girardot/F. Raynaud, D. 1999 SC 53 obs. P. Bon et D. Béchillon; CE, 31.10.1990, Champagne, Rec. 309, Dr. fisc. 1993 nº 813 761 concl. Hagelsteen, D. 1991 Somm. p. 287 obs. P. Bon/P. Terneyre; 26.07.1991, SARL MASI et Lienhard, Rec. 309. Vgl. auch das Fortbestehen der „faute lourde“ im Bereich der Legalitätskontrolle und insbes. „de l’exercice du contrôle de légalité des actes des collectivités décentralisées“) CE, 21.06.2000, Ministre de l’équipement, des transports et du logement c. commune de Roquebrune-Cap-Martin, nº 202. 058, RDP 2000 1257 concl. L. Touvet, RFDA 2000 1096 note P. Bon; CE, 6.10.2000, Ministre de l’intérieur c. commune de Saint-Florent et autres, CTI déc. 200 concl. L. Touvet, RFDA 2001 152 note P. Bon, JCP 2001. II. 10516 note M.-C. Rouault, LPA 4.07.2001 15 note C. Guettier, AJDA 2001 201 note M. Cliquennois.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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zusehen noch auf ein terminologisches Problem zu reduzieren. An der Rechtsprechung des Conseil d’Etat kann der Beitrag der „faute lourde“ zur Flexibilisierung der Staatshaftung gezeigt werden. Er besteht in einer Abwägung, die zwischen der Ermessensschutzfunktion und der Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades der zu erfüllenden Aufgabe einerseits und den Anforderungen an den Rechtsschutz andererseits vorgenommen wird.

V. Hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung Die Feststellung, daß eine Rechtsvorschrift ungültig ist, genügt für sich allein nicht, um die außervertragliche Haftung der Union auszulösen. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH kann die Haftung der Union für eine Rechtsvorschrift, deren Erlaß wirtschaftspolitische Entscheidungen voraussetzt, nur durch eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, die einzelnen schützenden Rechtsnorm ausgelöst werden.256 In seiner „Bayerische HNL“-Entscheidung ist der EuGH zur Konkretisierung der Voraussetzung der hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung auf die Auswirkungen des Verstoßes einer unionsrechtlichen Vorschrift (Verordnung) gegen Art. 40 (jetzt Art. 34) EGV eingegangen. Der Gerichtshof befand, daß das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich deshalb nicht überschritten hatte, weil die Auswirkungen des durch eine bereits aufgehobene Verordnung verletzten Diskriminierungsverbots des Art. 34 Abs. 3 Unterabsatz 2 EGV nicht gravierend gewesen sind. Die Auswirkung der Verordnung auf die Ertragskraft der Unternehmen überschritt dem EuGH zufolge nicht den Umfang der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit auf den betroffenen Agrarsektoren innewohnen.257 In der „Amylum“-Entscheidung hat der EuGH die offenkundige und erhebliche Befugnisüberschreitung anders bestimmt.258 Die fehlerhafte Festsetzung der streitigen Produktionsabgabe war kein derart schwerer Fehler, daß man sagen könnte, das Verhalten der beklagten Organe in dieser Hinsicht grenze als solches an Willkür und sei geeignet, die Unionshaftung auszulösen. Die einschlägige Verordnung war erlassen worden, um einer durch wachsende Zuckerüberschüsse gekennzeichneten Zwangslage zu begegnen.259 Wie der EuGH in der Rechtssache „Koninklijke“ formulierte, unter offenkundiger Überschreitung sei ein Verhalten zu verstehen, das an Willkür grenze.260 Die Gründe für die Klageabweisung im „Amylum“-Fall unterschei256

Seit EuGH, Rs. 5/71, Aktien-Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat, 1971, 975 Rn. 11. EuGH, verb. Rs. 83, 94/76, 4, 15, 40/77, Bayerische HNL Vermehrungsbetriebe GmbH und CoKG/Rat und Kommission, Slg. 1978, 1209 Rn. 7. 258 EuGH, verb. Rs. 116 und 124/77, Amylum NV und Tunnel Refineries Ltd./Rat und Kommission, Slg. 1979 3497 Rn. 13. 259 EuGH, verb. Rs. 116 und 124/77, Amylum NV und Tunnel Refineries Ltd./Rat und Kommission, Slg. 1979 3497 Rn. 17, 19, 20. 257

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

den sich von denjenigen im „Bayerische HNL“-Fall insofern, als der EuGH nicht auf die Schwere der Auswirkungen und die Schadenshöhe, sondern auf das Fehlen bzw. Vorliegen von Willkür seitens der Betätigung des Unionsorgans abstellte. Der Gerichtshof hat das technisch fehlerhafte Handeln des Unionsorgans angesichts der entstandenen Zwangslage und des Handlungsdrucks unter Dringlichkeitsbedingungen für nicht willkürlich gehalten.261 Hiernach setzt die Unionshaftung voraus, daß die Auswirkungen des Verstoßes hinreichend schwer sind und die Art und Weise des Verstoßes als Willkür zu charakterisieren ist. Der EuGH hat aber die Bedeutung des Merkmals der Willkür in späteren Entscheidungen relativiert. Die Feststellung eines an Willkür grenzenden Verhaltens sei keine notwendige, textlich wiederzugebende Haftungsvoraussetzung,262 sie kann aber vereinzelt von Bedeutung sein.263 Im „Mulder“Fall,264 bei dem es um die hinreichend qualifizierte Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ging, hat der EuGH auf die seitens der Kommission getroffenen Ausgleichsregelungen und das höhere öffentliche Interesse abgestellt. Der Unionsgesetzgeber habe die Grenzen seines Ermessens offenkundig und erheblich dadurch überschritten, daß er, ohne sich auf ein höheres öffentliches Interesse zu berufen, die besondere Lage der Erzeuger, die eine Nichtvermarktungs- bzw. Umstellungsverpflichtung aufgrund einer früheren Verordnung eingegangen waren, unberücksichtigt ließ. Demgegenüber ist nach dem EuGH der Grundsatz des Vertrauensschutzes beim Erlaß einer anderen Verordnung, die es den betroffenen Erzeugern ermöglichte, ihre frühere Milcherzeugungstätigkeit zu 60% wiederaufzunehmen, nicht hinreichend qualifiziert verletzt.265 Die Gegenüberstellung beider gegensätzlicher Wertungen macht klar, daß bei der ersten Verordnung eine Ausgleichsregelung überhaupt fehlte, obwohl eine wirtschaftspolitische Ermessensentscheidung angesichts der Marktlage dringend erforderlich war. Bei der zweiten Verordnung war hingegen eine – wenn auch rechtswidrige – Ausgleichsregelung vorhanden, welche die schwierige Abwägungsaufgabe zumindest zu lösen versuchte. Die Marktbürger dürfen jedenfalls nicht darauf vertrauen, daß sie nicht Beschränkungen unterworfen werden, die sich aus markt- oder strukturpolitischen Bestimmungen ergeben.266 Als Krite260

EuGH, Rs. 143/77 Koninklijke Scholten-Honig NV/Rat und Kommission, Slg. 1979 3583, Leitsatz. 261 EuGH, verb. Rs. 116 und 124/77, Amylum NV und Tunnel Refineries Ltd./Rat und Kommission, Slg. 1979 3497 Rn. 19. 262 EuGH, Rs. C-220/91 P., Stahlwerke Peine-Salzgitter AG/Kommission, Slg. 1993 I-2393, Rn. 51. 263 EuG, T-481/93 und 484/93, Vereniging in Exporteurs in Levende Varkens/Kommission, Slg. 1995 II-2941 Rn. 128. 264 EuGH, Rs. 120/86, Mulder/Minister van Landbouw en Vissereij, Slg. 1988, 2321, Rn. 24. 265 EuGH, ebd. Rn. 23 ff.; EuGH, verb. Rs. C-104/89 und 37/90, Mulder/Rat und Kommission, Slg. 1992 I-3061 Rn. 2, 3.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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rium der offenkundigen und erheblichen267 Befugnisüberschreitung oder des „offensichtlichen und schweren Fehlers“268 kann die Feststellung eines Fehlers gelten, den eine durchschnittlich umsichtige und sorgfältige Verwaltung unter ähnlichen Umständen bei ihrer Ermessensausübung nicht begangen hätte.269 Das bedeutet, daß technische Fehler und insbes. die Berücksichtigung von Grunddaten vom wirtschaftspolitischen Ermessen gedeckt sind.270 Ein Widerspruch zu wissenschaftlichen Daten kann für sich keinen qualifizierten Verstoß darstellen, solange keine offensichtliche Unvereinbarkeit der Organsbetätigung mit wissenschaftlichen Feststellungen vorliegt. Verfügt das Organ nur über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum, so kann die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts genügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.271 Drei besondere Probleme treten im Bereich des Verwaltungshandelns auf.272 Das erste Problem betrifft die Anwendung der Haftungsvoraussetzung „qualifizierter Verstoß“ im Kontext von Einzelakten, die Ermessensakte sind. In der Rechtsprechung des EuGH fand sich zunächst keine eindeutige Antwort. Im Falle einer Haftung ohne qualifizierten Verstoß wären die Haftungsvoraussetzungen bei Einzelakten grundsätzlich günstiger für den Geschädigten als bei generellen Akten. Günstiger wären sie auch im Vergleich zur Mitgliedstaatshaftung wegen administrativen Unrechts.273 Das zweite Problemfeld bezieht sich darauf, daß der Gerichtshof entscheiden muß, ob die streitige Maßnahme ein Einzelakt oder ein genereller Akt ist. Kläger vertreten somit oft die Ansicht, die vom Gerichtshof für die Haftung für Rechtsetzungsakte entwickelten Voraussetzungen seien nicht anwendbar, da die Maßnahe in Wirklichkeit ihnen gegenüber eine Entscheidung sei.274 Je nachdem, ob ein Rechtsetzungsakt oder ein Einzel266

EuG, Rs. T-1/96, vom 21.1.1999, Böcker-Lensing/Rat und Kommission, Rn. 47. Siehe ein Beispiel zulässiger Ermessensausübung bei der Änderung der Einfuhrregelung für Bananen in EuG, Urteil vom 6.3.2003, Rs. T-57/00, Banan-Kompaniet AB, Skandinaviska Bananimporten AB/Rat und Kommission, Rn. 65–70. 268 Siehe etwa aus dem Bereich des Vergaberechts EuG, Urteil vom 25.2.2003, T-4/ 01, Renco SpA/Rat, Rn. 65 ff. 269 Vgl. EuG, verb. Rs. T-198/95, T-171/96, T-230/97, T-174/98 und T-225/99, vom 12.7.2001, Comafrica und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, Rn. 134. 270 EuGH, Rs. C-405/92, Mondiet, Slg. 1993, I-6133, Rn. 24; EuGH, Rs. C-179/95, Spanien/Rat, Slg. 1999, I-6475, Rn. 29; EuG, Rs. T-196/99, vom 6.12.2001, Area Cova u. a./Kommission und Rat, Rn. 45. 271 Siehe Urteil des EuGH vom 10. Dezember 2002 in der Rs. C-312/00P, Kommission/Camar und Tico, Slg. 2002, I-11355, Rn. 54; Urteil des EuG vom 12. Juli 2001 in den Rs. T-198/95, T-171/96, T-230/97, T-174/98 und T-225/99, Comafrica und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, Slg. 2001, II-1975, Rn. 134. 272 Es sind vier Bereiche administrativen Unrechts herausgearbeitet worden: Aufsichtsfehler, fehlerhafte Informationen, öffentliches Beschaffungswesen und EU-Beihilfen: Woude, Liability for Administrative Acts under Article 215 (2), in: Heukels/ McDonnel 1997, S. 117–125. 273 EuGH, Rs. C-5-94, Hedley Lomas, Slg. 1996 I-2553 Rn. 25 f. 267

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

akt vorliegt, wird die Schöppenstedt-Formel angewandt oder unberücksichtigt gelassen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich das Wesen einer Handlung nicht aus ihrer äußeren Form, sondern aus ihrer allgemeinen Geltung oder deren Fehlen.275 Eine und dieselbe Handlung darf allerdings nicht unterschiedlichen Haftungsregelungen unterliegen, je nachdem, ob der Kläger im Rahmen einer verbundenen Nichtigkeitsklage von dieser Handlung individuell betroffen ist oder nicht.276 Im Bereich der Unionshaftung setzt die Differenzierung von Rechtssatz und Einzelakt (anders als bei der Nichtigkeitsklage) voraus, daß einzelnen auf den in die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft fallenden Gebieten zugemutet werden kann, in vernünftigen Grenzen gewisse schädliche Auswirkungen einer Rechtsvorschrift auf ihre Wirtschaftsinteressen ohne Ersatzanspruch aus öffentlichen Mitteln hinzunehmen, selbst wenn die Vorschrift für ungültig erklärt worden ist.277 Das dritte Problem betrifft den Inhalt des Begriffs der Rechtswidrigkeit in diesem Zusammenhang. Selbst wenn die Schöppenstedt-Regel auf Einzelakte der Union nicht anwendbar ist, sondern in diesen Fällen Rechtswidrigkeit per se in Verbindung mit Kausalität und Schaden die Unionshaftung auslösen soll, bleibt der genaue Sinn von Rechtswidrigkeit unterbestimmt. Bei Ermessensakten wird nämlich nicht jeder Ermessensfehler schon haftungsbegründend sein können, selbst wenn kein qualifizierter Verstoß erforderlich ist. Dies kann man an einigen Entscheidungen sehen. In der Entscheidung „Adams“ des EuGH, in der die außervertragliche Haftung der Union wegen administrativen Unrechts bejaht wurde, ist das Verhältnis von Rechtswidrigkeit und Haftung von Bedeutung gewesen.278 Beim ersten Zusehen wurde Haftung wegen Pflichtverletzung (Verschwiegenheitspflicht), also infolge der Rechtswidrigkeit per se ausgelöst. Beim näheren Zusehen läßt sich feststellen, daß der EuGH bei der Sachverhaltskonstitution und der rechtlichen Würdigung auf die Art und Weise der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht eingegangen ist. Aus englischer Sicht bejahte der EuGH der Sache nach nicht lediglich die Rechtswidrigkeit der Unionsakte, sondern auch eine „duty of 274 EuGH, Rs. 101/76, Koninklijke Scholten Honig/Rat und Kommission, Slg. 1977, 797, Rn. 7 und 9; Rs. C-119/88, Aerpo/Kommission, 1990 I-2189 Rn. 15. 275 EuGH, Rs. 101/76, Koninklijke Scholten Honig/Rat und Kommission, Slg. 1977, 797, Rn. 7 und 9; EuGH, Rs. C-119/88, Aerpo/Kommission, 1990 I-2189, Rn. 17; Rs. C-309/89, Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, Rn. 19 EuG, Rs. T-481/93 und T-484/93, Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2941, Rn 86; EuG, Rs. T-472/93, Campo Ebro/Kommission, 1995 II, Rn. 41; s. GA Jacobs, Schlußanträge zu EuGH, Rs. C-358/89, Extramet/Rat, Slg. 1991, I-2501, Rn. 42 ff. 276 Vgl. insoweit EuGH, Sofrimport/Kommission, Rn. 25–26, wo der Gerichtshof die individuelle Betroffenheit der Klägerin angenommen, aber gleichwohl das für Rechtssätze geltende Haftungskriterium angewandt hat. EuG, Rs. T-480 und 483/93, Antillean Rice Mills/Kommission, Slg. 1995 II-2305 Rn. 182–185. 277 Hierzu s. die Schlußanträge des GA Nial Fennelly in EuGH, Rs. C-352/98 P, Laboratoires pharmaceutiques Bergaderm und Goupil/Kommission, Rn. 29. 278 EuGH, Rs. 145/83, Stanley George Adams/Kommission, Slg. 1985, 3539.

C. Spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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care“.279 Nach einer Würdigung der Fakten gelangte nämlich der EuGH zum Ergebnis, daß die Kommission jedenfalls unvorsichtig handelte.280 In der Rechtssache „Cobrecaf“ ist das EuG ähnlich vorgegangen. Der Kommission war ein Fehler bei der Berechnung der Höhe einer durch einen Gemeinschaftszuschuß erstattungsfähigen Investition unterlaufen. Die Haftung der Union wurde aber nicht auf diesen Berechnungsfehler gestützt, sondern auf die offenkundig mangelnde Sorgfalt der Kommission. Diese hatte nämlich, obwohl sie sich des Fehlers durchaus bewußt war, für dessen Berichtigung fünfzehn Monate benötigt und damit die Zahlung an den Empfänger um diesen Zeitraum verzögert.281 In der Rechtssache „Denise Richez-Parise“282 ging es um die Haftung der Gemeinschaft wegen der falschen Auslegung einer Rechtsvorschrift über die Gewährung vorgezogener Ruhegehaltsansprüche an Beamte. Der EuGH hat in dieser Entscheidung die haftungsauslösende Rechtswidrigkeit so bestimmt, daß nicht schon jede unrichtige Auslegung einer Vorschrift die außervertragliche Haftung der Gemeinschaften auslösen kann. Der Grund dürfte darin liegen, daß es sich meistens um komplexe, interpretationsbedürftige Vorschriften handelt, die mehreren Auslegungen zugänglich sind. Eine sorgfältige, plausible Interpretation, die sich als unrichtig erweist, kann demnach keine Haftung auslösen. Der EuGH stellte tatsächlich nicht auf die Unrichtigkeit als solche, sondern auf die Verspätung der Berichtigung ohne rechtfertigenden Grund ab. Der Sache nach ist diese Argumentation derjenigen des EuGH bei der Prüfung der Mitgliedstaatshaftung wegen fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie in der Rechtssache „British Telecommunications“ durchaus vergleichbar, in der ein hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß verneint wurde.283 Die Unsicherheiten, die sich bei der Begründung einer außervertraglichen Unionshaftung für Einzelakte sichtbar wurden, haben den EuGH veranlaßt, sich des Themas in einer Entscheidung anzunehmen. In „Bergaderm“ hat der Gerichtshof bestimmt, daß es kein entscheidendes Kriterium zur Bestimmung der Grenzen des einem Unionsorgan zustehenden Ermessensspielraums ist, ob die Handlung dieses Organs allgemein oder einzelfallbezogen ist.284 Wenn auch das 279

So Craig/de Búrca, EU Law, 2. Aufl., 1998, S. 531. EuGH, Rs. 145/83, Stanley George Adams/Kommission, Slg. 1985, 3539, Rn. 40. 281 EuG, T-514/93. Slg 1995, II-621 Rn. 70; vgl. ferner EuGH, verb. Rs. C-363/88 und C-364/88, Finsider u. a./Kommission, Slg. 1992, I-359, Rn. 22. 282 EuGH, verb. Rs. 19, 20, 25, 30–69, Denise Richez-Parise u. a./Kommission, Slg. 1970, 325, Rn. 36–42. 283 EuGH, Rs. 392/93, R. v. HM Treasury, ex p. British Telecommunications plc, Slg. 1996 I-1631 Rn. 42–45. 284 EuGH, Rs. C-352/98 P, Laboratoires Pharmaceutiques Bergaderm u. Goupil/ Kommission, Slg. 2000, I-5291, Rn. 46. Siehe auch Generalanwältin Hackl in ihren Schlußanträgen (Rn. 135) in EuGH, Rs. C-312/00, vom 16.4.2002, Kommission/Camar. 280

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

EuG dem Bergarderm-Urteil nicht konsequent285 folgte, steht es außer Zweifel, daß angesichts der wünschenswerten Vereinheitlichung der Voraussetzungen der Unions- und Mitgliedstaatshaftung das Absehen von dem Rechtssatzcharakter der Maßnahme sinnvoll ist.286 Das vereinheitlichte Kriterium liegt nunmehr darin, ob ein Mitgliedstaat oder ein Unionsorgan die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Wenn der Mitgliedstaat oder das betreffende Organ nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, kann die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.287 Während bislang die Rechtsprechung zu Art. 288 EGV die Rechtsprechung zur Mitgliedstaatshagtung inspirierte, wird mit „Bergaderm“ der umgekehrte Trend eingeleitet. Und während das dem deutschen Recht entnommene Merkmal der Schutznorm bleibt, entfällt ferner das Erfordernis der Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm.288 Denn die Verletzung einer höherrangigen Norm ist im Begriff der Rechtswidrigkeit mitgemeint. Ungeachtet der Vereinheitlichungsversuchen in „Bergaderm“ und „Brasserie“ bleiben allerdings Divergenzen weiterhin bestehen. In der Rechtsprechung zu Art. 288 Abs. 2 EGV zieht der EuGH zwei Elemente heran, um die offensichtliche Ermessensüberschreitung der Unionsorgane zu beurteilen, nämlich die Art und Weise des Rechtsverstoßes und die Auswirkung der Maßnahme auf den Betroffenen. Zur Veranschaulichung letzteren Elements wird geprüft, ob der erlittene Schaden über die wirtschaftlichen Risiken hinausgeht, die der in einem bestimmten Wirtschaftsbereich entwickelten Tätigkeit innewohnen.289 Letzterer Aspekt spielt bislang in der Rechtsprechung zur Haftung der Mitgliedstaaten für Unionsunrecht keine Rolle.

285 Siehe EuG, T-178/98, Fresh Marine Company AS/Kommission, Slg. 2000 II3331, Rn. 57, 61 und die präzisierende Reaktion des EuGH darauf im Urteil vom 10.7.2003 Rs. C-472/00P, Kommission/Fresh Marine Company AS, Rn. 27; s. ferner EuG in verb. Rs. T-79/96, T-260/97 und T-117/98, Camar Srl und Tico Srl/Kommission und Rat, Slg. 2000, II-2193, Rn. 205 und 206 unter Hinweis auf EuG, Rs. T-390/ 94, Schröder u. a./Kommission, Slg. 1997, II-501, Rn. 5 und demgegenüber EuG, verb. Rs. T-198/95, T-171/96, T-230/97, T-174/98 und T-225/99, Comafrica und Dole Fresh/Kommission, Slg. 2001, II-1975, Rn. 136: „Für die Bestimmung der Grenzen des dem fraglichen Organ zustehenden Ermessensspielraums ist es kein entscheidendes Kriterium, ob die Handlung dieses Organs allgemein oder einzelfallbezogen ist“; EuG Rs. T-155/99, Dieckmann & Hansen/Kommission, Slg. 2001, II-0000, Rn. 45. Hierzu GA Hackl, Schlußanträge, ebd., Rn. 135. 286 EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Rn. 42–43. 287 EuGH, Bergaderm (Note 277), Rn. 41–44. 288 EuGH, Bergaderm, Rn. 62. 289 EuGH, Verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 13.

D. Schutzgutkonzeption und haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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D. Bedeutung von Schutzgutkonzeption und spezifisch haftungsrechtlichen Zurechnungskriterien Unterschiedliche Schutzgutkonzeptionen erweisen sich für das Verhältnis von Aufhebung und Haftung als maßgebend. Das wird deutlich, wenn man bedenkt, daß das deutsche Staatshaftungsrecht von der Verletzung eines subjektiven Rechts ausgeht und den Zusammenhang zum Aufhebungsrecht herstellt. Verletzt hingegen die staatliche Maßnahme nach französischem Recht ein subjektives Recht des Geschädigten, wird die Rechtsverletzung den Nachweis der Bestimmheit des Schadens erleichtern. Bei fehlender Rechtsverletzung kann dennoch Schadensersatz gewährt werden, vorausgesetzt, daß sich der Geschädigte nicht in einer rechtlich ungeschützten Position befindet. Wenn sich der Conseil d’État auf die „situation juridiquement protégée“ des Geschädigten bezieht, dann macht er dies meistens in der Absicht, ihre Abwesenheit hervorzuheben.290 Es handelt sich um eine „Einrede der Rechtswidrigkeit der Rechtsstellung des Geschädigten“ („exception d’illégitimité“), welche die Ersatzfähigkeit des Schadens ausschließt oder reduziert. Übrigens setzt die Klagebefugnis im Rahmen des „recours de pleine juridiction“ (Haftungsklage) wie der „recours pour excès de pouvoir“ ein weit ausgelegtes Interesse voraus, das hier allerdings kaum problematisiert wird, da man davon ausgeht, daß, wer ein „préjudice personel“ geltend macht, gleichzeitig ein „intérêt à agir“ hat. Das subjektive Recht ist in der Form des persönlichen Schadens keine Bedingung für die Klagebefugnis, sondern für die Klagebegründetheit. Dies führt dazu, daß ein Abstimmen des Schadensersatzanspruchs mit anderen materiell-rechtlich bestimmten (Grund-)Rechten, etwa der Eigentumsfähigkeit der verletzten Position, nicht notwendig und ein Durchkonstruieren eines Anspruchs auf Unterlassung, (Folgen-)Beseitigung und schließlich Kompensation kein Thema ist. Dies gilt auch für das Verhältnis von Haftung und Aufhebung im englischen Recht. Eine subjektive Rechtsverletzung ist im Rahmen des objektiv-rechtlich orientierten Verfahrens der „Application for Judicial Review“ nicht erforderlich. Denn eine qualifizierte tatsächliche Betroffenheit bzw. ein Interesse am Ausgang der Streitigkeit können zum gerichtlichen Zugang aktiv legitimieren. Für die Klagezulassung muß das Gericht nach englischem Recht zunächst „leave“, also eine Klageerhebungserlaubnis gewähren und beim Vorliegen eines „sufficient interest“ die eigentliche Klagebefugnis („standing“) bejahen. Die Eigentümlichkeit der englischen Konzeption liegt darin, daß nach herkömmlichem Prozeßdenken eine „cause of action“ gegeben sein muß, die eine Palette von normativen und faktischen Elementen berücksichtigt. Im Rahmen der „Application for Judicial Review“ führt diese Konzeption praktisch oft zu Vorgriffen 290 Gest, Violation d’un droit et atteinte à une situation juridiquement protégée dans le contentieux de la responsabilité publique, RDP 1981, 1645, 1679.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

auf die Begründetheitsbeurteilung („fusion of standing and merits“) des Antrags. Staatshaftungsklagen haben zwar eine subjektiv-rechtliche Orientierung (Geltendmachung von „private law rights“), doch maßgeblich ist nicht der Nachweis einer Rechtsverletzung, sondern das Vorliegen eines „tort“ oder die Deckung durch die Intention des Gesetzgebers. Ähnlichkeiten lassen sich demgegenüber im Bereich der von den spezifisch haftungsrechtlichen Wertungs- und Zurechnungskriterien wahrgenommenen Funktionen feststellen.291 An die Konzeption der „faute lourde“ des französischen Rechts war die Rechtsprechung schon im Rahmen des Haftungssystems nach dem EGKS-Vertrag (Art. 34 Abs. 1 S. 3 und Art. 40 Abs. 1 EGKSV) angelehnt. In den früheren Vertragsentwürfen wurde für die Haftung der Gemeinschaft nach Art. 34 EGKSV explizit eine „faute lourde“ verlangt. Erst am Tage vor der Unterzeichnung des Vertrages wurde auf deutschen Antrag die Haftungsvoraussetzung wesentlich gemildert, indem statt der „faute lourde“ die Formel „faute de nature à engager la responsabilité“ gesetzt wurde.292 Auch diese Formel kann aber im französischen Recht dazu benutzt werden, Rechtswidrigkeit und haftungsbegründenden Fehler auseinanderzuhalten. Um die Anerkennung eines haftungsrechtlichen Spielraums geht es auch im Rahmen der Eigenhaftung der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 288 Abs. 2 EGV.293 Die Parallele zum französischen Recht ist deutlich, das neben den standardisierten Schadensmerkmale der Unmittelbarkeit, Bestimmheit und Besonderheit für bestimmte Tatbestandsgruppen einen haftungsrechtlichen Spielraum, eine „faute lourde“ verlangt.294 Eine Problematisierung des haftungsbegründenden Rechtsfehlerbegriffs erfolgte ferner in Frankreich in Zusammenhang mit der Abschaffung der Haftungsvoraussetzung der „faute lourde“ im Bereich des Arzthaftungsrechts.295 Auch nach Verabschiedung dieses Regimes wird im Arzthaftungsrecht die Haftung nicht wegen Rechtswidrigkeit per se ausgelöst. Es geht nach wie vor darum, die einen klaren Verstoß gegen die Regeln der Kunst darstellenden Verfehlungen von nachvollziehbaren mit Unwägbarkeiten und Unvorhersehbarkeiten verbundenen – etwa notsitutiationsbedingten – Fehlern abzuschichten. Der Unterschied ist unter diesem Aspekt lediglich ein terminologischer: Der „faute médicale de nature à engager la responsabilité de l’hopital“ wird nicht mehr der Ausdruck „faute lourde“ hinzugefügt. Auf diese Weise ver291 Siehe hierzu bereits Gromitsaris, Die methodologische Herausforderung des Europarechts. Zum Verhältnis von Rechtsdogmatik, Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie am Beispiel des Staatshaftungsrechts, in: Atienza u. a. (Hrsg.), FS für Werner Krawietz zum 70. Geburtstag, 2003, S. 32 f. 292 Much, Die Amtshaftung im Recht der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1952, S. 62. 293 EuGH Rs. Mulder Slg. 1992, I-3061. 294 Hierzu Gromitsaris, Europarechtliche Aspekte der Staatshaftung, SächsVBl. 2001, 157, 164. 295 CE, 10.4.1992, M. et Mme V., RFDA 1992, 582 f.

D. Schutzgutkonzeption und haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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meidet man nicht zuletzt, daß bei den Bürgern der Eindruck entsteht, die Behandlung sei schon fehlerhaft gewesen, der begangene Fehler sei aber in den Augen der Verwaltungsgerichtsbarkeit verzeihlich und daher nicht haftungsbegründend gewesen. Der ärztliche Behandlungsfehler war und bleibt ein spezifischer Fehler.296 Die englische Sicht des qualifizierten Verstoßes bringt der Generalanwalt Francis J. Jacobs zum Ausdruck. Der EuGH habe im Französischen stets den Ausdruck „violation suffisamment caractérisée“ verwendet. Im Englischen werde dies heute gewöhnlich mit „sufficiently serious breach“ wiedergegeben. Die mit dem Begriff „caracterisé“ unterschwellig verbundene Bedeutung im Sinne von „serious“ schließe jedoch die Vorstellung ein, daß der Verstoß eindeutig festgestellt wurde. Der Generalanwalt leitet hieraus ab, daß es sich um einen bestimmten, deutlichen Verstoß handelt. Dies könne helfen, zu erklären, warum der Begriff früher mit „sufficiently flagrant violation“ übersetzt wurde, und möge zusätzliche Aufklärung geben über die vom EuGH getroffene Festlegung der Gesichtspunkte, die bei der Entscheidung, ob ein Verstoß hinreichend qualifiziert sei, zu berücksichtigen seien.297 Dem kann man im englischen Recht mit den bereits erwähnten spezifisch haftungsrechtlichen Kriterien Rechnung tragen. Ein haftungsrechtlicher Spielraum ist im „negligence“-Recht erforderlich, da die Verletzung einer „duty of care“ vorliegen muß, die eine Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen („policy reasons“) ermöglicht. Ferner ist an die dem „common law“ geläufigen Unterscheidung zwischen der „strengen“, verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung („strict liability“) zu denken, die etwa bei Gesundheitsschäden automatisch ausgelöst wird, und den Situationen, in denen die Haftung von den Umständen des Einzelfalles („circumstances“) abhängig gemacht wird.298 Ferner ist die Ermessensabhängigkeit der haftungsrechtlichen Regelung des HRA 1998 sowie die Vermutungsüberlegungen mit Blick auf die gesetzliche Intention im Falle eines „breach of statutory duty“ zu erwähnen. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung „An Bord Bainne“ die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH vorwegnahm. Sie stellte auf die Wahrnehmung von Ermessen und nicht auf den legislativen Charakter des handelnden Organs ab. Auch bei administrativen Maßnahmen, die in Wahrnehmung von Ermessen ergehen, 296

Siehe hierzu die Schlußanträge von Legal, RFDA 1992, 571, 576. Jacobs, Schlußanträge in EuGH, Rs. C-150/99, vom 26.9.2000, Stockholm Lindöpark, Rn. 59. 298 Dieser Vergleich findet sich bei Edward/Robinson, Is there a Place for Private Law Principles in Community Law?, in: Heukels/McDonnel 1997, S. 339 ff., 345: „Looking at the Court’s approach from a common law perspective, one can see a clear analogy with the way in which the common law distinguishes between situations giving rise to strict liability (e. g. breaches of peremptory provisions of health and safety legislation) and situations where the circumstances determine liability.“ (Hervorhebung im Original). 297

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

sollte die Haftung nur unter der Voraussetzung eines qualifizierten Verstoßes auszulösen sein.299 In der Literatur wurde diese These in Verbindung mit dem Grundsatz des englischen Staatshaftungsrechts diskutiert, der eine reine Rechtswidrigkeitshaftung ausschließt.300 Schon in der Entscheidung „Bourgoin“ hatte man betont, daß „illegality or invalidity per se“ die Haftung der öffentlichen Gewalt nicht auslöst.301 Die Mehrheitsentscheidung in „Bourgoin“ und das Court of Appeal in „An Bord Bainne“ gehen davon aus, daß der der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 288 Abs. 2 EGV zugrundeliegende Rechtsgedanke auf administrative Ermessensentscheidungen anzuwenden wäre. Diese Überlegungen mögen für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht ohne Bedeutung gewesen sein. In allen drei untersuchten Rechtsordnungen wird Rechtswidrigkeit bei Ermessensfehlern von den Gerichten derart definiert, daß die Haftung nur bei näher bestimmbaren Ermessensfehlern begründet werden kann. Zwar hat der BGH seine frühere Judikatur hinsichtlich der Amtspflicht zu fehlerfreier Ermessensausübung insofern aufgegeben, als sie eine Amtspflichtwidrigkeit der Ermessensausübung nur bei Willkür und/oder Fehler-Evidenz bejahte. Eine Amtspflichtverletzung durch Ermessensfehlgebrauch kommt nunmehr auch schon dann in Betracht, wenn weder Amtsmißbrauch noch evident fehlerhafte Amtstätigkeit vorliegt. Damit ist die Ermessensprüfung im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs auf den Kontrollumfang des § 114 VwGO erweitert worden.302 Amtspflichtwidrig handelt danach ein Beamter, der sein Ermessen fehlerhaft ausübt. Dies setzt aber schon Fehler voraus, die als Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung bzw. Ermessensfehlgebrauch qualifizierbar sind. Die Haftungslimitierung findet hier bereits bei der Bestimmung des Rechtswidrigkeitsbegriffs statt. Denn nur die von der Ermessensfehlerlehre erfaßten Fehler können zur Rechtswidrigkeit und somit zur Haftung führen. Auch Abwägungsmängel im Planfeststellungsverfahren sind gemäß § 75 Abs. 1a VwVfG nur noch dann erheblich, wenn sie sich auf die Entscheidung ausgewirkt haben. Sie sind erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. Offensichtlich ist aller Mangel, der auf objektiv faßbaren Sachumständen beruht und aus den Unterlagen resultiert. Offensichtliche Män299

An Bord Bainne Co-operative Ltd. v. Milk Marketing Board, CMLR 1988, 605. „Thus, although one may label a choice being made by the Community ,legislative‘ in nature, one should not thereby conclude that this choice is very different in range, type or scope from many of the choice which have to be made by public bodies, either in the domestic context or when applying Community law. At base the situation in both instances is one in which an interpretation has been made of particular provision of the Treaty, or norm made under it, either by the Community or by a Member State, which interpretation later transpires to be illegal.“ Craig, Francovich, Remedies and the Scope of Damages Liability, LQR 1993, 595, 613. 301 Bourgoin SA v. Ministry of Agriculture, Fisheries and Food [1986] Q.B. 716. 302 Ossenbühl, StHR 1998, S. 46. 300

D. Schutzgutkonzeption und haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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gel sind nur erheblich, wenn sie auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind. Bei unerheblichen Fehlern liegt kein Rechtsfehler und somit auch keine Möglichkeit einer Rechtswidrigkeitshaftung vor.303 Die unterschiedlichen Konzeptionsunterschiede der Haftung bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung lassen sich nicht zuletzt an der „Osman“-Entscheidung des EGMR veranschaulichen,304 die eine britische Veröffentlichungslawine verursachte. Die Berücksichtigung der Natur vom Rechtsverstoß („breach“) bei der Auferlegung einer „duty of care“ kommt in der Rechtsprechung des House of Lords auf dem Gebiet administrativer Ermessensentscheidungen durchaus vor.305 Sie stellt aber eine Vorfrage dar, die der Prüfung einer „duty of care“ vorausgeht. Der EGMR will hingegen die Natur des Rechtsverstoßes („seriousness of the breach“, „grave negligence“) in den Abwägungsvorgang von „policy“, der übrigens auch das private Rechtsschutzbedürfnis des Klägers berücksichtigt, einbeziehen. Eine direkte Orientierung des EGMR an der Rechtsprechtung des EuGH zur „qualifizierten Rechtswidrigkeit“ liegt nicht vor. Die aus englischer Sicht unorthodoxe Interpretation des „duty of care test“ seitens des EGMR hat aber Ähnlichkeiten mit dem französischen Konzept der Haftung für „faute lourde“.306 Der Conseil d’État hätte wahrscheinlich die Polizei in einem Fall wie „Osman“ auch für haftbar gehalten. Eine Polizeihaftung hat er jedenfalls im ähnlich gelagerten „Garagnon“-Fall angenommen.307 Hier ging es um die Schadensersatzklage einer von ihrem algerischen Ehemann getrennten Frau gegen die Grenzschutzpolizei. Letztere konnte die Entführung der zwei Kinder des Paares von ihrem Vater nach Algerien trotz der Tatsache, daß sie hierzu angewiesen war, nicht verhindern, was angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen als haftungsbegründende „faute lourde“ angesehen wurde. Auch nach deutschem Recht wäre eine Haftung bejaht. Denn die Amtspflicht zur Verhütung strafbarer Handlungen, die von den Polizeibeamten bekannten Mitgliedern einer Räuberbande in ihrem Dienstbezirk begangen werden, besteht gegenüber jedem, dessen Rechtskreis durch eine Verletzung dieser Pflicht gefährdet ist.308 Unterschiede gibt es darüber hinaus bei der Annahme bzw. Verletzung haftungsrechtlich relevanter Verkehrssicherungspflichten,309 Aufklärungspflichten,310 Schutzpflichten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe,311 wobei die Handhabung der „duty of care“ zu erheblich restriktiveren Haftungsbedingungen für die Ermessensentscheidungen der öffentlichen 303

BayVGH UPR 1994, 194, 196. EGMR, Osman/The United Kingdom, 28.10.1998, Nr. 23452/94, 1998-VIII. 305 X (minors) v. Bedfordshire CC [1995] 2 A.C. 633. 306 So zurecht Monti, ICLQ 1999, 757, 766. 307 CE, Garagnon, 26.07.1985, Rec. 209. 308 LM 1953 B. 645, (Nr. 5) § 839 (Fg) BGB. 309 Vgl. etwa BGH, NJW 1980, 2194, 2196 zu Stovin v. Wise [1996] 1 A.C. 923 und zu CE, 20.10.1972, Ville de Paris c/Sieur Paul Marabout, AJDA 1972, 597. 304

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

Gewalt als die Handhabung des Amtshaftungsrechts oder der „faute lourde“ gelangt ist.312 Jedenfalls werden die Haftungsregeln in allen untersuchten Rechtsordnungen bei Ermessensentscheidungen im Wege der Handhabung besonderer Kriterien modifiziert. Ein zusätzlicher Beleg für ermessensbedingte Haftungsmodifizierung ist schließlich auch in der U.S.-amerikanischen „discretionary function exception“ (DFE) zu finden: Die Haftung des Bundes wegen fehlsamer Bankenaufsicht unterliegt den Bestimmungen des Federal Tort Claims Act (28 USCA §§ 2671–2680). Die in diesem Regelungswerk vorgesehene Staatshaftung ist durch eine Reihe von Ausnahmeregelungen beschränkt, zu denen vor allem die Haftungsimmunität zum Schutz der Ermessensfunktion der Behörden gehört (28 USC § 2680 (a)).313 Anwendungsvoraussetzung dieser Ausnahmeregelung ist die Heranziehung eines in der Entscheidung Berkovitz v. U.S.314 aufgestellten zweigliedrigen Prüfungsschemas: Zunächst muß das Staatsverhalten durch ein Einschätzungs- oder Wahlelement („an element of judgment or choice“) gekennzeichnet sein.315 Ferner muß der Einschätzungsspielraum durch den Schutzbereich der Ausnahmeregelung gedeckt sein. Das ist dann der Fall, wenn es bei der schädigenden Entscheidung auf sozial-, wirtschaftspolitische oder politische Erwägungen ankommt. Die DFE schützt somit nicht alles Ermessenshandeln.316 Es kommt sowohl auf den Entscheidungsinhalt (den zu regelnden Sachbereich) als auch auf die amtliche Stellung und die Befugnisse des Entscheiders an. Die abwägende Selektion („choice“) muß soziale, ökonomische oder politische 310 Vgl. X v. Bedfordshire [1995] 2 AC 633 (HL) und W v. Essex CC [1998] 3 WLR 534 (CA) zu OLG Hamm, Urteil v. 15.7.1992 – 11 U 52/92, FamRZ 1993, 704 und zur französischen Staatshaftung bei Beaufsichtigung von Minderjährigen. 311 Vgl. OLG Hamm v. 20.11.96 – 11 U 61/96, ZfJ 1997, 433 zu M. v. Newham L.B.C.; X v. Bedfordshire C.C. (C.A.) [1995] 2 A.C. 633 und zu CE, 23.09.1987, Epoux Quaras, Rec. 290. 312 Zu einem ausführlichen Vergleich s. Markesinis u. a., Tortious Liability of Statutory Bodies: A Comparative and Economic Analysis of Five English Cases, 1999. 313 Wortlaut: „Any claim based upon an act or omission of an employee of the Government, exercising due care, in the execution of a statute or regulation, whether or not such statute or regulation be valid, or based upon the exercise or performance or the failure to exercise or perform a discretionary function or duty on the part of a federal agency or an employee of the Government, whether or not the discretion involved be abused.“ 314 486 U.S. 531, 536 (1988), siehe auch Kennewick Irrigation District v. U.S., 880 F. 2sd 1018, 1025 (9th Cir. ’89). 315 „[T]he discretionary function exception will not apply when a federal statute, regulation, or policy specifically prescribes a course of action for an employee to follow. In this event, the employee has no rightful option but to adhere to the directive.“ Berkovitz v. U.S., 486 U.S. 531, 535 (1988). 316 Berkovitz v. U.S., 486 U.S. 531, 536–537 (1988); das Ermessen (must be) „grounded in social, economic, (or) political policy“ U.S. v. Varig Airlines, 467 U.S. 797, 814 (1984) oder kürzer es muß Ausdruck eines „policy judgment“ sein: Berkovitz, 486 U.S., 537.

D. Schutzgutkonzeption und haftungsrechtliche Zurechnungskriterien

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grundsätzliche Überlegungen widerspiegeln und zugleich von einem Amtsinhaber getroffen werden, der zur Vornahme dieser Abwägung befugt ist.317 Der Schutzbereich der DFE ist weit. Praktisch besteht eine absolute gesetzliche Vermutung dahingehend, daß alle allgemeinen Regelungen politische Entscheidungen und abwägende Selektionen treffen, die von Haftungsklagen unbeeinträchtigt bleiben müßten. Wie man schon dem Wortlaut der Bestimmung in 28 USC § 2680 (a) entnehmen kann, wird die Haftung für alle Handlungen ausgeschlossen, die „exercising due care, in the execution of a . . . regulation“ vorgenommen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Verordnung rechtwidrig ist: „whether or not such . . . regulation be valid“.318 Die Haftungsimmunität besteht darüber hinaus auch in dem Fall, in dem das Ermessen fehlerhaft und zweckwidrig ausgeübt worden ist: die DFE findet Anwendung „whether or not the discretion involved be abused“. Diese Grundsätze gelten nun seit der Entscheidung United States v. Gaubert319 auch für die Bankenaufsicht. Der Supreme Court hob hier die Entscheidung des Courts of Appeals auf, der entschieden hatte, daß die Beaufsichtigung von Bankaktivitäten auf der Ebene von „day-to-day affairs“ keine durch die Haftungsimmunität geschützte „policy decisions“ enthalte, sondern „operational actions“ darstelle. Die DFE findet somit auf den ganzen Bereich der Bankenaufsicht Anwendung. Dies kommt einer grundsätzlichen Haftungsimmunität des staatlichen Aufsichtstätigkeit im Finanzbereich sehr nahe. Der Unterschied zur englischen und französischen entsprechenden Regelung in diesem Bereich ist auffällig. Die Haftung wegen fehlsamer Bankenaufsicht kann als Anwendungsfall des Verhältnisses von Ermessen und Haftung dienen. Im deutschen Recht werden allerdings die allgemeinen Regeln auf die Bankenaufsicht geradezu nicht angewandt. Deutsche Gerichte können Amtshaftungsklagen hinsichtlich des die Grenze von 20. 000 ECU übersteigenden Schadens lediglich mit dem Hinweis darauf abweisen, daß die Aufsichtsbehörde nach § 6 Abs. 4 KWG und nun nach § 4 Abs. 4 FinDAG ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnehme. Sie müssen somit nicht auf die möglichen Amtspflichtverletzungen der Aufsichtsbehörde eingehen. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde in Kenntnis der wirtschaftlichen Lage des Kreditinstituts war und bewußt amtspflichtwidrig agierte. Die deutsche Lösung ist vom Ergebnis her eher mit der U.S.-amerikanischen Lösung zu vergleichen, welche die Bankenaufsicht im Namen des Schutzes der Funktion der Ermessensausübung durch die Anwendung der Ausnahmeregelung in 28 USCA § 2680 (a) in den Genuß einer Haftungsimmunität kom317 Die Bedeutung der amtlichen Stellung und Befugnisse des Entscheiders wird in der „concurring opinion“ von Justice Scalia in U.S. v. Gaubert, 499 U.S. 315 (1991) betont. 318 Das bedeutet: (regulations can) „not be attacked by claimants under the Act“ (Federal Torts Claims Act). Dalehite v. U.S., 346 U.S. 15, 42 (1953). 319 499 U.S. 315, 322.

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4. Teil: Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung

men läßt. Allerdings stimmt dieser Vergleich nur, wenn man von der im Ergebnis sowohl nach deutschem als auch nach amerikanischem Recht geltenden Haftungsfreizeichnung ausgeht. Die amerikanische DFE steht eigentlich strukturell der französischen „faute lourde“ oder der unionsrechtlichen „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“ („sufficiently serious breach“) sehr nah, denn sie ermöglicht es dem Richter, zwischen „policy“ und „operational decisions“ auf der Grundlage eines von der Rechtsprechung entwickelten Prüfungsschemas flexibel zu unterscheiden oder eben die Relevanz der „policy/operational distinction“ für einen bestimmten Bereich zu verneinen. Weder die „policy/operational distinction“ der DFE noch die „hinreichend qualizierte Rechtsverletzung“ können zwar im Voraus Orientierungsgewißheit in Fällen gewährleisten, in denen die Behörden Ermessensentscheidungen treffen. Ihre Funktion liegt in der Herstellung judizieller haftungsrechtlicher Entscheidungsfähigkeit. Der US-amerikanischen Berkovitz-Formel, der Schoppenstedt-Formel320 und der „faute lourde“ ist das Merkmal der Eröffnung eines richterlichen Entscheidungsspielraums gemeinsam. Erst die gerichtliche Handhabung dieser Formeln kann die Einführung einer Haftungsimmunität („doctrine of sovereign immunity“) im Bereich der Bankenaufsicht begründen. Demgegenüber nimmt die gesetzliche Verneinung der Drittbezogenheit der Bankenaufsicht den deutschen Gerichten schon im Vorfeld alle haftungsrechtliche Entscheidungs- und (Fein-)Steuerungsmöglichkeit.

320 Zur Parallelisierung siehe Crawford Lichtenstein in: O’Keeffe/Bavasso (eds.) 2000, vol. I, S. 287 ff.

Fünfter Teil

Mitverschulden und Schadenshöhe Die Staatshaftung muß in einem Rechtssystem auch aus der Sicht des Geschädigten betrachtet werden. Alle drei hier untersuchten nationalen Rechtsordnungen ziehen ebenso wie das Europarecht in Betracht, daß der Geschädigte den Schaden mitverursacht, die sich verwirklichten Risiken vorhersehen konnte oder aus dem schädigenden Ereignis Vorteile gezogen hat. Nicht unabhängig von der Sicht des Geschädigten ist auch der von ihm erlittene und nachzuweisende Schaden. Schließlich bedingen Schadensart und Schadenshöhe die Art und Reichweite der haftungsrechtlichen Rechtsfolge.

A. Mitverschulden, Vorteilsausgleichung und Status des Geschädigten Im französischen Verwaltungsrecht ist der Versuch unternommen worden, die gesamte Rechtsprechung des Conseil d’Etat zur Staatshaftung unter dem Gesichtspunkt der Beziehung des Betroffenen zum Staat zusammenzufassen. Dieses Unternehmen ist zwar gescheitert,1 dennoch bieten Mitverschulden und Schutzwürdigkeit des Geschädigten dem französischen Staatshaftungsrecht nach wie vor Anknüpfungsmöglichkeiten an, die sich als Gegengesichtspunkte zur haftungsrechtlichen Beurteilung des Staatshandelns darstellen. Dem Geschädigten kann der haftungsrechtliche Schutz ganz oder teilweise entzogen werden je nachdem, ob seine Rechtsposition schutzwürdig ist oder ob er den Schaden schuldhaft nicht abgewendet bzw. gemindert hat. Auch im deutschen Recht findet ein Entzug oder eine Verminderung des haftungsrechtlichen Schutzes durch Fehlverhalten des Betroffenen statt. Hierzu gehören die Entschädigungslosigkeit des Polizeistörers sowie ihre sondergesetzlichen Ausprägungen. Der Staat verhält sich bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr „defensiv“; daß er dabei das Privateigentum angreifen und schmälern oder gar vernichten muß, ist „eine im Prinzip unerwünschte, aber notwendige Nebenwirkung“2. Das Mitverschulden 1 Paillet, La responsabilité administrative, 1996, S. 35 unter Hinweis auf den Versuch von Moreau, L’influence de la situation et du comportement de la victime sur la responsabilité administrative, 1957. 2 BVerfGE 20, 351, 359; vgl. BGHZ 43, 196; §§ 66 ff. ViehseuchenG, §§ 37, 49, 57 I 2 BseuchG, §§ 66 ff. Tierseuchengesetz, § 6 Reblausgesetz.

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5. Teil: Mitverschulden und Schadenshöhe

kommt in einer Reihe sondergesetzlicher Vorschriften durch einen Verweis auf § 254 BGB zum Ausdruck, so z. B. in §§ 93 Abs. 3 S. 2 BauGB, 33 Abs. 2 BleistungsG, 8a Abs. 8 FStrG, 7 Abs. 6 BDSG, 10 Abs. 1 S. 2 ZivilschutzG, Art. 70 Abs. 7 S. 3 BayPAG. Wo es an einem direkten Verweis fehlt, gilt § 254 BGB analog, und zwar sowohl für Entschädigungs- als auch für Schadensersatzansprüche. Die vom Institut des Mitverschuldens betreuten Fälle werden im französischen Recht einer übergreifenden Thematik des Staatshaftungsrechts, der Störung des Kausalverhältnisses zwischen schädigender Handlung und Schaden zugeordnet. Es handelt sich um die allgemeinen und besonderen Entlastungsgründe („causes d’exonération“), die eine Haftung ganz oder teilweise ausschließen. Zu den allgemeinen Entlastungsgründen, gehört auch die Selbstverursachung durch den Geschädigten. Der Ausdruck „fait de la victime“ entspricht einem objektivierten Mitverschulden. Hinzukommt der Ausdruck „faute de la victime“, der dem eigentlichen subjektiven Mitverschulden des deutschen Rechts entspricht.3 Das common law kannte seinerseits früher die Regelung, daß „contributory negligence“ stets zum Haftungsausschluß führen mußte. Im englischen Recht ist diese Regel mittlerweile gesetzlich4 durch eine anteilige Haftung ersetzt worden. Angewandt werden die Grundsätze des „ordinary tort law“. Es gibt keine Besonderheiten mit Blick auf die Staatshaftung. Der EuGH behandelt ebenso wie das französische Recht das Mitverschulden unter der Rubrik der Kausalität. Der Geschädigte muß sich in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen.5 Im Rahmen der Unionshaftung gilt die Nichterhebung einer Nichtigkeitsklage außer in Fällen von Verletzungen des Umgehungsverbots nicht als Mitverschulden. Den Grundsatz der Vorteilsausgleichung gibt es in allen untersuchten Rechtsordnungen. Problematisch ist der vom EuGH hergestellte Bezug des Schadens zu einer marktabhängigen Preiserhöhung. Wenn der Geschädigte die Möglichkeit hat, den erlittenen Nachteil (z. B Wegfall von Erstattungen) in den Preisen der von ihm verkauften Produkten abzuwälzen, tritt dem EuGH zufolge die Preiserhöhung an die Stelle des Schadens.6 Der Grundsatz der Vorteilsausgleichung 3 Zur Unterscheidung beider Aspekte der Fremdverursachung (subjektives und objektives Mitverschulden) s. Payre, Faute et fait de la victime dans le contentieux de la responsabilité administrative extracontractuelle, AJDA 1980, 398. 4 Section 1 (1) Law Reform (Contributory Negligence) Act 1945. 5 Siehe EuGH, Rs. 58–75, Sergy, Slg. 1976, 1139, Rn. 43 bis 47; C-248/98 P, Slg. 2000 I-01527, Rn. 57 unter Hinweis auf Sergy/Kommission, Rn. 41, und Giry/Kommission, Rn. 19, sowie verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Rn. 85. 6 EuGH, Rs. 238–78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, Rn. 14. Hierzu die berechtigte Kritik von Toth, The Concepts of Damage and Causality as Elements of Non-Contractual Liability, in: Heukels/McDonnell (eds.) 1997, S. 189. Ferner Rudden/Bishop, Gritz and Quellmehl: Pas it On, ELR 1981, 241 ff.

B. Schadenshöhe

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betrifft aber eine andere Konstellation, denn er findet nur dann Anwendung, wenn die Vorteile aus derselben Handlung oder Unterlassung entstehen, die den Schaden gestiftet hat. Ferner läuft die Argumentation des EuGH darauf hinaus, daß sich der Geschädigte dazu veranlaßt sieht, den durch rechtswidriges Verhalten der Unionsorgane verursachten Schaden an Dritte abzuwälzen, wenn er sich schadlos halten will.7 Abgesehen vom Sonderfall des Folgenbeseitigungsanspruchs8 ist die Rolle von Mitverschulden im deutschen, englischen und französischen Recht durchaus vergleichbar. Während es zwischen deutschem und englischem Recht eher terminologische Unterschiede gibt, weist das französische Recht einen grundlegend verschiedenen Ansatz auf. Das deutsche Recht entwirft das Staatshaftungsrecht vorwiegend von der Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit staatlichen Verhaltens her und korrigiert die Einseitigkeiten, zu denen dieser Ausgangspunkt führt, indem es die sekundäre Berücksichtigung von Mitverschulden und Schutzwürdigkeit der Stellung des Geschädigten ermöglicht. Für das französische Recht gilt dies nur zum Teil. Der konzeptionelle Unterschied wird klar, wenn man sich die Haftung für öffentliche Arbeiten und Einrichtungen ansieht. Hier stellt der Conseil d’Etat darauf ab, ob dem Geschädigten die Eigenschaft eines Benutzers oder eines Dritten zukommt. In diesen Fällen wird nicht einheitliches, für Benutzer und Dritte geltendes Haftungsregime angewandt, das je nach Eigenschaft des Betroffenen nachträglich abgemildert oder verschärft wird. Vielmehr gelten in diesen Konstellationen verschiedene Haftungsvoraussetzungen, es werden verschiedene Haftungsinstitute herangezogen. Der Schutzwürdigkeit des Geschädigten wird hier schon auf tatbestandlicher Ebene Rechnung getragen.

B. Schadenshöhe Das Recht der Haftung der öffentlichen Gewalt kennt verschiedenartige Rechtsfolgen: Naturalrestitution, Schadensersatz, Entschädigung, Schmerzensgeld und Ersatz von Chancen. Sie können durch verschiedene Haftungsinstitute herbeigeführt werden, so daß die angestrebte Rechtsfolge über die Wahl des Anspruchsinstituts entscheidet. Im Falle der Unionshaftung muß hingegen die Staffelung der Rechtsfolgen eines Anspruchsinstituts, das wie das französische Staatshaftungsrecht auf dem Prinzip der Totalreparation beruht, dogmatisch bewältigt werden. 7 Vgl. EuG, Rs. T-1/99, T. Port/Kommission, Rn. 64; Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzungen: Anspruchsgrundlage und materielle Voraussetzungen, 2002, S. 403 sieht im Abwälzungsargument eine Verwirklichung des „Grundsatzes der Zusammengehörigkeit von Vor- und Nachteilen“. 8 BVerwGE 82, 24, 26.

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5. Teil: Mitverschulden und Schadenshöhe

I. Naturalrestitution Beim Amtshaftungsanspruch ist die Naturalrestitution ausgeschlossen, da Art. 34 nur eine Haftungsverlagerungsnorm ist und vom Staat nicht mehr verlangt werden kann, als der haftende Amtsinhaber als Privatperson zu leisten befugt ist.9 Naturalrestitution kann hingegen bei der positiven Forderungsverletzung i.R. von verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen verlangt werden. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 StHG-DDR kann der ersatzpflichtige Hoheitsträger Naturalrestitution gewähren, der Anspruchsteller kann sie aber nicht fordern.10 Der Folgenbeseitigungsanspruch ist eine Restitution i. S. d. § 249 Abs. 1 BGB, wobei diese Naturalrestitution auf die Herstellung des früheren Zustandes11 nicht eines hypothetischen Zustandes, der bestehen würde, wenn die schadensstiftende Handlung unterblieben wäre, begrenzt ist. Der Folgenbeseitigungsanspruch kann im Einzelfall zu demselben Ergebnis wie der Erstattungsanspruch führen.12 Abgesehen allerdings von den Unterschieden in der Rechtsgrundlage erfaßt der Erstattungsanspruch auch die Herausgabe von Nutzungen, vor allem Zinsen, die vom Folgenbeseitigungsanspruch nicht gedeckt sind. Der französische Zivilrichter, dem ein „pouvoir souverain d’appréciation“ zusteht, darf zwischen Geldersatz und Naturalrestitution wählen, während der Conseil d’État vom Prinzip der Geldrestitution ausgeht. Dies wird zum Teil mit dem Verbot begründet, der Verwaltung „injonctions“ zu erteilen. Zwei weitere Gründe für den Ausschluß von Naturalrestitution werden in einer Lahmlegungsgefahr des Verwaltungshandelns, die sogar den Grundsatz der Unantastbarkeit der öffentlichen Einrichtungen rechtfertigen soll, und in der Zukunftsgerichtetheit einer jeden Naturalrestitution gesehen. Diese könne die Schädigung für die Zukunft aufheben, doch keine Reparation für die bereits erfolgten Schäden leisten.13 Jedenfalls im Bereich der Haftung für „travaux publics“ korrigiert der Conseil d’Etat das Fehlen der Naturalrestitution dadurch, daß er die Verwaltung zur Geldleistung dann verurteilt, wenn sie es nicht vorzieht („si mieux elle n’aime“), den Schaden auf andere Weise zu beseitigen.14 Meistens geht es um die Verpflichtung zur Durchführung bestimmter Arbeiten zur Beseitigung des herbeigeführten 9

BGHZ 34, 99, 105. Herbst/Lühmann, § 3 Abs. 1, Kommentar zu StHG-DDR Rn. 1 ff. 11 BVerwGE 69, 366, 371 („Bardepot“). 12 Freiherr von und zu Franckenstein, Parallelen und Unterschiede des öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruches im Vergleich zum allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch, 1998, S. 54 ff., 96 ff.; Rösslein, Der Folgenbeseitigungsanspruch, 1968 S. 39 f. m. w. N.; Morlok, Erstattung als Rechtmäßigkeitsrestitution, Die Verwaltung 1992, 371 ff. 13 Deguergue, Jurisprudence et doctrine dans l’élaboration du droit de la responsabilité administrative 1994, S. 431. 14 Chapus, Responsabilité publique et responsabilité privée, 1953, S. 539; Deguergue 1994, S. 431. 10

B. Schadenshöhe

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Schadens.15 Demgegenüber kennt die Praxis der englischen „public law ombudsmen“ explizite Folgenbeseitigungs- und Restitutionsansprüche.16

II. Schadensersatz und Entschädigung Der Unterschied zwischen Schadensersatz und Entschädigung17 ist eins der kennzeichnenden Merkmale des deutschen Staatshaftungsrechts. Der Schadensersatz ist auf vollständige Kompensation erlittener Schäden gerichtet. Die wichtigste Anspruchsgrundlage bildet der Amtshaftungsanspruch. Er geht auf Schadensersatz in Geld18, der auch den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) und den immateriellen Schaden (§ 847 BGB) ersetzt. Es gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 249 ff. BGB. Auf Schadensersatz geht auch das in drei neuen Bundesländern als Landesrecht fortgeltende StHG-DDR (§ 3 Abs. 1 S. 1), das aber dem Schuldner zugleich die Möglichkeit einer Naturalrestitution eröffnet (§ 3 Abs. 1 S. 2). In den Fällen, in denen der Staat für ein dem Bürger abverlangtes Sonderopfer haften muß, sieht das deutsche Staatshaftungsrecht die besondere Ersatzleistungsform der Entschädigung vor. Die Entschädigung bringt lediglich einen billigen Ausgleich der Rechtsgutverlustes, der nicht den gesamten Wert umfassen muß.19 Dies betrifft Billigkeitsentschädigungen in inhaltsbestimmenden Gesetzen, die verfassungsrechtlich nicht geboten sind, und Verhältnismäßigkeitsentschädigungen, die vom eigentumsausgestaltenden Gesetzgeber vorgesehen werden müssen, damit die gesetzliche Norm vor dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichheitssatz Bestand haben kann.20 Einen Sonderfall von Entschädigung stellt der Folgenersatzanspruch dar, der sich als umgewandelter Folgenbeseitigungsanspruch nicht explizit auf eine Sonderopferlage bezieht, sondern im Grunde auf die Herstellung der Integrität des verletzten sub15 CE, 21.1.1976, Commune de Margon, Rec. CE, tables, 1166: Eine Gemeinde wird zum Schadensersatz verurteilt, falls sie es unterläßt, ein Totendenkmal auf eigene Kosten neu zu errichten. Hierzu Paillet 1996, S. 254, 255. 16 Commission for Local Administration in England, Guidance on Good Practice: Remedies, (London, September 1997, Revised March) 2003, Rn. 15: „Consideration should always be given to whether there is some practical action which would provide all or part of a suitable remedy. This may be appropriate, in particular, when the injustice stems from failure to take some specific action. So, for example, the action required might be to: issue a final statement of special educational needs where that has not yet been done; take action to make the provision specified in a statement of special educational needs; effect the necessary repairs to a complainant’s council house; offer a tenant a transfer of accommodation; or assess entitlement to a benefit (for example, housing benefit) and make any requisite payment.“ 17 Ossenbühl, StHR 1998, S. 265 f. 18 Der BGH erkannte auch in der Leistung vertretbarer Sachen (Briketts) eine mögliche amtshaftungsrechtliche Rechtsfolge: BGHZ 5, 102, 104. 19 BGHZ 6, 270, 295. 20 Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 211 ff.

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5. Teil: Mitverschulden und Schadenshöhe

jektiven Rechts gerichtet ist. Er gewährt einen Geldausgleich, wenn der Folgenbeseitigungsanspruch wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit den status quo ante nicht wiederherstellen kann oder nur durch Geld einem Mitverschulden des Betroffenen Rechnung getragen werden kann.21 Im französischen Recht gilt das Prinzip der Totalreparation, das im Zivilrecht einen negativen und einen positiven Aspekt hat, nämlich die Reparation dürfe nicht von der Schadensintensität abhängig sein und sie dürfe nichts als den erlittenen Schaden reparieren. Mit dem ersten Aspekt dieses Prinzips gehen die Verwaltungsgerichte ziemlich frei um, den zweiten Aspekt beachten sie am strengsten. Dies hängt mit der generellen Anwendung des Grundsatzes „les personnes morales de droit public ne peuvent jamais être condamnées à payer une somme qu’elles ne doivent pas“. Dieser Grundsatz führt zu minutiösen Einschätzungen des Schadens und zur häufigen Statuierung kleiner Pauschalbeträge („réparation forfaitaire“).22 Aus angelsächsischer (und kritischer) Sicht scheint hierin der wichtigste Grund für die Funktionsfähigkeit des französischen Staatshaftungsrechts zu liegen.23 Unterschiede zwischen den untersuchten Rechtsordnungen gibt es im Bereich der Enteignungsentschädigung. Im Gegensatz zur deutschen Enteignungsentschädigung (Art. 14 Abs. 3 GG) ist der Entschädigungsanspruch nach französischem Recht als ein echter Schadensersatzanspruch ausgestaltet.24 Es wird die Gesamtheit des direkten, materiellen und sicheren Schadens, der durch die Enteignung verursacht worden ist, ersetzt.25 Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen der Haftung der öffentlichen Gewalt für „faute“. Lediglich der Ersatz von immateriellen Schäden ist ausgeschlossen. Im englischen Recht ist die Bemessung der Entschädigung in den Land Compensation Acts 1961 und 1973 und im Planning and Compensation Act 1991 geregelt. Ersetzt wird nach section 5 des Land Compensation Act 1961 der Marktwert des Rechts am Grundstück, den es im Zeitpunkt der Wertfeststellung oder der Besitzergreifung durch die Erwerbsbehörde hat. Es wird nach der „no scheme rule“ („Pointe 21 „Ausgleichsanpsruch als Teil des Anspruchs auf Folgenbeseitigung“. Hierzu BVerwG, NJW 1989, 2484, 2485, 2486; BVerwGE 94, 100, 103, 117; von und zu Franckenstein, Der Folgenentschädigungsanspruch – in der verwaltungsgerichtlichen Praxis nur noch eine Frage der Zeit? NVwZ 1999, 158 (159). 22 Deguergue 1994, S. 432. 23 Was wiederum vom Standpunkt einer Kritik an der zurückhaltenden Haltung englischer Gerichte gegenüber der Haftung von „public bodies“ her bezweifelt wird: Markesinis u. a., Tortious Liability of Statutory Bodies: A Comparative and Economic Analysis of Five English Cases, 1999, S. 109, 110. 24 Art. 545 Code civil spricht von „indemnité“: „Nul ne peut être contraint de céder sa propriété, si ce n’est pour cause d’utilité publique, et moyennant une juste et préalable indemnité.“ 25 Art. 11 der Ord. v. 23.12.1958: „Les indemnités allouées doivent couvrir l’intégralité du préjudice direct, matériel et certain, causé par l’expropriation“.

B. Schadenshöhe

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Gourde-rule“)26 unter Abstraktion des positiven und negativen Einflusses des Enteignungsprojekts der planerisch unbelastete Marktpreis des Grundstücks gezahlt. Die Enteignungsentschädigung wird nach hypothetischen Faktoren („the no-scheme world“) berechnet.27 In die Enteignungsentschädigung werden auch Kosten eingestellt, die nicht direkt grundstücksbezogen sind. Eine Besonderheit des englischen Enteignungsrechts liegt darin, daß die für die Bemessung der Enteignungsentschädigung auf der Basis des Marktwertes maßgebliche Grundstücksqualität dem Inhalt der Bauleitplanung nicht entnommen werden kann. Dies hängt damit zusammen, daß es keine rechtliche Bindung der Bodennutzungskontrolle an den Inhalt der städtebaulichen Pläne gibt. Der Entwicklungswert („development value“)28 einer Fläche hängt von der Nachfrage auf dem Markt und von dem Vorhandensein einer „planning permission“ bzw. von der Annahme, daß eine solche gewährt würde, falls die Enteignung nicht erfolgen sollte. Hilfreich sind hierbei gesetzliche Vermutungen („statutory assumptions as to planning permission“) sowie die Ausstellung einer Bescheinigung („certification of appropriate alternative development“), in der die hypothetischen vernünftigerweise zulässigen Nutzungen angegeben werden.29 Abgesehen von den Rekonstruktionsschwierigkeiten problematisch ist die Vereinbarkeit der „no scheme rule“ mit dem Gleichheitsgebot (Art. 14 EMRK), da die nicht enteigneten Nachbarn in ähnlicher Lage von Werterhöhungen ihrer Grundstücke aufgrund des Infrastrukturprojekts durchaus profitieren dürfen.30 Neben der grundstücksbezogenen Entschädigung kann noch Kompensation für „disturbance“ und „consequential loss“ gewährt werden. Während „disturbance“ den nicht grundstücksbezogenen Schaden31 zum Ausdruck bringt, werden unter „consequential loss“ Schäden erfaßt, die in einem entfernteren Zusammenhang mit der Enteignung stehen. Der Ersatzanspruch für „disturbance“ wurde von der Rechtspre26 Nach der Entscheidung Pointe Gourde Quarrying and Transport Co v. Sub-Intendent of Crown Lands [1947] AC 565 PC, 572, per Lord MacDermott. Siehe ferner Melwood Units Pty Ltd v. Commissioner of Main Roads [1979] AC 426; Rugby Joint Water Board v. Shaw Fox [1973] AC 202, 214–215. 27 Fletcher Estates v. Secretary of State [2000] 2 AC 307, 315 per Lord Hope. Zur Geschichte siehe „Appendixe 5 – The No Scheme Rule – History“ in LawCom, Consultation Paper no 165. 28 In Art. 55 Abs. 1 TCPA ist der Begriff „development“ definiert als die Durchführung von Bau-, Erd-, Berg- oder sonstiger Arbeiten in, auf, über oder unter dem Boden oder die Verwirklichung jeder wesentlichen Nutzungsänderung von Gebäuden oder vom Land; Heap, An Outline of Planning Law, 1996, S. 115 ff. 29 Art. 17 des Land Compensation Act 1961. Siehe ferner die Art. 14 Abs. 5–7 und Art. 15 desselben Gesetzes. Hierzu Davies, Law of Compulsory Purchase and Compensation, 1984, S. 156 ff.; 160 ff. 30 Zur Kritik Waters v. Welsh Development Agency, [2003] 4 All ER 384, para 116 und LawCom no 286, paras 7-1 bis 7-44. 31 Vgl. die Formulierung in section 5 (6) Land Compensation Act 1961: „The provision of rule (2) shall not affect the assesment of compensation for disturbance or any other matter not directly based on the value of land“.

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5. Teil: Mitverschulden und Schadenshöhe

chung entwickelt. Hierzu gehören die Minderung des „good will“, Umzugskosten, Kosten zum Erwerb eines Grundstücks, steuerliche Nachteile, Kosten der Rechtsberatung und Rechtsverfolgung oder Umsatzverluste eines Betriebs.32 Bei teilweiser Grundstücksenteignung wird dem Eigentümer (aber auch dem dinglich Berechtigten oder dem Pächter und Mieter, wenn der Vertrag länger als ein Jahr besteht) nach englischem Recht Entschädigung für die auf dem ihm verbleibenden Grundstücksrest entstandenen Nachteile gewährt. Wenn der Grundstücksrest durch die Teilung an Wert verliert, handelt es sich um „severance“, die einen Sonderfall von „injurious affection“ darstellt.33 Der erlittene Nachteil muß in einer Beeiträchtigung für das Grundstück und nicht lediglich in einem persönlichen Nachteil bestehen. Eine „injurious affection“ kann es aber auch ohne gleichzeitige Einbuße von Land geben. Eine Entschädigung wegen „injurious affection“ bekommt etwa der Grundstückseigentümer, der durch die Enteignungsmaßnahmen keinen Verlust im Bestand seines Grundbesitzes erlitten hat, sein Grundstück aber durch Maßnahmen an Wert verliert, die von dem enteigneten Land eines anderen ausgehen. Es spielt nun – seit section 44 (1) Land Compensation Act 197334 keine Rolle mehr, ob bei der ersten Alternative die Beeinträchtigung genau von dem enteigneten Stück Land ausgeht. „Leading case“ dieser Alternative ist die Teilenteignung eines Grundstücks zum Bau einer öffentlichen Straße (des „Victoria Embankment“) entlang der Ufer der Themse an Westminster. Der Eigentümer wurde nicht nur für den enteigneten Landstreifen („severance“), sondern auch für die Wertminderung des Grundstücksrests entschädigt, welche die „nuisance“ durch Staub, Lärm und „loss of privacy“ berücksichtigte. Über den deliktsrechtlichen Anspruch wegen „private nuisance“ wurde hier insofern hinausgegangen, als auch „loss of privacy“ im Rahmen der Grundstücksentwertung für ersatzfähig gehalten wurde.35 Die Entwertungsbemessung beschränkt sich nicht auf die bereits erfolgten Beeinträchtigungen, sondern bezieht auch die künftige legalisierte Störung insofern mit ein, als der Markt sie in der Form der Minderung der „existing use value“ antizipie32 „Losses in goodwill, profits and stock, removal costs, adaptation of premises and chattels, professional fees, the incidence of tax“: Davies 1984, S. 202–211. 33 Um „severance“ ging es etwa in Palmer and Harvey Ltd v. Ipswich Corpn (1953) 4 P & CR 5; Pepys v. London Transport Executive [1975] 1 All ER 748 = [1975] 1 W.L.R. 234. 34 Sec 44 Land Compensation Act 1973 hat die Entscheidung Edwards v. Minister of Transport [1964] 2 Q.B. 134 aufgehoben, wonach Entschädigung für eine „injurious affection“, die vom Bau einer Straße ausging, nur insofern gezahlt werden mußte, als die Störung gerade von dem Straßenstück ausging, das dem Gestörten enteignet wurde. Sec 44 (1) sieht nun vor: „Where land is acquired or taken from any person for the purpose of works which are to be situated partly on that land and partly elsewhere, compensation for injurious affection of land retained by that person shall be assessed by reference to the whole of the works and not only the part situated on the land acquired or taken from him.“. 35 Duke of Buccleuch v. Metropolitan Board of Works (1872) L.R. 5 H.L. 418.

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ren kann.36 Ähnliches gilt für die Minderung der „development value“, also die Entwertung von verbliebenem Baugelände.37 Die zweite Alternative der Entschädigung für „injurious affection“ betrifft zwar Nutzungsbeschränkungen, die historisch mit der Durchführung öffentlicher Maßnahmen auf einem enteigneten fremden Landstück zusammenhängen, sie geht aber über diesen Bezug zu Enteignung hinaus. Es handelt sich um die Ersatzfähigkeit der von „public works“ ausgehenden Nachteile, die unter die Rubrik der Nutzungsbeschränkung des Eigentums fallen.

III. Materielle und immaterielle Schäden Ausgleich für Schäden an immateriellen Rechtsgütern wie Leben, Gesundheit, Freiheit oder Persönlichkeit38. Neben dem Amtshaftungsanspruch gewährt das StHG-DDR, das in § 3 Abs. 2 auf die „zivilrechtlichen Vorschriften“, d. h. nunmehr §§ 249 ff. und 847 BGB, verweist, einen Geldanspruch für immaterielle Nachteile. Einige Normen des Polizei- und Ordnungsrechts der Länder sehen bei Gesundheitseeinträchtigungen, Körperverletzungen und Freiheitsentziehungen, nicht jedoch Ehrverletzungen ebenfalls einen Ausgleich für immaterielle Schäden vor (z. B. § 69 Abs. 2 ThürPAG). Die Rechtsprechung lehnt beim Aufopferungsanspruch, mit dem Aufopferungsverluste von immateriellen Rechten entschädigt werden, Schmerzensgeld ab, obwohl dies von Literaturstimmen gefordert wird.39 Das französische Recht unterscheidet wirtschaftliche Schäden („préjudice économique“), Körperverletzungen („préjudice corporel“) und immateriellen Schaden („préjudice moral“). Die wirtschaftlichen Schäden sind Vermögensschäden, welche die Beschädigung oder die Minderung bzw. den Verlust des (Nutzungs-)Wertes einer Sache betreffen. Sie erfassen ferner den Verlust eines Einkommens („perte d’un revenu“) oder Mehraufwendungen („surcroit de dépences“).40 Die „préjudices corporels“ erfassen zunächst Entschädigungsansprüche für Körperversehrtheit und Körperschmerzen („souffrances physiques“). Heute wird ein Ausgleich für „souffrances physiques“ unabhängig davon zuerkannt, ob die Schmerzen außergewöhnlich („caractère exceptionnel“) sind. Sie müssen lediglich geeignet sein, die Haftung auszulösen („de nature à ouvrir droit à réparation“). Zu den „préjudices corporels“ gehören ferner Störungen der Existenzbedingungen („troubles apportés aux conditions d’existence“)41. Es 36

Sisters of Charity of Rockingham v. R [1922] 2 A.C. 315. Cowper Essex v. Acton Local Board [1889] 14 A.C. 153. 38 Zur Haftungsrelevanz des Persönlichkeitsrechts s. BGHZ 78, 274, 279 f. 39 Ossenbühl, StHG 1998, S. 139 ff. m. w. N. 40 Paillet 1996, S. 213 ff. 41 CE, 12.05.1986, Fritel, RDP 1987. 255, obs. R. Drago, D. 1987. Somm. 111, obs. F. Moderne/P. Bon, Rec., table, 713: Notwendigkeit, im Anschluß an die Annul37

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5. Teil: Mitverschulden und Schadenshöhe

handelt sich um eine Sammelkategorie, die verschiedenartige Schadenstypen umfaßt. Vor allem für die Verbindung von physiologischen und psychologischen Störungen, die der Zivilrichter mit dem Schadenstyp der entgangenen Lebensfreude („préjudice d’agrément“) bezeichnet, ist eine Entschädigung für Störung der Existenzbedingungen von Bedeutung. Denn sie ermöglicht die Berücksichtigung von Schäden, die an der Grenze körperlicher und immaterieller Beeinträchtigungen liegen. Dies schließt Doppelzuordnungen, wie im Falle des erlittenen bestimmten Schönheitsverlustes („préjudice esthétique“) nicht aus.42 Der Schadenstypus von „préjudice moral“ (immaterieller Schaden) ist von der „douleur morale“ oder „pretium affectionis“ (psychischer Schmerz) zu unterscheiden. Letzterer ist lediglich ein Aspekt des ersten. Der immaterieller Schaden erfaßt neben den psychischen Schmerzen auch immaterielle Schäden anderer Art („préjudices moraux non affectifs“). Das „pretium affectionis“ betrifft vor allem die Entschädigung der Angehörigen eines Getöteten für die ihnen zugefügte Trauer oder die Angehörigen eines Schwerverletzten für die durchlittene Sorge. Die immateriellen Schäden anderer Art weisen eine große Vielfalt auf und erfassen vor allem die Verletzung von immateriellen Grundrechten, das Persönlichkeitsrecht, das Namensrecht, das Recht auf Ehre, das Recht auf Leben, aber auch die geistige Urheberschaft sowie die immateriellen Interessen, die von Verbänden vertreten und verfolgt werden. Bei Grundrechtsverletzungen wird ein immaterieller Schaden grundsätzlich anerkannt. Das ist der Fall bei Eingriffen in die Religionsfreiheit, die Pressefreiheit, die Freizügigkeit oder die individuelle Freiheit. Zu den Ehrverletzungen und Rufschädigungen gibt es eine schon ältere Rechtsprechung.43 Verhältnismäßig leicht wird schließlich „réparation“ für die immateriellen Schäden, die ein Verband wegen Verletzung des immateriellen Interesses erlitten hat, dem er seine Gründung und Daseinsberechtigung gerade verdankt. Das betrifft vor allem Umweltschutzorganisationen, die den Ersatz des immateriellen Schadens beantragen können44, den sie wegen des Fortbestands rechtswidriger Umweltbelastungen erleiden.45 Nach Auffassung des Conseil d’Etat zeichnet sich die Entschädigung des immateriellen Schadens notwendigerweise durch einen Pauschalcharakter aus („indemnité forfaitaire“). Früher wurde in diesen Fällen ein „symbolischer Franc“ entrichtet. Nunmehr wird ein (bescheidener) Geldbetrag ausgezahlt.46 lierung eines Auswahlverfahrens ein zweites Wettbewerbsverfahren vorzubereiten, wird als „troubles dans les conditions d’existence“ angesehen. 42 Paillet 1996, S. 215 ff. 43 Siehe z. B. zur „atteinte à la réputation“: CE, 13.05.1987, Zembra, Rec., table, 936; CE, 10.02.1993, Min. Solidarité nationale c/Wagner, Dr. adm. 1993, no 187, D. 1994, somm. 68, obs. P. Bon/Ph. Terneyre, Rec. CE, table, 1027; CAA Paris, 25.03.1993, min. Education nationale c/Soler et autres, Rec. CE, table, 1033. 44 CAA Paris, 29.12.1992, Assoc. De défence de la qualité de la vie à Boudey et autres, Rec. CE, table, 1306. 45 Paillet 1996, S. 218 ff.

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Das englische Recht ersetzt vor allem im Fall des „tort of negligence“ den reinen Vermögensschaden („pure economic loss“) ausnahmsweise, soweit er mit der Verursachung von Körperverletzungen oder Sachschäden in Verbindung („physical damage to the plaintiffs person or property“) steht.47 Allerdings haben die Gerichte im Bereich der unionsrechtlichen Mitgliedstaatshaftung (auch) den durch den „serious breach“ des Unionsrechts verursachten Vermögensschaden ohne Probleme gemäß den Erfordernissen des EuGH ersetzt.48 Unter dem Einfluß des EGMR dürfte diese Tendenz noch bestätigt werden. Immaterielle Schäden sind, solange sie mit körperlichen Schäden oder Sachschäden zusammenhängen, durch das „tort law“ gedeckt.49 Insbesondere können immaterielle Schäden mit Hilfe des „tort of false imprisonment“ zwanglos erfaßt werden. Nach der Abschaffung der Schadensrubrik „loss of society“50 wird der Schadenstypus „bereavement“ (Schmerzensgeld an Hinterbliebene) als annäherndes verfügbares Pendant zum vom EGMR ersetzten Schadenstypus „loss of relationship“ angegeben.51 „Aggravated damages“ können ebenfalls zum Ersatz immaterieller Schäden herangezogen werden.52 Unabhängig vom Einfluß des EGMR tendiert schon das House of Lords dazu, die Ersatzfähigkeit von „psychological damage“ anzunehmen.53 Die Einführung der grundsätzlichen Ersatzfähigkeit des immateriellen Schadens unter dem Einfluß des EGMR und des HRA 1998 wird höchstwahrscheinlich zu keiner übermäßigen Haftungserweiterung54 führen, da schon die public law ombudsmen „distress“ (ein Sammelbegriff für „stress“, „anxiety“, „frustration“, „incovenience“ u. dgl.) ersetzen.

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CE, 18.1.1980, Syndicat CFDT des P et T du Haut-Rhin, Rec. 30. Siehe Murphy c. Brentwood District Council [1991] 1 A.C. 398. 48 R v. Secretary of the State for Transport ex p. Factortame (No. 5) [1999] 3 W.L.R. 1062, 1081: per Lord Hoffmann: „Justice requires that the wrong should be made good.“ 49 McGregor, On Damages, 16. Aufl. 1997, Rn. 90. 50 Administration of Justice Act 1982, section 52 und Law Reform (Miscellaneous Provisions) Act 1970, sections 4 u. 5. McGregor on Damages 1997, Rn. 91. 51 Fatat Accidents Act 1976, section 1A. Law Com. No 266 Scot Law Com. No 180 2000, S. 66, Rn. 4. 64. 52 Law Com. No 266 Scot Law Com. No 180 2000, S. 69, Rn. 4. 70. 53 Es ist im Voraus auf section 35 (5) Supreme Court Act 1981 hinzuweisen, wonach „,personal injuries‘ includes any disease and any impairment of a person’s physical or mental conditions.“ In der Entscheidung Phelps v. Hillington L.B.C. [2000] 3 W.L.R. 776, 801 hat Lord Slynn unter Zugrundelegung dieser Vorschrift für die Ersatzfähigkeit von „psychological damage“ plädiert: „psychological damage and a failure to diagnose a congenital condition and to take appropriate action as a result of which a child’s level of achievement is reduced (. . .) may constitute damage for the purpose of a claim.“ Vgl. auch die rechtsvergleichende Studie von Janssens, Nervous Shock Liability, European Review of Private Law 1998, 77. 54 Leigh/Lustgarten, Making Rights Real: The Courts, Remedies and the Human Rights Act, CLJ 1999, 509, 529. 47

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5. Teil: Mitverschulden und Schadenshöhe

Der EuGH ersetzt den immateriellen Schaden.55 In allen Fällen erfolgt die Schätzung des Schadens nach Gesichtspunkten der Billigkeit oder nach billigem Ermessen.56 Es wird etwa berücksichtigt, daß die Klägerin an einem zukünftigen Beförderungsverfahren teilnehmen werden können, das diesmal ordnungsgemäß sein wird.57 Neben der Berücksichtigung der Dauer der Ungewißheit, in der sich der Kläger befand, ist auch zu prüfen, ob seine besondere Situation durch andere „erschwerende Umstände“ gekennzeichnet war.58 Berücksichtigt wird ferner, daß schon die im Tenor des vorliegenden Urteils ausdrücklich getroffene Feststellung, daß sich die Kommission gegenüber dem Kläger eines Amtsfehlers schuldig gemacht hat, eine Form der Wiedergutmachung darstellt, zumal der Tenor des vorliegenden Urteils unmittelbar nach seiner Verkündung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wird. Wird die Ehre des Klägers bis zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung in der Öffentlichkeit nicht eindeutig wiederhergestellt sein, ist ihm „billigerweise“ ein Geldbetrag „als angemessene Entschädigung zusätzlich zu der Veröffentlichung zuzusprechen“.59 Die Zuerkennung eines symbolischen Schadensersatzes wird oft als angemessene Genugtuung angesehen. Das Unionsorgan wird dann verurteilt, an den Geschädigten zum Ersatz des diesem entstandenen immateriellen Schadens „den einer europäischen Rechnungseinheit entsprechenden Betrag zu zahlen“.60 Die Parallele zum EGMR liegt auf der Hand. Das vom EGMR verlangte Erfordernis der Angemessenheit der Enteignungsentschädigung macht schließlich den Ersatz immateriellen Schadens auch in diesem Bereich relevant. Zunächst darf die Entschädigung nicht mit unangemessener Verzögerung ausgezahlt werden (Art. 6 EMRK).61 Sie muß sodann dem Wert des enteigneten Gutes angemessen sein. Dies gilt insbesondere, wenn das entzogene Gut ein „Werkzeug“ („outil de travail“) darstellt, dessen Entzug zum Abbruch der Berufstätigkeit des Enteignungseigentümers führt. Dem kann die vom Code d’expropriation vorgesehene Entschädigungsmöglichkeit für die Ausgaben, die zum Zweck der Naturalrestitution des Vermögens des Enteignungsbetroffenen durch den Erwerb anderer Güter getätigt werden („indemnité de remploi“)62, nicht gerecht werden. Bei diesem durch die Enteignung verursachten Abbruch der beruflichen Tätigkeit ist gemäß Art. 41 EGMR sogar der 55 EuGH, Rs. 7-56 u. 3-57 bis 7-57, Algera, Slg. 1957, 85, 135; Rs. 61–76, Geist, Slg. 1977, 1419, Rn. 48 bis 50; verb. Rs. 10 und 47–72, DiPillo, Slg. 1973, 763, Rn. 23 bis 25; Rs. 75–77, Mollet, Slg. 1978, 897, Rn. 27 bis 29; Rs. 152–77, Fräulein B., Slg. 1979, 2819, Rn. 1; verb. Rs. 69/83 u. 136/84, Leussink, Sgl. 1986, 2801, Rn. 6. 56 EuGH, verb. Rs. 172/82, 157/83 u. 186/84, Castille, Slg. 1986, 497, Rn. 37. 57 EuGH, Rs. 24–79, Oberthür, Slg. 1980, 1743, Rn. 15. 58 EuGH, Rs. C-259/96 P, Rat/Lieve de Nil und Christiane Impens, Slg. 1998 I2915, Rn. 25. 59 EuGH, Carona, Rn. 107. 60 EuGH, Rs. 18–78, Frau V., Slg. 1979, 2093, Rn. 19. 61 EGMR, Gillemin v. France, 21.02.1997, No 19632/92, 1997-I.

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immaterielle Schaden zu ersetzen.63 Diese Rechtsprechung könnte den Grundsatz des französischen Expropriationsrechts in Frage stellen, dem zufolge lediglich „bestimmte, materielle und direkte“ Schäden ersatzfähig sind. Denn sie macht deutlich, daß es bei der Enteignung neben dem Eigentum auch andere „Güter“ beeinträchtigt werden und eigentlich neben dem Substanzverlust ersatzpflichtig sein sollten. Immaterielle Güter wie „patrimonialité“, „autochtonéité“, „le foncier comme identité sociale“64 oder „local ties“ müßten prinzipiell bei der Enteignungentschädigung berücksichtigt werden, wenn auch die genaue Grenze nur durch die Rechtsprechung zu ziehen sein wird. Jedenfalls gehören diese Güter zu dem, was der Enteignete aufopfert. Es wäre hier an die englische Problematik von „consequential loss“ („disturbance“) und die deutsche Trennung von Enteignungsentschädigung und Folgenentschädigung anzuknüpfen.65

IV. Chancen Der Ersatz entgangener Chancen ist ein Kausalitätsproblem, das der EGMR aufgrund einer Mischung aus Billigkeitsüberlegungen und hypothetischem Wahrscheinlichkeitskalkül zugunsten des Geschädigten mit Blick auch auf seine Mitverantwortung löst. Vom EuGH werden Schadensersatzklagen abgewiesen, soweit sie auf den Ersatz entgangener Gewinne aus Geschäften gerichtet sind, die nie begonnen wurden bzw. nur auf Mutmaßungen beruhen.66 Der entgangene Gewinn ist soweit wie möglich auf der Grundlage der individuellen Daten und Zahlen zu ersetzen, die die tatsächliche Lage des jeweiligen Klägers und seines Betriebes widerspiegeln.67 Er wird ersetzt68, soweit sich der Schutz, den der Geschädigte wegen seines berechtigten Vertrauens beanspruchen kann, 62 Art. R. 13–46 C. expr.: „L’indemnité de remploi est calculée compte tenu des frais de tous ordres normalement exposés pour l’acquisition de biens de même nature moyennant un prix égal au montant de l’indemnité principale. (. . .)“. 63 EGMR, Lallement v. France, 11.04.2002, Nr. 46044/99, § 31. 64 Cavaillé, L’expérience de l’expropriation, 1999 S. 51 ff., 77 ff. Immaterielle Schäden werden aber durch das französische Enteignungsrecht nicht ersetzt. 65 Siehe Ossenbühl, StHR 1998, S. 210 und Wildtree Hotels Ltd v. Harrow LBC [2001] 2 AC 1, 8B, per Lord Hoffmann, der den wirtschaftspolitischen Charakter der Option für „full compensation“ betont und ihr das auf das 19. Jh. zurückgehende Dogma gegenüberstellt „that the public interest required that liability should be kept within narrow bounds“. 66 EuG, Rs. T-571/93, Lefebvre frères et soeurs u. a./Kommission, Slg. 1995, II2379 Rn. 84. 67 Auf dieser Grundlage können verschiedene Klägergruppen differenziert werden: siehe hierzu bereits EuGH, verb. Rs. 5, 7 u. 13 bis 24–66 Firma E. Kampffmeyer und 13 andere Kläger/Kommission, Slg. 1967, 354, 357 ff.; siehe ferner EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, vom 27.1.2000, Mulder/Rat und Kommission, Rn. 63. 68 EuGH, verb. Rs. C-104/89 u. 37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 4.

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ebenfalls auf diesen Schaden erstreckt.69 Sind die Einkünfte, die der Kläger bei gewöhnlichem Lauf der Dinge (etwa aus Milchlieferungen) erzielt hätte, Einkünfte hypothetischer Art, so können sie ihrem Wesen nach durch den Rückgriff auf statistische Werte ermittelt werden, die einem repräsentativem Betrieb der Art entsprechen, wie ihn der Kläger besitzt.70 Auch der Schaden wegen entgangenen Gewinns muß tatsächlich und bestimmt sein. Daher kann sich der Bieter im Rahmen eines Systems öffentlicher Ausschreibungen, in dem der Auftraggeber bei der Erteilung eines Auftrags über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügt, selbst dann nicht sicher sein, den Zuschlag zu erhalten, wenn er vom Bewertungsausschuß vorgeschlagen worden ist.71 Erst recht kann sich der Bieter nicht sicher sein, den Zuschlag nur deshalb zu erhalten, weil er sein Angebot eingereicht oder ein Interesse geäußert hat. In solchen Fällen kann der Zuschlag kein entgangener Gewinn sein.72 Die „public law ombudsmen“ gewähren billigen Ausgleich für „a lost opportunity“.73 Im französischen Zivilrecht wurde das begriffliche Instrument der „perte de chances“ Mitte des 19. Jahrhunderts dazu benutzt, die Gewißheit des Schadens („préjudice certain“) zu bestimmen und auch diejenigen Schäden zu ersetzen, die durch ein Risiko- und Wahrscheinlichkeitselement gekennzeichnet sind. Die Wahrscheinlichkeit kann sich auf die Erzielung eines Vorteils oder auf die Aufrechterhaltung des status quo beziehen.74 Der Conseil d’Etat übernahm den Begriff zunächst in beamtenrechtlichen Entscheidungen („contentieux de la Fonction Publique“), die wiederum auf die zivilrechtliche Rechtsprechung hinsichtlich der Ersatzfähigkeit der entgangenen Laufbahnchancen freiberuflich tätiger Personen zurückwirkte.75 Ersetzt wurden entgangene Chancen in einem zweiten Schritt und in einer parallelen Entwicklung zur Rechtsprechung der 69

EuGH, CNTA, Rn. 45, 46. EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, vom 27.1.2000, Mulder/Rat und Kommission, Rn. 65–66. 71 EuG, Rs. T-13/96, TEAM/Kommission, Slg. 1998, II-4073, Rn. 76. 72 EuG, Rs. T-231/97, vom 7.9.1999, New Europe Consulting und Brown/Kommission, Rn. 50–52. 73 Commission for Local Administration in England, Guidance on Good Practice: Remedies, (London, September 1997, Revised March) 2003, Rn. 38: „Compensation for a lost opportunity may sometimes be a fairly small sum, because it is only the loss of the opportunity which is certain and the actual outcome which would have occurred cannot be known. In other cases it may be reasonably certain what the outcome would have been, and that it would have been beneficial to the complainant. Compensation could then have regard to the effect of that outcome. Conversely, if it is reasonably certain that the outcome would not have been of benefit to the complainant, then no injustice resulted and it would not be appropriate to consider financial compensation in that case.“ 74 Viney/Jourdain, Traité de droit civil. Les condititions de la responsabilité, 1998, S. 67 f., Rn. 276 ff. 75 Entschädigt wurde etwa für entgangene Beförderungschancen eines Beamten: CE, 03.08.1928, Bacon, Rec. 1035. 70

B. Schadenshöhe

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Cour de Cassation auch im Bereich des Wirtschaftsrechts76 und des Arztrechts77. Das französische Deliktsrecht gewährt nunmehr auch für die entgangene (wegen unterlassener Blutabnahme und -analyse) Chance, in gesundem Zustand geboren zu werden78, Ersatz. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit nimmt das Konzept der „perte de chances“ mehrere Funktionen wahr: Es stellt keine besondere Schadensart dar. Neben der Bestimmung der Graduierung der Gewißheit des Schadens dient es auch als Indiz für den vorhandenen oder fehlenden Kausalzusammenhang.79 Ferner ist der Ersatz entgangener Chancen nicht unabhängig von den Entscheidungsspielräumen der Verwaltung in Bereichen wie das Beamtenrecht, die Gewährung von Einfuhrgenehmigungen („licences d’importation“) sowie im Bereich von Auftragsvergabeverfahren.80 Schließlich wird die durch die „perte de chances“ erfolgende Schadensbestimmung in der Begründetheit der Staatshaftungsklage geprüft und entspricht der Bestimmung des „intérêt à agir“ im Aufhebungsverfahren, das ebenfalls (wie der Schaden) „direct“ und „certain“ sein muß, aber im Zulässigkeitsstadium geprüft wird. Darüber hinaus kommt es nur im Bereich der Haftung für „faute“ in Betracht. Im Bereich der Staatshaftung „sans faute“ kommt es in der Tat auf die „anormalité“ und „spécialité“ des Schadens an. Beide Merkmale betreffen die Existenz und sogar die „Graduierung“ der Existenz des Schadens, was eine zusätzliche Berücksichtigung der „perte de chances“ entbehrlich macht.81 Entgangene Chancen werden im englischen und französischen Recht eigenständig auf der Rechtsfolgenseite oder im Zusammenhang mit dem Kausalzusammenhang behandelt. Demgegenüber werden sie im deutschen Recht im Zusammenhang mit der Inhaltsbestimmung der eigentumsgeschützten Rechtsposition, des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ bzw. der „erwerbsfähigen Funktionseinheit“ thematisiert82 und müssen dem Schutzbereich von Art. 12 GG oder Art. 14 GG zugeordnet werden. 76

CE, 05.04.1957, Entreprise Chemin, Rec. 244. Seit der 60er Jahre: CE, 24.04.1964, Hopital-Hospice de Voiron, Rec. 259. Für die Cour de Cassation s. Civ. 1ère, 14.12.1965, JCP 1966. II. 14753, note R. Savatier. 78 Cass. civ. 1ère, 16.07.1991, Bull. civ. 1991. I. 248. 79 Diese Indizwirkung fällt besonders im öffentlich-rechtlichen Arztrecht auf, wo der Schaden feststeht, aber der Kausalzusammenhang ungewiß bzw. die Ursache unbekannt ist. 80 Zu diesem Zusammenhang zwischen „perte de chances“ und haftungsrechtlicher Ermessenskontrolle der Verwaltung (parallel zur aufhebungsrechtlichen Kontrolle nach Maßgabe der drei Prüfungsschemata unterschiedlicher Kontrolldichte: „minimum“, „restreint“ und „théorie du bilan“) s. Sallet, La perte de chance dans la jurisprudence administrative relative à la responsabilité de la puissance publique, 1994, S. 34 ff.; CE, 18.11.1988, Ministre de l’Intérieur c/SARL „Les voyages Brounais“ D. 1989. SC. 351, Obs. Moderne/Bon; Rev. Admin. 1989. 32, note P. Terneyre. Hierzu Sallet 1994, S. 35. 81 Sallet, 1994, S. 32, 60 f. 82 Ossenbühl, StHR 1998, S. 161 f. 77

Thesen A. Haftungsgründe und Subsidiarität der Haftung der öffentlichen Gewalt 1. Es ist zwischen Rechtsgrund (ratio) und Auslösungsbedingungen der Haftung der öffentlichen Gewalt zu unterscheiden. Haftungsgründe haben nicht lediglich Darstellungswert. Ihnen kommt insofern normativer Wert zu, als sie einen Bedarf an Schaffung oder Änderung von Tatbeständen zum Ausdruck bringen. 2. Die Gründe für die Haftung der öffentlichen Gewalt nehmen ihren Ursprung in Verbindungsformen der ausgleichenden und austeilenden Gerechtigkeit. Selbst die Wiederherstellung der Schadensfolgen rechtswidrigen Handelns durch Geldausgleich führt neben restitutiven auch distributive Wirkungen herbei. Das Staatshaftungsrecht betrifft nicht nur das Verhältnis des Geschädigten zum Staat, sondern auch sein Verhältnis zu den anderen Geschädigten und zu den anderen Staatsbürgern, die als Steuerzahler die Geldersatzleistungen finanzieren. Die Problematik der eigenständigen Berücksichtigung des Sonderopfers bei Rechtswidrigkeit bringt dieses Doppelverhältnis zum Ausdruck. Effiziente Ressourcenallokation ist ein nützliches Kriterium, an dem die Zweckmäßigkeit der Statuierung oder Änderung von Staatshaftungsregeln gemessen werden kann, soweit die normativen Vorgaben, die aus der Anwendung dieses Kriteriums hervorgehen, einen Bezug zu den verfassungsrechtlichen normativen Vorgaben (etwa Staatsaufgaben und Rechtsschutz) herstellen. 3. Aus der Abwehrfunktion der Grundrechte allein kann keine Haftungsfunktion abgeleitet werden, denn sie drängt die Politisierung der funktional differenzierten sozialen Bereiche zurück und wehrt staatliche Geldersatzleistungen ab, soweit diese entdifferenzierend wirken. Staatshaftung dient einerseits dem Rechtsschutz, indem sie Staatshandeln trotz unvermeidlicher sozialer Spannungen möglich macht. Andererseits mindert sie den Rechtsschutz, indem sie den Widerstand und die Beteiligung von Betroffenen an Verfahren reduziert. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der Abstimmung negatorischen und haftungsrechtlichen Rechtsschutzes. Das Bedürfnis nach Instrumentalisierung der Mitgliedstaatshaftung zur Durchsetzung von Unionsrecht schwindet, soweit direkte Beugemittel gegen die Mitgliedstaaten entwickelt werden. 4. Funktionsbestimmungen sind von Anspruchsgrundlagen zu unterscheiden.

B. Rechtliche Rahmenbedingungen

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5. Die Schadensverteilungsmechanismen von privater Versicherungswirtschaft, Entschädigungsfonds und Sozialrecht ergänzen den Geltungsbereich des Staatshaftungsrechts bzw. bedingen die Subsidiarität von Staatshaftung. Das Angebot Versicherungsschutzes ist markt- und prämienabhängig und begründet keine Subsidiarität. Bei Nichtversicherbarkeit können Entschädigungsfonds und Staatshaftung Haftungslücken schließen. Entschädigungsfonds dürfen die Staatshaftung insofern verdrängen, als übersichtlicher und wirksamer Rechtschutz gewährleistet ist. Unabhängig von Überschneidungen zwischen Staatshaftungsrecht und Sozialrecht ist der Staat für Inklusionsausfälle, welche die Gesellschaft geschehen läßt, nicht verantwortlich. Soweit den Staat Exklusionsvermeidungs-, Inklusionsvermittlungs- oder Exklusionsverwaltungspflichten treffen, kann deren Verletzung wiederum staatshaftungsrelevant sein. 6. Die Gründe für die Subsidiarität der Haftung der öffentlichen Gewalt sind in den nationalen untersuchten Rechtsordnungen zum Teil explizit geregelt. Die Regelungen betreffen das deutsche Verweisungsprivileg und das französische Konzept des „fait du tiers“. Das englische Recht behandelt unter der Rubrik des „alternative relief“ sowohl das Verweisungsprivileg als auch das Verhältnis der Staatshaftung zu Aufhebungsrechtsmitteln (Primärrechtsschutz). Der nicht explizit geregelte Teil der Subsidiaritätsfrage betrifft die Begründung der Haftung der öffentlichen Gewalt bei Unterlassungen, die im deutschen und englischen Recht eine staatliche Schutzpflichtbestimmung voraussetzt. Das französische Recht orientiert sich hierbei genauso wie bei Handlungen am Begriff von „faute“. 7. Schutz von Entscheidungsfreude und Verwaltungsressourcen sowie „Verstaatlichung“ durch Staatshaftung dürfen nicht als Grund für prinzipiellen Haftungsausschluß herangezogen werden, wenn gleichwertiger Schutz durch Erhöhung der Haftungsschwelle erreicht werden kann (Beispiel: Staatshaftung bei fehlsamer Bankenaufsicht). 8. Der Staat darf sich seiner Verantwortung nicht entledigen, indem er seine Aufsichtstätigkeit oder die Durchführung seiner Handlungspflichten auf Private überträgt. Die untersuchten Rechtsordnungen genügen diesem Postulat durch unterschiedliche, funktional äquivalente Methoden, die zweckgebundene und problembezogene Definitionen der öffentlichen Gewalt bieten.

B. Rechtliche Rahmenbedingungen 9. Die Haftung der öffentlichen Gewalt in den untersuchten Rechtsordnungen hängt von rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die ihre Geltung aus der europäischen Rechtsordnung (Unionsrecht und Europäische Menschenrechtskonvention), den normativen Vorgaben der nationalen Verfassungen und dem Staatsorganisationsrecht herleiten.

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Thesen

10. Vorrang der Verfassung, haftungsrechtliche Einrichtungsgarantie (Art. 34 GG) und Grundrechte verleihen dem deutschen Staatshaftungsrecht und allen dogmatischen Rekonstruktionsvorschlägen Verfassungsnähe. Der englische Parlamentssouveränitätsgrundsatz erfordert hingegen, daß selbst bei Verstößen gegen Gesetze eine Haftung für administratives Unrecht nur insofern ausgelöst wird, als eine einschlägige legislative Intention angenommen werden kann. Ferner schließt er eine Haftung für unvermeidbare Schadensfolgen gesetzmäßigen Staatshandelns aus, soweit nicht im Gesetz das Gegenteil vorgesehen ist. Die durch den Human Rights Act von 1998 rezipierte Rechtsprechung des EGMR nimmt nunmehr eine verfassungsrechtliche Funktion wahr. In Frankreich ist der Lastengleichheitsgrundsatz im Bereich der Haftung bei Rechtmäßigkeit zu Verfassungsprinzip erhoben worden. Der Staatsunrechtshaftung ist auch ohne Konstitutionalisierung gelungen, jeden durch administratives Unrecht verursachten bestimmten und direkten Schaden als ersatzfähig anzuerkennen. Sie mußte aber zugleich defizite im Bereich des negatorischen Rechtsschutzes ausgleichen, denen man nunmehr durch Aufwertung und Konstitutionalisierung des vorläufigen Rechtsschutzes, durch eine Bestärkung der Rolle des Conseil Constitutionnel und eine Reform des Verwaltungsprozeßrechts beizukommen versucht. Dieser Asymmetrie zwischen Haftung und Aufhebung verdankt die EMRK ihren verfassungsrechtlichen Status im französischen Recht, wobei Art. 6 EMRK und der konventionsrechtliche Eigentumsschutz drastische Einwirkung entfalten. 11. Das nationale Staatsorganisationsrecht hebt zwar die Eigentümlichkeit der verschiedenen Erscheinungsformen der öffentlichen Gewalt hervor und kann besondere Haftungsbedingungen für Legislative, Judikative, Exekutive oder Staatsanwaltschaft rechtfertigen. Es kann aber keine Haftungsimmunitäten begründen. 12. Die Mitgliedstaatshaftung läßt sich als eine haftungsrechtliche Berufbarkeit des Unionsrechts in wirksamen, vergleichbaren und gleichwertigen innerstaatlichen Verfahren auffassen. Sie stellt neben der Ersetzungs- und der (vorbeugenden) Ausschlußberufbarkeit eine besondere Stufe innerstaatlicher Justitiabilität dar, die von der jeweiligen nationalen Rechtsordnung mit eigenen Bordmitteln juristisch konstruiert wird. Der Haftungsanspruch muß dem Art. 6 Abs. 1 EMRK genügen. Das nationale Verfahren muß in seiner Gesamtheit einschließlich der Rolle der Rechtsmittelinstanz mit Blick auf den unionsrechtlichen Rechtsschutz verhältnismäßig sein. Eine Pflicht zur Berücksichtigung der unionsrechtlichen Rechtslage von Amts wegen ist bei Bestimmungen anzunehmen, deren einheitliche Anwendung für das Funktionieren des Binnenmarktes unerläßlich ist. Verfahrenserfordernisse müssen eine normale Verfahrensweise bei vielen Gerichten darstellen und dem Kläger keine Wettbewerbsnachteile mit Blick auf Haftungskläger in ähnlicher Lage in anderen Mitgliedstaaten zufügen. Negatorischer Rechtsschutz schließt die Mitgliedstaatshaftungsklage insofern aus, als er wirksam ist.

C. Schutzgutbestimmung und Anspruchsgrundlage

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13. Die Rechtsprechung des EGMR zur EMRK setzt Maßstäbe für die haftungsrechtliche Schutzgutbestimmung, den ersatzfähigen Schaden, die Natur und Abstufung der Rechtsfolgen sowie die Konditionierung der Haftung der öffentlichen Gewalt. Nationale Abweichungen von dieser sind begründungsbedürftig.

C. Schutzgutbestimmung und Anspruchsgrundlage 14. Es lassen sich unterschiedliche Schutzgutkonzeptionen feststellen. Das deutsche Staatshaftungsrecht setzt die Verletzung bestimmter Rechte voraus. Das englische Recht knüpft herkömmlich die haftungsrechtliche Reaktion an das Vorliegen eines „tort“ bzw. einer „private law cause of action“ an, wobei allerdings der HRA 1998 allen Verstoß gegen die EMRK nunmehr haftungsrechtlich relevant macht und eine materiell-rechtliche Orientierung mit einführt. Das französische Recht macht die Haftung von Anforderungen an den Schadenscharakter abhängig. Diese Unterschiede bedingen zusammen mit der subjektiv- oder objektiv-rechtlichen Orientierung des Aufhebungsverfahrens den rechtsdogmatischen Zugriff auf das Verhältnis von Aufhebung und Haftung. 15. Mit Rücksicht auf die Judikatur des EGMR und die Gleichrangigkeit aller grundrechtlich geschützten Positionen kommt allen Grundrechten eine schutzgutbestimmende haftungsrechtliche Relevanz zu. Dies gilt unabhängig davon, ob sich in der jeweils tangierten Position ein Vermögenswert widerspiegelt. Hiervon ist die Frage nach der Anspruchsgrundlage abzuschichten. Letzte darf in verschiedener Weise ausgestaltet werden, soweit sie mit Art. 6 und 13 EMRK konform geht. Haftungsausschlüsse müssen in gerichtlichen Verfahren überprüfbar sein. 16. Der EMRK kann keine Notwendigkeit der Haftung bei jeder Grundrechtsverletzung entnommen werden. Die Haftungsentscheidung darf dem EGMR zufolge eine Ermessensentscheidung sein und aufgrund haftungsspezifischer Zurechnungskriterien getroffen werden. Dies ist deshalb zweckmäßig, weil auf diese Weise die Automatik eines Schlusses von der Rechtsverletzung auf die Haftung verhindert wird, dem Gesetzgeber die Möglichkeit überlassen bleibt, für Fonds- und Versicherungslösungen zu optieren, und die Einschränkungen des Haftungsschutzes keine Einschränkung des weiter entwickelten negatorischen Rechtsschutzes nach sich ziehen müssen. Der Schutzzweckgedanke des geltenden Rechts kann und soll bei der konventionsrechtlich geforderten Erweiterung des Schutzgüterkanons diese Funktion übernehmen. Er darf aus diesem Grunde nicht mit dem Schutzbereich des verletzten Grundrechts gleichgesetzt werden. Er soll vielmehr über den grundrechtlichen Schutzbereich hinaus auf Eigenart der jeweiligen Gemeinwohlperspektive und Funktionsschutz abstellen.

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Thesen

17. Begriffe wie „Unmittelbarkeit“ und „Schutzzweck“ im deutschen Recht, „misfeasance“, „duty of care“ und „legislative intention“ im englischen Recht, „faute lourde“ im französischen Recht, „hinreichend qualifiziertes“ Unrecht im Unionsrecht und „just and appropriate“ gemäß section 8 (1) des englischen Human Rights Act 1998 sind spezifisch haftungsrechtliche Zurechnungskriterien, die einem strukturell bedingten Bedürfnis nach distributiven neben den restitutiven Überlegungen im Haftungsrecht nachkommen. Derartige Kriterien dienen ferner im englischen und französischen Recht – anders als im deutschen Recht – der Reduzierung der Kontrolldichte bei Ermessensentscheidungen. Dies gilt auch für die „qualifizierte Rechtswidrigkeit“. Unter Rechtsstaatlichkeitsbedingungen sollten spezifisch haftungsrechtliche Kriterien dazu benutzt werden, die Haftung auch in Fällen zu ermöglichen, in denen der Schutz von Entscheidungsfreudigkeit und Verwaltungsressourcen traditionell eine Haftungsimmunität erforderte (Beispiel: historische Entwicklung der Handhabung von „faute lourde“).

D. Aufhebung und Haftung 18. Die unterschiedliche Ausgestaltung des Verhältnisses des Haftungs- zum Aufhebungsprozeß liegt den konzeptionellen Unterschieden zwischen deutschem, englischem und französischem Staatshaftungsrecht zugrunde. Das deutsche Recht knüpft an das Rechtswidrigkeitsurteil des Aufhebungsrechts an und gewährt Sekundärrechtsschutz, wenn Primärrechtsschutz nicht möglich ist oder nicht ausreicht. Französisches und englisches Recht konstruieren Aufhebung und Haftung separat, indem sie das Staatshaftungsrecht durch eigene Maßstäbe der juristischen Beurteilung des staatlichen Verhaltens gegenüber dem Aufhebungsrecht weitgehend verselbständigen. Die rechtsdogmatische Möglichkeit des Durchkonstruierens eines Anspruchs auf Unterlassung, (Folgen-)Beseitigung und schließlich Kompensation ist weder im englischen noch im französischen und Unionsrecht ein Thema. 19. Im Unionsrecht wird dem französischen Gedanken der Vereitelung von Umgehungsversuchen des Aufhebungsverfahrens Ausdruck verliehen. Im Beamtenrecht hat der Unionsrichter im Rahmen seiner „unbeschränkten Rechtsprechung“ die Möglichkeit, selbst bei Fehlen ordnungsgemäßer Anträge nicht nur aufzuheben, sondern auch von Amts wegen zu Schadensersatz zu verurteilen. Im Geltungsbereich des Art. 288 Abs. 2 EGV steht ihm lediglich die Befugnis zu, die Zahlung von Schadensersatz anzuordnen; er darf keine weiteren Handlungsanweisungen erteilen. Eine Folgenbeseitigungspflicht (Art. 233 EGV) ergibt sich aus Tenor und Gründen des Aufhebungsurteils und läßt sich nicht als Anspruch auf Wiederherstellung der Integrität eines verletzten materiellen subjektiven Rechts darstellen. Aus Art. 233 EGV kann eine Schadensersatzpflicht

E. Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz

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nicht hergeleitet werden, weil damit die Anforderungen des Art. 288 Abs. 2 EGV umgangen werden könnten. 20. Haftungs- und Aufhebungsrecht müssen aufeinander derart abgestimmt werden, daß sie gemeinsam eine Lückenlosigkeit und Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleisten. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Umgehungsverbot des Aufhebungsverfahrens wie im französischen und Unionsrecht, ein institutionalisierter Vorrang des Primärrechtsschutzes wie im deutschen Recht oder eine ad hoc Berücksichtigung alternativer bzw. substitutiver Rechtsmittel formeller bzw. informeller Art dem Verhältnis von Aufhebung und Haftung zugrundegelegt wird. Für das Verhältnis des dezentralen Rechtsschutzes zur Unionshaftung bedeutet dies, daß das institutionelle Zusammenspiel zwischen nationalen und unionalen Instanzen eine Komplementarität zwischen der nationalen Aufhebungs- und Haftungsrechtsmittel und der Unionshaftung gewährleisten soll. Über die gemeinsame Haftung von Union und Mitgliedstaat sollte eine Entscheidungskompetenz des EuGH in Verbindung mit Informations- und Zusammenarbeitspflichten des Mitgliedstaates anerkannt werden. 21. Rechtsverletzungen, insbesondere faktische Enteignungen lassen sich nicht ex post durch Geldersatzleistungen legitimieren, sondern sie sind zu unterlassen. Formelle Enteignungsverfahren und deren Überprüfung müssen institutionelle Verflechtungen oder sachliche und zeitliche Verfahrensbeteiligungseinschränkungen des Betroffenen vermeiden, die gegen Art. 6 EMRK verstößen. Sie müssen ferner auf eine dem Enteignungszweck entsprechende Verwendung des enteigneten Gutes hinauslaufen.

E. Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz 22. Nicht-finale Schäden werden durch anfechtbares oder nicht anfechtbares Staatshandeln verursacht. Der Grund für die Gewährung von Wertschutz bei nicht-finalen Schäden liegt in der Unvorhersehbarkeit und/oder Unvermeidbarkeit der Folgen eines Staatshandelns, das nicht angefochten werden soll (enteignender Eingriff). 23. Auf Unvermeidbarkeit kommt es auch im englischen („inevitability“) und im französischen Recht („dommages permanents“) an. Die mit einem gesetzmäßigen Staatshandeln unvermeidbar verbundenen Schadensfolgen konnten durch das Richterrecht deshalb nicht als ersatzfähig behandelt werden, weil sie unter einen Tort-Tatbestand nicht fielen und vom Parlamentsgrundsatz legitimiert schienen. Ein dem enteignenden Eingriff entsprechender Wertschutz konnte erst gesetzlich eingeführt werden. Das französische Recht hält demgegenüber richterrechtlich entwickelte Tatbestände bereit, die beim Wertschutz im Bereich der „travaux puclics“ das Kriterium der Unvermeidbarkeit unter dem Stichwort der „dommages permanents“ behandeln. Darüber hinaus gewähren die Tatbestände

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Thesen

der Haftung für „risque“ Wertschutz, ohne einen Nachweis von Handlungsunrecht („faute“) und eine Beurteilung der Behördenbetätigung zu erfordern. Der Kläger muß lediglich Kausalität und (nicht nur eigentumsbezogenen) Schaden nachweisen. Schuldlos verursachte nicht-finale Schäden rechtswidrigen Handelns werden mit Hilfe einer Vermutungstechnik und im Wege des Herausnehmens aller subjektiven Elemente aus dem Begriff von „faute“ ersetzt. 24. Der Gesetzgeber muß bei der Formulierung von Gesetzmäßigkeitsbedingungen die Vorhersehbarkeit unerwünschter Nebenfolgen des Verwaltungshandelns berücksichtigen. Beim gerichtlichen Wertschutz nach dem Eingriff sollte es darauf ankommen, daß das Staatshandeln wirklich nur wegen Unvorhersehbarkeit und/oder Unvermeidbarkeit erlaubt worden war. Der Gesetzgeber muß der als einer bloßen Möglichkeit existierenden späteren Rechtsverletzung durch Ausgleichsregelungen, zu denen auch die Geltendmachung eines Übernahmeanspruchs gehören sollte, im voraus Rechnung tragen. Bei Wirtschaftsreformen sind Maßnahmen des schonenden Übergangs und des Vertrauensschutzes zu treffen, die allerdings bei gezielter Eigentumsentziehung bzw. Privatnützigkeitsaufhebung keine Herabsetzung des Rechtsschutzes und somit Umgehung der Junktimklausel darstellen dürfen. 25. Die Spannung zwischen dem Standpunkt ex ante und dem Standpunkt ex post sollte nicht durch die Einführung einer Erfolgsunrechtshaftung aufgehoben werden, die Handlung und Erfolg zu einem einheitlichen Vorgang verschmelzen läßt. Dies käme einer Negation des Postulats der Abstimmung von Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz und einer Verdoppelung des Rechtswidrigkeitsbegriffs gleich. Übrigens würde eine Erfolgsunrechtshaftung an einer inneren Spaltung leiden, da sie neben den Fällen der Verbindung von Handlungs- und Erfolgsunrecht auch die Konstellation der Haftung bei nicht anfechtbarem Handeln betreuen müßte, die ein Sonderopfer und nicht lediglich eine Rechtsverletzung erfordert. Daß die Haftung bei Rechtmäßigkeit beizubehalten und nicht durch eine Erfolgsunrechtshaftung zu ersetzen ist, sieht man auch an der Judikatur des EuGH: Wenn der Grundsatz einer außervertraglichen Unionshaftung für rechtmäßiges Handeln im Unionsrecht anzuerkennen wäre, würde diese dem Gerichtshof zufolge jedenfalls voraussetzen, daß kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich der tatsächliche Eintritt des angeblich entstandenen Schadens, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem den Unionsorganen zur Last gelegten Handeln sowie ein außergewöhnlicher und besonderer Charakter des Schadens.1 26. Nicht-finalen Schäden kommt eine jeweils andere rechtliche Qualität zu, je nachdem, ob sie vorhersehbar oder nicht-vorhersehbar bzw. unvermeidbar 1 Siehe etwa EuGH, Rs. C-237/98P, Dorsch Consult/Rat und Kommission, Slg. 2000, I-4549, Rn. 17 bis 19, und EuG, Rs. T-196/99, Area Cova u. a./Rat und Kommission, Slg. 2001, II-3597, Rn. 171.

G. Mitverschulden

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waren. Ein vorhersehbarer und/oder vermeidbarer Verstoß gegen das Gleichheitsgebot verletzt den Gleichheitssatz als Willkürverbot. In diesem Fall ist der Gleichheitsgedanke von dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentum zu trennen und im Zusammenhang mit Art. 3 GG selbständig zu prüfen. Die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Eigentumsinhaltsbestimmung hat mit dem haftungsrechtlichen Sonderopfer nichts zu tun. Ein nicht-vorhersehbarer und/oder unvermeidbarer Verstoß gegen das Gleichheitsgebot verletzt hingegen den Lastengleichheitsgrundsatz und stellt den Rechtsgrund für die Haftung der öffentlichen Gewalt dar. Letzte bedarf allerdings der besonderen Tatbestandsmerkmale der Spezialität, Intensität, Unmittelbarkeit und Kausalität, um im Einzelfall ausgelöst zu werden. Bei Rechtswidrigkeit kommt das Sonderopfer im Geltungsbereich von Art. 34 Abs. 1 EGKSV und Art. 288 Abs. 2 EGV als zusätzliches haftungseinschränkendes Schadensmerkmal in Betracht.

F. Kausalität 27. Bei der Kausalität geht es in den untersuchten Rechtsordnungen niemals lediglich um ein Erkenntnis-, sondern auch um ein Bewertungsproblem. Adäquanztheorie, „remoteness“ und „causes exonératoires“ stellen einerseits Kriterien zum Ausschluß von Folgen dar, die dem Staat nicht anzurechnen sind. Andererseits machen Bewertungskriterien, wie vor allem an der konventionsrechtlichen Judikatur zum Ersatz entgangener Chancen und immaterieller Schäden sichtbar wird, unter Rückgriff nicht zuletzt auf Billigkeitsgründe eine Haftung auch dort möglich, wo kognitiv klare Kausalzusammenhänge fehlen. Eine Verabschiedung dieser Kriterien zum Zweck der Erweiterung des Umfangs der Staatshaftung würde den Bewertungsaspekt von Kausalität ausblenden und sich die infolge von Wertungen eröffnete Möglichkeit haftungsrechtlicher Rechtsschutzerweiterung geradezu nehmen.

G. Mitverschulden 28. Das Mitverschulden ist vom Vorrang des Primärrechtsschutzes, von der Schutzwürdigkeit der beeinträchtigten Position und von den Tatbestandsvoraussetzungen des Haftungsinstituts zu unterscheiden. Der Vorrang des Primärrechtsschutzes ist ein allgemeines Prinzip der rechtsschutzsubsidiären Staatshaftung. Der Bürger soll beim Versäumen seiner Aufhebungsansprüche seinen gänzlich abwendbaren Schaden nicht partiell ersetzt bekommen. Auch bei schuldloser Rechtsmittelversäumung soll der Betroffene von Entschädigungsmöglichkeiten abgeschnitten werden, soweit diese dasselbe Ergebnis hätten, wie das versäumte Aufhebungsmittel. Für weitergehende, durch das versäumte Rechtsmittel nicht abwendbare Schäden ist eine Ersatzpflicht anzunehmen.

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Thesen

29. Die Schutzwürdigkeit der beeinträchtigten Position („situation juridiquement protégée“) betrifft die Konstellation, in welcher der Eingriff der Verhinderung bzw. Beseitigung rechtswidriger Folgen des Handelns oder Unterlassens des Betroffenen dient; er soll die Verantwortung für seine hierbei entstandenen Schäden tragen (Polizeistörer, schuldhafte Erzeugung des Anscheins einer Gefahr). 30. Der Rückgriff auf das im Mitverschulden wirksame Verschuldensprinzip sollte Fällen vorbehalten bleiben, in denen eine differenzierte Abwägung der Einzelumstände die Bestimmung beiderseitigen Verschuldens und Verursachens ermöglicht. In Fällen hingegen, in denen Schadensgefahren für den Betroffenen weder erkennbar noch beherrschbar sind, ist eine individualisierbare, personnahe Entscheidung wenig sinnvoll. Die Verantwortungsbereiche sollten hier einerseits bereits im Vorfeld der Staatshaftung mit Hilfe von Maßnahmen, die für den Bürger die Funktion der Verläßlichkeitsgrundlage übernehmen, getrennt werden. Andererseits wären diese Probleme auf haftungsrechtlicher Tatbestandsebene im Rahmen der amtshaftungsrechtlichen Drittbezogenheit (z. B. Altlastenrechtsprechung) oder Kausalität zu behandeln.

H. Beamten- und Staatshaftung 31. Im Gegensatz zur kumulativen Haftung des französischen und englischen Rechts haftet im deutschen Amtshaftungsrecht im Außenverhältnis ausschließlich der Staat. Praktisch läuft die kumulative Verantwortlichkeit im englischen Recht auf dasselbe Resultat wie das französische Recht hinaus, wo der Geschädigte die Wahl zwischen der Haftung der Verwaltung und der des Beamten als Privatperson hat. Im Unterschied zum französischen Recht kann allerdings der Geschädigte nicht zwischen zwei Gerichtsbarkeiten bzw. zwei Haftungsordnungen (Zivilgerichtsbarkeit im Falle von persönlicher Haftung, Verwaltungsgerichtsbarkeit bei „faute de service“) wählen. Ferner gibt es im englischen System der Haftung der Krone keine „faute de service“, die einem oder mehreren „servants“ oder „agents“ nicht persönlich zugerechnet werden könnte. Die Beamtenhaftung betrifft nach französischem Verständnis einerseits das Verhältnis der Staatshaftung zur persönlichen Haftung des Beamten und andererseits die Subsidiaritätsfrage, da der Beamte auch als mitschädigender Dritter behandelt werden kann. Das Beamtenverhältnis führt nicht mehr zum gegenseitigen Ausschluß der Haftung, sondern zu einer kumulativen Haftung von Beamtem und Staat, wobei beiden ein gegenseitiges Rückgriffsrecht zusteht. Die deutsche Lösung hat den Vorteil, das sie durch die Regreßregelung den Beamten diszipliniert, ohne ihn zusätzlich externen Ansprüchen auszusetzen. Wenn übrigens der Geschädigte die Wahl zwischen der Staats- und der Beamtenhaftung hat, wird er in der Praxis stets für den zahlungskräftigeren Staat optieren.

I. Totalreparation und Staffelung der Rechtsfolgen

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I. Totalreparation und Staffelung der Rechtsfolgen 32. Die Judikatur des EGMR macht Vorgaben für die Bestimmung von Schadensersatz und Enteignungsentschädigung. Sie stellt den Grundsatz der Totalreparation auf. Alle Abweichung von diesem Grundsatz ist rechtfertigungsbedürftig. Erforderlich ist eine vollständige Beseitigung der Folgen der Rechtswidrigkeit sowie eine Staffelung der Rechtsfolgen, die der Naturalrestitution und der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Eingriffssituation vor der nachträglichen Zahlung von Geldausgleich den Vorrang gibt. Gesetze, die Eingriffe zulassen, sind insofern konventionskonform, als sie die Möglichkeit rechtzeitigen gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnen und den Betroffenen nicht lediglich auf ein Haftungsverfahren verweisen. 33. Reine Vermögens- und immaterielle Schäden sowie entgangene Chancen sind grundsätzlich ersatzfähig. Sie stellen an den Kausalitätsnachweis besondere Anforderungen. Verzögerungs- und immaterielle Schäden sind auch im Bereich des Enteignungsrechts relevant. Im Anschluß an die Rechtsprechung des EGMR sollte die enteignungsrechtliche Folgenentschädigung sowie ihr englisches und französisches Pendant („consequential loss“, „juste et préalable indemnité“) die vom Betroffenen aufgeopferten immateriellen Güter auch berücksichtigen. Wird das enteignete Gut nicht entsprechend dem Zweck des Enteignungsunternehmens benutzt, müssen die aufgrund der zweckwidrigen Verwendung erzielten Vorteile und Werterhöhungen dem Enteigneten ersetzt werden.

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Sachwortverzeichnis abuse of process 133 accountability 186 acte détachable 105 acte-clair 49 action en garantie 192, 199 action of Trespass on the Case on an Assumpsit 203 action on the Case 203 action recursoire 192, 199 action subrogatoire 24, 192 actions possessoires 119 actions, unmeritorious 221 Administrativakt 122–123, 135, 157, 233 administrative Funktion 48 administrative Haftung 105 administrative policy 223 administrative remedies 131, 222 administrative wrongfulness 231 administratives Unrecht 49, 241–242 agents 101, 197 alignement 184 alternative administrative remedies 131 Altlasten 23, 210 Amtshaftung 23, 28, 58–59, 91–92, 109–111, 113, 155, 209, 218, 220, 246 Amtshaftungsanspruch 56–58, 99, 201, 256–257, 261 Amtshaftungsrecht 56, 59, 107, 210, 220 Amtspflicht 56, 108, 201, 210, 248–249 Andreae principle 176 Anspruchsgrundlage 21, 39, 49, 92, 94, 111, 160, 163, 219, 255, 257 astreintes 185 Attorney-General 108, 221 Aufopferungsgrundsatz 18, 201, 205

ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmungen 92 Auslegung der Gesetze 169 Auslegung, falsche 243 Auslegung, gleiche 43 Auslegung, unionsrechtskonforme 56, 113 Auslegung von Richtlinien 43 Auslegung von Statistik 194 Ausübung einer normativen Tätigkeit 140 authority 31–32, 35–36, 175, 178–179, 186, 198, 223 avoidable consequences rule 90 Beliehene 31, 123 Berufbarkeit 40–41, 44, 46, 114 breach of statutory duty 53–56, 131– 132, 134, 170, 221–222, 247 but for test 189 cas fortuit 191 cause of action 158, 176, 204, 221–222, 245 certiorari 95, 124, 126, 134 Chancen 255, 265, 267 chances 206, 266–267 chose jugée 102 Civil Procedure Rules 125, 134, 228 complainte 118 compulsory purchase 175 concessionaires de service public 199 consideration 170, 176, 203 contentieux 50–51, 117, 134–136, 149– 150, 155, 164, 207, 245, 254, 266

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Sachwortverzeichnis

damage 61, 66, 78–79, 82, 84, 125, 168, 170, 176, 204–205, 220, 227, 263 damages 31, 36, 54, 87, 126, 134, 204, 221, 263 défaut d\9entretien normal 191 dénonciation de nouvel oeuvre 118 désision administrative préalable 122 détournement de procédure 184 development 178, 186, 259, 261 Differenzierung, soziale 36 discretionary 198, 250 discretionary function exception 250 disturbance 176, 259, 265 dommage 23–24, 117–118, 206 dommages de toute nature 24 dommages permanents des travaux publics 120, 167 Drittgerichtetheit 27, 56, 223 droits acquis 150, 173 droits subjectifs 207 duty of care 36, 55–56, 108, 131, 224, 226–227, 229–230, 243, 247, 249 Eigentum 37, 73, 80, 87, 89, 92, 95, 99, 167, 171, 179, 200, 210, 217, 265 Eingriff 65–66, 69–70, 80, 82, 85, 91– 92, 99, 117, 128, 159–163, 172, 175, 180–181, 200, 211, 216–217, 219, 236, 262 emprise 185 enrolled bill rule 100 enteignender Eingriff 92, 129, 159–161, 163, 167, 182 Enteignung 19, 70–72, 74, 111, 116, 160, 171–172, 175, 177, 179, 181– 182, 184–185, 188, 257–258, 261, 264 Enteignungsentschädigung 72, 91, 188, 258, 264 enteignungsgleicher Eingriff 19, 92, 99, 159–161, 180, 219 Enteignungsgleichheit 180 Enthaltungspflichten 37, 127 Entschädigungsfonds 18, 22, 25–26, 115 equitable 204

equitable assessment 90, 114 equitable remedies 125 Erfolgsunrecht 160–163, 217 Ermessen 42, 54, 56, 96, 121, 125, 132, 141, 154, 168, 178, 223–224, 226– 227, 229, 241, 244, 247–248, 250– 251, 264 Ermessensabhängigkeit 247 Ermessensausübung 29, 52, 86, 115, 126, 168, 178, 227, 234, 241, 248, 251 ermessensbedingte Haftungsmodifizierung 250 Ermessensentscheidungen 86, 131, 224, 226–227, 240, 248–250, 252 Ermessensfehler 132, 242 Ermessensspielraum 55, 142, 243–244 Ermessensüberschreitung 244, 248 erreurs administratives 35 excess of jurisdiction 103 executive orders 55 Exekutive 98–99, 105, 112, 159 exemplary damages 87 Exklusionsverwaltungspflichten 21 expropriation 184, 186–187, 258, 264– 265 fair, just and reasonable 56, 224 fait du tiers 27, 165, 192 fait personnel 110 faute 27, 30, 50–52, 97, 101–103, 105, 163–167, 191–193, 198–199, 205, 207, 213, 215, 232–238, 246, 249, 252, 254, 258, 267 faute lourde 27, 30, 52, 102–103, 232– 238, 246, 249, 252 Folgenbeseitigung 60, 99, 128, 142–143, 146–149, 151, 258 Folgenbeseitigungsanspruch 93, 128, 132, 148–150, 152, 196, 201, 255–257 Folgenentschädigung 94, 265 Folgenersatzanspruch 257 Folgenersatzpflicht 151 force majeure 191 Forderungsverletzung 256

Sachwortverzeichnis forseeability 189, 224 Funktion 21, 35–36, 39, 48, 59, 93–94, 150, 166, 169, 180, 188, 204, 210, 212–213, 219, 238, 251 fusion of standing and merits 246 Gefährdung 20, 23, 27, 66, 118, 213 Gefährdungshaftung 18, 20, 23, 25, 91, 159–160, 163, 168, 170, 215, 225, 247 Gefährdungshaftungstatbestand 20, 160 gêne 172 Gerechtigkeit 17, 19, 24, 36, 187 Gesetzesvorrang und Gesetzesvorbehalt 159 Gesetzmäßigkeit 92, 117, 121, 147, 151, 158–159, 161 Gesetzmäßigkeitsprinzip 72, 91 Gewaltenteilung 98, 101, 116, 199 goodwill 260 Grundrechte 36, 91–95, 127, 149, 162, 182, 262 Grundrechtsverletzungen 94, 262 Grundrechtsverletzungsreaktionsrecht 93 Güterverteilung 20, 202 Haftpflichtversicherung 22, 34 Haftungsgrund 16, 18, 20–21, 24, 96, 112 Haftungsverteilung 225 Handlungsunrecht 160–162 hinreichend, qualifiziert 19, 41–42, 47– 48, 51, 54–55, 57, 88, 113, 166, 178, 209, 225, 239–241, 243–244, 247, 252 HRA 1998 32, 96, 101, 104–105, 190, 229–230, 247, 263 Human Rights Act 31–32, 95, 100, 104, 221, 229–230, 263 illégalité 232 Immaterieller Schaden 206 implied repeal 100 indemnisation 23–24, 172, 184 Infaillibilität, des Gesetzgebers 101 Inhaltsbestimmung 179, 181, 267

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Inhaltsbestimmung, enteignungsgleiche 181 Inhaltsbestimmung, zugleich enteignende 187 injonctions 256 injunction 124–126, 175 injurious affection 175–177, 260 injury 56, 176 Inklusion 21 Inklusionsvermittlung 21 Institutionenökonomik 18, 33, 35 intangibilité 20, 120, 128, 184 intentional torts 189 intérêt à agir 207, 245, 267 intérêts légitimes 207 interference actions 205 interim 125–126 interim relief 125 irregularity of procedure, gross and obvious 104 judicial acts 103, 105 Judicial Review 27, 29–30, 32, 44, 53, 96, 104, 108, 110, 112, 124, 130–133, 158, 198, 222–223, 226, 245 Judikative 90, 98 judikative Tätigkeit 233 judikatives Unrecht 59, 104–105 just satisfaction 60–66, 68–70, 72, 75– 80, 82–88, 90, 96, 114–115, 229–230 Justitiabilität 41, 56, 112, 222, 224–226 Justizirrtum 105 Kausalität 20, 24, 29, 43, 65, 82, 84, 86, 90, 165, 189, 194, 205, 233, 242, 254 Kompensation 37, 78, 143, 148, 185, 205, 245, 257, 259 Kompetenzverteilungsproblem 134 Konventionsverletzungen 79 Lastengleichheit 96

298

Sachwortverzeichnis

Lastengleichheitsprinzip 18, 96, 101, 174, 213 leave 126, 245 Lebensrisiko, allgemeines 214 légalité externe 106 legislative Haftung 51 legislative Intention 221 legislativer Charakter 247 legislatives Unrecht 19 liability 29, 31, 35–36, 105, 148, 163, 167–170, 197, 226, 247, 265 liberté, référé 97 local plan 177 loss of a chance 190 loss of consortium 79 loss of opportunities 63, 67, 69, 77–78, 84, 86–87 loss of privacy 176, 260 loss of profitability 176 loss of real opportunities 83 loss of relationship 64, 263 loss of society 263 loss of trade 176 maladministration 223, 231 malicious prosecution 108 mandamus 124, 131 mandatory injunctions 124 McCarthy-Regel 176 misfeasance 30, 53–54, 108, 112, 130, 134, 203, 220–221, 226 Mitgliedstaatshaftung 38, 40–41, 44, 46–47, 49, 53, 55–56, 58, 195–196, 201, 230, 241, 243–244, 263 Mitverschulden 43, 57–58, 89, 128, 193, 195, 253–255, 258 Mitverursachung 86, 191 Nachbarschaftsgefährdung 212 Naturalrestitution 59, 86, 99, 118, 127, 255–257, 264 negligence 35, 55–56, 108, 130–131, 133, 190, 198, 204, 212–213, 221–

222, 224, 226, 228–230, 247, 249, 254, 263 Newbury-test 178 Nichtigkeit 137, 152 Nichtigkeitsklage 137–141, 148, 151, 153–155, 158, 195, 242, 254 noise, dust and vibration 176 nonfeasance 203, 226 normativ tätig 42 normatives Unrecht 19 Normenkontrolle 67, 139 nuisance 120, 123–124, 167–168, 176– 177, 260 Nutzungsvorbehalts 173 obligation de légalité 232 ombudsmen 257, 263, 266 operational actions 251 O\9Reilly v. Mackman 133 outil de travail 72, 264 ouvrage public 20, 120, 128, 173, 184, 191 ouvrages mal plantés 120, 184 per se, actionable 204 per se, Rechtswidrigkeit 72, 242, 248 Persönlichkeitsrecht 200, 262 perte dune chance 191, 206 plan d\9occupation des sols 184 plan d\9urbanisme 184 planning permission 178–179, 259 Planung 177, 184, 259 Planungszweck 178 police administrative 234 possessions 89 préjudice anormal 207, 214 préjudice certain 206, 266 préjudice éventuel 206 préjudice futur 206 préjudice spécial 163, 167, 207, 214 préjudices 167, 173, 261 préjudices commerciaux 174 préjudices corporels 167, 261

Sachwortverzeichnis présomption 163–166, 236 Primärrechtsschutz 37, 47, 58, 128–129, 159–160 principe de non-indemnisation des servitudes d\9urbanisme 172 private law 124, 133, 158, 170, 223, 246 prohibition 124, 126 proximity 108, 212–213, 224 public law element 112 public works 170–171, 175, 177 Reaktion auf fehlerhafte Reaktion 17 Reaktion des verletzten Grundrechts 94 Reaktionsmaßnahmen 158 Reaktionsnorm 205 rechtmäßige legislative Einwirkungen 214 rechtsgutbestimmende Funktion 92 Rechtsprechungskompetenz 153 Rechtsschutz, enteignungsgleicher 181, 188 Rechtsschutz, negatorischer 26, 37, 47– 48, 57, 91, 95, 110, 117–122, 124– 127, 129, 138, 153, 155–156, 158– 159, 161–162, 177, 183, 185–186, 222, 238–239 Rechtsschutzes, Effektivität des 41, 47, 73, 91, 109, 111, 117–118, 123–124, 126–127, 153, 156–160, 162, 178, 180, 182, 184–185, 187 Rechtsschutzmöglichkeit 156 Rechtsschutzziele, unionsrechtliche 45 Rechtsstaat 59, 95 rechtsstaatlich 184 Rechtsstaatsprinzip 91–92, 149 Rechtswidrigkeit 19, 37, 49, 52, 54–55, 72, 94, 105, 112, 125, 129, 135–141, 143–147, 149–150, 161–162, 169, 209, 217, 219–220, 232, 242, 244–246, 248–249, 255 recklessness 109, 113, 220 recours de pleine juridiction 135, 245 recours parallèle 134

299

recours pour excès de pouvoir 107, 134–135, 158, 245 référé 97, 118, 121–122 Reflexschaden 206 réintégrande 118 relief 27, 126 Remedies 47, 87, 124, 169, 190, 202, 222, 224, 230–232, 248, 257, 263, 266 remedy 64, 124–125, 131, 134, 202– 204, 222, 231, 257 remoteness 189 réparation 23–24, 118–119, 206, 258, 261 Reserveursache 194 responsabilité administrative 18, 51, 97, 101, 165, 191, 199, 206, 253–254, 256 responsabilité pour risque 163 Ressourcenallokation 18, 33 rétrocession 187 Richtervorbehalt 77 Richtlinie 25, 32, 41–42, 44, 46, 50, 52, 57, 153, 243 right, specific 125 rights in alieno solo 177 risque 163, 165, 192, 212–213, 216 risque, social 24 risques, socialisation des 23 Rylands v. Fletcher 123, 168–169 sauvegarde 121, 123 Schadensersatz 22, 36, 51, 54, 89, 91, 96, 119–120, 126, 132, 135, 144, 147, 151, 154–155, 170, 196, 204–205, 207, 222, 226, 229, 245, 255, 257 Schäden 17–18, 20–21, 23, 25–27, 29, 31, 33, 43, 47–48, 51, 54, 59–63, 65– 70, 73–74, 76–79, 81, 84–85, 87–88, 90, 97, 99, 109–111, 113–114, 117– 118, 124, 129–130, 135, 138, 140, 144–148, 154, 156, 159–161, 163–165, 167–171, 173, 175–177, 183, 185, 189, 192–196, 200, 203–208, 210, 212, 215–218, 220–221, 224–225, 229, 231–232, 236, 238, 242, 244, 253– 259, 261, 263–267

300

Sachwortverzeichnis

Schutz der Ermessensfunktion 250 Schutzbereich 210, 250, 267 Schutznorm 244 Schutznormcharakter 202 Schutznormtheorie 113 Schutznormverletzung 201 Schutzpflicht 26–28, 66, 85, 99 Schutzpflichten 23, 35, 108, 249 Schutzzweck 43, 57, 59, 200, 209–210, 226 Schutzzweckgedanke 200, 209 Schwere des Eingriffs 64, 66, 82, 211, 236 Sekundärrechtsschutz 93, 129 servants 101, 197 servitudes administratives 171–172 severance 260 simple infraction 52 Solidarität 20–21, 23, 183 Solidaritätsgedanke 20 Sonderopfer 18–19, 92, 94, 99, 101, 163, 167, 209, 213–214, 216–219, 257 Sonderopfertheorie 19, 181 Sozialversicherungssystem 45 Staatsbegriff, Reichweite 32 Staatsorganisation 16, 40, 98, 109, 111, 113, 116, 171, 189 standing 245 statutory authority 169, 176 statutory powers 175 structure plan 177 Subsidiarität 24–25, 27–29, 117, 138– 139, 157 sufficiently serious breach 247, 252 tort 30, 35, 53–54, 56, 108, 112–113, 123, 134, 175, 177, 189, 197, 200, 202–205, 212, 220, 231, 246, 254, 263 tort of deceit 189 Totalreparation 26, 90, 114, 206, 255, 258 travaux publics 97, 120, 164, 171, 173, 184, 191–192, 256

troubles de juissance 167 troubles de voisinage 118, 121 Übernahmeanspruch 72, 180–181 ultima ratio des Rechtsstaates 91 ultra vires 53–54, 103, 130, 134, 175, 179, 198 Umgehungsverbot 138, 142, 157–158, 182 Umgestaltung 73, 187 Unionsrecht 16, 28, 32, 38, 40–43, 46, 49–56, 58, 105–106, 137, 140, 146, 149, 152, 157–158, 182, 195–196, 209, 244 Unionsrecht, effektiver Schutz 47 Unionsrechtswidrigkeit 49, 51, 113, 158, 201, 218, 239 Unmittelbarkeit 56, 145, 159, 196, 209, 211–213, 246 Unmöglichkeit 69, 84, 119, 231, 258 unreasonableness 176 Unrecht 51–52, 54–56, 59, 86, 98–99, 101, 104–105, 107, 143–144, 157, 169 Unterlassen 51, 61, 99, 123, 194 Unterlassen, legislatives 51–52 utilité publique 184, 187, 258 utilité sociale 101 validation législative 115 Verfahren 32, 40, 44–45, 63, 71, 74, 79, 81, 83, 85, 89, 96, 102, 104, 111–112, 115, 122, 128, 130, 133–134, 139, 141, 153, 155, 158, 180, 187, 198, 204, 208, 228 Verfahrensgarantien 69, 74, 79, 89–90, 96, 114 Verfassung 34, 95–96, 98, 106, 109, 171, 185 Verschulden 21, 57, 89, 105, 154, 165, 167–168, 170, 220, 222, 230 Versicherung 22–24, 34 Versicherungsmarkt 23 Versicherungsschutz 22–23, 25, 33, 222 Versicherungswirtschaft 18, 22, 34

Sachwortverzeichnis Verteilung von knappen Ressourcen 226 violation caractérisée 52 violation suffisamment caractérisée 52, 247 voie de fait 120, 123, 184–185 Vorbehalt der Rechte Dritter 119 Vorrang des Primärrechtsschutzes 37, 57–58, 127–130, 132, 162, 182 Vorrang des Unionsrechts 44

301

Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes 112 Wirkung, unmittelbare 42, 53 wrong 38, 189, 202–203, 205–206, 213, 263 wrong of not repaying 202 Zurechnungskriterien 20, 167, 189, 209, 245–246