Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West: Intertextualität, Intermedialität und Polemik im ukrainischen Futurismus und Konstruktivismus der späten 1920er-Jahre 9783839446065

Vera Faber interprets the late Ukrainian avant-garde, which saw itself as the threshold between East and West, with an i

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German Pages 418 Year 2019

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West: Intertextualität, Intermedialität und Polemik im ukrainischen Futurismus und Konstruktivismus der späten 1920er-Jahre
 9783839446065

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Vera Faber Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Edition Kulturwissenschaft  | Band 191

Vera Faber (Dr. phil.) hat Slawistik und Design studiert und an der Universität Wien promoviert. Für ihre Dissertation wurde sie mit dem DOC.Award ausgezeichnet. Sie lehrt Kunst- und Literaturwissenschaft an mehreren Universitäten. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die literarischen und die künstlerischen Avantgarden in Russland und in der Ukraine, Wort-Bild-Kunst, Grafik, Fotografie, Design, Intertextualität, Intermedialität, Kunst- und Literaturtheorie sowie die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Macht im Totalitarismus.

Vera Faber

Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West Intertextualität, Intermedialität und Polemik im ukrainischen Futurismus und Konstruktivismus der späten 1920er-Jahre

Die vorliegende Studie wurde gefördert durch ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), gefördert im Rahmen des Post-DocTrack-Pilotprogramms der ÖAW, ausgezeichnet mit dem Doc.Award der Stadt Wien und der Universität Wien, gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Es wurde versucht, sämtliche Rechteinhaber ausfindig zu machen und zu kontaktieren, um die erforderlichen Veröffentlichungsrechte einzuholen. Sollten dennoch etwaige Urheberrechtsansprüche bestehen, wird ersucht, sich mit dem Verlag bzw. der Autorin in Verbindung zu setzen, damit die üblichen Vergütungen vorgenommen werden können. Die Bildrechte verbleiben bei den jeweiligen Rechteinhabern.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Dan Sotnyk, »Fotohrama 1928« [Fotogramm 1928], Fotografie, Charkiw/Odessa. Abgedruckt in: Nova Generacija Nr. 2 (1929), Abb.-Seite 4. Satz: Vera Faber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4606-1 PDF-ISBN 978-3-8394-4606-5 https://doi.org/10.14361/9783839446065 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT

EINLEITUNG  | 9 1 Ziel und Aufbau des Bandes  | 10 2 Forschungsstand | 19 3 Theoretisch-methodische Überlegungen  | 25 I HISTORISCHER HINTERGRUND – zur Genese der ukrainischen Avantgarde  | 45 1 Prämissen: russische und ukrainische Avantgarde, Futurismus und Konstruktivismus  | 47 1.1 Futurismus | 47 1.2 Konstruktivismus  | 59 2 Wechselwirkungen zwischen der Ukraine, Russland und Westeuropa  | 68 2.1 Ukrainische Spuren in der russischen/sowjetischen Avantgarde | 68 2.2 Westeuropäischer Kontext | 71 II MARGINALITÄT? – die Ukraine als Zentrum der Avantgarde an einer sowjetischen Peripherie  | 77 1 Sowjetische Avantgarden: Zentrum – Peripherie – Dezentralisierung  | 78 1.1 Russische und sowjetische Avantgarde an Peripherien  |  78 1.2 Zur mehrfachen, mehrdimensionalen peripheren Situation in der Ukraine  |  84 1.3 Politische Implikationen – die späte sowjetische Avantgarde | 95 2 Zur Blüte der ukrainischen Avantgarde  | 106 2.1 „Verwurzelung“ als Basis für die Blüte der ukrainischen Avantgarde?  |  106 2.2 Volkskultur (Nationalkultur) als Gegenkultur?  |  111 2.3 1926 – (k)ein Jahr am Rand der Zeit?  |  113

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3 Charkiw – die „Erste Hauptstadt“ als Zentrum der Avantgarde  | 116 3.1 Heterogener Raum | 116 3.2 Zentrum künstlerischer Aktivitäten  |  119 3.3 Publikations- und Zeitschriftenwesen  |  123 3.4 Konstruktivistische Architektur | 127 4 Nova Generacija und Avanhard: Futurismus und Konstruktivismus in der Ukraine | 135 4.1 Nova Generacija – die letzte Generation der sowjetischen Avantgarde (1927–1931) | 135 4.2 Avanhard – Vertreter des Konstruktiven Dynamismus (1925–1929) | 141 III INTERNATIONALITÄT – die späte ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West | 151 1 Zeitschriften und Kollektive im internationalen Vergleich  | 152 1.1 Russische Kollektive und Zeitschriften – Analogien, Impulse, Divergenzen  |  153 1.2 Westeuropäische Kollektive und Zeitschriften – Analogien, Impulse, Divergenzen  |  164 2 Programmatik und Internationalität | 172 2.1 Manifeste und Proklamationen der ukrainischen Avantgarde | 172 2.2 Proklamationen und Positionen der Nova Generacija  |  174 2.3 Proklamationen und Positionen von Avanhard  |  190 3 Internationale Kooperation – Partizipation – Vernetzung  | 209 3.1 Das internationale Netzwerk der Nova Generacija  |  209 3.2 Das internationale Netzwerk von Avanhard  |  215 3.3 Ukrainisch-russische Künstler als Teil der ukrainischen Avantgarde | 222 4 Disparität – wechselseitige Rezeption | 227 4.1 Ausgangssituation | 227 4.2 Zur Rezeption russischer Strömungen in der Ukraine  |  229 4.3 Zur Wahrnehmung der ukrainischen Avantgarde in Russland   |  243 4.4 Zur Rezeption westeuropäischer Kunst und Literatur in der Ukraine  |  249 4.5 Gab es eine Wahrnehmung der ukrainischen Avantgarde im westeuropäischen Ausland?  |  264

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IV INTERFERENZIALITÄT – Grenz(überschreitung)en in Polemik und Kunst  | 279 1 Polemik: Pluralismus und Homogenität  | 280 1.1 Exklusion – Approximation   |  281 1.2 Nationale Internationale? | 288 1.3 Polyglossie  | 295 1.4 Selbstbezüglichkeit: Trauma der Nicht-Existenz/NichtPräsenz  | 303 2 Interferenzialität in der literarischen und künstlerischen Praxis  | 307 2.1 Konstruktiver Dynamismus (Spiralismus) und literarischer Konstruktivismus   |  307 2.2 Das Fotogramm: zurück zum Nullpunkt der Fotografie  |  322 RESÜMEE  | 333 APPENDIX  | 339 1 Quellenverzeichnis | 339 1.1 Zeitschriften und Journale  |  339 1.2 Primärquellen | 341 1.3 Sekundärquellen | 362 1.4 Abbildungsverzeichnis | 383 2 Glossar | 387 2.1 Vereinigungen, Gruppierungen, Institutionen, Programme | 387 2.2 Verzeichnis der Mitglieder der Nova Generacija und von Avanhard  |  389 3 Register | 391 3.1 Namen- und Titelregister | 391 3.2 Sachbegriffsregister | 409 3.3 Abkürzungsverzeichnis | 413 Kurzzusammenfassung/Abstract | 415

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EINLEITUNG

На лінії бойового стику між капіталістичною західньою Европою і східньою пролетарською Евразією несподівано на шляху повстає нове тіло  – роз’єднана Україна, що, не вважаючи на сутичку цих двох сил, хоче з’єднатись і визначитись як одно ціле, злитись в один організм.1 [An der Kreuzung der Schlachtlinien zwischen dem kapitalistischen Westeuropa und dem östlichen proletarischen Eurasien erhebt sich mitten am Weg unerwartet ein neuer Körper  – die geteilte Ukraine, die, ohne die Absicht, diese beiden Kräfte zu bekämpfen, sich vereinigen und als ein Ganzes auszeichnen, zu einem einzigen Organismus verschmelzen möchte.] Valerijan Poliščuk2 (1929)

Ende der 1920er-Jahre verlagerten sich die Aktivitäten der sowjetischen Avantgarde in mehrerlei Hinsicht an Peripherien, wo am Übergang von der NĖP3 zum Ersten Fünfjahresplan trotz politisch ungünstiger Umstände kreativ aufgeladene Zentren ent­ standen. Ein solches Zentrum der späten Avantgarde stellte die damalige ukrainische Hauptstadt Charkiw dar, in der es mit den beiden Gruppierungen Nova Generacija (1927–1931) und Avanhard (1925–1929) an einer sowohl räumlichen als auch zeitl­ ichen Peripherie zu einer verspäteten Blüte von Futurismus und Konstruktivismus kam. Ähnlich wie in anderen historischen Avantgarden Europas etablierten sich die beiden Strömungen auch in der Ukraine als intermedial geprägte Erscheinungen, deren Ver­treter nicht nur gattungsübergreifend in den wichtigsten Bereichen der Kunst agierten, sondern ihre Aktivitäten polemisch mittels programmatischer Texte proklamierten. Die Avantgarde in Charkiw repräsentierte Ende der 1920er-Jahre eine wichtige, jedoch wenig registrierte Schnittstelle zwischen Ost und West. Ungeachtet der zunehmenden Abschottung der Sowjetunion lassen sich für diese Zeit zahlreiche literarische und künstlerische Beziehungen konstatieren, die die ukrainische Avant­ garde mit den Zentren in Russland und Westeuropa verbanden.

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Poliščuk, Valerijan: „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“, in: Avanhard. Mystec’ki ma­ terijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 110–121, hier S. 115. Die Schreibung von Poliščuks Vornamen erfolgte in verschiedenen Quellen auf unter­ schiedliche Weise und wurde selbst vom Autor nur sehr inkonsistent durchgeführt. Während Poliščuk in den meisten ukrainischen Publikationen als Valerijan und in Aus­ nahmefällen auch als Valer”jan firmierte, scheint er in russischsprachigen Publikationen als Valerian auf. Obwohl in der aktuellen Literatur meist die ukrainische Form Valer”jan verwendet wird, kommt in der vorliegenden Studie die vom Autor selbst bevorzugte Version Valerijan zum Einsatz. NĖP (Novaja ėkonomičeskaja politika): Neue Ökonomische Politik, 1921–1928.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Die beiden Gruppierungen Nova Generacija und Avanhard entfalteten sich in einem engen (Wechsel-)Verhältnis mit russischen und westeuropäischen Vereinigungen, mit denen sie sich zugleich in einen polemisch geführten Disput begaben. So kam es zwar zu einer breiten und tiefgehenden Auseinandersetzung mit russischen Erscheinungen, die einerseits intensiv rezipiert, andererseits aber auch polemisch kritisiert wurden. Ob­wohl sich die Aktivitäten im Osten des Landes und somit unmittelbar an der rus­ sischen Grenze abspielten, wurde der Blick über die am anderen Ende des Landes lie­genden Grenzen Richtung Westen gewandt. Die späte Avantgarde in Charkiw definierte sich selbst als Kunst der Epoche des Übergangs, die sich an (räumlichen und zeitlichen) Rändern als eine Art Zwischenraum entfaltete, in dem sich Einflüsse aus Ost und West überlagerten. Während der Futurist und Initiator der Nova Generacija Mychajl’ Semenko die von ihm proklamierte Strömung des Panfuturismus als „Kunst der Über­gangsepoche“ („Mystectvo perechodnoji doby“)4 bezeichnete, hob der zu Beginn dieser Einleitung zitierte Konstruktivist Valerijan Poliščuk die Relevanz der Ukraine als Membran zwischen Westeuropa und Russland hervor.5

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Ziel und Aufbau des Bandes

Thema, Konzeption und Fragestellungen Die vorliegende Studie nimmt die Internationalität der ukrainischen Avantgarde mit Bezug auf grundlegende künstlerische und literarische Positionen und Proklama­ tionen der Formationen Nova Generacija (Futurismus, 1927–1931) und Avanhard (Konstruktivismus, 1925–1929) in den Blick, die, ebenso wie deren gleich­namige Zeit­schriften „Nova Generacija“ (1927–1930) und „Avanhard“ (1928–1929), auf ihre inter­textuelle sowie intermediale Aufladung hin untersucht werden, um anhand der Gegen­überstellung die Besonderheiten der späten ukrainischen Avantgarde zu exemplifizieren. Interferenzialität, Intertextualität und Intermedialität werden dabei als wichtigste Charakteristika festgemacht, um zu zeigen, in welchem Verhältnis die ukrainische Avantgarde mit zeitgenössischen Strömungen in Russland und West­ europa stand. Die von der Nova Generacija und von Avanhard Ende der 1920erJahre herausgegebenen Avantgarde-Zeitschriften stellten bedeutende Plattformen dar, die ganz im Zeichen der programmatisch proklamierten Internationalität agier­ ten. Die interdisziplinär und intermedial ausgerichteten Periodika, in denen auch Arbeiten von sowjetrussischen und westeuropäischen Künstlern veröffentlicht, rezi­ piert und rege diskutiert wurden, stellen eine zentrale Ausgangsbasis für die vor­ liegende Studie dar. Sie dienen somit nicht nur als Beleg für die Aktivitäten der ukra­ inischen Avantgarde selbst, sondern re­flektieren außerdem ihr starkes Interesse an internationalen Phänomenen. Neben der unmittelbaren Reflexion, die bereits einen Blick über die Grenzen der eigenen Strö­mung hinaus bedeutete, werden die von den Gruppierungen prokla­ mierten Polemiken und Streitschriften herangezogen, deren inter­textuelle Aufladung 4

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Semenko, Michajl’: „Pan-Futuryzm (Mystectvo perechodnoji doby)“, in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 273–276, hier S. 273. Vgl. Poliščuk 1929: „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“, S. 115.

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Einleitung

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die Verbindungen mit Ost und West belegt, die sich, wie die Untersuchung ebenfalls aufzeigt, in der literarischen und künstlerischen Pra­xis ebenfalls manifestierten. Die Überlagerung von verschiedenen Strömungen, An­schauungen und Ausrichtungen wird überdies unter Einbeziehung von weiteren ukra­inischen, russischen, deutschen und französischen Avantgarde-Zeitschriften ein­gehend untersucht. Die gemeinsame Betrachtung erlaubt nicht nur den direkten innerukrainischen Ver­gleich zweier sich polemisch voneinander abgrenzender Ausrichtungen – des Pan­ futurismus der Nova Generacija einerseits sowie des Konstruktiven Dynamismus von Avanhard anderer­seits  –, sondern lässt zudem eine umfangreiche Analyse der Besonderheiten der späten ukrainischen Avantgarde zu, die sich nicht zuletzt mit ihrer Polemik als spezi­fische Erscheinung zwischen Russland und Westeuropa zu positionieren versuchte, indem sich mit ihr, um nochmals in den Worten Poliščuks zu sprechen, „несподівано на шляху повстає нове тіло – роз’єднана Україна“6 [uner­ wartet mitten am Weg ein neuer Körper – die geteilte Ukraine – erhob]. Aufgrund des politischen und kulturellen7 Machtgefälles zwischen Moskau und den Sowjetrepubliken blieb die ukrainische Avantgarde jedoch sowohl im sowjetischen als auch im gesamteuropäischen Kontext nur eine periphere Erscheinung und wurde (wird) trotz ihrer aktiven Versuche der internationalen Vernetzung nur wenig registriert. Der Umstand, dass sie einerseits als (vermeintlich) einsame Strö­ mung agierte und um An­erkennung rang, während sie andererseits eine Situation der kulturellen Interferenz provozierte, fordert geradezu auf, die ukrainische Avant­ garde komparatistisch darauf­hin zu untersuchen, inwieweit sie sich von anderen Erscheinungen unterschied, diese reflektierte, aber auch, ob und inwieweit sie schließ­ lich ihrem eigenen Anspruch nach Anerkennung gerecht werden konnte. Der Schwerpunkt der Untersuchung wird auf textliche  – insbesondere konzep­ tionelle, programmatische und literarische – Hervorbringungen gelegt. Da die Grup­ pierungen aufgrund ihres intermedialen Anspruchs auch andere Kunstformen in ihre Arbeiten miteinbezogen, werden auch die rezipierten, diskutierten und program­ matisch prokla­ mierten Kommunikationsformen berücksichtigt. Die vor­ l iegende Studie ist somit medien­übergreifend und interdisziplinär, die Literatur- und die Kunst­wissenschaft ein­beziehend, konzipiert, jedoch ohne die mitberück­sichtigten Medien  – etwa die Bild­kunst  – ikonografisch (im Hinblick auf die Deutung) oder ikonologisch (im Hinblick auf die symbolischen Formen) zu analysieren. Methodisch kommen einerseits Theorien zu Zentrum und Peripherie zum Ein­ satz,wobei die späte ukrainische Avantgarde als spezifischer Raum ausgelegt wird, der sich an einer zeitlichen, räumlichen, künstlerischen sowie ideologischen Peri­ pherie entfaltete und sich wesentlich durch die Überlagerungen unterschiedlicher Phänomene konstitutierte. Die Transgression von Grenzen stellte ebenfalls ein wich­ tiges Element dar, wobei neben textlichen auch kulturelle, sprachliche, mediale und ästhetische Grenzen sowie deren Infragestellung, Verhandlung, Überschreitung und Negierung aufgezeigt werden. Die intertextuell aufgeladenen Polemiken und Streit­ schriften dienten der Ab-, Ein- und Ausgrenzung und somit der Konstruktion von abge­grenzten Räumen.

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Poliščuk 1929: „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“, S. 115. Mit Kultur ist hier ein eng gefasster Begriff gemeint, der Kunst und Literatur beinhaltet.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Aufbau Der einleitende Teil enthält neben der Fragestellung eine Darstellung des aktuellen Forschungsstandes, der auf die bislang entstandenen Arbeiten ein­geht und Dis­ paritäten hinsichtlich des internationalen Forschungsinteresses an unterschiedli­ chen Avantgarden darlegt. Im Anschluss daran folgt ein Überblick über wich­tige methodische Ansätze und Diskurse, die für die Forschungsfragen von Bedeu­tung sind und auf die sich die Analyse zum Teil stützt. Relevant sind hierbei neben Zen­ trum-Peripherie-Modellen auch Theorien zu unterschiedlichen Grenzen sowie zu den Möglichkeiten ihrer Überwindung. Zu diesen zählt auch die Interferenzialität, die für die Analyse sowohl der Internationalität als auch der Intertextualität und der Inter­ medialität von großer Bedeutung ist. Da im deutschsprachigen Raum bislang noch keine umfassende Dar­stellung der ukrainischen Avantgarde vorliegt, sollen die beiden einleitenden Kapi­tel einen grundlegenden Überblick über die historische Entwick­ lung der Strömung bieten, um in den beiden darauffolgenden analytisch konzi­pierten Ab­schnitten auf die Gruppierungen Nova Generacija und Avanhard als Phänomene der späten (sowjetischen und gesamteuropäischen) Avantgarde zu fokussieren. Historischer Teil: I Historischer Hintergrund – zur Genese der ukrainischen Avantgarde Das erste Hauptkapitel versteht sich als historische Herleitung der ukrainischen Avantgarde und ihrer Entstehung als Teil der gesamteuropäischen Strömung. Zuerst (UK I.1) wird die Genese von Futurismus und Konstruktivismus in Russland und in der Ukraine aufgezeigt und in Bezug zu westeuropäischen Phänomenen gesetzt, um anhand der Gegenüberstellung die künstlerischen Prozesse aufzuzeigen, die der späten ukrainischen Avantgarde vorausgingen und auf denen sie wesentlich basierte. Wenn­gleich es erst mit dem Konstruktivismus zu Beginn der 1920er-Jahre zu einer auch pro­grammatisch artikulierten Internationalität kam, auf die in dieser Studie ein Schwer­punkt gelegt wird, stellten künstlerische Wechselbeziehungen mit Russland und West­europa bereits seit den Anfängen der ukrainischen Avantgarde ein wichtiges Element dar, das in Charkiw auch im zunehmend repressiven Klima der späten 1920er-Jahre noch präsent blieb. Diese historisch gewachsenen Kontakte und Impulse zwischen Künstlern, Gruppierungen und Strömungen waren eine wichtige Grundlage für die Ent­wicklungen nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland, worauf im zweiten Ab­schnitt des ersten Hauptkapitels (UK I.2) unter Berücksichtigung der verschiedenen Richtungen der Rezeption eingegangen wird. Historisch-kulturwissenschaftliche Analyse: II Marginalität? – die Ukraine als Zentrum der Avantgarde an einer sowjetischen Peripherie Das zweite Hauptkapitel ist historisch-kulturwissenschaftlich konzipiert und geht der Frage nach, welche Dynamiken zu einer Verlagerung der Avantgarde-Zentren an ver­ schiedene Peripherien führten, um den Kontext aufzuzeigen, vor dem sich Ende der 1920er-Jahre schließlich in Charkiw ein wichtiges, doch wenig registriertes Zentrum für Kunst und Literatur bilden konnte. Dafür wird zuerst (UK II.1) die russische resp. sowjetische Avantgarde als Phänomen beschrieben, das sich in mehrfacher Hinsicht an Peripherien entfaltete. Während die Zentren an Bedeutung verloren, wurden die Peri­pherien aufgewertet, sodass auf mehreren Ebenen eine Dezentralisierung zu

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Einleitung

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vermerken war. In der Ukraine befand sich die Avantgarde in den späten 1920er-Jahren in einer mehrfachen peripheren Situation, auf deren Ursachen und Auswirkungen eingegangen wird. Danach folgt eine Analyse der politischen Entwicklungen, die zu einer Verlagerung der Kunst an verschiedene Peripherien (räumlich, zeitlich, künstlerisch, ideologisch) führten. Der repressiven Situation in den Zentren (in Bezug auf ihre räumliche, aber auch zeitliche Verortung) wird im abschließenden Unter­ kapitel die relative Freiheit für die Kunst an den Peripherien gegenübergestellt. Der anschließende Abschnitt (UK II.2) widmet sich der Blütezeit der Avantgarde in der sowjetischen Ukraine (im Folgenden auch kurz Sowjetukraine). Einerseits wird ein historischer Überblick über die sowjetische Ver­wurzelungspolitik geboten, die die künstlerischen Aktivitäten maßgeblich be­feuerte, zugleich aber eigentlich einen von Moskau aufoktroyierten Rückgriff auf die eigene Tradition repräsentierte. In karnevalistischer Weise wurde diese Phase von vielen Kunstschaffenden für die Eta­ blierung einer Gegenkultur genutzt, deren prägnantestes Merkmal oft polemisch daran festgemacht wurde, dass sie von russischen Erscheinungen differierte. Während das Jahr 1926, wie Hans Ulrich Gumbrecht in seiner synchronen Geschichtsschreibung „1926. Ein Jahr am Rand der Zeit“ festhält, für die meisten Regionen der Welt histo­ risch scheinbar nur wenig Bedeutung hatte,8 war es in Russland und in der Ukraine sehr wohl mit einem wichtigen Epochenbruch verbunden, nach dem die Avant­garde im gesamtsowjetischen Kontext nur noch eine periphere Erscheinung darstellte. Im Anschluss an die Analyse der wesentlichen Aspekte von Zentrum, Peripherie und Dezentralisierung sowie der hierfür relevanten politischen Implikationen werden im dritten Unterkapitel (UK II. 3) die Auswirkungen aufgezeigt, die diese Phase in der Ukraine hatte, und wie sich diese in weiterer Folge in der Kunst spiegelten. Ein Haupt­augenmerk wird dabei auf Charkiw, die „Erste Hauptstadt“ der Sowjetukraine, gelegt, in der sich vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen historischen Ent­ wicklungen ein wichtiges, wenngleich wenig registriertes Zentrum der sowjetischen Avantgarde etablierte. Als heterogener Raum geriet die ostukrainische Stadt zu einem wichtigen Anziehungspunkt für ukrainische und russische Künstler, an dem sich auch im Hinblick auf das Publikationswesen und die Architektur bedeutende Aktivitäten akkumulierten. Die vor Ort tätigen Gruppierungen und Medien propagierten den so­ genannten „Mani­festantismus“ als wichtige Ausdrucksform, mit der sie den Status des kulturellen Zentrums selbst mitevozierten. Den Abschluss des zweiten Hauptkapitels (UK II.4) bildet eine ausführliche Vor­stellung der beiden Formationen Nova Generacija und Avanhard, deren Arbeit herangezogen wird, um die Positionierung der ukrainischen Avantgarde als Schwelle zwischen Ost und West zu exemplifizieren. Neben einem Überblick über die historische Entwicklung und etwaige Einflussfaktoren sowie über die Mitglieder und die wich­t igsten Publikationen wird auch auf die wichtigsten Grundsatzpositionen eingegangen, auf die sich die Nova Generacija als letzte Generation der sowjetischen Avant­garde sowie Avanhard als Vertreter des Konstruktiven Dynamismus beriefen.

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Gumbrecht, Hans Ulrich: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Zweite Auflage. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2013, S. 477 f.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Analyse der (Wechsel-)Beziehungen: III Internationalität – die späte ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West Das dritte Hauptkapitel analysiert mit multiperspektivischem Ansatz die Positionie­ rung der ukrainischen Avantgarde zwischen Russland und Westeuropa, wobei die (teils nur symbolische) internationale Vernetzung ebenfalls aufgezeigt wird. Der mehrfachen, mehrdimensionalen peripheren Situation, in der sich die Strömung in den späten 1920er-Jahren befand, wird eine ebenfalls mehrfache, mehrdimensionale Perspektive ent­­gegengesetzt, indem auf verschiedenen Ebenen nach Evidenzen über eine (etwaige) wechselseitige Rezeption, Präsentation und Repräsentation gesucht sowie (erfolg­reiche und gescheiterte) Ver­suche der Interaktion aufgezeigt werden. Diese werden auf eine Relevanz für die ukrainische, aber auch die russische und die westeuropäische Avant­garde hin untersucht. Hierfür wird eingangs (UK III.1) ein Überblick über die wich­tigsten russischen und westeuropäischen Gruppierungen und Medien geboten, die in der Ukraine rezipiert und diskutiert wurden, wobei die (wechselseitige) Rezeption ebenso berücksichtigt wird wie offensichtliche Ähnlich­ keiten und Unterschiede zur Nova Generacija und zu Avanhard. Der nächste Abschnitt (UK III.2) widmet sich den ukrainischen Programmtexten unter dem Gesichtspunkt ihrer Internationalität. Zuerst wird die generelle Bedeutung von Programmtexten und Polemiken für die ukrainische Avantgarde aufgezeigt, de­ ren Ein­beziehung von Seiten der gesamteuropäischen Manifestforschung bislang voll­ständig ausgeblieben ist. Es folgt eine Präsentation der zentralen künstlerischen und literarischen Manifestationen der beiden Gruppierungen Nova Generacija und Avanhard. Diese werden ausführlich präsentiert und schließlich komparatistisch in ihrem Verhältnis zu den Positionen russischer und westeuropäischer Strömungen betrachtet. Durch die ausführliche Darstellung sowie die darauffolgende direkte Ge­ gen­überstellung soll die Frage beantwortet werden, durch welche Besonderheiten sich die Programmtexte aus­zeichneten, wodurch sie sich von anderen Konzepten unter­­ schieden und worin sich Ähnlichkeiten feststellen lassen. Die Positionierung als Schwelle zwischen Ost und West lässt sich überdies an­ hand der zahlreichen Versuche untermauern, sowohl mit russischen als auch mit westeuropäischen Künstlern und Gruppierungen zu kooperieren. Das dritte Unter­ kapitel (UK III.3) widmet sich (diesen Versuchen) der internationalen Kooperation, der Partizipation und der grenzüberschreitenden Vernetzung. Die wechselseitige Partizipation sowie die trans­nationalen Kooperationen der Kunst­schaffenden stellten eine wichtige Basis der Interferenzialität dar. In welche Richtung die künstlerischen Verbindungslinien ver­l iefen resp. auf wessen Initiative die Kooperationen entstanden, wird ebenso auf­gezeigt wie die Bedeutung von „hybriden“ Künstlerpersönlichkeiten wie Kazimir Malevič und Igor’ Terent’ev, die sowohl für die ukrainische als auch für die russische Avantgarde von Bedeutung waren und dadurch auf spezifische Weise zur Vernetzung beitrugen. Die ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften fungierten als bedeutender Spiegel der Inter­ferenz, da sie nicht nur als Sprachrohr zur Propagierung der eigenen Kunst, son­dern zugleich als Plattform für die Diskussion und Reflexion von künstlerischen Innovationen in West und Ost dienten. Die im abschließenden Unterkapitel (UK III.4) gebotene Analyse der wechsel­sei­tigen Rezeption, die in den Zeitschriften sehr gut doku­mentiert ist, zeigt die Aus­einander­ setzung mit russischen und westeuropäischen Strömungen und deren Bedeutung für

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Einleitung

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die ukrainische Kunst auf, um schließlich auch umgekehrt die Wahrnehmung der ukrainischen Aktivitäten in Russland und in West­europa zu untersuchen und anhand der Ergebnisse die Disparität zwischen Zentrum und Peripherie zu demonstrieren. Zuerst wird die Wahrnehmung der russischen Kunst in den Blick genommen, wobei exemplarisch auf einige Beispiele aus der Literatur, der Literaturtheorie sowie der bildenden Kunst eingegangen wird. Im Anschluss daran wird gezeigt, inwieweit es auch in Russland zu einer Rezep­ tion der ukrainischen Avantgarde gekommen ist. Der Fokus wird hierbei darauf gelegt, ob und durch wen in Russland eine Diskussion zu den beiden Gruppierungen Nova Generacija und Avanhard stattgefunden hat. Des Weiteren wird nach der Rezep­ tion westeuropäischer Strömungen in der Ukraine gefragt, wobei exemplarisch die Diskussionen zu Literatur, zu künstlerischen Positionen und bildender Kunst sowie zu den Innovationen im Bereich des Bühnenbildes und des Theaters in den Blick genommen werden. Abschließend wird der Frage nach­gegangen, inwieweit es in Westeuropa zu einer Wahrnehmung der und in weiterer Folge zu einer Bezugnahme auf die ukrainische Avantgarde kam. Dabei wird auf jene Bereiche eingegangen, die entweder am aktivsten, nicht zwangsläufig jedoch am erfolgreichsten an den Versuchen der Vernetzung beteiligt waren (Literatur) oder für die sich tatsächlich eine merkliche Präsenz außerhalb der Sowjetunion konstatieren lässt (Film, Architektur). Die Auswahl der Bereiche versteht sich als exemplarisch, da es neben den untersuchten unzählige weitere Bereiche gäbe, deren Analyse einen nach­haltigen Einblick in die Wechselbeziehungen geben könnte. Analyse der aufgezeigten Beziehungen in der künstlerischen Praxis: IV Interferenzialität – Grenz(überschreitung)en in Polemik und Kunst Das vierte Hauptkapitel ist als analytisches Kapitel konzipiert, das die Situierung zwischen Russland und Westeuropa anhand von Beispielen aus der polemi­schen, der literarischen sowie der künstlerischen Praxis belegen soll. Ein zentraler Punkt widmet sich der avantgardistischen Polemik als Form von Inter­textualität, wobei die von den Gruppierungen exerzierten Praktiken der Ein- und Aus­grenzung auf Oppositionen und Widersprüchlichkeiten hin untersucht werden (UK IV.I). Diese zeigten sich etwa darin, dass die Abgrenzung vom Russischen ge­ paart mit einer Annäherung an Westeuropa auftrat. Darüber hinaus lässt sich eine wider­ sprüchliche politische Orientierung feststellen, die den avantgardistischen Internatio­nalismus mit einer stark ausgeprägten nationalen Komponente verband. Eine kritische Auseinandersetzung mit der national aufgeladenen Kunst ist in jedem Fall geboten, wobei kurz der Frage nachgegangen wird, ob der Nationsbegriff in der späten Phase überhaupt noch im selben Ausmaß aktuell war wie in der Zeit unmittel­ bar nach Er­langung der Eigenstaatlichkeit als Sowjetukraine. Als abschließendes Unterkapitel (UK IV.2) wird schließlich anhand einiger Bei­ spiele aufgezeigt, ob und wie sich die (Wechsel-)Beziehungen mit Russland und West­europa in der literarisch-künstlerischen Praxis selbst manifestierten. Die Inter­ textualität, als die sich sowohl die Praktiken der Rezeption als auch die der pole­ mischen Distanzierung auslegen lassen, wird in dieser Analyse noch um den Aspekt der Intermedialität ergänzt, sodass nicht nur die Überschreitung von Strö­mungs-, sondern auch von Mediengrenzen relevant ist.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Die internationale Anbindung von Avanhard wird anhand von zwei Arbeiten aus der literarischen Praxis demonstriert, die die Besonderheiten des ukrainischen Konstruktiven Dynamismus im Vergleich mit dem russischen literarischen Kon­ struktivismus sehr gut exemplifizieren. Bei der Textauswahl wurde versucht, auch die He­terogenität der Gruppierung Avanhard zu berücksichtigen, sodass neben einem ukra­­inischsprachigen auch ein russischsprachiger Text ausgewählt wurde. Mit Raisa Tro­janker partizipierte an Avanhard  – und dies stellte innerhalb der ukrainischen lite­­rarischen Avantgarde in jeder Hinsicht eine Ausnahme dar – auch eine Frau, die überdies sogar zum Kern der Vereinigung zählte. Von der Autorin stammt der zweite behandelte Text, der sich thematisch den Pogromen an der jüdischen Be­völkerung widmet und ein gutes Beispiel für die Relevanz der jüdischen Kultur bildet. Zur Analyse von künstlerischen Praktiken wird schließlich mit dem Fotogramm eine sehr spezifische Form der experimentellen Fotografie herangezogen, die innerhalb der gesamteuropäischen Avantgarden mit großem Interesse rezipiert und praktiziert wurde und dennoch insgesamt nur eine Randerscheinung blieb. Als „Nullpunkt der Fotografie“, wie Tobias Wilke das Fotogramm bezeichnet,9 überschritt die kameralose Aufnahme nicht nur Medien-, Landes- und Strömungsgrenzen, sondern grenzte sich überdies dezidiert von den neuesten Technologien ab, sodass ihre Verwendung zu­ gleich einen Widerspruch zur Technikbegeisterung der postrevolutionären sow­ je­tischen Futuristen darstellte. Auf die Untersuchung der Typografie, die im ur­ sprüng­ l ichen Konzept an dieser Stelle exemplarisch zur Veranschaulichung der (wechsel­seitigen) Bezugnahme in der künst­lerischen Praxis geplant war, wurde zu Gunsten der Auseinandersetzung mit der Foto­grafie verzichtet. Einerseits wurden einige der Analogien, die sich zwischen den ukra­inischen Avantgarde-Zeitschriften und den Publikationen des deutschen Bau­ hauses feststellen lassen, bereits von Myroslava Mudrak erwähnt, die sich in ihrer 1986 publizierten Studie „The New Gene­ration and Artistic Modernism in the Ukraine“10 in einem eigenen Kapitel der grafischen Umsetzung der ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften widmet. Über­ dies liegen zu den typografischen Experimenten, die sich bei einigen Künstlern der Nova Generacija finden, bereits kleinere Studien von Oleh Ilnytzkyj11 sowie Dmytro Horbačov12 vor. Eine Auseinandersetzung versprach somit keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Mit der experimentellen Fotografie hat sich andererseits ein bis­lang nahezu unbearbeitetes Feld aufgetan, in dem in der Ukraine sehr spezi­fische Arbeiten entstanden, deren Entwicklung, Entstehung und Um­setzung zugleich ein­drücklich die Positionierung zwischen Ost und West in der künstlerischen Praxis belegen.

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Vgl. Wilke, Tobias: Medien der Unmittelbarkeit. Dingkonzepte und Wahrnehmungstechniken 1918–1939. München: Wilhelm Fink 2010, S. 156 f.  Mudrak, Myroslava M.: The New Generation and artistic modernism in the Ukraine. (= Studies in the fine arts. The avant-garde, Nr. 50), Ann Arbor: UMI Press 1986. Vgl. z. B. Ilnytzkyj, Oleh S.: „Visual Dimensions in Ukrainian Futurist Poetry and Prose“, in: Zeitschrift für Slawistik, 35/5 (1990), S. 722–731. Vgl. z. B. Horbachov, Dmytro [Horbačov, Dmytro]: „In the Epicentre of Abstraction: Kyiv during the Time of Kurbas“, in: Makaryk, Irena R./Tkacz, Virlana (Hrsg.): Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/Kiev. Jubilant Experimentation. Toronto et al.: University of Toronto Press 2010, S. 170–195.

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Einleitung

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Zur Entstehung des Bandes Der vorliegende Band ist eine gekürzte Fassung meiner Dissertation, die 2017 am Institut für Slawistik der Universität Wien approbiert wurde. Der Beschäfti­gung mit der ukrainischen Avantgarde ging eine intensive Auseinandersetzung mit anderen, insbesondere russischen Avantgar­den voraus, die wesentlich aus meinem Interesse an intermedialen künstlerischen Prak­tiken resultiert. Die Frage danach, wie Kunst auf politische Umbrüche reagiert bzw. welche Rolle sie einnehmen kann (und möchte), hat sich im Zuge der Arbeit uner­warteterweise (mit der neuerlichen Revolution in der Ukraine) als besonders aktuell er­wiesen. Dieser Band wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne eine Reihe von Personen und Institutionen, die mich unterstützt, motiviert, gefördert und/oder meine Begeis­ terung für die Avantgarde geteilt haben. Ihnen allen sei mein herzlicher Dank aus­ gesprochen. Dieser gilt insbesondere den Betreuern der Arbeit, Wolfgang Müller-Funk und Stefan Simonek (beide Universität Wien) sowie Dmytro Horbačov (Kiew), aber auch den beiden Begutachtern Károly Kókai (Wien) und Ulrich Schmid (St. Gallen). Ein besonderer Dank gilt auch der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften (ÖAW), die das Projekt mit einem DOC-Stipendium (2014 bis 2017) und die Arbeit an der Drucklegung im Rahmen des Post-DocTrack-Pilotprogramms (2018) gefördert hat. Die Österreichische Forschungsgemeinschaft hat einen Teil der Druckkosten finanziert. Die vor­liegende Studie wurde 2018 mit dem Doc.Award der Stadt Wien und der Universität Wien ausgezeichnet. Bildmaterialien resp. Abdruckgenehmigungen wurden von der Archipenko-Foun­ dation, dem Bauhaus-Archiv Berlin, der Bildrecht GmbH Wien, Dmytro Horbačov, der Moholy-Nagy-Foundation sowie der Edith Lutyens & Norman Bel Geddes Foun­ dation zur Verfügung gestellt. Am Harvard Ukrainian Research Institute, an dem ich Studien- und Forschungs­ aufenthalte absolviert habe, waren u. a. Gespräche mit bzw. Seminare bei George Grabowicz, Serhij Plokhij, Volodymyr Dibrova und Halyna Hryn hilfreich. Dmytro Horbačov hat mir in Kiew stets sein Privatarchiv zur Verfügung ge­stellt. Neben den Bibliotheken der Harvard University hat mich auch die Staatsbibliothek zu Berlin, an der ich 2014 Research Fellow war, mit schier unendlichen Mengen an Primär- und Sekundär­quellen versorgt. Recherchen wurden außerdem in Kiew und Charkiw an den Na­tionalbibliotheken und in Archiven in Moskau, u. a. am RGALI, durchgeführt. Während meiner Zeit als OeAD-Lektorin in Kiew konnte ich wichtige Vorarbeiten durch­führen und themenrelevante Projekte, etwa die Konferenz „Wiener Moderne/ Ukrainische Avant­garde“ (Kiew, 2014), initiieren. In Charkiw wurde meine Begeiste­ rung für die ukra­inische Avantgarde vom Künstler Igor’ Nešče­ret geteilt, dem ich auch eine Führung durch das konstruktivistische Deržprom-Gebäude verdanke. Bei den Recherchen wurde ich außerdem von Vaclav Zeman von der Stabi-Berlin sowie den Mitarbeitern der Österreich-Bibliotheken in der Ukraine unterstützt. Für die Förderung meiner Projektideen bedanke ich mich bei Jakub Forst-Battaglia, für Feedback zu Konzept, Text oder Textteilen bei Susi Frank, Verena Krieger sowie bei den anonymen GutachterInnen, die zuerst Konzept und schließlich die fertige Studie evaluiert haben. Für das Korrekturlesen von Text­­teilen danke ich Elisabeth PuntigamGröller, Lesya Ivasyuk, Birgit Rezny, Barbara Seidl sowie Paul Zöchbauer. Darüber hinaus sei Gerhard Donhauser, Sergius Kodera, Johann Sonnleitner, Tanja Veverka sowie meiner Familie für die moralische Unter­stützung gedankt.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Zur Gestaltung des Bandes Die spätestens seit Zerfall der Sowjetunion überwundenen Begriffe „West(-Europa)“ und „Ost(-Europa)“ werden im vorliegenden Band absichtlich benutzt. Einerseits wur­den diese Oppositionen, die bereits in den 1920er-Jahren eine markante politische Teilung Europas definierten, sowohl in der avantgardistischen Polemik als auch in der Kunst selbst repetitiv strapaziert. Als bipolare Orientierungs- und Abgrenzungspunkte ge­rieten sie andererseits zu wesentlichen Identifikationsmerkmalen der Künstler. Während nämlich Westeuropa für viele ukrainische Künstler einen – wiewohl ambi­ valent rezipierten – Sehnsuchtsort darstellte, wurde auf mehreren Ebenen versucht, sich von der kulturellen Dominanz des russischen Zentrums zu emanzipieren. Im Fließtext wird auf eine Kursivsetzung verzichtet. Die Schreibung von Gruppie­ rungen (z. B. Avanhard), Strömungen (z. B. Futurismus) und Institutionen (z. B. VOKS) erfolgt daher ohne Aus­zeichnung. Werktitel (z. B. „My­chajl’ Semenko. Bio­ hrafija“), Zeitschriftentitel (z. B. „Nova Generacija“) und Ausstel­lungstitel (z. B. „Vse­ ukrajins’ka chudožnja vystavka“) sind im Fließtext in Anführungszeichen ge­­setzt. Titel von Mono­grafien und Zeitschriften sind in den Fußnoten und in der Biblio­­grafie kursiv, Titel von unselbstständigen Publikationen in Anführungszeichen gesetzt. Es wurde versucht, die Vornamen der angeführten Personen so vollständig wie mö­­glich zu recherchieren. Da dies nicht immer gelungen ist, wird in einigen Fällen ein Initial angeführt. Auf die Nennung der Vatersnamen wird ebenfalls verzichtet. Geografische Bezeichnungen, für die es eine im Deutschen etablierte (in Wörter­­ büchern festgeschriebene) Entsprechung gibt, werden zwecks besserer Lesbar­keit in dieser  – nicht der wissenschaftlichen Trans­literation entsprechenden  – Form angeführt (z. B. Kiew, nicht Kyjiv; Charkiw, nicht Charkiv). Sofern keine deutsche Form existiert, wird die Trans­literation aus jener Sprache verwendet, die in der entsprechenden Re­gion heute die National­sprache darstellt. Für Namen von Künst­ lern, deren Karriere zum (großen) Teil in Westeuropa verlief, wird ebenfalls auf die im deutschsprachigen Raum gängige Schreibung zurückgegriffen (z. B. Alexandra Exter, nicht Oleksandra Ekster; El Lissitzky, nicht Ėl’ Lisickij). Zitierte Texte und Quellen, die im Original auf Ukrainisch, Russisch oder Espe­ ranto vorlagen, wurden mit deutschen Übersetzungen versehen, die, falls nicht anders ange­geben, von der Verfasserin des Bandes stammen und sich ausschließlich als Hilfsüber­setzungen ohne literarischen Anspruch verstehen. Bei englisch- und fran­ zö­sisch­spra­chigen Texten wurde, soweit nicht für die Textanalyse relevant, auf die Übersetzung verzichtet. Im Anhang wird neben einer Auflistung der wichtigsten Vereinigungen, Grup­ pierungen und Institutionen ein Verzeichnis der Mitglieder der Nova Generacija und von Avanhard geboten, das in den meisten Fällen auch Lebensdaten enthält. Neben dem Namen-, Titel- und Sachbegriffsregister findet sich im Anhang außerdem ein Abkürzungsverzeichnis. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf eine gendergerechte Formulie­ rung verzichtet. Alle männlichen Formen sind daher als geschlechtsneutral zu verste­ hen und be­ziehen sich grundsätzlich auf alle Geschlechter. Hier ist jedoch anzumer­ ken, dass eine Arbeit zur ukrainischen literarischen Avantgarde aufgrund der fast zur Gänze fehlen­den Präsenz weiblicher Akteure einer gendergerechten Formulie­rung leider in weiten Teilen gar nicht bedarf.

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Einleitung

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Forschungsstand

Während die russische Avantgarde bereits in einer Vielzahl von Aspekten sehr gut er­forscht ist, liegen zur ukrainischen Strömung nur verhältnismäßig wenige Arbeiten vor. Ukrainische Literatur und Kunst haben im Laufe der Geschichte, insbeson­dere während der Sowjetherrschaft, oft eine (auch staatlich verordnete) Negierung erfahren, von der lediglich einige kurze Phasen, etwa unmittelbar nach der Revo­lution von 1917 sowie in den 1920er-Jahren im Kontext der sowjetischen Natio­nalitätenpolitik, Aus­ nahmen darstellten. Die staatliche Negierung traf die Avant­garde besonders hart, die zu Beginn der 1930er-Jahre verboten und erst spät, teilweise gar erst mit Ende der Sowjetunion, rehabilitiert wurde. In der Ukraine war dieses Ver­bot vom Versuch begleitet, durch die Vernichtung von Werken der Kunst und der Literatur sämtliche Zeugnisse der Avantgarde zu beseitigen. Was nicht ins Ausland verbracht – und dies war zweifelsohne nur in wenigen Fällen möglich – oder auf anderen Wegen gerettet werden konnte und daher dennoch überlebte, wurde lange Zeit als Sonderbestand („Specfond“) unter Verschluss gehalten und blieb bis zum Zerfall der Sowjetunion nicht oder nur erschwert zu­gänglich.13 In der Kiewer Nationalbibliothek werden die Arbeiten der vormals ver­femten Autoren heute in der eigens eingerichteten Kollektion „reha­bilitierter Künstler“ geführt. Aufgrund der relativ starken internationalen Ver­ netzung der Gruppen finden sich trotz der langjährigen Negierung der Avantgarde auch in europäischen und nordamerikanischen Bibliotheken vereinzelt Ausgaben einiger Periodika und Publikationen.14 Insgesamt konnte erst nach dem Zerfall der Sowjet­union damit begonnen werden, das Erbe der Avantgarde unter Einbeziehung von in- und ausländischen Quellen umfassend aufzuarbeiten. Die Bezeichnung „ukrainische Avantgarde“ wurde zwar erstmals 1973 vom fran­­ zösischen Kunstkritiker Andrej Nakov verwendet,15 konnte sich aber erst seit den 1990er-Jahren – vor allem in der Kunstgeschichte – als wissenschaftlicher Termi­nus etablieren. Maßgeblich hierfür war die 1990 in Zagreb gezeigte Ausstellung „Ukra­ jinska avan­garda 1910–1930”, die erstmals die Werke von Künstlerinnen und Künstlern kulturhistorisch unter einem gemeinsamen ukrainischen Kontext sub­summierte.16 Jene Forschungsarbeiten, die noch vor dem Ende der Sowjetunion entstanden, stam­men aus dem nicht sowjetischen Ausland resp. von ukrainischen Forschern im Exil und haben die behandelten Autoren und Werke noch nicht dezidiert im Kontext einer Avant­gardeforschung untersucht. Hier sei George Luckyjs 1956 in New York heraus­gegebener Band „Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933“17 ebenso 13

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Hier ist anzumerken, dass in der Ukraine überdies viele Werke während des Zweiten Weltkriegs vernichtet, zerstört oder geraubt wurden. Die großen Avantgarde-Zentren Kiew und Charkiw waren besonders stark von den Kriegshandlungen betroffen. Eine vollständige Sammlung aller Jahrgänge der Zeitschrift „Nova Generacija“ (1927–1930) war dennoch nirgendwo auffindbar, sodass erst der Besuch mehrerer Institutionen Zugriff auf alle Quellen ermöglichte  – hier ist im Besonderen Dmytro​ Horbačov zu danken, der die Ausgaben der „Avanhard“ zur Verfügung gestellt hat. Vgl. Horbačov, Dmytro (Hrsg.): Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv. Ukrainian

avant-garde art. Kyjiv: Mystectvo 1996, unpag.

Vgl. Muzej suvremene umjetnosti (Hrsg.): Ausst.-Kat. Ukrajinska avangarda 1910–1930. Zagreb: Galerija Grada Zagreba 1990. Luckyj, George S. N.: Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933. New York: Columbia University Press 1956; neu aufgelegt 1990: Luckyj, George S. N.: Literary

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

erwähnt wie die von Jurij Lavrinenko erstmals 1959 in Paris herausgegebene und mehr­fach aufgelegte Anthologie „Rozstriljane vidrodžennja. Antolohija 1917–1933. Poezija. Proza. Drama. Esej“18 [Die erschossene Wiedergeburt. Anthologie 1917– 1933. Poesie. Prosa. Drama. Essays], die Texte jener ukrainischer Autoren ent­hält, die sich in ihren Werken mit der ukrainischen Identität auseinandersetzten und später dem „Großen Terror“ zum Opfer fielen. Auch ein Großteil der Vertreter der ukrainischen literarischen Avantgarde, so auch die meisten Mitglieder von Nova Gene­racija und Avanhard, wurde 1937 im Zuge des stalinistischen Terrors erschossen. In den USA und Kanada entstanden mehrere wichtige Forschungsarbeiten, wobei sich vor allem Harvard und Toronto als bedeutende Zentren der Ukrainistik-For­ schung etabliert haben. Mit Mudraks Monografie „The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine“ erschien bspw. 1986 eine Analyse zu den bildkünstlerischen Aspekten im Panfuturismus sowie bei der Gruppe Nova Gene­racija. Oleh Ilnytzkyjs umfangreiche Analyse „Ukrainian Futurism, 1914–1930: A Historical and Critical Study“19 (1997) stellt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des literarischen Futu­ rismus der 1920er-Jahre dar und kann als Standardwerk zum ukrainischen Futuris­ mus bezeichnet werden. Dass sich seit der ukrainischen Unabhängigkeit nun­mehr auch in der Ukraine selbst ein großes Interesse an diesem Thema entwickelt hat, wird durch die Publikation einer ukrainischen Übersetzung von Ilnytzkyjs Unter­ suchung belegt.20 Halyna Hryn setzt sich in ihrer leider unveröffentlicht gebliebenen Dissertationsschrift „Literaturnyi iarmarok: Ukrainian modernism’s defining mo­ ment“21 (2005) mit der Charkiwer Kunst- und Literaturzeitschrift „Literaturnyj jar­ marok“ [ Jahrmarkt der Literatur] (1928–1930) auseinander, wobei sie nicht nur deren Bedeutung für die ukrainische Moderne aufzeigt, sondern auch auf ihre Beziehungen zur Nova Generacija und zu Avanhard eingeht. In den letzten Jahren sind im deutsch- und im englischsprachigen Raum mehrere Arbeiten erschienen, was die Aktualität des Themas unterstreicht. Während die ukra­ inische Strömung in Arbeiten zur sowjetischen resp. zur europäischen Avant­garde früher gar nicht aufschien, ist sie nunmehr im 2009 publizierten „Metzler Lexikon Avantgarde“ ebenfalls mit einem eigenen Eintrag vertreten. Dass die Ukraine darin als eine „Wiege der künstlerischen Revolution in Osteuropa“22 bezeichnet wird, ver­ weist wohl primär auf jene Künstler mit ukrainischem Kontext (Malevič, Vladimir Tatlin), die einen maßgeblichen Beitrag zur russischen, sowjetischen (und letztlich auch ukrainischen) Avantgarde geleistet haben. Daneben findet fast ausschließlich der Futurismus Semenkos Erwähnung, der auch insgesamt das am intensivsten er­ forschte Phänomen der ukrainischen Avantgarde darstellt. Vasyl’ Jermilov, der zu

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Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933. Revised and updated edition. Durham and London: Duke University Press 1990. Lavrinenko, Jurij: Rozstriljane vidrodžennja. Antolohija 1917–1933. Poezija. Proza. Drama. Esej. Sechste Auflage 2008, Kyjiv: Smoloskyp 2008. Ilnytzkyj, Oleh S.: Ukrainian Futurism, 1914–1930: A Historical and Critical Study. Massachusetts: Harvard University Press 1997. Il’nyc’kyj, Oleh [Ilnytzkyj, Oleh]: Ukrajins’kyj futuryzm. 1914–1930. L’viv: Litopys 2003. Hryn, Halyna: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment. Ph. D. Dissertation, University of Toronto 2005. Weststeijn, Willem: „Ukraine“ (Lexikoneintrag). Aus dem Niederländischen von Hubert van den Berg, in: Van den Berg, Hubert/Fähnders, Walter (Hrsg.): Metzler Lexikon Avantgarde. Stuttgart/Weimar: Metzler 2009, S. 341–342, hier S. 341.

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Einleitung

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den Mitgliedern von Avanhard zählt, wird kurz erwähnt, wohingegen die viel­seitigen Entwicklungen innerhalb der bildenden Kunst, insbesondere des Bühnen­bildes, gänz­ lich unberücksichtigt bleiben. Im deutschsprachigen Raum widmen sich Valentin Belentschikow23 und Marina Dmitrieva den Besonderheiten der ukrainischen Avantgarde. Von Dmitrieva stammt der 2012 erschienene, umfangreich kommentierte Band „Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren“24, der deutschsprachige Übersetzungen von kunsttheoretischen und künstlerischen Tex­ten ent­hält. Obwohl diese eher im kunst- denn im literaturwissen­schaftlichen Ge­ biet ange­siedelt sind, stellt die Anthologie dennoch als erste ihrer Art einen essen­ tiellen Beitrag zur Wahrnehmung ukrainischer Programmtexte im deutsch­sprachigen Raum dar, der überdies auch russische Publikationen integriert. Von Dmitrieva liegt außerdem der Artikel „Ukrainische Avantgarde-Zeitschriften im inter­ nationalen Kontext“25 vor, der die – nur einmalig erschienene – Zeitschrift „Semafor u majbutn’je. Aparat panfutu­r ystiv“26 [Leuchtsignal in die Zukunft. Apparat der Pan­futuristen] (1922) unter dem Aspekt von Zentrum und Peripherie analysiert und dabei auch intermediale Experimente berücksichtigt. Abgesehen von Alexander Kratochvils Studie „Mykola Chvyl’ovyj. Eine Studie zu Leben und Werk“27, die sich mit der Leitfigur der dritten größeren Vereinigung, VAPLITE, befasst, blieb eine umfassende Auseinandersetzung mit den ukrainischen Forma­tionen der 1920er-Jahre im deutschsprachigen Raum bislang zur Gänze aus.28 Auch die Einbettung in einen westeuropäischen Kontext, die einen zentralen Aspekt der vor­­l iegenden Studie darstellt, wurde bislang noch nicht umfassend vorgenommen. Hier sei jedoch auf den von Dmytro Horbačov und Johann Sonnleitner gemeinsam mit der Verfasserin dieser Studie herausgegebenen Sammelband „Österreichische und ukra­inische Literatur und Kunst“29 verwiesen, der sich österreichisch-ukrainischen Kontakten und Kontexten in Moderne und Avantgarde widmet und somit einen inter­ disziplinären Beitrag zur Untersuchung der Vernetzung mit Westeuropa vornimmt. In der Ukraine selbst können Futurismus, Konstruktivismus und Avantgarde erst seit Er­langung der Eigenstaatlichkeit in den 1990er-Jahren umfangreich bearbeitet werden. Mehrere kunstwissenschaftliche Beiträge stammen vom Kiewer Kunsthistori­ ker Dmy­tro Horbačov, zu dessen wichtigsten Publikationen jene zum Bühnenbildner 23 24 25

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Zum Beispiel Belentschikow, Valentin: „Zu einigen Besonderheiten der ukrainischen literarischen Avantgarde“, in: Zeitschrift für Slawistik, 44/2 (1999), S. 181–197. Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren. Berlin: Lukas Verlag 2012. Dmitrieva, Marina: „Ukrainische Avantgarde-Zeitschriften im internationalen Kon­ text“, in: Deréky, Pál et al. (Hrsg.): Mitteleuropäische Avantgarden. Intermedialität und Interregionalität im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. et al.: Lang 2006, S. 67–86. Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (Mai 1922), Kyjiv 1922. Kratochvil, Alexander: Mykola Chvyl’ovyj. Eine Studie zu Leben und Werk. (= Slavistische Beiträge, Band 379), München: Otto Sagner 1999. Dies mag auch daran liegen, dass der Fokus der deutschsprachigen Ukrainistik sehr auf jene westukrainischen Gebiete gerichtet ist, die ein deutschsprachiges historisches Erbe haben. Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Anatol’ Petryc’kyj30, zum Autor Majk Johansen31 sowie der Sammelband „Ukrajins’ki avanhardysty jak teoretyky i publicysty“32 [Die ukrainischen Avantgarde-Künstler als Theoretiker und Publizisten] zählen. Horbačov widmete sich überdies mit „,Vin ta ja buly ukrajinci‘ – Malevyč ta Ukrajina“33 [„Er und ich waren Ukrainer“ – Malevyč und die Ukraine] als Erster der Aufarbeitung von Malevičs Erbe im Hinblick auf seinen ukrainischen Kontext.34 Darin enthalten sind nicht nur die von Malevič in der Ukraine publizierten theoretischen Essays, sondern auch eine umfangreiche Zusammenstellung von Archivmaterial, das die ukrainische Phase im Schaffen des Künstlers aufzeigt. Ab­ gesehen davon existieren zu den russisch-ukrainischen Wechselbeziehungen keine weiteren relevanten Ausführungen. Horbačov, der noch mit einigen der AvantgardeKünstler persönlich bekannt war – zu diesen zählte z. B. Jermilov35 –, fungiert schon seit langen Jahren als Rehabilitator der ukrainischen Avantgarde: Als Wissenschafter und Kurator hat er zahlreiche Künstler wiederentdeckt und ihr Werk der Öffentlich­ keit zugänglich gemacht. Im Rahmen seiner Arbeit konnte er überdies so manches Werk vor der Vernichtung durch die sowjetischen Behörden retten.36 Er war bereits zu Sowjetzeiten eine wichtige Schnittstelle für jene Forscher – etwa Mudrak –, die sich außerhalb der Sowjetunion mit der ukrainischen Avantgarde auseinandersetzten, als dies in der Ukraine nicht möglich war. Mehrere in der Ukraine edierte Ausgaben zum ukrainischen Futurismus stammen von der ukrainischen Literaturwissenschafterin Anna Bila, die 2010 eine umfangreiche, jedoch nicht vollständige Werkausgabe Semenkos herausgegeben hat,37 die Text- und Quellenmaterialien enthält. Der Band er­schien im Smoloskyp-Verlag als Teil der Reihe „Rozstriljane vidrodžennja“ [Erschossene Wieder­geburt], die u. a. mit Ausgaben zu den Avantgarde-Autoren Majk Johansen38 (2009), Geo Škurupij39 (2013) und Poliščuk40 (2014) ergänzt wurde. Zu den meisten Vertretern von Avanhard existieren im Unterschied zur Nova Generacija

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Gorbačev, Dmitrij [Horbačov, Dmytro]: Anatolij Petrickij. Moskva: Sovetskij chudožnik 1971 (russisch). Horbačov, Dmytro (Hrsg.): Avanhard Johansena. L’viv: Avanhard 2007. Horbačov, Dmytro/Papeta, O./Papeta, Serhij  (Hrsg.): Ukrajins’ki avanhardysty jak teoretyky i publicysty. Kyjiv: Triumf 2005. Horbačov, Dmytro (Hrsg.): „Vin ta ja buly ukrajinci“. Malevyč ta Ukrajina [„Er und ich waren Ukrainer“. Malevič und die Ukraine]. Kyjiv: Sim studija 2006. Malevič, mit polnischem Familienhintergrund aus Kiew gebürtig, absolvierte seine

künstlerische Ausbildung in Kiew und kehrte in den späten 1920er-Jahren dorthin zurück, um an der Kunsthochschule zu lehren. Während dieser Zeit ver­fasste er regelmäßig Beiträge für die „Nova Generacija“.

Dmitrievas Band bietet die von Jermilov an Horbačov gesendeten Briefe in deutscher Übersetzung; vgl. Jermilov, Vasilij: „Briefe an Dmitrij Horbachov“, in: Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 304–312. Horbačov berichtet z. B. davon, wie er in den 1960er-Jahren im Staatlichen Museum

der Ukraine ein Bild Exters vor der Zerstörung retten konnte, das sich bereits bei den zu makulierenden Arbeiten befand; vgl. Anmerkung zu Abb. 53 in: Horbačov (Hrsg.): Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv, unpag.

Semenko 2010: Vybrani tvory. Johansen, Majk: Vybrani tvory. Hgg. von Rostislav Mel’nyk. Kyjiv: Smoloskyp 2009. Škurupij, Geo: Vybrani tvory. Hgg. von Ol’ha Punina und Oleh Solovej. Kyjiv: Smoloskyp 2013. Poliščuk, Valer”jan: Vybrani tvory. Hgg. von Olesja Omel’čuk. Kyjiv: Smoloskyp 2014.

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Einleitung

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bislang keine umfangreicheren wissenschaftlichen Studien, wiewohl die Gruppierung sowohl bei Bila als auch bei Ilnytzkyj Erwähnung findet. Eine komparatistische Untersuchung, die sowohl russische als auch ukrainische Erschei­nungen einbezieht und gegenüberstellt, war bisher ausständig. Forschungs­ arbeiten zur russischen Avantgarde dienen nur sporadisch als Informationsquellen zu ukra­inischen Erscheinungen. In Vladimir Markovs 1969 erschienener umfangreicher Studie „Russian Futurism“41 wird zwar auch die Zeit nach der Revolution behandelt, der ukrainische Futurismus sowie die ukrainische Avantgarde bleiben aber trotz in­ tensiver wechsel­seitiger Bezugnahmen der Gruppierungen aufeinander fast gänz­ lich unbeachtet. Lediglich Semenko findet als „perhaps best-known Ukrainian futu­ rist“ Erwähnung, wobei Markov Analogien zum Werk der russischen Ego-Futuristen fest­stellt.42 Die Untersuchungen zum postrevolutionären sowjetischen Futurismus konzentrieren sich in Russland einerseits auf die LEF (Levyj front iskusstv) [Linke Front der Künste] (1923–1925) sowie die Novyj LEF (Novyj levyj front iskusstv) [Neue Linke Front der Künste] (1927–1928) rund um Vladimir Majakovskij, anderer­ seits wird dem Konstruktivismus große Aufmerksamkeit zuteil. Rainer Grübels 1981 publizierte Dissertationsschrift „Russischer Konstruktivismus“43 bietet einen umfassenden und nach wie vor aktuellen Überblick über die Entwicklungen in der russischen konstruktivistischen Kunst, der Literatur und der Theorie. Der u. a. von Hubertus Gaßner edierte Sammelband „Die Konstruktion der Utopie“44 befasst sich zwar mit den Utopien im Zeitalter des Kon­struktivismus, schließt jedoch ebenfalls keine ukrainischen Strömungen mit ein. Auch Arbeiten, die sich dezidiert dem Phänomen der sowjetischen Avantgarde an Peri­pherien widmen, ließen die ukrainische Komponente bislang weitgehend unberück­sichtigt. Tat’jana Nikol’skaja beschränkt z. B. die Textauswahl in ihrem Band „Avangard i okrestnosti“45 [Avantgarde und Peripherie], der Avantgarden an verschie­ denen Peri­pherien aufzeigt, ausschließlich auf – auch außerhalb russischer Einfluss­ sphären agierende  – russischsprachige Erscheinungen, während die ukrainische Avant­­garde un­berücksichtigt bleibt. Für die vorliegende Studie lassen sich jedoch unter Bezugnahme auf diese Analysen Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzeigen. Während die Studien zur ukrainischen Avantgarde anfänglich vor allem aus Quellen­arbeit sowie Material- und Textanalysen bestanden, erfolgt in letzter Zeit zu­ nehmend eine Einbeziehung anderer – etwa kulturwissenschaftlicher – Perspektiven, wobei nun­mehr umgekehrt auch eine Einbeziehung in transnationale Forschungen stattfindet. Wie sehr die Erforschung der ukrainischen Avantgarde in den letzten Jahren auch inter­national an Aktualität gewonnen hat, zeigt sich z. B. darin, dass unlängst auch in Russ­land eine Auseinandersetzung mit dem ukrainischen Futurismus begonnen hat. 41 42 43

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Markov, Vladimir: Russian Futurism: A History. London: MacGibbon & Kee 1969. Vgl. ibd. S. 212. Grübel, Rainer Georg: Russischer Konstruktivismus. Künstlerische Konzeptionen, literarische Theorie und kultureller Kontext. (=  Opera Slavica. Neue Folge, Band 1), Wiesbaden: Harrassowitz 1981. Gaßner, Hubertus/Kopanski, Karlheinz/Stengel, Karin (Hrsg.): Die Konstruktion der Uto­pie. Ästhetische Avantgarde und politische Utopie in den 20er Jahren. Marburg: Jonas Ver­ lag 1992. Nikol’skaja, Tat’jana: Avangard i okresnosti. Sankt-Peterburg: Izdatel’stvo Ivana Limba­ cha 2002.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Mit Anna Bilas „Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm“46 [Mychail’ Semenko und der ukrainische Panfuturismus] erschien mitten in einer Zeit der wiederaufgeflammten poli­tischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine ein umfassender Band, der zahlreiche Materialien des Künstlers in russischer Übersetzung präsentiert. Durch die Integration von umfangreichem Bildmaterial liegt eine Edition vor, wie sie in ähnlich kompakter Form in der Ukraine bislang noch nicht existiert.

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Belaja, Anna [Bila, Anna] et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Ma­ nifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016 (rus­ sisch). — Im russischen Band firmiert Bila unter dem Namen „Anna Belaja“, was einer Übersetzung von „Bila“ (ukr.: weiß) ins Russische entspricht.

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Einleitung

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Theoretisch-methodische Überlegungen

Die Avantgarde wird heute in der Forschung nicht mehr allein als Versuch gesehen, die Gesellschaft durch Kunst zu revolutionieren. Dennoch wird das Verfehlen der selbst proklamierten Ziele – sei es in politischer, gesellschaftlicher oder künstlerischer Hinsicht  – oftmals als primäre Ursache für das „Scheitern der Avantgarde“47 ange­ führt. Das Versagen zeigt sich nicht nur darin, dass der angekündigte Angriff auf die Institutionen der autonomen Kunst nicht gelingen konnte, sondern, viel schlimmer noch, dass die eigene Kunst schließlich selbst institutionalisiert wurde – Aage HansenLöve spricht hier von einer „Verstaatlichung der Kultur im Institutionellen“.48 Boris Groys sieht Anlass zur Kritik an der Avantgarde darin, dass sie den Weg für das spä­ tere totalitäre System erst geebnet habe.49 Eine Kritik, die übrigens – unter gänzlich anderen Vorzeichen – stark jener ähnelt, die Georg Lukács am Expressionismus übte: Dieser habe – nicht zuletzt aufgrund seiner formalistischen Prägung – den Faschismus ideologisch vorbereitet.50 In der Ukraine herrschte insofern eine spezifische Situation, als nicht nur die Gesellschaft revolutioniert, sondern zugleich eine eigenständige Kul­ tur – also Kunst und Literatur – salonfähig gemacht werden sollte, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnete, dass sie sich grundlegend von der russischen unterschied. Obwohl die Ukraine 1922 im Rahmen der Sowjetunion eine Quasi-Eigenstaat­ lichkeit51 erlangte, blieb das Verhältnis zu Russland weiterhin durch eine Asymmetrie geprägt. In der vorliegenden Studie wird daher von der Ukraine als kulturellem Raum ausgegangen, der sich in den 1920er-Jahren in einem dynamischen Prozess der Abgrenzung von dem pri­mären Zentrum (Russland) sowie der Annäherung an ein sekundäres Zentrum (West­­europa) befand. Die lange Phase der Zugehörigkeit zu Russland wurde von vielen ukra­inischen Kulturschaffenden mit einer Marginali­ sierung der ukrainischen Kul­tur in Ver­bindung gebracht. Trotz Erlan­gung der Eigen­ staatlichkeit im Rahmen der Sowjet­union agierten ukrainische Kunstschaffende im gesamtsowjetischen Kontext be­trachtet nach wie vor aus einer peripheren Situation heraus, während Sowjetrussland, sowohl in politischer als auch in kultureller Hinsicht tonangebend, immer noch das kulturelle Zen­trum bildete. Im Folgenden wird die ukrainische Avantgarde als kulturelle Erschei­nung verstanden, die versuchte, sich aus der peripheren Situation zu lösen, die kultu­relle Dominanz des Zentrums zu durchbrechen und dieser eine gleichrangige Kunst ent­­gegenzusetzen. Das daraus 47 48

Zum „Scheitern der Avantgarden“ vgl. Bürger, Peter: Theorie der Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974, S. 78. Vgl. Hansen-Löve, Aage: „Die Kunst ist nicht gestürzt. Das suprematistische Jahr­ zehnt“, in: Malevič, Kazimir: Gott ist nicht gestürzt! Schriften zu Kunst, Kirche, Fabrik. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Aage A. Hansen-Löve. München/

Wien: Carl Hanser 2004, S. 255–603, hier S. 421.

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Groys, Boris: Gesamtkunstwerk Stalin. Die gespaltene Kultur der Sowjetunion. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. München: Carl Hanser Verlag 1996, insbes. S. 25 ff. Vgl. Hey-Erl, Ekkehard: „Materialistische Theorien“, in: Sexl, Martin (Hrsg.): Ein­ führung in die Literaturtheorie. Wien: Facultas 2004, S. 99–128, hier S. 116. Mit „Quasi-Eigenstaatlichkeit“ ist im Folgenden der Umstand gemeint, dass die sowje­ tische Ukraine zwar über eine eigene Verfassung und eine eigene Regierung ver­fügte, de-facto jedoch lediglich eine Republik innerhalb des von Moskau aus zentralistisch regierten Bundes der Sowjetrepubliken repräsentierte und somit der zentralen sow­ jetischen Regierung in Moskau unterstellt war.

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resultierende Spannungsverhältnis manifestierte sich in spezifischer Weise in den literarischen und künstlerischen Polemiken, in denen auf mehr­­facher Ebene eine Ab­ grenzung von Russland erfolgte. Gemeinsam mit dieser Dis­tanzierung kam es zu einer Annäherung an Europa, wobei die Entwicklungen in den Kunst-Metropolen Berlin und Paris mit besonders großem Interesse verfolgt wurden. Die Asymmetrie zwischen Zentrum und Peripherie, deren Relevanz anhand von Bei­spielen aus der literarischen, der polemischen sowie der künstlerischen Praxis auf­ gezeigt wird, rückt die Untersuchung in eine räumliche Dimension, wobei nicht nur topografische, sondern vor allem „abstrakte topologische Räume“52 (etwa die künst­ lerische Praxis selbst sowie ihre internationale Wahrnehmung) auf ihre Disparität hin befragt werden. Die Asymmetrie wird nicht nur auf ihre dynamische Verschiebung im Kontext historischer Prozesse, sondern auch auf ihre Infragestellung durch die Kunst­ schaffenden hin untersucht. Dichotomien, Oppositionen und Widersprüche, die nicht zuletzt in der programmatischen und künstlerischen Praxis konstruiert wurden, spielen eine ebenso große Rolle wie die dabei entstandenen Grenzen und Übergänge, deren Überwindung resp. Auflösung intendiert wurde. Im Folgenden wird ein Über­ blick über einige Theorien gegeben, die für das behandelte Thema relevant sind und auf die sich die Studie  – insbesondere im Kapitel „Marginalität?  – die Ukraine als Zentrum der Avantgarde an einer sowjetischen Peripherie“ – stützt resp. deren An­ wendbarkeit in der Untersuchung kritisch hinterfragt wird. Kultureller Raum, Zentrum – Peripherie Im Hinblick auf das (Wechsel-)Verhältnis zwischen ukrainischer, russischer und west­ europäischer Avantgarde erweist sich die Opposition von Zentrum und Peripherie als besonders prägnant und auf mehrfacher Ebene präsent. Wenngleich (resp. weil) Theo­ rien zu Zentrum-Peripherie häufig deshalb kritisiert werden, da sie ausschließlich auf entgegengesetzte Pole fokussieren, sind sie für die zu untersuchende Thematik in mehr­­facher Hinsicht relevant: Einerseits generierten die untersuchten Gruppierungen ihre Kraft sehr wesentlich aus der Bildung von Oppositionen, sodass die Konstruktion von Gegenpolen zu einem wichtigen Element der ukrainischen Avantgarde wurde. Überdies bildete das Lamento über die gefühlte Nicht-Existenz und die Gering­ schätzung der eigenen Kultur, der mit der russischen Kunst ein dominantes Zentrum gegenüberstand, einen prägnanten Aspekt der kulturellen Debatte, in der die Trans­ formation von einer kulturellen Peripherie in ein Zentrum ein erklärtes Ziel darstellte. Das Aufzeigen von Zentrum-Peripherie-Relationen stellt einen Bereich des Raum­ modells dar, in dem die beiden Pole „räumliche Koordinaten [repräsentieren], die das Verhältnis zweier Aspekte in einem strukturierten Territorium beschreiben“53. Zudem 52

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Unter dem Begriff der abstrakten topologischen Räume lässt sich mit Verweis auf Jurij Lotman die Ausweitung des Raummodells auf nicht-räumliche Bereiche verstehen; vgl. Lotman, Jurij: Die Innenwelt des Denkens. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold und Olga Radetzkaja. Hgg. von Susi Frank, Cornelia Ruhe und Alexander Schmitz, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 202. Einen Überblick über verschiedene Konzepte zu „Zentrum“ und „Peripherie“ in un­ terschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen bieten z.  B. Hárs, Endre/MüllerFunk, Wolfgang et  al.: „Zentren peripher. Vorüberlegungen zu einer Denkfigur“, in: Hárs, Endre/Müller-Funk, Wolfgang et  al. (Hrsg.): Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn. (= Kultur – Herrschaft – Differenz, Band 9), Tübingen/ Basel: A. Francke Verlag 2006, S. 1–15, hier S. 7.

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ermöglicht es, nicht-räumliche Vorstellungen auszudrücken.54 Wolfgang Müller-Funk verweist auf die generelle Problematik, die Perspektive des Raums, die nicht nur „ein hohes Maß an Plastizität und Anschaulichkeit“ ermöglicht, sondern „Begriffe wie Grenze, Schwelle und Rand“ mit einschließt, ausschließlich räumlich zu verstehen, in­ dem etwa die Zeit ausgeblendet wird. Kunstwerke, aber auch Kulturen würden sich näm­lich darin unterscheiden, „wie sie Zeit und Raum strukturieren, koppeln und kombinieren“.55 Die Gegenüberstellung eignet sich auch für die Darstellung von politischen, sozialen oder kulturellen Differenzen. Als kultureller Bedeutungsträger lässt sich der Raum als Instanz verstehen, an dem kulturelle und gesellschaftliche Normen und Vorstellungen durch das Aufzeigen ihrer Relation zu anderen Kulturen veranschaulicht wer­den kön­nen. Demgemäß können künstlerische Praktiken ebenso Räume darstellen wie Texte, Kunstwerke, Konzeptionen oder deren Wahrnehmung. Für die vorliegende Studie er­weisen sich z. B. topografische, zeitliche, künstlerische, konzeptionelle, ideologisch-moralische, sprachliche und nationale Räume resp. deren Ränder als essentiell, sodass deren Peripherien, Grenzen und Rändern sowie den Versuchen ihrer Destruktion und Überschreitung ein Schwerpunkt-Interesse gilt. Daneben ist der Raum auch in Bezug auf Texte, Medien und Gattungen (Intertextualität, Intermedialität) relevant, da sich die Interferenz auch in der Über­ schreitung von Text- und Mediengrenzen manifestierte. Jurij Lotmans Theorie zur „Semiosphäre“ bietet eine mehrdimensionale Erweite­ rung des semiotischen Kommunikationsmodells, dessen Bausteine (Sender, Emp­ fänger, Me­d ium) um den semiotischen Raum, der diese umgibt, ergänzt werden. Der semiotische Raum wird dabei jedoch nicht als Summe der einzelnen verwen­ deten „Sprachen“ (wo­bei mit „Sprachen“ sämtliche Kommunikationsmittel, also auch die hier relevanten künst­lerischen Ausdrucksformen und Phänomene, zu ver­ stehen sind), son­dern als grund­­legende Voraussetzung für die Existenz und das Funktionieren von Kommunika­tion selbst definiert.56 Lotman verwendet für die Ge­ samt­­heit des semiotischen Raums einer Kultur (und somit für die Gesamtheit ihrer Zeichenbenutzer, Texte und Codes) den Begriff der „Semiosphäre“, außerhalb der, ähnlich wie in einer Biosphäre, weder Kommunikation noch Sprache existieren können.57 Wechselwirkungen zwischen kultu­rellen Codes resp. Praktiken und dem semio­­tischen Raum, der sie umgibt, nehmen in diesem Konzept eine zentrale Rolle 54 55

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Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 202. Müller-Funk, Wolfgang: Kulturtheorie. Einführung in die Schlüsseltexte der Kulturwissen­ schaften. Zweite, erweiterte und bearbeitete Auflage. Tübingen/Basel: A. Francke Verlag 2010, S. 312. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 163 ff. Lotmans Konzept entstand unter Bezugnahme auf Vladimir Vernadskijs Definition der Biosphäre; vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S.  164. —  Der Begriff der Biosphäre wurde von Lotman bereits 1971 im gemeinsam mit Boris Uspenskij publizierten Essay „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“ (1971) verwendet: Kulturen wür­den demnach Strukturen erzeugen und „dadurch um den Menschen herum eine soziale Sphäre [schaffen], die, ähnlich der Biosphäre, Leben möglich macht und zwar nicht organisches, sondern gesellschaftliches“: Lotman, Jurij/Uspenskij, Boris: „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“, übersetzt von Adelheid Schramm-Meindl, in: Eimermacher, Karl (Hrsg.): Semiotica Sovietica. Sowjetische Arbeiten der Moskauer und Tartuer Schule zu sekundären modellbildenden Zeichensystemen (1962–1973). Band 1. Aachen: Rader Verlag 1986, S. 853–880, hier S. 855.

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ein.58 Widerstreitende Kräfte, deren Opposition zu Spannungen führt,59 bilden eine Basis für diesen semiotischen Raum  – die Dynamik des kulturellen Prozesses wird also wesentlich durch Oppositionen, Dichotomien und Asymmetrien forciert,60 die in den Polemiken der ukrainischen Avantgarde zahlreich thematisiert wurden. Als systemtheoretisch ausgerichtetes Konzept kann die Gegenüberstellung bspw. die Veranschaulichung von regelhaft verlaufenden Prozessen zwischen einem Zentrum und seinen Peripherien resp. – aus umgekehrter Perspektive gesehen – zwischen Peri­ pherien und ihren Zentren Abhängigkeitsverhältnisse und Kräfteverhältnisse auf­ zeigen und demonstrieren. In Bezug auf die Kultur lässt sich die symbolische Hie­ rar­chie der Akteure in ihren Repräsentationsformen erfassen,61 sodass Praktiken der Identitätskonstruktion sowie die Funktion von Hierarchien veranschaulicht werden. Auch wenn die Betrachtung von Oppositionen lediglich die beiden Pole, nicht aber die unzähligen Abstufungen und Schattierungen dazwischen berücksichtigt, so befinden sich die dargestellten Positionen (Zentrum, Peripherie) doch innerhalb ein und des­ selben Systems und sind somit Teil eines gemeinsamen Raums. Im Fall der Ukraine wurde dieser Raum politisch gesehen durch die Sowjetunion repräsentiert, ging je­ doch in kultureller Hinsicht weit über die politischen Grenzen hinaus. Ungeachtet der Asym­metrie sind die beiden Positionen nicht als fixe Größen zu be­trachten, die abhängig von der jeweiligen Frageperspektive sowohl Zentrum als auch Peripherie repräsentieren können und damit sowohl dynamisch als auch relativ sind.62 Aleida Assmann fügt dieser Relativität und den damit einhergehenden pluralistischen Über­ schneidungsmomenten noch den Aspekt der Relationalität, der wechselseitigen Ab­ hängigkeit, hinzu: „Der eine bleibt unverständlich ohne den anderen. Jeder ist vom Pole [sic] des anderen her definiert und verändert seine Bedeutung mit dessen Ver­änderung oder Verlagerung.“63 Dass viele Oppositionen von den ukrainischen Künst­lern – durch Ab-, Aus- und Eingrenzung – absichtlich konstruiert wurden, macht den Versuch, die Durchlässigkeit der scheinbar unversöhnlichen Gegensätze zu analysieren, ebenfalls interessant. Asymmetrie stellt allerdings auch in Lotmans semiotischem Konzept insofern einen wesentlichen Faktor im Verhältnis von Zentrum und Peripherie dar, als z. B. Ent­wick­lungen im Zentrum weiter fortgeschritten sind und daher eine stärkere strukturelle Orga­nisation aufweisen als jene in entlegeneren Gebieten.64 Umgekehrt herrsche, so Lot­man, an der Peripherie eine gesteigerte Dynamik, während das Zen­ 58 59 60

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Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 163 ff. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 174. Valerij Gretchko bietet einen Überblick zur generellen Relevanz von Dichotomien und Oppositionen bei Lotman: Gretchko, Valerij: „Jurij Lotmans Modell der kommu­ nikativen Asymmetrie. Entstehung und Implikationen“, in: Frank, Susi/Ruhe, Cornelia/ Schmitz, Alexander (Hrsg.): Explosion und Peripherie. Jurij Lotmans Semiotik der kul­ turellen Dynamik revisited. Berlin: De Gruyter 2012, S. 79–95. Vgl. Hárs/Müller-Funk et  al. 2006: „Zentren peripher. Vorüberlegungen zu einer Denkfigur“, S. 7. Vgl. ibd. S. 2. Assmann, Aleida: „Vom Zentrum zur Peripherie und wieder zurück. Reisen ins Herz der Finsternis“, in: Vogt, Matthias Theodor/Sokol, Jan/Ociepka, Beata/Pollack, Detlef/ Mikolajczyk, Beata (Hrsg.): Peripherie in der Mitte Europas. Frankfurt a. M. et al.: Peter Lang 2009, S. 66–71, hier S. 66. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 169.

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trum nicht zu­letzt aufgrund der eigenen Organisiertheit erstarre.65 Je größer die Dis­ tanz vom Zen­trum, desto konfliktträchtiger sei das Verhältnis zwischen Praxis und Norm,66 wobei dieses Konkurrenzverhältnis als Motor für eine gesteigerte Pro­duk­ tivität dienen kann,67 wie dies z. B. in der Ukraine auch erfolgte, die sich in einem per­ manenten Kon­kurrenzverhältnis zu Russland befand. Marginale Kulturphänomene weisen über­d ies oft keinerlei Bezug mehr zu jenem Idealbild auf, das vom Zentrum skizziert wird,68 sie nehmen sich somit oft weitaus mehr Freiheiten heraus, als dies, insbesondere in einem repressiven System wie der Sowjetunion, im Zentrum möglich ist. Dass ein Bezug zur idealisierten Norm nicht mehr vorhanden war, wurde von der ukrainischen Avantgarde, die, wie im Folgenden ausführlich aufgezeigt wird, auf ihrer künstlerischen Autonomie beharrte, besonders oft betont. Für die kritische Betrachtung von Machtverhältnissen, wie sie innerhalb der Post­ colonial Studies erfolgt, stellt die Dynamik an den Peripherien ebenfalls einen wich­ tigen Ausgangspunkt dar. Kulturelle Entwicklungen an Peripherien werden dabei als dynamischer Prozess identifiziert, der in Ablehnung der Diskurse im Zentrum neue Dynamiken freisetzt und dadurch zu einer Umwertung tradierter Normen und Sicht­­weisen führt. Edward Said bezeichnet „Imperialismus“ als „die Praxis, die Theo­rie und die Verhaltensstile eines dominierenden großstädtischen Zentrums, das ein abgelegenes Territorium beherrscht“69, wobei er auf den Historiker D. K. Field­house verweist, dem zufolge eine Voraussetzung für die Dauerhaftigkeit eines Impe­riums darin liege, dass die beherrschte Seite die Herrschaft akzeptiert.70 In der Ukraine kam es im Hinblick auf die Akzeptanz dieser Herrschaft insofern zu einer ambiva­lenten Positionierung, als die Sowjetherrschaft von den Avantgardekünstlern zwar eindeutig unterstützt, die hege­moniale Macht Russlands resp. der russischen Kultur dagegen ge­radezu dogmatisch ab­gelehnt wurde. Nimmt man nun die poli­ tischen Machtverhältnisse in den Blick, so wurde das sowjetische Zentrum in den 1920er-Jahren sowohl in der Politik als auch in der Kunst eindeutig von Moskau repräsentiert. Im Hinblick auf die kulturelle Situation lässt sich dagegen von einer zweifachen peripheren Lage sprechen, da die Zentren des ukrainischen Interesses so­­wohl in West­europa als auch in Russland lagen, wobei das Verhältnis zu diesen beiden Zentren eben­falls ambivalent war: Einer­seits war es durch eine deutliche Affir­ mation und Annäherung (an Westeuropa), andererseits aber durch eine prinzipielle Haltung der Oppo­ sition und Ablehnung (gegenüber Russland) geprägt, worauf in den Kapiteln zur Internationalität und zur Interferenzialität eingegangen wird. In einer doppelten peri­pheren Lage, einer „in-between peripherality“71, verortet Steven Tötösy de Zepetnek auch die Länder Mitteleuropas. Das System der Sowjet­­ 65 66 67 68 69

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Ausführlicher dazu vgl. Gretchko 2012: „Jurij Lotmans Modell der kommunikativen Asymmetrie. Entstehung und Implikationen“, S. 87. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 178. Vgl. ibd. S. 179. Vgl. ibd. S. 172. Said, Edward W.: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht. Aus dem Amerikanischen von Hans-Horst Henschen. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1994, S. 44. Vgl. ibd. S. 45. Vgl. Tötösy de Zepetnek, Steven: Comparative Literature. Theory, Method, Application. Amsterdam/Atlanta: Rodopi 1998, S. 129 ff. – zit. nach Endre/Müller-Funk et al. 2006: „Zentren peripher. Vorüberlegungen zu einer Denkfigur“, S. 10.

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union stelle, so Tötösy de Zepetnek, eine Sonderform des Kolonialismus dar, „that manifests itself in a ,secondary‘ colonialization through ideo­logical, political, social, cultural, and other means“.72 Der Begriff der „Halbkolonie“ wurde bereits von ukrainischen Kunstschaffenden selbst verwendet, deren Polemiken oft das Gefühl der ideologischen, politischen und kultu­rellen Unterdrückung transportierten.73 Ebenfalls auf den Raum bezieht sich Pierre Bourdieus literatursoziologischer Ansatz zum „lite­rarischen Feld“, wobei der soziale Raum darin eines jener Elemente bildet, das eine Analyse der Funktionsweisen des Literaturbetriebes erlaubt. Das Konzept kann sich im Hinblick auf die Untersuchung von Asymmetrien und transgressionalen Spannungs­zuständen insofern als hilfreich erweisen, als es die Akteure und somit die Kultur­produzenten in das Feld der Produktion miteinbezieht. Ähnlich wie bei Lotman entsteht die Literatur nicht isoliert von ihrer Umgebung, wobei sich Bourdieu primär auf die Relevanz des sozialen Gefüges stützt, von dem ein Autor resp. Produzent um­ geben ist. Die herkunftsbedingte Einstellung eines Schriftstellers, die sich aus seinen Denk-,​Wahrnehmungs- und Handlungsmustern (Habitus) zusammensetzt, wird in Bourdieus Konzept durch das Aufeinandertreffen mit einem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Gefüge der Literatur transformiert, sodass die Präferenzen des Autors erst durch die Einbettung in einen sozialen Raum generiert werden. Das „literarische Feld“ ist also ein Aktionsraum, der eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft bildet. Die Autoren sind nicht einfach beziehungslose Akteure, sondern erzeugen ein System aus Kraftlinien, Spannungsfeldern und Einflussbeziehungen.74 Der Aufbau von wechsel­ seitigen Beziehungen war in der Ukraine besonders relevant, sodass die Gruppie­ rungen und ihre Akteure überaus aktiv an der Schaffung eines Netzwerks, eines „avantgardistischen Feldes“, partizipierten. Dass auch Wahrnehmung einen Raum darstellen kann, der sich in Zentrum und Peri­pherie einteilen lässt, wurde in den 1920er-Jahren von Ernst Cassirer beschrieben. Durch unterschiedliche kulturell bedingte Kontexte werden entsprechende Sinnzu­ sammen­hänge und Raumvorstellungen symbolisch geformt. Das Registrieren und Rezi­pie­ren von etwas – innerhalb von Kunst und Literatur also bspw. einer Erscheinung, Strö­mung  – impliziert stets auch das Auslassen, das Nicht-Registrieren von etwas Anderem. Cassirer benutzt den Begriff der „symbolischen Prägnanz“ zur Bezeichnung dessen, was eine Erscheinung durch Differenz, bewusst vorgenommene bildliche Re­ prä­­sentation oder durch soziale Vorbedingungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken lässt. Jörn Bohr zieht hier eine Parallele zu Alfred Schütz und dessen Terminus der „Rele­vanz“: Die „thematische Relevanz“ lässt das hervortreten, was im Zentrum der Auf­merksamkeit steht, während die „Interpretationsrelevanz“ eine Auslegung des vom Rand ins Zentrum Vorgedrungenen erfordert und die „Motivationsrelevanz“ als

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Tötösy de Zepetnek 1998: Comparative Literature. Theory, Method, Application, S. 131. Dass der Begriff „Halbkolonialismus“ eigentlich einen Terminus der sowje­tischen Natio­nalitätenpolitk darstellte, der einen agitativen Charakter hatte und zur Abgren­ zung von der zaristischen Epoche eingesetzt wurde, unterstreicht die ambiva­lente Hal­ tung der Künstler, die Russland zwar ablehnten, die Sowjetunion jedoch unter­stützten. Zur Feldtheorie Bourdieus vgl. z. B. Joch, Markus/Wolf, Norbert Christian: „Feldtheorie als Provokation der Literaturwissenschaft“, in: Joch, Markus/Wolf, Norbert Christian (Hrsg.): Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Berlin: De Gruyter 2005, S. 1–24, insbes. S. 1–5.

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Aus­löser für Handlungen dient. Innerhalb der Wahrnehmung erfolgt somit ebenfalls eine Separierung in Zentren und Peripherien.75 Anknüpfungspunkte zur thematischen Relevanz lassen sich in Jurij Tynjanovs Konzept zur literarischen Evolution festmachen,76 in dem ebenfalls ein Austausch zwischen Zen­trum und Peripherie stattfindet: Erscheinungen, die zu einer gewissen Zeit ein lite­rarisches Faktum bilden, fallen zu einer anderen Zeit aus der literarischen Reihe heraus, sodass sie nunmehr außerhalb dieser Reihe stehen, thematisch keine Relevanz mehr auf­weisen und sich somit außerhalb des Wahrnehmungsraums be­ finden. Das Konzept der außerliterarischen Reihe, das eine „Ablösung der Systeme“ beinhaltet,77 lässt wiederum an Lotman denken, der ebenfalls davon spricht, dass Zentrum und Peripherie die Plätze tauschen, wenn etwa – wie dies auch zwischen der Ukraine und Russland der Fall war – ein starkes Konkurrenzverhältnis vorliegt.78 Gumbrecht geht in seiner eingangs erwähnten synchron konzipierten Geschichts­ schreibung „1926. Ein Jahr am Rand der Zeit“ unter Einbeziehung inter­textueller Verfahren auf die damals aktuellen Diskurse – also jene, die thema­tisch im Zentrum standen – mit Fokus auf deren Gleichzeitigkeit ein. Ein Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie ergebe sich Gumbrecht zufolge aus dem Eindruck, alle möglichen Phänomene, Meinungen und Perspektiven seien im Zentrum ohne­hin präsent, während die verschiedenen Räume an der Peripherie – wenigstens zeit­weilig – eines Teils dieser Phänomene, Meinungen und Perspektiven beraubt sind.79

Das Zentrum sei Gumbrecht zufolge deshalb weniger interessant, da seine Kultur „zur Norm geworden“80 ist. Obwohl die Avantgarde ursprünglich als Revolution gedacht war, wurde auch sie nach gewisser Zeit zur Norm: Eine Revolution beinhaltet zwar – zu­mindest zu Beginn – immer den Effekt der Erneuerung und somit der künstlerischen Innovation. Aufgrund der Einmaligkeit revolutionärer Erscheinungen81 kommt es je­doch nach einer gewissen Zeit zu einer Abnutzung dieses Innovationseffektes, sodass sich die ehemals innovative Kunst in weiterer Folge entweder selbst als Norm etabliert – und damit nicht mehr neu und interessant ist – oder ganz resp. teilweise aus dem kulturellen Feld herausfällt – und somit nicht mehr oder nur im Abseits existiert. 75

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Vgl. Bohr, Jörn: „Konstruktionen und Wahrnehmungen des Räumlichen in kulturellen Sinnzusammenhängen“, in: Geiser, Myriam/Rademacher, Dominique/Taïeb, Lucie (Hrsg.): Grenzen der Zentralität. Zur Dynamik von Zentren und Peripherien/Limites de la centralité. La dynamique des centres et des périphéries. (= Schriften zur Kultur und Geistes­ geschichte, Band 2), Berlin: Logos Verlag 2011, S. 29–39, hier S. 36 ff. Vgl. Tynjanov, Jurij: „Über die literarische Evolution“, in: Striedter, Jurij (Hrsg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München: Wilhelm Fink 1969, S. 433–461. Vgl. ibd. S. 437. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 193. Gumbrecht 2013: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, S. 377 f. Ibd. S. 380. Obwohl es mehrfach Theorien zur Etablierung einer „permanenten Revolution“ gab, waren diese auch in der Politik, für die sie ursprünglich konzipiert waren, nicht reali­ sierbar. Die „permanente Revolution“ findet sich als Leitbegriff der Sozialdemokratie ebenso wie in den theoretischen Schriften Trotzkis – vgl. Trotzki, Leo: Die permanente Revolution: Ergebnisse und Perspektiven. Essen: Mehring Verlag 1993 –, wo sie den Über­ gang von der demokratischen zur sozialistischen Revolution repräsentiert.

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Für Hansen-Löve gibt es keinen traurigeren Anblick als einen gealterten Revolutionär ebenso wie einen grau gewordenen Avantgardisten, der das ehedem Neue, Aufrüttelnde, Schockierende seines Aufbruchs aufzuwärmen trachtet im Abendlicht mit den langen Schatten.82

Inwieweit sich für die ukrainische Strömung, die gewiss die am wenigsten bekannte, zu­gleich aber am längsten andauernde Repräsentantin der europäischen Avantgarden war, ein „Abendlicht mit den langen Schatten“ konstatieren lässt, sodass die Akti­ vitäten von Semenko, Poliščuk und deren Umfeld einen altersgrauen langen Bart trugen, der jedes Innovationspotential ausschloss, wird in der vorliegenden Unter­ suchung eben­falls aufgezeigt. Grenzen und Übergänge In vielen theoretischen Ansätzen werden Kunst und Literatur mit dem Begriff der Gren­ze assoziiert. Einige davon sind in besonderem Maße für die Avantgarde anwend­ bar, die ein wichtiges Ziel darin sah, durch revolutionäre Ideen mit Traditionen zu bre­ chen und künstlerische, gesellschaftliche, ideologische sowie geschmackliche Grenzen zu überschreiten. In Abwandlung von Lotmans Begriff der abstrakt-topologischen Räume können sie als abstrakt-topologische Grenzen bezeichnet werden. Darüber hi­naus kam es im Futurismus zu einer Transgression von Medien- und Gattungs­ gren­ zen (Intermedialität), die schließlich im Konstruktivismus der 1920er-Jahre noch durch die Internationalität, die Überschreitung sprachlicher und kultureller (Landes-)Gren­zen, ergänzt wurde. Der ukrainische Versuch, sich auf mehrfacher Ebene mit Kunst­schaffenden in Ost und West zu vernetzen, stellte einen solchen Versuch der Grenz­überschreitung dar. Eine Widersprüchlichkeit zeigt sich allerdings darin, dass der utopische vernetzte Raum, den die Avantgarde mit ihren Konzepten und Theorien zu konstruieren versuchte, zugleich oft ein geschlossener Raum blieb, dessen Grenzen – nicht zuletzt durch die Abgrenzungspolemik  – deutlich markiert wurden. Über­d ies lässt sich auch eine zeitliche Abgrenzung kaum verhindern, da sich, wie Wolfgang Asholt unter Bezugnahme auf Michail Bachtins Raum-Zeit-Modell an­ merkt, „Literatur und Kunst in nationalkulturellen Chronotopen entwickeln, deren spezifische Bedingungen nicht immer wirkliche Gleichzeitigkeit ermöglichen“.83 Während der be­reits erwähnte Aufbruch der Avantgarde nämlich in den meisten dieser nationalen Chronotopen – etwa in Russland und in Italien mit dem Futurismus – in den 1910er-Jahren seinen Höhepunkt erreichte, waren in der Ukraine die späten 1920er-Jahre von forcierten künstlerischen Aktivitäten geprägt, sodass sie zeitlich deutlich von anderen Er­schei­nungen abzugrenzen sind, die jedoch – teils trotz ihrer Ungleichzeitigkeit – in die Strömung integriert werden sollten. Kultur ist auch für Lotman generell an den Begriff der Grenze gekoppelt. Laut seinen ge­meinsam mit Boris Uspenskij verfassten kulturtheoretischen Konzepten 82

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Hansen-Löve, Aage: „Das Ende vom Anfang. Späte Avantgarden“, in: Asholt, Wolfgang (Hrsg.): Avantgarde und Modernismus. Dezentrierung, Subversion und Transformation im lite­ rarisch-künstlerischen Feld. (= linguae & litterae 37), Berlin: De Gruyter 2014, S. 221–240, hier S. 221. Asholt, Wolfgang: „Nach Altern und Scheitern: Brauchen wir noch eine AvantgardeTheorie?“, in: Ders. (Hrsg.): Avantgarde und Modernismus, S. 327–345, hier S. 331.

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schließt Kultur „nie alles ein, sondern bildet eine auf besondere Weise abgegrenzte Sphäre. Sie wird also nur als Ausschnitt gedacht, als geschlossener Bereich auf [sic] dem Hintergrund der Nicht-Kultur“.84 Ein Raum braucht die ihn umgebende Grenze, denn erst durch sie erreicht er seinen Zustand als abgeschlossener Raum.85 Während die Grenze hier noch als Element definiert wird, das entweder zum inne­ ren oder zum äußeren Raum, nicht jedoch zu beiden Räumen gehören kann, nimmt Lotman später eine Umschreibung der Grenze insofern vor, als er diese nun als Mem­ bran und damit als Ort, wo das „Innere“ zum „Äußeren“ wird, beschreibt.86 Durch die Über­schreitung der Grenze kann das „Äußere“, gefiltert und transformiert durch eine Membran, zum „Inneren“ werden, ohne dabei seine Fremdartigkeit zu ver­lieren.87 Die ukrainische Avantgarde verstand sich ebenfalls als eine Art Membran zwischen Ost und West, zwischen denen sie sich, wie das einleitende Zitat von Poliščuk zeigt, „unerwartet [wie] ein neuer Körper“ erhob.88 Bei Bachtin findet sich der Grenzbegriff ebenfalls als wichtiges Element von Kunst und Kultur. Der Raumbegriff ist darin zwar präsent, Bachtin spricht der Kultur jedoch zu­gleich jedwedes Territorium ab, denn: Im Bereich der Kultur gibt es kein inneres Territorium: er ist vollständig an Grenzen gelegen, überall, durch jedes seiner Momente verlaufen Grenzen.89

Grenzen lassen sich also, ähnlich wie Peripherien, nicht nur räumlich und zeitlich ver­ stehen, sie können, insbesondere im Hinblick auf kulturelle Erscheinungen, auch auf künstlerischer, ideologisch-moralischer oder geschmacklicher Ebene von Bedeutung sein, sodass Kunst in mehrdimensionaler Hinsicht an Peripherien, Rändern und Gren­zen zu verorten ist. Die historischen Avantgarden gehören ohne Zweifel zu jenen Strömungen, in denen die künstlerische Praxis der Abgrenzung am stärksten präsent ist. Der polemische Versuch der Distanzierung – von anderen Strömungen, Meinungen, Er­ scheinungen etc.  – lässt sich als eines der wichtigsten Kennzeichen benennen, das die verschiedenen Avantgarde-Formationen auf nationaler wie internationaler Ebene verband. Die Abgrenzung von der Vergangenheit findet sich bereits seit dem soge­ nannten „Aufbruch der Avantgarde“90 als zentraler Programmpunkt in den ver­ schiedensten künstlerischen Positionen wieder. Filippo Tommaso Marinetti, dessen 84 85

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Lotman/Uspenskij 1986: „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“, S. 853. Vgl. Lotman, Jurij: „Zur Metasprache typologischer Kultur-Beschreibungen“, in: Ders.: Aufsätze zur Theorie und Methodologie der Literatur und Kunst. Hgg. von Karl Eimermacher. Übersetzung: Karl Eimermacher et al. Scriptor Verlag: Kronberg 1974, S. 228–277, hier S. 357. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 174. Vgl. ibd. S. 182. Poliščuk 1929: „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“, S. 115. Bachtin, Michail: „Das Problem von Inhalt, Material und Form im Wortkunstschaffen“, in: Ders.: Die Ästhetik des Wortes. Hgg. von Rainer Grübel. Aus dem Russischen übersetzt von Rainer Grübel und Sabine Reese. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 95–153, hier S. 111. Zu diesem Begriff vgl. Fähnders, Walter: „Projekt Avantgarde und avantgardistischer Manifestantismus“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Der Blick vom Wolkenkratzer: Avantgarde, Avantgardekritik, Avantgardeforschung. (= Avantgarde Critical Studies 14), Amsterdam: Rodopi 2000, S. 69–96, hier S. 201.

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1909 publiziertes erstes futuri­stisches Manifest als Gründungsmoment der Avant­ garde gilt, forderte neben der radikalen Erneuerung der Kunst auch einen Bruch mit sämtlichen Traditionen,91 während die Kubofuturisten, die Mitglieder der ersten futuristischen Vereinigungen in Russland, ausschließlich sich selbst als zeit­ gemäß verstanden und alle vorherigen Strömungen vom Dampfer der Gegenwart werfen wollten.92 Avantgardistische Mani­feste und Proklamationen be­d ienten sich oft der Opposition zwischen dem „Wir“ und dem „Anderen“ und zogen damit eine strikte Grenze zwischen dem, was zum eigenen Umfeld gehörte, und dem, was nicht dazugehörte. Einerseits sollte dadurch das Ge­fühl der Zusammengehörigkeit gestärkt und Außenstehende zugleich ausgegrenzt werden. Da Zusammengehörigkeit, wie Giesen anmerkt, nicht natürlich gegeben, sondern vielmehr sozial konstruiert ist, stel­ len Rituale, die der Bekräftigung des Zu­sammengehörigkeitsgefühles dienen kön­nen, eine wichtige Grundlage für die Kon­struktion von Gemeinschaftlichkeit dar.93 Die Konstruktion von Differenz wird wiederum als Basis für die Herausbildung und Fes­tigung von kultureller Identität eingesetzt. Im Hinblick auf die ukrainische Avantgarde war die Konstruktion von kultureller Identität auf zweifacher Ebene re­ levant: Einer­seits dienten die künstlerischen Grundsätze dazu, sich von anderen Grup­ pierungen und An­schauungen abzugrenzen und somit eine gänzlich eigen­ständige Position zu dekla­rieren. Andererseits bildeten sie mit diesen in der Ablehnung der russischen Kultur gewissermaßen eine gemeinsame Phalanx, die sie wiederum in einem größeren anti­russisch ausgerichteten Kollektiv vereinte. Lotman/Uspenskij bezeichnen Kultur als „nicht erblich vermitteltes Gedächtnis eines menschlichen Kollektivs, das in einem bestimmten System von Verboten und Vor­schriften zum Aus­druck kommt“.94 Kultur ist somit immer ein soziales, nie aber ein individuelles Phänomen. Wobei hier unter Verweis auf Benedict Anderson hinzugefügt werden kann, dass eine Gemeinschaft – also nicht nur eine Nation, sondern oft auch ein größeres Kollektiv – eine „erfundene Gemeinschaft“ ist.95 Da sich Identität aus der Wechselbeziehung mit anderen Nationen resp. Gemeinschaften konstituiert,96 lässt sich das „Fremde“ als wichtige Voraussetzung für die Konstruktion des „Eigenen“ verstehen. Michael Hofman und Iulia-Karin Patrut verweisen auf die Relevanz von Andersons Konzept für den Begriff der „Interkulturalität“, den Austausch zwischen 91

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Vgl. z. B. Marinetti, Filippo Tommaso: „Manifeste de Futurisme“, in: Le Figaro, 20.2.1909, U1. Für eine deutsche Übersetzung vgl. Marinetti, Filippo Tommaso: „Gründung und Manifest des Futurismus“. Übersetzt von Christa Baumgarth, in: Asholt, Wolfgang/ Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 3–7, hier S. 5. Dies etwa im ersten Manifest der Kubofuturisten aus dem Jahr 1912, das dem öffentlichen Geschmack eine Ohrfeige erteilte: Burljuk, David/Kručenych, Aleksandr/Majakovskij, Vladimir/Chlebnikov, Viktor [sic]: „Poščečina obščestvennomu vkusu“, in: Kuz’min, Leonid et al.: Poščečina obščestvennomu vkusu. Moskva: G. Kuz’min 1912, S. 3–4. Vgl. Giesen, Bernhard: „Europa als Konstruktion der Intellektuellen“, in: Viehoff, Rein­hold/Segers, Rien T. (Hrsg.): Kultur. Identität. Europa. Über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer Konstruktion. Frankfurt a.  M.: Suhrkamp 1999, S.  130–146, hier

S. 134.

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Lotman/Uspenskij 1986: „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“, S. 856. Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Aus dem Englischen von Benedikt Burkhard. Zweite Auflage. Frankfurt a.  M. et al.: Campus 1993, S. 15. Vgl. ibd. S. 15 ff.

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verschiedenen Kulturen, da der Austausch des „Eigenen“ mit dem „Fremden“ auch im kulturellen Sinne identitätsstiftend ist.97 Ein Versuch, die Andersheit durch Verständigung zu überwinden, wurde in der Ukra­ine in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht unternommen  – ganz im Gegenteil wurde die Andersartigkeit erst durch die Polemik grundlegend konstruiert, sodass die Unterscheidungsmerkmale als unveränderbar angesehen wurden. In ihrem Aufsatz „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“ verweisen Lot­ man/Uspenskij auf das Phänomen, dass „die Ablösung von Kulturen […] gewöhn­ lich von einer deutlichen Betonung der Zeichenhaftigkeit des Verhaltens be­gleitet ist“,98 wobei Phasen des sozialen Umbruchs dieses Phänomen ver­stärken. Im Fall der ukrainisch-russischen Polemik kommt es bspw. gleichzeitig zu einer forcierten Neu­ bildung sowie zu einer Intensivierung der Zeichenhaftigkeit bereits vorhandener Formen, deren Symbolhaftigkeit verstärkt wird.99 Eine Grenze, so Lotman, ist der Ort, wo das „Äußere“ zum „Inneren“ wird, eine filternde Membran, die fremde Texte so stark transformiert, dass sie sich in die interne Semiotik der Semiosphäre ein­ fügen, ohne doch ihre Fremdartigkeit zu verlieren.100

Die Grenze steht auch für die Unterscheidung zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“, die durch die Grenzlinie zwischen dem inneren und dem äußeren Raum eine Trennung erfahren.101 Die Dichotomie von „Innen“ und „Außen“ stellt auch in Michel Foucaults Kon­zept der „Heterotopien“ ein wichtiges Element dar, wobei „Heterotopie“ für jene Räume steht, die sich anderen Räumen widersetzen, diese auslöschen, neutralisieren, substi­ tuieren oder reinigen. Heterotopien stellen Gegenräume dar, die sich grund­legend von anderen  – meist normativen  – unterscheiden resp. diese negieren.102 Aus russischer Perspektive betrachtet lässt sich die ukrainische Abschottung als ein „Anderer Raum“ deuten. „Andere Räume“ werden „zu Außenräumen dadurch, dass sie sich aus den ,emplacements‘, aus den ,Platzierungen‘, die den Innenraum konstituieren, in spezi­ fischer Weise ausgrenzen“,103 sich diesen also verweigern. Albrecht Koschorke ver­ ortet ein Problem des Foucault’schen Konzeptes darin, dass Heterotopien „vom Ab­ seits leben und dadurch unfreiwillig den Blick auf hegemoniale Strukturen gerichtet halten“, sodass nicht die Alterität, sondern erneut die Identität ins Zentrum rückt.104 Ähnlich wie Foucaults Konzept der Heterotopie widersetzt sich bei Bachtin die Volks­ kultur den hegemonialen Machtstrukturen, indem der Karneval die gegenwärtige 97 98 99 100 101 102

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Vgl. z. B. Hofman, Michael/Patrut, Iulia-Karin: Einführung in die interkulturelle Literatur. Darmstadt: WBG 2015, S. 8. Lotman/Uspenskij 1986: „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“, S. 853 f. Vgl. ibd. S. 854. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 182. Vgl. ibd. S. 174. Foucault, Michel: Die Heterotopien/Les hétérotopies. Der utopische Körper/Le corps utopique. Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S. 10 f. Warning, Rainer: Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung. München: Fink 2009, S. 12. Vgl. Koschorke, Albrecht: „Zur Funktionsweise kultureller Peripherien“, in: Frank/ Ruhe/Schmitz (Hrsg.) 2012: Explosion und Peripherie, S. 27–39, hier S. 28.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Ord­nung temporär außer Kraft setzt.105 Lachmann verweist auf die Rezeption Bach­ tins durch die „konforme Kulturideologie und Literaturwissenschaft“, innerhalb der die Opposition von offizieller Kultur und inoffizieller Kultur als „Klassenantagonis­ mus“ ge­ deutet wurde.106 Für Ljubomir Bratic ist Gegenkultur stets durch einen Konflikt mit bestehenden Normen geprägt: Die Infragestellung der Normalität der Verhältnisse, der kulturellen Normen, die ein Teil der vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind, erfolgt durch einen Bruch. Durch den Moment des Konfliktes. Dieser wird durch die in die Gemeinschaft eingebracht, die bis dahin nicht ein anerkannter Teil davon waren.107

Zugleich stellt Gegenkultur „einen Teil einer politischen Bewegung, deren Ziel die Emanzipation ist“108, dar. Als politisches Subjekt der Gegenkultur lassen sich Bratic zufolge Klasse, Rasse und Geschlecht ausmachen,109 wobei diese erst dadurch zu poli­ tischen Subjekten werden, dass sie ihre eigenen Verhältnisse erkennen und sich mit dem Ziel der Veränderung gegen diese auflehnen.110 Interferenzen Die binär konzipierten Praktiken der Aus- und Abgrenzung, die eine mehr oder weniger strikte Trennung zwischen „Innen“ und „Außen“, zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ vornehmen, schließen in den meisten Fällen den Raum dazwi­ schen, als der sich die ukrainische Avantgarde in ihren Polemiken selbst definierte, nicht mit ein. Die Beschreibung der Situierung als/an einem Übergang, der in der ukrainischen Avantgarde in mehrfacher Hinsicht vorlag, kann daher nicht ange­ messen durch die Einbeziehung binärer Konzepte erfolgen, sodass hier Theorien interessant sind, die auf Übergangssituationen zwischen den binären Polen „Innen – Außen“, „Zentrum  – Peri­pherie“ und somit auf dialogische Relationen rea­gieren. Dialogische Relationen sind ein wichtiger Bestandteil von Raum- sowie Dependenz­­ modellen. Lotman bezeich­net ein vorhergehendes Dialogbedürfnis als unab­d ingbare Voraussetzung für das Zustandekommen eines jeden Dialogs, der vom „wechsel­ seitigen Interesse der Beteilig­ten an den Mitteilungen und ihrer Fähigkeit, die unver­ meidlichen semiotischen Barri­ eren zu überwinden“, abhängt.111 Der Aspekt der Wechselseitigkeit scheint hier beson­ders relevant, da er auf die Notwendigkeit der 105

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Vgl. Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Aus dem Rus­ sischen von Gabriele Leupold. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987, S. 58. Lachmann, Renate: „Vorwort“, in: Bachtin 1987: Rabelais und seine Welt, S. 7–46, hier S. 11. Bratic, Ljubomir: „Gegenkultur ist eine Kultur des Konfliktes“, in: Jochum, Manfred (Hrsg.): Kultur – Harmonie und Konflikt. Innsbruck et al: Studienverlag 2009, S. 63–71, hier S. 65. Ibd. S. 65. Vgl. ibd. S. 66. Bratic nennt bspw. das Proletariat, das erst innerhalb von Kapitalprozessen als solches gedacht werden kann, sowie Frauen, die erst durch patriarchale Strukturen zum po­ litischen Subjekt werden; vgl. ibd. S. 67. Lotman beschreibt dies im Abschnitt „Die Mechanismen des Dialogs“; vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 191.

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aktiven Beteiligung mehrerer Seiten hinweist. Dialogizität ist nur dann sinnvoll und möglich, wenn eine „semiotische Differenz“, also eine Asymmetrie vorliegt.112 Ohne eine Unterschiedlichkeit innerhalb des Diskurses besteht kein Bedarf, eine eigene Posi­tion nach außen zu ver­treten oder sich mit anderen, distinkten Erscheinungen aus­einanderzusetzen. Für Bernhard Waldenfels, dessen Hauptwerke sehr stark die Fremdheit themati­ sieren,113 ist die „Asymmetrie von Drinnen und Draußen“ eine Folge von „Prozessen der Ein- und Ausgrenzung“, aus denen ein Unterschied zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“ resultiert.114 In diesem Konzept existieren […] Grenzen, die man hat und erwirbt, indem man etwas tut oder unternimmt. Hierbei handelt es sich um Grenzen eines Feldes, sei es ein Handlungs-, Rede- oder Gesichtsfeld. Diese Grenzen lassen sich verschieben, erweitern oder verengen, doch kann man sie nicht überschreiten [Hervorh. i. Orig., VF].115

Ähnlich wie Bourdieu verwendet Waldenfels den Begriff des Feldes, wobei sich Bour­ dieus Feldtheorie auf das soziale gesellschaftliche Feld, jene von Waldenfels jedoch auf den Raum bezieht, der innerhalb des eigenen Horizontes liegt. Grenzen, „die man überschreitet, indem man sich durch den Eintritt in eine andere Ordnung selbst ändert und gleichsam über seinen eigenen Schatten springt“116, werden von Waldenfels als Schwelle bezeichnet, die somit ein Verbindungsglied zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ darstellt und den Übertritt in eine andere Ordnung erlaubt: Was jenseits der Schwelle lockt und erschreckt, gehört nicht mehr zum Spiel mit eigenen Möglichkeiten, sondern bedeutet eine Herausforderung der eigenen Freiheit durch Fremdartiges, das in der jeweils bestehenden Ordnung keinen Platz findet.117

Für die Schwelle zwischen Russland und Westeuropa, als die sich die ukrainische Avant­­garde ungeachtet der eigenen Aus- und Abgrenzungsstrategien verstand, sind auch Grenzüberschreitungen, Übergänge und Zwischenräume von besonderer Rele­ vanz, die das Klima des forcierten kulturellen Austauschs begünstigten. Burke spricht da­von, dass im Prozess kultureller Begegnungen und kulturellen Austauschs auf eine Phase relati­ ver Flüssigkeit (oder „Freiheit“, wenn man sie gutheißen, „Chaos“, wenn man sie missbilligen will) rasch eine Zeit folgt, in der das Flüssige sich verfestigt, gerinnt, zur Routine und dem Wandel gegenüber angreifbar wird.118 112 113 114 115 116 117 118

Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 191. Vgl. Müller-Funk, Wolfgang: Theorien des Fremden. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2016, S. 121 ff. Vgl. Waldenfels, Bernhard: Der Stachel des Fremden. Frankfurt a.  M.: Suhrkamp 1990, S. 33. Ibd. S. 31. Vgl. ibd. Waldenfels 1990: Der Stachel des Fremden, S. 31. Burke, Peter: Kultureller Austausch. Aus dem Englischen von Burkhardt Wolf. (= Erb­ schaft unserer Zeit. Vorträge über den Wissensstand der Epoche, Band 8), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 38.

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Ähnlich wie eine Revolution, die sich nach gewisser Zeit abnützt und selbst zur Norm wird, erfährt also auch der kulturelle Austausch nach einer gewissen Zeit eine Ab­ nutzung, verliert seine Dynamik und wird in Folge zur Routine. Hybridität stellt eine Form der kulturellen Interferenz dar, bei der sich verschie­ dene Einflüsse überlagern. Der Begriff wurde ursprünglich von Bachtin eingeführt und fand später im Rahmen der Postcolonial Studies u. a. bei Homi K. Bhabha Ver­wendung, um prozesshaft verlaufende Neukonstruktionen von Identitäten zu be­­schreiben,119 bei der unterschiedliche Akteure „miteinander und mit äußeren Kräften der Gemein­schaftsbildung in Verhandlung treten […]. Hybridisierung ist folg­l ich […] ein Prozess, eine Bewegung“.120 Eine einheitliche Konzeption von Kultur und Identität wird von Bhabha zu Gunsten von prozessualen Konzeptionen ab­ge­ lehnt.121 Doris Bachmann-Medick betont die Bedeutung des Hybriditätsbegriffs für die Beschreibung von Überlappungs- und Überschneidungsphänomenen, wo­ durch Differenzkategorien um­formuliert werden können122  – hier sei etwa an die Über­lappung von ukrainischer und russischer Kultur in der sowjetischen Ukraine zu denken, die durch die Mobili­tät der Künst­ler noch verstärkt wurde. In der ukra­ inischen Avantgarde kam als Differenzlinie die nationale Zuordnung zum Ein­satz, da eine dezidierte Abgrenzung der eigenen (ukra­inischen) Kultur von der anderen (rus­ sischen) erfolgte, die jedoch durch die gleich­zeitige Propagierung von Pluralismus auf­gelöst werden sollte. Hybridisierung kann überdies als Ausloten eines „third space“ bezeichnet werden, wobei der Dritte Raum einen Zwischenraum beschreibt, der im Gegensatz zu binä­ren Konzepten Überlagerungen, Gegenläufigkeiten und Um­deutungen ins Zentrum rückt und für das Aufzeigen von transnationalen Span­ nungs­feldern eingesetzt werden kann.123 Hybride Räume sollten jedoch nicht aus­ schließlich als Ver­ mischungsräume ver­ standen, sondern „unter Berücksichtigung von Differenzen und Konflikten als konkrete Übersetzungsräume genutzt bzw. auf Über­setzungsprozesse hin ausgelotet werden“124. Burke schlägt als Alternative vor, den Begriff der „kulturellen Übersetzung“ zu benutzen, der die aktive Partizipation der Akteure impliziert: „Man sollte sich jedenfalls stets vor Augen führen, dass die Aufnahme kultureller Güter durch ihre neue Umgebung nicht von selbst erfolgt“.125 Heterogenität ist auch in den Konzepten von Bachtin präsent, wobei Dialogizität, Poly­phonie, Vielfalt, Alterität, Hybridität und Mehrsprachigkeit als Beispiele für die Plura­l ität genannt werden können, die jeweils Vorläufer für später etablierte Denkfi­

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Vgl. Bonz, Jochen/Struve, Karen: „Homi K. Bhabha: Auf der Innenseite kultureller Differenz: ,in the middle of differences‘“, in: Moebius, Stephan/Quadflieg, Dirk (Hrsg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Zweite, erweiterte und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 132–145, hier S. 133. Bhabha, Homi K.: „Round-Table-Gespräch“, in: Babka, Anna/Posselt, Gerald (Hg.): Homi K. Bhabha: Über kulturelle Hybridität. Tradition und Übersetzung. Wien et al.: Turia + Kant 2012, S. 59–78, hier S. 66. Vgl. Bonz/Struve: „Homi K. Bhabha: Auf der Innenseite kultureller Differenz: ,in the middle of differences‘“, S. 133. Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns. Neuorientierung in den Kulturwissenschaften. Vierte Auflage. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 2010, S. 199 f. Vgl. ibd. S. 203 f. Ibd. S. 204 f. Burke 2000: Kultureller Austausch, S. 23.

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guren der Kulturwissenschaften repräsentieren.126 Für Lotman zeichnet sich ein leben­ diger kultu­reller Raum durch seine Pluralität aus, die aus vielfältigen Einflüssen, Strukturen und der unterschiedlichen Art und Funktion der ein­zelnen Codes resul­ tiert.127 Er spricht von „kulturellen Schichten“, durch die der kulturelle Raum sowohl in räum­licher als auch in zeitlicher Hinsicht zu einem drei­d i­mensionalen Ge­bilde wird, des­sen Elemente „in einem beweglichen, dynamischen Ver­hältnis zu­einander stehen“.128 Trotz der Diversi­tät der Schichten wird der kulturelle Raum durch gemein­ same zeit­liche (Vergangenheit, Gegenwart, Zu­kunft) und räumliche (innerer und äußerer Raum sowie die Grenze zwischen diesen) Achsen limitiert. Die kultu­rellen Schichten über­lagern sich, wobei gewisse Eleme­nte mangels Aktualität aus dem semio­tischen Raum herausfallen, während neue Elemente hinzu­kommen kön­nen.129 Die „einander durch­­kreuzenden Strömungen“, die unter­schied­l iche Schichten durch­ ziehen, de­finiert Lotman als wichtiges Merkmal der asym­metrisch angelegten Struk­ tur des Bedeutungs­raums.130 Diese Schichten lassen sich auch für die Ukraine kon­ statieren, die zwar durch eine ge­meinsame Vergangenheit mit Russland verbunden war, zugleich aber versuchte, das asymmetrische Verhältnis zu nivellieren und sich selbst als autonomes Zentrum zu etablieren. Peter Zajac verweist auf das Potential heterogener Räume, eine Vielzahl von Übergangssituationen zu schaffen: Charakteristisch für eine Übergangssituation sind in erster Linie die Proble­matisierung der Grenze und die Schwellensituation. […] Der Begriff der Schwelle wird im modernen Denken linear als Übergang zwischen zwei Zeiten und im Sinne eines Fortschritts als Übergang zwischen Altem und Neuem begriffen.131

In Bezug auf den interkulturellen Austausch lässt sich feststellen, dass sich aktivere Pha­sen des Austauschs mit weniger aktiven abwechseln, wobei Letztere vor allem durch die An­reicherung von außen geprägt sind. Diese „Anreicherung“ kann durch die Rezep­tion von Texten, Werken und Erscheinungen erfolgen, was die Erschließung, Ad­aptierung und Übernahme der von außen eingebrachten Elemente inkludiert. Auf die Phase dieser Anreicherung folgt eine Phase der forcierten eigenen Aktivität, in der selbst Texte und Werke produziert und die äußeren Einflüsse in Frage gestellt, ja gar „tor­pediert“ werden,132 sodass Zentrum und Peripherie gewissermaßen die Plätze tauschen.133 Intertextualität, Intermedialität Peter Zajac definiert Interferenzialität als „grundlegende Eigenschaft von Erschei­ nungen […], bei denen es zu Wechselwirkungen zwischen zwei oder mehreren Prozes­

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Vgl. Müller-Funk 2010: Kulturtheorie, S. 326. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 166, 182. Vgl. ibd. S. 168. Vgl. ibd. S. 177, 168. Vgl. ibd. S. 169 f. Zajac, Peter: „Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma“, in: Csáky, Moritz et al. (Hrsg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum: Kulturwissenschaften nach dem ,Spatial Turn‘. Bielefeld: Transcript Verlag 2009, S. 133–147, hier S. 136. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 192 f. Vgl. ibd. S. 193.

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sen, zu Überlagerungen und Überschneidungen kommt“,134 wobei er sich auf den tschechi­schen Philosophen Miroslav Petřiček bezieht. Interferenzialität stellt also eine wichtige Basis sowohl für Intertextualität als auch für Intermedialität dar, sodass beide losgelöst von Interferenzialität nicht zu denken wären (Zajac).135 In Analogie zu Bourdieus „lite­rarischem Feld“ verwendet Petřiček den Begriff des „Feldes“ für jene Kategorie, in der sich Phänomene und Praktiken ereignen. Da dies nie isoliert geschieht, sondern in wechselseitigem Austausch, sind Phänomene stets untrennbar mit dem sie umgebenden Feld verbunden.136 Weil der Vernetzung ukrainischer Grup­ pierungen mit russischen und westeuropäischen Strömungen sowie der wechsel­ seitigen Bezugnahme Hauptaugenmerk gilt, stellen Intertextualitätstheorien eine wichtige Basis für die Analyse der verschie­denen Relationen dar, die sich jedoch nicht auf die textliche Ebene beschränken, son­dern auf die mediale Ebene ausgeweitet werden. Der Begriff der Intertextualität be­zeichnet die Bezugnahme eines Textes auf einen anderen resp. die Einbeziehung eines Textes in einen anderen und stellt ebenfalls eine Form der Interferenz dar. Obwohl das Interesse an intertextuellen Beziehungen vor allem im Kontext des Poststrukturalismus aufkam, fand sich das Prinzip schon in früheren Theorien realisiert. Bachtin befasste sich bereits in den 1930er-Jahren mit der Dialogizität von Texten. Wörter, aus denen sich der Wortschatz zusammensetzt, seien stets durch andere Verwendungskontexte vorbelastet, mit denen sie in komplexen Wechselbeziehungen stünden.137 In Julia Kristevas Konzept zur dialogischen Relation von Texten, das sich auf Bachtin bezieht, bauen sich Texte „als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Trans­for­mation eines anderen Textes“.138 Primär für die Literaturwissenschaft ist das Inter­textualitätsmodell von Gérard Genette konzipiert, das Zitat, Anspielung und Pla­giat als wichtigste Formen von Intertextualität definiert.139 Aus der Vernetzung von Einzeltexten wird eine zusätzliche semantische Aufladung generiert. Intertextualität findet sich überdies bei Roland Barthes als zentrales Moment wieder: „Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur.“140 Da Texte stets durch die Spuren anderer Texte und Einflüsse geprägt sind, kann keine literarische Originalität existieren. Der „Scripteur“, der bei Barthes den Autor substituiert, assembliert in einer Art Montageverfahren das vorhandene Material zu einem intertextuellen und in gewisser Weise auch inter­ kulturellen Netzwerk. Barthes bezeichnet Texte als „vieldimensionalen Raum, in dem 134 135 136

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Zajac 2009: „Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma“, S. 139. Vgl. ibd. S. 143. Petřiček, Miroslav: „Komparation als Art des Denkens“, in: Broučková, Veronika et al. (Hrsg.): Dialog mezi filozofií a literaturou. České Budějovice: Nakladatelství Tomáš Halama 2006, S.  27–34, hier S.  28  – zit. nach Zajac 2009: „Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma“, S. 142 f. Vgl. Nünning, Ansgar: Grundbegriffe der Literaturtheorie. Stuttgart/Weimar: Metzler 2004, S. 111. Kristeva, Julia E.: „Wort, Dialog und Roman bei Bachtin“, in: Ihwe, Jens (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik, Ergebnisse und Perspektiven. 3. Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft, Band II. 1972. Frankfurt a. M.: Fischer 1972, S. 345–375, hier S. 348. Vgl. Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S. 10. Barthes, Roland: „Der Tod des Autors“, in: Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard et al. (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam 2000, S. 185–193, hier S. 190.

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sich verschiedene Schreibweisen […] vereinigen und bekämpfen“141. Intertextualität kann demgemäß ebenfalls die Beziehungen und Überschneidungen zwischen ver­ schiedenen abstrakt-topologischen (Text-)Räumen beschreiben wiewohl sie im Sinne des poststrukturalistischen Textverständnisses ausdrücklich keine strikt getrennten Dualismen, sondern vielmehr eine generelle Offenheit impliziert. In der bildenden Kunst hat sich mit der Appropriationskunst eine Kunstform etabliert, die sich eben­ falls intertextueller Verfahren bedient, indem bewusst und mit strategischer Über­ legung Elemente anderer Werke kopiert und transformiert werden, sodass daraus ein neues, intertextuell aufgeladenes Werk entsteht. Intertextualität als künstlerisches Verfahren wurde bereits von den russischen Futu­risten proklamiert, wobei diese Konzepte unter einem starken Einfluss der Russi­ schen Formalen Schule (im Weiteren abgekürzt als Formalismus) entstanden. Mit seinem 1919 erschienenen dadaistisch geprägten Pamphlet „17 erundovych orudij“ [17 Unsinns­werkzeuge] rief der aus Charkiw stammende russische Futurist Terent’ev142 nicht nur das intertextuelle Verfahren des Plagiates zur Kunstform aus, sondern nahm zudem Barthes’ „Tod des Autors“ vorweg: „Долой авторов! Надо сказать чужое слово, узаконить плагиат“143 [Nieder mit den Autoren! Man muss fremde Wörter benutzen, das Plagiat legitimieren]. So wie die Macht des „Scripteurs“ für Barthes darin liegt, „die Schriften zu vermischen und sie miteinander zu konfrontieren“144, wird ein Text auch bei den Futuristen durch das Assemblieren und Montieren ver­ schiedener Materialien erzeugt. Während Intertextualität bei den frühen russischen Futuristen oft in Form von Anspie­lungen145 umgesetzt wurde, ist die intertextuelle Vernetzung bei den ukrainischen Futu­risten primär durch die direkte Übernahme von Theorien, Konzepten und Ideen präsent. Fremde „Materialien“ werden „vorsätzlich“ übernommen und schlagen sich in der eigenen Kunst nieder. Obwohl nicht immer eine Nennung der ursprünglichen Quelle, auf die Bezug genommen wird resp. deren Einfluss sich im Werk zeigt, genannt wird, liegt dennoch eine Form der Appropriationskunst vor. Die konstruktivistische Gruppierung Avanhard prägte für die eigene literarische Vernetzung den Begriff „міжлітературне життя“ [interliterarisches Leben].146

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Barthes 2000: „Der Tod des Autors“, S. 190. Terent’ev, der in den 1910er- und 1920er-Jahren in Russland und Georgien künstlerisch aktiv war, kehrte Ende der 1920er-Jahre nach Charkiw zurück, wo er Mitglied der ukrainischen Gruppierung Nova Generacija wurde. Terent’ev, Igor’: „17 erundovych orudij“, in: Marzaduri, Marzio/Nikol’skaja, Tat’jana (Hrsg.): Sobranie sočinenij. Sostavlenie, podgotovka teksta, biografičeskaja spravka, vstupitel’nye stat’i i kommentarii Marcio Marcaduri i Tat’jany Nikol’skoj. Bologna: San Francesco 1988, S. 179–212, hier S. 190. Barthes 2000: „Der Tod des Autors“, S. 190. — Barthes verkündete den Tod des Autors erstmals 1968. Genette zählt die Anspielung (Allusion) neben Zitat und Plagiat zu den wichtigsten Formen der Intertextualität; sie ist eine Aussage, „deren volles Verständnis das Erkennen einer Beziehung zwischen ihr und einer anderen voraussetzt, auf die sich diese oder jene Wendung des Textes bezieht, der ja sonst nicht ganz verständlich wäre“: Genette 1993: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, S. 10. Vgl. [Red. AVH]: „Synja knyha“, in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 19–21, hier S. 19.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Im Hinblick auf die ukrainischen Polemiken sind vor allem Epitexte relevant,147 da die Korrespondenzen der Akteure untereinander in den jeweils anderen Medien abge­ druckt wurden. Ein Epitext stellt Genette zufolge ein paratextuelles Element dar, „das nicht materiell in ein und demselben Band als Anhang zum Text steht, sondern ge­ wissermaßen im freien Raum zirkuliert, in einem virtuell unbegrenzten physikalischen oder sozialen Raum“.148 Paratext enthält stets eine auktoriale, also vom Verfasser selbst intendierte Funktion, sodass sich Kommentare Dritter dagegen nicht als Para­texte, sondern als Metatexte umschreiben lassen.149 Der Epitext bildet ein Ganzes, des­sen paratextuelle Funktion nicht exakt umgrenzt ist. Dem Epitext fehlen, wie Genette an­merkt, die äußeren Grenzen, sodass er Gefahr läuft, sich „immer mehr in der Gesamtheit des auktorialen Diskurses“ zu verlieren.150 Im Falle der Publikation einer Brief­k orrespondenz wird der Adressat nicht mehr durch ein Individuum, sondern ein Publikum gebildet. Der private Epitext wird dadurch zu einem öffentlichen151 oder, avantgardistisch gesprochen, der individuelle zu einem kollektiven. Öffentliche Antworten, wie sie in den ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften häufig publiziert wurden, indem etwa auf polemische Angriffe oder direkte Kritiken respondiert wurde, sind Genette zufolge üblicherweise nur dann legitim, wenn sie der Distanzierung von Verleumdungen etc. dienen sollen.152 Viele der polemischen Streitschriften lassen sich als „kooperative Textsorte“ (Krause) bezeichnen, weil sie jeweils eine Replik auf einen vorherigen Text darstellen, mit dem sie eine Interaktion eingehen.153 Das Potential der Intertextualität wird dadurch erweitert, sodass es über textliche Grenzen hinausgeht und auf außertextuelle Ebenen anwendbar wird. Demgemäß lassen sich nicht nur ge­ schriebene Texte, sondern auch kulturelle Phänomene unter dem Aspekt ihrer Inter­ textualität betrachten, was die Frage nach der Präsenz kultureller Erscheinungen in Texten, aber auch in anderen Erscheinungen erlaubt. So kann etwa ein Text ebenfalls ein heterogener Raum sein, indem er auf andere Texte und Kontexte verweist oder in ihm andere Texte und Kontexte präsent sind. Im Weiteren werden daher dezidiert nicht nur die Bezugnahmen auf Texte im klassischen Sinn, sondern auch auf andere Kontexte, Phänomene und Erscheinungen unter Inter­textualität subsummiert. Im Hinblick auf Bourdieus Theorie des „literarischen Feldes“ werden überdies die litera­ rischen und künst­lerischen Akteure, die mit anderen Künst­lern, aber ebenso mit sich selbst in Dialog traten, als Teil der dialogischen Relation angesehen.

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Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt a.  M.: Suhr­ kamp 2001, S. 328. Ibd. Vgl. Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moennighoff, Burkhard (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart/ Weimar: Metzler 2007, S. 358. Genette 2001: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, S. 330 f. Der öffentliche Epitext wendet sich an ein Publikum im Allgemeinen. Zur Unterschei­ dung von privatem und öffentlichem Epitext vgl. Genette 2001: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, S. 328–384, insbes. S. 335. Vgl. Genette 2001: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, insbes. S. 337–340. Vgl. Wilske, Ludwig/Krause, Wolf-Dieter: „Intertextualität als allgemeine und spezielle Texteigenschaft“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der PH Potsdam, Nr. 5 (1987), S. 890–895, hier S. 894.

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Einleitung

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Intertextualität muss sich jedoch nicht allein auf Texte und kulturelle Relationen be­ schränken, vielmehr kann sich die Dialogizität auch auf unterschiedliche Medien er­ strecken. So wird Intertextualität bereits in Kristevas Modell über den reinen Text­ be­griff hinausgedacht, indem andere Medien einbezogen werden. Intermedialität bezeichnet also im weitesten Sinn die Beziehungen zwischen ver­schie­denen Medien, mediale Interaktionen sowie Interferenzen.154 Diese Verbindung von unterschied­ lichen Kunstformen, die zugleich den Versuch der Überwindung von Gattungsgren­ zen impli­ziert, stellte ein wichtiges Verfahren avantgardistischer Grup­­pierungen dar,155 in deren Programmen die Intermedialität auch konzeptionell veran­kert war.156 Ansgar Nünning definiert Intermedialität als „intendierte, in einem Arte­fakt nachweis­liche Verwendung oder Einbeziehung wenigstens zweier konventio­nell als distinkt ange­sehener Ausdrucks- oder Kommunikationsmedien“157, wobei die Inter­ aktionen von einem autonomen Nebeneinander bis hin zur totalen Syn­these reichen. Intermedialität ist somit als Form der Hybridität zu ver­stehen, wobei ein Transforma­ tionsprozess er­folgt, bei dem sich die einbezogenen Medien in Form und Struktur so weit wandeln, dass eine Mischform entsteht, deren Ausgangs­medien nicht mehr ein­ deutig zuordenbar sind. Eine Voraussetzung der Intermedialität ist aber die Unter­ schiedlichkeit der kombinierten Medien.158 Jay Bolter und Richard Grusin sprechen von einer Remedia­tisierung, die dann eintritt, wenn ein Medium appropriates the techniques, forms, and social significance of other media and attempts to rival or refashion them in the name of the real.159

Diesem Konzept zufolge kann ein Medium nie für sich alleine agieren und basiert stets auf anderen medialen Kontexten, mit denen es interagiert. In der ukrainischen Avantgarde waren nicht nur die Kunst- und Literaturzeit­ schriften intermedial aus­gerichtet, vielmehr wurde das Konzept der Intermedialität auch in den Theorien und Polemiken als wichtiger Grundsatz postuliert. In dieser Inter­medialität spiegelt sich zugleich die Internationalität wider, da künstlerische Praktiken aus verschiedenen Räumen (Ost, West) rezipiert und für die eigene Kunst adaptiert wurden. 154

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Vgl. Rajewsky, Irina: „Das Potential der Grenze. Überlegungen zu aktuellen Fragen der Intermedialitätsforschung“, in: Hoff, Dagmar von/Spies, Bernhard (Hrsg.): Textprofile intermedial. (= Kontext 6), München: Meidenbauer 2008, S. 19–47, hier S. 20. Vgl. Fähnders, Walter: Avantgarde und Moderne 1890–1933. Lehrbuch Germanistik. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler 2010, S. 204 f. Dies nicht nur am Bauhaus, sondern auch bei den ukrainischen Gruppierungen Nova Generacija und Avanhard. Nünning 2004: Grundbegriffe der Literaturtheorie, S. 107. Vgl. Spielmann, Yvonne: „Intermedialität und Hybridisierung“, in: Lüdeke, Roger/ Greber, Erika: Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissen­ schaft. (=  Münchener Universitätsschriften. Münchner Komparatistische Studien, Band 5), Göttingen: Wallstein Verlag 2004, S. 78–102, hier S. 79. — Marshall McLu­hans Inter­medialitätstheorie geht von einer Konfrontation und Reibung der unterschied­ lichen Medien aus, durch deren Kreuzung oder Hybridisierung Kräfte und Energien frei werden; vgl. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. „Understanding Media“. Düssel­ dorf et al. Econ: 1992, S. 65, 73. Bolter, Jay David/Grusin, Richard: Remediation. Understanding media. Cambridge: MIT Press 2000, S. 65.

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HISTORISCHER HINTERGRUND – ZUR GENESE DER UKRAINISCHEN AVANTGARDE

Da zum Zeitpunkt des Aufbruchs der Avantgarde, der von der Revolutionierung der Kunst geprägt war, noch keine eigenstaatliche Ukraine existierte, entfaltete sich die ukrainische Avantgarde anfangs als integraler Teil der russischen. Sie entstand somit unter besonderen historischen und kulturellen Bedingungen. Wenngleich be­reits zu Beginn spezifisch ukrainische Merkmale und Motive eine wichtige Rolle spielten, lässt sich somit noch keine eigenständige ukrainische Strömung definieren.1 In der bil­denden Kunst, die – abgesehen von den zunehmenden Experimenten im Be­reich der Wort-Bild-Kunst  – auf visueller und nicht auf textlicher Ebene agierte, mag vorerst auch kein großer Drang zur Differenzierung bestanden haben. Anders ver­ hielt sich dies in der Literatur, wo das Ukrainische als Literatursprache ungeachtet einer noch fehl­enden Kodifizierung2 bereits lange Zeit vor der sowjetukrainischen Staats­gründung existierte, die Verwendung jedoch meist inoffiziell auf Basis einer regionalen, offiziell wenig geduldeten, teils gar verbotenen sprachlichen Variante (um hier absichtlich das oft verwendete und negativ konnotierte Wort „Dialekt“ zu ver­ meiden) erfolgte.3 Die ersten Versuche einer avantgardistischen Literatur, für die der Futurist Semenko ver­antwortlich zeichnete und die zeitlich nur unwesentlich von den frühen russischen Experimenten differierten, wurden, obwohl zu dieser Zeit offiziell noch keine ukra­inische Sprache existierte, hauptsächlich auf Ukrainisch verfasst. Zu Beginn der 1910er-Jahre, als die avantgardistischen Ideen in einer Umwälzung der russischen Kunst resultierten, fand ein reger Austausch zwischen den Zirkeln in den künstlerischen Zentren des damals noch zaristischen Imperiums statt. Zu diesen zählten neben den (russischen) Metropolen Sankt Petersburg (ab 1914 Petrograd) und Moskau auch andere wichtige Städte, darunter auch Kiew. Die Kunstakademie der multikulturellen Stadt, die historisch bedingt sowohl durch ukrainische als auch durch russische, polnische, jüdische und deutsche Einflüsse geprägt war, rangierte in Russland bereits seit Längerem unter den wichtigsten Kunstinstitutionen.4 Das künstlerische Leben der Stadt war auch zu russischen Zeiten vielfältig und innovativ. Weitere künstlerische Zentren, die in der vorrevolutionären Zeit zum russischen Imperium gehörten und später zu einem Teil der Sowjetukraine wurden, bildeten Odessa, das ebenso wie Kiew ein Zentrum der jüdischen Kunst war und über sehr 1 2 3

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Zur Begriffsdefinition vgl. Flaker, Aleksandar: „Avantgarde in the Ukraine“, in: Ausst.Kat. Ukra­jinska avangarda 1910–1930. Zagreb: Galerija Grada Zagreba 1990, S. 56–60. In den habsburgischen Gebieten existierte mit dem Ruthenischen bereits vor der Sow­ jet­ukraine eine ukrainische Amtssprache. Das zaristische Dekret von 1876 verbot gar den Abdruck von Texten auf Ukrainisch, ebenso den Import ukrainischsprachiger Texte aus dem Ausland; vgl. Shevelov, George: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century (1900–1941). Its State and Status. Cambridge: Harvard University Press 1989, S. 5 f. Insbesondere das Kiewer Kunstinstitut verfügte über einen hohen Status.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

gute Kunstschulen verfügte, sowie die in der heutigen Ostukraine gelegene Stadt Charkiw. Die Charkiwer Kunstschule trug bspw. wesentlich dazu bei, dass die Stadt auch in Moskau und Sankt Petersburg einen guten Ruf in Bezug auf ihre künstleri­ schen Hervorbringungen genoss. Ungeachtet der vielfältigen Möglichkeiten an den Peripherien strebten die meisten Künstler dennoch danach, in das tatsächliche Zentrum der russischen Kunst, das damals von Sankt Peters­burg repräsentiert wurde, zu gelangen, um dort zu studieren oder künstlerisch zu agieren. Wie in anderen Ländern bildete auch in Russland die Hauptstadt jenen magisch anziehenden Knotenpunkt, an dem sich Künstler aus den verschiedensten Regionen versammelten. Viele aus der späteren Ukraine stammende Avantgarde-Künstler gingen in den 1910er-Jahren nach Sankt Petersburg, um ihr Studium zu absolvieren.5 Dort konnten sie sich nicht nur an den aktuellsten künstlerischen Aktivitäten beteiligen oder gar eigene Formationen initiieren, sondern erhielten darüber hinaus auch Zugang zu Informationen über künstlerische Entwicklungen in anderen Ländern, die in Metropolen durch die Präsenz großer Museen sowie durch internationale Ausstellungen gemeinhin in akkumulierter Form anzutreffen sind. Betrachtet man z. B. die Biografien der wichtigsten Künstler der russischen Avantgarde, so wird ersichtlich, dass diese längst nicht nur aus Mitgliedern einer urbanen, gar Moskowiter Oberschicht entstammten, sondern dass deren Herkunft sowohl gesellschaftlich als auch regional gesehen weit heterogener gestreut war. Viele angehende Künstler nutzten die Gelegenheit, im sogenannten „westeuropäischen“ Aus­land zu studieren  – vor allem Wien, Paris, München und Berlin stellten die wichtigsten Ziele für Künstler aus dem russischen Reich dar –, und brachten von ihren Reisen, so sie zurückkehrten, Eindrücke und Erfahrungen mit, die wiederum einen Niederschlag in der eigenen Kunst zeigten. Im Anschluss an die russische Revolution (1917) sowie an den darauffolgenden Bürger­krieg änderten sich mit der Ausrufung einer ukrainischen Sowjetrepublik im Jahr 1922 auch die politischen Voraussetzungen für die Kunst. Die Akteure, die zuvor – jedenfalls im Hinblick auf ihre nationale, nicht zwangsläufig jedoch „kulturelle“ Identität – noch russische Künstler waren, wurden nun auch offiziell zu ukrainischen. Dass in dem nunmehr quasi eigenständigen Land6 eine – und um diese Möglichkeit hatten viele Ukrainer lange Jahre gerungen  – eigenständige Kultur auch offiziell gepflegt werden durfte, die zudem die Verwendung des Ukrainischen inkludierte, fiel auf besonders frucht­baren Boden, hatte jedoch in der Literatur deutlich stärkere Auswirkungen als in der bildenden Kunst, da Sprache den wesentlichen Faktor der literarisch-künstlerischen Kommunikation darstellt. Im Folgenden wird auf die Entwicklungen der beiden Strömungen des Futurismus so­wie des Konstruktivismus eingegangen, die für die in der vorliegenden Arbeit pri­ mär fokussierten Vereinigungen Nova Generacija und Avanhard von Bedeutung wa­ ren, sodass diese schließlich komparatistisch in ihrer Beziehung zueinander, aber auch in ihrem Verhältnis zu westeuropäischen und russischen Tendenzen betrachtet werden können.

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Dazu zählten nicht nur wichtige bildende Künstler wie Petryc’kyj, Exter und Vadym Meller, sondern mit Semenko und Poliščuk auch zentrale Vertreter der literarischen Avantgarde. Eine tatsächliche Eigenstaatlichkeit lag de facto nicht vor, da die einzelnen Unions­ republiken letztlich der zentralen Regierung in Moskau unterstellt waren.

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Historischer Hintergrund – zur Genese der ukrainischen Avantgarde

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Prämissen: russische und ukrainische Avantgarde, Futurismus und Konstruktivismus

1.1 Futurismus Die Veröffentlichung von Marinettis erstem futuristischem Manifest im Jahr 1909 markierte nicht nur den Beginn der futuristischen Bewegung, sondern gilt gemeinhin als „Aufbruch der Avantgarde“7. Gemeinsam mit der Orientierung an der Zukunft, die bereits vom Terminus „Futurismus“ ableitbar ist, galt im Kontext der ersten avant­­ gardistischen Strömung der Orientierung an tradierten Normen eine strikte Ab­ lehnung. Die Forderung nach einer Zerstörung der (alten) Kunst, die als überholt angesehen wurde, war ein wichtiges Merkmal, das die meisten Vereinigungen der historischen Avantgarde verband. Der Futurismus konnte sich rasch in vielen Regio­ nen Europas als neue und wichtige Kunstrichtung etablieren, wobei er neben Italien vor allem in Frankreich – wo das erste futuristische Manifest von Marinetti publiziert wurde –, in Großbritannien sowie in Russland auf starke Resonanz stieß.8 1.1.1 Russischer Futurismus Der Futurismus Marinettis wurde in Russland zwar sehr früh und stark rezipiert, wobei es jedoch zu einer deutlichen programmatischen Abgrenzung, ja Feindschaft der italienischen Strömung gegenüber kam. Im frühen Futurismus der 1910er-Jahre bestanden neben der Namensgleichheit nur wenige Gemeinsamkeiten, die etwa in der Abgrenzung von der Vergangenheit, in der Intermedialität sowie in der Konzeption zur „Befreiung der Worte“ lagen.9 Roman Jakobson bezeichnete die russischen Futuristen in einem Essay zu Velimir Chlebnikov als „die Begründer einer Poesie des ‚selbstmächtigen, selbstwertigen Wortes‘“10, womit er Marinetti die Vorreiterrolle als Befreier der Worte abspricht.11 Ungeachtet der frühen und intensiven Rezeption Marinettis in Russland12 können die Analogien eher im Kontext einer generellen Tendenz innerhalb der avant­gar­ distischen Strömungen verstanden werden, sodass der russische Futurismus eine vom italienischen Pendant gänzlich eigenständige Entwicklung darstellte.13 Ähnlich wie in Italien etablierte sich die futuristische Strömung in Russland so­ wohl im Bereich der Literatur als auch in der bildenden und darstellenden Kunst, wo­ bei die intermediale Ausrichtung zu einer auffallend starken Synthese verschiedener 7 8

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Fähnders 2010: Avantgarde und Moderne 1890–1933, S. 201. Vgl. z. B. Günther, Hans: „Befreite Worte und Sternensprache. Der italienische und der russische Futurismus“, in: Grimminger, Rolf (Hrsg.): Literarische Moderne. Europäische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburg: Rowohlt 1995, S. 284–313, hier S. 284. Vgl. ibd. S. 14 ff. Jakobson, Roman: „Die neueste russische Poesie. Erster Entwurf. Velimir Chlebnikov“, in: Stempel, Wolf-Dieter (Hrsg.): Texte der russischen Formalisten, Band II. Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache. München: Fink 1972, S. 19–135, hier S. 29. Ähnliche Experimente gab es freilich bereits viel früher etwa bei Guillaume Apollinaire und Stéphane Mallarmé. Für einen Überblick über das Verhältnis von russischem und italienischem Futurismus, präsentiert anhand von Primärtexten sowie Sekundärliteratur, vgl. De Michelis, Cesare G. (Hrsg.): L’avanguardia trasversale. Il futurismo tra Italia e Russia. Venezia: Marsilio 2009. Hinzu kommt, dass sich russische Futuristen mehrmals dezidiert vom italienischen Futurismus distanzierten; vgl. z. B. Markov 1969: Russian Futurism, S. 151.

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Kunstformen führte.14 In der Bildkunst wurden Themen wie Dynamik und Bewegung allerdings nicht im selben Maß aufgegriffen wie in Italien, sodass der Fokus vor allem zu Beginn eher auf Motive aus der Volkskunst sowie der Ikonenmalerei gerichtet war.15 Im Kontext der Relevanz, die der polemischen Proklamation eigener Ideen und Konzepte in der Avantgarde zukam, wurde das Manifest zur wichtigsten Gattung der meisten avantgardistischen Bewegungen, wofür die futuristischen Programmtexte eine wichtige Basis legten. In Russland trat 1911 die Gruppe der Kubofuturisten16 als erste und wichtigste Forma­tion des russischen Futurismus hervor, daneben existierten jedoch unzählige weitere – untereinander oft verfeindete – Gruppen, die ebenfalls intermedial agierten. Obwohl sich die Zentren des russischen Futurismus in Moskau und Sankt Petersburg befanden, war dessen Entstehung nicht unwesentlich durch seine Präsenz an den Peripherien des – damals noch – russischen Imperiums geprägt. Die Orte, an denen öffentliche Lesungen, Auftritte und Vorlesungen abgehalten wurden, blieben bewusst nicht auf die großen urbanen Zentren beschränkt. Einerseits wurden futuristische Kongresse an entlegenen Orten, etwa in Usikirko in Finnland (1913), organisiert.17 Ihre Bekanntheit weit über die Grenzen der Metropolen hinaus verdankten die Futuristen in Russland vor allem ihren skandalösen Auftritten, die im Rahmen von sogenannten „Futuristischen Tourneen“ erfolgten. Die Künstler legten ihr Ziel, das Publikum zu schockieren und öffentliches Är­ gernis zu erregen, auch programmatisch fest. Im 1912 erschienenen ersten Manifest des russischen Futurismus „Poščečina obščestvennomu vkusu“ [Eine Ohrfeige dem öffent­l ichen Geschmack] wurde nicht nur über den Titel eine Provokation des Publi­ kums transportiert. Die Künstler postulierten überdies als eigene Erwartung an sich selbst, „стоять на глыбе слова МЫ среди моря свиста и негодования“18 [auf der Scholle des Wortes WIR inmitten eines Meeres von Pfiffen und Entrüstung zu stehen]. In den weniger urbanisierten Orten, die durch ein konservativeres Weltbild geprägt waren, konnten die provokanten Auftritte gewiss weit größerer Skandale hervorrufen als in den weitaus weltoffeneren Städten, sodass die Peripherien im Kontext der Ver­ breitung der neuen Ideen eine wichtige Rolle einnahmen.

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Hansen-Löve bezeichnet dieses Zusammenwirken nicht als synthetisch, sondern als analytisch, da sich die jeweiligen Gattungs- und Mediengrenzen dialektisch bestä­ tigen; vgl.  Hansen-Löve, Aage: „Intermedialität und Intertextualität. Probleme der Korrelation von Wort- und Bildkunst  – am Beispiel der russischen Moderne“, in: Mertens, Mathias (Hrsg.): Forschungsüberblick „Intermedialität“. Kommentierungen und Bibliographie. Hannover: Revonnah 2000, S. 27–84, hier S. 29 ff. Malevič betonte, dass der Futurismus in Russland nie wirklich Fuß fassen konnte; vgl.  Petrova, Evgenia/Schröder, Klaus Albrecht (Hrsg.): Ausst.-Kat. Chagall bis Male­ witsch. Die Russischen Avantgarden. Wien: Albertina 2016, S. 112. — Leider ist hier keine Quelle für Malevičs Aussage angeführt. Die Gruppe wurde 1911 von den Brüdern David und Vladimir Burljuk sowie Benedikt Livšic gegründet, etwas später schlossen sich auch Majakovskij, Velimir Chlebnikov und Aleksej Kručenych an; vgl. Markov 1969: Russian Futurism, S. 27 ff. Vgl. ibd. S. 141. Burljuk et al. 1912: „Poščečina obščestvennomu vkusu“, S.  3–4.  —  Die Übersetzung folgt Asholt/Fähnders 2005: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), S. 28.

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Historischer Hintergrund – zur Genese der ukrainischen Avantgarde

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Die erste dieser Tourneen führte eine Gruppe von Futuristen19 Ende 1913 sowie An­ fang 1914 in siebzehn russische Städte. Der allererste der skandalösen Auftritte er­ folgte in Char­kiw und war Markov zufolge ein großer Erfolg.20 Dass auch die weiteren Stationen heute in der Ukraine liegende Städte – Kerč, Odessa, Mykolajiv und Kiew, wo die Gruppe nur knapp einer Inhaftierung entkam – waren, zeigt, wie wichtig es den Futu­risten war, ihre Bewegung auch in Regionen der – damals noch nicht als eigen­ staatliches Gebiet existierenden – Ukraine zu popularisieren.21 Dies mag dadurch be­ günstigt worden sein, dass an der Gründung des russischen Futurismus mehrere aus diesen Regionen stammende Künstler maßgeblich, wenn nicht gar initial, beteiligt waren, und mit David Burljuk war einer von ihnen auch ein Teil der ersten Tournee. Der ukrainische Kontext ist deshalb relevant, da die ursprünglichsten Konzepte der ersten futuristischen Vereinigung, die sich zu Beginn noch als Hylæa bezeichnete22 – erst später ging daraus der Kubofuturismus hervor  –, teilweise auf eine ukrainischmythologische Basis zurückgriffen, aber auch, weil die beteiligten Künstler ihren ukrainischen Kontext mehr­mals betonten (wobei es, wie erwähnt, zu dieser Zeit noch keine eigenstaatliche Ukraine gegeben hat).23 Mit dem Ersten Weltkrieg sowie der Revolution erlebte der russische resp. nun­ mehr sowjetische Futurismus sowohl auf künstlerischer als auch auf konzeptioneller Ebene einen wesentlichen Bruch. Während die Strömung vor der Revo­lution einen stark experimentellen Charakter aufwies, durchlebte sie nach der Revo­lution eine zu­ nehmende Politisierung, die von einem gleichzeitigen Rückgang der Kunsthaftigkeit begleitet war. Für Groys stellt diese Vergesellschaftung von Kunst und Politik be­ kanntlich nicht nur einen Schritt in Richtung des Sozialistischen Realismus dar, sondern belegt zugleich eine generelle Affinität der Avantgarden zu politischem Totalitarismus. Die Forderung nach einem „Tod der Kunst“ stellte sowohl im litera­ rischen als auch im futuristischen (utilitaristischen) Konstruktivismus, die beide aus dem Futurismus hervorgingen, eine wichtige Grundlage dar. Lediglich die Gruppe 41° (1918–1920), die sich in Tiflis unter Beteiligung von Aleksej Kručenych, Il’ja Zdanevič und Terent’ev formierte, setzte sich weiterhin intensiv mit den experimentellen futu­ristischen Konzepten, etwa jenen zur metalogischen Zaum’Sprache, auseinander. 41° stellte nach der Revolution eine singuläre Fortsetzung der ursprünglichen futu­ristischen Konzepte dar.

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Vladimir Majakovskij, David Burljuk und Vasilij Kamenskij. Zu den Tourneen der Futuristen vgl. Markov 1969: Russian Futurism, S. 134 f.  Auch in Poltava war ein Auftritt geplant, dieser wurde jedoch von den Behörden untersagt; vgl. Markov 1969: Russian Futurism, S. 136 f. Hylæa war die in der griechischen Antike verwendete Bezeichnung für den Heimatort von David Burljuk, der in der heutigen Südukraine unweit von Cherson liegt und heute Černjanka heißt. David Burljuk rekurrierte nicht nur in einigen seiner Arbeiten, etwa im Bild „Svjatoslav“ (1915), auf seine Herkunft, sondern betonte die Bedeutung der ukrainischen Kultur für sein Werk in mehreren Texten resp. Reden; vgl. z. B. Burljuk, David: „Frahmenty zi spohadiv futurysta (Za 40 rokiv, 1890–1930)“, in: Horbačov (Hrsg.) 1996: Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv.

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1.1.2 Früher Futurismus in der Ukraine: Vom Kverofuturismus zum Panfuturismus Auch in der Ukraine etablierte sich der Futurismus bereits sehr früh als avantgardis­ tische literarische Strömung mit stark intermedialer Prägung. Er entstand zwar in starker An­lehnung an die neuen und revolutionären Entwicklungen in Russland, unterschied sich aber in seiner nationalen Ausprägung deutlich von seinem russischen Pendant.24 Der ukrainische Futurismus lässt sich in drei Phasen einteilen, von denen die ersten beiden (1913–1917 resp. 1918–1921) insgesamt nur relativ kurz dauerten, während die dritte und letzte Phase knapp zehn Jahre (1922 bis 1931) an­dauerte.25 Als erste literarische Vereinigung traten 1914 in Kiew26 die Kverofuturisten (1914– 1920) in Erscheinung, die sich rund um Mychajl’ Semenko, dessen Bruder Vasyl’27 sowie Pavlo Kovžun formierten.28 Semenko gilt als wichtigster  – und vor allem zu Beginn zuweilen einziger29 – Vertreter des ukrainischen Futurismus, der die Bewegung nicht nur initiiert, sondern nicht zuletzt durch die Gründung mehrerer Vereinigungen maßgeblich mit­bestimmt und getragen hat. Semenko hatte den Futurismus, der Ende 1913 die kulturelle Debatte vor allem in Mos­kau und Sankt Petersburg dominierte, bereits sehr früh in Russland rezipiert und diesen daraufhin in die Ukraine „transferiert“. Belentschikow verweist hier auf Semenkos in mehreren Forschungen beschriebene Rezeption der russischen Künstlerin Elena Guro.30 Andere Begegnungen mit russischen Futuristen – etwa jene mit Maja­ kovskij – sind jedoch nicht belegt und daher nur Gegenstand von Vermutungen.31 Wenngleich es bereits in der ersten Phase zu weiteren Gruppenbildungen kam, domi­­nierte zu dieser Zeit vor allem der 1914 von Semenko begründete Kverofutu­ rismus – und dies, obwohl auch diesem nur ein recht kurzes Leben beschieden war.32

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Vgl.  Belentschikow 1999: „Zu einigen Besonderheiten der ukrainischen literarischen Avantgarde“, S. 184. Vgl. ibd. S. 182.  Eine Verlagerung der künstlerischen Aktivitäten nach Charkiw erfolgte erst in den 1920er-Jahren. Vasyl’ Semenko kam im ersten Jahr des Weltkriegs ums Leben; vgl. Belaja, Anna [Bila, Anna]: „Panfuturizm: Meždu avangardistskim buntom i social’nym voditel’stvom“, in: Dies. et al. (Hrsg.) 2016: Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm, S. 13–35, hier S. 18. Vgl.  Bila, Anna: „Mychajl’ Semenko jak Kul’turtreger ukrajins’koho futuryzmu“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 5–20, hier S. 11 f. — Zur Gründung der ersten ukra­ inischen Futuristen-Vereinigung vgl.  z. B. Belaja, Anna [Bila, Anna]: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, in: Dies. et al. (Hrsg.) 2016: Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm, S. 299–307, hier S. 299 f. Gerade in der ersten Phase des ukrainischen Futurismus (1913–1917) agierte Semenko als „der einsame Futurist“ (Belentschikow). Dazu und zur Rolle Semenkos innerhalb der ukrainischen Avantgarde vgl.  z. B. Belentschikow 1999: „Zu einigen Besonderheiten der ukrainischen literarischen Avantgarde“, S. 182. Vgl. ibd. S. 184. Semenko könnte Majakovskij im Rahmen von dessen Auftritt an der Pädagogischen Hochschule, an der Semenko studierte, begegnet sein, was jedoch nicht be­legt ist. Bila verweist auch auf einen poetischen Abend, im Rahmen dessen Marinetti Ende 1913 in Sankt Petersburg aufgetreten ist und an dem Semenko  – so wird ange­nommen  – teilgenommen haben könnte; vgl.  Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 300. Vgl. Bila 2010: „Mychajl’ Semenko jak Kul’turtreger ukrajins’koho futuryzmu“, S. 11 f.

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Abb. 1: Mychajl’ Semenko: „Kvero-Futurizm“, 1914. Umschlag.

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Mit Ausbruch von Krieg und später Revolution lös­ten sich die Aktivitäten der Vereinigung fast zur Gänze wieder auf. Bila spricht von großen organisa­­torischen Schwierigkeiten, die den Kvero­ futu­ rismus der ersten Phase prägten.33 Im Hin­ blick auf seine historische Relevanz stellte der Kvero­ futurismus ein ukrainisches Pendant zum russischen Kubofuturismus dar, und auch zeit­lich über­­­schnitten sich die beiden Strö­mungen weit­ gehend.34 Die Be­zei­chnung „Kvero“ leitet sich vom lateinischen Wort „quaero“ [ich suche] ab und steht für einen Futurismus, der sich selbst durch einen Prozess der Suche de­finiert.35 Das bereits über den Namen transportierte Be­ken­ntnis zu dieser Suche findet sich auch in der Pro­ gram­ matik wieder, etwa in der 1914 in Kiew publizierten Dekla­ration „Kvero-Futu­rizm“36 (Abb. 1), zu­gleich Grün­dungs­ manifest, die mit dem Ver­ weis auf den Philo­ sophen Kallistrat Žakov die eigene Ablehnung des philosophischen Prinzips der Vollkommenheit untermauert .37

Кверо-футурізм в мистецтві проголошує красу шукання, динамичний лет. Ціль і здійсненне в мистецтві у самім шуканні. […] Кверо-футурізм проголошує боротьбу шукань, в сім полягає завданнє мистецтва в його розумінні.38 33 34 35

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Vgl.  Belaja 2016: „Panfuturizm: Meždu avangardistskim buntom i social’nym vodi­ tel’stvom“, S. 18. Zumindest am Beginn, denn die frühe Phase des russischen Futurismus dauerte lediglich bis zum Ausbruch der Revolution resp. bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Opryško spricht davon, dass der Begriff von „quero“ abgeleitet wurde, nennt jedoch als Bedeutung die ukrainische Entsprechung „suchen“ („šukaty“); vgl. Opryško, Tetjana: „Asociacija panfuturystiv ,ASPANFUT‘ ta jiji vydannja (1922–1930 rr.) v pobudovi ,mystectva majbutn’oho‘“, in: Visnyk Charkivs’koji deržavnoji akademiji kul’tury (45). Charkiv: Vyd-vo ChDAKS 2014, S.  180–187, hier S.  181.  —  „Quero“ müsste jedoch korrekt mit „fragen“ anstatt „suchen“ übersetzt werden. Dieser Text stellte jedoch nicht die erste Publikation dar, denn kurz vorher war unter dem Titel „Sam“ [Selbst] ein kleinformatiges, achtseitiges Heftchen erschienen, das sich als erste Nummer der Zeitschrift „Kvero“ präsentierte – wiewohl es bei nur einer Nummer blieb – und u. a. einen kurzen programmatischen Text enthielt; vgl. Semenko, Mychajl’: „Sam“, in: Semenko, Mychajl’: Kvero, Nr. 1 (1914), S. 1. — Später verwendete Semenko übrigens die Schreibung „Futuryzm“ anstatt, wie hier, „Futurizm“. Semenko, Mychajl’: „Kvero-Futurizm“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 265–267, hier S. 266. — Eine deutsche Übersetzung, auf die hier jedoch nicht zurückgegriffen wurde, bietet Dmitrieva: Semenko, Mychajl’: „Quero-Futurismus“, in: Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S.  253–255.  —  Bei den frühen Manifesten Semenkos fällt generell auf, dass sie im Hinblick auf die Rechtschreibung nicht einheitlich gehalten sind, wobei es zu dieser Zeit ja noch keine einheitliche Kodifizierung des Ukrainischen gegeben hat. Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 266.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West [Der Kvero-Futurismus in der Kunst propagiert die Schönheit der Suche, den dyna­ mischen Flug. Ziel und Vollendung in der Kunst liegen in der Suche selbst. […] Der Kvero-Futurismus propagiert den Kampf der verschiedenen suchenden Ansätze, darin liegt die Aufgabe der Kunst in seiner Auslegung.]

Kunst wird von Semenko als dauerhafter Prozess definiert, der sich jeder Abgeschlos­ sen­heit entsagt: „Мистецтво є процес шукання й переживання, без здійснення.“39 [Die Kunst ist ein Prozess des Suchens und des Nacherlebens, ohne Verwirklichung.] Der Prozess der Suche und die fehlende Verwirklichung bei Semenko stehen der Eindeutigkeit des technologischen Prozesses und der Faktizität ent­gegen, die für die futuristischen Strömungen sehr spezifisch waren. Zwar enthält Semenkos Konzept durch die Einbeziehung der Dynamik („dynamischer Flug“) ein wich­tiges Charakteristikum des  – vor allem italienischen  – Futurismus,40 andere we­sentliche Merkmale fehlen jedoch weitgehend. So tritt der fordernde und polemische Charakter, der sowohl den italienischen als auch den russischen Manifesten eigen war, in Semen­ kos frühen programmatischen Texten kaum in Erscheinung. Obwohl von einem „Kampf der verschiedenen suchenden Ansätze“ die Rede ist, enthält der Text darüber hinaus keine militant-aggressive Rhetorik. Zudem steht die Forderung nach Ästhetik im Widerspruch zu den destruktiven, die Kunst zerstörenden Ansätzen anderer futu­ ristischer Konzepte, so­dass der Text, der sich bereits durch seine Bezeichnung als „futuristisch“ deklariert, auch in die Nähe der symbolistischen Tradition rückt.41 Aus diesem Festhalten am Symbolismus schließt Dmitrieva, dass Semenko zu dieser Zeit weder die Konzepte des russischen noch des italienischen Futurismus intensiv ge­ kannt haben mag, was einen Widerspruch zur zu­vor erwähnten Annahme darstellt, der Autor sei in Russland intensiv mit dem Futu­rismus in Berührung gekommen.42 Semenko war davon überzeugt, dass der ukrainische Futurismus eine gänzlich eigen­ständige Strömung darstellte, die anderen Entwicklungen – vor allem jenen in Russ­land – um nichts nachstand, ja diese gar an Relevanz noch deutlich übertraf: Zu Beginn der 1920er-Jahre erklärte er den Panfuturismus (1922–1931), eine von zahl­ reichen Nachfolgeströmungen des Kverofuturismus, zur wichtigsten Strömung der sowjetischen Avantgarde.43 Derlei mit Selbstüberschätzung aufgeladene Proklama­ 39 40

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Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 265. In der Prozesshaftigkeit lässt sich jedoch eine Analogie sowohl zu Marinetti als auch zu den russischen Futuristen erkennen, die Zeit als offenen Prozess verstanden, „als eine Vorwärtsbewegung ohne bestimmtes Ziel“, sodass zwar die alte Ordnung abgelehnt, zu­ gleich aber keine neue anstrebt wurde; vgl.  Groys, Boris: „Die russische Avantgarde. Eine Krankengeschichte“, in: Petrova/Schröder (Hrsg.) 2016: Ausst.-Kat. Chagall bis Malewitsch, S. 57–69, hier S. 58. Im Hinblick auf Semenkos Werk bezeichnete dessen Zeitgenosse Borys Jakubs’kyj die Zeit zwischen 1910 und 1914 als „роки наївного символиізму, чи навіть юнацького романтизму“ [Jahre des naiven Symbolismus, oder besser, des jugendlichen Romantis­ mus]: Jakubs’kyj, Borys: „Mychajl’ Semenko“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 471– 513, hier S. 474. — Beim Abdruck in Bilas Monografie handelt es sich um einen Aus­ zug aus einer Publikation von 1928: Jakubs’kyj, Borys: Siluety sučasnych ukrajins’kych pis’mennykiv. Kyjiv: Kul’tura 1928. Vgl. Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 255. Zu Beginn war auch die Bezeichnung Aspanfut (Asocijacija panfuturystiv) [Vereinigung der Panfuturisten] gebräuchlich; vgl.  Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 303.

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tionen lassen sich freilich als charakteristischer Teil der avantgardistischen Polemik verstehen, innerhalb der die Überhöhung der eigenen Position ein wesentliches Mo­ ment darstellte.44 Zwar wird aus den frühen Polemiken bereits eine starke Abgren­ zung von anderen Künstlern, Gruppen und Strömungen evident, diese erfolgte jedoch vor allem auf satirisch-humoreske Weise. Ende der 1920er-Jahre geriet die sati­rische Komponente primär zum Markenzeichen von Avanhard, während in Semenkos „Nova Generacija“ ähnlich wie in den russischen Zeitschriften „LEF“ und „Novyj LEF“ ein zunehmend trocken-sachlicher Ton angeschlagen wurde – in der „Novyj LEF“ wurde der Schwerpunkt auf die „Literatura fakta“, die Literatur des Faktums, gelegt.45 Semenko war – ähnlich wie Malevič im Rahmen der gesamtsowjetischen Avant­ garde – zugleich die einzige durchgehende Konstante innerhalb der ukrainischen Be­ wegung, deren federführender Akteur er bis zu ihrer Auflösung in den frühen 1930erJahren war. Im Gegensatz zu Russland, wo sich der literarische Futurismus – neben dem bild­künstlerischen  – rasch als wichtige Strömung der Avantgarde durch­setzen konnte und maßgeblich an der weiteren Entwicklung der Kunst beteiligt war, verblieb der Futu­rismus in der Ukraine in der ersten Phase noch in einer Außenseiterposition,46 was sich in den 1920er-Jahren mit der Bildung zahlreicher futuristischer Vereinigungen grund­legend änderte. Das Programm des Künstlerkollektivs nahm in der Ukraine eine ähnlich wichti­ ge Rolle ein wie in anderen Avantgarden. Nicht selten war es allerdings wiederum Semenko, der die Gründung der unterschiedlichen Gruppen initiierte. Ähnlich wie in Russland und in Westeuropa unterschieden sich diese oftmals vor allem durch ihre Pole­mik von­einander, wobei die Polemik oft allein dazu diente, sich voneinander abzu­ grenzen – und dies ungeachtet dessen, dass sich die unterschiedlichen Formationen oft aus ein und denselben Personen zusammensetzten. Viele Künstler waren in mehreren Gruppen aktiv, sodass auch der rege Austausch der Gruppenmitglieder untereinander für die zahlreichen Interferenzen innerhalb der ukrainischen Kunst mitverantwortlich war. Ein Unterschied zum russischen Futurismus lag darin, dass dem vormals sehr wichtigen Konzept der „Befreiung der Worte“, das sich auch auf bildkünstlerischer Ebene niederschlug, kein vergleichbares Interesse galt. Eine Ausnahme stellten die typogra­fischen und literarischen Experimente Semenkos dar,47 in denen er, analog zu anderen Vertretern früher Avantgardeströmungen48 in Russland  – z. B. Vasilij Kamenskij, Il’ja Zdanevič  – sowie in Westeuropa  – Filippo Tommaso Marinetti, Guillaume Apollinaire – versuchte, Wortkunst- und Bildkunst zu kombinieren. Die 44

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Mit einer ähnlichen Selbstüberschätzung traten bereits die Kubofuturisten in ihrem ersten Manifest „Poščečina obščestvennomu vkusu“ auf, in dem sie sich selbst als „lico našego vremeni“ [Gesicht unserer Zeit] bezeichneten; vgl.  Burljuk et al. 1912: „Poščečina obščestvennomu vkusu“, S. 3. Im Folgenden werden für LEF und Novyj LEF jeweils die weiblichen Artikel verwendet, also z. B. die [Gruppe] LEF, die [Zeitschrift] „Novyj LEF“. Zur Außenseiterposition des ukrainischen Futurismus in der vorrevolutionären Phase vgl. Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 301. Die typografischen Experimente konzentrierten sich vor allem auf die früheren Phasen im Schaffen Semenkos, teils noch vor seiner Übersiedlung von Kiew nach Charkiw. Die meisten Beispiele für Semenkos „Poezomaljarstvo“ [Poesiemalerei] entstanden zu Be­ ginn der 1920er-Jahre. Mit „frühen Strömungen“ sind jene vor der Revolution gemeint.

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Symbiose von Wortkunst und Bildkunst stellt eine jener Forderungen dar, die in den meisten Programmtexten der Avantgarde vertreten war.49 Semenko bezeichnete seine sehr spezifische Form der Wort-Bild-Kunst, die vor allem in den frühen 1920er-Jahren entstand, als „Poezomaljarstvo“ [Poesie-Malerei] (Abb. 2–7). Die Schriftzeichen werden darin von Semenko, wie die Abbildungen zei­ gen, meist an einem waag­rechten Zeilenraster ausgerichtet, sodass es, anders als etwa bei Kamenskij, nur in Ausnahmefällen zu einer freien Anordnung der Wörter kommt. Nach der Revolution wurden viele russische, nunmehr sowjetische AvantgardeKünstler zu opportunistischen Staatskünstlern, die im Dienste des neuen Systems agierten. Die Indienststellung erfolgte anfangs noch eher aus politischem Idealismus denn aus einer ideologischen Überzeugung heraus, sodass die Vision einer neuen, einer besseren Gesellschaft vor allem zu Beginn im Vordergrund stand. Ähnlich wie der Futurismus der LEF geriet auch in der Ukraine der literarische Futurismus zu einer ideologisch-ästhetisch ausgerichteten Strömung, die eine Verbindung von Kunst und Politik  – von Futurismus und Leninismus50  – anstrebte. Bereits der Panfuturismus war stark politisiert und bekannte sich dezidiert zum Marxismus.51 Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass die frühesten ukrainischen Programmtexte noch keine Poli­ tisierung ent­hielten; sie grenzten sich vielmehr, so auch Semenkos „Kvero-Futurizm“, dezidiert von jeglicher ideologischen Durchdringung der Kunst ab.52 Neben der Auseinandersetzung mit Fragen zur Relation von Form und Inhalt, die sich z. B. in einer Neudefinition der Faktura niederschlug, galt das Interesse in der Ukraine ebenfalls der Idee zur Schaffung einer universellen Sprache der Kunst,53 wo­bei diese primär als Träger der Ideologie fungieren sollte. Damit wurde zwar ein ähnlicher Ansatz wie im russischen Futurismus verfolgt, Konzepte wie jene zur russischen Zaum’-Sprache konnten sich in der Ukraine jedoch nur marginal durchsetzen.54 Nach der Revolution stand jedoch auch in Russland nicht mehr die Schaffung eines auf sprachlichen Experimenten basierenden poetischen Verfahrens im Vordergrund, sondern vielmehr die Nützlichmachung der Sprache für einen ideologischen Zweck. Boris Kušner bezeichnete bspw. die futuristische Plansprache Zaum’, der ursprünglich ein metalogisches Konzept zugrunde lag, als sozialen Dialekt, der „sich von selbst auf­

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Vgl. Hansen-Löve 2000: „Intermedialität und Intertextualität. Probleme der Korrelation von Wort- und Bildkunst – am Beispiel der russischen Moderne“, S. 38. In seiner Deklaration des Panfuturismus schreibt Oleksandr Poltarac’kyj, einer der wichtigsten Theoretiker der Nova Generacija: „Панфутуризм  – то є ленінізм (застосований в акції марксизм) у галузі т. зв. ,третього фронту‘.“ [Panfuturismus – das ist Leninismus (ein in Aktion umgesetzter Marxismus) im Bereich der so genannten „dritten Front“]: Poltorac’kyj, Oleksandr [Oleksij]: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“, in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), S. 40–50, hier S. 42. — Dem Beitrag ist ein Abstract auf Russisch sowie auf Französisch beigefügt. Dies z. B. in der Deklaration Semenko, Mychajl’: „Buduščee pan-futuristov“, in: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922), S. 1 (russisch). Vgl. Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 267. Vgl. Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 303. Dies liegt zu einem gewissen Maße daran, dass der Futurismus in der Ukraine erst deutlich später seine Blütezeit erlebte, als sprachlichen Experimenten anderswo, etwa im russischen Futurismus und im Dadaismus, kein großes Interesse mehr galt. Die experimentell und künstlerisch ausgerichtete Form von Zaum’, die später durch eine ideologisierte Variante abgelöst wurde, existierte in Russland bis Ende der 1910er-Jahre.

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Abb. 2: Mychajl’ Semenko: „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 1“ [Poesie-Malerei. „Kabelpoem“. Karte Nr. 1], 1922.

Abb. 4: Mychajl’ Semenko: „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 8“ [Poesie-Malerei. „Kabelpoem“. Karte Nr. 8], 1922.

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Abb. 3: Mychajl’ Semenko: „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 3“ [Poesie-Malerei. „Kabelpoem“. Karte Nr. 3], 1922.

Abb. 5: Mychajl’ Semenko: Moja Mozajika. Poezomaljarstvo [Mein Mosaik. Poesie-Malerei], Umschlag, 1924.

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Abb. 6: Mychajl’ Semenko: „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo: ,Tuha za avirom’ [Mein Mosaik. Poesie-Malerei. „Sehnsucht nach der Bestie“], 1924.

Abb. 7: Mychajl’ Semenko: „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo: ,Systema‘“ [Mein Mosaik. PoesieMalerei. „System“], 1924.

[drängt], eine neue Agitationsmethode zu werden“.55 In Russland und in der Ukraine war die Politisierung des literarischen Futurismus in den 1920er-Jahren ähnlich stark aus­geprägt wie in Italien bereits zu Beginn der Strömung. Hier sei angemerkt, dass sich für die bildende und darstellende Kunst in der Ukraine trotz der vielfachen Thema­ tisierung von Revolution, Kommunismus und Nation keine derart starke politische In­d ienststellung konstatieren lässt wie für die Literatur. Die Idee der nationalen Befreiung, die in der Ukraine neben dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit eine ähnliche, wenn nicht gar wichtigere Rolle einnahm, wurde von der Avantgarde, insbesondere dem Futurismus, ebenfalls aufgegriffen.56 Auch hier zeigt sich ein Bruch zwischen den frühen, noch vor der sowjet­ukrainischen Quasi-Eigenstaatlichkeit entstandenen Konzepten, die eine Einbe­ziehung nationaler Merk­male in die Kunst – mit wenigen Ausnahmen, etwa der jüdischen Avantgarde, die damals den Wunsch nach einer eigenen, national gefärbten Kunst ausdrückte57 – 55

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Kuschner, Boris [Kušner, Boris]: „Phonetik des Theaters. Einleitung“, übersetzt von Valeri Scherstjanoi, in: Krutschonych, Alexej: Phonetik des Theaters. Hgg. von Valeri Scherstjanoi. Reinecke & Voß 2011, S. 13–15, hier S. 14. Vgl. Luckyj 1990: Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933, S. 112. Etwa in einem 1919 von Issachar Rybak und Boris Aronson in der Kiewer Zeitschrift „Oyfgang“ veröffentlichen Manifest, das sich mit dem Problem der Schaffung eines jüdischen nationalen künstlerischen Stils sowie dessen theoretischer Konzeption

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noch ab­lehnte, sowie der später stark national aufgeladenen Kunst. Die Ablehnung von natio­nal gefärbter Kunst geht bspw. aus Semenkos Manifest „Kvero-Futuryzm“ hervor: Ознаки національного в мистецтві  – ознаки його примітивности. Кверо-футу­ ристичне мистецтво мусить бути виявом вселюдського почуття, й тонкий шар національного мистецтво вже перебуло.58 [Nationale Merkmale in der Kunst sind Kennzeichen ihrer Primitivität. Die kverofuturistische Kunst muss ein Ausdruck eines universellen Gefühles sein, und die dünne Schicht des Nationalen hat die Kunst schon überwunden.]

In Bezug auf Konzeption und Umsetzung stand der ukrainische Futurismus jenem von Marinetti in vielerlei Hinsicht deutlich näher als der russische, wobei sich die Ur­sache dafür wohl auch in der zeitlichen Differenz verorten lässt. In den 1920erJahren fokussierte der russische Futurismus, der sich nunmehr, wie erwähnt, bereits als futu­ristischer Konstruktivismus resp. als Produktionskunst etikettierte, ebenfalls auf die Schönheit von Technik und Maschine.59 Während die Rezeption Marinettis in Russ­land, wo sie vor allem in der Zeit vor der Revolution aktuell war und zudem meist negativ ausfiel,60 1928 abrupt aufhörte,61 kam es bei ukrainischen futuristischen Verei­nigungen zu einer  – hier jedoch fast durchwegs positiven  – Renaissance der einstmals so populären Auseinandersetzung mit dem italienischen Futurismus.62 Die große Technikbegeisterung, die dem italienischen Futurismus bereits seit seiner Gründung immanent war und die sich nicht nur in der Polemik, sondern auch in der bildenden Kunst zeigte, wurde in Russland erst in der postrevolutionären Phase in den 1920er-Jahren aktuell, als sich der Fortschritt im Sinne der Effizienz für die Mas­ sen auch in der Kunst zu reflektieren begann. In dieser Phase war der Futu­rismus in den Konstruktivismus übergegangen, der Technik und Maschine als wichtige Grund­lagen

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be­fasste; vgl.  Aronson, Boris/Rybak, Issachar: „Di Vegn fun der Yidisher Moleray. (Reyoynes fun kinstler)“, in: Oyfgang. Ershter zamlbukh. Kiew: Kul’turlige 1919, S. 120 (jiddisch). Eine deutsche Übersetzung und zudem eine der wenigen greifbaren Versionen bietet Dmitireva: vgl. Ryback, Issachar/Aronson, Boris: „Wege der jüdischen Malerei“, in: Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 123–141. Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 267. Nikolaj Tarabukin war ein wichtiger konstruktivistischer Proponent der Maschinen­ kunst; vgl. das Kapitel „Zur Konzeption der Maschinenkunst Tarabukins“ in: Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 36–38. In Russland kam es mehrmals zu polemischen Anti-Marinetti-Aktivitäten; vgl.  z. B. Markov 1969: Russian Futurism, S. 137. — Die negative Darstellung setzte sich im LEFFuturismus fort: Der italienische Futurismus würde, so die Kritik, zwar eine ästhetische, nicht aber eine Revolution des Lebens propagieren; vgl. Gorlov, Nikolaj: Futurizm i re­ voljucija. Poėzija futuristov. Moskva: Gosudarstvennoe izdatel’stvo 1924, z. B. S. 3–16, 55. Vgl. Markov 1969: Russian Futurism, S. 162. Zum Einfluss des italienischen Futurismus auf den Panfuturismus vor allem in den frühen 1920er-Jahren vgl.  z. B. Dmitrieva, Marina: „,A spectre is haunting Europe  – the spectre of Futurism’: The Ukrainian Panfuturists and Their Artistic Allegiances“, in: Berghaus, Günter (Hrsg.): International Yearbook of Futurism Studies, Vol. 1 (2011), Berlin/Boston: De Gruyter, S.  132–153, S.  138  ff; vgl. auch Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 3 f.

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einer Uto­pie des kommunistischen Aufbaus verstand. Insofern ist auch die ukrainische Technik-Begeisterung in den 1920er-Jahren als Teil des all­gemeinen Transformations­ prozesses vom Futurismus zum Konstruktivismus zu verstehen – wiewohl der Über­ gang hier ein fließender ist. Eine Grenze zwischen post­revolutionärem Futuris­mus und Kon­­struktivismus lässt sich in den 1920er-Jahren vor allem in der Ukraine nur schwer ziehen, zumal Elemente aus beiden Rich­tungen in der jeweils anderen anzu­treffen sind. Die Künstler waren sich ihrer spezi­fischen Positionierung an einem Übergang, der historisch, künstlerisch, gesell­schaftlich, kulturell und politisch einen Epochen­bruch markierte, nicht nur bewusst, viel­mehr repräsentierte der Prozess der Transformation ein zentrales Moment der Identifikation sowie der künstlerischen Selbst­definition.63 Die Relevanz von Technik und Maschine war in der Ukraine nicht zuletzt deshalb so relevant, da in der neu entstandenen Sowjetrepublik ein Schwerpunkt auf den Aufbau der Industrie gelegt wurde, wofür der Donbass, die Dniprowerke sowie das große Staudammprojekt Dniprostroj wichtige Beispiele sind. Der Ukraine kam auch im Kontext der sowje­tischen Industrialisierung eine Sonder­stellung zu. Der ukrainische Futurismus, der seine Blüte in der Literatur erst in den 1920er-Jahren er­lebte, berief sich im Rahmen dieser Industrialisierung, ähn­lich wie die Politik, ebenfalls auf die Maschi­nisierung. Die Begeisterung für die Tech­nik spielte nicht zuletzt deshalb eine große Rolle, da sie – mit der Konstruktion des (Selbst-)Bildes einer fortschrittlichen, industrialisierten sowjetischen Ukraine – an die Fin­dung einer nationalen Identität ge­koppelt war, und blieb in der Kunst nicht nur auf den Futurismus beschränkt. Weit stärker wurde die Technik, oft unter Berufung auf die Wissenschaft, von der Gruppe Avanhard thematisiert, deren Konstruktiver Dyna­ mis­ mus eine weitere wichtige Ausrichtung der ukrainischen Avantgarde repräsen­tierte, die sich program­matisch in Opposition zum Futurismus positionierte. Technik und Maschine wurden auch in die bildende und darstellende Kunst inte­ griert. Die futuristische und konstruktivistische Bühnengestaltung stellt neben der bildenden Kunst wohl jenen Bereich dar, in dem die ukrainische Avantgarde inter­ national gesehen die meiste Resonanz fand. Auch in der bildenden Kunst gab es eine breite Einbettung futuristischer Elemente, die ähnlich wie in Russland eng mit dem Kubismus verknüpft waren. In der 1922 einmalig erschienenen Zeitschrift „Katafalk iskusstva. Ežednevnyj žurnal pan-futurystiv-destruktorov“ [Katafalk der Kunst. Tag­ blatt der Pan-Futuristen-Destruktivisten] definierte Semenko den Panfuturismus als eine Metakunst, die durch ihre organisatorisch-konstruktiven Elemente Wissenschaft, Technik und Sport orga­nisch vereint.64 Der (literarische) Futurismus Semenkos formierte sich somit zwar ähnlich wie in Russ­land bereits Mitte der 1910er-Jahre, erreichte jedoch erst in einer späteren Phase in den 1920er-Jahren seinen Höhepunkt, zu einem Zeitpunkt, als die Strömung anders­ wo ihren Zenit längst überschritten hatte. Im Kontext des zunehmend repressiven Klimas der Sowjetunion fand der Futurismus 1931 auch in der Ukraine ein Ende.65 63

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Vgl.  z. B. Johansens Programmtext zum Konstruktivismus als Kunst der Übergangs­ epoche: Johansen, Majk: „Konstruktyvyzm, jako mystectvo perechodovoji doby“, in: Šljachy mystectva, Nr. 2 (1922). Vgl.  Tryroh, M. [Semenko, Michajl’]: „Čto takoe destrukcija?“ in: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922), S. 2. Vgl.  Belentschikow 1999: „Zu einigen Besonderheiten der ukrainischen literarischen Avantgarde“, S. 182.

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1.2 Konstruktivismus In den Jahren nach der Revolution etablierte sich der Konstruktivismus in der Sowjet­ union sowohl in der Architektur und der bildenden Kunst als auch in der Literatur zunehmend als wichtige künstlerische Strömung. Der literarische Konstruktivismus konnte dabei nicht dieselbe Relevanz erlangen wie jener in der bildenden Kunst, zu dem insbesondere die Aktivitäten der LEF zu zählen sind und der neben Literaturund Kunsttheorie auch Architektur, Typografie, Bühnenbild, Film, Fotografie sowie weitere Disziplinen umfasste. Grübel trifft hier für den russischen Konstruktivismus eine eindeutige Unterscheidung zwischen dem literarischen Konstruktivismus und dem Konstruktivismus in der bildenden Kunst, für den auch die Bezeichnungen futu­ ristischer resp. utilitaristischer Konstruktivismus gebräuchlich sind.66 In der Ukraine trat der Konstruktivismus ebenfalls zu Beginn der 1920er-Jahre in Er­scheinung, wobei es sowohl in der bildenden und darstellenden Kunst als auch in der Literatur zu vielen Analogien und zahlreichen Kooperationen mit russischen Künstlern kam – auf die in den folgenden Kapiteln noch genauer eingegangen wird. 1.2.1 Futuristischer (utilitaristischer) Konstruktivismus Dass der Konstruktivismus in der Sowjetunion in vielerlei Hinsicht die Nachfolge des Futurismus antrat, zeigt sich bereits darin, dass die konstruktivistischen Gruppen zum großen Teil aus denselben Protagonisten bestanden, die zuvor noch den Futuristen resp. den Suprematisten angehörten. Ihre Arbeiten repräsentierten nicht mehr einen formalistisch-ästhetischen Gedanken, sondern standen im Zeichen konstruktiver resp. utilitaristischer, am Ding ausgerichteter, Ideen. Daneben lassen sich im Hinblick auf die künstlerischen Prinzipien zahlreiche Ähnlichkeiten feststellen, die Grübel bspw. in der Übernahme der von den Futuristen erarbeiteten Verfahren, insbesondere jener der Revolutionierung der Kommunikationsformen, verortet.67 Im Konstruktivismus fand auch die futuristisch-avantgardistische „Tradition“68 der polemischen Proklamation künstlerischer Prinzipien eine Fortsetzung. Aleksej Gans „Kontruktivizm“ [Der Konstruktivismus] aus dem Jahr 1922 zählt zu den wichtigsten konstruktivistischen Programmtexten und stellt Angaben des Autors zu­ folge eine „Agi­tationsschrift“ dar, mit der „die Konstruktivisten den Kampf gegen die Anhänger der traditionellen Kunst eröffnen“69 – wobei, dies sei hier angemerkt, der Kampf gegen die tradierte Kunst bereits eine Dekade früher durch Marinetti eröffnet wurde. Gan, der als einer der bedeutendsten Vertreter der Strömung gilt, definierte in seinem Manifest die Konstruktion als Sammelfunktion und somit als das zentrale

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Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, z. B. S. 106. — Wie in den meisten avant­ gardistischen Strömungen gab es auch im Konstruktivismus gegeneinander kon­kurrie­ rende Strömungen, die sich in manchen Programmpunkten überschnitten, in an­deren jedoch widersprachen und dennoch unter derselben Bezeichnung firmierten. Vgl. das Kapitel „Die Bedeutung des russischen Futurismus für den Konstruktivismus“ in Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 106 f. Eigentlich plädierten die Avantgarden ja geschlossen für die Zerschlagung jedweder Tradition, hielten dies jedoch in vielerlei Hinsicht sehr inkonsequent durch. Gan, Aleksej: „Der Konstruktivismus“, in: Boris Groys/Aage Hansen-Löve (Hrsg.): Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde. Frankfurt a.  M.: Suhrkamp 2005, S. 277–365, hier S. 279.

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Element des Konstruktivismus.70 Wesentlich wurde vor allem die Einbeziehung des Materials als elementarer Bestandteil von Kunst. Die erstmalige programmatische Ausformulierung konstruktivistischer Prinzipien geht auf einen 1919 von Ljubov’ Popova publizierten Beitrag zurück, der jedoch noch keinen allgemeinen Begriff dafür offerierte.71 Laut einem in der Zeitschrift „LEF“ erschienenen Artikel erfolgte die Benennung der Strömung als Konstruktivismus schließlich erst im Jahr darauf.72 Einer der wesentlichsten programmatischen Grundsätze des Konstruktivismus lag in seiner internationalen Ausrichtung, sodass die vom Futurismus proklamierte Über­ schreitung der Gattungsgrenzen, die Intermedialität, im Konstruktivismus mit der Inter­nationalität, der Überschreitung sprachlicher und kultureller (Landes-)Grenzen, ergänzt wurde.73 Während es im Futurismus oft zu einer dezidierten Abgrenzung der Gruppen untereinander gekommen war, entstand nun also der Wunsch, die Künstler und Vereinigungen verschiedener Länder zu vernetzen, um dadurch einen Ideenaustausch zu erreichen. Der Konstruktivismus war überdies die erste Strömung der Avantgarde, die auch dezidiert versuchte, Künstler aus Ost und West zu verbinden. Die von El Lissitzky und Il’ja Ėrenburg herausgegebene dreisprachige Zeitschrift „Vešč’  – Objet  – Gegenstand“, die im April 1922 erstmals in Berlin erschien, sollte als Kanal für die transnationale Verbreitung der konstruktivistischen Ideen dienen. In ihrer ersten Ausgabe verkündeten die Herausgeber: „Die Kunst ist von nun ab, bei Wahrung aller lokalen Eigentümlichkeiten und Symptome, international.74

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Gan 2005: „Der Konstruktivismus“, S. 348. Popovas Beitrag zum Katalog der 10. Staatlichen Ausstellung „Bespredmetnoe tvor­ čestvo i suprematizm“ [Gegenstandsloses Schaffen und Suprematismus] in Moskau (1919) gilt als erstes Zeugnis des futuristischen Konstruktivismus; vgl.  Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 13, 26. — Auch einige heute nicht mehr existente Arbeiten Tatlins, die Mitte der 1910er-Jahre entstanden, sind dem Konstruktivismus zuzurech­ nen; vgl. Kókai, Károly: „Österreich und die Avantgarde“, in: Bernád, Ágoston Zénó et al. (Hrsg.): On the Road  – Zwischen Kulturen unterwegs. (=  Finno-Ugrian Studies in Austria, Band 7), Berlin: LIT-Verlag 2009, S. 133–142, hier S. 133. Grübel verweist hier auf die erste Nummer der „LEF“ aus dem Jahr 1923; vgl. ibd. S. 13; gemeint ist damit wohl die Ausstellung „Konstruktivisty“ [Die Konstruktivisten], die Anfang 1921 in Moskau stattfand. — Wie verworren die ver­schiedenen AvantgardeGruppen und ihre Ausrichtungen waren, zeigt sich darin, dass im Bereich der reinen Bildkunst bereits ab 1913 eine konstruktivistische Strö­mung, vertreten durch Tatlin und Aleksandr Rodčenko, existierte. Tatlin nahm den Konstruktivismus mit seinen Konterreliefs lange vor dessen Proklamation vorweg; vgl.  z. B. Petrova, Evgenia: „Tatlin“, in: Petrova/Schröder (Hrsg.) 2016: Ausst.-Kat. Chagall bis Malewitsch, S. 96. Peter Zoltán listet neben den konstruktivistischen Strömungen und Vereinigungen (Bauhaus, De Stijl sowie Russischer Konstruktivismus) außerdem den Futurismus, den Kubismus, den Dadaismus sowie den Expressionismus des Sturm-Kreises als inter­ nationalistisch ausgerichtete Strömungen der Avantgarde auf; vgl. Zoltán, Peter: Lajos Kassák, Wien und der Konstruktivismus 1920–1926. (=  Budapester Studien zur Lite­ raturwissenschaft, Band  15), Frankfurt a.  M. et  al.: Lang 2010, S.  145.  —  Der Bau­ haus-Stil wird vielfach nicht zum Konstruktivismus gerechnet, sondern als eigene Stil­ richtung bezeichnet. Lissitzki, El/Ehrenburg, Ilja: „Die Blockade Russlands geht ihrem Ende entgegen“, in: Vešč’ – Objet – Gegenstand. Internationale Rundschau der Kunst der Gegenwart, Nr. 1–2 (1922), S. 1–4.

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Eine ähnliche Forderung hatte Semenko bereits 1914 im Manifest „Kvero-Futurismus“ formuliert und somit einige Ideen des Konstruktivismus vorweggenommen: Бажаємо штучним рухом наближити наше мистецтво до тих границь, де у всесвітськім мистецтві починаєтся нова ера.75 [Wir wollen unsere Kunst durch eine künstlerische Bewegung an jene Grenzen an­ nähern, an denen in der universalen Kunst eine neue Ära beginnt.]

„Vešč’“ gilt als erstes Medium, das offensiv für eine Vernetzung der Künstler eintrat. Zugleich war „Vešč’“ eine der ersten von vielen weiteren konstruktivistisch ausge­ richteten Avantgarde-Zeitschriften, die schließlich im Laufe der 1920er-Jahre in ganz Europa entstehen sollten. Die Ideen und Konzepte des Konstruktivismus konnten sich nicht zuletzt dank seiner Internationalität sowohl in west- als auch in mitteleuropäische Länder ver­ breiten, so­dass er „bei all seinen lokalen Spielarten – auf dem gesamten Gebiet der Kunst zum Synonym für die moderne Avantgarde“76 wurde. Die starke Vernetzung lässt sich aus zahlreichen internationalen Kooperationen ablesen, die länder- und sprachen­über­schreitend in den unterschiedlichen Avantgarden erfolgten und als deren Er­gebnisse bspw. Publikationen entstanden, an denen Künstler der verschiedenen Avant­garden beteiligt waren. Insbesondere die internationalen Kunstausstellungen trugen wesentlich zur Internationalisierung der Avantgarde bei.77 Die Idee der Inter­nationalisierung fand schließlich mit der K. I., der Konstruktivistischen Inter­ nationalen Schöpferischen Arbeitsgemeinschaft (1922–1927), einen Höhe­punkt.78 Das gleich lautende Grün­dungsmanifest der Vereinigung wurde 1922 von Theo van Doesburg (Holland), Hans Richter (Deutschland), El Lissitzky (Russland), Karel Maes (Belgien) und Max Buchartz (Deutschland) unterzeichnet.79 Vor allem in der bildenden Kunst sowie der Architektur wird der sowjetische Kon­ struktivismus stark mit seinem westeuropäischen Gegenstück assoziiert, sodass dem 75 76

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Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 266. Turowski, Andrzej: „Die Welt konstruieren“, in: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ausst.-Kat. Europa, Europa. Das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa. Band  1: Bildende Kunst. Fotografie. Videokunst. Bonn: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen 1994, S. 142–145, hier S. 142. Mit dieser Internationalisierung wurde im Prinzip bereits im Futurismus begonnen, als etwa Marinetti mit seiner futuristischen Wanderausstellung durch Europa reiste oder aber die russischen Futuristen ihre Tourneen – die freilich auf nationale Schauplätze beschränkt blieben – veranstalteten. Jeanette Fabian bezeichnet die K. I. als exemplarisch für die internationalistische, auf die Gemeinschaft gleichgesinnter Künstler abzielende Intention des Konstruktivismus; vgl. Fabian, Jeanette: Poetismus. Ästhetische Theorie und künstlerische Praxis der tschechischen Avantgarde. (=  Wiener Slawistischer Almanach. Literarische Reihe. Sonderband 84, Intermedialität, Band 8), Wien/München/Berlin: Otto Sagner 2013, S. 173. Das Manifest erschien 1922 in der niederländischen Zeitschrift „De Stijl“ und entstand als internationale Gemeinschaftsproduktion mehrerer Künstler. Neben Theo van Does­burg (eigentlich Christian Emil Marie Küpper) waren u. a. Lissitzky und Richter als Verfasser angeführt: Doesburg, Theo van/Lissitzky, El/Richter, Hans et al.: „Kon­ struk­tivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft“, in: De Stijl, 5. JG, Nr. 8 (1928), S. 113–115.

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deutschen Bauhaus (1919–1933) in der Sowjetunion oftmals (fälschlicherweise) die Rolle des Vorreiters zugesprochen wurde.80 Da Westeuropa mit der verfemten Bour­ geoisie assoziiert wurde, beinhaltete die Zuschreibung der westeuropäischen Vor­bild­ funktion aus sowjetischer Sicht zugleich eine negative Konnotation.81 Darüber hinaus be­legt dies die aufkeimende Ablehnung von Seiten institutioneller Ebenen, mit der die Künstler der Avantgarde in den 1920er-Jahren zunehmend konfrontiert wurden. Das deutsche Bauhaus wies zahlreiche Parallelen mit dem sowjetischen Konstrukti­ vismus auf. So wurde beiderseits sowohl in der Architektur, der Typografie, der Mon­tage und der Collage, aber auch im Film sowie in der Fotografie nach neuen Wegen in der Kunst gesucht. Da sich in Folge der konzeptionellen Nähe oft auch die künstlerischen Hervorbringungen ähnelten, kam es mehrmals zu gegenseitigen Plagiatsvorwürfen.82 Neben Bauhaus-Mitgliedern waren in Westeuropa auch die niederländische Gruppe De Stijl (1917–1931) sowie L’esprit Nouveau (1920–1925), eine Pariser Künstlergruppe und gleichnamige Zeit­schrift rund um Le Corbusier (eigentlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris), maß­geblich an der Entwicklung des Kon­struktivismus beteiligt.83 Letztlich entstanden die ge­nannten Strömungen im Kon­text einer zunehmend erstarkenden künstlerischen Ver­netzung  – innerhalb der im Hin­blick auf den Konstruktivismus Lissitzky als verbindendes Element zwischen Russland und Westeuropa agierte  –, sodass es obsolet wäre, danach zu fragen, wo be­stimmte Entwicklungen zuerst stattgefunden haben.84 In der Ukraine wurden die konstruktivistischen Prinzipien in der bildenden Kunst vor allem von Jermilov re­ 80

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Hubert van den Bergs Subsummierung von Vereinigungen und Strömungen wie Neue Kunst, Neo-Kubismus, Neue Gestaltung, Expressionismus, Dada, Merz, Elementa­ rismus, konkrete Kunst, Suprematismus, Proun usw., die er alle als Konstruktivismus zusammenfasst, scheint jedoch etwas zu weit gegriffen, da der Expressionismus sowie der Dadaismus, der eine dezidiert destruktive Kunst vertrat, explizit keine konstruktiv ausgerichteten Strömungen darstellten. Zu Bergs These vgl.  van den Berg, Hubert: „,Übernationalität‘ der Avantgarde  – (Inter)Nationalität der Forschung. Hinweis auf den internationalen Konstruktivismus in der europäischen Literatur und die Proble­ matik ihrer literaturwissenschaftlichen Erfassung“, in: Asholt/Fähnders (Hrsg.) 2000: Der Blick vom Wolkenkratzer, S. 255–288, hier S. 265. Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 11. Der von der sowjetischen Zeitschrift „Sovetskoe iskusstvo“ [Sowjetische Kunst] postu­ lierte Vorwurf, Rodčenko hätte den Stil von László Moholy-Nagy und Albert RengerPatzsch plagiiert und würde dadurch eine Annäherung an das bourgeoise Westeuropa betreiben, stellte einen großen Skandal dar; vgl.  Margolin, Victor: The Struggle for Utopia. Rodchenko, Lissitzky, Moholy-Nagy. 1917–1946. Chicago: University of Chicago Press 1997, S. 151 f. Die niederländische Gruppe De Stijl wurde u. a. von Theo van Doesburg und Piet Mondrian gegründet, die auch als Herausgeber fungierten. Die französische Zeitschrift „L’esprit Nouveau“ wurde u. a. von Le Corbusier und Amédée Ozenfant herausgegeben. Die beiden zählten ebenso wie Léger – alle drei vertraten den sogenannten Purismus – zu jenen westeuropäischen Künstlern, die in der Ukraine von der Gruppe Nova Gene­ racija besonders intensiv rezipiert und diskutiert wurden. Nichtsdestotrotz wurde die Betonung von mehreren russischen Künstlern auf die de­ zidiert russische Herkunft des Begriffs gelegt, etwa von Majakovskij, der 1922 darauf verwies, dass es sich beim Konstruktivismus um eine genuin russische Erfindung hand­ le; vgl.  Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S.  12. —  Der Architekturhistoriker Giedion schrieb gar: „die ,konstruktivisten‘ z. B. kamen aus rußland und ungarn, also aus ländern, denen die heutige technische welt etwas ungewöhnliches bedeutete“

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präsentiert, der in Charkiw an mehreren Gruppen partizipierte und auch international auf Ausstellungen, etwa der „Pressa“ in Köln (1928), vertreten war.85 Ähnlich wie Aleksandr Rodčenko war Jermilov in den Jahren nach der Revolution für die staatliche Telegrafenagentur ROSTA tätig.86 In den späten 1920er-Jahren wurde er ein wichtiges Mitglied der Gruppe Avanhard, deren Publikationen er gestaltete. Im Konstruktivismus kam es gemeinsam mit den technischen Innovationen, wie der Etablierung des Offsetdrucks, auch zu einem medialen Umbruch. Viele der neuen Ideen und Techniken, etwa jene im Bereich der Typografie, der Montage, der Collage, des Films und der Fotografie, waren eine direkte und in gewisser Weise auch logische Konsequenz aus den neuen technischen Möglichkeiten, und die Kunst geriet zum Spiegel des technologischen Übergangs. Dass für viele konstruktivistische Vereinigungen nunmehr Zeitschriften anstelle von Büchern zum wichtigsten Organ wurden, spiegelte sich auch auf der literarisch-praktischen Ebene wider, indem Lyrik und (fiktionale) Prosa zu Gunsten von faktenorientierten Essays, Theorien und Ge­ brauchstexten wie Reportagen zurückgedrängt wurden. Das grundlegende Konzept der Internationalisierung wurde in der Ukraine weit mehr noch als in Russland realisiert, blieb jedoch nicht allein auf konstruktivistische Gruppen beschränkt. Eine besonders starke internationale Ausrichtung lässt sich vor allem für die Futuristen rund um Semenko konstatieren. Bereits im Rahmen der frühen Projekte kam es zu einer Bezugnahme auf den Konstruktivismus, die jedoch vor allem der Abgrenzung dienen sollte. Ilnytzkyj erwähnt hier die abschätzende Bewertung der „Vešč’“ durch die Panfuturisten, die 1922 in „Katafalk iskusstva“ erfolgte.87 Obwohl Semenko – vor allem ab Mitte der 1920er-Jahre – wesentliche Elemente des Konstruktivismus für sich adaptierte und sich mit seiner Zeitschrift „Nova Gene­ racija“ sowohl konzeptionell als auch grafisch deutlich an die Prinzipien der kon­ struktivistisch ausgerichteten Zeitschrift „LEF“ annäherte, fand bei ihm dennoch nie ein programmatisches Bekenntnis zum Konstruktivismus statt. Vielmehr hielt er in der Ukraine zumindest oberflächlich auch weiterhin an der Strömung Futurismus fest, die zu dieser Zeit in Russland de facto nicht mehr existierte, und deklarierte sich zudem als „destruktiv“ – was eigentlich einem Konterpart zum Konstruktivismus gleichkam. Semenko bezeichnete die „Destruktion“ in seinem 1922 unter dem Pseudonym M. Tryroh publizierten Essay „Čto takoe destrukcija?“ [Was ist Destruktion?] als eine der wichtigsten „Fronten“ des Panfuturismus.88

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[Kleinschr. i. Orig., VF]: Giedion, Siegfried: „vorwort“, in: telehor. internationale zeit­ schrift für visuelle kultur, Nr. 1–2 (1936), S. 113–115, hier S. 114. Während die „Nova Generacija“ von Jermilovs Ausstellungsteilnahme berichtete  – vgl.  z. B. die Abbildungsseiten 14 und 15 in der „Nova Generacija“ Nr.  8 (1928): Jermilov, Vasyl’ (1928): „Eksponaty ukrajins’koho viddilu na vystavci pressy u Kel’ni (Nimeččyna)“ (Abbildungen), in: Nova Generacija, Nr.  8 (1928), Abb.-Seite 14,  15  –, schien er dagegen im offiziellen Ausstellungs-Katalog nicht als Teilnehmer auf; vgl. Ausst.-Kat. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Pressa Köln 1928. Ohne Publika­ tions­ort 1928. Lahutenko, Olha [Ol’ha]: „Vasyl Yermilov and Constructivism“, in: Nacional’nyj chudožnij muzej Ukrajiny (Hrsg.): Ukrajins’kyj Modernizm. Ukrainian Modernism. 1910–1930. Kyjiv: Galereja 2006, S. 105–110, hier S. 106. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 339. Vgl. Tryroh 1922: „Čto takoe destrukcija?“, S. 2. — Die Destruktion findet sich somit bereits zuvor als Programmpunkt artikuliert.

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Mit dem Konstruktivismus, der im Anschluss an die Revolution die dominierende künstlerische Strömung wurde, vollzog sich in der Sowjetunion eine starke Institutio­ nalisierung der Kunst, und der zuvor vom Futurismus propagierte Bruch mit den Tra­d itionen wurde zu einem wichtigen Teil des politischen Programms. Den konzep­ tionellen Übergang vom formalistisch geprägten Futurismus zum utilitaris­tischen Konstruktivismus beschrieb Sergej Tret’jakov, Mitglied der russischen LEF, wie folgt: An die Stelle der metaphysischen und der formalen Ästhetik mit ihrer Auffassung von Kunst als Tätigkeit, die bestimmte Empfindungen (eine ästhetische Zäsur) aus­ löst, muss eine Lehre treten, die Kunst als Mittel begreift, im Rahmen der Ziele des Klassenkampfs einen emotional-organisierenden Einfluss auf die Psyche aus­zuüben.89

Zu den wichtigsten Organen der Verknüpfung von Kunst und Ideologie zählten er­neut Majakovskijs Zeitschriften „LEF“ und „Novyj LEF“, an denen die wichtigsten Kon­ struk­tivisten – z. B. Tatlin (Kunst), Rodčenko (Fotografie), Gan (Typografie), Boris Arva­tov (Theorie)  – beteiligt waren, was den intermedialen Ansatz unter­streicht. Über­­dies standen zahlreiche weitere Künstler, die zuvor dem Futurismus oder dem Supre­matismus angehört hatten, der LEF nahe. Der Konstruktivismus reichte jedoch deut­l ich über die LEF hinaus. In der Ukraine repräsentierte die Jugo-LEF [Süd-LEF] (1924–1925) einen direkten Ableger der russischen LEF, der sich dezidiert zum Kon­ struktivismus bekannte und zugleich eine deutliche politische Position einnahm.90 Ulrich Winko nennt die „Negierung der traditionellen Ästhetik und der künst­ lerischen Konzeptionen, verbunden mit der utopischen Vorstellung von der Auf­ hebung des Unter­schieds von Kunst und Leben und der Zielsetzung der sach- und formgerechten Produktion“91 als wichtigste Grundsätze, die den Konstruktivismus in Ost wie West verbanden. Der Architektur, die als Wissenschaft gesehen wurde, kam eine zentrale Rolle zu. Ein starker Fokus lag auf der „räumlichen Kunst“ sowie der Organisation der kollektiven Lebensweise, was einen Anknüpfungspunkt an die Produktionskunst dar­stellte. Die Relevanz des Räumlichen wurde nicht zuletzt in der Szeno­grafie ver­wirklicht, die nach einer zunächst futuristisch-kubistischen Phase schließlich eine neuer­liche und sehr vielseitige Revolutionierung erfuhr. Viele der interdiszi­plinär agierenden Künstler arbeiteten im Bereich der Bühnengestaltung, so auch Rod­ čenko, Popova und Tatlin. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielte Alexandra Exter, die nicht nur innerhalb der ukrainischen Avantgarde maßgeblich an der Er­neuerung des Bühnen­bildes beteiligt war, sondern auch zu den Moskauer Konstruk­tivisten zählte, wenn­gleich sie kein Mitglied der LEF war.92 Das ukrainische 89 90

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Tret’jakov, Sergej: „Perspektiven des Futurismus“, in: Groys/Hansen-Löve (Hrsg.) 2005: Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde, S. 267–276, hier S. 267. Für eine ausführliche Darstellung der Jugo-LEF vgl.  Chan-Magomedov, Selim: JUGO-LEF i konstruktivizm (po materialam archiva N. Sokolova). (= Tvorčeskie tečenija, koncepcii i organizacii sovetskogo avangarda, Nr. 7), Moskva: Lad’ja 2000. Winko, Ulrich: „Von der Kunst zur Wissenschaft. Avantgardistische Kunst- und Archi­ tekturtheorie im Kontext der Wissenschaftlichen Weltauffassung“, in: Thurm-Nemeth, Volker (Hrsg.): Konstruktion zwischen Werkbund und Bauhaus. Wissenschaft – Architektur – Wiener Kreis. (= Wissenschaftliche Weltauffassung und Kunst, Band 4), Wien: HölderPichler-Tempsky 1998, S. 159–184, hier S. 182 f. Tarabukin ordnet sie jedoch jenen Künstlern zu, die sich keiner Gruppe angeschlossen hatten; vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 37.

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konstruktivistische Bühnenbild zählt zu den bedeutendsten und eigenständigsten Entwicklungen in der ukrainischen Kunst, an deren Umsetzung eine Reihe wichtiger Künstler beteiligt war. Die meisten ukrainischen Szenografen waren zwar ebenfalls interdisziplinär tätig, blieben jedoch im Unterschied zu vielen russischen Kollegen, bei denen das Bühnenbild nur eine von mehreren von ihnen repräsentierten Kunstformen darstellte, in ihrer Arbeit deutlich stärker auf das Bühnenbild fokussiert. 1.2.2 Literarischer Konstruktivismus Da mit dem Futurismus und seiner vollständigen Zerschlagung bestehender künst­ lerischer Normen bereits sämtliche Konventionen gebrochen waren, konnten die darauf­­folgenden Strömungen wieder freier agieren. Auch für den literarischen Kon­struktivismus hat der russische Futurismus durch seine strikte Ablehnung von tradierten Codes sowie durch die Revolutionierung der künstlerischen Kommuni­ kations­ formen eine wichtige Basis für die theoretische Konzeption und deren künstlerische Umsetzung gelegt.93 Der literarische Konstruktivismus gilt als eigenständige Strömung, die sich von anderen Erscheinungen, auch vom eben erläuterten utilitaristisch ausgerichte­ten Kon­ struktivismus, deutlich unterschied.94 Diese Unterscheidung wurde auf programma­ tischer Ebene mehrfach polemisch artikuliert, wobei die Abgrenzungsversuche eher von der „marginaleren“  – also der sich zu wenig beachtet resp. kulturhegemonial dominiert fühlenden  – Seite erfolgten, während die utilitaristisch ausgerichtete Variante kein merkliches Bedürfnis verspürte, sich vom Namensvetter zu distanzieren. Wenig überraschend gilt auch im literarischen Konstruktivismus das Erschei­ nen einer Deklaration als Gründungsmoment der Strömung, zu deren wichtigsten Ver­tre­tern in Russland die Autoren Il’ja Sel’vinskij, Aleksej Čičerin und Kornelij Zelinskij zählten. „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“95 [Wir wissen. Beeidete Kon­struktion (Deklaration)] entstand zwar bereits 1922, wurde aber erst im Jahr darauf im Almanach „Mena vsech. Konstruktivisty poėty“96 [Austausch aller. Konstruktivisten-Dichter] publiziert. In Abgrenzung zum Futurismus wird bewusst auf die Bezeichnung „Manifest“ verzichtet.97 Die russischen Konstruktivisten schlossen sich unter der Bezeichnung LCK (Literaturnyj centr konstruktivistov) [Lite­rarisches Zentrum der Konstruktivisten] (1924–1930) zu einer Gruppe zu­ sammen. Ähnlich wie die Vertreter des Formalismus, der etwa von 1915 bis 1930 existierte, waren Sel’vinski und Zelinskij ebenfalls im Bereich der Literaturtheorie enga­giert, gingen jedoch von anderen Prämissen aus: Während der russische For­ 93 94 95

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Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 106. Zur Notwendigkeit der Abgrenzung vgl. v. a. ibd. S. 7. Zelinskij, Kornelij/Čičerin, Aleksej/Sel’vinskij, Il’ja-Karl: „Znaem. Kljatvennaja kon­ strukcija (Deklaracija)“, in: Dies. (Hrsg.): Mena vsech. Konstruktivisty poėty. Moskva: [ohne Verlagsangabe] 1924, S. 7–9. ­— Bereits 1923 erschien die Deklaration offenbar in Form einer eigenständigen Broschüre; vgl.  Zelinskij, Aleksandr (Hrsg.): Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl. Kniga o konstruktivizme. Moskva: Ogi 2015, S. 91. „Mena vsech“ war eine Anspielung auf die „Smena vech“-Bewegung, die im Interesse des Regimes intellektuelle Kreise inner- und außerhalb der Sowjetunion beeinflussen sollte; zu „Smena vech“ vgl. z. B. Kratochvil 1999: Mykola Chvyl’ovyj. Eine Studie zu Leben und Werk, S. 105. Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 124.

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malismus eine ausschließlich literaturwissenschaftliche Methode darstellte, sollte der Konstruktivismus literarische Konzeption und Praxis vereinen.98 Im Gegensatz zu den intermedial agierenden konstruktivistischen Künstlern rund um die LEF erfuhr der literarische Konstruktivismus bislang eine eher marginale wissenschaftliche Auf­arbeitung,99 sodass seine Vertreter auch heute noch zur unbe­kannten, „verges­ senen“ Avantgarde zu zählen sind.100 Die Strömung konnte auch wäh­rend ihres Be­ ste­hens keine merkliche Resonanz im Ausland finden, was wohl zu einem großen Teil der sprachlichen Barriere geschuldet sein mag. Anders als in der Ukraine kam es daher in Westeuropa zu keinen ernsthaften Versuchen, die konstrukti­vistischen Prinzipien für die Literatur zu adaptieren. In der Ukraine lassen sich Elemente des russischen literarischen Konstruktivismus primär bei Poliščuk sowie den Vertretern der Gruppe Avanhard feststellen, wobei Ana­logien auf mehreren Ebenen sowohl im Hinblick auf die literarischen als auch auf die künstlerischen Prinzipien vorliegen. Zwischen den ukrainischen Autoren und den wich­tigsten russischen Konstruktivisten bestanden persönliche Kontakte und es kam zu einem regen künstlerischen Austausch. Vor allem Sel’vinskij, der ebenso wie Zelinskij in der Ukraine mehrfach publiziert wurde, ar­ beitete eng mit Poliščuk und seiner Gruppe zu­sammen. Die Mitglieder von Avanhard waren auch auf konzeptioneller Ebene sehr pro­duktiv, sodass mehrere wichtige Pro­ grammtexte und theoretische Proklamationen ent­standen. Die Grundsätze des von ihr vertretenen Konstruktiven Dynamismus legte die Gruppe in mehreren Deklarationen fest, auf die in der vorliegenden Arbeit noch aus­führlich eingegangen wird. 1.2.3 Der Neue Konstruktivismus Neben den soeben kurz beschriebenen Strömungen des bildkünstlerischen sowie des literarischen Konstruktivismus existierte mit dem Neuen Konstruktivismus in der Ukra­ine noch eine dritte Form des Konstruktivismus, die sich wiederum von den beiden anderen unterschied. Im Kontext der vorliegenden Arbeit spielt diese Gruppe je­­doch keine wesentliche Rolle, weshalb im Folgenden nur kurz und überblicksmäßig da­rauf eingegangen wird. Diese spezifische Variante, die zu Beginn der 1920er-Jahre im Kon­­text der allgemeinen Transformation vom Futurismus hin zum Konstruktivismus ent­­stand, legte einen besonderen Fokus auf die Einbeziehung der politischen Ideo­logie in die Kunst. Der Neue Konstruktivismus, dem mehrere Mitglieder der später von Myko­la Chvyl’ovyj gegründeten VAPLITE (Vil’na akademija proletars’koji literatury) [Freie Akademie der proletarischen Literatur] (1925–1928) angehörten, verstand sich als Strö­mung des kommunistischen Aufbaus. Eine grundlegende Definition sowie eine Analyse dieser damals neuen Erscheinung der konstruktivistischen Dichtung bot Jo­han­sens 1922 publizierter Programmtext „Konstruktyvyzm, jako mystectvo pere­ cho­dovoji doby“ [Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche], der mit dem Über­gang thematisch auch die Phase der politischen Transformation in den post­re­

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Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 115. Im deutschsprachigen Raum stellt hier freilich Grübels „Russischer Konstruktivismus“ die Ausnahme dar. Sie scheinen demgemäß auch im von Kuz’minskij et al. edierten Band „Zabytyj avan­ gard“ [Vergessene Avantgarde] auf; vgl.  Kuz’minskij, Konstantin et al. (Hrsg.): Zabytyj avangard. Rossija – pervaja tret’ XX stoletija. (= Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband 21), München et al.: Otto Sagner 1988.

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volutionären Jahren fokussierte.101 Die Arbeiten der Gruppe standen ganz im Zeichen der kommunistischen Ide(ologi)e. Analog dazu, dass neue Technologien ein Diener des politischen Systems sein sollten, sollte auch der Künstler eine Funktion innerhalb der kommunistischen Produktion einnehmen. Poesie wurde als organisatorische Einheit inter­pretiert, die Parallelen mit einer Maschine aufwies: Das Molekül der Dichtung ist das Wort. Wie sich die kompliziertesten Ma­ schinen der kommunistischen Produktion aus den einfachsten Maschinen zusammensetzen – aus Hebel und Drehung, so wird sich die Dichtung der neuen Welt aus Wörtern […] zusammensetzen.102

Die starke Politisierung der Gruppe war vor allem Chvyl’ovyj geschuldet, der eine Vorreiterrolle bei der „Ukrainisierung“ der Kultur einnahm. Ähnlich wie viele andere Programmtexte der Avantgarde forderte auch Johansens Proklamation die Zerstörung der alten – kapitalistischen – Ordnung und den Niedergang der bürgerlichen Kunst ein. In seiner Analyse benannte der Autor drei große zeitgenössische Strömungen der Literatur: den von ihm wenig geschätzten Panfuturismus, die Neoklassiker103 sowie die konstruktive Poesie als „Dichtung des jungen Proletariats“.104 Jeder, „der sich die Technik der konstruktiven Kunst angeeignet hat“105, könne ein Schöpfer sein, so wie auch jeder Arbeiter ein Erfinder sein könne. Chvyl’ovyj, der Johansen zufolge „im Zentrum der konstruktivistischen Versmaße“106 stand, ist als Hauptvertreter des Konstruktivismus angeführt. Poliščuks Avanhard, die erst später als eigenständige Gruppe in Erscheinung trat, schien in dieser relativ frühen Zuordnung zwar noch nicht auf, der Künstler selbst wurde von Johansen jedoch bereits erwähnt. Er sei ein Autor, der zwar noch an über­holten literarischen Traditionen festhalte, zugleich aber das Potential erkennen lasse, sich zu einem Konstruktivisten zu entwickeln: Er sei „auf dem Weg, die Prosa zu verlassen“.107 Chvyl’ovyjs und Johansens Variante blieb nicht lange bestehen, sodass die Bezeichnung Konstruktivismus kurze Zeit später nicht mehr für diese Ausrichtung in der ukrainischen Literatur verwendet wurde.

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Der Begriff des „Übergangs“ war ein offizieller politischer Terminus, der die Phase der Transformation unmittelbar nach der Revolution markierte, die schließlich in der end­ gültigen Etablierung des sozialistischen Systems münden sollte. Johansen, Majk: „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“, in: Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S.  270–275, hier S.  272.  —  Das ukrainisch­ sprachige Original, das 1922 in „Šljachy mystectva“ erschien, liegt mir leider nicht vor. Gemeint sind die Kiewer Neoklassiker (Neoklasyky), die unter Bezugnahme auf die klas­sische Antike für eine reine Kunst eintraten. Zur den Neoklassikern werden u. a. Mykola Zerov, Maksym Ryl’s’kyj und Mychajlo Draj-Chmara gezählt. Eine aus­ führliche Studie zu den Neoklassikern bietet Stefan Simonek: Osip Mandel’štam und die ukrainischen Neoklassiker – Zur Wechselbeziehung von Kunst und Zeit. München: Verlag Otto Sagner 1992. Mit der konstruktiven Poesie ist die von Johansen selbst vertretene Strömung des Neuen Konstruktivismus gemeint; vgl. Johansen 2012: „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“, S. 271 f. Ibd. S. 274 f. Ibd. S. 271. Ibd.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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Wechselwirkungen zwischen der Ukraine, Russland und Westeuropa

Bedingt durch die langjährige Zusammengehörigkeit zu dem selben kulturellen Kon­ tinuum standen und entstanden die ukrainische und die russische Avantgarde in einer engen Wechselbeziehung. Zahlreiche Entwicklungen der russischen resp. spä­ ter sowjetischen Avantgarde waren durch die Beteiligung von Künstlern geprägt, die einem ukrainischen Kontext entstammten und/oder diesen gezielt in ihre Arbei­ten einfließen ließen. Die später schließlich auch programmatisch artikulierte Inter­ nationalität, deren Untersuchung einen Schwerpunkt dieser Studie bildet, zeich­ nete sich bereits lange vor der Existenz der beiden untersuchten Formationen Nova Generacija und Avanhard ab. Der Aus­tausch mit Westeuropa stellte z. B.  – nicht zuletzt dank zahlreicher Emigrations­bewegungen – bereits seit der frühesten Phase der ukrainischen und der russischen Avant­garde ein zentrales Element dar, das Ende der 1920er-Jahre in Charkiw nach wie vor präsent blieb. Der folgende Ab­schnitt ist der Bedeutung der historisch gewachsenen Kon­takte mit Künstlern, Gruppen und Strömungen in Ost und West gewidmet, die eine wich­tige Basis für die Internationalität der späten ukrainischen Avantgarde bildeten. 2.1 Ukrainische Spuren in der russischen/sowjetischen Avantgarde Insbesondere innerhalb der bildenden und darstellenden Kunst kam es zu wichtigen Austauschprozessen, die sich jedoch auch in der Literatur erkennen lassen. Die Be­ deutung des ukrainischen Kontextes für die sowjetische Avantgarde betont John Bowlt, der nicht nur Exter und Malevič, sondern auch Michail Larionov, Artistarch Lentulov und Tatlin als Belege für die Präsenz der ukrainischen Kultur innerhalb der russischen Avantgarde anführt.108 Den bekanntesten ukrainisch-stämmigen Vertreter der sowjetischen Avant­ garde reprä­sentiert wohl Malevič, der heute auch international gesehen zu den be­ deutendsten Ver­tretern der russischen Avantgarde zu zählen ist.109 Malevič arbei­tete in Sankt Petersburg und Moskau mit den wichtigsten Avantgarde-Künstlern zusammen, von denen viele seine Schüler oder Mitarbeiter waren, auch in Westeuropa war er gut vernetzt.110 Bereits die erste avantgardistische Strömung in Russland, der Futurismus, entstand aus einer Situation der kulturellen Interferenz heraus. David Burljuks Heimatort Černjanka war, wie er­wähnt, namengebend für die erste futuristische Gruppe,111 die sich später als Kubofuturisten bezeichnete. Die Bezeichnung Kubofuturismus wurde wahrscheinlich durch Exter, die eng mit 108

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Vgl. Bowlt, John: „National in Form, International in Content. Modernism in Ukraine“, in: Nacional’nyj chudožnij muzej Ukrajiny (Hrsg.) 2006: Ukrajins’kyj Modernizm. Ukrainian Modernism. 1910–1930, S. 75–83, hier S. 76. Eine umfangreiche Analyse zu Malevičs ukrainischer Identität bietet Horbačov (Hrsg.) 2006: „Vin ta ja buly ukrajinci“. Malevič publizierte „Die gegenstandslose Welt“ 1927 als Band 11 in der Reihe der Bau­ hausbücher: Malewitsch, Kasimir [Malevič, Kazimir] (1927): Die gegenstandslose Welt Aus dem Russischen von A. von Riesen. (= Bauhausbücher Band 11), München: Albert Langen 1927. — Überdies scheint er in zahlreichen westeuropäischen Publikationen, etwa der tschechischen „fronta“ (Prag, 1927) sowie der niederländischen Zeitschrift „i 10. internationale revue“ (Amsterdam, 1927–1929), als Mitarbeiter resp. Redaktions­ mitglied auf. Zum Ursprung der Bezeichnung vgl. z. B. Markov 1969: Russian Futurism, S. 34 f.

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Burljuk befreundet war, von Paris nach Russland transferiert,112 wo sie schließlich etwas zeit­versetzt übernommen wurde. Der Rückgriff auf archaische Bezeichnungen, wie er bei Hylæa erfolgte, setzte sich in den frühen Arbeiten der Künstler fort, die sich ver­mehrt für den Neoprimitivismus113 in der Kunst aussprachen und oft auf Motive aus der (ukrainischen) Volkskunst rekurrierten.114 Das erwachende Interesse an der Volkskunst führte viele Künstler aus Moskau und Sankt Petersburg an ländlich geprägte Peripherien, wo ab 1910 die sogenannten „Volksfuturisten“115 traditionelles Kunst­handwerk mit avantgardistischen Motiven kombinierten.116 Tra­d itionelle Mo­ tive aus der Volkskunst waren überdies auch für die Formfindung im Kontext des Supre­­matismus relevant.117 Exter stellt ein überaus wichtiges Bindeglied zwischen den Kulturräumen dar. Ihr Kar­riereweg ist auch deshalb so bemerkenswert, da sie sowohl in Kiew, Moskau, Sankt Petersburg als auch in Paris erfolgreich und bedeutend war.118 In Moskau konnte Exter als Pionierin des konstruktivistischen Bühnenbildes reüssieren. Die Entwürfe für Aleksandr Tairovs Inszenierung von „Famira kifared“ (nach Innokentij Annenskij), die 1916 am Moskauer Kammertheater aufgeführt wurde, stellten Exters erste Arbeiten fürs Theater dar. Mit der Ausstattung des Films „Aėlita“ – er basierte auf einer Vorlage von Aleksej Tolstoj und gilt als einer der ersten Science-Fiction-Filme überhaupt – ging sie in die internationale Filmgeschichte ein.119 Auch Tairov120 selbst, der als Leiter des von ihm gegründeten Moskauer Kammertheaters (Kamernyj teatr) ebenfalls zu den 112

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Der Begriff wurde 1912 vom französischen Schriftsteller Marcel Boulenger geprägt und ist daraufhin offenbar durch Exter nach Russland gelangt; vgl.  Knorpp, Elina: „Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack“  – Expressionismus, Futurismus, Konstruk­ tivismus auf den Bühnen in Wien, Kiew und Charkiw“, in: Faber/Horbachov/Sonn­ leitner (Hrsg.) 2016: Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst, S. 155–174, hier S. 166. Die Bezeichnung Primitivismus, so Susan Douglas, „is used as a label to classify the use of elements or forms that are considered primal, natural, tribal, exotic, spiritual and instinctive in the visual arts, primarily painting and sculpture“; vgl.  Douglas, Susan: Primitivism and the Avant-Garde. Posted on May 8 2013 https://modernlatinamericanart.wordpress.com/2013/05/08/primitivism-and-theavant-garde/ (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). Die russische Künstlerin Natal’ja Gončarova bezog diese oft in ihr Werk ein. Vgl.  Horbačov, Dmytro: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, in: Ders. (Hrsg.): Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv, unpag.  —  Die ukrainische Bezeichnung lautet „Narodnyj futurizm“. Zu den Ausstellungen der Volksfuturisten vgl. z. B. Zhadova, Larissa: „Some notes on the history of clothes design and other everyday items“, translated by Ilya Levin, in: Galerie Gmurzynska (Hrsg.): Ausst.-Kat. Künstlerinnen der russischen Avantgarde/Russian womenartists of the avant-garde. 1910–1930. Köln: Galerie Gmurzynska 1979, S. 67–74, hier S. 67. Vgl.  Dmitrieva, Marina: „Zwischen Stadt und Steppe  – Einleitung“, in: Dies. (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 9–46, hier S. 33. Exter, die aus wohlhabenden Verhältnissen stammte, pendelte quasi zwischen diesen Städ­ten; vgl.  Tobin, Jordan: „Alexandra Exter 1908–1914: Futurist influences from Russia and the West“, in: Berghaus, Günter (Hrsg.): International Yearbook of Futurism Studies. Vol. 5 (2015), S. 256–265, hier S. 256. Der Film „Aėlita“ wurde 1924 an den Mežrabprom, den deutsch-sowjetischen Film­ studios, unter der Regie von Jakov Protasanov produziert und war durch zahlreiche futuristische Elemente gekennzeichnet. Ukrainisch: Oleksandr Tajirov, eigentlich Aleksandr Kornblit.

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wichtigsten Protagonisten des sowjetischen Avantgarde-Theaters zu zählen ist, war aus der heutigen Ukraine (Romny, Poltava) gebürtig und hatte zudem einen Teil seines Studiums in Kiew absolviert. Als Regisseur hob er auf seiner Bühne den Stellenwert des Bühnenbildes hervor, sodass er maßgeblich zu dessen Revolutionierung beitrug.121 Natan Al’tman war ein weiterer bedeutender Bühnenbildner, der in Moskau am Theater von Mejerchol’d tätig war. David Šterenberg, Professor am Moskauer VChUTEMAS (Vysšie Chudožestvenno-Techničeskie Masterskie) [Höhere künstlerisch-technische Werkstätten] (1920–1926) und Initiator der Moskauer Künstlergruppe OST (Obščestvo chudožnikov-stankovistov) [Gesellschaft der Staffelei-Künstler] (1925– 1931), zählte ebenfalls zu den Vertretern der ukrainischen bildkünstlerischen Avant­ garde, die in Russland erfolgreich waren.122 Mit Jakov Kornfel’d lässt sich aus dem Bereich der Architektur ein wichtiger ukrainisch geprägter Protagonist der russischen Avantgarde nennen. Der Absolvent der Kiewer Kunstakademie und des Moskauer VChUTEMAS war ein Mitglied der Moskauer Konstruktivisten rund um die Zeitschrift „Sovremennaja architektura“ [Architektur der Gegenwart] (1926–1930), die zur Vereinigung zeitgenössischer Architekten OSA (Ob”edinenie sovremennych architektorov, 1925–1931) gehörte. Deutlich komplizierter wird es dagegen in der Literatur, da hier die kulturelle Zuge­hörigkeit oft nicht aufgrund des kulturellen, sondern aufgrund des sprachlichen Kon­textes verortet wird. In Städten wie Odessa oder Charkiw, in denen die russische Spra­che dominierte (und wohl immer noch dominiert), wurde lange Zeit vor allem Rus­sisch geschrieben und publiziert. Vor allem die jüdischen Künstlerkreise in Kiew und Odessa, denen z. B. Isaak Babel’, Il’ja Il’f, Evgenij Petrov und Vera Inber zuzu­ rechnen sind, stellen dafür ein gutes Beispiel dar. Während Malerinnen wie Marija Sinjakova, die aus Charkiw stammte und in ihren Werken primär traditionelle Motive aus der Volkskunst verarbeitete, der ukrainischen (sowie der russischen) Avant­garde zu­gerechnet werden, ist dies bei Autoren, die auf Russisch geschrieben haben, meist nicht der Fall. Ebenfalls aus Charkiw stammten Grigorij Petnikov und Terent’ev, die spä­ter in Russland künstlerisch tätig waren und historisch betrachtet sowohl für die russische als auch für die ukrainische Avantgarde von Relevanz sind. Petnikov war ein wichtiger Gefährte Chlebnikovs, mit dem er mehrere Projekte verwirklichte. Terent’ev, dessen antikünstlerische Zaum’-Texte zahlreiche Ukrainismen enthalten, kehrte nach längeren Aufenthalten in Tiflis, Moskau und Leningrad Ende der 1920er-Jahre in seine Heimatstadt Charkiw zurück. In der Ukraine partizipierte er an Semenkos Zeit­schrift „Nova Generacija“, vor allem aber setzte er dort seine Arbeit als Theaterregisseur fort.123 Da sowohl Petnikov als auch Terent’ev ihre Texte auf Russisch verfassten, 121

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Vgl.  Kłossowicz, Jan: „Aleksandr Tairov“, in: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ausst.-Kat. Europa, Europa. Das Jahrhundert der Avant­ garde in Mittel- und Osteuropa, Band 4: Biografien. Bibliografische Hinweise. Verzeichnis der ausgestellten Werke. Personenregister. Bonn: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen 1994, S. 133–134. Zu weiteren kulturellen Interferenzen, die eine Unterscheidung der beiden eng mitei­ nander verwobenen Kulturen, insbesondere im Kontext der Avantgarde, verunmögli­ chen; vgl.  z. B. Dmitrieva 2012: „Zwischen Stadt und Steppe  – Einleitung“, S.  17, 20, 25. — Die Gruppe OST vertrat bereits proletarische Prinzipien und wird von Groys als Mitläufer bezeichnet; vgl. Groys 1996: Gesamtkunstwerk Stalin, S. 29. Vgl.  Nikol’skaja, Tat’jana/Marzaduri, Marzio: „Igor’ Gerasimovič Terent’ev. Biografi­ českaja spravka“, in: Dies. (Hrsg.) 1988: Sobranie sočinenij, S. 15–21, hier S. 18.

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wurde ihr in Charkiw entstandenes Werk weder in der Ukraine noch in Russland intensiv rezi­­piert. Hier ist jedoch anzumerken, dass beide Autoren generell eher un­ bekannt blie­ben und erst in den letzten Jahren ein Interesse an ihren Werken auf­k am – welches wiederum vor allem den im russischen Kontext entstandenen Arbeiten gilt. Anderer­seits haben – ähn­l ich wie in der bildenden Kunst – auch zahlreiche Vertreter der ukrainischen literarischen Avantgarde ihr Studium in Moskau resp. Sankt Peters­ burg absolviert, wofür sowohl Semenko als auch Poliščuk als Beispiele anzuführen sind. Mit der Gruppe Selo i misto [Dorf und Stadt] existierte in Moskau sogar eine eigene ukra­inische futuristische Vereinigung, die zwischen 1924 bis 1927 unter Betei­ ligung von Kost’ Burevyj, Geo Koljada und Volodymyr Gadzins’kyj eine Zeit­schrift namens „Neo-LIF“ edierte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten ukrainischen Künstler auch in der einen oder anderen Weise am künstlerischen Leben in Moskau und Sankt Petersburg (1914–1924 Petrograd, 1924–1991 Leningrad) partizipierten und somit auch ihre Spuren im Zentrum der russischen Avantgarde hinterließen. 2.2 Westeuropäischer Kontext Im Kontext der Entstehung der russischen resp. später sowjetischen Avantgarde war es auch zu einem Wandel in der künstlerischen Rezeption gekommen, da der Blick in den 1910er-Jahren zunächst nicht mehr so sehr auf die Entwicklungen in Deutsch­ land, sondern stärker auf das Geschehen in Paris gerichtet wurde. Der Einfluss der franzö­sischen Kunst, die zu dieser Zeit gewiss dominierte, war vor allem in der bil­ denden Kunst sehr prägnant, was durch zahlreiche direkte Kontakte zusätzlich verstärkt wurde.124 1909 kam schließlich mit Marinettis Futurismus eine gänzlich neue Strömung hinzu, die in Russland sehr rasch rezipiert wurde. Dass sich die Rezeption von neuen Tendenzen bereits damals oft rasch vollzog, lag nicht zuletzt an den persönlichen Bekanntschaften, die zwischen Künstlern aus ver­schiedenen Städten bestanden. Diese etablierten sich oft im Rahmen von Auslands­aufenthalten russischer Künstler – während es zu dieser Zeit französische oder deutsche Künstler dagegen nur sehr selten nach Moskau, Kiew oder Sankt Petersburg verschlug. Viele Künstler studierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in München, Paris oder Berlin und nahmen an den tonangebenden Künstler­ vereinigungen der damaligen Zeit teil, die sie manchmal, wie im Fall Wassily Kan­ dinskys, auch selbst initiiert hatten. Insbesondere für jüdische Künstler, denen die Aufnahme an russischen Kunst­akademien oft verwehrt blieb, war Deutschland meist die ein­zige Möglichkeit, ein Kunststudium zu absolvieren. Zu jenen, die von der Sankt Petersburger Kunstakademie abgelehnt wurden, zählte bspw. Lissitzky.125 Sofern die Künstler nach ihrer Ausbildung wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurück­kehrten, brachten sie neue Ideen und Konzepte mit, die oft im Zuge einer gemeinsamen Arbeit gewachsen waren. Der Aufenthalt im Ausland diente vielen als wichtige Basis für die spätere Fortsetzung der künstlerischen Zusammenarbeit.

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Vgl. Gray, Camilla: Das große Experiment. Die russische Kunst 1863–1922. Köln: DuMont Schauberg 1974, S. 108 f. Vgl.  z. B. Nemirovskij, E.: „Ėl’ Lisickij. Tipograf. Chudožnik. Architektor“, in: Ders. (Hrsg.): Ėl’ Lisickij. Konstruktor knigi. Moskva: Fortuna Ėl 2006, S. 100–124, hier S. 101.

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Während etwa Alexander Archipenko126, der mit seinen kubistischen Skulpturen in Frankreich, Deutschland und den USA erfolgreich war, bereits sehr früh aus der Ukraine emigrierte, brachten andere ihre westeuropäischen Erfahrungen in ihre Arbeit in der Ukraine resp. in Russland ein. Exter, die in Paris studierte, übte vor allem in Kiew, wo sie eine Kunstklasse leitete, einen maß­geblichen Einfluss auf junge Künstler aus. Der französische Kunsthistoriker Jean-Claude Marcadé verweist auf Tugendchol’d, der Exters Kunst bereits 1922 als „durch die Kultur Westeuropas ver­ edelt“ bezeichnete.127 Les’ Kurbas, der sein Theater als „Generalprobe für die Zukunft“ verstand, kehrte im Anschluss an sein Studium in Wien mit zahlreichen Ein­drücken und neuen Ideen in die Ukraine zurück. Kurbas, der aus dem damals noch habsbur­ gischen Teil der heutigen Ukraine gebürtig war, verfügte über vielschichtige Kontakte nach Wien, Paris und Berlin, sodass er über einen Zugang zu neuesten Strömungen und Trends verfügte und eine wichtige Rolle innerhalb des Kultur­transfers einnahm.128 Umgekehrt waren in der westeuropäischen Avantgarde durchaus auch Künstler aus der (späteren) Ukraine präsent, wobei sich die Partizipation hauptsächlich auf die bildende Kunst konzentrierte. In der Literatur kam es dagegen – wesentlich be­d ingt durch die sprachliche Barriere  – trotz mehrerer Europa-Reisen zu keiner nennens­ werten Beteili­gung ukrainischsprachiger Avantgarde-Autoren. In den 1910er-Jahren wurde die Moderne in Deutschland wesentlich durch Herwarth Waldens Galerie und Zeitschrift „Der Sturm“ mitgetragen. Am „Ersten Deutschen Herbstsalon“, der 1913 in der „Sturm“-Galerie einen „Überblick über die neue Bewegung in den bildenden Künsten aller Länder“129 geben wollte, waren mit Archipenko, David und Vladimir Burljuk sowie Sonia Delaunay mehrere bedeutende Künstler aus der (spä­teren) Ukraine vertreten, die damals freilich noch nicht als eigenes Land aufschien. Mit seinen kubistischen Skulpturen zählte Archipenko zu den wichtigsten Bild­ hauern der Moderne, er war zudem der erste, der den Futurismus in die Skulptur transferierte. Im selben Jahr wie der Herbstsalon fand in Waldens Galerie „Der Sturm“ die bereits er­wähnte Einzelausstellung zu seinen Werken statt. Die Bedeutung Archipenkos für die damalige Kunst lässt sich anhand seiner starken Präsenz in Waldens Publikationen nachvollziehen. Im 1917 erschienenen Band „Einblick in 126

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Hier wird die international geläufige Schreibung verwendet. Archipenko wurde in Kiew geboren, wo er auch die Kunstschule absolvierte. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Moskau lebte er ab 1906 in Paris. Später emigrierte er über Berlin in die USA; vgl. Lichtenstern, Christa: „Aleksandr P. Archipenko“, in: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-West­falen (Hrsg.) 1994: Ausst.-Kat. Europa, Europa. Das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa. Band 4, S. 9. Tugendchol’d, Jakov: Aleksandra Ekster kak živopisec’ i chudožnik sceny. Berlin: Zarja 1922, S. 6 – zit. nach Marcadé, Jean-Claude: „Alexandra Exter oder die Suche nach den Rhyth­ men der Lichtfarbe“. Aus dem Französischen von A. J. Jordan, in: Galerie Gmurzynska (Hrsg.): Ausst.-Kat. Künstlerinnen der Russischen Avantgarde. Russian Women-Artists of the Avantgarde. 1910–1930. Galerie Gmurzynska Köln, Köln: Wienand 1979, S. 114–121, hier S. 121. Zur Bedeutung seines Aufenthalts in Wien für sein Schaffen vgl. z. B. Kornijenko, Nelli: „Les’ Kurbas – Wien – und weiter ...“. Aus dem Ukrainischen von Anja Lange und Vera Faber, in: Faber/Horbachov/Sonnleitner (Hrsg.) 2016: Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst, S. 191–200. Walden, Herwarth: Erster Deutscher Herbstsalon. Berlin: Verlag Der Sturm 1913, S. 5.

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Kunst. Expressionismus. Futu­rismus. Kubismus“ waren mehrere seiner Skulpturen („Zwei Körper“, „Der Tanz“, „Venus“, „Roter Tanz“) als erste im Reigen einer Vielzahl von Arbeiten wichtiger Künst­ler angeführt,130 was die internationale Bedeutung unter­streicht (Abb. 8–9). Walden be­zeichnete Archipenko im Begleittext zum Band als „bedeutendsten Bildhauer unserer Zeit“: „Er ist der erste und bisher einzige Künstler, der statt Nachahmungen von Körper­formen die Gestaltung körperlicher Formen erreicht hat.“131

Abb. 8: Alexander Archipenko: „Venus“ (1910–1911), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 25.

Abb. 9: Alexander Archipenko: „Roter Tanz“ (1912–1913), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 23.

Da Archipenko von Paris und Deutschland aus nicht in die (zu Beginn der 1920er-Jahre bereits existierende) Ukraine zurückkehrte, sondern in die USA emigrierte, spielte er im Hinblick auf den Kulturtransfer keine derart zentrale Rolle wie Exter. Seine Erfolge im Ausland wurden jedoch mit großem Interesse verfolgt und Archipenko genoss in Russland ein hohes Renommee, wie aus Louis Lozowicks 1925 in New York erschienenem Band „Modern Russian Art“ hervorgeht: Archipenko, who has been away from Russia from over 15 years, was one of the first to employ Cubist and Constructivist principles in his work. He holds high rank among

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Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Expressionismus. Futurismus. Kubismus. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 23–29. Ibd. S. 19.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West modern Russian artists for his structural sculpture, his sculpto-painting, his work in porcelain and metal and his excellent drawings.132

Alexandra Exter, die mit wichtigen ukrainischen, russischen und französischen Künst­ lern bestens vernetzt war, sorgte für einen regen Austausch von künstlerischen Ideen. Mitte der 1920er-Jahre ließ sie sich endgültig in Frankreich nieder.133 Die Künstlerin kooperierte in Paris mit wichtigen Künstlern der Avantgarde, ähnlich wie in Kiew und Moskau war sie auch hier als Lehrende tätig: Zwischen 1926 und 1930 unter­richtete sie bspw. an der Academie d’Art Contemporain von Fernand Léger, einem wichtigen Vertreter der französischen Moderne und Teil der Kubisten rund um Pablo Picasso und Georges Braque.134

Abb. 10: Alexandra Exter: „Kostümskizze von Alexandra Exter. Aus dem ExterBuch, Sarja-Verlag 1922“ (Skizze), in: Der Querschnitt, Jahresausgabe 1922, unpag.

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Lozowick, Louis: Modern Russian Art. New York: Museum of Modern Art 1925, S. 42. Exter, die nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach Russland zurückkehrte, konnte die Sowjetunion erst Mitte der 1920er-Jahre wieder verlassen, woraufhin sie sich zur Gänze in Paris niederließ. Der produktive Austauschprozess wurde somit durch die zu­ nehmende Abschottung der Sowjetunion wesentlich blockiert; vgl. Petrova/Schröder (Hrsg.) 2016: Ausst.-Kat. Chagall bis Malewitsch, S. 122. Vgl.  Kowalenko, Georgi: „Alexandra Exter“, in: Freunde der Deutschen Kinemathek e.V. und Deutsche Guggenheim Berlin (Hrsg.): Amazonen der Avantgarde. Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa und Nadeschda Udalzowa. Ausstellungskatalog, Berlin: Deutsche Guggenheim 1999, S. 131– 153, hier S. 137.

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Historischer Hintergrund – zur Genese der ukrainischen Avantgarde

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Sowohl Picasso als auch Léger und Braque wurden in der Ukraine intensiv rezipiert.135 Exter wurde in Waldens Galerie ebenfalls mit einer Einzel­ausstellung (1927) bedacht, in deutschen Kunstzeitschriften (z. B. „Der Querschnitt“ und „Der Sturm“) erfolgte eine Präsentation ihrer Arbeiten jedoch be­reits zu Beginn der 1920er-Jahre, etwa 1922 (Abb. 10). Während Exter jedoch in den ukrainischen Avant­garde-Medien der späten 1920er-Jahre keine Plattform erhielt, wurde Archipenko sehr wohl rezipiert. Die aus der Nähe von Poltava gebürtige Künstlerin Sonia Delaunay-Terk (eigentlich Sara Štern), die 1904 im Anschluss an ihre Studien in Sankt Petersburg und Karlsruhe nach Paris übersiedelte, brachte ebenfalls ukrainische Elemente in die internationale Avant­­garde ein. Diese würden sich, wie Marcadé konstatiert, in Delaunays breitem Farb­spektrum, das an die traditionelle Volkskunst  – etwa Stickereien sowie die Bemalung von Ostereiern – erinnert, zeigen.136 Vadym Meller, der in den 1920er-Jahren in Kiew sowohl als Bühnenbildner als auch als Grafik-Designer tätig war, hat außer in Kiew auch in Genf und München studiert. Seine Bühnenbildentwürfe, die 1925 in Paris auf der „Exposition Internationale des Arts Dé­coratifs et Industriels Modernes“ mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurden, stellen bedeutende Belege für die hohe Qualität des ukrainischen Bühnenbildes dar.137 Der in Kiew geborene Regisseur Eugène Deslaw138, der über die Tsche­choslowakei nach Frankreich emigrierte, wurde in Paris zu einem Teil der fran­zösischen Avant­garde. Deslaw arbeitete dort mit wichtigen Vertretern von Futu­rismus und Surrealis­mus (z. B. Luis Buñuel, Enrico Prampolini) zusammen. Der Film „Montparnasse. Poème du Café crème“ (1929) mit Luis Buñuel in der Hauptrolle zählt zu seinen wichtigsten Wer­ ken (Abb. 11). 1927 kam es in Paris mit dem Film „La marche des machines“ zu einer Kooperation mit Boris Kaufman139, der für die Kameraaufnahmen verantwortlich zeichnete. Deslaw stand auch weiterhin mit ukrainischen und sow­jetischen Künst­lern in engem Kontakt.140 Er fungierte dabei zwar als Bindeglied zwischen französischen 135

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Zu diesen drei Künstlern erschienen mehrfach Beiträge in der „Nova Generacija“ – ins­ besondere Malevič setzte sich in seinen Essays mit dem Kubismus Picassos auseinander, z. B. in Nr. 3 (1927), aber auch in Ausgabe 5 des Jahres 1930, als die Rezeption west­ europäischer Kunst aufgrund der schwierigen politischen Situation bereits massiv zurückgegangen war. Vgl.  Marcadé 1979: „Alexandra Exter oder die Suche nach den Rhythmen der Licht­ farbe“, S. 114. Vgl.  z. B. Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 202 f. — Mellers Designs wurden ebenso wie der von Petryc’kyj in Paris gezeigte Bei­ trag in New York ausgestellt; vgl. Makaryk, Irena: „On the World Stage: The Berezil in Paris and New York“, in: Makaryk/Tkacz (Hrsg.) 2010: Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/ Kijów/Kiev, S. 479–513, hier S. 492 ff. Eugène Deslaw (ukr. Jevhen Deslav, eig. Jevhenij Slavčenko) lebte ab 1922 in Paris. Zu den Filmen Deslaws vgl.  z. B. den Eintrag in der IMDB: „Eugene Deslaw“ (Lexikon­ eintrag), in: IMDB (International Movie Database) http://www.imdb.com/name/ nm0221342/?ref_=fn_al_nm_1 (zuletzt abgerufen am 1.4.2017). Boris Kaufman war der Bruder der beiden in der Sowjetunion verbliebenen Filmemacher Dziga Vertov (eig. David Kaufman) und Michail Kaufman; 1954 wurde er in Hollywood mit einem Oscar für die beste Kameraführung ausgezeichnet. Der Kontakt wird aus einem an die Redaktion der „Nova Generacija“ gerichteten Brief des italienisch-französischen Futuristen Prampolini ersichtlich, der 1928 in der Zeitschrift publiziert wurde; vgl. Prampolini, Enrico: „Rédaction ,Nova Génération‘“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. l58.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Künst­lern und der ukrainischen Nova Generacija, blieb jedoch selbst in der Ukraine relativ unbe­kannt. Da die wechselseitige Rezeption in der Literatur nicht zuletzt aufgrund der sprach­l ichen Barriere weniger einfach erfolgen kann als in der bildenden resp. darstellenden Kunst, lassen sich auch weit weniger Beispiele für die (reziproke) Wahrnehmung vermerken. Während sich in deutschen Publikationen doch eine Reihe von Über­setzungen expe­ri­menteller, avantgardistischer Literatur aus verschiedenen Sprachen finden lässt, waren ukrainische Autoren dagegen nicht repräsentiert.141

Abb. 11: Jevhen Deslav: „Z fil’mu ,Monparnas‘ 1929“ [Aus dem Film „Monparnas“ (Originaltitel: „Montparnasse“)], in: Nova Generacija, Nr. 6 (1929), Abb.-Seite  7. - Dzerkal’na vitryna sučasnoho mahazyna [Spiegelvitrine eines modernen Geschäfts]; - Cafe ,rotonda‘ z 5-ho poverchu [Kaffee-„Rotunde“ aus der 5. Etage]; - Avto z dvoch velosypediv chudožn. Ispancja Luziarre [Auto aus zwei Fahrrädern des spanischen Künstlers Luziarre(?)]; - Detal’ na vulyci. Kino afiši [Detail auf der Straße. Kino-Werbung].

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Walden, der in der Zeitschrift „Der Sturm“ einen Schwerpunkt auf osteuropäische Lite­ ratur legte, publizierte z. B. zahlreiche Übersetzungen aus dem Polnischen und aus dem Tschechischen.

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II

MARGINALITÄT? – DIE UKRAINE ALS ZENTRUM DER AVANTGARDE AN EINER SOWJETISCHEN PERIPHERIE

Obwohl die Avantgarde in der Ukraine eine wichtige Strömung repräsentierte, blieb eine übernationale Wahrnehmung sowohl aus synchroner als auch aus diachroner Per­ spektive weitgehend aus. Ukrainische Phänomene wurden überdies lange Zeit durch die russische Kunst überschattet, sodass sie nicht nur marginal rezipiert, sondern teil­ weise gar gänzlich negiert wurden. Wie der folgende Auszug aus einer Publikation von Avanhard zeigt, wurde über die eigene Marginalität auch von Seiten ukrainischer Künstler häufig lamentiert: Що знають інші народи нашого Союзу про наші українські змагання на фронт культури й мистецтва? Мабуть не знають нічого.1 [Was wissen die anderen Völker unserer Union über unseren ukrainischen Wettlauf an die Front von Kultur und Kunst? Wahrscheinlich wissen sie gar nichts.]

Das folgende Kapitel nimmt die ukrainische Avantgarde als Phänomen in den Blick, das sich nicht zuletzt aufgrund seiner Positionierung an mehreren Peripherien kon­ stituierte. Die ukrainische Strömung wird im Weiteren als Erscheinung definiert, die sich unter der Prämisse von Zentrum und Peripherie sowie den daraus resultierenden Interferenzen in der Kunst entfaltete. Hierbei wird nicht nur von einer räumlichen (abseits der sowjetischen Machtzentren), sondern auch von einer zeitlichen (weil am Ende der Strömung), einer künstlerischen (mit Fokus auf Polemik, Experiment und Provokation) sowie einer ideologischen (weil politisch in Dienst gestellten) Peripherie ausgegangen. Im Anschluss an eine Analyse des generellen Verhältnisses zwischen Avantgarden und Peripherien werden die spezifischen historischen Bedingungen aufgezeigt, die Ende der 1920er-Jahre in der Ukraine eine Blüte in Kunst und Literatur begünstigten. Charkiw, bis 1934 erste Hauptstadt der damals neu entstandenen sowjetischen Ukraine, stellte einen heterogenen Raum dar, in dem sich zahlreiche kulturelle Aktivitäten akkumulierten. Mit der Nova Generacija und Avanhard werden schließlich die beiden wichtigsten Avantgarde-Formationen der späten ukrainischen Avantgarde vorgestellt, die mit ihren Kunst- und Literaturzeitschriften die kulturelle Szene maßgeblich dominierten.

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Pan’kiv, Mychajlo/Poliščuk, Valerijan/Černov, Leonid: „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 71–78, hier S. 73.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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Sowjetische Avantgarden: Zentrum – Peripherie – Dezentralisierung

Während in der frühen Phase der Avantgarde oft eine Abwanderung von Künstlern in die kulturellen Zentren – und somit im russischen Kontext nach Moskau und Sankt Petersburg – erfolgte, lassen sich ab Ende der 1910er-Jahre mehrere entgegengesetzte Be­wegungen registrieren. So kam es im zeitlichen Umfeld der Revolution (1917) zu einer verstärkten Verlagerung von künstlerischen Aktivitäten nach außerhalb der Metro­polen. Hubert van den Berg, der eine Unterscheidung von Metropole und Peri­ pherien u. a. anhand der Einwohnerzahl festzumachen versucht, betont, dass die Grund­bedingung für das Vorhandensein einer Avantgarde nicht an die Größe einer Stadt gebunden ge­wesen sei. Vielmehr hätten sich „wesentliche Teile der Avantgarde außer­halb der metro­politanen Großstädte“2 und somit abseits historisch gewachsener kultu­reller Zentren abgespielt. Bereits 1935 wies der Schweizer Architekturhistoriker Siegfried Giedion auf die Rolle von Peripherien für die Entwicklung der Avant­garde hin, wobei er russische Kunstschaffende als Vertreter von Randkulturen verstand: der gefühlsausdruck, der in der modernen technik und der heutigen realität verborgen lag, wurde im allgemeinen nicht vom großstädter erfaßt […] eine brücke, eine flugzeug­ halle, das ganze industrielle rüstzeug, enthüllt seine fantastik viel eher jenen, für die ihr anblick kein alltagserlebnis bedeutet, keine selbstverständlichkeit. es ist daher kein zufall, daß die bahnbrecher des heutigen sehens zum größten teil aus agrar­ländern stammen, aus ländern, in denen die industrie keine vorhand hat. […] auch die kon­ struktivisten aus rußland und ungarn brachten, als vertreter der randkulturen, die gleich günstigen voraussetzungen zu ungebrochener erfassung der heutigen realität mit [Kleinschr. i. Orig., VF].3

Im Folgenden werden zuerst einige Beispiele für die auffallend häufige Präsenz der russischen resp. sowjetischen Avantgarde an Peripherien aufgezeigt. Überdies wird die mehrfache, mehrdimensionale periphere Situation der Avantgarde in der Ukraine beleuchtet, die eine wichtige Basis für die kulturelle Blüte bot. Schließlich werden die historischen Bedingungen analysiert, in deren Zuge die vormals politisch protegierte Avantgarde zunehmend ins Abseits gedrängt wurde, wobei den stärker werdenden Re­ pressionen die relative Freiheit der Künste an den Peripherien gegenüberstand. 1.1 Russische und sowjetische Avantgarde an Peripherien Obwohl in den 1910er- und 1920er-Jahren in der Sowjetunion lediglich Moskau, Leningrad und Kiew zu den künstlerischen Metropolen zählten, bildeten sich an mehreren Orten an den Rändern ebenfalls Avantgarden heraus.4 Die Etablierung

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Van den Berg, Hubert: „Provinzielle Zentren  – metropolitane Peripherie. Zur Topo­ graphie der europäischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts und ihrer Ver­ netzung“, in: Hunkeler, Thomas/Kunz, Edith Anna (Hrsg.): Metropolen der Avantgarde. Métropoles des avant-gardes. Bern et al.: Peter Lang 2011, S. 175–186, hier S. 184. Giedion 1936: „vorwort“, S. 114. — Ungarn wird hier deshalb ins Zentrum gerückt, da es sich um das Vorwort zur Zeitschrift „Telehor“ handelt, die dem ungarischen Künstler Moholy-Nagy gewidmet war. Hubert van den Berg zählt mehrere Orte auf, die trotz ihrer peripheren Lage avantgardistische Zentren wurden, darunter neben Vitebsk und Tiflis eine Reihe

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künstlerischer Zentren an räumlichen Peripherien erfolgte auffallend oft in zeitlicher Nähe zu historischen Übergängen und Brüchen und war somit häufig unmittelbar mit zeitlichen Übergangssituationen assoziiert. Einen dieser Epochenbrüche markierte die Revolution von 1917, die nicht nur zu einer grundlegenden Transformation avant­gardistischer Prinzipien – von der Experimentalität hin zur Zweckmäßigkeit –, sondern auch zur Verlagerung der künstlerischen Aktivitäten an die Ränder führte. Der Wunsch, sich den Wirren der Revolution resp. dem Dienst in der (Roten oder Weißen) Armee zu entziehen, stellte meist den primären Beweggrund für den Rückzug in entlegenere Gebiete dar.5 Neben Orten, die in ehemals russischen und nunmehr sowjetischen Ge­bieten lagen (Charkiw, Jekaterinburg, Vitebsk), kam es auch in westeuropäischen Städten zu einer akkumulierten Präsenz russischer bzw. ukrainischer Kunstschaffender. Teilweise markierten die neuen Zentren nur einen Wegpunkt entlang der Route in die (vorläufige oder endgültige) Emigration, die schließlich nach Paris, Berlin oder in die USA führen sollte. Ähnlich wie in der Sowjetunion spielten sich auch in anderen Avantgarden wichtige künst­lerische Erscheinungen an Peripherien ab, die dadurch wiederum zu künst­le­ rischen Zentren gerieten.6 Hier wäre etwa an das deutsche Bauhaus zu denken, das, zuerst in Weimar (1919–1925) und später in Dessau (1925–1932) ansässig, erst kurz vor seiner Auflösung nach Berlin übersiedelte, sodass Berlin lediglich die dritte und letzte Station darstellte. Die mehrmalige Verlagerung des Bauhauses war nicht zuletzt durch die zunehmend repressive Situation in der Weimarer Republik bedingt. Wie für viele andere Vereinigungen, deren Arbeit ebenfalls als „entartete Kunst“ diskreditiert wurde, hatte das im September 1933 erlassene „Reichskulturkammergesetz“ auch für das Bauhaus die Auflösung zur Folge.7 1.1.1 Der ukrainische Volksfuturismus in Verbivka und Skopci8 Die Dörfer Verbivka9 und Skopci,10 die heute beide in der Ukraine liegen, stellen zwei bislang nur wenig registrierte Zentren der Avantgarde an (damals noch russi­ schen) Peripherien dar. Unter der Beteiligung von Exter, Evgenija Pribyl’skaja

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westeuropäischer peripherer Zentren der Avantgarde; vgl.  Berg 2011: „Provinzielle Zentren – metropolitane Peripherie“, S. 182 ff. Hier sei allerdings auch auf die antizivilisatorische Ausrichtung einiger Kunstschaffender und Strömungen verwiesen, die ebenfalls oft in einem Rückzug in entlegenere Gebiete resultierte. Für einen Überblick über die verschiedenen europäischen Avantgarden an den Rändern vgl. Van den Berg 2011: „Provinzielle Zentren – metropolitane Peripherie“, S. 182–184. In einer Konferenz erklärte das Lehrerkollegium das Bauhaus am 19.7.1933 für auf­ gelöst; vgl. das Protokoll vom 20.7.1933: Albers, Josef: Bauhaus General. Closing of the Bauhaus, (Protokoll). Harvard-Archive 20.7.1933: BH 29. 25. — Das Bauhaus-Konzept wurde ab 1937 von Moholy-Nagy in Chicago/USA als New Bauhaus fortgeführt. Auch Walter Gropius übersiedelte in die USA, wo er als Professor für Gestaltung an die Harvard University berufen wurde. Zu diesem Unterkapitel vgl. Faber, Vera: „Utopian Vision of the Future by referring to the Past – the Female Artisan Cooperatives of ,Folk Futurists‘“, in: Laučkaitė, Laima/ Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Community and Utopia: Artist’s Colonies in Eastern Europe from the Fin-de-Siècle to Socialist Period. (= Dailės istorijos studijos, t. 8), Vilnius: Lietuvos kultūros tyrimų institutas 2017, S. 59–76. Verbivka liegt im Bezirk Čerkasy südlich von Kiew in der heutigen Ukraine. Skopci (heute Veselynivka) liegt unweit von Kiew in der heutigen Zentralukraine.

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und Natal’ja Davydova etablierte sich in den beiden Dörfern eine spezifische Form der Avantgarde, die fast ausschließlich von Frauen repräsentiert wurde. In Hand­ werkskooperativen am Land, die ähnlich wie in anderen Orten Russlands ur­ sprünglich als Beschäftigungsprojekte für Frauen konzipiert waren, wurden von Volkskunstmeisterinnen und renommierten Avantgarde-Künstlern gemeinsame Work­shops und Seminare organisiert, in denen futuristische und suprematistische Motive mit traditionellem Kunsthandwerk kombi­niert wurden. Horbačov führte für diese spezifische Synthese von Volkskunst und Avant­garde die Bezeichnung „Narodnyj futurizm“ [Volksfuturismus] ein,11 die im zeit­genössischen Kontext des Phänomens allerdings noch nicht gebräuch­lich war. Da es bereits ab 1910 zu ersten Kooperationen kam, lassen sich diese zu den frühesten Aktivi­täten der russischen Avantgarde zählen.12 In den folgenden Jahren versammelten sich in den beiden Dörfern zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, wobei neben Malevič auch Nina Genke-Meller, Ljubov’ Popova, Ivan Puni, Michail Larionov, Olga Rozanova und

Abb. 12: Handtaschen nach Entwürfen von Ol’ga Rozanova (beide 1916–1917).

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Abb. 13: Die Volkskünstlerin Hanna Sobačko in Skopci, 1915 (Foto, B&W).

Vgl. Horbačov: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag. Die Kooperation in Skopci dauerte offenbar bis 1916; vgl. den Text zur Ausstellung auf der Webseite der Charkiwer Staatlichen Akademie für Kunst und Design: „Chudožnyky avan­hardu j ukrajins’ka vyšyvka“, http://www.ksada.org/nov-3-01.html (zuletzt abge­ rufen am 25.3.2017).

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Natal’ja Gončarova an den Workshops teilnahmen resp. ihre Skizzen und Entwürfe für eine weitere Verarbeitung durch die Volkskünstlerinnen zur Verfügung stellten. Die aus der Zusammenarbeit hervorgegangenen Arbeiten, zu denen u. a. bestickte Tücher, Pölster und Taschen zählten (Abb. 12), wurden mehrfach auf nationalen und internationalen Ausstellungen präsentiert.13 Die erste von mehreren Ausstellungen für dekorative Kunst, in der bereits supre­ ma­tistische Motive gezeigt wurden, fand 1915 einen Monat vor der berühmten „Letz­ ten Futuristischen Ausstellung 0.10“ in Moskau statt, in deren Rahmen der Supre­ matismus von Malevič erstmals öffentlich als neue Kunstrichtung vorgestellt wurde. Die Kunst­historikerin Charlotte Douglas verweist da­her auf die Möglichkeit, dass der Suprema­tismus nicht in Form von Bildern, sondern als Stickereien resp. Skizzen für Stickereien erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben könnte.14 Während bei den Ausstellungen primär die bereits renommierten Künstlerinnen und Künstler der Avantgarde registriert und rezipiert wurden, blieben die Volks­ kunstmeiste­rinnen weitgehend im Hintergrund. Einige von ihnen konnten dennoch eine ge­wisse nationale resp. internationale Bekanntheit erlangen. Arbeiten von Hanna Sobačko (Abb. 13) und Natal’ja Vovk wurden bspw. in Berlin, Paris und New York ge­ zeigt. Beide Volkskünstlerinnen werden heute zu den Vertreterinnen der ukrainischen Avant­garde gezählt.15 1.1.2 Vitebsk: Suprematismus und UNOVIS Vitebsk (heute in Belarus) wurde ähnlich wie andere künstlerische Zentren zunächst vor allem im Kontext einer Bildungsinitiative zum Anziehungspunkt für russische Künstler. Marc Chagall rief in den Revolutionsjahren das Höhere Institut für Volks­ bildung (Vysšij institut narodnogo obrazovanija) ins Leben, dem sich Künst­ ler wie Robert Falk, Ivan Puni, Ksenija Boguslavskaja und Vera Ermolaeva als Lehrende anschlossen. 1919 kam auch Malevič ans Institut,16 dessen Theorien des Suprematismus bei den Studierenden auf großes Interesse stießen. Kowtun spricht gar von „strenggläubigen Suprematisten“, die in Malevičs Bann gezogen worden seien.17 Malevič übernahm bereits nach kurzer Zeit die Leitung der Institution,18 aus der 1920 das Künstlerkollektiv UNOVIS (Utverditeli Novogo Iskusstva) [Bekräftiger der Neuen Kunst] hervorging, das sich auch als poli­tisches Programm verstand. Bowlt betont, dass sich UNOVIS in weiterer Folge rasch „in ein Zentrum zur Propaganda 13

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Zur Transformation suprematistischer und futuristischer Motive in traditionelles Kunsthandwerk vgl. z. B. Douglas, Charlotte: „Suprematist Embroidered Ornaments“, in: Art Journal54, Nr. 1 (Spring 1995), S. 42–45. — Vgl. auch Zhadova 1979: „Some notes on the history of clothes design and other everyday items“. Vgl. Douglas 1995: „Suprematist Embroidered Ornaments“, S. 42. So etwa von Horbačov. Zum Phänomen der Volksfuturisten, insbesondere zu den lokalen Volkskünstlerinnen vgl. auch Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910– 1930 rokiv“, unpag. Auch Michail Bachtin gehörte übrigens der Institution als Lehrender an; vgl. Grübel, Rainer: „Michail M. Bachtin. Biographische Skizze“, in: Bachtin 1979: Die Ästhetik des Wortes, S. 7–20, hier S. 10. Vgl.  Kowtun, Ewgeni [Kovtun, Evgenij]: Die Russische Avantgarde in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Malerei. Graphik. Plastik. Angewandte Kunst im Russischen Museum, St. Petersburg. Bournemouth: Parkstone Verlag 1996, S. 63. Vgl. Grübel 1979: „Michail M. Bachtin. Biographische Skizze“, S. 10.

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des Suprematismus“19 verwandelt habe. Neben Malevič als offenbar eher autokratisch agierendem Leiter gehörten dem Kollektiv Lissitzky, Ermolaeva, Nina Kogan, Nikolaj Suetin, Il’ja Čašnik und einige weitere Künstler an.20 Malevič wollte eine neue, auf der suprematistischen Malerei basierende Form der künstlerischen Lehre betreiben, wobei Kunst durch die Einbeziehung sämtlicher Gattungen zu einem universellen System synthetisiert werden sollte.21 Aufgrund der Präsenz des Künstlerkollektivs verwandelte sich die Provinzstadt Vitebsk rasch in ein wichtiges kulturelles Zentrum, das durch Ausstellungen und zahl­reiche Vorträge zu Futurismus, Kubismus und Suprematismus nachhaltig belebt wurde. Der performative Charakter von UNOVIS, deren Dekoration von Straßen und Plätzen mit suprematistischen Motiven eine spezifische Form der künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum darstellte,22 erinnert an die frühen Auftritte der russischen Futu­risten, wobei der provokative Anspruch im Vergleich mit den Kubo­ futuristen gewiss geringer ausfiel. Kowtun merkt an, dass die Vitebsker Periode des Supre­matismus eine Überführung der Theorie in die angewandte Praxis23 bedeutet habe. Ableger der UNOVIS entstanden in zahlreichen weiteren Städten, zu denen neben Moskau und Petro­grad auch Charkiw gehörte.24 Die starke Vernetzung, die im Kontext des Kon­struktivismus in Form der forcierten Internationalisierung einen Höhepunkt er­reichen sollte, bildete also bereits im Suprematismus einen pro­gramma­ tischen Schwer­punkt. 1922 kehrte Malevič nach der Auflösung der UNOVIS nach Petrograd zurück. Obwohl die Vitebsker Vereinigung nur wenige Jahre existierte, zeigte sie in künstle­rischer und konzeptioneller Hinsicht eine nachhaltige Wirkung auf die sowjetische Avantgarde sowie auf weitere künstlerische Strömungen.25 1.1.3 Sverdlovsk (heute: Jekaterinburg): konstruktivistische Architektur Die russische Stadt Sverdlovsk (heute Jekaterinburg), die ebenfalls in mehrfacher Hinsicht an einer Peripherie zu verorten war, entwickelte sich in den späten 1920erJahren zu einem wichtigen Zentrum der sowjetischen konstruktivistischen Archi­ tektur. Die Entwicklung der Stadt ähnelte jener in Charkiw, die ebenfalls im Rahmen der Industrialisierung in den späten 1920er-Jahren von einer national unbedeutenden

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Bowlt, John: „Vorwort“, in: Kowtun, Ewgeni [Kovtun, Evgenij]: Die Russische Avantgarde in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Malerei. Graphik. Plastik. Angewandte Kunst im Russischen Museum St. Petersburg. Bournemouth: Parkstone Verlag 1996, S. 9–11, hier S. 11. Zur UNOVIS vgl. z. B. Hansen-Löves Anmerkungen zum Programmtext der Vereini­ gung: Hansen-Löve, Aage: „Anmerkungen“ (zu Malevič, Kazimir: „UNOVIS“), in: Groys/Hansen-Löve (Hrsg.) 2005: Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde, S. 231–235, hier S. 231. Vgl. UNOVIS-Kollektiv der Vitebsker Staatlichen Freien Werkstätten: „Programm des einheitlichen Auditoriums Malerei. 1920“, in: Gaßner, Hubertus/Gillen, Eck­ hart (Hrsg.): Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus. Dokumente und Kommentare. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934. Köln: DuMont Buchverlag 1979, S.  86–88; zur Konzeption der UNOVIS vgl.  auch Gaßner/Gillen (Hrsg.) 1979: Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus, S. 68 ff. Vgl. Kowtun 1996: Die Russische Avantgarde in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, S. 65. Vgl. ibd. S. 64. Vgl. ibd. Vgl. ibd.

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Stadt zu einem administrativen Zentrum aufgewertet wurde, was in einem schnellen Wachs­tum resultierte. Die Blütezeit des Konstruktivismus setzte in Sverdlovsk erst mit dem Ersten Fünf­ jahresplan (1928), dem Beginn der sowjetischen Industrialisierung, und somit um einige Jahre später als in Moskau ein. Interessant ist dies nicht zuletzt deshalb, da der Erste Fünfjahresplan einen wichtigen Wendepunkt innerhalb der Kunst markierte, mit dem die zunehmende Einschränkung der künstlerischen Freiheit und die Zurück­ drängung avantgardistischer Strömungen einhergingen.26 Jenseits des Urals konnte die Avantgarde nach ihrem offiziellen Verbot27 noch eine Weile existieren, sodass sie sich auch in zeit­licher Hinsicht als Erscheinung am Rand identifizieren lässt. Ab 1932 kam es zur end­gültigen Abkehr der offiziellen Baupolitik von der Moderne, wobei die offiziell erfolgte Ablehnung von drei avantgardistischen Entwürfen für den Sowjetpalast als Wende­punkt gesehen werden kann.28 In Sverdlovsk konnten die insgesamt 140 kon­struktivistischen Gebäude der Stadt, an deren Planung auch mehrere renommierte Ver­treter des russischen Konstruktivismus beteiligt waren, noch bis einschließlich 1934 ge­­baut werden. Moisej Ginzburg, einer der Mitherausgeber der Architekturzeitschrift „Sovremennaja architektura“, zeichnete z. B. für den Ent­ wurf eines Wohngebäudes verantwortlich, während sein Kollege Jakov Kornfel’d den „Club der Baumeister“ („Klub Stroitelej“) plante.29 Ähnlich wie in Charkiw ist es auch im heutigen Jekaterinburg der peripheren Lage zu verdanken, dass sich das konstruktivistische Erbe zu einem großen Teil bis heute erhalten konnte und nach wie vor das Stadtbild prägt, während es in Moskau, Sankt Petersburg (damals Leningrad) und Kiew weitgehend zerstört wurde. 1.1.4 Tiflis: experimenteller Futurismus In der georgischen Hauptstadt Tiflis kam es für viele Künstler und Autoren zu einem teils mehrjährigen Aufenthalt auf dem Weg in die endgültige Emigration. Tiflis war eine Art Zwischenraum, der aufgrund der langjährigen Zugehörigkeit zu Russland in vieler­lei Hinsicht als durchlässig bezeichnet werden kann. Unter Bezugnahme auf Lotman lässt sich auch von einer „Membran“ sprechen, von einem „Ort, wo das ,Äußere‘ zum ,Inneren‘ wird“30. 26

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Der Wendepunkt folgte unmittelbar auf den Höhepunkt, den die 1927 von der russi­ schen Vereinigung zeitgenössischer Architekten OSA organisierte „Erste Ausstellung Zeitge­nössischer Architektur“ (Pervaja vystavka sovremennoj architektury) in Moskau mar­kierte; vgl. Zygas, K. Paul: „OSA’s 1927 Exhibition of Contemporary Architecture: Russia and the West Meet in Moscow“, in: Harrison Roman, Gail/Hagelstein Marquardt, Virginia (Hrsg.): The Avant-Garde Frontier. Russia Meets the West, 1910–1930. Gainesville: University of Florida Press 1992, S. 102–142, hier S. 102 f. Am 23.4.1932 wurden mit der Entscheidung des ZK (Zentralkomitees) der KP, alle Künstlervereinigungen aufzulösen, auch sämtliche Aktivitäten der Avantgarde end­ gültig unterbunden; vgl. Groys 1996: Gesamtkunstwerk Stalin, S. 39. Zum Bruch in der sowjetischen Baupolitik vgl. z. B. Fliers, Thomas: „,Vielleicht die größte Aufgabe, die je einem Architekten gestellt wurde‘ – Ernst May in der Sowjet­ union“, in: Quiring, Claudia/Voigt, Wolfgang/Chachola Schmal, Peter/Herrel, Eckhard (Hrsg.): Ernst May. 1886–1970. München et al.: Prestel 2011, S. 157–195, hier S. 177. Vgl.  Smirnov, Leonid et al.: Konstruktivizm Ekaterinburga. Ekaterinburg: Aproš 2015, S. 7, S. 22, 34. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 182.

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Während der ersten russischen Emigrationswelle lag der Kaukasus für viele Ausreise­ willige auf ihrer Route Richtung Westen. Zwischen 1918 und 1921 entfaltete sich Tiflis als Hauptstadt der menschewikisch regierten Demokratischen Republik Georgien zu einer künstlerischen Oase, die nur unwesentlich außerhalb russischer Einflusssphären lag und in der sich Künstler der verschiedensten Strömungen (Futurismus, Symbo­ lismus, Akmeismus) versammelten, die das kulturelle Leben prägten.31 Mit der Gruppe 41°, der Kručenych, Terent’ev und Zdanevič angehörten, etablierte sich die Stadt auch als erstes postrevolutionäres Zentrum des russi­ schen Futurismus. Die Grundsätze des frühen Futurismus, zu denen bspw. die Auseinandersetzung mit der Faktur des Wortes zählte, wurden von 41° weiter­ geführt, während anderswo bereits Agitation und Zweckmäßig­keit den Futurismus dominierten. Diese Ausprägung des Futurismus lag in mehrfacher Hin­sicht an einer Peripherie, nicht nur zeitlich (am Ende der Strömung) und räumlich (an der Schwelle zum russischen Territorium), sondern auch künstlerisch, indem auf geschmacklicher Ebene Normen in Frage gestellt und der Bruch von Konventionen zur Provokation eingesetzt wurde.32 Obszönitäten und Geschmacklosigkeiten rücken 41° eindeutig in eine dadaistische Tradition. Unter Bezugnahme auf Freud wurde zudem versucht, die Grenzen zum Unterbewusstsein zu durchbrechen.33 Überdies spielte die Weiterentwicklung der Zaum’-Sprache, der metalogischen Sprache der russischen Futuristen, nach wie vor eine wichtige Rolle. 1921 wurde das Gebiet von der Sowjetunion annektiert, sodass Tiflis zu einem integralen Teil der Sowjetunion wurde. Mit dem Ende der politischen Übergangssituation fand auch die kulturelle Blüte in Tiflis ein Ende. Manche Künstler gingen nach Moskau und Petrograd zurück, während es andere in die endgültige Emigration trieb.34 1.2 Zur mehrfachen, mehrdimensionalen peripheren Situation in der Ukraine Die ukrainische Avantgarde der späten 1920er-Jahre wird im Folgenden als viel­ schichtiges Phänomen an mehreren Peripherien definiert, das sowohl in Be­ zug auf die zeitliche, räumliche und ideologische als auch auf die künstlerische Repräsenta­t ion als Erscheinung am Rand, an einer Grenze auftrat. Nach Erlangung der Quasi-Eigen­staatlichkeit (als sowjetische Ukraine) wurde Russland von ukra­ inischen Künstlern vielfach polemisch als ehemalige Kolonialmacht kritisiert. Den Entwick­lungen in der rus­sischen Kunst und Literatur galt daher vordergründig nur wenig Interesse, meist wurde ihnen sogar eine offene, ja offensive Ablehnung ent­ 31

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Zum Zusammentreffen mehrerer Strömungen vgl. z. B. Marzaduri, Marzio: „Futurismo menscevico“, in: Marzaduri, Marzio (Hrsg.): L’avanguardia a Tiflis. Studi, ricerche, cronache, testimonianze, documenti a cura di Luigi Magarotto, Marzio Marzaduri, Giovanna Pagani Cesa. Venezia: Seminario di Iranistica, Uralo-Altaistica e Caucasologia dell’Università degli Studi di Venezia 1982, S. 99–180, hier S. 103. Ausführlicher zu 41° vgl. auch Faber, Vera: „Nur der Unsinn gibt der Zukunft Inhalt”. Futurismus und Wort-Bild-Kunst der russischen Avantgarde in Tiflis 1917–1921. Wuppertal: Arco Wissenschaft 2018, insbes. S. 79–100. Hier sei auf die Vorlesungen Kručenychs verwiesen, die sich mit Freud befassten; vgl. z. B. Markov 1969: Russian Futurism, S.  343; vgl. Marzaduri 1982: „Futurismo menscevico“, S. 116 f. Zdanevič emigrierte über Konstantinopel nach Paris, die beiden anderen Mitglieder von 41° gingen, teils über Umwege, nach Russland zurück, wobei Terent’ev Ende der 1920er-Jahre auch längere Zeit in Charkiw Station machte; vgl. ibd. S. 124 ff.

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gegengebracht. Vor dem Hintergrund dieser Konkurrenzsituation kam es in der ukrainischen Kultur, mit Lotman gesprochen, „zu einer beschleunigten Reifung“,35 was die Entwicklung zu einem künstlerischen Zentrum begünstigte. Während die Avantgarde zu dieser Zeit insgesamt gesehen, wie Lotman konstatiert, nach einer Phase der „Revolte an der Peripherie“ […] zu einem zentralen Phänomen [wurde], das der Epoche seine Gesetze diktierte und auf die gesamte Semiosphäre ab­ färbte, um dann faktisch zu erstarren und zum Gegenstand intensiver Theoriebildung auf der metakulturellen Ebene zu werden36,

kam es in der Ukraine zu einer produktiven Auflösung dieser Erstarrung. Die teilweise Verlagerung des Zentrums in die sowjetische Ukraine war vielmehr eine der von Lotman gefassten „Erstarrung“ vieler anderer Avantgarden gegenläufige Bewegung. Die akku­mulierte periphere Situation führte auch zu einer Konsolidierung und Stärkung des kulturellen Selbstbewusstseins, sodass ein Rückgriff auf traditionelle (nationale) Mo­tive gegen Ende des Jahrzehntes nicht mehr unbedingt notwendig war. Die Ukraine hatte sich als eigenständiges Zentrum etabliert, sodass Zentrum und Peripherie ge­wisser­maßen die Plätze zu tauschen begannen37 (Abb. 14, 15). 1.2.1 Räumliche Peripherie: an/zwischen den Rändern Als Teil der relativ neu entstandenen Sowjetunion bildete die Ukraine auch eine räum­ liche Peripherie. Während sich die Dezentralisierungsprozesse der russischen resp. sowjetischen Avantgarde hauptsächlich auf topografischer Ebene niederschlugen  – indem etwa das alte Zentrum mit dem neuen in ein Spannungsverhältnis eintrat oder durch dieses, zumindest temporär, abgelöst wurde  –, waren im Kontext der ukrainischen Avantgarde Macht- und Dominanzfragen ebenfalls relevant. Wenn im Sinne Gumbrechts nur „wenige Stimmen aus der Peripherie […] Einspruch gegen diese Anschauungen [erheben], wonach Europa stillschweigend als Zentrum gilt“38, dann lässt sich die ukra­inische Avantgarde gewiss als eine dieser wenigen Einspruch erhebenden Stimmen ver­stehen, da sie ihre Anerkennung als gleichberechtigter Teil innerhalb der europäischen Kunst lautstark einforderte. Aus ukrainischer Perspektive stellte das eigene kulturelle Leben nämlich ein ebenso wichtiges Zentrum dar wie so manche westeuropäische und, viel prägnanter noch, jede russische Metropole.39 Diese Selbstwahrnehmung, die ganz und gar nicht mit der Fremdwahrnehmung übereinstimmte, ist sowohl in theoretischen als auch in literarischen Essays ukra­ inischer Künstler belegt. Avanhard spricht von einem ukrainischen Wettlauf an die vorderste Front von Kunst und Kultur,40 während Semenko es als Faktum ansah, dass

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Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 178. Ibd. Von einem Tausch der Plätze spricht Lotman im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis von Zentrum und Peripherie; vgl. ibd. S. 193. Gumbrecht 2013: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, S. 381. Hier sei auf die Polemiken der „Literarischen Diskussion“ (1925–1928) verwiesen, in denen eine Gleichrangigkeit der ukrainischen Kunst eingefordert wurde. Zur „Litera­ rischen Diskussion“ vgl. z. B. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 84–89. Vgl. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 73.

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Abb. 14: Zentrum – Peripherie – Dezentralisierung. Künstlerische Zentren zu Beginn der 1920er-Jahre.

Abb. 15: Zentrum – Peripherie – Dezentralisierung. Künstlerische Zentren Ende der 1920er-Jahre.

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die eigene Strömung die wichtigste der gesamten Sowjetunion darstellte.41 Nachdem die Avantgarde, zuvor lautstarke Proponentin des kommunistischen Systems, mit dem Ende der NĖP endgültig die Gunst der politischen Eliten verloren hatte, führte die Verschlechterung der Produktionsbedingungen zu einer Abwanderung vieler Kunstschaffender aus den Zentren Moskau und Leningrad, wobei innersowjetische Peripherien ein wichtiges Ziel bildeten. In Charkiw, der damaligen Hauptstadt der sowjetischen Ukraine, konnte sich zu dieser Zeit eine aktive, vielseitige Kunst- und Literaturszene etablieren.42 Obwohl sich die künstlerischen Aktivitäten ganz im Osten des Landes und somit un­ mittelbar an der russischen Grenze abspielten, wandten viele Künstler ihren Blick über die am anderen Ende des Landes liegenden Grenzen Richtung Westen, da sie mit west­euro­päischen Zentren von Moderne und Avantgarde weit mehr An­ knüpfungspunkte als mit Moskau oder Leningrad sahen – darauf wird in der Arbeit noch ausführlich ein­gegangen. Aus dieser Lage an einem Zwischenraum entstand eine doppelt periphere Situation, die die ukrainische Avantgarde als Erscheinung am Übergang zwischen „Ost“ und „West“, zwischen zwei wichtigen Zentren, positionierte. Unter Bezugnahme auf Steven Tötösy de Zepetnek lässt sich die kulturelle Situation in der Ukraine daher als eine „inbetween peripherality“43 bezeichnen, da die Zentren, von denen ein Impuls aus­ging resp. an denen ein Interesse bestand, nicht nur in Russland, sondern vor allem in Westeuropa zu verorten waren. 1.2.2 Zeitliche Peripherie: das Ende der Avantgarde Die Dezentralisierung ging jedoch weit über die rein räumliche Dimension hinaus. Die Blüte der ukrainischen Avantgarde spielte sich auch zeitlich an einer Peripherie, am Rand der Zeit ab, denn während der Zenit der Avantgarde anderswo längst über­ schritten war, erlebte sie in Charkiw erst Ende der 1920er-Jahre einen  – deutlich verspäteten und somit „ungleichzeitig“ mit allen anderen Avantgarden erfolgten  – Höhe­punkt. Die von Lotman konstatierte Revolution an einer Peripherie lässt sich in der Ukraine somit auch auf der zeitlichen Ebene verorten. In Kontrast zu anderen Avant­garden, die sich zu dieser Zeit bereits in einer (bürokratischen, künstlerischen etc.) Erstarrung befanden, erfuhr die Strömung eine Revitalisierung. Die sowjetische Avant­garde habe nämlich nur „für kurze Zeit […] im Gefolge des revolutionären Auf­bruchs mitreden“44 können, wie Werner Hofmann konstatiert. Bereits ab 1922 wurden nicht nur bürgerliche Traditionen, die von der Avantgarde ebenfalls bekämpft wurden, sondern auch die Avantgarde selbst in die Enge getrieben, während sowohl akademische Lehrmethoden als auch das Staffelleibild rehabilitiert wurden.45 Margolin betont, dass die sowjetischen Arbeiten aus der Zeit nach Einführung des Ersten Fünfjahresplans von den meisten Kunsthistorikern „as being of lesser value or 41 42

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Vgl. Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 303. Mudrak nennt überdies Kiew, Dnipropetrovs’k, Odessa, Cherson, Luhans’k und  – die damals noch nicht zur Sowjetukraine zugehörige westukrainische Stadt  – L’viv als ukrainische Zentren der künstlersichen Avantgarde; vgl. Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 8. Zu diesem Terminus von Tötösy de Zepetnek vgl.  Endre/Müller-Funk et  al. 2006: „Zentren peripher. Vorüberlegungen zu einer Denkfigur“, S. 10. Hofmann, Werner: Grundlagen der modernen Kunst. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 1966, S. 367. Vgl. ibd. S. 367.

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of no artistic value at all“46 angesehen würden. Die Blüte der ukrainischen Avantgarde erfolgte somit zu einer Zeit, als die Kunst anderswo bereits tot war: Sie inkludierte den Rückgriff auf frühe avantgardistische Konzepte und hielt noch bis Anfang der 1930erJahre an, als Kunst und Literatur in Russland längst von proletarischen Gruppen dominiert wurden.47 Für die Einbeziehung der ursprünglichen Konzepte stehen z. B. das Interesse am italienischen Futurismus, aber auch die Relevanz von sprachlicher und grafischer Experimentalität sowie künstlerischer Provokation. Aus dieser Prämisse resultierte das Paradoxon, dass die auf die Zukunft fixierte Strö­mung des Futurismus auf bereits überholte resp. historisierte Phänomene aus der Ver­gan­genheit zurückgriff.48 Die Rezeption der westeuropäischen Moderne, die sich in vielerlei Hinsicht mit den Schwerpunkten bei Walden („Der Sturm“) und der franzö­sischen Kunstzeitschrift „Cahiers d’Art“ überschnitt, erfolgte zu einem Gutteil aus einer größeren zeitlichen Distanz. Einige der präsentierten Künstler und Werke hatten in Deutschland oder Frankreich ihren Zenit schon überschritten und stellten selbst histo­risierte (und teils verfemte) Erscheinungen dar. Die ukrainische Avantgarde lässt sich also in zweifacher Hinsicht an zeitlichen Rändern lokalisieren, indem sie sich kon­­zeptionell an ihrer frühesten Phase orientierte,49 zeitlich jedoch an ihrem endgül­tigen Ende positioniert war  – diese beiden zeitlichen Peripherien bildeten diametral ent­gegengesetzte Pole. 1.2.3 Künstlerische Peripherie: Experimentalität und Provokation Die Avantgarde, die mit ihren revolutionären und neuen Ansätzen die tradierte Kunst zerstören und eine gänzlich neue Kunst erschaffen wollte, stellte zumindest in der Ukra­ine sowohl zu Beginn als auch an ihrem Ende eine Erscheinung an einer künstle­ ri­schen Peri­pherie dar. Die Abseitsposition, in der sich die Avantgarde befand, war eine selbst ge­wählte, die den eigenen Anspruch, die Kunst in die Lebenspraxis überzu­ führen, im sel­ben Moment konterkarierte.50 Bachtin spricht davon, dass der kulturelle Akt stets an Gren­zen leben müsse: „Abgelöst von den Grenzen, verliert er den Grund, wird er leer, an­­maßend, er degeneriert und stirbt.“51 Eine ähnliche Position vertritt Lotman, dem zufolge 46 47

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Margolin 1997: The Struggle for Utopia. Rodchenko, Lissitzky, Moholy-Nagy. 1917–1946, S. 164. Die Leningrader Gruppe OBĖRIU (Ob”edinenie real’nogo iskusstva) [Vereinigung der realen Kunst] (1926–1930), der u. a. Daniil Charms und Aleksandr Vvedenskij ange­ hörten, gilt als letzte Vereinigung der sowjetischen Avantgarde. Sie löste sich jedoch be­reits im April 1930, also deutlich vor der ukrainischen Nova Generacija wieder auf. Zu OBĖRIU vgl. z. B. Kasack, Wolfgang: Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahr­ hunderts. Vom Beginn des Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetära. 2., neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. (= Arbeiten und Texte zur Slavistik 52), München: Otto Sagner 1992, S. 850 f. Ähnliches hatten auch die frühen Futuristen praktiziert, indem sie im Kontext des so­ genannten „Neoprimitivismus“ auf tradierte Motive aus der Volkskunst rekurrierten. Man denke hier an die radikalen sprachlichen Experimente der frühen Futuristen, die mit den damals gängigen Konventionen zu brechen versuchten. Das vielzitierte „Scheitern der Avantgarden“ wird wesentlich am Scheitern der Über­ führung der Kunst in die Lebenspraxis festgemacht; vgl. Bürger 1974: Theorie der Avantgarde, S. 78. Bachtin 1979: „Das Problem von Inhalt, Material und Form im Wortkunstschaffen“, S. 111.

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periphere Genres in der Kunst revolutionärer sind als solche, die im Zentrum einer Kultur stehen, ein hohes Prestige genießen und bei den Zeitgenossen als Kunst par excellence gelten.52

Die Absicht, kein Prestige zu genießen und sich dadurch jeder Kanonisierung zu ent­ ziehen, wird in vielen Avantgarden vor allem zu Beginn aus den durchgeführten Akti­ onen ersichtlich, die das Publikum irritieren und provozieren sollten. Damit sollte zwar Aufmerksamkeit erregt, zugleich aber Ablehnung provoziert werden. Ähnlich wie die russischen Kubofuturisten, die mit ihren experimentellen Körperbemalungen und ver­störenden Auftritten schockieren wollten,53 war der ukrainische Futurismus in seiner frühesten Phase ebenfalls durch den Versuch geprägt, Skandale zu erre­gen. Das Skanda­löse der ukrainischen und russischen Avantgarde war mit der Experimen­ talität der Kunst verbunden, die wenig später zum größten Teil vom utilitaristischen (zweckorientierten) An­­spruch, der für die späten Avantgarden üblicher­weise kenn­ zeichnend war, verdrängt wurde. Das Brechen mit Konventionen und künstlerischen Nor­men war ein wichtiger Faktor der künstle­rischen Pro­vo­kation, die sich in gewisser Weise als Schaffung einer „Hetero­topie“, eines Gegen­raums im foucaultschen Sinn, deuten lässt, der sich von der Norm unterschied resp. diese negierte.54 Die ersten futuristischen Büch­lein Semenkos, die in Be­zug auf ihre Gemachtheit durchaus in der Tradition der frühen russischen Künstler­bücher verortbar sind, verursachten auf­grund ihrer spöttischen Texte einen Skandal.55 Der darin enthaltene Ver­riss des ukrainischen Nationaldichters Taras Ševčenko sei besonders ge­ lungen ge­ wesen, wie die Kverofuturisten selbst mit Stolz betonten.56 Ilnytzkyj erwähnt die negativen Reaktionen, die Semenkos frühe Proklamation des Kverofuturismus in den Medien und in der Öffentlichkeit aus­löste. Mehrere Kritiker bedachten den Autor öffent­­lich mit wenig freundlichen Kraftausdrücken, von einigen Seiten wurde ihm offen­bar so­gar Gewalt angedroht. In Folge wurden Semenko und dessen Arbeiten von ukra­ inischen Buch­handlungen boykottiert.57 Dass die kritische Po­si­tionierung gegenüber der ukrainischen Kultur, von der sich Semenko zu Gunsten einer univer­sellen Kunst distanzierte, eine derart negative Resonanz auslöste, zeigt, wie prä­sent die Idee der ukrainischen Nation schon vor Erlangung der Eigenstaatlich­keit war. In ihrer späten Phase versuchte die ukrainische Avantgarde erneut, die geschmack­ lichen Grenzen auszureizen. Den durch politischen Konformismus geprägten Jahren unmittel­bar nach der Revolution folgte in der späten Phase eine Rückkehr zur ur­ sprünglichen Experimentalität,58 die nicht nur der Zweckmäßigkeit der meisten 52 53

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Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 178. Bereits die frühen Auftritte im Rahmen der futuristischen Tourneen, aber auch die Aufführung der ersten futuristischen Oper „Pobeda nad solncem“ [Der Sieg über die Sonne] im Jahr 1913 sollten das Publikum provozieren. Foucault 2005: Die Heterotopien/Les hétérotopies. Der utopische Körper/Le corps utopique. Zwei Radiovorträge, S. 10 f. Zu diesen Büchlein zählten bspw. Semenkos „Derzannja. Poezy“ [Verwegenheit. Poesien] sowie „Kvero-futuryzm. Poezopisni“ [Kvero-Futurismus. Poesielieder], die beide 1914 in Kiew im Kvero-Verlag, dem Verlag der Gruppe, erschienen. Zu diesem Skandal vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 4–10. Vgl. ibd. S. 68. Zum experimentellen Charakter im Werk Semenkos vgl. z. B. Simonek, Stefan: „Avto­ ėkzekucija Ė. Strichi i ėkzekucija K. Burevija kak konec ukrainskogo ludizma“, in:

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ande­ren sowjetischen Avantgarden (z. B. der LEF) entgegenstand, sondern zudem oft eine harsche Kritik am zuvor propagierten kommunistischen System inkludierte. Die ukrainischen Aktivitäten erfolgten zu einer Zeit, als die Avantgarde in der Sowjetunion bereits weitgehend verfemt war, und sind somit abseits des offiziellen Systems zu ver­ orten. Lotman gesteht gerade solchen Erscheinungen, die in einem kulturellen System offiziell zwar nicht mehr existieren (dürfen), in der Praxis aber dennoch geschehen, eine besondere Relevanz zu.59 Aus der Differenz zwischen idealisierter Norm (hier: proletarische resp. utilitaristische Kunst) und der Realität (hier: die von der Politik verfemte, als bourgeois diskreditierte Avantgarde) könne nämlich ein Spannungsfeld entstehen, das wiederum als produktive Basis für Innovationen dienen könne, wie Lotman anmerkt.60 Das Zuwiderhandeln gegen die „idealisierte Norm“ stellte in der Ukraine allerdings ein gewagtes Spiel mit der Zensur dar, das den schmalen Grat zwischen Freiraum und Repression auszu­loten versuchte. Obszönitäten und Anspie­ lungen auf Frivoles führten mehrmals zu Vorwürfen der Pornografie, die für einige ukrainische Künstler, zu denen auch Poliščuk gehörte, mitunter sogar rechtliche Schritte zur Folge hatten.61 In vielen Texten der späten ukrainischen Avantgarde tritt eine offene Systemkritik zu Tage, wie sie in Russ­land zu dieser Zeit wohl bereits undenkbar gewesen wäre. Anders als bei russischen Schriftstellern wie Andrej Plato­ nov, dessen Kritik aufgrund ihres subversiven Charakters auch als affirmativer Akt missinterpretiert werden konnte, machten sich ukrainische Autoren sehr unverblümt über das kom­munistische System lustig.62 Johansen, der in den Jahren nach der Revolution ein glühender Verfechter der kommunistischen Idee war, wurde später zu einem ihrer schärfsten Kritiker. Sein zwischen 1928 und 1932 in mehreren Teilen entstandener Roman „Podorož učenoho doktora Leonardo i joho majbutn’oji kochanky prekrasnoji Al’česty u Slobožans’ku Švajcariju“ [Die Reise des Gelehrten Doktor Leonardo und seiner zukünftigen Geliebten, der schönen Alčesta, in die Slobodsker Schweiz] enthielt auf mehreren Ebenen satirische und äußerst deut­liche Hinweise auf die Lächerlichkeit des sowjetischen Systems: І ледве чи можна думати, що неестетна і утилітаристична радянська влада дасть гроші на цю науково-дослідчу роботу.63

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Russian Literature, JG 43, Nr. 2 (1998), S. 271–281, hier S. 272 ff. — In der späten Phase des Panfuturismus wurde die Experimentalität insbesondere von Andrij Čužyj weiter praktiziert; vgl. z. B. Horbachov 2010: „In the Epicentre of Abstraction: Kyiv during the Time of Kurbas“, insbes. S. 185–190. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 171. Zur Differenz zwischen idealisierter Norm und Realität vgl. ibd. Vgl. Shkandrij, Myroslav: „Ukrainian Avant-Garde Prose in the 1920s“, in: Hawkesworth, Celia (Hrsg.): Literature and Politics in Eastern Europe. Selected Papers from the Fourth World Congress for Soviet and East European Studies, Harrogate, 1990. New York: St. Martin’s Press 1992, S. 106–116, hier S. 109. Platonov behandelt „variantenreich die Deformation individuellen Bewusstseins durch die Ideen der Revolution“ und kritisiert die politischen Elite, die „hinter einer Nebel­ wand politischer Phrasen eigene Interessen verfolgte“, wie Guski schreibt; vgl. Guski, Andreas: „Von der Avantgarde zum Sozialistischen Realismus (1917–1934)“, in: Städtke, Klaus (Hrsg.): Russische Literaturgeschichte. Unter Mitarbeit von Christine Engel et al. Stuttgart/Weimar: Metzler 2002, 290–320, hier S. 320. Johansen, Majk: Podorož učenoho doktora Leonardo i joho majbutn’oji kochanky prekrasnoji Al’česty u Slobožans’ku Švajcariju. Elektronna biblioteka ukrajins’koji literatury KIUS,

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[Und es fiele auch schwer zu glauben, dass die unästhetische und utilitaristische sowje­ tische Regierung Geld für eine derartige empirisch-wissenschaftliche Untersu­chung ausgeben würde.]

Der Seitenhieb gilt hier allerdings wohl nicht nur dem System, sondern auch den ge­ meinhin antiästhetisch und utilitaristisch ausgerichteten russischen Avantgarden (mö­g­­licherweise auch dem ukrainischen Futurismus, dem Johansen als Teil der VAPLI­TE diametral gegenüberstand), die mit der Kunst auch die Ästhetik liqui­ dieren wollten. Letztlich war die Avantgarde in der Ukraine aber Shkandrij zu­folge alles andere als eine „peri­phere“ Erscheinung. Er verweist unter Bezugnahme auf die literarische Avant­garde darauf, dass „this current was, in fact, quite central both in literary politics and formal-aesthetic developments“.64 1.2.4 Ideologisch-moralisches Abseits: politisch instrumentalisierte Kunst Die Avantgarde gilt gemeinhin als stark politisierte Strömung, die sich sowohl in der Sowjetunion als auch in Westeuropa in Dienst stellen ließ. Diese Tendenz hatte bereits mit dem Auftreten der ersten avantgardistischen Bewegungen  – man denke hier an Marinetti  – eingesetzt, führte jedoch in der Sowjetunion zu einer beinahe gänzlichen Vergesellschaftung von Kunst und Politik. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der ehemals experimentell ausgerichteten Avantgarde glitt in politische, agitative und somit ideologisch geprägte Kunstformen ab. Hans Günther spricht von einer „Deformation avantgardistischer Prinzipien“ durch die „Politisierung der Ästhetik und Ästhetisierung der Politik“, die zu einem „Eintrittsbillett der Avantgarde in die sowjetische Gesellschaft“ geworden sei.65 Letztlich habe die „Verstaatlichung der Kultur im Institutionellen“ über die kulturrevolutionären Utopien gesiegt, wie Hansen-Löve anmerkt.66 Die vorder­gründig revolutionäre Avantgarde stellte somit auch eine konformistische Kunst dar, die sich jeglicher Kritik der Staatsmacht gegen­ über enthielt, ja dieser gegenüber gar affirmativ eingestellt war. Hier wird der von Groys aufgezeigte Widerspruch innerhalb der sowjetischen Avantgarde evident, dass diese nicht revolutionär, sondern vielmehr postrevolutionär gewesen sei.67 Vor allem in der postrevolutionären Phase wurden viele sowjetische Künstler mit dem politischen System assoziiert. Sie verstanden sich als Agitatoren neuer Ideale, die rasch zu einer Ideologie mutierten. Dass die Agitation einen zentralen Programmpunkt ihrer Kunst darstellte, proklamierten Künstler sowohl in der Ukraine als auch in Russ­land. Tret’jakov forderte 1923 in der „Novyj LEF“: „Агитработа против старой, расслабляющей волю эстетики, […] должна оставаться заданием футуристов“68 [Die Agitation gegen die alte, den Willen schwächende Ästhetik

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http://sites.utoronto.ca/elul/Iohansen/Podorozh-shvaitsaria.pdf (zuletzt abgerufen am 26.3.2017), S. 4. Shkandrij 1992: „Ukrainian Avant-Garde Prose in the 1920s“, S. 106. Günther, Hans: „Die russische Avantgarde und der Thermidor der revolutionären Kultur“, in: Gaßner/Kopanski/Stengel (Hrsg.) 1992: Die Konstruktion der Utopie, S. 77– 81, hier S. 79. Hansen-Löve 2004: „Die Kunst ist nicht gestürzt. Das suprematistische Jahrzehnt“, S. 421. Vgl. Groys 2016: „Die russische Avantgarde. Eine Krankengeschichte“, S. 57. Tret’jakov, Sergej: „Otkuda i kuda. Pеrspektivy futurizma“, in: LEF, Nr.  1 (1923), S. 192–203, hier S. 200.

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muss weiterhin die Aufgabe der Futuristen bleiben]69. Die ukrainischen Futuristen rund um Semenko legten Kocarev zufolge „чимало увагу тому, щоб концепція футуризму вписувалась у декорації комунізму“70 [viel Aufmerksamkeit darauf, dass sich das Konzept des Futurismus in die Kulisse des Kommunismus einpasste]. Poliščuk betonte wiederum die Wichtig­keit „боротьби світового пролетаріяту за нову комуністичну перебудову земної кулі“71 [des Kampfes des Weltproletariates für den neuen kommunistischen Umbau des Erdballs]. Zu erwähnen ist außerdem, dass viele der Protagonisten nicht nur auf künstlerischer Ebene die Ideen des Systems unterstützten, sondern oftmals auch selbst als integraler Teil der Politik agierten. Während der russische Revolutionsdichter Majakovskij stets betonte, kein Mitglied der Partei zu sein,72 zählten mehrere ukra­inische Künstler zu den lautstärksten Proponenten des kommunistischen Systems, wie dies sowohl beim Futurismus als auch bei der VAPLITE der Fall war.73 Die Symbiose von Kunst und Politik spiegelte sich besonderes stark in den polemischen Texten wider, die eine der wichtigsten Gattungen der Avantgarde re­ präsentierten. In Analogie zu den politischen Konzepten sollte auch die Kunst dazu dienen, den Sieg des Proletariates zu unterstützen und die „Errichtung der sozialis­ tischen Ordnung“ zu gewährleisten, wie der Literaturkritiker Aleksandr Voronskij 1923 vermerkte.74 In der Ukraine wurde dieser gesellschaftspolitische Ansatz noch um den Aspekt der kultu­rellen (resp. nationalen) Befreiung ergänzt. Neben der proletarischen Literatur zählte der postrevolutionäre Futurismus auch in der Ukraine zu jenen Strömungen, die am stärksten an der Herausbildung einer neuen sowje­ tischen Literatur beteiligt waren.75 Wiewohl die neuen politischen Ideen generell auf fruchtbaren Boden fielen, erfolgte die Politisierung in der Literatur weitaus stärker als in der bildenden Kunst,76 was durch die polemisch geführte Resonanz auf die 69 70 71 72

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Die deutsche Übersetzung folgt Tret’jakov 2005: „Perspektiven des Futurismus“, S. 268. Kocarev, Oleh/Stachivs’ka, Julija (Hrsg.): Ukrajins’ka avanhardna poezija (1910–1930-ti roky). Antolohija. Kyjiv: Smoloskyp 2014, S. 411. Poliščuk, Valerijan: „Rozkvit ukrajins’koji literatury“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 62–66, hier S. 64. Dass diese fehlende Parteimitgliedschaft immer wieder für hitzige Diskussionen sorgte, wird aus einem in der Ukraine abgedruckten Auszug aus einem Vortrag Majakovskijs deutlich; vgl.  [Red. NG]: „Majakovs’kyj, Volodymyr: Ostannje slovo Majakovs’koho. (Stenohrama dopovidi Majakovs’koho, 25 bereznja 1925 r.)“, in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 25–30, hier S. 28. Darüber, ob man Chvyl’ovyj und seine Gruppe VAPLITE vorbehaltlos zur Avantgarde zählen kann, lässt sich wohl diskutieren. Vgl. Voronskij, Aleksandr: „Über die proletarische Kunst und über die Politik unserer Partei auf dem Gebiet der Kunst“, in: Eimermacher, Karl (Hrsg.): Die sowjetische Literaturpolitik 1917–1932. Von der Vielfalt zur Bolschewisierung der Literatur. Analyse und Dokumentation. (= Dokumente und Analysen zur russischen und sowjetischen Kultur, Band 1), Bochum: Brockmeyer 1994, S. 282–304, hier S. 283. Die Funktion des Futurismus als Kern der neuen Literatur wurde bereits in den 1920erJahren als solche beschrieben; vgl. z. B. Korjak, V.: „Literaturna dyskusija“, in: Instytut Tarasa Ševčenka–kabinet radjans’koji literatury (Hrsg.): Šljachy rozvytku ukrajins’koji proletars’koji literatury. Literaturna dyskusija (1925–1928). Vydavnyctvo VURPS „Ukrajins’kyj robitnyk“ 1928, S. 10. Die Überideologisierung war zwar in der bildenden und darstellenden Kunst ebenfalls präsent, manifestierte sich jedoch weniger stark als in der Literatur. Veselovska verweist

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sowjetische Verwurzelungspolitik noch zusätzlich forciert wurde. Dies betraf vor allem die zahlreichen plötzlich in Erscheinung getretenen proletarischen Schriftsteller, deren Hervorbringungen von Serhy Yekelchyk als „ideologically correct trash“ sowie „third-rate propaganda scribblings“ bezeichnet werden.77 Die Grenze zwischen Avantgarde und proletarischer Literatur scheint in den 1920er-Jahren oft recht diffus gewesen zu sein. Zwar definierte der ukrainische Futu­rismus ebenfalls das Proletariat als seine Zielgruppe78 und bezeichnete sich überdies vor allem in der frühen Phase noch als „proletarian system of art“ [Englisch i. Orig., VF]79, distanzierte sich jedoch im Kontext der Transformation vom Panfuturismus zur Nova Generacija zunehmend von der „Kunst für die Massen“.80 Sowohl die Nova Generacija als auch Avanhard bekannten sich somit (gezwungenermaßen?) öffentlich dazu, eine proletarische Kunst zu vertreten, wiesen allerdings im Hinblick auf Konzeption und Praxis eindeutig überwiegend Avantgarde-Elemente auf, die sich in sprachlichen und typografischen Experimenten ebenso wie in parodistischen Elementen zeigten.81 Der russische postrevolutionäre Futurismus beabsichtigte überdies, die sowjeti­ sche Kunst zu „beherrschen“ und ein staatlich unterstütztes Monopol für die kultu­ relle Ideologie der kommunistischen Gesellschaft zu etablieren.82 Ein kultur­hege­ monial motiviertes Anliegen, wie es der restriktiv ausgerichteten LEF rund um Majakovskij immanent war – Halina Stephan verwendet gar die Bezeichnung „dicta­ torship in arts“83 –, lässt sich in der Ukraine eher für Chvyl’ovyj und dessen VAPLITE konstatieren, die ebenfalls eine Monopolisierung der (eigenen) Kunst propagierte. Die LEF wollte sich selbst als Organisation zur Bildung einer sowjetischen kultu­ rellen Ideologie insti­tutionalisieren, während Chvyl’ovyjs Prioritäten auf der Eta­ blierung einer national geprägten ukrainischen Kultur lagen. Dass beide sich auf die kommunistische Ideologie beriefen, dabei jedoch entgegengesetzte politische Ideologien vertraten – die VAPLITE gilt als rechts orientierte Gruppierung –, unter­ streicht erneut die universelle Verzahnung von Kunst und Politik.84 Der ukrainische Futurismus Semenkos agierte ebenfalls polemisch, präsentierte den Panfuturismus jedoch als relativ offene Plattform, an der jeder partizipieren

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83 84

z. B. auf eine radikale Linkswende innerhalb des Theaters: vgl.  Veselovska, Hanna: „Kyiv’s Multicultural Theatrical Life, 1917–1926“, in: Makaryk/Tkacz (Hrsg.) 2010: Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/Kiev, S. 243–274, hier S. 260. Vgl. Yekelchyk, Serhy: Ukraine. Birth of a Modern Nation. Oxford et al.: Oxford University Press 2007, S. 100. Dies bspw. in [Red. NG]: „Platforma j otočennja livych“, in: Nova Generacija, Nr.  1 (1927), S. 39–43, hier S. 39. Semenko, Mychajl’: „What Panfuturism wants“, in: Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 256–257, hier S. 256 (englisch). Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135. In den späten 1920er-Jahren war es für literarische Gruppen wohl weitgehend un­ umgänglich, sich als proletarisch zu bezeichnen, wollten sie weiterhin aktiv bleiben. Die Gründung des russischen postrevolutionären Futurismus stand explizit im Zeichen der Etablierung einer sowjetischen kulturellen Ideologie; vgl. Stephan, Halina: „LEF“ and the Left Front of the Arts. (= Slavistische Beiträge, Band 142), München: Verlag Otto Sagner 1981, S. 11 ff. Zum Kunst-Totalitarismus in der Ausrichtung der LEF vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, z. B. S. 8 f. Zur VAPLITE vgl.  z. B. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 92 ff.

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konnte: „Наш журнал не є журнал замкнутої організації. У нашому журналі відкрито двері для всіх“85 [Unsere Zeitschrift ist keine Zeitschrift einer geschlossenen Organisation. In unserer Zeitschrift stehen die Türen für alle offen]. Diese Offenheit wird z. B. daraus er­sichtlich, dass die Gruppe widerstreitende Prinzipien vertrat, in­ dem sie „die zu ende kommende etappe der destruktion der künste und die anfangende etappe ihrer konstruktion“ [Deutsch i. Orig., Kleinschr. i. Orig., VF]86 als Bestandteile ihrer Kunst be­trachtete. Des Weiteren ist für die ukrainische Avantgarde charakteristisch, dass sich ihr anfangs gezeigter Enthusiasmus für die sowjetische Politik gegen Ende des Jahr­zehntes deut­l ich reduzierte, sodass es schließlich bei vielen Künstlern zu einer (für die Künstler gefährlichen) teils subversiven, teils offenen Distanzierung vom kommunistischen Apparat kam. In der Literatur wird mehrfach satirisch auf den Kom­munismus und auf das Proletariat Bezug genommen. Dass dies durch ehemals glühende Anhänger der kommunistischen Ideologie erfolgte – exemplarisch sei noch­mals Johansen genannt, dessen „Podorož učenoho doktora Leonardo i joho majbutn’oji kochanky prekrasnoji Al’česty u Slobožans’ku Švajcariju“ eindeutig die Sowjet­union persifliert  –, unter­ streicht erneut die Bruchlinie, die den politischen und künstlerischen Übergang in der Ukraine in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre markierte. Innerhalb nur eines Jahrzehntes durchlebte der gesellschaftliche Status der Avant­ garde mehrere Transformationen. Während die Strömung im Zuge der Revolution noch maßgeblich an der Proklamation der neuen Ideen beteiligt war, geriet sie schließ­ lich selbst ins Abseits. Vielfach wurde der Vorwurf laut, die Avantgarde sei nur eine Perpe­tu­ierung der bürgerlichen Kunst, gegen die sie selbst lautstark ange­treten war. Im Bourgeoisie-Vorwurf zeigt sich eine Gemeinsamkeit zwischen dem russischen und dem ukrainischen Futurismus, die beide als „bürgerlich“ diskreditiert wurden.87 In der Ukraine erfolgte dies oftmals im Kontext der von den verschiedenen Gruppierungen untereinander geführten Polemik, die somit dem Versuch einer gegenseitigen öffent­ lichen Denunziation gleichkam. Von Seiten der proletarischen Arbeiterdichter wurde der Panfuturismus als bourgeoises, restauratives und geradezu konformistisches Kon­ zept einer Ideologie verunglimpft.88 Analoge Vorwürfe wurden auch von Seiten der sow­jetischen Kritik gegen die nunmehr politisch in Ungnade gefallene und aufgrund ihres „Formalismus“ kritisierte Avantgarde postuliert.89 Ähnlich politisiert wie in der Sowjetunion war die Avantgarde auch in Deutschland und in Italien, wobei der italienische Futurismus rechtsgerichtete Anschauungen ver­trat, die eine Verherrlichung von Krieg und Gewalt ebenso inkludierten wie die Unterdrückung der Frau.90 Der futuristische Blick in die Zukunft wurde so­mit in Italien auch als Re­kreation eines durchwegs konservativen Wertekanons konzipiert. 85 86 87 88 89 90

[Red. NG]: „Lystuvannja vid redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 234–238, hier S. 236. [Red. NG]: „die neue generation. zeitschrift der revolutionären kunstformation“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1930), S. 3 (deutsch). Dabei waren es die Avantgarden, die in ihrer Programmatik das Bürgerliche dezidiert ablehnten. Vgl. Bila, Anna: Ukrajins’kyj literaturnyj avangard. Pošuky, styl’ovi naprjamky. Kyjiv: Smolo­ skyp 2006, S. 143. Vgl. z. B. Bila 2006: Ukrajins’kyj literaturnyj avangard, S. 39. Hier sei nochmals auf Marinettis erstes futuristisches Manifest verwiesen: Marinetti 1909: „Manifeste de Futurisme“, U1.

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Im Gegensatz dazu orien­t ierten sich die meisten anderen Avantgarden, so auch je­ ne in Deutschland und in Russland resp. der Sowjetunion, üblicherweise an linken politischen Idealen und Ideo­logien. Marci Shore betont überdies die auf­fällige Asso­ ziierung sämtlicher litera­rischer Avantgarden Osteuropas mit dem Kommunis­mus.91 Hier gilt es je­doch, die ukrainische Avantgarde differenzierter zu be­trachten, da diese aufgrund ihrer ambi­valenten politischen Haltung (sowohl links als auch rechts) gewiss eine Sonderstellung einnahm. 1.3 Politische Implikationen – die späte sowjetische Avantgarde Nachdem die sowjetische Avantgarde vor allem in den Jahren unmittelbar nach der Revolution noch sehr stark mit der Politik assoziiert war und diese durch ihre Arbeit maßgeblich propagierte, kam es ab Mitte der 1920er-Jahre zu einem deutlichen Bruch. Während nunmehr die proletarische Kunst staatlich gefördert wurde, verlor die Avant­garde zunehmend die Gunst der Eliten und wurde ins Abseits gedrängt. Im Folgenden werden die politischen Entwicklungen von der NĖP zum Ersten Fünf­j ahresplan kurz skizziert, wobei sowohl auf die Entwicklungen in der Kulturpolitik mit dem Ausland als auch auf das zunehmend restriktiver werdende kulturelle Klima eingegangen wird, um dadurch die Prämissen für das Zustandekommen einer künst­ lerischen Blüte in der Ukraine resp. für die teilweise Verlagerung des künstlerischen Zentrums in die Ukraine aufzuzeigen. 1.3.1 Von der NĖP zum Ersten Fünfjahresplan Die Einführung der NĖP, die von 1921 bis 1928 in Kraft war, hatte eine Reihe von Erleichterungen zur Folge, die verschiedene Ebenen der Gesellschaft, insbesondere der Kunst, betrafen. Nicht nur die Wirtschaft der vom Bürgerkrieg geschwächten Sowjetunion, die aufgrund der Wiedereinführung des freien Handels und des frei­ en Marktes einen Aufschwung erlebte, profitierte von der Liberalisierung. Die neue Politik, die das unmittelbar nach der Revolution rasch ermüdete sowjetische System auf Vordermann bringen sollte, hatte deutliche Auswirkungen auf die frühe Phase der sowjetischen Kulturpolitik.92 Die NĖP war durch den Versuch der Partei gekennzeichnet, kulturelle Organisationen zu etablieren, die unter ihrer Kontrolle standen – wiewohl die Absicht, die Kultur strukturell zu kontrollieren, offenbar die einzige gemeinsame Linie war, denn ansonsten herrschte über die Ausrichtung der Kulturpolitik offenbar wenig Konsens.93 Die sowjetische Kultur der 1920er-wurde durch das relativ offene Klima begünstigt, das der Kunst ihre Freiheiten ließ, so sie sich weder gegen das System positionierte noch dieses kritisierte.94 Hier ist jedoch anzumerken, dass das Klima nur relativ, also im Verhältnis zu späteren Repressionen 91

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Vgl.  Shore, Marci: „Eastern Europe“, in: Lewis, Pericles (Hrsg.): The Cambridge Com­ panion to European Modernism. Cambridge et al.: Cambridge University Press 2011, S.  216–233, hier S.  229; mit der Politisierung der Literatur der 1920er-Jahre befasst sich Luckyj ausführlich in seiner 1990 neu aufgelegten Monografie Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933. Vgl. Curtis, Julie: Manuskripte brennen nicht. Michail Bulgakov. Eine Biographie in Briefen und Tagebüchern. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1991, S. 42. Vgl. Clark, Katerina/Dobrenko, Evgeny (Hrsg.): Soviet Culture and Power. A History in Documents, 1917–1953. New Haven/London: Yale University Press 2007, S. 33. Vgl. Yekelchyk 2007: Ukraine. Birth of a Modern Nation, S. 99.

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betrachtet, als offen bezeichnet werden kann. Clark/Dobrenko weisen darauf hin, dass das Politbüro bereits zu dieser Zeit umfassend als Zensor über alle kulturellen Aktivitäten zu wachen versuchte,95 weshalb die Künstler letztlich doch nicht wirklich frei agieren konnten. Dass es gerade in der marktwirtschaftlich orientierten Phase der NĖP zu einer auch offiziell propagierten Liberalisierung in Kunst und Literatur kam, konterkariert auf eindrückliche Weise die von Lenin getätigte Prognose, Literatur könne erst innerhalb des Sozialismus wirklich frei agieren, потому что не корысть и не карьера, а идея социализма и сочувствие трудящимся будут вербовать новые и новые силы в ее ряды.96 [weil weder Eigennutz noch Karriere, sondern die Idee des Sozialismus und Sym­pathie mit den Arbeitenden neue und neue Kräfte in ihre Reihen akquirieren wird.]

Vor allem das Publikationswesen erlebte im Rahmen der NĖP einen merklichen Auf­schwung,97 sodass Mitte der 1920er-Jahre eine Vielzahl neuer Zeitschriften ent­ stehen konnte. Die Zunahme von Druckerzeugnissen war allerdings auch den techno­ logischen Innovationen zu verdanken, da etwa neue Tiefdruckverfahren erstmals eine kosten­günstige Massenproduktionen erlaubten. Von Seiten der Kritik wurde die NĖP mit ihren monetären Verlockungen auch als mögliche Motivation zur Abkehr von der zu dieser Zeit bereits unliebsam gewordenen Abstraktion gesehen. Lozowick merkt im Begleittext zur Ausstellung „Modern Russian Art“, die 1925 im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde, zu den Entwicklungen in der Phase der NĖP an: „Private art patrons and buyers of the old stamp have appeared again. There is a growing demand for portraits, landscapes and genre pictures.“98 Die politischen Neuerungen hatten nicht nur Auswirkungen auf die künstlerische Produktion, sondern wurden selbst zum Thema der Kunst. Obwohl die NĖP für die sowjetische Avantgarde eine relativ liberale Phase repräsentierte, wurde sie von den Künst­lern dennoch durchwegs kritisch reflektiert. Die Gründung der LEF, die im Zeichen der Agitation für die Massen stand, lässt sich in gewisser Weise als Gegen­ reaktion auf die NĖP verstehen.99 Die Profiteure der NĖP wurden von der Avantgarde 95 96

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Vgl.  Clark/Dobrenko (Hrsg.) 2007: Soviet Culture and Power. A History in Documents, 1917–1953, S. 88 f. Lenin, Vladimir I. [Ul’janov]: „Partijnaja organizacija i partijnaja literatura“, in: Polnoe sobranie sočinenij. Tom 12. Oktjabr’ 1905-aprel’ 1906. Moskva: Izdatel’stvo političeskoj literatury 1968, S. 99–105, hier S. 104. — Zum Verhältnis Literatur und Politik vgl. z. B. Hey-Erl 2004: „Materialistische Theorien“, S. 114 f. Davon profitierten nicht zuletzt die postrevolutionären Futuristen; vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 19 ff. Lozowick 1925: Modern Russian Art, S. 60. Der LEF-Autor Petr Neznamov betonte, dass Majakovskij die LEF zu einer Zeit ge­ gründet habe, als in der Sowjetunion „уже существовали элементы, желавшие иметь подобный ,Неповский проспект‘ в литературе“ [bereits Elemente existierten, die den Wunsch hatten, einen ähnlichen „Nepovskij-Prospekt“ zu etablieren“], und spielte damit auf Sankt Petersburg (Nevskij-Prospekt) und die Zeitschriften „Rossija“ [Russland] resp. „Krasnaja nov’“ [Rotes Neuland] an, bei denen er eine ausgesprochene politische Gleichgültigkeit konstatierte; vgl.  Neznamov, Petr [Ležankin, Petr]: Iz vozpominanij o Majakovskom, (Typoskript, 1939), RGALI, f. 618, Ed. chr. 249, Op. Nr. 2, S. 8.

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als Feindbilder gezeichnet und abwertend als „NĖP-Männer“ diffamiert.100 Die Avant­ garde, die für die Umsetzung sozialer Utopien eintrat, setzte den NĖP-Mann häufig mit dem bourgeois-dekadenten Westeuropäer gleich. Diese Abgrenzung war primär der marktwirtschaftlichen Ausrichtung der NĖP geschuldet, die von den Kunstschaffen­ den, die ihre politischen Ideale oft dogmatisch vertraten, abgelehnt wurde. In der Rückkehr zur Privatwirtschaft verorteten viele den Auslöser einer neuerlichen sozia­ len Disparität, die den Ideen der klassenlosen Gesellschaft entgegenstand  – und dies nicht zuletzt deshalb, da sie in urbanen Räumen den Aufbau einer bürgerlichen Exis­tenz erlaubte, während sich die Armut der Restbevölkerung vor allem am Land zunehmend vergrößerte.101 Die Ab­lehnung der marktwirtschaftlichen Ausrichtung der NĖP trat gepaart mit einem Antiamerikanismus auf, der sich auch in der Literatur spiegelte. Die ukrainische Vereinigung Jugo-LEF distanzierte sich ebenfalls dezidiert von der NĖP-Mann-Kunst („NĖP’manskoe iskusstvo“). Nicht nur verwehrte sich die ukrainische LEF-Filiale jeder Zuordnung der eigenen Strömung zur NĖP-MannKunst, sie erklärte dieser sogar polemisch und aus­drücklich den Kampf.102 Die NĖP führte somit in der Kunst zu einer Ambivalenz. Einerseits diente das liberale Klima als wichtiger Katalysator für die Kunst, die sich relativ frei entfalten und nach Westen hin orientieren konnte. Andererseits wurden die marktwirtschaftlichen Prinzi­pien von den Kunstschaffenden programmatisch abgelehnt, sodass die NĖP selbst zum künstlerisch und literarisch verarbeiteten Feindbild geriet. Die Kritik an der NĖP dauerte schließlich bis lange nach ihrem Ende an, sodass sie auch zu Beginn der 1930er-Jahre noch kritisch in der Kunst reflektiert wurde. 1.3.2 Kulturpolitik mit dem Ausland Im Zuge der NĖP, die in gewisser Weise auch eine Öffnung der sowjetischen Grenzen hin nach Westeuropa bedeutete, kam es zu einer Intensivierung der Kulturpolitik, die eine Festigung der Beziehungen mit dem Ausland zum Ziel hatte. Kulturelle Kontakte mit progressiven Gruppen im Ausland sollten direkt von der VOKS (Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej) [All-Unions-Gesellschaft für kulturelle Be­ ziehungen mit dem Ausland] gefördert werden.103 Dass dies wenig konsequent um­ gesetzt wurde, zeigt sich darin, dass die Präsentation sowjetischer Kunst im Ausland weitgehend der Eigeninitiative der Künstler geschuldet blieb, wobei deren Aktivitäten zwar nicht un­bedingt unterstützt, zugleich aber auch nicht behindert wurden.104 Eimermacher ver­merkt einen „gewissen Zick-Zack-Kurs“, der die Literaturpolitik der 1920er-Jahre dominiert habe, da 100 101

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Vgl. Curtis 1991: Manuskripte brennen nicht, S. 43. Dies allerdings nicht nur von Seiten der Avantgarde. So publizierte bspw. Michail Bulgakov in der Zeitschrift „Gudok“ [Die Sirene] fingierte Leserbriefe, die vorgeblich von Vertretern der einfachen Landbevölkerung stammten und Probleme und Aus­ wirkungen der NĖP thematisierten, mit denen die Menschen in abgelegenen Regionen konfrontiert waren; vgl. Curtis 1991: Manuskripte brennen nicht, S. 45. Dies z. B. in einem Rundbrief, in dem „НЭП’о-буржуазных представителей искус­ ства“ [den NĖP-bourgeoisen Vertretern der Kunst] der Kampf angesagt wurde: Nedolja, L. et al.: „Vsem organizacijam Jugolefa“, in: Jugo-LEF, Nr. 2 (1924), S. 1–2, hier S. 2 (russisch). Vgl. Lersch, Edgar: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion in ihren Auswirkungen auf Deutschland. 1921–1929. Frankfurt a. M. et al.: Lang 1979, S. 290 f. Vgl. Eimermacher 1994: Die sowjetische Literaturpolitik 1917–1932, S. 29.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West die Partei weder vor noch unmittelbar nach der Revolution eine differenziert ausge­ arbeitete literaturpolitische Konzeption gehabt hat. 1927 bestätigte Lunačarskij – wie ähnlich schon 1923 […] –, daß die Partei in literaturpolitischen Fragen […] unsicher war.105

Die Teilnehmer der großen internationalen Ausstellungen der 1920er-Jahre, bei denen die Sowjetunion mit eigenen Delegationen vertreten war, mussten ebenfalls einen Selektionsprozess durchlaufen. Dass es dabei zu einem Ungleichgewicht zwischen den Zentren (Moskau, Petrograd/Leningrad) und den Peripherien (z. B. Charkiw) kam, belegt das Beispiel der 1925 in Paris durchgeführten „Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“: Während die russischen Künstler ihre Arbeiten vor Ort präsentieren konnten, blieb den ukrainischen Teilnehmern auf­ grund fehlender Ausreisegenehmigungen die Anwesenheit verwehrt.106 Viele staats­ ideologisch ausgerichtete Autoren unternahmen in den späten 1920er-Jahren im Kon­ text der Aus­landspropaganda der VOKS Reisen in westeuropäische Metropolen, wo sie Lesungen und Vorträge abhielten und die Zusammenarbeit mit west­europäischen Künstlern intensivierten.107 Solche Unternehmungen sind für Majakovskij108 ebenso belegt wie für eine Reihe ukrainischer Autoren, etwa Semenko und Poliščuk. Über diese Reisen zu den Westeuropäern, die gewissermaßen als Analogie zu den von westlichen Beobachtern oftmals beschriebenen „Reisen zu den Sowjets“ gesehen werden können,109 wurde meist voller Stolz in ukrainischen Zeitungen und Zeit­ schriften berichtet, wobei die Inter­nationalität der sowjetischen Kunst besonders be­ tont wurde.110 Die „Verstaatlichung der Kultur im Institutionellen“ (Hansen-Löve), die bereits während der NĖP ansatzweise erfolgte, trug zum sukzessiven Niedergang

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Eimermacher 1994: Die sowjetische Literaturpolitik 1917–1932, S. 29. Vgl. Makaryk 2010: „On the World Stage: The Berezil in Paris and New York“, S. 486. Die offiziell arrangierten Reisen waren meist die einzige Möglichkeit, die Sowjetunion zu verlassen, da die Reisefreiheit bereits ab 1919 zunehmend eingeschränkt wurde; vgl.  z. B. Clark/Dobrenko (Hrsg.): Soviet Culture and Power. A History in Documents, 1917–1953, S. 7 ff. Majakovskij reiste zwischen 1927 und 1929 öfters im Auftrag der VOKS durch West­ europa, wo er Lesungen und Vorträge hielt; vgl. Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion, S. 286. Ein Beispiel dafür ist der aus Rumänien stammende französischsprachige Autor Panaït Istrati, der ebenso wie viele Bauhaus-Mitglieder und Walden in den späten 1920er-Jah­ ren in die Sowjetunion reiste. Viele der Sowjetunion-Besucher kehrten bald enttäuscht wieder zurück, so sie dies trotz des repressiven Klimas in der Weimarer Republik zu Beginn der 1930er-Jahre überhaupt noch konnten. Zu den Reisen ukrainischer Autoren ins Ausland, insbesondere nach Deutschland; vgl. z. B. H. D.: „Naši pys’mennyky za kordonom“, in: Hart 1928, Nr. 12, S. 97; vgl. auch Hladkyj, V. M.: „Zv”jazky ukrajins‘koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30-ch rokiv“, in: Verves, Hryhorij et al. (Hrsg.): Ukrajins’ka literatura v zahal’no-slov”jans’komu literaturnomu konteksti. Tom 2. Požovtneva doba. U koli literatur socialistyčnych krajin. Kyjiv: Naukova dumka 1987, S. 154–171, hier S.  154; vgl.  auch Hundorova, Tamara: „Berlin jak dzerkalo modernosti: ukrajins’kyj roman kincja 1920-ch rokiv“, in: Dies. (Hrsg.): Modernizm pislja postmodernu. Kyjiv: Foliant 2008, S. 75–90.

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der kulturrevolutionären Utopien bei,111 die einen wesentlichen Anteil an den Idealen der russischen/sowjetischen Avantgarde ausmachten. Die staatliche Propagierung der sowjetischen Kultur stand überdies ganz im Zeichen der Nationalitätenpolitik. Auch der Kunsthistoriker Jakob Tugendhold widmete sich im offiziellen sowjetischen Katalog zur „Exposition Internationale des Arts décoratifs“ der Bedeutung der Na­ tionalkunst in der Sowjetunion. Aus seinem Bei­trag wird nicht nur die offizielle Doktrin, sondern auch die Instrumentalisierung von festgeschriebenen nationalen Stereotypen ersichtlich: L’art de l’U.R.S.S.  présente le tableau de la collaboration de diverses nationalités. Chaque peuple, chaque nationalité a sur ce clavier son propre son. De la l’étonnante variété des formes, ornementations, coloris, matériaux et techniques. […] L’art de l’U.R.S.S., c’est un art sorti de la masse populaire de diverses nationalités, et c’est cette double origine populaire et nationale qui lui donne sa couleur fraîche et primitive. Les sentiments élémentaires et en conséquence profonds qu’il recéle [sic] sont exprimés en une langue savoureuse et bien rythmée. C’est la rêverie et l’humeur de l’Oukraïne, l’héroïque austérité des montagnes du Caucase, la passion du Nord pur la nature et pour le monde animal, la musicalité lente de l’Asie Centrale.112

Veranstaltungen wie die „Internationale Buchkunst-Ausstellung“ in Leipzig (1927) und die „Pressa“ in Köln (1928) wurden sowohl von der Politik als auch von der Kunst als offizielle Gelegenheiten wahrgenommen, die Sowjetunion im Westen zu (re-)prä­ sentieren, wobei auch hier ein Fokus auf den sogenannten Nationalitäten-Pavillons lag. Auf der „Pressa“ waren, wie der offizielle sowjetische Katalog anführt, „UnterAbteilungen der ukrainischen, weißrussischen und der transkaukasischen Sowjet­ republiken“ vertreten.113 Vor dem Hintergrund der offensiven Kulturpolitik wurde die Politisierung der sowje­tischen Kunst auch im Ausland registriert. Den Entwicklungen in der Sowjet­ union wurde dabei jedoch oft indifferent oder gar affirmativ anstatt mit gebotener Besorgnis begegnet. Wie ein Bericht aus der Zeitschrift „Die Literarische Welt“ be­ legt, wurde die ideologische Unterordnung zum Teil als Chance, die Zensur als Vorteil gesehen: Was am schlagendsten die Stellung des sowjetrussischen Schriftstellers von der seiner sämtlichen europäischen Kollegen unterscheidet, ist die absolute Öffentlichkeit seines Wirkens. Seine Chancen sind daher ungleich größer, seine Kontrolle ist un­gleich stren­ ger als die der westlichen Literaten. Diese seine öffentliche Kontrolle durch Presse, Publikum und Partei ist politisch.114

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Vgl. Hansen-Löve 2004: „Die Kunst ist nicht gestürzt. Das suprematistische Jahrzehnt“, S. 421. Tugendhold, Jakob [Tugendchol’d, Jakov]: „L’Élément National dans l’Art de l’U.R.S.S.“, in: Kogan, P./Nicolsky, Victor/Tugendhold, Jakob (Hrsg.): L’Art décoratif et industriel de l’U.R.S.S. Moscou: Goznak 1925, S. 27–33, hier S. 29 f. Vgl.  Ausst.-Kat. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Pressa Köln 1928. Ohne Publikationsort 1928. [Red. DLW]: „Die politische Gruppierung der russischen Schriftsteller“, in: Die Literarische Welt, 3. JG, Nr. 10 (Freitag 11. März 1927), S. 1.

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1.3.3 „Das Loch im Osten“: erschwerte Situation für die Kunst in den Zentren In der späten Phase der Avantgarde, die sich zeitlich ab Mitte der 1920er-Jahre bis zu ihrem endgültigen Verbot zu Beginn der 1930er-Jahre ansetzen lässt, sah sich die Strö­ mung so gut wie überall in Europa mit Einschränkungen konfrontiert. Die Beschnei­ dung der künstlerischen Freiheit war eine Konsequenz des Erstarkens totalitärer Sys­ teme, das sich in vielen Regionen Europas in etwa zeitgleich vollzog. Das relativ offene und freie kulturelle Klima endete endgültig im Frühjahr 1928 mit der Einführung des Ersten Fünf­jahresplans, zu dessen Gunsten die NĖP außer Kraft gesetzt wurde.115 Das Jahr 1928 geriet somit auch für die Kunst zu einem wichtigen Wendepunkt. In der sowjetischen Kultur­politik markierte der Übergang von der „soft line“ zur „hard line“ (Fitzpatrick) einen prägnanten Bruch, der zugleich als Initialmoment für das Einsetzen einer neuen, harten Linie gegen die sowjetische Intelligenzija gilt.116 Diese Phase wird als „zweite Revolution“ bezeichnet, die von Stalin mit der Kollekti­vie­ rung und Industrialisierung durchgeführt wurde und die „utopische linke Phase der Revolution“ beenden sollte.117 Clark/Dobrenko vermerken für diese Zeit im Hin­ blick auf die Kultur jedoch einen „shift to the left“, der durch eine Politik der Prole­ tarisierung und der  – wiewohl erneuten  – kulturellen Revolution gekennzeichnet gewesen sei.118 In der Ukraine zeigte sich diese zweite kulturelle Revolution in einer forcierten „Ukrainisierung“, die nunmehr auch die Massen und das Proletariat er­ reichen sollte.119 Die politischen Entwicklungen hatten auch die Verschlechterungen der Beziehungen mit dem westeuropäischen Ausland zur Folge.120 Die Auswirkungen des Ersten Fünfjahresplans erreichten somit alle Ebenen und schlugen sich besonders stark in der Kunst nieder, wo z. B. das Aufrechterhalten künstlerischer Kontakte ins Ausland und daraus resultierend die Auseinandersetzung mit westeuropäischer Kunst deutlich erschwert wurden. Die künstlerische Freiheit wurde beschnitten, das kulturelle Leben noch stärker reglementiert und die unliebsam gewordene Avant­ garde in ihrer Arbeit weitreichend eingeschränkt. Wiewohl sich die Avant­garde be­ reits seit 1922 mit einer zunehmenden internationalen Isolation konfron­tiert sah,121 115 116

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De facto trat der Erste Fünfjahresplan erst im Jahr 1929 in Kraft, was als eigentlicher Beginn der Stalin-Ära angesehen wird. Vgl.  Fitzpatrick, Sheila: „The ,Soft‘ Line on Culture and Its Enemies: Soviet Cultural Policy, 1922–1927“, in: Slavic Review. American Quarterly of Soviet and East European Studies. Vol. 33 (1974), S. 267–287, hier S. 285. Günther, Hans: „Utopie nach der Revolution. (Utopie und Utopiekritik in Rußland nach 1917)“, in: Voßkamp, Wilhelm (Hrsg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Band 3. Stuttgart: Metzler 1982, S. 378–393, hier S. 378. Diesem Linksruck folgte wenig später ein Rechtsruck, der mit der Etablierung des „Sozialistischen Realismus“ einherging; vgl.  Clark/Dobrenko (Hrsg.): Soviet Culture and Power. A History in Documents, 1917–1953, S. 33. Martin, Terry: The Affirmative Action Empire. Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939. Ithaca/London: Cornell University Press 2001, S. 100 f. Der Šachty-Prozess, in dessen Rahmen ausländische Arbeiter der Spionage beschuldigt wurden, wird nicht nur als Beginn der zweiten kulturellen Revolution angesehen, son­ dern auch als wichtiger Wendepunkt für die Beziehungen mit dem Ausland. Zum Šachty-Prozess vgl.  z. B. Fitzpatrick, Sheila: „Cultural Revolution as Class War“, in: Dies. (Hrsg.): Cultural Revolution in Russia, 1928–1931. Bloomington/London: Indiana University Press 1978, S. 8–40, hier S. 12. Vgl. Beyme, Klaus von: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905–1955. München: C. H. Beck 2005, S. 774.

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resultierten die politischen Veränderungen Ende der 1920er-Jahre schließlich darin, dass künstlerische Aktivitäten auch in der Sowjetunion selbst massiv behindert wur­ den und das Publizieren resp. Ausstellen ab 1928 für viele Avantgarde-Künstler nur noch sehr eingeschränkt möglich war. Publikationen und Periodika mussten ihre Produktion einstellen, künstlerische Vereinigungen, die zuvor teils staatlich gefördert waren, wurden aufgelöst. Majakovskijs Zeitschrift „Novyj LEF“ lässt sich hier als Bei­spiel aus Russland nennen.122 Die Herausgabe von Büchern konnte oft nur noch in Form von selbstgefertigten Ausgaben erfolgen, deren Vertrieb sich ausschließlich auf den Eigen­verlag beschränkte. Dass dies neben vielen anderen Protagonisten der Avantgarde mit Kručenych auch den wohl produktivsten Herausgeber unter den russischen Futuristen betraf,123 führte in gewisser Weise zu dessen ungewollter Rück­ kehr zu den Praktiken des frühen Futurismus, als selbstedierte kleine Auflagen, die zudem oft händisch nach­ koloriert waren, als künstlerische (neoprimitivistische) Gegenposition zu den neu etablierten Massendruckverfahren dienten. Dass das Ende der NĖP drastische Auswirkungen auf Kunst und Kultur hatte, wurde auch im Ausland unmittelbar als kultureller Niedergang registriert. Aleksander Wat, ein polnischer Futurist, beschreibt die Situation in Russland im Jahr 1928 als erbittert und verhärtet, durchdrungen von einem Machtkampf, der sich auf allen Ebenen  – inklusiver jener der Kunst  – vollzog. Es sei eine Zeit gewesen, in der die Partei bereits mit eiserner Hand geherrscht habe: „Diese Zeit, 1928, 1929, das waren entscheidende Jahre in Ruß­land. Ein neues Kapitel brach an“124: Ich hörte von Auseinandersetzungen, ich wußte, daß sich in Russland mächtige Aus­ einandersetzungen abspielten, denn 1928 war ein Umbruchsjahr. Das war der XV. Parteitag […]. Unterdessen war dieser Machtkampf in Rußland unglaublich erbittert, noch nicht blutig, aber erbittert und verhärtet, sehr verhärtet.125

Die russische Kunst befand sich Ende der 1920er-Jahre nach einer innovativen und pro­duktiven prä- und post­revolutionären Phase in einer veritablen Krise, wovon selbst die üblicherweise doch sehr russlandfreundlich gesinnte Berliner Zeitschrift „Die Welt­bühne“ mit großer Sorge zu berichten wusste. Morus126 spricht gar von einem – 122

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Zur Auflösung der „Novyj LEF“ vgl. Lauer, Reinhard: Kleine Geschichte der russischen Lite­ ratur. München: C. H. Beck 2005, S. 192. — Die neue Linie hatte auch in der Ukraine Auswirkungen, wo die Gruppe VAPLITE in etwa zur selben Zeit zu ihrer Auflösung ge­ zwungen wurde; vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 96. Zu dieser Unmöglichkeit des Publizierens in offiziellen Verlagen in Russland vgl. Karpov, Dmitrij: „Muzejnyj Terent’ev ili šepotka sirolecha“, in: Ders. (Hrsg.): Igor’ Terent’ev. Levejšij iz levych. K 120-letiju so dnja roždenija. Sbornik materialov. Moskva: Department kul’tury goroda Moskvy gosudarstvennyj muzej V.V. Majakovskogo 2012, S. 7–10, hier S. 9. Wat, Aleksander: Jenseits von Wahrheit und Lüge. Mein Jahrhundert. Gesprochene Erin­ nerungen 1926–1945. Mit einem Vorwort von Czesław Miłosz. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Matthias Freise. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 104. Ibd. S. 107 f. — Wat war zu dieser Zeit, ähnlich wie viele andere Futuristen, pro­kom­ munistisch orientiert. Morus war das Pseudonym, das der Autor Richard Lewinsohn für Publikationen in Deutschland, u. a. in „Die Weltbühne“, verwendete.

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nicht zuletzt kulturellen – „Loch im Osten“, das zu dieser Zeit in Berlin „eine Aversion oder mindestens Interesselosigkeit […] gegenüber allem Russischen“127 hervorgerufen habe: Moskau ist abgemeldet. Die Mitläufer aus den ästhetischen Regionen, denen es im Grunde genommen Wurst ist, merken es zuerst. Rußland wird nicht mehr getragen. Die Meyerhold-Aufführungen waren nicht nur leer, weil man die Sprache nicht verstand, sondern weil man auch gar kein Interesse daran hatte, sie zu verstehen. Russisches Theater und russischer Film: pö, olle Kamellen, wollen wir nicht mehr wissen. Wir sind gelenkiger, haben inzwischen schon ein halb Dutzend andrer Importen [sic] geraucht. Die im Osten sind stehn geblieben. Sowjetistisches deklas­siert; und wir wollen rauf, nicht runter.128

Die von Morus ebenfalls kritisierte russische Filmindustrie befand sich damals sowohl in einer künstlerischen als auch in einer wirtschaftlichen Krise, die schließlich zu einer Fusion der großen Filmgesellschaften zu einem einzigen Filmstudio führte.129 Sowjetische Zeitschriften wurden zunehmend der staatlichen Kontrolle unterstellt und die Publikation von nicht staatlichen Medien zu Beginn der 1930erJahre schließlich zur Gänze untersagt. Hier waren es oft deutsche Intellektuelle, die als Apologeten der zunehmenden Repressionen auftraten und versuchten, die totalitären Strukturen zu ver­teidigen. Der Journalist und Autor Egon Erwin Kisch stand dem sowjetischen System ebenfalls weitgehend unkritisch gegenüber, in der Zensur sah er gar einen Vorteil für die Bevölkerung: […] die Zensur Sowjetrußlands wird im Namen der gesamten Bevölkerung ausge­ übt, die heute marxistisch aufgeklärt ist und daher jeden Versuch antimarxistischer Be­einflussung etwa so betrachten würde, wie wir die Propaganda für die Wieder­ einführung des Hexenhammers und der Hexenverbrennung, allerdings mit dem Unter­schied, daß sich Rußland infolge der erwähnten Machtmittel auswärtiger In­ teressensgruppen einer besonders akuten Gefahr zu versehen hat.130

Umgekehrt wurde die Existenz der Zensur in der Sowjetunion von offizieller Stelle meist geleugnet. Sergej Ingulow, der Vorsitzende des Zentralrates der PressearbeiterSektion, betonte in seinem offiziellen Beitrag zur „Pressa“ in Köln, Kritik am System sei ausdrücklich erwünscht, man versuche ihr „freie Entwicklung zu lassen und nicht im Gegenteil hemmend gegen sie vorzugehen oder sie ganz zu verbieten“.131

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Morus [Lewinsohn, Richard]: „Das Loch im Osten“, in: Die Weltbühne, 26. JG, Nr. 23 (1930), S. 848–850, hier S. 849. Ibd. Vgl. Istrati, Panaït [eig. von Serge, Victor bzw. Kibal’čič, Viktor]: Drei Bücher über SowjetRußland. Band II: So geht es nicht! Die Sowjets von heute. München: Piper 1930, S. 64. Kisch, Egon Erwin: „Die ,Knebelung‘ des russischen Schrifttums“, in: Der Schriftsteller, Nr. 15 (1928), S. 1 — zit. nach Patka, Marcus G.: Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors. (=  Literatur in der Geschichte. Geschichte in der Literatur, Band 41), Wien et al.: Böhlau 1997, S. 114. Ingulow, Sergej: Die Presse in Sowjetrussland. Ihre Lage und Arbeitsverhältnisse. Pressa Köln 1928. Moskau: Mospoligraf 1928, S. 29 (deutsch).

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Die Krise der sowjetischen Kunst lässt sich auch am Beispiel der LEF aufzeigen, die ebenfalls zunehmend unter Druck geriet. Zelinskij, Vertreter des literarischen Kon­ struktivismus, vermerkte dazu: Да, Маяковский и Леф переживают снова кризис. Этот второй кризис явля­ ется не столько продолжением первого, сколько новой проверкой в свете но­вых требований, предъявляемых революцией к старой нигилистической интеллиген­ ции, передавшей футуристам в Октябре свою эстафету.132 [ Ja, Majakovskij und die Lef durchleben erneut eine Krise. Diese zweite Krise ist nicht so sehr eine Fortsetzung der ersten, als vielmehr eine neue Bewährungsprobe in Anbetracht der neuen Anforderungen, die der alten nihilistischen Intelligenzija auf­ erlegt wurden, nachdem diese ihre Staffel in der Oktjabr’ [gemeint ist die Gruppe, VF] an die Futuristen übergeben hatten.]

Nach der Auflösung der LEF, deren erneuter Versuch, „das Kulturmodell der Futuristen, in Konkurrenz zu ,Proletkul’t‘ und ,RAPP‘133 durchzusetzen“,134 1928 endgültig schei­ terte, sahen viele in der Gruppe Oktjabr’ [Oktober] (1928–1932) deren Nachfolge ver­wirklicht.135 „[…] ,Lef ‘ ist auseinandergefallen, richtiger, Majakowski löste sie auf, um am Tor eine neue Gruppierung anzuwerben“,136 beschrieb Viktor Šklovskij, der der neuen Vereinigung nicht mehr angehören wollte, diesen Schritt. Der 1928 gegründeten Gruppe Oktjabr’ traten mit Gan, Lissitzky, den Vesnin-Brüdern, Sergej Ėjzenštejn und Varvara Stepanova einige der wichtigsten russischen Konstruktivistinnen und Konstruktivisten bei, von denen wiederum die meisten zuvor auch ein Teil der LEF waren.137 Die neue harte Linie der Partei machte sich auch in der Ukraine bemerkbar. Intellektuelle, die nicht der Partei angehörten, wurden ab 1927 verstärkt zum Ziel von An­feindungen, auch kam es zu dieser Zeit bereits zu Repressionen gegen zahlreiche Intellektuelle.138 Dennoch bot die Ukraine für gewisse Zeit etwas mehr Freiraum für die Kunst, als dies im Zentrum der Fall war. Auf die Ursachen dafür wird im folgenden Unter­kapitel eingegangen.

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Zelinskij, Kornelij: „Itti li nam s Majakovskim?“, in: Na literaturnom postu, Nr. 5 (1928), S. 49–54, hier S. 50. — Die Zeitschrift war das Organ der proletarischen Schrift­steller­ vereinigung VAPP und polemisierte oft heftig gegen die ihrer Ansicht nach bour­geois verdorbene Avantgarde. RAPP: „Rossijskaja associacija proletarskich pisatelej“ [Russische Vereinigung proleta­ rischer Schriftsteller], 1925–1932. Vgl. Lauer 2005: Kleine Geschichte der russischen Literatur, S. 192. Vgl. ibd. Šklovskij, Viktor: „Viktor Šklovskij an Juri Tynjanow. 27. XI.1928“, in: Mierau, Fritz (Hrsg.): Die Russen in Berlin. Leipzig: Reclam 1990, S. 399–400, hier S. 399. Zur Gruppe Oktjabr’ vgl. Ebert, Hiltrud: „Die Gruppe ,Oktjabr’‘ – Aspekte der Ideo­ logisierung des Avantgardekonzepts in der Sowjetunion Ende der 1920er Jahre“, in: Gaßner/Kopanski/Stengel (Hrsg.) 1992: Die Konstruktion der Utopie, S.  69–76, hier S. 69. Vgl. z. B. Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag.

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1.3.4 (Relative) Freiheit der Kunst an den Peripherien Während es in Russland spätestens mit Inkrafttreten des Ersten Fünfjahresplanes zu einer doch beträchtlichen zusätzlichen Einschränkung der künstlerischen Freiheit kam, blieb diese in den „peripheren“ Räumen der Sowjetunion noch eine Weile länger auf­recht. Dass es an Peripherien zu einer besonderen Situation der Freiheit kommen konnte, ist für Lotman mit der Präsenz der institutionalisierten Macht assoziiert, die mit zunehmender Distanz zum Zentrum üblicherweise abnimmt.139 Die bereits er­ wähnte Stadt Sverdlovsk stellt hierfür ein wichtiges Beispiel dar. Als andernorts der stali­­nistische Neoklassizismus zu dominieren begann, wurden in Sverdlovsk noch zahl­­ reiche kon­struktivistische Gebäude verwirklicht, an deren Planung wichtige Vertreter des sowjeti­schen Konstruktivismus partizipierten. Die künstlerischen Aktivitäten stan­den in abgelegenen Gebieten unter einer weniger strikten Observation, was auch daran lag, dass sie vom Zentrum aus betrachtet oft als „provinziell“ und daher als „unverdächtig“ angesehen wurden. Bedingt durch die zunehmend repressive politische Situation kam es in den letzten Jahren der Avantgarde zu einer gehäuften Abwanderung von Künstlern an die Ränder, wo künstlerisch-kreativ aufgeladene Räume entstanden. Abseits der Zentren konnte die Arbeit relativ ungestört weiterverfolgt werden, während die Strömung selbst in ihrer Aktualität bereits durch neue Entwicklungen abgelöst worden war. Oft setzen neue Ent­wicklungen an Peripherien nicht nur mit zeitlicher Verzögerung ein, sondern finden auch verzögert ein Ende. Deutlich wird die in der Ukraine herrschende relative Freiheit durch eine kurze und unscheinbare Notiz, die in der letzten Ausgabe der „Novyj LEF“ erschien. Sie enthielt den Hinweis darauf, dass die publizistischen Aktivitäten nach Einstellung des eigenen Mediums voraussichtlich in der Ukraine fortgesetzt würden: К сведению подписчиков и читателей „нового лефа“. Наши принципиальные теоретические работы, не могущие найти себе места в общей прессе на время отсутствия у нас своего журнала, мы предполагаем, опубликовать в украинском журнале „Нова генерация“, изд. Госиздата Украины.140 [Information für die Abonnenten und Leser der „Novyj LEF“. In der Zeit, in der wir über kein eigenes Journal verfügen, werden wir unsere prinzi­ piellen theoretischen Arbeiten, für die wir keinen Platz in der allgemeinen Presse finden, voraussichtlich in der vom ukrainischen Staatsverlag herausgegebenen ukra­ inischen Zeitschrift „Nova Generacija“ publizieren.]

In der Ukraine stellte die Phase der relativen Freiheit in den Jahren der NĖP eine wich­tige Basis für die „Ukrainisierung“ dar, in deren Verlauf die ukrainische Kultur eine ihrer kreativsten und produktivsten Phasen in ihrer Geschichte erlebt habe, wie Yekelchyk konstatiert.141 Eine wichtige Rolle spielten hierbei lokale politische Eliten, die sich für die Etablierung einer unabhängigen Kultur einsetzten, sodass sich diese – und dies teil­weise mit Unterstützung Moskaus – relativ autonom entfalten konnte. 139 140 141

Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 178. [Red. NL]: „K svedeniju podpisčikov i čitatelej ,novogo lefa’“, in: Novyj LEF, Nr.  12 (1928), S. 45. Yekelchyk 2007: Ukraine. Birth of a Modern Nation, S. 99.

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Trotz der intensiven ukrainischen Bemühungen, das offene Klima für die Kunst weiter­hin aufrechtzuerhalten, wurde die Situation auch in der Ukraine zunehmend repressiver. Horbačov weist in diesem Kontext auf die Auflösung der Verträge mit mehreren Profes­soren der Kiewer Kunstschule hin, die auch Malevič betraf, der seinen Lehr­ auftrag verlor.142 Neben künstlerischen Aktivitäten wurde auch das Aufrechterhalten von Kontakten ins Ausland erschwert. Dieser Bruch manifestierte sich einerseits auf organi­ satorischer Ebene, indem Zeitschriften eingestellt und Gruppierungen auf­gelöst wurden  – oft formierten sie sich freilich in ähnlicher Zu­ sammensetzung unter einer neuen Bezeichnung rasch wieder neu. Dies war z. B. bei der VAPLITE der Fall, die sich mit der Zeitschrift „Literaturnyj jarmarok“ neu formierte.143 Andererseits hatte der Bruch auch auf inhaltlicher und gestalterischer Ebene Auswirkungen, worauf in den folgenden Kapiteln noch genauer eingegangen wird.

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Vgl. Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment.

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Zur Blüte der ukrainischen Avantgarde

Forciert durch die Quasi-Eigenstaatlichkeit im Rahmen der Sowjetunion sowie die sowjetische Politik der Förderung nationaler Ethnien und Kulturen setzte sich die Avant­garde dafür ein, die ukrainische als souveräne Kultur zu etablieren und sie aus ihrer Marginalität zu befreien. Lautstark und deutlich reklamierte sie, selbst das Zentrum zu sein, und lehnte jede Verortung als Peripherie ab. Vor dem Hinter­ grund der mehr­fachen peripheren Situation entstand in den späten 1920er-Jahren ein heterogener Raum, dessen Entfaltung durch die spezifischen politischen Ent­ wicklungen in der Ukraine noch zusätzlich begünstigt wurde. Der „homogene Raum“, in dem „die Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie auf beiden Seiten allgemein anerkannt ist“144, erfuhr in der Ukraine nicht nur eine Infragestellung, son­ dern auch eine Negation. Hier sei auf die Dynamik und die Relativität der Positionen „Zentrum“ und „Peripherie“ verwiesen, deren Positionen letztlich von der Frage­ perspektive abhängen.145 Im Folgenden werden die Grundlagen für die Blüte der sow­ jetukrainischen Kunst aufgezeigt, die schließlich am Ende des Jahrzehntes in den viel­ schichtigen Aktivitäten der Avantgarde in Charkiw resultieren sollte. 2.1 „Verwurzelung“ als Basis für die Blüte der ukrainischen Avantgarde? Die ersten offiziell geförderten Versuche einer sprachlichen und kulturellen Emanzi­ pation lassen sich für die ersten Jahre der Sowjetukraine in den 1920er-Jahren kon­ statieren, als die Entfaltung nationaler Identitäten und Sprachen im Kon­text der so­genannten „Verwurzelung“ (ukrainisch: Korenizacija, 1923–1931) auch politisch Priorität erhielt.146 Die Verwurzelungspolitik setzte mit dem 1923 er­lassenen Dekret über den Status der ukrainischen Kultur und Sprache ein.147 Diese „Ukrainisierung“ erfolgte im Rahmen des sogenannten „Nationalkommunismus“, der die Idee einer zwar autonomen, aber zugleich sowjetischen Ukraine unterstützte. Am Nationalkom­ munismus waren auch ukrainische Mitglieder innerhalb der kommuni­stischen Kader maßgeblich beteiligt.148 Die Politik, die eine Förderung nationaler Ethnien, Kulturen und Sprachen ebenso inkludierte wie eine Verankerung nationaler Rechte auf insti­ tutioneller Ebene, entstand nicht lediglich aus der Idee des Selbst­bestimmungs­rechtes der Völker heraus.149 Vielmehr wurde sie als Konsequenz der zu­nehm­enden nationalen Tendenzen installiert, die im Kontext der Revolution (1917) und des anschließenden 144 145 146

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Gumbrecht 2001: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, S. 383. Zu Dynamik und Relativität vgl. Hárs/Müller-Funk et al. 2006: „Zentren peripher. Vor­ überlegungen zu einer Denkfigur“, S. 2. Vgl. Kappeler, Andreas: Kleine Geschichte der Ukraine. Dritte Auflage, München: C. H. Beck 2009, S. 190 ff. — Ausführlich zur „Ukrainisierung“ vgl. auch Martin 2001: The Affirmative Action Empire. Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939, S. 75–124. Vgl.  Žukovs’kyj, Arkadij/Subtel’nyj, Orest: Narys istoriji Ukrajiny, L’viv: NTŠ 1991, S. 101–106. Vgl. Shkandrij, Myroslav (Hrsg.): Mykola Khvylovy. The Cultural Renaissance in Ukraine. Polemical Pamphlets, 1925–1926. Edmonton: Canadian Institute of Ukrainian Studies 1986, S. 2. Der Selbstbestimmungsbegriff, der durch die Verankerung im „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ quasi auch rechtlich verankert wurde, erlebte nach der Neuordnung Europas im Anschluss an den Ersten Weltkrieg insbesondere in den neu entstandenen National­

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Bürgerkriegs entflammten und die bereits zuvor gehegten Hoffnungen auf eine eigen­ ständige ukrainische Nation mit einer eigenständigen Kultur er­neut for­cierten. Die Idee der nationalen Selbstbestimmung wurde also durch die sow­jetische Politik unterstützt, und „die nationale Befreiung“, wie es laut offizieller Dok­trin hieß, sollte „die erste Etappe der sozialen Befreiung“ sein  – wobei beide letzt­lich im Sozialis­ mus münden sollten.150 Die offizielle Kulturpolitik hatte das Ziel, dem Auf­keimen weiterer nationalstaatlicher Tendenzen entgegenzuwirken, und sollte eine Art Placebo zur Beruhigung der sowjetischen Völker sein:151 The national mobilization of Ukrainians and other peoples began before the establish­ ment of Soviet power, but the Bolsheviks attempted to disarm the forces of nationalism by placing themselves at the head of this mobilization drive.152

Zwar wurden die ersten Dekrete zur Förderung der ukrainischen Sprache bereits 1919 erlassen,153 in vielen Regionen erhielt das Ukrainische dennoch erst im Zuge der „Ukrainisierung“ erstmals den Status einer Amts- und Schulsprache.154 Der zu ver­zeichnende Anstieg der ethnisch ukrainischen Bevölkerung in den Städten führte zu einer Transformation der Alltagssprache in den urbanen Zentren, in denen zuvor haupt­sächlich Russisch gesprochen worden war. Die sprachlichen Veränderungen zeigten sich rasch in sämtlichen Bereichen des Lebens, sodass sowohl der administra­ tive Be­reich (Ämter, Schulen) als auch die Kultur durch das Ukrainische domi­niert wurden. Das Ukrainische wurde nicht nur legalisiert, sondern erhielt einen privile­ gierten Sonder­status. So stellte der Nachweis von Ukrainisch-Kenntnissen ab 1927 eine Voraus­setzung dafür dar, an einer Universität aufgenommen zu werden resp. einen universitären Ab­schluss zu erhalten. Auch der Unterricht wurde vermehrt auf Ukrainisch durch­ge­führt.155 Die Zahl der auf Ukrainisch publizierten Bücher und Zeitschriften stieg ab Mitte der 1920er-Jahre stark an, sodass diese zu Beginn der 1930er-Jahre bereits 80 % aller Publikationen ausmachten. George Shevelov weist allerdings darauf hin, dass sich das Ukrainische letztlich trotz der massiven Kampagnen in keiner der ukrainischen Städte als Alltagssprache durchsetzen habe können.156 Dass die endgültige Kodifizierung der Orthografie, an der seit Beginn der 1920er-Jahre gearbeitet wurde, erst 1928 erfolgte,157 lässt sich an zahlreichen

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staaten eine Hochkonjunktur; vgl.  Koller, Christian: Fremdherrschaft. Ein politischer Kampfbegriff im Zeitalter des Nationalismus. Frankfurt a. M.: Campus Verlag 2005, S. 460. Diese Formulierung verwendet der französische Autor und Systemapologet Henri Bar­ busse in seiner – ganz auf der offiziellen Linie liegenden – Stalin-Biografie: Barbusse, Henri: Stalin. Eine Neue Welt. Paris: Editions du Carrefour 1935, S. 111. Zur „Ukrainisierung“ vgl.  z. B. Yekelchyk 2007: Ukraine. Birth of a Modern Nation, S. 85–101. Ibd. S. 85. Vgl.  Shevelov 1989: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century, S. 88. Vgl. Kappeler 2009: Kleine Geschichte der Ukraine, S. 190 ff. Vgl. Yekelchyk 2007: Ukraine. Birth of a Modern Nation, S. 97, 99. Vgl.  Shevelov 1989: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century, S. 122. Vgl.  Borisenok, Elena: Fenomen Sovetskoj ukrainizacii 1920–1930 gody. Moskva: Izda­ tel’stvo Evropa 2006, S.  109–111.

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ukrainischen Texten der Nachrevolutionsjahre ablesen, deren Schreibung entweder von der heutigen Norm abweicht oder gar innerhalb eines Textes divergiert  – die Bezeichnung „Futurismus“ stellt hier ein gutes Beispiel dar: Zu Beginn wurde die Strömung meist noch als „futurizm“, später jedoch als „futuryzm“ bezeichnet. Die „Ukrainisierung“ wurde von einigen Teilen der Bevölkerung, insbesondere der älte­ren und gebildeten Schicht in den urbanen Räumen, mitunter skeptisch bis ab­­lehnend gesehen.158 Überdies wurde Kritik geübt, dass daran vorrangig NichtUkrainer beteiligt waren, deren Überidentifikation mit dem Ukrainischen als eine Art Mimi­kry erschien.159 Umgekehrt kam es mit der Ukrainisierungspolitik zu einer anti­ ukrainischen Haltung innerhalb des Politbüros.160 Shevelov spricht von einem para­ noiden Misstrauen des sowjetischen Regimes: „Every escalation of Ukrainianization brought about the destruction of a Ukrainian force or a potential Ukrainian force.“161 Ein Schwerpunkt der Ukrainisierungspolitik lag auf der Schaffung einer modernen ukra­inischen Kultur, wofür sich viele Kulturschaffende einsetzten, zu denen bspw. Chvyl’ovyj zählte.162 Während es bis zur Revolution offiziell nur eine rus­sische Kul­tur gab,163 würde sich, so die Hoffnung vieler Künstler, in den postrevolutionären Jah­ren eine Kunst entfalten, die auf der ukrainischen Sprache und Identität basierte. Viele künstlerischen Entwicklungen wurden durch die generelle Aufbruchsstimmung, die aus der nunmehrigen Eigenstaatlichkeit resultierte, zusätzlich forciert. Lotman und Uspen­skij sprechen wie erwähnt von einer Zunahme der Zeichenhaftigkeit im Kontext von Um­brüchen164, wobei die „Verwurzelung“ im Falle der Ukraine gewiss den Anstieg der Zeichen­haftigkeit und in weiterer Folge die Blüte der Kunst maßgeblich verstärkte. Mit der Zu­nahme ukrainischsprachiger Publikationen stieg auch die Anzahl der ukra­inischen Kunst- und Literaturzeitschriften deutlich an. Viele der neu entstandenen Organe verfügten über regionale Ableger.165 Im Rahmen der „Literarischen Diskus­ sion“ (1925–1928) wurde polemisch von einem „Kampf zweier Kulturen“ ge­ sprochen,166 wobei zwischen der ukrainischen und der rus­ sischen differenziert wurde. Einen Beitrag zur Entfaltung der Kunst leistete der sowje­tische Funktionär Mykola Skrypnyk, der zwischen 1927 und 1933 das ukrainische Volkskommissariat für Bildung (NARKOMPROS) leitete und ukrainische künstlerische Aktivitäten  – sofern sie sich im sowjetischen Rahmen bewegten  – unterstützte. Während die ersten Jahre nach Ausrufung der Sowjetukraine noch durch einen inner­parteilichen

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Vgl. Borisenok 2006: Fenomen Sovetskoj ukrainizacii, S. 137. Vgl.  Shevelov 1989: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century, S. 122. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 6. Shevelov 1989: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century, S. 123. Vgl. Shkandrij 1986: Mykola Khvylovy. The Cultural Renaissance in Ukraine, S. 3 f. Dies konstatierte Škurupij 1928; vgl. Škurupij, Geo: „Na šturm linoščiv i neznajstva“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 211–213, hier S. 211. Vgl. Lotman/Uspenskij 1986: „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“, S. 853 f. Neben Kunst- und Literaturzeitschriften entstanden überdies zahlreiche Medien zu Politik, Technik, Theater, Musik etc.; vgl. z. B. Shevelov 1989: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century, S. 118. Ein entsprechender Band erschien 1928: Skrypnyk, Mykola: Do teoriji borot’by dvoch kul’tur. Charkiv: Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny 1928.

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Kampf zwischen ukrainischen und pro-russischen Kräften geprägt wa­ren,167 trat unter Skrypnyk eine Konsolidierung ein, aus der eine neue Phase der „Ukra­inisierung“ resultierte.168 1928 erfolgte auch in der Ukraine eine zweite kulturelle Revo­lution, in deren Rahmen die „Ukrainisierung“ bis zum Proletariat durch­dringen und den Massen nähergebracht werden sollte. Einen Höhepunkt der zweiten Revolution stellte ein dreimonatiges Festival der ukrainischen Kultur dar, das 1929 im ganzen Land ab­ gehalten wurde und in dessen Rahmen u. a. Autorenlesungen in Industrie­gebieten und -städten stattfanden.169 Anders als in den Jahren zuvor, als sowohl die politischen als auch die kulturellen Eliten eine polemische und starke Abgrenzung von der restlichen Sowjetunion be­ trieben, ver­trat nunmehr auch Skrypnyk einen ausgewogeneren Kurs. Nicht wie zu­ vor Ab­gren­zung, sondern vielmehr die Wechselbeziehung zwischen den beiden als distinkt an­ zusehenden Kulturen sollte die gemeinsame Position unterstreichen, ohne dass eine der beiden Seiten die überlegenere sein sollte.170 Die Perspektiven von Zentrum und Peri­­pherie sollten somit neu ausverhandelt werden, wobei Wünsche wie diesen meist die marginalisierte Seite – in diesem Fall die ukrainische – postulierte. Die neue ukra­inische Literatur sollte, so Skrypnyk, auf die eigenen Wurzeln und die eigene Ge­schichte zurückgreifen, sodass sie die Basis für die Entwicklung einer eigenständigen ukrainischen Kultur bilden könne.171 Die „Ukrainisierung“ wurde zu einem Teil der internationalen Kulturpolitik, wie der folgende Auszug aus einem Beitrag zur „Sowjetukraine“ belegt, der in der deutsch­sprachigen Zeitschrift der Gesellschaft der Freunde des Neuen Rußland in Deutschland erschien: An Stelle des vom Zarismus unterdrückten „Kleinrußland“ haben die ukrainischen Arbeiter und Bauern eine selbstständige Ukrainische Sowjetrepublik geschaffen […]. Erst unter der Sowjetmacht entstand die Möglichkeit, die ukrainische nationale Kultur zu entwickeln. […] ein bedeutender Teil der Zeitungen und Zeitschriften schreibt ukrainisch, die Ukrainisierung des staatlichen und öffentlichen Organisationsappara­ tes hat große Fortschritte gemacht, ukrainische Theater sind gegründet worden, die ukrainische Literatur blüht auf usw.172

Auch in der (wiewohl sehr russlandfreundlich gesinnten) Berliner Zeitschrift „Die Weltbühne“ wurde das Ausmaß der „Ukrainisierung“ aufgegriffen, wie ein Artikel zeigt, dem zufolge die ukrainische Politik auf dem Gebiete der kulturellen Autonomie (Schule, Behörden) so weit [ging, VF], daß selbst den ukrainischen Nationalisten [gemeint sind hier die ‚Separatisten‘ der

167 168 169 170 171 172

Dieser betraf bspw. die Sprachenpolitik; vgl. Shevelov 1989: The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century, S. 92. Vgl. Borisenok 2006: Fenomen Sovetskoj ukrainizacii, S. 188. Martin 2001: The Affirmative Action Empire. Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939, S. 100 f. Vgl. Borisenok 2006: Fenomen Sovetskoj ukrainizacii, S. 188. Vgl. ibd. Popow, Nikolai: „Die Sowjetukraine“, in: Das Neue Russland, 4. JG, Doppelheft 9–10 (1927), S. 83–84, hier S. 84.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West ukra­inischen Volksrepublik, VF] auf diesem Gebiete wohl kaum noch viel zu wün­ schen übrig bleibt; so weit, daß das russische Element im Lande, das noch an der alten russischen Kultur und Sprache festhält, sich oft zurückgedrängt fühlt.173

Auf vielfacher Ebene lässt sich dokumentieren, dass die Gleichberechtigung aller sow­ jetischen Völker zwar auf dem Papier bestand, aber nicht unbedingt in die Realität um­­gesetzt wurde. Als Beispiel seien die sowjetischen Ausstellungen im Ausland ange­ führt, die zwar Völkerpavillons beinhalteten, in ihren offiziellen Katalogen jedoch meist nur russische Künstler präsentierten, wie dies z. B. bei der „Internationalen Buchkunst­ausstellung“ in Leipzig der Fall war.174 Dass die „Ukrainisierung“ auch eine Erfindung Moskaus und somit ein zentralis­ tisch aufoktroyierter Rückgriff auf die eigene Kultur war  – mit Waldenfels gespro­ chen wurde quasi das „Drinnen“ vom „Draußen“ gedacht175  –, führte inner­halb der ukra­­inischen Kultur zu einem ambivalenten Spannungsver­hältnis. Von Seiten vieler Künstler wurde die offizielle „Ukrainisierung“ nämlich dank­bar auf­ge­nommen, da sie hofften, das von ihnen empfundene kulturelle Vakuum fül­len zu können. Das kon­ kurrierende System, wie es sich in der Ukraine Mitte der 1920er-Jahre präsen­tierte, wurde jedoch wesentlich vom „Gegenpart“ mit initiiert. Wenn Lotman zufolge an der Peripherie – je weiter vom Zentrum, desto deutlicher – […] das Verhältnis zwi­ schen der semiotischen Praxis und der ihr aufgezwungenen Norm immer konflikt­ trächtiger [wird]176,

lässt sich im Fall der „Ukrainisierung“ konstatieren, dass das Konfliktpotential we­ sent­lich durch das Zentrum forciert wurde. Hryn weist darauf hin, dass es trotz der Förderung der ukrainischen Kultur umgekehrt auch zu massiven Repressionen ge­ kommen sei, sodass (ähnlich wie im Fall der NĖP) nicht wirklich von einer Freiheit der Kunst gesprochen werden kann. So sei es bspw. zu massiven Säuberungen in Bildungs­ einrichtungen und Bibliotheken, zu einer immer stärker werdenden Zen­sur sowie zur Stärkung des Geheimdienstes gekommen.177 Es hätten, so Hryn, zwei entgegengesetzte Linien bestanden: „one supporting Ukrainian institutions and another severely undermining literary and intellectual goals through direct repression.“178 Die Phase der offiziellen Rückbesinnung auf nationale Wurzeln hielt zudem nicht lange an. Mit Beginn der 1930er-Jahre wurden die Konzepte der sowjetischen Nationalitäten­politik wieder außer Kraft gesetzt, und in etwa zur selben Zeit wurde auch die Avant­garde verboten. Auf die relative Freiheit der Kunst folgte somit auch in der Ukraine erneut eine Phase der Repression. Die meisten Vertreter der ukrainischen literarischen Ver­­einigungen wurden schließlich im Rahmen des „Großen Terrors“ 173

174 175 176 177 178

Hurwicz, Elias: „Der ukrainische Separatismus“, in: Die Weltbühne, 23. JG, Heft 43 (1927). Reprint: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. 23. JG, Zweites Halbjahr (1927), S. 626–629, hier S. 628. Vgl.  Ausst.-Kat. Internationale Buchkunst-Ausstellung. Amtlicher Katalog. Leipzig: InselVerlag 1927, S. 316–329. Waldenfels 1990: Der Stachel des Fremden, S. 33. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 178. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 8. Ibd. S. 7.

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repressiert und hingerichtet. Zu den Opfern des stalinistischen Regimes zählte auch ein Großteil der Mitglieder der Formationen Nova Generacija und Avanhard. Poli­ ščuk wurde 1934 wegen des Vorwurfs der Zugehörigkeit zu einer antisowjetischen Vereinigung ver­haftet und 1937 erschossen.179 Semenkos Inhaftierung erfolgte im April 1937 wegen vermeintlicher konterrevolutionärer nationalistischer Aktivitäten, nur wenige Monate später, im Oktober desselben Jahres, wurde sein Todesurteil ebenfalls durch Erschie­ßung vollstreckt.180 2.2 Volkskultur (Nationalkultur) als Gegenkultur? Die relative Freiheit der Kunst, die sich in den 1920er-Jahren in der Ukraine entfaltete, stellte eine spezifische Situation dar, die lediglich kurze Zeit andauern und dabei die normative Ordnung außer Kraft setzen sollte. Das Auflehnen gegen das tonangebende Zentrum lässt sich unter Bezugnahme auf Bachtins Konzept des Karnevalismus deuten: Im Gegensatz zum offiziellen Feiertag zelebrierte der Karneval die zeitweise Befreiung von der herrschenden Wahrheit und der bestehenden Gesellschaftsordnung, die zeit­ weise Aufhebung der hierarchischen Verhältnisse, aller Privilegien, Normen und Tabus. Es war ein echtes Fest zu Ehren der Zeit, ein Fest des Werdens, des Umbruchs und der Erneuerung.181

Anders als bei Bachtin, der ein mittelalterliches Umfeld für seine Analyse der Volks­ kultur als Gegenkultur heranzog, hatte die ukrainische Auflehnung ihren Ursprung nicht in der untergeordneten sozialen Schicht, sondern erfolgte ausgehend von einem marginalisierten Gebiet182, das nunmehr im Rahmen der Sowjetunion einen quasisouveränen Nationalstaat repräsentierte. Bachtins Analyse, die während der Zeit der stalinistischen Repression und somit aus einer in etwa synchron zu den ukrainischen Entwicklungen gelegenen Perspektive entstand, wird auch als Parabel auf die Sowjet­ union in den 1920er- und 1930er-Jahren gelesen.183 Sowohl der Rückgriff auf ukrainische Traditionen als auch die Integration nationaler Ideen stellen wichtige Merkmale der ukrainischen Avantgarde dar, die sie wesentlich von ihrem russischen Pendant unterscheiden. Das Ukrainische als kulturelle Identität, als Sprache und als Tradition wurde zu einem zentralen Merkmal der Kunst. Die Tat­sache, dass gerade innerhalb der Avantgarde im Kontext des Neoprimitivismus ein for­cierter Rückgriff auf archaische Elemente aus der Volkskunst erfolgte, hat die Identifikation mit den eigenen Wurzeln in vielerlei Hinsicht zusätzlich motiviert. Durch die Selbstreferenzialität sollte auch die Eigenständigkeit der ukrainischen Kunst unterstrichen werden. Anders als bei den französischen Kubisten, bei denen 179 180 181 182 183

Vgl. Omel’čuk, Olesja: „Valer”jan L’vovyč Poliščuk. Chronika žyttja i tvorčosti“, in: Poliščuk 2014: Vybrani tvory, S. 19–43, hier S. 43. Vgl. Bila, Anna: „Mychajl’ Semenko. Biohrafija“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 21–23, hier S. 23. Bachtin 1987: Rabelais und seine Welt, S. 58. Hier sei absichtlich auf die Bezeichnung „Nation“ verzichtet, da der Fokus explizit nicht auf die Relevanz nationaler Bestrebungen gelegt werden soll. Rabelais wurde von Bachtin als Repräsentant eines Umbruchs gelesen, der mit jenem zu seiner Zeit starke Analogien aufwies; vgl. Lachmann 1987: „Vorwort“, S. 8.

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der Fokus auf das Exotische im „Anderen“ gerichtet war, erfolgte in der Ukraine eine Suche nach dem Exotischen im „Selbst“, das – zwar nicht in der Literatur, aber in der bildenden Kunst – in der traditionellen Volkskunst verortet wurde: „Авангардисти рішуче повернулися в село, українці – в українське, Пікассо - в негритянське“184 [Die Avantgarde-Künstler kehrten entschlossen ins Dorf zurück, die ukrainischen in das ukrainische Dorf, Picasso in das Negerdorf ], konstatiert Horbačov. So kam es bei mehreren Kunstschaffenden, zu denen David Burljuk, Malevič und Tatlin185 ebenso zählten wie die Volksfuturistin Sobačko und der Agitationskünstler Ivan Padalka, zu einem Rückgriff auf das traditionelle Volksbild „Kosak Mamaj“.186 Insgesamt gesehen nahm die Idee der Nation innerhalb der ukrainischen Kunst schon länger eine wichtige Rolle ein, wobei sich das ungleich verteilte Verhältnis zwi­ schen Russ­land (als Zentrum) und der Ukraine (als Peripherie) als durchgehender und besonders prägnanter Kritikpunkt der Künstler festhalten lässt.187 Die ukrainische Identität stel­lte also auch eine Form von Gegenkultur dar, und eine solche kann Bratic zufolge der Emanzipation von kulturellen Normen dienen.188 Die Auseinandersetzung mit der Not­wendigkeit der Schaffung einer eigenen Kultur, die sich sehr wesentlich durch die Abg­renzung von der russischen Kultur definierte, erreichte Mitte der 1920er-Jahre im Kontext der „Literarischen Diskussion“ einen Höhepunkt. „Het’ vid Moskvy!“ [Weg von Moskau!] (1928), lautete eine der polemischen Forderungen, die von Chvyl’ovyj proklamiert wurde. Chvyl’ovyj propagierte zwar einerseits die kommunistische Idee, verortete die eigenständige kulturelle Entwicklung der Ukraine aber zugleich in einem europäischen Kontext.189 In der Ukraine erfolgte somit eine Kategorisierung des Ukrainischen (Sprache, Tradi­tionen etc.) als das „Eigene“, das zudem einen Teil des westeuropäischen Kon­ tinuums repräsentierte, während das „Russische“ oft als das „Fremde“ angesehen wurde. Zwar stellte die Gegenposition zu Russland einen integralen Teil des gesamten kultu­rellen Loslösungsprozesses dar, die nationale Idee wurde allerdings primär von 184

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188 189

Horbačov, Dmytro: „Šarovarno-hopašna kul’tura jak džerelo svitovoho avanhardu. Dopovid’ na konferenciji v Harvardi (SŠA) 2007“, in: Mist #3. Akademija Mystectv Ukrajiny. Institut problem sučasnoho mystectva. Kyjiv 2006, S. 43–51, hier S. 44. — Die Verwendung des Begriffs „Negerdorf “ ist selbstverständlich politisch absolut unkor­ rekt und löst zu Recht beim Lesen große Irritation aus – zu Picassos Lebzeiten war die Bezeichnung, nicht zuletzt zur Untermauerung des Exotischen, jedoch durchaus ge­ bräuchlich und wurde auch dezidiert so verwendet. Tatlin, der am Kiewer Kunstinstitut lehrte, fühlte sich Horbačov zufolge der ukra­ inischen Volkskunst verbunden; vgl.  Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910– 1930 rokiv“, unpag. Zu diesen zählten bspw. David Burljuk, Tatlin und Malevič; vgl.  Balun, Olena: „Das Volksbild ,Kosak Mamaj‘ in den Werken der ukrainischen Avantgarde als Beispiel für Identitätskonstruktionen der europäischen Moderne“, in: Faber/Horbachov/Sonnleit­ ner (Hrsg.) 2016: Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst, S. 175–189. V. Korjak verweist in seiner 1928 erschienenen umfangreichen Analyse der „Lite­ rarischen Diskussion“ u. a. auf den vorrevolutionären Nationalismus, der somit auch vor der „Verwurzelung“ bereits in der Literatur registriert wurde; vgl.  Korjak 1928: „Literaturna dyskusija“, S. 7. Vgl. Bratic 2009: „Gegenkultur ist eine Kultur des Konfliktes“, S. 65. Ausführlicher zur „Literarischen Diskussion“ vgl.  z. B. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 106; vgl. auch Luckyj 1990: Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933, S. 92–111.

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Schrift­stellern postuliert, während sie in der bildenden Kunst weit weniger präsent war. Sprache kann vor allem in der Literatur als wichtiges Mittel zur Konstruktion von Identität dienen. Die identitätsstiftende Komponente war überdies in anderen Genres, die auf litera­rische Vorlagen zurückgreifen und sich somit ebenfalls sprachlicher Aus­ drucksformen be­d ienen (insbesondere Theater und Film), ebenfalls präsent. Hier lässt sich das Theater von Kurbas nennen, das unter Berufung auf national-ethische Werte an der Stärkung der nationalen Kultur partizipierte.190 Auf programmatischer Ebene wurde die Etablierung einer ukrainischen Kultur ebenfalls lauthals gefordert resp. deren Mangel lamentiert.191 Die Hervorhebung der ukrainischen Identität spielte in der ersten Phase des Futu­ rismus da­gegen noch keine allzu wichtige Rolle. Vielmehr kam es anfangs gar zu einer dezidier­ten Abgrenzung von nationalen Anliegen in der Kunst, die sich in scharfzüng­ igen An­griffen auf die Überhöhung und Instrumentalisierung nationaler Narra­ti­ ve mani­fes­tierte. Proklamationen wie jene des Kverofuturismus, die polemisch die Instru­men­talisierung des Dichters Taras Ševčenko als Nationalhelden attackierten, führ­­ten zu­nächst noch zu zahlreichen Anfeindungen und einer Marginalisierung des Futu­rismus.192 2.3 1926 – (k)ein Jahr am Rand der Zeit? Für seine als hypertextuelle Vernetzung konzipierte synchrone Geschichtsschreibung „1926. Ein Jahr am Rand der Zeit“ wählte Hans Ulrich Gumbrecht nur zufällig und will­kürlich das Jahr 1926 aus. Die historische Gleichzeitigkeit, die darin aufgezeigt werden soll, betrifft ein Jahr, das scheinbar nur wenig historische Relevanz aufwies, da weder prägnante historische Ereignisse noch der Bruch einer Epoche erfolgten.193 Ganz im Ge­gensatz zu den europäischen Zentren stellte das Jahr 1926 jedoch für die Ukraine und für Russland sehr wohl einen  Epochenbruch dar, der historisch von großer Bedeu­tung war. Katerina Clark bezeichnet die Jahre zwischen 1924 und 1926 als essentiell für die sowjetische Kulturpolitik, da sich die (ideologischen, institutionellen und ästhetischen) Muster, die für die späteren stalinistischen Repressionen kenn­ zeichnend wurden, bereits abgezeichnet hätten.194 Ab 1926 setzte eine massive Pro­ pagandakampagne gegen die Avantgarde ein, aufgrund derer die Strömung die Gunst der Eliten verlor und end­gültig zur bourgeoisen und westlich-dekadenten Strö­ mung degradiert wurde.195 1926 lässt sich also als jenes Jahr identifizieren, ab dem 190

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Vgl. z. B. Kornijenko 2016: „Les’ Kurbas – Wien – und weiter ...“, S. 195. — Zugleich war das Theater Berezil’ von Kurbas auch ein Motor der linken Kunst, was die ideologische Ambivalenz zwischen Progressivität und Rekurs innerhalb der ukrainischen Avantgarde exemplifiziert. Dies z. B. bei Avanhard; vgl. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 73. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 4–10. Gumbrecht 2013: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, S. 477 f. Clark, Katerina: Petersburg. Crucible of the Cultural Revolution. Cambridge: Harvard University Press 1995, S. 184. Vgl.  Fitzpatrick, Sheila: The Cultural Front. Power and Culture in Revolutionary Russia. Ithaca/London: Cornell University Press 1992, S. 69. — Umgekehrt wurde das Bauhaus in Deutschland mit dem Vorwurf konfrontiert, einen „Kulturbolschewismus“ zu pro­ pagieren. Für eine ausführliche Darstellung der Verwendung dieses Begriffs, der Bollen­ beck zufolge nicht erst von der nationalsozialistischen Propaganda, sondern be­reits vom bürgerlichen Feuilleton erfunden wurde, vgl.  Bollenbeck, Georg: „Der negative

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die Avantgarde als bourgeoiser Irr­weg der Kunst diskreditiert wurde.196 Vor diesem Hintergrund kam es in mehrfacher Hinsicht zu einer Verlagerung der Avantgarden an die Peripherien. Die LEF durchlebte zu dieser Zeit eine wichtige Umstrukturierung, die mit dem Ende der gleichnamigen Zeitschrift einherging, sodass 1926 einen wichtigen Bruch markierte: […] by 1925 the changing trends in cultural politics made it necessary for the left art movement to separate itself from Futurism with its Bohemian temperament and its history of postrevolutionary monopolistic efforts.197

Majakovskij bereitete nach dem Ende der Zeitschrift „LEF“ die Herausgabe des Nach­ folgemediums „Novyj LEF“ vor, das im Jänner des darauffolgenden Jahres erstmals er­ schien, 1928 jedoch aufgrund der zunehmend repressiven politischen Situation erneut eingestellt werden musste. Die Schließung von Teilen des Leningrader GInChUKs (Gosudarstvennyj Institut Chudožestvennoj Kul’tury) [Staatliches Institut für künst­ lerische Kultur] (1924–1926) resultierte in der Rückkehr Malevičs in die Ukraine, der in Kiew am Kunstinstitut lehrte und in der „Nova Generacija“ publizierte.198 Doch auch der ukrainische Panfuturismus machte Mitte der 1920er-Jahre eine elemen­tare Krise durch, die im Anschluss an den Bruch mit dem Proletkul’t199 eine Neuaus­richtung zur Folge hatte.200 1927 kam es nach einer längeren Unterbrechung, während der Semenko sich dem Film gewidmet hatte, in Charkiw zur Gründung der Nova Generacija.201 Ab Mitte der 1920er-Jahre verlagerte sich das künstlerische Zen­trum auch im Bereich von Film und Kinematografie an die sowjetische Peri­pherie in die Ukraine. Die sowjetische Filmindustrie, deren wichtigste Entwicklungen zu­ nächst primär in Moskau und Leningrad erfolgten, befand sich Ende der 1920er-Jahre ebenfalls in einer Krise, die, nicht zuletzt aufgrund defizitärer Bilanzen, zu einer Fusion der drei führenden Filmgesellschaften (Proletkino, Goskino, Leningradkino) zu einem einzigen Unternehmen, dem Sovkino, führte.202 In der Förderung des Kinos lag ein Schwer­punkt der Kulturpolitik Skrypnyks, was zwischen 1927 und 1929 den Bau der neuen Filmstudios in Kiew, den damals größten Europas, ebenso zur Folge hatte wie eine generelle Fokussierung auf ukrainische Themen.203 Die in Odessa an­sässige ukrainische Filmgesellschaft VUFKU (Vseukrajins’ke fotokinoupravlinnja) [AllUkra­inische Foto- und Kinoverwaltung] (1922–1930) produzierte in den späten

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Resonanzboden: Avantgarde und Antiavantgardismus in Deutschland“, in: Asholt/ Fähnders (Hrsg.) 2000: Der Blick vom Wolkenkratzer, S. 467–504, hier S. 484 f. Vgl. Fitzpatrick 1992: The Cultural Front. Power and Culture in Revolutionary Russia, S. 69. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 54 Vgl. Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag. Die Proletkul’t-Bewegung propagierte zwischen 1917 und 1925 die Etablierung einer Kultur für die proletarische Klasse und grenzte sich dezidiert von der „bourgeois“ be­ einflussten Kunst ab; Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 93. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 107. Vgl. z. B. Sulyma, M.: „Bilja džerel: Mychajl’ Semenko – redaktor VUFKU“, in: Kul’tura i žyttja, Nr. 51 (1987), Nedilja, 20 hrudnja 1987 roku, S. 4. Vgl. Istrati 1930: Drei Bücher über Sowjet-Rußland. Band II: So geht es nicht! Die Sowjets von heute, S. 64. Vgl. Borisenok 2006: Fenomen sovetskoj Ukrainizacii, S. 192.

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1920er-Jahren mehrere bedeutende sowjetische Filme. Einige der wichtigsten Filme der sow­jetischen, aber auch der internationalen Filmgeschichte entstanden also  – auch dies jedoch bis heute relativ unbemerkt – in der Ukraine. Als wichtigstes Werk ist ge­wiss Dziga Vertovs Film „Čelovek s kinoaparatom“ [Der Mann mit der Kamera] zu nennen, der 1929 in Kiew gedreht wurde. Mitte der 1920er-Jahre waren zudem mehrere ukra­inische Autoren und Künstler der Avantgarde für den Film resp. die VUFKU tätig.204 Der Regisseur Kurbas übersiedelte 1926 gemeinsam mit seinem Theater Berezil’ von Kiew in die sowjetukrainische Hauptstadt,205 sodass diese auch im Hinblick auf das Thea­ter zu einer echten Hauptstadt geriet. Dass dies zu einem Zeitpunkt erfolgte, als experimentelle Produktionen in der Sowjetunion weitgehend verfemt waren,206 scheint zusätzlich interessant. Auch in der Architektur vollzog sich Mitte der 1920er-Jahre ein wichtiger Bruch. Bis da­hin hatten die urbanen Räume in ehemaligen russischen Ge­bieten, also auch in Char­kiw, typischerweise zu den eher gering verdichteten Zonen gehört, in denen weder eine eindeutige Trennung von „Stadt“ und „Land“ stattgefunden hatte noch ein rechtlich autonomer Status herrschte, wie er in mitteleuropäischen Städten oft ge­geben war.207 Die Urbanisierung der Lebensräume, die in den Utopien und Ideen der Avant­garde vorweggenommen worden war, stellte nun ein wichtiges Ziel der Politik dar. Charkiw, erst kurze Zeit zuvor zur Hauptstadt aufgewertet, stellte quasi eine Versuchsstation für die Umsetzung einer neuen künstlichen Planstadt dar, in der der kollektivierte „Neue Mensch“ der klassenlosen Gesellschaft seinen neuen Wohnund Lebensraum finden sollte. In Charkiw erfolgte ab Mitte der 1920er-Jahre ein konstruierter Übergang von der Klein- zu einer administrativ bedeutenden Großstadt, der zugleich die Trans­formation von einer Peripherie zu einem Zentrum inkludierte. Die Umsetzung des groß angelegten Stadtplanungskonzeptes sollte Charkiw auch in archi­tektonischer Hinsicht zur Hauptstadt umfunktionieren.

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Johansen verfasste das Drehbuch für Oleksandr Dovženkos Film „Zvenyhora“ [Zveni­ gora. Der verzauberte Wald] (1928), Meller stattete Dovženkos Film „Arsenal“ [Arse­ nal] (1929) aus; zu Semenkos Tätigkeit für die VUFKU vgl. Sulyma 1987: „Bilja džerel: Mychajl’ Semenko – redaktor VUFKU“, S. 4; vgl. auch Kriger, Leo [Semenko, Iryna]: „Mychajlo Semenko (1892–1937)  – osnovopoložnyk ukrajins’koho futuryzmu“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 560–621, hier S. 617. Kurbas übersiedelte mit seinem Theater nach Charkiw, das dort den Status eines Na­ tionaltheaters erlangen sollte; vgl.  Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 124. Makaryk spricht von einem unausgesprochenen, jedoch evidenten Bann; vgl. Makaryk, Irena: Shakespeare in the Undiscovered Bourn: Les Kurbas, Ukrainian Modernism, and Early Soviet Cultural Politics. Toronto: University of Toronto Press 2004, S. 158. Zu diesem Merkmal der osteuropäischen resp. russischen Stadt vgl.  Hildermeier, Manfred: „Die russische Stadt  – Subtyp europäischer Entwicklungen?“, in: Lenger, Friedrich/Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahr­ neh­mung  – Entwicklung  – Erosion. (=  Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeits­ kreises für moderne Sozialgeschichte, Band 67), Köln et  al.: Böhlau 2006, S.  45–60, hier S. 45, 49.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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Charkiw – die „Erste Hauptstadt“ als Zentrum der Avantgarde

Obwohl Charkiw bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine der am schnellsten wachsen­ den Städte im damaligen Russland war, blieb sie vorerst lediglich eine Provinzstadt mit aus­schließlich regionaler Bedeutung.208 Mit der Ausrufung der Sowjetukraine wurde sie 1918 zur ersten ukrainischen Hauptstadt ernannt – eine Bezeichnung, die übrigens bis heute weiterlebt, sodass in der Ukraine für Charkiw nach wie das Synonym „Erste Haupt­stadt“ verwendet wird. Diese hatte allerdings – vor allem zu Beginn – weder in Bezug auf die Einwohnerzahl noch auf die Funktion als kulturelle „Mutterstadt“209 die Eigen­schaften einer Metropole.210 Der große Aufschwung kam erst einige Jahre nach der Ernennung zur Hauptstadt, im Zuge deren auch ein industrielles Zentrum ent­­stand. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Charkiw von einer abgelegenen Provinz­stadt in eine urban geprägte Großstadt. Als solche nahm auch Herwarth Walden die Stadt wahr: „Die Stadt Charkow arbeitet und lebt. Lebt im Tempo der Großstadt“211, ver­merkte er in einem Artikel, der 1930 in einer Sondernummer von „Der Sturm“ zur Sowjetunion erschien. Walden betonte die Rolle der Ukrainer bei der Erschaffung ihrer neuen Hauptstadt, die nunmehr auch in administrativer Hinsicht höheren Ansprüchen genügen müsse: Die Ukrainer der Sowjetrepublik schufen sich die neue Hauptstadt Charkow. Aus einer harmlosen, vernachlässigten Provinzstadt ohne Kanalisation entwickelte sich eine Großstadt. Eine Industriestadt.212

3.1 Heterogener Raum Die ukrainische Avantgarde entfaltete sich in den 1920er-Jahren in mehrerlei Hinsicht an einem Übergang: Einerseits war dies ein zeitlicher Übergang, an dem ein Umbruch sowohl auf sozialer, politischer als auch auf künstlerischer Ebene erfolgen sollte. Über­d ies repräsentierte Charkiw eine wichtige Schwelle zwischen Ost und West. Als

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Ein Bereich, der bereits früh landesweite Relevanz besaß, war jener der Universitäten und Hochschulen, wobei vor allem die Kunstschulen einen sehr guten Ruf genossen; zur Entwicklung der Charkiwer Universität vgl. Hausmann, Guido: „Lokale Öffentlichkeit und städtische Herrschaft im Zarenreich: Die ukrainische Stadt Charkiv“, in: Hofmann, Andreas/Wendland, Anna Veronika (Hrsg.): Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa 1900–1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest. (=  Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Band 14), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, S. 213–234, hier S. 222 ff. „Mutterstadt“ ist die deutsche Bezeichnung des ursprünglich griechischen Wortes Mètropolis. Hubert van den Berg hat sich auf statistischer Ebene mit der Spezifikation von Metro­ polen im Kontext der Avantgarden befasst. Eine Metropole lässt sich ihm zufolge zwar anhand der Größe festmachen, diese hat jedoch letztlich keine Auswirkung auf das Potential, ein Zentrum der Avantgarde zu werden; vgl. van den Berg 2011: „Provinzielle Zentren – metropolitane Peripherie“, S. 180. Walden, Herwarth: „Charkow“, in: Der Sturm. Sondernummer UdSSR, 20. JG, Nr. 5–6, (1930), S.  65–67, hier S.  66.  —  Trotz der Ukrainisierungspolitik verwendet Walden interessanterweise die russische Bezeichnung, die im Deutschen bis zum Zerfall der Sowjetunion die gängige Variante war. Ibd. S. 65.

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hetero­gener Raum, in dem verschiedene Kulturen aufeinandertrafen,213 die, gestärkt durch den politisch legitimierten Kulturalismus214 der Verwurzelungspolitik, zugleich gegen andere (z. B. russische) Gruppierungen polemisierten, bot sich in der Ukraine ein breites Feld für kulturelle Interferenzen. Daraus ergibt sich ein Widerspruch zwischen Konzept und Praxis, denn die Bildung von Oppositionen schließt den Raum zwischen den extremen Polen dieser Positionen eben nicht mit ein. Für die 1920erJahre lassen sich zahlreiche Kontakte konstatieren, die die künstlerischen Strömungen auf verschiedenen Ebenen mit den Zentren in Russland und Westeuropa verbanden. Die ukrainische Avantgarde, die sich selbst als Kunst einer Epoche des Übergangs definierte,215 entfaltete sich in einer Art Zwischenraum, in dem sich die Einflüsse aus verschiedenen Räumen überlagerten. Die Polemik, die sich im Rahmen der „Lite­ rarischen Diskussion“ rund um die kulturelle Ausrichtung – nämlich entweder nach West oder nach Ost – entfaltete, stellte die wohl radikalste Konsequenz aus der Lage im „Dazwischen“ dar. Zajac zieht einen Vergleich zwischen Interferenzen in der Kultur mit jenen in der Physik, da beide durch die „gegenseitige Überlagerung von zusammentreffenden Wellen“216 ge­prägt seien. Diese Überlagerung von Wellen, die, angereichert durch die besonderen kulturellen Voraus­setzungen, noch zusätzlich inter­poliert wurden, ließ in Charkiw in den späten 1920er-Jahren ein gänzlich neues und autonomes Phänomen entstehen. Hauptstadt an der Grenze Zur ersten ukrainischen Hauptstadt wurde nicht das historisch weit bedeutendere und zudem im Zentrum des Landes gelegene Kiew, sondern eine an einer räumlichen Peri­pherie gelegene Stadt ernannt. Ähnlich wie einstmals die zaristische russische Hauptstadt, die von Peter dem Großen mit der Gründung Sankt Petersburgs an eine politisch-administrative Grenze verlegt wurde, lag auch Charkiw an der Außengrenze der Republik. Bei Sankt Petersburg habe dies „die Verlegung der Grenze selbst in das ideologisch-politische Zentrum des Staates“217 beinhaltet, wie Lotman konstatiert. Ähnliches lässt sich aufgrund der geografischen Verortung auch für die damals neue ukra­inische Hauptstadt feststellen, da das kulturelle Zentrum ebenfalls an eine Grenze trans­feriert wurde. An einer Peripherie gelegene Orte bieten Lotman zufolge beson­ ders gute Voraussetzungen, zu Orten des kulturellen Austauschs zu werden. Die Lage an der Peripherie begünstigt nämlich die Überschreitung von Grenzen zwischen ver­ schiedenen Kulturräumen, sodass ein heterogen geprägter Raum entstehen kann.218 Lotman spricht von „kulturellen Schichten“, die aufeinandertreffen, sich überlagern 213 214 215

216 217 218

In Charkiw vor allem die ukrainische, die russische und die jüdische Kultur. Unter „Kulturalismus“ ist hier die Überbewertung der eigenen Kultur zu verstehen, die auch eine Homogenisierung von Kultur impliziert. Semenko betitelte bspw. seinen kurzen Programmtext des Panfuturismus, der Vor­ gängerströmung der Nova Generacija, als „Mystectvo perechodnoji doby“ [Kunst der Übergangsepoche]: Semenko 2010: „Pan-Futuryzm (Mystectvo perechodnoji doby)“.  —  Johansen publizierte 1922 den bereits erwähnten programmatischen Text „Konstruktyvyzm, jako mystectvo perechodovoji doby“. Zu dieser Begriffsdefinition vgl. Zajac 2009: „Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma“, S. 140. Zur Verlegung der Hauptstadt an die Grenze als Akt der Aufwertung der Grenze vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 189. Vgl. ibd. S. 182 f.

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und für die Entstehung unterschiedlicher Strömungen verantwortlich sein können.219 Durch die besondere Lage an einem Übergang in mehrfacher Hinsicht (politisch, kulturell, geografisch) wurde die Vielseitigkeit des kulturellen Klimas in der Ukraine zusätzlich verstärkt. An einer Schwelle ereignen sich Innovationsversuche, es kommt zu Veränderungen und in einigen Fällen auch zum Eintreten gänzlich neuer Situationen. Zajac verwendet für diese Art von Übergangssituationen den Be­ griff der Knoten­situation.220 In Charkiw lässt sich eine solche Knotensituation am Übergang von der Peripherie zu einem Zentrum verorten, der mit der Verlagerung der Hauptstadt ein­setzte und knapp ein Jahrzehnt andauerte. Mit Mykola Skrypnyk erfolgte am Ende des Jahrzehntes auch innerhalb der Kultur­ politik ein Richtungswechsel, der durch eine deutlich gemäßigtere Linie geprägt war. Die offizielle Doktrin lag nicht mehr wie in den Jahren zuvor in der polemischen Ab­ grenzung von Russland, sondern strebte eine freundschaftliche Interaktion an, was die Kooperation bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer reservierten Distanz er­ laubte.221 All dies bereitete einen fruchtbaren Boden für das weitere Gedeihen des Netz­werks der Avantgarde, sodass die Ukraine schließlich im Kontext des markanten Bruchs in der sowjetischen Kulturpolitik Ende der 1920er-Jahre für die nächsten drei Jahre zu einer der kulturellen Oasen der Sowjetunion geriet – wiewohl auch hier in Anbetracht der Um­stände nur von einer relativen künstlerischen Freiheit gesprochen werden kann. Auf die verstärkte Präsenz von Kunst und Kultur nahm auch Walden in seinem Artikel Bezug: Für jede Art von Ansprüchen ist hier gesorgt. Man geht in das Theater, in das Kino oder in das Konzert seines Klubs. Man treibt verschiedenen Sport zu Lande und zu Wasser. Man spielt Schach oder Billard. Man liest Zeitungen, Zeitschriften aus eigener Bibliothek. Man ißt, trinkt, plaudert, [sic] oder geht spazieren unter sagen­haft alten Bäumen und im Leninlicht, der Volksname [sic] für Elektrifizierung bis in das kleinste Dorf der Sowjet-Union.222

Dass Charkiw rasch eine politische und kulturelle Metropole wurde, spiegelt sich auch in den Werken zahlreicher Künstler wider.223 Die tradierte Unterscheidung zwischen Zen­trum und Peripherie wurde nicht mehr länger akzeptiert. Die Prämisse, die Ukra­ ine teile als untergeordneter, an einer Peripherie gelegener Akteur mit Russland einen gemein­samen, kulturell homogenen Raum, wurde negiert und die als stabil erschei­ nenden Beziehungen dadurch konterkariert.224 219 220 221 222 223

224

Dies im Konzept zur Semiosphäre; vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 169 f. Zajac 2009: „Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma“, S. 137. Ilnytzkyj spricht von einem gnadenlosen Kampf Skrypnyks gegen die antirussische Linie; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 106 f. Walden 1930: „Charkow“, S. 67. Hier sei exemplarisch auf das Deržprom-Gebäude verwiesen, das national und inter­ national in Kunst und Literatur reflektiert wurde und letztlich zu den wenigen Hervor­ bringungen der ukrainischen Avantgarde zählen sollte, die auch international regi­ striert wurden. Gumbrecht vermerkte zum Verhältnis von Zentrum und Peripherie in Bezug auf die Stabilität festgeschriebener Relationen: „Solange die Unterscheidung zwischen Zen­ trum und Peripherie auf beiden Seiten allgemein anerkannt ist, stellt sie auf der Land­ karte stabile Beziehungen geographischer Entfernung her und vermittelt den Menschen

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Der endgültige Schritt zur Etablierung einer echten Metropole, die auch nachhaltig als kulturelle „Mutterstadt“225 fungieren konnte, blieb in Charkiw allerdings aufgrund der politischen Veränderungen letztlich aus. Als 1934 eine Verlegung der Hauptstadt von der östlichen Landesgrenze ins Zentrum des Landes nach Kiew erfolgte, kam nur kurze Zeit nach dem Ende der Avantgarde auch der Prozess der Stadtentwicklung inmitten der Transformation zum Stillstand. 3.2 Zentrum künstlerischer Aktivitäten Als Hauptstadt der ukrainischen Sowjetrepublik wurde Charkiw nicht nur zum admi­ nistrativen Zentrum, sondern zugleich auch zum Sammelpunkt der ukrainischen und teilweise der russischen Avantgarde. Als äußerster Rand eines kulturellen Raums bergen Peripherien das Potential, ein „Ort des permanenten Dialogs“ zu werden.226 Das Aufeinander­treffen von abgewanderten Künstlern aus der Ukraine und aus Russ­ land mit einem interkulturell bereits stark aufgeladenen Kontinuum führte zu einer mehr­schichtigen und vor allem produktiven Situation der Interferenz. Zwar gab es in Charkiw bereits zu zaristischen Zeiten rege künstlerische Aktivi­ täten  – das Haus der Schwestern Sinjakova war ein Treffpunkt der russischen Avantgarde-Künstler Chlebnikov, Nikolaj Aseev, Boris Pasternak und Kamenskij227 –, die jedoch eher singuläre Erscheinungen dar­stellten. Der Hauptstadtstatus bewirkte schließlich eine neue Anziehungskraft, so­dass die Stadt wie ein Magnet zunächst ukra­inische und schließlich, bedingt durch die schwieriger werdende Situation in Moskau, teilweise auch russische Künstler anzog. Charkiw erlebte ab Mitte der 1920er-Jahre ebenso wie die ukrainische Kunst eine  – zu­mindest in den eigenen Reihen – viel diskutierte Blütezeit. 3.2.1 Künstlerkollektive Der Kollektivbegriff, der für die meisten Avantgarde-Vereinigungen sehr zentral war, findet sich sowohl im Proletkul’t als auch in den postrevolutionären Gesell­ schaftskon­zepten des Futurismus und der LEF, bei denen jeweils das Kollektiv positiv, das Indi­viduum dagegen negativ konnotiert war.228 Die „radikale Negation der Kategorie der individuellen Produktion“229, die Bürger als Spezifikum radikaler Avantgarde-Mani­festationen nennt, hatte in der Ukraine zwar auch ihre Gültigkeit, die Gründung vieler Gruppierungen war jedoch sehr eng an die Initiative einzelner Protagonisten ge­ koppelt, sodass die Idee des Kollektivs letztlich durch jene Einzelkünstler dekonstruiert wurde, die mit ihrer Dominanz und medialen Präsenz alle weiteren Akteure überstrahlten. Hier lässt sich gewiss eine Analogie zum russischen Futurismus feststellen, der in seiner Wahrnehmung im Wesentlichen von

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226 227 228 229

den als Prämisse für den Alltag dienenden Eindruck, daß sie in ihrer Welt einen homogenen Raum bewohnen.“ — Gumbrecht 2001: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, S. 383. Van den Berg merkt an, dass es sich bei jenen Metropolen, die auch ein Zentrum der Avantgarde wurden, um solche Städte gehandelt habe, die auch historisch gesehen als kulturelles Zentrum für einen größeren Kulturraum fungierten; vgl. van den Berg 2011: „Provinzielle Zentren – metropolitane Peripherie“, S. 180. Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 190. Vgl. Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag. Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 93. Bürger 1974: Theorie der Avantgarde, S. 70.

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Majakovskij dominiert wurde.230 Der Panfuturist Semenko und der Konstruktivist Poliščuk stellten gewissermaßen die ukrainischen Pen­dants zu Majakovskij dar. Wenngleich Semenko vor allem in der frühen Phase der Avantgarde noch als „ein­ samer Futurist“ (Belentschikow) agierte,231 wurde diese Einsamkeit nur kurze Zeit später durch umso intensivere Gruppenaktivitäten kompensiert, sodass es in vielleicht kei­ner anderen europäischen Avantgarde zu derart vielfältigen Gruppenbildungen kam wie in der Ukraine. Zeitweise existierten so viele Vereinigungen, dass der Über­ blick über die unterschiedlichen Strömungen, Konzepte und Protagonisten nur schwer zu wahren ist. Teilweise waren die einzelnen Künstler zudem – und dies zur selben Zeit  – Teil verschiedener Vereinigungen. Neue Gruppen wurden gegründet, alte auf­gelöst oder umbenannt, sodass sie schließlich mit denselben Akteuren unter einer neuen Be­zeich­nung wieder auftraten. Der Umbruch der zweiten kulturellen Revolution mani­festierte sich somit in der Ukraine in einer akkumulierten Gründung von Kunst- und Literaturvereinigungen, die mit ihren Aktivitäten ein zwar eigenes, zugleich jedoch dynamisches „Feld“ (Bourdieu) generierten.232 Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung der wichtigsten Vereinigungen gegeben, der primär auf jene Phä­nomene fokussiert, die für die Fragestellung relevant sind. Die Gründung der meisten futuristischen Vereinigungen, etwa der Kverofuturisten, der Panfuturisten sowie der Nova Generacija, ging auf Semenko zurück, der zu Beginn der 1920er-Jahre nach Charkiw übersiedelte und dort seine Aktivitäten als Motor des Futurismus fortsetzte. Bereits 1920 wurde auf seine Initiative hin in Charkiw die Udarna hrupa poetiv-futuristiv [Stoß-Gruppe der Poeten-Futuristen] (1920–1921) ge­gründet.233 Der Panfuturismus wurde 1922 und somit bereits nach der Über­siedlung Semenkos in Charkiw ausgerufen, sodass er eng mit der neuen ukrainischen Haupt­ stadt ver­bunden war. Alle futuristischen Gruppierungen Semenkos nach 1922 fühlten sich weiter­hin dem Panfuturismus verpflichtet. Zu diesen zählten die folgenden: Aspan­fut (Associacija panfuturystiv) [Vereinigung der Panfuturisten] (1921–1924), AsKK Komun­kul’t (Asocijacija komunistyčnoji kul’tury – komunkul’t) [Vereinigung der kommunistischen Kultur – Kultur der Kommune] (1924–1925) und Asocijacija robit­nykiv komunistyčnoji kul’tury [Vereinigung der Arbeiter der kommunistischen Kultur] (1924–1930), die schließlich 1927 in die Nova Generacija überging, selbst aber offenbar ebenfalls bestehen blieb.234 Die OSAU (Ob”jednannja sučasnych architektoriv Ukrajiny) [Vereinigung zeit­ ge­nössischer Architekten der Ukraine] (1928–1932) war eben­so eng mit der Nova Generacija assoziiert wie die Künstlervereinigung OSMU (Ob”jednannja sučasnych mytciv Ukrajiny) [Vereinigung moderner Künstler der Ukraine], die ab 1927 unter der Leitung des Künstlers Viktor Pal’mov agierte und bis 1932 existierte.

230 231 232 233 234

Majakovskij gilt gewiss als der berühmteste russische Futurist, der überdies von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende ein Teil der Strömung war. Vgl.  Belentschikow 1999: „Zu einigen Besonderheiten der ukrainischen literarischen Avantgarde“, S. 182. Zur Feldtheorie Bourdieus vgl. z. B. Joch/Wolf: „Feldtheorie als Provokation der Lite­ raturwissenschaft“, S. 1 ff. Vgl. Bila 2010: „Mychajl’ Semenko jak Kul’turtreger ukrajins’koho futuryzmu“, S. 11. Zu den Gruppenbildungen vgl.  Bila 2010: „Mychajl’ Semenko. Biohrafija“, S.  22; vgl. auch Kriger 2010: „Mychajlo Semenko (1892–1937) – osnovopoložnyk ukrajins’koho futuryzmu“, S. 593 ff.

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Die Aktivitäten der Gruppe Avanhard, die maßgeblich durch Poliščuk getragen wur­ den, spielten sich dagegen von Beginn an in Charkiw ab, wo auch die Publikationen der Grup­pierung erschienen. Als Gründungsjahr wurde 1925 angeführt.235 Die Grup­ pe, die eine konstruktivistische Ausrichtung vertrat, löste sich 1930 nach nur fünf Jahren wieder auf, wobei die letzten gemeinsamen Publikationen bereits 1929 ent­ standen. Avanhard schien in Bezug auf die Bezeichnung der eigenen Ausrichtung deutlich weniger sprung­haft zu sein als Semenko, da sich weder Umbenennungen noch Neubildungen ergaben. Neben den avantgardistischen Ausrichtungen Nova Generacija und Avanhard, der­en Arbeiten im Weiteren noch ausführlich behandelt werden, lassen sich auch jene rund um Mykola Chvyl’ovyjs VAPLITE (1925–1928) sowie die VUSPP (Vse­ ukra­jins’ka spilka proletars’kych pys’mennykiv) [All-Ukrainische Vereinigung pro­le­ tari­scher Schrift­steller] (1926–1932) als wichtige Charkiwer Kollektive der 1920erJahre nennen, aus denen verschiedene Vereinigungen hervorgingen, die an der kul­turellen De­batte partizi­pierten.236 Hryn bezeichnet die Aktivitäten der VAPLITE als „modernist commitment to high art“237, wobei ein wichtiges Ziel der Gruppe in der Etablierung einer modernen ukrainischen Literatur auf Basis der westeuropäischen Kultur lag. Bei der VAPLITE kann somit ein eindeutiger Fokus auf Westeuropa kon­ statiert werden, der durch eine programmatische Ablehnung Russlands ergänzt wurde. Nach ihrer Auflösung führten einige Mitglieder die Arbeit der VAPLITE in der Zeit­ schrift „Literaturnyj jarmarok“ weiter.238 Als proletarische Organisation wurde die VUSPP auch staatlich ge­fördert und ver­einte in sich verschiedene Gruppierungen, wo­bei sich ihr weder die Nova Generacija noch Avanhard anschlossen.239 Während sich die Künstler der verschiedenen Gruppierungen oft gegenseitig polemisch attackierten, gingen sie zugleich auch Kooperationen miteinander ein und arbeiteten an gemeinsamen Projekten. Auffallend oft kam es zur Verwendung von Pseudonymen. So­wohl Poliščuk als auch Semenko verwendeten mehrere Pseudonyme. Kost’ Burevij pub­lizierte in einem Akt der karnevalistischen Interaktion unter dem Pseudonym Edvard Stricha in der „Nova Generacija“,240 während er zugleich den Panfuturismus unter dem Pseudonym Varvara Žukova polemisch als faschistische Strömung diskreditierte.241 Die Künstler-Kollektive in der Ukraine verdeutlichen somit den starken Bruch zwischen den politischen Ausrichtungen, sodass eine prägnante Aufteilung in linke (z. B. Nova Generacija, Avanhard) sowie eher rechte (z. B. VAPLITE) Gruppen getroffen werden kann.

235 236 237 238 239 240

241

Vgl. z. B. [Red. AVH]: „Dovidka“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), U2 [Umschlagseite 2]. Zu den Mitgliedern der VAPLITE zählten u. a. Chvyl’ovyj, Johansen, Mykola Kuliš, Pavlo Tyčyna, Ivan Senčenko und Mykola Bažan. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 55. Ausführlich zu den Gruppierungen rund um Chvyl’ovyj vgl. z. B. ibd. S. 55 ff, 97 ff. Vgl.  z. B. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 15. Zu Burevijs subversiver Partizipation vgl. ibd. S. 154 f, 247 ff; vgl. auch Simonek 1998: „Avtoėkzekucija Ė. Strichi i ėkzekucija K. Burevija kak konec ukrainskogo ludizma“, S. 277 f. Vgl. Žukova, Varvara [Burevij, Kost’]: „Fašyzm i futuryzm“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 394–415. Das Original erschien 1930 in der Zeitschrift „Prolitfront“.

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3.2.2 Charkiw als Rückzugsort für Künstler aus anderen Zentren Während in der frühen Phase der Avantgarde viele ukrainische Künstler in die Zen­ tren Moskau und Leningrad übersiedelten, kehrten umgekehrt gegen Ende der Strö­ mung viele Künstler in die Ukraine zurück oder verlagerten  – manchmal nur tem­ po­rär  – ihren Lebens­mittelpunkt dorthin. Aus Russland kamen u. a. Malevič und Terent’ev Ende der 1920er-Jahre in die Ukraine, um dort am kulturellen Leben zu parti­zi­pieren242  – wobei Malevič in Kiew lebte und lehrte, in der Charkiwer „Nova Generacija“ jedoch als wich­tiger Beiträger partizipierte. Der russische Futurismus lebte in der Ukraine weiter, als er in Moskau und Leningrad künstlerisch an sein Ende gelangt war resp. von der Poli­tik als nun unliebsame Erscheinung ins Abseits gedrängt wurde – Maja­kovskij und die LEF sind Beispiele dafür. In den späten 1920er-Jahren geriet Charkiw zu einem Rückzugsort, an dem, wie Marzaduri vermerkte, „собрались остатки советской фу­т у­­ристической армии“ [sich die Überreste der sowjetischen Futuristen­armee sammelten].243 Die Einbeziehung von Konstruktivisten einerseits und Suprematisten anderer­seits, die in der Nova Generacija erfolgte, suggerierte ein gesamtheitlich stimmig scheinendes Bild einer avantgardistischen Harmonie, obwohl sich die verschiedenen Akteure zu­vor teil­weise jahrelang gegenseitig ange­ feindet hatten. Während nämlich die rus­sischen Kon­struktivisten, darunter mit Rodčenko, Gan und Osip Brik auch jene Künstler, die in der „Nova Generacija“ als Redaktionsmitglieder angeführt waren, jahrelang eine heftige Pole­mik gegen Malevič geführt hatten,244 nahmen sie nunmehr gemeinsam mit diesem an Semenkos Projekt teil.245 Die Ukraine als Zentrum der letzten Avantgarde an einer Peripherie vermochte es gegen Ende der Avantgarde somit, die miteinander ver­feindeten Strömungen des Suprematismus und des Konstruktivismus in einer Zeitschrift fried­fertig zu vereinen. In gewisser Weise verlagerte sich in den 1920er-Jahren auch das Zentrum der jüdischen Kunst nach Charkiw. Viele jüdische Bürger gelangten, oft auf der Flucht vor Pogromen, bereits während des Bürgerkriegs in die ostukrainische Stadt, in der die Zahl der jü­d ischen Einwohner zwischen 1923 und 1939 auf das Doppelte anstieg. Das jüdische Theater in Charkiw war bspw. für viele Avantgarde-Künstler ein wichtiger Sammel­punkt. Ende der 1920er-Jahre kam es jedoch erneut zur Verfolgung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung.246 242 243 244

245 246

Beide publizierten in der „Nova Generacija“ mehrere Beiträge. Marzaduri, Marzio: „Igor’ Terent’ev  – teatral’nyj režisser“, in: Marzaduri/Nikol’skaja (Hrsg.) 1988: Sobranie sočinenij, S. 37–80, hier S. 67. Hansen-Löve spricht von einem „durchaus aggressiv und nicht immer fair geführten“ Kampf zwischen der Gruppierung rund um Tatlin sowie den Suprematisten rund um Malevič; vgl. Hansen-Löve 2004: „Die Kunst ist nicht gestürzt. Das suprematistische Jahrzehnt“, S. 431. — Auf diese Konkurrenz verweist auch Grübel; vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 33. — Malevič wurde von der LEF sowie von Mitgliedern des VChUTEMAS mehrfach harsch kritisiert, wie aus einem in der „Nova Generacija“ ab­gedruckten Leserbrief des jungen VChUTEMAS-Studenten Izrail’ Vercman hervor­ geht, der sich sehr abfällig über Malevičs Beitrag „Maljarstvo Picasso“ [Das Gemälde bei Picassos] äußerte; vgl. Vercman, Izrail’: „Lystuvannja z redakcijeju: Libo ,N.G.‘ – ukrainskij ,LEF‘. Libo ne ,LEF‘. No čto togda?“ (Leserbrief ), in: Nova Generacija, Nr. 7 (1928), S. 62 (russisch). Diese Beteiligung war jedoch nur symbolischer Natur, sodass es nur in Ausnahmefällen tatsächlich zu einer Zusammenarbeit kam. Vgl. Freeze, ChaeRan: „Khar’kiv“, in: YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe: http:// www.yivoencyclopedia.org/article.aspx/Kharkiv (zuletzt abgerufen am 26.3.2017).

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3.3 Publikations- und Zeitschriftenwesen In einer Rezension zur tschechoslowakischen Anthologie „fronta“247 berichtete die niederländische Zeitschrift „Internationale Revue i 10“248 davon, dass die „tschechen […] heute mit ausserordentlicher lebendigkeit beim propagieren und schaffen moderner ideen [sind]. in keinem lande gibt es soviele moderne zeitschriften wie dort: stavba, disk, horizont, pasmo, stavitel.249

Wenngleich die tschechische Avantgarde im Hinblick auf die Zeitschriftenproduktion gewiss äußerst vielseitig und produktiv war, so lässt sich in Bezug auf die Heterogenität und Vielfalt der Zeitschriften doch konstatieren, dass diese von den Aktivi­täten in der Ukra­ine noch übertroffen wurden. Im Folgenden wird ein Über­blick über die Beson­ der­heiten der ukrainischen Zeitschriftenproduktion geboten, der insbeson­­dere die Avant­garde-Medien fokussiert. Während der tschechische Beitrag zur euro­­päischen Mo­derne sowohl aus synchroner als auch aus diachroner Perspektive inter­­national rezi­piert wurde, blieben die ukrainischen Hervorbringungen weitgehend un­bemerkt. Hinweise auf die Vielzahl der ukrainischen Periodika lassen sich lediglich bei Istrati finden, der zwar ob der großen Zahl erstaunt war, zugleich aber kri­tische Worte dafür fand, dass offenbar jeder Arbeiter zu einem Dichter ge­macht werden sollte: Man hat mir voller Stolz siebenundzwanzig Revuen in der Nationalsprache vorgelegt, die zwischen Kiew und Charkow erscheinen. Drei Viertel davon sind zu viel, sind von Übel und erdrücken den Arbeiter, der nicht selbst ein Federfuchser geworden ist.250

Tatsächlich existierten zu dieser Zeit nicht lediglich 27, sondern gar 58 auf Ukrainisch und somit „in Nationalsprache“ publizierte Periodika, von denen freilich nicht alle in einer avantgardistischen Tradition zu verorten sind. Die meisten waren proletarisch ausgerichtet251 und sind somit der von Istrati kritisierten „Arbeiterdichtung“ zuzu­ ordnen. Andere stellten dagegen einschlägige Fachzeitschriften dar, die der Technik, der Li­te­ratur oder der Gesellschaft gewidmet waren.252 Semenko, der offenbar ein guter 247

248 249

250 251 252

Die Anthologie erschien 1927 in Brünn: Halas, František/Prusa, Vladimír/Rossmann, Zdeněk/Václavek, Bedřich (Hrsg.): Fronta: mezinárodní sborník soudobé aktivity, Brno: Verlag Brünn 1927. Die Revue wurde zwischen 1927 und 1929 von Arthur Lehning in Amsterdam heraus­ gegeben. [Red. i 10]: „fronta. herausgegeben von fr. halas, vl. prusa, zd. rossmann, b. václavek“, in: i 10, Internationale Revue i 10, 1927–1929, Nachdruck. 1978. Nendeln: Kraus Reprint 1979, S. 257. Istrati, Panaït: Drei Bücher über Sowjet-Rußland. Band I: Auf falscher Bahn. 16 Monate in Rußland. Aus dem Französischen von Karl Stransky. München: Piper 1930, S. 132. Vgl. Borisenok 2006: Fenomen sovetskoj Ukrainizacii, S. 111. Vgl. ibd. — Die zunehmende Zahl an ukrainischen Zeitschriften wurde übrigens auch in Russland registriert. Ingulow betonte in einem 1928 erschienenen Beitrag über die Presse in Sowjetrussland, dass in den nunmehr ukrainischen Gebieten vor der Re­ vo­lution lediglich 15 Periodika in Nationalsprache existiert hätten, von denen die meisten in einem religiösen Kontext an­gesiedelt gewesen seien, 1927 habe es dage­gen bereits 55 ukrainisch­sprachige Zei­tungen gegeben  – wobei hier Zeitschriften noch gar nicht mitberücksichtigt waren; vgl.  Ingulow 1928: Die Presse in Sowjetruss­land, S. 13.

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Or­ga­ni­­sator und Netzwerker war, agierte als Initiator resp. Herausgeber zahlreicher Avantgarde-Zeitschriften. Seine in Kiew gegründete Zeitschrift „Mystectvo“ [Kunst] (1919–1920) gilt als erste Avantgarde-Zeitschrift der Sowjetukraine,253 zugleich war sie die erste ukrainische Literaturzeitschrift, die offen ihre Sympathie für den Bolsche­ wis­mus bekannte.254 Obwohl auf „Mystectvo“ noch viele weitere Periodika fol­gen sol­lten, ist die „Nova Generacija“ gewiss als vielfältigstes und wichtigstes Projekt der ukra­inischen Avantgarde anzusehen. Dass sich die sowjetische Avantgarde dermaßen stark des Mediums der Zeitschrift be­d iente, lässt sich als Beleg für die Symbiose von Kunst und System verstehen, da der Presse in der Sowjetunion wichtige sozialpolitische Funktionen zugestanden wur­ den. Das Zusammenspiel von avantgardistischer Publizistik und politischer Ideolo­ gie zeigte im Zuge der Revolution die größten Auswirkungen, als Medien wie die ROSTA-Fenster255 die neuen politischen Ideen auch in entlegenen Gebiete verkün­ den sollten. Der mediale Umbruch lässt sich auch am Wechsel der Gattungen ver­ folgen. Die Zu­nahme von Zeitschriften als bevorzugte Medien der künstlerischen Kommu­nikation kor­relierte mit dem steigenden Interesse an hybriden Text­­sorten, die zwischen Literatur und Gebrauchstext angesiedelt waren oder unterschied­liche Texte vereinten. Zu diesen lassen sich gewissermaßen auch die polemischen Texte und Proklamationen zählen, die eine stark appellative Funktion hatten. Der Grund für die Zunahme ist auch in Faktoren zu suchen, die außer­halb künst­ lerischer Interventionsmöglichkeiten lagen. Einerseits konnten durch neue tech­ nische Verfahren wie dem Rollenoffsetdruck große Auflagenhöhen kosten­günstig und effizient produziert werden. Andererseits wurde auch die potentielle Leser­­schaft der Zeitschriften, die sich kurz zuvor noch auf die gebildeten Eliten be­schränkt hatte, durch die Alphabetisierungskampagnen erweitert,256 sodass auch die Nach­frage stieg. Die sowjetische Presse sei, so die Ausführungen von Ingulow, „zu einem bieg­samen Werkzeug in der Hand des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Um­baus des Landes“ geworden.257 Ihre Charakteristika würden darin liegen, dass sie auf alle Gebiete des Aufbaus einwirkt und zwar gleichzeitig als Apparat der poli­ tischen Beeinflussung (Agitator), als Mittel der politischen Erziehung (Propa­gandist), als Akkumulator der öffentlichen Energie (Organisator), als Kulturträger und als Organ der öffentlichen Kontrolle der werktätigen Massen […].258

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Vgl. Weststeijn 2009: „Ukraine“ (Lexikoneintrag), S. 341. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 44. Die sogenannten ROSTA-Fenster waren Propagandaplakate, die während des Bürger­ kriegs von der staatlichen Telegrafenagentur ROSTA in Auftrag gegeben wurden und an deren Gestaltung wichtige Künstler der Avantgarde beteiligt waren. In Russland etwa Majakvoskij und Rodčenko; in Charkiw, wo die Agentur PivdenROSTA [SüdROSTA] resp. UkrROSTA hieß, war Jermilov maßgeblich beteiligt; vgl. z. B. Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 124–126. Wiewohl es in den Jahren unmittelbar nach dem Bürgerkrieg noch zu einer Ver­min­ derung gekommen war, da die kostenlose Verteilung von Zeitschriften ab 1922 wieder eingestellt wurde; vgl. Ingulow 1928: Die Presse in Sowjetrussland, S. 5. Ibd. S. 15. Ibd.

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Dass Ingulow dies in der offiziellen Publikation zur „Pressa“ in Köln offen zugab, be­ legt die Selbstverständlichkeit, mit der die Agitation in der Sowjetunion betrieben wurde. 3.3.1 Ein Zentrum der Avantgarde-Publikationen Als neue Hauptstadt wurde Charkiw auch zu einem Zentrum des ukrainischen Publi­ ka­tions- und Zeitschriftenwesens. Die liberale Phase der NĖP bot in der gesamten Sow­jet­­union optimale Voraussetzungen für die Zeitschriftenproduktion,259 die in der Ukraine durch die massive Förderung ukrainischsprachiger Druckerzeug­nisse im Kontext der Verwurzelungspolitik zusätzlich begünstigt wurde. Der Staats­­verlag der Ukra­ine (Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny) nahm innerhalb der Ver­breitung ukra­ inischer Druck­erzeugnisse eine wichtige Rolle ein, seine Bedeutung für die kulturelle Revolu­tion wird von Mudrak gar als herausragend bezeichnet.260 Da das staatliche Mono­pol im Verlagswesen wieder außer Kraft gesetzt wurde, konnten sich auch private Ver­lags­häuser etablieren.261 Unter dieser Prämisse erlebten die Avant­gardeZeit­schriften in der Ukraine gegen Ende der 1920er-Jahre eine kurze, aber intensive Blüte. Neben Charkiw kon­nte auch Kiew die zentrale Rolle beibehalten, die es zuvor in der Zeitschriften­produktion eingenommen hatte.262 Dies manifestierte sich z. B. darin, dass die meisten Publikationen des Panfuturismus bis 1927 weiterhin in Kiew erschienen. Obwohl Semenko bereits zu Beginn der 1920er-Jahre nach Charkiw über­siedelt war, er­folgte eine endgültige Verlagerung seiner publizistischen Aktivitäten erst 1927. Zu den Kiewer Publikationen zählten etwa „Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv“ (1922) der Gruppe Aspanfut, „Katafalk iskusstva. Ežednevnyj žurnal pan-futurystiv-destruktorov“ (1922), „Žovtnevyj zbirnik panfuturystiv“ [OktoberAnthologie der Panfuturisten] (Kyjiv), „Honh Komunkul’t“ [Gong Komunkul’t] (1924), „Bumeranh. Neperiodyčnyj žurnal pamfletiv“ [Bumerang. Nicht-periodische Zeitschrift mit Pamph­leten] (1927), „Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och“ [Treffen an der Kreuzungs­station. Dreiergespräch] (1927). Eine Ausnahme stellte lediglich die Antho­logie „Hol’fštrom“263 [Golfstrom] dar, die 1925 im DVU-Verlag in Charkiw er­schien, wobei auch hier Semenko als Herausgeber agierte. „Hol’fštrom“ war zwar als perio­d isches Organ der AsKK Komun­kul’t konzipiert, erschien jedoch nur ein einziges Mal. Das Heft „Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och“264, das 1927 in Kiew publi­ziert wurde, stellte ein gruppenübergreifendes Projekt dar,

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Vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 19 ff. Vgl. Mudrak 1986: The New Generation and artistic modernism in the Ukraine, S. 189. Vgl. ibd. Makaryk verweist allerdings darauf, dass auch diesem Avantgarde-Zentrum die An­er­ ken­nung als solches bislang versagt blieb: „Kyjv was one of the great centres of artis­ tic expression and experimentation in the early twentieth century. Moscow and St Pe­tersburg have long been recognized as such centres; Kyiv has yet to be awarded its right­ful place“: Makaryk, Irena R.: „Modernism in Kyiv: Jubilant Experimentation“, in: Makaryk/Tkacz (Hrsg.) 2010: Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/Kiev, S. 16–24, hier S. 16. Semenko, Mychajl’ (Hrsg.): Hol’fštrom. Charkiv: DVU 1925. Bažan, Mykola/Semenko, Michajl’/Škurupij, Geo: Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmo­ va tr’och. Kyjiv: Bumeranh 1927.

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an dem neben Semenko auch Mykola Bažan265 und Škurupij beteiligt waren. Tatlin zeichnete für die Ge­staltung des Um­­s­chlags verantwortlich. Während in Moskau die „LEF“ resp. später die „Novyj LEF“ als zentrale Organe der linken Gruppierungen weitgehend monopolistisch agierten,266 war die Medienvielfalt in der Ukraine in den 1920er-Jahren deutlich größer und blieb zudem länger bestehen. Die geringere Zentralisierung begünstigte das Entstehen einer Vielfalt an Grup­pier­un­ gen zusätzlich. Die meisten publizierten auch ihre eigenen Zeitschriften resp. Antho­­ logien. Ilnytzkyj konstatiert für die Jahre 1926 bis 1928 „an unusual burgeoning of literary organizations and journals“.267 Der Umstand, dass den Gruppierungen auch offiziell das Recht zugestanden wurde, ihr eigenes Medium zu unterhalten, hatte eben­ falls positive Auswirkungen auf die akkumulierten Publi­kationsaktivitäten in der Ukra­ine.268 Dass Semenkos „Nova Generacija“ schließlich bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1930 im Charkiwer Staatsverlag erschien, zeigt, dass es sich bei der letzten Zeit­ schrift der Panfuturisten tatsächlich um ein offiziell toleriertes Medium handelte. Die Publi­kationen von Avanhard wurden dagegen im Verlag „Char­kivs’ka škola drukar­ s’koho dila“ herausgegeben, der an eine Bildungsinstitution ange­bunden war. Nicht immer waren die Zeitschriftenprojekte langlebig. Von manchen erschien, ob­­wohl perio­disch konzipiert, nur eine Nummer, sodass aus den ursprünglich als Pe­ rio­­dika geplanten Publikationen nachträglich ein Almanach wurde.269 Die frü­hen Zeitschriften des Panfuturismus waren zwar ebenfalls längerfristig konzipiert, oft konnte jedoch nur eine einzige Ausgabe erscheinen, weshalb sie nicht wirklich als Perio­dika zu bezeichnen sind. Überdies blieben zahlreiche Projekte unrealisiert, so­ dass oft­­mals Ankündigungen für Zeitschriften, Anthologien und Bücher publiziert wurden, die letzt­lich nie das Licht der Öffentlichkeit erblickten. So wurde bspw. die Heraus­­gabe der wöchentlich er­scheinenden Zeitschrift „Smoloskyp“ geplant, die von Semen­ ko mit dem Untertitel „Tyžnevyk Panfuturystiv Konstruktoriv“ [Wochen­ zeitschrift der pan­ futu­­ ristischen Kon­ strukteure] publiziert werde sollte.270 Echte Stabilität trat erst mit der Nova Generacija ein, deren Zeitschrift nicht nur das viel­­ seitigste (interdisziplinärste), sondern auch langlebigste Projekt der Panfuturisten wurde. 1930 wurde überdies mit dem „Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv No­ voji Generaciji“ [Avangard. Almanach der proletarischen Künstler der Neuen Gene­ ration] ein von Škurupij herausgegebener Ableger in Kiew initiiert, von dem je­doch nur zwei Aus­­gaben erschienen. Neben den Publikationen der Avantgarde im engeren Sinn wur­den in Charkiw auch die meisten Zeitschriften anderer Ausrichtungen ediert. Hier sei auf die große Zahl und Vielfalt an jiddischen Periodika und Publikationen verwiesen, die Ende der 265

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Bažan, ein wichtiger ukrainischer Autor der 1920er-Jahre, publi­zierte auch eini­ge Texte in der „Nova Generacija“. Hryhorij Verves zählt ihn auch zur ukra­inischen Avant­garde; vgl. Verves, Hryhorij: Ukrajinci na randevu z Jevropoju. Kyjiv NANU 1996, S. 96. Zum Totalitarismus der LEF vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, z. B. S. 8 f. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 107. Vgl. ibd. Bei Semenko und dessen Panfuturismus war dies besonders oft der Fall, so erschien von „Katafalk iskusstva“ nur eine einzige Ausgabe: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922). Das geplante Erscheinen wird in „Katafalk iskusstva“ angekündigt; vgl. [O. V.]: „Smolo­ skyp“ (Anzeige), in: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922), S. 4. — Mir ist leider nicht bekannt, ob dieses Projekt tatsächlich realisiert wurde.

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1920er-Jahre in Charkiw herausgegeben wurden.271 Dass die ukrainische Hauptstadt nach der Auflösung der Kul’tur-Lige in Kiew auch ein wichtiges Zentrum der jüdischen Kunst und Literatur darstellte, wurde zuvor bereits erwähnt. Aufgrund ihrer Vielfalt und Zahl nahmen die ukrainischen Avantgarde-Zeit­ schriften in der Sowjet­union gewiss eine Sonderstellung ein, die sie mit ähnlichen Ten­ denzen in West­europa vergleichbar machen.272 Dass die Herausgabe von Kunst- und Literaturzeit­schriften in der Ukraine derart populär wurde, kann im Kontext der Ent­ wicklungen der ge­samt­europäischen Avantgarde betrachtet werden. Ähnlich wie in der Sowjetunion kam es bspw. auch in Deutschland in der Zeitschriftenproduktion zu einem Höhepunkt, wo sie erstmals seit dem kriegsbedingten Niedergang das Niveau von 1914 erreichte.273 3.4 Konstruktivistische Architektur In der Architektur kam es ebenfalls erst verzögert zu einer Blüte, da sich der Kon­ struktivismus  – nicht zuletzt in Charkiw  – erst deutlich später als in Mos­kau und Leningrad etablierte, aufgrund seiner räumlichen Konzentration und Dicht­heit je­doch weit prägnantere Spuren hinterließ. In Charkiw barg der Status als neue Haupt­stadt, der mit einem umfangreichen Konzept zur Neuplanung der Stadt einherging, Mö­ glich­kei­ten und Potentiale für die Verwirklichung progressiver Visio­nen und Utopien, galt es doch, eine ehemalige Provinzstadt innerhalb kurzer Zeit mit den für eine Hauptstadt not­­wendigen administrativen und kulturellen Gebäuden auszustatten. Mit der Um­setz­ung des städtebaulichen Konzeptes, das allerdings noch nicht die gesam­te Stadt um­­fasste, wurde 1925 begonnen, wobei in mehreren Etappen ver­ schiedene Ge­bäude ent­stan­den.274 An der Planung resp. an den Wettbewerben zur Planung der neuen Stadt nahmen in der Folge sowohl russische als auch inter­nationale Archi­­tekten teil. Anders als in Moskau, wo die „Spuren“ der konstruk­tivistischen Stadt, so Karl Schlögel, „topo­graphisch gesprochen an den Rändern des heutigen Zen­ trums“, also in alten Vierteln mit Arbeiterbezirken und Fabriksansied­lungen zu finden seien,275 konzen­­trieren sich diese in Char­kiw, wiewohl an den Rän­dern eben­falls präsent, auch heute noch auf das un­mittel­bare Zentrum der Stadt. Die groß ange­legte Planung der „Ersten Hauptstadt“ war von Beginn an darauf aus­ge­richtet, bestehende Größen und Höhenrekorde zu brechen, die die Relevanz des neuen admini­strativen Zentrums unter­streichen sollten. Der 1931 fertiggestellte Dzeržyns’kyj-Platz (Plošča 271 272 273

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Leib Kvitko, ehemals Mitglied der Kul’tur-Lige, war in dieser Hinsicht besonders aktiv, er publizierte in Charkiw eine große Zahl an Büchern und Periodika. Hier sei nochmals auf die Vielfalt der tschechoslowakischen Zeitschriften verwiesen, wobei die Gruppe Devětsil für einen Teil davon verantwortlich war. Marten-Finnis, Susanne/Nagel, Michael: „Zur Einführung“, in: Marten-Finnis, Susan­ ne/Nagel, Michael (Hrsg.): Die Pressa, Internationale Presseausstellung Köln 1928, und der jüdische Beitrag zum modernen Journalismus. Band  1. (=  Presse und Geschichte  – Neue Beiträge, Band 64), Bremen: edition lumière 2012, S. 33–54, hier S. 38.  Davidič weist darauf hin, dass ein Konzept für die gesamte Stadt letztlich erst 1936 ent­ stehen sollte, weshalb sich die in den 1920er-Jahren konzipierte Planstadt aus unter­ schied­l ichen Fragmenten zusammensetzte, insgesamt jedoch noch kein Gesamt­­konzept ent­­hielt; vgl. Davidič, T.: Stili v architekture Char’kova. Char’kov: Litera Nova 2013, S. 85 (russisch). Vgl. Schlögel, Karl: Moskau lesen. Verwandlung einer Metropole. München: Hanser 2011, S. 76.

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Abb. 16a: Dzeržyns’kyj-Platz, Projektskizzen des Architekten Samujil Kravec’, in: Nova Generacija, Nr. 12 (1929), Abb.-Seite 9.

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Abb. 16b: Dzeržyns’kyj-Platz, Projektskizzen des Architekten F. Kondrašenko, in: Nova Generacija, Nr. 12 (1929), Abb.-Seite 11.

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Dzeržyns’koho)276, für den zahlreiche Projektskizzen angefertigt wurden (vgl. z. B. Abb.  16a–b), zählt mit seiner Größe von mehr als elf Hektar nach wie vor zu den größten Plätzen Europas und wird von einem Ensem­ble von konstruktivistischen Ge­ bäuden ge­säumt, die alle als Teil dieser Planstadt entstanden. Öffentliche Plätze wie dieser sind wohl das am häufig­sten im Kontext von Stadtplanungen anzutreffende städtische Element, das zu­­dem oft als Forum für öffentliche Diskussionen dient.277 Die „Gesamtstadt“ als Form der staatlichen Repräsentation, wie sie auch in Charkiw konzipiert wurde, stellte so­wohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg ein beliebtes Konzept für europäische und inter­nationale Städte dar. Wettbewerbe für die Gesamt­planungen von Städten, insbe­sondere von Hauptstädten, die im Hinblick auf den meist bereits vorhandenen Be­stand freilich vorrangig als Erweiterungen konzipiert wur­den, gab es für Wien (1894) ebenso wie für Chicago (1909), Berlin (1910) und Paris (1919). Das Zentrum einer solchen Gesamt­stadt, das zugleich der Zurschaustellung von Macht dienen sollte, bildeten ge­mein­­hin die Verwaltungsgebäude.278 Wolfgang Sonne be­tont die Relevanz, die Architektur als wich­­tiges Ausdrucksmittel und somit als Kom­munikationsmedium der Repräsentation ein­nehmen kann.279 Ein Vorzeigeprojekt des Charkiwer Konstruktivismus, das zur Zeit seiner Ent­ste­ hung viel­fach in den Medien, der Literatur, in der Fotografie sowie im Film thema­ tisiert wurde, stellte das Deržprom-Gebäude (Abb.  17–20) dar, für dessen Planung die Char­kiwer Ar­chi­tekten Serhij Serafimov, Mark Fel’ger und Samujil Kravec’ ver­ antwortlich zeich­neten. Das Deržprom zählte zu den ersten in der Ukraine realisier­ ten Großprojek­ten, die auch international registriert wurden und die Ukraine auf der konstruktivistisch-archi­tektonischen Land­karte Europas in Erscheinung treten ließen. Überdies gilt der zwischen 1926 und 1928 fertig­­gestellte Bau als erster sowje­ tischer „Wolkenkratzer“, der eine Höhe von drei­­zehn Etagen erreichte. Flächen­mäßig umfasste das Derž­prom knapp 60 000 Quadratmeter und stellte damit welt­weit eines der flächenmäßig größten Gebäude dar. Es sollte einen gänzlich neuen Gebäude­typus repräsentieren, in dem alle staat­­l ichen Konzerne und die Verwaltungen von Industrie­ betrieben angesiedelt wurden.280 Die Abbildungen des Ge­bäudes (erneut Abb. 17–20) zählten gemeinsam mit dem Dniprostroj, dem Staudamm­projekt am Dnipro, zu den am meisten im Ausland verbreiteten Motiven aus der sowjetischen Ukraine. Wie gigantisch das Deržprom-Gebäude für damalige Verhältnisse war, verdeut­ lichen auch die Reiseeindrücke, die der Franzose Henri Barbusse 1930 in „Russie“ festhielt. Der Titel setzt das Gebäude mit einem monumentalen Gebirge gleich („La Maison Montagne“): „Au milieu d’une place démesurée, on l’apercevait comme une chaîne de montagnes couvertes d’échafaudages.“281 Angesichts der Größe des monströsen, zyklo­pischen Skelettes würde die Fotografie an die Grenzen ihrer Mö­ glichkeiten stoßen, denn durch die perspektivische Verzerrung könne keine Abbil­ 276 277

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Seit 1998 heißt der Platz Majdan Svobody [Platz der Freiheit]. Vgl.  Sonne, Wolfgang: „Die Hauptstadt als Bild des Staates. Planungen des frühen 20. Jahr­­hunderts im internationalen Vergleich“, in: Bartetzky, Arnold/Dmitrieva, Mari­ na/Troebst, Stefan (Hrsg.): Neue Staaten – neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbst­ darstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918. (=  Visuelle Geschichts­ kultur, Band 1), Köln et al.: Böhlau 2005, S. 13–31, hier S. 16. Zum Konzept der „Gesamtstadt“ vgl. ibd. S. 14 f. Vgl. ibd. S. 22. Vgl. Davidič 2013: Stili v architekture Char’kova, S. 87. Barbusse, Henri: Russie. Paris: Ernest Flammarion 1930, S. 67.

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dung des Gebäudes dem Anspruch an den künstlerischen Realismus gerecht werden, weshalb das Gebäude nur in Teilen erfolgreich fotografiert werden könne.282 Der Dzeržyns’kyj-Platz wurde überdies von weiteren konstruktivistischen Ge­ bäuden gesäumt, zu denen das Haus der Projekte (Dom Proektiv, 1930–1933)283 eben­ so zählte wie das Hotel International (1932–1936) und das Gebäude des CK KPU (Central’nyj komitet komunistyčnoji partiji Ukrajiny) [Zentralkomitee der kom­ munistischen Partei der Ukraine], das zwischen 1930 und 1932 entstand284. Überdies wurden in der Stadt zahlreiche konstruktivistische Wohngebäude errichtet.285 Davidič betont das gleichzeitige Vorhandensein von Merkmalen sowohl eines Proto­konstruktivismus286 als auch des Konstruktivismus bei vielen ukrainischen Ge­­bäuden, die in den späten 1920er-Jahren entstanden. Ausgehend von den neuen gesellschaft­lichen und sozialen Bedürfnissen, die neue Gebäudetypen wie Arbeiter­ klubs, Mehr­zweckhallen und Theater für das Massenpublikum erforderlich machten, wurden im Bereich von Kultur, Unterhaltung und Freizeit zahlreiche neue Baupro­jekte in Angriff genommen, deren Planung in nationalen resp. internationalen Pla­nungs­ wettbewerben ausgeschrieben wurde. Ein wichtiges Beispiel dafür stellt das Staats­ theater dar, dessen Planung zu Beginn der 1930er-Jahre international ausgeschrieben wurde.

Abb. 17: „Neubau des Industrie- und Handelsgebäudes/Charkow“, in: Wasmuths Monatshefte, Nr. 3 (1929), S. 112.

Neben dem Bau von administrativen Gebäuden wurde in der Sowjetunion im Rahmen der forcierten Industrialisierung ab 1926 auch mit der verstärkten Modernisierung von Betrieben und Fabriken begonnen, zu denen bspw. die zwischen 1930 und 1931 erbaute Charkiwer Traktorenfabrik ChTZ (Charkivs’kyj traktornyj zavod) zählte.

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Vgl. Barbusse 1930: Russie, S. 67. Wie beim Deržprom war auch hier der Architekt Serafimov an der Planung des Gebäudes beteiligt, in dem später die Charkiwer Nationale Universität untergebracht wurde; vgl. Davidič 2013: Stili v architekture Char’kova, S. 89 f. Sowohl Jakov Štejnberg, der Architekt des „ZK KPbU“, als auch der für die Planung des „Hotel International“ verantwortliche Hryhorij Janovyc’kyj waren als Beiträger an der „Nova Generacija“ beteiligt. Zu den Gebäuden rund um den Dzeržyns’kyj-Platz und zu weiteren konstruktivistischen Bauten in Charkiw vgl. Davidič 2013: Stili v architekture Char’kova, S. 88–91. Gemeint sind damit Gebäude, die neben konstruktivistischen auch noch modernistische Elementen enthalten und somit gewissermaßen einen Übergang zwischen beiden Stilen markieren; vgl. ibd. S. 83.

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Abb. 18: Deržprom-Gebäude in Charkiw (1929).

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Abb. 19: Deržprom-Gebäude in Charkiw (1929).

Abb. 20: Deržprom-Gebäude in Charkiw (1929).

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Das Projekt, das dem Konzept der „Sozialistischen Stadt“ (Sozgorod)287 folgte, sah die Schaffung von Wohnraum für 113 000 Personen sowie die Errichtung zahlreicher kommunaler Ein­richtungen vor und wurde Davidič zufolge auch international regis­ triert.288 Mit der Traktorenfabrik wurde ein neues Stadtgebiet erschlossen, das zugleich in die Stadt inte­griert wurde. Die sowjetische Industrialisierung, in deren Rahmen auch der Bau der ChTZ erfolgte, sollte primär in urbanen Räumen stattfinden und sich idealerweise in einer neuen anstatt der alten Stadt abspielen.289 1931 schreibt M. Ilyin in „Wasmuths Monatshefte“ davon, dass „im Augenblick […] in Rußland allein 38 neue Städte“ ent­stehen würden.290 Die Ausrufung des Ersten Fünfjahresplans sollte in der Sowjetunion insgesamt die Planung von nicht weniger als 200 neuen Städten beinhalten.291 Wie Charkiw in der Ukraine stieg übrigens auch Moskau – wenngleich nicht zum ersten Mal  – in der neu geschaffenen Sowjetunion zur Hauptstadt auf. Während die dortigen konstruktivistischen Gebäude jedoch heute oft gar nicht mehr erhalten sind, blieb das konstruktivistische Erbe in Charkiw  – ebenso wie in Jeka­ terinburg – zu einem be­trächtlichen Teil als kulturelles Vermächtnis bestehen.292

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Das Konzept der „Sozialistischen Stadt“, das für eine Dezentralisierung eintrat, wur­ de in den späten 1920er-Jahren auch auf theoretischer Ebene häufig thematisiert, wo­ bei Nikolaj Miljutins 1930 erschienener Band „Sozgorod“ eine der wichtigsten Publi­ kationen darstellt: Miljutin, Nikolaj: Sozgorod. Probleme des Planens sozialistischer Städte. Grundlegende Prinzipien bei der Planung und beim Bau von Siedlungen in der UdSSR. Mos­ kau/Leningrad: Staatlicher Verlag 1930 (russisch/deutsch). Die von Davidič angeführte internationale Rezeption  – vgl.  Davidič 2013: Stili v architekture Char’kova, S. 94 f. – ließ sich in meinen Recherchen jedoch nicht verifizieren. Zur Funktion der Stadt im Kontext der sowjetischen Industrialisierung vgl. Hildermeier 2006: „Die russische Stadt – Subtyp europäischer Entwicklungen?“, S. 57. Ilyin, M.: „Städtebauliches aus Rußland“, in: Conrads, Ulrich (Hrsg.): El Lissitzky. 1929. Rußland: Architektur für eine Weltrevolution. Berlin et al.: Ullstein 1965, S. 159–163, hier S. 160. Chan-Magomedov, Selim: Architektura sovetskogo avangarda. Kniga vtoraja. Social’nye problemy. Moskva: Strojizdat 2001, S. 126. Wiewohl es bei einigen Gebäuden, etwa dem heute als Universitätsgebäude genutzten „Dom Proektiv“, bereits in den 1950er-Jahren zu weitreichenden Umbauten gekommen ist, sodass diese nunmehr eine Mischung aus konstruktivistischem und stalinistischem Stil repräsentieren.

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Nova Generacija und Avanhard: Futurismus und Konstruktivismus in der Ukraine

Im folgenden Abschnitt werden die beiden Gruppierungen der späten ukrainischen Avantgarde, Nova Generacija und Avanhard, kurz vorgestellt. Neben den zentralen Mit­­gliedern sowie den Zielen der beiden Formationen wird eine Darstellung der in der spä­ten Phase der Avantgarde entstandenen Publikationen geboten, deren Besonder­ hei­ten aufgezeigt werden, um sie in weiterer Folge in einen internationalen Kontext zu setzen. 4.1 N  ova Generacija – die letzte Generation der sowjetischen Avantgarde (1927–1931) Die Nova Generacija stellte die letzte aus einer Reihe futuristischer Vereinigungen dar, die von Semenko initiiert und geleitet wurden. Die Gruppe formierte sich 1927 und trat die Nachfolge von Kverofuturismus, Panfuturismus und Komunkul’t an. Sowohl auf inhaltlicher als auch auf programmatischer Ebene wird jedoch rasch ersichtlich, dass es sich nicht tatsächlich um eine Ablöse, sondern vielmehr um eine Fortsetzung des Panfuturismus handelte, da die Konzeptionen des Panfuturismus weiterhin ver­ wendet und weiterentwickelt wurden.293 4.1.1 Nova Generacija (Charkiw, 1927–1930) Die Gruppierung war von Beginn an untrennbar mit der gleichnamigen Zeitschrift verbunden, die zwischen 1927 und 1930 als intermedial konzipierte Publikation in Char­kiw erschien. Die Zeitschrift gilt als „letzte Stimme“ der gesamten sowjetischen Avantgarde und zugleich als letztes Medium, das offiziell vom sowjetischen System gebilligt wurde.294 Sie stellt eine bedeutende Dokumentation der künstlerischen und konzeptionellen Arbeiten einer der allerletzten Generationen der Avantgarde eben­so dar wie einen Spiegel der kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Begeben­heiten in den späten 1920er-Jahren in der Ukraine, in der Sowjetunion und in Europa.295 Die Zeitschrift „Nova Generacija“ erschien monatlich mit wechselndem Umfang, wobei im ersten Jahr des Erscheinens drei Nummern, in den weiteren Jahren (1928, 1929) je zwölf Nummern und 1930 schließlich acht Einzel- und zwei Doppelnummern (6–7, 11–12) gedruckt wurden. Einige Mitglieder der Gruppe, zu denen etwa Škurupij zählte, agierten von Kiew aus, sodass neben der in Charkiw von Semenko geleiteten Redaktion auch jene in Kiew maßgeblich zum Inhalt der einzelnen Ausgaben beitrug. 293

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1929 erschien ein mehrteiliges Essay, das nach wie vor den Panfuturismus als wichtigste Strömung propagierte; vgl.  Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“; vgl. Poltorac’kyj, Oleksandr [Oleksij]: „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“, in: Nova Generacija, Nr.  2 (1929), S.  42–50; vgl.  Poltorac’kyj, Oleksandr: „Panfuturyzm. IV. Ideolohija ta faktura mystec’koho tvoru“, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 50–55. Vgl.  Dmitrieva 2006: „Ukrainische Avantgarde-Zeitschriften im internationalen Kon­ text“, S. 67. — Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass die russische Zeitschrift „Brigada chudožnikov“ noch bis 1932 herausgegeben werden konnte. Sie enthält insbesondere auf gestalterisch-formaler Ebene zahlreiche Avantgarde-Elemente und lässt sich daher in mehrfacher Hinsicht als Fortsetzung der „Sovremennaja architektura“ interpretieren. Ausführlich zu Entstehung und Konzeption der Nova Generacija vgl. auch Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, insbes. S. 33–41.

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Mitglieder Zu Beginn zählten neben Semenko, der als Herausgeber der Zeitschrift fungierte, Škurupij und Oleksij (manchmal auch Oleksandr) Poltorac’kyj zu den zentralen Figu­ ren der Vereinigung. Ilnytzkyjj nennt des Weiteren Dan Sotnyk, Leonid Skrypnyk und Oleksa Vlyz’ko als jene Mitglieder, die dem erweiterten Kern angehörten.296 Das Redaktionskollegium wurde im Laufe der Zeit sukzessive erweitert, sodass 1930 mehr als 80 Personen aufschienen.297 Bei einigen Namen handelte es sich jedoch um Pseudo­ nyme,298 deren Nennung die Zahl noch zusätzlich ansteigen ließ.299 Laut Editorial waren zahlreiche ukrainische, russische und westeuropäische Künstler beteiligt, die von ver­schiedenen Städten aus teilnahmen und deren unterschiedliche Schwerpunkte die intermediale Ausrichtung des Projektes unterstreichen.300 Ausrichtung und Ziele Die Nova Generacija setzte sich einerseits zum Ziel, westliche Kunstströmungen in der Ukraine zu propagieren. Überdies sollte die ukrainische Kunst mit westeuropäischen Zentren der Avantgarde vernetzt werden.301 Andererseits stellte auch der Kampf um eine kommunistische Kultur eine wichtige Aufgabe dar.302 Die Gruppierung bezeichnete sich als „Платформа й оточення лівих“303 [Plattform und Umfeld der Linken], wobei sie sich tatsächlich auch als offene Plattform verstand, an der jeder Interessierte unkompliziert teilnehmen konnte. Ilnytzkyj betont, dass der späte Futurismus zu dieser Zeit nicht zuletzt deshalb auf zunehmend größere Akzeptanz innerhalb der ukrainischen Bevölkerung gestoßen sei, da er sich nicht mehr, wie zuvor im Rahmen des Proletkul’t praktiziert, auf die Literatur für die Massen konzentrierte.304 Die Orientierung an den Massen scheint somit einen umgekehrten Effekt, nämlich jenen des Abdriftens in die Isolation, bewirkt zu haben. Im Unterschied zu den frühen futuristischen Aktivitäten konnte nunmehr ein deutlich breiteres Publikum erreicht 296 297

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Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 116. Etwa Dmytro Buz’ko, Čužyj, Černov, Leonid Frenkel’, F. Kondrašenko, Jevhen Ja­ vors’kyj, Koljada, Ole Korž, Kurbas, Oleksandr Mar”jamov, Meller, Leonid Nedolja, Pal’mov, Petryc’kyj, Anatolij Sanovyč und Viktor Ver. Auch Semenko selbst verwendete mehrere Pseudonyme, darunter M. Tryroh, Jakov Mošek, A. Cerbo und M. M. Mertvopetljukoj; vgl.  Kriger 2010: „Mychajlo Semenko (1892–1937) – osnovopoložnyk ukrajins’koho futuryzmu“, S. 595. Zu Beginn des Jahres 1928, als mit der Auflistung von Namen begonnen wurde, schienen 53 Beteiligte auf. Die Zählung wurde von Ilnytzkyj vorgenommen; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 116. Zu diesen zählten z. B. Bažan, Jermilov, Mykola Foregger, Janovyc’kyj, Michail Kaufman, V. Kovalevs’kyj, V. Mirer, I. Malovičko, László Moholy-Nagy, Viktor Percov, Oleksandr Pereguda, Marko Tereščenko, Gro Vakar, M. Ščerbak, Jakov Štejnberg, S. Vojnilovyč, Walden sowie die LEF-Mitglieder Aseev, Brik, Ėjzenštejn, Gan, Majakovskij, Tret’jakov, Rodčenko, Šklovskij und Vertov. Zur internationalen Ausrichtung des ukrainischen Panfuturismus vgl.  z. B. Dmitrieva 2006: Ukrainische Avantgarde-Zeitschriften im internationalen Kontext, S. 84. — Bereits in früheren Publikationen legten die Panfuturisten einen Schwerpunkt auf den Abdruck westeuropäischer Literatur. „Semafor u majbutn’je“ enthielt z. B. Übersetzungen aus dem „Dada-Almanach“; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 59. Vgl. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“, S. 39. Ibd. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135.

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werden, was den Erfolg des Konzeptes der offenen Plattform, die breit und universell agiert, belegt. Mit der Proklamation „платформа й оточення лівих“305 wurde versucht, der Grup­ pierung ein gänzlich neues Profil zu verleihen, zugleich aber an die vorangegangenen panfuturistischen Zeitschriftenprojekte „Semafor u majbutn’je“, „Katafalk iskusstva“ und „Bumeranh“ anzuschließen, denen jeweils nur ein kurzes Bestehen beschieden war. Die Zeitschrift behandelt „theoretische Fragen und demonstriert die Praxis der lin­ken Künste (Literatur / Kino / Malerei / Architektur / Theater u. a.) in konstruktiver und destruktiver Bedeutung“,306 wie es in einer Werbeeinschaltung in der deutschen Zeit­ schrift „Der Sturm“ hieß. Zugleich sollte sie eine Fortsetzung der Übergangsepoche dar­stellen,307 die in der Ukraine seit der Revolution in der Kunst thematisiert wurde. Переходова доба до комунізму, через соціялістичне [sic] будівництво в культурі й житті, триває далі.308 [Die Epoche des Übergangs zum Kommunismus durch den sozialistischen Aufbau in der Kultur und im Leben dauert weiter an.]

Bereits von Anfang an war „Nova Generacija“ als mehrsprachiges Medium konzipiert, wobei vor allem paratextuelle Elemente in anderen Sprachen inkludiert wurden. Dazu zählten vor allem Titel, Untertitel, die Titelei, Überschriften, Abstracts und Auszüge aus Programmtexten, die jeweils auf Deutsch, Englisch, Französisch, Esperanto und – jedoch nur sehr selten – Russisch publiziert wurden. Überdies wurde ab 1929 am Beginn der Hefte jeweils auf zwei Seiten eine Zusammenfassung der wichtigsten Grundsätze der Vereinigung auf Ukrainisch sowie in einer weiteren Sprache geboten. Die ersten Ausgaben (Abb. 21) wurden von Meller gestaltet, mit dem es jedoch bald zum Bruch kam, weshalb er ab April 1928 seine Funktionen in der Redaktion zurücklegte. Gemeinsam mit ihm beendete auch der Regisseur Kurbas seine Zusammenarbeit mit Semenkos Gruppierung.309 Im Anschluss an Sotnyk, der nach Meller die Verantwortung für die Gestaltung übernommen hatte (Abb.  22), wurde diese ab 1930 an Petryc’kyj über­tragen. Mit Petryc’kyj wurde die Zeitschrift zum zweiten Mal einer grundlegenden Neugestaltung unterzogen (Abb.  23–24), die einerseits eine deutliche Annäherung an das deut­sche Bauhaus enthielt,310 andererseits aber auch einen inhaltlichen Bruch markierte. Dieser lässt sich z. B. an der Abkehr von westeuropäischen Strömungen ab­lesen, wobei der Fokus nunmehr hauptsächlich auf ukrainische Erscheinungen ge­­richtet war. Auf paratextueller Ebene wurden zwar nach wie vor fremdsprachige Texte implementiert  – etwa in der Titelei, wo weiterhin ein zweisprachiger Titel (Ukrainisch, Deutsch) aufschien. Während der deutsche Untertitel zu Beginn noch mit „Zeitschrift der lin­ken Kunstformation“ angeführt wurde, findet sich ab 1930 die zwar nur geringfügig modifizierte Bezeichnung „Zeitschrift der revolutionären 305 306 307 308 309 310

Vgl. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“. [O. V.]: „Werbeeinschaltung der Nowa Generazia“ (Inserat), in: Der Sturm, 19. JG, Nr. 5 (August 1928), S. 3. Vgl. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“, S. 40. Ibd. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 119. Vgl. Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 191 f.

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Abb. 21: „Nova Generacija“, Nr. 1 (1927). Umschlag. Gestaltung: Vadym Meller.

Abb. 22: „Nova Generacija“, Nr. 8 (1929). Umschlag. Gestaltung: Dan Sotnyk.

Abb. 23: „Nova Generacija“, Nr. 4 (1930). Umschlag. Gestaltung: Anatol’ Petryc’kyj.

Abb. 24: „Nova Generacija“, Nr. 11–12 (1930). Umschlag. Gestaltung: Anatol’ Petryc’kyj.

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Kunstformation“, die jedoch den Übergang von der LEF zur REF deutlich reflek­ tiert. Anders als in Russland, wo der Gründung der REF die Auflösung der LEF vorangegangen war,311 vollzog sich die Transformation in der Ukraine fließend, hatte aber dennoch deutliche Auswirkungen auf die inhaltliche Ausrichtung.312 Ilnytzkyj verweist auf die Bestrebungen Semenkos, bis zuletzt den künstlerischen Anspruch der Gruppierung gegen die proletarische Doktrin durchzusetzen, wobei es von Seiten Semenkos offenbar auch zu einer massiven Kritik an der Partei kam. Schließlich führte der gescheiterte Versuch, in die VUSPP aufgenommen zu werden, dazu, dass die Nova Generacija im letzten Jahr ihres Bestehens mit dem Stigma eines Sonderlings behaftet war und abseits der proletarischen (und so­mit offiziellen) Gruppierungen stand.313 Unmittelbar nach Beendigung der publizistischen Aktivitäten wurde auch die Gruppe aufgelöst: Die letzte Ausgabe der „Nova Generacija“ erschien im Dezember 1930, am 11. Jänner 1931 folgte schließlich die offizielle Auflösung der Vereinigung.314 4.1.2 „Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji“ (Kiew, 1930) Der Umstand, dass „Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Genera­ ciji“315 ab Jänner 1930 als Ableger der „Nova Generacija“ erschien und von Škurupij in Kiew herausgegeben wurde, lässt sich als Vorzeichen dafür deuten, dass sich die künstlerischen Aktivitäten in der Ukraine sukzessive wieder ins Zentrum des Landes verlagern sollten. Neben Škurupij waren überdies Poltorac’kyj, Vlyz’ko, Dmy­tro Holubenko sowie Petro Mel’nyk am Al’manach beteiligt, wobei Vlyz’ko für die Ge­ staltung verantwortlich zeichnete. Ähnlich wie im Charkiwer Periodikum schienen auch im „Avangard. Al’manach“ verhältnismäßig viele internationale Autoren auf, zu denen bspw. Theo van Doesburg von der niederländischen Gruppe De Stijl sowie Tret’jakov, ehemals Vertreter der LEF, zählten. Malevič, der bereits in der Charkiwer „Nova Generacija“ mehrere Beiträge publiziert hatte, war mit einem Essay zu Archi­ tektur, Staffeleimalerei und Skulptur vertreten.316 Während die Berichterstattung über westeuropäische Erscheinungen in der „Nova Generacija“ im letzten Jahr ihres Erschei­nens deutlich zurückging, konnte das von ihr repräsentierte Fenster in den Westen von Škurupij in Kiew noch ein wenig länger offen gehalten werden, indem europäische Kunst dort besonders intensiv rezipiert wurde. Der Umfang der Zeitschrift betrug je­weils 100 Seiten, wobei die Auflage mit 3 000 Stück sogar deutlich höher angesetzt war als jene der Charkiwer Zeitschrift, die im selben Jahr mit einer Auflage von ledi­glich 1  600 Stück erschien.317 Die Nummerierung der einzelnen Hefte 311 312

313 314

315 316 317

Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 56. Eine ausführliche Stellungnahme zur Gründung der REF und zur eigenen Positionierung im Hinblick auf die Neuausrichtung ist in „Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji“ enthalten: vgl. [Red. AA]: „Bjuleten’ novoho mystectva“, in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytcjiv novoji generaciji, Nr. a (1930), S. 96–99, hier S. 96. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 170 f. Vgl. Ilnytzkyj, Oleh S.: „Ukrainian Futurism: Re-Appropriating the Imperial Legacy“, in: Berghaus 2011 (Hrsg.): International Yearbook of Futurism Studies, Volume 1 (2011), S. 37–58, hier S. 38. Die Schreibung erfolgt hier tatsächlich mit „g“, während Poliščuks Gruppierung die Schreibung mit „h“ –„Avanhard“ – verwendete. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Architektura, stankove maljarstvo ta skul’ptura“, in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr. v (1930), S. 91–93. Diese Angaben sind den Impressi verschiedener Ausgaben entnommen.

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erfolgte nicht über Ziffern, sondern über Buchstaben. Zwar war auch dieses Journal als Periodikum ge­plant, letztlich erschie­nen jedoch nur zwei Ausgaben. Soweit bekannt, liegen nämlich nur ein Heft „a“ sowie ein Heft „v“ vor – „v“ kommt im kyrillischen Alphabet an dritter Stelle nach „a“ und „b“. Warum kein Heft „b“ existiert, ist nicht bekannt. Im Almanach wurde das Konzept der Interdisziplinarität überwiegend weiter­ geführt. Auch das Konzept der Internationalität, realisiert durch Mehr­sprachigkeit, wurde ana­log zur „Nova Generacija“ fortgesetzt, wobei in Kiew jedoch ausschließlich Deutsch zum Einsatz kam. Die fremdsprachigen Elemente befanden sich primär am Umschlag, der mit „Avantgarde Almanach der proletarischen Künstler der Neuen Generation“ auch einen deutschsprachigen Titel bot. Programmatisch wurde die Internationalität ebenfalls be­tont, etwa in Škurupijs Essay „Nove mystectvo v procesi rozvytku ukrajins’koji kul’tury“ [Die Neue Kunst im Prozess der Entwicklung der ukrainischen Kultur], das dazu auf­rief, sich die Architektur als Vorbild zu nehmen, da diese die Internationalisierung vorbildlich umgesetzt habe.318 Die mehrfach postulierte Notwendigkeit der Loslösung von allen „Ismen“ wurde auch in der letzten Phase der Strömung nochmals ausdrücklich bekräftigt.319 Inhaltlich und konzeptionell lassen sich jedoch auch einige Unterschiede konstatieren. Während in der „Nova Generacija“ der Anteil an lyrischen und experi­mentellen Texten vor allem in den frühen Ausgaben relativ hoch war, enthielten die Ausgaben von „Avangard. Al’manach“ vor allem Essays und Kurzprosa. Kurze lyrische Texte und Filmskripts – etwa zu Oleksandr Dovženkos Film „Zemlja“ [Die Erde] aus dem Jahr 1930 – wurden zwar ebenfalls präsentiert, blieben allerdings in der Minder­zahl.320 Dass insgesamt ein deutlicher Schwerpunkt auf die Betrachtung von Film und Filmtheorie gelegt wurde, lässt sich als Teil des generellen Aufschwungs des Kinos ver­stehen, das Ende der 1920er-Jahre mit der VUFKU in der Ukraine eine Blüte erlebte, die auch im nicht sowjetischen Ausland wohlwollend registriert wurde. Neben Dovženko zählte der heute wohl gänzlich vergessene Oleksandr Pereguda [ukrainisch eventuell Perehuda] zu jenen ukrainischen Regisseuren, deren theoretische Essays zum Film in der Zeitschrift erschienen.321 Ein programmatischer Fokus lag überdies auf Theorien zur bildenden Kunst, wobei auch Malevič in Kiew die Publikation seiner kunsttheoretischen Lektionen fortsetzte. Das grafische Erscheinungsbild der Almanache lehnte sich deutlich an die frühesten Ausgaben der „Nova Generacija“ an, die von Meller gestaltet worden waren. Umgekehrt wies Vlyz’kos Layout keine nennenswerten Analogien zu dem damals für die „Nova Generacija“ verwendeten Design auf, das von Petryc’kyj gestaltet wurde.

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319 320 321

Škurupij, Geo: „Nove mystectvo v procesi rozvytku ukrajins’koji kul’tury“, in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr.  a (1930), S.  37–42, hier S.  41. —  Dmitrieva bietet eine Übersetzung: Škurupij, Geo: „Die neue Kunst in der Entwicklung der ukrainischen Kultur“, in: Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 104–112. Vgl. ibd. S. 37. Für einen Auszug aus dem Filmskript vgl. Dovženko, Oleksandr: „Zemlja“, in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr. a (1930), S. 16–22. Oleksandr Pereguda führte 1926 beim Film „Krasnaja Presnja“ [Die Rote Presnja] Regie; vgl. IMDB: „A. Pereguda“ (Lexikoneintrag), in: IMDB (International Movie Database) http://www.imdb.com/find?ref_=nv_sr_fn&q=peguda&s=all (zuletzt abgerufen am 26.3.2017).

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4.2 Avanhard – Vertreter des Konstruktiven Dynamismus (1925–1929) Angaben der Gruppierung zufolge existierte eine Strömung namens Avanhard bereits seit Herbst 1925.322 Die erste öffentliche Proklamation von Avanhard er­folgte allerdings erst 1926 mit dem „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“323 [Aufruf der Künstler­ vereinigung „Avanhard“], der von Poliščuk, Jermilov, Heorhij Capok und Oleksandr Levada unterzeichnet wurde. Verstärkte Aktivitäten von Avanhard lassen sich ab 1928 registrieren, als die Gruppe mit mehreren Publikationen in Erscheinung trat, wobei die programmatischen Grundsätze in der „Proklamacija avanhardu“ [Prokla­mation der Avanhard] in einer erweiterten Form ausführlich dargelegt wurden.324 Mitglieder Als wohl wichtigster Protagonist gilt deren Initiator und Gründer Poli­ščuk. Neben zahlreichen Romanen, polemischen Essays und literaturtheoretischen Kon­zeptionen verfass­te er auch eine Reihe von Gedichten, deren konstruktivistische Ele­mente die Nähe zu Sel’­vinskij und Zelinskij belegen.325 Als zentrale Mitglieder traten außer­dem der Autor Leonid Černov sowie der Gestalter Jermilov in Erscheinung.326 Jermilov, der zu den wich­­tigsten Vertretern des ukrainischen Konstruktivismus im Be­reich der Gestal­tung zählt, zeichnete für die grundlegenden Layouts aller Publi­kationen von Avan­hard ver­ant­­wortlich, wobei er gelegentlich auch mit anderen Gestal­tern ko­ operierte, etwa mit dem weitgehend unbekannt gebliebenen Levada.327 Raisa [Rajisa] Trojanker, die so­gar dem Kern der Gruppe angehörte, war eine von wenigen Frauen, die aktiv an der ukra­inischen literarischen Avantgarde partizipierten.328 Es Meter, Aleksej Oktja­brev, Jurij Koreckij und Anatolij Sanovič,329 Jermilov und Poliščuk ge­ hörten gemein­­sam mit Trojanker auch der russischen Sektion von Avanhard an, die russisch­sprach­ige Publi­kationen herausgab.330 322 323

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Vgl. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2. Poliščuk, Valerijan/Jermilov, Vasyl’/Capok, Heorhij/Levada, O. [Oleksandr] (1926): „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“, in: Poliščuk, Valerijan (Hrsg.): Nazadnyctvo Hartu ta zaklyk hrupy mytciv Avanhard. Charkiv: Perša drukarnja Deržavnoho Vydavnyctva Ukrajiny im. Petrovs’koho 1926, S. 21–23. Vgl.  Poliščuk, Valerijan et al.: „Proklamacija avanhardu“, in: Bjuleten’ avanhardu/avan­ gardo, 1928 (einmalig), S. 1–6. Vgl. Il’nyc’kyj, Oleh: „Ukrajins’ka avanhardna poezija: povernennja do čytača“, in: Ko­ carev, Oleh/Stachivka, Julija (Hrsg.): Ukrajins’ka avanhardna poezija (1910–1930-ti roky). Antolohija. Kyjiv: Smoloskyp 2014, S. 5–16, hier S. 9. Außerdem Johannes R. Becher, Sel’vinskij, Zelinskij, Burevij, Koljada, E. Ber­man, Kurt Kläber, A. Klyn, Mychajlo Majs’kyj, Jevhen Michal’s’kyj, Vasyl’ Mysyk, M. Pan’kiv, Ana­ tolij Patjak, Ivan Senčenko, Oleksandr Soroka und Serhij  Tasin. Aus der Archi­tektur wurden I. Nemolovs’kyj und Bruno Taut, aus der bildenden Kunst O. Dov­hal’ und Ja. Rudens’kyj, aus der Fotografie S.  Kryha und A. Paniv sowie aus der Musik K. Bohu­ slavs’kyj, V. Borysov und Julij Mejtus genannt; vgl. z. B. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2. Der Künstler Heorhij Capok, der als Mitunterzeichner von „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“ zu den Mitbegründern zählte, scheint später nicht mehr auf. Zur Partizipation von Frauen in der Avantgarde vgl. Faber, Vera: „Konzept und Wirk­ lichkeit  – Frauen in der Wiener Moderne und in der ukrainischen Avantgarde“, in: Faber/Horbachov/Sonnleitner (Hrsg.) 2016: Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst, S. 33–56, insbes. S. 39–41. Die Transliteration der Mitglieder der russischen Sektion erfolgt aus dem Russischen. Als weiteres Mitglied wurde posthum auch Chlebnikov angeführt.

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Ausrichtung und Ziele Avanhard definierte sich als literarische Schule mit schlechten Manieren, die sich so­ wohl des lebendigen als auch des gedruckten Wortes bediente.331 Ähnlich wie die Nova Generacija legte Avanhard einen Schwerpunkt auf die Präsentation inter­ nationa­ler künstlerischer Tendenzen,332 wobei sich die Einbeziehung der Kunst­ sprache Esperanto und die Publikation von Texten in deutscher resp. jiddischer Über­setzung als wichtiger Beleg für die dezidiert internationale Ausrichtung der Gruppe festhalten lassen. Zur Korrelation von Esperanto und Avantgarde liegen bis­ lang nur wenige Arbeiten vor, obwohl es gerade die Kunstsprache war, die die Ver­ bindung der verschiedenen Strö­mungen auch auf sprachlicher Ebene unterstrich. Benedikt Hjartar­son betont, dass so­wohl Esperanto als auch die international aus­ gerichteten Avantgarden ihren Ausgang vor demselben kriegstraumatisierten Hinter­ grund genommen und ähnliche Wege der Kommunikation zur Überwindung der Nationalismen gesucht hätten.333 Dass es sich bei Avanhard überhaupt um eine Gruppierung handelte, wurde jedoch von den Mitgliedern in Abrede gestellt, denn: „авангард, це доктирна по­ ступу, а не організація“334 [Avanhard, das ist eine Doktrin des Fortschrittes und keine Verei­ni­gung], so eine Erklärung am Umschlag des 1928 erschienenen „Bjuleten’ avanhardu“. Wie das Beispiel von Avanhard zeigt, betraf das Problem der Marginalität der ukra­inischen Kunst nicht nur die Wahrnehmung von außen, also von Russland und West­­europa. Ein Auszug aus einem Vortrag des Volkskommissars Skrypnyk, der in „Avan­hard“ abgedruckt wurde, macht deutlich, inwieweit der Zustand der NichtWahr­nehmung innerhalb der Ukraine virulent war: Багато і багато відмовляють навіть самому існуванню цієї групи – заявляють, що такої групи не існує. Але, шановні товариші, так було і з українським народом: йому відмовляли в існуванні, а він таки існує (сміх).335 [Viele und nochmals viele leugnen selbst die Existenz dieser Gruppe – behaupten, dass eine solche Gruppe nicht existiert. Aber, verehrte Genossen, so war es auch mit dem ukrainischen Volk: Ihm hat man die Existenz abgesprochen, und es existiert trotzdem. (Gelächter)]

Publikationen Der Band „Nazadnyctvo Hartu ta zaklyk hrupy mytciv Avanhard“336, in dem die erste Proklamation von Avanhard enthalten war, lässt sich zugleich als erste Publikation der Gruppierung bezeichnen. Im selben Jahr veröffentlichte Poliščuk eine ausführliche 331 332 333

334 335 336

[Red. AVH]: „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“, in: Bjuleten’ avanhardu/ avangardo, 1928 (einmalig), S. 21–23, hier S. 21. Vgl. z. B. Il’nyc’kyj 2014: „Ukrajins’ka avanhardna poezija: povernennja do čytača“, S. 9. Vgl. Hjartarson, Benedikt: „Anationalism and the Search for a Universal Language“, in: Bäckström, Per/Hjartarson, Benedikt (Hrsg.): Decentering the Avant-Garde. (=  AvantGarde Critical Studies 30), Amsterdam/New York: Rodopi 2014, S. 267–303, hier S. 276. [Red. AVH]: o. T., in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), U2. Skrypnyk, Mykola: „IV. Narkom Osvity USRR tov. Skrypnyk pro hrupu ,Avanhard‘“, in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 20. Poliščuk, Valerijan (Hrsg.): Nazadnyctvo Hartu ta zaklyk hrupy mytciv Avanhard. Charkiv: Perša drukarnja Deržavnoho Vydavnyctva Ukrajiny im. Petrovs’koho 1926.

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theoretische Abhandlung zur literarischen Avantgarde, bei der er jedoch als alleiniger Autor aufscheint. „Literaturnyj avanhard. Perspektyvy rozvytku ukrajins’koji kul’tu­ ry, polemyka i teorija poeziji“337 [Die literarische Avantgarde. Perspektiven der Ent­ wicklung der ukrainischen Kultur, Polemik und Theorie der Lyrik] stellte mit 132 Seiten eine ausführliche Analyse der ukrainischen literarischen Avantgarde der frühen 1920er-Jahre dar, die überdies einige jener Positionen vorwegnahm, die wenig später in den gemeinsamen Publikationen als grundlegend für die Ausrichtung der Gruppe postuliert wurden.338 Aus dieser frühen Phase stammte der erste gemein­­sam heraus­ gegebene Sammelband „Ohon’“ [Flamme], der neben der Theorie auch die ersten „künstlerisch-formalen Postulate“ der Gruppe enthielt.339 Poliščuks umfangreiche Analyse „Pul’s epochy. Literaturni nazadnyky čy kon­struktyv­­nyj dynamiszm“340 [Der Puls der Epoche. Literarische Ewiggestrige oder der Konstruktive Dynamismus], die 1927 mit einem Umfang von mehr als 200  Seiten erschien, ging auf die Entstehung von Avanhard vor dem Hintergrund der Entwicklungen der ukrainischen Literatur ein. Die erste Phase sei, wie die Gruppe später selbstreflexiv im Vorwort der Zeitschrift „Mystec’ki materijaly avan­hardu/avan­gardo“ [Künstlerische Materia­lien der Avant­ garde] bekannte, durch die Heraus­forderung geprägt gewesen, „переклю­чити громад­ ську боротьбу за мис­тецькі форми“ [den gesellschaftlichen Kampf in einen Kampf um die Kunst­formen umzuschalten]. Das Vorwort wurde als „Dovidka“ [Be­glaubigung] bezeichnet und sollte, ähnlich wie ein Zertifikat, den eigenen Stellenwert bezeugen.341 Wir sind berufen, diese Atmosphäre durch scharfen Wind schöpferischen Auf­ schwunges zu säubern, durch Propeller kollektiver künstlerischer Tätigkeit zu venti­ lieren, durch den Willen zu neuem schöpferischen Suchen.342

Dass ab 1928 schließlich mit „Avanhard“ (1928–1929) ein Periodikum ediert wurde, stellt einen wichtigen Unterschied zum russischen LCK dar, der die Herausgabe von Periodika ablehnte und seine Arbeit ausschließlich in Sammelbänden präsentierte. Der Gruppe Avanhard war insgesamt kein all zu langes Bestehen beschieden, sodass nach 1929 keine gemeinsamen Publikationen mehr entstanden. Nach der dritten Aus­ gabe der Zeitschrift „Avanhard“ löste sich die Vereinigung im September 1929 relativ abrupt wieder auf. Hryn verweist auf zahlreiche Angriffe, denen die Gruppierung aus­ gesetzt gewesen sei. Diese waren nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Avanhard weit subversiver agierte als die Nova Generacija und die Linie der Partei nicht nur ignorierte, sondern teils auch karnevalistisch dekonstruierte.343 337

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341 342 343

Der Band erschien 1926 in Charkiw: Poliščuk, Valerijan: Literaturnyj avanhard. Per­ spektyvy rozvytku ukrajins’koji kul’tury, polemyka i teorija poeziji. Charkiv: Vydannja avtora [Eigenverlag] 1926. Da es sich um eine Einzelpublikation Poliščuks handelt, die zudem nicht in die im Rahmen dieses Bandes behandelte Phase fällt, wird hier nicht näher darauf eingegangen. Vgl. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2. Diese Publikation wurde von der Gruppe selbst aufgelistet; vgl.  Poliščuk, Valerijan: Pul’s epochy. Literaturni nazadnyky čy konstruktyvnyj dynamiszm. Charkiv: Deržavne vydav­ nyctvo Ukrajiny 1927. Vgl. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2. Polischtschuk, Walerjan [Poliščuk, Valerijan] et  al.: „Aufruf der Avangarde“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 60–62, hier S. 60. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 164.

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Abb. 25: „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, 1928 (einmalig). Umschlag. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov, Oleksandr Levada.

Abb. 26: „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, 1928 (einmalig). Umschlaginnenseite vorne (U2). Gestaltung: Vasyl’ Jermilov.

Abb. 27: „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, 1928 (einmalig). Umschlaginnenseite hinten (U3). Gestaltung: Vasyl’ Jermilov.

Abb. 28: „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“, 1929. Umschlag. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov.

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4.2.1 „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ (Charkiw, 1928) Der „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ [Bulletin der Avanhard] erschien 1928 einmalig als Vorläufer der später periodisch herausgegebenen Zeitschrift „Avanhard“. Für die Gestaltung des recht dünn gehaltenen Heftes, das lediglich 24 Seiten umfasste, zeich­ neten Jermilov und Levada verantwortlich (Abb. 25–27). Ähnlich wie bei den anderen Publikationen der Gruppierungen war auch hier der Um­schlag zweifärbig gehalten, wobei in allen Publikationen neben Schwarz als zwei­te Farbe Rot eingesetzt wurde. Der Innenteil wurde ausschließlich in Schwarz ge­druckt. Im „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ wurden primär Lyrik, Kurzprosa und essayistische Texte präsentiert, wobei mit „Proklamacija avanhardu“344 auch die zen­ trale Grundsatzerklärung von Avanhard enthalten war, in der die wichtigsten Thesen und Vorhaben der Gruppe erläutert wurden. Die wichtigsten Programmpunkte wur­ den überdies mehrmals in den paratextuellen Elementen wiederholt, die sich z. B. am Um­schlag und auf den Umschlaginnenseiten fanden. Zu den Bereichen, die von Avan­ hard angesprochen werden sollten, zählten: література, архітектура, музика, фотографія, малярство, кіно, скульптура, театр, радіомовлення, мистецтва, побутової речі, одіж, мебля, книжка, посуд345 [Literatur, Architektur, Musik, Fotografie, Malerei, Kino, Bildhauerei, Theater, Radio, Kunst, Alltagsdinge, Kleidung, Möbel, Bücher, Geschirr].

Dass auch Alltagsdinge, Kleidung und Geschirr zu den wichtigsten künstlerischen Be­­ reichen gezählt wurden, verdeutlicht die Relevanz, die dem Alltag in den konstruk­ tivistischen Konzepten zugestanden wurde.346 Die Auflistung lässt den inter­d is­zipli­ nären Anspruch erkennen, der den Einsatz jener Kunstformen propagierte, die erst im Kontext der Gebrauchs- und Produktionskunst der 1920er-Jahre einen Stellenwert erlangt hatten. Das Design von Gebrauchsgegenständen wie Geschirr oder Kleidung war in der Ukraine sehr populär,347 wobei die Basis dafür bereits im Jahrzehnt zuvor, etwa mit der Transformation suprematistischer Motive in traditionelles Kunsthand­ werk im Kontext des zuvor erwähnten Volksfuturismus, gelegt wurde. In der Umsetzung blieben die Publikationen von Avanhard freilich deutlich weniger universell als geplant, da vor allem Texte zum Abdruck kamen. Während, abgesehen von einem Foto, das dem Nachruf auf den Künstler Viktor Jaryna beigefügt war, keine weiteren Bilder abgedruckt wurden, enthielt „Bjuleten’ avanhardu/avan­ gardo“ neben Texten von Poliščuk, Koljada, Trojanker, Majs’kyj, Černov, Senčenko und einigen weiteren Autoren auch mehrere redaktionelle Beiträge, die den pole­ mischen Textsorten zuzurechnen sind. Hier seien etwa die polemisch geführten

344 345 346

347

Vgl. Poliščuk et al. 1928: „Proklamacija avanhardu“. Vgl. [Red. AVH]: „Stij!“, in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), U4. Zur Relevanz des Alltags in der sowjetischen Avantgarde vgl. z. B. Flaker, Aleksandar: „Alltag  – byt“, in: Ders. (Hrsg.): Glossarium der russischen Avantgarde. Graz/Wien: Droschl 1989, S. 104–117. — Zur ukrainischen Avantgarde existiert, soweit bekannt, bislang noch keine analoge Analyse zur Relevanz des Alltags. Exter, Meller und Petric’kij seien hier als Beispiel für das textile Design erwähnt, My­ chajlo Bojčuk zählte zu den wichtigsten Vertretern der (auch agitativen) Keramikkunst.

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Korrespondenzen erwähnt, die als Evidenz der eigenen Relevanz publiziert wurden.348 Zu diesen zählte sowohl der Brief „Lyst do tov. Skrypnyka“349 [Brief an den Genossen Skrypnyk] als auch der Auszug aus einer Rede von Skrypnyk, aus dem eindeutig dessen Wissen um die Grup­pe hervorgeht: „Є одна невелика літературна група, що здобуває собі права на існу­вання, група Авангард“350 [Es gibt eine kleine literarische Gruppe, die sich das Recht zu existieren erwirbt, die Gruppe Avanhard]. Die Rubrik „Синя книга“ [Das Blaue Buch], in der die genannten Korrespondenzen erschienen, enthielt Dokumente und Materialien über das „міжлітературне життя“ [interliterarische Leben] der Gruppe, die ihre „кров’янисту актуальність“ [blutige Aktualität] bezeugen sollten.351 Die Bezeichnung „Blaues Buch“ stellt zwar einerseits gewiss eine Antithese zum oft von avantgardistischen Gruppierungen praktizierten Einsatz der Farbe Rot als Zeichen für die revolutionäre Gesinnung dar. Dass Rot auch von Avanhard ein besonderer symbolischer Wert beigemessen wurde, lässt sich an der Umschlaggestaltung ebenso wie an der Definition der eigenen Kunst er­ kennen. So wurde etwa in „Bjuleten’ avan­ hardu/avangardo“ der Spiralismus als „філософія і практика сучасного червоного мистецтва“352 [Philo­ sophie und Pra­xis der zeitgenössischen roten Kunst] definiert und damit die politische Aus­ richtung eindeutig in den Vordergrund gerückt. Andererseits kann hier je­doch von einer Anspielung auf das  – ebenfalls „blaues Buch“ genannte  – Arbeitsbuch von ukrainischen Bauern ausgegangen werden, womit die Rubrik für kontextvertraute Leser­Innen als Beleg über die Arbeit von Avanhard identifizierbar wurde. Die darin hervor­ gehobene Relevanz des „interliterarischen“ Lebens belegt jeden­ falls ein weiteres Mal die generelle Offenheit von Avanhard, die an der Rezeption und Inte­ gration anderer Erscheinungen sehr interessiert war, und lässt sich in mehrfacher Hin­ sicht als Intertextualität auslegen: indem es auf der Textebene zu einer Verwebung unterschiedlicher Texte kommt, die ein Netzwerk entstehen lässt. Unter Bezugnahme auf den systemtheoretischen Ansatz der Feldtheorie lässt sich das „interliterarische“ Leben überdies als jenes Feld verstehen, in dem die Akteure agieren und gleichzeitig durch ihre Interaktion ein Netzwerk generieren. 4.2.2 „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“, „Avanhard“ (Charkiw, 1929) Im Anschluss an „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ versuchte Avanhard ein Zeit­ schriftenprojekt zu starten, das zwar im Vorhinein mehrfach angekündigt,353 schließlich jedoch mit insgesamt nur zwei Heften realisiert wurde. Sowohl „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“ als auch „Avanhard“ Nr. 3 erschienen 1929. Da diese einerseits unterschiedliche Titel erhielten und andererseits in ihrer Nummerierung wenig kon­sistent waren – „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“ kam gänzlich ohne Num­merierung aus, während „Avanhard“ mathematisch korrekt die Nummer zwei er­hal­ten hätte sollen; über die Existenz eines Hefts mit der Nummer zwei ist übrigens nichts bekannt  –, scheint es auf den ersten Blick fraglich, ob es sich tat­ 348 349 350 351 352 353

Vgl. Poliščuk 1928: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, S. 19–20. Vgl.  Jaryna, V./Poliščuk, Valerijan: „Lyst do tov. Skrypnyka“, in: Bjuleten’ avanhardu/ avangardo, 1928 (einmalig), S. 19–21, hier S. 19. Skrypnyk 1928: „IV. Narkom Osvity USRR tov. Skrypnyk pro hrupu ,Avanhard‘“. Vgl. [Red. AVH] 1928: „Synja knyha“, S. 19. [Red. AVH] 1928: „Mystec’kyj vinihret“, S. 23. Vgl. [Red. AVH] 1928: „Stij!“.

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sächlich um zusammenhängende Medien handelte. Da in „Avanhard“ die Bezeich­ nung „Mystec’ki ma­terijaly“ als Unter­titel weitergeführt wur­ de, kann davon aus­ ge­ gangen werden, dass es sich um eine Fort­ setzung handelte. Der Um­fang der beiden Aus­gaben, die jeweils mit einer Auf­lage von 1 500 Stück gedruckt wur­den, fiel den­noch sehr unterschiedlich aus, da „Mystec’ki mate­rijaly avanhardu/avan­­gardo“ mit 54 Seiten nur knapp halb so viele Seiten um­ fasst wie „Avanhard“. Als He­raus­­geber der beiden Publikationen fun­ gier­ te Poliščuk, für die Gestaltung war erneut Jermi­lov ver­ antwortlich (Abb. 28, 29). In beiden lag der Schwerpunkt im Hin­blick auf die programmatische Konzeption sowie auf die künstlerische Praxis auf der Literatur, Abb. 29: „Mystec’ki materijaly wes­ halb  – im Unterschied zur trans­ d iszi­ avanhardu/avangardo“, 1929: Zmist plinär angelegten „Nova Gene­racija“  – nur [Inhalt]. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov. wenig Bildmaterial zum Ab­ druck kam. Während „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“ lediglich vier Seiten mit Bild­material enthielt, wurden in „Avan­hard“ deutlich mehr Abbil­dungen publi­­­ziert, die jedoch ausnahmslos Bei­spiele aus dem Werk Jermilovs darstellten, dem ein umfangreicher Beitrag gewidmet war.354 Da Jermilov ja selbst der Gestalter der Hefte war, stellen die Abbildungen eine Form der Selbst­präsentation dar. Unmittelbar auf „Mystec’ki materijaly avanhardu/avan­gardo“ fol­gend erschien die Zeitschrift „Avanhard“, die sowohl grafisch als auch konzeptionell dem Vorgänger ähnelte und sich im Titel nur marginal unterschied. Von „Avanhard“ erschienen schließlich ins­gesamt drei Ausgaben, wobei die Seitenzählung durch­ laufend war, sodass die jeweils nächste Nummer mit der letzten Seitenzahl der vorher­ gehenden Ausgabe fortgesetzt wurde. Eine 1928 vorab im „Bjuleten’ avanhardu“ er­­­schienene An­kündigung hatte be­reits verspro­chen, „Avanhard“ würde „гарно звер­ станий, оздоблений графикою й репродукціями“ [gut angelegt, mit Grafiken und Reproduk­tionen dekoriert] sein355 und eine ukrainische und europäische Ausrich­tung haben: Журнал ,,Авангард“, що зібрав коло себе кращі передові сили українського й європейського пролетарського мистецтва, журнал дійсного авангарду культури та його околиць.356

354

355 356

Der zehnseitige Beitrag wurde von Poliščuk unter dem Pseudonym Vasylij Soncvit pub­ liziert; vgl. Soncvit, Vasylij [Poliščuk, Valerijan]: „Chudožnyk industrijal’nych rytmiv“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 145–155. [Red. AVH] 1928: „Stij!“. Vgl. [Red. AVH] 1928: „Stij!“.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West [Die Zeitschrift „Avanhard“, die in ihrem Kreis die besten progressiven Kräfte der ukrainischen und der europäischen proletarischen Kunst versammelt, ist eine Zeit­ schrift der echten Avantgarde der Kultur und ihres Umfeldes.]

Avanhard gab sich dabei in der Programmatik einerseits durchaus revolutionär: „Ре­волюціонер у політиці не має права бути реакціонером у мистецтві“357 [Ein Revolutionär in der Politik hat nicht das Recht, ein Reaktionär in der Kunst zu sein], lautete ein Motto der Gruppierung, das als Epitext dem Inhaltsverzeichnis von „Mys­ tec’ki materijaly avanhardu/avangardo“ vorangestellt war. Andererseits verwei­gerten die Mitglieder jedoch, sich der proletarischen Doktrin unterzuordnen, agierten also so, als hätte es in der sowjetischen Ukraine keinerlei Einschränkungen durch Politik und Zensur gegeben.358 Zudem wird „Avanhard“ durch die Einbeziehung satirischer Ele­mente zu einem Medium, das – ähnlich wie eine „Illustrierte“ – auch als leichtere Lektüre für weniger spezialisierte resp. weniger auf bestimmte Interessen fokussierte Leser dienen konnte. Mit dem Spiralismus (Спіралізм) bekannte sich die Gruppe zu einem Konstruktiven Dynamismus (Конструктивний динамізм), der eine „мистецька течія в суспільстві, а не адміністративна одиниця“359 [künstlerische Strö­mung in der Gesellschaft, aber keine Verwaltungseinheit] repräsentierte. Diese Distanzierung von der Bürokratisierung darf sowohl als Seitenhieb auf das sowjetische System als auch auf andere Gruppen verstanden werden, denen eine Unterwanderung durch bürokratisch-administrative Gepflogenheiten unterstellt wird. 4.2.3 „Doba konstrukciji“ (Charkiw, nicht realisiert) Die Zeitschrift „Doba konstrukciji“ [Epoche der Konstruktion] war wohl eines jener Projekte, die, obwohl geplant und mehrfach angekündigt,360 nie realisiert wurden. Poli­ ščuk kündigte die Zeitschrift 1928 in „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ gemeinsam mit „Avanhard“ („Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“) als „Орган авангарду пролеткультури“361 [Organ der Avantgarde der proletarischen Kultur] an, als ver­ant­ wortlicher Redakteur resp. Herausgeber wurde wiederum Poliščuk genannt. Während „Avanhard“ tatsächlich umgesetzt wurde, lassen sich zu einer erfolgten Pub­likation von „Doba konstrukciji“ keinerlei Hinweise finden. Es ist jedoch zu vermuten, dass der Schwerpunkt auf Technik, Industrie und Konstruktion in der Kunst gelegt werden sollte. 4.2.4 „Radius avangardovcev“ (Charkiw, 1928) (russischsprachig) Die russischsprachige Anthologie „Radius avangardovcev“ [Radius der Avantgardis­ ten] erschien 1928 mit dem Untertitel „Literaturnyj sbornik russkoj sekcii“ [Litera­ rischer Sa­mmelband der russischen Sektion] in Charkiw.362 „Radius avangardovcev“ 357 358 359 360 361 362

Vgl.  [Red. AVH]: o.  T., in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr.  1 (1929), S. 25. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 164. Vgl. [Red. AVH] 1928: o. T., U2. Hier sei nochmals auf das Inserat zu „Doba konstrukciji“ verwiesen, das in „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ erschien; vgl. [Red. AVH] 1928: „Stij!“. Vgl. [Red. AVH] 1928: „Stij!“. Hier und im Weiteren wird unter Berücksichtigung der Originalausgabe für alle in „Radius“ abgedruckten Texte und Namen die Transliteration aus dem Russischen ver­ wendet.

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war ein Ableger der Zeitschrift „Avan­ hard“ und er­schien ein­malig mit einem Um­ fang von lediglich 28 Seiten und einer Auf­la­ge von 2 000 Stück. „Radius avan­gardov­cev“ stellt eines von wenigen Bei­­spie­­len für russischsprachige Avant­ garde­­publikationen der ukrainischen Avant­­ garde der späten 1920er-Jahren dar. Ne­ben Poliščuk waren Meter, Alek­ sej Oktjabrev, Raisa Trojan­ ker, Jurij Ko­rec­kij, Anatolij Sanovič, Vele­­mir Chleb­­nikov363 sowie Jermilov betei­­ligt, wo­bei Letzterer  – wie in den ande­­ren Publika­ tionen von Avanhard  – auch hier für die grafische Gestaltung verant­ wort­l ich zeichnete (Abb. 30). Analog zu den Lay­outs der übrigen Publi­kationen Abb. 30: „Radius avangardovcev“, 1928. von Avan­hard wurde der Titel am Um­ Umschlag. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov. schlag eben­ falls in kyrillischen und lateinischen Let­ tern angeführt. Eine Be­sonderheit von „Radius“ lag z. B. darin, dass alle Autoren und die Auto­rin – ein­ schließlich Chlebnikov, der zu dieser Zeit bereits mehrere Jah­re tot war  – quasi gleichberechtigt als He­raus­geber angeführt wurden. Die in „Radius“ publizierten Texte waren aus­schließlich auf Russisch ver­fasst, so auch ein Auszug aus der „Pro­klamation der Avantgarde“, dessen ukrainisches Original im selben Jahr in „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“364 und im Jahr darauf in der Zeitschrift „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“ auch auf Deutsch veröffentlicht wurde.365 Neben dieser wichtigen Grundsatzerklärung von Avanhard enthielt „Radius“ überdies das bereits 1927 verfasste Manifest der russischsprachigen Sektion der Gruppierung „Čto i kak i počemu“366 [Was und wie und warum], das im vorliegenden Band noch ausführlich analysiert wird, sowie zahlreiche lyrische Texte. Meters Beitrag „Zamečatel’nye zametki neza­metnogo“ [Bemerkenswerte Anmer­­ kungen zum Unbemerkten], der sich kritisch mit der marginalen Wahr­neh­mung der ukrainischen Kunst ausei­nandersetzte, stellte den einzigen essay­istischen Text dar.367 Anders als die mei­sten Publikationen der ukrainischen Avant­garde war „Radius“ kein Perio­d ikum und entsprach somit dem von den rus­sischen Konstruktivisten des LCK postulierten Leitsatz, in dem aus­drücklich das Buch anstatt der Zeit­schrift als literarisches Medium propa­giert wurde.368 363 364 365 366 367 368

In den meisten seiner Publikationen schien er, anders als hier, als Velimir auf. Poliščuk et al. 1928: „Proklamacija avanhardu“. Zur deutschsprachigen Fassung vgl. Polischtschuk et al.: „Aufruf der Avangarde“. Poliščuk, Valerijan: „Čto i kak i počemu“, in: Radius avangardovcev. Char’kov: Char­ kivs’ka škola drukars’koho dila im. A. Kahins’koho 1928, S. 26–28 (russisch). Meter, Es: „Zamečatel’nye zametki nezametnogo, in: Poliščuk et al. (Hrsg.) 1928: Radius avangardovcev, S. 3–13 (russisch). Etwa in  Zelinskij, Kornelij: „Biznes i Dostoevskij“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 161–167, hier S. 162.

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III

INTERNATIONALITÄT – DIE SPÄTE UKRAINISCHE AVANTGARDE ZWISCHEN OST UND WEST

Die Internationalisierung der Kunst stellte in den 1920er-Jahren einen zentralen Grund­s­atz der europäischen Avantgarden dar, der auch in der Ukraine von den wich­­ tig­sten Gruppierungen propagiert wurde. Am Ende des Jahrzehntes teilten sich die ukra­inischen Avantgarde-Vereinigungen in zwei wesentliche konzeptionelle Linien: mit der Nova Generacija in eine futuristische und mit Avanhard in eine konstrukti­ vistische. Die Auseinandersetzung mit westeuropäischer Kunst stellte zweifellos bei beiden einen Schwerpunkt dar, der teilweise das Interesse an den Entwicklungen in sow­ jetischen Ge­bieten deutlich übertraf. Semenkos Nova Generacija rezipierte etwa deutsche und fran­zösische Strömungen. Poliščuks Avanhard verfolgte wiederum kon­ krete Pläne zur Heraus­gabe von zwei Zeitschriften, die sich ausschließlich sowjetischen bzw. inter­nationalen künstlerischen und literarischen Tendenzen widmen sollten  – wobei beide Projekte schließlich nicht zustande kamen: Нам треба вже нині ж взятися за видання двох журналів: одного – присвяченого літературі й мистецтву народів Союзу, і другого  – присвяченого закордонній пролетарській літературі та мистецтву. Це нова справа.1 [Wir müssen nun noch die Publikation von zwei Zeitschriften angehen: von einer, die der Li­teratur und Kunst der Unionsvölker gewidmet ist, und von einer zweiten, die der pro­letarischen Literatur und Kunst im Ausland gewidmet ist. Das ist das neue An­liegen.]

Im folgenden Kapitel wird der internationale Kontext, vor dem sich die ukrainische Avant­­­garde entwickelte, aufgezeigt, um in weiterer Folge (wechselseitige) Impulse zu de­monstrieren. Dafür werden zuerst die wichtigsten russischen und westeuropäischen Avant­garde-Gruppierungen und deren Publikationen beschrieben und auf Analogien, Divergenzen und etwaige Verbindungslinien geprüft. Im Anschluss daran folgt eine exempla­rische Übersicht über einige zentrale Programmtexte, deren Grund­sätze in Rela­tion zu anderen Strömungen gesetzt und analysiert werden. Als wichtigste Gattung der Avant­garde, zumal mit einer deutlichen Appell-Funktion ausgestattet,2 stellen Pro­grammtexte und Proklamationen einen Spiegel der Interferenz dar. Die ab­­schließende, umfangreich gehaltene Analyse der wechselseitigen Rezeption soll schlie­ßlich dazu dienen, die Auseinandersetzung mit internationalen Erscheinungen aufzu­­zeigen und diese der umgekehrten Wahrnehmung ukrainischer Strömungen gegen­überzustellen, um anhand der, wie sich zeigt, deutlichen Diskrepanzen das strukturelle Ungleichgewicht zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“ zu belegen. 1 2

Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 74. Zur appellativen Funktion vgl. z. B. Fähnders 2000: „Projekt Avantgarde und avantgar­ dis­tischer Manifestantismus“, S. 73.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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Zeitschriften und Kollektive im internationalen Vergleich

Die ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften, die trotz der zunehmend repressiven po­ li­­tischen Situation die neuesten Entwicklungen in Ost und West auch weiterhin in­ ten­­­siv diskutierten, standen ganz im Zeichen einer programmatisch proklamierten Inter­nationalität. Dass damit zugleich eine Gegenposition zur sowjetischen Dok­trin ein­genommen wurde, die alles Westeuropäische als bourgeois und somit klassenfeind­ lich diffamierte, lässt die Rezeption internationaler Phänomene als subversiven Akt er­ scheinen, der in karnevalistischer Weise die dominanten Regeln des Zentrums kon­ter­­ karierte. In der Ukraine wurden Werke sowjetrussischer und westeuropäischer Künstler veröffentlicht, rezipiert und diskutiert. Möglicherweise erfolgte in Moskau und Lenin­ grad, wo das Aufrechterhalten der Kontakte in den Westen in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre nur noch bedingt möglich war, die Rezeption der euro­päischen Kunst ebenfalls über die ukrainischen Zeitschriften,3 wobei sich für diese Annahme jedoch keine Belege finden ließen. Viele ukrainische Gruppierungen versuchten überdies, sich an internationalen und somit westeuropäischen Vorbildern zu orientieren, um dadurch ihre Anbindung an Westeuropa zu belegen.4 Die Nova Generacija berichtete regel­ mäßig darüber, welche (internationalen) Publikationen als Rezensionsexemplare in der Redak­tion eingetroffen waren. Wiewohl die meisten davon aus der Ukraine resp. – seltener noch – aus Russland stammten, wurden in der Rubrik „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“ [Ausgaben, die in der Redaktion einge­troffen sind] auch Zeitschriften wie „Bau und Wohnung“5, „Das Neue Frankfurt“ oder „Der Sturm“ angeführt.6 Auffallend viele der eingetroffenen Bücher waren der Architektur und dem Neuen Bauen, einer Architekturströmung im Zeichen der Sach­lichkeit, gewidmet.7 Dass auch Monografien zu bildenden Künstlern eingelangt sind, wird durch den Bericht über einen nicht spezi­ fizierten Band zu Willy Baumeister belegt.8 Die Neuankünfte schlugen sich meist in der folgenden Ausgabe nieder, indem Auszüge in ukrainischer Übersetzung publiziert oder Bildmaterialien reproduziert wurden. Die folgende Analyse zeigt Analogien und Gegensätze auf, die die Gruppierungen zwischen Paris, Berlin, Charkiw und Moskau verbanden resp. unterschieden. Den Aus­gangspunkt bilden nicht die ukrainischen Zeitschriften, deren Besonderheiten 3 4 5

6 7

8

Dass diese in Russland ebenfalls greifbar waren, wird aus mehreren russischen Re­zen­ sionen ersichtlich, worauf im Weiteren noch eingegangen wird. Dies gilt nicht nur für die Nova Generacija und für Avanhard, sondern auch für die Vereinigung VAPLITE. Nachdem offenbar gleichzeitig mehrere Rezensionsexemplare des Berliner Akademi­ schen Verlags in der Redaktion eingelangt waren, wurde in den beiden folgenden Aus­ gaben der „Nova Generacija“ eine Werbeeinschaltung publiziert, die auf etwas mehr als einer halben Seite dessen Publikationen, zu denen auch „Bau und Wohnung“ gehörte, bewarb; vgl. z. B. [O. V.]: „Neue Architektur“ (Inserat), in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 241. Vgl.  z. B. [Red. NG]: „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“, in: Nova Generacija, Nr.  3 (1928), S. 240. Zu ihnen gehörte etwa der Band „Zwei Wohnhäuser“, der sich u. a. mit der Architektur von Le Corbusier beschäftigt, E. Farkas’ „Architektur. Innenräume. Film“ und Walter Behrendts ebenfalls 1927 erschienener Band „Der Sieg des Neuen Baustils“; vgl. [Red. NG] 1928a: „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“, S. 240 und [Red. NG]: „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1928), S. 313–314, hier S. 314. Vgl. [Red. NG] 1928b: „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“, S. 314.

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Internationalität – die späte ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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bereits im vorigen Kapitel aufgezeigt wurden. Vielmehr sollen aus der umgekehrten Perspektive zuerst die internationalen Medien kurz vorgestellt und schließlich Kon­ vergenzen und Divergenzen analysiert sowie etwaige (wechselseitige) Bezugnahmen demonstriert werden. 1.1 Russische Kollektive und Zeitschriften – Analogien, Impulse, Divergenzen Während in der Ukraine in den 1920er-Jahren eine große Vielfalt an unterschied­ lichen Kunst- und Literaturzeitschriften erschien, konnte sich in Russland kein derart breites Zeitschriftenwesen etablieren. Die publizistischen Aktivitäten konzentrierten sich in der russischen Avantgarde zu dieser Zeit nämlich vor allem auf die LEF und deren Zeitschrift „Novyj LEF“ sowie auf die ebenfalls von den Konstruktivisten edierte Archi­tekturzeitschrift „Sovremennaja architektura“. Der LCK, der von Avanhard stark rezipiert wurde, lehnte Zeitschriften wiederum programmatisch ab, sodass seine Arbei­ten stets in Form von gebundenen, zudem nur einmalig erscheinenden Druck­ werken publiziert wurden. Dennoch lassen sich zwischen den ukrainischen und den russischen Medien zahlreiche Wechselbeziehungen, Konvergenzen und Divergenzen konstatieren, die auf die (wechselseitige) Rezeption sowie den gegenseitigen Versuch der polemischen Abgrenzung zurückzuführen sind. 1.1.1 „Vešč’ – Objet – Gegenstand“ (Berlin, 1922) „Vešč’ – Objet – Gegenstand: Revue internationale de l’art moderne“ (kurz: „Vešč’“) war eine russische Exilzeitschrift, die ab April 1922 von Lissitzky und Ėrenburg in Berlin he­rausgegeben wurde (Abb. 31). Sie lässt sich somit eigentlich nicht wirklich als rus­sische Zeitschrift kategorisieren, da sie eine Art Hybrid darstellte. Das Periodikum gilt als erstes Projekt, das versuchte, die Avant­garden in Ost- und Westeuropa zu verbinden und diesen ein gemeinsames, grenz­überschreitendes Forum zu bieten.9 Diese Ziele wurden in der ersten Ausgabe wie folgt zusammengefasst: Die Zeitschrift stellt sich die Aufgabe 1. Die in Rußland Schaffenden mit der neuesten westeuropäischen Kunst vertraut zu machen und 2. Westeuropa über die russische Kunst und Literatur zu informieren. Ein Teil des Materials wird in deutscher und französischer Sprache gedruckt.10

Ein zentrales Anliegen war die Weiterentwicklung und Internationalisierung des Kon­ zeptes der gegenstandslosen Kunst, das 1915 von Malevič vorgestellt worden war. Bei Malevič stieß die Zeitschrift jedoch auf wenig Wohlgefallen, weshalb er heftig gegen sie polemisierte.11 Ursprünglich als monatlich erscheinendes Periodikum konzipiert, wurde „Vešč’“ im Mai 1922 nach der nur zweiten Ausgabe wieder eingestellt, weshalb sie schon längst nicht mehr existierte, als die panfuturistische „Nova Generacija“ 1927

9 10 11

Vgl.  z. B. Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion, S.  279; vgl.  auch Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 21. Lissitzki, El/Ehrenburg, Ilja: „Die Zeitschrift stellt sich die Aufgabe ....“, in: Vešč’  – Objet – Gegenstand. Internationale Rundschau der Kunst der Gegenwart, Nr. 1–2 (1922), U2. Vgl. Marten-Finnis, Susanne: Der Feuervogel als Kunstzeitschrift. Žar ptica. Russische Bild­ welten in Berlin 1921–1926. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2012, S. 129.

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erstmals erschien.12 „Vešč’“ erlebte somit ein ähnliches Schicksal wie viele andere Zeitschriften der Avantgarde, von denen, obwohl periodisch ge­­ plant, oft nur eine einzige Nummer pro­­ du­ ziert worden ist. Obwohl „Vešč’“ dreisprachig (auf Russisch, Deutsch und Französisch) konzipiert war, erschien der vorwie­gende Teil der Beiträge auf Russisch. Susanne Marten-Finnis weist darauf hin, dass vor allem bei Beiträgen über russische Kunst­schaffende und aktu­ elle Ausstellungen gro­ßer Wert darauf ge­ legt worden sei, diese auch auf Deutsch oder Französisch zu publi­ zieren, so­ dass die Besonderheiten der rus­ sischen Kunst dem westeuropäischen Publi­kum zur Ken­ ntnis gelangen konnten.13 In „Vešč’“ sollte Abb. 31: „Vešč’ – Objet – Gegenstand“, die Kolumne „Stat’i o russkoj poėzii v Nr. 1–2 (1922). Umschlag. Gestaltung: El innostrannych žurnalach“ [Beiträge zur Lissitzky. rus­ sischen Poesie in aus­ ländischen Zeit­ schriften] die Re­ zeption der russischen Lyrik außer­halb Russlands bezeugen.14 Analog dazu erfolgte auch in der Ukraine der Versuch, die eigenen Aktivitäten im Ausland so­wie deren Wahrnehmung zu doku­ mentieren. Diese beschränkte sich freilich auf einige wenige Exempel, von denen voller Stolz be­richtet wurde.15 Da „Vešč’“ in Berlin er­schien, waren westeuropäische Medien zweifellos problemlos greifbar, während die ukra­inischen Gruppierungen pri­ mär auf Zusendungen befreundeter Re­daktionen ange­wiesen waren. Ähnlichkeiten zwischen „Vešč’“ und der „Nova Generacija“ resp. „Avanhard“ lassen sich auch im Hinblick auf die Zusammensetzung der Redaktionen konstatieren, wiewohl die ukrainischen Periodika erst einige Jahre später er­schienen. Die Projekte waren jeweils in­ternational sowie interdisziplinär aus­gerichtet und beabsichtigten, über kulturelle Gren­zen hinweg eine künst­lerische Vernetzung zu erreichen. Zumin­ dest formal waren bei allen wich­tige Vertreter der Avantgarden aus Ost und West beteiligt. Im Editorial von „Vešč’“ sind neben den sowjetischen Künstlern Majakovskij, Rodčenko, Malevič, Puni, Paster­nak, Tairov, Šklovskij, Sergej Esenin, Vsevolod Mejer­ chol’d und Vladimir Tatlin auch die „ausländischen“  – man ging also, obwohl in Deutschland befindlich, von einer russischen Perspektive aus – Persönlichkeiten Carl Einstein, Albert Gleizes, Fernand Léger und Gino Severini angeführt. Diese Auflistung

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Das erste Heft erschien als Doppelnummer (1–2), das zweite und letzte Heft war mit der Nummer 3 versehen. Vgl. Marten-Finnis 2012: Der Feuervogel als Kunstzeitschrift. Žar ptica, S. 128. Obwohl „Vešč’“ in Berlin erschien, wurde Deutschland als Ausland betrachtet. Als Beispiel sei nochmals die ukrainische Teilnahme an der „Pressa“ Köln angeführt, bei der auch Jermilov vertreten war. Über seinen Beitrag wurde zwar in der „Nova Gene­ racija“ und in „Avanhard“ ausführlich berichtet, in deutschen Medien fand er je­doch keine entsprechende Wahrnehmung.

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erinnert an jene in der „Nova Generacija“, die ebenfalls Šklovskij, Malevič, Majakovskij und Rodčenko nannte und die im Laufe des Bestehens sukzessive erweitert wurde. „Vešč’“ verfügte in der ersten Ausgabe über einen Umfang von 32, in der zweiten von 24 Seiten. Die Gestaltung der Hefte stammte von Lissitzky, wobei das Design des Um­schlags, das ausschließlich grafische Elemente enthielt, eine deutliche Reminiszenz an dessen suprematistisches PROUN-Konzept darstellte.16 Obwohl sich also auf for­ mal-ästhetischer und konzeptioneller Ebene mehrere Analogien konstatieren lassen, wurde ein Einfluss durch „Vešč’“ in der Ukraine mehrfach negiert. Škurupij wies jeden Vergleich mit anderen Gruppierungen und Medien empört zurück: Слід нарешті зрозуміти нашим друзям, що ми не „Новый Леф“, не „Вещь“ і не „Transition“ – ми є „Нова Генерація“.17 [Unsere Freunde müssen endlich verstehen, dass wir nicht die „Novyj Lef “, nicht „Vešč’“ und nicht „Transition“ sind – wir sind die „Nova Generacija“.]

„Vešč’“ wurde übrigens – ähnlich wie die „Nova Generacija“ – von der LEF ebenfalls polemisch kritisiert, wobei das Projekt bei russischen Kunstschaffenden, sei es in Russ­land oder im russischen Berlin, insgesamt auf wenig Zustimmung gestoßen sein dürfte. Bei der Präsentation in Berlin kam es offenbar zu heftiger Kritik aus dem Publi­ kum.18 Das LEF-Mitglied Arvatov bezeichnete „Vešč’“ als opportunistisch und warf ihr vor, sich zwar in ihrer Programmatik als „utilitaristisch“ zu tarnen, zugleich aber auf die nicht zweckhafte Kunst Malevičs zu rekurrieren.19 Dass dieser jedoch eben­falls Ressentiments gegen „Vešč’“ hegte, wurde bereits erwähnt. 1.1.2 LEF mit „LEF“ und „Novyj LEF“ (Moskau, 1923–1928) Die LEF stellte in Russland eine postrevolutionäre Fortsetzung des Futurismus dar, der nun­mehr unter einer neuen Prämisse stand. Einerseits sollte die Strömung in ihrer neuen Auslegung vor allem auf den Zweck ausgerichtet sein und be­kannte sich da­­her zu einem utilitaristischen Ansatz. Andererseits spielte die Politisie­rung nun eine wichtigere Rolle als vor der Revolution. Die ab 1923 herausgegebene erste Zeitschrift der LEF, die ebenfalls mit „LEF“ betitelt war, musste 1925 aufgrund der wechselnden Bedingungen innerhalb der Kulturpolitik nach nur sieben Aus­gaben wieder eingestellt werden.20 Trotz seiner engen Kooperation mit der Politik geriet der 16

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18 19 20

Vgl. Bury, Stephen: „,Not to adorn life but to organize it‘. Veshch. Gegenstand. Objet: Revue internationale de l’art moderne (1922) and G (1923–6)“, in: Brooker, Peter (Hrsg.): The Oxford Critical and Cultural History of Modernist Magazines. Volume III, Eu­ rope 1880–1940. Part II. Oxford: Oxford University Press 2013, S. 855–867, hier S. 860. Škurupij, Geo: „Syhnal na spoloch druz’jam  – fal’šyva tryvoha“, in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 327–334, hier S. 328. – Auf dieses Zitat verweist auch Ilnytzkyj, der Škurupijs Kommentar zu den Anschuldigungen der LEF als „half bemused, half in­ dignant“ bezeichnet; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 138. — Mit „Transition“ ist die englischsprachige Literaturzeitschrift gemeint, die zwischen 1927 und 1938 in Paris herausgegeben wurde. Vgl. Marten-Finnis 2012: Der Feuervogel als Kunstzeitschrift. Žar ptica, S. 128 f. Vgl. Arvatov, Boris: „,Vešč’‘ (Rezension). 1922“, in: Gaßner/Gillen (Hrsg.) 1979: Zwi­ schen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus, S. 129–130, hier S. 130. Vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 37.

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Futurismus zunehmend in Bedrängnis, während proletarische Gruppierungen in den Vorder­grund traten. Das Aus der Zeitschrift „LEF“ bedeutete in Russland auch das end­­gültige Ende des experimentell ausgerichteten Futurismus,21 der nunmehr durch die „Literatura fakta“, die Literatur des Faktums,22 ersetzt wurde. Mit der „Novyj LEF“, die ab 1927 monatlich erschien,23 versuchten die Futuristen noch einmal ein langfristiges Zeit­schriften­projekt zu beleben.24 Internationalität war darin ein wich­ tiges Prinzip, wes­halb Pläne existierten, eine eigene Sektion für internationale Künst­ ler einzurichten.25

Abb. 32: „LEF“, Nr. 3 (1923). Umschlag. Gestaltung: Aleksandr Rodčenko.

Abb. 33: „Novyj LEF“, Nr. 1 (1927). Umschlag. Gestaltung: Aleksandr Rodčenko.

Sowohl bei der „LEF“ als auch bei der „Novyj LEF“ fungierte Majakovskij als Heraus­ geber. Tret’jakov übernahm nach Majakovskijs Bruch mit der Vereinigung die He­ raus­­geberschaft der letzten fünf Ausgaben, bevor die Zeitschrift 1928 zur Gänze ein­­gestellt wurde. Der LEF gehörten überdies Rodčenko, der sowohl in der „LEF“ als auch in der „Novyj LEF“ für Umschläge und Montagen verantwortlich zeichnete (Abb. 32–33), Pasternak, Šklovskij, Aseev, Brik, Kušner, Percov, Sergej Ėjzenštejn und viele weitere an.26 21

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Die metalogische, anfangs vor allem experimentell konzipierte Zaum’-Sprache der rus­ sischen Futuristen schien bspw. in der „Novyj LEF“ nicht mehr als wichtiges Verfahren auf; vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. xi, 38. Die Prinzipien der „Literatura fakta“, die sich u.  a. der Fiktion verweigerte, wurden 1929 in einem von Nikolaj Čužak herausgegebenen Band ausführlich dargelegt: Čužak, Nikolaj (Hrsg.): Pervyj sbornik materialov rabotnikov LEFa. Moskva: Federacija 1929. Der Umfang fiel mit 48 Seiten deutlich geringer aus als bei der „LEF“, die teilweise mehr als 200 Seiten umfasste. Einige Ausgaben der „Novyj LEF“ erschienen allerdings als Doppelnummern. Vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. xi. Diese Pläne wurden jedoch nicht realisiert; vgl. ibd. S. 40. Mit Ausnahme von Pasternak schienen alle der hier Aufgelisteten auch in der „Nova Gene­­racija“ als Mitglieder auf. Bei beiden blieb überdies die Beteiligung von Frauen

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Majakovskij agierte somit auch im postrevolutionären Futurismus als Leit­figur. Seine Rolle ähnelte somit in vielerlei Hinsicht jener Semenkos, da beide an ihren Grup­ pierungen in analoger Weise initiativ und federführend beteiligt waren. Obwohl sich in zahlreichen Städten der Sowjetunion Splittergruppen der LEF heraus­bildeten,27 blieb ihr Einfluss an den sowjetischen Peripherien offenbar marginal.28 Der Abdruck von Leserbriefen und Korrespondenzen, die zwischen der LEF sowie re­gionalen Gruppierungen geführt wurden – meist bestanden diese aus polemischen An­griffen, Diffamierungen und Abgrenzungen –, erfolgte oft als demonstrativer Be­ leg für die Existenz der LEF-Filialen. Da der Schriftverkehr, der zur Kategorie der Metatexte zu zählen ist, als Instrument der Polemik diente, wurde er offenbar in vollem Umfang abgedruckt.29 Eine ähnliche Praxis, bei der eine nicht unbeachtliche Selbstherrlichkeit zu konstatieren ist, wurde auch von der Nova Generacija und von Avanhard geübt. In der Ukraine wurde die Existenz der LEF zuerst weder mit der tatsächlich als deren Filiale gegründeten JUGO-LEF30 noch mit dem LEF-orientierten Panfuturismus Semenkos assoziiert. Die Charkiwer Zeitschrift „Červonyj šljach“ [Der Rote Weg] (1923–1927) wusste 1927 dagegen wie folgt von neu in Erscheinung getretenen Sym­ pathisanten der russischen linken Front in Charkiw zu berichten: У Харкові заснований ЛЕФ. Тут об’єднуються майстри лівого мистецтва, які працюють на Україні. Це доволі велике коло мистців, і є дуже цікаві сили, щоб створити свою організацію. Сюди входять Г. Цапок. [sic] О. Хвостов, М. Міщенко, Б. Кісирев [korrekt: Косарев, VF], В. Єрмілов, Бондаренко та ін.31 [In Charkiw wurde eine LEF gegründet. Dort vereinigen sich die Meister der lin­ken Kunst, die in der Ukraine arbeiten. Es ist dies ein ziemlich großer Kreis von Künst­lern, und dies sind sehr interessante Kräfte, die eine eigene Organisation grün­den. Dazu zählen G. Capok, O. Chvostov, M. Miščenko, B. Kisyrev [korrekt: Kosarev, VF], V. Jermilov, Bondarenko u. a.]

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marginal  – wobei sich Stepanova und Popova zumindest sporadisch an der LEF be­ teiligten; vgl.  ibd. S.  33.  —  Zur marginalen resp. nicht existenten Beteiligung von Frauen an der „Nova Generacija“ vgl. Faber 2016: „Konzept und Wirklichkeit – Frauen in der Wiener Moderne und in der ukrainischen Avantgarde“, S. 39 ff. Filialen gab es u. a. in Leningrad, Jaroslavl’, Kazan’, Novosibirsk, Georgien, Kiew, Odessa und Charkiw; vgl. Kulinič, Andrej: Novatorstvo i tradicii v russkoj sovetskoj poėzii 20-ch godov. Kiev: Izdatel’stvo Kievskogo Universiteta 1967, S. 93 (russisch). Vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 41. — Die Nova Generacija wird in dieser Analyse jedoch nicht berücksichtigt. Stephan ist überzeugt: „this printed correspondence represented the total extent of their formal contacts“: ibd. S. 41. Die JUGO-LEF war eine von mehreren Filialen der LEF, die in der sowjetischen Ukra­ ine existierten. Ab 1924 wurde vierteljährlich ein gleichnamiges Journal herausgegeben, das nur knapp ein Jahr bestand. Die fünfte und letzte Ausgabe erschien im März 1925; zur Gruppe Jugo-LEF vgl.  Chan-Magomedov 2000: JUGO-LEF i konstruktivizm (po mate­rialam archiva N. Sokolova), S. 24 ff. „Červonyj šljach“, Nr.  7/8 (1927), S.  230–232.  – zit.  nach Pavlova, Tetjana: „Vasyl’ Jermilov. Vid charkivs’koho Bavhauzu do Kyjivs’koho chudožn’oho instytutu“, in: Andrij Čebykin u. a. (Hrsg.): Aktual’nyi problemy mystec’koji praktyky i mystectvoznavčoji nauky. Mystec’ki obriji 2013, vypusk 5 (16), Kyjiv 2013, S. 59–64, hier S. 59.

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Neben Jermilov, der später mit dem Konstruktiven Dynamismus eigentlich einer Strö­ mung angehörte, die sowohl der LEF als auch der Nova Generacija in polemischer Opposition gegenüberstand, wird auch der Bühnenbildner Oleksandr ChvostenkoChvostov, ein ehemaliger Schüler Exters, als LEF-naher Künstler genannt. LEF und Nova Generacija Mit der Gründung der Nova Generacija kam es sowohl in Bezug auf die theoretischen Konzepte als auch auf die künstlerische und publizistische Praxis zu einer Annäherung des ukrainischen Panfuturismus an die LEF. Dass die Ähnlichkeiten ihren Höhepunkt Ende der 1920er-Jahre erreichten, führt Ilnytzkyj u. a. auf die organisatorische Um­ struk­turierung innerhalb der Nova Generacija zurück, die nun ebenfalls die Heraus­ gabe einer eigenen Zeitschrift ermöglicht hätte. Während den Panfuturisten erst mit der „Nova Generacija“ die Realisierung eines langfristigen Publikationsprojektes ge­lang, konnte die russische LEF bereits mit dem Vorgänger-Medium langjährige Er­fahrung in der Herausgabe einer Zeitschrift sammeln.32 Diese verbesserte Organi­ sation lässt sich als Indiz dafür deuten, dass die ukrainische Avantgarde zu dieser Zeit ihren Status als periphere Erscheinung abgelegt hatte.33 Ende der 1920er-Jahre be­ nutzten die Nova Generacija und die LEF somit ähnliche Publikationsorgane, wobei die ukrainische Zeit­schrift weitaus intermedialer ausgerichtet war. Darüber hinaus bezeichnet Ilnytzkyj die Nähe zu Konstruktivismus und Formalismus als auf­fällige Analogie.34 Hier ist je­doch anzumerken, dass der Schwerpunkt bei der LEF primär auf die Vermittlung eigener Theorien gelegt wurde, zu denen damals auch jene des Forma­l ismus zählten.35 Auch im Prinzip der generell offenen Plattform existierten Paralle­len. Die Mitarbeit an der „Nova Generacija“ stand relativ unkompliziert für Anders­denkende offen, und auch in der „Novyj LEF“ wurden oftmals Beiträge von Außenstehenden publiziert. Obwohl etwaige Ähnlichkeiten stets dementiert wurden,36 erfolgte in mehreren Aus­gaben der „Nova Generacija“ eine Berichterstattung über die neuesten Aktivitäten der LEF.37 S. Červonyj konstatierte: Московский „Новий Леф“ бесперечно має всесоюзне значіння як своїми досягненнями, так й своїм впливом.38 [Die Moskauer „Novyj Lef “ ist zweifellos sowohl aufgrund ihrer Leistungen als auch aufgrund ihres Einflusses für die gesamte Sowjetunion von Bedeutung.] 32 33

34 35 36 37 38

Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135. Entwicklungen, die in Zentren erfolgen, sind Lotman zufolge weiter fortgeschritten und stärker strukturell organisiert als jene in peripheren Gebieten; vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 169. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 124 f. Die Formalisten Šklovskij und Boris Ėjchenbaum waren ebenfalls Mitglieder der LEF. So etwa, wie bereits erwähnt, von Škurupij in „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“, S. 328. Oft waren diese in der Rubrik „Bjuleten’ novoho mystectva“ [Bulletin der neuen Kunst] zu finden. Červonyj, S.: „Nevdali turysty“, in: Nova Generacija, Nr.  2 (1928), S.  137–140, hier S. 137. — Der Titel „Nevdali turysty“ [Erfolglose Touristen] weist hier bereits darauf hin, dass im Essay eine Kritik – konkret an der LEF, insbesondere an Majakovskij und Šklovskij – folgen würde.

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Dass Analogien nicht dem Zufall geschuldet waren, zeigt sich schließlich darin, dass in der Ukraine nicht nur die frühe Bezeichnung LEF, sondern später auch die Be­zeichnung REF übernommen wurde.39 Während die REF in der Ukraine für eine Neu­ausrichtung stand, repräsentierte sie in Russland nach Majakovskijs Austritt aus der LEF eine gänz­l iche Neugründung.40 Die Nähe zwischen der ukrainischen und der russi­schen Vereini­gung resultierte übrigens in gegenseitigen Plagiatsvorwürfen.41 Während die LEF als autoritäre Vereinigung vor allem sich selbst als wichtigste literatur- und kunsttheoretische Instanz verstand, wurden in der „Nova Generacija“ neben eigenen auch Konzepte und Theorien anderer Strömungen präsentiert und reflektiert. Für beide Gruppierungen hatte das eigene Publikationsorgan eine wich­ tige identitätsstiftende Funktion. Die Hervorhebung des „Eigenen“ erfolgte meist durch Abgrenzung sowie eine harsche Kritik am „Anderen“, wie dies generell für die Polemik der Avantgarde charakteristisch war. Dass viele jener Künstler, die sich von der LEF abgrenzten, dennoch an ihr partizipierten, belegt die Dominanz der LEF  – hier sei nochmals auf Stephans Bezeichnung „dictatorship of arts“42 ver­ wiesen.43 Der futuristische Autor und Regisseur Terent’ev übte mehrfach Kritik an der hegemonialen Herrschaft der LEF. In „KTO LEF, KTO PRAF“44 [Wer LEF, wer PRAF ist] attackiert er diese scharf und verteidigt die metalogische Zaum’-Kunst gegen eine Einvernahme durch den „Oktober in der Kunst“.45 Dennoch tritt er bis zur letzten Ausgabe der „Novyj LEF“ selbst als Teil des russischen Autorenkollektivs auf. Der Übergang von der „Novyj LEF“ zur „Nova Generacija“, den die LEF in ihrer letzten Ausgabe ankündigte, wurde also letztlich auf praktischer Ebene von Terent’ev tatsächlich vollzogen, indem dieser ab 1929 Mitglied der Nova Gene­racija wurde. 1.1.3 OSA (Moskau, 1925–1930), „Sovremennaja architektura“ (Moskau, 1926–1930) Die Architektur-Zeitschrift „Sovremennaja architektura“ erschien zwischen 1926 und 1930 zweimonatlich in Moskau. Sie war das Organ der 1925 von einigen Mitgliedern der LEF ins Leben gerufenen OSA, der „Vereinigung zeitgenössischer Architekten“. Als Vorsitzende der Vereinigung und Herausgeber der Zeitschrift fungierten die beiden Architekten Aleksandr Vesnin und Moisej Ginzburg. Während Ginzburg als wich­tigster Theoretiker der Vereinigung gilt, zählt A. Vesnin, der gemeinsam mit seinem Bruder Viktor unzählige Bauprojekte verwirklichte, zu den produktivsten 39 40

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45

Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 134. Die russische REF wurde 1928 von Majakovskij gemeinsam mit Brik gegründet, kam jedoch nie über die Gründungsphase hinaus; vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 56. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 136. Vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, z. B. S. 8 f. Ähnlich widersprüchlich wie im Rahmen der „LEF“ erfolgten die polemischen Dis­ tanzierungen in der Ukraine, wo sich die Mitglieder der einzelnen Gruppierungen zwar ausdrücklich voneinander abgrenzten, zur selben Zeit allerdings gemeinsam an Pro­ jekten partizipierten, etwa am „Universal’nyj Žurnal“ [Universelles Journal]. Hierbei handelt es sich um ein Wortspiel: „LEF“ ursprünglich für „Levyj front“ [Linke Front] und zugleich eine verfremdete Kurzform von „Links“ (Levyj), „PRAF“ als gegen­ überliegende Entsprechung für „rechts“ resp. wahr; ausgedrückt wird damit, dass die LEF für sich beansprucht, immer im Recht zu sein. Vgl. Terent’ev, Igor’: „KTO LEF, KTO PRAF. (Stat’ja diskussionnaja)“, in: Marzaduri/ Nikol’skaja (Hrsg.) 1988: Sobranie sočinenij, S. 286–288, hier S. 288. 

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Architekten des sow­jetischen Konstruktivismus.46 Dass zu Beginn Gan für das Layout der „Sovremennaja architektura“ (Abb.  34) ver­ant­wortlich zeichnete, unterstreicht die Nähe zur LEF. Ab 1928 fungierte der Archi­tekt Ivan Leonidov als Gestalter.47 Analog zur OSA formierte sich 1928 in Char­­­kiw auf Initiative von Ivan Malo­ zemov, Jakov Štejnberg u. a. die OSAU, deren Publi­­­kationsmedium wiederum die „Nova Gene­racija“ dar­stellte. Die „Sovremennaja archi­­tektura“, die andere Medien eben­falls ein­bezog, den Fokus aber dennoch pri­mär auf die Architektur richtete, war insgesamt deutlich weniger intermedial ausgerichtet als die „Nova Gene­racija“. Zwar wurden auch Foto­grafien von Rodčenko und Gedich­te Majakovskijs sowie ande­rer Autoren präsen­­tiert, diese hatten jedoch meist eine illustra­tive Funktion, in­ dem sie Beiträgen zur Archi­tek­tur attributiv beigestellt waren.48 Umgekehrt stellte die Foto­gra­fie in der „No­va Generacija“ eine gleich­be­rechtigte Kunst­form dar, deren Her­­­vorbringungen als eigen­ständige Arbei­ ten präsen­tiert wurden.49 Ähnlich wie die „Nova Generacija“ übte die „Sovremennaja architektura“ eben­falls die Funktion als Fenster nach Europa aus,50 indem sie west­ europäischen Erscheinun­ gen eine Plattform bot. 1929 wurde dieses Fenster aller­ d ings relativ abrupt wieder geschlossen. Generell gesehen verfügte die russische Zeit­schrift über weitaus bes­ sere Kontakte nach Deutschland51 und Frankreich als das ukra­inische Pendant, zu­ dem waren auch meh­rere west­europäische Abb. 34: „Sovremennaja architek­tura“, Archi­tekten an der Moskauer Grup­pierung Nr. 3 (1927). Umschlag. so­wie deren Baupro­­jekten be­­teiligt. Hier Ge­­staltung: Aleksej Gan. lässt sich z. B. Le Corbusier nen­nen, über 46

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Die Entwürfe der Brüder Vesnin wurden z. B. für die Umsetzung des „Dniprostroj“, des gigantischen Staudammprojektes am Dnipro in der Ukraine (Fertigstellung 1932), sowie für die kurz nach Baubeginn wieder gestoppte Errichtung des Staatstheaters in Charkiw ausgewählt. Vgl. Lavrent’ev, Aleksandr: Aleksej Gan. Moskva: S. Ė. Gordeev 2010, S. 153 ff. Eine fast ganzseitige Fotografie Rodčenkos mit dem Begleittext „Каждому жилищу простор“ [Jeder Wohnung ihr Raum im Freien] fand sich z. B. als Auftaktseite zu einem Essay zur „Grünen Stadt“ abgedruckt; vgl.  Rodčenko, Aleksandr: „Každomu žilišče prostor“ (Fotografie), in: Sovremennaja architektura, Nr.  1–2 (1930), S.  19.  —  Für den Artikel zur grünen Stadt vgl. Baršč, M. O./Ginzburg, M. [Moisej]: „Zelenyj gorod“, in: Sovremennaja architektura, Nr. 1–2 (1930), S. 20–37. Ausführlicher zur Fotografie in der „Nova Generacija“ vgl. das Kapitel „Das Fotogramm: zurück zum Nullpunkt der Fotografie“ in dieser Arbeit. Als solches wird sie von Cohen bezeichnet; vgl. Cohen, Jean-Louis: „Ein ungewöhnlicher Fünfjahresplan der Sovremennaja architektura“, in: SA. Sovremennaja architektura. All­ gemeine Ausgabe. Ekaterinburg: Tatlin 2010, S. 3–24, hier S. 17. Umso erstaunlicher ist es, dass trotz dieser Kontakte die deutschsprachigen Texte in der ukrainischen Zeitschrift deutlich besser übersetzt waren.

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den in Russland häu­fig be­rich­tet wurde und der auch an mehreren sowje­tischen Bauprojekten teilnahm.52 Die „Sovremennaja architektura“ konnte sich nicht zuletzt aufgrund ihrer guten Vernetzung mit dem westeuropäischen Ausland als wich­tigstes Organ der gesamten sowjetischen Architektur etablieren, deren Bild im Aus­land sie maßgeblich prägte. Die Einbettung mehrsprachiger Texte, die in ähnlicher Form auch in der Ukraine er­folgte, sollte die internationale Ausrichtung demonstrieren. In den ersten Jah­ren ihres Erscheinens bot die „Sovremennaja architektura“ daher für manche Bei­träge fremdsprachige Abstracts an, die – und hier zeigt sich die Relevanz der Zusammen­ arbeit mit Architekten der Weimarer Republik – in der überwiegenden Mehrzahl auf Deutsch erschienen.53 Daneben wurden paratextuelle Elemente wie Überschriften und Bilduntertitel mehrsprachig abgedruckt, wobei sich insgesamt kein System erkennen lässt, warum manche Beiträge fremdsprachige Textelemente enthielten, andere dage­gen nicht. Am Ende des Jahrzehntes kam es zu einem inhaltlichen Bruch, der nicht nur mit einer Verlagerung des thematischen Schwerpunktes, sondern auch mit einem deut­lichen Rückgang der Berichterstattung über Westeuropa verbunden war. Das zunehmend repressive Klima in der Sowjetunion erschwerte den Zugang zu In­ for­mationen von außerhalb. Im letzten Jahr des Erscheinens wurden daher fast ausschließlich sowjetische Projekte präsentiert. Dass die Aktivitäten von westeuro­ päischen Gruppierungen wie der Roten Bauhaus-Brigade oder der Brigade May nach wie vor rezipiert werden konnten, war damit verbunden, dass diese vor Ort in der Sowjetunion tätig waren.54 Der Abbruch der Beziehungen zum Westen spiegelte sich überdies im fast gänzlichen Verzicht auf mehrsprachige Elemente wider. Während der Titel der Aus­ gaben bis einschließlich Ende 1929 in manchen Ausgaben gar dreisprachig abgedruckt wurde: „sovremennaja architektura. architektur der gegenwart. l’architecture contemporaine“ –, finden sich Anfang 1930 weder im Text noch in den begleitenden Textelementen fremdsprachige Texte wieder  – die Reduktion auf ausschließlich russische Texte wurde in den späteren Ausgaben jedoch wieder zurückgenommen. Auch bei der „Nova Generacija“, die das Prinzip der Mehrsprachigkeit ebenfalls vertrat, gingen die fremdsprachigen Textelemente 1930 merklich zurück, wobei sie ab Mitte des Jahres zur Gänze verschwanden. Eine Analogie bestand darin, dass Deutsch in beiden Medien die am häufigsten vertretene Fremdsprache war. Dies setzte sich bei der Nova Generacija insofern fort, als der in Kiew erschienene Ableger „Almanach Avangarde“ sogar im Titel zweisprachig  – deutsch/ukrainisch  – gehalten war. Die konstruktivistisch orientierte Avanhard rückte dagegen vor allem Esperanto als internationale Sprache in den Mittelpunkt. 52

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Le Corbusier gewann z. B. den Planungswettbewerb für das Moskauer Gebäude der Centrosojuz [Zentralverband der Konsumgenossenschaften]; vgl.  z. B. [Red. Cd’A] „Les dernières réalisations architecturales en Russe“, in: Cahiers d’Art, 4. JG, Nr. 1 (1929), S. 47–50, hier S. 47 f. Hier sei nochmals auf die Zeitschrift „Vešč’“ verwiesen, die ihre angekündigte Drei­ sprach­igkeit letztlich nicht einhalten konnte. Auf Initiative von Hannes Meyer wurden 1930 in Moskau einige Arbeiten von BauhausKünstlern präsentiert; vgl.  Muscheler, Ursula: Das rote Bauhaus.  Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern. Berlin: Berenberg 2016, S. 34.

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1.1.4 Literarisches Zentrum der Konstruktivisten: LCK (Moskau, 1924–1930) Die Aktivitäten des literarischen Konstruktivismus begannen in Russland im Jahr 1924, wobei das von Sel’vinskij, Zelinskij und Čičerin unterzeichnete Manifest „Znaem. Kljat­vennaja konstrukcija (Deklaracija)“55 als Gründungsmoment bezeichnet werden kann. Grübel verweist auf die besondere Relevanz der Bezeichnung „Deklaration“, die eine bewusste Abgrenzung von den Manifesten der Futuristen bewirken sollte.56 „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“ legte „центростремительное иерархическое распределение материала, акцентированного в предуставленном57 [sic] месте конструкции“58 [die zentripedale hierarchische Verteilung des Mate­rials, das an der vorgesehenen Stelle der Konstruktion akzentuiert wird],59 als wesentliche Bestimmung des Konstruktivismus fest. Material und dessen Konstruktion sollten so­mit die wichtigsten Elemente der konstruktivistischen Literatur darstellen. Ein in­ter­medialer, also medienübergreifender Ansatz, wie er sowohl den futuristischen Grup­pierungen als auch der ukrainischen konstruktivistischen Vereinigung Avanhard imma­ nent war, lässt sich für die literarisch-konstruktivistische Ausrichtung in Russland da­gegen nicht erkennen. Der Fokus des LCK lag ausschließlich auf der Literatur, wobei die Gruppierung einen wichtigen Beitrag zur Literaturtheorie leistete, der allerdings ins­gesamt nur wenig registriert wurde. Die zweite Deklaration der Konstruktivisten, die „Deklaracija literaturnogo centra kon­struktivistov (LCK)“ [Deklaration des literarischen Zentrums der Konstruk­ tivisten (LCK)], wurde im Jahr darauf publiziert. Als Unterzeichner schienen Sel’vinskij, Zelinskij, Vera Inber, Boris Agapov, Evgenij Gabrilovič, A. Tumannyj und I. A. Aksenov auf.60 Inber, die aus Odessa nach Moskau übersiedelte, war ähnlich wie bei der Jugo-LEF auch beim LCK die einzige weibliche Beteiligte. Die Vertreter des literarischen Konstruktivismus veröffentlichten ihre Texte vor allem in Büchern und Anthologien, während Zeitschriften als Publikationsorgan program­matisch abgelehnt wurden.61 Zu den wichtigsten Publikationen des LCK zähl­ ten die Sammelbände „Mena vsech“ (1924) (Abb. 35), „Gosplan literatury“ [Staats­plan der Literatur] (1925) und „Biznes“ [Business] (1929), die sowohl Essays zu Literatur und Theorie als auch zu Prosa und Lyrik enthielten. Zelinskij und Sel’vinskij gelten als wichtigste Theoretiker der Gruppe, deren Mitglieder bis heute  – sieht man von Grübels Band ab  – in der Forschung nur wenig registriert wurden.62 Der LCK exis­ tierte bis 1930 und wurde sogar in proletarischen Kreisen zu den wichtigsten zeit­ genössischen literarischen Phänomenen gezählt, so auch von der proletarischen

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Zelinskij/Čičerin/Sel’vinskij 1924: „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“, S. 9. Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 124. Korrekt müsste es eventuell „predustanovlennom“ heißen, eine Überprüfung im Original war jedoch nicht möglich. Zelinskij/Čičerin/Sel’vinskij 1924: „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“ – zit. nach Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 125. Die Übersetzung folgt Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 125. Vgl. Zelinskij 2015: Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl, S. 91. Vgl. z. B. Zelinskij 1929: „Biznes i Dostoevskij“, S. 162. Der 2015 erschienene Band „Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl“ stellt eine erste um­ fangreiche Auseinandersetzung und Publikation von Texten des russischen Autors und Theoretikers in Russland selbst dar: Zelinskij 2015: Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl.

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Zei­ tung „Zabajkal’skij rabočij“ [Der transbai­­kalische Arbeiter],63 der zufolge ein Ziel der kon­struktivistischen Program­ matik „в пере­стройке всей сис­темы поэти­ ческого твор­чества на нов­ых, пла­но­вых нача­лах“64 [in der Umstruk­ turie­ rung des gesam­ten Sys­tems des poeti­schen Schaffens auf neuen, plan­mäßigen Grund­lagen] lag. Im „Zabaj­kal’skij rabočij“ fanden übri­gens der Kiewer Autor Nikolaj Ušakov,65 seit Anfang 1929  – jedoch nur temporär  – ein Mitglied der rus­­sischen Kon­struktivisten, und dessen Gedicht­­­band „Vesna respubliki“ [Früh­ l ing der Republik] (1927) eine be­ sondere Er­wäh­nung.66 Ähnlich wie zwischen den ukraini­ schen kon­ struktivistischen und futuristi­ Abb. 35: „Mena vsech“, 1924. Umschlag. schen Grup­­pierungen herrschte auch zwi­ schen LEF und LCK ein äußerst pole­mischer Dis­put, der sich auf die unterschiedlichen Kon­zepte zur Be­deutung von Poesie und Kunst konzen­trierte. So wurde bspw. von Seiten des LCK der destruktive Ansatz der LEF moniert: „Вся энергия ЛЕФа пошла главным образом в сторону негативной борьбы за новое искусство“ [Die gesamte Energie der LEF ging hauptsächlich in Richtung eines nega­tiven Kampfes für eine neue Kunst].67 Die Mitglieder des LCK kritisierten überdies die Praktiken der LEF, „бросить писать романы и рассказы и итти [sic] работать в газеты“68 [das Schreiben von Romanen und Erzählungen zu verwerfen, um für die Zeitung zu arbeiten], was die prinzipielle Bevorzugung des Mediums Buch und die programmatische Ablehnung der Zeitschrift unterstreicht. Avanhard agierte in dieser Hinsicht weniger dogmatisch, da sowohl Alma­nache („Radius“, „Pul’s epochy“) als auch eine Zeitschrift („Avanhard“) produ­ziert wurden. Mit „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, dem Vorläufer der Zeit­ schrift „Avan­hard“, existierte überdies eine Art Hybrid, der zwar als einmalig er­­ scheinendes Medium mit einem größeren Seitenumfang typische Charakteristika eines Almanachs aufwies, zugleich aber sowohl grafisch als auch im Hinblick auf das Format wichtige Merkmale des später verwendeten Mediums der Zeitschrift vorwegnahm. 63

64 65

66 67 68

Vgl. [Red. ZR] (L. L.): „Beseda o literature. Literaturnyj konstruktivizm“, in: Zabajkal’skij rabočij, 25.8.1929. Archivbestand: RGALI, f. 4095, op. 1, d. 50, Nr. 10. Die Zeitschrift führt die bereits 1924 erschienene Publikation „Mena vsech“ jedoch nicht an. Ibd. Ušakov zeichnete außerdem für die Übersetzung mehrerer ukrainischer Autorinnen und Autoren ins Russische verant­wort­lich, etwa Ivan Franko, Lesja Ukrajinka sowie Mychajlo Kocjubyns’kyj. Der spätere Ševčenko-Preisträger, der auf Russisch schrieb, publizierte sowohl in der Ukraine als auch in Russland; vgl. Kasack 1992: Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, S. 1337 f. [Red. ZR] (L. L.) 1929: „Beseda o literature. Literaturnyj konstruktivizm“. LCK: „Gosplan literatury“, in: Zelinskij (Hrsg.) 2015: Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl, S. 47–81, hier S. 53. Zelinskij 1929: „Biznes i Dostoevskij“, S. 162.

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1.2 W  esteuropäische Kollektive und Zeitschriften – Analogien, Impulse, Divergenzen Ähnlich wie die russischen Aktivitäten wurden in der Ukraine auch westeuropäische Grup­pierungen und Zeitschriften intensiv rezipiert. Vor allem die Entwicklungen in Ber­lin und Paris, den Zentren der westeuropäischen Avantgarde, wurden mit gro­ ßem Inte­resse verfolgt. Aufgrund der zunehmenden politischen Abschottung der Sowjet­union, die ab Mitte der 1920er-Jahre immer deutlichere Spuren in der Kunst hinter­l ieß, wurde das Verfolgen westeuropäischer Erscheinungen auch in der Ukraine zunehmend schwie­­riger. Während persönliche Kontakte fast nur noch im Rahmen von offiziell durchge­ führ­­­ ten Auslandsreisen erfolgen konnten, bot die Lektüre deutscher und franzö­si­scher Perio­­dika eine Zeitlang weiterhin die Möglichkeit, an der westeuropäischen Kunst zu parti­zipieren. Im Folgenden werden einige der westeuropäischen Zeitschriften und Medien, die in der Ukraine rezipiert wurden,69 auf ihre impulsgebende Funktion hin untersucht und Analogien und Divergenzen mit „Nova Generacija“ und „Avanhard“ aufgezeigt. 1.2.1 „Der Sturm“ (Berlin, 1910–1932) Während die ukrainischen Zeitschriften „Nova Generacija“ und „Avanhard“ ganz im Zeichen der Präsentation westeuropäischer Erscheinungen standen, fungierte die 1910 erstmals erschienene Berliner Zeitschrift „Der Sturm“ umgekehrt als deutsche Plattform für osteuropäische Literatur und Kunst. Initiator und Herausgeber war der Galerist und Verleger Herwarth Walden, der in Berlin auch eine gleichnamige Galerie für moderne Kunst betrieb, in der vor allem zeitgenössische Künstler des Futurismus, Expressionismus und Kubismus ausgestellt wurden. Das Konzept, neben der Präsentation und Kritik von Künstlern – wie erwähnt ist Archipenko ein wichtiges Beispiel dafür (Abb. 36) – auch literarische Texte zu integrieren, stellt eine wichtige Analogie zu den ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften dar, die ebenfalls Literatur und bildende Kunst kombinierten. Abgesehen von der gleichrangigen Präsentation verschiedener Kunstformen (Literatur, bildende Kunst, Skulptur etc.) lag ein Spezifikum von „Der Sturm“ überdies in der Herausgabe themen- und länderspezifischer Sondernummern, die exklusiv einer be­stimmten Strö­mung resp. den Erscheinungen eines aus­ gewählten Landes gewidmet wur­ den. Sowohl Dis­ kussionen als auch Übersetzungen von osteuropäischer Li­teratur stellten wich­tige Schwerpunkte dar, wobei vor allem tschechischen und polnischen Autorinnen und Autoren eine Plattform geboten wurde.70 Trotz der starken Präsenz russischer Kunst­ schaffender in Berlin und des immer stärker werdenden Interesses Waldens an der Sowjetunion kam es erst spät zu Bestrebungen, sich mit Vertretern der sowjetischen Avant­garde zu vernetzen. Amely Deiss merkt an, dass sich für Waldens frühe Berliner Jahre noch keine Kontakte mit russischen Konstruktivisten nachweisen ließen.71 69 70

71

Für eine kurze Übersicht über diese und weitere rezipierten Medien vgl. auch Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 34–38. Für eine Analyse der Verbindungen zwischen polnischen Künstlern und dem „Sturm“ vgl. Dmitrieva, Marina: „Polnische Künstler und der Sturm“, in Brandt, Marion (Hrsg.): Grenzüberschreitungen. Deutsche, Polen und Juden zwischen den Kulturen (1918-1939). München: Meidenbauer 2006, S. 45–64. Vgl.  Deiss, Amely: „,Im Mittelpunkt der in Gärung begriffenen Kunst.‘ Berlin als Schmelztiegel der konstruktiven Idee im Spiegel von Zeitschriften und Kunstbüchern“,

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Diese ergaben sich erst im Rahmen von Waldens Reisen in die Sowjetunion, als deren Folge 1930 eine Sondernummer zur Sowjetunion erschien.72 In den 1920er-Jahren hatte die Zeitschrift, ähn­­ lich wie die von ihr hauptsächlich propa­gier­ten Strömungen Ex­pressionismus, Futu­rismus und Kubis­mus ihren Zenit be­­ reits über­schritten, sodass Waldens ehema­ lige Funk­tion als Entdecker und För­derer von Kunst­­schaffenden der Moderne eben­­ falls nicht mehr aktuell war. Die vermin­ derte Rele­vanz zeigte sich z. B. da­rin, dass „Der Sturm“ Ende der 1920er-Jahre nicht mehr wie zu Beginn seines Bestehens wöchentlich, sondern nur noch monatlich erschien. Zu­gleich kam es zu einer program­ Abb. 36: „Der Sturm“, Nr. 5 (1923). matischen Neuorientierung, in­­ dem etwa Umschlag. Sujet: „Frauenfigur“, der umfang­ r eiche Bildanteil zu Guns­ ten Alexander Archipenko. des Text­ teils zu­ rückging und damit die bilden­de Kunst thematisch ein wenig in den Hinter­grund trat. „Der Sturm“ ging über­d ies zu­nehmend von der Lyrik ab, statt­dessen kamen ver­mehrt Essays und Reportagen zum Ab­druck.73 All dies lässt sich gewiss als Resultat des generell rückläufigen Interesses an moder­ ner Kunst ver­stehen, das in Deutschland ähnlich wie in der Sowjetunion durch die Eta­blierung der Produktionskunst (etwa die Neue Sachlichkeit) und die spätere Rück­kehr zu rea­listischen Strömungen zusätzlich schwand. In der Ukraine erreichte dagegen die Rezeption des Sturm-Kreises, diesem Trend entgegenlaufend, erst Ende der 1920er-Jahre ihren Höhepunkt. Obwohl es von Seiten der Nova Generacija zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den im „Sturm“ vertretenen Künstlern und Strömungen kam, wird eine Vorbildfunktion mehrfach negiert. Ein in der Zeitschrift „Krytyka“ er­ schienener Beitrag, der eine Nachahmung unterstellt, wurde von Semenko kritisiert. Trotz grundlegender Unterschiede fühle sich die Nova Generacija jedoch dem „Sturm“ eng verbunden:

72 73

in: Ausst.-Kat. Bauhausstil oder Konstruktivismus? Aufbruch der Moderne in den Zentren. Berlin, Bauhaus, Hannover, Stuttgart, Frankfurt. Herausgegeben von Tobias Hoffmann. Köln: Wienand Verlag 1972, S. 19–29, hier S.  22.  —  Dass dies nicht an einem man­ gelnden Interesse Waldens am Konstruktivismus gelegen haben kann, zeigt sich darin, dass die von Alfred Kemeny und László Moholy-Nagy verfasste Proklamation des „Dynamisch-kon­struktiven Kraftsystems“ 1922 im „Sturm“ publiziert wurde: Kemeny, Alfred/Moholy-Nagy, László: „Dynamisch-konstruktives Kraftsystem“, in: Der Sturm, 13. JG, Nr. 12 (Dez. 1922), S. 186 (deutsch). Zur Sondernummer: Der Sturm. Sondernummer UdSSR. 20. JG, Nr. 5–6 (1930). Die zuvor erwähnte Sondernummer zur Sowjetunion enthielt ebenfalls hauptsächlich Essays und Reportagen.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West „Первообразом“ для „НГ“ цей журнал ніколи не був  – ні в малюнках, ні в зовнішньому вигляді, ні в змісті. Der Sturm лівий журнал, і ми його друзі […].74 [Ein „Prototyp“ für die „NG“ war diese Zeitschrift nie – weder für die Bilder noch für das Erscheinungsbild noch für den Inhalt. Der Sturm ist eine linke Zeitschrift, und wir sind seine Freunde […].]

Die Unterschiede zwischen dem „Sturm“ und der „Nova Generacija“ wurden überdies von Anatolij Sanovyč in einer 1928 erschienenen, kurz gehaltenen Rezension darge­legt, die als Teil eines Beitrages zur linken Kunst in Deutschland erschien. So würde etwa Prosa, und darin liegt Sanovyč zufolge ein essentieller Unterschied, in der deutschen Zeitschrift fast nicht vorkommen.75 Die unterschiedliche Positionierung in Bezug auf die Prosa diente ja auch im Hinblick auf die LEF als Beleg der Eigenständigkeit, da die LEF programmatisch zu Gunsten von Gebrauchstexten auf Prosa verzichtete.76 1.2.2 Bauhaus (Weimar/Dessau/Berlin, 1919–1932) Das Staatliche Bauhaus in Weimar wurde 1919 von Walter Gropius als Hochschule für bildende Kunst und Kunstgewerbeschule gegründet, wobei auch hier ein Manifest,77 das in einer vierseitigen Broschüre publiziert wurde, die grundlegenden Prinzipien der Einrichtung darlegte. Die „Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk  – zu einer neuen Baukunst als deren unablösliche Bestandteile“78 wurde als zentrales Ziel festgelegt, wodurch die Kluft zwischen Kunst und Handwerk überwunden werden sollte. Anders als bei ande­ ren Avantgarden kam es somit am Bauhaus zu keiner prinzipiellen Ablehnung der tradierten Künste, die in den Alltag integriert werden sollten. Das Konzept der ganz­ heitlichen Ausbildung fokussierte stark auf die Einbindung des Handwerks, sodass die Schüler am Bauhaus sowohl handwerklich und zeichnerisch als auch wissen­ schaftlich ausgebildet werden sollten.79 Literatur spielte keine vorrangige Rolle, ob­ wohl Dichtkunst und Theater laut Manifest einen essentiellen Teil der Bauhaus-Idee darstellten, Arbeit und Spiel zu kombinieren. Das von Johannes Itten eingebrachte Kon­zept, „Spiel wird Fest  – Fest wird Arbeit  – Arbeit wird Spiel“80 wurde in Form von mehreren Festen umgesetzt,81 die an den performativen Charakter der UNOVIS denken lassen, die in etwa zur selben Zeit ebenfalls öffentliche Straßen und Plätze mit ihrer Kunst „bespielten“. Auf die erste Phase, die vom Bauhaus selbst später als „expressionistisch“ be­ zeichnet wurde, folgte eine zunehmende Aufwertung des Funktionalismus, die sich in 74 75

76 77 78 79 80 81

[Red. NG]: „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 225. Der Beitrag erschien 1928 in Heft Nr. 8, wurde jedoch fälschlicherweise bereits in Heft 7 im Inhaltsverzeichnis angeführt; Sanovyč, A.: „Livi v Nimeččyni“, in: Nova Generacija, Nr. 8 (1928), S. 117–119, hier S. 117. [Red. NG]: „Lystuvannja z redakcijeju: Vid redakciji. Vidpovidajemo za vašymy paktamy“, in: Nova Generacija, Nr. 7 (1928), S. 61–62, hier S. 61. Gropius, Walter: „Manifest und Programm des Staatlichen Bauhauses, April 1919“, in: Droste, Magdalena: Bauhaus 1919–1933. Hong Kong et al.: Taschen 2006, S. 18–19. Ibd. S. 19. Vgl. Droste 2006: Bauhaus 1919–1933, S. 22. Itten zitiert nach Droste 2006: Bauhaus 1919–1933, S. 38. Vgl. ibd.

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der Aus­einandersetzung mit Leitbegriffen wie Typ, Funktion, Industrie und Technik mani­festierte.82 Der Wunsch, Kunst und Technik zu einer Einheit zu verschmelzen, wurde wesentlich durch die niederländische Gruppierung De Stijl und deren Gründer Theo van Doesburg angestoßen, der diesen Prinzipien bereits seit der Gründung von De Stijl im Jahr 1917 eine bedeutende Rolle beimaß. Der Schwerpunkt am Bauhaus wurde nicht mehr auf das Kunsthandwerk, sondern auf das funktionale Design gelegt, für das ein eigenes, von staatlichen Abhängigkeiten losgelöstes Verwertungssystem geschaffen werden sollte.83 Zu den Lehrenden („Meistern“) der frühen Phase am Bauhaus zählten neben Gro­ pius Itten, Lyonel Feininger, Klee, Oskar Schlemmer und Wassily Kandinsky, von denen je­doch die meisten in Bereichen lehrten, die mit ihrem urspünglichen Arbeits­ bereich, der Malerei, zumindest auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam hatten.84 1923 stieß der ungarische Künstler Moholy-Nagy als Bauhaus-Meister hinzu, dessen Arbeit neben jener von Klee und Schlemmer später in der Ukraine auf besonders großes Interesse stieß.85 Das Bauhaus wurde in der Ukraine insgesamt sehr intensiv rezipiert, wobei es gar zu einer – wiewohl nur vermeintlichen – Mitarbeit Moholy-Nagys an der „Nova Gene­racija“ kam, die den Bauhaus-Künstler als Redaktionsmitglied anführte. Über diese Beteiligung las­sen sich jedoch abseits der „Nova Generacija“ keinerlei Evidenzen fin­den. Am Bau­haus wurde Moholy-Nagy zu einem der wichtigsten Mitarbeiter von Gropius, mit dem er gemeinsam die Reihe der Bauhaus­bücher initiierte und herausgab. Von den ursprünglich 50 geplanten Bänden erschienen letztendlich nur vierzehn, von denen die meisten von Moholy-Nagy gra­ fisch ge­staltet wurden.86 Unter der Leitung von Gropius und Moholy-Nagy erschien überdies von Ende 1926 bis 1931 vierteljährlich die Zeitschrift „bauhaus. zeitschrift für bau und gestal­ tung“ (Abb.  37), für deren Zu­sammenstel­ lung jeweils unterschiedliche Meister vom Bauhaus verantwortlich zeich­ neten. Der gänz­ l iche Verzicht auf die Großschrei­ Abb. 37: „bauhaus. zeitschrift für bau bung, der in der Schriftgestaltung ab 1925 und gestaltung“, Nr. 1 (1928). Umschlag. auf Initiative von Her­bert Bayer prakti­ziert Gestaltung: Herbert Bayer. wurde, zeigte in der Ukraine einen Nieder­ 82 83 84 85

86

Vgl. Droste 2006: Bauhaus 1919–1933, S. 50 f. Vgl. ibd. S. 54 ff, 60. Vgl. ibd. S. 24. Ausführlicher zur Rezeption des Bauhauses in der „Nova Generacija“ vgl. Faber, Vera: „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avantgarde. Eine Annäherung in drei Beispielen“, in: Zeitschrift für Slawistik, 60/2 (2015), S.  228–241, insbes. 232–238. Vgl. Droste 2006: Bauhaus 1919–1933, S. 137.

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schlag in der Typografie: Das Prinzip der aus­­schließlichen Kleinschreibung fand sich in den späten Ausgaben der „Nova Gene­racija“ wieder, die ab 1930 von Petryc’kyj gestaltet wurden.87 Hier ist aller­d ings anzumerken, dass das Ukrainische ins­­gesamt über deutlich weniger normative Groß­­schreibungen verfügt als das Deut­sche (da etwa Nomen lediglich am Satzan­fang großgeschrieben werden), sodass die Praxis der Kleinschreibung auf das Erscheinungs­bild der ukrainischsprachigen Texte eine andere Auswirkung hatte. Die Arbeit am Bau­­haus wurde mehrfach durch politische Inter­ ventionen behindert, wobei die Kunst­hochschule aufgrund ihrer linken Aus­richtung bereits seit ihrer Gründung mit An­feindungen von konservativer Seite kon­frontiert war.88 Nach der Auflösung des Bauhauses in Weimar folgte 1925 die Über­siedlung nach Dessau, wo die Kunst­hochschule jedoch ab Ende der 1920er-Jahre, bereits unter der Leitung von Hannes Meyer, abermals Probleme bekam, die 1932 in der Übersiedlung nach Berlin und der endgültigen Auflösung ein Jahr später resultierten. 1.2.3 „Der Querschnitt“ (Berlin, 1921–1936) Ähnlich wie in den ukrainischen Medien lag der Schwerpunkt von „Der Querschnitt“ (Abb. 38) ebenfalls auf der Propagierung künstlerischer Erscheinungen. Als Initiator der Zeitschrift, die ab 1921 zuerst in Jahrbuchform und erst ab 1924 monatlich als Heft erschien, fungierte der deutsche Galerist Alfred Flechtheim, der ebenso wie Walden zu den wichtigsten Proponenten moderner Kunst in der Weimarer Republik zählte.89 Ab 1924 wurde die Zeitschrift von Hermann von Wedderkop herausgegeben. „Der Querschnitt“ gilt als eine der ersten Illustrierten der europäischen Moderne und war eines jener neuen Medien, die in den 1920er-Jahren Spezialthemen mit sol­ chen aus der Alltagskultur kombinierten. Das Vorhaben, Kunst alltagstauglich zu machen, zählt vordergründig zu den wichtigsten Analogien zwischen „Der Quer­ schnitt“ sowie den ukrainischen Zeitschriften. Bei näherer Betrachtung scheint diese Annahme je­doch nicht haltbar. Ilnytzkyj verweist bspw. auf eine ambivalente Posi­tion der „Nova Gene­racija“, die sich einerseits als funktionales Arbeiterorgan präsen­tierte, sich zugleich aber von dieser Funktion distanzierte, indem sie das eigene Pro­jekt als „Laboratorium“ definierte, das abseits der öffentlichen Wahrnehmung agierte.90 Eine ähnliche Ambi­valenz lässt sich für „Der Querschnitt“ konstatieren, als dessen Zielgruppe nicht zuletzt aufgrund der doch beachtlichen Auflagenhöhe, die bis zu 20  000 Stück betrug, die Masse vermutet werden darf. Julia Bertschik zu­folge wollte die Zeitschrift allerdings nicht die Masse, sondern vielmehr „alte und neue Eliten, Aristokraten ebenso wie neu­reiche Millionäre und Kunstsammler der Zwischen­ kriegszeit ansprechen“.91 Insgesamt war „Der Querschnitt“ thematisch gewiss universeller und bezog mehr Alltagsthemen ein als die „Nova Generacija“ und „Avanhard“, in denen sich der uni­ 87 88 89

90 91

Vgl. Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 191 f. Vgl. ibd. 46 ff. Für eine ausführliche Darstellung der Zeitschrift resp. der Rolle Flechtheims vgl. Dascher, Ottfried: ,Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst‘ – Alfred Flechtheim: Sammler, Kunsthändler und Verleger. Wädenswil: Nimbus 2011; für eine Darstellung des Profils der Zeitschrift vgl. Bertschik, Julia: Der Querschnitt. Illustrierte Monatszeitschrift 1921–1936: http://litkult1920er.aau.at/?q=content/der-querschnitt-illustrierte-monatszeitschrift1921-1936 (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 128 f. Bertschik 2015: Der Querschnitt. Illustrierte Monatszeitschrift 1921–1936.

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versalistische Anspruch vor allem in der Bezugnahme auf verschiedene Medien und Kunstrichtungen sowie in der Transgression von kulturellen Grenzen manifestierte. Der Anspruch, internationale Literatur abzudrucken, lässt sich als wichtige Analogie fest­stellen. „Der Querschnitt“ repräsentierte überdies nicht das Organ einer einzelnen künst­lerischen Strömung, beschränkte den Fokus somit nicht auf eine Richtung, son­ dern bezog auch andere Erscheinungen und Entwicklungen mit ein. Im Gegensatz dazu lag der Schwerpunkt in der „Nova Generacija“ und in „Avanhard“ eindeutig auf der Betrachtung verwandter Phänomene. Überdies kam es in der deutschen Zeit­ schrift zu keiner Politisierung, die in den ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften eine zentrale Rolle spielte und die politische Ausrichtung eindeutig definierte. Obwohl sich mit „Der Querschnitt“ insgesamt weniger Gemeinsamkeiten konsta­ tieren lassen als mit anderen Medien, wurde die Zeitschrift in der „Nova Generacija“ dennoch als Vorbild angeführt, während Semenko eine Anlehnung an Waldens „Der Sturm“ noch ausdrücklich verneinte. Würden sie gefragt, wer ihnen als Modell gedient hätte, то ми б відповіли (це не секрет і культурний укр. читач, що стежить за закорд. періодикою, це знає), що „первообразом“ для нас був „Querschnitt.“92 [so würden wir antworten (das ist kein Geheimnis und der kultivierte ukrainische Leser, der das ausländische Zeitschriftenwesen verfolgt, weiß das), dass uns „Der Quer­ schnitt“ als Prototyp diente.]

Dass der ukrainische „Querschnitt“-Kenner als „kultiviert“ bezeichnet wird, belegt die in der Ukraine ebenfalls wahrgenommene Intention, die Eliten eher denn die Mas­se anzusprechen. Beachtlich ist dies jedenfalls vor dem Hintergrund, dass alles „Kulti­vierte“ im Kontext der Proletarisierung der sowjetischen Gesellschaft offiziell aus­drück­l ich abgelehnt wurde, sodass sich die ukrainischen Futuristen gewissermaßen öffent­lich dazu bekannten, mit ihrem Periodikum eine bourgeoise und somit öffent­ lich ver­femte Leserschaft ansprechen zu wollen. Im Hinblick auf die inhaltliche Konzeption zeigen sich Analogien vor allem mit „Avanhard“, die eine etwas universellere Themenauswahl präsentierte als Semenkos Zeitschrift. Die Übereinstimmungen lagen etwa in der inhaltlichen Gewichtung. So wurde bspw. ein Schwerpunkt auf Musik gelegt, die andernorts trotz ihrer Relevanz oft unterrepräsentiert blieb. Von Avanhard wurde Musik neben Literatur und Archi­ tektur als dritte von drei wichtigen Kunstformen angesehen.93 Mit Rubriken wie dem „Künstlerischen Salat“ („Mystec’kyj vinihret“) enthält „Avanhard“ zudem eine ähn­ liche Textsorte wie „Der Querschnitt“, in dem durch die Gleichsetzung von Küche und Kunst ebenfalls die Grenzen von Alltagskultur und Hochkultur überschritten werden sollten. Diese Form der Parallelmontage wird als „Salatprinzip“ bezeichnet und war für „Der Querschnitt“ sehr spezifisch.94 Bei der ukrainischen Leserschaft wurde die Gleichsetzung von Hoch- und Massenkultur offenbar mit großer Begeisterung aufgenommen, wie die Redaktion von „Avanhard“ berichtete: 92 93 94

[Red. NG] 1928b: „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, Nr. 11 (1928). Vgl. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Zur Parallelmontage bei „Der Querschnitt“ vgl.  Bertschik 2015: Der Querschnitt. Illustrierte Monatszeitschrift 1921–1936.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West Практика „Бюлетеня Авангарду“ показала, що наші читачі страшенно люблять вінігрет. Редакції „Авангарду“ оповідали найрізноманітніші люди, що вони ковтнули вінігрет „Бюлетеня“.95 [Die Praktik des „Bulletins der Avanhard“ hat gezeigt, dass unsere Leser den Salat fürchterlich lieben. Der Redaktion von „Avanhard“ erzählten ganz verschiedene Leute, dass sie den Salat des „Bulletins“ verschlungen hätten.]

In der „Nova Generacija“ kam die Parallelmontage jedoch trotz ihrer damals großen Popularität nicht zum Einsatz.

Abb. 38: „Der Querschnitt“, VII. JG, Heft 1 (Januar 1927). Umschlag. Sujet: Moisej Kogan.

Abb. 39: „Cahiers d’Art“, Nr. 2 (1927). Umschlag.

1.2.4 „Cahiers d’Art“ (Paris, ab 1926) Die französische Kunstzeitschrift „Cahiers d’Art“ (Abb.  39) wurde ab 1926 von Christian Zervos in Paris herausgegeben und erschien monatlich. Sie beschränkte sich nicht aus­schließlich auf die Kunst der Moderne, sondern bezog die verschiedensten Epo­chen der Kunstgeschichte in ihre Kritiken mit ein, wobei mitunter auch exotische Regio­nen und periphere künstlerische Erscheinungen in den Blick genommen wur­ den. Als Beispiel sei hier die umfangreiche Auseinandersetzung mit „primitiver Kunst“ genannt, die vor allem Skulpturen und Masken aus exotischen Ländern ins Zen­trum rückte.96 Überdies fand auch der Impressionismus breiten Raum, wobei ins­ besondere Paul Cézanne rezi­piert wurde, der auf Künstler wie Picasso einen ebenso 95 96

Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 71. 1927 erschien z. B. ein ausführlicher Beitrag zur „Art Négre“, wobei einige der darin ent­haltenen Abbildungen – unkommentiert – in die „Nova Generacija“ übernommen wur­den. Zum Originalbeitrag vgl.  Zervos, Christian: „L’Art Négre“, in: Cahiers d’Art, Nr. 7–8 (1927), S. 228–230. Zur Übernahme in der „Nova Generacija“ vgl. die Abbil­

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starken Ein­fluss hatte wie auf zahlreiche russische und ukrainische Künstlerinnen und Künstler der Avantgarde. Obwohl die „Cahiers d’Art“ sich thematisch hauptsächlich mit bildender Kunst ausei­nandersetzten, wurden die Entwicklungen des Neuen Bauens und somit der zeit­­ genös­si­schen Architektur ebenfalls intensiv diskutiert. Neben französischen Architek­ ten wie Le Corbusier, der sich auch in der Sowjetunion einer starken Rezeption erfreute, wurden auch die Entwicklungen der sowjetischen Architektur mit großem Interesse ver­ folgt.97 Außerdem waren Kritiken zu Musik und Theater enthalten, wobei der Fokus im Hinblick auf die Sowjetunion-Rezeption eindeutig auf Moskau (als Zentrum) gerichtet war, wie ein mehrseitiger, umfangreich bebilderter Beitrag zu Vsevolod Mejerchol’ds In­ szenierung von Nikolaj Gogol’s „Revizor“ belegt, der 1927 erschien.98 Das ukrainische Theater, das mit Kurbas sehr innovative Produktionen hervorbrachte, war offenbar weder zentral noch exotisch oder peripher genug und fand daher keine Resonanz. In den „Cahiers d’Art“ lag der Fokus jedoch insgesamt eindeutig auf der bildenden Kunst, wo­hingegen der intermediale Ansatz marginaler ausgeprägt war. Obwohl die Nova Generacija den öfters aufgestellten Vergleich mit anderen Grup­ pie­rungen dezidiert ablehnte, bekannte sie sich: Малюнки й статті що-до закордонної інформації ми беремо переважно з паризького журналу „Cahiers d’Arts“ [sic] – це було так до цього часу.99 [Die Bilder und Artikel für die Information über das Ausland nehmen wir hauptsäch­ lich aus dem Pariser Journal „Cahiers d’Arts“ [sic] – so war es bislang.]

Dies betraf vor allem das Bildmaterial zur westeuro­päischen Kunst sowie zur Archi­ tektur. Somit wurde „Der Querschnitt“ als „Prototyp“ angesehen, während die franzö­ sische Kunstzeitschrift vor allem zu Beginn als Vorlage für die Bilder diente. Hierfür wurden die Bilder direkt aus der Zeitschrift übernommen und im Druck reproduziert, was üblicher­weise zu einem Qualitätsverlust führt. Da die „Cahiers d’Art“ aber nicht nur hochwertig gedruckt, sondern auch in relativ großem Format erschienen, ver­ fügten die Bilder über eine sehr gute Qualität und waren durchaus reproduzierbar. Dass die „Nova Generacija“ in der frühen Phase zahlreiche Anleihen bei den „Cahiers d’Art“ nahm, ab 1929 jedoch inhaltlich und grafisch von der Zeitschrift abrückte,100 lässt sich als Beleg für die zunehmende Abschottung der Sowjetunion verstehen. Materialien aus dem sogenannten „Westen“ wurden zu dieser Zeit immer schwieriger zugänglich, was sich als prägnanter Bruch innerhalb der Zeitschrift manifestierte. Für Avanhard lassen sich hingegen keine Anleihen bei der französischen Zeitschrift verzeichnen.

97

98 99 100

dungen [O. V.]: „Nehrytjans’ka maska“ (Abbildung) und [O. V.]: „Masky nehriv“ (Ab­ bildungen), beide in: Nova Generacija, Nr. 1 (1928), Abb.-Seite 6, 7. Vgl.  z. B. den folgenden Beitrag zur russischen Architektur, der auch umfangreiches Bildmaterial enthielt: [Red. Cd’A] 1929: „Les dernières réalisations architecturales en Russe“. Vgl. Zervos, Christian: „Le ,Revizor‘ de Gogol réalisé par Meyerhold“, in: Cahiers d’Art, 2. JG, Nr. 2 (1927), S. 75–78. [Red. NG] 1928b: „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, Nr. 11 (1928). Ab 1929 gingen die Übernahmen deutlich zurück.

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Programmatik und Internationalität

Dass sich die internationale Ausrichtung bei der Nova Generacija und bei Avanhard auch auf konzeptioneller Ebene wiederfand, rückt die beiden Gruppierungen ein­ deutig in eine konstruktivistische Tradition. Hier sei nochmals auf die dreisprachige Emigrationszeitschrift „Vešč’ – Objet – Gegenstand“ verwiesen, die das erste dezidiert internationale konstruktivistische Projekt darstellte, das eine Vernetzung von Ost und West propagiert. Auch die LEF betonte bereits bei ihrer Gründung, dass die inter­nationale Vernetzung eines ihrer Hauptanliegen sei, wobei sie  – ganz in ihrem hege­monialen Duktus – international gesehen nicht nur als Organ der sowjetischen, sondern auch der internationalen Avantgarde agieren wollte.101 Die Intensität der in­ ter­nationalen Ausrichtung des sowjetischen Konstruktivismus wurde durch die sow­­ jetische Kulturpolitik begünstigt, die eine Festigung internationaler Beziehungen, ins­­besondere zu Deutschland, forcierte. Lissitzky war einer der wichtigsten dieser auch offiziell entsandten Vermittler zwischen den Kulturen.102 Eine offizielle Mission analog zum russischen Projekt scheint es in der Ukraine nicht im selben Ausmaß ge­ geben zu haben, wenngleich mit der All-Ukrainian Society for Cultural Relations with Foreign Countries ebenfalls eine staatliche Institution für die Verbreitung der neuen Ideen im fremdsprachigen Ausland sorgen sollte. Im Folgenden wird die Internationalität der ukrainischen Avantgarde anhand ihrer Manifeste und Proklamationen aufgezeigt. Zuerst wird ein Überblick über die Entwick­lung und den besonderen Status der ukrainischen Manifeste innerhalb der euro­pä­ischen Avantgarden geleistet. Danach folgt eine Darstellung einiger der wich­ tigsten Programmtexte sowie Grundsätze von Nova Generacija und Avanhard, die teil­weise komparatistisch in Bezug zu denjenigen anderer Avantgarden betrachtet werden. 2.1 Manifeste und Proklamationen der ukrainischen Avantgarde In den 1910er-, 20er- und 30er-Jahren wurde die Proklamation von künstlerischen Ideen und Idealen, aber auch politischen Zielen zur wichtigsten künstlerischen Gattung der historischen Avantgarde. Das Manifest repräsentierte das wohl wichtigste Medium der künstlerischen Artikulation. Ausgehend von Marinettis „Erstem futu­ ristischen Mani­fest“ (1909) etablierte sich in allen europäischen Avantgarden eine programmatisch aus­ gerichtete „Tradition“. Obwohl die unterschiedlichen Grup­ pierungen oft unter einem gemeinsamen Etikett  – etwa des Futurismus oder des Konstruktivismus etc. – fir­mier­ten, lassen sich hinsichtlich ihrer künstlerischen und programmatischen Schwer­punkte meist nur wenige Analogien konstatieren. Dass oft selbst innerhalb einer einzel­nen Strömung kein Konsens herzustellen war, führte zu einer zusätzlichen Auf­heizung der polemischen Debatte – wie dies vor allem im postrevolutionären Kon­struktivismus der Fall war:

101 102

Vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 39. Dennoch wurde die von ihm herausgegebene Emigrationszeitschrift „Vešč’“ in Sowjet­ russland „keineswegs als lohnender Beitrag zur Auslandspropaganda verstanden“, wie Lersch konstatiert: Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion, S. 279. — Lersch bezieht sich hier auf eine Kritik in „PiR“ (Pečat’ i Revoljucija) 1922, Kn. 7, S. 341 f.

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Not all Constructivists are in agreement. While some of them would abandon art for production, others grant the legitimacy of artists activity but would transform it in harmony with the new age,103

beschrieb Lozowick bereits 1925 die Unterschiede in den Auffassungen. Die Zahl der verschiedenen Manifeste schien in der Ukraine jedenfalls ebenso endlos wie jene der in Gesamteuropa entstandenen Proklamationen, die sich, wie Fähnders vermerkt, überall durch eine große thematische Breite auszeichneten.104 Die Relevanz von Programmtexten105 als gesamtavantgardistischem Phänomen wurde in der Avantgardeforschung bereits ausgiebig diskutiert, wobei selbst marginalen Er­schei­nungen und unbekannteren Phänomenen eine Plattform geboten wurde. Die um­fangreiche, von Wolfgang Asholt und Walter Fähnders zusammengestellte Sam­ m­lung von Pro­grammtexten und Proklamationen der Moderne und Avantgarde enthält Bei­spiele der verschiedensten Strömungen und bezieht fast alle europäischen Länder mit ein, sodass lettische, litauische, portugiesische und georgische Manifeste als Vertreter marginaler Literaturen angeführt sind.106 Ukrainische Texte sind je­ doch  – lässt man das von Naum Gabo und Anton Pevzner in Kiew auf Russisch verfasste „Realistische Manifest“107 unberücksichtigt – nicht vertreten. Ein ähnliches Bild zeigt sich in anderen komparatistisch ausgerichteten Anthologien zum soge­ nannten „Manifestantismus“, in denen ukrainische Beispiele ebenfalls fehlen. Dieser Umstand ist gewiss nicht auf eine mangelnde Produktivität, sondern vielmehr auf eine generell fehlende Präsenz der ukra­inischen Avantgarde und in weiterer Folge der ukrainischen Manifestationen innerhalb des internationalen Avantgarde-Dis­ kur­ses zurückzuführen. Dabei zeigte sich in der Ukraine insbesondere im Hin­blick auf die Programmatik eine große Diversität. Der Zeitraum zwischen der Revo­ lution und dem endgültigen Verbot der Avantgarde war in der Ukraine durch das akkumulierte Auftreten unter­schiedlichster Gruppierungen geprägt, die ihre Posi­ tionen jeweils lautstark und pole­misch proklamierten. Für die Relevanz program­ matischer Texte waren mehrere Faktoren maßgeblich. So hatte z. B. der fehlende Status des Ukrainischen als offi­zielle Sprache zu einer Art Vakuum geführt, inner­ halb dessen der theoretischen Auseinandersetzung mit der Literatursprache Ukra­ inisch kein angemessener Raum geboten wurde. Viele Avantgarde-Autoren sahen sich in der Pflicht, diesen Mangel durch ihre polemischen Texte, die wiederum oft der 103 104 105

106 107

Lozowick 1925: Modern Russian Art, S. 29. Vgl.  Fähnders 2000: „Projekt Avantgarde und avantgardistischer Manifestantismus“, S. 73. Hubert van den Berg weist auf die vielfach praktizierte Gleichsetzung verschiedener Textsorten (Manifest, Deklaration, Petition, Pamphlet, Widerspruch etc.) hin, die oft­ mals unter ein und derselben Bezeichnung des Manifestes subsummiert werden, dabei jedoch unterschiedliche Intentionen bergen; vgl.  Van den Berg, Hubert: „Zwischen Totalitarismus und Subversion. Anmerkungen zur politischen Dimension des avant­ gardistischen Manifestes“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): „Die ganze Welt ist eine Manifestation“  – Die europäische Avantgarde und ihre Manifeste. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997, S. 58–80, hier S. 58. Asholt/Fähnders (Hrsg.) 2005: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938). — Die Erstausgabe erschien 1995. Das Manifest erschien 1920 als Plakat: Gabo, Naum/Pevzner, Anton: Realističeskij manifest (Plakat), Moskva 1920.

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Förderung einer eigenständigen Kultur gewidmet waren, zu kompensieren. Poliščuks bereits erwähnter Band „Pul’s epochy“ stellt ein Beispiel für eine solche polemische Auseinandersetzung mit der ukrainischen Kultur dar. Die Wichtigkeit des Anliegens wird zwar bereits aus Texten, die vor der Revolution entstanden sind, ersichtlich, nimmt jedoch in der Zeit danach deutlich zu, bis die Polemik ab Mitte der 1920erJahre schließlich – etwa im Kontext der „Literarischen Diskussion“ – einen wesent­ lichen Teil des kulturellen Diskurses bestimmte. Polemik nahm auch bei der Nova Generacija und Avanhard einen zentralen Stel­ len­wert ein, wobei Manifeste nicht nur zur Definition der eigenen Strömung, son­dern auch zur Abgrenzung von anderen Erscheinungen dienten. Die 1922 in „Semafor u maj­butn’je“ erschienene Deklaration des „Pan-Futuryzm (Mystectvo perechodnoji doby)“108 [Pan­futurismus (Kunst der Übergangsepoche)] zählt zu den ersten wichtigen Grundsatz­erklärungen des Panfuturismus. Obwohl im Rahmen der Nova Generacija auch neue Positionen verfasst wurden, hielt die Gruppe nach wie vor am Konzept des Pan­futurismus fest. Avanhard erklärte ihre Grundsätze u. a. in der „Proklamacija avan­hardu“, die erstmals 1928 in der Anthologie „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ [Bulletin der Avantgarde] publiziert wurde.109 Programmtexte wurden nicht nur von lite­rarischen Vereinigungen, sondern auch in der bildenden Kunst, dem Theater und der Architektur postuliert. Die futuristischen und konstruktivistischen Kunst- und Literaturzeitschriften dienten dabei als bevorzugte Publikationsplattform. Im Folgenden werden exemplarisch einige der zentralen Proklamationen der bei­ den Gruppierungen erläutert und schließlich im Hinblick auf ihre Positionierung inner­halb der gesamteuropäischen Avantgarde hin untersucht. 2.2 Proklamationen und Positionen der Nova Generacija Ganz in konstruktivistisch-futuristischer Manier publizierte die Nova Generacija eine Reihe unterschiedlicher Manifeste. Im Gegensatz zu den frühen Proklamationen der russischen Futuristen verfügten diese meist über einen größeren Umfang und er­ streck­ten sich über mehrere Seiten, hinsichtlich der Polemik hielten sie sich jedoch nicht zurück. Besonders charakteristisch erscheint die deutliche politische Kom­­po­­ nente, die sich vor allem in der Definition und Propagierung von linker Kunst mani­ festierte. Ilnytzkyj vermerkt, dass der Panfuturismus seine theoretischen Kon­zepte als Form der Propaganda verstanden habe, die sogar messianistische Züge ent­hielt.110 Ganz im Zeichen der generellen Offenheit diente die „Nova Generacija“ als Platt­ form für andere Gruppierungen, deren Programmtexte ebenfalls publiziert wurden und da­durch eine breitere Öffentlichkeit erreichen konnten. Ein Beispiel dafür stellt die Pro­klamation der ukrainischen OSAU dar, die sich als Schwesternvereinigung der russi­schen Architektenvereinigung OSA formierte. Ein Schwerpunkt wurde überdies auf die Internationalisierung der Kunst gelegt, wobei die Rezeption internationaler Kunst durch die Bekanntmachung eigener Erscheinungen ergänzt wurde. Im Folgenden wird ein Überblick über einige der wichtigsten Programmtexte ge­ boten, in denen die Grundsätze der Gruppierung resp. ihrer Verbündeten ausführ­ lich darge­legt werden sollten. Diese werden wiederum unter Bezugnahme auf inter­ nationale Entwick­lungen analysiert. 108 109 110

Semenko 2010: „Pan-Futuryzm (Mystectvo perechodnoji doby)“. Poliščuk et al. 1928: „Proklamacija avangardu/avangardo“. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 181.

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2.2.1 „Platforma j otočennja livych“ (1927) In der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Nova Generacija“ wurde mit „Platforma j otočennja livych“ [Forum und Umfeld der Linken] die erste Grundsatzerklärung der nunmehr neu aufgestellten Gruppierung publiziert. Gleich zu Beginn der knapp fünf­ seitigen Deklaration wird jedoch offengelegt, dass es sich bei der Zeitschrift um die Nachfolgerin früherer panfuturistischer Projekte handelte, wobei diese mit „Semafor u majbutn’je“, „Katafalk iskusstva“ sowie „Bumeranh“111 auch namentlich angeführt sind. Die Nova Generacija verstand sich somit als direkte Nachfolgeströmung von Kvero­futurismus, Komunkul’t und Panfuturismus, vertrat jedoch eigenen Angaben zu­ folge nunmehr die „найбільш викристалізована мистецька позиція нашого часу“112 [am deutlichsten herauskristallisierte künstlerische Position unserer Zeit]. Trotz der zu Beginn getätigten Ankündigung, sich vorrangig mit künstlerischen Themen auseinandersetzen zu wollen, enthält „Platforma j otočennja livych“ vor allem politische Ziele, wobei der Fokus auf dem Kampf um die Etablierung einer kom­ munistischen Kultur liegt. Die Gruppe betont, dass sich das Schlachtfeld der Kultur bisher als frucht­barer Boden für ihre Arbeit erwiesen habe: Ми проводили її крізь неуцтво й провінціяльну [sic] слину жартів або обурення, через мовчання й боягузтво „друзів“.113 [Wir führten sie [die Arbeit] durch Ignoranz und provinziellen Speichel der Scherze oder Empörung fort, durch das Schweigen und die Feigheit der „Freunde“.]

Im Unterschied zu früheren Positionen, die weit weniger militant formuliert waren, kommt hier eine eher aggressive Rhetorik zum Einsatz. So erfolgt etwa ein direkter An­griff auf die Opponenten, die sarkastisch als „Freunde“ bezeichnet werden, obwohl sie eigentlich als Feinde angesehen und als feig diffamiert werden. Die Einbeziehung von militärischer Lexik („Kampf “, „Schlachtfeld“) lässt unmittelbar an die frühen Mani­­festationen des italienischen Futurismus denken, die ebenfalls den Kampf pro­ pagierten. Eine generell starke Assoziierung mit der militärischen Dimension, die sich bereits aus dem Namen selbst (Avantgarde als Vorhut) ableiten lässt, war aller­d ings den meisten avantgardistischen Gruppierungen immanent, wie Hubert van den Berg unter Verweis auf Theo van Doesburg anmerkt.114 Dass die eigene Tätigkeit parodistisch als provinziell deklassiert wird, dürfte eine Anspielung auf die Abwertung der eigenen Strömung durch die dominante russische Seite sein. Die Ankündigung, die Arbeit „durch Ignoranz und provinziellen Speichel der Scherze oder Empörung“ fortzuführen, stellt jedoch gleichzeitig eine Verbindung zum frühen russischen Futurismus her, in dem Satire, Nonsens und das Spiel mit Konventionen ebenfalls Empörung auslösen und das Publikum schockieren sollten. Ein derartiger Ansatz war der LEF, die mit dem kommunistischen Aufbau und der Ablehnung jedweder Kunsthaftigkeit ausschließlich ernsthafte Ziele verfolgte, nicht

111 112 113 114

Vgl. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“. Ibd. S. 39. Ibd. Vgl. Van den Berg 1997: „Zwischen Totalitarismus und Subversion. Anmerkungen zur politischen Dimension des avantgardistischen Manifestes“, S. 61.

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immanent. Mit der satirischen Note rückte die Gruppe rund um Semenko von der aske­tischen Linie der Partei ab, der sie üblicherweise doch weitgehend folgte.115 Dass das Proletariat, dem bereits mit dem Titel eine erhöhte Relevanz zugesprochen wird, als gesellschaftliches Umfeld spezifiziert wird,116 belegt nochmals die Nähe zum sowjetischen System. Die Abkehr von den sozialistischen Idealen würde, so die Po­ sition der Nova Generacija, zu einer „nationalen Beschränktheit“ („національна обмеженість“) und in weiterer Folge unweigerlich in den Faschismus führen.117 Hier sei angemerkt, dass die antifaschistische Propaganda ein wichtiges Element vieler avant­gardistischer und proletarischer Gruppierungen der späten 1920er-Jahre war. In der kri­tischen Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Nationalsozialismus be­ steht eine Gemeinsamkeit mit vielen jener westeuropäischen Künstler, die mit den ukra­inischen in Kontakt standen. Die Nova Generacija verstand sich als dezidiert linke Vereinigung und vertrat in ihrer Zeitschrift einen ausgeprägten interdisziplinären Ansatz, der vorrangig ana­ lytisch, nicht synthetisch konzipiert war: Нова Ґенерація висвітлює питання теорії й демонструє практику лівих течій мистецтв (література, кіно, малярство, архітектура, театр і ін.) в їх конструктивному та деструктивному значіннях і вміщає: вірші, оповідання, романи; статті: формально-дослідчі, теоретичні, полемічні, критичні; памфлети, репортаж, фейлетони, референції й огляди закордону й СРСР, бюлетень лівого фронту, листування з читачами, репродукції, фото й ін.118 [Die Neue Generation betont die Frage der Theorie und veranschaulicht die Praktiken linker Strömungen der Künste (Literatur, Kino, Malerei, Architektur, Theater u. a.) in ihren konstruktiven und destruktiven Bedeutungen und beinhaltet: Gedichte, Er­ zählungen, Romane; formal-analytische, theoretische, polemische, kritische Artikel; Pamphlete, Reportagen, Feuilletons, Referenzen und Übersichts­ darstellungen des Auslands sowie der SRSR, ein Bulletin der linken Front, Leser­briefe, Repro­duktionen, Fotos usw.]

Mit den Bezugnahmen auf das Ausland wird in „Platforma j otočennja livych“ auch die Wichtigkeit internationaler Strömungen betont. Während die LEF vor allem einen praktischen, utilitaristischen Zugang zur Kunst propagierte, sah die Nova Gene­ racija ihre Hauptaufgabe darin, einen Einblick in die westeuropäische Kunst zu prä­ sentieren. Der Fokus auf das Medium Zeitschrift findet sich in ähnlicher Form in der Programmatik der LEF, die eine Abkehr von Kunst und schöngeistiger Literatur pro­ pagierte. In der Auflistung der wichtigsten literarischen Textsorten, die dazu dienen sollten, die Praktiken in der linken Kunst zu demonstrieren, wird die Verzahnung von Konstruktion und Destruktion – und somit auch die universelle Ausrichtung – 115 116 117 118

Horbačov betont die asketische Linie der Partei, der sich die Nova Generacija ver­ pflichtet fühlte; vgl. Horbačov 1996: Ukrajins’kyj avanhard. 1910–1930 rokiv, unpag. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“, S. 40. Vgl. ibd. Dieses Bekenntnis schien ab der dritten Ausgabe jeweils auf der Umschlaginnenseite (U2) der Zeitschrift auf, z. B.: [Red. NG]: „Nova Generacija vysvitljuje...“, in: Nova Gene­ racija, Nr. 3 (1927), U2.

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unterstrichen. Während Lyrik (im weitesten Sinn) bei der utilitaristisch ausgerichteten LEF keine der propagierten Gattungen mehr darstellte, wird sie von der „Nova Gene­ racija“ sogar an erster Stelle angeführt.119 Hier ist freilich anzumerken, dass die Nova Generacija ebenfalls eine Lyrik des Faktums propagierte, die von Poltorac’kyj als „жанр цілеспрямованного монтажу фактів“ [Genre, das sich auf die Montage von Fakten konzentriert] bezeichnet wurde. Dass auch experimentelle Lyrik weiterhin Platz finden sollte, ist in „Platforma j otočennja livych“ ebenfalls programmatisch festgehalten.120 Dieser destruktive Ansatz fand eine praktische Umsetzung, indem zahlreiche lyrische Texte abgedruckt wurden, die nach wie vor in der Tradition früher futuristischer Gedichte standen. Andrij Čužyjs Gedichte, die aufgrund ihrer Wort-Bild-Kombinationen an die Experimente von Kamenskij denken lassen, stellen wichtige Beispiele dafür dar.121 Die darüber hinaus angeführten Textsorten Roman und Erzählung lassen sich gewis­sermaßen als typische Transformationsgenres bezeichnen. Beide waren sowohl in der „alten“ als auch in der proletarischen Literatur vertreten, unterschieden sich je­doch in ihrer Funktion, da sie in Letzterer keinen schöngeistigen Anspruch mehr er­ füllen, sondern ausschließlich eine Zweckhaftigkeit aufweisen sollten. Im Bekenntnis zu Gattungen der – fiktionalen, künstlerischen – Prosa ist auch ein wichtiger Unter­ schied zur LEF zu sehen.122 Der Übergang ins Essayistische war dabei fließend, wes­ halb Erzählungen sowohl experimentelle als auch Elemente des zu dieser Zeit stark pro­pagierten journalistischen Stils enthielten. Eine ähnlich dogmatische Fixierung auf die Reportage, wie sie bei der LEF etwa mit der „Literatura fakta“ erfolgte, lässt sich für die Ukraine somit nicht konstatieren. Im Gegensatz zur tatsächlichen literarischen und publizistischen Praxis, die der Über­schreitung von sprachlichen und kulturellen Grenzen breiten Raum bot, wirkt die erste Proklamation äußerst systemkonform. In „Platforma j otočennja livych“ be­ kennt sich die Gruppe zudem ausdrücklich zu ihrer marxistischen Ausrichtung. Im Hinblick auf die eigentliche Offenheit des Projektes scheint das vordergründig strikt eingehaltene Dogma als subversiver Akt intendiert gewesen zu sein, durch den die strengen Augen der Zensoren beruhigt wurden, sodass sie die weiteren Inhalte der Zeitschrift eventuell gar nicht weiter hinterfragten. 2.2.2 „Deklaracija OSAU“ (1928) Die Deklaration der OSAU, der „Vereinigung zeitgenössischer Architekten der Ukra­ ine“, erschien 1928 in der „Nova Generacija“.123 Das Manifest wurde ohne Nen­nung der Autoren publiziert, als Verfasserin fungierte somit das Kollektiv. Neben Charkiw 119 120 121

122

123

Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“, S. 49. Vgl. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“, S. 43. Hier sei bspw. „Vedmid’ poljuje za soncem“ [Ein Bär jagt nach der Sonne] erwähnt. Der Text des mehrseitigen Gedichtes ist so gesetzt, dass das Schriftbild der einzelnen Seiten eigene Bilder entstehen lässt, die wiederum Figuren aus der Handlung, etwa einen Bären, abbilden; vgl. Čužyj, Andrij: „Vedmid’ poljuje za soncem“, in: Nova Generacija, Nr. 7 (1928), S. 23–27. Das Festhalten an der Prosa findet sich bei Poliščuk (z. B. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60) ebenso wie in der „Nova Generacija“ (z. B in [Red. NG] 1928: „Lystuvannja z redakcijeju: Vid redakciji. Vidpovidajemo za vašymy paktamy“, S. 61). Vgl. OSAU: „Deklaracija OSAU“, in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 270–272.

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existierten auch in Kiew und Odessa Filialen der Gruppe, die von Štejnberg, Maloze­ mov, Cholostenko und Janovyc’kyj gegründet wurden.124 Anders als in Moskau, wo die OSA, die russische Schwesternorganisation der OSAU, mit der „Sovremennaja architektura“ über ein eigenes Publikationsorgan ver­ fügte, wurde diese Funktion in der Ukraine von der „Nova Generacija“ übernommen. Der inter­d isziplinäre Anspruch der Nova Generacija implizierte somit nicht nur die Ausei­nandersetzung mit anderen Disziplinen, sondern auch deren direkte Integration, wie sie durch die Einbeziehung der ukrainischen Architektenvereinigung erfolgte. Mit einem Umfang von knapp über zwei Seiten war der Programmtext im Unterschied zu vielen anderen zeitgenössischen Programmatiken eher kurz gehalten. Während die Texte des frühen russischen Futurismus sehr kurz ausfielen, waren nämlich jene der 1920er-Jahre, etwa des Surrealismus oder des Poetismus, oft sehr umfangreich gehalten, wie Asholt/Fähnders konstatieren.125 Die „Deklaracija OSAU“ beginnt mit einem deutlichen Bekenntnis zur Oktober­ revolution sowie in weiterer Folge zur kulturellen Revolution, deren Ziele und Per­ spek­tiven den einleitenden Abschnitt dominieren.126 Жовтнева Революція не тільки знищила класове панування буржуазії, а й перебудувала схему організації суспільства, але здійснюючи принципи марксизму, перевела й ґрунтовну зміну світогляду.127 [Die Oktoberrevolution hat nicht nur die Klassenherrschaft der Bourgeoisie be­siegt, sondern auch das Organisationsschema der Gesellschaft umgebaut, aber mit der Ver­ wirklichung der Prinzipien des Marxismus brachte sie auch einen grund­legenden Wandel des Weltbildes.]

Mit der wiederholten Bezugnahme auf den sozialistischen Aufbau weist die Deklara­ tion bereits zu Beginn eine politisch-ideologische Färbung auf, die jene der OSA deut­ lich übertrifft. Zugleich wirkt die OSAU etwas politischer als die Nova Generacija selbst. Der Auf- und Umbau wird von der ukrainischen Architektenvereinigung in erster Linie als abstrakter Prozess verstanden, der nicht zwangsläufig mit konkreten Bau­werken und Gebäuden in Verbindung steht. Der Architekt sollte somit primär ein Baumeister der Gesellschaft und erst in zweiter Linie ein Konstrukteur zu sein. Die Opposition „alt“ und „neu“, die ein Spezifikum der kommunistischen AufbauRhetorik ebenso darstellte wie eine zentrale Opposition in den Avantgarden, ist in den Konzepten der OSAU besonders präsent: „Архітектурне життя України на сьо­ годнішній день і характеризується боротьбою між старою й сучасного архітек­ турою“128 [Das architektonische Leben der Ukraine ist bis zum heutigen Tag auch durch den Kampf zwischen der alten und der zeitgenössischen Architektur ge­prägt]. 124

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Zu den Mitgliedern der OSAU vgl.  Chan-Magomedon, Selim: Architektura sovetskogo avangarda. Kniga pervaja. Problemy formoobrazovanija. Mastera i tečenija. Moskva: Stroj­ izdat 1996, S. 590 ff. Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter: „Einleitung“, in: Dies. (Hrsg.) 2005: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938), S. XV–XXX, hier S. XIX. Vgl. OSAU 1928: „Deklaracija OSAU“, S. 270 f. Ibd. S. 270. Ibd. S. 271.

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Der pseudoklassizistischen Dekoration, die in den Jahren vor der Revolu­tion den Ton angegeben habe, wird eine klare Absage erteilt: Архітектура, що на останній перед революцією період, перетворилась на псевдо­ класичну декорацію, на безпринципне еклектичне оздоблювання ґрунтовно міняє й свої цілі, й засоби, й форму.129 [Die Architektur, die sich in der letzten Zeit vor der Revolution in eine pseudo­klassische Kulisse verwandelt hat, in ein charakterloses eklektizistisches Dekor, verändert von Grund auf sowohl ihre Ziele als auch ihre Mittel und ihre Form.]

Für Dilettanten und konservative Kräfte sei der neue Weg, der nun beschritten würde, allerdings unzugänglich.130 Mit diesem polemischen Angriff, der sich durch eine starke Abgrenzungsrhetorik und die Einteilung in „Freunde“ und „Feinde“ auszeichnet, sind all jene gemeint, die entweder die proklamierten Positionen nicht unterstützten oder aber anderen Gruppierungen angehörten. Des Weiteren wird auf die bislang periphere eigene Position hingewiesen: Früher habe die Ukraine innerhalb der Architektur weder über eine autonome Schule noch über Vereinigungen oder einflussreiche Kräfte verfügt, weshalb die Errichtung sämt­ licher wichtiger Bauten stets durch Architekten aus der damaligen Hauptstadt – ge­ meint ist hier jene des russischen Imperiums, Sankt Petersburg  – erfolgt sei. „Про­ вінціялізм [sic], інертність, запізніле повторювання столичних шукань“131 [Pro­vinzialität, Trägheit und die verspätete Wiederholung hauptstädtischer Suchen] ließen sich als wichtigste Merkmale der „großrussischen“ sowie der alten ukrainischen Architektur festhalten. Die üblicherweise von russischer Seite geäußerte Kritik der ukrainischen Provinzialität wird somit invertiert und das tonangebende Zentrum mit dem Vorwurf der Rückständigkeit und des Konservatismus konfrontiert. Von Seiten der OSAU wurde Kritik am dominanten Zentrum Russlands geübt, da dieses bislang durch seine kultur­hegemoniale Haltung die lokalen Entwicklungen erfolgreich ver­ hindert habe. Wenn die OSAU von einer „halbkolonialen Existenz der Ukraine“ spricht, ist damit zwar primär die überwundene zaristische Epoche gemeint.132 Auf zweiter Stufe lässt sich allerdings eine Anspielung auf das nach wie vor herrschende Missverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie herauslesen: Напівколоніяльне існування України за царату й задушування української культури викликало загострення націоналістичних поривань, що виявилось і в архітектурі. Гасло відродження українського „народнього стилю“  – відбиток народницької ідеології української інтелігенції та буржуазії, що й протиставила свої інтереси російським, великодержавним.133

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OSAU 1928: „Deklaracija OSAU“, S. 271. Vgl. ibd. Ibd. Der hier verwendete Terminus „Halbkolonialismus“ war ein Begriff, der innerhalb der offiziellen sowjetischen Rhetorik zur Nationalitätenpolitik öfters gebraucht wurde. Ibd.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West [Die halbkoloniale Existenz der zaristischen Ukraine und das Abwürgen der ukra­ inischen Kultur führten zu einer Verschärfung der nationalistischen Impulse, was sich auch in der Architektur bemerkbar machte. Die Devise der Wiedergeburt des ukrainischen „nationalen Stils“ ist ein Zeichen der populistischen Ideologie der ukrainischen Intelligentsia und der Bourgeoisie, die ihre Interessen den russischen, imperialistischen gegenübergestellt hat.]

Die Deklaration der OSAU fällt insgesamt sehr polemisch aus. Sie enthält zwar kaum Grundsatzpositionen zur Architektur resp. zur Konstruktion, jedoch eine ganze Reihe von Angriffen gegen alle möglichen Feindbilder, zu denen der proletarischen Anfein­ dungs­schablone entsprechend das Bürgertum als liebster Klassenfeind ebenso zählt wie die Epoche des zaristischen Imperialismus. Dass dem nationalen Stil eine klare Ab­sage erteilt wird, deckt sich im Wesentlichen mit der Position der „Sovremennaja architek­tura“, die den ukrainischen nationalen Stil ähnlich scharf kritisierte.134 Architektur nahm auch abseits der OSAU einen besonderen Stellenwert innerhalb der Nova Generacija ein, wie aus der großen Zahl an themenspezifischen Beiträgen ersicht­lich wird. Neben O. Kas’janov zählten L. Lopovok, Janovyc’kyj, Ivan Malozemov sowie V. Mirer zu den aktivsten Beiträgern, die sich mit Architektur auseinandersetzten.135 Das Heft Nr. 2 des Jahres 1928, das als Themenheft zum Großteil der Architektur ge­widmet war, stellte dennoch eine Ausnahme dar, denn ansonsten kam es  – soweit mir bekannt  ist  – zu keinen ähnlichen Schwerpunktsetzungen. Malevičs Essay „Maljarstvo v problemi architektury“136 [Die Malerei im Problem der Architektur], das sich mit der zeitgenössischen Architektur befasste, leitete den Schwerpunkt im Heft ein. Überdies erschienen ein Beitrag des Architekten Ivan Malozemov zur funktionalen Architektur, ein Essay des Kiewer Architekten Štejnberg, das sich dem „Glück des Bürgers“ widmete, die Übersetzung eines Beitrages von Le Corbusier, der ebenfalls den Funktionalismus thematisierte, ein Essay von Kas’janov zum Thema „Architektura v školi“ [Architektur in der Schule] sowie ein Beitrag von H. Janovyc’kyj, der sich dem Rationalismus in der Architektur widmete.137 Hinzu kamen mehrere Übersetzungen bereits im Ausland publizierter Beiträge, die entweder von Vertretern des Neuen Bauens verfasst wurden oder sich diesen widmeten. Der Fokus wurde deutlich auf westeuropäische Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe, Gropius, Le Corbusier und die Brüder Bruno und Max Taut gerichtet, wiewohl auch mehrere Beiträge zur Architektur in Russland präsentiert wurden. Ergänzt wurden die Texte durch unzählige Abbildungen, Skizzen und Foto­grafien zu zeitgenössischen Bauprojekten im In- und Ausland.

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Dies z. B. in einem Beitrag über die Baukunst in der Ukraine; vgl. Vesnin, A. [Aleksandr]/ Ginzburg, M. [Moisej]: „Chronika vuzov/Chronik der Arbeit in Hochschulen USSR : Archi­tekturnaja Žizn’ Ukrainy/Die Baukunst in Ukraina“, in: Sovremennaja architektura, Nr. 3 (1927), S. 109 (russisch/deutsch). Nicht immer lassen sich die Vornamen der Autoren eruieren, fest steht jedenfalls, dass die genannten Akteure durchwegs männlich waren. Maljevyč, Kazimir: „Maljarstvo v problemi architektury“, in: Nova Generacija, Nr.  2 (1928), S. 116–124. Für alle genannten Beiträge, die hier nicht einzeln angeführt werden, vgl. Nova Gene­ racija, Nr. 2 (1928), S. 116–137.

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2.2.3 „Panfuturyzm“ (1929) Das ursprünglich proklamierte Vorhaben, die Nova Generacija als Nachfolgeströmung des Panfuturismus zu etablieren, wurde nicht konsequent umgesetzt, sodass trotz der in der Proklamation „Platforma j otočennja livych“ vorgenommenen Neuausrichtung nach wie vor ein Bekenntnis zum Panfuturismus erfolgte. Poltorac’kyjs umfangreicher Programmtext „Panfuturyzm“ [Panfuturismus], der in drei Teilen in verschiedenen Ausgaben der „Nova Generacija“ erschien, legt die bereits zu Beginn der 1920er-Jahre formulierten Grundsätze sowie die Entwicklung des Panfuturismus ausführlich dar. Der erste Teil widmet sich unter dem Titel „Zahal’ni uvahy“ [Generelle Be­ merkungen] den Entwicklungen des Panfuturismus als wichtigster Strömung des ukrainischen Futurismus, wobei vor allem Semenko eine wichtige Rolle zugestanden wird. Frühe Gruppierungen wie AsKK Komunkul’t und die sehr links orientierte Gruppe Žovten’ [Oktober] (1924?–1926) seien noch durch einen Prozess der Syn­ these gekennzeichnet gewesen, in dem sie eine Transformation vom idealisierten Symbolismus hin zu dessen Antithese, dem Panfuturismus, vollzogen hätten.138 Mit dem Panfuturismus fand also auch eine strikte Abgrenzung vom Symbolismus statt, der zwar für Semenkos frühe Arbeiten ebenfalls noch prägend war,139 später jedoch von ihm strikt abgelehnt wurde.140 Mit dem Panfuturismus sei es nunmehr zu einer Einteilung von Kunst in zwei grundlegende Bereiche gekommen, in пан-футуризм общий (диалектический пан-футуризм, философия пан-футуризм) и пан-футуризм специяльный (активный, революционный пан-футуризм  – деструкция, конструкция, метаискусство).141 [einen allgemeinen Panfuturismus (dialektischen Panfuturismus, die Philosophie des Panfuturismus) und einen spezifischen Panfuturismus (aktiven, revolutionären Pan­ futurismus – Destruktion, Konstruktion, Metakunst)].

Die Dialektik, die ja ein zentrales Element der Strömung bildete (indem sich etwa Kon­struktion und Destruktion gegenüberstanden), sei, so Poltorac’kyj, vor allem auf die Konzepte Semenkos zurückzuführen: Цей „діалектийний розвиток“ було пророблено на тлі панфутуристичної теорії мистецтва, що вона довгий час була репрезентована самим ім’ям М. Семенка.142 [Diese „dialektische Entwicklung“ verlief vor dem Hintergrund der panfuturistischen Kunsttheorie, wie sie lange Zeit allein durch den Namen M. Semenkos repräsentiert wurde.] 138 139

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Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“, S. 40 f. Hier sei nochmals auf Jakubs’kyj verweisen, der bei Semenko für die Zeit zwischen 1910 und 1914 einen naiven Symbolismus bemerkte; vgl.  Jakubs’kyj 2010: „Mychajl’ Semenko“, S. 474. Ilnytzkyj merkt an, dass Semenko von den Symbolisten in Kiew, zu denen etwa Tyčyna zu zählen ist, und ihrer Stilisierung von Volksliedern und traditionellen ukrainischen Motiven zunehmend irritiert war; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 32 f. Tryroh 1922: „Čto takoe destrukcija?“, S. 2. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“, S. 40.

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Nachdem sich der Kern um Škurupij erweitert hatte, sei aus der Gruppe die größte Plattform linker Kunst hervorgegangen.143 Škurupij sollte schließlich innerhalb der Vereinigung eine ähnlich zentrale Rolle einnehmen wie Semenko selbst, wobei er der Kiewer Filiale vorstand und für den 1930 in Kiew herausgegebenen „Avangard. Al’ma­nach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji“ verantwortlich zeichnete. Aufgrund ihrer Prozesshaftigkeit behielt die Kunst also sowohl im Panfuturismus als auch bei der Nova Generacija eine zeitliche Dimension bei, die ja bereits im ersten ukra­inischen Manifest „Kvero-Futurizm“ betont worden ist: „Kunst ist Streben. Da­ her ist sie immer ein Prozess“ („Мистецтво є стремлїннє. Тому воно завжди є про­ цес).“144 Der Panfuturismus lehnte dabei die proletarische Propagierung einer ästhe­ tischen Funk­tion von Kunst ab. Für Kunst gäbe es nämlich, so die Auffassung, eine Vielzahl von Defini­tionen. Sie sei vielschichtig und komplex und ließe sich daher nicht auf eine einzige Rolle oder gar Funktion reduzieren. Poltorac’kyj weist in „Pan­ futuryzm“ darauf hin, dass den russischen und westeuropäischen Strömungen auf­ grund ihres narzisstischen Charakters die Sensibilität für die Prozesshaftigkeit von Kunst fehlen würde.145 Damit übte er Kritik an der Selbstfixiertheit, die seiner Ansicht nach sowohl im Osten als auch im Westen den Blick auf frühere und spätere Entwicklungen verstellte, wohingegen sich die Pan­ futuristen der dyna­ mischen Veränderbarkeit von Kunst bewusst waren. Die Rolle von Kunst würde sich nämlich in verschiedenen Epochen immer wieder verändern. Die erneuernde Rolle des Panfuturismus bestünde demnach darin, die Emotionalität von Kunst auf eine rationale Ebene zu übertragen. Kunst müsse aus einem organisierten Aufbau der menschlichen Psyche entstehen, habe jedoch bislang vor allem auf Emotionen basiert.146 Darin kann ein Beispiel für die vom Panfuturismus propagierte „Destruktion“, also die Neigung zur frühavantgardistischen Abstraktion, gesehen werden. Dass das Faktische nicht denselben Stellenwert hatte wie im Konstruktivismus oder in der prole­tarischen Kunst, zeigte sich wie erwähnt tatsächlich auf literarisch-praktischer Ebene darin, dass nach wie vor fiktionale Prosatexte zum Einsatz kamen. Das Konzept der „Faktura“ wurde vom Panfuturismus ebenfalls übernommen, jedoch in „Panfuturyzm“ nicht mehr mit der selben Aufmerksamkeit wie in früheren Manifesten bedacht. Mit der Formel „Panfuturism = Ideology + Facture“ erhielt die Faktura, die auch als „panfuturist system of coordinates, determinating all practi­ cal contents of Panfuturism“ spezifiziert wurde, überdies eine eigenständige Inter­ pretation.147 Anders als bei den russischen Konstruktivisten bezog sie sich nämlich nicht auf die Materialität eines Kunstwerks,148 sondern sollte sowohl Form als auch 143

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Vgl.  Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“, S. 40 f. — Dem Beitrag ist ein Abstract auf Französisch sowie auf Russisch beigefügt, wobei russischsprachige Beilagen generell eher die Ausnahme darstellten. Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 265. Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“, S. 49; vgl. auch Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 183. Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“, S. 49. Semenko 2012: „What Panfuturism wants“, S. 256. In der russischen Avantgarde stand der Begriff der „Faktura“ u. a. für die Eigenschaften der Bildoberfläche (David Burljuk) sowie für ein „Materialgeräusch“ (Markov) und war eng mit der Technik der Collage verknüpft. In der Wortkunst wurde er für das Zitieren von Dokumentarmaterialien eingesetzt, die in fiktive Textteile inte­griert wur­

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Inhalt und Material in sich subsummieren. Während die „Ideologie“ in diesem Kon­ zept eine fixe Konstante ist, repräsentiert die „Faktura“ hier also einen vom jeweiligen Zeitabschnitt abhängigen und somit dynamischen Exponenten.149 Der Panfuturismus würde, so Poltorac’kyj, einen besonderen Platz innerhalb des Auf­b aus des Kommunismus einnehmen.150 Er gestand sich somit selbst insofern eine gesellschaftliche Rolle zu, als er den modernen Menschen dabei unterstützen wollte, sich in der äußeren Welt und der Klassengesellschaft zu orientieren.151 Dieses Vor­handensein einer „äußeren Welt“, die in dialektischer Beziehung zur „in­ ne­ren Welt“ steht, weist erneut auf die philosophische Ausrichtung des Panfuturismus hin. Um­gekehrt stehen Gesellschaft und Klasse hier offenbar symbolisch für den sozia­l istischen Umbruch des Kommunismus, womit es auch hier wieder zu einer Kom­ bination des allgemeinen (philosophischen) und des spezifischen (revolutionären) Pan­futurismus kommt. Neben der Erläuterung der sozialen Rolle von Kunst bietet Poltorac’kyjs Beitrag einen detaillierten Einblick in das panfuturistische Verständnis von Konstruktion und Destruktion, auf das im folgenden Kapitel auch unter Bezugnahme auf andere Pro­gramm­texte noch genauer eingegangen wird. 2.2.4 Grundsätze der Nova Generacija im internationalen Kontext Internationalität lässt sich als durchgehende Konstante in den programmatischen Texten von Semenkos Gruppierungen festhalten. Die internationale Ausrichtung, die bereits in den Konzepten des Kverofuturismus eine wichtige Rolle spielte, wurde so­ wohl im Panfuturismus als auch im Rahmen der Nova Generacija, die nach wie vor im Zeichen des Panfuturismus agierte, fortgesetzt. Der gesamtheitliche Ansatz der Programmatik lässt sich bereits aus der Vorsilbe „Pan“ ablesen: Der ukrainische Futu­ rismus wollte nicht nur Grenzen überschreiten und Künstler vernetzen, sondern viel­ mehr den gesamten (internationalen) Futurismus in seiner Kunst subsummieren.152 Pol­to­rac’kyjs übersetzte „Panfuturyzm“ als „Vse-Futurism“ [Gesamt-Futurismus],153 was den universalistischen Anspruch unterstreicht. Die in der auf Englisch publizierten Prokla­mation „What Panfuturism wants“ aufgestellte Forderung, alle „Ismen“ durch ihre Neutralisierung ab­zuschaffen („which is attained by neutralizing them“),154 be­zog

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den. Im Konstruktivismus erfolgte schließlich eine Umdeutung in Richtung so­zialkommunikativer und technischer Raum; vgl. Hansen-Löve, Aage: „Faktur, Gemacht­ heit“, in: Flaker (Hrsg.) 1989: Glossarium der russischen Avantgarde, S.  212–219, hier S. 212 ff. Zur Faktura im Panfuturismus vgl.  Dmitrieva 2012: „Zwischen Stadt und Steppe  – Einleitung“, S. 39 f. Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“, S. 48. Vgl. ibd. S. 49. Dass die Verwendung des Präfixes „Pan“ einem allgemeinen Trend folgte, zeigen die folgenden Beispiele: Lissitzky brachte bspw. in einem Aufsatz aus dem Jahr 1925 die Kunst der Avantgarde in Verbindung mit der „Pangeometrie“; vgl.  Lissitzky, El: „K.[unst] und Pangeometrie“, in: Conrads (Hrsg.) 1965: El Lissitzky. 1929, S. 122–129. ­— Außerdem sei auf die paneuropäische Bewegung verwiesen, die aber in marxistischen Kreisen als „reaktionär“ angesehen wurde; vgl. Becher, Johannes R.: „die kriegsgefahr und die aufgaben der revolutionären schriftsteller“, in: Literatur der Weltrevolution, Nr. 5 (1931), S. 34–55, hier S. 40. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“, S. 49. Vgl. Semenko 2012: „What Panfuturism wants“, S. 256.

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sich nicht nur auf eigene (ukrainische), sondern auch auf westeuropäische und rus­ sische Strömungen, die es zu eliminieren galt. Der Panfuturismus verstand sich selbst als deren Nachfolger und beab­sichtigte, sämtliche relevanten Kunstströmungen der europäischen Avantgarde in sich zu subsummieren: Panfuturism cannot be a „new direction“ in art. Panfuturism is the whole art and in the future – what will substitute it. At the present Panfuturism is a system liquidating the old art in its pretension to be an active factor. Panfuturism is at once Futurism, Cubism, Expressionism and Dadaism, it is, however, no synthesis of these useful things. That has to be distinguished [Engl. i. Orig., VF].155

Die ebenfalls beigefügten gekürzten Versionen auf Russisch, Französisch und Deutsch sollten diese Absichtserklärung über sprachliche Grenzen hinweg einem fremdspra­ chigen Publikum zugänglich machen156 – hier sei nochmals auf die programma­tische Analogie zur Zeitschrift „Vešč’“ verwiesen, die sich ebenfalls der internationa­len Bekanntmachung von Kunst verschrieben hatte, wobei zu dieser Zeit außerhalb der Ukraine nur wenig über die ukrainischen Aktivitäten bekannt war. Ungeachtet der angedrohten Zerschlagung sämtlicher avantgardistischer Strömungen wurde die pro­ grammatische Internationalität im Rahmen der Nova Generacija noch deutlich inten­ siviert, sodass schließlich die Rezeption der (nach wie vor existenten) inter­nationalen „Ismen“ sogar zu einer der Hauptaufgaben geriet. Konstruktion versus Destruktion Anders als im russischen Konstruktivismus resp. Futurismus der LEF wird von der Nova Generacija neben der Konstruktion auch die Destruktion als zentrales künstle­ risches Verfahren proklamiert. Sie tritt bereits in den frühen panfuturistischen Mani­ festen in den Vordergrund und bleibt über alle Phasen als wichtiges Element präsent. So sei die Destruktion eine der wichtigsten Fronten des aktiven Pan­futurismus,157 wie Semenko 1922 in der Publikation „Katafalk iskusstva“ verlaut­barte, die zum Großteil auf Russisch erschien. Wichtig ist es hier zu erläutern, dass der Begriff der „Destruktion“ im Panfuturismus in einer ähnlichen Bedeutung ver­wendet wurde wie in anderen Avantgarden jener der Abstraktion, es sich dabei also genau genommen um die Perpetuierung eines frühavantgardistischen Konzeptes handelt. Ilnytzkyj konstatiert eine deutliche Intention, sich durch die Etablierung einer eigenen Ter­mi­ nologie von anderen Gruppierungen zu unterscheiden resp. sich von diesen zu distan­ zieren,158 was erneut den ukrainischen Wunsch nach Ab­grenzung unter­streicht. Der deutsche Expressionist und Dadaist George Grosz verwendete übrigens den Begriff der Destruktion ebenfalls synonym zu Abstraktion: Im Hinblick auf die Strö­mung des (gesamteuropäischen) Konstruktivismus vermutet er, dass dessen Be­zeichnung des­halb gewählt worden sei, um eine Abgrenzung von der Destruktion zu erreichen: 155 156

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Semenko 2012: „What Panfuturism wants“, S. 256. Auf die fremdsprachigen Versionen verweist Dmitrieva; vgl. Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S.  257.  —  Einen Auszug aus der deutschen Version bietet Kratochvil 1999: Mykola Chvyl’ovyj, S. 67. Vgl. Tryroh 1922: „Čto takoe destrukcija?“, S. 2. Ilnytzkyj, Oleh S.: „Abstraction and Ukrainian Literature“, in: Makaryk/Tkacz (Hrsg.) 2010: Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/Kiev, S. 387–406, hier S. 387.

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„The name was probably chosen to indicate that its adherents believed in construction rather than destruction.“159 Eine solche Abgrenzung fand bei der Nova Generacija, die zwei sich diametral gegenüberstehende Prinzipien vertrat, nicht statt. Durch die Kombination von Konstruktion und Destruktion, die von den Künstlern mit den Anforderungen der Epoche des Übergangs begründet wurde,160 rückt der Pan­ futurismus deutlich von den ausschließlich konstruktiv orien­tierten Auslegungen des postrevolutionären LEF-Futurismus ab. Das Konzept der Destruktion sei außerdem wissenschaftlich untermauert, wie die Gruppierung be­tonte. Jede Kunst könne, wie es in „What Panfuturism wants“ weiter heißt, abstrakt, also destruktiv sein, verfüge aber den­noch stets über konkrete Inhalte.161 Zugleich negierte der Panfuturismus alle Formen von antidestruktiver Kunst und ging davon aus, dass Kunst immer auch eine destruktive Seite habe.162 Destruktion wurde als re­vo­lutionärer und zugleich futuristischer Prozess angesehen, der schließlich in einer gänz­l ichen Zerschlagung der bourgeoisen Kunst resultieren sollte.163 Im Rahmen der Nova Generacija sollte die Epoche der Destruktion Ende der 1920er-Jahre schließlich in die Epoche der Konstruktion übergehen, wobei die beiden Etappen gleichermaßen für den kulturellen Entwicklungsprozess essentiell waren: „die neue generation“ verknüpft die zu ende kommende etappe der destruktion der künste und die anfangende etappe ihrer konstruktion, diese beiden etappen als be­ standteile des einheitlichen dialektischen prozess [sic] der entwicklung der геvolu­ tionären kunstformation betrachtend [Kleinschr. i. Orig., Deutsch i. Orig., VF].164

Während die Weiterführung sowohl der „destruktiven“ als auch der „konstruktiven“ Arbeit eine zentrale Aufgabe der Nova Generacija darstellte, hatte die nicht zweck­ mäßige Kunst bei der LEF keine Basis. Auch ein philosophisches System analog zur „Philosophie des Panfuturismus“ lag der Arbeit der LEF, die auf das Faktum fokussierte, nicht zugrunde.165 Anders verhält es sich dagegen im Formalismus, da sich in den Konzepten sehr wohl eine Auseinandersetzung mit der Abstraktion festhalten lässt. Šklovskij bezeichnete bspw. das Genre der Parodie als spottendes Bloßlegen von automatisierten Verfahren und so­mit primär als Destruktion. Eine Parodie sei jedoch, so Striedters Kritik an Šklovskijs „unklarem“ Begriffsverständnis, immer bereits selbst konstruierte Destruktion, deren konstruktive Funktion erst aus ihrer Destruktivität entsteht, in­ dem sie etwa die Tradi­tion, die sie parodistisch dekonstruiert, grundlegend zu

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Grosz, George: An Autobiography. Translated by Nora Hodges. New York: Macmillan Publishing Company 1983, S. 178. Üblicherweise war unter der Kunst der Übergangsepoche der Konstruktivismus zu verstehen, vor allem in den frühen Konzepten zum Panfuturismus wurde jedoch der italienische Futurismus als Kunst der Übergangsepoche bezeichnet; vgl.  Dmitrieva 2012: „Zwischen Stadt und Steppe – Einleitung“, S. 39. Vgl. Semenko 2012: „What Panfuturism wants“, S. 256. Vgl. ibd. S. 257. Vgl. ibd. [Red. NG] 1930: „die neue generation. zeitschrift der revolutionären kunstformation“, S. 3. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 136.

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verändern vermag.166 Dass de­struktive Verfahren, die im faktenbasierten LEF-Futu­ rismus üblicherweise nicht anzu­ treffen waren, sowohl bei der Nova Generacija als auch bei Avanhard zum Einsatz kamen,167 unterstreicht deren nach wie vor frühavantgardistische Prägung. Hier sei außer­dem auf den starken intertextuellen Charakter verwiesen, der für Parodien kenn­zeichnend ist,168 wobei vor allem die Anspielung im Kontext der polemisch formulierten Parodien in der Ukraine gerne verwendet wurde. Der „destruktive“ –  also abstrakte –  Charakter des Panfuturismus wurde auch im Werk anderer Künstler verortet, sodass Außenstehende durch die Zuweisung panfutu­ristischer Attribute – ob sie dies wollten oder nicht, meist haben sie wohl gar nicht davon erfahren – in die eigene Strömung integriert wurden. Archipenko wurde bspw. als „berühmter linker Meister der destruktiven Strömung in der Bildhauerei“ („відомий лівий майстер деструктивного напрямку в скульптурі“)169 und somit quasi als Teil des eigenen destruktiven Netzwerks postuliert. Dass sich die Nova Generacija mit der Opposition „Konstruktion“ versus „De­ struk­tion“ sowohl konzeptionell als auch in der Praxis (etwa durch die Rezeption sich widerstreitender Erscheinungen) zweier Kategorien bedient, die sich diametral gegen­ überstanden und oftmals sogar ausschlossen, stellt eine wichtige Besonderheit dar, die sie von anderen sowjetischen zeitgenössischen Strömungen deutlich unterschied und sie zugleich in eine vorrevolutionäre Tradition – man denke hier an den frühen, abstrakt orientierten Futurismus – versetzte. Abgrenzung von der Vergangenheit = Liquidierung der Kunst Der Tod der Kunst, der in den Programmatiken vieler Avantgarden postuliert wurde, war nicht nur in der frühen Phase des Panfuturismus präsent, sondern blieb auch innerhalb der Nova Generacija ein zentrales Ziel. Er erfolgte allerdings nicht mit einem aggressiven Schlag wie im italienischen und russischen Futurismus, sondern als schleichender Pro­zess der Liquidierung, sodass auch hier die für den Panfuturismus charakteristische Prozesshaftigkeit eine wichtige Rolle spielte. Kunst wurde, wie er­ wähnt, als Prozess de­finiert, dem letztlich auch ein destruktiver Charakter immanent war,170 sodass der Tod der Kunst eine zeitliche Dimension erhält. Das Ende der Kunst stand in der Ukraine erst bevor, was zugleich implizierte, dass eine Rettung nach wie vor möglich gewesen wäre. Die Künstler werden selbst zu Akteuren eines Mord­ komplottes, indem sie die Liquidierung der Kunst vorantreiben. Würde es nicht ge­ 166 167

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Striedter, Jurij: „Zur formalistischen Theorie der Prosa und der literarischen Evolution“, in: Ders. (Hrsg.) 1969: Russischer Formalismus, S. IX–LXXXIII, hier S. XLII. Wiewohl Avanhard parodistische Elemente weit häufiger einsetzte, indem etwa das kommunistische System sowie andere Strömungen polemisch persifliert wurden, wie dies vor allem in der Kolumne „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ mehr­ fach erfolgte. Die Verwendung von Parodie bei der Nova Generacija wurde bereits in der Analyse zu „Platforma j otočennja livych“ aufgezeigt. Zur hypertextuellen Relation der Parodie vgl.  Holthuis, Susanne: Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. Tübingen: Stauffenburg Colloquium 1993, S. 118 ff. Vgl.  die redaktionellen Anmerkungen zu Šant [sic], Roljand [Schacht, Roland]: „Oleksander Archypenko. Monohrafija z ilju­stracjiamy“, übersetzt von M. Dika, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1930), S. 34–39. Vgl. Tryroh 1922: „Čto takoe destrukcija?“, S. 2.

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lingen, die Kunst zu zerstören, so zerstöre diese sich selbst, hieß es bereits 1922 in der panfuturistischen Deklaration „Čto takoe destrukcija?“: „Мы говорим, что искусство надо ликвидировать или, что все равно, искусство само ликвидируется“171 [Wir sagen, dass die Kunst liquidiert werden muss, oder, was ein und dasselbe ist, die Kunst liquidiert sich selbst]. In der „Nova Generacija“ ist überdies von einem langsamen Prozess des Sterbens die Rede: мистецтво як емоціональна категорія культури відмирає повільний процес відмирання мистецтва позначився деструктивними напрямками у мистецтві останніх десятиріч [Kleinschr. und fehlende Inter­punktion i. Orig., VF].172 [die kunst als emotionale kategorie der kultur stirbt der langsame prozess des sterbens betraf die destruktiven strömungen in der kunst der letzten jahrzehnte [Kleinschr. und fehlende Interpunktion i. Orig., VF].]

Die Prozesshaftigkeit steht der Einmaligkeit und zugleich Abgeschlossenheit des ab­ rupten Todes entgegen. Die Kunst erhält eine Fristerstreckung, sodass ihr Ende weit weniger radikal eingefordert wird als in anderen Avantgarden, die den Tod in ihren Konzepten als unumkehrbares Faktum präsentierten. Sowohl Marinettis Futurismus als auch die russischen Futuristen forderten bekanntlich den Bruch mit der Vergan­ genheit,173 und auch in den Konzepten der russischen Konstruktivisten stellt die Abgrenzung von der Vergangenheit ein zentrales Element der Kunst dar. Bei den holländischen Konstruktivisten der Gruppe De Stijl bezog sich das Ende der Kunst primär auf die Unterdrückung der ästhetischen Dimension, die zu Gunsten des Fort­ schrittes aufgegeben werden müsse: „For the sake of progress we must destroy Art“.174 Die LEF forderte dazu auf, „haftengebliebenes Abgelebtes“ abzuwerfen.175 Der LEFKonstruktivist Gan verkündete den „Tod der Kunst!“176, der für ihn ebenfalls bereits eine vollendete Tatsache darstellte.

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Tryroh 1922: „Čto takoe destrukcija?“, S. 2. [Red. NG]: „mystectvo jak emocional’na ....“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 2. Ilnytzkyj merkt an, dass der Panfuturismus bereits in den frühen 1920er-Jahren viel Wert darauf legte, im Hinblick auf den italienischen Futurismus zwischen dessen ideo­ logischen Mängeln, die in der militanten und chauvinistischen Ausrichtung lagen, und dessen formaler und historischer Bedeutung zu differenzieren; vgl.  Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 185. Doesburg, Theo van: „The End of Art“, in: De Stijl, VII. JG, Nr. 9 (1926) – zit. nach dem Typoskript 1958.140.1, 1122, Harvard Archiv. Im deutschsprachigen Typoskript dazu heißt es weiter: „Zugunsten des realen Lebens müssen wir jeden Begriff ,Kunst‘, der auf Aesthetik spekuliert, unterdrücken“; vgl. Doesburg, Theo van: „Das Ende der Kunst“, in: Der Stil, Heft 9 (1926), Seite 135 – zit. nach dem Typoskript 1958.140.1, 1122, Harvard Archiv. Aseev, Nikolaj/Arvatov, Boris/Brik, Osip/Kušner, Boris/Majakovskij, Vladimir/Tret­ jakov [Tret’jakov], Sergej/Čužak, Nikolaj: „Wofür kämpft ,Lef ‘?“, in: Asholt/Fähnders (Hrsg.) 2005: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938), S. 296–298, hier S. 298. Gan 2005: „Der Konstruktivismus“, S. 298.

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Die Kunst stirbt – der Künstler ist tot Im Panfuturismus ereilt das Todesurteil nicht nur die Kunst, sondern auch die Künstler selbst, wobei nicht nur Gruppierungen wie die LEF, sondern auch der Panfuturismus selbst vor dem drohenden Tod gewarnt oder gar post factum persönlich über diesen informiert wurden. In einem Telegramm, das an den russischen Futuristen Maja­ kovskij gerichtet war und zu Beweiszwecken in der ukrainischen Publikation „Semafor u majbutn’je“ abgedruckt wurde, forderte Semenko Majakovskij auf, sich den Pan­ futuristen anzuschließen, da dies die einzige Möglichkeit sei, sein Leben zu retten: Маяковский, спасайся. Выход. Искусство живой труп. Нужно добить. Да здравствует пан-футуризм, ликвидирующий искусство. […] Каменский = Бальмонт = труп. […] Маяковский пан-футурист или труп. Выход есть. Выбирай. Ответ срочно телеграфом. Михаил Семенко, пан-футурист.177 [Majakovskij, rette Dich. Ausweg. Kunst ist lebende Leiche. Eliminierung notwendig. Hoch lebe Panfuturismus, liquidiert Kunst. […] Kamenskij = Bal’mont = Leiche. […] Majakovskij Panfuturist oder Leiche. Ausweg möglich. Wähle. Rasche Antwort per Telegramm. Michail Semenko, Panfuturist.]

Majakovskij wurde im Telegrammstil der eigene Tod prophezeit, würde er nicht dem Panfuturismus beitreten.178 Auch für den Fall, dass dieses Telegramm tatsächlich seinen Empfänger erreicht haben sollte, dürfte es diesen doch nicht zum Übertritt in die panfuturistische Gemeinschaft bewegt haben. Dass der Künstler wenige Jahre später tatsächlich tot war, soll dennoch keine Spekulationen über einen Zusammenhang mit dem Panfuturismus auslösen. In der „Nova Generacija“ wurde dem Werk des großen russischen Futuristen jedenfalls posthum mit mehreren Nachrufen sowie einem ganz­ seitigen Bild gehuldigt, auf die im Kapitel „Zur Rezeption russischer Strömungen in der Ukraine“ ausführlicher eingegangen wird. Im Falle des Ablebens von Mitgliedern der eigenen Vereinigung wurden eben­falls Nach­rufe publiziert, die, ähnlich wie jene zu Majakovskij, meist ein ganzseitiges Bild des verstorbenen Künstlers enthielten. Während des Bestehens der Zeitschrift ver­starb Pal’mov, der in Moskau im Kreis der LEF aktiv war und Ende des Jahrzehntes am Kiewer Kunstinstitut Malerei lehrte. Pal’mov war auch als Teil des Redaktionskollegiums der „Nova Generacija“ angeführt. Ab Juli 1929 erschien in der ukrainischen Zeitschrift eine Serie von fünf kunsttheoretischen Essays, von denen schließlich die meisten, da Pal’mov inzwischen verstorben war, erst post­hum er­scheinen konnten. Im Nachruf, der in der August-Ausgabe erschien, wird Pal’mov als „великий лівий маляр, старий футурист, активний член мистецької організації ОСМУ і професор Київського Художнього Інституту“ [großartiger linker Maler, alter Futurist, aktives Mitglied der Kunstorganisation OSMU und Professor des Kiewer Kunstinstitutes] gewürdigt, der eine besondere Rolle für die Verbindung zwischen der linken Kunstformation (Nova Generacija) und der von ihm gegründeten ukrainischen Künstlervereinigung

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Semenko, Mychail: „Poslano do Moskvy 29-IV: Telehramma lyt. A.“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 367. Das Original erschien 1922 in: Semafor u majbutn’je, Nr. 1 (1922) (russisch). Vgl. ibd.

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einnahm179  – und somit letztlich sicherlich einen maßgeblichen Beitrag für die er­ folgreiche intermediale Ausrichtung der „Nova Gene­racija“ geleistet hat. Auch Leonid Skrypnyk, der bereits seit Bestehen der Zeitschrift sowohl als Bei­ träger als auch mit seinem künstlerischen Werk in der „Nova Generacija“ vertreten war, ver­schied 1929 und erhielt in der März-Ausgabe ebenfalls eine posthume Wür­ digung, die allerdings lediglich in Form einer Fotografie und somit in Anbetracht seiner doch zahlreichen Aktivitäten innerhalb der Vereinigung doch recht knapp aus­fiel.180 Zu Skrypnyks Publikationen in der „Nova Generacija“ zählten neun kunst­ theoretische Essays, der mehrteilige, unter dem Pseudonym „Levon Lajn“ verfasste Roman „Intelihent“ [Der Intellektuelle] und das unter dem Pseudonym „M. Lans’kyj“ verfasste literaturtheoretische Essay „Livyj roman“ [Der linke Roman], das sich mit dem Roman als Genre innerhalb der linken Kunst auseinandersetzte. Daneben umfasste Skrypnyks Werk mehrere Fotografien sowie kleinere Kurzprosa-Texte. Überdies kam es in der „Nova Generacija“ mehrmals zu fingierten Todesmeldungen, von denen eine Semenko selbst betraf. Der Gründer des ukrainischen Futurismus wurde 1929 von der Zeitschrift offiziell für tot erklärt. Die September-Ausgabe ent­ hielt mit „Sprava pro trup“ [Akte über die Leiche] umfangreiches Material, das die Faktizität und somit Unumstößlichkeit des Todes belegen sollte. Dass „Sprava pro trup“ in drei Teile gegliedert war, die sowohl „Dokumenty, ščo znajdeno v kyšeni u trupa“181 [Dokumente, die in der Tasche der Leiche gefunden wurden] als auch einen „Nekrol’oh z pryvodu smerty M. V. Semenka“182 [Nachruf anlässlich des Todes von M. V. Semenko] und die von Petryc’kyj verfassten „Spohady pro M. V. Semenka“183 [Erinnerungen an M. V. Semenko] enthielten, ließ den fingierten Tod umso glaub­ würdiger erscheinen. Auch die Kunstfigur Edvard Stricha, als die Burevij seit der dritten Nummer des Jahres 1927 in der „Nova Generacija“ publizierte, wurde öffentlich für tot erklärt. Sein Ableben wurde im Oktober 1928 proklamiert, nachdem seine wahre Identität auf­gedeckt und er seiner subversiven Intervention überführt worden war.184 Ihr Mit­ arbeiter, der talentierte junge Dichter Stricha, sei, so die Redaktion, bei einer ge­ meinsamen Reise nach Murmansk tragisch verunglückt. Neben Stricha, der angeb­ lich von einer Klippe stürzte und aus Murmansk leider nicht mehr zurückgekehrt sei, seien auch Semenko, Škrurupij und Sotnyk in den hohen Norden gereist, hätten die Reise jedoch unbeschadet über­lebt.185 Um das vermeintlich unumstößliche Faktum des Todes von Edvard Stricha zu untermauern, wurde im direkten Anschluss an den Nachruf ein Schreiben publiziert, in dem von einer Person namens Olena Veber um 179 180 181 182 183

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Vgl. [Red. NG]: „Pal’mov, V. N.“, in: Nova Generacija, Nr. 8 (1929), S. 2. — Ein Foto des Künstlers folgte erst in der darauffolgenden Ausgabe. [Red. NG]: „Portret t. L. Skrypnyka“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 1. [Red. NG]: „Sprava pro trup: a.) Dokumenty, ščo znajdeno v kyšeni u trupa“, in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 27–28. [Red. NG]: „Sprava pro trup: b.) Nekrol’oh z pryvodu smerty M. V. Semenka“, in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 29–31. Petryc’kyj, Anatol’: „Sprava pro trup: v.) Spohady pro M. V. Semenka“, in: Nova Gene­ racija, Nr. 9 (1929), S. 31–33. — Petryc’kyj verfasste mehrere kunstkritische Essays zum Theater. Vgl.  [Red. NG]: „Trahična smert’ Edv. Strichy“, in: Nova Generacija, Nr.  10 (1928), S. 272–273. Vgl. ibd. S. 272.

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die Aushändigung von Unterlagen zu Stricha ersucht wird, um diese in die geplante Biografie zum Künstler zu integrieren.186 Mit der Figur Vebers wird Stricha von der Redaktion der „Nova Generacija“ eine Ehefrau zur Seite gestellt, die ebenso fiktiv ist wie Stricha selbst. Hier soll nicht un­er­wähnt bleiben, dass Veber eine der wenigen weiblichen Per­ sonen ist, die in der „Nova Generacija“ vorkommen, sei es als (fiktive) Autorinnen, Leserbrief­schreiberinnen oder Künstlerinnen.187 Burevij widersetzte sich jedoch dem von der Nova Generacija durch­geführten „Mord“ an seiner Kunstfigur und ließ sie wenig später im „Literaturnyj jarmarok“ wiederauferstehen, wo ebenfalls unter dem Pseudo­nym Edvard Stricha eine Reihe von Publikationen erschien.188 2.3 Proklamationen und Positionen von Avanhard Für Poliščuks Avanhard stellte die Internationalität ebenfalls einen substantiellen Teil der Programmatik dar, sodass in der Gruppe nicht nur die „progressivsten, besten Kräfte der ukrainischen“, sondern vielmehr auch der europäischen Kultur versammelt werden sollten, wie es im „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ hieß: Журнал ,,Авангард“, що зібрав коло себе кращі передові сили українського й європейського пролетарського мистецтва, журнал дійсного авангарду культури та його околиць.189 [Die Zeitschrift „Avanhard“, die in ihrem Kreis die progressivsten, besten Kräfte der ukrainischen und der europäischen proletarischen Kunst versammelt, ist die Zeit­ schrift der echten Avantgarde-Kultur und ihres Umfeldes.]

Als erster Programmtext lässt sich „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“190 nennen, der 1926 und somit noch vor der Etablierung der ersten Zeitschriften von Avanhard in „Nazadnyctvo Hartu ta zaklyk hrupy mytciv Avanhard“ erschien. Während sich die Synthese konstruktivistischer und futuristischer Prinzipien bei der Nova Generacija, wie oben gezeigt, in der Kombination von Konstruktion und De­struktion ausdrückte, kam es bei Avanhard zu einer Korrelation von Konstruktion und Dynamik. Die Theorien von Sel’vinskij und Zelinskij stellten in gewisser Weise eine Fortführung des theoretischen Ansatzes der russischen Formalisten dar, wobei im Konstruktivismus die literarische Konzeption gepaart mit der literarischen Praxis auftrat, während es sich beim Formalismus um eine rein literaturwissenschaftliche Methode handelte.191 Bei Avanhard spielte die theoretische Konzeption zwar eben­ 186 187

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Veber, Olena [Red. NG]: „Lyst vid družyny Edv. Strichy“, in: Nova Generacija, Nr.  10 (1928), S. 273. Zur marginalen Präsenz von Künstlerinnen in der „Nova Generacija“ vgl. Faber 2016: „Konzept und Wirklichkeit – Frauen in der Wiener Moderne und in der ukrainischen Avantgarde“, S. 39 ff. Zu Strichas Weiterleben im „Literaturnyj jarmarok“ vgl. z. B. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 249 ff. Vgl. die Ankündigung der Zeitschrift „Avanhard“ in Poliščuk, Valerijan (Hrsg.): Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), U4. Poliščuk/Jermilov/Capok/Levada 1926: „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“. Vgl.  Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S.  115.  —  Hier sei jedoch angemerkt, dass einige Formalisten sehr wohl auch auf literarisch-praktischer Ebene agierten, etwa

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falls eine wichtige Rolle, ging jedoch nicht im selben Maße in die Tiefe wie bei Sel’vinskij und Zelinskij, die beide mehrere umfangreiche Abhandlungen zur kon­ struktivistischen Poesie verfassten.192 Die Literaturtheorie war somit in der Ukraine etwas weniger fundiert und ent­ hielt zudem meist eher Absichtserklärungen und Zustandsbeschreibungen denn tief­ schürfende Konzeptionen und Analysen. Programmatische Elemente und Positionen lassen sich jedoch in zahlreichen anderen Essays und Texten von Avanhard finden, wobei oft auch para- und metatextuelle Elemente  – Inhaltsverzeichnis, Editorial, Impressum etc. – eine Offenlegung von Grundsatzpositionen enthielten, die dadurch wiederum selbst zu Manifesten wurden. Ähnlich wie im ukrainischen Futurismus war der interdisziplinäre Anspruch auch bei Avanhard zentral: „Коло співробітників Авангарду зі всіх галузей мистецтва шириться“ [Der Kreis der Mitarbeiter von Avan­hard aus allen Teilen der Kunst weitet sich aus], hieß es bspw. in der Titelei des ersten Heftes der Zeitschrift.193 Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über einige zentrale Manifeste von Avanhard geboten, um schließlich deren Positionierung im Kon­text internationaler Erscheinungen aufzuzeigen. 2.3.1 „Proklamacija avanhardu“ (1928)/„Aufruf der Avangarde“ (1929) Die „Proklamacija avanhardu“194 erschien 1928 im „Bulletin Avanhardu“ und zählt zu den wichtigsten Grundsatzerklärungen von Avanhard. In der knapp sechs Seiten umfassenden Proklamation wurden die zentralen Auffassungen dargelegt, die im Jahr darauf in der Deklaration des Spiralismus195 weiterverfolgt und konkretisiert werden sollten. Als Verfasser waren Poliščuk, Rajisa [Raisa] Trojanker, der bereits ver­storbene Jaryna, Jermilov, Černov, Koljada, Serhij Tasin, Petro Holota, Valentyn Borysov und Oleksandr Levada angeführt. Neben Ukrainisch erschien die Proklamation auch auf Russisch und Deutsch. Die russische Übersetzung wurde noch im selben Jahr wie die ukrainische Version in der russischsprachigen Anthologie „Radius avangardovcev“ abgedruckt, wobei der Titel „Iz proklamacii ,Avangarda‘“196 [Aus der Proklamation der ,Avanhard‘] darauf verweist, dass es sich lediglich um eine gekürzte Fassung handelte. Mit vier Seiten um­fasst diese knapp zwei Seiten weniger als das Original, sie wurde also im Zuge der Über­setzung um etwa ein Drittel gekürzt. Ähnlich wie bei der deutsch­ sprachigen Fassung, die 1929 unter dem Titel „Aufruf der Avangarde  [sic]“ in „Mystec’ki materijaly avan­hardu/avangardo“ erschien, blieb auch hier die Angabe eines Übersetzers aus. Die deutsche Übertragung (Abb. 40) umfasst lediglich zwei­ einhalb Seiten und wurde so­mit noch stärker gekürzt als die russische.

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Roman Jakobson, der unter dem Pseudonym „Aljagrov“ als Teil der Suprematisten Zaum’-Gedichte verfasste; vgl. Jangfeldt, Bengt (Hrsg.): Roman Jakobson, Meine futu­ ristischen Jahre. Berlin: Friedenauer Presse 1999, S. 37. Diese erschienen z. B. in der Anthologie „Mena vsech“: Zelinskij/Čičerin/Sel’vinskij (Hrsg.) 1924: Mena vsech. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2. Für die ukrainischsprachige Fassung vgl. Poliščuk et al. 1928: „Proklamacija avanhardu“. Poliščuk, Valerijan et  al.: „Spiralizm  – Spiralismus“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 82. [Red. AVH]: „Iz proklamacii ,Avangarda‘“, in: Poliščuk et al. (Hrsg.) 1928: Radius avangardovcev, S. 29–32 (russisch).

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Abb. 40: „Aufruf der Avangarde“, 1929.

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Der proklamative Stil zieht sich durch den gesamten Text. Dieser beginnt mit einer direkten Ansprache an die (ukrainische) Bevölkerung: Всім будівничим українського, жовтневого мистецтва керовникам і учасникам революційних індустріяльних та соціяльних рухів, чутливим партійцям і всім громадянам Радянської України, в кого не загубився ще смак до поступу, хто прагне перебудувати злиденне й розтерзане життя нашої планети на засадах комунізму! Всім нашим спільникам і однодумцям з-за меж України!197 [An alle Baumeister der ukrainischen revolutionären Kunst, an alle Leiter und Teilnehmer revolutionärer industrieller und sozialer Bewegungen, an die fein­fühligen Parteimitglieder und an alle Bürger der Sowjetukraine, die die Lust am Fortschritt noch nicht verloren haben, die versuchen, das bettelarme und zerfleischte Leben unseres Planeten auf den Grundlagen des Kommunismus umzubauen! An alle unsere Mitarbeiter und Gesinnungsgenossen von außerhalb der Ukraine!]

Die deutsche Fassung erweist sich zu Beginn als etwas weniger politisch, da der re­ volutionäre Kontext („žovten“ [Oktober)] darin teilweise ausgelassen wurde: „An alle Baumeister ukrainischer Kunst […].“198 Mit dem letzten Satz des ersten Absatzes wurde schließlich in der Übersetzung auch jener Teil der Anrede, der sich explizit an die internationalen Förderer und Unterstützer wandte, ausgespart: „Всім нашим спільникам і однодумцям з-за меж України!“ [An alle unsere Mitarbeiter und Ge­ sin­nungsgenossen von außerhalb der Ukraine!]199 Falls diese Auslassung nicht aus Versehen erfolgt sein sollte, ließe sich vermuten, dass der eigene Stolz auf die internationalen Mitstreiter diesen eventuell nicht aus­ drücklich mitgeteilt werden sollte. Die Proklamation offeriert schließlich auch eine Begründung dafür, warum sich die Gruppe an die Öffentlichkeit wandte: An Euch wenden wir uns in einer Angelegenheit, die eine der wichtigsten Seiten unse­ res Lebens und Wiederaufbaus betrifft, in der Angelegenheit unserer Kultur.200

Folgende fünf Hauptthesen des Konstruktiven Dynamismus, der hier bereits als „Spira­lismus“ bezeichnet wurde, bildeten schließlich die zentralen Grundsätze resp. For­derungen des Aufrufs: 1) Als Folge der allgemein industriellen Zeit muss eine dominierend allgemeine indu­ strielle Richtung der Poesie und der anderen Künste entstehen, die dazu national gefärbt ist. 2) Die Kunst muss unbedingt im Geiste der Zeit sein, d. h. die Behauptung bestätigen, dass jede Epoche ihre eigene, nur sie ausdrückende Kunst hat, die ihre Quelle eben in dieser Epoche hat. 3) Nicht nur die Erkenntnis der Welt durch Kunst und Wissenschaft, sondern auch die Gestaltung der Welt durch Kunst und Wissenschaft. 197 198 199 200

Poliščuk et al. 1928: „Proklamacija avanhardu“, S. 1. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60. Poliščuk et al. 1928.: „Proklamacija avanhardu“, S. 1. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West 4) Die Psyche der Menschheit zu ändern in Verbindung mit der Industrialisierung des Lebens, dem strahlenden und freudigen Fortschritt der Menschheit. 5) Die Abänderung des Lexikons und der Syntaxis zusammen mit der Aenderung des Lebens und der Psyche [alle Falschschreibungen im Original, VF].201

Im ersten Punkt wird die Etablierung einer industriellen Poesie und anderer Künste gefordert, was die intermediale Ausrichtung der Strömung unterstreicht. Während die russischen literarischen Konstruktivisten ausschließlich innerhalb der literarischen Praxis und der Literaturtheorie agierten, lag ein Schwerpunkt von Avanhard auch auf anderen Künsten, wobei neben Literatur außerdem Architektur und Musik als wichtigste Kunstformen angesehen wurden. Die proklamierte Intermedialität wurde allerdings nicht derart konsequent realisiert wie bei Semenkos Formation Nova Gene­racija, die in ihre Zeitschrift unterschiedlichste Medien integrierte und im Hin­ blick auf die künst­lerische Praxis ebenfalls sehr intermedial agierte. Der Fokus auf die Industrie wird im vierten Punkt noch ein weiteres Mal betont, sodass ihm eine besondere Wertigkeit zukommt. Diese spiegelte sich etwa in der literarischen Praxis wider, wie eine Reihe von Beispielen zeigt, die Technik und Industrie thematisieren. Poliščuk rückte bspw. in seinem konstruktivistischen Gedicht „Aeronavihacija“ (Aeronautik) mit den „mächti­gen Elektro-Dniprowerken“ neben der Luftfahrt auch ein wichtiges Industrie­zentrum der Ukraine ins Zentrum.202 Auf den ersten Blick scheint das im ersten Punkt von „Aufruf der Avangarde“ ebenfalls postulierte Bestreben, der Poesie sowie anderen Künsten eine „nationale Färbung“ zu verleihen, für eine linksgerichtete avantgardistische Gruppierung eher ungewöhnlich. Eine internationalistische Ausrichtung schloss nationale Bestrebungen üblicherweise weitgehend aus. Bei Avanhard fanden sich die beiden Gegensätze jedoch sowohl in einigen konzeptionellen (etwa in Poliščuks „Rozkvit ukrajins’koji literatury“) als auch in literarischen Arbeiten (etwa in „Aeronavihacija“) wieder. Dass die Quellen der Kunst stets in der eigenen Epoche zu suchen seien (Punkt 2), perpetuiert durch die Ablehnung vergangener Errungenschaften einerseits die Prinzi­ pien des vergangenheitsfeindlichen Futurismus und rückt die aktuelle und so­mit eigene Zeit ins Zentrum. Jede Epoche habe, so die These von Avanhard, „ihre eigene, nur sie ausdrückende Kunst“.203 Die eigene Strömung stellte daher nicht den einzig gültigen Maßstab dar,204 der alles Vorhergehende ablösen sollte, denn Avanhard ge­ stand jeder Epoche ihren eigenen Stil zu, der für sie prägend sei. Im dritten Punkt der Proklamation wird auf die Bedeutung einer Verzahnung von Kunst und Wissenschaft hingewiesen, die für eine Überführung von Kunst in die Lebenspraxis unabdingbar sei. Die Kombination von Kunst und Wissenschaft stellt für 201

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Falls nicht anders angegeben, wird im Weiteren aus Platzgründen für diesen Text, der in einer ukrainischen und in einer deutschen Originalversion vorliegt, auf die ukrainische Fassung verzichtet; Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Vgl. Poliščuk, Valerijan: „Aeronavihacija“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo, Nr.  1 (1929), S.  26: für die deutsche Version vgl.  Polischtschuk, Walerjan: „Aeronautik“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr.  1 (1929), S.  28. —  Eine ausführliche Analyse dieses Textes erfolgt im Kapitel „Konstruktiver Dynamismus (Spiralismus) und literarischer Konstruktivismus“. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Obwohl es im Panfuturismus, wie erwähnt, zu einer langsamen Ablösung der alten (bürgerlichen) Kunst kommen sollte.

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Avanhard einen zentralen Punkt des künstlerischen Schaffens dar, wobei die Wissen­ schaft nicht auf den Erkenntnisgewinn beschränkt bleiben, sondern eine gestaltende Funktion erhalten würde, während Kunst umgekehrt sowohl der Gestaltung als auch dem Erkenntnisgewinn dienen müsse. Der Zusammenhang von wissenschaftlicher Weltauffassung und Lebensgestaltung, wie er von Avanhard mit der „Gestaltung der Welt“ postuliert wird, findet sich auch auf gesamteuropäischer Ebene als grund­ legendes Element in den Thesen zum Konstruktivismus, zur funktionalistischen Archi­tektur und zur Ausrichtung des Bauhauses und nimmt auch in zahlreichen Konzepten zum Dokumentar- und Reportage-Stil eine wichtige Rolle ein.205 Vor allem die Architektur wurde von vielen Konstruktivisten, so auch von Avanhard, als Wissenschaft verstanden. Anders als andere Disziplinen, deren Relevanz in den 1920er-Jahren zunehmend ab­nahm, erlebte die konstruktivistische Architektur ab Mitte des Jahrzehntes eine Blüte.206 „Eine andere Kunst, die eine ebensogrosse [sic] Rolle in unserem Zeitalter des größten Aufbaus spielt, ist die Architektur“207, lautete es in der Proklamation von Avanhard, wo­bei Architektur neben Literatur und Musik zur wichtigsten Kunstform erklärt wurde. Im Hinblick auf die Malerei wurde eine eindeutig konstruktivistische Linie propagiert, die vom Grafiker und Maler Jermilov vertreten wurde. Die Malerei muss Farbe und Linie konstruktiv gestalten und zwar für das Leben, nicht für das Museum, ebenso wie die Plastik  – die Fläche und den Raum. Formen und Einzelteile des Werkes unter sich müssen einander ebenso entsprechen wie der ganze Komplex der Formen dem realen Leben, [sic] – das ist die Aufgabe der Malerei und der Plastik [Deutsch i. Orig., VF].208

Der artikulierte Anspruch von Kunst, nicht dem Museum, sondern dem Leben zu dienen, verweist auf die von Peter Bürger als zentral bezeichnete Forderung der Avant­ garden, die Kunst in die Lebenspraxis überzuführen.209 Die konstruktive Dynamik von Avanhard gestalte nicht nur das Leben, vielmehr sei sie das Leben selbst: Wir müssen das Leben konstruktiv gestalten, denn seine Dynamik passt in solche Formen besser. Die Dynamik der Futuristen ist chaotisch, unsere muss logisch und zielgerecht sein. Die konstruktive Dynamik gestaltet nicht nur das Leben, sie ist das Leben selbst [Deutsch i. Orig., VF].210

205 206

207 208 209 210

Zum Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Weltauffassung und Lebensgestaltung im Konstruktivismus vgl. Winko 1998: „Von der Kunst zur Wissenschaft“, S. 164. Paul Zygas bezeichnet das Jahr 1927 gar als „annus mirabilis“ für die Geschichte der Architektur. Großereignisse wie die Ausstellung zur Stuttgarter Weißenhofsiedlung und die „Erste Ausstellung der Zeitgenössischen Architektur“, von der OSA in Moskau organisiert, würden, so Zygas, von der damaligen Relevanz der avantgardistischen Architektur zeugen; vgl.  Zygas 1992: „OSA’s 1927 Exhibition of Contemporary Architecture: Russia and the West Meet in Moscow“, S. 102. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Ibd. S. 62. Vgl. Bürger 1974: Theorie der Avantgarde, S. 78. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61.

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Punkt vier fordert eine Verbindung des industriellen Lebens mit der Psyche der Mensch­heit, wobei das Tempo der Industrialisierung durch die Psyche eine Be­schleu­ nigung erfahren sollte. Damit wird ein weiteres Mal die Relevanz der Industrialisie­ rung be­tont. Überdies sollte die Poesie einen Einfluss auf die Psyche erhalten, die durch die Poesie gestaltet werden sollte, „dass ihr die Welt sei wie weicher Ton, aus dem immer vollkommene Lebensformen modeliert [sic] werden können“.211 Punkt fünf der Deklaration fordert schließlich die Abänderung von Lexik und Syntax ein. Dieser Abschnitt bezieht sich also auf die Literatur, innerhalb der ebenfalls eine Revolution auf mehreren Ebenen erfolgen sollte. Ähnliche Forderungen nach Erneu­erung wurden bereits im frühen russischen Futurismus postuliert, wo sprach­l iche Experimente auf lexikalischer und syntaktischer Ebene zu den wichtigsten Hervor­ bringungen des literarischen Futurismus zählten. Von Avanhard wurde dieses Postulat jedoch nur wenig konsequent realisiert, da es weder zu einer wirklich auffälligen Bil­ dung von Neologismen, die bspw. für den Kubofuturismus kennzeichnend waren,212 noch zu prägnanten Verschiebungen auf der syntaktischen Ebene gekommen ist. Auf konzeptioneller Ebene wird eine Begrenzung innerhalb der Literatur moniert, die auf tra­d ierte Konventionen und Gesetze zurückzuführen sei und darin resultiere, dass „ein Lexikon von Ausdrücken, die uns heutzutage ausserordentlich unmodern anmuten“, dominiert würde. Im Zeitalter „des industriellen Lebens, der Maschinisierung der Welt“213 würde die Kunst nunmehr allerdings mit Material ausgestattet, das früher als unpoetisch und der hohen Kunst unwürdig angesehen worden sei: „Das ,unpoetische‘ Material ist das Material der zeitgenössischen Poesie.“214 Avanhard spricht von Literatur als der „gemeinverständlichsten und aktivsten Kunst, die einerseits in Publizistik, Philosophie und Wissenschaft übergeht, andererseits in Musik verfliesst – so groß ist ihre Spannweite“.215 Der intermediale An­ spruch wird hier also erneut betont. Als literarische Hauptgattungen werden sowohl Lyrik als auch Prosa programmatisch unterstützt, wobei bei beiden die Rhythmik eine zentrale Rolle spiele.216 Die Prosa würde „chimerische Rhythmen“ enthalten, die „zum Chaotischen neigen […] mit integral verschiedenartigen Hebungen und Senkungen“217, und sei daher dem „linken“ resp. „idealchaotischen“ Flügel des Metrums zuzurechnen, während die Rhythmen der Lyrik einem Metronom glichen und dem „rechten“ und zugleich „idealen“ Flügel angehören würden. Dort, wo beide Flügel aufeinandertreffen, ließen sich die besten Rhythmen finden.218 Avanhard bekannte sich überdies dezidiert zum „Vers libre“, der noch gezielter als be­wusste Technik der Poesie eingesetzt werden müsse: Welche poetische [sic] Formen sind unserer dynamischen und konstruktiven Epo­che angemessen, dem Zeitalter der Elikrizität [sic] und Chemie […]? Das ist der „vers libre“, der vers libre in seinen weitesten Formen […]. Nicht der vers libre, der, unbe­kannter 211 212 213 214 215 216 217 218

Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Man denke hier an die futuristischen Experimente mit der Zaum’-Sprache. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60. Ibd. Ibd. Vgl. ibd. Ibd. S. 61. Vgl. ibd.

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Herkunft, bei allen Völkern und in allen Zeiten existierte, sondern der vers libre als bewusste Technik der Poesie [Deutsch i. Orig., VF].219

Der zitierte Textauszug lässt bereits den Versuch erkennen, im Bereich der Literatur­ theorie zu agieren, wie dies nicht nur die russischen Formalisten, sondern, und dies ist im Kontext von Avanhard viel wichtiger, auch die russischen Konstruktivisten rund um Sel’vinskij und Zelinskij praktizierten. 220 Hryhorij Verves zufolge zählte der „Vers libre“ im Kontext des konstruktivistischen Maschinenzeitalters zu jenen künstlerischen Praktiken, die das Wesen der Maschine aufgrund ihrer Faktura optimal repräsentiert hätten.221 Verves führt „die Welle“ („хвиляд“ [sic]) und „den Spiritismus“ („спиритизм“) als jene Konzepte an, die den Hang von Avanhard zum Maschinenzeitalter am eindrücklichsten demonstrieren würden,222 wobei mit „Welle“ wohl „Dynamik“ und mit „Spiritismus“ „Spiralismus“ gemeint sein dürften, falls Verves sich auf das im folgenden Abschnitt erläuterte programmatische Bekenntnis zum Spiralismus bezog. 2.3.2 „Spiralizm – Spiralismus“ (1929) In „Spiralizm – Spiralismus“ wurden ebenfalls wichtige Grundsätze formuliert, wobei der Spiralismus als zentrales Konzept des Konstruktiven Dynamismus präsentiert wurde. Dieser sei, wie an anderer Stelle betont wurde, bereits seit 1925 von Avanhard vertreten worden.223 Der zweisprachige Titel des Textes macht die internationale Ausrichtung der Gruppe ein weiteres Mal deutlich, wobei die Proklamation selbst ausschließlich auf Ukrainisch verfasst ist.224 Der Text, der sich nur über knapp eine Seite erstreckt, kommt ohne Angabe eines Verfassers aus, er dürfte also der gesamten Redaktion zuzuschreiben sein. In formaler Hinsicht stellt „Spiralizm – Spiralismus“ eher einen Artikel als eine Manifestation dar, da wichtige proklamative Elemente wie die direkte Anrede an ein Publikum fehlen, während detailliert auf die Besonderheiten des Spiralismus eingegangen wird. Da der Text jedoch dazu dient, die wesentlichen Grundsätze der Gruppierung resp. ihrer Strömung zu spezifizieren, kann er, wie­wohl von Avanhard selbst als „Artikel“ bezeichnet, dennoch als programmatischer Text angesehen werden. Die Redaktion wolle mit diesem Artikel eine Erklärung da­für geben, „warum die Künstlergruppe ,Die Avangarde‘ ihre Richtung statt ,den Kon­ struktiven Dynamismus‘ nun mit dem umfassenderen Namen ,Spiralismus‘ nennt [sic]“.225 Avanhard sei nämlich der Meinung, „dass die Spirale am eindringlichsten die dynamische Konstruktion ausdrückt“226. Ähnlich wie Semenkos Kverofuturismus wird der Spiralismus als Strömung postuliert, die eine philosophische Ebene enthält: 219 220

221 222 223 224 225 226

Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Wie der „Vers libre“ von Avanhard in die künstlerische Praxis umgesetzt wurde, wird im Kapitel „Konstruktiver Dynamismus (Spiralismus) und literarischer Kon­struktivismus“ anhand von zwei Texten demonstriert. Vgl. Verves 1996: Ukrajinci na randevu z Jevropoju, S. 98. Vgl. ibd. Vgl.  [Red. AVH]: „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avangarde“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 80 (deutsch). Vgl. Poliščuk et al. 1929: „Spiralizm – Spiralismus“. [Red. AVH]: „Inhaltsangabe No. 3 der Zeitschrift ,Avangarde‘“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 185–186, hier S. 185 (deutsch). Ibd.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West Спіралізм, як мистецько-філософський термін, випливає з таких положень: як поступування життя, так і розвиток мистецьких форм іде спіраллю. Діялектика [sic] життя, беручи для даного моменту певну, вихідну точку, веде відповідними витками поступ. Ці витки творяться в наслідок одштовхувань од попереднього стану. Вони (витки й повороти), пройшовши етап цілковитого (діяметрального [sic]) заперечення, доходять знов до аналогічного з попереднім пунктом положення, де вже синтезуються начала обох попередніх фаз, але й, головне, додається ще й нове щось небувале у попередніх етапах.227 [Der Spiralismus als künstlerisch-philosophischer Begriff hat seinen Ausgangspunkt in folgenden Annahmen: Sowohl der Fortgang des Lebens als auch die Entwicklung künstlerischer Formen verlaufen spiralförmig. Die Dialektik des Lebens, die zu einem bestimmten Moment einen fixen Ausgangspunkt einnimmt, setzt sich über entsprechende Drehungen fort. Diese Drehungen entstehen in Folge der Ab­kehr vom vorherigen Zustand. Sie (die Drehungen und Windungen) erreichen, nachdem sie eine Etappe der vollständigen (diametralen) Negierung durchlaufen haben, er­ neut einen Zustand, der dem Ausgangspunkt gleicht und an dem die Anfänge der beiden vorangegangenen Phasen eine Synthese bilden, doch, was am wichtigsten ist, ergänzt werden durch etwas Neues, in den vorangegangenen Etappen noch nicht Enthaltenes.]228

Als wichtiges Element des Spiralismus, dessen Bezeichnung eine Abgrenzung von west­europäischen rationalistischen Strömungen vermuten lässt, wird die Dialektik ange­sehen. Sowohl die Entwicklung des Lebens als auch die der Kunst werden als perma­nenter Prozess der Bewegung und der Weiterentwicklung verstanden. Die Ab­kehr vom alten Zustand führe im Rahmen dieses Prozesses laufend zu neuen Ent­ wicklungen, wobei Avanhard die unterschiedlichen Zustände, die man auf verschiedene Strömungen applizieren könne, als „Etappen“ bezeichnet. Eine jede Etappe berge etwas Neues und würde nach gewisser Zeit wiederum durch etwas noch Neueres abgelöst. Dieser Pro­zess der sich permanent wiederholenden Innovation würde zu einer sich andauernd erneuernden Kunst führen. Avanhard war sich somit selbst dessen bewusst, zu gegebener Zeit von einer neueren Etappe abgelöst zu werden. Die eigene Kunst würde daher in absehbarer Zeit ebenfalls tot sein, was wiederum auf den „Tod der Kunst“ verweist. Die Ablösung der alten Kunst würde allerdings ähnlich wie auch in Semenkos Panfuturismus nicht abrupt erfolgen, sodass sich das Alte und das Neue in der Anfangsphase noch über­schneiden und ergänzen könnten. Die Überlagerung der verschiedenen Phasen habe darüber hinaus einen fruchtbaren Moment der Synthese zur Folge. Die Synthese, die von den Avantgarden üblicherweise auf Medien angewandt wurde (Intermedialität), wurde hier in die zeitliche Dimen­ sion transferiert, sodass sich hier verschiedene Phasen überlagern und damit die Relevanz des Übergangs erneut betont wird. Die ansonsten meist anzutreffende un­ eingeschränkte avantgardistische Distanzierung von der Ver­gangenheit nahm somit, und das ist sehr wesentlich für Avanhard, keine zentrale Rolle ein.

227 228

Poliščuk et al. 1929: „Spiralizm – Spiralismus“. Eine etwas divergierende Übersetzung bietet Dmitrieva in ihrem Band: Poliščuk, Valerijan: „Spiralismus“, in: Dmitrieva (Hrsg.) (2012): Zwischen Stadt und Steppe, S. 262.

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Dmitrieva merkt an, dass Poliščuk mit der Proklamation des Spiralismus nicht nur die eigenen Prinzipien erläutern, sondern auch eine Abgrenzung vom ukrainischen Futu­ rismus vornehmen wollte.229 Darüber hinaus wurde offenbar auch beabsichtigt, die Unterschiede zu westeuropäischen Gruppen deutlich zu machen und somit die eigene Alleinstellung zu betonen. In einem Brief an den russischen Autor Zelinskij betonte Poliščuk ausdrücklich, dass mit dem Spiralismus eine Strömung geschaffen werden sollte, die sich wesentlich von westeuropäischen konstruktivistischen Erscheinungen unterschied: Кроме того мы сознательно утверждаем термин спирализм, чтобы отличается от западно-европейских конструктивизтов [sic], которые впадают в техницизм, статику, т.е. идеализм по сути. […] Конечно спирал мы берем ни в коем случае не как метафору, а как математическую кривую конструктивную и динамическую одновременно.230 [Darüber hinaus bekräftigen wir bewusst den Terminus des Spiralismus, dass er sich von den westeuropäischen Konstruktivisten unterscheidet, die dem Technizismus, der Statik anheimgefallen sind, d.h. eigentlich dem Idealismus. […] Natürlich verstehen wir die Spirale keinesfalls als Metapher, sondern als mathematische Kurve, die konstruktiv und dynamisch zugleich ist.]

Obwohl der Text mit der Spirale auch auf die Technik fokussiert, die zudem nicht meta­phorisch verstanden werden soll, wirkt er insgesamt insofern deutlich ab­strak­ ter als die zuvor präsentierte „Proklamacija avanhardu“, als eine praktische Anwend­ barkeit in der Literatur weniger realisierbar scheint. 2.3.3 „Čto i kak i počemu“ (1928) „Čto i kak i počemu“ [Was und wie und warum] erschien 1928 in der russischsprachigen Anthologie „Radius avangardovcev“.231 Mit einer Länge von etwas über einer Seite fiel die Erklärung relativ kurz aus, weshalb sie im Folgenden auch nur entsprechend kurz präsentiert wird. Als Verfasser ist Poliščuk angeführt, der somit stellvertretend für die anderen an „Radius“ beteiligten Kunstschaffenden die wichtigsten Aspekte der rus­ sischen Sektion von Avanhard darlegte. Poliščuk betonte die Absicht, in der Ukraine eine sowohl proletarische als auch russischsprachige Literatur zu etablieren, die sich von jener in Russland unterscheiden und über ein eigenes Profil verfügen solle.232 Dieses Bekenntnis belegt nicht nur erneut die Offenheit von Avanhard, die sich als Schwelle zwischen Ost und West verstand, sondern macht auch einen programmatischen Wider­ spruch evident: Die Betonung der proletarischen Ausrichtung, wiewohl diese auch an anderer Stelle mehrfach erfolgte,233 scheint im Hinblick auf die mehr­mals er­folgten Angriffe gegen proletarische Gruppierungen wenig glaubwürdig. Diese Angriffe richteten sich primär gegen die VUSPP, die auch in „Čto i kak i počemu“ attackiert wurde. Der VUSPP wurde eine mangelnde Ukrainizität vorgeworfen, da sie das ukra­ 229 230 231 232 233

Vgl. Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 264. Poliščuk 1929: „Brief an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929“. Poliščuk 1928: „Čto i kak i počemu“, S. 26–28. Vgl. ibd. S. 27. Vgl. z. B. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 74.

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inische Fundament, auf dem sie entstanden sei, in ihrer Arbeit nicht angemessen zu würdigen wüsste.234 Ihr Verhältnis zu den russischen Wurzeln, die sich nicht zuletzt aufgrund der eigenen Russischsprachigkeit nicht leugnen ließen, solle idealerweise jenen Beziehungen gleichen, die die französischsprachige belgische Literatur zur Lite­ ratur Frankreichs unterhielt. Auch hier wird also die eigene Marginalität problemati­ siert: Die russischsprachige ukrainische Literatur dürfe nicht lediglich eine regio­nale Variante sein, sondern müsse vielmehr eine eigenständige nationale Kultur repräsen­ tieren.235 Beachtlich scheint außerdem, dass sich die russische Sektion von Avan­hard eindeutig mit der sowjetischen Ukraine identifizierte und sich somit gewissermaßen ebenfalls für die nationale Idee einsetzte. Avanhard war sehr darauf bedacht, die eigenen Arbeiten in in- und ausländischen Medien zu publizieren,236 wobei es für die russischsprachige Autoren der Vereinigung bereits eine große Herausforderung darstellte, ihre Arbeiten in ukrainischen Zeitschriften zu platzieren.237 Die russische Sektion von Avanhard sei eine Gruppierung, die с усиленными мотивами индустриализма, братского разрешения национальной проблемы, с отображением своеобразного украинского быта, который и так уже много и дал литературных ценностей русской читательской массе.238 [mit verstärkten Motiven der Industrialisierung, der brüderlichen Lösung des nationa­ len Problems, mit der Darstellung eines spezifisch ukrainischen Alltags, der russischen lesenden Masse bereits viele literarische Schätze geschenkt hat.]

Sie positionierte sich  – ähnlich wie auch Avanhard selbst  – im Hinblick auf ihre formalen Bestrebungen an der linken Flanke der Kunst,239 wodurch sie nicht nur in die Nähe des ukrainischen und russischen Futurismus, sondern auch in jene der meisten westeuropäischen konstruktivistischen Strömungen rückt, die ebenfalls links orientiert waren. Chlebnikov und einige nicht näher genannte Konstruktivisten und LEF-Künstler, die Pioniere im Erschaffen neuer verbaler Formen („созидания новой словесной формы“) gewesen seien, wurden als Vorbilder genannt.240 Zum Futu­ rismus Semenkos, der als „anarcho-destruktiv“ bezeichnet wurde, vollzog Poliščuk dagegen eine ein­deutige Abgrenzung, die als Beleg für das Vorhandensein einer innerukrainischen Polemik verstanden werden kann.241 Die Nova Generacija sei, so die Kritik, geprägt durch „гальванизированными, мертвыми формациями и дегенерациями“242 [gal­vanisierte, tote Formationen und Degenerationen]. Insgesamt enthält „Čto i kak i počemu“ doch eine Reihe kritischer Töne, die sich vor allem auf die fehlenden Perspektiven für (junge) russischsprachige Autoren in der Ukraine beziehen. Die Situation der russischen Sektion von Avanhard stellt sich 234 235 236 237 238 239 240 241 242

Vgl. Poliščuk 1928: „Čto i kak i počemu“, S. 27. Vgl. ibd. S. 27. Vgl. ibd. S. 26. Vgl. ibd. Ibd. S. 27. Vgl. ibd. Vgl. ibd. Aus Platzgründen konnte das geplante Kapitel zur innerukrainischen Polemik keinen Eingang in diese Arbeit finden. Ibd.

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daher ähnlich dar wie für viele Emigrationsautoren, denen die Anerkennung oft in der neuen wie in der alten Heimat verwehrt bleibt. Charkiw, wo zu dieser Zeit eine massive Ukrainisierungspolitik betrieben wurde, stellte gewiss nicht das Zentrum für russischsprachige Literatur dar, sodass sich die Autoren quasi in einer doppelten Situation der Peripherie befanden: Einerseits repräsentierte die Ukraine eine sowje­ tische Peripherie, andererseits trug im Kontext der ukrainisch aufgeladenen Verwur­ zelungspolitik die Russischsprachigkeit zur Marginalisierung der Autoren bei. 2.3.4 Programmatik der Gruppe Avanhard im internationalen Kontext Dass die internationale Ausrichtung eine der wichtigsten Grundlagen der Gruppierung darstellte, wurde bereits 1926 im Manifest „Zaklyk hrupy mytciv ,Avan­hard‘“ aus­ drücklich betont: „Ми піднімаємо боротьбу за дійсний сучасний європеїзм в художній техніці“243 [Wir eröffnen den Kampf um den echten modernen Euro­ päismus in der künstlerischen Technik]. Die beiden später publizierten Programm­ texte „Prokla­macija avanhardu“ und „Spiralizm – Spiralismus“ legten die Ausrichtung der Strömung ebenfalls ausführlich dar. Dass beide Texte zumindest in Auszügen auch in anderen Sprachen  – etwa auf Russisch und Deutsch  – publiziert wurden, belegt ebenfalls den Wunsch, die eigenen Aktivitäten und Konzepte über sprachliche Grenzen hinweg zu popularisieren und damit die „semiotische Differenz“244 auszugleichen. Die Relevanz der Internationalität wird betont, indem die eigene Gruppierung als Teil einer globa­len Entwicklung verortet wird, weshalb ihre Arbeit nicht nur auf nationa­ ler und sowje­tischer, sondern auch auf weltweiter Ebene konkurrenzfähig sei: ми впевнено бачимо, що шлях творчости [sic] Авангарду лежить на лінії історичного розвитку культури Радянської України, Союзу й цілого світу і тому ці змагання додають нам лише запалу для відстоювання цієї творчої, будівничної конструктивно-динамічної лінії, що їй ми надаємо на сьогодні назву – спіралізму.245 [wir sehen mit Bestimmtheit, dass der Weg des Schaffens von Avanhard auf Linie mit der historischen Entwicklung der Kultur der Sowjetukraine, der Union sowie der gesamten Welt ist, und diese Bestrebungen verleihen uns daher nur den Eifer, dieses Schaffen, also die aufbauend konstruktiv-dynamische Linie zu verteidigen, der wir für heute den Namen Spiralismus geben],

lautete es 1929 auf der Umschlaginnenseite von „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“. Im Hinblick auf russische Entwicklungen vereinte der Konstruktive Dynamismus von Avanhard bereits in seiner Bezeichnung zwei entgegengesetzte Anschauungen. Dy­namik und Bewegung, die ansonsten eher dezidiert futuristische Konzepte wa­ ren, finden sich hier in der konstruktivistischen Auslegung wieder. Zudem war der Dynamismus vor allem dem Suprematismus-Konzept des UNOVIS-Kollektivs im­ manent, das sich ebenfalls als Gegenposition zum Futurismus verstand, von diesem jedoch den Be­wegungskult übernahm. Neben Farbe und Gleichgewicht stellte die

243 244 245

Poliščuk/Jermilov/Capok/Levada 1926: „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“, S. 22. Zur „semiotischen Differenz“ vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 191. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2.

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Dynamik die dritte zentrale Komponente der suprematistischen Ästhetik dar.246 Die meisten kon­ zeptionellen Übereinstimmungen bestanden jedoch gewiss mit dem russischen LCK, dessen Arbeiten und Theorien von Avanhard intensiv rezipiert wurden. Anders als in Russland, wo der literarische Konstruktivismus im Hinblick auf die Relevanz der Literatur- und Kunsttheorie eine Art Fortsetzung des Formalismus dar­stellte, kam es in der Ukraine zu keiner ähnlich tiefgreifenden Ausformulierung theoretischer Konzepte von Kunst und Literatur. Ein wichtiges Merkmal, das Avanhard sowohl mit dem ukrainischen Panfuturis­ mus als auch mit dem russischen literarischen Konstruktivismus verband, war das Interesse an Lyrik und Poesie, denen auch weiterhin ein großer Stellenwert bei­ gemessen wurde. Während sich die LEF, wie erwähnt, von lyrischen Texten zu Gunsten von funktionalen Genres und Gebrauchstexten distanzierte,247 stellten lyri­ sche Texte bei den anderen genannten Gruppierungen eine zentrale Gattung dar. Die Mitglieder von Avanhard distanzierten sich gar von einer strikten Aufteilung der Literatur in die beiden Gattungen Lyrik und Prosa: „Wir wollen die Literatur nicht willkürlich in Prosa und Poesie teilen, denn beide sind ja Wortkunst“248, lautete es im „Aufruf der Avangarde“. Der russische literarische Konstruktivismus setzte sich auf literaturtheoretischer Ebene intensiv mit den Möglichkeiten von Lyrik auseinander, was sich ansatzweise auch bei Avanhard wiederfand. Die primär von Poliščuk ver­ fassten literaturtheoretischen Arbeiten, zu denen bspw. „Rozkvit ukrajins’koji lite­ ratury“249 [Die Blüte der ukrainischen Literatur] und „Pul’s epochy“ zu zählen sind, gingen gewiss nicht derart ins Detail wie jene von Sel’vinskij und analysierten überdies primär die literatur- resp. kulturhistorische Ebene. Schaffung des Neuen = Rekreation des Ukrainischen (Alten) Im Gegensatz zu vielen anderen Avantgarde-Vereinigungen, die sich in ihren Program­ men ausdrücklich von früheren Erscheinungen in der Kunst distanzierten, fand bei Avanhard also keine derart starke Abgrenzung statt. Laut „Aufruf der Avangarde“ sollte sich bspw. die jeweils aktuelle Kunst zwar von der früheren unterscheiden, deren Rele­vanz wird jedoch nicht grundsätzlich negiert: Wir leben jetzt in einer Zeit, die ihrer Organisation nach von allen anderen Zeiten sich scharf unterscheidet, darum muss auch unsere Kunst absolut verschieden von früherer Kunst sein, auch wenn das Frühere genial war [Deutsch i. Orig., VF].250

Wie erwähnt hat für Poliščuk jede neue Etappe, also jede neue Strömung der Kunst, die Aufgabe, die „Vorgängeretappe abzustoßen“: Neben den Analogien gibt es immer auch das angepasste Abstoßen, und vielleicht hat sich die Literatur einer Spiraletappe nie so stark von der Vorgängeretappe ab­gestoßen, wie sich heute die proletarische, konstruktive, realistische Richtung von der Romantik 246 247 248 249 250

Zum Verhältnis zum Futurismus sowie zur Relevanz des Dynamismus bei Malevič und UNOVIS vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 17. Vgl. z. B. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. xi. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60. Poliščuk 1929: „Rozkvit ukrajins’koji literatury“. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 62.

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oder von der näher liegenden Spiralenetappe, dem Futurismus, ab­stößt und dabei zwar einige äußerlich ähnliche, aber prinzipiell andere Momente enthält. Jede kommende Generation wird mit ihren Etappen ihre Vorgänger zurück­­weisen, negieren, vernichten und mit wieder früheren Künstlergenerationen Gemein­samkeiten finden, die wiede­ rum ihre Söhne verworfen und jedes Mal eine neue erweiterte unverwechselbare Basis gesucht haben.251

Die Abgrenzung von weiteren Strömungen scheint bei Avanhard im Vergleich mit der Radikalität anderer resp. früherer Avantgarden deutlich abgeschwächt, da die aktuellen Strömungen und ihre Distanzierung von der Vergangenheit als logische Fortsetzung einer der Kunst immanenten Tradition beschrieben sind. Avanhard rückte vom bipola­ren Ansatz der unüberwindbaren Grenzen ab und definierte Kunst als Erscheinung, die sowohl über eine Ver­gangen­heit und Gegenwart als auch über eine Zukunft verfüge und somit durch eine Vielzahl von Übergängen geprägt sei. Ein derartiges Konzept, das davon ausgeht, dass die neue Kunst auf der alten ba­siert, gab es weder im italienischen noch im russischen Futurismus. Umgekehrt erklär­ ten diese beiden Strömungen das Ver­gangene unwiederbringlich für tot resp.  – wie die russischen Futuristen – warfen es vom Dampfer der Gegenwart.252 Hansen-Löve definiert den Futurismus als eine Strö­mung, in der „das Futurum […] als imma­nente Kategorie in die Gegenwart [tritt], als eine jeweils noch nicht sichtbare Gegen­ wärtigkeit, die es zu realisieren gilt“.253 Für Avanhard stand Kunst jedoch immer vor der Aufgabe, sich von ihren Vorgängern zu distanzieren. Sie sei somit nicht erst im Kontext der Avantgarden aktuell geworden, sondern bereits im Rahmen früherer Strömungen virulent geworden. Das bereits erwähnte Motto, ein Revolutionär in der Politik habe nicht das Recht, ein Reaktionär in der Kunst zu sein,254 spiegelt die sich wiederholende Abgrenzung von der Vergangenheit ebenfalls wider. Mit der Annahme, dass eine Abgrenzung bereits vor den Avantgarden erfolgt sei und gewissermaßen einen automatisierten Pro­zess darstelle, eröffnet sich eine gänzlich neue Perspektive auf den revolutionären Charakter der historischen Avantgarde, die sich somit zum Teil doch eingestanden hat, nicht die erste revolutionäre Strömung zu sein. Die Distanzierung von der Vergangenheit erfolgte bei Avanhard zudem durch die Bildung von Neologismen, die sich im Gegensatz zum bestehenden Wortschatz durch ihre Lebendigkeit und Dynamik auszeichnen sollten: Die Dynamik der Rhytmen [sic], das verschiedenartige und freie Suchen der Pro­ portionen sind angebracht, und fort mit den ausgedörrten Ukrainisatoren, Aka­ demikern und Rechtschreibungen, die das lebendige Wort erfrieren lassen wollen. Doch allen Schöpfern des ukrainischen Wortschatzes, die lebendige Worte schaffen, nicht Mumien, reichen wir die Hand [Deutsch i. Orig., VF].255

Dieser Ansatz rückt die laut Selbstbeschreibung konstruktivistisch ausgerichtete Avanhard in die Nähe der futuristischen Praxis des Experimentierens mit Wortneu­ 251 252 253 254 255

Poliščuk 2012: „Spiralismus“, S. 263. Vgl. Burljuk et al. 1912: „Poščečina obščestvennomu vkusu“, S. 3. Hansen-Löve 2014: „Das Ende vom Anfang. Späte Avantgarden“, S. 226. Vgl. [Red. AVH] 1929: o. T., S. 25. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60.

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bildungen. Der Begriff des „Wortschöpfers“ ist im Kontext der russischen Avantgarde wohl vorrangig mit Chlebnikov und Kručenych verbunden, die mit der Kreation der metalogischen Zaum’-Sprache den Dichter zum Wortschöpfer erhoben.256 Chlebnikov lebte längere Zeit in Charkiw, wo er mit Jermilov zusammenarbeitete, sodass ein ent­sprechender Impuls denkbar ist. Bei Avanhard wurde die Wortschöpfung, die ursprünglich mit der metalogischen Dichtung und somit der Expressivität von Literatur verknüpft war,257 um den Aspekt der „Ukrainisierung“ ergänzt. Durch die Erschaffung neuer Wörter würden Worte nicht wie im Kontext der Zaum’-Dichtung „jenseits des Verstandes“ (so ist die Übersetzung für „Zaum’“), sondern jenseits der alten Sprache entstehen, deren Normierung noch im Rahmen der nunmehr überholten imperialen Ordnung entstanden sei. Dass Avanhard explizit die Erschaffung lebendiger Worte forderte, stellt wohl einen Seitenhieb auf jenen übertriebenen Rückgriff auf Traditionen dar, der im Rahmen der „Ukrainisierung“ zwecks Etablierung einer eigenständigen Kultur – Avanhard zufolge – vielleicht etwas zu häufig zum Einsatz kam. Die polemische Abgrenzung von den „ausgedörrten Ukrainisatoren“258 ist ein Beispiel dafür. Zugleich definierte Avanhard das „unpoetische“ Material als das Material der zeitgenössischen Poesie,259 was den experimentellen Anspruch belegt und zumindest auf den ersten Blick eher an die Antiästhetik des Zaum’-Futurismus und des Dadaismus als an die Prinzipien des Konstruktivismus (Konstruktion, Funktion, Form) denken lässt. Die Unschärfe der Begrifflichkeiten wird somit erneut deutlich. Die neuen Wörter sollten jedoch nicht transrational die Sinne ansprechen, wie dies von den russischen prärevolutionären Futuristen rund um Kručenych gefordert wurde, sondern den An­forderungen des zeitgenössischen (postrevolutionären) All­ tags entsprechen: Daher sagen wir: Poesie und Prosa unserer dynamischen und konzentrierten Zeit müssen den Schwerpunkt des Wortkünstlerischen anders verlegen, und alle Begrenzt­ heit des traditionellen poetischen Materials und der Thematik beiseite werfen [Deutsch i. Orig., VF].260

Poliščuks Konzept des Konstruktiven Dynamismus weist jedoch in mehrfacher Hin­ sicht auch Ähnlichkeiten mit dem 1922 von Kemeny und Moholy-Nagy verfassten Prinzip des Dynamisch-konstruktiven Kraftsystems auf, das eine Ablösung des stati­ schen Prinzips der klassischen Kunst durch die Dynamik des universellen Lebens pro­ pagierte.261 Moholy-Nagy bezieht die „centrifugalen“ Kräfte, die bei Poliščuk durch die Spirale potenziert werden, ebenfalls auf die Konstruktion: 256

257

258 259 260

261

Kručenychs „Dyr bul ščyl“ gilt als erstes in der metalogischen Sprache verfasstes Ge­ dicht: Kručenych, Aleksej: „Dyr bul ščyl“, in: Ders.: Pomada, Moskva: [ohne Verlags­ angabe] 1913, unpag. Ähnliche Konzepte finden sich auch in Expressionismus und Dadaismus, wobei allen der Wunsch gemeinsam war, der Sprache mehr Ausdruck zu verleihen und somit das Unterbewusste zum Vorschein zu bringen. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60. Vgl. ibd. Ibd. — Zwei Beispiele für die Umsetzung dieser Grundsätze in die literarische Praxis werden im Kapitel „Konstruktiver Dynamismus (Spiralismus) und literarischer Kon­ struktivismus“ aufgezeigt. Vgl. Kemeny/Moholy-Nagy 1922: „Dynamisch-konstruktives Kraftsystem“, S. 186.

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Die dynamische Einzel-Konstruktion weitergeführt ergibt das DYNAMISCH-KON­ STRUKTIVE KRAFTSYSTEM, wobei der in der Betrachtung bisheriger Kunst­werke rezeptive Mensch in allen seinen Potenzen mehr als je gesteigert, selbst zum aktiven Faktor der sich entfaltenden Kräfte wird [Hervorh. i. Orig., VF].262

Der Konstruktive Dynamismus geht im Hinblick auf die Dynamisierung ebenfalls über das konkrete Material hinaus, indem er die zentrifugale Bewegung nicht im Fortschritt des Lebens, sondern in der Entwicklung künstlerischer Formen verortet. Moholy-Nagy verfügte in der Sowjetunion über einen relativ hohen Bekanntheitsgrad,263 sodass eine Bezugnahme auf dessen Konzept sehr wahrscheinlich ist. Der zentrale Stellenwert des Materials in der ukrainischen Avantgarde verweist jedoch auch auf universelle Grund­ sätze des gesamteuropäischen Konstruktivismus, der für eine Ästhetik des Materials eintrat. Wiewohl mit dem Begriff „Ästhetik“ vorsichtig umgegangen werden muss, galt es doch bei einigen der Konstruktivisten als ausgemacht, dass die Ästhetik ebenso wie die Kunst zu zerstören sei.264 Avanhard postulierte das Bekenntnis zum Material nicht immer nur ernsthaft, sondern ließ durchaus auch Selbstironie erkennen. Meters Essay „Zamečatel’nye zametki ne­zametnogo“, in dem auch die Nicht-Wahrnehmung der ukrainischen Kultur kritisch thematisiert wird, schließt mit der wenig optimistischen Erkenntnis: „Конструкция властвует над материалом, а материал давит меня“265 [Die Konstruktion beherrscht das Material, und das Material erdrückt mich]. Dieser Verweis auf grundlegende konstruktivistische Positionen lässt sich als intertextuelle Anspielung auf den vor­ herrschenden Material-Kult verstehen, der von konstruktivistischen, utilitaristischen und letztlich auch proletarischen Gruppierungen praktiziert wurde. Innerhalb der Materialkultur, als deren wichtigster Vertreter Tatlin gilt, wird die künstlerische Ver­ wendung des Materials zu einem dominanten und bestimmenden Element der Kunst, das der Form einen zentralen Stellenwert gibt.266 Krieger verweist auf die vorsichtige Distanz Tatlins gegenüber den utilitaristisch ausgerichteten Konstruktivisten.267 Auch Malevič äußerte sich zu den „Materialisten“ ablehnend und negativ, indem er ihnen einen „Pseudo-Idealismus“ vorwarf.268 In der russischen konstruktivistischen Literatur stellte das Material wiederum von Beginn an ein wichtiges Element dar, etwa in der Proklamation „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“, in der bspw. Lebenserfahrung als „Anstoß für die Materialisierung diene, die ihrerseits sowohl den Bedingungen des Materials als auch dem Willen dessen, der dem Werk Form verleiht, 262 263 264

265 266

267 268

Kemeny/Moholy-Nagy 1922: „Dynamisch-konstruktives Kraftsystem“, S. 186. Vor allem die Nova Generacija propagierte das Werk von Moholy-Nagy. Die Konstruktivisten Konstantin Meduneckij, Vladimir Stenberg und Grigorij Stenberg bezeichneten Ästheten und Künstler als „die großen Verderber der menschlichen Natur“: Medunezki, K. [Meduneckij, Konstantin]/Stenberg, W. [Vladimir]/Stenberg, Georgij: „Die Konstruktivisten rufen die Welt“, in: Asholt/Fähnders (Hrsg.) 2005: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938), S. 228. Vgl. Meter 1928: „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“, S. 13. Krieger verweist hier auf Markov, der die grundlegenden Theorien zur Faktura verfasste, als Tatlins Vorläufer; vgl.  Krieger, Verena: Von der Ikone zur Utopie. Kunstkonzepte der russischen Avantgarde. Köln et al.: Böhlau 1998, S. 221. Vgl. ibd. S. 224. Vgl. Hansen-Löve 2004: „Die Kunst ist nicht gestürzt. Das suprematistische Jahrzehnt“, S. 423.

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unterliegt“269. Im Laufe der 1920er-Jahre erfolgte jedoch eine deutliche Umwertung des Materials, die auch mit der Formalismus-Debatte einherging. Die ästhetische Kon­­struktion verliert an Bedeutung, während die Inhaltsebene an Bedeutung ge­ winnt. Die späte Avantgarde agierte somit abseits der von Gaßner als grundlegende konzeptionelle Leistung bezeichneten Trennung von Material und Konstruktion.270 Architektur Architektur spielte, wie bereits mehrfach erwähnt, im Konstruktivismus mit seiner Ausrichtung auf Fläche und Raum eine zentrale Rolle. „Ultimately the Constructivists will have a field of activity wide enough to include city planning and construction“271, beschreibt Lozowick die thematische Breite der Strömung, die sich bis in die Stadt­ planung erstreckte. Bei Avanhard fand Architektur eine derart starke Resonanz, dass sie in der Einleitung der Grundsatzerklärung „Aufruf der Avangarde“ neben Literatur und Musik als eine der drei wichtigsten Kunstformen innerhalb der eigenen Ausrichtung definiert wurde: „Eine andere Kunst, die eine ebenso grosse Rolle in unserem Zeitalter […] spielt, ist die Architektur.“272 Die Betonung liegt auf der Funktionalität, die Proklamation bringt jedoch in komprimierter Form auch eine Reihe weiterer zentraler Forderungen des Konstruktivismus mit ein: Die Architektur unserer Zeit muss schärfste logische Zweckmässigkeit entwickeln, muss Eisenbeton und Glas als Material verwenden und die Idee der Beherrschung des Raumes ausdrücken, ohne auf spiessbürgerliche Art die Augen mit allerlei Kleinkram zu betrügen.273

Während die Zweckmäßigkeit einen zentralen Grundsatz des Konstruktivismus dar­ stellte, wurden dekorative Elemente ohne praktischen Nutzen dagegen abgelehnt. Le Corbusier betonte die Relevanz dessen, dass die neuen Baustoffe sich nunmehr „den Kunstgriffen der Dekorateure“ entziehen würden, und verleiht den Dekorateuren damit eine negative Konnotation.274 Avanhard verwendete für die funktionslose Dekoration einen ähnlich kritischen Ton, indem sie als „spießbürgerliche Art, die Augen zu betrü­ gen“, bezeichnet wird. Zugleich wird damit ein weiteres Mal die negativ konnotierte Bourgeoisie dem positiv konnotierten Proletariat gegenübergestellt. Während der von Le Corbusier genannte „Kunstgriff “ zwar ebenfalls als Akt der Täuschung gesehen werden kann, enthält der von Avanhard vorgebrachte „Betrug“ bereits eine eindeutig gesetzeswidrige Komponente (die sich jedoch mit der Neigung der Gruppe zur Satire erklären lässt). Als zweckmäßig werden allerdings nicht nur rein technische und somit anorganische Elemente definiert, denn auch das Palmblatt und die Frauenbrust seien etwas Zweckmäßiges: 269 270 271 272 273 274

Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 124. Zu diesem Argument Gaßners vgl. Krieger 1998: Von der Ikone zur Utopie, S. 229. Lozowick 1925: Modern Russian Art, S. 29. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Ibd. Le Corbusier [Jeanneret-Gris, Charles-Édouard]: Kommende Baukunst. Übersetzt und herausgegeben von Hans Hildebrandt. Stuttgart et al.: Deutsche Verlagsanstalt 1926, S. 249.

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Am schönsten ist das Zweckmässige, z. B. die [sic] Dynamo, ein Palmblatt, ein Ele­vator, eine Frauenbrust. Echtes Material ist in der Architektur schöner als seine Imitation [Deutsch i. Orig., VF].275

Architektur geht bei Avanhard jedoch auch über den reinen Konstruktionsbegriff hinaus: Konstrukteure und Architekten seien nämlich nicht nur zur Konstruktion von Gebäuden nötig, sondern auch für den Wiederaufbau der ukrainischen Kultur, der in der Verantwortung aller Kunstschaffender liege: An alle Baumeister ukrainischer Kunst, an alle Leiter und Teilnehmer der revolutio­ nären industriellen und sozialen Bewegungen. […] An Euch wenden wir uns in einer Angelegenheit, die eine der wichtigsten Seiten unseres Lebens und Wiederaufbaus betrifft, in der Angelegenheit unserer Kultur [Deutsch i. Orig., VF].276

Damit wird also anstatt der sozialen Gerechtigkeit erneut das nationale Anliegen an die erste Stelle gerückt. Mit dem Aufruf „An alle Baumeister“ werden Künstler der verschiedensten Gattungen adressiert. Der gesamte künstlerische Prozess, der unmittelbar mit dem Wiederaufbau verbunden ist, wird mit einem Bauprojekt gleich­ gesetzt, für dessen Planung und Umsetzung die Künstler disziplinenübergreifend ver­­ antwortlich zeichnen. Kunst wird dadurch zu einer technischen Instanz, sodass das gesamtheitliche Projekt nicht einem ästhetischen Wertekanon, sondern  – und hier zeigt sich wiederum ein utilitaristischer Ansatz  – einem praktischen Nutzen zu ge­ nügen hat. Piet Mondrian, ein wichtiger Vertreter des niederländischen Konstruktivismus und Mit­begründer der Vereinigung De Stijl, konstatierte für die damalige Kunst eine generelle Überbewertung der Architektur und warf die Frage auf, ob die Malerei der Architektur gegenüber als minderwertig gelten müsse. Zugleich kritisierte er die kon­struktivis­tische Geringschätzung von gestalterischem Gefühl: „Im Gegensatz zur Archi­tektur, die man als ,praktischen‘, ,sozialen‘ Wert betrachtet, sieht man in der Malerei nur ,Ver­annehmlichung des Lebens‘“.277 Dass Architektur die Grund­ lage für alle anderen Kunst­formen bildet, repräsentierte auch einen der Leitsätze am deutschen Bauhaus. Gropius beschrieb diesen im Vorwort zum ersten in der Reihe der Bau­hausbücher erschienenen Band, der dem Thema „Internationale Architektur“ ge­ widmet war, wie folgt: Die Erkenntnis wächst, daß ein lebendiger Gestaltungswille, in der Gesamtheit der Gesellschaft und ihres Lebens wurzelnd, alle Gebiete menschlicher Gestaltung zu ein­ heitlichem Ziel umschließt – im Bau beginnt und endet.278 275 276 277

278

Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Ibd. S. 60. — Dieses Zitat wurde bereits für die Analyse von „Proklamacija avanhardu“ verwendet. Mondrian, Piet: „Muß Malerei der Architektur gegenüber als minder­wertig gelten?“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europä­ ischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 308. Gropius, Walter: „Vorwort“, in: Gropius, Walter (Hrsg.): Internationale Architektur. Zweite veränderte Auflage. (= Bauhausbücher Band 1), München: Albert Langen 1927, S. 5–8, hier S. 8. — Die Erstausgabe erschien 1925 und wurde in der zweiten Ausgabe durch einige neuere Abbildungen ergänzt.

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Umgekehrt stellte Intermedialität innerhalb der sowjetischen Architektur eine wichtige Basis der Architektur selbst dar, die sich wiederum erst durch die Kombination ver­ schiedener Künste konstituierte, wie Lissitzky in seinem 1930 in Wien edierten Buch zur Architektur in der Sowjetunion konstatiert: „Die Wechselbeziehung zwischen den neu entstandenen Künsten ist für die Grundelemente des modernen Bauens ein wichtiger Faktor.“279 Bei Avanhard wurde dieser Grundsatz mit der Kombination von Literatur, Musik und Architektur ebenfalls umgesetzt, sodass die Gruppe dadurch sowohl in die Nähe des westeuropäischen als auch des russischen Konstruktivismus rückte, wo der Architektur eindeutig ein zentraler Stellenwert beigemessen wurde.

279

Lissitzky, El: Rußland. Die Rekonstruktion der Architektur in der Sowjetunion. (=  Neues Bauen in der Welt, Band 1), Wien: Verlag von Anton Schroll & Co 1930, S. 10.

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Internationale Kooperation – Partizipation – Vernetzung

Mit ihrem Wunsch nach länderübergreifender Vernetzung reihten sich die ukraini­ schen Formationen in eine gesamteuropäische Tradition ein, denn die  – oft jedoch nur sym­bolische  – Einbeziehung internationaler Akteure lässt sich als wichtiges Spezifikum vieler avantgardistischer Kunstzeitschriften konstatieren. Eine gezielte und auch pro­grammatisch festgelegte Einbindung erfolgte nicht nur in „Vešč’“, sondern bildete analog dazu auch in zahlreichen weiteren Medien ein wichtiges Element. Die von der tschechischen Vereinigung Devětsil herausgegebene „fronta“ sei gar, so die „Internatio­nale Revue i 10“, „eine reichhaltige anthologie […] mit nicht weniger als 157 mitarbeitern und über 200 abbil­dungen, aus kunst, technik, literatur, soziologie, wissenschaft und modernem leben“ [Kleinschr. i. Orig., VF]280. Zu den Beiträgern zählten z. B. Malevič, Tatlin, Mejerchol’d sowie die westeuropäischen Künstler Grosz, Klee, Moholy-Nagy, Ozenfant, Schlemmer, Kurt Schwitters, Karel Teige und Walden, von denen einige auch als Teil der ukrainischen Avantgarde aufschienen. Laut Impressum waren an der „Nova Generacija“ sowohl ein Großteil der Elite der russischen Avantgarde als auch mehrere Protagonisten westeuropäischer Strömungen beteiligt. Ähnliches lässt sich für Avanhard konstatieren. Ihre Mitglieder standen zwar ebenfalls mit internationalen Gruppierungen in Kontakt, die Zusammenarbeit ging jedoch meist über eine symbolische Absichtsbekundung nicht hinaus. Im Folgenden wird das (großteils fingierte) Netzwerk der ukrainischen AvantgardeGruppierungen aufgezeigt und die Vernetzung im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die künstlerische Produktion analysiert. Es wird der Frage nachgegangen, welche künstlerischen Ver­bindungen existierten, in welche Richtungen diese verliefen und auf wessen Initiative sie zustande kamen, um dadurch die Positionierung der ukra­ inischen im Netzwerk der europäischen Avantgarde zu konkretisieren. 3.1 Das internationale Netzwerk der Nova Generacija Die Internationalität der ukrainischen Avantgarde sollte nicht nur in den Absichtser­ klärungen propagiert werden, weshalb der teils offensive Versuch unternommen wurde, sich mit Künstlern und Autoren aus Russland und Westeuropa zu vernetzen und mit diesen zu kooperieren. Ilnytzkyj verweist auf einen Brief, in dem die Mitglieder der Nova Generacija bereits 1927 eine dezidierte Einladung an russische Künstler aus­ sprachen, an ihrem Projekt teilzunehmen.281 Dieses verfügte eigenen Angaben zufolge über Redaktionen in zahlreichen in- und ausländischen Städten, zu denen Odessa und Kiew ebenso zählten wie Moskau, Leningrad, Paris und Berlin. Škurupij betonte, dass es sogar in New York eine Filiale gegeben habe.282 Ab 1928 wurde damit begonnen, die einzelnen Filialen auf den Umschlagrückseiten der Zeitschrift anzuführen, wobei auch eine detaillierte Liste jener Personen geboten wurde, die aktiv als Mitglieder partizi­ pierten. Neben den bereits genannten LEF-Mitgliedern waren überdies Nikolaj Čužak, Geo Koljada [Hryhorij Koljada], Malevič, Michail Matjušin, Meter, Burevij und Tatlin als Teilnehmer aus Russland angeführt. Einige davon, etwa Burevij und Koljada, waren 280 281 282

[Red. i 10] 1979: „fronta. herausgegeben von fr. halas, vl. prusa, zd. rossmann, b. václa­ vek“, S. 257. Der Brief erschien 1927 in der „Novyj LEF“ und war von Semenko und Sotnyk unter­ zeichnet; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135. Vgl. Škurupij 1928: „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“, S. 328.

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ursprünglich aus der Ukraine und lebten vorübergehend in Moskau oder Leningrad, sodass sie von dort aus partizipierten. Andere, wie Terent’ev, waren zu dieser Zeit bereits nach Charkiw zurückgekehrt, wurden aber dennoch weiterhin als Teil der russischen Redaktion präsentiert. Als westeuropäische Kooperationspartner schienen László Moholy-Nagy (Bauhaus), Walden („Der Sturm“), der italienisch-französische Futurist Prampolini, die deutschen Autoren Johannes R. Becher und Rudolf Leonhard sowie der Vertreter des tschechischen Poetismus Teige auf.283 Auch Ilnytzkyj be­tont allerdings, dass diese Auflistungen lediglich symbolischer Natur gewesen seien, da wie zuvor geschrieben nur wenige der Kooperationen auch tatsächlich existierten.284 Die Angaben auf den Umschlagrückseiten waren Transformationen unter­worfen. Während laufend neue Namen hinzukamen, wurden bestehende Namen wohl nur im Fall von heftigen Konflikten eliminiert, wie dies bei Meller ge­schehen sein dürfte, der ab 1928 nicht mehr aufscheint. Bereits verstorbene Mitglieder blieben weiterhin angeführt, wie dies bei Majakovskij und Pal’mov stattfand, deren Namen nach ihrem Ableben mit einer relativ dicken schwarzen Kontur umrahmt wurden. Während sich aus den Aufzeichnungen von Moholy-Nagy, der übrigens nie selbst in die Sowjetunion reiste,285 keine Kontakte in die Ukraine rekonstruieren lassen, ist ein Zusammentreffen von Walden mit Mitgliedern der Nova Generacija belegt. 1929 bereiste er Kiew und Charkiw, wo er auch mit der Redaktion der „Nova Generacija“ zusammentraf.286 Im Anschluss an seinen Besuch habe Walden den Vertrieb der Zeit­schrift in Europa organisiert, überdies seien Pläne für eine weitere Kooperation ge­schmiedet worden, wie Dmitrieva konstatiert.287 Offenbar kam es zu einem Versprechen, eine gesamte Ausgabe von „Der Sturm“ den Aktivitäten der linken Kunst in der Ukraine zu widmen, wobei Texte von Semenko, Škurupij und Vlyz’ko in deutscher Übersetzung publiziert werden sollten.288 Warum diese Pläne nicht umgesetzt wurden, ist nicht bekannt. Waldens Sonderausgabe zur Sowjetunion erschien jedenfalls erst später. Sie enthielt zwar einen Beitrag über Charkiw, der auf die kulturellen Aktivitäten in der Stadt einging, dabei aber weder Semenkos Gruppierung noch andere künstlerische Phänomene der ukrainischen Avantgarde erwähnte.289 Eine wechselseitige Bezugnahme, die als Beleg für das Interesse an „Dialogizität“290 gesehen werden kann, erfolgte jedoch bereits vor dem persönlichen Zusammentreffen 283

284 285

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Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 119. — Zum Beitrag von Teige: Taihe, Karol’ [Teige, Karel]: „Do teoriji konstruktyvizmu“. Z čes’koji M. Kryvynjuk, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 51–56. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135. Dass Moholy-Nagy in sowjetischen Künstlerkreisen dennoch sehr bekannt war, ist vor allem auf Lissitzky zurückzuführen; vgl. Gerčuk, Jurij: „Laslo Mochoj-Nad’ v russkom kontekste“, in: Miturič, Sergej (Hrsg.): Laslo Mochoj-Nad’ i russkij avvangard. Moskva: Tri kvadrata 2006, S. 33–50, hier S. 33. Vgl. Hladkyj 1987: „Zv”jazky ukrajins’koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30-ch rokiv“, S. 157. Zu diesen Aktivitäten Waldens vgl.  Dmitrieva, Marina: „Russische Künstler und der Sturm“, in: Hülsen-Esch, A./Finckh, G. (Hrsg.): Der Sturm: Band II: Aufsätze. Wuppertal: Von der Heydt-Museum Wuppertal, S. 441–454, hier S. 452 f. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 117. Walden 1930: „Charkow“. Für Lotman stellt das Bedürfnis, eine semiotische Asymmetrie auszugleichen, eine Grundvoraussetzung für das Zustandekommen eines Dialogs dar; vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 191.

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in Charkiw. 1928 erschien in Waldens Periodikum eine knapp halbseitige Werbeein­ schaltung der „Nova Generacija“,291 während umgekehrt in der Oktober-Ausgabe der „Nova Generacija“ auf einer Drittelseite eine Werbung für „Der Sturm“ platziert wurde.292 Bestellungen der Zeitschrift in Deutschland seien, wie es in dem Inserat heißt, „an den Sturm/Berlin W9 Potsdamer Str. 134a zu richten“,293 der Bezugspreis für ein Jahresabonnement wurde interessanterweise mit „4 Dollar 55 cts.“ und somit in der amerikanischen Währung angeführt: Charkow / Ukraina Monatsschrift der linken Formation der Künste unter Leitung von M. Semenko. Nowa Generazia Die neue Generation Zweiter Jahrgang Die Zeitschrift behandelt theoretische Fragen und demonstriert die Praxis der linken Künste (Literatur / Kino / Malerei / Architektur / Theater u. a.) in konstruktiver und destruktiver Bedeutung. Sie veroffentlicht Gedichte / Erzahlungen / Novellen / Artikel: formell untersuchende, theoretische, polemische Chronik / Pamphlete / Reportage / Feuilleton / Referate / Bulletins der neuen Kunst / Reproduktionen / Lichtbilder und vieles andere [sämtliche Falschschreibungen i. Orig.].294

Wie diese Kooperation zustande kam, ist nicht geklärt. Es ist anzunehmen, dass die Nennung im Tausch erfolgte. Dass Semenko die wechselseitige Platzierung mög­ licherweise 1928 im Zuge seiner Deutschlandreise angestoßen haben könnte, ist auszuschließen, da diese erst im November und somit zwei resp. drei Monate nach Er­scheinen der Inserate erfolgte.295 Oft waren es in der Emigration lebende Kunstschaffende, die den Kontakt zwischen ukrainischen und westeuropäischen Künstlern herstellten. Viele der Kontakte waren somit ein direktes Resultat der Mobilität, wobei sich neben jenen, die vom Ort ihrer Emigration aus für einen Kulturtransfer sorgten (z. B. der Regisseur Deslaw), auch solche Akteure nennen lassen, die in Westeuropa studiert bzw. gelebt haben und ihre Eindrücke nach ihrer Rückkehr in die sowjetische Ukraine transferierten (z. B. der Regisseur Kurbas). Ähnliches lässt sich für zahlreiche Künstler konstatieren, die aus Russland in die Ukraine zurückkehrten, wie dies bei Malevič der Fall war. Bei einigen der in der Ukraine publizierten Arbeiten internationaler Akteure handelte es sich nicht lediglich um Zweitverwertungen, sondern um eigens verfasste Texte. Ilnytzkyj merkt allerdings an, dass von den westeuropäischen Beiträgen lediglich Waldens „Mystectvo v Evropi“296 [Die Kunst in Europa] explizit für die „Nova Generacija“ verfasst worden sei.297 Von Seiten russischer Akteure dürften mehrere 291 292 293 294 295 296 297

[O. V.]: „Werbeeinschaltung der Nowa Generazia“, S. 3. [O. V.]: „Der Sturm“ (Inserat), in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 277. [O. V.]: „Werbeeinschaltung der Nowa Generazia“, S. 3. Ibd. Zur Deutschlandreise Semenkos vgl. Hladkyj 1987: „Zv”jazky ukrajins‘koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30-ch rokiv“, S. 154. Val’den, H. [Walden, Herwarth]. „Mystectvo v Evropi“, in: Nova Generacija, Nr. 9 (1928), S. 170–173. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 117.

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Beiträge eigens angefertigt worden sein, so etwa jener des russischen Komponisten Matjušin, der 1928 unter dem Titel „Sproba novoho vidčuttja prostorony“ [Versuch einer neuen Raumwahrnehmung] erschien und ein in Esperanto verfasstes Abstract enthielt.298 Die Redaktion der „Nova Generacija“ empfahl übrigens, als Ergänzung zu Matjušin unbedingt Waldens Artikel „Mystectvo v Evropi“ zu lesen, da dieser einen guten Überblick über künstlerische Erscheinungen in Westeuropa bieten würde.299 Auch die Texte von Terent’ev, der für eine Weile aus Sowjetrussland nach Charkiw zurückkehrte, wurden eigens für die ukrainische Zeitschrift angefertigt. Andere Beiträge stellten dagegen Übernahmen aus russischen Zeitschriften dar, die ins Ukrainische übersetzt wurden, wobei die Angabe des Übersetzers meistens ausblieb. Ein Beispiel dafür stellt Gans Essay „Spravka pro Kazimira Malevyča“ [Auskunft über Kazimir Malevič] dar, das im Original 1927 in der Architektenzeitschrift „Sovre­ mennaja architektura“ abgedruckt wurde.300 Während die Originalquelle ansatzweise offengelegt wurde, indem zumindest das Medium der Erstpublikation an­geführt wurde, war dies bei anderen Übernahmen da­gegen nur ausnahmsweise der Fall. Der in der „Novyj LEF“ erschienene Beitrag „Nam pišut“301 [Man schreibt uns], der zugleich die vielschichtig geführte Polemik exemplifiziert,302 enthielt zwar primär eine Kritik an der ukrainischen Vereinigung, offerierte jedoch zum Abschluss – unter gewissen Vorbehalten – auch ein Angebot zur Kooperation: Между редакциями „Нового лефа“ и „Новой генерации“ существует дружеский контакт и обмен материалами. Намечено производственное совещание работни­ ков этих журналов.303 [Zwischen den Redaktionen der „Novyj LEF“ und der „Nova Generacija“ besteht ein freundschaftlicher Kontakt und der Austausch von Materialien. Geplant ist ein Arbeitstreffen der Mitarbeiter der Zeitschriften.]

Von Seiten der LEF ließ sich also durchaus eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit erken­nen, die schließlich in der  – jedoch nicht verwirklichten  – Absichtserklärung re­sultierte, dass die Aktivitäten der LEF nach deren Auflösung in der Ukraine weiter­ geführt werden sollten.304 3.1.1 Konstruierte Partizipation: Enrico Prampolini Die Korrespondenzen mit westeuropäischen Kunstschaffenden fungierten als Belege für die internationale Vernetzung und wurden zwecks Aufwertung der eigenen künst­ 298 299 300

301 302 303 304

Vgl. Matjušin, Michajl’ [Matjušin, Michail]: „Sproba novoho vidčuttja prostorony“, in: Nova Generacija, Nr. 11, 1928, S. 311–322. [Red. NG]: „Zmist No. 11 ta zauvažennja redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 280–281, hier S. 280. Han, Oleksij [Gan, Aleksej]: „Spravka pro Kazimira Malevyča“, in: Nova Generacija, Nr.  2 (1928), S.  124–127.  —  Das Original erschien 1927: Gan, Aleksej: „Spravka o Kazimire Maleviča“, in: Sovremennaja architektura, Nr. 3 (1927), S. 104–106. [Red. NL]: „Nam pišut“, in: Novyj LEF, Nr. 9 (1928), S. 45–47. Der Beitrag erschien als Replik auf einen Leserbrief und löste in weiterer Folge wiederum eine Replik in der „Nova Generacija“ aus. [Red. NL] 1928: „Nam pišut“, S. 47. [Red. NL] 1928: „K svedeniju podpisčikov i čitatelej ,novogo lefa‘“, S. 45.

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lerischen Aktivitäten wohl ohne Ausnahme in den ukrainischen Periodika publiziert. Sie können somit als relativ vollständige Belege über die tatsächlichen Kontakte nach außen gesehen werden.305 Bei eingehender Analyse der oftmals behaupteten Ko­ operationen wird allerdings schnell ersichtlich, dass die Vernetzung meist nur von der ukrainischen Seite als solche wahrgenommen wurde, während in den Biografien der jeweiligen Künstler meist keine Belege über Kontakte in die Ukraine vorzufinden sind. Wie erwähnt, versuchten ukrainische Künstler sehr offensiv, internationale Akteure für ihr Projekt zu gewinnen. Mitunter konnte bereits eine einzige Zuschrift, eine kurze Danksagung oder die Bitte um ein Belegexemplar ausreichen, damit ein westeuropäischer Künstler fortan als Teil der ukrainischen Gruppierungen präsentiert wurde, wie sich am Beispiel des italienischen Futuristen Prampolini zeigen lässt. Vor allem in der frühen Phase des Futurismus vor dem Ersten Weltkrieg, also in jener Phase, die auch von Walden intensiv rezipiert wurde, galt Prampolini noch als eher unbedeutend, während Severini oder Umberto Bocconi weitaus bekannter waren. Im Hinblick auf die Wirkung des Futurismus im Ausland wurde seine Rolle jedoch in den 1920er-Jahren zunehmend wichtiger, wie Arturo Larcati betont.306 Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass er, ähnlich wie Lissitzky im Kontext des russischen Konstruktivismus, im italienischen Futurismus als Kunstvermittler zwischen den Kulturen agierte, der versuchte, die Kontakte zwischen Künstlern verschiedener Avant­garden zu forcieren.307 Prampolini war einer von wenigen westeuropäischen Künstlern, zu denen in der Ukraine ein direkter Kontakt existierte, weshalb ihm aus ukrainischer Perspektive eine besonders wichtige Rolle zukam. Ab 1928 schien er im Editorial als eine jener Personen auf, die an der „Nova Generacija“ partizipieren („У журналі беруть участь:“ [An der Zeitung nehmen teil:]). Den Beginn dieser doch eher fiktiven Zusammenarbeit markierte ein auf Französisch verfasster Brief Prampolinis, der in der zweiten Ausgabe des Jahres 1928 in der Rubrik „Lystuvannja druziv“ [Briefe von Freunden] abgedruckt wurde. Prampolini berichtete darin, dass er von Deslaw über die Veröffentlichung einiger seiner Arbeiten in der ukrainischen Zeitschrift informiert worden sei, weshalb er die Zusendung von Belegexemplaren erbitte. Das Anliegen bezog sich auf einen kurzen Bericht über Prampolinis Bühnenbildgestaltung, der im Jänner 1928 in der „Nova Generacija“ erschienen war.308 Sein knapp gehaltenes, in fehlerhaftem Französisch abgedrucktes Schreiben schließt Prampolini mit dem Hinweis, dass er sich über eine Zusammenarbeit mit der Zeitschrift freuen würde: J’ai appris du camarade Deslaw que vôtre journal est l’expression de la nouvelle activité spirituelle-artistique d’aujourd’huj [sic] en Ukraine.

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Eine ähnliche Praxis vermerkt Stephan für die „LEF“; vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 41. Larcati, Arturo: „Zur Rezeption des italienischen Futurismus in Wien während der 1920er und 1930er Jahre“, in: Kucher, Primus-Heinz (Hrsg.): Verdrängte Moderne – ver­ gessene Avantgarde. Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918–1938. Göttingen: V&R Unipress 2016, S. 95–115, hier S. 97. Larcati 2016: „Zur Rezeption des italienischen Futurismus in Wien während der 1920er und 1930er Jahre“, S. 101. [Red. NG]: „Z ostannich čysel zakordonnych žurnaliv. Referenciji i vytjahy. Teatr Henricha Prampolini“, in: Nova Generacija, Nr. 1 (1928), S. 67–69.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West J’envoye [sic] mes souhaits et mes salutations amicales, je serais heureux si vous pouviez m’envoyer les copies du vôtre journal qui a publie des rensegnements [sic] sur mes creations [sic] artistiques, comme j’aimerais bien collaborer dans [sic] vôtre journal. A bien vous lire [sic], Enrico Prampolini309 [Ich habe vom Kameraden Deslaw erfahren, dass Ihre Zeitschrift ein Ausdruck der neuen spirituell-künstlerischen Aktivitäten der heutigen Ukraine ist. Ich übersende meine Glückwünsche und freundschaftliche Grüße, ich würde mich freuen, wenn Sie mir Kopien Ihrer Zeitschriften schicken könnten, in denen Informa­ tionen über meine künstlerische Arbeit publiziert wurden, und würde gerne mit Ihrer Zeitschrift kooperieren. Bis zum Wiederlesen, Enrico Prampolini]

In der Übersetzung, die dem Original am unteren Ende der Seite beigefügt ist, fand eine Umformulierung des von Prampolini getätigten Bekenntnisses zur Kooperation statt, denn „j’aimerais bien collaborer dans vôtre journal“ [ich würde gerne mit Ihrer Zeitschrift kooperieren] wird deutlich übertrieben als „Був би дуже радий […] стати за співробітника у Вашому журналі“ [Ich wäre sehr glücklich, […] ein Mitarbeiter Ihrer Zeitschrift zu werden] wiedergegeben: Товариш Деслав сповістив мене, що Ваш журнал являє нову розмово-артистичну течію сучасного мистецтва України. Прийміть мої дружні вітання й побажання на все найкраще. Був би дуже радий одержати ті примірники Вашого журналу, де вміщено відомості про мої художні твори, а також стати за співробітника у Вашому журналі. Чекаю на Вашу відповідь, Енріко Прамполини310 [Genosse Deslav hat mir berichtet, dass Ihre Zeitschrift eine neue dialogisch-künst­ lerische Strömung der zeitgenössischen Kunst der Ukraine darstellt. Nehmen Sie meine freundschaftlichen Grüße und allerbesten Wünsche entgegen. Ich wäre sehr glücklich, jene Ausgaben Ihrer Zeitschrift zu erhalten, die Informationen über meine künstlerische Arbeit enthalten, und ein Mitarbeiter Ihrer Zeitschrift zu werden. In Erwartung Ihrer Antwort, Enriko Prampolyny]

Das Schreiben Prampolinis machte die Redaktion überdies auf einen Fehler auf­ merksam, der bei der erstmaligen Übernahme von Prampolinis Arbeiten erfolgt war und in der aktuellen Ausgabe im Inhaltsverzeichnis nochmals wiederholt wurde: In beiden Fällen wird der italienisch-französische Futurist fälschlicherweise als Henrich Prampolini ge­führt, was eine Synthese aus Deutsch (Heinrich) und Englisch (Henry) sein dürfte. Die Transformation von Namen im Zuge einer Übersetzung ins Russi­ sche oder Ukrainische ist eine gängige Praxis, durch die manchmal Namensformen entstehen, deren Ursprung nicht mehr leicht ableitbar ist.

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Prampolini, Enrico: „Rédaction ,Nova Génération‘“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. 158. Prampolyny, Enriko [Prampolini, Enrico]: „Do redakciji žurnalu ,Nova Generacija‘“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. 158.

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Abgesehen von jenem erwähnten Beitrag, für den Prampolini Belegexemplare erbat, kam es zu keiner weiteren Bezugnahme auf dessen Werk. Der Wunsch, mit Pram­ polini zu kooperieren, scheint auch deshalb nachvollziehbar, da er ähnlich interdis­ ziplinär ausgerichtet war wie die Zeitschrift selbst. Prampolini war nämlich so­wohl in den Bereichen der Kunsttheorie und der Publizistik als auch in jenen der Malerei, der Typografie, der Bühnengestaltung und des Films tätig. Ähnlich wie bei mehreren ukrainischen und russischen Konstruktivisten stellte die Szenografie auch bei Pram­ polini lediglich einen Teil des gesamten Schaffens dar. Prampolini zeigte auch großes Interesse an der sowjetischen Kunst, weshalb er sich in seinen publizistischen Arbeiten mehrmals mit osteuropäischen Erscheinungen auseinandersetzte  – 1924 publizierte er z. B. einen Artikel zu Tairov und dessen futuristischem Theater,311 eine Bezugnahme auf ukrainische Erscheinungen erfolgte bei ihm dagegen m.  W. nicht. Dass der Abdruck von Arbeiten Prampolinis in der „Nova Generacija“ in der um­ fangreichen Bibliografie im Katalog zu dessen großer Retrospektive (Rom, 1992) nicht aufscheint,312 belegt die abgeschottete Position, von der aus die ukrainischen Künstler agierten: Die rege betriebenen Versuche, mit westeuropäischen Künstlern Kontakt aufzunehmen, fanden umgekehrt in den Nachlässen und Archivmaterialien westeuropäischer Künstler und Gruppen nahezu keinen Niederschlag. 3.2 Das internationale Netzwerk von Avanhard Ähnlich wie Nova Generacija war auch Avanhard um eine Vernetzung mit dem west­ europäischen Ausland bemüht. Zu Kooperationen kam es dennoch vor allem mit rus­sischen Autoren, wobei die Kontakte, die meist auf ukrainische Initiative hin ent­ standen und sich vor allem auf die Mitglieder des literarischen Konstruktivismus konzentrierten, auch programmatisch proklamiert wurden: Спіралізм, як конструктивна система мистецтва подає руку російському літера­ турному конструктивізмові ЛЦК, як своєму союзникові.313 [Der Spiralismus als konstruktives System der Kunst reicht dem russischen literari­ schen Konstruktivismus LCK als seinem Verbündeten die Hand.]

Von russischen Autoren eigens für „Avanhard“ angefertigte Artikel wurden gerne über­nommen, wie aus einer Notiz zu einem Beitrag des russischen Theoretikers Zelinskij hervorgeht: З приємністю містимо статтю К. Зелінського теоретика російського конструкти­ візму й одного з найвидатніших і найглибших російських критиків. Статтю напи­ сано спеціально для „Авангарду“.314 311

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Vgl.  Crispoliti, Enrico (Hrsg.): Ausst.-Kat. Prampolini. Dal Futurismo all’Informale. Ro­ ma – Palazzo delle Esposizioni. 25 marzo – 25 maggio 1992. Roma: Edizioni Carte Se­ grete, S.  475.  – Der erwähnte Artikel Prampolinis erschien unter dem Titel „Il teatro della rivolta. (Le esperienze futuriste di A. Tairoff )“ in: L’Impero, a. II, Nr. 76 (1924), S. 3. Vgl. ibd. S. 480 f. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 77. [Red. AVH]: Anmerkungen zu „Kornelij Zelinskij, Biznes i Dostoevskij“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 161.

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Im Folgenden wird auf die mehr oder weniger geglückten Versuche von Avanhard ein­ gegangen, sich in das internationale Netzwerk der Avantgarden zu integrieren. 3.2.1 Kooperationen von Avanhard Trotz intensiver Bemühungen fielen die internationalen Kontakte bei Avanhard etwas geringer aus bei der Nova Generacija. Dennoch wies die Redaktion nicht ohne Stolz auf die ihrer Ansicht nach gelungene Vernetzung mit Persönlichkeiten der inter­ nationalen Künstlerszene hin, die sich auch an ihrer Mehrsprachigkeit erkennen ließe: Участь беруть кращі мистці України, Союзу й закордону. Частина матеріялу місти­ тиметься мовами оригіналу та в паралельних перекладах на одну з світових мов.315 [Es nehmen die besten Künstler der Ukraine, der Union sowie des Auslands teil. Ein Teil des Materials wird in der Originalsprache sowie einer parallelen Übersetzung in eine der Weltsprachen enthalten sein.]

Dass im Impressum einiger Publikationen von Avanhard internationale Mitwirkende angeführt waren, bedeutete auch hier keinesfalls, dass die Gelisteten tatsächlich par­ tizipierten. Ähnlich wie bei der Nova Generacija konnte bereits ein einzelner an die Gruppierung gerichteter Brief, sofern darin in irgendeiner Weise ein Interesse am ukrainischen Projekt ausgedrückt wurde, ausschlaggebend dafür sein, ab sofort als Mit­arbeiter oder Sympathisant im Impressum aufzuscheinen. Durch diese – wiewohl vielleicht nicht immer ganz freiwillige – Vereinnahmung nicht ukrainischer Akteure wuchs die Zahl der Mitarbeiter zunehmend an, worauf die Redaktion ebenfalls mit sichtlichem Stolz verwies: „Коло співробітників Авангарду зі всіх галузей мистецтва шириться“316 [Der Kreis der Mitarbeiter von Avanhard aus allen Bereichen der Kunst wird größer], lautete es in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Avanhard“. Ähnlich wie in Semenkos Periodikum folgte auch hier eine längere Liste mit den Namen jener, die „на сьогодні з нами працюють або співчувають нам“ [heute mit uns arbeiten oder sympathisieren]  – zu diesen wurden Becher, Bruno Taut und Kurt Kläber aus Deutschland ebenso gezählt wie Zelinskij und Sel’vinskij aus Russland.317 Abgesehen von Taut, einem der wichtigsten Vertreter des Neuen Bauens in der Weimarer Re­ publik, waren also vor allem Schriftsteller vertreten, was die beiden thematischen Schwer­punkte von Avanhard – Literatur und Architektur – sehr gut belegt.318 Über etwaige persönliche Zusammentreffen wurde mehrfach ausführlich berichtet. So sei es bspw. 1929 im Zuge einer Reise nach Moskau zu einem persönlichen Treffen mit mehreren Vertretern des LCK gekommen, in dessen Rahmen die Mitglieder Sel’vinskij und Zelinskij über die wichtigsten konzeptionellen Grundsätze sowie über 315 316 317 318

Vgl. [Red. AVH]: „Učast’ berut’ ...“, in: Poliščuk, Valerijan (Hrsg.): Bjuleten’ avanhardu/ avangardo, 1928 (einmalig), U4. [Red. AVH] 1929: „Dovidka“, U2. Vgl. ibd. Daneben wurde, wie bereits erwähnt, Musik als dritte wichtige Kunstform angesehen.

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weitere spannende aktuelle Tendenzen in Russland informierten hätten. Umgekehrt schienen Sel’vinskij und Zelinskij offenbar an den Ausführungen von Avanhard sehr interes­siert.319 Die laut Avanhard vereinbarte Kooperation wurde jedoch nur in deren eigenen Publikationen umgesetzt, während von Seiten des LCK nicht einmal eine Er­ wähnung der ukrainischen Aktivitäten erfolgte. 3.2.2 Versuch der Kooperation mit Kurt Kläber und Johannes R. Becher Kurt Kläber 1928 wurde von Poliščuk der Versuch unternommen, den deutschen Autor und Dichter Kläber zu einer Zusammenarbeit zu motivieren.320 Dass es unmittelbar zuvor im Rahmen der Versammlung revolutionärer Schriftsteller in Berlin zu einem persönlichen Treffen gekommen war, geht aus dem Unterpunkt „Тарілочка віні­ грету, що для німців ще гострий, а для нас уже, як бачите, ні. Об’єднання німецьких революційних письменників“ [Ein Teller Salat, der für die Deutschen schon scharf ist, für uns aber, wie man sieht, nicht. Die Vereinigung deutscher revo­ lutionärer Schriftsteller], abgedruckt in der Rubrik „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ [Künstlerischer Salat. Einige Worte über die Gastronomen] hervor.321 Kläber kann Fähnders und Martin Rector zufolge als „einer der einfluß­ reichsten Propagandisten und Organisatoren der proletarisch-revolutionären Lite­ raturbewegung“ der Weimarer Republik bezeichnet werden.322 Seine Rückmeldung auf eine von Avanhard ausgesprochene Einladung wurde 1929 zu Beweiszwecken in der ersten Ausgabe von „Avanhard“ publiziert. Insgesamt fiel diese für die ukrainische Seite jedoch eher enttäuschend aus. Der Vertreter der deutschen proletarischen Literatur begab sich nämlich in die Niederungen des ver­achteten Kapitalismus, indem er die Kooperation von einer Honorierung der Arbeit abhängig machte: Ваше запрошення обрадувало мене. Але співробітництво наше, німців, у першу чергу залежить од вашої можливости виплачувати нам.323 [Ihre Einladung hat mich gefreut. Aber die Zusammenarbeit mit uns, den Deutschen, hängt in erster Linie von eurer Möglichkeit ab, uns zu bezahlen.]

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Vgl. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 77. Kläbers erste Arbeiten waren noch expressionistisch geprägt, er wandte sich dann zu­ nehmend der sogenannten Arbeiterliteratur zu und war ein bekennender Kommunist. Zu Weltruhm gelangte er unter dem Pseudonym Kurt Held mit seinem Kinderbuch „Die rote Zora“ (1924). Vgl. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 77. Fähnders, Walter/Rector, Martin: Linksradikalismus und Literatur. Untersuchungen zur Geschichte der sozialistischen Literatur in der Weimarer Republik. Band 2. Reinbeck: 1974, S.  172.  — Dass Kläber auch für die sowjetische proletarische Literatur von großer Bedeutung war, zeigt sich darin, dass eines seiner Werke („Barrikaden an der Ruhr“) bei der „2. Internationalen Schriftstellerkonferenz“ in Charkiw als „Musterbeispiel“ für das proletarische Genre der Skizze festgehalten wurde; vgl. ibd. S. 184. Kleber, Kurt [Kläber, Kurt]: „Do redakciji žurnalu ,avanhard‘ i hazety ,doba kon­ strukciji‘“. Berlin, 25.X.1928, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 78.

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Kläbers weitere Ausführungen, in denen er die angespannte Lage der Literatur und des Verlagswesens in Deutschland thematisierte, macht die – nicht zuletzt wirtschaft­ lichen – Einschränkungen deutlich, mit denen die Künstler der Weimarer Republik zu dieser Zeit bereits konfrontiert waren und die eine unkomplizierte Zusammenarbeit offenbar verunmöglichten: Наша преса бідна, ми дуже бідні, як і наші видавництва, через те ми зайняті, крім нашої літературної праці, або тяжким фізичним трудом, або роботою, що нічого спільного з письменством не має.324 [Unsere Presse ist arm, wir sind auch arm, so wie auch unsere Verlage, deshalb sind wir, neben unserer literarischen Arbeit, auch mit schwerer körperlicher Arbeit be­schäftigt, oder mit Arbeit, die nichts mit Schriftstellerei zu tun hat.]

Gemeinsam mit seinem Antwortbrief übersandte Kläber einige neu entstandene Materialien, darunter die kurz zuvor erschienene Ausgabe der Zeitschrift „Front“, einige Ausgaben einer nicht näher genannten wöchentlich erscheinenden Satire­ zeitschrift sowie die Kopie eines Beitrages mit dem Titel „Німецькі письменники організуються і під бандероллю: репортаж Леуна й два оповідання“ [Deutsche Schriftsteller orga­ nisieren sich unter der Banderole: Eine Reportage von Leun und zwei Erzählungen]. Avanhard lehnte eine Honorierung von Beiträgen, wie sie von Kläber gefordert wurde, jedoch aus moralischen Gründen generell ab, was die Zusammenarbeit schließlich verunmöglichte: „Авангард“ працює без літературних гонорарів. Всі прибічники нашого періодичного видання, що містять свої утвори на сторінках „Мистецьких Матеріялів Авангарду“, крім додаткових витрат та можливих нападів на них з боку назадників – жодного матеріяльного зиску з того не мають. Зате мають моральне задоволення робити культурне діло.325 [„Avanhard“ arbeitet ohne Autorenhonorare. Alle Beiträger unserer periodischen Publikationen, die ihre Arbeiten auf den Seiten der „Mystec’ki Materijaly Avanhardu“ platzieren, haben daraus, sieht man von zusätzlichen Kosten sowie potentiellen An­ griffen auf sie von Seiten unserer Gegner ab, keinerlei materiellen Gewinn. Doch haben sie die moralische Genugtuung, für eine kulturelle Sache zu arbeiten.]

Der Brief von Kläber war in der vorhergehenden Ausgabe zwar unkommentiert ab­ gedruckt worden, doch lässt sich diese gleich zu Beginn des Vorwortes prominent positionierte Bemerkung durchaus als Erwiderung auf die „unmoralischen“ Forde­ rungen und gleichzeitig als harsche Kritik an der materialistischen Einstellung der deutschen proletarischen Schriftsteller verstehen. Die Mitglieder der ukrainischen Redaktion zeigten sich überaus empört und erklärten, dass sie aus ihrer Arbeit keinerlei Gewinn lukrieren würden. Obwohl das Vorhaben, Kläber in die ukrainische Gruppierung zu integrieren, letztlich an den moralischen Ansprüchen von Avanhard 324 325

Kleber 1929: „Do redakciji žurnalu ,avanhard‘ i hazety ,doba konstrukciji‘“, S. 78. Die Ablehnung wurde in einer Redaktionsnotiz publiziert: [Red. AVH]: „Vid redakciji“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), U2.

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scheiterte, wurde der deutsche Autor in den weiteren Ausgaben dennoch im Impres­ sum als Mitarbeiter angeführt. Johannes R. Becher Neben Kläbers Brief enthielt die erste Ausgabe von „Avanhard“ auch einen Beitrag des deutschen Autors Becher. Im deutschsprachigen Inhaltsverzeichnis, das jeweils am Ende der Hefte beigefügt war, betonte die Redaktion ausdrücklich, dass ihr die bis da­ hin noch unveröffentlichte Erzählung „Ljudyna prokynulas’“326 („Eines Menschen Er­ wachen“) von Becher persönlich überreicht worden sei: In der Enzählung [sic] „Eines Menschen Erwachen“ des bekannten deutschen Schriftstellers Johannes R. Becher, die er unserer Zeitschrift übergab, handelt es sich um die Tragödie des Lehrers Günter, der im Kriege zum Krüppel geschossen wurde. Im bürgerlichen Deutschland revolutionisiert [sic] er und wird nach der Unterdrückung eines Arbeiteraufstandes erschossen. Diese Erzählung erscheint in ukrainischer Über­ setzung, die von E. Berman und V [sic] Szonzwit angefertigt ist.327

Die fünfseitige Erzählung, die laut Redaktion im Original als „Eines Menschen Er­ wachen“ betitelt war,328 erschien in der ukrainischen Übersetzung unter dem Titel „Ljudyna prokynulas’“ [Ein Mensch erwachte]. Als Urheber der Übersetzung, die hier ausnahmsweise offengelegt werden, sind E. Berman und V. Soncvit angeführt. Vasylij Soncvit – so lautete der volle Name – war jedoch eines von mehreren Pseudonymen von Poliščuk, der somit auch als Übersetzer aus dem Deutschen ins Ukrainische fun­ gierte. Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Übersetzerleistungen Poliščuks, die auch Übertragungen aus dem Jiddischen ins Ukrainische inkludierten, bislang fast keine Anerkennung gefunden haben.329 Avanhard legte generell eine starke Betonung auf die direkten Kontakte nach Deutsch­land resp. Westeuropa, indem sie diese in ihrer Zeitschrift erwähnte. Da Becher an der „Ersten Internationalen Konferenz Revolutionärer Schriftsteller“, die im November 1927 in Moskau stattfand, teilgenommen hat, ist anzunehmen, dass die Kontakte, die schließlich zur Publikation seines Textes führten, bereits im Rahmen dieser Reise geknüpft wurden.330 Die Veranstaltungen der offiziellen Verbände, die zu dieser Zeit bereits proletarisch dominiert waren, boten oftmals die einzige Möglich­ keit, mit westeuropäischen Künstlern in Verbindung zu treten, weshalb die Kontakte meist auf proletarische Kreise beschränkt blieben. Sowohl Kläber als auch Becher

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Becher, Johannes R.: „Ljudyna prokynulas’“, übersetzt von E. Berman und Vasylij Soncvit, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 52–56. [Red. AVH] 1929: „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avangarde“. Das Original war leider nicht ausfindig zu machen. Poliščuk wird z. B. in der „Antolohija evrejs’koj poeziji“ [Anthologie jiddischer Poesie] als Übersetzer von Šymen-Šmuel’ Frugs Text „Elehija“ sowie im Übersetzerverzeichnis auf S.  680 angeführt; vgl.  Černin, Velvl/Bohuslavs’ka, Valerija (Hrsg.): Antolohija evrejs’koj poeziji. Ukrajins’ki pereklady z jidyšu. Kyjiv: Duch i Litera 2011, S.  3, 680. Den Text von Frug in Poliščuks Übersetzung vgl. ibd. S. 102. Vgl.  Willet, John: Art and Politics in the Weimar Period. The New Sobriety, 1917–1933. Paperback Edition. New York: Da Capo Press 1996, S. 248.

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gehörten der deutschen proletarischen Vereinigung an.331 Da diese ebenso wie die sowjetischen proletarischen Schriftsteller keine avantgardistische Ästhetik vertrat, lassen sich auf literarisch-praktischer Ebene eigentlich keine echten Parallelen mit Avanhard erkennen. Dass trotzdem dezidiert auf die Kontakte mit diesen Autoren verwiesen wurde, belegt, wie außergewöhnlich es für die Künstler der relativ abge­ schotteten Ukraine war, überhaupt Verbindungen ins Ausland zu unterhalten. Der Kontakt mit expressionistischen oder dadaistischen Autoren wäre für Poliščuk und seinen Kreis möglicherweise weitaus spannender resp. möglicherweise fruchtbarer gewesen.332 Diese Annahme lässt sich durch die starke ukrainische Rezeption des Sturm-Kreises untermauern, da Waldens Wortkunstwerk-Theorie, die eine ungegen­ ständliche Dichtung propagierte, als eines der wichtigsten Konzepte des literarischen Expressionismus galt.333 3.2.3 Kooperation post mortem: Velimir Chlebnikov Chlebnikov, der zu den wichtigsten und produktivsten Vertretern des russischen Futurismus zu zählen ist, hielt sich in den Jahren vor seinem frühen Tod (1922) mehrmals in Charkiw auf. Den Sommer des Jahres 1919 verbrachte er auf dem An­ wesen der Schwestern Sinjakova in Krasna Poljana unweit von Charkiw,334 wo es zur Zusammenarbeit mit einigen wichtigen Vertretern der späteren ukrainischen Avant­ garde kam. Zu diesen zählten z. B. Jermilov und Boris Kosarev335, die beide eine zentrale Rolle innerhalb der ukrainischen Buchgestaltung einnahmen, wobei Ersterer später für die Layouts der Publikationen von Avanhard verantwortlich zeichnete. Während der Aufenthalte in Charkiw entstanden mehrere von Chlebnikovs Werken, dessen bekanntestes das utopische Poem „Ladomir“ [„lad“: Harmonie, „mir“: Welt] darstellt. Dass Jermilov, mit dem Chlebnikov eine enge Freundschaft verband, 1920 eine lithografische Ausgabe des Poems edierte, zeigt, dass die Zusammenarbeit auch nach dem gemeinsamen Aufenthalt in Krasna Poljana fortgesetzt wurde. Chlebnikovs 1919 in Charkiw entstandenes, etwas länger gehaltenes Poem „Poluželeznaja izba“ [Halbeisenhütte] bringt auch einen Bezug zur historischen Entwicklung der Ukraine ein, indem es auf den Kiewer Fürsten Olel’ko (15. Jh.) und den Hetman Bajda (ukrainischer volkstümlicher Name für Hetman Dmytro Višnevs’kyj, 16. Jh.) verweist sowie auf das in der ukrainischen Folklore beliebte Rusal’ka-Motiv, das den Mythos der Wasserfrau thematisiert, rekurriert. Durch die Einbeziehung Machnos336 331

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Anders als in der Sowjetunion blieb in Deutschland der Einfluss der proletarischen Kunst auf das kulturelle Leben gering, wobei Margolin als Ursache auch das Fehlen einer breiten Basis an Unterstützern verortet; vgl. Margolin 1997: The Struggle for Utopia. Rodchenko, Lissitzky, Moholy-Nagy. 1917–1946, S. 150. Hier sei angemerkt, dass die meisten der in der Ukraine rezipierten proletarisch-revo­ lutionären Schriftsteller zuvor der expressionistischen Generation angehört hatten, so bspw. Becher und Walden. Zur ungegenständlichen Dichtung bei Walden vgl. z. B. Fähnders 2010, Avantgarde und Moderne, S. 187; zur Entwicklung der proletarisch-revolutionären Schriftsteller in der Weimarer Republik vgl. z. B. ebd. S. 249 ff. Zum Aufenthalt der Künstler in Krasna Poljana vgl. z. B. Pavlova, Tetjana: Vasyl’ Jermilov žde vesnu. (= Mala serija ukrajins’koho modernizmu), Charkiv: Rodovid 2011, S. 106. Manchmal wird der Name auch als „Kosarjev“ transliteriert. Nestor Machno war zwischen 1917 und 1921 als Anführer der sogenannten MachnoBewegung, einer Volksbewegung in der Ukraine, aktiv, die eine anarchistische

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und seiner Truppen wurde der Text außerdem mit einem damals aktuellen Kontext verknüpft.337 Darüber hinaus spielte Charkiw auch als Publikationsort eine Rolle. Texte Chlebnikovs erschienen z. B. im „Sbornik novogo iskusstva“ [Sammlung Neuer Kunst] (1919), in der Zeitschrift „Puti tvorčestva“ [Wege des Schaffens] (Nr. 5, 1919– 20) und im Sammelband „Liren’“ [Liren] (Charkiw, 1920),338 der von Chlebnikov gemeinsam mit Guro, Aseev, Pasternak und Petnikov offiziell zwar in Moskau he­ rausgegeben, letztlich aber in Charkiw produziert und gedruckt wurde. Die beiden 1920 in Charkiw entstandenen Gedichte „Sovremennost’“ [Gegenwart] und „Edinaja kniga“ [Das einzige Buch] blieben dagegen längere Zeit unveröffentlicht. Dass sie 1928 in der Anthologie „Radius avangardovcev“ erscheinen konnten, war offenbar Jermilov zu verdanken, in dessen Wohnung die Gedichte den Angaben von Avanhard zufolge entstanden sind. Den beiden Gedichten wurde in „Radius“ folgende redaktionelle Notiz beigefügt: Эти стихи В. Хлебникова публикуются в печати впервые. Написаны они в 1920 году в Харькове на квартире художника Василия Ермилова, с которым Хлебников дружил. В. Ермилов и передал их для напечатания в наш сборник.339 [Diese Gedichte von V. Chlebnikov werden erstmals gedruckt veröffentlicht. Ge­ schrieben wurden sie 1920 in Charkiw in der Wohnung des Künstlers Vasyl’ Ermilov, mit dem Chlebnikov befreundet war. V. Ermilov hat sie zum Abdruck in unserer Anthologie übergeben.]

Darüber, dass der Künstler zu dieser Zeit bereits tot war und der Abdruck somit posthum erfolgte, offerierte „Radius“ seinen Lesern keinerlei Information. Die Redaktion ging sogar noch weiter, indem sie Chlebnikov ebenso wie alle anderen in „Radius“ ver­tretenen Autoren und die Autorin340 als Herausgeber der Publikation anführte. Da sowohl die Veröffentlichung der Gedichte als auch die Herausgeberschaft erst post­hum erfolgten, kann im Falle Chlebnikovs allerdings nicht von einer tat­ sächlichen Ko­operation gesprochen werden. Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass es in Russland in etwa zeitgleich ebenfalls zu einer verstärkten Edition von Chlebikovs Werken gekommen ist. Die „Gesellschaft der Freunde Chlebnikovs“ gab z. B. zwischen 1928 und 1933 in Moskau eine Reihe von insgesamt 30 Heften mit unveröffentlichten Arbeiten von Chlebnikov heraus, wobei mit Kručenych – ähnlich wie in Charkiw mit Jermilov – ebenfalls ein enger Freund

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Ukraine etablieren wollte. Kappeler spricht von einem „neokosakischen bäuerlichen Anarchismus“; vgl. Kappeler 2009: Kleine Geschichte der Ukraine, S. 180 f. Vgl. Chlebnikov, Velimir: „Poluželeznaja izba“, in: Tschižewskij, Dmitrij (Hrsg.): V. V. Chlebnikov. Sobranie Sočinenij II. V. V. Chlebnikov. Gesammelte Werke II. Nachdruck der Bände 3 und 4 der Ausgabe Moskau 1928–1933. Hgg. von Jurij Tynjanov. (= Slavische Propyläen. Texte in Neu- und Nachdrucken. Band 37, II), München: Wilhelm Fink 1968, S. 47–52, hier S. 47–51. Auf die Nennung der einzelnen Texte wird hier verzichtet. Zu den editorischen Angaben zu Chlebnikovs in Charkiw erschienenen Arbeiten vgl. Tschižewskij 1968 (Hrsg.): V. V. Chlebnikov. Sobranie Sočinenij II. V. V. Chlebnikov, S. 373 ff. [Red. AVH]: Anmerkungen zu „Velimir Chlebnikov. Sovremennost’. Edinaja kniga“, in: Poliščuk et al. (Hrsg.) 1928: Radius avangardovcev, S. 26. Mit Raisa Trojanker war an „Radius“ auch eine Frau beteiligt.

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des Künstlers die Herausgabe initiierte. Die beiden in der Ukraine publizierten Gedichte wurden in Russland übrigens erstmals 1930 in Band 3 der u. a. von Jurij Tynjanov in Leningrad edierten Chlebnikov-Gesamtausgabe publiziert, die zwischen 1928 und 1933 und somit fast zeitgleich mit Kručenychs Reihe erschien.341 3.3 Ukrainisch-russische Künstler als Teil der ukrainischen Avantgarde Die Künstler, Gruppierungen und Strömungen der ukrainischen Avantgarde blieben international weitgehend unbeachtet. Die fehlende Wahrnehmung war der peripheren Lage der Erscheinung zuzuschreiben und wurde in Folge des Verbots der Avantgarden und ihrer späteren Marginalisierung durch die sowjetische Politik noch verstärkt. Auch heute, nach Erlangung der Unabhängigkeit, kommt den Künstlern und Erscheinungen der Avantgarde in der Ukraine aufgrund ihrer Affinität zum Sowjetsystem teils ein untergeordnetes Interesse zu. Dies ist nicht zuletzt deshalb interessant, da die Vertre­ ter der ukrainischen Avantgarde einerseits in spezifischer Weise auf ukrainische Volks­ kunstmotive und lokale Traditionen zurückgriffen und andererseits gezielt eine un­ abhängige ukrainische Kultur propagierten. Bei Malevič, der aus Kiew gebürtig war, zeigte sich dies z. B. in der Einbeziehung ländlicher Motive, die zudem oft ukrainische Lebensrealitäten wie das bäuerliche Leben widerspiegelten.342 Exters ukrainischer Kontext lässt sich bspw. anhand der Farbigkeit ihrer Bilder konstatieren.343 Die hohe Bereitschaft zur Mobilität, die in den 1920er-Jahren zunehmend eingeschränkt wurde, führte gerade in der Avantgarde dazu, dass es zu einem regen Austausch von Ideen sowie zu zahlreichen (inter-)nationalen Kooperationen kam, weshalb viele Erscheinungen ohne die Überlappung unterschiedlicher kultureller Sphären wohl undenkbar gewesen wären. Bei vielen Künstlern, die als Teil der russischen Avantgarde in die internationale Kunst- sowie Literaturgeschichte eingegangen sind, lässt sich von Hybriden sprechen, da sie mehreren – sowohl dem russischen als auch dem ukrainischen, zudem oft dem jüdischen, polnischen und/oder deutschen  – Kulturräumen angehörten.344 Hier sei auf Bowlt verwiesen, der nicht nur die Hybridität zahlreicher Vertreter der russischen Avantgarde ausdrücklich betont, sondern der russischen Strömung zugleich eine ausgeprägte „Ukrainizität“ konstatiert:

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Zum Abdruck der Gedichte in Russland vgl.  Tynjanov, Jurij/Stepanov, N. (Hrsg.): Velimir Chlebnikov. Sobranie proizvedenij v 5-ti tt. tom 3. Stichotvorenija. 1917–1922. Leningrad: Izdatel’stvo pisatelej v Leningrade 1930, S. 56. bzw. S. 68–69. Vgl. Horbačov 1996: Ukrajins’kyj avanhard. 1910–1930 rokiv, unpag. Ihre Zusammenarbeit mit der Volkskünstlerin Sobačko resultierte z. B. in einer intensiven Farbgebung in einigen Bühnenbildentwürfen; vgl.  Meleškina, Iryna: „Die Sammlung dеr ukrainischen szenographischen Avantgarde im Fonds des Nationalen Museums für Theater, Musik und Kino der Ukraine“. Aus dem Ukrainischen von Vera Faber, in: Faber/Horbachov/Sonnleitner (Hrsg.) 2016: Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst, S. 201–235, hier S. 203. Auf diese Hybridität habe ich in folgendem Artikel verwiesen, der auch das anschlie­ ßende Zitat von John Bowlt enthält: Faber, Vera: „Wahrnehmungsdissonanzen, blinde Flecken und die ,Idee der Nation‘. Zu einigen Symptomen einer ukrainischen Kultur in der Dauerkrise“, in: Bakalova, Evgeniya et al. (Hrsg.): Ukraine: Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch. (=  Impulse. Studien zu Ge­ schichte, Politik und Gesellschaft, Band 6), Berlin: WVB 2015, S. 27–46, hier S. 33 ff.

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Suffice it to recall most of the stellar players in the so called Russian avant-garde (the Burliuk brothers and sisters, Exter, Mikhailo Larionov, Artistarkh Lentulov, Kazimir Malevich, Vladimir Tatlin) were Ukrainian by birthright or by adoption to under­stand the extent to which the Russian avant-garde was as much Ukrainian as anything else.345

Die Hybridität der Künstler, in deren Werk sich die Einflüsse verschiedener Kulturen überlagerten, wurde bislang nur wenig berücksichtigt, sodass viele künstlerische Er­ scheinungen, die durch einen ukrainischen Kontext (mit-)geprägt sind, nach wie vor oft als Teil der russischen Kunstgeschichte rezipiert und erforscht werden. Für einen Staat, der erst spät seine Unabhängigkeit erlangte und dessen Kunstschaffende lange Zeit unter der gefühlten Unterdrückung der eigenen Sprache und Kultur litten, stellt die Anerkennung der eigenen kulturellen Leistungen als Teil überregionaler und internationaler Strömungen einen wichtigen Faktor für das kulturelle Selbst­ bewusstsein dar. Die anhaltende Marginalisierung oder fehlende Wahrnehmung kann dagegen, wie sich epochenübergreifend in zahlreichen literarischen Texten zeigt, zu einem kulturellen Trauma führen.346 Im Folgenden soll kein Versuch der „nationalen“ Zuschreibung von Künstlern erfolgen, also nicht gefragt werden, ob sie „mehr ukrainisch“ oder „mehr russisch“ sind. Vielmehr soll anhand kurzer biografischer Notizen zu zwei exemplarisch ausgewählten Künstlern aufgezeigt werden, wie sehr sich diese zwischen verschiedenen Räumen bewegten resp. wie sehr sich die beiden Räume überlappten. 3.3.1 Kazimir Malevič oder Kazymyr Malevyč? Dass Malevič, der in Kiew geboren wurde und dort auch sein Studium absolvierte, ukrainischer Herkunft war, wie Horbačov betont,347 ist ebenso korrekt wie der Hinweis darauf, dass er ein Künstler mit polnischem und russischem biografischem Hintergrund war. Ganzheitlich betrachtet lässt sich von einem Vertreter der russischen Avantgarde sprechen, für dessen Leben und Werk sowohl der ukrainische als auch der polnische Hintergrund eine wichtige Rolle spielten, und der umgekehrt für die ukrainische, die russische und die sowjetische Kunst eine zentrale Bedeutung hat. Dass ukrainische Motive in Malevičs Werk sehr präsent sind und der Künstler auch in der Ukraine tätig war, lässt ihn jedenfalls zu einem wichtigen identitätsstiftenden Teil einer eigenständigen Strömung der „Ukrainischen Avantgarde“ werden. Male­ vič, der international gesehen zu den wohl bedeutendsten Künstlern der (gesamt­ europäischen) Avantgarden zählt, stellt somit heute einen wichtigen Faktor für die Herausbildung eines ukrainischen kulturellen Selbstbewusstseins dar. Mit Malevičs ukrainischem Hintergrund beschäftigt sich Horbačov seit längerer Zeit. Horbačov zeigt nicht nur die Relevanz des Künstlers für die ukrainische Kunst auf, sondern

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Bowlt 2006: „National in Form, International in Content. Modernism in Ukraine“, S. 76. — Hier lässt sich allerdings anmerken, dass Larionov aus Tiraspol und somit der heutigen Republik Moldau stammte. Ausführlicher zum ukrainischen Trauma der marginalen Wahrnehmung sowie der kulturellen Nicht-Existenz vgl.  Faber 2015: „Wahrnehmungsdissonanzen, blinde Flecken und die ,Idee der Nation‘. Zu einigen Symptomen einer ukrainischen Kultur in der Dauerkrise“. Zu Malevičs ukrainischer Identität vgl.  z. B. Horbačov 1996: Ukrajins’kyj avanhard. 1910–1930 rokiv.

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analysiert umgekehrt auch den Niederschlag des ukrainischen kulturellen Kontextes in Malevičs Werk.348 Malevič kehrte nach der Schließung des GInChuK in seine Ge­burtsstadt Kiew zurück, als die Ukraine nunmehr zumindest im Rahmen der Sowjet­union ein eigenstaatliches Gebilde darstellte. Malevič, der sich sowohl in den 1920er-Jahren in Vitebsk als auch in Leningrad stark im Bereich der künstlerischen Lehre engagiert hatte, setzte seine Lehrtätigkeit zwischen 1928 und 1930 am Kiewer Kunst­institut fort.349 Im selben Zeitraum entstanden auch seine letzten Essays, die zwischen 1928 und 1930 auf Ukrainisch in der „Nova Generacija“ und in „Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji“ abgedruckt wurden. Die Essays, die von Horbačov zu den wichtigsten theoretischen Arbeiten des Künstlers gezählt werden,350 lassen sich auch als Spiegel der generellen Ausrichtung und Positionierung der Zeitschrift „Nova Generacija“ festhalten. Thematisch fokussierte Malevič mit Kubismus, Futurismus und Fauvismus auf wichtige Strömungen der westeuropäischen Moderne und setzte diese in Bezug zu russischen Erscheinungen wie dem Kubofuturismus. Eine Gegenüberstellung mit aktuellen ukrainischen Entwicklungen erfolgte dabei allerdings nicht. Das späte künstlerische Werk Malevičs wurde, so Horbačov, deutlich durch seinen Aufenthalt in Kiew geprägt: „Перебування на Батьківщині відживило юнацькі культурні переживання Малевича“351 [Malevyčs Aufenthalt in seinem Heimatland revitalisierte die kulturellen Erfahrungen seiner Jugend]. Nachdem sich der Künstler in den 1920er-Jahren vorrangig auf didaktische und theoretische Bereiche kon­ zentriert hatte, weist sein Spätwerk Serhij Papeta zufolge nicht nur eine Rückkehr zum Figura­tiven, sondern auch die Einbindung des ländlichen (ukrainischen) Kon­textes und die Bezugnahme auf seine ukrainische Identität auf. Papeta hebt die besondere Bedeutung hervor, die Malevičs Gegenüberstellung der im ländlichen Raum zu verortenden farblichen Vielfalt mit der Farblosigkeit und Eintönigkeit des urbanen Umfeldes einnimmt.352 Der ländliche Raum steht also im Widerstreit mit dem nun­ mehr etablierten kommunistischen System, das wiederum stark mit der Urbanisierung und Industrialisierung assoziiert war. 3.3.2 Igor’ Terent’ev Terent’ev war einer jener Künstler, die in einer noch russischen Ukraine geboren wurden, eine künstlerische Karriere im Kontext der russischen Avantgarde – im Falle von Terent’ev auch außerhalb Russlands, etwa in Tiflis – machten und gegen Ende ihres künstlerischen Schaffens wieder in ihre Heimatstadt, die nunmehr in der sowje­ tischen Ukraine lag, zurückkehrten. Terent’ev arbeitete in den späten 1920er-Jahren 348

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Zu nennen ist hier vor allem Horbačov 2006: „Vin ta ja buly ukrajinci“; vgl. Horbačov, Dmytro: „Ein Überblick über die ukrainische Avantgarde. A survey of the ukrainian avant-garde“, in: Birnie Danzker, Jo-Anne (Hrsg.): Avantgarde und Ukraine. Braun­ schweig: Klinkhardt & Biermann 1993, S.  55–73; Horbačov 1996: Ukrajins’kyj avanhard. 1910–1930 rokiv; vgl. auch Horbačov/Papeta/Papeta (Hrsg.) 2005: Ukrajins’ki avanhardysty jak teoretyky i publicysty. Vgl. Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag. Vgl. ibd. — Einen Überblick über die Essays, die Malevič in der Ukraine publizierte, bietet Horbačov (Hrsg.) 2006: „Vin ta ja buly ukrajinci“. Horbačov 1996: „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“, unpag. Vgl. Papeta, Serhij: „Peredmova“, in: Horbačov 2006: „Vin ta ja buly ukrajinci“, S. 10–12, hier S. 11.

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mit Semenko und dessen Nova Generacija zusammen und führte zugleich seine Ar­ beit als Theaterregisseur fort.353 Über seine Zeit in der Ukraine finden sich in den Biografien zu Terent’ev nur sehr wenige Informationen, die sich zudem meist auf eine kurze biografische Notiz zu seiner Arbeit bei der Nova Generacija beschränken.354 Im Anschluss an seine Zeit in Tiflis (1917–1919) ging Terent’ev zuerst nach Lenin­ grad, wo er sich neben der Weiterentwicklung der Zaum’-Sprache im Rahmen des GInChuK355 vermehrt dem Theater widmete. Inszenierungen wie jene von „Džon Rid“ [ John Reed] (Leningrad 1924; Moskau 1925) brachten dem Futuristen und Regisseur sehr wohlwollende Kritiken ein.356 Terent’ev arbeitete auch mit Majakovskij und dessen LEF zusammen, in deren Zeitschrift nur durchwegs positiv gehaltene Rezensionen zu Terent’evs Aufführungen zum Abdruck kamen.357 Während er sich in seinen in der „LEF“ publizierten Artikeln noch primär mit Grundsatzfragen zum Futurismus sowie zur metalogischen Zaum’-Sprache beschäftigte, enthielten seine Beiträge in der „Novyj LEF“ vor allem Konzepte zur Neuausrichtung des Theaters („Anti­chudožestvennyj teatr“ [Antikünstlerisches Theater], 1928). Terent’evs in Charkiw publizierte Essays, die zu seinen allerletzten Publikationen zählen, befassten sich inhaltlich ebenfalls mit dem Theater. In „Na 1929 rik“ [Auf das Jahr 1929] setzte sich Terent’ev z. B. mit dem aktuellen Status des sowjetischen Theaters auseinander, das bislang an der Transformation in ein Theater der Fakten und der sozialen Probleme gescheitert sei. Vor allem die Jugend müsse stärker eingebunden werden, doch werde die Frage der Generationen nicht angemessen berücksichtigt. Mejerchol’d werde gar von offizieller Seite als Feind des Theaters angegriffen, da er sich mit sozialen Problemen der jungen Generation auseinandersetze, während Tret’jakovs ähnlich gelagertes Stück „Choču rebenka“ [Ich will ein Kind] ebenfalls als nicht zeitgemäß angesehen worden sei. Die Jugend müsse sich organisieren und ihre Stimme erheben, um aktiv an der Front der Kunst, der Wissenschaft und der Technik zu partizipieren. In seinen Essays stellt Terent’ev stets einen Bezug zur aktuellen Situation des ukrainischen Theaters her, indem er, wie etwa in „Na 1929 rik“358, auf Praktiken innerhalb der Nova Generacija verweist. Während Malevič in seinen in der „Nova Generacija“ publizierten Essays nicht speziell auf den ukrainischen Kontext einging, wurde dieser bei Terent’ev dagegen einbezogen. Die ukrainische Idee fand 353 354

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Vgl.  Nikol’skaja/Marzaduri 1988: „Igor’ Gerasimovič Terent’ev. Biografičeskaja spravka“, S. 18. Seine Zeit in Charkiw wird z. B. im 2012 vom Moskauer Majakovskij-Museum anlässlich einer Ausstellung zum 120. Geburtstag des Künstlers herausgegebenen Katalog in nur einem Satz erwähnt, der zudem die künstlerischen Hervorbringungen dieser Zeit gänzlich auslässt; vgl. Karpov 2012: „Muzejnyj Terent’ev ili šepotka sirolecha“, S. 9. Er arbeitete als Leiter des phonologischen Studios u. a. mit Malevič zusammen, der das GInChuK bis zu dessen Auflösung im Jahr 1926 leitete; vgl. Lehmann, Gudrun: Fallen und Verschwinden. Daniil Charms – Leben und Werk. Wuppertal: Arco Verlag 2010, S. 115. Zu Terent’evs Inszenierungen in Russland vgl.  Marzaduri, Marzio: „Igor’ Terent’ev regista: dal teatro d’agitazione al lager“, in: Ders.: Scritti sul futurismo russo. A curo di Daniela Rizzi. (= Ricerche di cultura europea. Forschungen zur europäischen Kultur, Band 4), Bern et al.: Peter Lang 1991, S. 231–256, z. B. S. 233. Čužak widmete Terent’ev in der „Novyj LEF“ 1928 einen eigenen Beitrag: Čužak, Nikolaj: „Teatr Igorja Terent’eva“, in: Novyj LEF, Nr. 4 (1928), S. 26. Terent’jev, Igor [Terent’ev, Igor’]: „Na 1929 rik“, in: Nova Generacija, Nr.  2 (1929), S. 74–75, hier S. 74 f.

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bei Terent’ev, der sich von politischer Instrumentalisierung mehrmals dezidiert dis­ tan­zierte, allerdings auch während seiner Zeit in der Ukraine keinerlei Widerhall. Den­noch ließe er sich im Hinblick auf seinen evidenten Kontext gewiss ebenfalls als wichtiger Teil der ukrainischen Avantgarde verstehen. Terent’ev erlitt schließlich ein ähnliches Schicksal wie viele andere ukrainische Avantgarde-Künstler. Nach mehrjähriger Lagerhaft wurde er 1937 – ebenso wie Se­ menko, Poliščuk und zahlreiche weitere Akteure der ukrainischen Avantgarde – im Rahmen des Großen Ter­rors hingerichtet. Dass er in der Ukraine dennoch nicht als Teil der sogenannten „Er­schossenen Wiedergeburt“359 angesehen wird – er wird weder bei Lavrinenko noch in anderen Werken hierzu angeführt –, mag wohl auch an seiner hybriden Identität liegen, die ihn von der russischen Ukraine aus über Moskau und Tiflis wiederum nach Mos­kau und Leningrad und schließlich zurück in die Ukraine führte. Hinzu kommt, dass Terent’ev nicht an der sogenannten nationalen kulturellen „Renaissance“ der Ukraine partizipierte und die meisten seiner Werke – mit Ausnahme jener in der „Nova Generacija“ publizierten – zudem auf Russisch erschienen.

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Damit sind jene ukrainischen Künstler gemeint, welche die Kunst und die Diskussion in der Ukraine in den 1920er-Jahren dominierten und 1937 im Zuge des „Großen Terrors“ exekutiert wurden. Sowohl Semenko als auch Poliščuk zählten zu ihnen.

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Disparität – wechselseitige Rezeption

In den vorherigen Kapiteln wurde das Interesse der ukrainischen Künstler an inter­ nationalen Entwicklungen demonstriert, das jedoch nicht allein aus der prinzipiellen inter­nationalistischen Ausrichtung der Avantgarden resultierte. Vielmehr führte der Umstand, dass die ukrainische Avantgarde an mehreren Übergängen (zeitlich, räum­ lich, künstlerisch, politisch, ideologisch etc.) positioniert war, zu besonderen kultu­ rellen Bedingungen, in deren Kontext die Orientierung nach Westeuropa – und, auch wenn dies nicht offen zugegeben wurde, nach Russland – zu einem der wichtigsten Charakteristika der ukrainischen Strömung geriet. Dieses Interesse der Peripherie an den Zentren steht im Widerspruch zu Gumbrechts These, über Zentren ließe sich, da ihre Erscheinungen ohnehin überall präsent seien, nichts Spezifisches mehr sagen oder schreiben.360 In der Ukraine wurden die künstlerischen Neuerungen aus Ost und West ganz im Gegensatz dazu mit sehr regem Interesse verfolgt und diskutiert. Ähnlich wie die zuvor beschriebenen Kooperationen sollte die Präsentation westeuropäischer und sowjetischer Innovationen dazu dienen, die eigenen Aktivitäten zu rechtfertigen,361 und diente somit auch dem eigennützigen Zweck der Selbstbestätigung. Dass die eigenen Praktiken anderswo bereits erprobt worden sind, erleichterte nämlich ge­ wissermaßen deren Akzeptanz im eigenen Umfeld. Überdies wurde damit ein Zeugnis darüber abgelegt, dass die Ukraine in kultureller Hinsicht am Puls der Zeit war. In den folgenden Kapiteln wird anhand einiger Beispiele auf die Rezeption rus­ si­scher und westeuropäischer Strömungen in der Ukraine eingegangen und ihre Bedeutung für die ukrainische Kunst thematisiert. Umgekehrt wird auch die Aus­ strahlung der ukra­inischen Kunst über die Landesgrenzen hinaus analysiert, um da­durch die Dispa­rität zwischen Zentrum und Peripherie zu demonstrieren. Die Quanti­tät der aufgezeigten Beispiele spiegelt ausdrücklich nicht die tatsächlichen wechselseitigen Bezug­nahmen wider, sodass die beiden Abschnitte (Ukraine-Re­ zeption im Ausland, Auslandsrezeption in der Ukraine) vom Umfang her rela­tiv ausgewogen sind. Die Untersuchung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, weshalb die Auswahl der zitierten Texte und Werke als exemplarisch zu verstehen ist. Diese betreffen z. B. Literatur, Literaturtheorie, bildende Kunst und Architektur. Für die Analyse der Wahrnehmung ukrainischer Erscheinungen in Russland wird der Fokus auf die Nova Generacija und die Avanhard gelegt, um zu demonstrieren, inwieweit sich ihre Be­mühungen der Vernetzung bei russischen Strömungen nieder­ schlugen. Im Hinblick auf die Ukraine-Rezeption in Westeuropa ist eine analog gehaltene Betrachtung deshalb nicht möglich, da es so gut wie keine Thematisierung der beiden Gruppierungen in Westeuropa gegeben hat. Der Blick wird hier auf die generelle Wahrnehmung von ukrainischer Kunst und Literatur gelegt. 4.1 Ausgangssituation Obwohl die zunehmende wechselseitige Reflexion anderer sowjetischer Entwicklungen als logische und simple Konsequenz des zunehmend restriktiven Klimas erscheinen würde, das von der Sowjetunion aus die Kontakte nach Westeuropa erschwerte, kon­ statierte Poliščuk eine generell mangelnde wechselseitige Wahrnehmung innerhalb der gesamten Union: 360 361

Gumbrecht 1998: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, S. 380. Vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 134 f.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West Що знаємо ми нині про культурне життя окремих народів Радянського Союзу? Що знаємо ми тепер про шляхи й форми їхнього мистецтва? Мало дуже. Часто не знаємо зовсім нічого. Що знають інші народи нашого Союзу про наші українські змагання на фронт культури й мистецтва? Мабуть не знають нічого.362 [Was wissen wir heute über das kulturelle Leben anderer Völker der Sowjetunion? Was wissen wir derzeit über die Wege und Formen ihrer Kunst? Sehr wenig. Oft wissen wir überhaupt nichts. Was wissen andere Völker unserer Union über unseren ukrainischen Wettlauf an die Front von Kultur und Kunst? Wahrscheinlich wissen sie gar nichts.]

Dieses Lamento belegt das Gefühl der eigenen Marginalität, das sowohl in der Po­ lemik als auch in der Kunst reflektiert wurde. Während das ukrainische Interesse an neuen Entwicklungen weit über die Landesgrenzen hinausreichte, wurde die über­ bordende Blüte der eigenen Kultur außerhalb des Landes nur wenig registriert. Viele Künstler sahen sich daher in der Pflicht, diesem Umstand entgegenzuwirken, wobei die Pro­pagierung eigener Innovationen bspw. durch die forcierte Übersetzung und Publikation ukrainischer Literatur im Ausland unterstützt werden sollte.363 Škurupij, Vertreter der Nova Generacija, forderte, щоб російські московські видавництва широко відкрили двері українським письменникам, треба, щоб російські товсті й малі журнали сховали свою пиху в кешеню [sic] і дали місце на своїх сторінках перекладним творам та критичним і інформаційним статтям.364 [dass die russischen Moskauer Verlage ihre Türen weit für ukrainische Autoren öffneten, es ist notwendig, dass dicke und dünne russische Zeitschriften ihren Stolz in die Tasche stecken und auf ihren Seiten Platz für übersetzte Werke sowie kritische und informative Artikel einräumen.]

Avanhard betonte die Relevanz, die den Reisen ukrainischer Autoren und Künst­ler für die internationale Vernetzung, aber auch die Erhöhung des eigenen Bekannt­

362 363 364

Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 73. Vgl. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 74. Škurupij 1928: „Na šturm linoščiv i neznajstva“, S. 213. — Škurupij gelang dies übrigens selbst, indem sein Roman „Dveri v den’“ [Türen in den Tag] 1930 in russischer Übersetzung in Moskau erschien. Dass die Rezension zu Škurupijs Band, die 1931 ohne Autorenangabe in der russischen Zeitschrift „Na literaturnom postu“ erschien, wenig positiv ausfiel, lässt sich bereits anhand der Rubrik erahnen, in der sie abgedruckt wurde: „200 tysjač ėkzempljarov plochoj knižki“ [200-tausend Exemplare schlechter Bücher]. Škurupij wird darin als prätentiös und fordernd beschrieben, zudem würden seine Texte eine unverblümte Thematisierung von Sexualität enthalten; die Rezension wurde in „Na literaturnom postu“, Kn. 3 (1931), S.  24–26 publiziert, hier wurde jedoch auf die redigierte Version vor Druck zurückgegriffen, die im RGALI vorliegt; vgl. [O. V.]: „,Geo Škurupij‘ – ,Dveri v den’‘“. Perevod s ukrainskogo pod redakc. B. Elizavetskogo. GIZ. M. L. 1930. Recenzija, mašinopis’. [„200 tysjač ėkz. plochoj knižki“ – „Gus razrešil, buržuaznoe izdatel’stvo napečatalo“]. Archivbestand: RGALI, f. 1698 op. 1 ed. chr. 789.

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heitsgrades im Ausland zukam. Vernetzung und Bekanntheit müssten, so eine Kritik Škurupijs, nicht nur intensiviert, sondern vor allem professionalisiert werden: Наші поїздки за кордон і гостювання закордонних мистців треба впорядкувати. Окремі виїзди наших мистців мали досі дилетантсько […].365 [Unsere Reisen ins Ausland und die Besuche ausländischer Künstler müssen opti­miert werden. Einige Besuche unserer Künstler hatten nach wie vor etwas Dilettan­tisches […].]

Dennoch wurde das Ziel, im Ausland übersetzt zu werden, zu Lebzeiten weder von Semenko noch von Poliščuk erreicht.366 Mit dem Ende der NĖP und der verstärkten Abschottung der Sowjetunion wurden jedoch nicht nur Auslandsreisen, sondern auch das Aufrechterhalten von Kontakten ins Ausland immer schwieriger. Darüber hinaus wurden viele der Reisen von staatlichen Organisationen wie der VOKS organisiert, was die Bewegungsfreiheit und somit den Zugang zu Li­teraturzeitschriften oder Aus­ stellungskatalogen zusätzlich einschränkte. Über staat­l iche Programme wurde zudem versucht, Künstler aus dem Ausland in die Sowjet­union zurückzuholen.367 Dass die ukrainischen Aktivitäten trotz der im Vergleich mit Russland guten Vor­­bedingungen im Rahmen der Verwurzelungspolitik und der zugleich offensiv er­ folgten Versuche, sich international zu vernetzen, außerhalb des Landes dennoch nur margi­nal registriert wurden – hier sei nochmals auf Poliščuk verwiesen, der über den in der restlichen Sowjetunion vorhandenen Kenntnisstand zur ukrainischen Kunst resigniert vermerkte: „Мабуть не знають нічого“368 [Wahrscheinlich wissen sie gar nichts] –, zeigte auch einen positiven Nebeneffekt. Bedingt durch die periphere Lage kon­nte die Reflexion westeuropäischer Kunst trotz der repressiven Politik weiterhin relativ ungestört erfolgen. Die politischen Eliten, die zentralistisch von Moskau aus agierten, wussten nämlich, um nochmals Poliščuks Worte zu verwenden, ebenfalls nur wenig  – was wiederum die künstlerische Freiheit gewiss sehr begünstigte. 4.2 Zur Rezeption russischer Strömungen in der Ukraine Ungeachtet der zahlreichen Kooperationen erfuhren russische Kunst und Literatur in der Ukraine eine eher kritische Reflexion. Dies resultierte nicht zuletzt aus dem Versuch, die eigenen Positionen festzulegen und aufzuzeigen, dass die ukrainische Kunst ein von Russland gänzlich unabhängiges Phänomen repräsentierte. Vor allem die Nova Gene­racija, die in einem – freilich meist einseitig geführten – polemischen Widerstreit mit der russischen LEF stand, wusste zwar bestens über die Entwicklungen in Moskau und Leningrad Bescheid, war ihnen gegenüber jedoch äußerst skeptisch eingestellt. Mit Kritik an der LEF hielten sich die Künstler nicht zurück. Die zahl­ reichen Bezugnahmen auf die russische Schwesternorganisation enthielten überdies oft den expliziten Hinweis darauf, dass sich die Nova Generacija deutlich von der LEF unterscheiden würde. Um­gekehrt erhielt die Nova Generacija von russischer 365 366 367 368

Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 74. Auf die diesbezüglichen, ebenfalls unrealisiert gebliebenen Pläne Waldens wurde be­ reits zuvor verwiesen. Vgl. Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion, S. 290 f. Pan’kiv/Poliščuk/Černov 1929: „Mystec’kyj vinihret“, S. 73.

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Seite keine derart systematische Auf­merksamkeit. Auch Ilnytzkyj betont, dass in der „Novyj LEF“ insgesamt lediglich ein Artikel erschienen sei, der sich dezidiert der Gruppe Nova Generacija gewidmet habe,369 wobei er die 1928 erschienene Rezension von Vladimir Trenin meint.370 Weit weniger ambivalent präsentierte sich das Verhältnis zwischen Poliščuks Avan­ hard und den russischen literarischen Konstruktivisten des LCK. Neben den bereits beschriebenen Kooperationen kam es zu zahlreichen Bezugnahmen, aber auch inter­ textuellen Verweisen, die sich nicht zuletzt in der konzeptionellen Arbeit von Avanhard manifestierten. In der Zeitschrift „Avanhard“ wurden die Konzepte und Theorien des literarischen Konstruktivismus zum Teil direkt abgedruckt. Im Folgenden wird ein Überblick über die Rezeption russischer Erscheinungen in den Bereichen Literatur, Literaturtheorie sowie bildende Kunst gegeben, wobei auf die Beziehungen zur LEF, die primär durch eine wechselseitige Polemik gekennzeichnet waren, im Kapitel zur ukrainisch-russischen Polemik nochmals ausführlich eingegangen wird. 4.2.1 Literatur Während russische Literatur zwar des Öfteren  – vor allem polemisch  – diskutiert wurde, fanden russische Autoren, sei es im Original oder in Übersetzung, nur spo­ radisch Eingang in ukrainische Publikationen. Dies überrascht auch deshalb, da die vermehrte Publikation von Übersetzungen fremdsprachiger Literatur einerseits zu den Hauptaufgaben der Kulturpolitik, andererseits zu den programmatischen Forde­ rungen vieler ukrainischen Gruppierungen zählte. Bei genauerer Betrachtung der Über­tragungen wird rasch ersichtlich, dass jene aus westeuropäischen Sprachen so­ wohl in der „Nova Generacija“ als auch in „Avanhard“ deutlich stärker repräsentiert waren als jene aus dem Russischen. Die Bezugnahmen auf russische Literatur blieben zu­dem im Vergleich zur Theorie, zur bildenden Kunst oder zur Architektur ebenfalls marginal, weshalb im Folgenden nur entsprechend kurz auf die Auseinandersetzung mit russischer Literatur eingegangen, der Analyse der theoretischen Schriften dagegen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Rezeption Vladimir Majakovskijs in der „Nova Generacija“ Trotz der konzeptionellen und inhaltlichen Nähe sowie der oftmals geführten Pole­ mik mit Majakovskij finden sich in der „Nova Generacija“ überraschend wenige Bezugnahmen auf den berühmtesten russischen Futuristen. Insgesamt erschien mit „Masam ne zrozumilo“371 [Den Massen ist es unverständlich] – der zudem erst posthum publiziert wurde – gar nur ein einziger literarischer Text, für dessen Übertragung ins Ukrainische Semenko selbst verantwortlich zeichnete. Dass es sich hierbei lediglich um einen unvollständigen Auszug aus dem Original („Massam neponjatno“ [Den Massen ist es unverständlich], 1927) handelte, wird allerdings nicht offengelegt. Dem Beitrag wurde ein ganzseitiges Foto vorangestellt, das ein fast bildfüllendes Portrait des Dichters im Halbprofil zeigt372 und ganz an den Anfang des Heftes platziert wurde. 369 370 371 372

Vgl. Ilnytzkyj, 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135. Trenin, Vladimir: „Trevožnyj signal druz’jam“, in: Novyj LEF, Nr. 8 (1928), S. 30–36. Majakovs’kyj, Volodymyr [Majakovskij, Vladimir]: „Masam ne zrozumilo“, in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 3. RATAU: „Volodymyr Volodymyrovyč Majakovs’kyj“ (Foto), in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), unpag., Abb. 1.

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Erst Majakovskijs Tod373 schien für die ukrainischen Futuristen Anlass dafür zu sein, genauer auf dessen Werk einzugehen, wobei es im selben Heft noch zum Ab­druck weiterer Beiträge kam. Zu diesen zählte auch „Ostannje slovo Majakovs’koho“ [Das letzte Wort Majakovskijs], der sich bei genauerem Hinblick als weniger drastisch er­ weist, als der Titel suggeriert.374 „Das letzte Wort Majakovskijs“ stellt nämlich den Auszug aus einer Rede – und nicht die tatsächlich letzten Worte des Autors, bevor er sich in den Freitod stürzte – dar, die von Majakovskij am 25. März 1925 im Rahmen eines literarischen Abends zu seinen Ehren gehaltenen worden sei und die sich dem Verhältnis zwischen Dichter und Arbeiterklasse widmete. Ob des unmittelbar zuvor erfolgten Ablebens Majakovskijs erscheint die Auswahl des Titels („Das letzte Wort Majakovskijs“) jedoch pietätlos, weshalb vermutet werden darf, dass die ukrainischrussische Polemik mit dieser Provokation auch über den Tod hinaus fortgesetzt werden sollte. Neben Majakovskij selbst werden in „Ostannje slovo Majakovs’koho“ auch die Wortmeldungen anderer Genossen präsentiert, deren Diskussion sich da­ rum dreht, ob und warum Majakovskij den Massen unverständlich ist, wobei man sich darauf einigt, dass die Massen den Dichter ungeachtet ihres Unverständnisses brauchen würden. Worauf sich die „letzten Worte“ tatsächlich beziehen, die der Titel in den Mittelpunkt rückt, geht aus den Wortmeldungen jedoch nicht eindeutig hervor. Im selben Heft war außerdem der von S.  Vojnilovyč verfasste Nachruf „Maja­ kovs’kyj“375 enthalten, der zwar vor allem die Bedeutung von Majakovskijs Werk für die linke Kunst thematisiert, die frühe Phase des Futurismus, die noch weitgehend ohne eine politische Indienststellung auskam, aber ebenfalls einbezieht. Auf knapp elf Seiten bietet der Nachruf somit einen umfangreichen Überblick über das Ge­ samt­werk des Künstlers. Die exemplarisch gebotenen Textauszüge, die im russischen Original abgedruckt sind, stammen aus verschiedenen Schaffensperioden, wobei mit „Oblako v štanach“ [Wolke in Hosen] aus dem Jahr 1915 auch eines der bekanntesten frühfuturistischen Poeme des Autors vertreten ist. Etwas pietätlos erscheint schließ­ lich, dass der Nach­ruf auch deutliche Kritik an Majakovskij enthält, dessen Nähe zur bürgerlichen Kultur von Vojnilovyč beanstandet wurde: „Проте його діяль­ ність розгорталася в сфері буржуазної літератури. Маяковський тоді був інтелі­ гент-революціонер“376 [Doch seine Aktivitäten entfalteten sich im Bereich der bürgerlichen Literatur. Majakovskij war damals ein Revolutionär der Intelligenzia]. Interessant erscheint außerdem das Faktum, dass jene Relevanz, die Majakovskij für die Nova Generacija besaß, in diesem Nachruf keinerlei Erwähnung fand – auf das Aufzeigen von Verbindlungslinien wurde offenbar absichtlich verzichtet. Abseits dieser posthumen Bezugnahme, die schließlich einen guten Teil des ent­ sprechenden Heftes einnahm, blieben die Abdrucke russischer Literatur deutlich unter­repräsentiert, weshalb keine weiteren Beispiele angeführt werden. Il’ja Sel’vinskij in der Zeitschrift „Avanhard“ Deutlich offener gegenüber der russischen Literatur agierte die Formation Avanhard, die neben eigenen russischsprachigen Texten auch Arbeiten von mehreren russischen Autoren in ihren Publikationen präsentierte. Dass der Abdruck primär der Initiative 373 374 375 376

Majakovskij beging im April 1930 Selbstmord. Vgl. [Red. NG] 1930: „Majakovs’kyj, Volodymyr: Ostannje slovo Majakovs’koho“. Vojnilovyč, S.: „Majakovs’kyj“, in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 30–40. Ibd. S. 33.

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der ukrainischen Seite zu verdanken war, geht aus mehreren Korrespondenzen hervor. Nicht ohne Stolz verwies Avanhard bei den einzelnen Beiträgen darauf, dass diese entweder eigens angefertigt worden seien oder, wie bei Sel’vinskijs Text der Fall, bis­ lang noch unveröffentlichtes Material darstellten. Mit „Liričeskij nabrosok“377 [Lyri­ sche Skizze] sollte offenbar ein auszugsweiser Vorabdruck aus Sel’vinskijs Roman in Versform „Puštorg“ [Der Pelzhandel] geboten werden, wobei dieser noch im selben Jahr in voller Länge in Russland publiziert wurde.378 Insgesamt umfasste der Textauszug lediglich vier Strophen mit je acht Verszeilen und nahm in der Zeitschrift nur knapp eine halbe Seite ein. Der Redaktion zufolge repräsentierte „Liričeskij nabrosok“ einen Beitrag „найвизначнішого сучасного російського поета“ [des prominentesten zeit­­ genössischen russischen Poeten]. Für diese Darstellung, die freilich nicht einer ge­ wissen Übertreibung entbehrte, wurde folgende Erklärung offeriert: В час розкладу поетичних форм футуризму, в час, коли Єсеніна немає, а Мая­ ковський після своїх „моссельпромахів“ не може ніяк стати на ноги,  – блискуча творчість Сельвинського веде про від в російськи поезії.379 [Zu einer Zeit des Zerfalls der poetischen Formen des Futurismus, zu einer Zeit, in der Esenin nicht mehr am Leben ist und Majakovskij nach seinen „MosselpromAbenteuern“ nicht mehr auf die Beine zu kommen scheint, ist das brillante Werk Sel’vinskijs führend innerhalb der russischen Poesie.]

Poliščuk spricht also von einer Unausweichlichkeit, mit der Sel’vinskij nach Esenins Tod380 und dem Abdriften Majakovskijs in die Ideologie381 die literarische Vorreiter­ rolle der beiden ehemals wichtigsten Dichter hätte erben müssen. Die Bürokratisierung der Sowjetunion hatte Ende der 1920er-Jahre auch aus ukrainischer Sicht zu jenem kulturellen „Loch im Osten“ geführt, das Morus in seinem bereits erwähnten Beitrag für Russland konstatierte.382 Dieses Vakuum habe, so Poliščuk, durch Sel’vinskij zu­ mindest teilweise ausgefüllt werden können. Dass die Gedichte und Essays von Sel’vinskij ebenso wie jene von Chlebnikov und Zelinskij in den Publikationen von Avanhard nicht in ukrainischer Übersetzung, sondern im Original abgedruckt wurden, erklärte Poliščuk in einem persönlichen Brief an Zelinskij wie folgt: Мы, как Вам известно, местим [sic] материалы в оригиналах – это наш принцип […] Всякий украинец, более чем менее грамотный, поймет Вашу русскую статью,

377 378 379 380 381 382

Sel’vinskij, Il’ja: „Liričeskij nabrosok“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo, Nr. 3 (1929), S. 105 (russisch). „Puštorg“ erschien 1929 in Moskau. Sel’vinskij, Il’ja: Puštorg. Moskva/Leningrad: Gosudarstvennoe Izdatel’stvo 1929. [Red. AVH]: „Anmerkungen zu „Il’ja Sel’vinskij, Liričeskij nabrosok“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 105. Der russische Dichter Esenin beging 1925 Selbstmord. Majakovskij wandte sich Mitte der 1920er-Jahre im Rahmen der „Novyj LEF“ und der Hinwendung zur „Literatura fakta“ von der poetischen Dichtung ab. Vgl. Morus 1930: „Das Loch im Osten“, S. 849.

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а кроме того сюда присоединяются еще и все русские читатели, интересующиеся конструктивизмом во всем СССР.383 [Wie Sie wissen, werden Materialien von uns im Original beigefügt  – das ist unser Prinzip […] Jeder mehr oder weniger gebildete Ukrainer wird Ihren russischen Bei­trag verstehen, und daneben werden auch alle russischen Leser miteingebunden, die sich für den Konstruktivismus in der gesamten UdSSR interessieren.]

Der Status der eigenen Strömung sowie das Verhältnis zu anderen sollte durch den russischsprachigen Abdruck also auch außerhalb der Sprachgrenzen nachvollziehbar sein. Zugleich wurde aber suggeriert, dass zwar jeder („mehr oder weniger gebildete“) Ukrainer des Russischen mächtig gewesen, das Ukrainische jedoch nur Ukrainern ver­ ständlich sei. Es kommt hier somit zu keiner Abgrenzung, sondern umgekehrt sogar zu einer Integration des Russischen, das der eigenen Sache nützlich sein konnte und somit eine Mittlerfunktion einnahm. Die Verwendung des Russischen konnte nämlich in den Augen von Avanhard dazu dienen, das eigene Projekt auch über sprachliche Grenzen hinaus zu popularisieren. 4.2.2 Literaturtheorie Theorie und Kritik spielten in der ukrainischen Avantgarde eine ähnlich wichtige Rolle wie in den russischen futuristischen und konstruktivistischen Strömungen. Die Formulierung eigener Theorien wurde sowohl von der Nova Generacija als auch von Avanhard durch eine starke Rezeption der russischen Kunst- und Literaturtheorie er­gänzt. Neben Konzepten der LEF wurden in der „Nova Generacija“ vor allem die Theorien des russischen Formalismus rezipiert.384 Der Einfluss formalistischer Theorien auf ukrainische Künstler lässt sich anhand zahlreicher Essays und Analysen belegen, die sich auf russische Konzepte stützten oder diese auf theoretischer Ebe­ ne diskutierten – und dies auch dann noch, als der Formalismus in den späten 1920erJahren von offizieller Seite zunehmend diffamiert wurde. Dass Šklovskij als Mitglied der Nova Generacija aufschien, bedeutete auch hier keineswegs, dass er tatsächlich aktiv am ukrainischen Projekt partizipierte. Um intensiv auf das ukrainische Verhältnis zum Formalismus einzugehen, bleibt in der vorliegenden Arbeit leider kein Raum, weshalb die folgenden Anknüpfungspunkte lediglich als exemplarisch zu verstehen sind. Bei Avanhard erfolgten Bezugnahmen dagegen vor allem auf die Gruppe LCK, die im Folgenden ebenfalls aufgezeigt werden. Oleksij Poltorac’kyj, „Kriz’ formal’nu metodu“ (1927) Mit Poltorac’kyjs Essay „Kriz’ formal’nu metodu“385 [Durch die formale Methode] erfolgte bereits in der zweiten Ausgabe der „Nova Generacija“ eine ausführliche Aus­ einandersetzung mit formalistischen Ansätzen, wobei Boris Ėjchenbaum als wich­

383 384 385

Brief von Valerijan Poliščuk an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929. Archivbestand: RGALI, f. 1604, op. 1, ed. chr. 970. Ilnytzkyj konstatiert bei der Nova Generacija sowohl eine konstruktivistische als auch eine formalistische Ader; vgl. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 135. Vgl. Poltorac’kyj, Oleksij: „Kriz’ formal’nu metodu“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1927), S. 38–44.

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tigster Vertreter des Formalismus bezeichnet wird.386 Dass sich der knapp sieben­ seitige Beitrag vor allem auf dessen Band „Skvoz’ literaturu“387 [Durch die Literatur] (1924) bezieht, lässt sich bereits anhand des Titels erahnen, der eine mehr als deutliche Allusion auf Ėjchenbaum enthält. Die beiden weiteren besprochenen Bände „Poėtika kino“ [Die Poetik des Kinos] (hgg. ebenfalls von Ėjchenbaum, 1927) und „Fel’eton“ [Feuilleton] (hgg. von Jurij Tynjanov und Boris Kazanskij, 1927) waren offenbar zu dieser Zeit noch wenig beforscht und stellten in den Augen Poltorac’kyjs gänzlich neue Ansätze dar. Da zwei der drei erwähnten Bände nur unmittelbar vor Poltorac’kyjs Beitrag erschienen waren, zeichnete sich dieser durch eine besondere Aktualität aus. Šklovskij tritt in Poltorac’kyjs Analyse etwas in den Hintergrund, wenngleich eingangs erwähnt wird, dass es ursprünglich er gewesen sei, der den nunmehr von Ėjchenbaum beschrittenen „großen Weg“ des Formalismus geebnet habe.388 „Skvoz’ literaturu“ wird als Werk präsentiert, das die ersten zehn Jahre seit der Entstehung des Formalismus resümiere. Die „ultra-idealistischen Ansichten“ („ультраідеалістичні погляди“) der Formalisten sowie der frühe „unversöhnlich formale Zu­ gang zum konkreten literarischen Material“ („непримиримо-формальний підхід до конкретного літературного матерія­лу [sic]“) müssten unter Bezugnahme auf die damalige historische Situation betrach­tet werden, als Literatur nach Maßstäben der Fiktion, nicht jedoch anhand ihres spezifischen Materials bewertet wurde und nach wie vor die auf subjektiven ästhe­tischen und philosophischen Theorien basierende literarische Schule der Symbo­l isten dominierte.389 Poltorac’kyj verweist außerdem da­ rauf, dass es in der Ukraine zur selben Zeit eine ähnliche Situation gegeben habe. Als wichtige Aufgabe des Formalismus führte Poltorac’kyj die Erforschung des lite­­rarischen Faktums an, wobei die wichtigsten Erfolge in der Evolution von Ėjchen­ baums Theorien zu Form und Funktion im Verständnis des Sujets und im Verständnis des Materials als Element, das als Teil der Konstruktion fungiert, gelegen seien.390 Besonderes Augenmerk wird dem Band zur Poetik des Kinos gewidmet, wobei ins­ besondere Beiträge von Tynjanov sowie von Adrian Piotrovskij (fälschlicherweise als Andrej angegeben) hervorgehoben werden.391 Mehrmals versucht Poltorac’kyj  – wenn auch teils über Umwege – einen direkten persönlichen Kontakt zu den Forma­ listen zu belegen, indem bspw. Gegebenheiten mit einem Verweis auf nicht genannte mündliche Quellen untermauert werden: „як нам передавали“392 [wie man uns mitgeteilt hat]. Sein Bei­trag habe, so das Resümee Poltorac’kyjs, gezeigt, „як корисні є для науки й для суспільного життя праці формалістів“393 [wie nützlich die Arbei­ ten der Formalisten für die Wissenschaft und das gesellschaftliche Leben sind]. Polto­rac’kyj gibt jedoch abschließend kritisch zu bedenken, dass nunmehr eine Syn­ these von formaler und soziologischer Schule notwendig sei, um das Verständnis von Kunst als Mittel des ideologischen Einflusses nachhaltig zu etablieren.394 Dass es 386 387 388 389 390 391 392 393 394

Vgl. Poltorac’kyj 1927: „Kriz’ formal’nu metodu“, S. 39. Ėjchenbaum, Boris (Hrsg.): Skvoz’ literaturu. Sbornik statej. Leningrad: Academia 1924. Vgl. Poltorac’kyj 1927: „Kriz’ formal’nu metodu“, S. 39. Vgl. ibd. S. 39. Vgl. ibd. S. 40. Vgl. ibd. S. 42. Ibd. S. 39. Ibd. S. 44. Vgl. ibd.

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hier zu einer Umdeutung des Formalismus in Richtung Ideologie kommt, ist sicher als Hinweis auf die sow­jetische Kritik gegenüber dem Formalismus zu verstehen, in deren Rahmen bereits der Terminus „Formalismus“ eine negative Konnotation er­ hielt. Die von Poltorac’kyj ge­äußerte Absicht, Ėjchenbaums in Kürze erscheinender Arbeit zum literarischen Alltag – gemeint war damit wohl dessen „Literaturnyj byt’“ [Der literarische Alltag] (1927) – eben­falls Platz auf den Seiten der „Nova Generacija“ einzuräumen,395 wurde jedoch nicht realisiert. Anatolij Sanovyč, „Knyha faktiv“ (1929) Zwei Jahre nach Poltorac’kyjs Auseinandersetzung mit dem Formalismus erschien Sanovyčs polemisches Essay „Knyha faktiv“396 [Das Buch der Fakten], das ebenfalls zahlreiche – wiewohl nicht immer als solche deklarierte – intertextuelle Verweise auf die russische formale Schule bereithielt. „Knyha faktiv“ verdeutlicht aber auch die zu­ nehmend kritische Position der LEF gegenüber. Auf beide Aspekte – auf die LEF-Kritik ebenso wie auf die Formalismus-Rezeption – wird im Folgenden kurz eingegangen. Die „Litreportaž“ (Literarische Reportage), insbesondere die Reisereportage, nehme einen besonderen Stellenwert innerhalb der künstlerischen Literatur ein. Ne­ ben der Erläuterung der für die Reisereportage wichtigen Verfahren, zu denen vor allem die Montage zählt, werden einige für dieses Genre charakteristische Werke präsentiert und hinsichtlich ihres Aufbaus analysiert. Bei der Zusammenstellung einer Anthologie müsse das Verfahren der Montage zum Sujet werden, wobei das Sujet als das Ergebnis der Korrelation verschiedener Mate­rialien resp. des Verhältnisses der einzelnen Komponenten innerhalb einer Montage definiert wird.397 Ohne es zu deklarieren, stellte Sanovyč damit einen un­ mittelbaren Bezug zu den Theorien der Formalisten, insbesondere Šklovskijs, her. Šklovskij definierte nämlich das Sujet als jenes verfremdende Verfahren, das auf die Fabel und somit die Handlung in ihrem chronologischen Ablauf einwirkt.398 Zur Veranschaulichung nimmt Sanovyč einige russische Reisereportagen kritisch in den Blick, die von LEF-Künstlern resp. Mitgliedern des LCK stammen. Neben Kušner, Aseev (beide LEF) und Vera Inber (LCK) wird etwa Boris Pil’njak angeführt,399 auf den in der Ukraine zu dieser Zeit außergewöhnlich oft Bezug genommen wurde. Als primitiv bezeichnet Sanovyč jenes Schema des Buchaufbaus400, bei dem der Autor/die Autorin die Eindrücke und Erlebnisse einer Reise im Hauptteil des Textes beschreibt, um schließlich die Reise retour in Form eines Epilogs zu schildern. Dieses Schema würde sowohl von Kušner, Aseev als auch von Inber verwendet. Inbers Reportage 395 396 397 398

399 400

Zu dieser Absicht vgl. Poltorac’kyj 1927: „Kriz’ formal’nu metodu“, S. 39. Sanovyč, A.: „Knyha faktiv“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 56–62. Vgl. ibd. S. 57. Vgl.  Schmid, Wolf: „Russische Literaturtheorie und Narratologie“, in: Dierken, Jörg/ Stuhlmann, Andreas (Hrsg.): Geisteswissenschaften in der Offensive. Hamburger Standort­ bestimmungen. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2009, S. 100–116, hier S. 104. — Šklovskij beschrieb diese Dichotomie erstmals 1919: Šklovskij, Viktor: „Svjaz’ priemov sjužetosložennija s obščimi priemami stilja“, in: Striedter, Jurij (Hrsg.): Texte der russischen Formalisten. Bd. I, München: Fink 1969, S. 36–121. Vgl. Sanovyč 1929: „Knyha faktiv“, S. 57 f. Aufbau bezieht sich hier ganz im konstruktivistischen Sinne auf das Sujet, somit auf die einbezogenen Verfahren und die Montage der einzelnen Teile des Textes, nicht auf den Handlungsaufbau.

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„Amerika v Pariže“ [Amerika in Paris] (1928) folge einem gänzlich zufälligen Aufbau, während das präsentierte Thema keinen Bezug zur Quantität und zur Qualität der verwendeten Materialien habe, sodass sich das Thema nicht angemessen im Einsatz des Materials wiederfindet.401 Neben der durchwegs kritischen Bezugnahme auf die genannten russischen Autoren wird im Gegensatz dazu der deutschsprachige Publizist Egon Erwin Kisch in einem deutlich positiveren Licht präsentiert. Dass es sich bei dessen Reportagen eben nicht, wie auf den ersten Blick anzunehmen wäre, um eine Kombination verschiedener Themen handelt, versucht Sanovyč unter Bezugnahme auf ein nicht näher ausgewiesenes Zitat Šklovskijs zu belegen, in dem dieser auf einen Text Vasilij Rozanovs eingeht.402 In der Einbeziehung dieses Zitates kommt es also zumindest ansatzweise zu einer Offenlegung von Šklovskij als Quelle für die von Sanovyč ver­ wendeten methodischen Ansätze. Das simple Prinzip des „Hin“ und „Zurück“ der Reise würde bei Kisch, etwa in „Wagnisse in aller Welt“ (1927), verworfen und stelle daher ähnlich wie Rozanovs von Šklovskij zitierter Text etwas Formloses dar, das jedoch zumindest in der Art seiner Montage eine Konsistenz aufweise.403 Im vielschichtigen Einsatz von Material zeige sich eine Analogie zu bildenden Künstlern wie Tatlin oder Al’tman. Das Material wird somit ähnlich einer Collage in der bildenden Kunst in unterschiedlichen Schichten aufgebaut, sodass der Text eine Faktura erhält. Die daraus resultierende Schroffheit des Buchs – und hier folgt schließlich die Auflösung des zuvor verwendeten Zitates  – stelle wiederum ein Echo Šklovskijs dar,404 wobei damit wohl Šklovskijs Definition von „Sujet“ als „künstlerischer Konstruktion“, die aus der Fabel, der Beschreibung von Ereignissen, geformt wird, gemeint ist.405 Abschließend verweist Sanovyč auf die ukrainische Literatur, die bislang keine den An­forderungen eines konstruktiven Buchs entsprechenden Beispiele für Reise­ reportagen hervorbringen konnte. Poliščuks „Rozkol Evropy“406 [Die Spaltung Euro­ pas] wurde von Sanovyč harsch kritisiert. Die darin enthaltene Technik, Fakten zu überzeichnen, würde den von Šklovskij beschriebenen Kinderkrankheiten sujetloser Arbeiten entsprechen.407 Sanovyč bezieht sich hier möglicherweise auf Šklovskijs 1925 in der Zeitschrift „LEF“ publiziertes Essay „O Pil’njake“ [Über Pil’njak], in dem Šklovskij der Arbeit Pil’njaks ebenfalls Sujetlosigkeit konstatierte.408 Sanovyčs Beitrag erweist sich insofern als relativ aktuell, als neuere Werke sowohl der russischen als auch der westeuropäischen Literatur einbezogen wurden. Hier sei 401 402

403 404 405

406 407 408

Sanovyč 1929: „Knyha faktiv“, S. 58 f. Vgl.  Sanovyč 1929: „Knyha faktiv“, S.  59.  — Šklovskijs Zitat stammt aus dem 1925 publizierten Essay „Literatura vne ,sjužeta‘“, in: Teorija prozy. Moskva: Krug 1925.  — Das Essay erschien im Original erstmals 1921 unter dem Titel „Tema, obraz i sjužet Rozanova“ in Žizn’ iskusstva. Sanovyč 1929: „Knyha faktiv“, S. 59. Ibd. S. 59 ff. Šklovskij, Viktor: „Der parodistische Roman. Sternes ,Tristram Shandy‘“, in: Striedter, Jurij (Hrsg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Fünfte, unveränderte Auflage. (= Uni Taschenbuch 40), München: Wilhelm Fink Verlag 1994, S. 245–299, hier S. 297 ff. „Rozkol Evropy“ erschien in der gleichnamigen Essaysammlung; Poliščuk, Valerijan: Rozkol Evropy. Kyjiv [ohne Verlagsangabe] 1925. Sanovyč 1929: „Knyha faktiv“, S. 61 f. Šklovskij, Viktor: „O Pil’njake“, in: LEF, Nr. 3 (1925), S. 126–136, hier S. 126.

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jedoch angemerkt, dass es sich bei Kisch um einen Autor handelte, der selbst mehr­ mals die Sowjetunion bereiste,409 sodass seine Bekanntheit möglicherweise auch auf seine Prä­senz vor Ort zurückzuführen ist. Über seinen Aufenthalt in der Ukraine berichtete er zu Beginn der 1930er-Jahre in mehreren deutschsprachigen Zeit­ schriften, zu denen z. B. „Blätter für Alle“ zählte.410 Die Einbeziehung formalistischer Konzepte, die mit dem Titel „Knyha faktiv“ ange­kündigt wurde, wird im Text nicht offengelegt. Die Bedeutung des Faktums, das titel­gebend und somit dominant erscheint, tritt im Beitrag, der vor allem der Reise­ reportage gewidmet ist, ebenfalls nicht angemessen hervor, weshalb die Wahl des Titels als eher unmotiviert bezeichnet werden kann. Oleksij Poltorac’kyj, „Proty nedobytkiv formalizmu“ (1930) Wenig später kam es von Seiten der Nova Generacija erneut zu einer Abgrenzung von den Theorien des Formalismus, als dieser in der gesamten Sowjetunion generell in eine Abseitsposition gedrängt wurde.411 Poltorac’kyj wies im Essay „Proty nedobytkiv formalizmu“412 [Gegen die Überreste des Formalismus] jeden Zusammenhang zwischen ukrainischem Futurismus und russischem Formalismus zurück. Weder Literaturtheorie noch Kritik der Nova Generacija sowie vorangegangener Ausrichtungen der futu­ ristischen Strömung hätten auf formalistischen Positionen basiert, wenngleich sich in der Ukraine ein gewisser Einfluss auf einige Vertreter der Literaturtheorie erkennen ließe. Poltorac’kyj kritisierte in „Proty nedobytkiv formalizmu“ V. Kovalevs’kyjs im selben Jahr in der „Nova Generacija“ erschienenes Essay „Rytmovi šukannja sučasnoji ukrajins’koji poeziji“413 [Rhythmische Versuche in der zeitgenössischen ukrainischen Poesie], das sich mit dem Einsatz von Rhythmen bei ukrainischen und russischen Autoren befasst. Es stelle ein Beispiel dafür dar, wie längst bekannte Konzepte, die von den Formalisten 1916 postuliert wurden, in der Ukraine zu Beginn der 1930erJahre als gänzlich neue Erkenntnisse präsentiert würden. Kovalevs’kyj würde „вийти за межі примітивної формалістичної дисциплінки про ритміку“ [über die Grenzen

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412 413

Kisch reiste 1926 erstmals in die Sowjetunion und machte neben Moskau und Leningrad auch in Charkiw und im Donbass-Becken Station; im Jahr darauf publizierte er unter dem Titel „Zaren, Popen, Bolschewiken“ eine Reisereportage über die Sowjetunion, die Sanovyč allerdings nicht erwähnt. Für direkte Kontakte Kischs mit sowjetischen Intellektuellen existieren trotz seiner zahlreichen Aktivitäten nur relativ wenige Belege, Patka verweist lediglich auf eine mögliche Begegnung mit Lunačarskij. Sein Renommee in der Ukraine war derart groß, dass er 1930 an der Universität Charkiw eine Gastprofessur für Journalistik erhielt; vgl. Patka 1997: Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors, S. 122. Vgl. Patka, Marcus G. (Hrsg.) (1998): Egon Erwin Kisch. Der rasende Reporter. Eine Bio­ graphie in Bildern. Berlin: Aufbau-Verlag 1998, S. 124 f. Zur Entwicklung des Formalismus vgl.  insbes. Hansen-Löve, Aage: Der russische Formalismus. Methodologische Rekonstruktion seiner Entwicklung aus dem Prinzip der Verfremdung. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1978; vgl. auch Striedter 1969: „Zur formalistischen Theorie der Prosa und der literarischen Evolution“, S. IX ff. Poltorac’kyj, Oleksij: „Proty nedobytkiv formalizmu“, in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 49–52, hier S. 49. Zum kritisierten Text vgl. Kovalevs’kyj, V.: „Rytmovi šukannja sučasnoji ukrajins’koji poeziji“, in: Nova Generacija, Nr. 1 (1930), S. 26–31.

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der primitiven formalistischen Disziplin der Rhythmik hinausgehen].414 Die aktuelle Theorie müsse sich, so die Conclusio, auch in der Ukraine von den überholten forma­ listischen Prinzipien verabschieden. Dass Poltorac’kyjs Kritik primär auf Mit­glieder der eigenen Vereinigung und deren Rezeption des Formalismus abzielte, belegt die Meinungsvielfalt, die innerhalb der Nova Generacija toleriert wurde, zeigt aber zugleich die zunehmende Distanzierung vom Formalismus, die auch im Kontext der generellen sowjetischen Debatte zu verstehen ist, innerhalb der die formalistischen Konzepte als bourgeois diskreditiert wurden. Petr Neznamov, „Na fronti fakta“ (Gastbeitrag in der „Nova Generacija“) (1929) Einen generellen Überblick über die Grundsätze von der LEF resp. der „Novyj LEF“ bietet ein Essay, das 1929 unter dem Titel „Na fronti fakta“415 [An der Front des Faktums] in der „Nova Generacija“ abgedruckt wurde. Als Verfasser firmierte mit Petr Neznamov [eigentlich Petr Ležankin] ein fast gänzlich unbekannt gebliebe­nes Mitglied der LEF, das in der ukrainischen Zeitschrift ebenfalls als Teil der Redaktion aufschien.416 Neznamov zufolge war die „Novyj LEF“ nicht nur eine Zeit­schrift, sondern repräsentierte auch eine Weltanschauung, eine Strömung und eine Arbeitsgemeinschaft von Menschen, die sich mit dem Problem der sozialen Funktion von Kunst befassten. Eine wichtige Aufgabe der Vereinigung lag demgemäß im Kampf gegen den Passeismus417, der nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen sei.418 Eine der Grundideen der LEF bestand darin, das reale Leben auch in der Literatur widerzuspiegeln. Mit der „Novyj LEF“ habe man sich, so Neznamov, von der Belletristik, der Staffeleimalerei sowie der poetischen Lyrik losgesagt, während revo­lutionäre Gedichte wie jene von Majakovskij und Aseev für das Medium Zeit­schrift geradezu prädestiniert seien. Ein literarischer Stoff sei umso interessanter, je weniger Fiktion und je mehr real existierende Fakten enthalten sind.419 Neznamov weist auf die wichtige Funktion des Skizzenbuchs („записна книжка“) hin, das in der „Novyj LEF“ ein eigenständiges publizistisches Genre darstellte, in dem Theorie und Praxis, wissenschaftlicher Diskurs, Alltagsthemen sowie Feuilleton und Reportage vereint wurden. Wie aus einem Kommentar der Redaktion ersichtlich wird, sollte der Ab­druck von Neznamovs Beitrag vor allem dazu dienen, die Unterschiede zwischen der Nova Gene­racija und der LEF hervorzuheben. Die redaktionellen An­ merkungen sol­lten über­dies eine Replik auf die nur kurz zuvor in der „Novyj LEF“ erschienene, von Trenin verfasste Rezension der „Nova Generacija“ darstellen, die sehr kritische Worte über das ukrainische Projekt enthielt.420 414 415 416

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418 419 420

Poltorac’kyj 1930: „Proty nedobytkiv formalizmu“, S. 50. Neznamov, Petr [Ležankin, Petr]: „Na fronti fakta“, in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 254–257. Dem Beitrag ist ein Hinweis der Redaktion beigefügt, dass er eigens für die „Nova Ge­ neracija“ angefertigt worden sei. In Anbetracht der geringen Bedeutung resp. Bekannt­ heit des Autors wirkt diese Anmerkung wenig spannend, dennoch schien auch Nezna­ mov von nun an in der Liste jener Personen auf, die an der Zeitschrift parti­zipierten. Unter „Passeismus“, für den alternativ auch die Bezeichnung „Passatismus“ gebräuchlich ist, lässt sich die Neigung zu Vergangenem verstehen, der zugleich eine Ablehnung der Gegenwart inhärent ist. Vgl. Neznamov 1928: „Na fronti fakta“, S. 254 f. Vgl. ibd. Ausführlicher zur Kritik Trenins vgl. das Kapitel „Zur Wahrnehmung der ukrainischen Avantgarde in Russland“ in diesem Band.

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Russische Literaturtheorie bei Avanhard: Kornelij Zelinskij, „Biznes i Dostoevskij“ (1929) Die Diskussion russischer Literatur erfolgte bei Avanhard deutlich gemäßigter als bei den ukrainischen Futuristen. Strömungen wie der literarische Konstruktivismus wurden zwar eindeutig positiv dargestellt, trotzdem wurde versucht, die Unterschiedlichkeit und somit die Einzigartigkeit der eigenen Innovationen zu unterstreichen. Dass der Russische Konstruktivismus einen maßgeblichen Einfluss auf ukrainische Gruppen, insbesondere auf Avanhard, hatte, wurde bereits eingangs erläutert. Analog zu diesen Impulsen erfolgte auch die Rezeption der literarisch-konstruktivistischen Theorien primär durch die Vertreter des Konstruktiven Dynamismus, die einen Schwerpunkt auf die Reflexion der Arbeiten von Sel’vinskij und Zelinskij legten. Einerseits wurden literarische und theoretische Texte direkt übernommen und publiziert, andererseits sind die Spuren auch in eigenen Konzepten evident. Mit Zelinskijs „Biznes i Dostoevskij“ [Business und Dostoevskij] kam es in „Avan­ hard“ zu einer weitgehend unkommentierten Übernahme einer literaturtheoretischen Arbeit des LCK. Das Essay, das mit sieben Seiten sehr umfangreich ausfällt, bietet einen relativ weit gefassten generellen Überblick über die Entwicklungen in der russischen Literatur, wobei diese im Vergleich mit der europäischen, aber auch der amerikanischen Kultur beleuchtet werden. Den USA gegenüber nimmt der LCK eine deutlich kritische Haltung ein, die sich gewiss als Teil eines generellen Anti­ amerikanismus in der linken Kunst verstehen lässt. Doch auch der russische Futurismus wird kritisiert, dessen künstlerische Leistungen ebenso in Zweifel gezogen werden wie dessen generelle Bedeutung für die Kunst: „Где-то шумели футуристы, во главе с Маяковским“421 [Irgendwo lärmten die Futuristen, angeführt von Majakovskij]. Der Futurismus wird damit zu einer peripheren Erscheinung deklassiert, was zwar Ende der 1920er-Jahre der Realität entsprach, für die Jahre davor, auf die sich der Beitrag ebenfalls bezog, jedoch nicht zutraf. Der prärevolutionäre Futurismus war aufgrund seiner provokativen Aktionen zumindest eine auffällige Erscheinung, und in den Jahren nach der Revolution konnte die LEF nicht zuletzt aufgrund ihrer hegemonialen Haltung einen wichtigen Teil der Kunstszene dominieren. Dass die Kritik des LCK vor allem der LEF galt, stellt eine wichtige Analogie zu den beiden ukrainischen Gruppierungen dar, die sich in ähnlicher Weise (Futurismus versus Konstruktivismus) gegenüberstanden und sich auch entsprechend gegenseitig attackierten. Die Übernahme von Texten in der Originalsprache, wie sie mit „Biznes i Dosto­ evskij“ erfolgte, war eines der Prinzipien der Gruppe, wie Poliščuk in einem Brief an Zelinskij betonte. Die in der Ukraine abgedruckten Texte könnten so auch Leserkreisen außer­halb der Sowjetunion zugänglich gemacht werden: „[…] иностранному читат. лучше русский чем украинский.“422 [[…] für den ausländischen Leser ist das Russische besser als das Ukrainische.] Angaben der Redaktion zufolge wurde „Biznes i Dostoevskij“ explizit für die ukra­ inische Zeitschrift verfasst. Der Titel lässt jedoch auf eine Analogie zum dritten vom LCK herausgegebenen Sammelband „Biznes“ schließen, der im selben Jahr in Mos­ kau erschienen ist. Neben Zelinskijs theoretischem Essay „Konstruktivnyj socializm“ [Konstruktiver Sozialismus] waren in „Biznes“ vor allem literarische Texte von Mit­ 421 422

Zelinskij 1929: „Biznes i Dostoevskij“, S. 162. Brief von Valerijan Poliščuk an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929. Archivbestand: RGALI, f. 1604, op. 1, ed. chr. 970.

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gliedern des LCK enthalten, etwa von Sel’vinskij sowie der mittlerweile von Odessa nach Moskau übersiedelten Autorin Vera Inber. Bei der Präsentation internationaler Autoren kam es auch bei Avanhard häufig zu einer überhöhten Darstellung ihrer Relevanz. So wurde bspw. Sel’vinskij in Ze­ linskijs Es­say „Biznes i Dostoevskij“ als „один из крупнейших современных рус­ ских поэтов“423 [einer der größten zeitgenössischen russischen Dichter] bezeichnet. Umgekehrt wurde Zelinskij, dem innerhalb des LCK eine wichtige Rolle als Theoretiker zukam, von Avanhard als „[один з] найвидатніших і найглибших російських критиків“ [[einer der] bedeutendsten und tiefsinnigsten russischen Kritiker] beschrieben, was ebenso eine Übertreibung darstellte wie die Darstellung Sel’vinskijs als einer der wichtigsten russischen Dichter. Zelinskijs Publikationsaktivitäten waren Ende der 1920er-Jahre äußerst intensiv, weshalb die meisten seiner Arbeiten aus dem Jahr 1929 stammen. Interessanterweise wird jedoch der ukrainische Beitrag, obwohl als Typoskript im RGALI archiviert, in den Werkver­zeichnissen des Autors nicht angeführt – und dies, obwohl die sprachliche Barriere hier, da er auf Russisch verfasst ist, keine Ursache darstellen kann. 4.2.3 Bildende Kunst Die Auseinandersetzung mit russischen Erscheinungen in der bildenden Kunst fiel im Vergleich zu jener mit deutschen und französischen Strömungen deutlich geringer aus, weshalb vor allem Künstler und Werke aus Frankreich und Deutschland rezipiert wurden. Die intermedial ausgerichtete Zeitschrift „Nova Generacija“ versuchte uni­ versell zu agieren und alle Formen der Kunst in ihre kunsttheoretischen Debatten zu implementieren, was im Folgenden kurz veranschaulicht wird. Da sich Avanhard primär als literarische Vereinigung verstand und somit kaum auf bildende Kunst re­ kurrierte, sind keine sie betreffenden Beispiele angeführt. Innenperspektive: Kazimir Malevič Im Hinblick auf die Russland-Rezeption waren die Beiträge Malevičs in der „Nova Generacija“ von besonderer Bedeutung. Malevič, der zwischen 1928 und 1930 am Kiewer Kunstinstitut lehrte, bezeichnete seine kunsttheoretischen Beiträge als Lektio­ nen, die die ukrainische Leserschaft über die Grundlagen der modernen Kunst unterrichten sollten. Diese Lektionen erschienen monatlich als eigene kunst­ theoretische Serie, deren Einzelbeiträge aufeinander aufbauend konzipiert waren und einen teils komparatistisch angelegten Einblick in Strömungen wie den Kubis­ mus, den Futurismus, den Supre­matismus und den Konstruktivismus boten. Der 1929 publizierte Beitrag „Leže, Gri, Herbin, Metcinger“424 [Léger, Gris, Herbin, Metzinger] erschien bspw. als Teil einer Reihe von didaktisch angelegten Beiträgen zu den vier Stadien des Kubismus. Malevič geht darin auf den räumlichen Kubismus ein, für den er alternativ die Bezeichnung „räumlich-konstruktivistischer Kubismus“ vor­schlägt.425 Die Essays wurden meist durch um­fangreiches Bildmaterial ergänzt, das teilweise über recht beachtliche Qualität ver­fügte. Vordergründig widmeten sich 423 424 425

Zelinskij 1929: „Biznes i Dostoevskij“, S. 165. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Leže, Gri, Herbin, Metcinger“, in: Nova Generacija, Nr. 5 (1929), S. 57–67. Vgl. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Prostorovyj Kubizm“, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 63–67.

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einige davon zwar russischen Erscheinungen, be­zogen dabei jedoch stets auch den west­europäischen Kontext mit ein. In „Kon­struktyvne maljarstvo rosijis’­kych malja­ riv i Konstruktyvizm“426 [Die konstruktive Malerei der russischen Maler und der Konstruktivismus], einem knapp sechsseitigen Essay mit sech­zehn Ab­bildungen, be­ tonte Malevič den Einfluss der französischen Kunst auf die Entwicklungen in Russ­ land. Dieser würde sich im russischen Konstruktivismus besonders deutlich zeigen. So sei der räumliche Kubismus, der für das Werk von Pablo Picasso und Archipenko kennzeichnend war, von Tatlin aus Frankreich nach Russland transferiert worden, wo er auf weitere konstruktivistische Künstler einen Einfluss ausübte. Tatlins KonterReliefs, die als frühe Beispiele für das Spiel mit der Oberfläche und die Relevanz der Faktura gelten, seien ebenso wie die Werke anderer Konstruktivisten maßgeblich durch Picasso inspiriert.427 Im Weiteren erläutert Malevič die verschiedenen Phasen des Konstruktivismus, wobei er auch auf den Übergang vom räumlichen zum utilita­ ristischen, also zweckorientierten Konstruktivismus eingeht.428 Im darauf­folgenden Heft wurde die Serie mit dem Essay „Rosijis’ki Konstruktyvisty i Kon­struktyvizm“429 [Russische Konstruktivisten und Russischer Konstruktivismus] fortgesetzt, das die weitere Entwicklung der Strömung thematisierte. Der Beitrag „Kubo-futuryzm“430 [Der Kubofuturismus], der in Heft 10 des Jahres 1929 erschien, lässt aufgrund seines Titels ebenfalls eine Auseinandersetzung mit der russischen Kunst erwarten, gilt doch der Kubofuturismus als erste und wichtigste Erscheinung des russischen Futurismus. Es wird jedoch keine Studie über den rus­ sischen Futurismus geboten, sondern die Entwicklung des Futurismus anhand der italienischen und französischen bildenden Kunst thematisiert. Die Kunstlektionen, von denen zwischen Februar 1928 und September 1930 ins­ gesamt dreizehn Teile erscheinen sollten, sind in mehrfacher Hinsicht bemerkens­ wert. Da Malevič selbst ein wichtiger Akteur der russischen Avantgarde war, konnte er eine spannende und praxisnahe Innenperspektive bieten. Seine Essays stellen daher wich­tige – zu­mal relativ zeitnahe – Beiträge zur kunsthistorischen Aufarbeitung der bild­künstlerischen Avantgarden dar, in denen die Relevanz des transkulturellen Aus­ tauschs schon sehr früh in den Fokus gerückt wurde. Dass die russische Kunst derart stark in einen westeuropäischen Kontext gesetzt wurde/werden konnte, erscheint nicht zuletzt deshalb erstaunlich, da westeuropäische Erscheinungen zu dieser Zeit  – ins­ besondere seit der zweiten kulturellen Revolution 1928 – im offiziellen Diskurs bereits als bourgeois disqualifiziert wurden, wobei dieser Vorwurf vor allem der französischen Kunst galt. Malevičs Beiträge stachen also auch insofern aus den damals aktuellen kunsthistorischen Diskursen hervor, als sie keinerlei parteipolitisch gefärbte Floskeln enthielten, die in anderen Texten zu dieser Zeit bereits omnipräsent waren.431 426 427 428 429 430 431

Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Konstruktyvne maljarstvo rosijis’kych maljariv i Konstruktyvizm“, in: Nova Generacija, Nr. 8 (1929), S. 47–54. Vgl. Malevyč 1929: „Konstruktyvne maljarstvo rosijis’kych maljariv i Konstruktyvizm“, S. 47 f. Vgl. ibd. S. 47 ff. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Rosijis’ki Konstruktyvisty i Konstruktyvizm“, in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 53–61. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Kubo-futuryzm“, in: Nova Generacija, Nr.  10 (1929), S. 58–67. Hier sei z. B. auf Lija Zivel’činskajas 1931 erschienenen Band „Ekspressionizm“ ver­ wiesen, in dem bereits in der Einleitung der bourgeoise Charakter des Expressionismus

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Überdies lässt sich anhand der Essays auch das Vorhandensein einer kulturellen Inter­ ferenz in der Ukraine belegen. Obwohl Tatlin und Malevič, die unterschiedliche Aus­­legungen der Avantgarde vertraten, sich bereits seit der prärevolutionären Phase als er­bitterte Kontrahenten gegenüberstanden,432 ging Malevič in „Kon­struktyvne maljarstvo rosijis’kych maljariv i Konstruktyvizm“ fast ausschließlich auf Tatlins Werk ein, womit er ihm trotz Feindschaft eine bedeutende Rolle innerhalb der Kunst zu­wies. Die ukrainische Lage an der (zeitlichen und räumlichen) Peripherie er­möglichte es also, dass sich beide Ausrichtungen (Tatlin, Malevič) nunmehr friedfertig überlagerten. Außenperspektive: Carl Einstein Bemerkenswert ist überdies, dass die Auseinandersetzung mit russischer Kunst oft über westeuropäische Quellen erfolgte, die aus dem Französischen oder Deutschen ins Ukrainische übertragen wurden. Als Beispiel sei ein Artikel des deutschen Kunst­­ historikers und Autors Einstein genannt, der 1927 in der „Nova Generacija“ er­ schien und einen spannenden, weil von außen kommenden Blick auf die russische Kunst bietet. Bei „Nimec’ka dumka pro sučasne maljarstvo SRSR“433 [Deutsche An­ sichten zur modernen Malerei der UdSSR] handelt es sich um einen Auszug aus Ein­ steins Band „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“434 (1926). Die Übersetzung basierte auf Einsteins Kapitel „Russen nach der Revolution“, das allerdings um knapp die Hälfte gekürzt worden ist.435 Im Gegensatz zu anderen in der „Nova Generacija“ publizierten Übersetzungen, die meist ohne Angabe der Quelle auskamen, wird diese hier offengelegt. Es fehlt allerdings die genaue Seitenangabe, zudem wurde der Ur­ sprungstext nicht ganz korrekt zitiert, da er als „Die Kunst der 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird. Im abgedruckten Auszug, der nicht ganz eine Seite umfasst, ging Einstein auf die sowjetische Kunst unmittelbar nach der Revolution ein, wobei er eine deutliche Kritik an den sowjetischen Konstruktivisten übte. Obwohl diese nämlich über die „echten“ Techniken des Konstruktivismus – hiermit sind wohl die deutschen resp. französischen Konstruktivisten gemeint  – nicht Bescheid wüssten, würden sie dennoch über den Konstruktivismus „phantasieren“.436 Einstein nahm somit eine strikte Abgrenzung zwischen westeuropäischem und russischem Konstruktivismus vor und konstatierte eine generelle „Diktatur des Marxismus“, die ihm zufolge auch die Kunst dominierte. Er spricht von einer „Vulgarisierung“ kon­struktiver Ideen, die nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Literatur deutlich zu erkennen sei.437 Dass sein Beitrag eine scharfe Kritik an den aktuellen Tendenzen in Russland enthielt, mag vielleicht für die Übernahme in die ukrainische Zeitschrift ausschlaggebend gewesen sein, da Einsteins Position die ukrainischen Versuche der Abgrenzung von Russland

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in gängiger Manier kritisiert wird: Zivel’činskaja, Lija: Ekspressionizm. Moskva/Lenin­ grad: Ogiz Izogiz 1931. Hier sei auf die letzte futuristische Ausstellung „0,10“ (1915/16) verwiesen, bei der es offenbar zu einem heftigen Disput zwischen den beiden gekommen ist; vgl. Schneede, Uwe: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck 2001, S. 35. Ejnštejn, Karl [Einstein, Carl]: „Nimec’ka dumka pro sučasne maljarstvo SRSR“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1927), S. 50–51. Einstein, Carl: Die Kunst des 20. Jahrhunderts. Berlin: Propylaen-Verlag 1926. Vgl. das Kapitel „Russen nach der Revolution“, in: ibd. S. 160–162. Vgl. Ejnštejn 1927: „Nimec’ka dumka pro sučasne maljarstvo SRSR“, S. 50 f. Vgl. ibd.

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gewissermaßen bekräftigte. In einem redaktionel­len Kommentar zu Einsteins Beitrag merkte die „Nova Generacija“ an, dass ähnliche Propagandisten des „Vulgarismus“, wie Einstein sie in Russland verortete, mit Poliščuk auch in der Ukraine existieren würden.438 Der Beitrag des deutschen Kunstkritikers wurde also sowohl für die ukrainisch-russische als auch für die innerukrainische Pole­mik instrumentalisiert. Ähnlich wie das deutsche Bauhaus, dessen Rezeption in der Ukraine primär über den Umweg der französischen Kunstzeitschrift „Cahiers d’Art“ erfolgte, kam es mit Einsteins Beitrag zu einer Präsentation der russischen Kunst aus einer deutschen (und somit westeuropäischen) Perspektive. Da Einstein jedoch die sowjetische Kunst aus den Jahren unmittelbar nach der Revolution fokussierte, wurde mit seinem Artikel eine bereits historisierte Sicht geboten. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Avant­garden selbst dogmatisch in der Gegenwart resp. der Zukunft verorteten, kann die systematisch ange­wandte Praxis des Rückblicks als einer jener Widersprüche genannt werden, die für die ukrainische Avantgarde kennzeichnend waren.439 4.3 Zur Wahrnehmung der ukrainischen Avantgarde in Russland Anders als an den sogenannten Peripherien, wo meist mit großem Interesse auf die Entwicklungen in den Zentren geblickt wurde, blieben die Innovationen der Peri­ pherien in den Metropolen oft unbemerkt. Der Versuch der Avantgarde, die Kunst zu internationalisieren, beschränkte sich interessanterweise primär auf den transnatio­ nalen, also die Grenzen der Sowjetunion überschreitenden Austausch, während den inner­sowjetischen Kontakten zumindest von Seiten des Zentrums keine besondere Priorität zukam. Die Moskauer Künstlerkreise galten zudem gemeinhin als „arrogant“. In einem 1929 verfassten Brief an Zelinskij beklagte Poliščuk bspw. die generell fehlende Wahrnehmung der ukrainischen Kunst in Russland: „Вообще украинск. культуру Москва очень слабо знает“440 [Generell weiß Moskau sehr wenig über die ukrain. Kultur]. Ähnliche Klagen kamen auch von den Panfuturisten, deren Vertreter Škurupij schon im Jahr zuvor gefordert hatte: „Український письменник та мистець мусить штурмувати літературну Москву“441 [Der ukrainische Schriftsteller und Künstler muss das literarische Moskau stürmen]. Durch das Niederreißen der Mauern zwischen Russland und der Ukraine sollte die (wechselseitige) Wahrnehmung forciert werden.442 Projekte wie jenes der in Moskau aktiven ukrainischen Futuristenvereinigung Selo i misto, die mit der Zeitschrift „Neo-LIF“ auch über ein eigenes Publikations­ organ verfügte, blieben in Russland ebenfalls weitgehend unbekannt. Dass es, bedingt durch die langjährige kulturelle und politische Zusammengehörigkeit zwischen der Ukraine und Russland, zwischen Kiew, Charkiw, Moskau und Leningrad, nicht zu­ letzt in der bildenden und darstellenden Kunst auch in den 1920er-Jahren zu einer Reihe wichtiger Austauschprozesse kam, stand der marginalen Rezeption der ukra­

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Zu dieser Anmerkung vgl.  das Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift. [Red. NG]: „Zmist No. 3 ta zauvažennja redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 4. Als Beispiel sei nochmals auf den „Aufruf der Avangarde“ verwiesen, in dem gefordert wird: „Die Kunst muss unbedingt im Geiste der Zeit sein, d. h. die Behauptung be­ stätigen, dass jede Epoche ihre eigene, nur sie ausdrückende Kunst hat, die ihre Quelle eben in dieser Epoche hat.“ Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Poliščuk 1929: „Brief an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929“. Škurupij 1928: „Na šturm linoščiv i neznajstva“, S. 213. Vgl. ibd.

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inischen Kunst von Seiten des Zentrums in mehrfacher Hinsicht entgegen. Dies ist nicht zuletzt deshalb erstaunlich, da die künstlerischen Kontakte zwischen den ein­ zel­nen Sowjetrepubliken, so ein Interesse bestand, relativ problemlos beibehalten werden konnten, während Kon­takte und Reisen ins Ausland mit der fortschreitenden Ab­schottung der Sowjetunion zunehmend erschwert wurden.443 Ausgehend vom starken Interesse, das primär über eine Abgrenzung ausgedrückt wurde, soll der folgende Abschnitt nicht nur auf die Russland-Rezeption ein­gehen, son­dern auch zeigen, inwieweit es umgekehrt zu einer Wahrnehmung der ukraini­schen Kunst in den Zentren der Sowjetunion gekommen ist. Dies geschieht unter Bezug­ nahme auf Kooperationspartner wie die LEF oder die literarischen Kon­struktivisten des LCK. Zugleich soll dadurch demonstriert werden, welches Bild inner­­halb der damals dominierenden Kulturpolitik und somit der offiziellen Kunst ge­­zeichnet wurde und inwieweit dieses vom Selbstbild der ukrainischen Künstler differierte. 4.3.1 Nova Generacija in Russland Der ukrainische Futurismus wurde in Russland zwar registriert, im Kontext der ge­ genseitigen programmatischen Abgrenzung jedoch vor allem kritisch diskutiert. Die Mitglieder der LEF wussten über den ukrainischen Panfuturismus Bescheid, be­­trachteten diesen allerdings als zweitrangigen Ableger der eigenen Strömung. Dass die Nova Generacija meist als Ukrlef (ukrainische LEF) bezeichnet wurde, ließ zwar eine eindeutige Unterscheidung von der in der sowjetischen Ukraine ebenfalls aktiven Grup­pierung Jugo-LEF zu, implizierte jedoch vor allem eine eindeutige Hierarchisierung. Der Panfuturismus wurde dadurch gewissermaßen auf rhetorischer Ebene seiner künstlerischen Souveränität beraubt und der LEF untergeordnet. Hier sei darauf ver­wiesen, dass Semenkos Gruppierung sich zwar mehrmals ausdrücklich vom Vorwurf distanzierte, lediglich eine ukrainische Filiale der LEF zu sein,444 sich selbst allerdings vor allem in den frühen Ausgaben ihrer Zeitschrift ebenfalls als Ukrlef bezeichnete. Dass nach der Auflösung der LEF schließlich auch deren neue Bezeichnung REF (Revoljucionnyj Front) [Revolutionäre Front] übernommen wurde, lässt sich ebenfalls als Beleg für die Nähe der beiden Vereinigungen anführen.445 In der „Novyj LEF“ kam es zu mehreren – meist polemischen – Bezugnahmen auf die Nova Generacija, in denen wiederum von Seiten der LEF eine Abgrenzung erfolgte. Die ukrainischen Futuristen wurden von der LEF zwar als ihre Filiale angesehen, deren Aktivitäten die Prinzipien der LEF jedoch nicht adäquat repräsentierten. Im August 1928 erschien Trenins Rezension „Trevožnyj signal druz’jam“ [Warnsignal an unsere Freunde], die mit sieben Seiten zwar sehr umfangreich, insgesamt jedoch wenig freundlich ausfiel.446 Die LEF würde die Losungen der Nova Generacija (z. B. für den Kommunismus und gegen die nationale Beschränktheit zu sein) zwar prinzipiell begrüßen, habe jedoch mehrere Einwände vorzubringen. Die Begriffe Kultur, Alltag, Technik und Wissenschaft ließen sich bspw. nicht miteinander in Verbindung bringen, da Kultur für Kunst stehe und somit abzulehnen sei447 – hier sei 443 444 445 446 447

Vgl. Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion, S. 290 f. Vgl.  dazu Škurupijs polemische Replik auf den Beitrag in der „Novyj LEF“: Škurupij 1928: „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“. Vgl. Ilnytzkyjj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 134. Vgl. Trenin 1928: „Trevožnyj signal druz’jam“. Vgl. ibd. S. 30.

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nochmals auf den von der LEF propagierten „Tod der Kunst“ verwiesen. Kritik wird überdies an den fehlenden Konzepten zum Funktionalismus sowie zur utilitaristischen Funktion des Alltags geübt. In ihren Konzepten würde sich die Nova Generacija zwar als Abordnung der linken Front in der Ukraine präsentieren, diese Konzepte jedoch nicht in die Praxis überführen.448 Die Mehrzahl der Mitglieder arbeite nicht „в левовском плане, а в плане ,пассеистического футуризма‘“449 [im Sinne der LEF, sondern im Sinne eines „passeistischen Futurismus“]. Die Praxis, nach wie vor die „экспериментально-фонетическая работа заумников“ [experimentell-phonetische Arbeit der Zaum’-Dichter] einzusetzen, könne als reaktionär bezeichnet werden und habe mit dem zeitgemäßen Futurismus wenig gemein.450 Trenin konstatierte bei der ukrainischen Zeitschrift überdies einen Eklektizismus, der daran zu erkennen sei, dass Kubismus, Expressionismus, Imaginismus, LEF, Suprematismus etc. gleichzeitig Platz fänden. Die Vertreter dieser Strömungen repräsentierten zudem primär eine Staffeleikunst, die von der LEF prinzipiell abgelehnt wurde.451 Mit der wahllosen Kombination verschiedener Ausrichtungen rücke sie in die Nähe von „Vešč’“ und „Transition“, die ähnlich prinzi­pienlos agierten.452 Trenins Kritik zielte auch auf den Einsatz von Prosa ab, da im ukrainischen Futurismus fiktionale und faktische Genres kombiniert würden.453 Die LEF propagierte jedoch die Literatur des Faktums und lehnte Fiktion in der Literatur dogmatisch ab. Laut dem Prinzip der „Literatura fakta“ könne eine Novelle nicht zur Fixierung von Fakten dienen und sei daher nicht dafür geeignet, die Realität abzubilden. Dennoch kämen in der Ukraine nicht nur spannungsgeladene, „но даже фантастические, лирические и заумные повести“454 [sondern sogar phantastische, lyrische und zaumnische Er­zählungen] zum Einsatz, wobei vor allem Čužyj als Negativbeispiel angeführt wurde.455 Mit Erstaunen vermerkte Trenin, dass die Nova Generacija die eigene Arbeit als rele­vanter einstufte als jene der LEF.456 Insgesamt zeichnet die Rezension also ein sehr kritisches Bild, was für die Nova Gene­racija umso enttäuschender war, als sie die Rezension offenbar bereits mit großer Spannung erwartet hatte.457 Hier soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass Trenin, der später am Moskauer VChUTEMAS studierte, aus der heutigen Zentralukraine gebür­ tig war, weshalb seine Rezension gewissermaßen sowohl eine Außen- als auch eine Innenperspektive enthielt. Auf Trenins Rezension wurde in der Ukraine mehrfach reagiert, sodass daraus eine wechselseitige Polemik entstand. Nachdem Škurupij in der „Nova Generacija“ mit dem polemischen Brief „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“ [Alarm­ signal an unsere Freunde – Fehlalarm] auf Trenin geantwortet hatte, reagierte die LEF wiederum mit der polemischen Replik „Nam pišut“, in der vermeintliche Ähnlich­ keiten zwischen der LEF und der Nova Generacija negiert wurden: Der ukrainische 448 449 450 451 452 453 454 455 456 457

Vgl. Trenin 1928: „Trevožnyj signal druz’jam“, S. 30. Ibd. S. 31 Vgl. ibd. Vgl. ibd. S. 35. Vgl. ibd. Vgl. ibd. S. 33. Ibd. Vgl. ibd. Vgl. ibd. S. 36. Vgl. Ilnytzkyjj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 137.

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Futurismus sei nichts anderes als „Hooliganismus“, der in dieser Form als nicht mehr zeitgemäß erschien.458 Die Nova Generacija vertrete, so der russische Vorwurf, nach wie vor eine Position, die bei der LEF längst nicht mehr aktuell sei: Укрлеф в 1928 году работает и борется в условиях, аналогичных условиям работы московских лефов в 1924 – 25 гг.459 [Die UkrLef ist im Jahr 1928 tätig und kämpft unter Bedingungen analog zu den Arbeitsbedingungen der Moskauer LEF in den Jahren 1924–1925.]

Die LEF-Kunst würde es nicht erlauben, Zugeständnisse an traditionelle Linien der Kunst zu machen.460 Bei Sotnyk, der in der „Nova Generacija“ für die Fotografie ver­ antwortlich zeichnete, bestünde jedoch die Gefahr der Rückkehr zur Staffeleimalerei, die innerhalb der LEF als bourgeois verfemt war. Seine Arbeit berge die Gefahr der „Staffeleiisierung der Fotografie“ („станковой фотографии“), während die Redaktion der „Novyj LEF“ die Position vertrete, dass ein Foto ein Instrument zur Fixierung des Faktums darstellen müsse.461 Dass Sotnyk überhaupt namentlich erwähnt wurde, zeigt allerdings, dass er in Russland über eine gewisse Bekanntheit verfügte und den Futuristen der LEF durchaus ein Begriff war. Ob dies einzig auf seine Publikationen in der „Nova Generacija“ zurückzuführen war, lässt sich nicht klären. Die Kritik blieb freilich nicht ausschließlich auf negative Aspekte beschränkt, denn abschließend äußerte die LEF die Hoffnung, aus der Nova Generacija könne in der Ukraine vielleicht eine neue Generation der LEF entstehen. Dass die ukrainische Gruppierung nicht ganz so rückständig und uninteressant gewesen sein mag, wie aus der russischen Polemik zu schließen wäre, wird aus dem bereits erwähnten Hinweis in der letzten Ausgabe der „Novyj LEF“ ersichtlich, in dem die Hoffnung auf eine Fortsetzung der eigenen Publikationen in der Ukraine ausgedrückt wurde.462 Von Seiten der proletarischen Schriftsteller wurde die „Nova Generacija“ ebenfalls kritisch rezipiert. Anders als bei der LEF, die an der ukrainischen Gruppierung vor allem ihre vermeintliche Rückständigkeit monierte, sah die proletarische Zeitschrift „Na literaturnom postu“ [Auf literarischem Posten], die zur VAPP gehörte, vor allem in der vermeintlich bourgeoisen Ausrichtung Anlass zur Kritik. Samijlo Ščupak, ein Ver­ treter der proletarischen Literatur und Mitglied der ukrainischen VUSPP, be­schrieb Semenkos Gruppierung in seinem Beitrag zur „Literarischen Front in der Ukraine“ („Literaturnyj front na Ukraine“) als kleinbürgerlich, gestand aber einigen ukra­ inischen Futuristen dennoch das Potential zu, echte Verbündete der proletarischen Literatur zu werden. Aus einer retrospektiven, da erst nach Auflösung der Nova Gene­ racija geschriebenen Perspektive wird die Bedeutung des Futurismus von Ščupak ins­

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Vgl. [Red. NL] 1928: „Nam pišut“, S. 45–47. Trenin zit. nach ibd. S. 45. Aus diesen strengen Auflagen, die auch anderen Gruppierungen auferlegt wurden, wird der von Stephan konstatierte totalitäre Charakter der LEF ersichtlich; vgl.  Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 8 f. Vgl. [Red. NL] 1928: „Nam pišut“, S. 45 f. Vgl. [Red. NL] 1928: „K svedeniju podpisčikov i čitatelej ,novogo lefa‘“, S. 45.

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gesamt als marginal eingestuft.463 Hryn verweist darauf, dass die Mitglieder der ukra­ inischen VUSPP offenbar dazu eingeladen worden seien, ukrainische Literatur in der russischen proletarischen Zeitschrift zu präsentieren464 – da die VUSPP den Avant­ garden gegenüber feindselig eingestellt war, führte dies gezwungenermaßen dazu, dass sie in den russischen Zeitschriften stets in einem schlechten Licht präsentiert wurden. In Anbetracht dessen, dass sich VUSPP und Futurismus lange Zeit polemisch gegenüberstanden, mag die wenig freundliche Rezension also keine Überraschung darstellen. Einen etwas positiveren Blick bietet offenbar eine bei Ilnytzkyj angeführte, im Rahmen der Recherchen jedoch nicht greifbare Rezension, die 1929 ebenfalls in „Na literaturnom postu“ abgedruckt worden ist.465 Während der zuvor genannte Beiträger Ščupak, der sich der „Nova Generacija“ gegenüber durchwegs kritisch äußerte, selbst aus der Ukraine stammte, fiel diese vom russischen Literaturkritiker Timofeev verfasste Rezension weitaus freundlicher aus. 4.3.2 Avanhard in Russland Die ukrainische Formation Avanhard wurde in Russland vor allem im Kontext des Konstruktivismus wahrgenommen, wobei sie dezidiert als Ableger des russischen lite­rarischen Konstruktivismus rezipiert wurde. In den Publikationen des LCK, mit dem die meisten Kontakte bestanden, kam es jedoch umgekehrt zu keiner Erwähnung des ukrainischen Konstruktivismus. Dass die Publikationen des LCK anders als jene der LEF nicht dialogisch mit anderen Gruppen interagierten und somit auch nicht als Plattform für die gegenseitige Polemik dienten, mag wohl dem Umstand geschuldet sein, dass es sich um Einzelpublikationen in Buchform und nicht um Periodika han­delte, sodass Leserbriefe, polemische Repliken und andere Formen von Epitext keinen Platz fanden. Dennoch wurde der ukrainische Konstruktivismus in Russland zumindest in gewissem Maß als literarisches Phänomen registriert und sowohl vom LCK selbst als auch in russischen Literaturzeitschriften diskutiert. Insgesamt blieb die tatsächliche Resonanz allerdings marginal. Hier ist anzumerken, dass auch der Russische Konstruktivismus selbst nur eine Randerscheinung darstellte, über die ebenfalls wenig berichtet wurde. Der Konstruktivismus wurde in Russland lediglich als eine von mehreren Strömungen gesehen, die gegeneinander um die Vorherrschaft in der sowjetischen Literaturlandschaft kämpften. Die proletarisch orientierte Zeit­ schrift „Zabajkal’skij rabočij“ legte sich auf insgesamt sieben zeitgenössische Strö­ mungen fest, von denen eine der Konstruktivismus in der Literatur war.466 1929 erschien in der „Literaturnaja gazeta“ [Literaturzeitschrift] eine Notiz zum ukrainischen Konstruktivismus, die jedoch nur recht kurz ausfällt und zudem eine Reihe von Ungenauigkeiten enthält, die an einer genaueren Kenntnis von Avanhard zweifeln lassen:

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Vgl.  Ščupak, S[amijlo]: „Literaturnyj front na Ukraine“ (Typoskript, 1931), RGALI, f. 1698, op. 1, ed. chr. 762. Der Beitrag erschien in etwas modifizierter Form in Na literaturnom postu, Nr. 18 (1931), S. 12–16. Vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defining moment, S. 15. Zu dieser Rezension vgl. auch Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 137. Vgl. [Red. ZR] (L. L.) 1929: „Beseda o literature. Literaturnyj konstruktivizm“.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West Украинские конструктивисты Группа украинских конструктивистов „Авангард“, во главе которой стоят Валерьян Полищук, Л. Чернов, И. Семенко и др., на днях выпустила свой сборник под названием Авангард. В сборнике объединены художественные материалы группы, обоснованы теоретические ее взгляды, дана информация о работе украинских конструктивистов и отражено мнение группы по различным вопросам литературной жизни Украины и всего Советского Союза. Конструктивистами издана поэма Валерьяна Полищука „Доден и Роза“ [sic] из жизни Родена и Анатоля Франса [Hervorh. i. Orig., VF].467 [Die ukrainischen Konstruktivisten Die Gruppe der ukrainischen Konstruktivisten „Avangard“ [Transliteration aus dem Russischen, daher erfolgt die Schreibung mit „g“ anstatt „h“, VF], die von Valer’jan Poliščuk, L. Černov, I. Semenko und anderen geleitet wird, veröffentlichte kürzlich unter dem Titel „Avangard“ ihren Sammelband. Im Sammelband sind künst­lerische Materialien der Gruppe und die Grundlagen ihrer theoretischen An­schauungen ver­ eint, es werden Informationen über die Arbeit der ukrainischen Konstruktivisten geboten und Meinungen der Gruppe zu verschiedenen Fragen des literarischen Lebens in der Ukraine sowie der gesamten Sowjetunion reflektiert. Von den Konstruktivisten wurde Valer’jan Poliščuks Poem „Doden i Roza“ [sic] herausgegeben, welches das Leben von Rodin468 und Anatole France thematisiert [Hervorh. i. Orig., VF].]

Während die kurze Notiz zwar die Relevanz der Reflexion des „sowjetischen lite­ rarischen Lebens“ erwähnt, nimmt sie auf die ebenfalls wichtige ukrainische Orien­ tierung an westeuropäischen Erscheinungen keinen Bezug. Fälschlicherweise wird I. Semenko als Teil der Gruppierung angeführt, wobei hier wohl Ivan Senčenko gemeint sein dürfte, dessen Name offenbar mit jenem des weitaus bekannteren Semenko verwechselt wurde  – Semenko war bekanntlich kein Teil von Avanhard, sondern stand dieser als wichtigster Protagonist der Nova Generacija in offensiver Feindschaft gegenüber. Die beschriebene Publikation war zudem kein Sammelband, sondern eine Zeitschrift, die auch dezidiert als solche deklariert wurde. Die vom LCK propagierte Praxis, aus­schließlich in Anthologien zu publizieren, wurde nämlich von der ukrainischen Vereinigung nicht übernommen. Das erwähnte Poem „Roden i Roza“ [Rodin und die Rose], das fälschlicherweise als „Doden i Roza“ angeführt ist, wurde erstmals 1928 in mehreren Teilen in der ukrainischen Zeitschrift „Novyj Šljach“ abgedruckt, die Herausgabe als Einzelpublikation erfolgte erst 1930.469 Ende der 1920er-Jahre stieg schließlich auch die Zahl der Übersetzungen ukrainischer Werke

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468 469

[Red. LG]: „Literaturnaja gruppa konstruktivisty“ (Typoskript zu  [Red. LG]: „Lite­ raturnaja gruppa konstruktivisty“, in: Literaturnaja gazeta, 22.7.1929). Archivbestand: RGALI, f. 4095 op. 1, 50. Gemeint sind der französische Bildhauer Auguste Rodin sowie der französische Autor und Literaturnobelpreisträger Anatole France. Poliščuk, Valerijan: Roden i Roza. Charkiv: Knyhospilka 1930.

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ins Russische deutlich an, womit die ukrainische Forderung nach einer Öffnung der Moskauer Verlage für ukrainische Autoren zumindest teilweise ein­gelöst wurde.470 Abgesehen von der genannten Rezension ließen sich keine Beispiele für eine russische Wahrnehmung von Avanhard finden, die somit trotz ihrer auch russisch­ sprachigen Publikationen in Russland nur sehr marginal rezipiert wurde. 4.4 Zur Rezeption westeuropäischer Kunst und Literatur in der Ukraine Gemessen an ihrer Zahl übersteigen die Bezugnahmen auf westeuropäische künstle­ rische Erscheinungen jene auf russische deutlich. In den 1920er-Jahren wurde in der Ukraine auf die fortschreitende Abschottung der Sowjetunion mit einer mas­siven Re­ zeption westeuropäischer Kunst reagiert. Semenkos Nova Generacija war in dieser Hinsicht um einiges aktiver als Avanhard, die den Fokus etwas stärker auf Russland richtete, wenngleich vor allem in Bezug auf die grafische Gestaltung wichtige Anregun­ gen vom deutschen Bauhaus kamen.471 Dass die internationale Ausrichtung eng an die konstruktivistischen Grundsätze gekoppelt war, wurde bereits eingangs erläutert. Die Intentionen der Nova Generacija beschreibt Ilnytzkyj wie folgt: Semenko made a special effort to expose the Ukrainian public to the new experiments taking place in Central and Western Europe. This was done not only to educate the masses and undermine the traditional forms of art that the Futurists were staunchly confronting, but also to help justify the activity of the avant-garde in Ukraine.472

Vor allem Berlin löste bei den Künstlern großes Interesse aus. Daneben galt auch den Entwicklungen in Frankreich große Aufmerksamkeit. Den westeuropäischen Erschei­ nungen wurde in der Ukraine gewissermaßen eine überhöhte „thematische Rele­ vanz“ zugestanden.473 Hier sei jedoch auch auf das große Interesse verwiesen, das der westeuropäischen Kultur im ostslawischen Raum traditionellerweise entgegengebracht wurde, bevor es mit den Avantgarden mehrfach zu einer Abgrenzung kam.474 Man denke an Peter den Großen, der kulturelle und technologische Errungenschaften aus West­europa etablieren wollte und die damals neue Hauptstadt Sankt Petersburg als Fenster nach Europa konzipierte, um „die ,Modernisierung‘ Russlands durch Fremd­ wissen und Fremderfahrung voranzutreiben“, wie Ingold schreibt.475 Charkiw als 470 471 472 473

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Zu dieser Forderung nach einer Öffnung der Türen der russischen Verlage vgl. Škurupij: „Na šturm linoščiv i neznajstva“, S. 213. Zum Einfluss des Bauhauses auf Jermilov vgl. z. B. Pavlova 2013: „Vasyl’ Jermilov. Vid charkivs’koho ,Bavhauzu‘ do Kyjivs’koho chudožnoho instytutu“, z. B. S. 59. Ilnytzkyj, Oleh: Nova Generatsiia (The New Generation), 1927–1930. A comprehensive index. Edmonton: Canada Institute of Ukrainian Studies Press 1998, S. 3. Als „thematisch relevant“ lassen sich jene Sinngehalte bezeichnen, die in der momen­ tanen Situation im Zentrum des Interesses sowie der Aufmerksamkeit stehen; vgl. z. B. Bohr 2011: „Konstruktionen und Wahrnehmungen des Räumlichen in kultu­rellen Sinnzusammenhängen“, S. 36 ff. Bereits die frühesten russischen resp. ukrainischen Avantgarden beriefen sich im Kon­ text des Primitivismus auf das „Eigene“; auf den gegen den Westen vielfach ein­gesetzten Bourgeoisie-Vorwurf wurde bereits mehrfach verwiesen. Ingold bringt mit seiner „anderen Kulturgeschichte Russlands“ einen interessanten neuen Ansatz zum russischen Verhältnis von Nationalkunst und Nachahmungskultur, der das Verhältnis Russlands zu Westeuropa u. a. anhand der Appropriationsversuche

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Zentrum der Avantgarde an einer Peripherie fungierte – ähnlich wie Sankt Petersburg unter Peter dem Großen  – ebenfalls als Fenster nach Europa.476 Da der Blick nach Westen Ende der 1920er-Jahre aufgrund der Abgeschlossenheit der Sowjetunion nur noch eingeschränkt über direkte Kontakte erfolgen konnte, dienten vor allem Druck­ erzeugnisse als Quellen für die Rezeption. Der folgende Einblick in die ukrainischen Reflexionen über westeuropäische Kunst ist aus­drücklich als Ausschnitt aus einer größeren Thematik zu verstehen, deren vollum­fängliche Beleuchtung in einer Arbeit wie dieser aus Platzgründen nicht leistbar wäre. Mit Literatur, bildender Kunst und Bühnenbild wurden exemplarisch drei unter­schied­liche Bereiche ausgewählt, die in der Ukraine bedeutende Kunstformen dar­stellten. Ana­lysiert wird nicht nur die Rezeption in der Ukraine, sondern auch, in­ wiefern diese von jener in Russland differierte, um aufzuzeigen, ob und wie die in den Programmatiken angekündigten Unterschiede der avantgardistischen Ausrichtung tatsächlich realisiert wurden. 4.4.1 Literatur In den 1920er-Jahren wurde vor allem Berlin für viele ukrainische Autoren zum An­ ziehungspunkt. Die Hauptstadt der Weimarer Republik wurde nicht nur als europä­ isches Zentrum der Kunst, sondern auch als „іншої, аніж радянський її варіант, модерності“477 [eine andere, und eben nicht eine sowjetische Variante der Moderne] verstanden. Tamara Hundorova verweist auf die Bedeutung, die die Rezeption Berlins auf den urbanistischen Diskurs vieler Schriftsteller hatte.478 Maß­geblich waren nicht nur persönliche Kontakte, wie sie bspw. mit Becher exis­tierten, sondern auch die Reisen, die einige der ukrainischen Schriftsteller in den 1920er-Jahren nach Berlin führten. Während einer 1928 vom NARKOMPROS (Narodnyj komisariat prosvity) [Volkskommissariat für Bildungswesen] organisierten Europareise trafen Semenko und Poliščuk mit deutschen Autoren wie Becher, Kläber und Erich Weinert zusammen.479 Die aus der Weimarer Republik mitgebrachten Eindrücke und Erfahrungen fanden sich anschließend in zahlreichen Werken, sei es in Essays, in der Lyrik oder in Be­ richten, wieder. In der Literatur war das Europa-Bild jedoch oft negativ gezeichnet und durch eine unangenehme Stimmung geprägt. Poliščuk beschrieb Berlin in der bereits erwähnten Essay-Sammlung „Rozkol Evropy“480 als schwer­fällige, düstere und

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nach­zeichnet; vgl.  Ingold, Felix Philipp: Die Faszination des Fremden. Eine andere Kul­ turgeschichte Russlands. München: Fink 2009, S. 164 ff. Die „Sovremennaja architektura“ verstand sich ebenso als solches, war jedoch aufgrund der weniger breit ausgelegten Interdisziplinarität nicht derart vielseitig wie die „Nova Generacija“. Hundorova 2008: „Berlin jak dzerkalo modernosti: ukrajins’kyj roman kincja 1920-ch rokiv“, S. 76. Vgl. ibd. Die genannten deutschen Autoren gehörten dem Bund Proletarischer und Revoluti­ onärer Schriftsteller (BPRS) an. Zwischen Becher und der Ukraine bestanden wohl die intensivsten Kontakte, er reiste einige Male nach Kiew und Charkiw und publizierte mehrere Texte in der Sowjetunion; vgl.  z. B. Hladkyj 1987: „Zv”jazky ukrajins’koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30-ch rokiv“, S. 154. — Zu den Berlin-Reisen vgl. auch Hundorova 2008: „Berlin jak dzerkalo mo­ dernosti: ukrajins’kyj roman kincja 1920-ch rokiv“, S. 76. Poliščuk, Valerijan: Rozkol Evropy. Kyjiv 1925.

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bürokratisierte Stadt, auf deren Straßen nachmittags eine triste und ernste Stimmung herrsche.481 Ein ähnliches Bild wurde auch von Semenko gezeichnet, der Berlin 1928 bereiste.482 Mehrere der in den späten 1920er-Jahren ent­ standenen literarischen Beschreibungen Berlins stehen somit in Opposition zum ansonsten überwiegend positiv gezeichneten Bild westeuropäischer Erscheinungen. Eine Kritik am westeuro­ päischen Wertesystem ist jedoch in anderen, nicht oder nicht ausschließlich auf Berlin bezo­genen Texten präsent, sodass sie als Teil der Konstruktion einer Opposition zwischen kommunistischer Sowjetunion und kapitalistischem Wes­ten gesehen wer­ den kann, die sich in der Literatur am stärksten niederschlug. Im Hinblick auf die Übernahmen von Texten westeuropäischer Autoren lassen sich gleich mehrere Auffälligkeiten konstatieren. Einerseits übertrafen sie in ihrer Quantität jene von russischen Autoren deutlich, was in Anbetracht des einfacheren Zugangs zu russischen Werken doch überrascht. Hinzu kommt, dass es sich bei den präsentierten Autoren primär um solche handelte, die den explizit linken, meist kommunistischen Autorenkreisen der Weimarer Republik angehörten. Ihre Präsenz nahm bspw. in spä­ teren Ausgaben der „Nova Generacija“ deutlich zu, während zu Beginn (1927, 1928) noch experimentelle Autoren einbezogen wurden. Mit den meisten der Autoren, die in der „Nova Generacija“ und „Avanhard“ abgedruckt wurden, sind persönliche Zusammentreffen belegt, die jedoch nicht nur im Zuge ukrainischer Europareisen, sondern umgekehrt auch im Rahmen von Sowjetunionreisen deutscher Autoren er­ folgten. 1929 machte eine Delegation deutscher Schriftsteller in Charkiw Station, um Vorbereitungen für die „Zweite Weltkonferenz der revolutionären Schriftsteller“ zu treffen, die im Jahr darauf in der ukrainischen Hauptstadt stattfand.483 Becher scheint ebenfalls als Mitglied dieser Delegation auf, im Jahr darauf nahm er gemeinsam mit Kisch, Ludwig Renn, Anna Seghers sowie F. C. Weiskopf am Kongress in Charkiw teil.484 Dass in der Ukraine oft jene westeuropäischen Autoren publiziert wurden, die auch selbst die Sowjetunion bereisten resp. mit denen es zu persönlichen Zusammen­ treffen kam, belegt, dass die ukrainische Kunst trotz ihres regen Interesses an einer peripheren Lage relativ abgeschottet vom restlichen Europa agierte. Deutschsprachige Autoren in der „Nova Generacija“ In Kontext der Propagierung der linken Kunst ist auch die Präsentation einiger Texte von Kurt Tucholsky zu verstehen, die zugleich die Kritik am aufkeimenden deutschen Nationalsozialismus untermauern sollte.485 1929 erschien bspw. in der „Nova Generacija“ ein Auszug aus Tucholskys polemisch-satirischem „Deutschland-Buch“ „Deutschland, Deutschland über alles“486, das die politischen Entwicklungen in der 481 482 483 484 485

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Vgl.  Hundorova 2008: „Berlin jak dzerkalo modernosti: ukrajins’kyj roman kincja 1920-ch rokiv“, S. 76. Vgl.  Kriger 2010: „Mychajlo Semenko (1892–1937)  – osnovopoložnyk ukrajins’koho futuryzmu“, S. 620. Vgl. ibd. S. 155. Vgl. Patka 1997: Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors, S. 121. Die antifaschistische Haltung war in der Sowjetunion besonders stark ausgeprägt, was sich auch in der Kunst in hohem Maß reflektierte. Kurt Tucholsky zählte umgekehrt in der Weimarer Republik zu den ersten und schärfsten Kritikern des Nationalsozialismus.  Tucholsky, Kurt: Deutschland, Deutschland über alles. Ein Bilderbuch von Kurt Tucholsky und vielen Fotografen. Montiert von John Heartfield. Berlin: Neuer Deutscher Verlag 1929.

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Weimarer Republik und den stärker werdenden Nationalismus scharf kritisierte.487 Interessant ist, dass es in Russland damals offenbar zu keiner Übersetzung von Tuchol­ skys Buch kam, obwohl es innerhalb der internationalen antifaschistischen Bewegung eine wichtige Rolle spielte.488 Der Autor Hans Lorbeer war ebenfalls im Umfeld der linken Kunst angesiedelt. Aus seiner Erzählung „Wacht auf “ wurden in der „Nova Generacija“ gleich mehrmals Auszüge publiziert. Ähnlich wie die meisten anderen in der Ukraine abgedruckten Schriftsteller hatte Lorbeer als Teil der deutschen Delegation an der Tagung linker Schriftsteller in der Sowjetunion teilgenommen,489 die Texte erschienen jedoch noch vor der Ankunft der deutschen Besucher. Dennoch erfolgte die Übernahme recht unmittelbar nach der Erstpublikation: Das Original stammte aus dem Jahr 1928, die ukrainischen Übertragungen erschienen im April und im Mai 1929.490 Ausnahmeweise wurde mit M. Kryvčenko bei diesem Text sogar ein Übersetzer angeführt. Anatolij Sanovyč: „Livi v Nimeččyni“ (1928) Essays wie Sanovyčs „Livi v Nimeččyni“491 [Die Linken in Deutschland], das von der Redaktion als „огляд німецького лівого журналу ,Der Sturm‘“492 [Übersichts­ darstellung des deutschen linken Journals „Der Sturm“] angekündigt wur­de, belegen den Fokus auf dezidiert links ausgerichtete Künstler. Der als inte­ressantester Vertreter des Sturms bezeichnete Autor Reinhard Goering493 war aller­d ings ein nur relativ wenig bekannter Autor des deutschen Ex­pressionismus. Der Um­stand, dass „Der Sturm“ ihm 1927 ein eigenes „Rein­hard-Goering-Heft“ gewid­met hatte, mag zur ukrainischen Überbewertung des Autors geführt haben. Goerings Stil würde „на комбінаціях дуже коротких ритмі­чних відрізків“494 [auf der Kombination von sehr kurzen rhythmischen Segmen­ten] basieren, die zudem oft mit lautmalerisch um­ gesetzten Themen ver­bunden seien. Sanovyč zieht einen Vergleich mit einem nicht weiter erläuterten Text des ukra­inischen Autors Čužyj, der ähnliche Elemente wie ein nicht näher erläuterter Text Goerings enthalte.495 Des Weiteren folgt ein Hinweis auf den ebenfalls wenig bekannten Autor Edmund Palasovsky, dessen Gedicht „Punalua

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Tuchol’s’kyj, Kurt: „Nimečyna, Nimečyna nad use!“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1930), S. 10–17. Aus einer 1960 zwischen K. Čugunov und dem Tucholsky-Archiv in Deutschland ge­­ führten Korrespondenz geht hervor, dass zumindest bis 1960 keine russische Über­ setzung (auch nicht auszugsweise) angefertigt wurde; vgl. RGALI, f. 632, op. Nr. 26, od. chr. Nr. 3182. Lorbeer reiste im April 1929 gemeinsam mit Kläber sowie weiteren Autoren nach Char­ kiw, wo sie mit Mitgliedern der VUSPP zusammentrafen; vgl. Hladkyj 1987: „Zv”jazky ukrajins’koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30ch rokiv“, S. 154. Die beiden Teile erschienen 1929: Lorbeer, Hans: „Spivoča ptašečka“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 10–13; Lorbeer, Hans: „Vijs’kovopoloneni“, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 37–40. Sanovyč 1928: „Livi v Nimeččyni“. Vgl. [Red. NG]: „Zmist No. 8 ta zauvažennja redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 8 (1928), S. 68–69, hier S. 68. Hier fälschlicherweise als „Goehring“ geführt. Ibd. S. 117. Vgl. ibd.

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der Briefe“496 nach Ansicht von Sanovyč frappante Analogien zu Semenkos 1922 ent­ standenem Gedicht „Sim“ [Sieben] aufweist  – wiewohl hier anzumerken ist, dass beide Texte wenig originell wirken. Bei Palasovsky hieß es laut der „Nova Genera­ cija“: „Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Sontag [sic], Montag ...“, was sich tatsächlich nur unwesentlich von Semenkos „Понеділок / Вівто­ рок / Середа / Четвер / П’ятниця / Субота / Неділя“497 [Montag / Dienstag / Mitt­ woch / Donnerstag / Freitag / Samstag / Sonntag] unterschied. Semenko war Horba­ čov zufolge sehr stolz darauf, dass sein Wochentagsgedicht Äquivalente in jeder Sprache hatte.498 Ob er über die Parodie, die Burevij unter seinem Pseudonym Edvard Stricha im „Literaturnyj jarmarok“ zu seinem Wochentagsgedicht publizierte,499 ebenso erfreut war, ist nicht bekannt. Sanovyč führte außerdem Erich Arendts „Folterung“ (inkorrekt als „Volterung“ angegeben) als Beleg dafür an, dass die Linke in der Kunst vor allem zu politischen Themen tendiere. Überdies werden auch Gottfried Benn und Lothar Schreyer (angeführt als L. Schreier) sowie die Maler Paul Klee und Hugó Schreiber, ein weniger bekanntes Mitglied des Wiener Hagenbundes, genannt. Wäh­rend sich die Übernahme von westeuropäischer Literatur vor allem gegen Ende des Jahrzehntes immer stärker auf kommunistische – also dezidiert proletarische – Autorenkreise konzentrierte, gestaltete sie sich in den frühen Ausgaben noch deutlich breiter. Die Reflexion internationaler Werke und Autoren ging somit zu Beginn noch eindeutig über eine ideologisch motivierte Auswahl hinaus. Walter Mehring wurde 1927 als Vertreter des deutschen Dadaismus und somit einer metalogischen Strö­mung präsentiert, wobei zur Exemplifizierung dessen Zeitschriftenbeitrag „Mit Samthand­ schuhen. Verehrungsvoll dem Rat der Kopfarbeiter“ aus dem Jahr 1919 heran­gezogen wurde.500 In Bezug auf die theoretischen Essays zählte Sanovyč Herwarth Waldens Beiträge zu den interessantesten, die Deutschland damals zu bieten gehabt habe. Ähnlich wie jene von Šklovskij würden sie sich „від парадоксу до парадоксу, від каламбура до каламбура“501 [von einem Paradoxon zum nächsten, von einem Kalambur zum nächsten] entwickeln, woraus ihre hohe, nicht zuletzt polemische Qualität resultiere.502 Waldens Zeitschrift wird von Sanovyč ausschließlich im linken Spektrum verortet, wiewohl sie sich zumindest in ihren frühen Jahren nicht primär als „linke Zeitschrift“, sondern vielmehr als Kunstzeitschrift mit Schwerpunkt auf Kunst und Literatur von Moderne und Avantgarde definiert hatte.503 Ungeachtet kleinerer Mängel, so das Resü­ 496 497 498 499 500

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Das Original erschien im Dezember 1927 im „Sturm“: Palasovsky, Edmund: „Panalua der Briefe“, in: Der Sturm, 18. JG, Nr. 9 (Dezember 1927), S. 124–126, hier S. 124. Zu beiden vgl. Sanovyč 1928: „Livi v Nimeččyni“, S. 118. Vgl.  Horbachov 2010: „In the Epicentre of Abstraction: Kyiv during the Time of Kurbas“, S. 192. Vgl.  Simonek 1998: „Avtoėkzekucija Ė. Strichi i ėkzekucija K. Burevija kak konec ukrainskogo ludizma“, S. 278. Vgl.  dazu Mehring, Walter: „Zrazky čužozemnoji livoji praktyky. Oksamytnymy rukavytsjamy. Kuplet u prozi. Per. z. nim. L. Piontek“, in: Nova Generacija, Nr.  3 (1927), S.  46–47.  — Zum Original vgl.  Mehring, Walter: „Mit Samthandschuhen. Verehrungsvoll dem Rat der Kopfarbeiter“, in: Der Einzige, 1. JG, Nr. 1 (9.2.1919), S. 11. Sanovyč 1928: „Livi v Nimeččyni“, S. 118. Vgl. ibd. Wiewohl Waldens Linksruck gegen Ende des Jahrzehntes sehr stark in der Zeitschrift widergespiegelt wurde, etwa in den doch apologetischen Beiträgen zu den sowjetischen

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mee des Rezensenten, sei „Der Sturm“ bei der Nova Generacija auf großes Interesse gestoßen: „Бо він має багато досягнень, які, коли б їх перенести в нашу літературу, дали б дуже багато“504 [Weil er viele Errungenschaften hat, die, würde man sie auf unsere Literatur übertragen, viel bewirken könnten]. Deutschsprachige Autoren in „Avanhard“ Im Unterschied zu den Panfuturisten erfolgte die Bezugnahme auf internationale Erscheinungen in „Avanhard“ auch auf satirischer Ebene. Die bereits zuvor ange­ sprochene Kolumne „Mystec’kyj vinihret“ diente Angaben der Redaktion zufolge dazu, „die vom Standpunkt des Konstruktiven Dynamismus – Spiralismus negativen Erscheinungen aller Arten der Kunst, so auch die westeuropäischen, aufs Korn“ zu nehmen.505 Hier sei auf den tschechoslowakischen Konstruktivismus verwiesen, der eben­falls die Satire als Kunstform propagierte. Teige, der sich auch ausdrücklich zum Dadaismus bekannte, schrieb 1927 im Almanach „Fronta“: „die ironie ist die letzte reserve der vitalität, der spott eine mächtige waffe des revolutionären geistes, die karikatur ein wichtiges mittel der revolution“ [Kleinschr. i. Orig., VF].506 Die (angestrebten) Kooperationen mit Becher und Kläber, die auch zum Abdruck eines Textes von Becher geführt haben, wurden bereits im Abschnitt zur Rezeption west­europäischer Literaturtheorie erwähnt. Da es darüber hinaus bei Avanhard zu keiner prägnanten Bezugnahme auf deutschsprachige Schriftsteller kam, wird an dieser Stelle nicht mehr weiter auf die deutschsprachige Literatur eingegangen. 4.4.2 Künstlerische Positionen und bildende Kunst Die Bezugnahme auf europäische Erscheinungen erfolgte in der bildenden Kunst deut­ lich weniger diskursiv als in der Literatur, sodass es zwar zu einer intensiven Rezep­tion Westeuropas kam, diese jedoch nicht zur Identitätskonstruktion herangezogen wurde. Die deutsche Moderne erfuhr eine starke und zugleich positive Bewertung durch ukra­i­nische Künstler. Semenkos „Nova Generacija“, die sich medienübergreifend mit der west­­europäischen Kunst befasste, kam in diesem Kontext eine weitaus wichtigere Rolle zu als „Avanhard“, die sich, wiewohl nicht ausschließlich, als literarisches Medium verstand. Der Umstand, dass viele jener Künstler und Strömungen, denen in der Ukraine ein großes Interesse galt, in Russland programmatisch negiert wurden, wies der Zeitschrift „Nova Generacija“ innerhalb der sowjetischen kunsttheoretischen Debatte eine Son­ derposition zu. Vor dem Hintergrund der dogmatischen russischen Ablehnung wurden z. B. in Moskau Veranstaltungen zur westeuropäischen Moderne oft ohne deren wich­ tigste Vertreter durchgeführt. Der russische Kunsttheoretiker Sergej Romov ver­ ortete bspw. die Ursachen für das Scheitern der in Moskau gezeigten Ausstellung

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Gefängnissen; vgl.  Walden, Herwarth: „Strafvollzug in der UdSSR“, in: Der Sturm, Sondernummer UdSSR, 20. JG, Nr. 5–6, (1930), S. 49–51. Vgl. Sanovyč 1928: „Livi v Nimeččyni“, S. 119. [Red. AVH] 1929: „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avangarde“. Teige, Karel: „o humoru, clownech a dadaistech. über humor, clowns und dadaisten. humeur, clowns et dadaistes“, in: Halas/Prusa/Rossmann/Václavek (Hrsg.): fronta. mezinárodní sborník soudobé aktivity. internationaler almanach der aktivität der gegenwart. recueil international de l’activité contemporaine. Brno: edition fronta 1927, S. 98–104, hier S. 104.

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„Sovre­mennoe francuskoe iskusstvo“ [Zeitgenössische französische Kunst] (1929) in der fehlenden Teilnahme wichtiger westeuropäischer Künstler: „Because of its mis­­takes and weaknesses, the Moscow exhibition failed to provide any clear idea of the contemporary state of the French painting.“507 Dass weder Picasso noch Georges Braque oder Léger auf der Moskauer Schau vertreten waren, hing Romov zufolge mit der subjektiven und vulgären Übersimplifizierung westeuropäischer Erscheinungen zu­sammen, die in der Sowjetunion pauschal als „rotten“, „fox-trot-art“ oder „jazzband formalism“ diskreditiert wurden.508 Romov forderte von russischen Künstlern generell mehr Selbst­bewusstsein ein: Today it is ridiculous to fear the ideology of bourgeois Europe. We are separated by different approaches to and utterly different perceptions of the surrounding world. Socialism is the highest stage of human development, and we have broken with the bourgeois ideology of capitalist Europe once and for all.509

In der Ukraine standen die genannten Künstler nicht nur im Zentrum von Malevičs Essays, sondern wurden auch auf anderen Ebenen diskutiert, wofür sich insbesondere die bildlichen und textlichen Übernahmen aus den „Cahiers d’Art“ als wichtige Bei­ spiele nennen lassen. Die Bezugnahme auf westeuropäische Phänomene erfolgte oft erst mit deutlicher zeitlicher Verspätung. Dies betraf insbesondere jene Künstler (auch hier wird absichtlich nur die maskuline Form genannt, da Künstlerinnen ledig­ lich im Kontext des Bauhauses thematisiert wurden)510, die von Walden propagiert wurden und den Höhepunkt ihres Schaffens als Teil des Expressionismus in den 1910er-Jahren erlebten. Als sie schließlich in der Ukraine erneut ins Zentrum gerückt wurden, stellten ihre Werke in Paris und Berlin in gewisser Weise bereits historisierte Er­scheinungen dar, die durch neuere Strömungen abgelöst wurden. Die inten­sive ukrainische Rezeption von Picasso, die von Seiten der LEF zu einer harschen Kritik führte,511 erfolgte ebenfalls aus einer zeitlichen Peripherie heraus, da sich auch der Kubis­mus ab 1918 in einer Wahr­nehmungskrise befand. Theodor W. Adorno spricht im Hinblick auf Picasso gar von einer Isolation, die „dem Maler die Kontinuität seiner Arbeit zerstörte“.512 Als weiteres Beispiel für die verzögerte Rezeption lässt sich Roland Schachts513 Beitrag über Archipenko nennen, dessen auszugsweise Über­ 507

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513

Zitiert nach der englischen Übersetzung: Romov, Sergei [Romov, Sergej]: „Con­ temporary French Painting“, in: Dorontchenkov, Ilia (Hrsg.): Russian and Soviet Views of Modern Western Art. 1890s to Mid–1930s. Translated by Charles Rougle. Berkeley et al.: University of California Press 2009, S. 286–288, hier S. 287. Vgl. ibd. Ibd. S. 288. Ausführlicher zur Rezeption des Bauhauses in der bildenden Kunst vgl. Faber 2015: „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avantgarde“, insbes. S. 232–240. Vgl. z. B. die im Kapitel „Zur Wahrnehmung der ukrainischen Avantgarde in Russland“ analysierte Rezension Trenins. Adorno, Theodor W.: „Jene zwanziger Jahre“, in: Ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt a.  M.: Suhrkamp 1963, S.  59–69, hier S.  63.  — In den „Cahiers d’Art“ war jedoch die Picasso-Rezeption Ende der 1920er-Jahre ebenfalls sehr präsent, was die ukrainische Auseinandersetzung mit dem Kubismus gewiss begünstigte. Roland Schacht war ein deutscher Kunstkritiker, der seine Analysen und Kritiken u. a. im Sturm-Verlag (Zeitschrift und Sturm-Bücher) publizierte.

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setzung 1930 in der „Nova Generacija“ abgedruckt wurde. Darin berücksichtigt wur­ den jedoch lediglich Arbeiten, die bis einschließlich 1919 entstanden sind, während neuere Entwicklungen nicht angesprochen werden.514 Bei dem Text handelt es sich der Redaktion zufolge um einen Auszug aus Schachts Archipenko-Monografie, wo­ bei damit wohl der 1923 (1924?) in der Reihe Sturm-Bilderbücher publizierte Band „Alexander Archipenko“ gemeint sein dürfte.515 Dass die Präsentation des aus Kiew gebürtigen Künstlers nicht aus ukrainischer, sondern aus deutscher Perspektive erfolgte, belegt ein weiteres Mal den Versuch der Nova Generacija, möglichst inter­ national zu agieren.516 Die „Cahiers d’Art“ als Quelle für die Reflexion westeuropäischer Kunst Aus der französischen Kunstzeitschrift „Cahiers d’Art“ wurden Beiträge zur zeitge­ nös­ sischen Kunst von renommierten Kunstkritikern wie Christian Zervos (z. B. „Skul’ptura sučasnych mytciv“ [Die Skulptur bei zeitgenössischen Künstlern], 1929), Hubert Croxley (z. B. „Hans Arp“, 1928), Teriade („Juan Gris“, 1928) sowie Will Groh­mann („Paul Klee“, 1929) übernommen, die teilweise nur kurze Zeit davor im Original erschienen waren. Die ukrainische Übersetzung wies auch hier nur in Aus­ nahmefällen eine Nennung der Quelle bzw. des Übersetzers auf. Ein in der vierten Ausgabe des Jahres 1928 erschienenes Essay zu Braque stellt eine dieser Übernahmen dar. Das vom französischen Kunsthistoriker Jean Cassou verfasste Original war nur unmittelbar zuvor in den „Cahiers d’Art“ erschienen,517 die Übernahme war so­ mit äußerst aktuell. In der ukrainischen Ausgabe wurden von den ursprünglich sieben Abbildungen lediglich zwei (jeweils mit „nature morte“ untertitelt, alle 1927) übernommen, anders als im Original jedoch nicht unmittelbar beim Text, sondern unabhängig davon auf separaten Seiten positioniert. Der ukrainische Beitrag ist zu Beginn deutlich gekürzt und beginnt anders als das Original nicht mit einer ein­ leitenden Reflexion, sondern unmittelbar mit Braques Debut,518 das zufälligerweise ins selbe Jahr wie der Tod von Cézanne fiel.519 Dass diese Ausgabe der „Cahiers d’Art“ schließlich als Vorlage für weitere Artikel eingesetzt wurde, lässt auf eine mangelnde Verfügbarkeit internationaler Medien schließen, so­dass die wenigen vorhandenen Exemplare bestmöglich verwertet werden mussten. So erschien z. B. im Oktober-Heft der „Nova Generacija“ ein von Mykola Cholostenko verfasster Beitrag zum deutschen Architekten Mies van der Rohe, der mit Skizzen und Bildern illustriert war, die – mit zwei Ausnahmen  – ebenfalls der für Braque zitierten Ausgabe entnommen worden waren. Der ukrainische Beitrag ging auf die Bedeutung des deutschen Architekten im Kontext des Neuen Bauens ein, indem er ihn in einen deutschen, aber auch in einen 514 515

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Vgl.  Šant, Roljand [Schacht, Roland]: „Oleksander Archypenko. Monohrafija z ilju­ stracjiamy“, übersetzt von M. Dika, in Nova Generacija, Nr. 3 (1930), S. 34–39. Schacht, Roland: Alexander Archipenko. Berlin: Verlag der Sturm 1923 (1924?). — Da weder Erst- noch Neuauflage greifbar waren, war ein Vergleich mit der ukrainischen Übersetzung nicht möglich. Ein ukrainischer Kontext wird in Schachts Beitrag, der biografische Aspekte gänzlich außer Acht lässt, übrigens nicht erwähnt, sodass hier gewissermaßen die Präsentation eines internationalen Künstlers suggeriert wird. Cassou, Jean: „Georges Braque“, in: Cahiers d’Art, 3. JG, Nr. 1 (1928), S. 5–8. Kassu, Žan [Cassou, Jean]: „Žorž Brak“, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1928), S. 298–300. Dies kann gewiss ein Zufall sein, doch aufgrund der großen Bedeutung, die Cézanne in der Ukraine beigemessen wurde, sei diese Koinzidenz hier erwähnt.

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sowjetischen Kontext setzte. Cholostenko verweist auf den progressiven Anspruch der Stuttgarter Weißenhofsiedlung,520 die unter der Leitung von Mies van der Rohe realisiert worden ist. Auch das Vorhandensein von relativ hochwertig reproduzierten Bildbeispielen fran­zösischer Künstler der Moderne wie Braques, Léger, Juan Gris und Jean Metzinger ist häufig auf Vorlagen aus den „Cahiers d’Art“ zurückzuführen. Dies gilt etwa für jenen von Will Grohmann verfassten Artikel zu Klee, der in ukrainischer Übersetzung unter dem Titel „Pol’ Klee“ abgedruckt wurde.521 Während auch hier einige der repro­ duzierten Werke nur unmittelbar zuvor entstanden waren, datierten andere bereits aus 1919 (z. B. „Pleine lune“, 1919). Dass die Bildtitel in der ukrainischen Fassung fast durchwegs eliminiert und durch die standardisierte Bezeichnung „Pejzaž“ [Land­ schaft] resp. „Nature-Morte“ [Stillleben] ersetzt wurden, dürfte allerdings weder im Sinne des Malers noch des ursprünglichen Verfassers des Beitrages gewesen sein. Hier sei erwähnt, dass die Rezeption des deutschen Bauhauses, dem Klee ja angehörte, in der „Nova Generacija“ mehrfach über die französische Kunstzeitschrift und somit nicht aus einer deutschen, sondern aus einer französischen Perspektive erfolgte. Obwohl die meisten Werke in der Ukraine deutlich zeitversetzt präsentiert wur­ den, gab es doch auch einige, die bereits unmittelbar nach ihrer Entstehung in der Ukraine er­schienen. Hier lassen sich drei Bilder von Hans Arp als Beispiele nennen, die mit 1928 datiert sind und noch im selben Jahr in der „Nova Generacija“ (Nr. 11, 1928) präsentiert wurden. Die Bilder dienten zur Illustration des von Hubert Groxley (korrekt Hubert Croxley) verfassten Beitrages „Hans Arp“522 [Hans Arp], dessen franzö­sisches Original in den „Cahiers d’Art“ erschienen ist523 und einen Überblick über das Werk des deutsch-französischen Dadaisten bot. Eher ausnahmsweise wird in diesem Fall die Quelle offengelegt, sie findet sich allerdings nicht unmittelbar beim Text, sondern im kommentierten Inhaltsverzeichnis und somit als Teil des Para­textes. Mit der darin vorgebrachten Kritik, Croxleys Beitrag sei „викладено […] у субєктивному тоні“524 [in einem subjektiven Ton gehalten], wird außerdem eine meta­textuelle Ebene ein­ gefügt, auf der Croxley mangelnde Objektivität vorgeworfen wird. Obwohl die Zeit­ schrift „Cahiers d’Art“ insgesamt als wichtigste Quelle der „Nova Generacija“ für die Präsentation von westeuropäischer bildender Kunst ge­sehen werden kann, hielt sich die Redaktion mit Kritik an der Berichterstattung offenbar nicht zurück. Expressionismus In der bildenden Kunst kam es in der Ukraine vielfach zur Präsentation von Phäno­ menen, die zu dieser Zeit nicht mehr ganz aktuell waren. Dies betraf z. B. die Arbeiten des Ex­pressionismus und des Dadaismus, die teilweise Ende der 1910er-Jahre oder zu 520 521

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Vgl. Cholostenko, Mykola: „Mis-van-der-Rohe“ [Mies van der Rohe, Ludwig], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 263–266, hier S. 263 f. Zum Original-Beitrag vgl. Grohmann, Willi: „Paul Klee“, in: Cahiers d’Art, 3. JG, Nr. 7 (1928), S.  295–302; zum ukrainischen Beitrag vgl.  Grohmann, Willy [Grohmann, Willi]: „Pol’ Klee“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1929), S. 75–76. Zur ukrainischen Übersetzung vgl. Groxley, Hubert [Croxley, Hubert]: „Hans Arp“, in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 350–351. — Im Inhaltsverzeichnis wurde mit Grogsley eine weitere, ebenfalls falsche Schreibung des Nachnamens verwendet. Für das Original vgl. Croxley, Hubert: „Hans Arp“, in: Cahiers d’Art, 3. JG, Nr. 5–6 (1928), S. 229–230. [Red. NG] 1928: „Zmist No. 11 ta zauvažennja redakciji“, S. 281.

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Beginn der 1920er-Jahre im „Sturm“ oder anderen Zeitschriften diskutiert worden waren und erst knapp ein Jahrzehnt später Eingang in die „Nova Generacija“ fanden. Dass dem Expressionismus in der „Nova Generacija“ ein Schwerpunkt gewidmet sein solle, wurde bereits in der ersten Ausgabe nicht nur auf konzeptioneller, sondern auch auf visueller Ebene gezeigt, indem etwa ein Bild mit dem Titel „Eksprezionism“ abgedruckt wurde.525 Insgesamt wurde der westeuropäische Expressionismus in der Sowjetunion jedoch nur marginal rezipiert, was sich auf seinen fehlenden sozialen und pädagogischen Anspruch zurückführen lässt. Ilia Dorontchenkov betont, dass sowjetische Kritiker Wert gelegt hätten auf „a clear demarcation of positive and negative elements and did not permit differing political and ethical positions, thus presuming an objectivized and clear artistic language“.526 Diese Voraussetzung wurde von expressionistischen Künstlern nicht erfüllt,527 zu­dem zeigen expressionistische Darstellungen oft eine düstere Atmosphäre, die Trostlosig­keit des Lebens und gefallene Menschen anstatt des Idealbildes des „Neuen Men­schen“. Abbildungen wie jene von George Grosz, die den  – wie Adorno sie beschrieb  – „glücklos-kommerzialisierten Sexualtrieb des Kurfürstendamms“528 zeig­ten, passten nicht in dieses Idealbild hinein. Dennoch korrelierte die ukrainische Rezeption des deutschen Expressionisten Grosz zu Beginn des Jahrzehntes noch mit einem in Russland ebenfalls vorhandenen Interesse an dessen Werk. Die russische Kunsthistorikerin Lija Zivel’činskaja be­tonte, dass die satirischen Darstellungen von Grosz „выражают подлинный лик капита­ листического мира“529 [das wahre Gesicht der kapitalistischen Welt zum Aus­druck bringen]. Grosz hatte eine künstlerische und ideologische Progression vom Dadaisten zum Kommunisten durchlaufen, was ihn zunächst offenbar auch für Majakovskij und dessen LEF attraktiv machte.530 Doch bereits Mitte der 1920er-Jahre fiel das Ur­teil des LEF-Autors Percov zu Grosz eher kritisch aus,531 was die fort­schreitende rus­ sische Abkehr von Grosz belegt. Ende der 1920er-Jahre wurde der Expressionismus schließ­l ich von radikalen Marxisten gar als Abart des Kapitalismus verdammt532 und zählte somit zu jenen Strömungen, die mit dem politischen Umbruch der „zweiten Kulturrevolution“ in Bedrängnis gerieten. 525 526 527

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Als Urheber des Bildes war Uden angegeben: Uden: „Eksprezionism“, in: Nova Gene­ racija, Nr. 1 (1927), unpag. Dorontchenkov 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 239. Das expressionistische Grafik-Design stellte hier offenbar eine Ausnahme dar und wurde aufgrund des vermeintlich originären und realistischen Charakters in der Sowjet­­ union sehr geschätzt; vgl. ibd. — Mit Sowjetunion war wohl auch hier vor allem Russ­ land gemeint, da expressionistische Strömungen in der Ukraine sehr geschätzt wurden. Adorno 1963: „Jene zwanziger Jahre“, S. 61. Zivel’činskaja 1931: Ekspressionizm, S. 90. Grosz hielt sich 1922 längere Zeit in der Sowjetunion auf und nahm dort an zumindest fünf Ausstellungen teil; vgl.  Dorontchenkov (Hrsg.) 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 240; Grosz trat nach seiner Reise in die Sowjetunion enttäuscht aus der Kommunistischen Partei aus; vgl.  Jentsch, Ralph (Hrsg.): Ausst.-Kat. George Grosz. The Berlin Years. Milan: Electa 1997, S. 105. Viktor Percov, der auch in der „Nova Generacija“ als Redaktionsmitglied aufschien, verfasste das Vorwort zu einem Band über Grosz; vgl. Pertsov, Viktor [Percov, Viktor]: „Foreword to the Russian translation of George Grosz and Wieland Herzfelde’s Art Is in Danger: Three Essays (1926)“, in: Dorontchenkov (Hrsg.) 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 254–255. Vgl. Dorontchenkov (Hrsg.) 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 239.

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In der „Nova Generacija“ wurde Grosz auch am Ende des Jahrzehntes noch intensiv re­ zipiert, indem etwa Beispiele aus seinem Werk abgedruckt wurden.533 Darüber hinaus wurde ihm eine wichtige Rolle innerhalb der Entwicklung des Konstruktivismus zu­ gestanden, wie aus Mychajlovyčs Essay „dynamizm sučasnoji archytektury“ [Klein­ schr. i. Orig., VF] [Dynamik der zeitgenössischen Architektur] hervorgeht. In der Zurück­haltung und Nüchternheit liege nämlich eine wichtige Analogie, die den Kon­ struk­tivismus mit Grosz verbinde: „Бачити – значить рисувати [sic]“ – каже нам Гросс, „рухи очей рисують предмет, що вони бачуть“. Архітектура сьогоднішнього дня вживає лише спрощені і раціо­ налізовані форми і через свою тверезість, якість та прозорість доходить до всіх.534 [„Sehen – das heißt zeichnen“, sagt uns Grosz, „die Bewegungen der Augen zeichnen den Gegenstand, den sie sehen“. Die Architektur des heutigen Tages verwendet nur vereinfachte und rationalisierte Formen, und durch ihre Nüchternheit, Hoch­wertigkeit und Transparenz dringt sie zu allen vor.]

Dass ukrainische Zeitschriften den Fokus weiterhin auf abstrakte und expressionistische Phänomene legen konnten, scheint auch insofern bemerkenswert, als sich der Expres­ sionismus stark durch eine Kritik an der Industrialisierung auszeichnete,535 und die Industrialisierung wiederum von der ukrainischen Avantgarde als zentrales Element der Kunst propagiert wurde.536 Der Expressionismus stand in Kontrast zur Produk­ tionskunst sowie zu den realistischen und proletarischen Strömungen, die zu dieser Zeit die sowjetische künstlerische Debatte dominierten. Vom Dadaismus zum Surrealismus Einen sehr ausführlichen Überblick über die beiden Strömungen des Dadaismus und Surrealismus bietet ein Beitrag von Sergej Romov, der 1929 unter dem Titel „Vid dada­jizmu do sjurrealismu“ [Vom Dadaismus zum Surrealismus] erschien. Romov war ein russischer Kunsthistoriker, der, obwohl 1906 nach Paris emigriert, 1920 wieder in die Sowjetunion zurückgekehrt war und nicht zuletzt aufgrund seiner persön­ lichen Kontakte zu Dadaisten und Surrealisten ein breites und fundiertes Wissen über die französische Kunst besaß.537 In seiner knapp dreißigseitigen, sehr umfang­ reichen Analyse rekurrierte Romov mit den Jahren 1916 bis 1921 ebenfalls auf eine bereits vergangene Epoche.538 „Vid dadajizmu do sjurrealismu“ ist interdisziplinär ausgerichtet, bezieht sowohl Tendenzen aus der Literatur als auch aus der bildenden Kunst ein und analysiert neben den Ursprüngen auch das Umfeld und das weitere 533 534 535 536 537

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1928 wurde z. B. eine Reproduktion von dessen „Pochmura Vulycja“ (Originaltitel und Entstehungsjahr nicht bekannt) abgedruckt. Mychajlovyč, S.: „dynamizm sučasnoji archytektury“, in: Nova Generacija, Nr.  11–12 (1930), S. 51–57, hier S. 56. Vgl. Burdorf/Fasbender/Moennighoff (Hrsg.) 2007: Metzler Lexikon Literatur, S. 223. Hier sei auf die Konzepte von Avanhard verwiesen. Lejkind, O./Severjuchin, D.: „ROMOV Sergej Matveevič (sobstv. Roffman Solomon Davidovič)“ (Lexikoneintrag), in: Iskusstvo i architektura russkogo zarubež’ja. http:// www.artrz.ru/menu/1804681482/1805055132.html (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). Vgl. Romov, Serhij: „Vid dadajizmu do sjurrealismu“, in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 33–61.

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Schicksal der beiden behandelten Strömungen. Diese werden in einen sowjetischen Kon­text gesetzt, indem Romov Parallelen zu Chlebnikov zieht, dessen „Schatten“ er im Werk der Dadaisten verortete.539 Dem Beitrag wurden allerdings weder Infor­ mationen zu einer etwaigen bereits anderswo erfolgten Erstveröffentlichung noch zum Übersetzer beigefügt, und dies, obwohl es sich dabei um die Übertragung eines Beitrages handelte, der zu Beginn desselben Jahres im russischen „Vestnik inostrannoj literatury“ [Bote der ausländischen Literatur] erschienen war.540 Anders als bei den Übernahmen aus den „Cahiers d’Art“ wurden die im russischen Original abgedruckten Bildbeispiele, die nur eine relativ schlechte Qualität besaßen, in die ukrainische Version nicht integriert. Ukrainischer Cézanneismus In den kunsttheoretischen Schriften, die in den späten 1920er-Jahren in der Ukraine publiziert wurden, lässt sich neben der Auseinandersetzung mit expressionistischen Ten­denzen eine verstärkte Bezugnahme auf den französischen Impressionisten Cé­ zanne bemerken. Ähnlich wie im französischen Kubismus hatte sich bereits in der frühen russischen Avantgarde ein neues Interesse an Cézanne etabliert. Lozowick kon­statierte 1925, die Auflehnung gegen die tradierte Kunst habe mit Bubnovyj Valet [Karo Bube] (1910–1917) begonnen.541 In den 1920er-Jahren kam es jedoch zu einem deut­l ichen Bruch in der russischen Cézanne-Rezeption, der von den Konstruktivisten am deutlichsten praktiziert wurde. Arvatov vermerkte zwar auch positive Aspekte – „[Cézanne] opened up new horizons by tackling the constructive and technical use of the material and painting“542 –, kritisierte jedoch dessen eindeutige Zugehörigkeit zur Bourgeoisie.543 Die generelle Abkehr wird durch eine Reihe nahezu zeitgleich ent­ standener Essays belegt544 und gipfelte schließlich in einem Disput, in dem Aleksandr Sever­ denko, ein Mitglied des russischen Künstlerverbandes Sojuz Chudožnikov (SCh), der seiner Ansicht nach impressionistischen, bourgeoisen Tendenz jedweden Nutzen für die Sowjetunion absprach.545 Anders als in Russland kam es in der Ukraine auch im postrevolutionären Futu­ rismus und im Konstruktivismus – und dies auf mehreren Ebenen sowie gattungsüber­ greifend – zu einer Bezugnahme auf Cézanne, der überdies für das Schaffen zahlreicher Künstler prägend war.546 Petryc’kyj wurde z. B. in zeitgenössischen Kriti­ken als Anhän­ 539 540 541 542 543 544 545 546

Vgl. Romov 1929: „Vid dadajizmu do sjurrealismu“, S. 42 ff. Romov, Sergej: „Ot dada k sjurrealizmu“, in: Vestnik innostrannoj literatury, Nr. 3 (1929), S. 178–208. Vgl. z. B. Lozowick 1925: Modern Russian Art, S. 11, 17. — Zur Popularität Cézannes in der russischen Avantgarde vgl. auch Gray 1974: Das große Experiment, S. 109. Arvatov, Boris: „Toward Proletarian Art“ (1922), in: Dorontchenkov (Hrsg.) 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 205–206, hier S. 205. Vgl. ibd. Einige davon liegen in englischer Übersetzung vor: Vgl. Dorontchenkov (Hrsg.) 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 275. Severdenko, Aleksandr: „Response to an Impressionist (1929)“, in: Dorontchenkov (Hrsg.) 2009: Russian and Soviet Views of Modern Western Art, S. 302–303, hier S. 303. Für Kurbas ebenso wie für den Bühnenbildner Petryc’kyj; vgl. Kornijenko 2016: „Les’ Kurbas  – Wien  – und weiter ...“, S.  197; vgl.  Horbenko, P.: „Ohljad Vseukrajins’koji chudožn’oji vystavky v 10 rokovyny Žovtnja“, in: Červonyj Šljach, Nr. 3 (1928), S. 115– 127, S. 118.

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ger der französischen Schule Cézannes bezeichnet. Malevič, der in seinen in der Ukra­ine publi­zierten Essays zur Kunst primär französische Erschei­nungen fokussierte, themati­ sierte Cézanne ebenfalls oft. Dieser war nicht nur für die von Malevič viel dis­kutierten Kubis­ten Picasso und Braque,547 sondern auch für Malevič selbst von Bedeutung, wie sich in allen Phasen seiner künstlerischen sowie theo­retischen Arbeit zeigt.548 Allusionen auf den französischen Künstler finden sich überdies auch in der Poesie: Semenko integrierte Cézanne in semantisch-dekonstruktivistischer Weise in seine „Poesiemalerei“. Im Bildgedicht „Systema“ (Abb. 7, S. 56), das durch seine Ge­staltung an die Programmankündigungen eines Plakates erinnert, werden nicht nur ukrainische Künstler (Tyčyna) resp. Erscheinungen (Kverofuturismus) verlaut­bart, sondern auch eine Verbindung mit westeuropäischen Strömungen und Namen her­gestellt. Die da­ raus entstehende, scheinbar willkürliche, weder zeitlich noch im Hinblick auf die Kunstrichtungen konsistente Auflistung wirkt primär auf assozia­tiver Ebene, sodass die verschiedenen Erscheinungen und Namen durch den Leser in­tuitiv abgerufen und verknüpft werden. Gelistet sind Einflüsse, Kontexte und Weg­punkte Semenkos, deren Konkretisierung über eine Zuordnung zu bestimmten Namen oder Orten erfolgt. Eines dieser Elemente verweist auf Cézanne, dessen Name als unvollständiges Wortfragment in das „Poezomaljarstvo“ integriert ist: Mit „Seza n [sic]“549 wird die grafische Ebene de­formiert, sodass die lautliche in den Vordergrund rückt. Das ukrainische Interesse an Cézanne stieß bei den russischen Konstruktivisten auf harsche Kritik. Im bereits erwähnten Essay „Nam pišut“ wird der „Nova Gene­ racija“ zwar eine Relevanz in Bezug auf „освещения левых работ Сезана, Пикассо“ [die Erörterung der linken Arbeiten von Cézanne und Picasso] zugestanden. Die Bezugnahme auf die beiden bei russischen Konstruktivisten verpönten westeuro­ päischen Künstler sei jedoch auf ein massives Defizit innerhalb der Entwicklungen der ukrainischen Kunst selbst zurückzuführen. Dieses sei ausge­löst durch „почти полным отсутствием каких бы то ни было прогалин в натура­листическом лесу украинской живописи“550 [das beinahe vollständige Fehlen jeglicher wie auch immer gearteter Lichtungen innerhalb des naturalistischen Waldes der ukrainischen Malerei]. 4.4.3 Bühnenbild und Theater551 Die Szenografie zählte zu jenen Bereichen der Avantgarden, die eine besonders starke Revolution erlebten. Eine Sonderstellung des Bühnenbildes lässt sich daran ablesen, dass seiner Weiterentwicklung in den meisten Avantgarden ein hoher Stellen­wert zu­ kam, sodass sowohl im italienischen Futurismus als auch am deutschen Bauhaus und in der sowjetischen Avantgarde eine Reihe von markanten Beispielen hervorgebracht wurde. Ähnlich wie in Italien, der Weimarer Republik und in Russland agierten die meisten ukrainischen Szenografen ebenfalls intermedial, weshalb sie auch in anderen

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548 549 550 551

Auch die französischen Kubisten galten gemeinhin als „cézannistisch“, wofür Cézannes Zitat „Alle Formen in der Natur lassen sich auf Kugel, Kegel und Zylinder zurückführen“ als Beleg angesehen wird; vgl. Hofmann 1966: Grundlagen der modernen Kunst, S. 276. Zum Einfluss Cézannes auf Malevič vgl. z. B. Gray 1974: Das große Experiment, S. 134. Vgl.  Kocarev/Stachivka (Hrsg.) 2014: Ukrajins’ka avanhardna poezija (1910–1930-ti roky), S. 450. [Red. NL] 1928: „Nam pišut“, S. 45. Zu diesem Abschnitt vgl. Faber 2015: „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avantgarde“, S. 234–236.

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Bereichen der Kunst engagiert waren: Meller als Grafiker und Typograf, Petryc’kyj als Maler, Exter als Malerin etc. Mit dem Theater Berezil’, das 1926 von Kiew nach Charkiw übersiedelte, hatte sich in der Ukraine eine progressive avantgardistische Theatertradition etabliert, deren Protagonisten, durch die internationale Theater-Avantgarde in Westeuropa – Kurbas lebte längere Zeit in Wien, Meller in München und Paris – inspiriert, das ukrainische Theater revolutionierten. Während der Regisseur und Leiter von Berezil’ in der Ukraine als „наша гордість, наш свiт, наше тепло, наша втіха і надія!“552 [unser Stolz, unsere Welt, unsere Wärme, unsere Freude und Hoffnung] verehrt wurde, blieben ihm und dem ukrainischen Drama die internationale Anerkennung jedoch weitgehend versagt. In der Ukraine war das Interesse an der Bühne in dieser frühen Phase der „Nova Generacija“ mit dem Bühnenbildner Meller verbunden, der zu Beginn die Gestaltung der Zeitschrift verantwortete. Vor allem die Entwicklungen des deutschen Theaters wurden mit gro­ ßer Aufmerksamkeit verfolgt. Das Umschlagsujet der allerersten Ausgabe der „Nova Generacija“ zeigte eine Skizze von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“, dessen Ur­aufführung allerdings bereits 1922 erfolgt war, sodass es in der Ukraine eine deutlich verspätete Rezeption erlebte.553 Mehrmals wurde überdies auf Erwin Piscator Bezug genommen, dessen politisches Theater auch inhaltlich Übereinstimmungen mit den Zielen sowjetischer Künstler barg. Ein mit einem Verweis auf „Die Literarische Welt“ publizierter Beitrag zu Erwin Piscators politischem Theater bestand im Wesentlichen aus direkten Zitaten, die zwei Beiträgen aus der deutschen Zeitschrift entnommen waren.554 Obwohl der Text einen Hinweis darauf enthält, dass es sich um eine Übernahme aus der „Literarischen Welt“ handelte, blieb die Angabe einer genauen Quelle aus. Geboten wird u. a. die Übersetzung einer Theaterkritik „з приводу ,Швейка‘, останьої постановки Піска­тора“ [zu „Schwejk“, der neuesten Produktion Piscators], die in voller Länge übernommen wurde, sodass sie schließlich eine halbe Seite einnahm.555 Die Über­ setzung hält sich weitgehend an das Original, beinhaltet jedoch einige übersetzerische Freiheiten. So wird die im deutschen Original artikulierte Kritik am „überflüssigen“ technischen Apparat ersetzt durch „scheint zu oft verwendet zu werden“: Der ungeheure technische Apparat wirkte oft überflüssig. Aber das hat sich schließ­l ich legitimiert durch die prachtvolle szenische Komposition des herumirren­den Schwejk, der tagelang zwischen Pisek und Budweis im Kreise marschiert […].556

wird in der Übersetzung modifiziert in:

552

553 554 555 556

Eine solche Verehrung geht zumindest aus einer Kurzgeschichte von Černov hervor. Ob­ wohl die Handlung der Geschichte auch reale Personen miteinbezieht, bleibt sie den­ noch fiktiv, weshalb der genannten Zuweisung jedenfalls nur mit Vorbehalt Glauben zu schenken ist; Černov, Leonid: „Cyvilizacija“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1927), S. 26–34, hier S. 26. Ausführlicher zur Rezeption der deutschen Bühnen in der Ukraine vgl.  Faber 2015: „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avantgarde“, S. 234–236. Vgl. [Red. NG]: „Teatr Piscatora“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 225–227. Vgl. [Red. NG] 1928: „Teatr Piscatora“, S. 226 f. H [Haas, Willy]: „,Schwejk‘ auf der Piscator-Bühne“, in: Die Literarische Welt, 4. JG, Nr. 5 (Freitag, 3. Februar 1928), S. 7.

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У п’єсі часто ніби занадто користають з величезного технічного апарату, але це виправдується чудовою сценічною композицією цього мандрівника „Швейка“, який цілими днями блукає з одного місця на инше [sic] між Пісеком і Будвайсом […]. [Im Stück scheint der enorme technische Apparat zu oft verwendet zu werden, doch dies wurde schließlich gerechtfertigt durch die wunderbare szenische Komposition des reisenden „Schwejk“, der zwischen Pisek und Budweis tagelang von einem Ort zum anderen wandert.]

Dass hier die Schreibung des ukrainischen Wortes für „andere“ (inše) als „ynše“ erfolgte, dürfte in diesem Fall keine Fehlschreibung sein, da eine analoge Schreibung zumindest in der „Nova Generacija“ zu dieser Zeit üblich war, weshalb sich zahlreiche weitere Beispiele für diese heute nicht mehr korrekte Schreibung finden lassen. Sowohl die An­gabe des Verfassers als auch die des Übersetzers bleiben aus.557 Die Berichterstattung über das deutsche Theaterleben erfolgte somit relativ un­ mittelbar. Da die erste Abbildung von der Piscator-Bühne jedoch erst im Juni 1930 gedruckt wurde, dürften die entsprechenden Bildmaterialien um einiges schwieriger zu beschaffen gewesen sein.558 Mit Petryc’kyj, der ab 1930 die grafische Leitung der Zeitschrift übernommen hatte, kam es nach einer knapp zweijährigen Pause erneut zu einer starken Fokussierung auf das Theater. Im Artikel „Оформлення сцени сучасного театра“ [Bühnengestaltung am zeitgenössischen Theater], der im Jänner 1930 erschien, ging Petryc’kyj auf die Möglichkeiten der durch Mechanisierung bewegten Bühne ein und bezog sich neben Vsevolod Mejerchol’d auch auf das Bauhaus und Oskar Schlemmer.559 німецький bauhaus, що має великі технічні можливості, і експериментальні конструктивні майстерні театрального оформлення, досягнув великих технічних наслідків щодо утилітарности й механізаціï; […] цілком правий шлемель [sic], коли він накреслює шляхи розвитку сучасного театру через техніку та винахідництво. […] сучасне сценічне оформлення є машина, збудована з органічних зв’язків [Kleinschr. i. Orig., VF].560 [das deutsche bauhaus, das große technische möglichkeiten hat und experimentelle konstruktive meister des bühnenbilds, hat große technologische auswirkungen auf die nützlichkeit und mechanisierung gezeigt. […] schlemmel [sic] hat völlig recht, wenn er das entwicklungspotential des zeitgenössischen theaters in technik und innovation sieht. […] das zeitgenössische bühnenbild ist die maschine, aufgebaut aus organischen verbindungen [Kleinschr. i. Orig., VF].]

557 558 559 560

Vgl. [Red. NG] 1928: „Teatr Piscatora“. Vgl.  Faber 2015: „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avant­ garde“, S. 235. Zu diesem Absatz sowie zum folgenden Zitat vgl. ibd. Petryc’kyj, Anatol’: „Oformlennja sceny sučasnoho teatru“, in: Nova Generacija, Nr. 1 (1930), S. 40–42, hier S. 41.

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Daneben wurden auch andere Theater-Erscheinungen in Westeuropa mit großem In­ teresse rezipiert, so z. B. das Konzept des „Simultanen Theaters“, zu dem 1930 ein aus­ führlicher Artikel erschien, der sich u. a. den Entwicklungen in Warschau und Paris widmete.561 Da experimentelle Theaterproduktionen in der Sowjetunion seit 1926 von offizieller Seite praktisch verfemt waren, erscheint der Fokus auf die – teilweise bereits älteren – experimentellen Zugänge zur Bühne ebenfalls eher gewagt.562 In der Zeit­schrift „Avanhard“, die ihre Schwerpunkte auf Literatur und Architektur legte, kam es zu keiner relevanten Bezugnahme auf das westeuropäische Bühnenbild. 4.5 G  ab es eine Wahrnehmung der ukrainischen Avantgarde im westeuropäischen Ausland? Die vorhergehenden Analysen haben gezeigt, dass in Charkiw in der sowjetischen Ukraine ein beträchtliches Interesse an den westeuropäischen Strömungen bestand. Als Abschluss des Kapitels „Internationalität“ soll nun gefragt werden, ob und in­ wieweit die vielfach postu­lierten Ziele, die eigene Kultur zu popularisieren, in die Realität umgesetzt wer­den konnten, sodass es auch umgekehrt zu einer Wahrnehmung der ukrainischen Avant­garde im westeuropäischen Ausland kam. In der folgenden Analyse wird versucht, die Spuren der ukrainischen Avantgarde in Westeuropa exem­ pla­risch anhand einiger Bei­spiele vor allem aus Deutschland nachzuzeichnen, wo­ bei gegebenenfalls auch Strö­mungen in anderen Ländern resp. Sprachräumen be­ rücksichtigt werden. 4.5.1 Zur Wahrnehmung von „Nova Generacija“ und „Avanhard“ Darüber, dass es sich bei der ukrainischen Kunst der Übergangsepoche um eine revo­ lutionäre und zudem originäre Erscheinung handelte, die allen anderen existierenden zeitgenössischen Strömungen weit voraus war, herrschte zumindest unter den an­ sonsten verfeindeten Gruppierungen in Charkiw durchaus Konsens. Bereits zu Be­ ginn der 1920er-Jahre hatte Semenko den Panfuturismus zur wichtigsten Strömung der gesamten Sowjetunion erklärt,563 und auch Poliščuk betonte mehrmals die ver­ meintlich überlegene Sonderstellung der ukrainischen Kultur. Ungeachtet dieser für viele Avant­garden recht typischen Neigung zur Selbstüberschätzung konnte Poliščuk jedoch übertriebenen Behauptungen wie jener in der Zeitschrift „Červonyj šljach“, „Павло Тичина є один із найбільших поетів сучасної європейської поезії“564 [Pavlo Tyčyna ist einer der größten Poeten der zeitgenössischen europäischen Poesie], nur wenig abgewinnen.565 Vielmehr setzte er dem Redakteur von „Červonyj šljach“ unter Verweis auf seine im Ausland gemachten Erfahrungen entgegen, dass Tyčyna, der damals in der Ukraine zu den bekanntesten Dichtern zählte, in Westeuropa gänzlich unbekannt ge­blieben sei: 561 562

563 564 565

S.,  M. [Semenko, Mychajl’ ?]: „Projekt ,symul’taničnoho‘ teatru“, in: Nova Generacija, Nr. 10 (1930), S. 53–56. Zu diesem zwar unausgesprochenen, jedoch evidenten Bann vgl.  Makaryk 2004: Shakespeare in the Undiscovered Bourn: Les Kurbas, Ukrainian Modernism, and Early Soviet Cultural Politics, S. 158. Vgl. Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 303. Červonyj šljach – zit. nach Poliščuk 1927: Pul’s epochy, S. 23. Hier sei freilich anzumerken, dass Tyčyna selbst die literarische Redaktion der Zeit­ schrift geleitet hat; vgl. Hryn 2005: „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian modernism’s defi­ ning moment, S. 48.

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Уявіть собі, що, буваючи в Европі [sic], ми не чули й не бачили в жодному чужо­ мовному журналі, де - б Тичину величали європейським поетом. Його там просто не помітили.566 [Stellen Sie sich vor, dass wir, als wir in Europa waren, weder davon gehört haben, noch eine fremdsprachige Zeitschrift gesehen haben, in der Tyčyna als europäischer Dichter gerühmt worden wäre. Man hat ihn dort nicht einmal registriert.]

Umgekehrt verfolgten die ukrainischen Künstler die – nur sehr sporadisch auftreten­ den – internationalen Reaktionen auf ihre Arbeit mit besonderem Interesse, da jede Nennung in westeuropäischen und russischen Medien eine Bestätigung für den Erfolg der eigenen Aktivitäten darstellte. Škurupij wusste bspw. davon zu berichten, dass in französischen und deutschen Zeitschriften zwar nicht oft, aber zumindest einige Male von ukrainischen Autoren die Rede war. Dass aber der Abdruck ukrainischer Werke in Westeuropa, wie der Autor überdies behauptete, gar öfters erfolgte als in Russland, wo man lediglich über westeuropäische Medien von ukrainischen Künstlern erfahren könne,567 lässt sich als Stilmittel der Hyperbel verstehen. Die generell marginale Wahr­nehmung der eigenen künstlerischen Leistungen, die sich unbemerkt an einer Periphe­rie abspielten, ließ jede noch so kleine Zuwendung von außen als kleine Sen­ sation er­scheinen, auf die man gerne und stolz verwies. Die Avantgarde-Zeitschriften, die in exzessiver Weise über und aus westeuro­ päischen Medien berichteten, wurden in Westeuropa dagegen nur wenig registriert. Dass Waldens Absicht, mit der „Nova Generacija“ zu kooperieren, auch in der wech­ selseitigen Publi­kation von Werbeeinschaltungen resultierte, wurde bereits erwähnt. Das Bei­spiel Prampo­linis hat überdies gezeigt, dass die Versendung von Exemplaren der eigenen Publikationen eine jener Strategien war, die der Propagierung der eigenen Bewe­gung im Ausland dienen sollte. Gewiss mag die sprachliche Barriere dem Erfolg dieser offensiven Taktik im Wege gestanden haben, sodass wohl einige der ver­schickten Hefte von ihren Empfängern ungelesen entsorgt worden sind. Gesichert ist, dass ein Exemplar von „Avanhard: Al’manach prole­tars’kych mytciv novoji generaciji“ und somit des in Kiew herausgegebenen Able­gers der „Nova Gene­racija“ in der Redaktion der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ einge­troffen ist, wo es einem mehr oder weniger sprachkundigen Rezensenten in die Hände fiel. Die von Ernst May heraus­gegebene Zeitschrift, zugleich Publikationsorgan des Deutschen Werkbundes568, zeigte ähnlich wie das Bauhaus ein großes Interesse an den Entwicklungen in der Sowjetunion und präsentierte mehrfach Bauprojekte in der UdSSR. Die 1930 publizierte Rezension zum „Almanach der Avant­garde“ fiel zwar knapp, doch sehr positiv aus. Die Qualität der Abbildungen wird aus­drücklich gelobt; dass diese „merkwürdig schwankend zwischen Expressionismus, Ma­tisse und Kandinsky“ und somit wenig auf eine bestimmte Stil­richtung fokussiert seien, wie es weiter heißt,

566 567 568

Poliščuk 1927: Pul’s epochy, S. 23 f. Vgl. Škurupij 1928: „Na šturm linoščiv i neznajstva“, S. 212. Der Deutsche Werkbund (1907–1938) war eine gewerbliche Vereinigung von Künstlern, Architekten und Wirtschaftstreibenden, in der Kunst, Industrie und Handwerk kombi­ niert werden sollten.

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belegt den universellen Charakter der Zeitschrift. Überdies wird die ukrainische Architektur als „ultra-funktionell“ be­zeichnet.569 „Almanach der Avantgarde“ 1930 („Der proletarische Künstler der neuen Genera­ tion“). Zusammenfassung der Arbeiten einer Gruppe ukrainischer Künstler. Sehr gute Aufnahmen aus dem Film „Die Erde“, die Gemälde merkwürdig schwan­kend zwischen Expressionismus, Matisse und Kandinsky, die Plastiken teil­ weise neo­ ägyptisch, die Architektur ultra-funktionell. Sehr viele Texte. Herausgeber: Geo Schkurupij. Adresse: Kiew, Karl Marx-Straße 2.570

Dieses sehr spät zu datierende Beispiel für die Wahrnehmung ukrainischer Aktivi­ täten in Deutschland steht symptomatisch für das Schicksal der ukrainischen Avant­ garde, erst dann registriert worden zu sein, als sie bereits in ihrem allerletzten Stadium war. Dass die Rezension trotz der dezidierten Nennung von ukrainischen Künst­lern in der Rubrik „Revue der Zeitschriften“ in der Sektion „Rußland“ besprochen wurde, unterstreicht allerdings erneut das Ungleichgewicht zwischen dem dominanten rus­ sischen Zentrum und der nach wie vor marginalisierten und in­existenten Peripherie. Auch von Seiten der offiziellen sowjetischen Kulturpolitik, die in den 1920erJahren mit eigenen Kampagnen die Propagierung der sowjetischen Kulturideologie forcierte, wurde der Fokus auf die Neuerungen in den Zentren gelegt. Zwar verfügten die einzelnen Sowjetrepubliken über eigene Organe, die im Ausland über die Entwicklungen in den Republiken informieren sollten, diese konzentrierten sich jedoch vor allem auf die Industrialisierung.571 In diesen Regierungsmedien, zu denen bspw. „Das Neue Rußland“ zählte, wurde ausschließlich über solche Künstler berichtet, die einen Teil des Systems repräsentierten.572 Die Avantgarde, die zu dieser Zeit nicht mehr durch das System protegiert und offiziell gerade noch geduldet wurde, spielte darin überhaupt keine Rolle. Lediglich Exter wurde in dem von Jakov Tugendchol’d unter dem Titel „Die Malerei im letzten Jahrzehnt“ publizierten Artikel erwähnt, der auch kritisch auf das Kunstgewerbe einging. Während es nur wenigen Künstlern, etwa Popova und Tatlin, tatsächlich gelang, in der Produktion zu arbeiten, bestand für die meisten anderen das Kunstgewerbe in Versuchen der Schaffung von Berufskleidung (Popowa, Ekster), in Konstruktionsversuchen für das Theater (Stenberg, Ekster, Stepanowa, Wesnin).573 569 570 571 572

573

Vgl. R. G. [DNF]: „Neue Literatur“, in: Das Neue Frankfurt, 4. JG, Nr. 2–3 (1930), S. 77–81, hier S. 79. R. G. [DNF] 1930: „Neue Literatur“, S. 79. Analog zur VOKS, die für alle Sowjetrepubliken zuständig war, existierte in der Ukraine die All-Ukrainian Society for Cultural Relations with Foreign Countries. Die Zeitschrift wurde von der Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland heraus­ gegeben und sollte in deutscher Sprache ein differenziertes Bild Russlands in Deutsch­­­ land bieten; ob dies zumindest zu Beginn tatsächlich die Absicht war, sei dahinge­stellt; „Das Neue Frankfurt“ bezeichnete „Das Neue Russland“ einige Jahre später wenig posi­tiv als „eine deutsche Propagandazeitschrift für Sowjet­rußland. Sie be­handelt alle kulturellen Fragen aus dem Gesichtswinkel der Orientierung für das Aus­land. Péné­ tration pacifique ohne Aufdringlichkeit“: R. G. [DNF] 1930: „Neue Literatur“, S. 79. Tugendhold, Jakob [Tugendchol’d, Jakov]: „Die Malerei im letzten Jahrzehnt“, in: Das Neue Russland, 5. JG, Nr. 1 (1928), S. 18–22, hier S. 19.

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4.5.2 Literatur Die Wahrnehmung der ukrainischen Literatur blieb im Ausland äußerst gering, wobei die sprachliche Barriere gewiss eines der größten Hindernisse darstellte. Die Nennung ukrainischer Avantgarde-Autoren beschränkte sich in Berlin auf die wenigen direkten Kon­takte zwischen den Autoren, die zudem oft auf Initiative der ukrainischen Seite hin entstanden sind. Umgekehrt wurde in der Ukraine über die Reisen, die Semenko und Poliščuk Ende der 1920er-Jahre mehrmals in die Hauptstadt der Weimarer Repub­lik führten, mit Stolz berichtet.574 Da, wie erwähnt, selbst die sehr konkreten Pläne Waldens, eine Sondernummer von „Der Sturm“ zur Ukraine zu publizieren, nicht realisiert wurden, gelang es weder Semenko noch Poliščuk, zu Lebzeiten einen ihrer Texte im westeuropäischen Ausland zu publizieren. Dies ist umso erstaunlicher, als die intensiven Versuche, mit internationalen Autoren Kontakt aufzunehmen, ja in mehreren Fällen erfolgreich waren. Das Problem der marginalen Wahrnehmung der Literatur war allerdings gewiss keines, das ausschließlich ukrainische Autoren betraf, denn auch russische Avant­ garde-Schrift­steller litten darunter, dass ihnen der Sprung auf den deutsch­sprachigen Markt verwehrt blieb. Selbst Majakovskij klagte trotz intensiver Be­mühungen und mehrerer Auslandsreisen575 über Probleme, einen geeigneten Über­setzer für seine durch Wortspiele gekennzeichneten lyrischen Arbeiten zu finden.576 In der Ukraine lagen jedoch einige Texte – hier sei etwa Poliščuks Luftfahrtspoem „Aeronautik“ er­ wähnt – bereits in einer deutschen Übersetzung vor, sodass der ge­scheiterte Versuch, Texte im Ausland zu publizieren, letztlich nicht ausschließlich an der Sprachbarriere gelegen haben mag. Von den ukrainischen Avantgarde-Autoren konnte lediglich Jevhen Michal’s’kyj, der seine Texte auch in „Avanhard“ publi­zierte, auf internationaler Ebene re­üssieren, wobei seine Esperanto-Gedichte zu­mindest im kleinen Kreis der europä­ischen Esperanto-Dichter einen beachtlichen Bekannt­heitsgrad erreichten. 4.5.3 Film Der sowjetische Film stellt eines jener Genres dar, deren Entwicklung in Westeuropa wohl am meisten verfolgt wurde, weshalb im Folgenden gezeigt wird, inwieweit es im Ausland zu einer Wahrnehmung des ukrainischen Films ge­kommen ist. Während andere Kunstformen außerhalb der Ukraine nur wenig wahrgenommen wurden, lässt sich für den Film ein umgekehrtes Verhältnis von Präsentation und Re­ zeption beobachten. Obwohl der deutschsprachige Film mit Werken wie Fritz Mur­ naus „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ (1922), Fritz Langs „Metropolis“ (1927) und Georg Wilhelm Pabsts „Die Büchse der Pandora“ (1929) einige der wich­ tigsten Filme des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit, aber auch des ScienceFiction-Genres hervorgebracht hatte, wurden diese von den ukrainischen Avantgarde-

574

575

576

1928 erschien ein entsprechender Beitrag unter dem Titel „Naši pys’mennyky za kordo­ nom“ [Unsere Autoren im Ausland] in der Zeitschrift „Hart“; vgl.  Hundorova 2008: „Berlin jak dzerkalo modernosti: ukrajins’kyj roman kincja 1920-ch rokiv“, S. 76. Zwischen 1927 und 1929 hielt sich Majakovskij im Rahmen mehrerer Reisen, Lesungen und Vorträge in Westeuropa auf; vgl. Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjet­ union, S. 286. Vgl. ibd S. 285 f.

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Zeitschriften so gut wie nicht registriert.577 Umgekehrt zählten die von der VUFKU pro­­duzierten sow­jetischen Filme zu den – wenigen – ukrainischen Erschei­­nungen, die auch im Ausland eine gewisse Anerkennung finden konnten. Dass der ukrainische Film ab 1930 als autonomes Genre erfasst wurde, lässt sich vor allem auf die ukrainische Filmgesellschaft VUFKU zurück­führen, die aufgrund ihrer Größe und Ausstattung zu internationaler Bekanntheit gelangt war. Bei ihrer Eröffnung galt die VUFKU gar als „eines der modernsten Studios der Welt“.578 Der Propagierung des Films galt aber auch im Kontext der Auslands­politik ein besonderer Schwerpunkt, wobei neben kulturpolitischen auch wirtschaftliche Inten­tionen für die Distribution aus­schlagge­ bend waren, die durch die Filmindustrie forciert wurden. Lersch bezeichnet den sowjetischen Film neben der Literatur als wichtigsten Exportartikel der sowjetischen Kultur im Ausland.579 Rezensionen zum sowjetischen Film, dem von Seiten der deutschsprachigen Kritik lange Zeit eine Vor­reiter­rolle zugesprochen worden ist, fanden sich in den meisten deutschsprachigen Medien wieder. Obwohl einige der wichtigsten sowjetischen Filme der späten 1920er-Jahre zur Gänze oder teilweise von der VUFKU produziert wurden – auf die Krise der russischen Filmproduktion wurde bereits eingangs verwiesen  –, wurden sie in West­europa erst spät registriert. Als Beispiel sei eine 1930 in der deutschen Zeitschrift „Die Weltbühne“ erschienene Kritik zu Dovženkos Film „Zemlja“ [Die Erde] genannt, die durchwegs positiv ausfiel: Einen nur nüchternen Maßstab an diesen russischen Film zu legen, hindert dessen inneres und äußeres Pathos. […] Dieser Film arbeitet mit keinen Symbolen mehr, denn alles ist sich selbst Symbol und Gleichnis, und wohin du siehst, überall atmet die Erde, kämpft, gebiert und welkt ab.580

Obwohl die Kritik von einem russischen Film spricht, wird mit dem Hinweis auf das ländliche Leben, die Bauern und den ukrainischen Gesang auch ein spezifisch ukra­ inischer Kontext offeriert: […] weil diese Ballade vom alten Bauern und vom jungen Wassilij, von der Erde, die Früchte trägt und staubig ist, vom ukrainischen Dorf, das die neuen Lieder liebt, aber immer noch ein bißchen am Alten hängt und sich heimlich bekreuzigt, weil diese Ge­ schichte einer edlen Rache weise ist und weiter nichts.581

Dass der Regisseur dieser Ballade bis dahin in Deutschland noch unbekannt geblieben sei, ließe sich Heinz Pol zufolge eher der deutschen Filmzensur denn der relativ ab­ geschotteten Lage der Ukraine zuschreiben: 577

578 579 580 581

Dies ist nicht zuletzt deshalb interessant, da das expressionistische Theater in der Ukra­ ine sehr einflussreich war, wobei sich z. B. bei Kurbas ein deutlicher Einfluss des Ex­ pressionismus vermerken lässt; vgl. z. B. Bahry, Romana: „Les’ Kurbas’ Jimmy Higgins: An Expressionist Avant-garde Drama“, in: Canadian Slavonic Papers/Revue Canadienne des Slavistes, Vol. 36, No. 3/4, Slavic Theatre: New Perspectives (September-December 1994), S. 349–362, hier S. 350 ff. Istrati 1930: Auf falscher Bahn. 16 Monate in Rußland, S. 133. Vgl. Lersch 1979: Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion, S. 283. Pol, Heinz: „Der Film ,Die Erde‘“, in: Die Weltbühne, 26. JG, Heft 2 (1930), S. 143–144, hier S. 143. Ibd. S. 144.

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Und sie wurde erfunden und photographiert von dem ukrainischen Regisseur A. Dowschenko, den man bisher in Deutschland nicht kannte und den man wohl auch, wenn es nach dem Willen unsrer Filmzensur geht, nicht kennen lernen soll.582

Pol stellt einen direkten Vergleich von „Zemlja“ mit Sergej Ėjzenštejns unmittelbar zuvor erschienenem Film „Staroe i novoe. General’naja linija“ [Das Alte und das Neue. Die Generallinie] an und betont die Unterschiede, die sich in Dovženkos philo­ sophischer und malerischer Bildsprache zeigten, denen der Film seine weitaus stärkere Expressivität verdanke. Dowschenko verfilmt Eisensteins „General-linie“ noch einmal. Aber welch ein frucht­ barer Unterschied der Charaktere und Temperamente!583

Während Ėjzenštejn ein „politischer Kämpfer“ sei, repräsentiere Dovženko einen „Philo­sophen und Maler“: „Seine Bilder sind Porträts. Noch nie wurde ein Getreide­ feld, eine Kuh, ein Stück ehen [sic] Himmel so plastisch lebendig, so atmend nah wie in diesem Film.“584 In Ėjzenštejns „Staroe i novoe“ würde der ländliche Raum mit dem „Alten“, dem Überholten assoziiert, dessen Überwindung eines der wichtigsten Ziele der Revo­lution sei, da das Heil in der urban geprägten neuen Welt des Kommunismus ver­mutet wurde. Bei Dovženko sei das Dorf dagegen positiv konnotiert, da es einen Ort der Schön­heit und der Idylle repräsentiere, wie Pol konstatiert: Einen solchen Film zu schaffen, dazu gehört freilich Gesinnung und vor allem Liebe zu den Dingen, die man gestalten will. Dowschenko lebte mit diesen Menschen, mit diesem Dorf, mit diesen Getreidefeldern. Lebte mit ihnen und unter ihnen, bis er alles wußte und alles gesehen hatte, bis er den Geruch der Erde auf der Zunge schmeckte. Das Resultat war ein Kunstwerk von jener innern [sic] Größe und überwältigenden Ein­fachheit, daß es den abgebrühtesten Besuchern in jener von der Zensur gütigst ge­statteten „einmaligen Pressevorstellung“ im Marmorhaus die Tränen in die Augen trieb.585

Bei der Erstausstrahlung in der Berliner Lichtbildbühne war Dovženko, der sich ge­ rade auf Europa-Reise befand, persönlich anwesend, was seinem Bekanntheitsgrad gewiss zuträglich war.586 „Zemlja“ bedeutete für Dovženko gewissermaßen einen Durch­bruch in Deutschland, weshalb er in den folgenden Monaten relativ stark in deutschen Medien vertreten war. Im selben Jahr publizierte z. B. „Der Querschnitt“ einen Filmkader aus Dovženkos 1928 gedrehtem Film „Arsenal“, der mit „Volksredner in der Maske Trotzkis. Aus dem russischen Film ,Arsenal‘“ untertitelt war.587

582 583 584 585 586 587

Pol 1930: „Der Film ,Die Erde‘“, S. 144. Ibd. Ibd. Ibd. Zu Dovženkos Europa-Reise vgl.  Hladkyj 1987: „Zv”jazky ukrajins’koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30-ch rokiv“, S. 155. Vgl. Dovženko, Oleksander: „Volksredner in der Maske Trotzkis. Aus dem russischen Film ,Arsenal‘“ (Filmkader), in: Der Querschnitt, Nr. 10 (1930), S. 380.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Eine primär dem Kino gewidmete Ausgabe des „Querschnittes“ reihte Dovženko be­ reits im Jahr darauf in die Riege der wichtigsten russischen Regisseure ein, sodass er der deutschen Leserschaft neben Sergej Ėjzenštejn, Vsevolod Pudovkin und Viktor Turin als repräsentativ für das russische Kino präsentiert wurde. Die Abbildungen waren Teil eines von Ėjzenštejn selbst verfassten Essays zu den Entwicklungen des „neuen intellektuellen, konkreten Films“.588 Im Beitrag selbst blieb eine Erwähnung Dovženkos allerdings aus. Auch die Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“, deren Schwerpunkt eigentlich auf der Archi­tektur lag, widmete sich gleich mehrfach ausführlich dem sowjetischen Film in der Ukraine, wobei die Rolle der ukrainischen Filmstudios ausdrücklich betont wurde. Wie aus einer 1930 erschienenen Notiz hervorgeht, sollte z. B. „Werthoffs Tonfilm ‚Enthusiasmus‘“ – gemeint sind Vertov und dessen 1930 gedrehter Film „Ėntuziazm. Simfonija Donbasa“ [Enthusiasmus. Die Donbass-Sinfonie] – den Beginn einer neuen Epoche für das ukrainische Kino markieren: „Mit der Herausgabe des Films ,Enthusiasmus‘ beginnt für die ukrainische Kinema­ tografie ein neues Kapitel. Dieses ist der große erste Tonfilm nicht nur in der Ukraine, sondern für die ganze Union. Man kann die Methode und die Formen des Regisseurs Werthoff annehmen oder verwerfen – jedenfalls muß man an diesem Film lernen. Eines ist jedenfalls klar: dem Regisseur Werthoff ist es als erstem gelungen ein Zeitdokument als Tonfilm festzuhalten.“ P. Kosjatschni, Direktor der Kino-Fabrik Kiew [Anführungszeichen i. Orig., VF].589

Vertovs von der VUFKU produzierter Film „Ėntuziazm“ gilt als erster Tonfilm der Sowjetunion und markierte somit einen Meilenstein der Filmgeschichte, wie der Autor der Rezension P. Kosjatschni, zugleich Direktor der Kiewer Kino-Fabrik, konstatierte. Interessanterweise erfolgte die Berichterstattung nicht aus deutscher Perspektive, sondern durch eine Person, die selbst aktiv in die ukrainische Filmproduktion invol­ viert war. Es lag somit meist an den ukrainischen Kunstschaffenden und Kritikern selbst, die ukrainischen Entwicklungen aktiv im Ausland zu propagieren. Lediglich bei Istrati, der die ukrainischen Entwicklungen im Gegensatz zu den sowjet­russischen meist wohlwollend beschrieb, stieß die Arbeit der VUFKU auf herbe Kritik. Sie würde, so Istrati, „im Verhältnis zu dem wenigen an Kunst, das sie leistet, allzu viel proletarische Energien“590 verbrauchen. Zudem habe sie eine über­ bürokratisierte, provinzielle Struktur und würde nur wenig künstlerisch Wert­volles produzieren.591 Un­geachtet dieser wenig freundlichen Feststellungen Istratis lässt sich für den ukrainischen Film doch festhalten, dass er den wohl einzigen Bereich der ukrainischen Avantgarde repräsentierte, der es vermochte, in Westeuropa eine starke und nachhaltige Resonanz zu evozieren. 588

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Vgl.  Eisenstein, Sergej [Ėjzenštejn, Sergej]: „Die Kinematographie der Begriffe“. Aus dem Russischen von Erwin Honig, in: Der Querschnitt, 11. JG, Heft 1 (Ende Januar 1931), S. 19–21. Kosjatschni, P.: „Werthoffs Film ,Enthusiasmus‘“, in: Das Neue Frankfurt, V. JG, Nr.  2 (1930), S. 40. Istrati 1930: Auf falscher Bahn. 16 Monate in Rußland, S. 133. Vgl. ibd.

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4.5.4 Architektur Die Architektur ist neben dem Film jener Bereich der ukrainischen Avantgarde, der in den späten 1920er-Jahre im Westen am intensivsten registriert wurde, weshalb ihre Re­zeption und ihr Status im Ausland im Folgenden einer näheren Betrachtung unter­zogen werden. Die großen und ambitionierten Bauprojekte, die als Teil des Char­kiwer Hauptstadtkonzeptes entstanden resp. geplant waren, trugen dazu bei, dass ukrainische Innovationen eine internationale Öffentlichkeit erreichen konnten. Die Be­kanntheit wurde einerseits durch die Reiseaktivitäten westeuropäischer In­ tellektueller begünstigt, zu denen besonders viele Architekten zählten, die in der Sowjetunion die Möglichkeit sahen, neue und visionäre Projekte zu realisieren. Andererseits trugen die internationalen Wettbewerbsaussschreibungen dazu bei, dass in Deutschland, Frankreich und Belgien über die ukrainischen konstrukti­ vistischen Bauprojekte berichtet wurde. Die Resonanz auf ukrainische Bauprojekte blieb in Resteuropa – vor allem im Ver­ gleich mit russischen Projekten – insgesamt ver­hältnismäßig gering. Dies mag gewiss daraus resultiert haben, dass die Blüte der Avantgarde-Architektur in der Ukraine erst in den späten 1920er-Jahren und somit zu einer Zeit erfolgte, als der Höhepunkt der Avantgarde sowohl in Ost als auch in West bereits überschritten war. In Charkiw kam es Ende des Jahrzehntes jedoch in stadt­planerischer Hinsicht zu einer Reihe spezifischer Entwicklungen, denen eine an­ge­messene internationale Wahrnehmung nicht nur auf­grund ihrer Korrelation mit einer räumlichen, sondern auch mit einer zeit­l ichen Peripherie versagt blieb. Bei der nun folgenden kurzen Analyse west­europäischer Quellen wird rasch augen­fällig, dass es erst Ende der 1920er-Jahre zu einer merklichen Wahrnehmung der Charkiwer Architektur gekommen ist, die sich wiederum vor allem in der Diskussion um geplante Bauprojekte sowie der Publikation von Wettbewerbsausschreibungen und deren Ergebnissen widerspiegelte. Das Deržprom-Gebäude in Charkiw Dass das Deržprom-Gebäude in Charkiw, das auch als „Haus der Industrie“ resp. „Indu­ striepalast“ bezeichnet wurde, im Hinblick auf die ukrainische Auslandsrezeption eine besondere Stellung eingenommen hat und insbesondere bei westeuropäischen Autoren und Sowjetunion-Reisenden auf großes Interesse stieß, wurde bereits im Kapitel zu „Charkiw – die ,Erste Hauptstadt‘ als Zentrum der Avantgarde“ aufgezeigt. Auch Walden, der von seinen Reisen in die Sowjetunion zahlreiche Eindrücke von den Bautätigkeiten in Charkiw mitbrachte, hob die Bedeutung des DeržpromGebäudes be­­sonders hervor. Der Charkiwer Industriepalast habe damals, wie Wal­ den offen­sichtlich beeindruckt vermerkte, zu den flächen­mäßig größten Ge­bäuden Euro­pas ge­zählt und andere europäische Bauten in vielerlei Hinsicht übertroffen: Auf einer Fläche von 51 000  qm erhebt sich der „Industriepalast“, das Zentralbüro aller Trusts. Eisenbeton. Zwölf Stock hoch. Ein Meisterwerk der modernen Zweck­ architektur. An Material sind 4 000 Waggons Beton, 550 Waggons Eisen und 20 Wag­ gons Glas verbraucht. Das Gebäude ist in 2  Jahren 2  Monaten von August 1926 bis Oktober 1928 errichtet. Dieser „Industriepalast“ wird von keinem Ge­bäude Europas

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West an logischer Schönheit, sachlicher Bequemlichkeit und dennoch monumentaler Wir­ kung übertroffen.592

Ein etwas früherer Beleg für die Wahrnehmung des Deržprom-Gebäudes findet sich in Deutschland in „Wasmuths Monatshefte für Baukunst“ (kurz: „WMB“) im Frühjahr 1926 und somit unmittelbar vor Baubeginn. Obwohl der damalige Heraus­ geber von „WMB“, Werner Hegemann, ein eher konservatives Verständnis von Archi­tektur vertrat, weshalb die Hefte an sich nur selten eine Auseinandersetzung mit progressiven und radikalen Ideen der Avantgarde enthielten,593 erschien in Heft Nummer 8 (1926) ein umfangreicher Beitrag zu den zeitgenössischen Bestre­ bungen in der russischen Baukunst. Als Verfasser firmierte der russische Archi­ tekt Aleksandr Dmitriev, der neben dem Charkiwer „Haus der Wirtschaft“ eine Reihe weiterer rus­sischer Bauprojekte präsentierte, von denen jedoch ein nicht unbeträchtlicher An­teil von Dmitriev selbst stammte.594 Wenngleich kein Über­ setzer angegeben wurde, kann davon ausgegangen werden, dass, ähnlich wie bei den anderen Übertragungen aus dem Russischen, ebenfalls Leo Adler als Übersetzer fungierte. Adler, über den heute nur recht wenig bekannt ist, war als Schriftleiter neben Hegemann über lange Zeit der zweite wichtige Akteur der „WMB“.595 Dass er auch in der Ukraine über eine gewisse Bekanntheit verfügte, zeigt sich darin, dass 1928 in der „Nova Generacija“ eine Übersetzung seines ursprünglich in der „Literarischen Welt“ erschienenen Essays „Kunst und Technik“ publiziert wurde.596 Innerhalb der sowjetischen Architektengilde repräsentierte das damals in Planung befindliche Deržprom-Gebäude insofern eine Zukunftshoffnung, als hier die ange­ strebte Vereinfachung der Formen, die eine „wirkliche Forderung des Lebens“597 dar­ stellte, besser realisiert wurde als bei anderen zeitgenössischen Bauten, wie Dmitriev konstatierte: Lobend kann man erwähnen, daß das kürzlich zur Ausführung gelangte Gebäude des Post- und Telegraphenamtes in Moskau und das Gebäude für staatliche Wirtschaft in

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Walden 1930: „Charkow“, S. 65. Auf diese marginale Rezeption aufgrund der konservativen Linie verweist Jean-Louis Cohen; vgl. Cohen, Jean-Louis: „Die russische Avantgarde und ihre Rezeption“, in: Stiller, Adolph (Hrsg.): Iwan L. Leonidow. Ein Architekt des Russischen Konstruktivismus. Salzburg/ Wien: müry salzmann 2010, S. 106–117, hier S. 108. Vgl. Dmitriew, Alexander: „Zeitgenössische Bestrebungen in der russischen Baukunst“, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, JG 1926, Nr. 8 (1926), S. 331–339, hier S. 335. Yossi Klein zufolge stammte Adler aus der südrussischen Stadt Kersch (möglicherweise ist hier Kerč auf der Krim gemeint) und war sowohl in der Weimarer Republik als auch nach seiner Emigration nach Israel ein wichtiger Architekt und Architekturtheoretiker; vgl. Klein, Yossi: „The architect and critic Leo Adler and the definition of Tel Aviv as a modern Mediterranean city“, in: Tal, David (Hrsg.): Israeli Identity: Between Orient and Occident. (= Routledge Studies in Middle Eastern Society), Abingdon: Routledge 2013, S. 118–139, hier S. 120. Vgl. Adler, Leo: „Mystectvo i technyka“, in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 347–350. — Der Originalbeitrag erschien der „Nova Generacija“ zufolge in Nummer 10 der „Literarischen Welt“. Dmitriew 1926: „Zeitgenössische Bestrebungen in der russischen Baukunst“, S. 336.

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Charkow, der neuen Hauptstadt der Ukraine, sachlicher sind und den Forderungen des Tages besser entsprechen.598

Indem er den Status von Charkow als neuer Hauptstadt der Ukraine betont, zeigt Dmitriev auf, dass die Innovationsbestrebungen wesentlich mit dem Hauptstadtstatus korrelierten.

Abb. 41: „Bürobau des Obersten Wirtschaftsrates in Charkow“ (Deržprom).

Lissitzky nannte das Charkiwer Deržprom-Gebäude in seinem 1930 erschienenen umfangreichen Band „Rußland. Die Rekonstruktion der Architektur in der Sowjet­ union“ (Abb. 41–42) als Beispiel für jene neu entstandenen Wirtschaftsgebäude und Re­gierungsbauten, die als „moderne Bürobauten, in Eisenbeton konstruiert, mit starken Aus­kragungen, großen Glasflächen“599 das Neue Bauen bisher vor allem auf­ grund von Zweckmäßigkeit – in den neu gegründeten Hauptstädten bestand ein gro­ ßer Bedarf an administrativen Bauten – dominierten: Diese neuen Körper mit ihren mächtigen Maßen sind mehr ein Dokument des neuen Wollens als der neuen Gestaltung. Sie sind nackt, die Volumen klar, stereometrisch, die frühere Monumentalfassade ist in eine Reihe Horizontalbänder aus Beton und Glas umgewandelt.600

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Dmitriew 1926: „Zeitgenössische Bestrebungen in der russischen Baukunst“, S. 336. Lissitzky 1930: Rußland. Die Rekonstruktion der Architektur in der Sowjetunion, S. 27 f. Ibd. S. 28.

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Neben dieser insgesamt recht kritischen Erwähnung, die zugleich das Fehlen progres­ siver und revolutionärer Ideen in der Umsetzung bemängelte, werden von Lissitzky keine weiteren Charkiwer Bauprojekte genannt.

Abb. 42: „Bürobau des Obersten Wirtschaftsrates in Charkow“ (Deržprom).

Der deutsche Architekt Bruno Taut lokalisierte das Charkiwer Deržprom-Gebäude, das er nicht ganz korrekt als „Fabriksgebäude“ resp. als „Industrieverwaltungs­ gebäude“ be­zeichnete, in seinem 1929 publizierten, sehr umfangreichen Band „Die neue Baukunst in Europa und Amerika“ im Kontext der russischen Architektur.601 Es stelle, so Taut, ein herausragendes Gebäude innerhalb des russischen Konstruktivis­ mus dar, das zu jenen singulären Ausnahmen zähle, bei denen sich „eine äußerst echte wirklich­keitsgetreue Erschaffung des fachlichen Inhalts“602 zeige. Im umfassenden Ab­bildungsteil des Ban­des finden sich zwei Fotografien des Gebäudes sowie eine Skizze des Grundrisses. In der Bildunterschrift hob Taut die Anordnung der Höfe und Über­brückungen besonders hervor, die „der strahlenförmigen Anlage der Straßen folgen“.603 Weder der Skizze noch den Fotos sind jedoch Angaben zu deren Urhebern beigefügt. Das Staatstheater in Charkiw Im deutschen „Zentralblatt der Bauverwaltung“604 fand die erste Erwähnung Charkiws erst 1930 im Kontext der Wettbewerbsausschreibung für das Charkiwer Staatstheater statt, mit der die Stadt erstmals auch im Ausland in einem ukrainischen Kontext ver­ ortet wurde.605 Das geplante Theater, das 4 000 Menschen Platz bieten sollte, zählte zu 601 602 603 604

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Vgl. Taut, Bruno: Die neue Baukunst in Europa und Amerika. Stuttgart: Julius Hoffmann Verlag 1929. Ibd. S. 47. Ibd. S. 72. Das „Zentralblatt der Bauverwaltung“ war ein wichtiges Mitteilungsblatt für Architekten und Konstrukteure, das, herausgegeben u. a. vom Preußischen Finanzministerium, amt­ liche Mitteilungen rund ums Bauen enthielt. Es erschien zwischen 1881 und 1931 in Berlin. Ab 1931 fusionierte die Zeitschrift mit der „Zeitschrift für Bauwesen“ und er­ schien nun­mehr unter der etwas sperrigen Bezeichnung „Zentralblatt der Bau­verwal­ tung ver­einigt mit Zeitschrift für Bauwesen“. Vgl. [Red. ZBdBV] (1930): „Wettbewerbe. Theater für 4000 Personen in Charkow“, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 25 (1930), S. 459.

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den letzten Projekten, die noch in die spätkonstruktivistische Phase fielen, bevor der end­gültige Übergang zum monumentalen Stil der stalinistischen Ära erfolgte. Ähnlich wie bei der im selben Jahr durchgeführten Ausschreibung zur Planung des Charkiwer Ševčenko-Denkmals606 wurden auch die Projektvorgaben für das Theater in mehrere Sprachen übersetzt und in einem aufwändig gestalteten Buch publiziert.607 Hoch­ karätige Architekten aus dem In- und Ausland wurden zur Teilnahme am Wett­bewerb eingeladen, über den in zahlreichen internationalen Medien berichtet wurde.608 Neben mehreren deutschen beteiligten sich auch schwedische, dänische, öster­ reichische, ja selbst japanische Architekten und mit Norman Bel Geddes aus New York auch ein US-amerikanischer Planer an der Ausschreibung609 (Abb. 43). Die bel­ gische Zeitschrift „La Cité & Tekhne“ berichtete gar davon, dass von über hundert­ vier­zig Einreichungen mehr als einhundert aus dem Ausland eingetroffen seien.610

Abb. 43: Norman Bel Geddes: Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (1931). © The Edith Lutyens & Norman Bel Geddes Foundation, Inc.

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Vgl. Charkivs’kyj okružnyj vykonavčyj komitet et al. (Hrsg.): Prohrama mižnarodn’oho konkursu na projekt pam’jatnyka T. H. Ševčenkovi u m. Charkovi/Programm des internationalen Konkurses auf das Projekt eines Schewtschenko Denkmals in Charkiw. Charkiv: Proletaryj 1930 (ukrainisch, russisch, deutsch, französisch). Vgl.  Ausschreibungskatalog Prohrama mižnarodn’oho konkursu na projekt deržavnoho ukrajins’koho teatru masovoho muzyčnoho dijstva na 4.000 čolovika v m. Charkovi. Charkiv: [ohne Verlagsangabe] 1930 (ukrainisch, russisch, deutsch, englisch, französisch). Hier sei die belgische Zeitschrift „La Cité & Tekhne“ als Beispiel genannt, die mehrfach über das Projekt berichtete; vgl. z. B. [Red. LC&T]: „Concours. Kharkov. Construction d’un Théâtre“, in: La Cité & Tekhne, Volume 9, Nr. 2, Sept. 1930, S. 32. Welcher Architekt sich angeblich von Österreich aus beteiligte, ließ sich nicht eruieren. Vgl. [Red. LC&T]: „Concours. Kharkov. Théâtre d’Etat“, in: La Cité & Tekhne, Volume 10, Nr. 2, Octobre 1931, S. 37.

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Abb. 44a: Walter Gropius (Entwurf ), Stefan Sebök (Zeichnung): Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (1930–1931), zeichnerische Perspektive der Eingangsseite.

Abb. 44b: Walter Gropius (Entwurf ), Stefan Sebök (Zeichnung): Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (1930–1931), 2 Straßenansichten.

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Der ehemalige Leiter des Bauhauses Gropius zählte gewiss zu den bekanntesten west­ europäischen Teilnehmern.611 Sein gemeinsam mit dem jungen Bauhaus-Absolventen Stefan Sebök eingereichter Entwurf (Abb.  44a–b) lässt Gudrun Calov zufolge Ana­ logien zu seinem Entwurf für Piscators Totaltheater erkennen, das jedoch ebenfalls un­reali­siert blieb.612 Marcel Breuer vom Bauhaus und der junge deutsche Architekt Her­mann Henselmann zählten ebenfalls zu den internationalen Architekten, die in Charkiw ihre Pläne einreichten.613 Der Jury gehörten mit Meller, Petryc’kyj, Oleksandr Chvostenko-Chvostov und Kurbas einige der wichtigsten Vertreter der ukrainischen Theater-Avantgarde an.614 Wie das deutsche „Zentralblatt für Bauverwaltung“ im Juni 1931 in der Kolumne „Mitteilungen. Wettbewerbe“ zu berichten wusste, wurde schließlich kein erster Preis vergeben: Der internationale Wettbewerb für den Bau des ukrainischen Staatstheaters in Char­ kow […] hatte folgendes Ergebnis. Ein erster Preis wurde nicht erteilt, drei Preise von je 8 000 Rubel er­hielten Architekt Alfred Kastner, Dr.-Ing. Erich K. Hengerer und Ingenieur Karl W. Meyer, eine Architektengemein­schaft in Char­kow; Dipl.Ing. Architekt Sdenko Strizic und Dipl.-Ing. K. Ebbecke, Berlin-Dahlem. Der vier­­te Preis (5 000 Rubel) fiel an Architekt Renschitschiro Kavakito, Tokio, der fünfte Preis (4 000 Rubel) an Architekt Olenew, Lenin­grad, der sechs­te Preis (3 000 Rubel) an die Architekten Bosiger u. Storonow, Karls­ruhe. Den siebenten bis neunten Preis (je 2 000 Rubel) er­hielten die Architek­ten S. M. Krawetz u. W. A. Gerasimo, Char­kow, Professor Dr.-Ing. Walter Gropius, Berlin, und die Architekten N. W. Likin u. S. W. Panin, Moskau. Der zehnte bis zwölfte Preis (je 1 500 Rubel) wurde den Architekten J. Kurmann, L. Hirtz, S.Lind­ström u. G.Peter­son in Stockholm, Normann Bel Geddes in Neuyork, G. J. Wolfensohn, P. O. Walden­berg u. D. S. Meerson in Moskau zuerkannt. Weiter hat das Preis­gericht den An­kauf von sieben deutschen Ent­würfen empfohlen [Alle Rechtschreib- und Satz­fehler i. Orig., VF].615

Die Verlautbarung macht den großen Erfolg der internationalen Ausschreibung deut­­ lich.

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Vgl. Jaeggi, Annemarie: „Relations between the Bauhaus and the Russian Avant-garde as Documented in the Collection of the Bauhaus Archive Berlin“, in: Haspel, Jörg et al. (Hrsg.): Heritage at Risk. Special Edition 2006: The Soviet Heritage and Europe Modernism. Berlin: Hendrik Böhler Verlag 2006, S. 154–157, hier S. 155. Calov, Gudrun: „Deutsche Beiträge zur Kunst und Literatur“, in: Eisfeld, Alfred/Herdt, Victor/Meissner, Boris (Hrsg.): Deutsche in Rußland und in der Sowjetunion 1914–1941. Berlin: Lit-Verlag 2007, S. 336–371, hier S. 356. Vgl.  Jaeggi 2006: „Relations between the Bauhaus and the Russian Avant-garde as Documented in the Collection of the Bauhaus Archive Berlin“, S. 155. Vgl. Ausschreibungskatalog 1930: Prohrama mižnarodn’oho konkursu na projekt deržavnoho ukrajins’koho teatru masovoho muzyčnoho dijstva na 4.000 čolovika v m. Charkovi, S. 108 ff.  —  Die Ausschreibung wurde auf Ukrainisch, Russisch, Deutsch, Englisch und Fran­ zösisch publiziert und hatte einen Umfang von 184 Seiten. [Red. ZBdBV]: „Wettbewerbe. Theater in Charkow“, in: Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen. 51. JG, Nr. 25 (1931), S. 322.

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Dennoch wurde für die Umsetzung schließlich der Entwurf der beiden Brüder Vesnin (Abb.  45) ausgewählt, obwohl diese offenbar gar nicht unter den Preisträgern auf­ scheinen.616

Abb. 45: A. Vesnin, V. Vesnin: Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (1931).

Insgesamt lässt sich das Staatstheater von Charkiw als jenes Projekt festhalten, das die ukrainische Stadt auch im internationalen Kontext als Zentrum der Avantgarde in den Fokus rücken ließ – dies jedoch zu einer Zeit, als die Blüte der ukrainischen Avantgarde bereits vorüber war. Als die Entscheidung zur Umsetzung des Theaters fiel, hatten sich die Nova Generacija und Avanhard bereits aufgelöst. Die Hauptstadt der sowjetischen Ukraine wurde nur kurze Zeit später nach Kiew transferiert, weshalb die im Bau be­ findlichen Pro­jekte wieder gestoppt wurden. Der Bau des Theaters wurde unmittelbar nach Baubeginn wieder abgebrochen und die bereits fertiggestellten Teile in das Fun­ dament für ein Wohnhaus für Funktionäre umfunktioniert.

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Vgl. Chan-Magomedov, Selim: Aleksandr Vesnin i konstruktivizm. Živopis’. Teatr. Architek­ tura. Risunok. Knižnaja grafika. Oformlenie prazdnikov. Moskva: Architektura 2007, S. 408.

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IV

INTERFERENZIALITÄT – GRENZ(ÜBERSCHREITUNG)EN IN POLEMIK UND KUNST

Anhand der ukrainischen Avantgarde lässt sich auf mehreren Ebenen zeigen, wie der äußerste Rand eines (vordefinierten) kulturellen Raums zu einem „Ort des permanen­ ten Dialogs“1 werden kann, da es durch die mehrdimensionale Positionierung an Rändern zu verstärkten kulturellen Aktivitäten kam. Unter Bezugnahme auf Bour­ dieus Theo­rie zum „Literarischen Feld“, die im Gegensatz zu vielen anderen Inter­ textualitätstheorien auch die Akteure und deren soziales Gefüge miteinbezieht, lassen sich auch die Ak­teure als Teil der Intertextualität ansehen. Bourdieus Feldtheorie lässt sich von der Litera­tur auf das gesamte Feld der Kultur, so auch auf die ukrainische Avantgarde, aus­weiten, da künstlerische Phänomene und Erscheinungen sowie auch die Li­te­ra­tur von den sozialen Netzwerken der Protagonisten beeinflusst wer­den.2 Die be­­­sondere kulturelle Situation der späten 1920er-Jahre wurde in der Ukraine nicht nur durch die Überlagerung und Durchdringung verschiedener Kulturen, Spra­chen, Strö­­mungen, aber auch Ideologien verursacht, die zur Entstehung eines hetero­genen Raums führten. Auch die Überlagerung von sich eigentlich ent­gegen­ stehenden, konkurrierenden und widersprechenden Dualismen trug zur Viel­ falt des kulturellen Klimas (resp. unter Bezugnahme auf Lotman/Uspenskij zur Verstär­ kung der Zeichenhaftigkeit) bei. Bereits die Tatsache, dass es in Programmatik und künstlerischer Praxis zu einer auffallenden Häufung von Gegensätzen und Wi­der­ sprüchen kam, stellte selbst einen Widerspruch dar, da Interferenzen und Überla­ gerungen der Bildung von Oppositionen üblicherweise entgegenstehen. „Erbarmungs­ lose Dualismen“ haben je­doch, wie Hansen-Löve mit Verweis auf Lot­man/Uspenskij anmerkt, innerhalb der russischen Kultur – zu der historisch ge­sehen auch die Ukraine zu zählen ist – eine lange Tradition: Sie manifestieren sich bspw. in der akku­mulierten Präsenz von Gegen­sätzen wie „ent­weder – oder“, „Osten – Westen“ und „An­fang – Ende“.3 Im Hinblick auf die Ukraine lassen sie sich zudem um die Gegensatzpaare „Eigenes – Fremdes“, „Tradition – Rezeption“, „innen – außen“, „alt – neu“ sowie den konstruierten Dualis­mus „ukrainisch – russisch“ ergänzen. Im Folgenden werden zuerst anhand von polemischen Texten einige dieser Dua­ lismen und Widersprüche sowie der Raum dazwischen aufgezeigt. Da­nach wird an­ hand einiger exemplarischer Analysen von literarischen (Avanhard) und künstleri­schen (Nova Generacija) Verfahren gezeigt, wie sich die zuvor angespro­chenen Interfe­ renzen, also das Interesse an den künstlerischen Innovationen in Ost und West, in der literarischen und künstlerischen Praxis der ukrainischen Avantgarde manifestierten. 1 2 3

Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 190. Zur Feldtheorie vgl. z. B. Joch/Wolf 2005: „Feldtheorie als Provokation der Literatur­ wissenschaft“, insbes. S. 1–5. Vgl.  Hansen-Löve, Aage: „Im Namen des Todes. Endspiele und Nullformen der rus­ sischen Avantgarde“, in: Groys/Hansen-Löve (Hrsg.) 2005: Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde, S. 700–758, hier S. 701.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

1

Polemik: Pluralismus und Homogenität

Die bereits in der frühen Phase des Futurismus vielfach inszenierte Polemik, die nicht selten aus der Distanzierung von anderen Künstlern, Gruppen oder Strömungen be­ stand, wurde in der postrevolutionären Phase noch deutlich intensiviert. Provokative Texte, in denen jeweils eine lautstarke und unverhandelbare Abgrenzung von anderen Strömungen erfolgte, stellten eine der wichtigsten künstlerischen Gattungen der Avant­garde dar, die wohl in fast ausnahmslos jeder Strömung vorzufinden war.4 Im Konstruktivismus, der sich auch international zu vernetzen begann, waren die Streit­ schriften nunmehr auch dazu gedacht, Strömungen jenseits nationaler Gren­zen zu adressieren. Stephan verweist darauf, dass die russische LEF nicht zuletzt des­halb eine wichtige Vorreiterrolle innerhalb der Polemik einnahm, weil sie andere Strö­mungen und Gruppierungen nicht duldete: „The Lef Futurists were one of the first, if not the first, to introduce dogmatism and intolerance into Soviet cultural life.“5 Gemessen am Grad der Intoleranz lässt sich die Nova Generacija in gewisser Weise als der LEF ebenbürtig bezeichnen, galt es doch auch in der ukrainischen Zeitschrift, andere Strömungen zu diskreditieren. Die Geringschätzung wurde da­ bei hauptsächlich russischen Strömungen zuteil, während die Innovationen aus West­europa, wie zuvor aufgezeigt, dagegen durchwegs goutiert wurden. Hier sei auf Lot­man verwiesen, der betonte, dass jene kulturellen Codes, die auf unterschiedlichen Ebenen Verwendung finden, selbst innerhalb ein und desselben kulturellen Raums differieren können: Die Sprachen innerhalb eines semiotischen Raums sind ihrer Natur nach verschieden, und ihr Verhältnis reicht von vollständiger wechselseitiger Übersetzbarkeit bis zu ebenso vollständiger Unübersetzbarkeit.6

Eine derartige fast vollständige Unübersetzbarkeit scheint vorzuliegen, nimmt man die ukrainischen Pamphlete und polemischen Schriften in den Blick. In den Streit­ schriften stehen das Streben nach internem Pluralismus und nach der Anbindung an außenstehende  – und somit „fremde“  – Erscheinungen einer zugleich strikten, gar dogmatisch proklamierten Ablehnung und Ausgrenzung von anderen, oft auch eigenen Erscheinungen diametral gegenüber. Für jede der einzelnen AvantgardeGrup­pierungen lässt sich ein eigener Code und somit eine eigene Sprache bestimmen. Zwar dienten die unterschiedlichen Sprachen meist der Artikulation ein und desselben Ziels, nämlich der Etablierung einer eigenständigen Kultur – die einzelnen Akteure griffen sich aber dennoch gerne gegenseitig an. Die polemische Propagierung der eigenen Kultur war in der ukrainischen Avant­ garde eng an den Rückgriff auf die eigene Tradition gekoppelt, der sich u. a. in der Ausei­nandersetzung mit der Volkskunst und dem Barock manifestierte. Sowohl die Archi­tektur als auch die Figurengedichte von Čužyj lassen sich als Beispiele nennen.7 Die Idee der „Rezeption“ stellt im Kontext des kulturellen Austauschs eigentlich das Ge­genstück zur „Tradition“ dar, weshalb der Begriff der „Tradition“, der im Rahmen 4 5 6 7

Vgl. z. B. Fähnders 2010: Avantgarde und Moderne 1890–1933, S. 202. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. xi. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 166. Vgl. z. B. Horbachov 2010: „In the Epicentre of Abstraction: Kyiv during the Time of Kurbas“, insbes. S. 185–190.

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der sowjetischen „Verwurzelungspolitik“ instrumentalisiert wurde, eigentlich nur wenig Platz für kulturellen Austausch ließe.8 Im Zuge der Vergesellschaftung von Kunst und Politik kam es überdies zu einer Kombination widerstreitender politischer Anschau­ungen, indem z. B. sowohl rechte (auf die Nationalkultur bezogene) als auch linke (im Zeichen des Internationalismus stehende) Ideologien gleichzeitig propagiert wurden. Der Bereitschaft zur Pluralität stand eine relativ strikte Absage an die russische Kunst entgegen, die allerdings bei der Nova Generacija und Avanhard deutlich geringer ausfiel als bei anderen Gruppierungen, etwa der VAPLITE. In der ukrainischen Avantgarde wurden sowohl Tradition und Rezeption als auch Zukunft und Vergangenheit vereint, worauf im folgenden Abschnitt am Beispiel der Nova Generacija und von Avanhard eingegangen wird. Die Polemiken und Streitschriften werden hierbei als Texte angesehen, die insofern durch eine starke intertextuelle resp. dialogische Aufladung geprägt waren, als sie jeweils eine Replik auf einen vorherigen Text (resp. ein Ereignis, einen Zustand oder Status oder aber ein nicht erfolgtes Ereignis, einen nicht vorhandenen Zustand oder Status) repräsentieren. 1.1 Exklusion – Approximation Sowohl die Nova Generacija als auch Avanhard betonten die Eigenständigkeit ihrer Kunst, wobei sich diese Souveränität ihrer Ansicht nach auch darin manifestierte, dass sie von russischen Gruppen differierten. Oft schien das Hauptaugenmerk nicht auf der Proklamation dessen zu liegen, was die eigenen Strömungen auszeichnete, son­dern viel­ mehr darauf, was sie von anderen unterschied. Die implizierte thematische Rele­vanz – also gemäß Schütz das, was im Zentrum der Aufmerksamkeit steht9 – des „Eigenen“ inkludierte als Gegenpol die vermeintliche Irrelevanz des „Anderen“, das aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verdrängt werden sollte, damit aber wiederum in den Mittelpunkt gerückt wurde. Neben dieser Abgrenzung von Russland waren die avantgardistischen Aktivitäten in der Ukraine vom Versuch geprägt, die neu entstandene sowjetische Ukraine und deren Kultur als integralen Teil der west­europäischen Kultur zu positio­ nieren. Im Folgenden wird ein Überblick über die Praktiken der Abgrenzung und An­ näherung ge­boten, die mitunter auch eine über­höhte Selbstreferenzialität inkludierten. 1.1.1 Abgrenzung von Russland Die Abgrenzung von der bislang auch institutionell vorgegebenen dominanten rus­ sischen Kultur diente in der Ukraine als Antrieb für eine Reihe künstlerischer Aktivi­ täten. Die Kunstschaffenden, die auffallend oft die Dominanz der russischen Kultur kriti­sierten, versuchten sich als kulturell egalitäre Akteure zu positionieren.10 Der da­mit einhergehende Drang, die eigenen Leistungen zu beglaubigen, war wiederum mit einer verstärkten kulturellen Aktivität verbunden, die Lotman zufolge ein posi­ tives Potential bergen kann: Dass der Zustand der permanenten kulturellen Hyper­ aktivität, die periphere Räume in Folge der permanenten Konkurrenzsituation oft

8 9 10

Zum Unvereinbarkeit von Tradition und Rezeption vgl. Burke 2000: Kultureller Aus­ tausch, S. 15 f. Vgl. Bohr 2011: „Konstruktionen und Wahrnehmungen des Räumlichen in kulturellen Sinnzusammenhängen“, S. 36 ff. Wie dies bspw. Semenko tat; vgl.  Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 303.

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kennzeichnet,11 zu deren beschleunigter Reifung führen kann, wurde in der Ukraine mehrfach belegt. Die Konkurrenzsituation zu Russland lässt sich am Beispiel der ukrainischen Avantgarde-Zeitschriften ebenso wie – auf mehrfacher Ebene – an der gesamten ukrainischen Avantgarde selbst demonstrieren. Die von den Künstlern selbst produzierte Evidenz, dass die eigene Kultur von der russischen differierte, wurde oft­ mals zur eigentlichen künstlerischen Manifestation, sodass die Abgrenzung zu einem zentralen Merkmal der ukrainischen Kunst der 1920er-Jahre geriet. Während in der Geschichte „in praktisch jedem synchronen Querschnitt einer Kultur nicht ein ein­ ziges System kanonisierender Normen, sondern ein ganzes System konkurrierender Systeme“12 anzutreffen ist, wie Lotman schreibt, kam es in der Ukraine zum Versuch, die konkurrierenden Systeme – in diesem Fall das russische – weitgehend zu negieren. Kulturelle Identität bezeichnet für Giesen „jene Form kollektiver Identität, die Grenzen zwischen innen und Außen [sic] nicht über charismatische Bindung oder persönliche Vertrautheit, sondern über Verstehbarkeit von Handeln konstruiert“.13 Das Handeln russischer Gruppierungen wurde jedoch nicht „verstanden“, sondern polemisch kritisiert. Im Folgenden wird die ukrainische Abgrenzung von Russland, die als Form von Intertext die russische Kunst trotz vordergründiger Ablehnung doch wieder ins Zentrum rückt, anhand polemischer Schriften und Essays demonstriert. Nova Generacija: Abgrenzung von der LEF Bei der Nova Generacija machte sich die Distanzierung von Russland primär durch die Betonung der Souveränität der eigenen Strömung bemerkbar, wobei jede Ähnlichkeit mit Majakovskijs LEF strikt zurückgewiesen wurde. Škurupijs polemisches Essay „Syhnal na spoloch druz’jam  – fal’šyva tryvoha“ stellte eine Replik auf einen ent­ sprechenden von der LEF getätigten Vorwurf dar, die klarstellen wollte, dass die Nova Generacija keineswegs, wie behauptet, eine Filiale der „Novyj LEF“ sei. Ми маємо свої економічні й соціяльні умови, свою базу, яка відрізняє взагалі нашу роботу від роботу „Нового Лефа“, коли б ми навіть мали такі ж самі уста­новки, як „Новый Леф“.14 [Wir haben unsere eigenen ökonomischen und sozialen Voraussetzungen, unsere Basis, durch die unsere Arbeit sich generell von der Arbeit der „Novyj Lef “ unter­scheidet, selbst wenn wir dieselben Prinzipien wie die „Novyj Lef “ haben mögen.]

Im Unterschied zur LEF richte sich das Programm der Nova Generacija gegen natio­ nale Beschränkungen und würde sich in ihrer Arbeit nicht ausschließlich auf die Ukraine beschränken, sondern auch internationale Erscheinungen aus Russland, West­europa, ja sogar aus China integrieren.15 Interessanterweise wird hier also dem russischen Pendant ein gewisser Nationalismus vorgeworfen. Die LEF müsse beden­ 11 12 13 14 15

Vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 174 ff. Das Phänomen konkurrierender kultureller Systeme beschreibt Lotman in seinem Kon­ zept zur Semiosphäre; vgl. Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 179. Giesen bezieht sich hier auf Gellners Konzept der nationalen Identität: Giesen 1999: „Europa als Konstruktion der Intellektuellen“, S. 130. Škurupij 1928: „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“, S. 328. Vgl. ibd.

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ken, so Škurupij, dass es sich bei der Nova Generacija um eine ukrainische und keine russische Gruppierung handelte. Überdies sei die Ukraine auch von der LEF als sou­ veränes Land mit einer eigenständigen futuristischen Kunst anzuerkennen: Україна, це не Франція і не Росія, а значить і робота „Нового Лефа“, коли б він працював на Україні, мусила б відповідно трансформуватися.16 [Die Ukraine ist nicht Frankreich und nicht Russland, und das bedeutet, dass auch die Arbeit der „Novyj Lef “, wenn sie in der Ukraine tätig wäre, sich entsprechend trans­ formieren müsste.]

Hier wird ersichtlich, dass der hegemonial agierenden LEF am Ende des Jahrzehntes ein beachtliches Maß an Selbstbewusstsein entgegengebracht wurde. Im Unterschied zur russischen Gruppe würde die Nova Generacija über ein gänzlich eigenständiges System linker Kunst verfügen, das Platz für die Rezeption verschiedener Strömungen – sowohl der LEF und des experimentellen Konstruktivismus von Sel’vinskij als auch westeuropäischer Erscheinungen – bot; die Aktivitäten der russischen Gruppierungen würden in der Ukraine allerdings – ganz im Sinne der generellen Offenheit für andere Strömungen – mit ebenso großem Interesse verfolgt wie die „destruktiven Arbeiten der Ausländer“,17 mit denen die in Russland zu dieser Zeit bereits verpönten expres­ sionistischen und avantgardistischen Strömungen in der Weimarer Republik sowie in Frankreich gemeint waren.18 Dass Škurupijs Essay in gekürzter Form auf auch Esperanto erschien, lässt die Absicht erkennen, die Alleinstellung über sprachliche Grenzen hinaus sichtbar zu machen: La jurnalo „Nova Generacio“ ne estas filialo de Moskva rusa jurnalo „Novij Lef “. La „Nova Generacio“ havas sian apartan platformon-dialektan pan-futuristan teorion, al kiu parte respondas ankaŭ la program de nia rusa kunulo „Novij Lef “. La „Nova Generacio“ laboras en siaj konkretaj apartaj cirkonstancoj kaj pro tio alpaŝi al ĝi kun mezuriloj de „Novyj Lef “ ne estas eble.19 [Die „Nova Generacija“ ist keine Filiale der Moskauer russischen Zeitschrift „Novyj Lef “. Die „Nova Generacija“ hat ihre eigene offen-dialektische panfuturistische Theorie, mit der zum Teil auch das Programm unserer russischen Partner der „Novyj Lef “ übereinstimmt. Die „Nova Generacija“ arbeitet unter ihren eigenen spezifischen Bedingungen und es ist daher nicht möglich, sie mit dem Maß der „Novyj Lef “ zu messen.]

16 17 18

19

Škurupij 1928: „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“, S. 328. Ibd. Inwieweit sich dieses Interesse in der Rezeption internationaler Kunst widerspiegelte, wurde bereits im Kapitel „Zur Rezeption westeuropäischer Kunst und Literatur in der Ukraine“ aufgezeigt. Škurupij, Geo: „Alarmsignalo al amikoj  – Farsalarmo“, in: Nova Generacija, Nr.  11 (1928), S. 334–335, hier S. 334.

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Die ukrainischen Futuristen gestanden zwar einen Impuls durch die LEF ein, der je­ doch seit Längerem nicht mehr relevant sei: Наші вже знають, а ленінградцям ми скажемо: давно вже ми одіпхнулися од „Маяковського“ берега, навіть молодий наш лефовец Ол. Влизько, і працюємо самостійно. Це не перешкоджає нам держати спільний фронт за московським „ЛЕФОМ“ […]. А повчиться у Маяковського не тільки нашій українській молоді, а й вашій, ленінградській, […].20 [Bei uns weiß man es schon, aber den Leningradern21 sagen wir es: Wir haben uns schon lange vom „Majakovskij“-Ufer losgemacht, sogar unser junger Lefovec Ol. Vlyz’ko, und arbeiten selbstständig. Dies hindert uns nicht daran, mit der Moskauer „LEF“ eine Front zu bilden […]. Und nicht nur unsere ukrainische Jugend hat bei Majakovskij gelernt, sondern auch die eurige, aus Leningrad, […]].

Die Publikation von Neznamovs zuvor behandeltem Beitrag, der in der „Nova Gene­ racija“ die Prinzipien der LEF erläuterte, sei lediglich deshalb erfolgt, um durch die direkte Gegenüberstellung die Eigenständigkeit der Nova Generacija als Gruppe zu be­legen. Die Redaktion wies ausdrücklich darauf hin, „що де в чому, і на перший погляд  – досить основному, наш журнал відрізняється від „Нового ЛЕФа“22 [dass sich unsere Zeitschrift in mehrfacher Hinsicht, und dies auf den ersten Blick – grund­legend von der „Novyj LEF“ unterscheidet]. Dennoch wurde eine Kooperation nicht ausgeschlossen  – ganz im Gegenteil wurden die Akteure der LEF in die eige­ nen Aktivitäten integriert, indem diese, wie erwähnt, als Mitarbeiter der „Nova Generacija“ genannt wurden. Ins­gesamt wird der Versuch der Emanzipation doch auf mehrfacher Ebene deutlich. Avanhard: Freundschaftlicher Rechtsstreit mit Russland Bei der Gruppe Avanhard war die Abgrenzung ebenfalls ein Thema. Während diese bei der Nova Generacija eher polemisch und angriffig erfolgte, versuchten die Vertreter des Konstruktiven Dynamismus dagegen auch, auf sachlicher Ebene zu argumentieren, dass die ukrainische Kultur der russischen ebenbürtig sei. Daneben lassen sich, wie dies für Avanhard spezifisch war, satirische Elemente erkennen, sodass die Grenze zwischen Ernst und Spaß nicht immer eindeutig auszumachen ist. Die Distanzierung von Russland erfolgte bei Avanhard oft durch die Verwendung parodistischer Ele­ mente, wobei Paro­d ien bei Avanhard, wie auch Shkandrij erläutert, häufig durch die Überzeichnung von stereotypischen Eigenschaften, Verhaltensmustern und Denk­ weisen gekennzeichnet waren.23 20 21

22 23

[Red. NG]: „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 216–222, hier S. 222. Mit „Leningradern“ ist das Leningrader Journal „Krasnaja Panorama“ [Rotes Panorama] gemeint, das in Nr. 2 desselben Jahres in der Rubrik „Novosti istkusstva, nauki i lite­ ratury“ [Neuigkeiten aus der Kunst, der Wissenschaft und der Literatur] einen Bei­ trag über die „Nova Generacija“ publizierte und diese dabei als „im wesentlichen eine ukrainische LEF“ bezeichnete. [Red. NG]: „Zmist No. 10 ta zauvažennja redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 200–202, hier S. 201. Vgl. Shkandrij 1992: „Ukrainian Avant-Garde Prose in the 1920s“, S. 108.

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Als eine Form der Parodie ist es daher auch zu verstehen, wenn Poliščuk mehrfach auf dem  – wie er glaubhaft zu machen versucht – seiner Ansicht nach überlegenen Status der ukrainischen Kultur beharrte, etwa in „Pul’s epochy“: Основна ріжниця [sic] в літературних ситуаціях України та Росії та, що на Україні, на чолі літературного майстерства, або, инакше [sic] кажучи, в царині літературних форм мають провід письменники пролетарські, тоді, як у Росії найяскравіші творчі сили перебувають у лавах так званих попутників. Цього факту заперечувати ніхто не може.24 [Der wesentliche Unterschied zwischen der literarischen Situation in der Ukraine und jener in Russland ist sowohl der, dass in der Ukraine an der Spitze der litera­ rischen Meisterschaft oder, anders gesagt, im Bereich der literarischen Formen, die proletarischen Schriftsteller die Führungsposition einnehmen, während die besten schöpferischen Kräfte in Russland in den Reihen der sogenannten Mitläufer zu finden sind. Dieses Faktum kann niemand leugnen.]

In seinem Essay „Rozkvit ukrajins’koji literatury“ wusste er gar von einem freund­ schaft­ l ichen Rechtsstreit zwischen der Ukraine und Russland zu berichten, der offenbar um die Frage der Urheberschaft der neuen Strömungen in der Literatur ent­ facht worden sei: Навіть серед літератур цілого Радянського Союзу новітня українська література є явище нове, самобутнє й остільки оригінальне, що розпочинається уже дружня тяжба за пролетарське первородство російського та українського пролетарського письменства.25 [Selbst innerhalb der Literaturen der gesamten Sowjetunion stellt die neueste ukra­ inische Literatur eine neue, eine selbstständige Erscheinung dar, die so originell ist, dass bereits ein freundschaftlicher Rechtsstreit zur Frage des proletarischen Erstge­ burtsrechtes der russischen und der ukrainischen proletarischen Literatur entfacht ist.]

Obwohl es mit dem LCK zu einer durchaus sehr freundschaftlichen Kooperation kam, verstanden die Vertreter von Avanhard ihre Kunst dennoch als Erscheinung, die anderen – und somit auch dem LCK – überlegen war und sich überdies gänzlich von der russischen Kunst unterschied. Poliščuk konstatierte eine Übereinstimmung mit der russischen Literatur lediglich im gemeinsamen Kampf für den kommunistischen Um­bau der Welt.26 Ein Echo auf die ukrainische Literatur sei ihm zufolge nicht in Russ­land, sondern in Ländern wie Irland, Mexiko, Indien sowie in Deutschland zu regi­strieren, da dort ähnliche gesellschaftliche Themen und Probleme aktuell seien wie in der Ukraine.27 Selbst die VAPLITE, die sich stets ausdrücklich von Russland distan­zierte, wurde von Seiten der Gruppe Avanhard mit dem Vorwurf konfrontiert, die proklamierte Abgrenzung nur sehr inkonsequent zu praktizieren. Chvyl’ovyj wür­ 24 25 26 27

Poliščuk 1927: Pul’s epochy, S. 5–6. Poliščuk 1929: „Rozkvit ukrajins’koji literatury“, S. 64. Vgl. ibd. Vgl. ibd.

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de, so Poliščuk in „Pul’s epochy“, gar eine plumpe Nachahmung „der Russen“ be­ treiben.28 Der Versuch der Abgrenzung wird also auch bei Avanhard auf mehrfacher Ebene deutlich. 1.1.2 Annäherung an Westeuropa Dass die zuvor kurz aufgezeigte Abgrenzung von Russland zugleich mit der Annä­ herung an Europa einherging, wird ebenfalls aus Poliščuks Statusbericht zur ukra­ inischen Kultur „Pul’s epochy“ ersichtlich: Mit „Европа, Европа  – і ніякого на­ слідування росіян!“29 [Europa, Europa  – und keine Nachahmung der Russen!] forderte der Autor, sich von Russland ab- und zugleich Europa zuzuwenden. Diese Verortung der eigenen Strömung als anerkannter Teil Westeuropas implizierte zu­­ gleich, keine untergeordnete Peripherie des bislang kulturell dominierenden rus­ sischen Zentrums zu sein und somit eine eigenständige, von Russland distinkte Kul­ tur zu repräsentieren  – Ähnliches wurde in der Deklaration der OSAU betont, die sich von der „halbkolonialen Existenz der Ukraine“ distanzierte.30 Der Einfluss der westeuropäischen Avantgarde wirkte sich zwar auch auf die literarische und weit deutlicher noch auf die bildkünstlerische Avantgarde aus, zeigte allerdings in den polemischen Texten und Programmatiken den stärksten Niederschlag. Das um­ fassende Interesse am Geschehen in den westeuropäischen Metro­polen der Avantgarde wurde in den vorhergehenden Kapiteln bereits ausführlich analy­siert. Die extensive Reflexion von westeuropäischen Strömungen erfolgte wie erwähnt oft aus westeuropäischer Perspektive, indem Beiträge aus französischen und deut­ schen Zeitschriften übernommen wurden. Deutsche und französische Künstler wur­den ganz selbstverständlich als Teil der eigenen Vereinigungen präsentiert, sodass eine viel engere Anbindung suggeriert wurde, als tatsächlich existierte. Durch die Propa­gierung europäischer Ideen rückten die Nova Generacija und Avanhard auch kon­zeptionell in die Nähe westeuropäischer Strömungen, da die Konstruktion der euro­päischen Idee stark mit dem westeuropäischen Konstruktivismus assoziiert war, der ein neues Europa propagierte. Die niederländische De Stijl-Gruppe, neben den französischen Puristen rund um Le Corbusier und dem deutschen Bauhaus die dritte bedeutende westeuro­ päische konstruktivistische Gruppierung, prokla­ mierte den Beginn eines neuen Europas, während sie sich vom „alten Europa“ pole­misch abgrenzte: Konzentration und Besitz, geistlicher und materieller Individualismus, waren die Grundlagen des alten Europa. Dorthin hat es sich selbst eingesperrt. Es kann nicht mehr heraus. Es geht zugrunde. […] Wir wollen das Leben dieser alten Hure nicht verlängern.31

Walden propagierte gar die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“, die er „um Europas willen“ schleunigst gründen wollte und als deren Hauptstadt Berlin, zugleich Zentrum der modernen Kunst, fungieren sollte: 28 29 30 31

Vgl. Poliščuk 1927: Pul’s epochy, S. 80. Vgl. ibd. Vgl. OSAU 1928: „Deklaracija OSAU“, S. 271. [Red. De Stijl]: „Manifest III. Zur neuen Weltgestaltung“, in: De Stijl, 4. JG, Nr. 8 (1921), S.  124–125; wiederabgedruckt in: Asholt/Fähnders (Hrsg.) 2005: Manifeste und Pro­ klamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938), S. 255.

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Vielleicht haben die Vereinigten Staaten von Amerika ein Berlin. Zu Berlin aber fehlen die Vereinigten Staaten von Europa. Man soll sie schleunigst gründen. Nicht nur wegen Berlin. Aber um Europas willen.32

Es darf angenommen werden, dass die Ukraine in den Augen der Avantgarde-Grup­ pierungen in jedem Fall ein integraler Teil dieser „Vereinigten Staaten von Europa“ geworden wäre, hätte Walden sein Projekt damals realisiert. Ambivalenz: Annäherung und Abgrenzung Im Hinblick auf die europäische Ausrichtung lässt sich allerdings auch ein Wider­ spruch erkennen, der die ukrainische Position als Zwischenraum zwischen Russ­land und West­europa ein weiteres Mal unterstreicht, denn gemeinsam mit der An­näherung kam es auch zu einer Distanzierung. Linke Gruppierungen wandten sich üblicher­ weise vom Westen ab, da dieser ein bourgeoises Feindbild repräsentierte. Als Beispiel dafür lässt sich der in der Ukraine intensiv rezipierte russische LCK nennen, der eine Europäisierung kategorisch ablehnte. Sowohl Ästhetisierung als auch Europäisierung hätten Zelinskij zufolge mit der Revolution (und der damit einhergehenden Elimi­ nierung der bürger­l ichen Klasse) ihre Bedeutung verloren. In Bezug auf die russische Literatur verwies Zelinskij daher darauf, dass ihre Европеизация и эстетизация […] перед революцией […] была, как я сказал, не характерна для нас и опиралась та тонкие слои высшей интеллигенции и буржуазии.33 [Europäisierung und Ästhetisierung vor der Revolution […], wie erwähnt, für uns nicht charakteristisch war und sich auf die dünnen Schichten der höheren Intelligenz sowie der Bourgeoisie stützte.]

An mehreren Beispielen lässt sich zeigen, dass die ukrainische Positionierung Europa gegenüber durchaus ambivalent war, wodurch die Situation der Interferenz  – in diesem Fall die Überlagerung verschiedener Anschauungen  – wiederum signifikant wird. Vor allem bei Avanhard kam es sowohl zu einer Annäherung an Europa als auch zu einer Abgrenzung davon. Hier sei nochmals auf Poliščuks Schreiben an Zelinskij verwiesen, in dem die strikte Unterscheidung zwischen westeuropäischem Kon­ struktivismus und ukrainischem Spiralismus ausdrücklich betont wird. Die west­ europäischen Kon­struktivisten, so die Kritik Poliščuks, „впадают в техницизм, статику, т.е. идеализм по сути“34 [seien dem Technizismus, der Statik anheimgefallen, […] d. h. eigentlich dem Idealismus]. Dass die Ukraine als eine Art Membran resp. Zwischenraum zwischen Westeuropa und Russland fungiere, wurde von Poliščuk, wie bereits eingangs gezeigt, ebenfalls betont.35 Poliščuk verstand die Ukraine also gewissermaßen als Mediator, der die beiden sich bekämpfenden Kräfte Ost und West friedfertig zu einem einheitlichen Organismus zusammenfügen könne. 32 33 34 35

Walden, Herwarth (1923): „Neue Reisekopfbücher“, in: Der Sturm, 14. JG, Nr. 3 (1923), S. 46–48, hier S. 48. Zelinskij 1929: „Biznes i Dostoevskij“, S. 162. Poliščuk 1929: „Brief an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929“. Vgl. das einleitende Zitat in diesem Band.

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1.2 Nationale Internationale? Der Versuch, die eigene Souveränität herauszustreichen, war in der Ukraine sehr stark von der Konstruktion einer nationalen Identität begleitet, die sich als repetitives, oft redundantes Element in der Kunst wiederfindet. In Anbetracht der starken Bezug­ nahmen auf nationale Themen und Motive kann eine Arbeit zur ukrainischen Avant­ garde nicht ohne eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung erfolgen. Wie eingangs erläutert, basierten die nationalen Bestrebungen auf dem historisch ge­wachsenen Gefühl der kulturellen Unterdrückung durch das russische „Zentrum“ und dem damit einhergehenden Eindruck, die russische Kultur würde hegemonial über die eigene dominieren. Der Wunsch, auch international als eigenständige kulturelle Größe anerkannt zu wer­den, erfuhr vor allem in der literarischen Avantgarde eine starke Reflexion, sodass er zugleich zu einem ihrer prägnantesten Merkmale wurde. Während das Wesen von Kunst für Lissitzky darin zu liegen hat, „alle Unterscheidungen psychologischer, wirtschaftlicher, völkischer Art“36 zu übergehen, versuchten ukrainische Künstler nicht nur, eine autonome ukrainische Komponente zu propagieren, sondern dezidiert auch Unterscheidungen nationaler Art zu generieren, wobei die nationale Idee vor allem in der Literatur thematisiert wurde. Die Kunstschaffenden unternahmen mit der permanenten Bezugnahme auf die ukrainische Nation den Versuch, diese zu konsolidieren und sie zugleich vorausschauend zu konstruieren.37 Kulturelle Identität beruht laut Giesen auf der Konstruktion von Differenz und Gleichgewicht im Hinblick auf fraglos geltende Grundlagen der Verständigung. Auf ganz elementare Weise wird diese Differenz zwischen „Innen“ und „Außen“ in der Be­gegnung mit Fremden konstruiert, die anders zu sein scheinen, andere Kleidung tragen, andere Sprachen sprechen, andere Speisen essen und fremde Embleme tragen. In der Begegnung mit dem Fremden lässt sich das Eigene und die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv besonders deutlich erfahren, wird somit also zusätzlich verstärkt.38 Dmitrieva verortet eine Ursache für die starke Auseinandersetzung „mit der eige­ nen Tradition, aber auch mit dem Problem des Nationalen“39 in der Notwendigkeit der Schaffung „neuer oder neu definierter (oft auch instrumentalisierter) nationaler Nar­ rative“, die in jenen osteuropäischen Staaten verspürt wurde, die nach der Neu­ordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind. In diesen Ländern trat auch verstärkt der Wunsch nach einer Erneuerung der „Positionierung der Kunst“ auf.40 Die Idee der Nation war bei den Künstlern jedoch möglicherweise nicht ausschließlich an die Idee einer dezidiert ukrainischen Nation gekoppelt, sondern kann vielmehr als abstrakter Begriff gedeutet werden. Dies legt bspw. eine Notiz nahe, in der Moholy-Nagy nach einer Begegnung mit Malevič seine Irritation über dessen „fast besessene Bindung des russischen Künstlers an seine Nation“ aus­ 36 37

38 39

40

Lissitzki/Ehrenburg: „Die Blockade Russlands geht ihrem Ende entgegen“, S. 1. Ausführlicher dazu vgl. Faber 2015: „Wahrnehmungsdissonanzen, blinde Flecken und die ,Idee der Nation‘. Zu einigen Symptomen einer ukrainischen Kultur in der Dauer­ krise“. Giesen 1999: „Europa als Konstruktion der Intellektuellen“, S. 130. Dmitrieva, Marina: „Kulturdestruktion und Kulturtransfer. Das Dilemma des osteuro­ päischen Futurismus“, in: Mitterbauer, Helga/Scherke, Katharina (Hrsg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart. (= Studien zur Moderne 22), Wien: Passagen-Verlag 2005, S. 277–296, hier S. 279. Vgl. ibd.

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drückte.41 Malevičs Liebe zur Nation, auf die heute im Kontext der ukrainischen Identitätsfindung oft verwiesen wird,42 schien somit zu Beginn der 1920er-Jahre gar keine Differenzierung in „ukrainisch“ und „russisch“ zu treffen, sodass der gegen Ende der 1920er-Jahre zunehmende Einsatz ukrainischer Motive nicht in jedem Fall als prinzipielle Ablehnung des Russischen oder übertriebene Hinwendung zur ukrainischen Nation interpretiert werden muss. In der späten ukrainischen Avantgarde wurde das spezifisch „Eigene“ schließlich auf widersprüchliche Weise konstruiert, indem einerseits die Diskurse des Zentrums offen­siv abgelehnt, andererseits jedoch auf mehrfacher Ebene übernommen und adap­tiert wurden. Die Konstruktion der ukrainischen Identität erfolgte über die Opposition von Identität und Alterität, sodass die Abgrenzung vom „Anderen“ das „Eigene“ unter­streichen sollte. Das Phänomen der Überbewertung von nationaler Identität und Kultur, die durchaus auch Züge eines Kulturalismus beinhaltete, barg außerdem einen Wider­spruch darin, dass sich die Bezugnahme auf Traditionen und die gleichzeitige Rezep­tion internationaler Erscheinungen eigentlich diametral gegenüberstehen: Während die Idee der Rezeption nämlich die Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ impliziert, lässt der Rückgriff auf die Tradition gemeinhin wenig Raum für kulturellen Austausch, der üblicherweise auf dem Grundgedanken beruht, „dass Gegenstände, Praktiken und Werte unverändert von einer Generation zur nächsten weitergegeben würden“43. Der vielfach inszenierte Mythos, der sich in der deutlichen Überhöhung der eigenen Kultur manifestierte, trat also in Konflikt mit der ursprünglichen Idee der Avantgarden, die Welt grundlegend zu erneuern und bestehende Ordnungen zu zerstören  – wobei hier anzumerken ist, dass der ukrainische Rückgriff auf Tradier­ tes ja genau genommen ebenfalls im Zeichen einer Um- und Neubewertung stand. Groys ver­weist im Hinblick auf die russische Avantgarde auf Barthes, dem zufolge der Mythos ideologisch gesehen immer rechts und somit auf Seiten der Bourgeoisie stehe.44 Groys fügt hinzu, dass es auch für revolutionäre Bewegungen keine Rettung vor dem Mythos gäbe. Gerade die sowjetischen Avantgarden hätten „dem Künstler, dem Proletariat, der Partei oder dem politischen Führer die Rolle des Demiurgen […] [zugewiesen und diese] ganz natürlich in die mythologische Tradition integriert“.45 Die Instrumentalisierung eines Mythos war in der Ukraine insofern weitaus aus­ geprägter als in Russland, als besonders stark auf die eigenen Wurzeln rekurriert und die Etablierung einer nationalen Kultur propagiert wurde. Diese Praktiken fanden sich, wie in dieser Arbeit mehrfach gezeigt, sowohl im Konstruktivismus als auch im Futurismus in den zentralen Programmatiken wieder. Als widersprüchliches Mo­ ment kommt hin­zu, dass die Künstler einen Kult praktizierten, der jedoch zu­gleich programmatisch abgelehnt wurde: „[…] де є культ, там немає мистецтва“46 [[…] wo es einen Kult gibt, dort gibt es keine Kunst], beschrieb Semenko die Un­vereinbarkeit bereits in einer seiner ersten Manifestationen, die noch vor der ukra­inischen Quasi41 42 43 44 45 46

Passuth, Krisztina: Moholy-Nagy. Weingarten: Kunstverlag Weingarten 1986, S. 29. Vgl. z. B. Horbačov (Hrsg.) 2006: „Vin ta ja buly ukrajinci“. Burke 2000: Kultureller Austausch, S. 15 f. Vgl. Groys 1996: Gesamtkunstwerk Stalin, S. 127 f. Ibd. S. 128 f. Semenko, Mychajl’: Derzannja. Poezy. Kyjiv 1914 – zit. nach Il’nyc’kyj, Oleh [Ilnytzkyj, Oleh]: „Ševčenko i futurysty“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 622–637, hier S. 626.

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Eigenstaatlichkeit entstand. Seine Kritik galt darin vor allem dem Kult um den ukra­ inischen National­d ichter Ševčenko, von dessen mythologischer Instrumenta­l isierung sich Semenko auch in der späten Phase des ukrainischen Futurismus aus­drücklich distanzierte.47 Die Avantgarden gelten als politisch überwiegend links orientierte Strömung. So­ wohl die russische Avantgarde, die einen aktiven Teil der politischen Umstrukturie­ rungen darstellte, als auch die meisten westeuropäischen Avantgarden, die schließlich zuneh­mend von konservativen Kreisen ins Abseits gedrängt wurden, stellen dafür prägnante Beispiele dar. In der bis dahin eher ländlich geprägten und in vielen Bereichen der Kunst auch konservativ gebliebenen Ukraine erfolgte der Ruck nach links teils recht abrupt.48 Während die avantgardistischen Strömungen in Russland, der Weimarer Republik und in Frankreich eindeutig dem politisch linken Lager zuzuordnen waren, zeigten sich in der Ukraine dagegen sowohl in der bildkünstlerischen als auch in der literarischen Avantgarde vielschichtige Widersprüche hinsichtlich der politischen Orientierung. Wenngleich nationale Motive in den späten 1920er-Jahren im Rahmen der beiden For­mationen Nova Generacija und Avanhard keine derart wichtige Rolle mehr spielten wie zuvor innerhalb der „Literarischen Diskussion“, blieben sie dennoch weiterhin prä­sent – man denke an die wiederholte Forderung der Etablierung einer eigenständigen ukrainischen Kultur. Im Kon­text der Verwurzelungspolitik und ihrer Proponenten vergesellschafteten sich somit zwei Anschauungen, die sich eigentlich gegenseitig ausschlossen. Die internationalistisch ausgerichtete Avantgarde bediente sich in der Ukraine auch nationalistischer Elemente, wofür der Begriff der „Nationalen Internationale“ eingeführt werden kann. In der Relevanz des Nationalen zeigt sich eine Analogie zum italienischen Futuris­ mus, dessen Vertreter – etwa Marinetti und Prampolini – ebenfalls das Nationale in der Kunst propagierten. Als aktiver Unterstützer des Faschismus ist der italienische Futurismus jedoch politisch eindeutig als rechtsgesinnt einzustufen,49 während sich sowohl die Nova Generacija als auch Avanhard offen als links deklarierten. Prampolini, der in der Ukraine sehr stark rezipiert wurde, veröffentlichte seine ein­ deutig rechtsgerichteten Texte in ebenfalls eindeutig national ausgerichteten Publi­ kationen, zu denen die Zeitschrift „Il Nationale“ genauso zählte wie die 1927 von Marinetti herausgegebene Anthologie „L’arte fascista  – Elementi per una battaglia artistica“50 [Die faschistische Kunst. Elemente für einen künstlerischen Kampf ]. 1.2.1 Nova Generacija Die Positionierung zur Frage der nationalen ukrainischen Kultur war innerhalb der Nova Generacija insgesamt recht ambivalent. In seiner ursprünglichen Form (Kvero­ 47 48

49

50

Vgl. z. B. Ilnytzkyj 1997: Ukrainian Futurism, 1914–1930, S. 4–10. Dies bspw. im Theater, das zuvor noch relativ wenig innovativ und revolutionär war, je­ doch mit der bereits erwähnten radikalen Linkswende auch in künstlerischer Hinsicht eine Revolution durchlebte; vgl. Veselovska 2010: „Kyiv’s Multicultural Theatrical Life, 1917–1926“, S. 260. Die Definition von avantgardistischer Kunst als ausschließlich sozial und politisch links ausgerichteter Kunst, wie sie von Shore getroffen wird, ist somit nicht ganz haltbar; vgl. Shore 2011: „Eastern Europe“, S. 229. Prampolini, Enrico: „Futurismo contra demagogismo reazionario“, in: Marinetti, Filip­ po Tommaso et al. (Hrsg.): L’arte fascista  – Elementi per una battaglia artistica. Torino: Edizioni Sindicati Artistici 1927, S. 82–85.

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futurismus) propagierte der ukrainische Futurismus noch ausdrücklich eine Abkehr von nationalen Motiven in der Kunst, wie der folgende Auszug aus Semenkos „KveroFuturizm“ zeigt: Кверо-футурізм дає йому шлях, єдино можливий, і сими днями ми вступаємо в цілком инший світ, де не можемо ще почувати себе, як дома, в своїх українських і инших хатах. […] Національну добу в мистецтві (власне в тенденції до мистецтва) ми вже перебули […].51 [Der Kverofuturismus zeigt ihr [der Kunst] den Weg, den einzig möglichen Weg, und in diesen Tagen treten wir ein in eine gänzlich neue Welt, in der wir uns nicht mehr wie zuhause fühlen können in unseren ukrainischen und sonstigen Hütten. […] Die nationale Epoche in der Kunst (eigentlich in der Tendenz zur Kunst) haben wir schon überwunden […].]

Mit den „ukrainischen Hütten“, in denen sich die ukrainischen Futuristen also nicht mehr zuhause fühlten, bezog sich Semenko auf den spezifisch ukrainischen Topos der ukrainischen „Chata“, des ukrainischen Bauernhauses, auf das in der Lite­ratur der Moderne häufig rekurriert wurde. Zudem existierte in der Ostukraine eine modernistische Vereinigung und Zeitschrift namens „Ukrajins’ka chata“ [Die Ukrainische Hütte], auf die Semenko im oben angeführten Zitat anspielte.52 Der antinationale Kverofuturismus stellte gewissermaßen eine Vorwegnahme jener Inter­ nationalität dar, die später von Lissitzky postuliert wurde. Das Potential der Literatur lag für Lissitzky in einer gänzlichen Abkehr vom Nationalen: „Das Buch der Zukunft wird a-national sein.“53 Die panfuturistischen Konzepte rückten zugleich in die Nähe westeuropäischer Anschauungen, die ebenfalls die Ablehnung einer nationalen Aus­ richtung beinhaltete. Der Galerist Flechtheim betonte etwa, dass national resp. pro­ vinziell gefärbte Kunst kein Potential habe, internationales Niveau zu erreichen: „Kunst braucht nichts weniger, als national oder provinziell zu sein, denn wirklich große Kunst übersteigt rassische Grenzen und gehört der Welt.“54 Im Kontext der Politisierung der Kunst wandte sich Semenko in­sofern in gewis­ sem Maße der nationalen Idee zu, als er die ukrainische Kul­tur fördern wollte, zugleich aber „nationale Beschränkungen“ („національна обме­женість“) dezidiert ablehnte.55 Die Nova Generacija ging davon aus, dass der Kampf um die Anerkennung der eigenen, auch der ukrainischen Kunst nach dem Kulturkampf des Übergangs Mitte der 1920er-Jahre nunmehr ein Ende gefunden habe: „Будемо думати, що скінчи­лися бої за територію, за плацдарм, за визнання де-юре“56 [Wir werden denken, dass die 51 52 53 54

55

56

Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 267. Umgekehrt wurde Semenko vom Redakteur der Zeitschrift, Mykola Jevšan, ebenfalls heftig attackiert; vgl. Il’nyc’kyj 2010: „Ševčenko i futurysty“, S. 623. Lissitzky zitiert nach Gerčuk 2006: „Laslo Mochoj-Nad’ v russkom kontekste“, S. 33. Flechtheim, Alfred: „Postscript“, in: Schmitt-Föller, Rudolf: Alfred Flechtheim. ,Nun mal Schluß mit den blauen Picassos!‘. Gesammelte Schriften. Bonn: Weidle-Verlag 2010, S. 107–125, hier S. 125. Dies stellte einen der Grundsätze dar, die in der Titelei der Zeitschrift prominent plat­ ziert angeführt wurden; vgl. z. B. [Red. NG]: „My za: – My proty:“, in: Nova Generacija Nr. 1 (1927), S. 1–2. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“, S. 39.

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Kämpfe um das Territorium, um den Brückenkopf, um die De-jure Anerkennung ein Ende gefunden haben]. Die linke Front der ukrainischen Kunst verstand ihre Aufgabe nach wie vor eher im Klassenkampf als im Kampf um nationale Ideale, wie sie von Chvyl’ovyj und der VAPLITE vertreten wurden – deren Grundätze wurden von der Nova Generacija wiederum kategorisch abgelehnt.57 In der Ukraine sollte sich zwar ebenfalls eine „neue internationale Rasse“ etablieren, die sich allerdings durchwegs heterogen aus den ver­ schiedensten in der Sowjetunion präsenten „Schichten“ zusammensetzen sollte. Um nicht in Gefahr zu kommen, ähnlich wie die VAPLITE dem Faschismus anheimzufallen, müsse die Kunst der Nova Generacija ausschließlich im Zeichen von Internationalität stehen.58 Damit wurde auch eine dezidierte Kritik am Nationalismus artikuliert. Die Internationalisierung bedeutete keine ausschließliche Orientierung nach West­europa, sondern umfasste – trotz dezidierter Abgrenzung von russischen Grup­ pierungen wie der LEF  – ausdrücklich auch das Interesse an anderen sowjetischen und somit auch russischen Erscheinungen. Kritische Worte zur übermäßigen „Ukrainisierung“ finden sich zudem bei Dmytro Buz’ko und Škurupij, die in ihrem gemeinsam verfassten Essay „Starym Dniprom v ostannij raz“ [Über den alten Dnipro zum letzten Mal], einem parodistisch gehaltenen Bericht über ihre Reise zum Staudammprojekt Dniprostroj, die politisch forcierte Nationalitätenpolitik als einen „Gewaltakt“ bezeichneten: Украïнізація  – це насильство. Украïнські селяни всі говорять російською зіпсо­ ваною мовою. Українська мова – це суржик, це вигадка петрлюрівців.59 [Ukrainisierung, das ist Gewalttätigkeit. Die ukrainischen Bauern sprechen alle eine fehlerhafte russische Sprache. Das Ukrainische  – das ist Suržyk, eine Erfindung der Petljuristen60.]

Bei näherer Betrachtung stellt sich also heraus, dass die Nova Generacija trotz in­ tensiver Versuche, die ukrainische Kultur zu fördern, der nationalen Idee gegenüber doch wenig aufgeschlossen war, sodass die Ablehnung einer nationalen Beschränktheit in den Konzepten deutlich dominierte. 1.2.2 Avanhard Bei Poliščuks Avanhard war die ukrainische Nation als Thema zwar präsent, wurde jedoch ebenfalls ambivalent, teilweise gar karnevalistisch, diskutiert, sodass sich ein eindeutiges Urteil über die tatsächliche Einstellung zur „Ukrainisierung“ nicht tref­ fen lässt. Hier sei nochmals auf den 1929 auch auf Deutsch publizierten „Aufruf der Avangarde“ verwiesen, der als ersten Hauptpunkt „im modernen und zukünftigen Schaffen künstlerischer Formen“ hervorhebt, als Resultat des Industriezeitalters müsse eine „allgemeine industrielle Richtung der Poesie und der anderen Künste entstehen, 57 58 59 60

Vgl. [Red. NG] 1927: „Platforma j otočennja livych“, S. 41. Vgl. ibd. S. 40. Buz’ko, Dmytro/Škurupij, Geo: „Starym Dniprom v ostannij raz“, in: Nova Generacija, Nr. 1 (1927), S. 21–36, hier S. 35. Symon Petljura kämpfte im Bürgerkrieg u. a. gegen die Bolschewiki und war 1919 bis 1920 Regierungschef des deutsch kontrollierten Teils der Ukraine.

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die dazu national gefärbt ist“.61 In derselben Manifestation wurde verlautbart, dass eine nationale Eingrenzung von Kunst dezidiert abgelehnt und ausdrücklich ein univer­salistischer Anspruch propagiert werde: Als Organisation der Avangarde der proletarischen Kultur können wir uns nicht in die Grenzen einer Nationalität einzwängen. Die fortgeschrittenen Ideen der Kunst, die dem Zeitalter der Industrialisation entsprechen, einer in der Geschichte der Mensch­ heit noch nie dagewesenen Zeit, müssen noch nie dagewesene Formen der Kunst hervorbringen, die allein ihrem Zweck entsprechen werden, denn jede Epoche hat ihre eigenen Kunstformen, die ihr entspringen. 62

An anderer Stelle betonte Poliščuk, dass es die Aufgabe der ukrainischen Künstler sei, gegen jede Form der nationalen Politik in den Kampf zu ziehen.63 Andererseits lässt Poliščuk im sowohl auf Ukrainisch als auch auf Deutsch publizierten Text „Aero­ nautik“ (1929) mit dem Stolz auf die ukrainische Luftfahrt auch einen Stolz auf die ukrainische Nation erkennen, der überdies durch die fremdsprachige Übersetzung auch über sprach­l iche Grenzen hinaus verkündet werden sollte: Ukraine ist das Land / Der stolzen Aeronautik, / […] Ukraine wird berühmt / Als Land / Der neuen Aeronautik, – / Ukraine, stolzes Land / Zukünftger Aeronautik, / […] Was wirst, Ukraine, du dann noch entbehren, / Um heisse Tatkraft deiner Söhne / Wach zu wecken?64

Der Aufstieg der ukrainischen „proletarischen“ Kunst wird mit einer Aufwertung der gesamten ukrainischen Kultur verknüpft. Poliščuk betonte bspw. die Notwendigkeit, einer Nation auch ihre eigene Alphabetisierung zuzugestehen.65 Da vor allem die Städte russisch geprägt seien, komme der „Ukrainisierung“ der „russifizierten“ Städte eine große Bedeutung zu. Trotz dieser für das Ukrainische wenig günstigen Aus­ gangssituation hätten sich viele Arbeiter, obwohl sie des Ukrainischen nicht mächtig waren, mit der Ukraine identifiziert. Poliščuk gestand der „Ukrainisierung“ eine strategische Bedeu­tung als Instrument zur Stärkung des Landes als Industrieland zu. Die Zunahme ukrainischsprachiger Arbeiter sollte in den Augen Poliščuks ein wich­ tiger Schlüssel zur Entwicklung der ukrainischen sozialistischen Literatur sein.66 Ähnlich wie bei der Nova Generacija lässt sich somit auch bei Avanhard eine Ambivalenz im Hinblick auf die nationale Idee feststellen, die einerseits zwar abgelehnt, andererseits aber als Instrument zur Durchsetzung der kommunistischen Idee eingesetzt werden sollte. Ein parodistischer Ton ist dabei jedoch sehr wohl er­ kennbar. 61 62 63 64 65

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Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Ibd. S. 62. Poliščuk 1929: „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“, S. 115. Polischtschuk 1929: „Aeronautik“. Vgl.  Sinčenko, Oleksij: „Konstruktyvists’ki pryncypy literaturnoji teoriji Valeriana Poliščuka“, in: Praci molodych učenych, Nr. 15, Kyjiv 2009, S. 58–62, hier S. 58 f. http:// elibrary.kubg.edu.ua/2032/1/O_Sinchenko_LOPMU_15_GI.pdf (zuletzt abge­ rufen am 26.3.2017). Vgl.  Sinčenko 2009: „Konstruktyvists’ki pryncypy literaturnoji teoriji Valeriana Poli­ ščuka“, S. 59 f.

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1.2.3 Wahrnehmung von außen: „Der ukrainische Nationalist“ Die exzessiven Bemühungen um die Konstruktion einer ukrainischen Kultur, wie sie vor allem in der Literatur erfolgten, wurden auch außerhalb der Ukraine registriert, wo sie bei westeuropäischen Beobachtern oft Irritation auslösten. Als Beispiel sei hier erneut der Autor Istrati genannt, dem die von den ukrainischen Künstlern betriebene nationale Überhöhung offenbar sehr missfiel: […] eingestehen aber will ich, daß von allen Vorwürfen, die man machen könnte, am ehesten der der literarischen Ausschweifungen verdient ist; die Vielschreiberei, der sich all die Helden der Feder in ukrainischer Sprache hingeben, hat mir stark mißfallen.67

Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Idee der nationalen Kunst als Begleiter­ scheinung der sowjetischen Nationalitätenpolitik auch in anderen ursprünglich inter­ nationalistisch ausgerichteten sowjetischen Avantgarden fest verankert war. Dem mehrfach von Seiten der „Sovremennaja architektura“ postulierten Vorwurf, die zeit­ genössische ukrainische Architektur würde viel zu stark auf nationale Traditionen fokussieren, stand nämlich die Propagierung eines nationalen Stils in der Architektur durch die OSA selbst entgegen: Правильно примененный функциональный метод должен дать решение и вопроса национального облика архитектуры.68 [Die ordnungsgemäße Anwendung der funktionalen Methode muss auch eine Lösung der Frage des nationalen Erscheinungsbildes der Architektur bieten.]

Obwohl von mehreren Seiten Kritik am ukrainischen Fokus auf das Nationale ge­ übt wurde, lässt sich für Russland interessanterweise auch eine entgegengesetzte Re­ aktion auf die ukrainischen Nationalkonzepte  – insbesondere der Kunst  – konsta­ tieren. Die nationalen Bestrebungen wurden in Russland zwar registriert und auch in sehr spezifischer Weise, etwa in Bezug auf die „Literarische Diskussion“, mit Besorgnis diskutiert. In den späten 1920er-Jahren erfolgte allerdings mehr­fach der Versuch, dem verfestigten Stereotyp des „ukrainischen Nationalisten“ entgegen­zuwirken, indem z. B. in Rezensionen und Kommentaren zur ukrainischen Kunst und Literatur kritische Anmerkungen zu nationalen Bestrebungen auffallend oft im Zuge der Endredaktion eliminiert wurden und somit entgegen der ursprünglichen Inten­tion des jeweiligen Autors in der publizierten Version nicht mehr enthalten waren. Da diese Art der Zensur sowohl Beiträge ukrainischer als auch russischer Autoren betraf und zudem gehäuft vorkam, kann von einem systematischen Vorgehen ausge­gangen werden. Ščupak wies z. B. in seinem bereits erwähnten Beitrag „Literaturnyj front na Ukraine“ mehrmals kritisch auf die nationalen Bestrebungen ukrainischer Autoren hin, zielte jedoch mit seiner Kritik vor allem auf die VAPLITE sowie die Kiewer Neo­ klassiker ab. In seinem Beitrag beklagte er sich darüber, dass Angehörige 67

68

Istrati 1930: Auf falscher Bahn. 16 Monate in Rußland, S. 132. — Istrati wurde übrigens in der Ukraine in den Zeitschriften ebenfalls erwähnt; vgl. z. B. [Red. NG]: „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 55–60, hier S. 57. Ginzburg, M. [Moisej]: „Nacional’naja architektura narodov SSSR“, in: Sovremennaja architektura, Nr. 5/6 (1926), S. 113–114, hier S. 113.

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russischsprachiger lite­rarischer Vereinigungen in der Ukraine einer massiven Diskri­ minierung ausgesetzt seien. Die in der Erstfassung enthaltenen Kritikpunkte wurden im Zuge der Redaktion jedoch beinahe zur Gänze entfernt, so etwa die Bemerkung, die Kiewer Gruppierung MARS (Majsternja revoljucijnoho slova) [Werkstatt des revolutionären Wortes] (1924–1929), der z. B. Valer”jan Pidmohyl’nyj angehörte, habe eine „nationalistische Konterrevolution“ intendiert.69 Ščupak war allerdings, wie aus dem Artikel rasch ersichtlich wird, selbst sowjet­ ukrainischer Provenienz und stand als Mitglied der VUSPP in polemischer Opposition zu den avantgardistischen Gruppen. Sein Beitrag bot somit nicht wirklich eine Außen­ perspektive, sondern transferierte vielmehr den innerukrainischen Disput durch die Publikation in einer russischen Zeitschrift auf eine gesamtsowjetische Ebene. 1.3 Polyglossie Das künstlerisch-literarische Phänomen der Mehrsprachigkeit war, geprägt durch eine gleichzeitige Negation des Russischen, in den 1920er-Jahren für viele Publikationen der ukrainischen Avantgarde sehr charakteristisch. Während das breite Spektrum der von den Künstlern in die Texte integrierten, vor allem westeuropäischen Sprachen (neben Deutsch, Französisch und Englisch fand auch die Kunstsprache Esperanto breite Verwendung) zu einer sehr spezifischen Form der „Redevielfalt“70 führte, blieb die unliebsame vormalige Einheitssprache des Russischen, sieht man von wenigen Ausnahmen explizit russischsprachiger Kollektive ab, fast gänzlich außer Acht. Die Mehrsprachigkeit implizierte zugleich quasi eine „Nicht-Sprachigkeit“, die im Streben nach einer eigenen nationalen sowie kulturellen Identität begründet lag. Sowohl der teils russischsprachige „Katafalk iskusstva“ der Panfuturisten als auch das von der russischen Sektion von Avanhard publizierte Journal „Radius“ stellten im Reigen der ukrainischen Publikationen eine Ausnahme dar, wobei zu Beginn der 1920er-Jahre das Russische ebenso wie das Jiddische noch deutlich häufiger integriert wurden, als dies gegen Ende des Jahrzehntes der Fall war. Dass eine Vielzahl der  – mehrsprachigen und dabei nur in Ausnahmefällen rus­ sisch­s­prachigen – Publikationen in Charkiw ediert wurden, ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, da in der heutigen Ostukraine vor allem im urbanen Raum damals das Russische dominierte. Dem Ukrainischen, das im Rahmen der „Ukrainisierung“ stark gefördert wurde, kam eigentlich nur der Status einer Minderheitensprache zu.71 Die Redevielfalt geriet zu einer sehr speziellen Form von Intertext – resp. „Dialogizität“, um nochmals auf Bachtin zu verweisen –, der auf die internationale Orientierung ebenso wie auf die Distanz zu den damaligen russischsprachigen Zentren der Macht verweist. Polyglossie war auch im Kontext anderer Avantgarden ein beliebtes Mittel, die Vernetzung mit anderen Kulturräumen zu demonstrieren. Mit „Vešč’“ gingen Lissitzky und Ėrenburg nicht nur eine Kooperation mit deutschen Künstlern ein, sondern traten zugleich aus jener Isolation heraus, in denen sich geschlossene Diaspora-Kreise oft befanden – man denke hier z. B. an das ebenfalls in Berlin publizierte Kunstjournal „Žar-ptica“ [Feuervogel], das ausschließlich auf Russisch für ein russischsprachiges Publikum erschien.72 69 70 71 72

Vgl. dazu das Typoskript Ščupak 1931: „Literaturnyj front na Ukraine“. Zum Begriff der Redevielfalt vgl. Bachtin 1979: Die Ästhetik des Wortes, S. 165. Das Umland von Charkiw war dagegen ukrainisch geprägt. Vgl. z. B. Marten-Finnis 2012: Der Feuervogel als Kunstzeitschrift. Žar ptica, S. 29. 

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1.3.1 Mehrsprachigkeit bei der Nova Generacija Mehrsprachigkeit fand sich bereits im frühen Panfuturismus als wichtiges Konzept wieder, was sich z. B. in der Grundsatzerklärung „What Panfuturism wants“ zeigt, die in gekürzter Fassung auch auf Russisch, Französisch und Deutsch erschien.73 Die bereits erwähnte Zeitschrift „Katafalk iskusstva“, die ab 1922 als periodisch erscheinendes Organ der Panfuturisten geplant war, sollte neben russisch- und ukra­ inischsprachigen auch jiddischsprachige Materialien enthalten. Da es jedoch, wie so oft in der Avantgarde, trotz langfristiger Perspektive letztlich bei nur einer Ausgabe der Zeitschrift blieb, wur­den diese Pläne nicht umgesetzt. In der „Nova Generacija“ wurde das Russische dagegen weitgehend negiert, während andere Sprachen auf mehreren Ebenen integriert wurden. Eine seltene Ausnahme bildete hier Poltorac’kyjs programmatisches, in mehreren Tei­len abgedrucktes Essay zum Panfuturismus, dessen erstem Teil sowohl ein Abstract auf Russisch als auch auf Französisch beigestellt war.74 Teil zwei enthielt nur noch eine Kurzzusammenfassung auf Französisch,75 und bei Teil drei verzichtete man schließlich zur Gänze auf ein fremdsprachiges Abstract.76 In der „Nova Generacija“ wurde in einigen Fällen eine fremdsprachige Zusam­ menfassung der Texte geboten, wobei häufig Esperanto zum Einsatz kam. Rasch fällt auf, dass die Esperanto-Fassungen oft jenen Texten beigefügt wurden, die von internationalen Kritikern oder Künstlern verfasst und ins Ukrainische über­ tragen worden sind. Die Ver­wendung der Weltsprache Esperanto garantierte nicht nur, dass die ukrainischen kunst- und literaturtheoretischen Essays überall auf der Welt  – zumindest für Esperanto-Kundige  – lesbar waren, sondern lässt sich auch als Beleg dafür verstehen, dass die ukrainischen Autoren und Künstler bestens über die internationalen Strömungen Bescheid wussten und sich überdies auch selbst als integraler Teil des Netzwerks der europäischen Avantgarde sahen. Der aus den „Cahiers d’Art“ übernommene Beitrag zu Hans Arp stellt ebenso ein Beispiel dafür dar77 wie der bereits erwähnte Artikel Matju­šins, dem mit „La nova komprena de spaco M. Matušin“ ebenfalls ein Abstract in Espe­ranto beigefügt war.78 Daneben ist die Mehrsprachigkeit in der „Nova Generacija“ vor allem in den paratextuellen Elementen präsent, da in der Mehrzahl der Hefte sowohl die Innentitelseite als auch das Editorial neben Ukrainisch in jeweils einer weiteren Sprache abgedruckt wurden (Abb. 46–47). Auch einige Inhaltsverzeichnisse der „Nova Generacija“ – und damit paratextuelle Elemente – wurden mehrsprachig geboten, so etwa in der letzten Ausgabe des Jahres 1928, die mehrere Artikel-Vorschauen auf Französisch präsentierte. Zu diesen zählte z. B. Malevičs Essay „Nove mystectvo j mystectvo obrazotvorče“79 [Die neue Kunst und die bildende Kunst]. „L’analyse de l’art contemporain“ enthalte, wie es einleitend hieß,

73 74 75 76 77 78 79

Vgl. Dmitrieva (Hrsg.) 2012: Zwischen Stadt und Steppe, S. 257. Vgl.  Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“, S. 49 f. Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“, S. 50. Vgl. Poltorac’kyj 1929: „Panfuturyzm. IV. Ideolohija ta faktura mystec’koho tvoru“. Vgl. Groxley 1928: „Hans Arp“, S. 351. Vgl. Matjušyn 1928: „Sproba novoho vidčuttja prostorony“, S. 322. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir]: „Nove mystectvo j mystectvo obrazotvorče“, in: Nova Generacija, Nr. 12 (1928), S. 411–418.

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l’analyse [sic] de l’art figuratif contemporain. Il donne le principe fondamental de la peinture contemporaine en ses représentants qui sont les plus célébres [sic] cubistes: Picasso, Braque, Metzinger et les autres.80

Die Verwendung des falschen, weil bestimmten („l’article contient l’analyse“ [der Arti­kel enthält die Analyse] anstatt unbestimmten Artikels („l’article contient une analyse“ [der Artikel enthält eine Analyse] lässt darauf schließen, dass es sich bei dem Übersetzer resp. der Übersetzerin, der/die wie üblich auch hier nicht ausgewiesen wurde, nicht um jemanden handelte, der Französisch als Muttersprache beherrschte. Sowohl Malevičs Beitrag als auch die Mehrzahl der weiteren mit einer kurzen Vorschau auf Französisch versehenen Beiträge, zu denen z. B. der von F. Kondrašenko verfasste Artikel „Žytlova mašyna“ („La machine d’un domicile“) zu zählen ist,81 fokussierten auf internationale Phänomene in der Kunst. Die Betonung dessen, dass internationale Entwicklungen in der Ukraine rezipiert wurden, scheint somit wich­ tiger gewesen zu sein als die Popularisierung der eigenen Innovationen. Das selbst gesetzte Ziel, die eigene Kunst auch über nationale und sprachliche Grenzen hinweg zu propagieren, wurde somit in der Praxis ein wenig vernachlässigt.

Abb. 46: Beispiel für die Mehrsprachigkeit in der „Nova Generacija“: Innentitelseite auf Ukrainisch und Französisch, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 2–3.

80 81

[Red. NG]: „Zmist No. 12 ta zauvažennja redakciji“, in: Nova Generacija, Nr. 12 (1928), S. 362–363, hier S. 363. Vgl. ibd. — Der Beitrag rekurriert zwar, wie bereits aus dem Titel ersichtlich wird, auf Le Corbusier, der das Konzept der Wohnmaschine („machine-à-habiter“) ursprünglich propagierte, in der Vorschau wurde dieser jedoch nicht genannt.

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Abb. 47: Beispiel für die Mehrsprachigkeit in der „Nova Generacija“: deutschsprachige Innentitelseite, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1930), S. 3.

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1.3.2 Mehrsprachigkeit bei Avanhard Esperanto Poliščuk setzte das Konzept der Mehrsprachigkeit in seinen Avanhard-Publikationen bereits auf der Ebene der Umschlaggestaltung konsequent um, wobei in den meisten Fällen die Kunstsprache Esperanto als sprachliche Brücke fungierte. Frühe Antholo­ gien, wie z. B. „Ohon’“ (1925) oder „Pul’s epochy“ (1927), enthielten dagegen noch keine derartigen Elemente. In „Avanhard“ wurde Esperanto schließlich in den Zeit­ schriftentitel integriert, der vollständig „Avanhard. Mysteck’ki materijaly avanhardu/ avangardo“ lautete, wobei lediglich der Gruppenname selbst, Avanhard, in einer Espe­ranto-Entsprechung geboten wurde. Auch in der Zeitschrift selbst finden sich zahlreiche Beispiele für die Integration der Weltsprache. Mit „La Ekfloro de l’Ukraina literaturo“82 brachte Poliščuk in der dritten Ausgabe der Zeitschrift „Avanhard“ eine Esperanto-Übersetzung seines Essays „Rozkvit ukra­ jins’koji literatury“ (Abb. 48), das im ukra­inischen Original in „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“ erschienen war.83 Die Esperanto-Fassung sollte die Blüte der ukrainischen Literatur, die in dem Essay aus­führlich dargelegt wurde, auch für fremdsprachige Leser nachvollziehbar machen, wie es im Inhaltsverzeichnis heißt: Walerjan Polischtschuks Aufsatz in Esperanto „Das Aufblühen der ukrainischen Lite­ ratur“ soll unsere ausländischen Leser kurz über die ukrainische Literaturge­schichte unterrichten und über die künstlerischen Gruppierungen und Richtungen, die es heute in der ukrainischen Literatur gibt.84

Das Lamento über die marginale Verbreitung der ukrainischen Kultur im Ausland stellte in den 1920er-Jahren ein zentrales Motiv der ukrainischen Literatur dar, das von der Verwurzelungspolitik wesentlich forciert wurde. Da Esperanto in den 1920erJahren eine sehr beliebte Sprache war, ist davon auszugehen, dass Poliščuks Beitrag zahlreiche Literatur-Interessierte außerhalb der Ukraine erreichen hätte sollen, dies jedoch auf­grund der abgeschotteten Lage der Sowjetrepublik nicht tat. „Kolyskova“ [Schlummerlied]85 stellte eine Übertragung des von Michal’s’kyj ver­ fas­sten Esperanto-Gedichtes „Lulkanto“ dar, das in einer eigenen Spalte links neben „Kolyskova“ ebenfalls abgedruckt wurde.86 Das 64 (Esperanto-Fassung) resp. 62 (ukra­ inischsprachige Fassung) Zeilen umfassende Gedicht thematisiert den Bürgerkrieg und gibt laut deutschsprachiger Ankündigung im Inhaltsverzeichnis „die Gefühle einer Mutter wieder an der Wiege ihres Sohnes während des Bürgerkriegs. Sie singt davon, welche Zukunft sie ihrem Sohn wünscht“87.

82 83 84 85 86 87

Polishchuk, Valerian: „La Ekfloro de l’Ukraina literaturo“, in: Avanhard. Mystec’ki mate­ rijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 171–174 (Esperanto-Fassung). Vgl. Poliščuk 1929: „Rozkvit ukrajins’koji literatury“. [Red. AVH] 1929: „Inhaltsangabe No. 3 der Zeitschrift ,Avangarde‘“, S. 186. Michal’s’kyj, Jevhen: „Kolyskova“, übersetzt von Vasyl’ Mysyk, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 59. Mihhalski, Evhen [Michal’s’kyj, Jevhen]: „Lulkanto“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 59. [Red. AVH] 1929: „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avangarde“.

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Abb. 48: Beispiel für die Mehrsprachigkeit in „Avanhard“: Esperanto-Übersetzung von „Rozkvit ukrajins’koji literatury“: Valerian Polishchuk: „La Ekfloro de l’Ukraina literaturo“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 171–174 (Esperanto).

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Der Autor Michal’s’kyj war ein zentraler Proponent der Esperanto-Bewegung in der Ukraine, der auch als Initiator und Redakteur mehrerer Esperanto-Zeitschriften fun­ gierte. Neben Esperanto-Gedichten existieren von ihm auch russischsprachige Texte. Dass die Übertragung von „Lulkanto“ ins Ukrainische nicht durch den Autor selbst, sondern durch Vasyl’ Mysyk erfolgte, lässt darauf schließen, dass Michal’s’kyj haupt­ sächlich auf Russisch kommunizierte. Obwohl der Autor zu Lebzeiten – auch auf­grund seiner zahlreichen internationalen Kontakte  – ein „bekannter Esperanto-Dichter“ war, wie Avanhard konstatierte, der auch heute noch als einer der wichtigsten Ver­ treter der Esperanto-Poesie angesehen wird, ist er dennoch zu den Vertretern der gänz­ lich vergessenen Avantgarde zu zählen. Dieses Vergessen ist auf zwei Ursachen zu­rück­ zuführen: Erstens stellte die Esperanto-Dichtung nur eine kleine Nische dar, die ihre Blüte im Rahmen der pazifistischen Bewegungen rund um den Ersten Weltkrieg erlebte und heute fast keine Aufmerksamkeit mehr erhält. Zweitens blieb die ukrainische Avantgarde international gesehen – und dies vor allem im Hinblick auf die Literatur – weitgehend unbeachtet, sodass es zu einer Überlagerung und Verdoppelung von zwei künstlerischen Peripherien (Esperanto, ukrainische Avantgarde) kam.88 Umgekehrt nahm die ukrainische Avantgarde im (sehr kleinen) Kreis der Esperanto-Dichtung eine zentrale Rolle ein. Der Esperanto-Forscher Benedikt Hjartarson verweist auf die herausragende Position, die Michal’s’kyj im Kontext der Esperanto-Dichtung zukam. Zugleich führt Hjartarson die ukrainische Avantgarde als Beispiel für die gelungene Integration der Kunstsprache in die „reguläre“ Literatur an. Michal’s’kyjs Gedichte seien zwar traditioneller als andere futuristische Arbeiten aus dieser Zeit, zeigten aber doch einige Analogien, vor allem im Hinblick auf das Spiel mit der Lexik.89 Hjartarsons Vergleich bezieht sich jedoch auf den russischen, nicht den ukrainischen Futurismus, in dessen Kontext Michal’s’kyjs Werk entstand. Bemerkenswert scheint auch, dass es in der Ukraine im Kontext der starken Esperanto-Tradition bereits sehr früh (1914) zu Esperanto-Übersetzungen mehrerer Texte der russischen EgoFuturisten90 kam. Die Übersetzungen ukrainischer Futuristen stellten somit die Fort­ führung einer bereits länger etablierten Praxis dar,91 und es lässt sich feststellen, dass die ukrainische Avant­garde zwar nicht in ihrem ukrainischen Kontext, sehr wohl je­ doch als Esperanto-Dich­tung ein internationales Echo erzeugen konnte. Russisch Anders als die Nova Generacija grenzte Poliščuks Gruppierung das Russische nicht aus. Ganz im Gegenteil entstand mit „Radius“ sogar eine zur Gänze auf Russisch ge­ haltene Publikation, die neben Texten von ukrainischen russischsprachigen Autoren auch zwei Gedichte des 1922 verstorbenen russischen Futuristen Chlebnikov enthielt. Dass auch in die regulären Ausgaben von „Avanhard“ russischsprachige Texte aufge­

88

89 90 91

Erwähnung findet Michal’s’kyj in der Ukraine weniger im Kontext der Avantgarde, dafür aber in einem Artikel zum Terror im Donbas, aus dem er selbst gebürtig war; vgl. Licholobova, Zoja: „,Velykyj teror‘ 1937–1938 rokiv u donbasi: vtraty intelihenciji“, in: NAN (Hrsg.): Problemy istoriji Ukrajiny: fakty, sudžennja, pošuky, Nr. 16/1, Kiew: NAN 2007, S. 466–480, hier S. 478. Vgl. Hjartarson 2014: „Anationalism and the Search for a Universal Language“, S. 287 f. Die Ego-Futuristen (1911/12–1914), die von Igor’ Severjanin gegründet wurden, zähl­ ten zu den wichtigsten russischen futuristischen Vereinigungen der frühen Phase. Hjartarson 2014: „Anationalism and the Search for a Universal Language“, S. 287 ff.

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nommen wur­den, wie dies bei den zuvor erwähnten Übernahmen von Sel’vinskij und Zelinskij der Fall war, unterstreicht die Offenheit der russischen Sprache gegen­über, die laut Avanhard zur Ausweitung des Leserkreises führen sollte, indem russisch­ sprachigen Interessenten die Möglichkeit gegeben wurde, die ukrainische Zeitschrift zu verstehen.92 Deutsch Poliščuks „Aeronautik“93 stellt die Übertragung eines Gedichtes ins Deutsche dar, für dessen Übersetzung ein/e gewisse/r E. B. verantwortlich zeichnete94 und das, ebenso wie das ukrainische Original „Aeronavihacija“ in der ersten Nummer von „Avanhard“ abgedruckt wurde. Laut deutschsprachigem Inhaltsverzeichnis thematisiert das eine Druckseite umfassende konstruktivistische Gedicht die gresse [sic] Zukunft des Brennspiritus als Brennmaterial für Motore, der an Stelle [sic] des Benzins treten wird, was die Entwicklung des Flugwesens in der Sowjet­ukraine fördern wird.95

Dass ausgerechnet dieses Poem für eine Übertragung ins Deutsche ausgewählt wurde, scheint inso­fern schlüssig, als es der Propagierung der ukrainischen Technologien im Aus­land dienen und damit dem weit verbreiteten Bild der Ukraine als rückständigem Bauernstaat entgegenwirken konnte. Zudem stellte „Aeronautik“ einen unauffälligen, vordergründig ganz auf Parteilinie liegenden Text dar, der Zensoren wohl keinerlei Anlass zur Kritik gab. Die deutschsprachigen Segmente waren sowohl in der „Nova Generacija“ als auch in „Avanhard“ recht professionell übersetzt, sodass sich insgesamt nur wenige fehlerhafte Wörter oder Wortkombinationen finden lassen. Zudem sind einige der Fehler wohl oft erst im typografischen Satz entstanden, da die falsch gesetzten Buchstaben in ihrem Er­scheinungsbild auffallend oft den korrekten sehr ähnlich sind. Dies wäre insofern schlüssig, als es sich bei der Übersetzung nicht nur um eine Übertragung in eine andere Sprache, sondern auch in ein anderes Zeichensystem handelte. In „Avanhard“ ist z. B. von einer „Enzählung“96 anstatt einer „Erzählung“ die Rede, während in der „Nova Generacija“ die „literarische Xelt“97 anstatt der „literarischen Welt“ zitiert wurde. In beiden Fällen lassen sich auf der grafischen Ebene Ähnlichkeiten zwischen den beiden Lettern (,r‘ und ,n‘ resp. ,W‘ und ,X‘) konstatieren, die leicht zu einer Verwechslung beim Setzen des Textes führen können, vor allem dann, wenn der Schriftsetzer der Fremdsprache nicht mächtig ist. Zwei weitere Beispiele für die Ver­wechslung von Drucklettern sind in der zuvor abgebildeten deutschsprachigen Innen­titelseite der „Nova Generacija“ zu sehen (Abb. 47), für deren Satz sowohl in der letzten als auch 92

93 94 95 96 97

Hier sei nochmals auf den Brief von Poliščuk an Zelinskij verwiesen, in dem er die von Avanhard vertretenen Prinzipien der Mehrsprachigkeit erläutert; vgl. Archivbestand: RGALI, f. 1604, op. 1, ed. chr. 970. Vgl. Polischtschuk 1929: „Aeronautik“. Hier ist wohl E. Berman gemeint, der auch Bechers in „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“ erschienenen Beitrag „Ljudyna prokynulas’“ ins Ukrainische übersetzt hatte. [Red. AVH] 1929: „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avangarde“. Ibd. [Red. NG] 1928: „Teatr Piscatora“.

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in der viertletzten Zeile ein kyrillisches „к“ anstatt einem lateinischen „k“ („кunst­ formation“, „кonstruktion“) verwendet wurden. 1.4 Selbstbezüglichkeit: Trauma der Nicht-Existenz/Nicht-Präsenz Die programmatische Thematisierung der (Marginalität) der eigenen Kunst durch die Kunst selbst stellt eine Art Rückkoppelung dar, die auch eine Autoreferentialität implizierte: Kunst verweist in den Polemiken auf die Kunst, die Autoren auf sich selbst, und die Gruppierungen machten sich und ihre Arbeit zum zentralen Thema ihrer polemischen und literarischen Texte. Damit ging außerdem die Praxis einher, die eigene Strömung, deren fehlende Anerkennung zugleich beklagt wurde, als wich­ tigste Erscheinung zu postulieren, die anderen nicht nur voraus, sondern vor allem auch überlegen war. Die Bezugnahme der Gruppierungen auf sich selbst stellte ein wichtiges Element der ukrainischen Avantgarde dar, das sich vor allem für jene Kunstformen ver­merken lässt, die auf sprachlicher resp. literarischer Ebene agierten. Darüber hinaus erfolgten zahlreiche Bezugnahmen auf die eigene Kultur. Obwohl sich diese innerhalb der „Literarischen Diskussion“ zweifelsohne am deutlichsten manifestierten, kamen sie in den späten 1920er-Jahren bei den Avantgarde-Gruppen, wiewohl deutlich reduzierter, ebenfalls zum Einsatz. Diese Selbstbezüglichkeit – die wiederum, und hier wird erneut ein Widerspruch evident, gepaart mit einer gene­ rellen Offenheit anderen Strömungen gegenüber auftrat  – kann in Anlehnung an Lotman als Versuch gedeutet werden, eine übermäßige Vielfalt zu verhindern und so eine Normierung – unter Verdrängung andersartiger Erscheinungen – zu forcieren,98 indem etwa eine Abgrenzung von Russland praktiziert wurde. Die Selbstbezüglichkeit stellt überdies eine spezifische Form des Epitextes dar, da außerhalb des eigentlichen Textes, also etwa am Umschlag, in der Titelei oder im Inhaltsverzeichnis, auf sich selbst verwiesen wird, und lässt sich somit als Intertextualität identifizieren. Vor allem in der Literatur kam es zu einer wiederholten Bezugnahme auf die Literatur selbst, die ihren Status als Erscheinung zum einen zu defi­nieren, zum anderen aber auch zu popularisieren beabsichtigte. In zahlreichen Essays erfolgte der Versuch, sich selbst einen Platz innerhalb der Literaturwissenschaft zuzuweisen, dem zudem oft ein deutlich übersteigerter Stellenwert beigemessen wurde99 – hier ist etwa an Poliščuks „Rozkvit ukrajins’koji literatury“ zu denken. Doch nicht nur die eigenen Ziele – die in gewisser Weise allen Gruppen gemeinsam waren, was jedoch aus Gründen der gegenseitigen Abgrenzung ebenfalls negiert wurde – standen im Mittelpunkt der polemisch aufgeladenen Kommunikation, son­ dern auch der Sender der Botschaft selbst, der nicht selten zugleich als Empfänger fungierte und somit sich selbst adressierte. Die Bezugnahme auf sich selbst bildete überdies den Ver­such, die eigenen Ansichten als dominante Linie zu etablieren.100 Die Überhöhung der Relevanz der eigenen Aktivitäten ähnelte den Praktiken anderer Avantgarden, die ihre eigenen Entwicklungen ebenfalls oft überbe­werteten: „Только мы - лицо нашего Времени“ [Hervorh. i. Orig., VF]101 [Nur wir sind das 98 99 100 101

Vgl. den Abschnitt „Der Begriff der Grenze“ in Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 174–190. Vgl. Belaja 2016: „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“, S. 303. Vgl. das Konzept Lotmans zur Selbstbeschreibung als Versuch, die eigenen Normen auf das System zu übertragen: Lotman 2010: Die Innenwelt des Denkens, S. 170. Vgl. Burljuk et al. 1912: „Poščečina obščestvennomu vkusu“, S. 3.

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Gesicht unserer ZEIT], hieß es bspw. bei den russischen Kubofuturisten, die den rus­sischen Dichter Aleksandr Puškin vom Dampfer der Gegenwart werfen wollten, während die LEF wie erwähnt kulturhegemonial ausgerichtete Anliegen vertrat.102 1.4.1 Nova Generacija Das Trauma der marginalen Wahrnehmung der ukrainischen und somit der eigenen Kultur lässt sich als zentrales Element festhalten, das die ukrainische Literatur epo­ chenübergreifend prägte und bis in die Gegenwart auch noch prägt. Semenko be­klagte zwar in seinen frühen Texten (etwa in „Sam“ und „Kvero-Futurizm“) die schlechte Situation der ukrainischen Kultur, griff dabei jedoch zugleich deren Rück­ständigkeit an und distanzierte sich von der Bezugnahme auf eine nationale Tradition. Die Ent­ stehung des Futurismus stellte für ihn eine logische Konsequenz dessen dar, dass „наше укр. мистецтво є на позорнїм щаблї пошлорутини й рабськопідлеглости, який не виправдує самої цеї назви“103 [sich unsere ukr. Kunst auf der peinlichen Stufe der überkommenen Routine und der sklavischen Unterwerfung befindet, die nicht einmal ihren Namen verdient]. Die Nicht-Existenz der ukrainischen Kultur beklagte auch Škurupij, der in seinem Essay „Na šturm linoščiv i neznajstva“ [Zum Sturm der Trägheiten und der Un­ wissenheit] eine Negierung sämtlicher ukrainischer Erscheinungen von Seiten Russ­ lands kritisierte. Dass diese absichtlich erfolge, ließe sich bereits daran erkennen, dass ukrainische Autoren – wenngleich nur marginal – sogar in Frankreich und Deutsch­ land rezipiert, in Russland dagegen gar nicht registriert würden: „Пошукати ці ж самі прізвища в російських радянських журналах даремна праця“104 [Ein und dieselben Namen in sowjetrussischen Zeitschriften zu suchen, ist ein vergebliches Unterfangen]. Škurupij bezeichnete den russischen Leser als ignorant, da er nicht über den eigenen Tellerrand hinauszublicken vermöge. Der russische Autor sei wiederum nicht im Stande, seinen Lesern das Leben der Menschen aus anderen Sowjetrepubliken zu präsen­tieren. Als Beispiel dafür zog er den russischen Autor Aleksej Tolstoj heran, dessen in „Choždenie po mukam“ [Der Leidensweg] erkennbarer Versuch, ukrainische Prota­gonisten durch die Einbeziehung Gogol’scher Charaktere darzustellen, kläglich ge­scheitert sei.105 Škurupijs Lamento basierte möglicherweise auf seinen persönlichen Erfahrungen in Moskau, wo er ein Teil der ukrainischen futuristischen Vereinigung Neo-Lif gewesen ist. Sein Beitrag stellte dabei die Fortsetzung einer Thematik dar, die bereits in deren Emigrationszeitschrift (ebenfalls „Neo-Lif “) aufgeworfen wurde. In Punkt neun ihres 1925 unter dem Titel „Manifest sojuzu ukrajins’kych proletars’kych i seljans’kych pys’mennykiv v RSFRR ,selo i misto’ – ,SiM‘“106 [Manifest der Union der ukrainischen proletarischen und bäuerlichen Schriftsteller in der RSFRR „Dorf und Stadt“ – „SiM“] erschienenen Programmtextes wurde ebenfalls die Gründung eines Verlags gefordert. Dass dieser nicht nur die Ideen der Revolution in alle Welt hinaus 102 103 104 105 106

Zur LEF vgl. Stephan 1981: „LEF“ and the Left Front of the Arts, S. 8 f. Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 267. Škurupij 1928: „Na šturm linoščiv i neznajstva“, S. 212. Vgl. ibd. Central’nyj komitet SIM’u: „Manifest sojuzu ukrajins’kych proletars’kych i seljans’kych pys’mennykiv v RSFRR ,selo i misto’  – ,SIM‘“, in: Instytut Tarasa Ševčenka–kabinet radjans’koji literatury (Hrsg.) 1928: Šljachy rozvytku ukrajins’koji proletars’koji literatury. Literaturna dyskusija (1925–1928), S. 295–302.

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verkünden, sondern vor allem die Propagierung ukrainischer Literatur über Landesund Sprachgrenzen hinaus gewährleisten müsse, macht auch hier die empfundene eigene Marginalität deutlich: Мусимо мати окреме видавництво письменників як акційне видавництво. […] Згадане видавництво мусить приступити також до видання перлин української літератури так з минулого, як з сучасного на чужих мовах, в інших країнах.107 [Wir brauchen einen eigenen Verlag der Autoren, der als Werbe-Verlag agiert. […] Der genannte Verlag muss auch beginnen, die Perlen der ukrainischen Literatur so­wohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart in fremden Sprachen, in anderen Ländern zu veröffentlichen.]

1.4.2 Avanhard Es Meter, der als Mitglied der russischen Sektion von Avanhard in „Radius“ publizierte, stellte in seinem Essay „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“108 die Überpräsenz von Kritikern – und in Folge dessen auch von Kritik – einem generell fehlenden Status der ukrainischen Literatur gegenüber: „У нас хорошо поставлена критика“ [Bei uns ist die Kritik gut vertreten]. Im Essay, das bereits aufgrund des Titels ein Lamento über die Nicht-Wahrnehmung der ukrainischen Kultur erwarten lässt, bezieht sich der Autor auf eine Reihe europäischer, amerikanischer und russischer Autoren, um schließlich auf die „Unbemerktheit“ der ukrainischen Literatur zu verweisen. Die aktuellen literarischen Tendenzen, die maßgeblich durch die All-Ukrainische Vereini­ gung proletarischer Schriftsteller (VUSPP) vertreten wurden, werden von Meter scharf kritisiert. In Ab­wandlung des Zitates von Oscar Wilde „There is no such thing as a moral or an immoral book. Books are well written, or badly written. That is all“109 konstatiert Meter für den Zustand der ukrainischen Literatur resigniert: „[…] у нас нет нравственных и безнравственных, но нет и хороших [книг, VF]“110 [bei uns gibt es weder moralische noch a-moralische, aber auch keine guten [Bücher, VF]]. Die Ursache für die eigene Nicht-Existenz wird in der ukrainischen Literatur selbst verortet, die sich vor allem durch ihre Beliebigkeit auszeichne. In der Ukraine würden sich nämlich all jene Personen als Dichter bezeichnen, die für andere Professionen ungeeignet seien: „Говорят, в Киеве, если человек не имеет службы и определенной профессии, он называет себя поэтом“111 [Es heißt, wenn jemand in Kiew weder einen Posten, noch eine bestimmte Profession hat, dann bezeichnet er sich als Dichter]. Meters Statusbericht zur ukrainischen Literatur birgt auf vielfacher Ebene sati­ rische Elemente, die deutliche Hinweise auf eine Resignation des Autors sind. Eigentlich müsse er, so Meter, sogar zufrieden sein, da nur die erlesensten und kultiviertesten Menschen, nämlich die Redakteure, zu seinen Lesern zählten.112 Von

107 108 109 110 111 112

Central’nyj komitet SIM’u 1928: „Manifest sojuzu ukrajins’kych …“, S. 302. Meter 1928: „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“, S. 3. Dass dieses Zitat dem Vorwort von Oscar Wildes „The Picture of Dorian Gray“ ent­ stammte, wurde zwar erwähnt, eine genaue Offenlegung der Quelle erfolgte aber nicht. Meter 1928: „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“, S. 3. Ibd. S. 5. Vgl. Meter 1928: „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“, S. 6.

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den eigenen Arbeiten, die gänzlich unbemerkt blieben, zog Meter eine Verbindung zur gesamten ukrainischen Literatur, der es ebenfalls an einer ausreichenden Leserschaft mangle. Die VUSPP, die mit Avanhard mehrfach einen polemischen Disput führte, wurde von Meter aufgrund ihrer mangelnden Kunsthaftigkeit heftig kritisiert. Diese sei es jedoch, die als literarische Vereinigung am meisten wahrgenommen werde. Der Status der aktuellen ukrainischen Literatur wurde von Meter schließlich metaphorisch mit Begriffen in Verbindung gebracht, die mit dem allseits verpönten Kapitalismus assoziiert und somit negativ konnotiert waren: Литература должна быть полноценной, как золотая монета при открытой чеканке. А у нас в Харькове литературная девальвация.113 [Literatur muss vollwertig sein, wie eine Goldmünze aus offener Prägung. Doch bei uns in Charkiw herrscht eine literarische Devaluation.]

Das Gefühl der Marginalität der ukrainischsprachigen literarischen Hervorbringungen wird hier also abermals ersichtlich.

113

Meter 1928: „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“, S. 5.

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2.1 Konstruktiver Dynamismus (Spiralismus) und literarischer Konstruktivismus Der literarische Konstruktivismus, der in Russland vor allem von Sel’vinskij und Ze­ linskij vertreten wurde, fand in der Gruppe Avanhard ein produktives ukrainisches Pendant. Ähnlich wie in Russland wurden die Hervorbringungen dieser Strömung je­ doch bereits zur Zeit ihrer Entstehung nur wenig registriert und blieben – anders als Semenkos Panfuturismus – bislang auch in der Ukraine nur wenig erforscht. Innerhalb dieser ukrainischen Richtung waren die Beziehungen zu Russland besonders stark, zumal sie sich nicht allein auf die wechselseitige Abgrenzungspolemik reduzierten (wie dies, um nochmals auf Semenko und die Nova Generacija zu verweisen, oftmals der Fall war); ganz im Gegenteil artikulierten sich die Verbindungen in zahlreichen direkten Kontakten, der wechselseitigen Übernahme von Publikationen sowie der di­ rekten Kooperation. Wenngleich die ukrainische Avanhard mit ihrem Konstruktiven Dynamismus eigenen Angaben zufolge eine gänzlich autonome Strömung vertrat, lassen sich nicht zuletzt im Hinblick auf die literarische und konzeptionelle Praxis eine Reihe auf­ fälliger Analogien zu den russischen Konstruktivisten konstatieren. Im Folgenden soll anhand einiger Texte nicht nur exemplarisch gezeigt werden, auf welche Weise die eigenen Prinzipien in die literarische Praxis umgesetzt wurden, sondern auch, in welchem Verhältnis der ukrainische Konstruktive Dynamismus zum russischen Konstruktivis­mus rund um Sel’vinskij und Zelinskij stand. Diese Analogien und Divergenzen, auf die im verglei­chenden Abschnitt zu den Polemiken bereits ein­ gegangen wurde, werden anhand von kurzen, teils komparatistisch angelegten Analysen aufgezeigt. 2.1.1 Raisa Trojanker: „Iz prošlogo“ (1928) Raisa Trojankers Gedicht „Iz prošlogo“114 [Aus der Vergangenheit], das 1928 in der russischsprachigen Zeitschrift „Radius avangardovcev“ erschien, spricht mit dem wäh­ rend des Bürgerkriegs in Uman’ an der jüdischen Bevölkerung verübten Pogrom ein historisches Geschehen an, das bis heute nur wenig dokumentiert und aufgearbeitet wurde. Das 1919 von den Machno-Truppen angerichtete Massaker, das nicht das einzige bleiben sollte, hinterließ bei der Bevölkerung der Stadt ein schweres Trauma, das in der Kunst mehrfach reflektiert wurde. Bei Trojanker wird dieses Trauma bereits über den Titel transportiert, der mit „Iz prošlogo“ auf etwas Vergangenes verweist, das bis in die Gegenwart als dunkler Schatten der Erinnerung über der Stadt hängt. Trojankers Gedicht, das bildhaft und eindrucksvoll den blitzartigen Einfall der mor­denden Truppen beschreibt, enthält neben der für den Konstruktivismus wich­tigen gesellschaftskritischen Komponente – es wird auf das tragische Schicksal der jüdischen Bevölkerung hingewiesen – auch auf formaler Ebene eine Reihe konstrukti­vistischer Bausteine. In den beiden nebeneinander platzierten, jeweils 16-zeiligen Strophen wird der quasi im Vorbeiziehen erfolgte Überfall mit einem tosenden Schneesturm gleich­ gesetzt, der auf verschiedenen Ebenen in den Text implementiert ist.

114

Trojanker, Raisa: „Iz prošlogo“, in: Poliščuk et al. (Hrsg.) 1928: Radius avangardovcev, S. 16 (russisch).

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Из прошлого

[Aus der Vergangenheit

1. Все было очень просто. 2. Проще не может быть. 3. Ночь подавилась злостью 4. Все без разбору забыв. 5. Был истеричен воздух, 6. Весь городок в тревоге, 7. Словно опущены в воду, 8. Зябко дрожали ноги. 9. Кто-то плохое задумал, 10. Нечего пить и есть 11. Маленький город Умань, 12. Конный махновский разъезд. 13. Ночи лицо побледнело – 14. Два сочетания красок 15. Красное – с ласково-белым 16. Белое с огненно-красным.

1. Alles war sehr einfach. 2. Einfacher kann es nicht sein. 3. Die Nacht wurde von der Wut erstickt 4. Alles ohne Unterschied vergessen. 5. Die Luft war hysterisch, 6. Das ganze Städtchen alarmiert, 7. Als wären sie in Wasser versenkt, 8. Fröstelten zitternd die Beine. 9. Jemand führte etwas Schlimmes im Schilde, 10. Nichts zu essen und zu trinken, 11. Die kleine Stadt Uman’, 12. Machnos Reiter-Patrouille.

17. Город в погромной горячке 18. (снежные хлопья за шею), 19. Кто-то пронзительно плачет 20. Крестится „я не еврей“. 21. Ужас был черен, как уголь, 22. Кровью забрызгана блуза 23. Смерть лишь за то, что смуглый 24. И плохо сказал „кукуруза“.

17. Die Stadt in der Glut des Pogroms 18. (Schneeflocken hinter dem Kragen), 19. Jemand weint schrill

13. Das Antlitz der Nacht wurde blass – 14. Zwei Kombinationen von Farbe 15. Rot – mit zartem Weiß 16. Weiß mit Feuerrot.

25. Спокойно затворы цокали, 26. Кровавилось милое тело 27. И только пенснэ без стекол 28. Скептически ночь оглядело.

20. Bekreuzigt sich, „ich bin kein Jude“. 21. Der Horror war kohlrabenschwarz, 22. Mit Blut die Bluse bespritzt 23. Den Tod bloß wegen einer dunkleren Hautfarbe 24. Und weil er „Kukuruz“ schlecht ausgesprochen hat. 25. Ruhig knarrten die Verschlussvorrichtungen, 26. Es blutete ein anmutiger Körper 27. Und nur ein Zwicker ohne Glas 28. Beäugte skeptisch die Nacht.

29. Сердце сегодня метелится 30. Вьюжное сердце – как лед. 31. Это было в метелицу, 32. В бурный двадцатый год …

29. Das Herz stürmt heute 30. Ein treibendes Herz – wie aus Eis. 31. Das war während des Schneesturms, 32. Im stürmischen zwanzigsten Jahr …]

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Einerseits erfolgt ein Vergleich auf der lexikalischen Ebene, indem das Bild des Schnee­ sturms im letzten Abschnitt direkt genannt und mit Hilfe der Doppelung durch syno­ nym eingesetzte Metaphern zusätzlich verstärkt wird (Z29–Z32): Сердце сегодня метелится / Вьюжное сердце – как лед. / Это было в метелицу, / В бурный двадцатый год … [Das Herz stürmt heute / Ein treibendes Herz – wie aus Eis. / Das war während des Schneesturms, / Im stürmischen zwanzigsten Jahr …]

Andererseits entsteht auch auf phonetischer Ebene eine Assoziation mit einem toben­ den Wirbelwind. Die Strophen bestehen zumeist aus stichwortartigen Verszeilen, die zu einem Tele­ grammstil verkürzt sind. Dieser manifestiert sich z. B. in einem reduzierten Einsatz von Verben, sodass syntaktisch unvollständige, „unfertige“ Satzteile entstehen. Gat­ tungs­­übergreifende literarische Experimente wie dieses, das auch nicht-literarische Text­sorten imitiert, wurden im „Aufruf der Avangarde“ ausdrücklich propagiert, wobei insbesondere die Relevanz des Verwendungskontextes betont wird: Heutzutage sagt uns ein gutgefasstes Telegramm durch seinen lapidaren Stil und seine Knappheit mehr als ein lyrisches Gejammer, besonders wenn letzteres der Art des Wer­ kes und dem Thema nicht gut angepasst ist.115

Der durch den Telegrammstil entstehende Eindruck von rasender Dynamik und Eile lässt sich als metaphorisch aufgeladene Umschreibung eines sich ruckartig be­ wegenden Sturms deuten, der von einer Stelle zur nächsten hastet und dessen drän­ gende Eile einer syntaktisch vollständigen Schilderung der Ereignisse keine Zeit lässt (Z13–Z16): Ночи лицо побледнело – / Два сочетания красок / Красное – с ласково-белым / Белое с огненно-красным. [Das Antlitz der Nacht wurde blass – / Zwei Kombinationen von Farbe / Rot – mit zartem Weiß / Weiß mit Feuerrot.]

Die Erzeugung von Dynamik, wie sie hier erfolgt, stellte ein wichtiges Ziel des Kon­ struktiven Dynamismus dar, wie bereits aus dessen Bezeichnung hervorgeht. Das gänzliche Fehlen von Abtrennungen zwischen den jeweils vier komprimierten Vier­zeilern –, die durch ihre Interpunktion jedoch syntaktisch klar voneinander ab­ gegrenzt werden – verleiht „Iz prošlogo“ auch auf formaler Ebene die Anmutung eines starken umhertreibenden, vielleicht sogar an eine dynamische Spirale erinnernden Schnee­sturms, der zwar rasch wieder vorbei ist, dabei jedoch eine Spur der Verwüstung hinter­lässt. Die Interpunktion bleibt bei Trojanker vollkommen intakt, wodurch sich der Text deutlich von den futuristischen Poemen unterscheidet, die sich den Regeln der 115

Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61.

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Zeichensetzung programmatisch verweigerten. Auch kommt es zu keinerlei grafi­ scher Absetzung einzelner Passagen. Während Semenkos Medium, das in einer futu­­ ristischen Tradition stand, zu dieser Zeit häufig typografisch in Szene gesetzte futu­ ristischen Texte, oft Wort-Bild-Kombinationen, publizierte, stellten diese bei Poliščuks Avanhard nur eine Ausnahme dar, was den Unterschied zwischen Panfuturismus und Konstruktivem Dynamismus ein weiteres Mal unterstreicht.116 Der „Vers libre“ nahm, wie zuvor bereits aufgezeigt wurde, in den Konzepten von Avan­hard „als bewusste Technik der Poesie“117 eine zentrale Rolle ein. Der Einsatz unter­schiedlicher unreiner Reimformen, wie er bei Trojanker erfolgt, stellt eine erste wichtige Übereinstimmung mit den Konzepten der russischen Konstruktivisten dar. Sel’vinskij, der Texten eine organisatorische Funktion zuordnete, die sich sowohl auf die Rhythmik als auch auf die Textsemantik erstreckt,118 propagierte in seinen theore­ tischen Arbeiten eine Offenheit für unterschiedliche Reimformen, die sich, wie Grübel anmerkt, auch auf praktischer Ebene manifestiert. Sel’vinskijs Konzepte stehen so­ mit in Opposition zu dem bei Majakovskij erkennbaren Versuch der Kanonisierung des unreinen Reims.119 Innerhalb der LEF galt dem lautlichen Aspekt des Reims mehr Aufmerksamkeit als seiner Form.120 Sel’vinskij listet hier Grübel zufolge neben reinem und unreinem Reim auch Assonanz, den Palindrom-Reim, den tauto- und hetero­ syllabischen Reim, den zusammengesetzten Reim sowie den Nicht-Reim auf.121 Für Johansen, der 1922 eine theoretische Abhandlung zur konstruktivistischen Dich­tung in der Ukraine publizierte, formt die konstruktivistische Poesie die Verse und ebenso die Strophen nach den Anforderungen der inneren Konstruk­ tion des Werks. Die Perioden enden mit einem Reim oder einer Assonanz, je nach den Anforderungen der inneren Konstruktion des Werkes, keinesfalls aber nach dem Prinzip der Einheitlichkeit der Verse oder Silben oder nach einem anderen all­gemeinen äußeren Prinzip.122

In dieser Übereinstimmung mit Trojanker zeigt sich, dass trotz gegenseitiger Abgren­ zung mehrfach Parallelen zwischen den beiden ukrainischen Strömungen bestanden. Ähnlich unkontrolliert wie ein wildes Schneetreiben erscheinen auch die einzelnen Vierzeiler, deren Reimschema sich zwischen umarmenden, Kreuz- und anderen Reim­ formen abwechselt. Überdies springt es zwischen reinen (z. B. Z22, Z24): „Кровью за­ брызгана блуза / […] / И плохо сказал ,кукуруза‘“ [Mit Blut die Bluse bespritzt / […] Und weil er „Kukuruz“ schlecht ausgesprochen hat]) sowie unreinen (z. B. Z10, Z12): „Нечего пить и есть / […] / Конный махновский разъезд“ [Nichts zu essen und zu trinken, […] / Machnos Reiter-Patrouille]) Reimen umher, sodass der Textaufbau einer un­kalkulierbaren Naturkatastrophe gleich keinerlei Logik zu folgen scheint. 116

117 118 119 120 121 122

Es gab in „Radius“ auch einige wenige Texte, deren typografische Gestaltung an futu­ ristische Gedichte erinnert, wofür etwa Sanovičs Beiträge Beispiele darstellen. Chlebni­ kovs Gedichte waren dagegen in einer klaren, gänzlich unexperimentellen Typografie gesetzt; vgl. Poliščuk et al. (Hrsg.) 1928: Radius avangardovcev. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 193. Vgl. ibd. S. 194. Vgl. ibd. S. 193. Vgl. ibd S. 194. Johansen 2012: „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“, S. 272.

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Auch hier spiegelt die dadurch entstehende Dynamik eines der Prinzipien von Avan­ hard wider: Die Poesie müsse „die dynamische Basis des Lebens verkörpern, sowohl durch Inhalt, [sic] als auch durch Form“.123 Zugleich lassen sich deutliche Analogien zu dem von Sel’vinskij postulierten Prinzip der „Imitation“ erkennen, da die Reime in einem ikonischen Verhältnis zur Bedeutung in den vom Reim gebundenen Versen stehen.124 Der Reim wird dadurch, ähnlich wie bei Sel’vinskij, auch bei Trojanker zu einem Be­deutungsträger. Die Einbeziehung von Metaphern, Vergleichen und Analogien sowie die Ver­ wendung von Allegorien lassen auch Elemente des Imaginismus erkennen, der die Bildsprache ins Zentrum der Poetik stellte.125 Dadurch unterstreicht der Text zwar seine Nähe zum russischen Konstruktivismus deutlich, grenzt sich jedoch zugleich klar von der zweiten, wenngleich früher in der Ukraine existenten Variante ab, die von Mitgliedern der VAPLITE unter der Bezeichnung „Neuer Konstruktivismus“ pro­pagiert wurde. Johansen übte in seinem Manifest Kritik an der Bildsprache der imagi­nistischen Poesie, die für ihn „genau genommen eine chaotische Anhäufung von Bildern, die auf Kontrasten basieren“,126 darstellte, was das Verfolgen einer genauen Linie innerhalb eines Werks verunmöglichte. Der Neue Konstruktivismus stand der kommunistischen Ideologie besonders nahe, und die kommunistische Kunst wurde von ihren Vertretern als kommunistische Weltanschauung „in ihrer Konstruierung wie in ihrer Konstruktion“127 angesehen. Auch bei Johansen lässt sich übrigens ein dem avantgardistischen Prinzip der Verweigerung von tradierter Kunst entgegengesetzter Rückgriff auf die ukrainische Kunst bemerken, indem er bspw. Ševčenko als einzigen Vorläufer der konstruk­tivistischen Poesie in der Weltliteratur bezeichnet.128 Auf der semantischen Ebene kommt es zu einer Differenzierung in „jüdisch“ und „nicht jüdisch“: In Z19 und Z20 wird, teils durch die Einbeziehung der direkten Rede, geschildert, wie die Truppen zwischen dem „ukrainischen Bauern“, der weiterleben darf (Z 19, Z20): „Кто-то пронзительно плачет / Крестится ,я не еврей‘“ [ Jemand weint schrill / Bekreuzigt sich, „ich bin kein Jude“]), und „dem Juden“, den es aufgrund seiner Ethnie zu massakrieren galt, unterschieden. Der Jude, der mit dem Wort „Kukuruz“ ein stark an den ruralen Kontext verknüpftes Wort nicht richtig zu artikulieren vermag, wird aufgrund der falschen Aussprache als Nicht-Ukrainer identifiziert (Z23, Z24): „Смерть лишь за то, что смуглый / И плохо сказал ,кукуруза‘“ [Den Tod bloß wegen einer dunkleren Hautfarbe / Und weil er „Kukuruz“ schlecht ausgesprochen hat]), während der sich bekreuzigende Christ resp. der Jude, der sich als Christ ausgibt, vermutlich verschont bleibt. Viele von Trojankers Arbeiten, darunter „Iz prošlogo“, waren durch eine gesell­ schafts- und sozialkritische Komponente geprägt, wie es den Grundsätzen der Kon­ struktivisten entsprach. Mit dem Schneesturm, der Tod und Gewalt bringt und somit negativ kon­notiert ist, greift Trojanker auf ein Bild zurück, das in der ukrainischen 123 124 125 126 127 128

Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Zum „imitativen“ Reimprinzip bei Sel’vinskij vgl.  Grübel 1981: Russischer Konstruk­ tivismus, S. 194. — Grübel rückt das Prinzip in die Nähe der „Lautillustration“. Zu den wichtigsten Vertretern des russischen Imaginismus zählte Esenin; vgl. Kasack 1992: Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, S. 448. Johansen 2012: „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“, S. 274. Johansen 2012: „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“, S. 274. Vgl. ibd. S. 274.

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sowie der russischen Literatur epochenübergreifend sehr populär war, man denke hier etwa an Aleksandr Puškin (Romantik), Nikolaj Gogol’ und Aleksandr Blok (Symbo­l ismus), aber auch an Vladimir Sorokin als Vertreter der Postmoderne. Doch vor allem im An­schluss an die Revolution kam es gehäuft zu einer metaphorischen Gleich­setzung des Schneesturms mit Bürgerkrieg resp. Revolution, sodass er eine Po­liti­sierung erfährt. Bei Michail Bulgakov tritt er gleich mehrmals auf, in der Er­ zählung „V’juga“ [Schneesturm], erschienen 1926 als Teil der „Zapiski junogo vrača“ [Aufzeichnungen eines jungen Arztes], sowie in „Belaja gvardija“ [Die weiße Garde] (1924). Vor allem Boris Pil’njak setzte ihn mehrfach ein, sowohl im Roman „Golyj god“ [Nacktes Jahr], in der Erzählung „Pri dverjach“ [Vor der Tür] als auch im Drama „Metel’“ [Schneesturm], das 1922 entstand. Das Naturereignis, das über das Land hereinbricht, steht auch hier für etwas Unkontrollierbares, ist jedoch anders als bei Trojanker bei Pil’njak insofern positiv be­setzt, als es den Beginn einer neuen Ära markiert. Pil’njaks „Metel’“ war wohl nicht nur Poliščuk bekannt, der in „Pul’s epochy“ in einem eigenen Kapitel auf den russischen Autor und dessen Werk eingeht. Der Bei­ trag, der eine Gegenüberstellung Pil’njaks mit Chvyl’ovyj enthält, dient vor allem der Polemik gegen Chvyl’ovyj, dessen „Churtovyna“ [Schneesturm] eine Nachahmung von Pil’njaks „Metel’“ sei.129 Trojankers „Iz prošlogo“ reiht sich mit der Metapher des Schneesturms auch thematisch in eine lange währende Tradition der russischen sowie ukrainischen Literatur ein, setzt diese jedoch in einen gänzlich neuen Kontext. Der Schneesturm hinterlässt nämlich in Uman’ anders als jener nach der Revolution keine Atmosphäre des Aufbruchs, sondern vielmehr eine durch die Ereignisse auf Dauer getrübte Stimmung. Dass die Pogrome auch bei anderen Autoren und Künstlern einen Niederschlag fan­­den, unterstreicht die historische Relevanz, die die traumatischen Ereignisse im kol­lek­tiven Gedächtnis der jüdischen Bevölkerung besetzte. Die Pogrome in Uman’ waren zuvor bereits vom Autor und Mitglied der Kul’tur-Lige Lejb Kvitko in dessen Band „1919“ thematisiert worden. Da dieser jedoch auf Jiddisch erschienen war, blieb er ausschließlich einem Jiddisch sprechenden Leserkreis vorbehalten.130 Die von Josif Čajkov für „1919“ angefertigte Umschlagillustration reiht sich durch die typografische Gestal­tung in die Tradition der futuristischen Buchgestaltung ein, enthält jedoch noch keine Elemente des Konstruktivismus. Manujil Šechtman, ein Absolvent der Kiewer Kunst­akademie und Vertreter des ukrainischen Monumentalismus, thematisierte die Unter­drückung der jüdischen Bevölkerung in seinen Werken ebenfalls häufig, etwa in seinem 1928 im Rahmen der All-Ukrainischen Kunstausstellung in mehreren Städten der Ukraine gezeigten Bild „Vyselennja evrejiv“ [Die Aussiedlung der Juden], das in Be­zug auf seinen kompositorischen Aufbau von Kritikern wie P. Horbenko sehr positiv bewertet wurde.131 Dass sich Trojanker in ihren Arbeiten mehrfach mit dem jüdischen Leben auseinan­dersetzte, versuchte der zeitgenössische Kritiker M. Dolengo mit einem 129 130 131

Vgl. Poliščuk 1927: Pul’s epochy, S. 80. Der Band erschien 1923 in Berlin: Kvitko, Lejb: 1919. Berlin: Idisher literarisher farlag 1923. Vgl.  Horbenko 1928: „Ohljad Vseukrajins’koji chudožn’oji vystavky v 10 rokovyny Žovtnja“, S. 123.

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Interesse der (wiewohl selbst jüdischen) Autorin an den Ideen der Revolution zu be­ gründen.132 2.1.2 Valerijan Poliščuk: „Aeronavihacija“/„Aeronautik“ (1929) Poliščuks bereits im Kapitel „Mehrsprachigkeit“ erwähntes Gedicht „Aeronavihaci­ ja“133 enthält, ähnlich wie Trojankers Text, ebenfalls eine Reihe konstruktivistischer Ele­mente. Im Unterschied zu Trojankers Text, der erst bei genauerer Betrachtung die Vielschichtigkeit seines konstruktivistischen Aufbaus offenbart, lässt sich „Aeronavi­ hacija“ bereits aufgrund der Thematik identifizieren, da sich das Gedicht mit der Luftfahrt ganz der vom Konstruktivismus vorrangig propagierten Technik widmet. Während „Iz prošlogo“ auf Russisch in einer russischsprachigen Zeitschrift erschien und einige kritische Töne in Bezug auf die „Ukrainisierung“ enthielt, handelt es sich bei „Aeronavihacija“ um einen ukrainischsprachigen Text, der in einer regulären ukrainischsprachigen Ausgabe von „Avanhard“ publiziert wurde und sich durch die Idealisierung der Ukraine „als Land der stolzen Aeronautik“ der ukrainischen Kultur gegenüber positiv positionierte. Thematisch beschwört der Text ein nationales Pathos herauf und präsentiert sich als Huldigung an das junge Land, dessen Errungenschaften sich, wie der Autor betont, trotz seiner bisherigen Marginalität nunmehr in alle Länder der Welt verbreiten würden. Der Anspruch der Welteroberung, der im Text mehrfach angesprochen wird, sollte durch die Publikation einer deutschsprachigen Übersetzung (Abb.  49) zusätzlich unter­strichen werden (Z29–31): „Розіллються потоком вередливим / Твої сини / По все­світу полях“ [Strömen als launischer Fluss / Deine Söhne / über des Weltalls Felder]134. (Verteilen werden sich in raschem Strome / In alle Welt / Ukraine, deine Söhne …). Während in der Originalfassung vom Universum die Rede ist, verteilen sich die Söhne der Ukraine in der deutschen Übersetzung nicht über die Weiten des Welt­ alls, sondern „in alle Welt“. Die Ukraine wird im ukrainischen Original zwar direkt angesprochen (Z30): „Твої сини“ [Deine Söhne], die Bezeichnung „Ukraine“ wird jedoch, anders als in der deutschen Übersetzung („Ukraine, deine Söhne“), nicht genannt. An anderen Stellen des ukrainischen Textes wird darüber hinaus anstatt „Ukra­jina“ durchgehend die synonyme Bezeichnung „Vkrajina“ verwendet, die in ly­ rischen Texten häufig zwecks Optimierung des Wortklangs zum Einsatz kam. Trotz einer starken Betonung des Nationalpathos enthält „Aeronavihacija“ keine Elemente, die auf eine satirische Note schließen lassen, wenngleich gewisse Formulierungen recht überzeichnet klingen. Ein­deutig lässt sich jedoch eine Kritik an der bisherigen Rück­ständigkeit und Trägheit des Landes herauslesen (Z68–Z71): „Ах, то вони піднімуть / Наш ледачий / І мрійний пароплав / У вітер“ [Ach, dann werden sie erheben / Unser faules / Und träumerisches Dampfschiff / in den Wind] („Sie werden unser faules, / Sentimentales / Dampfschiff hoch im Wind / Erheben“).

132

133 134

Vgl. Dolengo, M.: „Notatky pro našu liryku“, in: Krytyka, Nr. 9 (1928), S. 22–35, hier S. 31 f. — Der Beitrag erschien in der marxistischen Zeitschrift „Krytyka“, die u. a. von Mykola Skrypnyk herausgegeben wurde. Für das ukrainische Original vgl. Poliščuk 1929: „Aeronavihacija“; zur deutschsprachi­ gen Version vgl. Polischtschuk 1929: „Aeronautik“. Die Übersetzungen in den eckigen Klammern stammen von der Verfasserin und ver­ anschaulichen die Divergenzen zur Übersetzung von Avanhard.

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Аеронавігація 1. Вкраїна–пишний край 2. Аеронавігацій, – 3. їй крилам дасть вогонь 4. Животворящий спірт, 5. її трівкиї велетні 6. З дуралюміну 7. Піднімуть по планеті 8. Польотів вихор. 9. Вкраїна загримить 10. Розвоєм 11. Аеронавігацій, – 12. їй крилам порух дасть 13. Животворящий спірт, 14. І гандлями й зв’язками 15. З колом націй 16. Вона обніме занепалий свіг. 17. Вкраїна – гордий край 18. Аеронавігацій, – 19. їй крилам дасть життя 20. Животворящий спірт. 21. Його нам принесуть 22. В майбуття тріпотливе 23. Завалля картоплин 24. І золоті ескадри скирт. 25. Які дзвінкі простори 26. Розстануть перед очима: 27. Ліс фінікових пальм, 28. Крижаний моря шлях! 29. Розіллються потоком вередливим 30. Твої сини 31. По всесвіту полях. 32. Закований бігун – 33. В Америку нам віха. 34. Там ніч, як день, 35. Холодне сяйво ллє. 36. Воно дробиться ясно місяцями 37. В кришталях голубих 38. Льодової нестями 39. І там дорогу 40. До життя кладе. 41. Закований бігун – 42. В Америку нам віха. 43. Там захололий час 44. В одну струну гуде. 45. І ось туди наш рій 46. Облітувать поїхав – 47. Туди кермує 48. Серце молоде. 49. В Америку –

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50. Зв’язати суходоли! 51. В години перетяти 52. Простір 53. Нам дано, – 54. І ось тому 55. Крилатому дитяті 56. Ми доручаємо 57. Прийдешнього стерно. 58. Електрожариї заводи Дніпрельстану 59. Дадуть легкий метал, 60. Що в небо зафурчить … 61. Чого ш тобі, Вкраїно, ще не стане, 62. Щоб розбудить синів своїх 63. Гарячий чин? 64. Ґуральні не на п’янку 65. Дух гарячий 66. Поллють до баків 67. Міліоном літр, – 68. Ах, то вони піднімуть 69. Наш ледачий 70. І мрійний пароплав 71. У вітер. 72. Бо вугіль вигаса 73. І нафта вимирає: – 74. Смертельная коса 75. Над шахтами знеслась, – 76. І ось тому 77. П’янкому водограю 78. Дана прийдешнього 79. Могутня власть. 80. І запорізький шал 81. Бензини нам заступить, 82. Складе нові пісні 83. Легенький алюмін, 84. І крок пролетар’яту 85. Важким ступом 86. Не по землі пройде, – 87. А з неба кине гімн. 88. Земля безмежний кін 89. Аеронавігацій, 90. Надасть їй крилам плин 91. Животворящий спірт. 92. І ним зогріємо ми 93. Коло братніх націй, 94. Численніших, як гори картоплин, 95. Яркіших золота багатих скирт.

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Abb. 49: Walerjan Polischtschuks „Aeronautik“ (1929). 

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Auch im Hinblick auf die formal-poetische Umsetzung reiht sich „Aeronavihacija“ deut­lich in den Konstruktivismus ein. Die Vielzahl der im Text enthaltenen tech­ nischen Termini verweist auf das Interesse an der Maschinisierung der Kunst. Dass die Auswahl der Sprache bei Poliščuk in Übereinstimmung mit der Thematik erfolgte, lässt sich als eine Analogie zu Sel’vinskijs Prinzip des Doublerealismus, des „rea­ listischen Realismus“, verstehen. In Bezug auf die poetische Sprache bezeichnet der Doublerealismus „ein durch besondere Angemessenheit ausgezeichnetes Verhältnis der jeweils verwendeten Sprache zum gewählten Thema“.135 Eine ähnliche Position nahm auch Avanhard ein, der zufolge Worte nach Maßgabe ihrer Bestimmung zu wählen sind, sodass sie alle schön sein können, wenn sie sich am richtigen, „ihrem konstruktiv begründeten“ Platz be­finden: An ihrem konstruktiv begründeten Platz sind alle Worte schön, von den wissenschaft­ lichen Termini bis zur niedrigsten, noch nicht abgenutzten Volkssprache und ihren Dialekten.136

In der programmatischen Proklamation von Avanhard dient die Luftfahrt als Meta­ pher für die künstlerische Revolution, zu der die Gruppierung sich aufschwingt: Wir sind berufen, diese Atmosphäre durch scharfen Wind schöpferischen Aufschwun­ ges zu säubern, durch Propeller kollektiver künstlerischer Tätigkeit zu venti­lieren, durch den Willen zu neuem schöpferischen Suchen.137

Wie bei Trojankers Text kommt es auch in „Aeronavihacija“ zu einer ikonischen Über­ tragung der Bedeutung. Ähnlich wie ein Flugzeug nach und nach über den Luftweg verschiedene Kontinente erreicht, so dringen auch die ukrainischen technologischen Errungenschaften bis auf andere Kontinente vor (Z5–Z8): „Її трівкиї велетні / З дур­ алюміну / Піднімуть по планеті / Польотів вихор“ [Ihre wuchtigen Riesen / aus Duraluminium / Erheben über dem Planeten / der Flüge Wirbelwind] („Und ihre Aluminiumriesen / Über der Erde / Erheben Wirbelwind / In kühnen Flügen“). Außerdem kommt es zu einer Belebung von Maschine und Technik. Die Ukraine als „Land der stolzen Aeronautik“ verleiht der Maschine durch ihren Spiritus sowohl „Lebenskraft“ als auch „Feuerkraft“. Das Aluminium, das in den damals neu errichteten ukrainischen Dnipro-Werken produziert wurde, erlebt eine Personifizierung, indem es (Z60) „в небо зафурчить …“ [in den Himmel steigt …] („in den Himmel stürmt …“) oder, gemeinsam mit dem Proletariat, zu singen beginnt (Z82–Z87): Складе нові пісні / Легенький алюмін, / І крок пролетар’яту / Важким ступом / Не по землі пройде, – / А з неба кине гімн. [Neue Lieder komponieren wird / Das leichte Aluminium, / Und der Gang des Proletariats / Mit schwerem Schritt / Wird es nicht über den Erdboden gehen, – / Sondern die Hymne vom Himmel schmettern.]

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Diese Definition bietet Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 190. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 60. Ibd.

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(Und neue Lieder singt / Das Aluminium. / Und das Proletariat, / Wuchtig, sicher / Hoch überm Erdenball / Singt es den Siegessang.)

Die Einbeziehung von Metaphern, Vergleichen und Analogien führt auch hier zu einer Doppelung, da der Ausdruck nicht nur über die textuelle, sondern auch über die assoziativ-bildliche Ebene transportiert wird. Der Korrelation von Ausdruck und Ab­ bildung galt unter Konstruktivisten besonderes Interesse. Grübel verweist in diesem Kontext auf Zelinskij, der sich mit dem poetischen Ausdruck als Verkörperung, als Konkretisierung des ausgedrückten Gegenstandes befasste, wodurch dem poetischen Wort nicht nur eine Ausdrucks-, sondern auch eine Abbildungsfunktion immanent sei.138 Der auf diese Weise entstandene allegorische Charakter repräsentierte nicht nur einen wichtigen Baustein der russischen konstruktivistischen Poesie,139 sondern fand sich ebenso in der Poesie von Avanhard wieder. Die beschriebene Zuweisung von Funktionen, die über das eigentliche Medium, in diesem Fall die Literatur, hinausgehen, ist überdies ein Beispiel für die Relevanz intermedialer Verfahren, die im Konstruktivismus forciert wurden. Dass diese Revolutionierung der Kommuni­ kationsformen eine Übernahme von zuvor durch die Futuristen erarbeiteten Verfahren war,140 wurde bereits erwähnt. Dass bei Poliščuk generell ein ausgeprägtes Interesse an der Luftfahrt vorlag, zeigte sich nicht nur auf literarischer, sondern auch auf konzeptioneller Ebene. Der Eroberung des Luftraums wird von ihm im Kontext der Architektur – der laut Avan­hard zweiten wichtigen Kunstform neben der Literatur  – ebenfalls ein wichtiger Stellen­ wert beigemessen. Dies stellt eine Analogie zu anderen konstruktivistischen Strö­ mungen dar, wobei hier vor allem auf Le Corbusier verwiesen sei, der für den Bau von Gebäuden die Konstruktion von Flugzeugen zum Vorbild nehmen wollte.141 Im „Aufruf der Avangarde“ wird bspw. das Leichtmetall als wichtiger Faktor für die Eroberung des Raums genannt: „Der Wille zum Flug durch die reine Luft in die höchsten Sphären muss der Architektur ein neues Problem der Verwendung leichter Metalle stellen.“142 Poliščuks „Aeronavihacija“ steht exemplarisch für die damals unter Konstruktivisten sehr populäre „Luftfahrtskunst“, die sowohl im italienischen Futurismus als auch im russischen Konstruktivismus ein eigenes Genre u. a. in der Literatur, in der Malerei und in der Bildhauerei – oft auch gattungsübergreifend – bildete.143 Der Text erschien zu einer Zeit, als sich die Luftfahrtspoesie bereits als literarische Praxis etabliert hatte. Marinettis auf Französisch verfasster Versroman „Le monoplan du Pape“ [Der 138 139 140 141 142 143

Vgl. Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 173 ff. Vgl. ibd. S. 176. Vgl. das Kapitel „Die Bedeutung des russischen Futurismus für den Konstruktivismus“: Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S. 106 f. Vgl. Le Corbusier 1926: Kommende Baukunst, S. 87–88. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Einen umfangreichen Überblick über das Verhältnis von Literatur und Aviatik bietet Ingold, Felix Philipp: Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909–1927. Mit einem Exkurs über die Flugidee in der modernen Malerei und Architektur. Basel/Stuttgart: Birkhäuser 1978.  —  Obwohl der Band laut Titel nur die Flugdichtung bis 1927 be­ rücksichtigt, werden auch spätere Hervorbringungen beachtet. Der Fokus liegt auf ita­ lienischen, russischen sowie deutschsprachigen Erscheinungen, wiewohl sogar Semenko als Beispiel angeführt ist, sodass Ingolds Monografie wohl zu den allerersten zählt, die auch die ukrainische Avantgarde einbeziehen.

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Mono­plan des Papstes] aus dem Jahr 1912 gilt in der futuristischen Literatur als erstes Exempel für dieses Genre der sogenannten „Aeropoesie“,144 also von Dichtung, die sich mit der Luft- und Raumfahrt auseinandersetzt. Anders als bei Poliščuk, wo die Beschreibung der Luftfahrt vor allem der Huldigung der bislang marginalisierten und nunmehr auf­strebenden jungen Ukraine diente, waren Marinettis Luftpoeme oft von einer zerstöre­rischen sowie beherrschenden Absicht durchdrungen, so auch „Le monoplan du Pape“.145 Dass die Aviatik im Kontext der Technikbegeisterung vor allem im italienischen Futu­rismus sehr früh künstlerisch realisiert wurde, kann kaum überraschen, da die Ver­herrlichung von Technik und Maschine seit Beginn der Strömung auch program­ matisch verankert war. Laut dem „Manifesto dell’aeropoesia“ [Manifest der Aero­ poesie], das 1931 entstand, sollten in aeropoetischen Werken Propeller- und Motoren­ geräusche aeropoetisch wiedergegeben werden, wobei sich Metaphernbildung und Imaginationskraft nicht am menschlichen, sondern am technischen Umfeld orien­ tieren und der oftmalige Gebrauch von Verben sowie die repetitive Verwendung von Wörtern das Wettkampffieber des Luftlebens reflektieren sollten146 – dies ist auch bei Poliščuk, wie zuvor beschrieben wurde, zum großen Teil gegeben. In Italien erfolgte in den späten 1920er-Jahre eine intensive Auseinandersetzung mit der Luftfahrt, als der Fortschritt der Technik dazu führte, dass das Flugzeug immer massentauglicher – die ersten zivilen Luftfahrtsgesellschaften entstanden Mitte der 1920er-Jahre – und dadurch zunehmend in der Alltagskultur präsent wurde. In der bildenden Kunst zählte neben der „Aeroscultura“ [Luftskulptur] die „Aeropittura“ [Luftmalerei] zu den wichtigsten Konzepten des Futurismus. Verena Krieger zufolge stellt die „Aeropittura“ ein Beispiel für den erfolgten Übergang des Futurismus in die „staats-offizielle Propaganda“ dar.147 Im 1929 u. a. von Marinetti und Prampolini unterzeichneten „Manifesto della Aeropittura futurista“ [Manifest der futuristischen Luftmalerei] wurden die Prinzi­ pien der Strömung auch theoretisch dargelegt.148 Prampolini zählte zu jenen westeuro­ päischen Künstlern, die in der Ukraine besonders stark rezipiert wurden. Dass er, wie erwähnt, als Redaktionsmitglied der „Nova Generacija“ angeführt war, zeigt, dass er Ende der 1920er-Jahren in der Ukraine über einen gewissen Bekanntheitsgrad ver­fügte. Als weiterer Theoretiker, der die Luftfahrt propagierte und in der Ukraine re­zipiert wurde, lässt sich Teige nennen, der die Aviatik – neben Film, Radio, Optophonetik, Sport, Tanz und Zirkus – zu jenen Kunstformen zählte, die für die Her­stellung einer Herrschaft der Poesie zur Verfügung standen.149 In Deutschland kam es im Kontext des Expressionismus ebenfalls zu einer  – zwar etwas marginaleren, sprachlich jedoch weit experimentelleren – Bezugnahme 144

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Der Fliegermythos war bereits in Marinettis Gründungsmanifest des Futurismus mit der Gestalt der Nike präsent; vgl. Ingold 1978: Literatur und Aviatik. Europäische Flug­ dichtung 1909–1927, S. 279 ff. Vgl. ibd. S. 285. Vgl. ibd. S. 293 f. — Ingold bezieht sich auf Marinettis „Manifest der Aeropoesie“, das erstmals 1931 in der „Gazetta dello popolo“ erschien und 1935 als Teil von „L’Aeropoema del Golfo della Spezia“ veröffentlicht wurde. Vgl. Krieger 1998: Von der Ikone zur Utopie, S. 225. Marinetti, Filippo Tommaso et al.: „Manifesto della aeropittura futurista“, in: Gazzetta del popolo, (22.9.1929), S. 43–45. Teige, Karel: „Poetismus“, in: Asholt/Fähnders (Hrsg.) 2005: Manifeste und Proklama­ tionen der europäischen Avantgarde (1909-1938), S. 317–319, hier S. 318.

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der Poesie auf die Luftfahrt,150 die wiederum in der Ukraine mit Interesse registriert wurde. Sanovyčs bereits zuvor erwähnter Beitrag über die Zeitschrift „Der Sturm“ nannte gleich zwei deutsche Beispiele. Goerings „Stockholm-Flug“ löste durch den experimentellen Einsatz von Lauten die Assoziation eines Propellers aus, was durch die Verwendung von spezifischer Luftfahrtslexik noch zusätzlich unterstrichen wird151 – eine solche wurde auch von Marinetti in dessen Manifest dezidiert einge­ fordert. Der wiederholte Einsatz von Aviatik-Themen  – neben „Stockholm-Flug“ verfasste Goering außerdem das Gedicht „Stettin-Berlinflug“ – erfolge nicht zufällig, so Sanovyč, der außerdem vermerkte: До таких тем призвело шукання нового лексичного тематичного матеріалу, і, можливо, потреба вийти за межі чистої лірики.152 [Zu diesen Themen führte die Suche nach neuem lexikalisch-thematischem Mate­rial und, möglicherweise, das Bedürfnis, über die Grenzen der reinen Lyrik hinauszu­gehen.]

Auch Palasovskys zuvor erwähntes Gedicht „Punalua der Briefe“ thematisiert die Luftfahrt. Die Beschreibung der Luftpost enthält sowohl ähnliche Metaphern als auch lexikalische Einheiten wie Poliščuks „Aeronautik“. In beiden stellen Kraft und Schnelligkeit zentrale Motive dar. Während jedoch der ukrainische Text eine Per­so­ nifizierung der Maschine enthält, befasst sich der expressionistische Text – der in der „Nova Generacija“ als Beispiel für die linke Kunst dient – mit Emotion und Gefühl.153 In der jungen Sowjetunion wurden Technik und Luftfahrt sowohl innerhalb der Politik als auch der Kunst rasch zu neuen Trägern ideologischer Mythenbildungen, die Idealisierung von Luft- und Raumfahrt reicht jedoch weiter zurück. Bereits Nikolaj Fedorov, ein Begründer der philosophischen Bewegung des russischen Kosmismus, sprach von einer Notwendigkeit der Expansion in den Weltraum. In den 1920erJahren verstanden die Anhänger der Biokosmisten die Fortbewegung in der Luft als elementares Menschenrecht und träumten von der Eroberung fremder Planeten.154 Poliščuk und die Mitglieder von Avanhard zählten ebenfalls zu den Anhängern des Kosmismus.155 Dass sich Luftfahrtgedichte auch bei Autoren wie Kamenskij, Osip Mandel’štam und Chlebnikov fanden, unterstreicht die Relevanz der Thematik in der frühen Avant­garde in Russland und in der Ukraine. Semenko propagierte in seinem erstem 150

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Einige Beispiele expressionistischer Aeropoeme finden sich bei Ingold, der u. a. Texte von Becher und Benn anführt; vgl. das Kapitel „Kleine Anthologie deutscher Flug- und Flugzeuggedichte“ in Ingold 1978: Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909– 1927, S. 370–410. Vgl. Sanovyč 1928: „Livi v Nimeččyni“, S. 117. Sanovyč 1928: „Livi v Nimeččyni“, S. 117. Vgl. Palasovsky 1927: „Panalua der Briefe“, S. 125 f. Zu Fedorov und den Kosmisten vgl. Hagemeister, Michael: „Die Eroberung des Raums und die Beherrschung der Zeit. Utopische, apokalyptische und magisch-okkulte Ele­ mente in den Zukunftsentwürfen der Sowjetzeit“, in: Murašov, Jurij/Witte, Georg (Hrsg.): Die Musen der Macht. Medien in der sowjetischen Kultur der 20er und 30er Jahre. München: 2003, S. 257–285, hier S. 257. Zum Kosmismus im Werk von Poliščuk vgl. Bila 2006: Ukrajins’kyj literaturnyj avangard, S. 220.

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Manifest den „dynamischen Flug“ („динамичний лет“)156 und in seiner frühen Phase verfasste er mehrere Fluggedichte.157 Čičerin, der zu den Vertretern des russischen literarischen Konstruktivismus zählt, widmete sich in einem vor der Revolution erschienenen Gedichtband zur Gänze der Luftfahrt.158 Malevič entwarf Skizzen mit Raumschiffen und Orbitalstationen159 und sah für die Zukunft voraus: „Schwe­bende Planiten werden den neuen Plan der Städte und die Form der Häuser der ,Sem­ljaniten‘ bestimmen.“160 Der Begründer des Suprematismus betonte überdies, dass „die provi­ sorischen Behausungen der neuen Menschen […] sowohl im Weltraum als auch auf der Erde den Aeroplanen angepasst sein [müssen]“,161 während Chlebnikov in „Truba Marsian“162 [Die Trompete der Marsianer] die drei Achsen des Raums beschrieb. In der bildenden Kunst wurde die Luftfahrt ebenfalls häufig thematisiert. Für die Um­schlaggestaltung des 1923 erschienenen kon­struktivistischen Gedichtbandes „LET. Aviostichi“ [Flug. Luftfahrtgedichte] zeich­nete bspw. Rodčenko verantwortlich.163 Das Umschlagsujet (Abb. 50) transportiert die Luftfahrt auf mehreren Ebenen und stellt ein sehr gutes Beispiel für die intermediale Umsetzung von konstruktivistischen Gestal­ tungsprinzipien dar. Durch die Kombination von Text, Bild und Inhalt entsteht hier eine Interferenz der ver­schiedenen Gattungen, was wiederum die Relevanz der Korrelation von Form- und Inhaltsebene unterstreicht. Der am Um­schlag abgebildete Text („aviostichi“ [Luft­fahrtgedichte], „let“ [Flug]) stellt näm­ lich auf semantischer Ebene eine eindeutige Referenz auf die Luftfahrt her. Auf grafischer Ebene transferiert die Abbildung des Flug­ zeugs, die an eine präzise berechnete tech­ nische Kon­struktion erinnert, den Inhalt auf die Form­ebene. Die Konstruktion der Ele­ mente ist streng plan gehalten, sodass das Bild keinerlei Dreidimensionalität der freien Figuren enthält, wodurch die Assoziation mit Abb. 50: Aleksandr Rodčenko: „LET. einem Grundriss, wie er üblicherweise in der Aviostichi“, 1923. Umschlag. Architektur verwendet wird, ent­steht. 156 157 158 159 160

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Semenko 2010: „Kvero-Futurizm“, S. 266. Diesen war Ingold zufolge ein stark theatralischer Charakter eigen; vgl. Ingold 1978: Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909–1927, S. 297. Vgl.  Grübel 1981: Russischer Konstruktivismus, S.  131.  —  Der Titel des Gedichtbandes wird leider nicht genannt. Zur kosmischen Dimension des Suprematismus vgl.  z. B. Ingold 1978: Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909–1927, S. 322 ff. „Planit“ stellt einen von Aeroplan abgeleiteten Neologismus dar, Semljanit wurde vom russischen Wort „Zemlja“ für Erde gebildet: Malewitsch, Kasimir [Malevič, Kazimir]: Die gegenstandslose Welt. Hgg. von Werner Haftmann. Köln: DuMont Schauberg 1962, S. 274. Malewitsch 1962: Die gegenstandslose Welt, S. 284. Chlebnikov, Velimir et al.: Truba marsian (Plakat). Moskva 1916. Aseev, Nikolaj (Hrsg.): LET. Aviostichi. Moskva: Krasnaja nov’ 1923.

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Zugleich hat der Betrachter den Ein­druck, das Flugzeug aus der umgekehrten Vogel­ perspektive beim Flug zu beobachten. Maja­kovskijs 1925 herausgegebener Band „Le­ tajuščij proletariat“ [Das fliegende Prole­tariat], dessen Umschlaggestaltung jedoch deutlich weniger konstruktivistische Elemente als jener von „LET. Aviostichi“ ent­ hält, erschien gar in einem Verlag, der sich unter der Bezeichnung „Avioizdat“ [Luft­ fahrtverlag] wohl fast ausschließlich auf die Herausgabe von Werken zur Luft­fahrt konzentrierte. In den 1930er-Jahren erfolgte schließlich im Rahmen des So­zialistischen Realismus auch politisch eine Inszenierung des Fliegermythos, der erst da­durch einen ähnlich militanten Charakter wie die italienische Luftfahrtskunst erhielt. Die neuen Entwicklungen in der Luftfahrt waren zu dieser Zeit in der Sowjetunion sehr populär, und die Ukraine nahm im Kontext der technischen Innovationen eine führende Rolle ein. Einerseits stammten wichtige Wegbereiter der Raumfahrt, etwa der „Vater der sowjetischen Raumfahrt“, Sergej Korolev, aus der Ukraine, anderer­seits wurden große Industrieanlagen, die für den Flugzeugbau wichtig waren, auf sowjet­ ukrainischem Territorium angesiedelt  – wovon bei Poliščuk mehrfach die Rede ist (Z58–60): Електрожариї заводи Дніпрельстану / Дадуть легкий метал, / Що в небо зафур­ чить … [Die stromglühenden Werke des Dniprel’stan [Dnipro-Elektrizitätswerk, VF] / Werden Leichtmetall bringen, / das in den Himmel steigt …] („Die neuen mächtigen Elektro-Dniprowerke / Verschaffen Leichtmetall, / Das in den Himmel stürmt …“).

Die von Poliščuk gepriesene Aeronautik stellte somit einen jener wenigen Bereiche dar, die der Ukraine zu internationaler Wahrnehmung verhalfen. Dieses Renommee wird bspw. aus einem weiteren Essay Waldens ersichtlich, in dem ein kleines Dorf in Podolien beschrieben wird, in dem sich zahlreiche Aviatiker versammelten164 und in dem gar die „Luftschifferabteilung“ zum Chef des Dorfes gemacht wird. Auch wenn die Luftfahrtspoesie in Italien ihren Ausgang genommen hat, so scheint die Übernahme der Thematik in der Ukraine doch eher der Interferenz mit dem rus­ sischen Konstruktivismus geschuldet zu sein und trotz starker Übereinstimmungen mit dem italienischen Futurismus mit dem für den Konstruktivismus typischen Inte­resse an Technik und Maschine zusammenzuhängen. Die starke Einbeziehung der Abbildungsfunktion, die eine Form der Intermedialität darstellt, verweist auf den Konstruktivismus, in dem  – sowohl in der bildkünstlerischen als auch in der literarischen Variante – die Überschreitung von Mediengrenzen ein grundlegendes Prinzip darstellte. Dennoch lässt sich die Auseinandersetzung mit dieser Thematik als Beleg dafür nen­nen, dass die ukrainische Avantgarde trotz sprachlicher Barrieren auch innerhalb der Literatur ganz im Zeichen gesamteuropäischer Entwicklungen agierte, indem sie an neuen Tendenzen wie jener der Luftfahrtspoesie in ähnlicher Form und zur selben Zeit wie ihre westeuropäische und russische Kolleginnen und Kollegen partizipierte. 164

Walden, Herwarth: „Der Chef des Dorfes in Podolien“, in: Der Sturm. 18. JG, Nr.  8 (Nov. 1927), Berlin, S. 109–110, hier S. 110.

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2.2 Das Fotogramm: zurück zum Nullpunkt der Fotografie Die Überschreitung von nationalen Grenzen und damit die (wechselseitige) Einbe­ ziehung von Innovationen, die europaweit in der Kunst einen Niederschlag fanden, zeigte sich neben der Typografie auch sehr deutlich in der Fotografie. Die wechsel­ seitigen Beziehungen zwischen dem deutschen Bauhaus und dem sowjetischen Kon­ struktivismus lassen sich bspw. gut nachvollziehen: Moholy-Nagy, ein führendes Mit­ glied des Bauhauses und einer der wichtigsten Proponenten des „Neuen Sehens“165, rezipierte in seiner frühen Phase russische Künstler wie Malevič und Lissitzky intensiv, während deren spätere Arbeiten umgekehrt Impulse durch Moholy-Nagy zeigen.166 Die deutsch-sowjetischen Verbindungen in den Bereichen der Fotografie, der Typografie und der Montage wurden bereits mehrfach untersucht, wohingegen die Verbindungen im Kontext der „kameralosen Fotografie“, einer Aufnahmetechnik, für die kein Foto­apparat benötigt wird, bislang nicht eingehend betrachtet wurden. Dies mag gewiss auch damit zusammenhängen, dass die kameralose Fotografie, deren Erzeugnisse als „Fotogramme“ bezeichnet werden, selbst innerhalb der Avantgarde nur eine Rander­scheinung darstellte.167 Mit dem Fotogramm als spezifischer Form der Fotografie soll im Folgenden ein Beispiel für die ukrainische Grenzüberschreitung in der künstlerischen Praxis ge­ boten werden, wobei nicht nur Grenzen zwischen verschiedenen Strömungen und Ausrichtungen, sondern auch zwischen Ländern überschritten wurden, indem Inno­ vationen und Ten­denzen aus Russland sowie aus Westeuropa in der sowjetischen Ukraine adaptiert und trans­formiert wurden, woraus wiederum eine eigenständige und spezifische Kunst entstand. Mit der experimentellen Fotografie wird im Folgenden ein bislang fast gänzlich unbe­achtetes Feld in den Blick genommen, denn obwohl in der Ukraine sehr spezifische Beispiele für die kameralose Foto­ grafie entstanden, die sich in ein gesamteuropäisches, jedoch insgesamt nur kurz­ lebiges Phänomen einreihten, wurden diese bislang weder in der ukrainischen noch in der internationalen Forschung hinlänglich registriert.168 Im Anschluss an die Beantwortung der Frage, inwieweit es sich bei der Technik der kamera­losen Aufnahme überhaupt um eine Form von Intermedialität handelte, wird anhand der Untersuchung einiger Fotogramme die ukrainische Positionierung zwischen Ost und West auf künstlerisch-praktischer Ebene exemplifiziert. 2.2.1 Intermedialität Neben literarischen Experimenten stellte der Einsatz medienübergreifender Verfahren eine zentrale Praktik vieler internationaler Avantgarden dar. Auch für den ukrainischen literarischen Futurismus war die Einbeziehung verschiedener Kunstgattungen charak­

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Das Neue Sehen stand, ähnlich wie das Neue Bauen, im Zeichen der Sachlichkeit. Vgl. Gerčuk 2006: „Laslo Mochoj-Nad’ v russkom kontekste“, S. 34. Auf diesen marginalen Status verweist Susan Sontag; vgl. Sontag, Susan: „Objekte der Melancholie“, in: Dies.: Über Fotografie. Aus dem Amerikanischen von Mark W. Rien und Gertrud Baruch. 13. Auflage, Frankfurt a. M.: Fischer 2013, S. 53–83, hier S. 54. So nennt die im Jahr 1990 von Floris Neusüss herausgegebene, sehr umfangreiche Studie zu den Fotogrammen auch Beispiele aus der Tschechoslowakei, Ungarn, Ser­ bien etc., spart jedoch die ukrainischen Arbeiten zur Gänze aus; vgl. Neusüss, Floris (Hrsg.): Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die andere Seite der Bilder  – Fotografie ohne Kamera. Köln: DuMont Buchverlag 1990.

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teristisch.169 Dass Intermedialität nicht nur durch die Kombination verschiedener Medien, sondern auch durch die transmediale Zuweisung von Funktionen erfolgte, wurde bereits zuvor anhand von Poliščuks Luftfahrtsgedicht gezeigt. Die Gruppe Avan­ hard bekannte sich in ihrer Programmatik dezidiert zur Intermedialität, die sie, etwa in „Aufruf der Avangarde“, als Überlagerung von Literatur, Musik und Architektur definierte.170 Weit mehr noch als Avanhard agierte die Nova Generacija im Zeichen einer Universalisierung der Künste, die bereits einen wichtigen Bestandteil der Pro­ grammatiken des frühen Panfuturismus repräsentierte.171 Auch die Zeitschrift „Nova Generacija“ folgte diesem Prinzip, indem sie Intermedialität als zentrales Element der „Destruktion“, der panfuturistischen Auslegung der Abstraktion, definierte: Поезія, Проза, Малярство, Скульптура, Театр, Музика, Плястика, Архитектура – ці синтетичні поняття, фізіономію котрих обумовлює відповідна для кождого поняття фактура, мусять розбитися дедуктивно, й сума первісних елементів повинна являти собою ряд мертвих цеглин, од котрих піде нова їх комбінація, инші окреслення вже нових, сучасних „мистецтв“, що являється індуктивним завданням панфутуристичної конструкції.172 [Poesie, Prosa, Malerei, Bildhauerei, Theater, Musik, Plastik, Architektur  – diese synthetischen Konzepte, deren Physiognomie eine jedem Begriff entsprechende Fak­ tur bedingt, müssen deduktiv gebrochen werden, und die Summe der Ausgangs­teile sollte die Anzahl der toten Ziegel sein, von denen ihre neue Kombination ausgeht, andere Konturen bereits neuer, moderner „Künste“, die als induktive Auf­gabe der pan­ futuristischen Konstruktion aufscheint.]

Dieser Grundsatz spiegelte sich auch auf praktischer Ebene wider, indem verschiedene Medien und ihre Interaktion in die Zeitschriften integriert wurden. Eine Kombination unterschiedlicher Medien wurde innerhalb der sowjetischen resp. der russischen Avant­garde jedoch bereits seit der frühesten Phase praktiziert, wobei die damit ein­ hergehende Aufwertung der bildenden Künste Krieger zufolge ein wesentliches Ele­ ment der avant­gardistischen Idee der Umgestaltung des Lebens darstellte.173 Mit der Relevanz der Intermedialität rückt die ukrainische Avantgarde also er­ neut in die Nähe west­ europäischer konstruktivistischer und funktionalistischer Strömungen. Man denke an das Bauhaus, bei dem die Überschreitung von Medien­­ grenzen und deren (analytische) Kombination ebenfalls wichtige An­l iegen waren, die Gropius wie folgt zusammenfasste: „der beherrschende gedanke des bau­hauses ist die sammlung der vielen künste zu einer neuen einheit“ [Kleinschr. i. Orig., VF].174 169 170 171 172 173 174

Zur intermedialen Ausrichtung der ukrainischen Futuristen vgl. Ilnytzkyj 1990: „Visual Dimensions in Ukrainian Futurist Poetry and Prose“, S. 722. Vgl. z. B. Polischtschuk et al. 1929: „Aufruf der Avangarde“, S. 61. Vgl. Ilnytzkyj 1990: „Visual Dimensions in Ukrainian Futurist Poetry and Prose“, S. 722. Semenko, Miqail’ [Semenko, Mychajl’]: „De-jaki naslidky destrukciji“, in: Semenko 2010: Vybrani tvory, S. 294–298, hier S. 294. Vgl.  Krieger, Verena: Kunst als Neuschöpfung der Wirklichkeit. Die Anti-Ästhetik der rus­ sischen Moderne. Köln et al.: Böhlau 2006, S. 235. Gropius, Walter: „nové cesty výtvarné práce. neue wege der gestaltungsarbeit. les voies nouvelles du travail plastique“, in: Halas/Prusa/Rossmann/Václavek (Hrsg.) 1927: fronta, S. 140–143, hier S. 143.

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2.2.2 Das Fotogramm als grenzüberschreitendes Phänomen Die Entwicklung der neuen Kleinbildtechnologie führte Mitte der 1920er-Jahre zu einer Revolutionierung der Fotografie, die in Ost und West in der Etablierung des Neuen Sehens resultierte, an der Moholy-Nagy als Vertreter des Bauhauses und Rodčenko als Vertreter des sowjetischen LEF-Konstruktivismus gleichermaßen be­ teiligt waren. Foto­gramme wurden in etwa zur selben Zeit bei unterschiedlichen Avantgarde-Künstlern populär und stellen eine spezifische Form der experimentellen Fotografie dar, die im Gegensatz zum Neuen Sehen nicht die Objektivität des Mo­ mentes zeigen sollte. Sie entstehen nicht als Schnappschüsse, sondern aus einem Pro­zess des Zeichnens mit Licht. Christian Schad, Raoul Hausmann, Man Ray und László Moholy-Nagy lassen sich als erste Avantgarde-Künstler nennen, die mit den Möglichkeiten der kameralosen Aufnahme experimentierten.175 Fotogramme überschritten auch Grenzen zwischen Strömungen, die üblicher­ weise deren unüberwindbare Differenz betonten. Da das Ergebnis von kameralosen Aufnahmen nicht vorhersehbar war und sich erst post factum, nach erfolgter Be­lich­tung und anschließender Fixierung, offenbarte, stellt die dadaistische Auseinandersetzung mit der kameralosen Aufnahme (etwa bei Man Ray und Hausmann) keine Überraschung dar. Der Dadaismus war eine stark experimentell ausgerichtete Strömung, bei der Zu­ fall und Chaos eine zentrale Rolle spielten, während Logik und Ver­stand abgelehnt wurden. In der Relevanz des Zufalls liegt eine wichtige Analogie zum frühen russischen Futurismus. Im Konstruktivismus sowie im postrevolutionären utilitaristisch ausgerich­ teten Futurismus wurde dage­gen eine Ästhetik der Technik und der Maschine propa­ giert, die auf Logik und wissenschaft­lichen Erkenntnissen basieren sollte. Diese Positionen wurden auch von der Nova Generacija und von Avanhard vertre­ ten. Die Architektur, die von Avanhard zu den wichtigsten Kunstformen ge­zählt wur­ de und bei der Nova Generacija ebenfalls einen besonderen Stellenwert ein­nahm, wurde als geometrische, kalkulierte, konstruierte und klare Kunstform von allen konstruktivistischen Gruppen geschätzt. In den 1920er-Jahren waren die konstruk­ tivistisch-funktionalistischen Avantgarden durch einen dokumenta­rischen Anspruch geprägt, sodass eigentlich die Faktizität, nicht aber, wie dies bei den frühen Foto­ grammen der Fall war, die Experimentalität Vorrang hatte. Ähnlich wie die Repor­tage in der Literatur, die z. B. von der LEF propagiert wurde, stand auch das Neue Sehen im Zeichen der Faktizität, wobei die Realität in einem neuen Licht er­scheinen sollte. Dass Fotografien generell ein hoher Realitätsgehalt beigemessen wird, ist eng mit dem technologischen Verfahren assoziiert, das des menschlichen Eingriffs nicht bedarf und daher als objektiv angesehen wird.176 Im Gegensatz dazu standen Foto­­gramme als Form der experimentellen Fotografie dem avantgardistischen Streben nach dem Faktum entgegen, da sie nicht das echte Leben abbildeten, sondern Dinge zum Vor­schein

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Eine „Schadografie“ von Christian Schad kann als erstes Fotogramm angesehen wer­ den, das, 1920 in der Zeitschrift „Dada“ publiziert, auch in gedruckter Form erschien. Moholy-Nagys erstes Fotogramm datiert aus dem Jahr 1922, abgedruckt in der Zeit­ schrift „Merz“; vgl.  Neusüss (Hrsg.) 1990: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahr­ hunderts, S. 23, 112. Vgl. z. B. Dörfler, Hans-Dieter: „Das fotografische Zeichen“, in: Schmitt, Julia (Hrsg.): Fotografie und Realität. Fallstudien zu einem ungeklärten Verhältnis. Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 11–21, hier S. 15.

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brachten, die nicht existierten. Der Prozess der Entstehung von Fotogrammen wurde von Moholy-Nagy wie folgt be­schrieben: man läßt das Licht durch Objekte mit verschiedenen Brechungskoeffizienten auf einen Schirm (fotografische Platte, lichtempfindliches Papier) fallen oder es durch verschiedene Vorrichtungen von seinem ursprünglichen Weg ablenken; bestimmte Teile des Schirmes mit Schatten decken usw. Dieser Prozeß kann mit oder ohne Apparat vor sich gehen. (Im zweiten Falle ist die Technik des Verfahrens die Fixie­rung eines differenzierten Licht- und Schatten-Spiels.)177

Meist kommt es bei der Herstellung von Fotogrammen zu einem direkten Kontakt zwi­schen abgebildetem Objekt und lichtempfindlichem Träger, dem Papier, wäh­ rend in der konventionellen Fotografie eine Linse dazwischengeschaltet ist. Bei der kameralosen Aufnahme wird gewissermaßen das „Zusammenspiel von beobach­ tendem Subjekt und beobachtetem Objekt“, das Ulrich Schmid als maßgeblich für Bachtins Definition der „künstlerischen Form“ bezeichnet,178 umgangen, indem ein direkter Kontakt zwischen beobachtetem Objekt und Trägermedium erfolgt, während jede semantische Umdeu­tung durch den Autor (Fotografen) dagegen  – zumindest im Moment der Aufnahme, nicht zwangsläufig jedoch in der Vorbereitung des abzubildenden Objektes – ausbleibt. Fotogramme müssen, so Moholy-Nagy, „aus ihren eigenen, primär verwendeten Mitteln – in ihrem Aufbau nichts anderes als sich selbst zeigend und bedeutend – geschaffen werden“.179 Im Hinblick auf die technische Entwicklung stellten sie in gewisser Weise einen Rück­griff auf das Verfahren der Malerei dar, der als mimetische Kunstform gemeinhin nicht derselbe Realitätsgehalt wie einer konventionellen Fotografie zugestanden wird.180 Ana­log zur Malerei war auch das Fotogramm nicht dazu gedacht, die Realität abzubilden, sondern, wie Wilke mit Verweis auf Schad hervorhebt, Gegenstände in einer ganz neuen Wirklichkeit zu präsentieren.181 Moholy-Nagy bezog sich in seinen Konzepten zu den Fotogrammen auf die „camera obscura“ (lateinisch für „dunkle Kammer“), die er für die Entwicklung von neuen 177

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Moholy-Nagy, László: malerei. fotografie. film. (=  Bauhausbücher Band 8), München: Albert Langen 1927, S.  30.  — Die erste theoretische Auseinandersetzung mit den Fotogrammen stammte jedoch bereits aus dem Jahr 1922, abgedruckt im Essay „Pro­ duktion – Reproduktion“ in der Zeitschrift „De Stijl“; vgl. Neusüss, Floris M.: „Laszlo Moholy-Nagy – Fotogramme“, in: Ders. (Hrsg.) 1990: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts, S. 128–135, hier S. 128. Zur Anwendbarkeit von Bachtins Theorie der räumlichen Konstruktion von Protago­ nist und Umwelt vgl. Schmid, Ulrich: „Das Objekt im Objektiv: Il’ja Ėrenburgs Pariser Visionen“, in: Kissel, Wolfgang Stephan (Hrsg.): Flüchtige Blicke. Relektüren russischer Reisetexte des 20. Jahrhunderts. (= Reisen. Texte. Metropolen, Band 3), Bielefeld: Aisthesis 2009, S. 445–469, hier S. 445 ff. Moholy-Nagy, László: „Fotoplastische Reklame/Fotogramm/Das Fotogramm in der Werbegestaltung“, in: Neusüss (Hrsg.) 1990: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahr­ hunderts, S. 122–124, hier S. 123. Susan Sontag verwendet den Begriff der „Spur“, „etwas wie eine Schablone des Wirk­ lichen, wie ein Fußabdruck oder eine Totenmaske“, als zentrales Charakteristikum der Fotografie, das diese von einem Bild als reiner „Interpretation des Wirklichen“ unter­ scheidet; vgl. Sontag, Susan: „Die Bilderwelt“, in: Dies.: Über Fotografie, S. 147. Vgl. Wilke 2010: Medien der Unmittelbarkeit, S. 156.

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Apparaturen zur Herstellung von Fotogrammen heranziehen wollte182 – womit diese zwar „kameralos“, nicht jedoch „apparatlos“ entstehen würden. Die Technik der camera obscura stellt die ursprüngliche Form des „Zeichnens mit Licht“, der „Fotografie“,183 dar und wurde von Moholy-Nagy auch als solche repristiniert. Wilke spricht von einem „technischen Nullpunkt“, den Moholy-Nagy der Fotografie zuweisen wollte, da Foto­ gramme für ihn Ursprung und Verkörperung der Besonderheit des fotografischen Ver­ fahrens darstellten.184 Während die kameralose Aufnahme auf der Materialebene die Technik der konventionellen Fotografie (fotosensitives Papier) verwendet, imitiert sie im Hinblick auf das Reproduktionsverfahren Techniken der klassischen Bildkunst, der Malerei (Zeichnen mit Licht), und lässt sich, da unterschiedliche Ausgangsmedien vorliegen, als „remediatisierendes“185 Verfahren bezeichnen. Bei der Produktion von Fotogrammen wurden also neue Ansätze und Technologien abgelehnt, die zu dieser Zeit revolutionär und – nicht zuletzt im Kontext der Avant­ garden  – auch populär waren, während der Fotograf zu einem Lichtbildner wurde: „fotografie ist gestaltung des lichtes“ [Kleinschr. i. Orig., VF]186, schrieb MoholyNagy in seinem im Frühjahr 1928 in „bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung“ erschienenen Essay „fotografie ist lichtgestaltung“ [Kleinschr. i. Orig., VF]. Das Material, das für die Herstellung eines Fotogramms verwendet wird, sei, so MoholyNagy weiter, mit keinem anderen Gestaltungsgebiet vergleichbar, denn „die gesetze der organisation entstehen hier aus der praktischen arbeit: im zusammentreffen des menschlichen organismus mit dem neu gefundenen stoff “ [Kleinschr. i. Orig., VF]187. Unmittelbar nach der Publikation des Essays in Deutschland wurden Fotogramme auch in der Sowjetunion populär. 2.2.3 Fotogramme in der Sowjetunion Da sich die künstlerischen Netzwerke im Zeichen des Internationalismus über ganz Europa erstreckten, lässt sich meist nicht nachvollziehen, welche Innovationen bei welcher Gruppierung resp. in welcher Strömung ihren Ursprung hatten. Im Hinblick auf das Fotogramm lässt sich allerdings eine relativ deutliche Abfolge erkennen, da die kameralose Fotografie in der Sowjetunion erst einige Jahre nach den Experimenten 182

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Moholy-Nagy 1927: malerei. fotografie. film, S. 30. — Die camera obscura war einer der ersten Vorläufer der Fotografie. Ihr Prinzip stellte schließlich auch die Grundlage für die Entwicklung der Fotografie im heutigen Sinne dar. In dieser frühen Phase diente die Lichtprojektion noch nicht dazu, ein lichtempfindliches Papier zu schwärzen, sondern wurde als Pausvorlage verwendet, um das reflektierte Bild nachzuzeichnen. Das Wort Fotografie setzt sich aus „photos“, der Genitiv-Form der altgriechischen Entsprechung für „Licht“, sowie graphein – ebenfalls Altgriechisch – mit der Bedeutung von „schreiben, malen, zeichnen“ zusammen und ist somit tatsächlich als „Zeichnen mit Licht“ bzw. „Lichtzeichnung“ zu übersetzen. Vgl. Wilke 2010: Medien der Unmittelbarkeit, S. 156 f. — Mit „Nullpunkt“ spielt Wilke auf ein zentrales Moment des Neubeginns der russischen Avantgarde an, „durch den Null­ punkt des Todes, durch den Nullpunkt der Auflösung aller vertrauten Lebensgestalten hindurchgegangen und trotzdem am Leben zu sein“, wie Boris Groys den Nullpunkt erläutert; vgl. Groys, Boris: „Im Namen des Lebens“, in: Groys/Hansen-Löve (Hrsg.) 2005: Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde, S. 11–22, hier S. 11. Vgl. Bolter/Grusin 2000: Remediation. Understanding media, S. 65. Moholy-Nagy, László: „fotografie ist lichtgestaltung“, in: bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung, 2. JG, Nr. 1 (1928), S. 2–9. Ibd. S. 3. — Mit dem neu gefundenem Stoff ist das lichtempfindliche Papier gemeint.

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von Schad, Moholy-Nagy und Man Ray praktiziert wurde. Dies sei an dieser Stelle deshalb betont, weil es gerade innerhalb der Avantgarden öfters zu polemischen Pla­ giatsvorwürfen kam, die mitunter in größeren Skandalen resultierten. Im Hinblick auf die Fotogramme gab es ebenfalls derartige Vorwürfe, wobei Lissitzky gegen MoholyNagy den Vorwurf erhob, er habe die Fotogrammidee bei Man Ray „abgeschaut“.188 Lissitzky, der das Fotogramm als Erster nach Russland transferierte, fungierte abermals als verbindender Akteur zwischen Ost und West. Sein im Mai 1929 in der Zeitschrift „Sovetskoe foto“ [Das sowjetische Foto] publiziertes Essay „Fotopis’“ [Das Fotogramm] gilt als erste in Russland erschienene Auseinandersetzung mit der kameralosen Auf­nahme,189 wobei Lissitzkys erste praktische Arbeit bereits 1924 entstand, zu dieser Zeit jedoch in Russland noch keine Öffentlichkeit fand.190 In der Ukraine war das Interesse an Fotogrammen eindeutig mit dem Fotografen und Typografen Sotnyk verbunden, der bereits seit ihren Anfängen ein Mitglied der Nova Generacija war und zwischen 1928 und Ende 1929 auch für die Gestaltung ihrer Zeitschrift verantwortlich zeichnete. Die Rezeption Moholy-Nagys, der in der „Nova Generacija“ mit mehreren Arbeiten vertreten war, konzentrierte sich fast ausschließ­ lich auf dessen Arbeit als Fotograf, die ein deutlich stärkeres Echo evozierte als seine Innovationen im Bereich von Film und Typografie.191 Im März 1929 erschien in der „Nova Generacija“  – knapp ein Jahr nach der Publikation in Deutschland  – eine Übersetzung seines fototheoretischen Essays „fotografie ist lichtgestaltung“192. Erste Beispiele für die eigene Auseinandersetzung mit der kameralosen Aufnahme wurden jedoch bereits einige Zeit früher präsentiert. Zu Beginn des Jahres 1929 und damit offen­bar noch vor Erscheinen der russischen Übersetzung von MoholyNagys „malerei. fotografie. film“193 enthielt die Zeitschrift zwei abstrakt gehaltene Fotogramme von Sot­ nyk, die im Inhaltsverzeichnis als „Sproba fotohrafuvaty bez fotokamery“ [Versuch, ohne Kamera zu fotografieren] angekündigt wurden, während den Bildern selbst kein Titel beigefügt ist (Abb. 51–52). Die beiden Auf­ nahmen, deren Entstehungsjahr mit 1928 angegeben ist, werden durch stark gesättigte schwarze Flächen dominiert, die wiederum mit prägnanten horizontalen und vertikalen Linien durchzogen sind. Durch ihre parallel geführte und zugleich ge­bogene Form erinnern diese zwar an eine Spirale  – und lösen damit unmittelbar eine Assoziation mit dem Konzept des Spiralismus von Avanhard aus –, lassen jedoch keine unmittelbare Referenz auf ein konkretes Objekt erkennen. Während sich eine „Spur“ der Realität (im übertragenen Sinn) hier nicht er­kennen lässt, wird die tat­ sächliche Spur, also der „Abdruck“, der durch den unmittel­ba­ren Kontakt zwischen Objekt und Medium zustande kommt, sehr wohl evi­dent. Da ihr Ergebnis nicht

188 189 190 191

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Vgl.  Neusüss, Floris M.: „Erfinderstreit. Drei Briefe zur Prioritätenfrage“, in: Ders. (Hrsg.) 1990: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts, S. 427–428, hier S. 427. Lissitzky, El: „Fotopis’“, in: Sovetskoe foto, Nr. 10 (Mai 1929), S. 311. Vgl. Neusüss 1990: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts, S. 138. Die Typografie von Moholy-Nagy zeigte eher bei Avanhard einen Niederschlag, deren Publikationen Analogien mit den Bauhausbüchern aufweisen; vgl. Mudrak 1986: The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine, S. 191 f. Moholi Nagi, Vladislav [Moholy-Nagy, László]: „Fotohrafija je svitlove oformlennja“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 46–51; vgl. auch Faber 2015: „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avantgarde“, S. 237. Eine Übersetzung des Bandes ins Russische erfolgte nämlich erst 1929.

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Abb. 51: Dan Sotnyk: „Fotohrama 1928“ [Fotogramm 1928], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), Abb.-Seite 4.

Abb. 52: Dan Sotnyk: „Fotohrama 1928“ [Fotogramm 1928], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), Abb.-Seite 5.

Abb. 53: Vladislav Moholi Nagi [László Moholy-Nagy]: „Fotohrama No. 1“ [Fotogramm Nr. 1], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 9.

Abb. 54: Vladislav Moholi Nagi [László Moholy-Nagy]: „Fotohrama No. 2“ [Fotogramm Nr. 2], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 10.

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vorhersehbar war, beriefen Fotogramme sich primär auf den Zu­fall.194 Der „Moment“, der eine wesentliche Grundlage für die Faktizität der Fotografie darstellt,195 wird bei der Kreation eines Fotogramms negiert, während die Prozesshaftigkeit in den Vordergrund rückt. Der „Abdruck“ präsentiert sich hier zwar in Form von spezifisch konstruktivistischen geometrischen Linien und Flächen; diese enthalten jedoch unter­schiedliche Grauabstu­fungen und sogar Transparenzen, die den Abbildungen einen surrealistischen Charak­ter verleihen. Moholy-Nagys Fotogramme, die zwei Monate später in der „Nova Generacija“ prä­sentiert wurden (Abb. 53–54), zeigen zwar ebenfalls eine durch Licht und Schatten erzeugte Linienführung, enthalten jedoch auch flächige Elemente, die eine gänzlich andere Wirkung erzeugen. Moholy-Nagy hatte außerdem eine Vorliebe für die Dar­ stellung von Händen und setzte sich mit den Möglichkeiten auseinander, das eigene Gesicht auf fotosensitivem Papier festzuhalten. In der Sowjet­union bestand dagegen ein großes Interesse an Lichtreflexionen, die dadurch ent­standen, dass Strahlen von technischen Geräten und anorganischen Objekten abgelenkt und gebündelt wurden. Elektrizität stellte ja bekanntlich einen jener Bereiche dar, die besonders gerne thema­tisiert wurden. So wurden bspw. auch hier Lichteffekte abge­bildet, die an Glühdrähte und Glühbirnen erinnern (Abb. 52). Neben Sotnyk setzten sich auch jüngere Künstler mit der kameralosen Fotografie auseinander, wie zwei Beispiele des aus Odessa stammenden Studenten V. Škorbatov belegen, die ebenfalls in der „Nova Generacija“ abgedruckt sind (Abb. 55–56). Die im Hoch- bzw. Querformat gehaltenen Aufnahmen zeigen lichtdurchlässige Objekte, deren ur­sprüngliche Form allerdings im Gegensatz zu Sotnyks Bildern zumindest bei einem der beiden Beispiele (Abb.  56) noch erkennbar bleibt. Die Strahlen des einfallenden Lichtes werden von lichtdurchlässigen Objekten gebrochen, wobei die durch die Bre­chung entstehenden Reflexionen einen Verfremdungseffekt hervor­ rufen. Die Licht­effekte, die jeweils eine Auswirkung auf den realistischen resp. experimentellen Charak­ter der Aufnahme haben, erreichen dabei eine unterschiedliche Intensität. Abb. 55 ist im Unterschied zu Abb. 56 deutlich abstrakter gehalten und zeigt eine verdichtete Ansammlung von Lichtbündeln, deren Ausgangspunkt (Lichtquelle) nicht eindeutig identifizierbar ist. Abb.  56 zeigt dagegen zwei schräg gestellte Gläser, deren Darstellung durch die ver­zerrte Aufnahmeperspektive und das Spiel mit Licht und Reflexionen gekennzeichnet ist. Obwohl eine Referenz auf die Realität mit den beiden Objekten (Gläsern) also eindeutig gegeben ist, weist das Bild dennoch surrealistische Merkmale auf. Die abgebildeten Objekte werden von prägnanten Lichtbündeln begrenzt, die dem Bild Dynamik verleihen und den Eindruck von Bewegungsunschärfe vermitteln. Über­d ies scheinen die Gläser frei im Raum zu schweben, was den surrealen Eindruck noch verstärkt. Beide Aufnahmen repräsentieren somit die panfuturistische Destruktion, die den konstruktivistischen und funktionalistischen Ansprüchen anderer später Avant­garden eindeutig entge­ genstand. 194

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Spätere Arbeiten, die, wie jene des russischen Grafikers Solomon Telingater, im Zei­ chen der Funktionalität „Dinge“ des alltäglichen Gebrauchs in strengen Hell-DunkelKontrasten als Silhouetten abbildeten, stellen hier freilich eine Ausnahme dar. Vgl.  z. B. Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Übersetzt von Dietrich Leube. Frankfurt. a. M.: Suhrkamp 1989, S. 13 f.

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Abb. 55: V. Škorbatov: „Fotohrama, Odesa 1929“ [Fotogramm, Odessa 1929], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), Abb.-Seite 3.

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Abb. 56: V. Škorbatov: „Fotohrama, Odesa 1929“ [Fotogramm, Odessa 1929], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), Abb.-Seite 4.

Dass sowohl die konzeptionelle als auch die praktische Auseinandersetzung mit der kameralosen Fotografie in der Ukraine etwas früher als in Russland erfolgte, ist inso­fern überraschend, als zwischen russischen und deutschen Künstlern zahlreiche Kontakte bestanden, wohingegen sich internationale Kontakte von der Ukraine aus nur mit Schwierigkeiten aufbauen ließen. Während Lissitzky als verbindendes Glied zwi­schen Russland und der Weimarer Republik fungierte, dürfte die Übernahme in der Ukraine dennoch direkt aus westeuropäischen Quellen erfolgt sein. Bei der Prä­ sentation von Moholy-Nagys Arbeiten kam es überdies auffallend oft zu einer mehr oder weniger direkten Gegenüberstellung mit Rodčenko, der ebenfalls als Mitarbeiter der Zeitschriftenredaktion und gewissermaßen als Konkurrent des Bauhaus-Künst­ lers präsentiert wurde. Bei Rodčenko nahmen Fotogramme allerdings nur einen margi­nalen Stellenwert ein, sodass sich die 1935 in Zusammenarbeit mit Varvara Stepa­nova entstandene Aufnahme „Krasnaja armija“ [Die Rote Armee], die eine stark ver­d ichtete, in Graustufen aufgelöste Ansammlung von Sowjetsternen zeigt, als eines von wenigen Beispielen für seine Auseinandersetzung mit der kameralosen Aufnahme festhalten lässt.196 In Russland blieb der experimentelle Ansatz (die Destruktion im panfuturistischen Wortsinne) bei den Fotogrammen insgesamt weitgehend aus, während die Kon­struktion ins Zentrum gerückt wurde. Dies war etwa bei Solomon Telingater der Fall, dessen kamera­lose Aufnahmen bspw. am Umschlag der ersten Nummer der Zeitschrift „Metallist“ des Jahres 1930 technische Utensilien zeigen, deren strenge Linienführung und Hell-Dunkel-Kontraste an eine Silhouette erinnern, dabei aber weder Lichtreflexe noch Graustufen enthalten.

196

Vgl. Neusüss 1990: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts, S. 143.

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RESÜMEE

Die Entstehung der internationalen Strömungen des Futurismus und später des Kon­ struktivismus zeigte in der Ukraine bereits sehr früh ein Echo in Kunst und Literatur, wobei es nicht nur zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Phänomenen in den damaligen Zentren der Avantgarde, sondern auch zu zahlreichen Wechselbeziehungen mit Gruppierungen und Kunstschaffenden u. a. aus Moskau, Sankt Petersburg, Paris und Berlin kam. Viele Künstler aus der späteren Sowjetukraine pendelten zwischen den verschiedenen Zentren, sodass die heutige Ukraine bereits in dieser frühen Phase eine wichtige, jedoch wenig registrierte Schnittstelle zwischen Ost und West reprä­ sentierte. Während die Revolution von 1917 zu einer grundlegenden Transformation avant­gardistischer Prinzipien – von der Experimentalität hin zur Zweckmäßigkeit – geführt hatte, lässt sich der Übergang von der NĖP zum Ersten Fünfjahresplan als wichtige Zäsur fest­halten. Die sowjetische Avantgarde verlor endgültig die Gunst der politischen Eliten und wurde gänzlich ins künstlerische Abseits gedrängt, sodass sie Ende der 1920er-Jahre nur noch eine Erscheinung am Rand des künstlerischgesellschaftlichen Diskurses re­präsentierte. Dies hatte auch eine Verlagerung der künstlerischen Aktivitäten an die Ränder zur Folge, die dadurch wiederum teilweise selbst zu Zentren wurden. Trotz der schwierigen Vorbedingungen existierten viele Strömungen also noch eine Zeit lang an Peripherien weiter, als dies in den sowjetischen Metropolen (Moskau, Leningrad) nicht mehr im selben Umfang möglich war. Die Ukraine repräsentierte eines dieser Zentren, das – gewissermaßen in Korrelation zur ursprünglichen Bedeutung von „Ukraine“ als Land an den Rändern – in mehrfacher Hinsicht an Peripherien gelegen war: nicht nur räumlich an den Rändern des Sow­ jetimperiums, sondern auch zeitlich in der aller­ letzten Phase der Avantgarde positioniert, wobei, wie die vorliegenden Analysen aufzei­gen, auch die künstlerischen Praktiken von den zuvor im Zentrum stehenden Erschei­nungen differierten. Die Blüte der ukrainischen Avantgarde, die sich in der da­maligen sowjetukrainischen Hauptstadt Charkiw akkumulierte, war wesentlich mit der staatlich implementierten Verwurzelungspolitik verbunden. Die sowjetische Na­tionalitätenpolitik wurde von ukrainischen Kunstschaffenden in karnevalistischer Weise für die Etablierung einer Gegenkultur genutzt, die nicht zuletzt dazu diente, das kommunistische System auf subversive Weise zu konterkarieren. Bedingt durch die späte Blüte, die sich zeitlich mit dem zunehmend repressiven Klima sowohl in West- als auch in Osteuropa überschnitt, blieb eine internationale Wahrnehmung der ukrainischen Erscheinungen fast zur Gänze aus. Zugleich wurden die Aktivitäten der späten ukrainischen Avantgarde aber gerade dadurch begünstigt, dass sie unbemerkt blieben, da sie mit der (unauffälligen) Lage an einer Peripherie korrelierten. Die konstruktivistische Idee der Internationalisierung fand in der Ukraine eine be­ sonders breite Basis, wobei die intermedial und interdisziplinär ausgerichteten Avant­ garde-Zeitschriften „Nova Generacija“ (1927–1930) und „Avanhard“ (1928–1929)

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nicht nur bedeutende künstlerische Plattformen, sondern auch die letzten eindeutig avant­gardistisch ausgerichteten Medien der Sowjetunion darstellten, die auf spezifische Weise die ursprünglichen avantgardistischen Prinzipien der Abstraktion perpetuierten. So­wohl bei der Nova Generacija als auch bei Avanhard war die Propagierung von inter­nationaler Kunst programmatisch verankert. Der Versuch der grenzüber­ schreiten­den Verständigung wurde somit ab Mitte der 1920er-Jahre zu einem der wich­ tigsten Merkmale der ukrainischen Avantgarde, wobei neben den Entwicklungen am Bauhaus auch Waldens „Der Sturm“ – und damit der in der Sowjetunion als „dekadent“ angesehene Expressionismus – sowie der französische Kon­struktivismus rund um Le Corbusier interessiert verfolgt wurden. Darüber hinaus wurden große Anstrengungen unternommen, Kontakte ins Ausland herzustellen und Kooperationen mit inter­ nationalen Künstlern zu initiieren. Da in den ukrainischen Zeitschriften eine Reihe wichtiger russischer und internationaler Künstler als Redaktionsmitglieder aufschien, liegt die Annahme nahe, dass zwischen den Künstlern enge direkte Kontakte be­ standen haben. Bei genauerer Betrachtung haben sich die tatsächlichen Ver­netzungs­ aktivitäten jedoch als gering erwiesen. Ungeachtet dessen hat sich ge­zeigt, dass die Ver­treter der beiden Vereinigungen bestens über die künstlerischen Ent­wicklungen in Ost und West Bescheid wussten. Viele der untersuchten Projekte, Publikationen, Arbeiten und Polemiken zeich­ nen sich durch eine ausgeprägte Intertextualität und Dialogizität aus. Es sind dies also jene Kategorien, die auch für andere Avantgarden essentiell sind – und die eine wich­tige Voraussetzung für die Entstehung eines gesamteuropäischen Netzwerks der Avant­garden bildeten. In den untersuchten Texten hat sich die Intertextualität jedoch weniger auf der dadaistisch-dekonstruktiven Ebene der Anspielung als viel mehr in Form von Paratext gezeigt. Die Überlagerung verschiedener Anschauungen hat ebenfalls eindrücklich die Offenheit der ukrainischen Avantgarde belegt, die sich selbst als Schwelle zwischen Ost und West verstand  – eine derartige Offenheit war anderen Gruppierungen, etwa der russischen LEF, nicht inhärent. Dass die ukrainischen Gruppierungen mit den Prinzipien internationaler Strö­ mungen insgesamt gut vertraut waren, geht nicht nur aus den Bezugnahmen, sondern auch aus der polemisch praktizierten Abgrenzung hervor, wobei es in den untersuchten Bei­spielen vor allem zu einer Distanzierung von Russland kam – während das Interesse an westeuropäischer Kunst dagegen enorm war. Die Einbeziehung anderer Texte, Arbeiten und Phänomene wurde somit durch eine starke Rhetorik der Abgrenzung ergänzt, die wiederum in den unterschiedlichen Programmtexten, Manifesten und Streitschriften zur Definition und Bestätigung der selbst proklamierten Alleinstellung eingesetzt wurde. Vor dem Hintergrund einer derart starken Abgrenzung scheint es jedenfalls be­merkenswert, dass die spannendsten Innovationen in der Ukraine in ähnlichen Berei­chen wie in russischen und westeuropäischen Avantgarden erfolgten. Sowohl in der Architektur, in der Fotografie, in der Typografie als auch in Film und Szenografie wurde nämlich eine sehr spezifische Kunst produziert, die in der eigenen Polemik wiederum laufend selbstreferentiell reflektiert wurde. Für die Vermittlung internationaler Konzepte dienten dagegen oft Übernahmen renom­mierter „ausländischer“ Theoretiker, die (wiewohl meist ungefragt) aus eta­ blierten Pub­l ikationen entnommen und ins Ukrainische übersetzt wurden. Sie wurden damit ge­wissermaßen „ukrainisiert“. Umgekehrt kam es in internatio­nalen Medien nur spora­d isch (und überdies erst spät) zu einer Wahrnehmung der ukrainischen Avant­

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garde als distinkte Erscheinung. Meist erfolgte die Rezeption ukrainischer Kunst außer­halb des Landes zudem unter Beteiligung ukrainischer Künstler, die im Ausland oder in Sowjetrussland lebten. So stammte eine Mehrzahl der in Russland und West­ europa publizierten Beiträge zu ukrainischer Kunst und Literatur – sei es in Form publizistischer Berichterstattung oder als Leserbriefe – von Personen, die selbst einem ukrainischen Kontext entstammten. Ukrainischsprachige Projekte wie die Zeitschrift „Neo-LIF“, die in Moskau erschien, konnten auch nur wenig zur Bekanntmachung ukrainischer Werke beitragen, da sie dem russischsprachigen Publikum aufgrund der sprachlichen Barriere nicht zugänglich waren. International konnte die Vielfalt der ukrainischen Aktivitäten somit nur wenig Aufmerk­samkeit lukrieren, obwohl die Anbindung an das westeuropäische kulturelle Kontinuum eines der vordringlichsten Anliegen der Gruppierungen war. Die eigene Marginalität wurde von den Künstlern beklagt und in der Folge exzessiv in der Kunst reflektiert. Das Lamento über die fehlende Wahrnehmung der eigenen Kunst außerhalb der Landes- und Sprachgrenzen ist demnach als weiteres zentrales Merkmal der ukra­ inischen Kunst, insbesondere der Literatur, zu klassifizieren. Die Überhöhung der eigenen Rele­vanz lässt den Versuch erkennen, die Nicht-Präsenz auf der kulturellen Landkarte Euro­pas – und damit das Ungleichgewicht zwischen Zentrum und Peri­ pherie  – zu kompensieren. Dass es bspw. in der Architektur erst sehr spät zu einer di­stinkten Wahrnehmung ukrainischer Projekte kam, unterstreicht die Dominanz des Zentrums, dessen Ausstrahlung die zahlreichen weiteren Facetten der sowjetischen Kunst fast zur Gänze überlagerte. Das Staatstheater in Charkiw, das hierfür als Beispiel angeführt ist, markierte einen wichtigen Wendepunkt, da die Ukraine im Zuge der groß angelegten internationalen Ausschreibung erstmals auch als solche umfassend medial erwähnt wurde. Das Schicksal des Theaterprojektes, dessen Umsetzung kurz nach Baubeginn wieder einge­stellt wurde, kann als repräsentativ für die ukrainische Avantgarde selbst gesehen werden, deren Entfaltung ebenfalls inmitten ihrer Blüte ab­rupt gestoppt wurde. Die in den 1920er-Jahren stärker werdenden Repressionen, die zu Beginn der 1930er-Jahre im endgültigen Verbot der Avantgarden resultierten, ließen die spezifische ukra­inische Erscheinung exakt zu jenem Zeitpunkt wieder in Ver­gessenheit geraten, als sie ihr Ziel, als eigenständige Erscheinung (an)erkannt zu werden, endlich erreicht hatte. Gemeinsam mit anderen Strömungen der 1920er-Jahre repräsentierte die Avant­ garde in der Ukraine zudem ein Symbol für eine „Wiedergeburt“ der ukrainischen Kultur, die sich im Kontext der Verwurzelung mit politischer Unterstützung ent­ wickeln und ent­falten konnte – und durfte. Dieses Moment der ukrainischen „Na­ tions­bildung“ stellte ein zentrales Element der Kunst selbst dar, auf das in der wissen­ schaftlichen Aufarbei­ tung zwar häufig, wiewohl oft unkritisch verwiesen wird. Hierfür wesentlich ist der Um­­stand, dass die exzessive kulturelle Entfaltung, die oft ein Übermaß an nationalen Ideen implizierte, meist mit dem tragischen Schicksal der Repräsentanten dieser „Wiederge­burt“ assoziiert wird: Ein Großteil der Vertreter der ukra­inischen lite­rari­schen Avant­garde – auch Semenko und Poliščuk – fiel in den 1930er-Jahren den stalinistischen Säuberungen zum Opfer. In den darauffolgenden Jahr­zehnten wurden sie und ihre Wer­ke sowohl aus dem offiziellen Kanon als auch aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängt. Dass die kulturelle Elite der Ukraine von den Repressionen besonders stark betroffen war, hat dieses kulturelle Trauma verstärkt und letztlich bis heute prolongiert.

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Eine Differenzierung zwischen Futurismus und Konstruktivismus erweist sich in der Ukraine auch deshalb als kompliziert, da die offerierten Positionierungen und Selbst­­kategorisierungen eigentlich nur selten mit den tatsächlichen Aktivitäten und Er­zeugnissen korrespondierten, wodurch sich die Gruppierungen gewissermaßen selbst­verschuldet in  – laut Eigendefinition  – eigentlich inkompatible Katego­rien dislozierten. So fanden etwa die „reistischen“, am Ding orientierten produktions­ künstlerischen An­ sätze vor allem bei Semenko und dessen Panfuturisten einen Nieder­schlag – obwohl sich diese nicht als konstruktivistisch, sondern als futuristisch be­zeichneten. Die Konzepte des literarischen Konstruktivismus wurden dagegen von den Vertretern von Avan­hard rezipiert, die sich zum Konstruktiven Dynamismus bekannten. Ähnliche konstruk­tivistische Elemente wie bei Sel’vinskij und Zelinskij können daher auch in Arbeiten von Poliščuk und Raisa Trojanker identifiziert werden. Dass die Ausei­nandersetzung mit dem internationalen Konstruktivismus also nicht primär durch die ukrainischen Kon­struktivisten, sondern durch die futu­ ristische Nova Generacija erfolgte, macht außerdem deutlich, wie stark sich die Konzepte der unterschiedlichen Strömungen trotz strikter polemischer Abgrenzung eigent­lich überschnitten. Eine der­art prägnante Diskrepanz im Verhältnis von In­ ten­tion und deren tatsächlicher Realisierung lässt sich jedoch bei vielen weiteren europäischen Gruppierungen registrieren, sodass sie ebenfalls als zentrales Merkmal avantgardistischer Strömungen hervorgehoben werden kann. Dass trotz der programmatischen Betonung von Differenz – und damit der Ziehung von eindeutigen Grenzen zwischen dem „Eigenen“ und dem „Anderen“ – dennoch Interferenzen entstehen konnten, ist insofern überraschend, als die derlei praktizierte Bildung von Oppositionen üblicherweise den Raum zwischen extremen Polen nicht mit einschließt. Zugleich bediente sich die internationalistisch ausgerichtete Avant­ garde – und hier wird ein weiterer Widerspruch evident – in der Ukraine auch national konno­tierter Elemente, sodass für sie der Begriff der „nationalen Internationale“ ein­ geführt werden kann. In der rechtsgerichteten Ausrichtung liegt zwar eine wichtige Gemein­samkeit, welche die späte ukrainische Avantgarde mit den Konzepten des italienischen Futurismus und Marinettis verband. Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Versuch der Annäherung an den italienischen Futurismus doch wesentlich durch den Wunsch nach der Integration in das internationale Netzwerk der Avantgarden motiviert gewesen ist. In der vorliegenden Studie wurden die insgesamt doch sehr ambivalenten ukraini­ schen Be­ziehun­gen zu Russland und Westeuropa außerdem anhand einiger Beispiele aus der pole­mischen, der lite­rarischen und der künstlerischen Praxis aufgezeigt und auf ihre intertextuelle und intermediale Aufladung hin untersucht. Dass die Texte der späten ukrainischen Avant­garde primär dazu dienen sollten, Vorhaben zu verlautba­ ren und Handlungen – im ukrainischen Fall die Anerkennung der eigenen Leistun­ gen – einzufordern, lässt keinerlei Zweifel daran, dass es sich dabei um genuin „avant­ gardistische“ Her­vorbringungen handelt. Im Gegensatz zu den meisten anderen heute als avantgar­d istisch eingestuften Phänomenen hatte sich die Bezeichnung „Avantgarde“ in der Ukraine bereits als Selbstdefinition etabliert. Ästhetik war aller­ dings auch für die ukrainische Kunstproduktion keine relevante Kategorie, weshalb sich die Analysen in der vorliegenden Studie nicht primär auf literarisch-künstlerische, sondern auf pro­grammatische und polemische Texte konzentrieren.

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Die oftmals zu konstatierende Abgrenzung von Russland, die sich bei der Nova Gene­racija vor allem in der Distanzierung von der LEF ausdrückte, hat sich dabei aller­d ings als Beleg für eine eigentlich doch starke Bindung erwiesen, die durch die wiederholte Bestätigung der Entfernung gewissermaßen bekräftigt wird. Die repe­ titive Bezug­nahme auf die russische Kunst – und sei es in Form einer Parodie oder in einem ablehnenden Duktus  – räumt dieser nämlich eine erhöhte thematische Relevanz ein. Die zahlreichen mehrsprachigen Texte, die inner­halb der eigenen Leserschaft nur bedingt verständlich waren, sollten eine Brücke ins Ausland bauen und die Ausweitung bestehender Kontakte forcie­ren. Die prophylaktisch implemen­ tierte Polyglossie konnte den umworbenen inter­nationalen Künstlern eine bereits bestehende Anbindung an Westeuropa und so­­mit einen Beleg für die Relevanz der ukrainischen Avantgarde suggerieren. Das Konzept der Mehrsprachigkeit basierte so­ mit nicht ausschließlich auf den Ideen der konstruktivistischen Internationale. Viel­ mehr sollte die Teilhabe an europäischen Strö­mungen reklamiert und so das eigene Selbstbewusstsein gestärkt werden. Die Mehrsprachigkeit wurde somit als Beleg für die eigene Europäizität vorge­ bracht. Das Beispiel des Esperanto-Dichters Michal’s’kyj hat jedoch gezeigt, dass die ukrainische Avantgarde zwar nicht in ihrem ukrainischen Kontext, sehr wohl jedoch im Rahmen der Esperanto-Dichtung eine gewisse inter­nationale Relevanz erlangen konnte. Die Gruppierung Avanhard stand nicht nur in einer engen thematischen Beziehung zum russischen LCK, sondern zeigt auch starke Impulse durch gesamteuropäische Ten­ den­zen. Dies haben zwei Beispiele aus der literarischen Praxis aufgezeigt. Poliščuks Gedicht „Aeronavihacija“, das – wiewohl ausschließlich in der Ukraine publiziert und somit gar nicht vordergründig an ein deutschsprachiges Publikum gerichtet – auch in deutscher Übersetzung erschien, weist mit der Thematisierung von Technik und Industrie zwar eindeutig Elemente westeuropäischer funktionalistischer Strömungen auf, enthält aber auch Anklänge an den italienischen Futurismus und den russischen Konstruktivismus der LEF. Mit Raisa Trojankers Gedicht „Iz prošlogo“ wurde noch­ mals der heterogene Raum exemplifiziert, als der sich die ukrainische Avantgarde prä­sentierte: Die Über­lagerung mehrerer Kulturen zeigt sich in dem kon­struktivis­ tisch angelegten bspw. Text in der Thematisierung der jüdischen Be­völ­kerungsschicht, deren Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung aufgezeigt und kritisiert werden. Neben dem Aufbau des Textes, der sich weitgehend an die von Avan­hard postulierten funktio­nalistischen Konstruktionsrichtlinien hält, lässt auch die kritische Bezugnahme auf gesell­ schaftliche und politische Ungerechtigkeiten eine Klassifizierung als avantgardistischen Text zu. Trojankers Gedicht erschien in einer Publikation der russischsprachigen Sektion von Avanhard, die die programmatisch proklamierte kultu­relle Vielfalt zu­sätzlich auch auf künstlerischer Ebene implementierte. Mit der ukrainischen experimentellen Fotografie wird ein bislang fast unbearbei­ tetes und unbekanntes Feld fokussiert. Obwohl die ukrainische Avantgarde sehr spezifische Beispiele für die kameralose Fotografie hervorgebracht hat, konnte dieses Phänomen, ähnlich wie die ukrainischen Manifeste und Proklamationen, bislang weder im gesamteuropäischen noch im ukrainischen Kontext gebührende Be­achtung finden. Der ukrainische Typograf und Fotograf Sotnyk, über dessen Lebens­daten sich nur wenige Informationen finden lassen, ist hier als wichtigster Vertreter zu nennen, der mit seinen Arbeiten einen bedeutenden Beitrag zur medialen Vielfalt

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der „Nova Generacija“ leistete. In seiner Auseinandersetzung mit der Technik der „kameralosen Aufnahme“ lassen sich sehr deutliche Impulse durch den BauhausKünstlers Moholy-Nagy er­kennen, dessen theoretisches und künstlerisches Werk in der Ukraine ausführlich rezipiert wurde. Dennoch weisen die ukrainischen Foto­gramme einige Besonderheiten auf. Einerseits sind sie etwas weniger abstrakt als jene von westeuropäischen Künstlern wie Moholy-Nagy oder Man Ray, da sie weniger die Abbildung von Licht als vielmehr durch Licht transformierte Gegen­ stände ins Zentrum rückten. Noch deutlicher diffe­rieren sie je­doch von russischen Fotogrammen, die sich weit weniger experimen­tell präsentieren. Die kameralose Aufnahme kann somit als wichtiger Beleg für die Wieder­be­ lebung der frühavantgardistischen Experimentalität bezeichnet werden. Als ur­ sprüngliche Form der Fotografie versagte sich das Fotogramm ja ähn­lich wie die frühen futu­ristischen Bücher den Entwicklungen der modernen Technik und lässt überdies auffallende Ana­logien zur metalogischen Zaum’-Poesie des russischen Futurismus erkennen. Während Fotogramme in der Sowjetunion insgesamt eine recht marginale Erscheinung blieben, stießen sie in der Ukraine auf ein ähnlich großes Interesse wie in west- und mittel­europäischen Zentren der Avantgarde. Charkiw hat sich somit auch im Hinblick auf die experimentelle Foto­grafie als ein bislang unbeachtetes Zentrum an einer sowjetischen Peripherie erwiesen. Dass die ukrainische Avantgarde, die innerhalb des Netzwerks der internationalen Avantgarden eine Schwelle zwischen Ost und West markierte, auch heute noch eine marginale Erscheinung repräsen­tiert, lässt sich also gewiss nicht durch mangelnde künstlerische Aktivitäten der unter­ suchten Gruppierungen begründen. Vielmehr ist dies auch das Ergebnis einer nach wie vor geringen Re­zeption. Das viel zitierte Scheitern der Avantgarde, das Bürger vor allem auf­grund der verfehlten Überführung von Kunst in die Lebenspraxis konstatiert, wird in der Ukraine durch den Aspekt er­ gänzt, dass die Avantgarde ihr Ziel, die ukrainische Kunst als zentrale Er­scheinung zu etablieren, letztlich ohne Zweifel verfehlte. Insgesamt hat sich jedenfalls gezeigt, dass es sich bei den untersuchten Arbeiten doch um sehr spezifische Erscheinungen handelt, die grundlegende Prämissen des Aufbruchs der Avantgarden nicht nur absorbierten und transformierten, son­dern zweifelsohne auch selbst generierten. Die Interferenz von Abstraktion und funktio­ naler Gegenständ­ l ichkeit, aber auch die Ambivalenz zwischen Affirmation und Distanzierung, die sowohl in der Programmatik als auch in der künstlerischen Praxis dominierten, sind hier – ebenso wie die Situierung als Schnittstelle zwischen Ost und West – als wesentliche Charakteristika zu nennen, die eine grundsätzliche Autarkie der späten ukrainischen Avantgarde untermauern.

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APPENDIX

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Quellenverzeichnis

1.1 Zeitschriften und Journale Avanhard [Avantgarde]. Hgg. von Valerijan Poliščuk, Charkiv, 1928–1929. Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji [Avantgarde. Almanach der proletarischen Künstler der Nova Generacija]. Hgg. von Geo Škurupij, Kyjiv, 1930. Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo [Avantgarde. Künstlerische Materia­ lien der Avantgarde]. Hgg. von Valerijan Poliščuk, Charkiv, 1929. bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung. Hgg. von Walter Gropius und László MoholyNagy, Dessau, 1926–1931. Bjuleten’ avanhardu/avangardo [Bulletin der Avanhard]. Hgg. von Valerijan Poliščuk, Charkiv, 1928 (einmalig). Brigada chudožnikov [Künstlerbrigade]. Hgg. von der Vereinigung Izogiz, Moskau, 1931–1932. Bumeranh. Neperiodyčnyj žurnal pamfletiv. [Nichtperioidisches Journal mit Pamphleten]. Hgg. von Mychajl’ Semenko, Kyjiv, 1927. Cahiers d’Art. Hgg. von Christian Zervos, Paris, ab 1926. Červonyj šljach [Der Rote Weg]. Hgg. von Pavlo Tyčyna, Charkiv, 1923–1927 (1936?). Dada. Hgg.von Tristan Tzara, Zürich, 1917–1920. Das Neue Frankfurt. Internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung, hgg. von Ernst May und Fritz Wichert, später von Joseph Gantner, Frankfurt a. M., 1926–1933. Das Neue Russland. Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft und Literatur. Hgg. von der Gesell­ schaft der Freunde des Neuen Rußland in Deutschland. Berlin-Pankow, ab 1928. De Stijl. Hgg. von Theo van Doesburg, Leiden, 1917–1925. Der Querschnitt. Hgg. von Alfred Flechtheim und Hermann von Wedderkop, Berlin, 1924–1936. Der Sturm. Hgg. von Herwarth Walden, Berlin, 1910–1932. Die Literarische Welt. Hgg. von Ernst Rohwolt und Willy Haas, Berlin, 1925–1933. Hart [Härtung]. Hgg. u. a. von V. Korjak, 1923–1925. i 10. internationale revue. Hgg. von Arthur Müller Lehning, Amsterdam, 1927–1929. Jugo-LEF [Süd-LEF]. Hgg. von Leonid Nedolja, Odessa, 1924–1925 (vorw. russisch, jiddisch). Katafalk iskusstva. Ežednevnyj žurnal pan-futurystiv-destruktorov [Katafalk der Kunst. Tag­ blatt der Pan-Futuristen-Destruktivisten]. Hgg. von Mychajl’ Semenko, Kyjiv, 1922 (russisch, ukrainisch). Krytyka. Žurnal-misjačnyk marksysts’koji krytyky ta bibliohrafiji [Kritik. Monatszeitschrift der marxistischen Kritik und Bibliografie]. Hgg. von M. Skrypnyk, A. Chvylja et al. Charkiv, 1928–1932.

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Krasnaja nov’ [Rotes Neuland]. Hgg. u. a. von Aleksandr Voronskij, Moskva, 1921–1941 (russisch) La Cité & Tekhne, Bruxelles, 1919–1935?. LEF. Lefyj front iskusstv [LEF. Linke Front der Künste]. Hgg. von Vladimir Majakovskij, Moskva/Petrograd, 1923–1925. L’esprit Nouveau. Hgg. von Le Corbusier, Amédée Ozenfant et al., Paris, 1920–1925. Literaturnaja gazeta [Literaturzeitschrift]. Hgg. von der Föderation der sowjetischen Schriftstellerverbände (FOSP), Moskau, seit 1929. Literaturnyj jarmarok [Jahrmarkt der Literatur], variierende Herausgeber, Charkiv 1928–1930. Merz. Hgg. von Kurt Schwitters, ab 1923 (unregelmäßig). Mystectvo [Kunst]. Hgg. von Mychajl’ Semenko, L’viv, 1919–1921. Na literaturnom postu [Auf literarischem Posten]. Hgg. von der RAPP, Moskva 1926–1932 (russisch). Neo-Lif. Hgg. von Ivan Gadzins’kyj, Moskva, 1924–1927 (ukrainisch). Nova Generacija [Die Neue Generation]. Hgg. von Mychajl’ Semenko, Charkiv, 1927–1930. Novyj LEF [Neue Linke Front der Künste]. Hgg. von Vladimir Majakovskij (1927– 1928), Sergej Tret’jakov (1928), Moskva, 1927–1928. Radius avangardovcev [Radius der Avantgardisten]. Hgg. von Valerian Poliščuk et al., Char’kov, 1928 (russisch). Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv [Leuchtsignal in die Zukunft. Apparat der Panfuturisten]. Hgg. von Mychajl’ Semenko, Kyjiv, 1922. Sovetskoe foto [Das sowjetische Foto], unterschiedliche Herausgeber, Moskva, 1926–1994. Sovetskoe iskusstvo [Sowjetische Kunst]. Hgg. von der Narkompros RSFSR, Moskva/Leningrad, 1925–1928(?). Sovremennaja architektura [Architektur der Gegenwart]. Hgg. von Aleksandr Vesnin und Moisej Ginzburg, Moskva, 1926–1930. telehor. internationale zeitschrift für visuelle kultur. Hgg. von František Kalivoda, 1936. Transition. Hgg. Eugene Jolas und Maria McDonald, Paris, 1927–1938. Universal’nyj žurnal [Universelles Journal]. Hgg. von Jurij Smolyč, Charkiv, 1928–1929. Vestnik inostrannoj literatury [Bote der ausländischen Literatur]. Hgg. u. a. von A. Luna­ čarskij, Johannes R. Becher, Moskva, 1928–1930. Vešč’ - Objet – Gegenstand. Internationale Rundschau der Kunst der Gegenwart. Hgg. von El Lissitzki und Ilja Ehrenburg, Berlin, 1922. Wasmuths Monatshefte für Baukunst. Hgg. u. a. von Werner Hegemann, 1908–1932. Zabajkal’skij rabočij [Der transbaikalische Arbeiter], unterschiedliche Herausgeber, Čita et al., seit 1905. Zeitschrift für Bauwesen. Hgg. u. a. vom Preußischen Finanzministerium, Berlin, 1851–1931. Zentralblatt der Bauverwaltung. Hgg. u. a. vom Preußischen Finanzministerium, Berlin, 1881–1931. Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen. Hgg. u. a. vom Preußi­schen Finanzministerium, Berlin, ab 1931.

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1.2 Primärquellen

Primärtexte A Adler, Leo (1928): „Mystectvo i technyka“ [Kunst und Technik], in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 347–350. Albers, Josef (1933): Bauhaus General. Closing of the Bauhaus, (Protokoll). HarvardArchive 20.7.1933: BH 29. 25. Aronson, Boris/Rybak, Issachar (1919): „Di Vegn fun der Yidisher Moleray. (Reyoynes fun kinstler)“ in: Oyfgang. Ershter zamlbukh. Kiew: Kul’turlige, S. 120. Aronson, Boris/Ryback, Issachar (2012): „Wege der jüdischen Malerei“, in: Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren. Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 123–141. Arvatov, Boris (2009): „Toward Proletarian Art“ (1922), in: Dorontchenkov, Ilia (Hrsg.): Russian and Soviet Views of Modern Western Art. 1890s to Mid–1930s. Translated by Charles Rougle. Berkeley et al.: University of California Press 2009, S. 205–206. Arvatov, Boris (1979/1922): „,Vešč’‘ (Rezension). 1922“, in: Gaßner, Hubertus/Gillen, Eckhart (Hrsg.): Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus. Dokumente und Kommentare. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934. Köln: DuMont 1979, S. 129–130 [das russische Original erschien erstmals 1922 mit dem Titel „Vešč’ (Gegenstand)“ in: Pečat’ i revoljucija, Nr. 3–5 (1922), S. 341–342]. Aseev, Nikolaj (Hrsg.) (1923): LET. Aviostichi [Flug. Luftfahrtgedichte]. Moskva: Krasnaja Nov’ 1923. Aseev, Nikolaj/Arvatov, Boris/Brik, Osip/Kušner, Boris/Majakovskij, Vladimir/ Tretjakov [Tret’jakov], Sergej/Čužak, Nikolaj (2005/1923): „Wofür kämpft ,Lef ‘?“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 296–298 [das russische Original erschien erstmals 1923 mit dem Titel „Programma. Za čto boretsja Lef?“ in LEF, Nr. 1(1923), S. 3–7]. B Barbusse, Henri (1930): Russie. Paris: Ernest Flammarion 1930. Barbusse, Henri (1935): Stalin. Eine Neue Welt. Paris: Editions du Carrefour 1935. Baršč, M. O./Ginzburg, M. [Moisej] (1930): „Zelenyj gorod“ [Die grüne Stadt], in: Sovre­mennaja architektura, Nr. 1–2 (1930), S. 20–37. Bažan, Mykola/Semenko, Michajl’/Škurupij, Geo (1927): Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och [Treffen an der Kreuzungsstation. Dreiergespräch]. Kyjiv: Bumeranh 1927. Becher, Johannes R. (1931): „die kriegsgefahr und die aufgaben der revolutionären schriftsteller“, in: Literatur der Weltrevolution, Nr. 5 (1931), S. 34–55. Becher, Johannes R. (1929): „Ljudyna prokynulas’“ [Eines Menschen Erwachen], über­ setzt von E. Berman und Vasylij Soncvit [Valerijan Poliščuk], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 52–56 (ukrainisch).

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Burljuk, David (1996/1930): „Frahmenty zi spohadiv futurysta (Za 40 rokiv, 1890– 1930)“ [Fragmente der Erinnerungen eines Futuristen (Zum 40-Jahr-Jubiläum, 1890–1930)], in: Horbačov, Dmytro (Hrsg.): Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv. Ukrainian avant-garde art. Kyjiv: Mystectvo, unpag. [das russische Original ist unter dem Titel „Fragmenty iz vospominanij futurista“ in der Staatlichen Bibliothek Sankt Petersburg, Abteilung Handschriften, F. 552, Nr. 1, greifbar]. Burljuk, David/Kručenych, Aleksandr/Majakovskij, Vladimir/Chlebnikov, Viktor [sic] (1912): „Poščečina obščestvennomu vkusu“ [Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack], in: Kuz’min, Leonid et al.: Poščečina obščestvennomu vkusu. Moskva: G. Kuz’min, S. 3–4 [eine deutschsprachige Version bieten Asholt/Fähnders: Burljuk, David/Kručenych, Aleksandr/Majakovskij, Vladimir/Chlebnikov, Velimir (2005): „Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909– 1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 28]. Buz’ko, Dmytro/Škurupij, Geo (1927): „Starym Dniprom v ostannij raz“ [Über den alten Dnipro zum letzten Mal], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1927), S. 21–36. C Cassou, Jean (1928): „Georges Braque“, in: Cahiers d’Art, 3. JG, Nr. 1 (1928), S. 5–8. Central’nyj komitet SIM’u (1928/1925): „Manifest sojuzu ukrajins’kych proletars’kych i seljans’kych pys’mennykiv v RSFRR ,selo i misto‘ – ,SIM‘“ [Manifest der Union der ukrainischen proletarischen und bäuerlichen Schriftsteller in der RSFRR „Dorf und Stadt“ – „SIM“], in: Instytut Tarasa Ševčenka–kabinet radjans’koji literatury (Hrsg.): Šljachy rozvytku ukrajins’koji proletars’koji literatury. Literaturna dyskusija (1925–1928) [Entwicklungswege der ukrainischen proletarischen Literatur. Die Literarische Diskussion (1925–1928)]. Charkiv: Vydavnyctvo VURPS „Ukrajins’kyj robitnyk“ 1928, S. 295–302 [das Original erschien erstmals 1925 in: Neo-Lif, Nr. 1 (1925), S. 1–8]. Charkivs’kyj okružnyj vykonavčyj komitet et al. (Hrsg.) (1930): Prohrama mižna­ rodn’oho konkursu na projekt pam’jatnyka T. H. Ševčenkovi u m. Charkovi/Programm des internationalen Konkurses auf das Projekt eines Schewtschenko Denkmals in Charkiw. Charkiv: Proletaryj 1930 (ukrainisch, russisch, deutsch, französisch). Chlebnikov, Velimir (1968/1930-31): „Poluželeznaja izba“ [Halbeisenhütte], in: Tschižewskij, Dmitrij (Hrsg.): V. V. Chlebnikov. Sobranie Sočinenij II. V. V. Chlebnikov. Gesammelte Werke II. Nachdruck der Bände 3 und 4 der Ausgabe Moskau 1928–1933. Hgg. von Jurij Tynjanov. (= Slavische Propyläen. Texte in Neu- und Nach­drucken, Band 37, II), München: Wilhelm Fink 1968, S. 47–52 (russisch) [die Originalausgaben erschienen erstmals 1930 (Band 4) resp. 1931 (Band 3) in Leningrad: Izdatel’stvo pisatelej v Leningrade]. Chlebnikov, Velimir et al. (1916): Truba marsian [Die Trompete der Marsianer] (Plakat). Moskva 1916. Cholostenko, Mykola (1928): „Mis-van-der-Rohe“ [Mies van der Rohe], in: Nova Gene­ racija, Nr. 10 (1928), S. 263–266. Croxley, Hubert (1928): „Hans Arp“, in: Cahiers d’Art, 3. JG, Nr. 5–6 (1928), S. 229–230. Č Černov, Leonid: „Cyvilizacija“ [Zivilisation], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1927), S. 26–34

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Červonyj, S. (1928): „Nevdali turysty“ [Erfolglose Touristen], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. 137–140. Čužak, Nikolaj (Hrsg.) (1929): Pervyj sbornik materialov rabotnikov LEFa [Erste Sam­ mlung von Materialien der LEF-Arbeiter]. Moskva: Federacija 1929. Čužak, Nikolaj (1928): „Teatr Igorja Terent’eva“ [Das Theater von Igor’ Terent’ev], in: Novyj LEF, Nr. 4 (1928), S. 26. Čužyj, Andrij (1928): „Vedmid’ poljuje za soncem“ [Ein Bär jagt nach der Sonne], in: Nova Generacija, Nr. 7 (1928), S. 23–27. D Dmitriew, Alexander (1926): „Zeitgenössische Bestrebungen in der russischen Bau­ kunst“, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst. Hgg. von Werner Hegemann, JG 1926, Nr. 8 (1926), S. 331–339. Doesburg, Theo van [Küpper, Christian Emil Marie] (1926): „Das Ende der Kunst“, in: Der Stil, JG VII, Nr. 9 (1926), S. 135 – zit. nach dem Typoskript 1958.140.1, 1122, Harvard Archiv. Doesburg, Theo van/Lissitzky, El/Richter, Hans et al. (1928): „Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft“, in: De Stijl, 5. JG, Nr. 8 (1928), S. 113–115. Doesburg, Theo van (1926): „The End of Art“, in: De Stijl, VII JG, 1926 – zit. nach dem Typoskript 1958.140.1, 1122, Harvard Archiv. Dolengo, M. (1928): „Notatky pro našu liryku“ [Anmerkungen zu unserer Lyrik], in: Krytyka, Nr. 9 (1928), S. 22–35. Dovženko, Oleksandr (1930): „Zemlja“ [Die E­­­rde], in: Avangard. Al’manach prole­tars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr. a (1930), S. 16–22. E Einstein, Carl (1926): Die Kunst des 20. Jahrhunderts. Berlin: Propylaen-Verlag 1926. Eisenstein, Sergej [Ėjzenštejn, Sergej] (1931): „Die Kinematographie der Begriffe“. Aus dem Russischen von Erwin Honig, in: Der Querschnitt, 11. JG, Nr. 1 (Ende Januar 1931), S. 19–21. Ejnštejn, Karl [Einstein, Carl] (1927): „Nimec’ka dumka pro sučasne maljarstvo SRSR“ [Deutsche Ansichten zur modernen Malerei der UdSSR], in: Nova Generacija, Nr. 2  (1927), S. 50–51. Ė Ėjchenbaum, Boris (Hrsg.) (1924): Skvoz’ literaturu [Durch die Literatur]. Sbornik statej. Leningrad: Academia 1924. F Flechtheim, Alfred (2010/1937): „Postscript“, in: Schmitt-Föller, Rudolf: Alfred Flecht­ heim. „Nun mal Schluß mit den blauen Picassos!“. Gesammelte Schriften. Bonn: WeidleVerlag 2010, S. 106–125 [das Original erschien erstmals 1937 in Laver, James: French Painting in the Nineteenth Century. London: Batsford 1937, S. 101–114].

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G Gabo, Naum/Pevzner, Anton (1920): Realističeskij manifest [Realistisches Manifest] (Plakat). Moskva 1920. Gan, Aleksej (2005/1922): „Der Konstruktivismus“, in: Groys, Boris/Hansen-Löve, Aage (Hrsg.): Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S. 277–365 [die russische Originalausgabe erschien erstmals 1922 mit dem Titel „Konstruktivizm“. Tver’: Tverskoe izdatel’stvo 1922]. Gan, Aleksej (1927): „Spravka o Kazimire Maleviča“ [Auskunft über Kazimir Malevič], in: Sovremennaja architektura, Nr. 3 (1927), S. 104–106 Ginzburg, M. [Moisej] (1926): „Nacional’naja architektura narodov SSSR“ [Die nationale Architektur der UdSSR], in: Sovremennaja architektura, Nr. 5/6 (1926), S. 113–114. Gorlov, Nikolaj (1924): Futurizm i revoljucija. Poėzija futuristov [Futurismus und Revo­ lution. Die Poesie der Futuristen]. Moskva: Gosudarstvennoe izdatel’stvo 1924. Grohmann, Willi (1928): „Paul Klee“, in: Cahiers d’Art, 3. JG, Nr. 7 (1928), S. 295–302. Grohmann, Willy [Grohmann, Willi] (1929): „Pol’ Klee“ [Paul Klee], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1929), S. 75–76. Gropius, Walter (2006/1919): „Manifest und Programm des Staatlichen Bauhauses, April 1919“, in: Droste, Magdalena: Bauhaus 1919–1933. Hong Kong et al. Taschen  2006, S. 18–19 [das Original erschien 1919 in Form eines vierseitigen Prospektes]. Gropius, Walter (1927): „nové cesty výtvarné práce. neue wege der gestaltungsarbeit. les voies nouvelles du travail plastique“, in: Halas, František/Prusa, Vladimír/ Rossmann, Zdeněk/Václavek, Bedřich (Hrsg.): fronta. mezinárodní sborník soudobé aktivity. internationaler almanach der aktivität der gegenwart. recueil international de l’activité contemporaine. Brno: edition fronta 1927, S. 140–143. Gropius, Walter (1927/1925): „Vorwort“, in: Gropius, Walter (Hrsg.): Internationale Architektur. Zweite veränderte Auflage. (= Bauhausbücher Band 1), München: Albert Langen 1927, S. 5–8 [die Erstausgabe erschien 1925]. Grosz, George (1983/1955): An Autobiography. Translated by Nora Hodges. New York: Macmillan Publishing Company 1983 [Die deutsche Originalausgabe erschien 1955 mit dem Titel „Ein kleines Ja und ein großes Nein“. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt]. Groxley, Hubert [Croxley, Hubert] (1928): „Hans Arp“, in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 350–351. H H [Haas, Willy] (1928): „,Schwejk‘ auf der Piscator-Bühne“, in: Die Literarische Welt, 4. JG, Nr. 5, Freitag (3. Februar 1928), S. 7. Halas, František/Prusa, Vladimír/Rossmann, Zdeněk/Václavek, Bedřich (1927): Fronta: mezinárodní sborník soudobé aktivity [Fronta. Internationale Anthologie der aktuellen Aktivitäten]. Brno: Verlag Brünn 1927. Han, Oleksij [Gan, Aleksej] (1928): „Spravka pro Kazimira Malevyča“ [Auskunft über Kazimir Malevič], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. 124–127 [das russische Original erschien 1927 mit dem Titel „Spravka o Kazimire Maleviča“ in: Sovremennaja architektura, Nr. 3 (1927), S. 104–106].

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Horbenko, P. (1928): „Ohljad Vseukrajins’koji chudožn’oji vystavky v 10 rokovyny Žovtnja“ [Übersicht über die Allukrainische Kunstausstellung anlässlich des 10. Jahrestages der Revolution], in: Červonyj Šljach, Nr. 3 (1928), S. 115–127. Hurwicz, Elias (1927): „Der ukrainische Separatismus“, in: Die Weltbühne, 23. JG, Nr. 43 (1927), Reprint: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918– 1933. Zweites Halbjahr 1927, S. 626–629. I Ilyin, M. (1965/1931): „Städtebauliches aus Rußland“, in: Conrads, Ulrich (Hrsg.): El Lissitzky. 1929. Rußland: Architektur für eine Weltrevolution. Berlin et al.: Ullstein 1965, S. 159–163 [das Original erschien erstmals 1931 in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Nr. 5 (1931), S. 237–240]. Ingulow, Sergej (1928): Die Presse in Sowjetrussland. Ihre Lage und Arbeitsverhältnisse. Pressa Köln 1928. Moskau: Mospoligraf 1928. Istrati, Panaït (1930): Drei Bücher über Sowjet-Rußland. Band I: Auf falscher Bahn. 16 Monate in Rußland. Aus dem Französischen von Karl Stransky. München: Piper 1930. Istrati, Panaït (1930): Drei Bücher über Sowjet-Rußland. Band II: So geht es nicht! Die Sowjets von heute. München: Piper 1930. J Jakobson, Roman (1972/1921): „Die neueste russische Poesie. Erster Entwurf. Velimir Chlebnikov“, in: Stempel, Wolf-Dieter (Hrsg.): Texte der russischen Formalisten, Band  II. Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache. München: Fink 1972, S. 19–135. [das russische Original erschien erstmals 1921 mit dem Titel Novejšaja russkaja poėzija. Nabrosok pervyj: podstupy k Chlebnikovu. Praga: Politika 1921]. Jakubs’kyj, Borys (2010/1928): „Mychajl’ Semenko“, in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 471–513 [Das Original erschien erstmals 1928: Jakubs’kyj, Borys: Siluety sučasnych ukra­ jins’kych pis’mennykiv. Kyjiv: Kul’tura 1928]. Jaryna, V./Poliščuk, Valerijan (1928): „Lyst do tov. Skrypnyka“ [Brief an den Genossen Skrypnyk], in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 19–21. Johansen, Majk (2012): „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“, in: Dmit­ rieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren, Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 270–275 Johansen, Majk (1922): „Konstruktyvyzm, jako mystectvo perechodovoji doby“, in: Šljachy mystectva, Nr. 2 (1922). Johansen, Majk (2016/1930): Podorož učenoho doktora Leonardo i joho majbutn’oji kochanky prekrasnoji Al’česty u Slobožans’ku Švajcariju [Die Reise des Gelehrten Dok­tor Leonardo und seiner zukünftigen Geliebten, der schönen Al’česta, in die Slobodsker Schweiz]. Elektronna biblioteka ukrajins’koji literatury KIUS, http://sites.utoronto. ca/elul/Iohansen/Podorozh-shvaitsaria.pdf (zuletzt abgerufen am 26.3.2017) [das Original erschien 1930: Johansen, Majk: Podorož učenoho doktora Leonardo i joho majbutn’nji kochanky prekrasnoji Al’česty u Slobožans’ku Švajcariju. Charkiv: Proletaryj 1930]. Johansen, Majk (2009): Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Rostislav Mel’nyk. Kyjiv: Smoloskyp 2009.

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K Kassu, Žan [Cassou, Jean] (1928): „Žorž Brak“ [Georges Braque], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1928), S. 298–300. Kemeny, Alfred/Moholy-Nagy, László (1922): „Dynamisch-konstruktives Kraftsystem“, in: Der Sturm, 13. JG, Nr. 12 (Dez. 1922), S. 186 (deutsch) [wieder­abgedruckt z. B. in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 287] Kisch, Egon Erwin (1928): „Die ,Knebelung‘ des russischen Schrifttums“, in: Der Schriftsteller, Nr. 15 (1928), S. 1. Kleber, Kurt [Kläber, Kurt] (1929): „Do redakciji žurnalu ,avanhard‘ i hazety ,doba konstrukciji‘“ [An die Redaktion der Zeitschrift „Avanhard“ und der Gazette „Doba Konstrukciji“]. Berlin, 25.X.1928, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo, Nr. 1 (1929), S. 78. Korjak, V. (1928): „Literaturna dyskusija“ [Die Literarische Diskussion], in: Instytut Tarasa Ševčenka–kabinet radjans’koji literatury (Hrsg.): Šljachy rozvytku ukrajins’koji proletars’koji literatury. Literaturna dyskusija (1925–1928) [Wege der Entwicklung der Proletarischen Literatur. Literarische Diskussion], Vydavnyctvo VURPS „Ukrajins’kyj robitnyk“ 1928, S. 7–30. Kosjatschni, P. (1930): „Werthoffs Film ,Enthusiasmus‘, in: Das Neue Frankfurt, V. JG, Nr. 2 (1930), S. 40. Kovalevs’kyj, V. (1930): „Rytmovi šukannja sučasnoji ukrajins’koji poeziji“ [Rhythmische Suche in der zeitgenössischen ukrainischen Poesie], in: Nova Gene­ racija, Nr. 1 (1930), S. 26–31. Kručenych, Aleksej (1913): „Dyr bul ščyl“, in: Ders.: Pomada [Pomade]. Moskva: [ohne Verlagsangabe] 1913, unpag. Kuschner, Boris [Kušner, Boris] (2011/1925): „Phonetik des Theaters. Einleitung“, übersetzt von Valeri Scherstjanoi, in: Krutschonych, Alexej: Phonetik des Theaters. Hgg. von Valeri Scherstjanoi. Reinecke & Voß 2011, S. 13–15 [das Original er­schien 1925 mit dem Titel „Vstup“ in Kručenych, Aleksej: Fonetika Teatra, Moskva: Glavlit 1925, S. 3–6]. Kvitko, Lejb (1923): 1919. Berlin: Yiddischer literarischer ferlag 1923 (jiddisch). L LCK (2015/1925): „Gosplan literatury“ [Staatsplan der Literatur], in: Zelinskij, Aleksandr (Hrsg.): Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl. Kniga o konstruktivizme [Kornelij Zelinskij. Poesie als Sinn. Das Buch über den Konstruktivismus]. Moskva: Ogi 2015, S. 47–81 [das Original erschien 1925: LCK: Gosplan literatury. Moskva: Krug 1925]. Le Corbusier [Jeanneret-Gris, Charles-Édouard] (1926): Kommende Baukunst. Über­setzt und herausgegeben von Hans Hildebrandt. Stuttgart et al.: Deutsche Verlags­anstalt 1926 [das französische Original erschien 1923 mit dem Titel Vers une architecture. Paris: Crés 1923]. Lenin, Vladimir I. [Ul’janov] (1968/1905): „Partijnaja organizacija i partijnaja litera­ tura“ [Parteiorganisation und Parteiliteratur], in: Polnoe sobranie sočinenij. Tom 12. Oktjabr’ 1905-aprel’ 1906 [Die vollständigen gesammelten Werke. Band 12. Oktober 1905 bis April 1906]. Moskva: Izdatel’stvo političeskoj literatury 1968, S. 99–105, hier S. 104 [das Original erschien 1905 in Novaja žizn’, Nr. 12 (1905)].

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Lissitzki, El/Ehrenburg, Ilja (1922): „Die Blockade Russlands geht ihrem Ende entgegen“, in: Vešč’ – Objet – Gegenstand. Internationale Rundschau der Kunst der Gegenwart, Nr. 1–2 (1922), S. 1–4. Lissitzki, El/Ehrenburg, Ilja (1922): „Die Zeitschrift stellt sich die Aufgabe ....“, in: Vešč’ – Objet – Gegenstand. Internationale Rundschau der Kunst der Gegenwart, Nr. 1–2 (1922), S. U2. Lissitzky, El (1929): „Fotopis’“ [Das Fotogramm], in: Sovetskoe foto, Nr. 10 (Mai 1929), S. 311. Lissitzky, El (1965/1925): „K.[unst] und Pangeometrie“, in: Conrads, Ulrich (Hrsg.): El Lissitzky. 1929. Rußland: Architektur für eine Weltrevolution. Berlin et al.: Ullstein 1965, S. 122–129 [das Original erschien erstmals 1925 in: Europa Almanach. Malerei, Literatur, Musik, Architektur, Plastik, Bühne, Film, Mode, außerdem nicht un­ wichtige Nebenbemerkungen. Hgg. von C. Einstein, P. Westheim. Potsdam: Gustav Kiepenheuer Verlag 1925, S. 103–113]. Lissitzky, El (1930): Rußland. Die Rekonstruktion der Architektur in der Sowjetunion. (= Neues Bauen in der Welt, Band 1), Wien: Verlag von Anton Schroll & Co 1930 [wiederabgedruckt in Conrads, Ulrich (Hrsg.): El Lissitzky. 1929. Rußland: Architektur für eine Weltrevolution. Berlin et al.: Ullstein 1965]. Lorbeer, Hans (1929): „Spivoča ptašečka“ [Singvögelchen], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 10–13. Lorbeer, Hans (1929): „Vijs’kovopoloneni“ [Kriegsgefangener], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 37–40. M Majakovs’kyj, Volodymyr [Majakovskij, Vladimir] (1930): „Masam ne zrozumilo“ [Den Massen ist es unverständlich], in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 3. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir] (1930): „Architektura, stankove maljarstvo ta skul’ptura“ [Architektur, Staffeleimalerei und Skulptur], in: Avanhard: Al’manach mytciv Novoji Generaciji, Nr. v (1930), S. 91–93. Malewitsch, Kasimir [Malevič, Kazimir] (1927): Die gegenstandslose Welt. Aus dem Russischen von A. von Riesen. (= Bauhausbücher Band 11), München: Albert Langen 1927. Malewitsch, Kasimir [Malevič, Kazimir] (1962): Die gegenstandslose Welt. Hgg. von Werner Haftmann. Köln: DuMont Schauberg 1962. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir] (1929): „Konstruktyvne maljarstvo rosijis’kych maljariv i Konstruktyvizm“ [Die konstruktive Malerei der russischen Maler und der Konstruktivismus], in: Nova Generacija, Nr. 8 (1929), S. 47–54. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir] (1929): „Kubo-futuryzm“ [Der Kubofuturismus], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1929), S. 58–67. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir] (1929): „Leže, Gri, Herbin, Metcinger“ [Léger, Gris, Herbin, Metzinger], in: Nova Generacija, Nr. 5 (1929), S. 57–67. Maljevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir] (1928): „Maljarstvo v problemi architektury“ [Die Malerei im Problem der Architektur], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. 116– 124. Malevyč, Kazimir (1928) [Malevič, Kazimir]: „Nove mystectvo j mystectvo obrazo­tvorče“ [Die neue Kunst und die bildende Kunst], in: Nova Generacija, Nr. 12  (1928), S. 411–418.

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Malevyč, Kazimir (1929) [Malevič, Kazimir]: „Prostorovyj Kubizm“ [Räumlicher Kubismus], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 63–67. Malevyč, Kazimir [Malevič, Kazimir] (1929): „Rosijis’ki Konstruktyvisty i Konstrukty­ vizm“ [Russische Konstruktivisten und Russischer Konstruktivismus], in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 53–61. Marinetti, Filippo Tommaso (2005/1909): „Gründung und Manifest des Futurismus“. Übersetzt von Christa Baumgarth, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/ Weimar: Metzler 2005, S. 3–7 [das Original erschien 1909 mit dem Titel „Manifeste de Futurisme“, in: Le Figaro, 20.2.1909, U1]. Marinetti, Filippo Tommaso et al. (1929): „Manifesto della aeropittura futurista“, in: Gazzetta del popolo, (22.9.1929), S. 43–45. Matjušyn, Michajl’ [Matjušin, Michail] (1928): „Sproba novoho vidčuttja prostorony“ [Versuch einer neuen Raumwahrnehmung], in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 311–322 [für eine deutsche Übersetzung vgl. Matjušin, Michail: „Versuch einer neuen Raumwahrnehmung“, in: Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren, Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 165–179]. Medunezki, K. [Meduneckij, Konstantin]/Stenberg, W. [Vladimir]/Stenberg, Georgij (2005/1921): „Die Konstruktivisten rufen die Welt“, in: Asholt, Wolfgang/Fähn­ ders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (19091938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 228 [das russische Original erschien erstmals 1921 im Ausstellungskatalog „Konstruktivisty“. Moskva 1921]. Mehring, Walter (1927): „Zrazky čužozemnoji livoji praktyky. Oksamytnymy ruka­ vycjamy. Kuplet u prozi. Per. z. nim. L. Piontek“ [Proben ausländischer linker Praktiken. Samthandschuhe. Der Vers in der Prosa. Aus dem Deut. von L. Piontek], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1927), S. 46–47 [das deutsche Original erschien erstmals 1919 mit dem Titel „Mit Samthandschuhen. Verehrungsvoll dem Rat der Kopfarbeiter“, in: Der Einzige, 1. JG, Nr. 1 (9.2.1919), S. 11]. Meter, Es (1928): „Zamečatel’nye zametki nezametnogo“ [Bemerkenswerte Anmerkungen zum Unbemerkten], in: Poliščuk, Valerijan et al. (Hrsg.): Radius avangardovcev. Charkiv: Charkivs’ka škola drukars’koho dila 1928, S. 3–13 (russisch). Michal’s’kyj, Jevhen: „Kolyskova“ [Schlummerlied], übersetzt von Vasyl’ Mysyk, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 59. Mihhalski, Evhen [Michal’s’kyj, Jevhen]: „Lulkanto“ [Schlummerlied], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 59 (Esperanto). Miljutin, Nikolaj (1930): Sozgorod. Probleme des Planens sozialistischer Städte. Grund­ legende Prinzipien bei der Planung und beim Bau von Siedlungen in der UdSSR. Moskau/ Leningrad: Staatlicher Verlag 1930 (russisch/deutsch). Moholi Nagi, Vladislav [Moholy-Nagy, László] (1929): „Fotohrafija je svitlove oform­ lennja“ [Fotografie ist Lichtgestaltung], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 46–51. Moholy-Nagy, László (1928): „fotografie ist lichtgestaltung“, in: bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung, 2. JG, Nr. 1 (1928), S. 2–9.

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Moholy-Nagy, László (1990/1926): „Fotoplastische Reklame/Fotogramm/Das Foto­ gramm in der Werbegestaltung“, in: Neusüss, Floris M. (Hrsg.): Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die andere Seite der Bilder – Fotografie ohne Kamera. Köln: DuMont Buchverlag 1990, S. 122–124 [das Original erschien 1926 in der Zeitschrift Offset-, Buch- und Werbekunst, Nr. 7 (1926), S. unbekannt]. Moholy-Nagy, László (1927/1925): malerei. fotografie. film. 2. Auflage. (= Bauhausbücher Band 8), München: Albert Langen 1927 [die Erstausgabe erschien 1925]. Mondrian, Piet (2005/1923): „Muß Malerei der Architektur gegenüber als minder­ wertig gelten?“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 308 [das holländische Original erschien 1925 mit dem Titel „Moet de schilderkunst minderwaardig zijn aan de bouwkunst?“ in: De Stijl, Nr. 5 (1923), S. 62–64]. Morus [Lewinsohn, Richard] (1930): „Das Loch im Osten“, in: Die Weltbühne, 26. JG, Nr. 23 (1930), S. 848–850. Mychajlovyč, S. (1930): „dynamizm sučasnoji archytektury“ [Dynamik der zeitgenös­ sischen Architektur], in: Nova Generacija, Nr. 11–12 (1930), S. 51–57. N Nedolja, Leonid et al. (1924): „Vsem organizacijam Jugolefa“ [Allen Organisationen der Jugolef ], in: Jugo-LEF, Nr. 2 (1924), S. 1–2 (russisch). Neznamov, Petr [Ležankin, Petr] (1939): Iz vozpominanij o Majakovskom [Aus den Erinnerungen an Majakovskij], (Typoskript, 1939), RGALI, f. 618, Ed. chr. 249, Op. Nr. 2, S. 8 (russisch). Neznamov, Petr [Ležankin, Petr] (1928): „Na fronti fakta“ [An der Front des Faktums], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 254–257. O OSAU (1928): „Deklaracija OSAU“ [Deklaration der OSAU], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 270–272. [O. V.] (1922): „Smoloskyp“ (Anzeige), in: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922), S. 4. [O. V.] (1931): „,Geo Škurupij‘ – ,Dveri v den’‘“. Perevod s ukrainskogo pod redakc. B. Elizavetskogo. GIZ. M. L. 1930. Recenzija, mašinopis’. [„200 tysjač ėkz. plochoj knižki“ – „Gus razrešil, buržuaznoe izdatel’stvo napečatalo“]) [„,Geo Škurupij‘ – ,Türen in den Tag‘“. Übersetzung aus dem Ukrainischen, redigiert von B. Elizavetskij. GIZ. M. L. 1930. Rezension. Typoskript. („Zweihunderttausend Exemplare schlechter Literatur“ – Gus erlaubte es, ein burgeoiser Verlag hat es gedruckt]. (Typoskript zu [O. V.]: „,Geo Škurupij‘ – ,Dveri v den’‘“, in: „Na litera­ turnom postu“, Kn. 3 (1931), S. 24–26). Archivbestand: RGALI, f. 1698 op. 1 ed. chr. 789. P Palasovsky, Edmund (1927): „Panalua der Briefe“, in: Der Sturm, 18. JG, Nr. 12 (Dezember 1927), S. 124–126.

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Pan’kiv, Mychajlo/Poliščuk, Valerijan/Černov, Leonid (1929): „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ [Künstlerischer Salat. Einige Worte über die Gastro­ nomen], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 71– 78. Pertsov, Viktor [Percov, Viktor] (2009/1926): „Foreword to the Russian translation of George Grosz and Wieland Herzfelde’s Art Is in Danger: Three Essays (1926)“, in: Dorontchenkov, Ilia (Hrsg.): Russian and Soviet Views of Modern Western Art. 1890s to Mid­–1930s. Translated by Charles Rougle. Berkeley et al.: University of California Press 2009, S. 254–255 [das russische Original erschien 1926]. Petryc’kyj, Anatol’ (1930): „Oformlennja sceny sučasnoho teatru“ [Bühnenbildent­würfe am zeitgenössischen Theater], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1930), S. 40–42. Petryc’kyj, Anatol’ (1929): „Sprava pro trup: v.) Spohady pro M. V. Semenka“ [Akte über die Leiche. v.) Erinnerungen an M. V. Semenko], in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 31–33. Pol, Heinz (1930): „Der Film ,Die Erde‘“, in: Die Weltbühne, 26. JG, Nr. 2 (1930), S. 143– 144. Polischtschuk, Walerijan [Poliščuk, Valerijan] (1929): „Aeronautik“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 28. Poliščuk, Valerijan (1929): „Aeronavihacija“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 26. Polischtschuk, Walerjan [Poliščuk, Valerijan] et al. (1929): „Aufruf der Avangarde“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 60–62. Poliščuk, Valerijan (1929): „Brief an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929“, (Korrespondenz), RGALI, f. 1604, op. 1, ed. chr. 970. Poliščuk, Valerian [Poliščuk, Valerijan] et al. (1928): „Čto i kak i počemu“ [Was und wie und warum], in: Poliščuk, Valerian et al. (Hrsg.): Radius avangardovcev. Char’kov: Charkivs’ka škola drukars’koho dila 1928, S. 26–28 (russisch). Poliščuk, Valerian et al. (1928): „Iz Proklamacii ,Avanharda‘“ [Aus der Proklamation der „Avanhard“], in: Radius avangardovcev. Char’kov: Charkivs’ka škola drukars’koho dila 1928, S. 29–32 (russisch). Poliščuk, Valerijan: „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“ [Kaleidoskop (Skizzen, Aphorismen, Briefe)], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 110–121. Polishchuk, Valerian [Poliščuk, Valerijan] (1929): „La Ekfloro de l’Ukraina literaturo“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 171–174 (Esperanto). Poliščuk, Valerijan (1926): Literaturnyj avanhard. Perspektyvy rozvytku ukrajins’koji kul’tury, polemyka i teorija poeziji [Die literarische Avantgarde. Perspektiven der Entwicklung der ukrainischen Kultur, Polemik und Theorie der Lyrik]. Charkiv: Vydannja avtora [Eigenverlag] 1926. Poliščuk, Valerijan et al. (1928): „Proklamacija avanhardu“ [Proklamation der Avanhard], in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 1–6. Poliščuk, Valerijan (1927): Pul’s epochy. Literaturni nazadnyky čy konstruktyvnyj dynamiszm [Der Puls der Epoche. Literarische Ewiggestrige oder der Konstruktive Dynamis­ mus]. Charkiv: Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny 1927. Poliščuk, Valerijan (1930): Roden i Roza [Rodin und die Rose]. Charkiv: Knyhospilka 1930.

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Poliščuk, Valerijan (1925): Rozkol Evropy [Die Spaltung Europas]. Kyjiv [ohne Verlags­ angabe] 1925. Poliščuk, Valerijan (1929): „Rozkvit ukrajins’koji literatury“ [Die Blüte der ukra­ inischen Literatur], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 62–66. Poliščuk, Valerijan (2012/1929): „Spiralismus“, in: Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwi­schen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren, Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 262–264. Poliščuk, Valerijan et al. (1929): „Spiralizm – Spiralismus“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 82. Poliščuk, Valer”jan [Poliščuk, Valerijan]: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Olesja Omel’čuk. Kyjiv: Smoloskyp 2014. Poliščuk, Valerijan/Jermilov, Vasyl’/Capok, Heorhij/Levada, O. [Oleksandr] (1926): „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“ [Aufruf der Künstlervereinigung „Avanhard“], in: Poliščuk, Valerijan (Hrsg.): Nazadnyctvo Hartu ta zaklyk hrupy mytciv Avanhard. Charkiw: Perša drukarnja Deržavnoho Vydavnyctva Ukrajiny im. Petrovs’koho 1926, S. 21–23. Poltorac’kyj, Oleksij (1927): „Kriz’ formal’nu metodu“ [Durch die formale Methode], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1927), S. 38–44. Poltorac’kyj, Oleksandr [Oleksij] (1929): „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mys­ tectvo jak proces“ [Panfuturismus. I. Generelle Bemerkungen. II. Kunst als Prozess], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), S. 40–50. Poltorac’kyj, Oleksandr [Oleksij] (1929): „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“ [Pan­ futurismus III. Die Rolle der Kunst], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1929), S. 42–50. Poltorac’kyj, Oleksandr [Oleksij] (1929): „Panfuturyzm. IV. Ideolohija ta faktura mys­ tec’koho tvoru“ [Panfuturismus IV. Ideologie und Faktura des Kunstwerks], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 50–55. Poltorac’kyj, Oleksij (1930): „Proty nedobytkiv formalizmu“ [Gegen die Überreste des Formalismus], in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 49–52. Popow, Nikolai (1927): „Die Sowjetukraine“, in: Das Neue Russland, 4. JG, Doppelheft 9–10 (1927), S. 83–84. Prampolyny, Enriko [Prampolini, Enrico] (1928): „Do redakciji žurnalu ,Nova Gene­ racija‘“ [An die Redaktion der Zeitschrift „Nova Generacija“], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. 158. Prampolini, Enrico (1927): „Futurismo contra demagogismo reazionario“, in: Marinetti, Filippo Tommaso et al. (Hrsg.): L’arte fascista – Elementi per una battaglia artistica. Torino: Edizioni Sindicati Artistici 1927, S. 82–85. Prampolini, Enrico (1924): „Il teatro della rivolta. (Le esperienze futuriste di A. Tairoff )“ [Das Theater der Revolte. (Die futuristischen Abenteuer von A. Tairov], in: L’Impero, a. II, Nr. 76 (1924), S. 3. Prampolini, Enrico (1928): „Rédaction ,Nova Génération‘“, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1928), S. l58.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

R Romov, Sergei [Romov, Sergej; eig. Roffman, Solomon] (2009/1929): „Contemporary French Painting“, in: Dorontchenkov, Ilia (Hrsg.): Russian and Soviet Views of Modern Western Art. 1890s to Mid–1930s. Translated by Charles Rougle. Berkeley et al.: University of California Press 2009, S. 286–288 [das russische Original erschien 1929 in Iskusstvo v massy, Nr. 7–8 (1929), Originaltitel unbekannt]. Romov, Sergej [eig. Roffman, Solomon] (1929): „Ot dada k sjurrealizmu“ [Von Dada zum Surrealismus], in: Vestnik innostrannoj literatury, Nr. 3 (1929), S. 178–208. Romov, Serhij [Romov, Sergej; eig. Roffman, Solomon] (1929): „Vid dadajizmu do sjurrealismu“ [Vom Dadaismus zum Surrealismus], in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 33–61. S S., M. [Semenko, Mychajl’?]: „Projekt ,symul’taničnoho‘ teatru“ [Das Projekt des „simultanen“ Theaters], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1930), S. 53–56. Sanovyč, A. (1929): „Knyha faktiv“ [Das Buch der Fakten], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 56–62. Sanovyč, A. (1928): „Livi v Nimeččyni“ [Die Linken in Deutschland], in: Nova Generacija, Nr. 8 (1928), S. 117–119. Schacht, Roland (1923/1924?): Alexander Archipenko. Berlin: Verlag der Sturm 1923 (1924?). Sel’vinskij, Il’ja (1929): „Liričeskij nabrosok“ [Lyrische Skizze], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 105 (russisch). Sel’vinskij, Il’ja (1929): Puštorg [Der Pelzhandel]. Moskva/Leningrad: Gosudarst­vennoe Izdatel’stvo 1929. Semenko, Mychajl’ (1922): „Buduščee pan-futuristov“ [Die Zukunft der Panfutu­risten], in: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922), S. 1 (russisch). Semenko, Miqail’ [Semenko, Mychajl’] (2010/1922): „De-jaki naslidky destrukciji“ [Einige Folgen der Destruktion], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 294–298 [das Original erschien erstmals 1922 in Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (Mai 1922), Kyjiv 1922]. Semenko, Mychajl’ (1914): Derzannja. Poezy [Verwegenheit. Poesien]. Kyjiv 1914. Semenko, Mychajl’ (Hrsg.) (1925): Hol’fštrom. Charkiv: DVU 1925. Semenko, Mychajl’ (1914): „Kvero-Futurizm“ [Kverofuturismus], in: Kverofuturizm, Poesopisni [Kverofuturismus. Poesolieder]. Kyjiv: Kvero 1914, S. 1–3. Semenko, Mychajl’ (2010/1914): „Kvero-Futurizm“, in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 265–267 [das Original erschien erstmals 1914 in: Kverofuturizm, Poesopisni. Kyjiv: Kvero 1914, S. 1–3]. Semenko, Michajl’ (2010/1922): „Pan-Futuryzm (Mystectvo perechodnoji doby)“ [Panfuturismus (Kunst der Übergangsepoche)], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 273–276 [das Original erschien erstmals 1922 in Semafor u majbutn’je].

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Semenko, Mychail (2010): „Poslano do Moskvy 29-IV: Telehramma lyt. A.“ [Geschickt nach Moskau am 29.4.: Telegramm lyt. A], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 367 (russisch). Semenko, Mychajl’ (1922): „POSLANO DO MOSKVY 29-IV: Telehramma lyt. A.“ [Geschickt nach Moskau am 29.4.: Telegramm lyt. A], in: Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (1922), Seite unbekannt (russisch). Semenko, Mychajl’ (2012/1914): „Quero-Futurismus“, in: Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren, Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 253–255 [das ukrainische Original er­schien erstmals 1914 in: Kverofuturizm, Poesopisni. Kyjiv: Kvero 1914, S. 1–3]. Semenko, Mychajl’ (1914): „Sam“ [Selbst], in: Semenko, Mychajl’ (Hrsg.): Kvero, Nr. 1 (1914), S. 1. Semenko, Mychajl’ (2010/1922): „Ščo take destrukcija?“ [Was ist Destruktion], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 291–293 [das russischsprachige Original erschien 1922 in Katafalk iskusstva, Nr. 1 (1922)]. Semenko, Mychajl’ (2010): Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010. Semenko, Mychajl’ (2012/1922): „What Panfuturism wants“, in: Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren, Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 256–257 (englisch) [das englische Original erschien erstmals 1922 in: Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (Mai 1922), Kyjiv 1922]. Severdenko, Aleksandr (2009/1929): „Response to an Impressionist (1929)“: in: Dorontchenkov, Ilia (Hrsg.): Russian and Soviet Views of Modern Western Art. 1890s to Mid–1930s. Translated by Charles Rougle. Berkeley et al.: University of California Press 2009, S. 302–303. Skrypnyk, Mykola (1928): „IV. Narkom Osvity USRR tov. Skrypnyk pro hrupu ,Avanhard‘“ [IV. Kommissar für Bildung der USRR Gen. Skrypnyk über die Gruppe ,Avanhard‘], in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 20. Skrypnyk, Mykola (1928): Do teoriji borot’by dvoch kul’tur [Zur Theorie vom Kampf zweier Kulturen]. Charkiv: Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny 1928. Soncvit, Vasylij [Poliščuk, Valerijan] (1929): „Chudožnyk industrijal’nych rytmiv“ [Maler industrieller Rhythmen], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo, Nr. 3 (1929), S. 145–155. Š Šant, Roljand [Schacht, Roland] (1930/1923): „Oleksander Archypenko. Monohrafija z iljustracjiamy“, übersetzt von M. Dika, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1930), S. 34–39 [das deutschsprachige Original stammt aus Schacht, Roland: Alexander Archipenko. Berlin: Verlag der Sturm 1923 (1924?)].

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Šklovskij, Viktor (1994/1925): „Der parodistische Roman. Sternes ,Tristram Shandy‘“, in: Striedter, Jurij (Hrsg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Fünfte, unveränderte Auflage. (= Uni Taschenbuch 40), München: Wilhelm Fink Verlag 1994, S. 245–299 [das russische Original erschien erstmals 1925 mit dem Titel „Parodijnyj roman. ,Tristram Šendri‘ Strena“ in: O teorii prozy. Moskva: Krug 1925, S. 7–23]. Šklovskij, Viktor (1925): „Literatura vne ,sjužeta‘“ [Literatur außerhalb des Sujets], in: Teorija prozy [Theorie der Prosa] Moskva: Krug 1925. Šklovskij, Viktor (1925): „O Pil’njake“ [Über Pil’njak], in: LEF, Nr. 3 (1925), S. 126–136. Šklovskij, Viktor (1969/1919): „Svjaz’ priemov sjužetosložennija s obščimi priemami stilja“ [Der Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren], in: Striedter, Jurij (Hrsg.): Texte der russischen Forma­ listen. Bd. I, München: Fink 1969, S. 36–121 [das russische Original erschien erstmals 1919 in: Poėtika. Sborniki po teorii poėtičeskogo jazyka, Prag 1919, S. 101–114]. Šklovskij, Viktor (1928): „Viktor Šklovskij an Juri Tynjanow. 27. XI.1928“, in: Mierau, Fritz (Hrsg.): Die Russen in Berlin. Leipzig: Reclam 1990, S. 399–400. Škurupij, Geo (1928): „Alarmsignalo al amikoj – Farsalarmo“ [Alarmsignal an unsere Freunde – Fehlalarm], in: Nova Generacija Nr. 11 (1928), S. 334–225. Škurupij, Geo (2012/1930): „Die neue Kunst in der Entwicklung der ukrainischen Kultur“, in: Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren, Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 104–112 [das Original erschien 1930 mit dem Titel „Nove mystectvo v procesi rozvytku ukrajins’koji kul’tury“, in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr. a (1930), S. 37–42]. Škurupij, Geo (1928): „Na šturm linoščiv i neznajstva“ [Zum Sturm der Trägheiten und der Unwissenheit], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 211–213. Škurupij, Geo (1930): „Nove mystectvo v procesi rozvytku ukrajins’koji kul’tury“ [Die Neue Kunst im Prozess der Entwicklung der ukrainischen Kultur], in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr. a (1930), S. 37–42. Škurupij, Geo (1928): „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“ [Alarmsignal an unsere Freunde – Fehlalarm], in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 327–334. Škurupij, Geo (2010): Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Ol’ha Punina und Oleh Solovej. Kyjiv: Smoloskyp 2013. Šč Ščupak, S[amijlo]: (1931): „Literaturnyj front na Ukraine“ [Die literarische Front in der Ukraine], in: Na literaturnom postu, Nr. 18 (1931), S. 12–16 (russisch). Ščupak, S[amijlo]: (1931): „Literaturnyj front na Ukraine“ [Die literarische Front in der Ukraine] (Typoskript 1931), RGALI, f. 1698, op. 1, ed. chr. 762. T Taut, Bruno (1929): Die neue Baukunst in Europa und Amerika. Stuttgart: Julius Hoffmann Verlag 1929. Taihe, Karol’ [Teige, Karel] (1929): „Do teoriji konstruktyvizmu“ [Zur Theorie des Konstruktivismus]. Z čes’koji M. Kryvynjuk, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 51–56.

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Teige, Karel (1927): „o humoru, clownech a dadaistech. über humor, clowns und dadaisten. humeur, clowns et dadaistes“, in: Halas, František/Prusa, Vladimír/ Rossmann, Zdeněk/Václavek, Bedřich (Hrsg.): fronta. mezinárodní sborník soudobé aktivity. internationaler almanach der aktivität der gegenwart. recueil international de l’activité contemporaine. Brno: edition fronta 1927, S. 98–104. Teige, Karel (2005/1924): „Poetismus“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/ Weimar: Metzler 2005, S. 317–319 [das tschechische Original erschien 1924 in Host (Praha), Nr. 3 (1924), S. 197–204]. Terent’ev, Igor’ (1988/1919): „17 erundovych orudij“ [17 Unsinnswerkzeuge], in: Marzaduri, Marzio/Nikol’skaja, Tat’jana (Hrsg.): Sobranie sočinenij [Gesammelte Werke]. Sostavlenie, podgotovka teksta, biografičeskaja spravka, vstupitel’nye stat’i i kommentarii Marcio Marcaduri i Tat’jany Nikol’skoj. Bologna: San Francesco 1988, S. 179–212 [das Original erschien erstmals 1919: 17 erundovych orudij. Tiflis: 41° 1919]. Terent’ev, Igor’ (1988/1924): „KTO LEF, KTO PRAF. (Stat’ja diskussionnaja)“ [Wer Lef ist, wer Praf ist], in: Marzaduri, Marzio/Nikol’skaja, Tat’jana (Hrsg.): Sobranie sočinenij [Gesammelte Werke]. Sostavlenie, podgotovka teksta, biografičeskaja spravka, vstupitel’nye stat’i i kommentarii Marcio Marcaduri i Tat’jany Nikol’skoj Bologna: San Francesco 1988, S. 286–288 (russisch) [das Original erschien erstmals 1924 in: Krasnyj student, Nr. 1 (1924)]. Terent’jev, Igor [Terent’ev, Igor’] (1929): „Na 1929 rik“ [Auf das Jahr 1929], in: Nova Generacija, Nr. 2 (1929), S. 74–75. Trenin, Vladimir (1928): „Trevožnyj signal druz’jam“ [Alarmsignal an unsere Freunde], in: Novyj LEF, Nr. 8 (1928), S. 30–36. Tret’jakov, Sergej (2005/1923): „Perspektiven des Futurismus“, in: Groys, Boris/ Hansen-Löve, Aage (Hrsg.): Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde. Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S. 267–276 [das russische Original erschien erstmals 1923 mit Titel „Otkuda i kuda. Perspektivy futurizma“ in: LEF, Nr. 1 (1923), S. 192–203]. Trojanker, Raisa (1928): „Iz prošlogo“, in: Radius avangardovcev. Char’kov: Charkivs’ka škola drukars’koho dila im. A. Kahins’koho 1928, S. 16 (russisch). Tryroh, M. [Semenko, Michajl’] (1922): „Čto takoe destrukcija?“ [Was ist Destruk­ tion?], in: Katafalk iskusstva, Nr. 1 (13.XII.1922), S. 2 (russisch). Tucholsky, Kurt (1929): Deutschland, Deutschland über alles. Ein Bilderbuch von Kurt Tucholsky und vielen Fotografen. Montiert von John Heartfield. Berlin: Neuer Deutscher Verlag 1929. Tuchol’s’kyj, Kurt [Tucholsky, Kurt] (1930): „Nimečyna, Nimečyna nad use!“ [Deutschland, Deutschland über alles] , in: Nova Generacija, Nr. 2 (1930), S. 10–17. Tugendchol’d, Jakov (1922): Aleksandra Ekster kak živopisec’ i chudožnik sceny [Alexandra Exster als Malerin und Bühnengestalterin]. Berlin: Zarja 1922. Tugendhold, Jakob [Tugendchol’d, Jakov] (1928): „Die Malerei im letzten Jahrzehnt“, in: Das Neue Russland, 5. JG, Nr. 1 (1928), S. 18–22. Tugendhold, Jakob [Tugendchol’d, Jakov] (1925): „L’Élément National dans l’Art de l’U.R.S.S.“, in: Kogan, P./Nicolsky, Victor/Tugendhold, Jakob (Hrsg.): L’Art décoratif et industriel de l’U.R.S.S. Moscou: Goznak 1925.

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U UNOVIS-Kollektiv der Vitebsker Staatlichen Freien Werkstätten (1979/1920): „Pro­ gramm des einheitlichen Auditoriums Malerei. 1920“, in: Gaßner, Hubertus/Gillen, Eckhart (Hrsg.): Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus. Dokumente und Kommentare. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934. Köln: DuMont Buchverlag 1979, S. 86–88 [das russische Original erschien erstmals 1920 mit dem Titel „Programma edinoj auditorii živopisi kollektiva ,UNOVIS‘“, in: Al’manach UNOVIS, Nr. 1, Vitebsk: Unovis 1920]. V Val’den, H. [Walden, Herwarth) (1928): „Mystectvo v Evropi“ [Die Kunst in Europa], in: Nova Generacija, Nr. 9 (1928), S. 170–173. Veber, Olena [Red. NG]: „Lyst vid družyny Edv. Strichy“, in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 273. Vercman, Izrail’ (1928): „Lystuvannja z redakcijeju: Libo ,N.G.‘ – ukrainskij ,LEF‘. Libo ne ,LEF‘. No čto togda?“ [Briefwechsel mit der Redaktion: Entweder ist die N.G. eine ukrainische ,LEF‘ oder sie ist keine ,LEF‘. Aber was dann?] (Leserbrief ), in: Nova Generacija, Nr. 7 (1928), S. 62 (russisch). Vesnin, A. [Aleksandr]/Ginzburg, M. [Moisej] (1927): „Chronika vuzov/Chronik der Arbeit in Hochschulen USSR : Architekturnaja žizn’ Ukrainy/Die Baukunst in Ukraina“, in: Sovremennaja architektura, Nr. 3 (1927), S. 109 (russisch/deutsch). Vojnilovyč, S. (1930): „Majakovs’kyj“, in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 30–40. Voronskij, Aleksandr (1994/1923): „Über die proletarische Kunst und über die Politik unserer Partei auf dem Gebiet der Kunst“, in: Eimermacher, Karl (Hrsg.): Die sowjetische Literaturpolitik 1917­–1932. Von der Vielfalt zur Bolschewisierung der Literatur. Analyse und Dokumentation. (= Dokumente und Analysen zur russischen und sowjetischen Kultur, Band 1), Bochum: Brockmeyer 1994, S. 282­–304 [das russische Original erschien erstmals 1923 mit dem Titel „O proletarskom iskusstve chudožestvennoj politike našej partii“, in: Krasnaja Nov’, Nr. 7 (1923), S. 257–276]. W Walden, Herwarth (1930): „Charkow“, in: Der Sturm. Sondernummer UdSSR, 20. JG, Nr. 5–6, (1930), S. 65–67. Walden Herwarth (1927): „Der Chef des Dorfes in Podolien“, in: Der Sturm, 18. JG, Nr. 8 (1927), S. 109–110. Walden, Herwarth (1917): Einblick in Kunst. Expressionismus. Futurismus. Kubismus. Berlin: Verlag Der Sturm 1917. Walden, Herwarth (1913): Erster Deutscher Herbstsalon. Berlin: Verlag Der Sturm 1913. Walden, Herwarth (1923): „Neue Reisekopfbücher“, in: Der Sturm, 14. JG, Nr. 3 (1923), S. 46–48. Walden, Herwarth (1930): „Strafvollzug in der UdSSR“, in: Der Sturm, Sondernummer UdSSR, 20. JG, Nr. 5–6, (1930), S. 49–51. Z Zelinskij, Kornelij (1929): „Biznes i Dostoevskij“ [Business und Dostoevskij], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 161–167.

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Zelinskij, Kornelij (1928): „Itti li nam s Majakovskim?“ [Sollen wir mit Majakovskij gehen?], in: Na literaturnom postu, Nr. 5 (1928), S. 49–54. Zelinskij, Kornelij/Čičerin, Aleksej/Sel’vinskij, Il’ja-Karl (Hrsg.) (1924): Mena vsech. Konstruktivisty poėty [Austausch aller. Konstruktivisten-Dichter]. Moskva: [ohne Verlagsangabe] 1924. Zelinskij, Kornelij/Čičerin, Aleksej/Sel’vinskij, Il’ja-Karl (1924): „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“ [Wir wissen. Beeidete Konstruktion (Deklaration)], in: Zelinskij, Kornelij/Čičerin, Aleksej/Sel’vinskij, Il’ja-Karl (Hrsg.): Mena vsech. Konstruktivisty poėty. [Austausch aller. Konstruktivisten-Dichter]. Moskva: [ohne Verlagsangabe] 1924, S. 7–9. Zervos, Christian (1927): „L’Art Négre“, in: Cahiers d’Art, Nr. 7–8 (1927), S. 228–230. Zervos, Christian (1927): „Le ,Revizor‘ de Gogol réalisé par Meyerhold“, in: Cahiers d’Art, 2. JG, Nr. 2 (1927), S. 75–78. Zivel’činskaja, Lija (1931): Ekspressionizm [Der Expressionismus]. Moskva/Leningrad: Ogiz Izogiz 1931. Ž Žukova, Varvara [Kost’ Burevij] (2010/1930): „Fašyzm i futuryzm“ [Faschismus und Futurismus], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 394–415 [das Original erschien 1930 in Prolitfront, Nr. 3 (1930), Seite unbekannt].

Redaktionelle Beiträge in Zeitschriften und Anthologien (ohne Autorenangabe) Avangard Al’manach proletars’kych mytcjiv Novoji Generaciji [AA] [Red. AA] (1930): „Bjuleten’ novoho mystectva“ [Bulletin der neuen Kunst], in: Avangard. Al’manach proletars’kych mytciv Novoji Generaciji, Nr. a (1930), S. 96–99. Avanhard [AVH] [Red. AVH] (1929): Anmerkungen zu „Il’ja Sel’vinskij, Liričeskij nabrosok“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 105. [Red. AVH] (1929): Anmerkungen zu „Kornelij Zelinskij, Biznes i Dostoevskij“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 161. [Red. AVH] (1928): Anmerkungen zu „Velimir Chlebnikov. Sovremennost’. Edinaja kniga“, in: Radius avangardovcev. Charkiv: Charkivs’ka škola drukars’koho dila 1928, S. 26. [Red. AVH] (1929): „Dovidka“ [Beglaubigung], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), U2. [Red. AVH] (1929): „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avangarde“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 80. [Red. AVH] (1929): „Inhaltsangabe No. 3 der Zeitschrift ,Avangarde‘“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 185–186. [Red. AVH] (1928): „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ [Künstlerischer Salat. Einige Worte über die Gastronomen], in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 21–23.

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[Red. AVH] (1928): o. T., in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), U2. [Red. AVH] (1929): o. T., in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 25. [Red. AVH] (1928): „Stij!“ [Stopp!], in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), U4. [Red. AVH] (1928): „Synja knyha“ [Das blaue Buch], in: Bjuleten’ avanhardu/avangardo, 1928 (einmalig), S. 19–21. [Red. AVH] (1928): „Učast’ berut’ ...“ [Es nehmen teil...], in: Bjuleten’ avanhardu/ avangardo, 1928 (einmalig), U4. [Red. AVH] (1929): „Vid redakciji“ [Aus der Redaktion], in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), U2. Cahiers d’Art [Cd’A] [Red. Cd’A] (1929): „Les dernières réalisations architecturales en Russe“, in: Cahiers d’Art, 4. JG, Nr. 1 (1929), S. 47–50. Das Neue Frankfurt [DNF] R. G. [DNF] (1930): „Neue Literatur“, in: Das Neue Frankfurt, 4. JG, Nr. 2–3 (1930), S. 77–81. De Stijl [De Stijl] [Red. De Stijl] (1995/1921): „Manifest III. Zur neuen Weltgestaltung“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. 255 [das Original erschien erstmals 1921 sowohl auf Niederländisch und Deutsch als auch Französisch in: De Stijl, 4. JG, Nr. 8 (1921), S. 124–125]. Die Literarische Welt [DLW] [Red. DLW] (1927): „Die politische Gruppierung der russischen Schriftsteller“, in: Die Literarische Welt, 3. JG, Nr. 10 (Freitag 11. März 1927), S. 1. Hart [Hart] H. D. [Hart] (1928): „Naši pys’mennyky za kordonom“ [Unsere Schriftsteller im Ausland], in: Hart, Nr. 12 (1928), S. 97. Internationale Revue i 10 [i 10] [Red. i 10] (1979): „fronta. herausgegeben von fr. halas, vl. prusa, zd. rossmann, b. václavek“, in: i 10, Internationale Revue i 10, 1927–1929, Nachdruck. 1978. Nendeln: Kraus Reprint 1979, S. 257. La Cité & Tekhne [LC&T] [Red. LC&T] (1930): „Concours. Kharkov. Construction d’un Théâtre“, in: La Cité & Tekhne, Volume 9, Nr. 2, Sept. 1930, S. 32. [Red. LC&T] (1931): „Concours. Kharkov. Théâtre d’Etat“, in: La Cité & Tekhne, Volume 10, Nr. 2, Octobre 1931, S. 37.

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Appendix

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Literaturnaja Gazeta [LG] [Red. LG] (1929): „Literaturnaja gruppa konstruktivisty“ [Die literarische Gruppe die Konstruktivisten] (Typoskript zu [Red. LG]: „Literaturnaja gruppa konstruk­ tivisty“, in: Literaturnaja Gazeta, 22.7.1929, aus: RGALI, f. 4095 op. 1, 50. Nova Generacija [NG] Titelei in: Nova Generacija, Nr. 1 (1927), S. 1–2. [Red. NG] (1928a): „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“ [Notizblock der „Nova Generacija“], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 216–222. [Red. NG] (1928b): „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“ [Notizblock der „Nova Generacija“], in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 225. [Red. NG] (1929): „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“ [Notizblock der „Nova Generacija“], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), S. 55–60. [Red. NG] (1930): „die neue generation. zeitschrift der revolutionären kunstformation“, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1930), S. 3 (deutsch). [Red. NG] (1928): „Lystuvannja vid redakciji“ [Briefe von der Redaktion], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 234–238. [Red. NG] (1928): „Lystuvannja z redakcijeju: Vid redakciji. Vidpovidajemo za vašymy paktamy“ [Schriftverkehr mit der Redaktion: Von der Redaktion. Wir antworten auf Ihre Abkommen], in: Nova Generacija, Nr. 7 (1928), S. 61–62. [Red. NG] (1930): „Majakovs’kyj, Volodymyr: Ostannje slovo Majakovs’koho. (Stenohrama dopovidi Majakovs’koho, 25 bereznja 1925 r.)“ [Majakovskij, Vladimir: Die letzten Worte Majakovskijs. (Stenogramm des Vortrags Majakovskijs, 25. März 1925], in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), S. 25–30. [Red. NG] (1927): „My za: – My proty:“ [Wir sind für: – Wir sind gegen:], in: Nova Generacija Nr. 1 (1927), S. 1–2. [Red. NG] (1929): „Nova Generacija vysvitljuje...“ [Die Nova Generacija präsentiert...], in: Nova Generacija, Nr. 12 (1929), S. U2. [Red. NG] (1928): „Teatr Piscatora“ [Die Piscator-Bühne], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 225–227. [Red. NG]: „Trahična smert’ Edv. Strichy“ [Der tragische Tod des Edv. Stricha], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 272–273. [Red. NG] (1929): „Pal’mov, V. N.“, in: Nova Generacija, Nr. 8 (1929), S. 2. [Red. NG] (1927): „Platforma j otočennja livych“ [Forum und Umfeld der Linken], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1927), S. 39–43. [Red. NG] (1929): „Portret t. L. Skrypnyka“ [Portrait des Genossen L. Skrypnyk], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 1. [Red. NG] (1929): „Sprava pro trup: a.) Dokumenty, ščo znajdeno v kyšeni u trupa“ [In der Angelegenheit der Leiche: a.) Dokumente, die in der Tasche der Leiche gefunden wurden], in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 27–28. [Red. NG] (1929): „Sprava pro trup: b.) Nekrol’oh z pryvodu smerty M. V. Semenka“ [In der Angelegenheit der Leiche: b.) Nachruf anlässlich des Todes von M. V. Semenko], in: Nova Generacija, Nr. 9 (1929), S. 29–31. [Red. NG] (1928a): „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“ [Ausgaben, die in der Redaktion eingetroffen sind], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 240. [Red. NG] (1928b): „Vydannja, ščo nadijšly do redakciji“ [Ausgaben, die in der Redaktion eingetroffen sind], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1928), S. 313–314.

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[Red. NG] (1929): „Zmist No. 3 ta zauvažennja redakciji“ [Inhalt Nr. 3 und Anmerkungen der Redaktion], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 4. [Red. NG] (1928): „Zmist No. 8 ta zauvažennja redakciji“ [Inhalt Nr. 4 und Anmerkungen der Redaktion], in: Nova Generacija, Nr. 8 (1928), S. 68–69. [Red. NG] (1928) „Zmist No. 10 ta zauvažennja redakciji“ [Inhalt Nr. 10 und Anmerkungen der Redaktion], in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 200–202. [Red. NG] (1928): „Zmist No. 11 ta zauvažennja redakciji“ [Inhalt Nr. 11 und Anmerkungen der Redaktion], in: Nova Generacija, Nr. 11 (1928), S. 280–281. [Red. NG] (1928): „Zmist No. 12 ta zauvažennja redakciji“ [Inhaltsangabe Nr. 12 und Anmerkungen der Redaktion], in: Nova Generacija, Nr. 12 (1928), S. 362–363 [Red. NG] (1928): „Z ostannich čysel zakordonnych žurnaliv. Referenciji i vytjahy. Teatr Henricha Prampolini“ [Aus den neuesten Ausgaben ausländischer Zeitschriften. Referenzen und Auszüge. Das Theater Enrico Prampolinis], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1928), S. 67–69. Novyj LEF [NL] [Red. NL] (1928): „K svedeniju podpisčikov i čitatelej ,novogo lefa‘“ [Zur Kennsnisnahme für die Abonnenten und Leser der „Novyj Lef “], in: Novyj LEF, Nr. 12 (1928), S. 45. [Red. NL] (1928): „Nam pišut“ [Man schreibt uns], in: Novyj LEF, Nr. 9 (1928), S. 45–47. Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen [ZBdBV] [Red. ZBdBV] (1930): „Wettbewerbe. Theater für 4000 Personen in Charkow“, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 25 (1930), S. 459. [Red. ZBdBV] (1931): „Wettbewerbe. Theater in Charkow“, in: Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen, 51. JG, Nr. 25 (1931), S. 322. Zabajkal’skij rabočij [ZR] [Red. ZR] (L. L.) (1929): „Beseda o literature. Literaturnyj konstruktivizm“ [Gespräch über die Literatur. der literarische Konstruktivismus], in: Zabajkal’skij rabočij, 25.8.1929. RGALI, f. 4095, op. 1, d. 50, Nr. 10.

Zitierte Bilder, Fotos und Abbildungen Archipenko, Alexander (1917): „Roter Tanz“ (Abbildung einer Skulptur, 1912–1913), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 23. Archipenko, Alexander (1917): „Venus“ (Abbildung einer Skulptur, 1910–1911), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 25. Archipenko, Alexander (1917): „Der Tanz“ (Abbildung einer Skulptur, 1912), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 27. Archipenko, Alexander (1917): „Zwei Körper“ (Abbildung einer Skulptur, 1912– 1913), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 29.

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Deslav, Jevhen [Deslaw, Eugène] (1929): „Z fil’mu ,Monparnas‘ 1929“ [Aus dem Film „Monparnas“] (Filmkader, OT: „Montparnasse“), in: Nova Generacija, Nr. 6 (1929), Abb.-Seite 7. Dovženko, Oleksander (1930): „Volksredner in der Maske Trotzkis. Aus dem russischen Film ,Arsenal‘“ (Filmkader), in: Der Querschnitt, Nr. 10 (1930), S. 380. Exter, Alexandra [Ekster, Aleksandra] (1922): „Kostümskizze von Alexandra Exter. Aus dem Exter-Buch, Sarja-Verlag 1922“ (Skizze), in: Flechtheim, Alfred/Kielmansegg, Wilhelm Graf/von Wederkop, Hermann (Hrsg.): Der Querschnitt, Jahresausgabe 1922. Berlin et al.: Galerie Alfred Flechtheim 1922, unpag. Jermilov, Vasyl’ (1928): „Eksponaty ukrajins’koho viddilu na vystavci pressy u Kel’ni (Nimeččyna)“ [Exponate der ukrainischen Abteilung auf der Ausstellung Pressa in Köln (Deutschland)] (Abbildungen), in: Nova Generacija, Nr. 8 (1928), Abb.-Seite 14, 15. Moholi Nagi, Vladislav [Moholy-Nagy, László] (1929): „Fotohrama No. 1“ [Fotogramm Nr. 1] (Fotogramm), in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 9. Moholi Nagi, Vladislav [Moholy-Nagy, László] (1929): „Fotohrama No. 2“ [Fotogramm Nr. 2] (Fotogramm), in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 10. [O. V.] (1928): „Der Sturm“ (Inserat), in: Nova Generacija, Nr. 10 (1928), S. 277. [O. V.] (1928): „Nehrytjans’ka maska“ [Negermaske] (Abbildung), in: Nova Generacija, Nr. 1 (1928), Abb.-Seite 6. [O. V.] (1928): „Neue Architektur“ (Inserat), in: Nova Generacija, Nr. 3 (1928), S. 241. [O. V.] (1928): „Masky nehriv“ [Maske von Schwarzen] (Abbildungen), in: Nova Generacija, Nr. 1 (1928), Abb.-Seite 7. [O. V.] (1928): „Werbeeinschaltung der Nowa Generazia“ (Inserat), in: Der Sturm, 19. JG, Nr. 5 (August 1928), S. 3. RATAU (1930): „Volodymyr Volodymyrovyč Majakovs’kyj“ (Fotografie B&W), in: Nova Generacija, Nr. 5 (1930), unpag., Abb. 1. Rodčenko, Aleksandr (1923): „LET. Aviostichi“ [Flug. Luftfahrtgedichte] (Umschlag), in: Aseev, Nikolaj (Hrsg.): LET. Aviostichi. Moskva: Krasnaja Nov’ 1923. Rodčenko, Aleksandr (1930): „Každomu žilišče prostor“ [Jeder Wohnung ihr Raum im Freien], (Fotografie B&W, 1930), in: Sovremennaja architektura, Nr. 1–2 (1930), S. 19. Rodčenko, Aleksandr/Stepanova, Varvara: „Krasnaja armija“ [Die Rote Armee] (Fotogramm, 1935). Sotnyk, Dan (1928/1929): „Fotohrama 1928“ (Fotogramm, 1928), in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), Abb.-Seite 3. Sotnyk, Dan (1928/1929): „Fotohrama 1928“ (Fotogramm, 1928), in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), Abb.-Seite 4. Telingater, Solomon (1930/1990): Umschlag der Zeitschrift „Metallist“ Nr. 1 (1930) (Fotogramm, 1930). Uden (1927): „Eksprezionism“ [Der Expressionismus], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1927), unpag. Filme Ėjzenštejn, Sergej (1929): „Staroe i novoe. General’naja Linija“ [Das Alte und das Neue. Die Generallinie] (Stummfilm B&W), Sovkino 1929. Deslaw, Eugène (1927): „La marche des machines“ (Stummfilm B&W), Paris 1927.

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Deslaw, Eugène (1929): „Montparnasse. Poème du Café crème“ (Stummfilm B&W), Paris 1929. Dovženko, Oleksandr (1929): „Arsenal“ [Arsenal] (Stummfilm B&W), VUFKU 1929. Dovženko, Oleksandr (1930): „Zemlja“ [Die Erde] (Stummfilm B&W), VUFKU 1930. Lang, Fritz (1927): „Metropolis“ (Stummfilm B&W), UFA 1927. Murnau, F. W. (1922): „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ (Stummfilm B&W), Jofa 1922. Pabst, Georg Wilhelm (1929): „Die Büchse der Pandora“ (Stummfilm B&W), NeroFilm 1929. Pereguda, Oleksandr (1926): „Krasnaja Presnja“ [Die Rote Presnja] (Stummfilm B&W), Sovkino 1926. Vertov, Dziga (1931): „Ėntuziazm. Symfonija Donbassa“ [Enthusiasmus. Die DobassSinfonie] (Tonfilm B&W), Ukrainfil’m 1931. Vertov, Dziga „Čelovek s kinoaparatom“ [Der Mann mit der Kamera] (Stummfilm B&W), VUFKU 1929.

1.3 Sekundärquellen A Adorno, Theodor W. (1963): „Jene zwanziger Jahre“, in: Ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1963, S. 59–69. Anderson, Benedict (1993): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Aus dem Englischen von Benedikt Burkhard. Zweite Auflage. Frankfurt a. M. et al.: Campus 1993. Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (2005): „Einleitung“, in: Dies. (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar: Metzler 2005, S. XV–XXX. Asholt, Wolfgang (2014): „Nach Altern und Scheitern: Brauchen wir noch eine Avantgarde-Theorie?“, in: Ders. (Hrsg.): Avantgarde und Modernismus. Dezentrierung, Subversion und Transformation im literarisch-künstlerischen Feld. (= linguae & litterae 37), Berlin: De Gruyter 2014, S. 327–345. Assmann, Aleida (2009): „Vom Zentrum zur Peripherie und wieder zurück. Reisen ins Herz der Finsternis“, in: Vogt, Matthias Theodor/Sokol, Jan/Ociepka, Beata/ Pollack, Detlef/Mikolajczyk, Beata (Hrsg.): Peripherie in der Mitte Europas. Frankfurt a. M. et al.: Peter Lang 2009, S. 66–71. B Bachmann-Medick, Doris (2010): Cultural Turns. Neuorientierung in den Kulturwissenschaften. Vierte Auflage. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 2010. Bachtin, Michail (1979): „Das Problem von Inhalt, Material und Form im Wortkunstschaffen“, in: Ders.: Die Ästhetik des Wortes. Hgg. von Rainer Grübel. Aus dem Russischen von Rainer Grübel und Sabine Reese. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 95–153. Bachtin, Michail (1987): Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987.

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Bahry, Romana (1994): „Les’ Kurbas’ Jimmy Higgins: An Expressionist Avant-garde Drama“, in: Canadian Slavonic Papers/Revue Canadienne des Slavistes, Vol. 36, No. 3/4, Slavic Theatre: New Perspectives (September-December 1994), S. 349–362. Balun, Olena (2016): „Das Volksbild ,Kosak Mamaj‘ in den Werken der ukrainischen Avantgarde als Beispiel für Identitätskonstruktionen der europäischen Moderne“, in: Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016, S. 175–189. Barthes, Roland (2000): „Der Tod des Autors“, in: Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard et al. (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam 2000, S. 185–193. Barthes, Roland (1989): Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Übersetzt von Dietrich Leube. Frankfurt. a. M.: Suhrkamp 1989. Belaja, Anna [Bila, Anna] (2016): „Kratkaja kanva žizni i tvorčestva Michajlja Semenko“ [Ein kurzer Überblick über Leben und Werk von Michajl’ Semenko], in: Dies. et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija [Michajl’ Semenko und der ukrainische Panfuturismus. Manifeste. Mystifikationen. Aufsätze. Lyrik. Visuelle Poesie]. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016, S. 299–307 (russisch). Belaja, Anna [Bila, Anna] et al. (Hrsg.) (2016): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija [Michajl’ Semenko und der ukrainische Panfuturismus. Manifeste. Mystifikationen. Aufsätze. Lyrik. Visuelle Poesie]. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016 (russisch). Belaja, Anna [Bila, Anna] (2016): „Panfuturizm: Meždu avangardistskim buntom i social’nym voditel’stvom“ [Der Panfuturismus: zwischen avantgardistischer Revolution und sozialer Anführerschaft], in: Dies. et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija. SanktPeterburg: Avant-Garde 2016, S. 13–35 (russisch). Belentschikow, Valentin (1999): „Zu einigen Besonderheiten der ukrainischen literarischen Avantgarde“, in: Zeitschrift für Slawistik, 44/2 (1999), S. 181–197. Bertschik, Julia (2015): Der Querschnitt. Illustrierte Monatszeitschrift 1921–1936, in: http://litkult1920er.aau.at/?q=content/der-querschnitt-illustriertemonatszeitschrift-1921-1936 (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). Beyme, Klaus von (2005): Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905– 1955. München: C. H. Beck 2005. Bhabha, Homi K. (2012): „Round-Table-Gespräch“, in: Babka, Anna/Posselt, Gerald (Hg.): Homi K. Bhabha: Über kulturelle Hybridität. Tradition und Übersetzung. Wien et al.: Turia + Kant 2012, S. 59–78. Bila, Anna (2010): „Mychajl’ Semenko. Biohrafija“ [Mychajl’ Semenko. Biografie], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 21–23. Bila, Anna (2010): „Mychajl’ Semenko jak Kul’turtreger ukrajins’koho futuryzmu“ [Mychajl’ Semenko als Kulturträger des ukrainischen Futurismus], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 5–20. Bila, Anna (2006): Ukrajins’kyj literaturnyj avangard. Pošuky, styl’ovi naprjamky [Die ukrainische literarische Avantgarde. Ansätze, Stilrichtungen]. Kyjiv: Smoloskyp 2006.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Bohr, Jörn (2011): „Konstruktionen und Wahrnehmungen des Räumlichen in kulturellen Sinnzusammenhängen“, in: Geiser, Myriam/Rademacher, Dominique/ Taïeb, Lucie (Hrsg.): Grenzen der Zentralität. Zur Dynamik von Zentren und Peripherien/Limites de la centralité. La dynamique des centres et des périphéries. (= Schriften zur Kultur und Geistesgeschichte, Band 2), Berlin: Logos Verlag 2011, S. 29–39. Bollenbeck, Georg (2000): „Der negative Resonanzboden: Avantgarde und Antiavantgardismus in Deutschland“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Der Blick vom Wolkenkratzer: Avantgarde, Avantgardekritik, Avantgardeforschung. (= Avantgarde Critical Studies 14), Amsterdam: Rodopi 2000, S. 467–504. Bolter, Jay David/Grusin, Richard (2000): Remediation. Understanding media. Cambridge: MIT Press 2000. Bonz, Jochen/Struve, Karen (2011): „Homi K. Bhabha: Auf der Innenseite kultureller Differenz: ,in the middle of differences‘“, in: Moebius, Stephan/Quadflieg, Dirk (Hrsg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Zweite, erweiterte und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 132–145. Borisenok, Elena (2006): Fenomen Sovetskoj ukrainizacii 1920–1930 gody. Moskva: Izdatel’stvo Evropa 2006. Bowlt, John (2006): „National in Form, International in Content. Modernism in Ukraine“, in: Nacional’nyj chudožnij muzej Ukrajiny (Hrsg.): Ukrajins’kyj Modernizm. Ukrainian Modernism. 1910–1930. Kyjiv: Galereja 2006, S. 75–83. Bowlt, John (1996): „Vorwort“, in: Kowtun, Ewgeni [Kovtun, Evgenij]: Die Russische Avantgarde in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Malerei. Graphik. Plastik. Angewandte Kunst im Russischen Museum, St. Petersburg. Bournemouth: Parkstone Verlag 1996, S. 9–11. Bratic, Ljubomir (2009): „Gegenkultur ist eine Kultur des Konfliktes“, in: Jochum, Manfred (Hrsg.): Kultur – Harmonie und Konflikt. Innsbruck et al: Studienverlag 2009, S. 63–71. Burdorf, Dieter/Fasbender, Christoph/Moennighoff, Burkhard (Hrsg.) (2007): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007. Burke, Peter (2000): Kultureller Austausch. Aus dem Englischen von Burkhardt Wolf. (= Erbschaft unserer Zeit. Vorträge über den Wissensstand der Epoche, Band 8), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000. Bury, Stephen (2013): „,Not to adorn life but to organize it‘. Veshch. Gegenstand. Objet: Revue internationale de l’art moderne (1922) and G (1923–6)“, in: Brooker, Peter (Hrsg.): The Oxford Critical and Cultural History of Modernist Magazines. Volume III, Europe 1880–1940. Part II. Oxford: Oxford University Press 2013, S. 855–867. Bürger, Peter (1974): Theorie der Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974. C Calov, Gudrun (2007): „Deutsche Beiträge zur Kunst und Literatur“, in: Eisfeld, Alfred/ Herdt, Victor/Meissner, Boris (Hrsg.): Deutsche in Rußland und in der Sowjetunion 1914–1941. Berlin: Lit-Verlag 2007, S. 336–371.

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Chan-Magomedov, Selim (2007): Aleksandr Vesnin i konstruktivizm. Živopis’. Teatr. Architektura. Risunok. Knižnaja grafika. Oformlenie prazdnikov [Aleksandr Vesnin und der Konstruktivismus. Malerei. Theater. Architektur. Zeichnungen. Buchgrafik. Festtagsdekorationen]. Moskva: Architektura 2007. Chan-Magomedov, Selim (1996): Architektura sovetskogo avangarda. Kniga pervaja. Problemy formoobrazovanija. Mastera i tečenija [Architektur der sowjetischen Avantgarde. Band 1. Gestaltungsfragen. Meister und Strömungen]. Moskva: Strojizdat 1996. Chan-Magomedov, Selim (2001): Architektura sovetskogo avangarda. Kniga vtoraja. Social’nye problemy [Architektur der sowjetischen Avantgarde. Band 2. Soziale Fragen]. Moskva: Strojizdat 2001. Chan-Magomedov, Selim (2000): JUGO-LEF i konstruktivizm (po materialam archiva N. Sokolova) [JUGO-LEF und der Konstruktivismus (auf Grundlage von Materialien aus dem Archiv N. Sokolovs]. (= Tvorčeskie tečenija, koncepcii i organizacii sovetskogo avangarda, Nr. 7), Moskva: Lad’ja 2000. Clark, Katerina (1995): Petersburg. Crucible of the Cultural Revolution. Cambridge: Harvard University Press 1995. Clark, Katerina/Dobrenko, Evgeny (Hrsg.) (2007): Soviet Culture and Power. A History in Documents, 1917–1953. New Haven/London: Yale University Press 2007. Cohen, Jean-Louis (2010): „Die russische Avantgarde und ihre Rezeption“, in: Stiller, Adolph (Hrsg.): Iwan L. Leonidow. Ein Architekt des Russischen Konstruktivismus. Salzburg/Wien: müry salzmann 2010, S. 106–117. Cohen, Jean-Louis (2010): „Ein ungewöhnlicher Fünfjahresplan der Sovremennaja architektura“, in: SA. Sovremennaja architektura. Allgemeine Ausgabe. Ekaterinburg: Tatlin 2010, S. 3–24. Crispoliti, Enrico (Hrsg.) (1992): Ausst.-Kat. Prampolini. Dal Futurismo all’Informale. Roma – Palazzo delle Esposizioni. 25 marzo – 25 maggio 1992. Roma: Edizioni Carte Segret 1992. Curtis, Julie (1991): Manuskripte brennen nicht. Michail Bulgakov. Eine Biographie in Briefen und Tagebüchern. Hgg. von Julie Curtis. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1991. Č Černin, Velvl/Bohuslavs’ka, Valerija (Hrsg.) (2011): Antolohija evrejs’koj poeziji. Ukrajins’ki pereklady z jidyšu poeziji [Anthologie jiddischer Poesie. Ukrainische Übersetzungen aus dem Jiddischen]. Kyjiv: Duch i Litera 2011. Čugunov, K.: Brief an das Tucholsky-Archiv. Archivbestand: RGALI, f. 632, op. Nr. 26, od. chr. Nr. 3182. D Dascher, Ottfried (2011): ,Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst‘ – Alfred Flechtheim: Sammler, Kunsthändler und Verleger. Wädenswil: Nimbus 2011. Davidič, T. (2013): Stili v architekture Char’kova [Die Stile in der Charkiwer Architektur]. Char’kov: Litera Nova 2013 (russisch).

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Deiss, Amely (1972): „,Im Mittelpunkt der in Gärung begriffenen Kunst.‘ Berlin als Schmelztiegel der konstruktiven Idee im Spiegel von Zeitschriften und Kunstbüchern“, in: Ausst.-Kat. Bauhausstil oder Konstruktivismus? Auf­b ruch der Moderne in den Zentren. Berlin, Bauhaus, Hannover, Stuttgart, Frankfurt. Herausgegeben von Tobias Hoffmann. Köln: Wienand Verlag, S. 19–29. De Feo, Vittorio (1963): URSS architettura 1917–1936. Roma: Riuniti 1963. De Michelis, Cesare G. (Hrsg.) (2009): L’avanguardia trasversale. Il futurismo tra Italia e Russia. Venezia: Marsilio 2009. Dmitrieva, Marina (2011): „,A spectre is haunting Europe – the spectre of Futurism’: The Ukrainian Panfuturists and Their Artistic Allegiances“, in: Berghaus, Günter (Hrsg.): International Yearbook of Futurism Studies, Vol. 1 (2011), Berlin/Boston: De Gruyter 2011, S. 132–153. Dmitrieva, Marina (2005): „Kulturdestruktion und Kulturtransfer. Das Dilemma des osteuropäischen Futurismus“, in: Mitterbauer, Helga/Scherke, Katharina (Hrsg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart. (= Studien zur Moderne 22), Wien: Passagen-Verlag 2005, S. 277–296. Dmitrieva, Marina (2006): „Polnische Künstler und der Sturm“, in Brandt, Marion (Hrsg.): Grenzüberschreitungen. Deutsche, Polen und Juden zwischen den Kulturen (19181939). München: Meidenbauer 2006, S. 45–64. Dmitrieva, Marina (2012): „Russische Künstler und der Sturm“, in: Hülsen-Esch, A./Finckh, G. (Hrsg.): Der Sturm: Band II: Aufsätze. Wuppertal: Von der HeydtMuseum Wuppertal 2012, S. 441–454. Dmitrieva, Marina (2006): „Ukrainische Avantgarde-Zeitschriften im internationalen Kontext“, in: Deréky, Pál et al. (Hrsg.): Mitteleuropäische Avantgarden. Intermedialität und Interregionalität im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. et al.: Peter Lang 2006, S. 67–86. Dmitrieva, Marina (Hrsg.) (2012): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren. Berlin: Lukas Verlag 2012. Dmitrieva, Marina (2012): „Zwischen Stadt und Steppe – Einleitung“, in: Dies. (Hrsg.): Zwischen Stadt und Steppe. Künstlerische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren. Berlin: Lukas Verlag 2012, S. 9–46. Dorontchenkov, Ilia (Hrsg.) (2009): Russian and Soviet Views of Modern Western Art. 1890s to Mid–1930s. Translated by Charles Rougle. Berkeley et al.: University of California Press 2009. Douglas, Charlotte (1995): „Suprematist Embroidered Ornaments“, in: Art Journal54, Nr. 1 (Spring 1995), S. 42–45. Dörfler, Hans-Dieter (2000): „Das fotografische Zeichen“, in: Schmitt, Julia (Hrsg.): Fotografie und Realität. Fallstudien zu einem ungeklärten Verhältnis. Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 11–21. Droste, Magdalena (2006): Bauhaus 1919–1933. Hong Kong et al. Taschen 2006.

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E Ebert, Hiltrud (1992): „Die Gruppe ,Oktjabr’‘ – Aspekte der Ideologisierung des Avantgardekonzepts in der Sowjetunion Ende der 1920er Jahre“, in: Gaßner, Hubertus/Kopanski, Karlheinz/Stengel, Karin (Hrsg.): Die Konstruktion der Utopie. Ästhetische Avantgarde und politische Utopie in den 20er Jahren. Marburg: Jonas Verlag 1992, S. 69–76. Eimermacher, Karl (1994): Die sowjetische Literaturpolitik 1917-1932. Von der Vielfalt zur Bolschewisierung der Literatur. Analyse und Dokumentation, Bochum: Brockmeyer 1994. F Faber, Vera (2015): „Die Rezeption der deutschen Moderne in der ukrainischen Avantgarde. Eine Annäherung in drei Beispielen“, in: Zeitschrift für Slawistik, 60/2 (2015), S. 228–241. Faber, Vera (2016): „Konzept und Wirklichkeit – Frauen in der Wiener Moderne und in der ukrainischen Avantgarde“, in: Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016, S. 33–56. Faber, Vera: „Nur der Unsinn gibt der Zukunft Inhalt”. Futurismus und Wort-Bild-Kunst der russischen Avantgarde in Tiflis 1917–1921. Wuppertal: Arco Wissenschaft 2018 Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.) (2016): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016. Faber, Vera (2017): „Utopian Vision of the Future by referring to the Past – the Female Artisan Cooperatives of ,Folk Futurists‘“, in: Laučkaitė, Laima/Dmitrieva, Marina (Hrsg.): Community and Utopia: Artist‘s Colonies in Eastern Europe from the Fin-de-Siècle to Socialist Period. (= Dailės istorijos studijos, t. 8), Vilnius: Lietuvos kultūros tyrimų institutas 2017, S. 59–76. Faber, Vera (2015): „Wahrnehmungsdissonanzen, blinde Flecken und die ,Idee der Nation’. Zu einigen Symptomen einer ukrainischen Kultur in der Dauerkrise“, in: Bakalova, Evgeniya et al. (Hrsg.): Ukraine: Krisen. Perspektiven. Interdisziplinäre Betrachtungen eines Landes im Umbruch. (= Impulse. Studien zu Geschichte, Politik und Gesellschaft, Band 6), Berlin: WVB 2015, S. 27–46. Fabian, Jeanette (2013): Poetismus. Ästhetische Theorie und künstlerische Praxis der tschechischen Avantgarde. (= Wiener Slawistischer Almanach. Literarische Reihe. Sonderband 84, Intermedialität Band 8), Wien/München/Berlin: Otto Sagner 2013. Fähnders, Walter (2010): Avantgarde und Moderne 1890–1933. Lehrbuch Germanistik. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler 2010. Fähnders, Walter/Rector, Martin (1974): Linksradikalismus und Literatur. Untersuchungen zur Geschichte der sozialistischen Literatur in der Weimarer Republik. Band 2. Reinbeck: 1974. Fähnders, Walter (2000): „Projekt Avantgarde und avantgardistischer Manifestantismus“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Der Blick vom Wolkenkratzer: Avantgarde, Avantgardekritik, Avantgardeforschung. (= Avantgarde Critical Studies 14), Amsterdam: Rodopi 2000, S. 69–96.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Fitzpatrick, Sheila (1978): „Cultural Revolution as Class War“, in: Dies. (Hrsg.): Cultural Revolution in Russia, 1928–1931. Bloomington/London: Indiana University Press 1978, S. 8–40. Fitzpatrick, Sheila (1992): The Cultural Front. Power and Culture in Revolutionary Russia. Ithaca and London: Cornell University Press 1992. Fitzpatrick, Sheila (1974): „The ,Soft‘ Line on Culture and Its Enemies: Soviet Cultural Policy, 1922-1927“, in: Slavic Review. American Quarterly of Soviet and East European Studies. Vol. 33 (1974), S. 267–287. Flaker, Aleksandar (1989): „Alltag – byt“, in: Ders. (Hrsg.): Glossarium der russischen Avantgarde. Graz/Wien: Droschl 1989, S. 104–117. Flaker, Aleksandar (1990): „Avantgarde in the Ukraine“, in: Ausst.-Kat. Ukrajinska avangarda 1910–1930. Zagreb: Galerija Grada Zagreba 1990, S. 56–60. Fliers, Thomas (2011): „,Vielleicht die größte Aufgabe, die je einem Architekten gestellt wurde‘ – Ernst May in der Sowjetunion“, in: Quiring, Claudia/Voigt, Wolfgang/ Chachola Schmal, Peter/Herrel, Eckhard (Hrsg.): Ernst May. 1886–1970. München et al.: Prestel 2011, S. 157–195. Foucault, Michel (2005): Die Heterotopien/Les hétérotopies. Der utopische Körper/Le corps utopique. Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005. G Gaßner, Hubertus/Kopanski, Karlheinz/Stengel, Karin (Hrsg.) (1992): Die Konstruktion der Utopie. Ästhetische Avantgarde und politische Utopie in den 20er Jahren. Marburg: Jonas Verlag 1992. Gaßner, Hubertus/Gillen, Eckhart (Hrsg.) (1979): Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus. Dokumente und Kommentare. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934. Köln: DuMont 1979. Genette, Gérard (1993/1982): Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993. Genette, Gérard (2001): Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001. Gerčuk, Jurij (2006): „Laslo Mochoj-Nad’ v russkom kontekste“ [László Moholy-Nagy im russischen Kontext], in: Miturič, S. (Hrsg.): Laslo Mochoj-Nad’ i russkij avvangard [László Moholy-Nagy und die russische Avantgarde]. Moskva: Tri kvadrata 2006, S. 33–50. Giedion, Siegfried (1936): „vorwort“, in: telehor. internationale zeitschrift für visuelle kultur, Nr. 1­–2 (1936), S. 113–115. Giesen, Bernhard (1999): „Europa als Konstruktion der Intellektuellen“, in: Viehoff, Reinhold/Segers, Rien T. (Hrsg.): Kultur. Identität. Europa. Über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer Konstruktion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 130–146. Gorbačev, Dmitrij [Horbačov, Dmytro] (1971): Anatolij Petrickij. Moskva: Sovetskij chudožnik 1971 (russisch). Gray, Camilla (1974): Das große Experiment. Die russische Kunst 1863–1922. Köln: DuMont Schauberg 1974.

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Gretchko, Valerij (2012): „Jurij Lotmans Modell der kommunikativen Asymmetrie. Entstehung und Implikationen“, in: Frank, Susi/Ruhe, Cornelia/Schmitz, Alexander (Hrsg.): Explosion und Peripherie. Jurij Lotmans Semiotik der kulturellen Dynamik revisited, Berlin: De Gruyter 2012, S. 79–95. Groys, Boris (2016): „Die russische Avantgarde. Eine Krankengeschichte“, in: Petrova, Evgenia/Schröder, Klaus Albrecht (Hrsg.): Ausst.-Kat. Chagall bis Malewitsch. Die Russischen Avantgarden. Wien: Albertina 2016, S. 57–69. Groys, Boris (1996): Gesamtkunstwerk Stalin. Die gespaltene Kultur der Sowjetunion. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. München: Carl Hanser Verlag 1996. Groys, Boris (2005): „Im Namen des Lebens“, in: Groys, Boris/Hansen-Löve, Aage (Hrsg.): Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S. 11–22. Grübel, Rainer (1979): „Michail M. Bachtin. Biographische Skizze“, in: Bachtin, Michail: Die Ästhetik des Wortes. Hgg. von Rainer Grübel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 7–20. Grübel, Rainer Georg (1981): Russischer Konstruktivismus. Künstlerische Konzeptionen, literarische Theorie und kultureller Kontext. (= Opera Slavica. Neue Folge, Band 1), Wiesbaden: Harrassowitz 1981. Gumbrecht, Hans Ulrich (2013): 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Zweite Auflage. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2013. Guski, Andreas (2000): „Von der Avantgarde zum Sozialistischen Realismus (1917– 1934)“, in: Städtke, Klaus (Hrsg.): Russische Literaturgeschichte. Unter Mitarbeit von Christine Engel et al. Stuttgart/Weimar: Metzler 2002, 290–320. Günther, Hans (1995): „Befreite Worte und Sternensprache. Der italienische und der russische Futurismus“, in: Grimminger, Rolf (Hrsg.): Literarische Moderne. Europäische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburg: Rowohlt 1995, S. 284–313. Günther, Hans (1992): „Die russische Avantgarde und der Thermidor der revolutionären Kultur“, in: Gaßner, Hubertus/Kopanski, Karlheinz/Stengel, Karin (Hrsg.): Die Konstruktion der Utopie. Ästhetische Avantgarde und politische Utopie in den 20er Jahren. Marburg: Jonas Verlag 1992, S. 77–81. Günther, Hans (1982): „Utopie nach der Revolution. (Utopie und Utopiekritik in Rußland nach 1917)“, in: Voßkamp, Wilhelm (Hrsg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Band 3. Stuttgart: Metzler 1982, S. 378–393. H Hagemeister, Michael (2003): „Die Eroberung des Raums und die Beherrschung der Zeit. Utopische, apokalyptische und magisch-okkulte Elemente in den Zukunftsentwürfen der Sowjetzeit“, in: Murašov, Jurij/Witte, Georg (Hrsg.): Die Musen der Macht. Medien in der sowjetischen Kultur der 20er und 30er Jahre. München: 2003, S. 257–285. Hansen-Löve, Aage (2005): „Anmerkungen“ (zu Malevič, Kazimir: „UNOVIS“), in: Groys, Boris/Hansen-Löve, Aage (Hrsg.): Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S. 231–235.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Hansen-Löve, Aage (2014): „Das Ende vom Anfang. Späte Avantgarden“, in: Asholt, Wolfgang (Hrsg.): Avantgarde und Modernismus. Dezentrierung, Subversion und Transformation im literarisch-künstlerischen Feld. (= linguae & litterae 37), Berlin: De Gruyter 2014, S. 221–240. Hansen-Löve, Aage (1978): Der russische Formalismus. Methodologische Rekonstruktion seiner Entwicklung aus dem Prinzip der Verfremdung. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1978. Hansen-Löve, Aage (2004): „Die Kunst ist nicht gestürzt. Das suprematistische Jahrzehnt“, in: Malevič, Kazimir: Gott ist nicht gestürzt! Schriften zu Kunst, Kirche, Fabrik. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Aage A. Hansen-Löve. München/Wien: Carl Hanser 2004, S. 255–603. Hansen-Löve, Aage (1989): „Faktur, Gemachtheit“, in: Flaker, Aleksandar (Hrsg.): Glossarium der russischen Avantgarde. Graz/Wien: Droschl 1989, S. 212–219. Hansen-Löve, Aage (2005): „Im Namen des Todes. Endspiele und Nullformen der russischen Avantgarde“, in: Groys, Boris/Hansen-Löve, Aage (Hrsg.): Am Nullpunkt. Positionen der russischen Avantgarde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S. 700–758. Hansen-Löve, Aage (2000): „Intermedialität und Intertextualität. Probleme der Korrelation von Wort- und Bildkunst – am Beispiel der russischen Moderne“, in: Mertens, Mathias (Hrsg.): Forschungsüberblick „Intermedialität“. Kommentierungen und Bibliographie. Hannover: Revonnah 2000, S. 27–84. Hárs, Endre/Müller-Funk, Wolfgang et al. (2006): „Zentren peripher. Vorüberlegungen zu einer Denkfigur“, in: Hárs, Endre/Müller-Funk, Wolfgang et al. (Hrsg.): Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn. (= Kultur – Herrschaft – Differenz, Band 9), Tübingen/Basel: A. Francke Verlag 2006, S. 1–15. Hausmann, Guido (2002): „Lokale Öffentlichkeit und städtische Herrschaft im Zarenreich: Die ukrainische Stadt Charkiv“, in: Hofmann, Andreas/Wendland, Anna Veronika (Hrsg.): Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa 1900–1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest. (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Band 14), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, S. 213–234. Hey-Erl, Ekkehard (2004): „Materialistische Theorien“, in: Sexl, Martin (Hrsg.): Einführung in die Literaturtheorie. Wien: Facultas 2004, S. 99–128. Hildermeier, Manfred (2006): „Die russische Stadt – Subtyp europäischer Entwicklungen?“, in: Lenger, Friedrich/Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung – Entwicklung – Erosion. (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, Band 67), Köln et al.: Böhlau 2006, S. 45–60. Hjartarson, Benedikt (2014): „Anationalism and the Search for a Universal Language“, in: Bäckström, Per/Hjartarson, Benedikt (Hrsg.): Decentering the Avant-Garde. (= Avant-Garde Critical Studies 30), Amsterdam/New York: Rodopi 2014, S. 267–303.

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Hladkyj, V. M. (1987): „Zv”jazky ukrajins’koji literatury z revoljucijnoju j antifašysts’koju nimec’koju literaturoju 20–30-ch rokiv“ [Beziehungen der ukrainischen Literatur mit der revolutionären und antifaschistischen deutschen Literatur der 20er- und 30er-Jahre], in: Verves, Hryhorij et al. (Hrsg.): Ukrajins’ka literatura v zahal’no-slov“jans’komu literaturnomu konteksti. Tom 2. Požovtneva doba. U koli literatur socialistyčnych krajin [Die ukrainische Literatur im gesamtslawischen literarischen Kontext. Band 2. Die nachrevolutionäre Epoche. Im Kreis der Literatur der sozialistischen Länder]. Kyjiv: Naukova dumka 1987, S. 154–171. Hofman, Michael/Patrut, Iulia-Karin (2015): Einführung in die interkulturelle Literatur. Darmstadt: WBG 2015. Hofmann, Werner (1966): Grundlagen der modernen Kunst. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 1966. Holthuis, Susanne (1993): Intertextualität. Aspekte einer rezeptionsorientierten Konzeption. Tübingen: Stauffenburg Colloquium 1993. Horbačov, Dmytro (Hrsg.) (2007): Avanhard Johansena [Die Avantgarde von Johansen]. L’viv: Avanhard 2007. Horbachov, Dmytro (1993): „Ein Überblick über die ukrainische Avantgarde. A survey of the ukrainian avant-garde“, in: Birnie Danzker, Jo-Anne, (Hrsg.): Avantgarde und Ukraine. Braunschweig: Klinkhardt & Biermann 1993, S. 55–73. Horbachov, Dmytro (2010): „In the Epicentre of Abstraction: Kyiv during the Time of Kurbas“, in: Makaryk, Irena R./Tkacz, Virlana (Hrsg.): Modernism in Kiev/Kyjiv/ Kiev/Kijów/Kiev. Jubilant Experimentation. Toronto et al.: University of Toronto Press 2010, S. 170–195. Horbačov, Dmytro (2006): „Šarovarno-hopašna kul’tura jak džerelo svitovoho avanhardu. Dopovid’ na konferenciji v Harvardi (SŠA), 2007“ [Die Kultur des Hopaks und der Šarovary als Quelle der internationalen Avantgarde. Vortrag auf der Konferenz in Harvard (USA), 2007], in: Mist #3. Akademija Mystectv Ukrajiny. Institut problem sučasnoho mystectva. Kyjiv 2006, S. 43–51. Horbačov, Dmytro (Hrsg.) (1996): Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv. Ukrainian avant-garde art. Kyjiv: Mystectvo 1996. Horbačov, Dmytro (1996): „Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv“ [Die ukrainische Avantgarde von den 1910er bis in die 1930er Jahre], in: Ders. (Hrsg.): Ukrajins’kyj avanhard 1910–1930 rokiv. Ukrainian avant-garde art. Kyjiv: Mystectvo 1996, unpag. Horbačov, Dmytro/Papeta, O./Papeta Serhij (Hrsg.) (2005): Ukrajins’ki avanhardysty jak teoretyky i publicysty [Die ukrainischen Avantgade-Künstler als Theoretiker und Publizisten]. Kyjiv: Triumf 2005. Horbačov, Dmytro (Hrsg.) (2006): „Vin ta ja buly ukrajinci“. Malevyč ta Ukrajina [„Er und ich waren Ukrainer“. Malevič und die Ukraine]. Kyjiv: Sim studija 2006. Hryn, Halyna (2005): „Literaturnyi iarmarok“: Ukrainian Modernism’s defining Moment. Ph. D. Dissertation, University of Toronto 2005. Hundorova, Tamara (2008): „Berlin jak dzerkalo modernosti: ukrajins’kyj roman kincja 1920-ch rokiv“ [Berlin als Spiegel der Moderne: der ukrainische Roman Ende der 1920er Jahre], in: Dies. (Hrsg.): Modernizm pislja postmodernu [Die Moderne nach der Postmoderne]. Kyjiv: Foliant 2008, S. 75–90.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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K Kappeler, Andreas (2009): Kleine Geschichte der Ukraine. Dritte Auflage, München: C. H. Beck 2009. Karpov, Dmitrij (2012): „Muzejnyj Terent’ev ili šepotka sirolecha“ [Der museale Igor’ Terent’ev oder eine Prise Salz], in: Ders. (Hrsg.): Igor’ Terent’ev. Levejšij iz levych. K 120-letiju so dnja roždenija. Sbornik materialov [Igor’ Terent’ev. Der Linkeste unter den Linken. Zum 120. Geburtstag. Sammlung von Materialien]. Ausstellungskatalog. Moskva: Department kul’tury goroda Moskvy gosudarstvennyj muzej V.V. Majakovskogo 2012. Kasack, Wolfgang (1992): Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Vom Beginn des Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetära. 2., neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. (= Arbeiten und Texte zur Slavistik 52), München: Otto Sagner 1992. Klein, Yossi (2013): „The architect and critic Leo Adler and the definition of Tel Aviv as a modern Mediterranean city“, in: Tal, David (Hrsg.): Israeli Identity: Between Orient and Occident. (= Routledge Studies in Middle Eastern Society), Abingdon: Routledge 2013, S. 118–139. Kłossowicz, Jan (1994): „Aleksandr Tairov“, in: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ausst.-Kat. Europa, Europa. Das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa. Band 4: Biografien. Bibliografische Hinweise. Verzeichnis der ausgestellten Werke. Personenregister. Bonn: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen 1994, S. 133–134. Knorpp, Elina (2016): „Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack“ – Expressionismus, Futurismus, Konstruktivismus auf den Bühnen in Wien, Kiew und Charkiw“, in: Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016, S. 155–174. Kocarev, Oleh/Stachivs’ka, Julija (Hrsg.) (2014): Ukrajins’ka avanhardna poezija (1910– 1930-ti roky). Antolohija [Ukrainische Avantgarde-Lyrik (1910er- bis 1930er-Jahre). Anthologie]. Kyjiv: Smoloskyp 2014. Kókai, Károly (2009): „Österreich und die Avantgarde“, in: Bernád, Ágoston Zénó et al. (Hrsg.): On the Road – Zwischen Kulturen unterwegs. (= Finno-Ugrian Studies in Austria, Band 7), Berlin: LIT-Verlag 2009, S. 133–142. Koller, Christian (2005): Fremdherrschaft. Ein politischer Kampfbegriff im Zeitalter des Nationalismus. Frankfurt a. M.: Campus Verlag 2005. Kornijenko, Nelli (2016): „Les’ Kurbas – Wien – und weiter ...“. Aus dem Ukrainischen von Anja Lange und Vera Faber, in: Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016, S. 191–200. Koschorke, Albrecht (2012): „Zur Funktionsweise kultureller Peripherien“, in: Frank, Susi/Ruhe, Cornelia/Schmitz, Alexander (Hrsg.): Explosion und Peripherie. Jurij Lotmans Semiotik der kulturellen Dynamik revisited. Berlin: De Gruyter 2012, S. 27–39.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Kowalenko, Georgi (1999): „Alexandra Exter“, in: Freunde der Deutschen Kinemathek e.V. und Deutsche Guggenheim Berlin (Hrsg.): Amazonen der Avantgarde. Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa und Nadeschda Udalzowa. Ausstellungskatalog, Berlin: Deutsche Guggenheim 1999, S. 131–153. Kowtun, Ewgeni [Kovtun, Evgenij] (1996): Die Russische Avantgarde in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Malerei. Graphik. Plastik. Angewandte Kunst im Russischen Museum, St. Petersburg. Bournemouth: Parkstone Verlag 1996. Kratochvil, Alexander (1999): Mykola Chvyl’ovyj. Eine Studie zu Leben und Werk. (= Slavistische Beiträge, Band 379), München: Otto Sagner 1999. Krieger, Verena (2006): Kunst als Neuschöpfung der Wirklichkeit. Die Anti-Ästhetik der russischen Moderne. Köln et al.: Böhlau 2006, S. 235. Krieger, Verena (1998): Von der Ikone zur Utopie. Kunstkonzepte der russischen Avantgarde. Köln et al.: Böhlau 1998. Kriger, Leo [Semenko, Iryna] (2010): „Mychajlo Semenko (1892–1937) – osnovopoložnyk ukrajins’koho futuryzmu“ [Mychajlo Semenko (1892–1937) – Begründer des ukrainischen Futurismus], in: Semenko, Mychajl’: Vybrani tvory [Ausgewählte Werke]. Hgg. von Anna Bila. Kyjiv: Smoloskyp 2010, S. 560–621. Kristeva, Julia E. (1972): „Wort, Dialog und Roman bei Bachtin“, in: Ihwe, Jens (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik, Ergebnisse und Perspektiven. 3. Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft, Band II. 1972. Frankfurt a. M.: Fischer 1972, S. 345– 375. Kulinič, Andrej (1967): Novatorstvo i tradicii v russkoj sovetskoj poėzii 20-ch godov [Innovation und Traditionen in der russischen sowjetischen Poesie der 20er-Jahre]. Kiev: Izdatel’stvo Kievskogo Universiteta 1967 (russisch). Kuz’minskij, Konstantin et al. (Hrsg.) (1988): Zabytyj avangard. Rossija – pervaja tret’ XX stoletija [Die vergessene Avantgarde. Russland, erste Hälfte des 20. Jahrhunderts]. (= Wiener Slawistischer Almanach. Sonderband 21), München et al.: Otto Sagner 1988. L Lachmann, Renate (1987): „Vorwort“, in: Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987, S. 7–46. Lahutenko, Olha [Ol’ha] (2006): „Vasyl Yermilov and Constructivism“, in: Nacional’nyj chudožnij muzej Ukrajiny (Hrsg.): Ukrajins’kyj Modernizm. Ukrainian Modernism. 1910–1930. Kyjiv: Galereja 2006, S. 105–110. Larcati, Arturo (2016): „Zur Rezeption des italienischen Futurismus in Wien während der 1920er und 1930er Jahre“, in: Kucher, Primus-Heinz (Hrsg.): Verdrängte Moderne – vergessene Avantgarde. Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918–1938. Göttingen: V&R Unipress 2016, S. 95–115. Lauer, Reinhard (2005): Kleine Geschichte der russischen Literatur. München: C. H. Beck 2005. Lavrent’ev, Aleksandr (2010): Aleksej Gan. Moskva: S. Ė. Gordeev 2010.

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Lavrinenko, Jurij (2008): Rozstriljane vidrodžennja. Antolohija 1917–1933. Poezija. Proza. Drama. Esej. [Die erschossene Wiedergeburt. Anthologie 1917–1933. Poesie. Prosa. Drama. Essays], Sechste Auflage 2008, Kyjiv: Smoloskyp 2008. Lehmann, Gudrun (2010): Fallen und Verschwinden. Daniil Charms – Leben und Werk. Wuppertal: Arco 2010. Lersch, Edgar (1979): Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion in ihren Auswirkungen auf Deutschland. 1921–1929. Frankfurt a. M. et al.: Lang 1979. Licholobova, Zoja (2007): „,Velykyj teror‘ 1937–1938 rokiv u donbasi: vtraty inteli­ henciji“ [„Der große Terror“ in den Jahren 1937–1938 im Donbass: die Verluste der Intelligenzija], in: NAN (Hrsg.): Problemy istoriji Ukrajiny: fakty, sudžennja, pošuky [Fragen zur Geschichte der Ukraine: Fakten, Bewertungen, Recherchen], Nr. 16/1, Kiew: NAN 2007, S. 466–480. Lichtenstern, Christa (1994): „Aleksandr P. Archipenko“, in: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ausst.-Kat. Europa, Europa. Das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa. Band 4: Biografien. Bibliografische Hinweise. Verzeichnis der ausgestellten Werke. Personenregister. Bonn: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen 1994, S. 9. Lotman, Jurij (2010): Die Innenwelt des Denkens. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold und Olga Radetzkaja. Hgg. von Susi Frank, Cornelia Ruhe und Alexander Schmitz, Berlin: Suhrkamp 2010. Lotman, Jurij/Uspenskij, Boris (1986): „Zum semiotischen Mechanismus der Kultur“, übersetzt von Adelheid Schramm-Meindl, in: Eimermacher, Karl (Hrsg.): Semiotica Sovietica. Sowjetische Arbeiten der Moskauer und Tartuer Schule zu sekundären modellbildenden Zeichensystemen (1962–1973). Band 1. Aachen: Rader Verlag 1986, S. 853–880. Lotman, Jurij (1974): „Zur Metasprache typologischer Kultur-Beschreibungen“, in: Ders.: Aufsätze zur Theorie und Methodologie der Literatur und Kunst. Hgg. von Karl Eimermacher. Übersetzt von Karl Eimermacher et al. Scriptor Verlag: Kronberg 1974, S. 228–277. Lozowick, Louis (1925): Modern Russian Art. New York: Museum of Modern Art 1925. Luckyj, George S. N. (1956): Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933. New York: Columbia University Press 1956. Luckyj, George S. N. (1990): Literary Politics in the Soviet Ukraine, 1917–1933. Revised and updated edition. Durham and London: Duke University Press 1990. M Makaryk, Irena R./Tkacz, Virlana (Hrsg.) (2010): Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/ Kiev. Jubilant Experimentation. Toronto et al.: University of Toronto Press 2010. Makaryk, Irena R. (2010): „Modernism in Kyiv: Jubilant Experimentation“, in: Makaryk, Irena R./Tkacz, Virlana (Hrsg.): Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/Kiev. Jubilant Experimentation. Toronto et a.: University of Toronto Press 2010, S. 16–24. Makaryk, Irena (2010): „On the World Stage: The Berezil in Paris and New York“, in: Makaryk, Irena R./Tkacz, Virlana (Hrsg.): Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/ Kiev. Jubilant Experimentation. Toronto et a.: University of Toronto Press 2010, S. 479–513.

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Makaryk, Irena (2004): Shakespeare in the Undiscovered Bourn: Les Kurbas, Ukrainian Modernism, and Early Soviet Cultural Politics. Toronto: University of Toronto Press 2004. Marcadé, Jean-Claude (1979): „Alexandra Exter oder die Suche nach den Rhythmen der Lichtfarbe“. Aus dem Französischen von A. J. Jordan, in: Galerie Gmurzynska (Hrsg.): Ausst.-Kat. Künstlerinnen der Russischen Avantgarde. Russian Women-Artists of the Avantgarde. 1910–1930. Galerie Gmurzynska Köln, Köln: Wienand 1979, S. 114–121. Margolin, Victor (1997): The Struggle for Utopia. Rodchenko, Lissitzky, Moholy-Nagy. 1917– 1946. Chicago: University of Chicago Press 1997. Markov, Vladimir (1969): Russian Futurism: A History. London: MacGibbon & Kee 1969. Marten-Finnis, Susanne (2012): Der Feuervogel als Kunstzeitschrift. Žar ptica. Russische Bildwelten in Berlin 1921–1926. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2012. Marten-Finnis, Susanne/Nagel, Michael (2012): „Zur Einführung“, in: Marten-Finnis, Susanne/Nagel, Michael (Hrsg.): Die Pressa, Internationale Presseausstellung Köln 1928, und der jüdische Beitrag zum modernen Journalismus. Band 1. (= Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Band 64), Bremen: edition lumière 2012, S. 33–54. Martin, Terry (2001): The Affirmative Action Empire. Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939. Ithaca/London: Cornell University Press 2001. Marzaduri, Marzio (1982): „Futurismo menscevico“, in: Magarotti, Luigi/Marzaduri, Marzio/Pagani Cesa, Giovanna (Hrsg.): L’avanguardia a Tiflis. Studi, ricerche, cronache, testimonianze, documenti. Venezia: Seminario di Iranistica, Uralo-Altaistica e Caucasologia dell’Università degli Studi di Venezia 1982, S. 99–143. Marzaduri, Marzio (1991): „Igor’ Terent’ev regista: dal teatro d’agitazione al lager“, in: Ders.: Scritti sul futurismo russo. A curo di Daniela Rizzi. (= Ricerche di cultura euro­ pea. Forschungen zur europäischen Kultur, Band 4), Bern et al.: Peter Lang 1991, S. 231–256. Marzaduri, Marzio (1988): „Igor’ Terent’ev – teatral’nyj režisser“ [Igor’ Terent’ev – Theaterregisseur], in: Marzaduri, Marzio/Nikol’skaja, Tat’jana (Hrsg.): Igor’ Terent’ev. Sobranie sočinenij [Igor’ Terent’ev. Gesammelte Werke]. Sostavlenie, podgotovka teksta, biografičeskaja spravka, vstupitel’nye stat’i i kommentarii Marcio Marcaduri i Tat’jany Nikol’skoj. Bologna: San Francesco 1988, S. 37–80. McLuhan, Marshall (1992): Die magischen Kanäle. ,Understanding Media‘. Düsseldorf et al. Econ: 1992. Meleškina, Iryna (2016): „Die Sammlung dеr ukrainischen szenographischen Avantgarde im Fonds des Nationalen Museums für Theater, Musik und Kino der Ukraine“. Aus dem Ukrainischen von Vera Faber, in: Faber, Vera/Horbachov, Dmytro/Sonnleitner, Johann (Hrsg.): Österreichische und ukrainische Literatur und Kunst. Kontakte und Kontexte in Moderne und Avantgarde. (= Wechselwirkungen, Band 20), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2016, S. 201–235. Mudrak, Myroslava M. (1986): The New Generation and artistic modernism in the Ukraine. (= Studies in the fine arts. The avant-garde, Nr. 50), Ann Arbor: UMI Press 1986. Muscheler, Ursula (2016): Das rote Bauhaus. Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern. Berlin: Berenberg 2016. Muzej suvremene umjetnosti (Hrsg.) (1990): Ausst.-Kat. Ukrajinska avangarda 1910– 1930. Zagreb: Galerija Grada Zagreba 1990.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

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Simonek, Stefan (1998): „Avtoėkzekucija Ė. Strichi i ėkzekucija K. Burevija kak konec ukrainskogo ludizma“ [Die Autoexekution des E. Stricha und die Exekution K. Burevijs als Ende des ukrainischen Ludismus], in: Russian Literature, JG 43, Nr. 2 (1998), S. 271–281. Simonek, Stefan (1992): Osip Mandel’štam und die ukrainischen Neoklassiker – Zur Wechselbeziehung von Kunst und Zeit. München: Verlag Otto Sagner 1992. Shevelov, George (1989): The Ukrainian Language in the First Half of the Twentieth Century (1900–1941). Its State and Status. Cambridge: Harvard University Press 1989. Shkandrij, Myroslav (Hrsg.) (1986): Mykola Khvylovy. The Cultural Renaissance in Ukraine. Polemical Pamphlets, 1925–1926. Edmonton: Canadian Institute of Ukrainian Studies 1986. Shkandrij, Myroslav (1992): „Ukrainian Avant-Garde Prose in the 1920s“, in: Hawkesworth, Celia (Hrsg.): Literature and Politics in Eastern Europe. Selected Papers from the Fourth World Congress for Soviet and East European Studies, Harrogate, 1990. New York: St. Martin’s Press 1992, S. 106–116. Sinčenko, Oleksij (2009): „Konstruktyvists’ki pryncypy literaturnoji teoriji Valeriana Poliščuka“ [Konstruktivistische Prinzipien der Literaturkritik von Valerian Poliščuk], in: Praci molodych učenych, Nr. 15, Kyjiv 2009, S. 58–62: http://elibrary. kubg.edu.ua/2032/1/O_Sinchenko_LOPMU_15_GI.pdf (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). Smirnov, Leonid et al. (2015): Konstruktivizm Ekaterinburga [Der Konstruktivismus Jekaterinburgs]. Ekaterinburg: Aproš 2015. Sonne, Wolfgang (2005): „Die Hauptstadt als Bild des Staates. Planungen des frühen 20. Jahrhunderts im internationalen Vergleich“, in: Bartetzky, Arnold/Dmitrieva, Marina/Troebst, Stefan (Hrsg.): Neue Staaten – neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbstdarstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918. (= Visuelle Geschichtskultur, Band 1), Köln et al.: Böhlau 2005, S. 13–31. Sontag, Susan (2013): „Die Bilderwelt“, in: Dies.: Über Fotografie. Aus dem Amerikanischen von Mark W. Rien und Gertrud Baruch. 13. Auflage, Frankfurt a. M.: Fischer 2013, S. 146–172. Sontag, Susan (2013): „Objekte der Melancholie“, in: Dies.: Über Fotografie. Aus dem Amerikanischen von Mark W. Rien und Gertrud Baruch. 13. Auflage, Frankfurt a. M.: Fischer 2013, S. 53–83. Spielmann, Yvonne (2004): „Intermedialität und Hybridisierung“, in: Lüdeke, Roger/Greber, Erika: Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft. (= Münchener Universitätsschriften. Münchner Komparatistische Studien, Band 5), Göttingen: Wallstein Verlag 2004, S. 78–102. Stephan, Halina (1981): „LEF“ and the Left Front of the Arts. (= Slavistische Beiträge, Band 142), München: Verlag Otto Sagner 1981. Striedter, Jurij (1969): „Zur formalistischen Theorie der Prosa und der literarischen Evolution“, in: Ders. (Hrsg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München: Wilhelm Fink Verlag 1969, S. IX–LXXXIII. Sulyma, M. (1987): „Bilja džerel: Mychajl’ Semenko – redaktor VUFKU“ [Quellenstudien: Mychajl’ Semenko – Redakteur der VUFKU], in: Kul’tura i žyttja, Nr. 51 (1987), Nedilja, 20 hrudnja 1987 roku, S. 4.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

T Tobin, Jordan (2015): „Alexandra Exter 1908–1914: Futurist influences from Russia and the West“, in: Berghaus, Günter (Hrsg.): International Yearbook of Futurism Studies. Vol. 5 (2015), S. 256–265. Tötösy de Zepetnek, Steven (1998): Comparative Literature. Theory, Method, Application. Amsterdam/Atlanta: Rodopi 1998. Trotzki, Leo (1993): Die permanente Revolution: Ergebnisse und Perspektiven. Essen: Mehring Verlag 1993. Tschižewskij, Dmitrij (Hrsg.) (1968): V. V. Chlebnikov. Sobranie Sočinenij II. V. V. Chlebnikov. Gesammelte Werke II. Nachdruck der Bände 3 und 4 der Ausgabe Moskau 1928–1933. Hgg. von Jurij Tynjanov. (= Slavische Propyläen. Texte in Neu- und Nachdrucken. Band 37, II), München: Wilhelm Fink 1968. Turowski, Andrzej (1994): „Die Welt konstruieren“, in: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ausst.-Kat. Europa, Europa. Das Jahrhundert der Avantgarde in Mittel- und Osteuropa. Band 1: Bildende Kunst. Fotografie. Videokunst. Bonn: Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen 1994, S. 142–145. Tynjanov, Jurij (1969): „Über die literarische Evolution“, in: Striedter, Jurij (Hrsg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München: Wilhelm Fink 1969, S. 433–461. Tynjanov, Jurij/Stepanov, N. (Hrsg.) (1930): Velimir Chlebnikov. Sobranie proizvedenij v 5-ti tt. tom 3. Stichotvorenija. 1917–1922 [Velimir Chlebnikov. Gesammelte Werke in 5 Bänden. Band 3. Gedichte. 1917–1922]. Leningrad: Izdatel’stvo pisatelej v Leningrade 1930. V Van den Berg, Hubert/Fähnders, Walter (Hrsg.) (2009): Metzler Lexikon Avantgarde. Stuttgart/Weimar: Metzler 2009. Van den Berg, Hubert (2011): „Provinzielle Zentren – metropolitane Peripherie. Zur Topographie der europäischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts und ihrer Vernetzung“, in: Hunkeler, Thomas/Kunz, Edith Anna (Hrsg.): Metropolen der Avantgarde. Métropoles des avant-gardes. Bern et al.: Peter Lang 2011, S. 175–186. Van den Berg, Hubert (2000): „,Übernationalität‘ der Avantgarde – (Inter)Nationalität der Forschung. Hinweis auf den internationalen Konstruktivismus in der europäischen Literatur und die Problematik ihrer literaturwissenschaftlichen Erfassung“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): Der Blick vom Wolkenkratzer: Avantgarde, Avantgardekritik, Avantgardeforschung. (= Avantgarde Critical Studies 14), Amsterdam: Rodopi 2000, S. 255–288. Van den Berg, Hubert (1997): „Zwischen Totalitarismus und Subversion. Anmerkungen zur politischen Dimension des avantgardistischen Manifestes“, in: Asholt, Wolfgang/Fähnders, Walter (Hrsg.): „Die ganze Welt ist eine Manifestation“ – Die europäische Avantgarde und ihre Manifeste. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997, S. 58–80. Verves, Hryhorij (1996): Ukrajinci na randevu z Jevropoju [Die Ukrainer beim Rendezvous mit Europa]. Kyjiv: NANU 1996.

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Veselovska, Hanna (2010): „Kyiv’s Multicultural Theatrical Life, 1917–1926“, in: Makaryk, Irena R./Tkacz, Virlana (Hrsg.): Modernism in Kiev/Kyjiv/Kiev/Kijów/ Kiev. Jubilant Experimentation. Toronto et a.: University of Toronto Press 2010, S. 243–274. W Waldenfels, Bernhard (1990): Der Stachel des Fremden. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990. Warning, Rainer (2009): Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung. München: Fink 2009. Wat, Aleksander (2000): Jenseits von Wahrheit und Lüge. Mein Jahrhundert. Gesprochene Erinnerungen 1926–1945. Mit einem Vorwort von Czesław Miłosz. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Hgg. und mit einem Nachwort versehen von Matthias Freise. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000. Weststeijn, Willem (2009): „Ukraine“ (Lexikoneintrag). Aus dem Niederländischen von Hubert van der Berg, in: Van den Berg, Hubert/Fähnders, Walter (Hrsg.): Metzler Lexikon Avantgarde. Stuttgart/Weimar: Metzler 2009, S. 341–342. Wilke, Tobias (2010): Medien der Unmittelbarkeit. Dingkonzepte und Wahrnehmungstechniken 1918–1939. München: Wilhelm Fink 2010. Willet, John: Art and Politics in the Weimar Period. The New Sobriety, 1917–1933. Paperback Edition. New York: Da Capo Press 1996. Wilske, Ludwig/Krause, Wolf-Dieter (1987): „Intertextualität als allgemeine und spezielle Texteigenschaft“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der PH Potsdam, Nr. 5 (1987), S. 890–895. Winko, Ulrich (1998): „Von der Kunst zur Wissenschaft. Avantgardistische Kunst- und Architekturtheorie im Kontext der Wissenschaftlichen Weltauffassung“, in: ThurmNemeth, Volker (Hrsg.): Konstruktion zwischen Werkbund und Bauhaus. Wissenschaft – Architektur – Wiener Kreis. (= Wissenschaftliche Weltauffassung und Kunst, Band 4), Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1998, S. 159–184. Y Yekelchyk, Serhy (2007): Ukraine. Birth of a Modern Nation. Oxford et al.: Oxford University Press 2007. Z Zajac, Peter (2009): „Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma“, in: Csáky, Moritz et al. (Hrsg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum: Kulturwissenschaften nach dem ,Spatial Turn‘. Bielefeld: Transcript Verlag 2009, S. 133–147. Zelinskij, Aleksandr (Hrsg.) (2015): Kornelij Zelinskij. Poėzija kak smysl. Kniga o konstruktivizme [Kornelij Zelinskij. Poesie als Sinn. Das Buch über den Konstruktivismus]. Moskva: Ogi 2015. Zhadova, Larissa (1979): „Some notes on the history of clothes design and other everyday items“, translated by Ilya Levin, in: Galerie Gmurzynska (Hrsg.): Ausst.Kat. Künstlerinnen der russischen Avantgarde/Russian women-artists of the avant-garde. 1910–1930. Köln: Galerie Gmurzynska 1979, S. 67–74.

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Zoltán, Peter (2010): Lajos Kassák, Wien und der Konstruktivismus 1920–1926. (= Budapester Studien zur Literaturwissenschaft, Band 15), Frankfurt a. M. et al.: Lang 2010. Zygas, K. Paul (1992): „OSA’s 1927 Exhibition of Contemporary Architecture: Russia and the West Meet in Moscow“, in: Harrison Roman, Gail/Hagelstein Marquardt, Virginia (Hrsg.): The Avant-Garde Frontier. Russia Meets the West, 1910–1930. Gainesville: University of Florida Press 1992, S. 102–142. Ž Žukovs’kyj, Arkadij/Subtel’nyj, Orest (1991): Narys istoriji Ukrajiny [Skizze der ukrainischen Geschichte], L’viv: NTŠ 1991.

Ausstellungskataloge, Ausschreibungsunterlagen ohne Herausgeberangaben Prohrama mižnarodn’oho konkursu na projekt deržavnoho ukrajins’koho teatru masovoho muzyčnoho dijstva na 4.000 čolovika v m. Charkovi [Programm des internationalen Wettbewerbs für ein Massenmusiktheater für 4.000 Personen in Charkiw] (Ausschreibungskatalog). Charkiv: [ohne Verlagsangabe] 1930 (ukrainisch, russisch, deutsch, englisch, französisch). Ausst.-Kat. Internationale Buchkunst-Ausstellung. Amtlicher Katalog. Leipzig: Insel-Verlag 1927. Ausst.-Kat. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Pressa Köln 1928. Ohne Publikationsort 1928

Einträge in Onlinelexika Charkiwer Staatliche Akademie für Kunst und Design: „Chudožnyky avanhardu j ukrajins’ka vyšyvka“ [Künstler der Avantgarde und die ukrainische Stickerei] http://www.ksada.org/nov-3-01.html (zuletzt abgerufen am 25.3.2017). Douglas, Susan: Primitivism and the Avant-Garde. Posted on May 8 2013 https://modernlatinamericanart.wordpress.com/2013/05/08/primitivism-and-theavant-garde/ (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). Freeze, ChaeRan: „Khar’kiv“, in: YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe http://www.yivoencyclopedia.org/article.aspx/Kharkiv (zuletzt abgerufen am 26.3.2017). IMDB: „Eugene Deslaw“ (Lexikoneintrag), in: IMDB (International Movie Database) http://www.imdb.com/name/nm0221342/?ref_=fn_al_nm_1 (zuletzt abgerufen am 1.4.2017). IMDB: „A. Pereguda“ (Lexikoneintrag), in: IMDB (International Movie Database) http://www.imdb.com/find?ref_=nv_sr_fn&q=peguda&s=all (zuletzt abgerufen am 26.3.2017) Lejkind, O./Severjuchin, D.: „ROMOV Sergej Matveevič (sobstv. Roffman Solomon Davidovič)“ (Lexikoneintrag), in: Iskusstvo i architektura russkogo zarubež’ja http://www.artrz.ru/menu/1804681482/1805055132.html (zuletzt abgerufen am 26.3.2017).

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1.4 Abbildungsverzeichnis Kapitel I Abb. 1, S. 51: Mychajl’ Semenko: „Kvero-Futurizm“, 1914. Umschlag, aus: Belaja, Anna et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016, S. 319. Abb. 2, S. 55: Mychajl’ Semenko: „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 1“ [Poesie-Malerei. „Kabelpoem“. Karte Nr. 1], in: Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (1922), unpag. Abb. 3, S. 55: Mychajl’ Semenko: „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 3“ [Poesie-Malerei. „Kabelpoem“. Karte Nr. 3], in: Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (1922), unpag. Abb. 4, S. 55: Mychajl’ Semenko: „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 8“ [Poesie-Malerei. „Kabelpoem“. Karte Nr. 8], in: Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv, Nr. 1 (1922), unpag. Abb. 5, S. 55: Mychajl’ Semenko: „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo“ [Mein Mosaik. Poesie-Malerei]. Umschlag, in: Kobzar, Kyjiv 1924, aus: Belaja, Anna et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016, S. 283. Abb. 6, S. 56: Mychajl’ Semenko: „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo: „Tuha za avirom“ [Mein Mosaik. Poesie-Malerei. „Sehnsucht nach der Bestie“], in: Kobzar, Kyjiv 1924, aus: Belaja, Anna et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016, S. 284. Abb. 7, S. 56: Mychajl’ Semenko: „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo: ,Systema‘“ [Mein Mosaik. Poesie-Malerei. „System“], in: Kobzar, Kyjiv 1924, aus: Belaja, Anna et al. (Hrsg.): Michajl’ Semenko i ukrainskij panfuturizm. Manifesty. Mistifikacii. Stat’i. Lirika. Viziopoėzija. Sankt-Peterburg: Avant-Garde 2016, S. 291. Abb. 8, S. 73: Alexander Archipenko, „Venus“ 1910–1911 (Foto der Skulptur), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 25. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 9, S. 73: Alexander Archipenko: „Roter Tanz“ 1912–1913 (Foto der Skulptur), in: Walden, Herwarth: Einblick in Kunst. Berlin: Verlag Der Sturm 1917, S. 23. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 10, S. 74: Alexandra Exter: „Kostümskizze von Alexandra Exter. Aus dem Exter-Buch, Sarja-Verlag 1922“ (Skizze), in: Der Querschnitt, Jahresausgabe 1922. Hgg. von Alfred Flechtheim, Wilhelm Graf Kielmansegg und Hermann von Wederkop. Berlin et al.: Galerie Alfred Flechtheim 1922, unpag. Abb. 11, S. 76: Jevhen Deslav [Eugène Deslaw]: „Z fil’mu ,Monparnas‘ 1929“ [Aus dem Film „Monparnas“ (Originaltitel: „Montparnasse“)], in: Nova Generacija, Nr. 6 (1929), Abb.-Seite 7.

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Kapitel II Abb. 12, S. 80: Handtaschen nach Entwürfen von Ol’ga Rozanova, beide 1916– 1917 (Fotografie, Urheber unbekannt), aus: Douglas, Charlotte: „Suprematist Embroidered Ornament“, in: Art Journal54, Nr. 1 (Spring 1995), S. 42–45, hier S. 44. Abb. 13, S. 80: [O. V.]: Die Volkskünstlerin Hanna Sobačko in Skopci, 1915 (Fotografie, ohne Urheberangabe): http://www.memory.gov.ua/historyday/15-grudnya (zuletzt abgerufen am 12.1.2017). Abb. 14, S. 86: Zentrum – Peripherie – Dezentralisierung. Künstlerische Zentren zu Beginn der 1920er-Jahre. (Grafik). Gestaltung: Vera Faber. Abb. 15, S. 86: Zentrum – Peripherie – Dezentralisierung. Künstlerische Zentren Ende der 1920er-Jahre. (Grafik). Gestaltung: Vera Faber. Abb. 16a, S. 128: Dzeržyns’kyj-Platz, Projektskizzen des Architekten Samujil Kravec’, in: Nova Generacija, Nr. 12 (1929), Abb.-Seite 9. Abb. 16b, S. 129: Dzeržyns’kyj-Platz, Projektskizzen des Architekten F. Kondrašenko, in: Nova Generacija, Nr. 12 (1929), Abb.-Seite 11. Abb. 17, S. 131: „Neubau des Industrie- und Handelsgebäudes/Charkow“ (Fotografie, ohne Urheberangabe), in: Wasmuths Monatshefte, Nr. 3 (1929), S. 112. Abb. 18, S. 132: Deržprom-Gebäude in Charkiw (1929). (Fotografie, ohne Urheberangabe), aus: De Feo, Vittorio: URSS architettura 1917–1936. Roma: Riuniti 1963, S. 150. Abb. 19, S. 133: Deržprom-Gebäude in Charkiw (1929). (Fotografie, ohne Urheberangabe), aus: De Feo, Vittorio: URSS architettura 1917–1936. Roma: Riuniti 1963, S. 151. Abb. 20, S. 133: Deržprom-Gebäude in Charkiw (1929). (Fotografie, ohne Urheberangabe), aus: De Feo, Vittorio: URSS architettura 1917–1936. Roma: Riuniti 1963, S. 151. Abb. 21, S. 138: Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 1 (1927), Gestaltung: Vadym Meller, in: Nova Generacija, Nr. 1 (1927), U1. Abb. 22, S. 138: Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 8 (1929), Gestaltung: Dan Sotnyk, in: Nova Generacija, Nr. 8 (1929), U1. Abb. 23, S. 138: Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 4 (1930), Gestaltung: Anatol’ Petryc’kyj, in: Nova Generacija, Nr. 4 (1930), U1. Abb. 24, S. 138: Umschlag der „Nova Generacija“, Nr.11–12 (1930), Gestaltung: Anatol’ Petryc’kyj, in: Nova Generacija, Nr. 11–12 (1930), U1. Abb. 25, S. 144: „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, 1928 (einmalig). Umschlag. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov, Oleksandr Levada. Abb. 26, S. 144: „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, 1928 (einmalig). Umschlaginnenseite vorne (U2). Gestaltung: Vasyl’ Jermilov. Abb. 27, S. 144: „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“, 1928 (einmalig). Umschlagrückseite (U4). Gestaltung: Vasyl’ Jermilov. Abb. 28, S. 144: „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“, 1929. Umschlag. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov. Abb. 29, S. 147: „Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo“, 1929. Zmist [Inhalt]. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov. Abb. 30, S. 149: „Radius avangardovcev“, 1928. Umschlag. Gestaltung: Vasyl’ Jermilov.

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Kapitel III Abb. 31, S. 154: „Vešč’ – Objet – Gegenstand“, Nr. 1–2 (1922). Umschlag. Gestaltung: El Lissitzky. Abb. 32, S. 156: „LEF“, Nr. 3 (1923). Umschlag. Gestaltung: Aleksandr Rodčenko. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 33, S. 156: „Novyj LEF“, Nr. 1 (1927). Umschlag. Gestaltung: Aleksandr Rodčenko. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 34, S. 160: „Sovremennaja architektura“, Nr. 3 (1927). Umschlag. Gestaltung: Aleksej Gan. Abb. 35, S. 163: „Mena vsech“, 1924. Umschlag. Abb. 36, S. 165: „Der Sturm“, Nr. 5 (1923). Umschlag. Sujet: Alexander Archipenko, „Frauenfigur“. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 37, S. 167: „bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung“, Nr. 1 (1928). Umschlag. Gestaltung: Herbert Bayer. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 38, S. 170: „Der Querschnitt“, VII. JG, Heft 1 (Januar 1927). Umschlag. Sujet: Moisej Kogan. Abb. 39, S. 170: „Cahiers d’Art“, Nr. 2 (1927). Umschlag. Abb. 40, S. 192: Walerjan Polischtschuk et al. (1929): „Aufruf der Avangarde“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 60–62, hier S. 60. Abb. 41, S. 273: „Bürobau des Obersten Wirtschaftsrates in Charkow“ (Fotografie, ohne Urheberangabe, 1929), in: Conrads, Ulrich (Hrsg.): El Lissitzky. 1929. Rußland: Architektur für eine Weltrevolution. Berlin et al.: Ullstein 1965, S. 82. Abb. 42, S. 274: „Bürobau des Obersten Wirtschaftsrates in Charkow“ (Fotografie, ohne Urheberangabe), in: Conrads, Ulrich (Hrsg.): El Lissitzky. 1929. Rußland: Architektur für eine Weltrevolution. Berlin et al.: Ullstein 1965, S. 82. Abb. 43, S. 275: Norman Bel Geddes: Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (Modell, 1931), aus: De Feo, Vittorio: URSS architettura 1917–1936. Roma: Riuniti 1963, S. 179. © The Edith Lutyens & Norman Bel Geddes Foundation, Inc. Abb. 44a, S. 276: Walter Gropius (Entwurf ), Stefan Sebök (Zeichnung): Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (1930–1931). Zeichnerische Perspektive der Eingangsseite. Silbergelatinepapier. Fotograf unbekannt. © Für Gropius: Bildrecht Wien, 2019. Bildnachweis: Bauhaus-Archiv Berlin (6756/8). Abb. 44b, S. 276: Walter Gropius (Entwurf ), Stefan Sebök (Zeichnung): Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (1930–1931). 2 Straßenansichten. Silbergelatinepapier. Fotograf unbekannt. © Für Gropius: Bildrecht Wien, 2019. Bildnachweis: Bauhaus-Archiv Berlin (6756/7). Abb. 45, S. 278: A. Vesnin, V. Vesnin: Entwurf für das Staatstheater in Charkiw (Skizze, 1931), aus: De Feo, Vittorio: URSS architettura 1917–1936. Roma: Riuniti 1963, S. 183. © Bildrecht Wien, 2019.

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Kapitel IV Abb. 46, S. 297: Beispiel für die Mehrsprachigkeit in der „Nova Generacija“: Innentitelseite auf Ukrainisch und Französisch, in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), S. 2–3. Abb. 47, S. 298: Beispiel für die Mehrsprachigkeit in der „Nova Generacija“: deutschsprachige Innentitelseite, in: Nova Generacija, Nr. 2 (1930), S. 3. Abb. 48, S. 300: Esperanto-Übersetzung von „Rozkvit ukrajins’koji literatury“: Valerian Polishchuk: „La Ekfloro de l’Ukraina literaturo“, in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 3 (1929), S. 171–174 (Esperanto). Abb. 49, S. 315: Walerjan Polischtschuk: „Aeronautik“ (1929), in: Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo, Nr. 1 (1929), S. 28.  Abb. 50, S. 320: Aleksandr Rodčenko: „LET. Aviostichi“ (Umschlag, 1923), in: Aseev, Nikolaj (Hrsg.): LET. Aviostichi. Moskva: Krasnaja Nov’ 1923. © Bildrecht Wien, 2019. Abb. 51, S. 328: Dan Sotnyk: „Fotohrama 1928“ [Fotogramm 1928], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), Abb.-Seite 4. Abb. 52, S. 328: Dan Sotnyk: „Fotohrama 1928“ [Fotogramm 1928], in: Nova Generacija, Nr. 1 (1929), Abb.-Seite 5. Abb. 53, S. 328: Vladislav Moholi Nagi [László Moholy-Nagy]: „Fotohrama No. 1“ [Fotogramm Nr. 1], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 9. Abb. 54, S. 328: Vladislav Moholi Nagi [László Moholy-Nagy]: „Fotohrama No. 2“ [Fotogramm Nr. 2], in: Nova Generacija, Nr. 3 (1929), Abb.-Seite 10. Abb. 55, S. 330: V. Škorbatov: „Fotohrama, Odesa 1929“ [Fotogramm, Odessa 1929], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), Abb.-Seite 3. Abb. 56, S. 331: V. Škorbatov: „Fotohrama, Odesa 1929“ [Fotogramm, Odessa 1929], in: Nova Generacija, Nr. 4 (1929), Abb.-Seite 4.

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Appendix

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Glossar

2.1 Vereinigungen, Gruppierungen, Institutionen, Programme AsKK Komunkul’t (Asocijacija komunistyčnoji kul’tury): Vereinigung der kommunistischen Kultur, Kiew und Charkiw, 1924–1925. Aspanfut (Asocijacija panfuturystiv): Vereinigung der Panfuturisten, Charkiw und Kiew, 1922–1931. Asocijacija robitnykiv komunistyčnoji kul’tury: Vereinigung der Arbeiter der kommunistischen Kultur, 1924–1930. Bauhaus: Weimar (1919–1925), Dessau (1925–1932), Berlin (1932–1933). Berezil’: Ukrainischsprachiges Theater unter der Leitung von Les’ Kurbas, Kiew (1922– 1926), Charkiw (1926–1933). BPRS: Bund Proletarischer und Revolutionärer Schriftsteller; gegründet 1928 u. a. von Egon Erwin Kisch. Weiteres Mitglied: Johannes R. Becher. Bubnovyj Valet: Karo Bube, Moskau, 1910–1917. ChTZ (Charkivs’kyj traktornyj zavod): Charkiwer Traktorenfabrik. Centrosojuz: Zentralverband der Konsumgenossenschaften, ab 1896. CK KPU (Central’nyj komitet komunistyčnoji partiji Ukrajiny): Zentralkomitee der kommunistischen Partei der Ukraine. Der Sturm: Berlin, 1910–1931. De Stijl: Leiden, 1917–1931. Deutscher Werkbund, gegründet in München, 1907–1938. Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny: Staatsverlag der Ukraine. Ego-Futuristen: Sankt Petersburg, 1911/12–1914. Erster Fünfjahresplan: Sowjetunion, 1928–1932. GInChUK (Gosudarstvennyj institut chudožestvennoj kul’tury): Staatliches Institut für künstlerische Kultur, Leningrad, 1924–1926. Hart: Härtung, Charkiw, 1923–1925. Hylæa: Russland, ab 1910. Jugo-LEF: Süd-Lef, Odessa, 1924–1925. K. I.: Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft, 1922–1927. KOMKOSMOS: Der kommunistische Kosmos, Charkiw, 1921. Korenizacija: Verwurzelung; offizielle sowjetische Verwurzelungspolitik, die in der Ukraine auch „Ukrainisierung“ genannt wird, 1923–1931. Kubofuturismus/Hylaea: Moskau, ca. 1911–1915. Kverofuturismus: Kiew, 1914–1920. LCK (Literaturnyj centr konstruktivistov): Literarisches Zentrum der Konstruktivisten, Moskau, 1924–1930. LEF (Levyj front iskusstv): Linke Front der Künste, Moskau, 1923–1925. L’esprit Nouveau: Paris, 1920–1925. Literaturnyj jarmarok: Jahrmarkt der Literatur, Charkiw, 1928–1929. MARS (Majsternja revoljucijnoho slova): Werkstatt des revolutionären Wortes, Kiew, 1924–1927.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

NARKOMPROS (Narodnyj komisariat prosvity): Volkskommissariat für Bildungswesen. NĖP (Novaja ėkonomičeskaja politika): Neue Ökonomische Politik, 1921–1928. Nova Generacija: Die Neue Generation, u. a. in Charkiw und Kiew, 1927–1931. Novyj LEF: Neue linke Front der Künste, Moskau, 1927–1928. Neo-Lif: Moskau, 1924–1927. OBĖRIU (Ob”edinenie real’nogo iskusstva): Vereinigung der realen Kunst, 1926–1930. Oktjabr’: Oktober, Vereinigung der Arbeiter in neuen Arten der Kunsttätigkeit, 1928–1932. OSA (Ob”edinenie sovremennych architektorov): Vereinigung zeitgenössischer Architekten, 1927 umbenannt in ROSA (Rossijskoe ob”edinenie sovremennych architektorov), Moskau, 1925–1932. OSAU (Ob”jednannja sučasnych architektoriv Ukrajiny): Vereinigung zeitgenössischer Architekten der Ukraine, u. a. in Charkiw und Kiew, 1928–1932. OSMU (Ob”jednannja sučasnych mytciv Ukrajiny): Vereinigung zeitgenössischer Maler der Ukraine, u. a. in Charkiw und Odessa, 1927–1932. OST (Obščestvo chudožnikov-stankovistov): Gesellschaft der Staffelei-Künstler, Moskau, 1925–1931. PivdenROSTA, auch UkrROSTA: Süd-ROSTA, ukrainische ROSTA, 1920–1921. Pluh. Spilka seljans’kych pys’mennykiv: Pflug. Vereinigung der bäuerlichen Schriftsteller der Ukraine, Charkiw, 1922–1932. Proletkul’t (Proletarskaja kul’tura): Proletarische Kultur, Sowjetunion, 1927–1925. RAPP (Rossijskaja associacija proletarskich pisatelej): Russische Vereinigung proletarischer Schriftsteller, 1925–1932. REF (Revoljucionnyj front iskusstv): Revolutionäre Front der Künste, 1928–1930. RGALI (Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva): Staatliches Russisches Archiv für Literatur und Kunst, Moskau. ROSTA (Rossijskoe telegrafnoe agenstvo): Russisches Telegrafenamt, 1918–1925. SA (Sovremennaja architektura): Architektur der Gegenwart, Moskau, 1926–1930. SiM (Selo i misto)/Neo-Lif: Dorf und Stadt/Neu-Lef, Moskau, 1924–1927. Udarna Hrupa Poetiv-futuristiv: Stoß-Gruppe der Poeten-Futuristen, Charkiw, 1920–1921. UNOVIS (Utverditeli novogo iskusstva): Bekräftiger der Neuen Kunst, Vitebsk, 1920– 1922 VAPLITE (Vil’na akademija proletars’koji literatury): Freie Akademie der proletarischen Literatur, Charkiw, 1925–1928. VAPP (Vserossijskaja associacija proletarskych pisatelej): All-Russische Vereinigung proletarischer Schriftsteller, gegründet 1924. VChUTEMAS (Vysšie chudožestvenno-techničeskie masterskie): Höhere künstlerischtechnische Werkstätten, Moskau, 1920–1926. VOKS (Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej): All-Unions-Gesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland. VUSPP (Vseukrajins’ka spilka proletars’lych pysmennykiv): All-Ukrainische Vereinigung proletarischer Schriftsteller, 1926–1932. VUFKU (Vseukrajins’ke fotokinoupravlinnja): All-Ukrainische Foto- und Kinoverwaltung, Odessa und Kiew, 1922–1930. Žovten’: Oktober, 1924?–1926.

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2.2 Verzeichnis der Mitglieder der Nova Generacija und von Avanhard Burevij, Kost (eig. Kost’ Sopljak): 1988–1934 (Pseudonyme: Edvard Stricha, Varvara Žukova, Kost’ Sokolovs’kyj Nachtenborhen). Avanhard, Nova Generacja. Buz’ko, Dmytro: 1891–1937 Avanhard, Nova Generacija. Černov, Leonid (eig. Leonid Malošičenko): 1899–1933 Avanhard, Nova Generacija. Čužyj, Andrij: 1897–1989 Nova Generacija. Frenkel’, Leonid: ??–?? Nova Generacija. Jaryna, Viktor (eig. Viktor Pysarevs’kyj): 1901–1928 Avanhard. Javors’kyj, Jevhen: ??–?? Nova Generacija. Jermilov, Vasyl’, 1894–1967 Avanhard. Koljada, Geo (eig. Hrihorij Panasovyč): 1904–1941 Avanhard, Nova Generacija. Korž, Oleksij (auch Ole, Oleksandr): 1903–1984 Nova Generacija. Kurbas, Les’: 1887–1937 Nova Generacija, außerdem: Berezil’. Malevič, Kazimir: 1879–1935 Nova Generacija. Mar”jamov, Oleksandr: 1909–1972 Nova Generacija. Majs’kyj, Mychajlo: 1889–1960 Avanhard. Mejtus, Julij: 1903–1997 Avanhard. Meller, Vadym: 1884–1962 Nova Generacija, außerdem: Berezil’. Meter, Es (eig. Izrajil Metter): 1909–1996 Avanhard, Nova Generacija. Michal’s’kyj, Jevhen (auch Mychal’s’kyj; Mihhalski; Michal’skij, Evgenij): 1897–1937 (Pseudonyme: Torentano, Revulo, Profetivski) Avanhard Mysyk, Vasyl’: 1907–1983 Avanhard. Nedolja, Leonid (eig. Lukijan Gončarenko?): 1897–? Nova Generacija, außerdem: Jugo-LEF. Pal’mov, Viktor: 1888–1928 Nova Generacija.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Patjak, Anatolij: 1898–1937 Avanhard. Petryc’kyj, Anatol’: 1895–1964 Nova Generacija. Poliščuk, Valerijan: 1897–1937 (Pseudonyme: Semen Jechida, Vasyl’ Soncvit, Mykyta Volokyta, Miše-Nama, Petrenko, Gutta) Avanhard, außerdem: Hart. Poltorac’kyj, Oleksij [Oleksandr]: 1905–1977 Nova Generacija. Sanovyč [Sanovič], Anatolij: ??–?? Nova Generacija, Avanhard. Semenko, Mychajl’: 1892 – 1937 (Pseudonyme: M. Tryroh, Jakov Mošek, A. Cerbo, M. M. Mertvopetljukoj u. a.) Aspanfut, AsKK Komunkul’t, Nova Generacija, Udarna hrupa poetiv-futurystiv, VUFKU. Senčenko, Ivan: 1901–1975 Avanhard, außerdem: Pluh, Hart, VAPLITE. Skrypnyk, Leonid: 1893–1929 (Pseudonyme: Levon Lajn, M. Lans’kyj) Nova Generacija. Škurupij, Geo: 1903–1937 Nova Generacija, außerdem: AsKK Komunkul’t, Aspanfut, Flamingo, KOMKOSMOS, VAPLITE. Soroka, Oleksandr: 1901–1941 (Pseudonyme: Muljar, Kopycja, Krokis, Vakar, Tymko, Harkuša, Akoros) Avanhard. Sotnyk, Dan: ??–?? Nova Generacija. Terent’ev, Igor’: 1892–1937 Nova Generacija. Trojanker, Raisa (auch Rajisa) 1908–1945 Avanhard, außerdem: Hart. Vakar, Gro: 1901–1937 Nova Generacija. Ver, Viktor (eig. Čereveko Prokopovyč): 1901–1944 Nova Generacija. Vlyz’ko, Oleksa: 1908–1934 Nova Generacija.

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Register

3.1 Namen- und Titelregister Adler, Leo | 272 – „Mystectvo i technyka“ | 272 Adorno, Theodor W. | 255, 258 Agapov, Boris | 162 – „Deklaracija literaturnogo centra konstruktivistov (LCK)“ | 162 Aksenov, I. A. | 162 – „Deklaracija literaturnogo centra konstruktivistov (LCK)“ | 162 Al’tman, Natan  | 70, 236  Albers, Josef | 79 – „Bauhaus General. Closing of the Bauhaus“ | 79 Aljagrov → Jakobson, Roman Anderson, Benedict | 34 Annenskij, Innokentij  | 69 – Famira kifared | 69 Apollinaire, Guillaume | 47, 53 Archipenko, Alexander | 10, 72, 73, 75, 164, 165, 186, 241, 255, 256 – „Der Tanz“ | 73 – „Frauenfigur“ | 165 – „Roter Tanz“ | 73 – „Venus“ | 73 – „Zwei Körper“ | 73 Archypenko, Oleksander → Archi­penko, Aleksander Arendt, Erich | 253 – „Folterung“ | 253 Aronson, Boris | 56, 57 – „Di Vegn fun der Yidisher Moleray“ | 57 Arp, Hans | 256, 257, 296 Arvatov, Boris | 64, 155, 187, 260 – „Toward Proletarian Art“ | 260 – „Vešč’‘ (Rezension)“ | 155 – „Wofür kämpft ,Lef ‘?“ | 187 Aseev, Nikolaj | 119, 136, 156, 187, 221, 235, 238, 320 – LET. Aviostichi | 320, 321 – „Wofür kämpft ,Lef ‘?“ | 187 Asholt, Wolfgang | 32, 48, 173, 178

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Assmann, Aleida | 28 Avangard. Al’manach proletars’kych myt­ cjiv Novoji Generaciji (Zeit­schrift) | 126, 139, 140, 182, 224 – „Bjuleten’ novoho mystectva“ | 139, 158 Avanhard (Zeitschrift) | 9, 10, 19, 142, 143, 145, 146, 147, 148, 149, 154, 163, 164, 168, 169, 170, 190, 215, 216, 217, 218, 219, 230, 231, 239, 251, 254, 264, 267, 299, 300, 301, 302, 313, 333 – Anmerkungen zu „Il’ja Sel’vinskij, Liričeskij nabrosok“ | 332 – Anmerkungen zu „Kornelij Zelinskij, Biznes i Dostoevskij“ | 215 – Anmerkungen zu „Velimir Chlebnikov. Sovremennost’. Edinaja kniga“ | 221 – „Dovidka“ | 121, 141, 143, 191, 201, 216 – „Inhaltsangabe der Zeitschrift Avan­ garde“, Nr. 1 (1929) | 197, 219, 254, 299, 302 – „Inhaltsangabe No. 3 der Zeitschrift ,Avangarde‘“, Nr. 3 (1929) | 197, 299 – „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ | 77, 85, 113, 142, 146, 151, 169, 170, 186, 199, 215, 217, 228, 229, 254 – „Stij!“ | 145–148 – „Synja knyha“ | 41, 146 – „Učast’ berut’ ...“  | 216 – „Vid redakciji“  | 218 Avanhard. Mystec’ki materijaly avanhardu/avangardo (Zeitschrift)  | 9, 77, 92, 121, 143, 144, 146–148, 149, 157, 191, 194, 197, 201, 215, 217, 218, 219, 232, 299, 300, 302 Babel, Isaak | 70 Bachmann-Medick, Doris | 38 Bachtin, Michail | 32, 33, 35, 36, 38, 40, 81, 88, 111, 295, 325 Bahry, Romana | 268 Bal’mont, Konstantin | 188

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Barbusse, Henri | 107, 130, 131 – Russie | 130, 131 – Stalin. Eine Neue Welt | 107 Baršč, M. O. | 160 – „Zelenyj gorod“ | 160 Barthes, Roland | 40, 41, 289, 329 bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung  | 167, 326 Baumeister, Willy | 152 Bayer, Herbert | 167 – bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung, Nr. 1 (1928). Umschlag | 167 Bažan, Mykola | 121, 125, 126, 136 – Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och | 125 Becher, Johannes R. | 141, 183, 210, 216, 217, 219, 220, 250, 251, 254, 302, 319 – d ie kriegsgefahr und die aufgaben der revolutionären schriftsteller | 183 – Ljudyna prokynulas’ | 219, 302 – Eines Menschen Erwachen | 219 Behrendt, Walter | 152 – Der Sieg des Neuen Baustils | 152 Bel Geddes, Norman | 10, 275, 277 – „Entwurf für das Staatstheater in Charkiw“ | 275 Belaja, Anna → Bila, Anna Belentschikow, Valentin | 21, 50, 58, 120 Benn, Gottfried | 253, 319 Berman, E. | 141, 219, 302 Bertschik, Julia | 168, 169 Beyme, Klaus | 100 Bhabha, Homi K. | 38 Bila, Anna | 10, 22, 23, 24, 50, 51, 52, 53, 54, 87, 94, 111, 120, 264, 281, 303, 319 Bjuleten’ avanhardu/avangardo | 41, 141, 142, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 158, 163, 174, 190, 216 Blok, Aleksandr | 312 Bocconi, Umberto  | 213  Boguslavskaja, Ksenija | 81 Bohr, Jörn | 30, 31, 249, 281 Bohuslavs’ka, Valerija | 219 Bohuslavs’kyj, K.  | 141 Bojčuk, Mychajlo | 145

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Bollenbeck, Georg | 113 Bolter, Jay David | 43, 326 Bonz, Jochen | 38 Borisenok, Elena | 107, 108, 109, 114, 123 Borysov, Valentyn | 141, 191 Boulenger, Marcel | 69 Bourdieu, Pierre | 30, 37, 40, 42, 120, 279 Bowlt, John | 68, 81, 82, 222, 223 Braque, Georges | 74, 75, 255, 256, 257, 261, 297 Bratic, Ljubomir | 36, 112 Breuer, Marcel | 277 Brigada chudožnikov | 135 Brik, Osip | 122, 136, 156, 159, 187 – „Wofür kämpft ,Lef ‘? | 187 Buchartz, Max | 61 Bulgakov, Michail | 97, 312 – Belaja gvardija | 312 – „V’juga“ | 312 – Zapiski junogo vrača | 312 Buñuel, Luis | 75 Burdorf, Dieter | 42 Burevyj, Kost’ (eig. Sopljak, Kost’) | 71 – „Fašyzm i futuryzm“ | 121 Burke, Peter | 37, 38, 281, 289 Burljuk, David | 34, 48, 49, 53, 68, 69, 72, 112, 182, 203, 303 – „Frahmenty zi spohadiv futurysta (Za 40 rokiv, 1890–1930)“ | 49 – „Poščečina obščestvennomu vkusu“ | 34, 48, 53, 203, 303 – „Svjatoslav“ | 49 Burljuk, Vladimir | 48, 72 Bury, Stephen | 155 Buz’ko, Dmytro | 136, 292 – „Starym Dniprom v ostannij raz“ | 292 Bürger, Peter | 25, 88, 119, 195, 338 Cahiers d’Art (Zeitschrift) | 88, 161, 170, 171, 243, 255, 256, 257, 260, 296 – „Les dernières réalisations archi­ tecturales en Russe“ | 161, 171 Calov, Gudrun | 277 Capok, Heorhij | 141, 157, 190, 201 – „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“ | 141, 142, 190, 201 Cassirer, Ernst | 30

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Appendix

Cassou, Jean | 256 – „Georges Braque“  | 256  – „Žorž Brak“ | 256 Central’nyj komitet SIM’u | 304, 305 – „Manifest SUPSO v RSFRR ,selo i misto‘ – ,SIM‘“ | 304, 305 Cerbo, A. → Semenko, Mychajl‘   Cézanne, Paul | 170, 256, 260, 261 Chagall, Marc | 81 Chan-Magomedov, Selim | 64, 134, 157, 178, 278 Charkivs’kyj okružnyj vykonavčyj komitet | 275 – Prohrama mižnarodn’oho konkursu na projekt pam’jatnyka T. H. Ševčenkovi u m. Charkovi | 275 Charms, Daniil | 88 Chlebnikov, Velimir | 34, 47, 48, 70, 119, 141, 149, 200, 204, 220–222, 232, 260, 301, 310, 319, 320 – „Edinaja kniga“ | 221 – „Ladomir“ | 220 – Liren’ | 221 – „Poluželeznaja izba“ | 220, 221 – „Poščečina obščestvennomu vkusu“ | 34, 48, 53, 203, 303 – Sbornik novogo iskusstva | 221 – „Sovremennost’“ | 221 – Truba marsian | 320 Cholostenko, Mykola  | 178, 256, 257 – „Mis-van-der-Rohe“ | 257 Chvostenko-Chvostov, Oleksandr  | 158, 277 Chvyl’ovyj, Mykola | 21, 66, 67, 92, 93, 108, 112, 121, 285, 292, 312 – „Churtovyna“ | 312 – „Het’ vid Moskvy!“ | 112 Clark, Katerina | 95, 96, 98, 100, 113 Cohen, Jean-Louis | 160, 272 Crispoliti, Enrico | 215 Croxley, Hubert | 256, 257, 296 – Hans Arp | 256, 257, 296 Curtis, Julie | 95, 96, 97 Čajkov, Josif | 312 – „1919“, Umschlag | 312 Čašnik, Il’ja | 82

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Černin, Velvl | 219 Černov, Leonid | 77, 85, 113, 136, 141, 145, 151, 170, 191, 199, 215, 217, 228, 229, 248, 262 – „Cyvilizacija“ | 262 – „Mystec’kyj vinihret“ | 77, 85, 113, 142, 146, 151, 169, 170, 186, 199, 215, 217, 228, 229, 254 Červonyj, S. | 158 – „Nevdali turysty“ | 158 Červonyj šljach (Zeitschrift) | 157, 260, 264 Čičerin, Aleksej | 65, 162, 191, 320 – Mena vsech. Konstruktivisty poėty | 65, 162, 163, 191 – „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“ | 65, 162, 205 Čugunov, K. | 252 Čužak, Nikolaj | 156, 187, 209, 225 – Pervyj sbornik materialov rabotnikov LEFa | 156 – „Teatr Igorja Terent’eva“ | 225 Čužyj, Andrij | 90, 136, 177, 245, 252, 280 – „Vedmid’ poljuje za soncem“ | 177 Dada (Zeitschrift) | 324 Das Neue Frankfurt (Zeitschrift) | 152, 265, 266, 270 – „Neue Literatur“ | 266 Das Neue Russland (Zeitschrift) | 109, 266 Dascher, Ottfried | 168 Davidič, T. | 127, 130, 131, 134 Davydova, Natal’ja | 80 De Michelis, Cesare G. | 47 De Stijl  (Zeitschrift) | 61, 187, 286, 325 – „Manifest III. Zur neuen Weltgestal­ tung“ | 286 Der Querschnitt (Zeitschrift) | 74, 75, 168, 169, 170, 171, 269, 270 Deiss, Amely | 164 Delaunay-Terk, Sonia | 72, 75 Der Sturm (Zeitschrift) | 72, 75, 76, 88, 116, 137, 152, 164, 165, 166, 169, 210, 211, 252, 253, 254, 257, 267, 287, 319, 321, 334 – [O. V.]: „Werbeeinschaltung der Nowa Generazia“ | 137, 211

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Deslav, Jevhen → Deslaw, Eugène Deslaw, Eugène (eig. Slavčenko, Jevhenij) | 75, 76, 211, 213, 214 – „La marche des machines“ (Film) | 75 – „Z fil’mu ,Monparnas‘ 1929“ | 76 – „Montparnasse. Poème du Café crème“ (Film) | 75, 76 Dibrova, Volodymyr | 17 Die Literarische Welt (Zeitschrift) | 99, 262 – „Die politische Gruppierung der russischen Schriftsteller“ | 99 Die Weltbühne (Zeitschrift) | 101, 102, 109, 110, 268 Dika, M. | 186, 256 Dmitrieva, Marina | 21, 22, 51, 52, 57, 69, 70, 135, 136, 140, 164, 183, 184, 185, 198, 199, 210, 288, 296 Dmitriew, Alexander | 272, 273 – „Zeitgenössische Bestrebungen in der russischen Baukunst“ | 272, 273 Dobrenko, Evgeny | 95, 96, 98, 100 Doesburg, Theo van (eig. Küpper, Christian Emil Marie) | 61, 62, 139, 167, 175, 187 – „Das Ende der Kunst“ | 187 – „Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft“ | 61 – „The End of Art“ | 187 Dolengo, M. | 312, 313 – „Notatky pro našu liryku“ | 313 Donhauser, Gerhard | 17 Dorontchenkov, Ilia  | 258  Douglas, Charlotte | 81 Douglas, Susan | 69 Dovhal’, O. | 141 Dovženko, Oleksandr | 115, 140, 268, 269, 270 – „Arsenal“ | 115, 269 – „Volksredner in der Maske Trotzkis. Aus dem russischen Film ,Arsenal‘“ | 269 – „Zemlja“ | 140, 268, 269 – „Zemlja“ (Filmskript) | 140 – „Zvenyhora“ | 115 Dowschenko, A. → Dovženko, Oleksandr Dörfler, Hans-Dieter | 324

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Draj-Chmara, Mychajlo | 67 Droste, Magdalena | 166, 167 Ebbecke, K. | 277 Ebert, Hiltrud | 103 Ehrenburg, Ilja → Ėrenburg, Il’ja   Eimermacher, Karl | 97, 98 Einstein, Carl | 154, 242, 243 – Die Kunst des 20. Jahrhunderts | 242 – „Nimec’ka dumka pro sučasne maljar­ stvo SRSR“ | 242 Eisenstein, Sergej → Ėjzenštejn, Sergej Ekster, Oleksandra → Exter, Alexandra Ermolaeva, Vera | 81, 82 Esenin, Sergej | 154, 232, 311 Exter, Alexandra | 18, 22, 46, 64, 68, 69, 72, 73, 74, 75, 79, 145, 158, 222, 223, 262, 266 – „Aėlita“ | 69 – „Kostümskizze von Alexandra Exter“ | 74 Ėjchenbaum, Boris | 158, 233, 234, 235 – Literaturnyj byt | 235 – Poėtika kino | 234 – Skvoz’ literaturu | 234 Ėjzenštejn, Sergej | 103, 136, 156, 269, 270 – „Die Kinematographie der Begriffe“ | 270 – „Staroe i novoe.“ | 269 Ėrenburg, Il’ja | 60, 153, 288, 295, 325 – „Die Blockade Russlands geht ihrem Ende entgegen“ | 60, 288 – „Die Zeitschrift stellt sich die Aufgabe ....“ | 153 Faber, Vera | 21, 79, 84, 141, 157, 167, 190, 222, 223, 255, 261, 262, 263, 288, 327 Fabian, Jeanette | 61 Fähnders, Walter | 33, 43, 47, 48, 151, 173, 178, 217, 220, 280 Falk, Robert | 81 Farkas, E. | 152 – Architektur. Innenräume. Film | 152 Fasbender, Christoph | 42, 259 Fedorov, Nikolaj | 319 Feininger, Lyonel | 167 Fel’ger, Mark | 130 – „Deržprom-Gebäude“ | 11, 118, 130, 131, 132, 133, 271, 272, 273, 274

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Appendix

Fieldhouse, D. K. | 29 Fitzpatrick, Sheila | 100, 113, 114 Flaker, Aleksandar | 45, 145 Flechtheim, Alfred | 168, 291 – „Postscript“ | 291 Fliers, Thomas | 83 Foregger, Mykola | 136 Forst-Battaglia, Jakub | 17 Foucault, Michel | 35, 89 France, Anatole | 248 Frank, Susi  | 17 Franko, Ivan | 163 Freeze, ChaeRan | 122 Frenkel’, Leonid | 136 Gabo, Naum | 173 – „Realističeskij manifest“  | 173  Gabrilovič, Evgenij | 162 Gadzins’kyj, Volodymyr | 71 Gan, Aleksej | 59, 60, 64, 103, 122, 136, 160, 187, 212 – „Der Konstruktivismus“ | 59, 60, 187 – „Sovremennaja architektura“ | 160 – „Sovremennaja architektura“, Nr. 3 (1927) | 160 – „Spravka o Kazimire Maleviča“  | 212  – „Spravka pro Kazimira Malevyča“ | 212 Gaßner, Hubertus | 23, 82, 206 Gazetta dello popolo (Zeitschrift) | 318 Genette, Gérard | 40, 41, 42 Genke-Meller, Nina | 80 Gerasimo, W. A. | 277 Gerčuk, Jurij | 210, 291, 322 Giedion, Siegfried | 62, 63, 78 – „vorwort“ (telehor) | 63, 78 Giesen, Bernhard | 34, 282, 288 Ginzburg, Moisej | 83, 159, 160, 180, 294 – „Chronika vuzov/Chronik der Arbeit in Hochschulen USSR : Architekturnaja žizn’ Ukrainy/Die Bau-kunst in Ukraina“ | 180 – „Nacional’naja architektura narodov SSSR“ | 294 – Wohngebäude in Sverdlovsk | 83 – „Zelenyj gorod“ | 160 Gleizes, Albert | 154 Goering, Reinhard | 252, 319

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– Reinhard-Goering-Heft (Der Sturm) | 252 – „Stettin-Berlinflug“ | 319 – „Stockholm-Flug“ | 319 Gogol’, Nikolaj | 171, 304, 312 – „Revizor“ | 171 Gončarova, Natal’ja | 69, 81 Gorbačev, Dmitrij → Horbačov, Dmytro Gorlov, Nikolaj | 57 – Futurizm i revoljucija. Poėzija futuristov | 57 Grabowicz, George | 17 Gretchko, Valerij | 28, 29 Gris, Juan | 240, 256, 257 Grohmann, Will | 256, 257 – „Paul Klee“ | 256, 257 Gropius, Walter | 79, 166, 167, 180, 207, 276, 277, 323 – Bauhaus-Bücher | 167, 207, 327 – „Manifest und Programm des Staat­ lichen Bauhauses, April 1919“  | 166 – „nové cesty výtvarné práce“ | 323 – Staatstheater in Charkiw | 276, 277 – „Vorwort“ (Internationale Archi­ tektur) | 207 Grosz, George | 184, 185, 209, 258, 259 – An Autobiography | 185 Groxley, Hubert → Croxley, Hubert Groys, Boris | 25, 49, 52, 70, 83, 91, 289, 326 Grübel, Rainer | 23, 33, 59, 60, 62, 65, 66, 81, 114, 119, 122, 153, 162, 190, 202, 206, 310, 311, 316, 317, 320 Grusin, Richard | 43, 326 Gumbrecht, Hans Ulrich | 13, 31, 85, 106, 113, 118, 119, 227 Günther, Hans | 47, 91, 100 Guro, Elena | 50, 221 Guski, Andreas | 90 Haas, Willy | 262 – „Schwejk‘ auf der Piscator Bühne“ | 262 Hagemeister, Michael | 319 Halas, František | 123, 209 – fronta: mezinárodní sborník soudobé aktivity | 123, 209 Han, Oleksij → Gan, Aleksej

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Hansen-Löve, Aage | 25, 32, 48, 54, 82, 91, 98, 99, 122, 182, 203, 205, 237, 279 Hárs, Endre | 26, 28, 106 Hart (Zeitschrift) | 98, 141, 142, 190, 267 – „Naši pys’mennyky za kordonom“ | 98, 267 Hausmann, Guido | 116 Hausmann, Raoul | 324 Hegemann, Werner | 272 Held, Kurt → Kläber, Kurt Hengerer, Erich K. | 277 Henselmann, Hermann | 277 – Staatstheater in Charkiw | 277 Herbin, Auguste | 240 Hetman Bajda | 220 Hetman Dmytro Višnevs’kyj | 220 Hey-Erl, Ekkehard | 25, 96 Hildermeier, Manfred | 115, 134 Hirtz, L. | 277 Hjartarson, Benedikt | 142, 301 Hladkyj, V. M. | 98, 211, 250, 252, 269 Hofman, Michael | 34, 35 Hofmann, Werner | 87, 261 Holthuis, Susanne | 186 Holubenko, Dmytro | 139 Horbachov, Dmytro → Horbačov, Dmytro Horbačov, Dmytro | 16, 17, 19, 21, 22, 68, 69, 80, 81, 90, 103, 105, 112, 114, 119, 176, 222, 223, 224, 253, 280, 289 Horbenko, P.  | 260, 312 – „Ohljad Vseukrajins’koji chudožn’oji vystavky v 10 rok. Žovtnja“ | 260, 312 Hryn, Halyna | 17, 20, 85, 93, 101, 105, 108, 110, 115, 121, 124, 143, 148, 190, 247, 264 Hundorova, Tamara | 98, 250, 251, 267 Hurwicz, Elias | 110 – „Der ukrainische Separatismus“ | 110 Il Nationale (Zeitschrift) | 290 Il’f, Il’ja | 70 Il’nyc’kyj, Oleh → Ilnytzkyj, Oleh Ilnytzkyj, Oleh | 16, 20, 23, 63, 89, 93, 112, 113, 114, 118, 126, 136, 137, 139, 141, 142, 155, 158, 159, 168, 174, 181, 182, 184, 185, 187, 209, 210, 211, 227, 230, 233, 244, 245, 247, 249, 289, 290, 291, 323

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Ilyin, M. | 134 – „Städtebauliches aus Rußland“ | 134 Inber, Vera | 70, 162, 235, 240 – Amerika v Pariže | 236 – „Deklaracija literaturnogo centra konstruktivistov (LCK)“ | 162 Ingold, Felix Philipp | 249, 250, 317, 318, 319, 320 Ingulow, Sergej | 102, 123, 124, 125 – Die Presse in Sowjetrussland | 102, 123, 124 Internationale Revue i 10 (Zeitschrift) | 68, 123, 209 – „fronta. herausgegeben von fr. halas, vl. prusa, zd. rossmann, b. václavek“ | 123, 209 Istrati, Panaït (eig. Serge, Victor) | 98, 102, 114, 123, 268, 270, 294 – Auf falscher Bahn. 16 Monate in Rußland | 123, 268, 270, 294 – So geht es nicht! Die Sowjets von heute | 102, 114 Itten, Johannes | 166, 167 Ivasyuk, Lesya | 17 Jaeggi, Annemarie | 277 Jakobson, Roman | 47, 190, 191 – „Novejšaja russkaja poėzija. Nabrosok pervyj: podstupy k Chlebnikovu“  | 47  Jakubs’kyj, Borys | 52, 181 – „Mychajl’ Semenko“  | 52, 181 – Siluety sučasnych ukrajins’kych pis’mennykiv  | 52 Janovyc’kyj, Hryhorij | 131, 136, 178, 180 – Hotel International | 131 Jaryna, Viktor | 145, 146, 191 – „Lyst do tov. Skrypnyka“ | 146 Javors’kyj, Jevhen | 136 Jeanneret-Gris, Charles-Édouard → Le Corbusier Jermilov, Vasyl’ | 20, 22, 62, 63, 124, 136, 141, 144, 145, 147, 149, 154, 157, 158, 190, 191, 195, 201, 204, 220, 221, 249 – „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ (Design) | 144, 145, 146, 163 – „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ (Umschlag) | 144, 145

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Appendix

– „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ (Umschlaginnenseite vorne) | 144, 145  – „Bjuleten’ avanhardu/avangardo“ (Umschlagrückseite) | 144, 145 – „Briefe an Dmitrij Horbachov“ | 22 – „Eksponaty ukrajins’koho vid­ dilu na vystavci pressy u Kel’ni (Nimeččyna)“ | 63 – „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“ (Design) | 144, 146, 147, 148 – „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“ (Umschlag) | 144 – „Mystec’ki materijaly avanhardu/ avangardo“ (Inhalt) | 147 – „Radius avangardovcev“ (Um­schlag) | 149 – „Zaklyk hrupy mytciv ,Avan­ hard‘“ | 141, 142, 190, 201 Jevšan, Mykola | 291 Joch, Markus | 30, 120, 279 Johansen, Majk | 22, 58, 66, 67, 90, 91, 94, 115, 117, 121, 310, 311 – „Konstruktivismus als Kunst der Übergangsepoche“ | 58, 66, 117, 310, 311 – „Konstruktyvyzm, jako mystectvo perechodovoji doby“ | 58, 66, 117 – Podorož učenoho doktora Leonardo … | 90, 94 – Vybrani tvory | 22 Jugo-LEF  (Zeitschrift) | 64, 97 Kamenskij, Vasilij | 49, 53, 54, 119, 177, 188, 319 Kandinsky, Wassily | 71, 167, 265, 266 Kappeler, Andreas | 106, 107, 221 Karpov, Dmitrij | 101, 225 Kas’janov, O. | 180 – „Architektura v školi“ | 180 Kassu, Žan → Cassou, Jean Kasack, Wolfgang | 88, 163, 311 Kastner, Alfred | 277 Katafalk iskusstva. Ežednevnyj žurnal pan-futurystiv-destruktorov (Zeit­ schrift) | 54, 58, 63, 125 126, 137, 175, 184, 295, 296 Kaufman, Boris | 75

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– „La marche des machines“  | 75  Kaufman, David → Vertov, Dziga Kaufman, Michail | 75, 136 Kavakito, Renschitschiro | 277 Kazanskij, Boris | 234 – Fel’eton | 234 Kemeny, Alfred  | 165, 204, 205 – „Dynamisch-konstruktives Kraft­ system“ | 165, 204, 205 Kibal’čič, Viktor → Istrati, Panaït Kisch, Egon Erwin | 102, 236, 237, 251 – „Die ,Knebelung‘ des russischen Schrifttums“  | 102 – Wagnisse in aller Welt  | 236 – Zaren, Popen, Bolschewiken | 237 Kisyrev, B. → Kosarev, Borys Kläber, Kurt | 141, 216–219, 250, 252, 254 – Die rote Zora | 217 – „Do redakciji žurnalu ,avanhard‘ i ha­ zety ,doba konstrukciji‘“  | 217  Kleber, Kurt → Kläber, Kurt Klee, Paul | 167, 209, 253, 256, 257 – „Nature-Morte“ | 257 – „Pejzaž“  | 257 – „Pleine lune“ | 257 Klein, Yossi | 272 Kłossowicz, Jan | 70 Klyn, A. | 141 Knorpp, Elina | 69 Kocarev, Oleh | 92, 261 Kocjubyns’kyj, Mychajlo | 163 Kodera, Sergius | 17 Kogan, Moisej | 170 – Umschlagsujet „Der Quer­schnitt“ | 170 Kogan, Nina | 82 Kókai, Károly | 17, 60 Koljada, Geo | 71, 136, 141, 145, 191, 209 Koller, Christian | 107 Kondrašenko, F. | 129, 136, 297 – „Dzeržyns’kyj-Platz“ (Skizze) | 129 Koreckij, Jurij  | 141, 149  Korjak, V. | 92, 112 – „Literaturna dyskusija“ | 92, 112 Kornblit, Aleksandr → Tairov, Aleksandr   Kornfel’d, Jakov | 70, 83 – „Klub Stroitelej“ | 83

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Kornijenko, Nelly | 72, 113, 260 Korolev, Sergej | 321 Korž, Ole | 136 Kosak Mamaj | 112 Kosarev, Boris | 157, 220 Koschorke, Albrecht | 35 Kosjatschni, P. | 270 – „Werthoffs Film ,Enthusiasmus‘“ | 270 Kovalevs’kyj, V. | 136, 237 – „Rytmovi šukannja sučasnoji ukrajins’koji poeziji“ | 237 Kovtun, Evgenij  | 81, 82  Kovžun, Pavlo | 50 Kowalenko, Georgi | 74 Kowtun, Ewgeni → Kovtun, Evgenij Krasnaja nov’ (Zeitschrift) | 96, 320   Kratochvil, Alexander | 21, 65, 184 Krause, Wolf-Dieter | 42 Kravec’, Samujil | 128, 130 – „Dzeržyns’kyj-Platz“ (Skizze) | 128 – „Deržprom-Gebäude“ | 11, 118, 130, 131, 132, 133, 271, 272, 273, 274 Krieger, Verena | 17, 205, 206, 318, 323 Kriger, Leo (eig. Semenko, Iryna) | 115, 120, 136, 251 Kristeva, Julia E. | 40, 43 Kručenych, Aleksej | 34, 48, 49, 84, 101, 204, 221, 222 – „Dyr bul ščyl“ | 204 –  „Poščečina obščestvennomu vkusu“ | 34, 48, 53, 203, 303 Krutschonych, Alexej → Kručenych, Aleksej Kryha, S. | 141 Krytyka. Žurnal-misjačnyk marksysts’koji krytyky ta bibliohrafiji (Zeitschrift) | 165, 313 Kryvčenko, M. | 252 – „Spivoča ptašečka“ (Über­setzung) | 252 – „Vijs’kovopoloneni“ (Über­setzung) | 252 Kulinič, Andrej | 157 Küpper, Christian Emil Marie → Doesburg, Theo van Kurbas, Les’ | 72, 113, 115, 136, 137, 171, 211, 260, 262, 268, 277

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Kurmann, J. | 277 Kuschner, Boris → Kušner, Boris Kušner, Boris | 54, 56, 156, 187, 235 – „Phonetik des Theaters. Einlei­tung“ | 56 – „Wofür kämpft ,Lef ‘? | 187 Kuz’minskij, Konstantin | 66 Kvitko, Lejb  | 127, 312 – 1919 | 312 L’esprit Nouveau (Zeitschrift) | 62 La Cité & Tekhne (Zeitschrift) | 275 – „Concours. Kharkov. Construction d’un Théâtre“ | 275 – „Concours. Kharkov. Théâtre d’Etat“ | 275 Lachmann, Renate | 36, 111 Lahutenko, Olha | 63 Lajn, Levon → Skrypnyk, Leonid Lang, Fritz | 267 – „Metropolis“ | 267 Larcati, Arturo | 213 Larionov, Michail | 68, 80, 223 Lauer, Reinhard | 101, 103 Lavrent’ev, Aleksandr | 160 Lavrinenko, Jurij | 20, 226 LCK [Red. LCK]  – Gosplan literatury | 162, 163 Le Corbusier (eig. Jeanneret-Gris, Charles-Édouard) | 62, 152, 160, 161, 171, 180, 206, 286, 297, 317, 334 – „Centrosojuz“ | 161 – Kommende Baukunst | 206, 317 LEF (Zeitschrift) | 23, 53, 60, 63, 64, 91, 96, 114, 119, 126, 155–159, 213, 225, 236, 238, 258, 280 Léger, Fernand | 62, 74, 75, 154, 240, 255, 257 Lehmann, Gudrun | 225 Lehning, Arthur | 123 Lejkind, O. | 259 Lenin, Vladimir I. | 96, 118 – „Partijnaja organizacija i partijnaja lite­ratura“ | 96 Lentulov, Artistarch  | 68, 223 Leonidov, Ivan | 160 – „Sovremennaja architektura“ | 160 Lersch, Edgar | 97, 98, 153, 172, 229, 244, 267, 268

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Appendix

Levada, Oleksandr | 141, 144, 145, 190, 191, 201 – „Bjuleten’ avanhardu/avan­gardo“ | 144, 145 – „Zaklyk hrupy mytciv ,Avan­hard‘“ | 141, 142, 190, 201 Lewinsohn, Richard → Morus Ležankin, Petr → Neznamov, Petr Licholobova, Zoja | 301 Likin, N. W. | 277 Lindström, S. | 277 Lisickij, Ėl’ → Lissitzky, El Lissitzki, El → Lissitzky, El Lissitzky, El (eig. Lisickij, Lazar’) | 18, 60, 61, 62, 71, 82, 103, 153, 154, 155, 172, 183, 208, 210, 213, 273, 274, 288, 291, 295, 322, 327, 331 – „Die Blockade Russlands geht ihrem Ende entgegen“ | 60, 288 – „Die Zeitschrift stellt sich die Auf­ gabe ....“ | 153 – „Fotopis’“ | 327  – „Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft“ | 61 – „K.[unst] und Pangeometrie“ | 183 – Rußland. Die Rekonstruktion der Architektur in der Sowjetunion | 208, 273 – Vešč’ – Objet – Gegenstand | 60, 61, 63, 153–155, 161, 172, 184, 209, 245, 295 Literaturnaja Gazeta (Zeitschrift) | 247 – „Literaturnaja gruppa konstrukti­ visty“ | 248 Literaturnyj jarmarok (Zeitschrift) | 20, 105, 121, 190, 253 Livšic, Benedikt | 48 Lopovok, L. | 180 Lorbeer, Hans | 252 – „Spivoča ptašečka“ | 252 – „Vijs’kovopoloneni“ | 252 – „Wacht auf “ | 252 Lotman, Jurij | 26– 37, 39, 83, 85, 87, 88, 89, 90, 104, 108, 110, 117, 118, 119, 158, 201, 210, 279, 280, 281, 282, 303 Lozowick, Louis | 73, 74, 96, 173, 206, 260

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Luckyj, George S. N. | 19, 56, 95, 112 Lukács, Georg | 25 M. Lans’kyj → Skrypnyk, Leonid  Machno, Nestor | 220, 307, 308, 310 Maes, Karel | 61 – „Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft“ | 61 Majakovs’kyj, Volodymyr → Majakovskij, Vladimir Majakovskij, Vladimir | 23, 34, 48, 49, 50, 62, 64, 92, 93, 96, 98, 101, 103, 114, 120, 122, 136, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 187, 188, 210, 225, 230, 231, 232, 238, 239, 258, 267, 282, 284, 310, 321 – Letajuščij proletariat | 321 – „Massam neponjatno“ | 230 – „Masam ne zrozumilo“ | 230 – „Oblako v štanach“ | 231 – „Poščečina obščestvennomu vkusu“ | 34, 48, 53, 203, 303 – „Wofür kämpft ,Lef ‘?“ | 187 Majs’kyj, Mychajlo | 141, 145 Makaryk, Irena R. | 75, 98, 115, 125, 264 Malevič, Kazimir | 14, 20, 22, 48, 53, 68, 75, 80, 81, 82, 105, 112, 114, 122, 139, 140, 153, 154, 155, 180, 202, 205, 209, 211, 212, 222, 223, 224, 225, 240, 241, 242, 255, 261, 288, 289, 296, 297, 320, 322 – „Architektura, stankove maljarstvo ta skul’ptura“ | 139 – Die gegenstandslose Welt | 68, 320 – „Konstruktyvne maljarstvo rosijis’kych maljariv i Konstrukty­ vizm“  | 241, 242 – „Kubo-futuryzm“ | 241 – „Leže, Gri, Herbin, Metcinger“ | 240 – „Maljarstvo Picasso“ | 122 – Maljarstvo v problemi architek­ tury“ | 180 – „Nove mystectvo j mystectvo obrazo­ tvorče“ | 296 – „Prostorovyj Kubizm“ | 240 – „Rosijis’ki Konstruktyvisty i Kon­ struktyvizm“ | 241

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

– „UNOVIS“ | 82 Malevyč, Kazimir → Malevič, Kazimir Maljevyč, Kazimir → Malevič, Kazimir Mallarmé, Stéphane | 47 Malovičko, I. | 136 Malozemov, Ivan | 160, 178, 180 Mandel’štam, Osip | 319 Mar”jamov, Oleksandr | 136 Marcadé, Jean-Claude | 72, 75 Margolin, Victor | 62, 87, 88, 220 Marinetti, Filippo Tommaso | 33, 34, 47, 50, 52, 53, 57, 59, 61, 71, 91, 94, 172, 187, 290, 317, 318, 319, 336 – L’Aeropoema del Golfo della Spezia | 318 – L’arte fascista | 318 – Le monoplan du Pape | 317, 318 – „Manifeste de Futurisme“ | 34, 94 – „Manifesto della aeropittura futu­ rista“ | 318 Markov, Vladimir | 23, 47, 48, 49, 57, 68, 84, 182, 205 Marten-Finnis, Susanne | 127, 153, ­ 154, 155, 295 Martin, Terry | 100, 106, 109 Marzaduri, Marzio | 70, 84, 122, 225 Matjušin, Michail | 209, 212, 296 – „Sproba novoho vidčuttja pros­ torony“ | 212, 296 McLuhan, Marshall | 43 Meduneckij, Konstantin  | 205 – „Die Konstruktivisten rufen die Welt“ | 205 Meerson, D. S. | 277 Mehring, Walter | 253 – „Mit Samthandschuhen“ | 253 – „Zrazky čužozemnoji livoji prak­ tyky“ | 253 Mejerchol’d, Vsevolod | 70, 102 154, 171, 209, 225, 263 – „Revizor“ | 171 Mejtus, Julij | 141 Mel’nyk, Petro | 22, 139 Meleškina, Iryna | 222 Meller, Vadym | 46, 75, 115, 136, 137, 138, 140, 145, 210, 262, 277 – „Arsenal“ | 115

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– Nova Generacija (Design) | 137, 138, 140, 262 – Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 1 (1927) | 137, 138 Mertvopetljukoj, M. M. → Semenko, Mychajl’ Merz (Zeitschrift) | 324 Metallist (Zeitschrift) | 331 Meter, Es  | 141, 149, 205, 209, 305, 306   – „Zamečatel’nye zametki nezamet­ nogo“ | 149, 205, 305, 306 Metzinger, Jean  | 240, 257, 297 Meyer, Hannes | 161, 168 Meyer, Karl W. | 277 Meyerhold → Mejerchol’d, Vsevolod  Michal’s’kyj, Jevhen | 141, 267, 299, 301, 337 – „Kolyskova“ | 299 – „Lulkanto“ | 299, 301 Mies van der Rohe, Ludwig | 180, 256, 257 Mihhalski, Evhen → Michal’s’kyj, Jevhen Miljutin, Nikolaj | 134 – Sozgorod. Probleme des Planens sozialistischer Städte | 134 Mirer, V. | 136, 180 Miščenko, M. | 157 Moennighoff, Burkhard | 42, 259 Moholi Nagi, Vladislav → Moholy-Nagy, László Moholy-Nagy, László  | 10, 62, 78, 79, 136, 165, 167, 204, 205, 209, 210, 220, 288, 289, 322, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 331, 338 – Bauhaus-Bücher | 167, 207, 327 – „bauhaus. zeitschrift für bau und gestaltung“  | 167, 326 – „Dynamisch-konstruktives Kraftsystem“ | 165, 204, 205 – „Fotohrafija je svitlove oformlennja“ | 327 – „Fotohrama No. 1“ | 328, 329 – „Fotohrama No. 2“ | 328, 329 – „fotografie ist lichtgestaltung“ | 326, 327 – „Fotoplastische Reklame/Fotogramm/ Das Fotogramm in der Werbe­gestal­ tung“ | 325

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Appendix

– malerei. fotografie. film | 325, 326, 327 – Telehor | 78 Mondrian, Piet | 62, 207 – „Muß Malerei der Architektur gegen­ über als minderwertig gelten?“ | 207 Morus (eig. Lewinsohn, Richard) | 101, 102, 232 – Das Loch im Osten | 102, 232 Mošek, Jakov → Semenko, Mychajl’  Mudrak, Myroslava | 16, 20, 22, 57, 75, 87, 124, 125, 135, 137, 164, 168, 327 Müller-Funk, Wolfgang | 17, 26, 27, 28, 29, 37, 39, 87, 106 Murnau, Fritz | 267 – „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ | 267 Muscheler, Ursula | 161 Mychajlovyč, S. | 259 – „dynamizm sučasnoji archytektury“ | 259 Mystectvo (Zeitschrift) | 124 Mysyk, Vasyl’  | 141, 299, 301  – „Kolyskova“ (Übersetzung) | 299 Na literaturnom postu (Zeitschrift) | 103, 228, 246, 247 Nagel, Michael | 127 Nakov, Andrej | 19 Nedolja, Leonid | 97, 136 – „Vsem organizacijam Jugolefa“ | 97 Nemolovs’kyj, I. | 141 Neo-Lif (Zeitschrift) | 71, 243, 223 Neščeret, Igor’ | 17 Neusüss, Floris | 322, 324, 325, 327, 331 Neznamov, Petr (eig. Ležankin, Petr) | 96, 238, 284 – Iz vozpominanij o Majakovskom | 96 – „Na fronti fakta“ | 238 Nikol’skaja, Tat’jana | 23, 70, 225 Nova Generacija (Zeitschrift)  | 10, 18, 19, 22, 53, 54, 63, 70, 75, 76, 92, 93, 94, 104, 108, 114, 121, 122, 124, 126, 128, 129, 131, 135–140, 147, 152–161, 164, 166–171, 174–178, 181, 185, 187–190, 209–215, 224–226, 230, 231, 233–238, 240–247, 250–254, 256–259, 261–265, 272, 283, 284, 291, 292, 294, 296–298, 302, 318, 319, 323, 327–331, 333, 337

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– „Titelei“ Nr. 1 (1927) | 291 – „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, Nr. 3 (1928) | 284 – „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“ Nr. 11 (1928) | 166, 169, 171 – „Bloknot ,Novoji Generaciji‘“, Nr. 4 (1929) | 294 – „Der Sturm“ (Inserat) | 211 – „die neue generation. zeitschrift der revolutionären kunstformation“ | 94, 185 – „,Geo Škurupij‘ – ,Dveri v den’‘“ | 228 – „Lyst vid družyny Edv. Strichy“ | 190 – „Lystuvannja vid redakciji“ | 94 – „Lystuvannja z redakcijeju: Vid redak­ciji. Vidpovidajemo za vašymy paktamy“ | 166, 177 – „Majakovs’kyj, Volodymyr: Ostannje slovo Majakovs’koho | 92, 231 – „Masky nehriv“ | 170 – „My za: – My proty:“ | 291 – „Nehrytjans’ka maska“ | 170 – „Neue Architektur“ (Inserat) | 152 – „Nova Generacija vysvitljuje...“ | 176 – „Teatr Piscatora“ | 262, 263, 302 – „Trahična smert’ Edv. Strichy“ | 189 – „Pal’mov, V. N.“ | 188 – „Platforma j otočennja livych“ | 93, 136, 137, 175–177, 181, 186, 291, 292 – „Portret t. L. Skrypnyka“ | 189 – „Smoloskyp“ (Anzeige) | 126 – „Sprava pro trup: a.) Dokumenty, ščo znajdeno v kyšeni u trupa“ | 189 – „Sprava pro trup: b.) Nekrol’oh z pry­ vodu smerty M. V. Semenka“  | 189  – „Vydannja, ščo nadijšly do redak­­ciji“ | 152 – „Zmist No. 3 ta zauvažennja redak­ ciji“ | 243 – „Zmist No. 8 ta zauvažennja redak­ ciji“ | 252 – „Zmist No. 10 ta zauvažennja redak­ ciji“ | 284 – „Zmist No. 11 ta zauvažennja redak­ ciji“ | 212, 257 – „Zmist No. 12 ta zauvažennja redak­ ciji“ | 297

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402

Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

– „Z ostannich čysel zakordonnych žurnaliv. Referenciji i vytjahy. Teatr Henricha Prampolini“ | 213 Novyj LEF (Zeitschrift)  | 23, 53, 64, 91, 101, 104, 114, 126, 153, 155, 156, 158, 159, 209, 212, 225, 230, 232, 238, 244, 246, 282, 283, 284 – „K svedeniju podpisčikov i čitatelej ,novogo lefa‘“  | 104, 212, 246 – „Nam pišut“  | 212, 245, 246, 261 Nowa Generazia → Nova Generacija Nünning, Ansgar | 40, 43 Oktjabrev, Aleksej | 141, 149 Olel’ko | 220  Omel’čuk, Olesja | 22, 111 Opryško, Tetjana | 51 OSAU – „Deklaracija OSAU“ | 177–180, 286 Oyfgang (Zeitschrift) | 56, 57 Ozenfant, Amédée | 62, 209 Pabst, Georg Wilhelm | 267 – „Die Büchse der Pandora“ | 267 Padalka, Ivan | 112 Pal’mov, Viktor | 120, 136, 188, 210  Palasovsky, Edmund | 252, 253, 319 – Punalua der Briefe | 252, 253, 319 Pan’kiv, Mychajlo | 77, 85, 113, 141, 151, 170, 199, 215, 217, 228, 229 – „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ | 77, 85, 113, 142, 146, 151, 169, 170, 186, 199, 215, 217, 228, 229, 254 Panin, S. W. | 277 Paniv, A. | 141 Papeta, O. | 22, 224 Papeta, Serhij | 224 Pasternak, Boris | 119, 154, 156, 221 Patjak, Anatolij | 141 Patka, Marcus G. | 102, 237, 251 Patrut, Iulia-Karin | 34, 35 Pavlova, Tetjana | 157, 220, 249 Percov, Viktor | 136, 156, 258 – „Foreword to the Russian translation of George Grosz and Wieland Herz­ felde’s Art Is in Danger: Three Essays (1926)“ | 258 Pereguda, Oleksandr  | 136, 140 

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– „Krasnaja Presnja“ | 140 Pertsov, Victor → Percov, Viktor Peter der Große | 250 Peterson, G. | 277 Petljura, Symon | 292 Petnikov, Grigorij | 70, 221 Petřiček, Miroslav | 40 Petrov, Evgenij | 70 Petrova, Evgenia | 48, 52, 60, 74 Petryc’kyj, Anatol’ | 22, 46, 75, 136, 137, 138, 140, 168, 189, 260, 262, 263, 277 – Nova Generacija (Design) | 137, 138, 140, 263 – „Oformlennja sceny sučasnoho teatru“ | 263 – „Sprava pro trup: v.) Spohady pro M. V. Semenka“  | 189  – Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 2 (1930) | 138 – Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 6–7 (1930) | 138 Pevzner, Anton | 173 – Realističeskij manifest | 173 Picasso, Pablo | 74, 75, 112, 122, 170, 241, 255, 261, 297 Pidmohyl’nyj, Valer”jan | 295 Pil’njak, Boris | 235, 236, 312 – Golyj god | 312 – „Pri dverjach“ | 312 – Metel’ | 312 Piotrovskij, Adrian | 234 Piscator, Erwin | 262, 263, 277, 302 – „Schwejk“ | 262, 263 Platonov, Andrej | 90  Plokhij, Serhij | 17 Pol, Heinz | 268, 269 – „Der Film ,Die Erde‘“  | 268, 269  Polischtschuk, Walerjan → Poliščuk, Valerijan Poliščuk, Valerijan | 9, 10, 11, 22, 32, 33, 46, 66, 67, 71, 77, 85, 90, 92, 98, 111, 113, 120, 121, 139, 141, 142, 143, 145, 146, 147, 148, 149, 151, 170, 174, 177, 190, 191, 193, 194, 197–204, 215, 216, 217, 219, 220, 221, 226–230, 232, 233, 236, 239, 243, 248, 250, 264, 265, 267, 285, 286, 287, 292, 293, 299, 301, 302, 303,

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Appendix











307, 310, 312–319, 321, 323, 335, 336, 337 – „Aeronautik“  | 194, 267, 293, 302, 313–321 – „Aeronavihacija“  | 194, 302, 313–321, 337 – „Aufruf der Avangarde“ | 143, 149, 169, 177, 191–197, 202, 203, 204, 206, 207, 243, 292, 293, 309, 310, 311, 316, 317, 323 – „Brief an Kornelij Zelinskij, 8.6.1929“ | 199, 243, 287 – „Chudožnyk industrijal’nych rytmiv“ | 147 – „Čto i kak i počemu“  | 149, 199–201  – „Elehija“ | 219 – „Iz Proklamacii ,Avanharda‘“ | 191 – „Kalejdoskop (eskizy, aforyzmy, lysty)“ | 9, 10, 11, 33, 293 – „La Ekfloro de l’Ukraina literaturo“ | 299, 300 – „Lyst do tov. Skrypnyka“  | 146  – Literaturnyj avanhard. Perspektyvy rozvytku ukrajins’koji kul’tury, polemyka i teorija poeziji  | 143 – „Mystec’kyj vinihret. Kil’ka sliv pro hastronomiv“ | 77, 85, 113, 142, 146, 151, 169, 170, 186, 199, 215, 217, 228, 229, 254 – Nazadnyctvo Hartu ta zaklyk hrupy mytciv Avanhard | 141, 142, 190 – Ohon’ | 143, 299 – „Proklamacija avanhardu“ | 141, 145, 149, 174, 191–197, 199, 201, 207 – Pul’s epochy. Literaturni nazadnyky čy konstruktyvnyj dynamiszm | 143, 163, 174, 202, 264, 265, 285, 286, 299, 312 – Roden i Roza | 248 – Rozkol Evropy | 236, 250 – „Rozkvit ukrajins’koji literatury“ | 92, 194, 202, 285, 299, 300, 303 – „Spiralismus“ | 198, 203, 263 – „Spiralizm – Spiralismus“ | 191, 197, 198, 201 – Vybrani tvory  | 22  – „Zaklyk hrupy mytciv ,Avanhard‘“ | 141, 142, 190, 201

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Poltorac’kyj, Oleksandr → Poltorac’kyj, Oleksij Poltorac’kyj, Oleksij | 54, 135, 136, 139, 177, 181, 182, 183, 233, 234, 235, 237, 238, 296 – „Kriz’ formal’nu metodu“  | 233–235  – „Panfuturyzm. I. Zahal’ni uvahy. II. Mystectvo jak proces“ | 54, 135, 181, 182, 183, 296 – „Panfuturyzm. III. Rolja mystectva“ | 135, 177, 182, 183, 296 – „Panfuturyzm. IV. Ideolohija ta faktura mystec’koho tvoru“  | 135, 296 – „Proty nedobytkiv formalizmu“ | 237, 238 Popova, Ljubov’ | 60, 64, 80, 157, 266 Popow, Nikolai | 109 – „Die Sowjetukraine“ | 109 Prampolini, Enrico | 75, 76, 210, 212– 215, 265, 290, 318 – „Rédaction ,Nova Génération‘“ | 75, 214 – „Do redakciji žurnalu ,Nova Generacija‘“ |  214 – „Futurismo contra demagogismo reazionario“ | 290  – „Il teatro della rivolta. (Le esperienze futuriste di A. Tairoff )“ | 215 – „Manifesto della Aeropittura futurista“ | 318 Pribyl’skaja, Evgenija | 79 Protasanov, Jakov | 69 – „Aėlita“ | 69 Prusa, Vladimír | 123, 209 – fronta: mezinárodní sborník soudobé aktivity | 123, 209 Pudovkin, Vsevolod | 270 Puni, Ivan | 80, 81, 154 Puntigam-Gröller, Elisabeth | 17 Puškin, Aleksandr | 304, 312  Radius avangardovcev (Zeitschrift, ein­ malig) | 148, 149, 163, 191, 199, 221, 295, 301, 305, 307, 310 Rajewsky, Irina | 43 RATAU – „Volodymyr Volodymyrovyč Majakovs’kyj“ | 230

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Ray, Man | 324, 327, 338 Rector, Martin | 217 Renger-Patzsch, Albert | 62 Rezny, Birgit | 17 Renn, Ludwig | 251 Richter, Hans | 61 – „Konstruktivistische Inter­natio­nale Schöpferische Arbeits­gemein­schaft“ | 61 Rodčenko, Aleksandr | 60, 62, 63, 64, 122, 124, 136, 154, 155, 156, 160, 320, 324, 331 – „Každomu žilišče prostor“ | 160 – „Krasnaja armija“ | 331 – „LEF“, Nr. 3 (1923) | 156 – LEF (Design) | 156 – LET. Aviostichi (Design) | 320, 321 – Novyj LEF (Design) | 156 – „Novyj LEF“, Nr. 1 (1927) | 156 Rodin, Auguste | 248 Romov, Sergej | 254, 255, 259, 260 – „Contemporary French Painting“ | 255 – „Vid dadajizmu do sjurrealismu“ | 259, 260 – „Ot dada k sjurrealizmu“ | 260 Rossmann, Zdeněk  | 123  – fronta: mezinárodní sborník soudobé aktivity | 123, 209 Rozanov, Vasilij | 236 Rozanova, Olga | 80 – Handtaschen nach Entwürfen von Ol’ga Rozanova | 80 Rudens’kyj, Ja. | 141 Rusal’ka | 220 Rybak, Issachar | 56, 57 – „Di Vegn fun der Yidisher Mole­ ray“ | 56, 57 Ryl’s’kyj, Maksym | 67 Said, Edward W. | 29 Sanovič, Anatolij → Sanovyč, Anatolij Sanovyč, Anatolij | 136, 141, 149, 166, 235, 236, 237, 252, 253, 254, 310, 319 – „Knyha faktiv“ | 235–237 – „Livi v Nimeččyni“ | 166, 252–254, 319 Schacht, Roland | 186, 255, 256 – Alexander Archipenko | 256 – „Oleksander Archypenko. Mono­ hrafija z iljustracjiamy“ | 256

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Schad, Christian | 324, 325, 327 Schlemmer, Oskar  | 167, 209, 262, 263 – „Triadisches Ballett“ | 262 Schlögel, Karl | 127 Schmid, Ulrich | 17, 325 Schmid, Wolf | 235 Schreier, L. → Schreyer, Lothar Schreiber, Hugó | 253 Schreyer, Lothar | 253 Schröder, Klaus Albrecht | 48, 74 Schütz, Alfred | 30, 281 Sebök, Stefan | 276, 277 – Staatstheater in Charkiw | 276, 277 Seghers, Anna | 251 Seidl, Barbara | 17 Sel’vinskij, Il’ja | 65, 66, 141, 162, 190, 191, 197, 202, 216, 217, 231, 232, 239, 240, 283, 302, 307, 310, 311, 316, 336 – Biznes | 162, 239 – „Liričeskij nabrosok“ | 232 – Mena vsech. Konstruktivisty poėty | 65, 162, 163, 191 – Puštorg | 232 – „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“ | 65, 162, 205 – „Deklaracija literaturnogo centra konstruktivistov (LCK)“ | 162 Semafor u majbutn’je. Aparat panfuturystiv (Zeitschrift) | 21, 125, 136, 137, 174, 175, 188 Semenko, Iryna → Kriger, Leo Semenko, Mychajl’ | 10, 18, 20, 22, 23, 24, 32, 45, 46, 50–58, 61, 63, 70, 71, 85, 87, 89, 92, 93, 98, 111, 114, 115, 117, 120, 121, 122, 123, 125, 126, 135, 136, 137, 139, 151, 157, 165, 169, 174, 176, 181–185, 188, 189, 194, 197, 198, 200, 209, 210, 211, 216, 224, 226, 229, 230, 244, 246, 248, 249, 250, 251, 253, 254, 261, 264, 267, 281, 289, 290, 291, 303, 304, 307, 310, 317, 319, 320, 323, 335, 336 – „Buduščee pan-futuristov“ | 54 – Bumeranh. Neperiodyčnyj žurnal pamfletiv | 125, 137, 175

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Appendix

– „Čto takoe destrukcija?“ | 58, 63, 181, 184, 186, 187 – „De-jaki naslidky destrukciji“ | 323 – Derzannja. Poezy | 89, 289 – Hol’fštrom | 125 – Honh Komunkul’t | 125 – Kvero (Zeitschrift) | 51 – „Kvero-Futurizm“ | 51, 52, 54, 57, 61, 182, 291, 304, 320 – „Kvero-Futurizm“ (Umschlag) | 51 – Kvero-futuryzm. Poezopisni | 89, 57 – „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo“ |  55, 56 – „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo: ,Tuha za avirom‘“ | 56 – Mychajl’ Semenko: „Moja Mozajika. Poezomaljarstvo: ,Systema‘“ | 56 – „Pan-Futuryzm (Mystectvo perechodnoji doby)“ | 10, 117, 174 – „Poezomaljarstvo (10-VII. 922)“ | 261 – „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 1“ | 55 – „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 3“ | 55 – „Poezomaljarstvo. ,Kablepoema‘. Kartka No. 8“ | 55 – „Poslano do Moskvy 29-IV: Telehramma lyt. A.“ | 188 – „Projekt ,symul’taničnoho‘ teatru“ (?) | 264 – „Quero-Futurismus“ | 51 – „Sam“ | 51, 304 – „Sim“ | 253 – Smoloskyp (Zeitschrift) | 126 – Vybrani tvory | 10, 22 – „What Panfuturism wants“ | 93, 182, 183, 184, 185, 296 – Žovtnevyj zbirnik panfuturystiv | 125 – Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och | 125 Semenko, Mychajlo → Semenko, Mychajl' Semenko, Vasyl’ | 50 Senčenko, Ivan | 121, 141, 145, 248 Serafimov, Serhij | 130, 131 – „Deržprom-Gebäude“ | 17, 118, 130, 131, 132, 133, 271, 272, 273, 274 – „Dom Proektiv“ | 131, 134

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Serge, Victor → Istrati, Panaït Severdenko, Aleksandr | 260 – „Response to an Impressionist (1929)“ | 260 Severini, Gino | 154, 213 Severjanin, Igor’ | 301 Severjuchin, D. | 259 Shevelov, George | 45, 107, 108 Shkandrij, Myroslav | 90, 91, 106, 108, 284 Shore, Marci | 95, 290 Simonek, Stefan | 17, 67, 89, 121, 253 Sinjakova, Marija  | 70, 119, 220  Skrypnyk, Leonid | 136, 189 – Intelihent | 189 – „Livyj roman“ | 189 Skrypnyk, Mykola | 108, 109, 114, 118, 142, 146, 313 – IV. Narkom Osvity USRR tov. Skryp­ nyk pro hrupu „Avanhard“ | 142, 146 – Do teoriji borot’by dvoch kul’tur | 109  Slavčenko, Jevhenij → Deslaw, Eugène Smirnov, Leonid | 83 Sobačko, Hanna | 80, 81, 112, 222 Soncvit, Vasylij → Poliščuk, Valerijan  Sonne, Wolfgang | 130 Sonnleitner, Johann | 17, 21 Sontag, Susan | 322, 325 Soroka, Oleksandr | 141 Sopljak, Kost’ → Burevij, Kost’ Sorokin, Vladimir | 312 Sotnyk, Dan | 136, 137, 138, 189, 209, 246, 327, 328, 329, 337 – „Fotohrama 1928“ (1) | 328 – „Fotohrama 1928“ (2) | 328 – Nova Generacija (Design) | 137, 138, 327 – „Umschlag der „Nova Generacija“, Nr. 8 (1929) | 138 – „Sproba fotohrafuvaty bez foto­ kameru“ | 327 Sovetskoe foto (Zeitschrift) | 327 Sovetskoe iskusstvo (Zeitschrift) | 62 Sovremennaja architektura (Zeit­schrift) | 70, 83, 135, 153, 159, 160, 161, 178, 180, 212, 250, 294 Spielmann, Yvonne | 43 Stachivs’ka, Julija | 92

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Stenberg, Georgij | 205, 266 – „Die Konstruktivisten rufen die Welt“ | 205 Stenberg, Vladimir | 205, 266 – „Die Konstruktivisten rufen die Welt“ | 205 Stepanova, Varvara | 103, 157, 266, 331 – „Krasnaja armija“ | 331 Stephan, Halina | 93, 96, 114, 125, 126, 139, 155, 156, 157, 159, 172, 202, 213, 246, 280, 304 Stricha, Edvard → Kost’ Burevij Striedter, Jurij | 185, 237 Strizic, Sdenko | 277 Struve, Karen | 38 Subtel’nyj, Orest | 106 Suetin, Nikolaj | 82 Sulyma, M. | 114, 115 Šant, Roljand → Schacht, Roland Šechtman, Manujil | 312 – „Vyselennja evrejiv“ | 312 Ševčenko, Taras | 89, 113, 163, 275, 290, 311 Šklovskij, Viktor | 103, 136, 154, 155, 156, 158, 185, 233, 234, 235, 236, 253 – „Der parodistische Roman. Sternes ,Tristram Shandy‘“ | 236 – „Literatura vne ,sjužeta‘“ | 236 – „O Pil’njake“ | 236 – „Svjaz’ priemov sjužetosložennija s obščimi priemami stilja“ | 235 – „Parodijnyj roman. ,Tristram Šendri‘ Strena“ | 236 – „Tema, obraz i sjužet Rozanova“ | 236 – „Viktor Šklovskij an Juri Tynjanow. 27. XI.1928“ | 103 Škorbatov, V. | 329, 330, 331 – „Fotohrama, Odesa 1929“ (1) | 330 – „Fotohrama, Odesa 1929“ (2) | 331 Škurupij, Geo | 22, 108, 125, 126, 135, 136, 139, 140, 155, 158, 182, 209, 210, 228, 229, 243, 244, 245, 249, 265, 282, 283, 292, 304 – „Alarmsignalo al amikoj – Fars­ alarmo“ | 283 – „Die neue Kunst in der Entwicklung der ukrainischen Kultur“ | 140

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– Dveri v den’ | 228 – „Na šturm linoščiv i neznajstva“ | 108, 228, 243, 249, 265, 304 – „Nove mystectvo v procesi rozvytku ukrajins’koji kul’tury“ | 140 – „Starym Dniprom v ostannij raz“ | 292 – „Syhnal na spoloch druz’jam – fal’šyva tryvoha“ | 155, 158, 209, 244, 245, 282, 283 – Vybrani tvory | 22 – Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och | 125 Štejnberg, Jakov | 131, 136, 160, 178, 180 – „ZK KPbU“ | 131 Šterenberg, David | 70 Štern, Sara → Delaunay-Terk, Sonia Ščerbak, M. | 136 Ščupak, Samijlo | 246, 247, 294, 295 – „Literaturnyj front na Ukraine“ | 246, 247, 294, 295 Taihe, Karol’ → Teige, Karel Tairov, Aleksandr (eig. Aleksandr Kornblit) | 69, 70, 154, 215 Tajirov, Oleksandr → Tairov, Aleksandr Tasin, Serhij | 141, 191 Tatlin, Vladimir | 20, 60, 64, 68, 112, 122, 126, 154, 205, 209, 223, 236, 241, 242, 266 – Zustrič na perechresnij stanciji. Rozmova tr’och | 125 Taut, Bruno | 141, 180, 216, 274 – Die neue Baukunst in Europa und Amerika | 274 Taut, Max | 180 Teige, Karel | 209, 210, 254, 318 – „Do teoriji konstruktyvizmu“ | 210 – „o humoru, clownech a dada­ istech“ | 254 – „Poetismus“ | 318 Telingater, Solomon | 329, 331 – „Umschlag der Zeitschrift Metallist“, Nr. 1 (1930) | 331 Terent’ev, Igor’ | 14, 41, 49, 70, 84, 122, 159, 210, 212, 224–226 – „17 erundovych orudij“ | 41 – „KTO LEF, KTO PRAF. (Stat’ja diskussionnaja)“ | 159

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Appendix

– „Na 1929 rik“ | 225 Tereščenko, Marko | 136 Teriade | 256 Tobin, Jordan | 69 Tolstoj, Aleksej | 69, 304 – „Aėlita“ | 69 – „Choždenie po mukam“ | 304 Tötösy de Zepetnek, Steven | 29, 30, 87 Transition (Zeitschrift) | 155, 245 Trenin, Vladimir | 230, 238, 244, 245, 246, 255 – „Trevožnyj signal druz’jam“ | 230, 244, 245 Tret’jakov, Sergej | 64, 91, 136, 139, 156, 187, 225 – „Choču rebenka“ | 225 – „Otkuda i kuda. Perspektivy futurizma“ | 91 – „Perspektiven des Futurismus“ | 64, 91 – „Wofür kämpft ,Lef ‘?“ | 187 Trojanker, Raisa | 16, 141, 145, 149, 191, 221, 307, 309, 310, 311, 312, 313, 316, 336, 337 – „Iz prošlogo“ | 307–313, 337 Trotzki, Leo | 31, 269 Tryroh, M. → Semenko, Michajl’ Tucholsky, Kurt | 251, 252 – Deutschland, Deutschland über alles | 251 – „Nimečyna, Nimečyna nad use!“ | 251, 252 Tugendchol’d, Jakov | 72, 99, 266 – Aleksandra Ekster kak živopisec’ i chudožnik sceny | 72 – „Die Malerei im letzten Jahr­ zehnt“ | 72 – „L’Élément National dans l’Art de l’U.R.S.S.“ | 99 Tugendhold, Jakob → Tugendchol’d, Jakov Tumannyj, A. | 162 – „Deklaracija literaturnogo centra konstruktivistov (LCK)“ | 162 Turin, Viktor | 270 Turowski, Andrzej | 61 Tyčyna, Pavlo | 121, 181, 261, 264, 265 Tynjanov, Jurij | 31, 221, 222, 234

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– Fel’eton | 234 Uden | 258 – „Eksprezionism“ | 258 Ukrajinka, Lesja | 163 Ukrajins’ka chata (Zeitschrift) | 291 Universal’nyj žurnal (Zeitschrift) | 159 UNOVIS | 81, 82, 166, 201, 202 – „Programm des einheitlichen Auditoriums Malerei. 1920“ | 82 Ušakov, Nikolaj | 163 – Vesna respubliki | 163 Uspenskij, Boris | 27, 32, 33, 34, 35, 108, 279 Václavek, Bedřich | 123, 209 – fronta: mezinárodní sborník soudobé aktivity | 123, 209 Vakar, Gro | 136 Van den Berg, Hubert | 20, 62, 78, 79, 116, 119, 173, 175 Veber, Olena → Nova Generacija Ver, Viktor (eig. Čereveko Prokopo­vyč) | 136 Vercman, Izrail’ | 122 – „Lystuvannja z redakcijeju: Libo ,N.G.‘ – ukrainskij ,LEF‘. Libo ne ,LEF‘. No čto togda?“ | 122 Vertov, Dziga (eig. Kaufman, David) | 75, 115, 136, 270 – „Ėntuziazm. Symfonija Don­bassa“ | 270 – „Čelovek s kinoaparatom“ | 115 Verves, Hryhorij | 126, 197 Veselovska, Hanna | 92, 290 Vesnin, Aleksandr | 103, 159, 160, 180, 266, 278 – Staatstheater in Charkiw | 278 – „Chronika vuzov/Chronik der Arbeit in Hochschulen USSR : Architekturnaja žizn’ Ukrainy/Die Baukunst in Ukraina“ | 188 Vesnin, Viktor | 103, 160, 278 – Staatstheater in Charkiw | 278 Vestnik inostrannoj literatury (Zeit­ schrift) | 260 Vešč’ – Objet – Gegenstand | 60, 61, 63, 153–155, 161, 172, 184, 209, 245, 295 Veverka, Tanja | 17

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Vlyz’ko, Oleksa | 136, 139, 140, 210, 284 Vojnilovyč, S. | 136, 231 – „Majakovs’kyj“ | 231 Voronskij, Aleksandr | 92 – „Über die proletarische Kunst und über die Politik unserer Partei auf dem Gebiet der Kunst“ | 92 Vovk, Natal’ja | 81 Vvedenskij, Aleksandr | 88 Walden, Herwarth | 72, 73, 75, 76, 88, 98, 116, 118, 136, 164, 165, 168, 169, 209, 210, 211, 212, 213, 220, 229, 253, 254, 255, 265, 267, 271, 272, 286, 287, 321, 334 – „Charkow“ | 116, 118, 210, 272 – „Der Chef des Dorfes in Podolien“ | 321 – Einblick in Kunst. Expressionismus. Futurismus. Kubismus | 72, 73 – Erster Deutscher Herbstsalon | 72 – „Mystectvo v Evropi“ | 211, 212 – „Neue Reisekopfbücher“ | 287 – „Strafvollzug in der UdSSR“ | 254 Waldenberg, O. | 277 Waldenfels, Bernhard | 37, 110 Warning, Rainer | 35 Wasmuths Monatshefte für Baukunst (Zeitschrift) | 131, 134, 272 Wat, Aleksander | 101 Wedderkop, Hermann von | 168 Weiskopf, F. C. | 251 Wesnin → Vesnin, Aleksandr Wilde, Oscar | 305 – The Picture of Dorian Gray | 305 Wilke, Tobias | 16, 325, 326 Willet, John | 219 Wilske, Ludwig | 42 Winko, Ulrich | 64, 195 Wolf, Norbert Christian | 30, 120, 279 Wolfensohn, G. J. | 277 Yekelchyk, Serhy | 93, 95, 104, 107 Zabajkal’skij rabočij (Zeitschrift) | 163, 247

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– „Beseda o literature. Literaturnyj kon­ struktivizm“ | 163, 247 Zajac, Peter | 39, 40, 117, 118 Žakov, Kallistrat | 51 Zdanevič, Il’ja | 49, 53, 84 Zelinskij, Aleksandr | 65 Zelinskij, Kornelij | 65, 66, 103, 141, 149, 162, 163, 190, 191, 197, 199, 215, 216, 217, 232, 233, 239, 240, 243, 287, 302, 307, 317, 336 – Biznes | 162, 239 – „Deklaracija literaturnogo centra konstruktivistov (LCK)“ | 162 – „Itti li nam s Majakovskim?“ | 103 – Mena vsech. Konstruktivisty poėty | 65, 162, 163, 191 – „Znaem. Kljatvennaja konstrukcija (Deklaracija)“ | 65, 162, 205 Zeman, Vaclav | 11 Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen | 274, 277 – „Wettbewerbe. Theater für 4000 Personen in Charkow“ | 274 – „Wettbewerbe. Theater in Charkow“ | 277 Zerov, Mykola | 67, 256 Zervos, Christian | 170, 171 – „L’Art Négre“ | 170 – „Le ,Revizor‘ de Gogol réalisé par Meyerhold“ | 171 – „Skul’ptura sučasnych mytciv“  | 256 Zhadova, Larissa | 69, 81 Zivel’činskaja, Lija | 241, 242, 258 – Ekspressionizm | 241, 242, 258 Zoltán, Peter | 60 Zöchbauer, Paul | 17 Zygas, K. Paul | 83, 195 Žar-ptica (Zeitschrift) | 295 Žukova, Varvara → Burevij, Kost’ Žukovs’kyj, Arkadij | 106

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Appendix

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3.2 Sachbegriffsregister 41° | 49, 84 Academie d’Art Contemporain | 74 Aeropittura | 318 Aeropoesie | 318 Aeroscultura | 318 All-Ukrainian Society for Cultural Relations with Foreign Countries | 172, 266 All-Ukrainische Kunstausstellung | 312 All-Ukrainische Vereinigung proletarischer Schriftsteller → VUSPP Antichudožestvennyj teatr | 225 Archipenko-Foun­dation | 17 AsKK Komunkul’t | 120, 125, 181 Asocijacija komunistyčnoji kul’tury – komunkul’t → AsKK Komunkul’t Asocijacija robitnykiv komunistyčnoji kul’tury | 120 Aspanfut (Associacija panfuturystiv) | 52, 120, 125 Avanhard [Gruppe] | 9–20, 22, 41, 43, 46, 53, 58, 63, 66, 67, 68, 77, 85, 93, 111, 113, 121, 126, 135, 139, 141–149, 151, 152, 153, 154, 157, 161, 162, 163, 164, 168, 169, 170, 171, 172, 174, 186, 190–208, 209, 215–221, 227, 228, 230, 231, 232, 233, 239, 240, 247, 248, 249, 250, 254, 259, 264, 278, 279, 281, 284, 285, 286, 287, 290, 292, 293, 295, 299–303, 305, 306, 307, 310, 311, 313, 316, 317, 319, 323, 324, 327, 334, 336, 337 Avioizdat | 321 Barock | 280 Bau und Wohnung | 152 Bauhaus | 16, 17, 43, 60, 62, 68, 79, 98, 113, 137, 161, 166, 167, 168, 195, 207, 210, 243, 249, 255, 257, 261, 263, 265, 277, 286, 322, 323, 324, 327, 331, 334, 328 Bauhaus-Archiv Berlin | 17 Berezil’ | 113, 115, 262 Bespredmetnoe tvorčestvo i suprematizm | 60 Bildrecht GmbH Wien | 17 Bolschewiki, Bolschewismus | 113, 124, 292

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Brigade May | 161 Bubnovyj Valet | 260 Bund Proletarischer und Revolutionärer Schriftsteller (BPRS) | 250 camera obscura | 325, 326 Centrosojuz | 161 Charkivs’ka škola drukars’koho dila  | 126 Chata | 291 ChTZ | 131, 134 CK KPU | 131 Collage | 62, 63, 182, 236 Dadaismus, dadaistisch | 41, 54, 60, 62, 84, 136, 184, 204, 220, 253, 254, 257, 258, 259, 260, 324, 334 De Stijl (Gruppe) | 60, 62, 139, 167, 187, 207, 286 Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny | 104, 125, 126 Deržprom | 17, 118, 130, 131, 132, 133, 271, 272, 273, 274 Destruktion | 27, 63, 94, 176, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 190, 288, 323, 329, 331 Deutscher Werkbund | 64, 265 Dniprostroj | 58, 130, 160, 292 Doba konstrukciji | 148, 217, 218 Dom Proektiv | 131, 134 Doublerealismus | 316 Dzeržyns’kyj-Platz → Plošča Dzeržyns’koho Edith Lutyens & Norman Bel Geddes Foun­dation | 17, 275 Ego-Futuristen | 23, 301 Erschossene Wiedergeburt | 20, 22, 226 Erste Hauptstadt | 13, 77, 116, 127, 271 Erste Internationale Konferenz Revolutionärer Schriftsteller | 219 Esperanto | 18, 137, 142, 161, 212, 267, 283, 295, 296, 299, 300, 301, 337 Exposition Internationale des Arts Déco­ ratifs et Industriels Modernes | 75, 98, 99 Expressionismus, expressionistisch | 25, 60, 62, 69, 72, 164, 165, 166, 184, 204, 217, 220, 241, 245, 252, 255, 257, 258, 259, 260, 265, 266, 267, 268, 283, 318, 319, 334

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Fabel | 235, 236 Faktura | 54, 182, 183, 197, 205, 236, 241, 323 Fauvismus | 224 Formalismus | 41, 65, 94, 158, 185, 190, 202, 206, 233, 234, 235, 237, 238 Fotogramm | 16, 160, 322–331, 338 Futurismus, futuristisch | 9, 10, 12, 18, 20, 21, 22, 23, 32, 34, 46–61, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 71, 72, 73, 75, 80, 81, 82, 83, 84, 88, 89, 91, 92, 93, 94, 101, 108, 113, 119, 120, 122, 135, 136, 151, 155, 156, 159, 162, 163, 164, 165, 172, 173, 174, 175, 177, 178, 181, 185, 188, 189, 190, 191, 194, 196, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 213, 215, 220, 224, 225, 231, 232, 233, 237, 239, 240, 241, 242, 244, 245, 246, 247, 260, 261, 280, 283, 288, 289, 290, 291, 301, 304, 309, 310, 312, 317, 318, 321, 322, 324, 333, 336, 337, 338 Gesamtstadt | 130 Gesellschaft der Freunde Chlebni­ kovs | 221 GinChUK | 114, 224, 225 Goskino | 114 Großer Terror | 20, 110, 226 Gudok | 97 Hagenbund | 253 Harvard Ukrainian Research Institute | 17 Honh Komunkul’t | 125 Hotel International | 131 Hylæa | 49, 69 Imaginismus | 245, 311 Impressionismus | 170, 260 Intermedial(ität) | 9, 10, 11, 12, 15, 17, 21, 27, 32, 39, 40, 43, 47, 48, 50, 54, 60, 61, 64, 66, 135, 136, 158, 160, 162, 171, 189, 194, 196, 198, 208, 240, 261, 317, 320, 321, 322, 323, 333, 336 Internationale Buchkunstausstellung | 110 Intertext(ualität) | 10, 11, 12, 15, 27, 31, 39, 40, 41, 42, 43, 48, 186, 205, 230, 235, 279, 281, 282, 295, 303, 334, 336 Jugo-LEF  (Gruppe) | 64, 97, 157, 162, 244 K. I. (Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft | 61

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Kiewer Kunstinstitut | 45, 112, 114, 188, 224, 240 Kiewer Neoklassiker | 67, 294 Klub Stroitelej | 83 Konstruktion (Konzept) | 59, 94, 113, 148, 162, 176, 180, 181, 183, 184, 185, 186, 190, 197, 204, 205, 206, 207, 234, 236, 266, 286. 310, 311, 317, 320, 323, 331, 327 Konstruktiver Dynamismus | 11, 13, 16, 18, 58, 66, 141, 143, 148, 158, 193, 194, 197, 201, 202, 204, 205, 239, 254, 284, 307, 309, 310, 336 Konstruktivismus, konstruktivistisch | 9, 10, 12, 16, 21, 23, 32, 41, 46, 47, 49, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 69, 82, 83, 103, 104, 121, 122, 127, 130, 131, 134, 135, 141, 145, 151, 158, 160, 161, 162, 163, 165, 172, 174, 182, 184, 185, 190, 191, 194, 195, 197, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 213, 215, 216, 230, 233, 235, 239, 240, 241, 242, 247, 249, 254, 259, 260, 271, 274, 275, 280, 283, 286, 287, 289, 302, 307, 310, 311, 312, 313, 316, 317, 320, 321, 322, 323, 324, 329, 333, 334, 336, 337 Korenizacija → Verwurzelungspolitik Kosmismus | 319 Krasnaja Panorama | 284 Kubismus, kubistisch | 58, 60, 64, 65, 72, 73, 74, 75, 82, 111, 164, 165, 184, 224, 240, 241, 245, 255, 260, 261 Kubofuturismus | 34, 48, 49, 51, 68, 82, 89, 196, 224, 241, 304 Kul’tur-Lige | 127, 312 Kulturpolitik | 95, 97, 99, 100, 107, 109, 113, 114, 118, 155, 172, 230, 244, 266 Kverofuturismus | 50, 51, 52, 54, 57, 61, 89, 113, 120, 135, 175, 182, 183, 197, 261, 290, 291, 304, 320 L’esprit Nouveau (Gruppe) | 62 LCK  (Gruppe) | 65, 143, 149, 153, 162, 163, 202, 215, 216, 217, 230, 233, 235, 239, 240, 244, 247, 248, 285, 287, 337 LEF (Gruppe) | 23, 53, 54, 57, 59, 64, 66, 90, 93, 96, 97, 103, 114, 119, 122, 126, 136, 139, 153, 155–159, 160, 163, 166,

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Appendix

172, 175, 177, 184, 185, 186, 187, 188, 200, 202, 209, 212, 225, 229, 230, 233, 235, 239, 244, 245, 246, 247, 255, 258, 280, 282, 283, 284, 292, 304, 310, 324, 334, 337 Leningradkino | 114 Leninlicht | 118 Letzte Futuristische Ausstellung 0.10 |  81, 242 Literarische Diskussion | 85, 108, 112, 117, 174, 290, 294, 303 Literarischer Konstruktivismus | 17, 59, 65, 66, 103, 162, 194, 197, 202, 204, 307, 215, 230, 239, 247, 307, 320, 336 Literatura fakta | 53, 156, 177, 232, 245 Litreportaž | 235 Luftfahrtskunst | 317, 321 Luftfahrtspoesie, Luftfahrtsgedicht | 317, 321, 267, 319, 320, 323 machine-à-habiter | 297 Majakovskij-Museum | 225 Majdan Svobody → Plošča Dzeržyns’koho MARS | 295 Marxismus, marxistisch | 54, 102, 177, 178, 183, 242, 258, 313 Mežrabprom | 69 Modern Russian Art (Ausstellung) | 96 Moholy-Nagy-Foundation | 17 Montage | 40, 62, 63, 156, 169, 170, 177, 235, 236, 322 Mosselprom | 232 NARKOMPROS | 108, 250 Narodnyj futurizm | 69, 79, 80, 81, 112, 145 Nationale Internationale | 288, 290, 336 Nationalkommunismus | 106 Neo-Kubismus | 62 Neoprimitivismus, neoprimitivistisch | 69, 88, 101, 111 NĖP | 9, 87, 95, 96, 97, 98, 100, 101, 104, 110, 125, 229, 333 NĖP’manskoe iskusstvo | 97 Neue Ökonomische Politik → NĖP Neue Sachlichkeit | 165, 267 Neuer Konstruktivismus | 66, 67, 311 Neues Bauen | 152, 171, 180, 216, 256, 273, 322

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Neues Sehen | 322, 324 New Bauhaus | 79 Nova Generacija (Gruppe)  | 9–20, 22, 41, 43, 46, 54, 62, 68, 75, 77, 88, 93, 111, 117, 120, 121, 122, 126, 135, 136, 139, 142, 143, 151, 152, 157, 158, 159, 161, 165, 171, 172, 174, 175, 176, 177, 178, 180–190, 194, 200, 205, 209, 210, 215, 216, 224–231, 233, 237, 238, 244, 244, 245, 246–251, 254, 256, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 286, 290, 291, 292, 293, 294, 296, 301, 304, 307, 323, 324, 327, 334, 336, 337 Nullpunkt | 17, 160, 322, 326 Ob”jednannja sučasnych architektoriv Ukrajiny → OSAU Ob”jednannja sučasnych mytciv Ukrajiny → OSMU Ob”edinenie sovremennych archi­tektorov → OSA Obščestvo chudožnikov-stankovistov → OST OBĖRIU | 88 Oktjabr’ | 103 OSA | 70, 83, 159, 160, 174, 178, 195, 294 OSAU | 120, 160, 174, 177, 178, 179, 180, 286 OSMU | 120, 188 OST | 70 Österreichische Forschungsgemeinschaft (ÖFG) | 17 Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) | 17 Panfuturismus, panfuturistisch | 10, 11, 18, 20, 24, 50, 52, 54, 57, 58, 63, 67, 90, 93, 94, 114, 117, 120, 121, 125, 126, 135, 136, 137, 153, 157, 158, 174, 175, 181–188, 194, 198, 202, 244, 264, 291, 296, 307, 310, 323, 331 Parallelmontage | 169, 170 Passeismus | 238 Pervaja vystavka sovremennoj archi­ tektury | 83 PivdenROSTA | 124 Plošča Dzeržyns’koho | 127, 128, 129, 130, 131

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Poetismus | 178, 210, 318 Poezomaljarstvo | 53, 54, 55, 56, 261 Pressa Köln | 63, 99, 102, 125, 154 Primitivismus | 69, 249 Produktionskunst | 57, 64, 145, 165, 259, 336 Proletkino | 114 Proletkul’t | 103, 114, 119, 136 Protokonstruktivismus | 131 PROUN | 62, 155 Purismus | 62 RAPP | 103 Räumlich-konstruktivistischer Kubismus | 240, 241 Reisereportage | 235, 236, 237 REF | 139, 159, 244 RGALI | 17, 96, 163, 228, 233, 239, 240, 247, 248, 252, 302 Rossijskaja associacija proletarskich pisatelej → RAPP ROSTA | 63, 124 Rote Bauhaus-Brigade | 161 Rozstriljane vidrodžennja → Erschossene Wiedergeburt Schadografie | 324 Selo i misto | 71, 243, 304 Semljanit | 320 Simultanes Theater | 264 Skizzenbuch | 238 Sojuz Chudožnikov (SCh) | 260 Sovremennoe francuskoe iskusstvo (Ausstellung) | 255 Sozgorod | 134 Sozialistischer Realismus | 49, 90, 100, 321 Spiralismus | 146, 148, 191, 193, 194, 197, 198, 199, 201, 203, 204, 215, 254, 287, 307, 327 Staatsbibliothek zu Berlin | 17 Staatstheater Charkiw | 131, 160, 274, 275, 276, 277, 278, 235 Staffeleimalerei | 139, 238, 245, 246 Sujet | 234, 235, 236 Suprematismus, suprematistisch | 59, 60, 62, 64, 69, 80, 81, 82, 122, 145, 155, 190, 201, 202, 240, 245, 320 Surrealismus, surrealistisch | 75, 178, 259, 329

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Suržyk | 292 Totaltheater | 277 Udarna hrupa poetiv-futuristiv | 120 Ukrainische Nationalbibliothek | 17, 19 Ukrainischer Staatsverlag → Deržavne vydavnyctvo Ukrajiny Ukrainisierung | 67, 100, 104, 106, 107, 108, 109, 110, 116, 201, 204, 292, 293, 295, 313, 334 Ukrajinska avangarda 1910–1930 (Ausstellung) | 19 Ukrlef | 244, 246 UkrROSTA | 124 UNOVIS | 81, 82, 166, 201, 202 VAPLITE | 21, 66, 91, 92, 93, 101, 105, 121, 152, 281, 285, 292, 294, 311 VAPP | 103, 246 VChUTEMAS | 70, 122, 245 Vers libre | 196, 197, 310 Verwurzelungspolitik | 14, 93, 106, 108, 112, 117, 125, 201, 229, 281, 290, 299, 333, 335 VOKS | 18, 97, 98, 229 Volksfuturismus → Narodnyj futurizm Volkskunst | 48, 69, 70, 75, 80, 81, 88, 111, 112, 222, 280 Vse-Futurism | 183 Vserossijskaja associacija proletarskych pisatelej → VAPP Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej → VOKS Vseukrajins’ka spilka proletars’lych pysmennykiv → VUSPP Vseukrajins’ke fotokinoupravlinnja → VUFKU VUFKU | 114, 115, 140, 268, 270 VUSPP  | 121, 139, 199, 246, 247, 252, 295, 305, 306  Vysšij institut narodnogo obrazovanija | 81 Weißenhofsiedlung | 195, 257 Wohnmaschine → machine-à-habiter Wortschöpfer → 204 Zaum’ | 49, 54, 70, 84, 156, 159, 191, 196, 204, 225, 245, 338 Žovten’ | 181

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Appendix

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3.3 Abkürzungsverzeichnis AA ������������������������� Avangard al’manach proletars’kych mytcjiv Novoji Generaciji Ausst.-Kat. ������������� Ausstellungskatalog AVH ���������������������� Avanhard bspw. ���������������������� beispielsweise Cd’A ���������������������� Cahiers d’Art DLW ���������������������� Die Literarische Welt DNF ���������������������� Das Neue Frankfurt eig. ������������������������� eigentlich Engl. ���������������������� Englisch et al. ���������������������� und andere Ed. chr. ������������������� Edinica chranenija [Aufbewahrungseinheit] F. ��������������������������� Fond [Bestand] f. / ff. ���������������������� und die folgende / und die folgenden hgg. ������������������������� herausgegeben Hrsg. ���������������������� Herausgeber Hervorh. i. Orig. ��� Hervorhebungen im Original i 10 ������������������������� Internationale Revue i 10 ibd. ������������������������� ibidem insbes . ������������������� insbesondere i. Orig. ������������������� im Original JL ��������������������������� Jugo-LEF Kleinschr. i. Orig. Kleinschreibung im Original LC&T ������������������� La Cité & Tekhne LG ������������������������� Literaturnaja gazeta NG ������������������������� Nova Generacija NL ������������������������� Novyj LEF Nr. ������������������������� Nummer [O. V.] ������������������� ohne Verfasserangabe Op. Nr. ������������������ Werknummer o. T. ���������������������� ohne Titel Red. ���������������������� Redaktion resp. ���������������������� respektive S. ��������������������������� Seite U ��������������������������� Umschlagseite u. a. ������������������������� unter anderem UK ������������������������� Unterkapitel unpag. ������������������� unpaginiert v. a. ������������������������� vor allem VF ������������������������� die Verfasserin Vgl. ������������������������ vergleiche vs. ��������������������������� versus WMB ���������������������� Wasmuths Monatshefte für Baukunst z. B. ������������������������ zum Beispiel ZBdBV ������������������� Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen ZR ��������������������������� Zabajkal’skij rabočij

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Appendix

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Kurzzusammenfassung

Ende der 1920er-Jahre verlagerten sich die Aktivitäten der sowjetischen Avantgarde in mehrerlei Hinsicht an Peripherien, wo am Übergang von der NĖP zum Ersten Fünf­ jahresplan trotz politisch ungünstiger Umstände Situationen der kulturellen Inter­ ferenz entstanden. Eine solche Interferenz lässt sich für die späte Avantgarde in Char­ kiw konstatieren, in deren Rahmen es an einer räumlichen und zeitlichen Peri­pherie zu einer verspäteten Blüte von Futurismus und Konstruktivismus kam, die sich beide in engen (Wechsel-)Beziehungen zu Russland und Westeuropa entfalteten. In der vorliegenden interdisziplinären Studie werden ihre Entstehung im Kon­ text historischer Entwicklungen sowie ihre Relevanz für die sowjetische, aber auch die gesamteuropäische Avantgarde analysiert und die Besonderheiten der späten ukra­inischen Avantgarde dokumentiert. Im Zentrum der Untersuchung stehen die beiden ukrainischen Gruppierungen Nova Generacija (1927–1931) und Avan­hard (1925–1929), deren Verbindungen zu russischen Gruppierungen und westeuropä­ ischen Netzwerken aufgezeigt werden. Der Fokus wird auf Proklamationen und pole­ mische Streitschriften gerichtet, wobei im Sinne der interdisziplinären und medien­übergreifenden Ausrich­tung auch die von den Kunstschaffenden diskutierten Kunst­formen in die Analyse einbezogen werden. Die von den Künstlerinnen und Künstlern praktizierten pole­ mischen Versuche der Aus-, Ab- und Eingrenzung werden anhand einiger Beispiele aus der polemischen, der literarischen sowie der künstlerischen Praxis dargestellt. Die Studie stützt sich neben komparatistischen und formalistischen Analysen auch auf kulturwissenschaftliche Methoden, um die mehrdimensionale Erscheinung der ukra­inischen Avantgarde anhand einer ebenfalls multiperspektivischen Betrachtung in ihrer gesamten Spezifik zu erfassen.

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Die ukrainische Avantgarde zwischen Ost und West

Abstract

At the end of the 1920s, many activities of the Soviet avant-garde shifted from the centers to the edges. This development is exemplified in works of literature and art during the late avant-garde in Kharkiv, where futurism and constructivism experienced a late bloom evolving from a close interrelation with Russia and Western Europe. The interdisciplinary study analyzes the emergence as well as the relevance of the development of the Ukrainian avant-garde formations and consequently demonstrates the characteristics of the late Ukrainian avant-garde art. Hereby, the focus is put on the Ukrainian organizations Nova Generaciia (1927–1931) and Avanhard (1925–1929), whose connections with Russian and Western European groups and network are being examined. Leaning on comparative and formalist analysis as well as on methods drawn from cultural studies, the multi-perspective approach analyzes the many different aspects of the late Ukrainian avant-garde. The study focuses on proclamations and pole­mic pamphlets and subsequently also adds other genres, which were discussed by the artists themselves, to the project in the sense of an interdisciplinary and intermedial focus. Attempts of inclusion, exclusion and limitation are examined in polemics and proclamations and consequently exemplified in literary as well as polemic and artistic works.

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Literaturwissenschaft Achim Geisenhanslüke

Wolfsmänner Zur Geschichte einer schwierigen Figur 2018, 120 S., kart., Klebebindung 16,99 € (DE), 978-3-8376-4271-1 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4271-5 EPUB: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4271-1

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Belonging and Narrative A Theory of the American Novel 2018, 182 p., pb., ill. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4600-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4600-3

Wilhelm Amann, Till Dembeck, Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer, Heinz Sieburg (Hg.)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 9. Jahrgang, 2018, Heft 2: Interkulturelle Mediävistik Januar 2019, 240 S., kart., Klebebindung 12,80 € (DE), 978-3-8376-4458-6 E-Book: 12,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4458-0

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