Die Türkische Adalet Ve Kalkιnma Partisi (Akp): Eine Untersuchung Des Programms 'Muhafazakar Demokrasi' [1., Erstausgabe ed.] 387997389X, 9783879973897

The series Studies on Modern Orient provides an overview of religious, political and social phenomena in modern and cont

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Die Türkische Adalet Ve Kalkιnma Partisi (Akp): Eine Untersuchung Des Programms 'Muhafazakar Demokrasi' [1., Erstausgabe ed.]
 387997389X, 9783879973897

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Charlotte Joppien Die türkische Adalet ve Kalkɩnma Partisi (AKP)

Studien zum Modernen Orient herausgegeben von Gerd Winkelhane

Studien zum Modernen Orient 11

Charlotte Joppien

Die türkische Adalet ve Kalkïnma Partisi (AKP) Eine Untersuchung des Programms „Muhafazakar Demokrasi“

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. British Library Cataloguing in Publication data A catalogue record for this book is available from the British Library. http://www.bl.uk Library of Congress control number available http://www.loc.gov

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© 2011 by Klaus Schwarz Verlag GmbH Erstausgabe 1. Auflage Herstellung: J2P Berlin Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-87997-389-7

Diese Arbeit ist Onur, Johanna, Kathrin und Rüdiger gewidmet, sie wissen warum.

Inhaltsverzeichnis

1

Einführung

9

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Theorie und Methode Begriffsklärung Säkularismus und Laizismus Begriffsklärung Islamisch und Islamistisch Methode: Diskursanalyse Theorie: Zentrum und Peripherie (Şerif Mardin) Das Material

15 15 17 18 22 24

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.6 3.3

Konservatismus Entwicklung im Westen Entwicklung in der Türkei Im Osmanischen Reich Von den Jungtürken zur Türkischen Republik Entwicklung zwischen 1946 und 1980 Konservatismus seit 1980 Die Gründung der AKP Das politische Konzept der AKP „Muhafazakar Demokrasi“ Auseinandersetzung mit türkischen konservativen Parteien Auseinandersetzung mit „dem Westen“ (batı) Zeitgenössischer gesellschaftlicher Konservatismus Zwischenfazit: Die AKP als konservative Partei?

28 29 30 31 33 39 43 52 53 57 58 60 63

4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.4

AKP und Religion Religion in der Türkei – ein Überblick Milli Görüş-Parteien und die AKP Milli Nizam Partisi 1970‒1971 Milli Selamet Partisi 1972‒1980 Refah Partisi 1983‒1998 Fazilet Partisi 1997‒2001 Modernisierer und Traditionalisten Die Türkei als Modell für die Islamische Welt? Religionspolitik der AKP

66 67 68 69 70 71 75 76 79 82

4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 4.4.2 4.4.2.1 4.4.2.2 4.4.3 4.4.4 4.5

Regierungshandlungen mit direktem Religionsbezug Kopftuch İmam-Hatip-Schulen Religionsunterricht Auseinandersetzung mit religiösen Minderheiten Christen Aleviten Das Verhältnis von Staat und Religion Die AKP als „türkische Christdemokraten“? Zwischenfazit: Die AKP als islamistische Partei?

82 82 90 92 93 95 98 102 107 109

5 5.1 5.2 5.3

Demokratisierungsdiskurs der AKP Verhältnis von Militär und AKP Demokratieverständnis der AKP Innerparteiliche Demokratie

113 113 118 123

6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3

Realisation struktureller Werte Menschenrechte Artikel 301 Antiterrorgesetz Pressefreiheit

126 126 129 131 132

7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.2 7.3

Gesellschaftlicher Pluralismus Rechtlich nicht anerkannte Minderheiten – Kurden Gender-Fragen Frauen Frauen in der AKP Frauendiskurs Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle Zwischenfazit Menschenrechte und Pluralismus

138 139 147 147 149 151 158 161

8

Fazit

163

9

Literaturverzeichnis

167

10

Anhang

181

Dank

Besonderer Dank gilt Prof. Claus Schönig, der mich zur Publikation dieser Arbeit ermutigt hat. Zu Recht genießt er unter seinen Studierenden einen hervorragenden Ruf als außergewöhnlich engagierter Professor. Ohne seine Bereitschaft, trotz eigener immenser Arbeitsbelastung schwierige Passagen mit mir zu diskutieren und immer ein offenes Ohr für meine Fragen zu haben, wäre ich wohl das ein oder andere Mal verzweifelt. Auch Frau Prof. Ulrike Freitag, der Erstbetreuerin meiner Arbeit, danke ich sehr herzlich für die Annahme des Themas und ihre konstruktive Kritik. Für kritisches Lesen sowie wertvolle Kommentare und Literaturhinweise danke ich Kostas Gantinas, Prof. William Hale, Kristina Kamp-Yeni, Zeynep Kazan, Fırat Kurt, Nicolai Nagler, Dr. Anne Petersen, Dr. Barbara Pusch, Brita Rösler, Kristina Schmidt, Klaus Schmidt-Lorenz, Prof. Jenny B. White und Mustafa Yaylalı. Für alle Fehler im Bezug auf Inhalt oder Übersetzung bin ich allein verantwortlich. Bei der Überarbeitung habe ich mich bemüht, aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen. Dennoch musste ich, in einigen Bereichen früher, in anderen später, einen „Punkt setzen“, um diese Arbeit zum Abschluss zu bringen.

8

1

Einführung

Wer ist die AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) und welche Art der Politik verfolgt sie? In der türkischen Öffentlichkeit, aber auch in den Medien und der Literatur ist die Partei stark umstritten und führt zu einer Polarisierung der Meinungen. Dabei lassen sich zwei Positionen unterscheiden. Die erste sieht die AKP als Demokratisierungsakteur, der dem unverhältnismäßigen Einfluss des türkischen Militärs und der kemalistischen Eliten auf die Politik ein Ende setzt. Die AKP verfolgt demnach einen „gemäßigten Islam“ und hat die „innere Wandlung“ von einer islamistischen zu einer konservativen Partei vollzogen. Diese Meinung geht davon aus, dass die AKP helfen könnte, die Differenzen zwischen westlichen und islamischen Staa1 ten zu überbrücken. Eine zweite Position schätzt die AKP als islamisti2 sche Partei ein. Sie wirft ihr vor, die Einführung der şeriat und die Einrichtung einer islamischen Republik nach dem Vorbild des Iran zu verfol3 gen. Der Menschenrechts- und Demokratiediskurs der AKP wird dabei 1

2

3

Vertreter dieser Gruppe sind u.a. der deutsche Islamwissenschaftler und Autor Rainer Hermann, der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso, der EU-Diplomat Joost Lagendijk, der US-Präsident Barack Obama, sowie einige liberale türkische Intellektuelle wie Ali Bayramoǧlu, Etyen Mahcupyan und Ahmet Altan. Der Begriff şeriat ist die türkische Entsprechung des arabischen Begriffs sharīʿa und bezeichnet die islamische Rechtsordnung. Diese wurde jedoch historisch und geographisch unterschiedlich verstanden. Vertreter dieser Gruppe sind vor allem türkische Kemalisten, die Oppositionspartei CHP, der überwiegende Teil von Militär und Justiz in der Türkei sowie Rechte in Europa und den USA. 9

4

als takiye bezeichnet. Begründet wird diese Einschätzung mit Erdoǧans Haftstrafe wegen anti-säkularen Verhaltens und der Herkunft des überwiegenden Teils der Mitglieder aus islamistischen Parteien. Die Adalet ve Kalkınma Partisi wurde im August 2001 gegründet. Aus der Parlamentswahl am 3. November 2002 ging sie mit überraschender Mehrheit (34,28%) als Siegerin hervor. Neben ihr schaffte nur noch die Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei) als Oppositionspartei den Einzug in das Parlament. Tabelle 1 Ergebnisse der Parlamentswahl 2002

Stimmen

Sitze

AKP

34,28%

363

CHP

19,40%

178

Nachdem sich in den 1990er Jahren der Großteil der türkischen Parteien durch Korruptionsaffären selbst diskreditiert hatte, wurde die AKP von vielen Wählern als politischer Neuanfang gesehen. Die Partei bezeichnet sich selbst als konservativ-demokratisch und hat als Ausdruck ihrer politischen Identität das Konzept Muhafazakar Demokrasi (Kon5 servative Demokratie) entwickelt. Die AKP nennt als ihre grundlegen4

5

10

Takiye ist eine Strategie, die das Ziel hat, in einer Gefahrenzeit als Glaubensgemeinschaft nicht aufzufallen. Dabei darf die Glaubensdemonstration aufgegeben werden, um so der Verfolgung zu entgehen. Die Gegner der AKP stützen ihren Vorwurf auf Erdoǧans Verurteilung wegen anti-säkularen Verhaltens im Frühjahr 1998. Er hatte bei einer Veranstaltung in Siirt ein Gedicht Ziya Gökalps zitiert. Verärgerung erregten die Zeilen: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Vgl. Dietrich, Alexander, Die Welt, „Reformer oder Wolf Schafspelz?“, http://www.welt.de/printwelt/article341831/Reformer_-oder_-Wolf _im_Schafspelz.html, 20.4.10. Die Oppositionspartei CHP könnte theoretisch ebenfalls als konservativ bezeichnet werden, da sie die Revolution Atatürks als nicht verhandelbaren Grundsatz ihrer Politik versteht. Auch wenn einer der sechs Pfeiler des Kemalismus devrimçilik (Revolutionismus) ist, kann man die CHP insofern als konser-

den Ziele die Verwirklichung freier Marktwirtschaft durch Liberalisierung und Privatisierung, die Stärkung der Menschenrechte und eine stärkere Demokratisierung der Türkei. Sie bekennt sich zum Säkularismusgebot, möchte aber gleichzeitig ein harmonischeres Verhältnis von Staat und Religion bewirken. Außenpolitisch verfolgt sie einen EU-Beitritt und die Übernahme einer regionalen Mittlerfunktion. Nach Ablauf der siebenjährigen Amtszeit des Staatspräsidenten Sezer musste 2007 durch das Parlament ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden. In ihrer Funktion als Regierungspartei präsentierte die AKP den bisherigen Außenminister Abdullah Gül als Präsidentschaftskandidaten. Die Gegner der AKP sahen dadurch die Gefahr einer Islamisierung der Türkei gegeben. Bislang hatte der Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer viele Gesetzesvorhaben der AKP durch sein Veto verhindert. Daher kam es Ende April 2007 zu Massendemonstrationen gegen eine Kandidatur Güls. In der Nacht des 27. April versuchte die Armeeführung durch den sogenannten „E-mail-Putsch“ Einfluss auf die Wahl zu nehmen. Unter bislang ungeklärten Umständen erschien auf der offiziellen Homepage des Militärs eine Warnung, die das Eingreifen des Militärs in die Politik ankündigte, sollte dieses Anzeichen einer Islamisierung feststellen. Im Mai gab das Verfassungsgericht der Klage der Oppositionspartei auf Annullierung des ersten Präsidentschaftswahlganges statt, da nicht die erforderlichen zwei Drittel der Abgeordneten bei der Wahl anwesend waren. Gül zog daraufhin seine Kandidatur zurück, und die AKP rief Neuwahlen für den 22. Juli 2007 aus. Aus diesen ging sie mit 46,58% gestärkt hervor (s. Tab. 2). Inwieweit dieser Prozentsatz eine Überzeugung für das politische Programm der AKP widerspiegelt oder einen Protest gegen das von großen Teilen der Bevölkerung als undemokratisch empfundene Verhalten von Militär, Justiz und Oppositionspartei darstellt, lässt sich nicht sagen. Da neben der AKP und der CHP nun auch die ultranationalistische Milli Hareket Partisi (MHP, Partei der Nationalistischen vativ bezeichnen, als sie den politischen Prinzipien aus der Zeit Atatürks nachhängt und somit wertkonservativ ist. 11

Bewegung) den Sprung über die 10%-Hürde und damit den Einzug ins Parlament schaffte, nahm die absolute Zahl der AKP-Abgeordneten ab. Tabelle 2 Ergebnisse der Parlamentswahl 2007

Stimmen

Sitze

AKP

46,58 % (+12,30%)

341 (-23)

CHP

20,88 % (+ 1,49%)

112 (-66)

MHP

14,27 % (+ 5,93%)

71 (+71)

Nach dem Wahlsieg der AKP kandidierte Gül erneut und wurde am 28. August 2007 im dritten Wahlgang, bei dem nur noch die einfache Mehrheit entscheidet, zum Präsidenten gewählt. Im März 2008 nahm das Verfassungsgericht eine Anklage gegen die AKP und 71 ihrer Vertreter an. Der Staatsanwalt Abdurrahman Yalçınkaya hatte ein Parteiverbot gefordert, da diese angeblich ein „Zentrum von Aktivitäten gegen den 6 säkularen Staat“ sei. Ende Juli wurde der Verbotsantrag abgelehnt (11:6), die AKP allerdings zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Die Ereignisse im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl 2007 zeigen, dass sich in der Türkei zwei Gruppen mit unterschiedlichen politischen Auffassungen gegenüberstehen. Vor dem Hintergrund der genannten Ereignisse will diese Arbeit, unabhängig von den beschriebenen Interpretationen, das politische Konzept der AKP näher bestimmen. Ein einführender Teil (Kapitel 2) klärt Fragen nach Theorie, Methode und Material der Untersuchung. Das dritte Kapitel widmet sich der Frage nach der Selbstbeschreibung der AKP als konservativ-demokratisch. Dazu wird zunächst geklärt, was Konservatismus in einem westlichen 7 und in einem türkischen Kontext bedeutet. Daran anschließend wird 6 7

12

Vgl. Süddeutsche Zeitung, „Regierung auf der Anklagebank“, http://www. sueddeutsche.de/politik/450/447185/text/ 12.05.08. Die Begriffe westlich bzw. Westen bezeichnen in dieser Arbeit das geographische Gebiet Kontinentaleuropas, Großbritanniens und Nordamerikas. Der Begriff türkisch erstreckt sich auch auf das Osmanische Reich.

untersucht, wie die AKP ihre Selbsteinschätzung begründet und mit welchen Werten sie diese verbindet. Das vierte Kapitel widmet sich der Frage, in wieweit die Fremdbeschreibung der AKP als islamistisch gerechtfertigt ist. Dazu wird untersucht, ob das politische Programm der Partei einen Bruch mit den Programmen früherer islamistischer Parteien in der Türkei darstellt. Daran anschließend werden die Regierungshandlungen an drei in der Türkei kontrovers diskutierten Bereichen, der Kopftuchfrage, den İmam-HatipSchulen (Schulen für Vorbeter und Prediger) sowie dem staatlichen Reli8 gionsunterricht, diskutiert. Zuletzt wird geklärt, welche Vorstellungen vom Verhältnis von Staat und Religion die AKP vertritt und was dies für die religiösen Minderheiten in der Türkei bedeutet. Wichtigster politischer Gegner der AKP ist neben der Oppositionspartei CHP das Militär. Das fünfte Kapitel untersucht, wie die Partei mit diesem Konflikt umgeht und welche Staatsvorstellungen sie davon ausgehend entwickelt. Es wird betrachtet, was sie mit „Demokratisierung“ meint und inwieweit sie innerparteilich demokratische Strukturen verwirklicht. Das sechste Kapitel widmet sich den Menschenrechten und dem gesellschaftlichem Pluralismus, mithin zwei Werten, die die AKP in ihrem Diskurs als zentral herausstellt. Hier wird untersucht, warum sie diese Werte ins Zentrum ihres Programms stellt und welchen Nutzen ihre Klientel daraus zieht. Die Arbeit konzentriert sich mit den angegebenen Themenfeldern auf Bereiche, die die AKP selbst als zentral herausstellt, sowie auf solche Bereiche, von denen Aufschluss über Inhalt und Umfang der „Konservati8

Der Bereich „Kopftuch“ beschäftigt sich mit der in der Türkei kontrovers diskutierten Frage, ob in Universitäten Kopftuch getragen werden darf und der Position der AKP bezüglich dieses Themas. Der Bereich „İmam-Hatip-Schulen“ (Schulen für Vorbeter und Prediger) untersucht, ob und wenn ja wie die AKP rechtliche Vorraussetzungen für das Universitätsstudium ihrer Absolventen schaffen will. Der Bereich „Religionsunterricht“ beschäftigt sich mit dem von der AKP geforderten Umfang und Inhalt von Religionsunterricht an staatlichen Schulen. 13

ven Demokratie“ erwartet wird. Diese stellen selbstverständlich nur einen Ausschnitt der Regierungstätigkeit der Partei dar. Andere Bereiche wie beispielsweise die Sozial-, Wirtschafts- oder Außenpolitik der Partei werden nicht behandelt. Ebenso können interessante Phänomene wie der Einfluss religiöser Gruppen, wie der Fethullah Gülen Bewegung, auf die Partei oder das nationalistische Element in der Partei auf Grund des Umfangs der Arbeit nicht berücksichtigt werden. Diese Arbeit hat das Ziel, eine fundierte Einschätzung der AKP und ihres politischen Konzepts „Konservative Demokratie“ zu erstellen. Die behandelten Aspekte bilden einen wichtigen Grundstock, der in einer späteren Untersuchung weiterhin auszubauen wäre. Türkische Begriffe wurden kursiv gestellt. Zur besseren Lesbarkeit wurde eine moderne Schreibweise verwendet, d.h. „â“ wird als „a“, „î“ als „i“ wiedergegeben.

14

2

Theorie und Methode

Im diesem Kapitel werden die wichtigsten theoretischen und methodischen Hintergründe der Arbeit vorgestellt. Um bei der inhaltlichen Arbeit über verlässliche Begriffe zu verfügen, wird der Unterschied zwischen Säkularismus und Laizismus erläutert (s. Kapitel 2.1). Danach wer9 den die Begriffe islamisch und islamistisch definiert (s. Kapitel 2.2). Verlässliche Begriffe für die Analyse des Parteidiskurses werden aus Michael Fleischers „Kulturtheorie, Systemtheoretische und evolutionäre 10 Grundlagen“ entlehnt (s. Kapitel 2.3). Theoretisch stützt sich die Arbeit auf Mardins Aufsatz “Center-Periphery Relations: A Key to Turkish Politics?“ (s. Kapitel 2.4). Abschließend werden die verwandten Primärquellen vorgestellt und eingeordnet (s. Kapitel 2.5).

2.1

Begriffsklärung Säkularismus und Laizismus

Die Begriffe Säkularismus und Laizismus werden in der Literatur häufig synonym verwandt. Beide definieren, allerdings mit einer unterschiedlichen Akzentsetzung, das Verhältnis, in dem sich Religion und Staat zueinander befinden. Beide Begriffe sind nicht abschließend definiert, sondern werden landestypisch unterschiedlich ausgestaltet. Der Begriff Säkularismus beschreibt die Nicht-Beeinflussung der Politik durch die Reli11 gion, nicht jedoch die kategorische Trennung der beiden Bereiche. 9

Die Frage, inwieweit Islam und Demokratie prinzipiell miteinander vereinbar sind, wird auf Grund der abweichenden Fragestellung nicht behandelt. 10 Vgl. Fleischer, Michael, Kulturtheorie, Systemtheoretische und evolutionäre Grundlagen, Oberhausen 2001. 11 Vgl. Depenheuer, Otto, Zwischen Säkularität und Laizismus, Berlin 2005, S. 65. 15

Deutschland ist ein Beispiel für ein säkulares Land. Die Religion nimmt keinen institutionalisierten Einfluss auf den Staat, der Staat zieht jedoch Kirchensteuer ein und hat Religionsunterricht zum schulischen Lehrfach 12 gemacht. Ein weiteres Beispiel für einen säkularen Staat sind die USA, wo Religion in staatlichen Bereichen allerdings noch stärker als in Deutschland sichtbar ist. Dies zeigt sich u.a. durch das Motto „In God 13 we trust“ auf Münzen. Der Begriff Laizismus beschreibt die strikte Trennung von Staat und Religion. Demnach hält sich der laizistische Staat – anders als der säkulare – aus religiösen Belangen komplett heraus. Frankreich kann als Beispiel für einen laizistischen Staat genannt werden. Das Anbringen von Kruzifixen oder das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen ist nicht erlaubt und religiöse Gemeinschaften werden 14 nicht staatlich gefördert. Die Türkei bezeichnet sich selbst als laizistischen Staat. Dazu wird im 15 Türkischen das aus dem Französischen entlehnte layiklik verwandt. Der Begriff wird in dem 1944 vom Türkischen Rechtsverein (Türk Hukuk Kurumu) herausgegebenen Rechtswörterbuch wie folgt umschrieben: 12 Vgl. Karakaş, Cemal, Türkei: Islam und Laizismus zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Report 1/2007, Frankfurt am Main, S. 6-8. 13 Vgl. Kuru, Ahmet T., “Reinterpretation of Secularism in Turkey: The Case of the Justice and Development Party”, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 136-159, S. 137. 14 Vgl. Bauberot, Jean, „Der Laizismus in Frankreich vom Standpunkt der historischen Soziologie“, in: Sauzay, Brigitte / Thadden, Rudolf (Hg.), Eine Welt ohne Gott? Religion und Ethik in Staat, Schule und Gesellschaft, Göttingen 1999, S. 19-35 und La documentation française, „La laicité – débats 100 ans aprés la loi de 1905“, http://www.ladocumentationfrancaise.fr/dossiers/laicite/index.shtml, 19.02.09. 15 Vgl. Oehring, Otmar, Die Türkei im Spannungsfeld extremer Ideologien (1973‒ 1980). Eine Untersuchung der politischen Verhältnisse, Berlin 1984, S. 50 ff. 16

„,Layiklik‘ ist die Überzeugung davon, dass in der Staatsverwaltung die Erfordernisse der Wissenschaft und Technik sowie ausschließlich die weltlichen Bedürfnisse zu beachten sind, die Religion jedoch allein Angelegenheit des Gewissens ist, ihre Einmischung in die weltlichen und politischen Angelegenheiten nicht sachgemäß sein kann und nur eine mit dieser Überzeugung eingerichtete Verwaltung den wahren Fortschritt 16 garantieren wird.“ Auch wenn in der Türkei von layiklik gesprochen wird, findet tatsächlich das säkulare Modell Anwendung. Es herrscht keine strikte Trennung von Religion und Staat, sondern eine Unterordnung der Religion unter den Staat. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Institution des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlıǧı, im Folgenden nur Diyanet), auf das in Kapitel 4.1 ausführlicher eingegangen wird. Die türkische Republik wird in dieser Arbeit entgegen ihrer Selbstbezeichnung nicht als laizistischer, sondern als säkularer Staat bezeichnet.

2.2

Begriffsklärung Islamisch und Islamistisch

Die Begriffe islamisch und islamistisch tauchen in Presse und Literatur häufig auf, wenn es darum geht, Parteien und Bewegungen mit Bezug zum Islam zu beschreiben. Beide Begriffe werden teilweise synonym verwandt und sind nicht abschließend definiert. Die Verwendung birgt daher im Bezug auf Einheitlichkeit und Wertung durch den Verwender Unklarheiten. Im Folgenden werden die beiden Begriffe für diese Arbeit verbindlich bestimmt. Islamisch beschreibt die Zugehörigkeit zur Religion. Damit gehen bestimmte, dieser Religion zugehörige Praktiken und Werte einher. Der Begriff an sich ist wertfrei. Das Konstrukt „islamische Partei“ ist eigent16 Zitiert nach: a.a.O., S. 51. 17

lich unmöglich, denn eine Partei kann nicht islamisch sein. Wohl aber können ihre Mitglieder muslimisch sein, also dem Islam angehören. Das Adjektiv islamistisch bezieht sich in der deutschen Diskussion 17 häufig auf gewalttätige Aktionen, die im Namen des Islam verübt werden. Der Begriff islamistisch an sich beschreibt jedoch allein eine politische Ideologie, die zu ihrer Legitimation auf die Erstreckung des Islam auf alle Bereiche des Lebens verweist. Eine islamistische Partei stellt den Islam ins Zentrum ihres politischen Programms und leitet ihre Lösungen und Ziele aus ihm ab. Islamisten fordern die Einführung der sharīʿa, die 18 sie als allumfassende Rechts- und Werteordnung betrachten. Die Begriffe islamisch und islamistisch werden in dieser Arbeit nicht wertend verwandt, sondern um zu beschreiben, inwieweit eine Partei den Islam ins Zentrum ihres politischen Programms stellt.

2.3

Methode: Diskursanalyse

Parteien werden durch die Öffentlichkeit (Wähler, Presse, politische Gegner u.a.) definiert. Darüber hinaus nimmt jede Partei eine Selbstdefinition und Identitätsbestimmung vor. Wer sich mit der Identität einer Partei beschäftigt, muss daher nach Adressaten, Produzenten und dem Kontext der Entstehung fragen. Da Parteien keine homogenen Gebilde sind, ist die jeweilige Selbstdefinition immer das Ergebnis der Auseinandersetzung von verschiedenen Gruppen innerhalb der Partei. Erkenntnisinteresse ist, die Identität der AKP durch die Analyse ihrer Äußerungen und Handlungen zu bestimmen. Diese Arbeit bezieht sich dazu auf Michael Fleischers „Kulturtheorie, Systemtheoretische und evo17 Der Begriff Islam bezeichnet die Religion der Muslime. Islam wird als übergeordneter Begriff verwandt. Dabei ist bewusst, dass es „den Islam“ nicht gibt und Unterschiede in Bezug auf Auslegung und Praxis bestehen. 18 Vgl. Diaa Rashwan (Hg.), The Spectrum of Islamist Movements, Berlin 2007, S. 13-22 und Steinberg, Guido / Hartung, Jan-Peter, „Islamistische Gruppen und Bewegungen“, in: Ende, Werner / Steinbach, Udo (Hg.), Der Islam in der Gegenwart, Bonn 2005, S. 681-695, S. 681. 18

19

lutionäre Grundlagen“, die eine Weiterentwicklung der Diskursanalyse 20 Foucaults darstellt. Im Rahmen der Diskursanalyse sind auch die Figur des Autors, die äußere Form des Textes, sein formaler Aufbau und der sozio-historische Kontext seines Erscheinens von Bedeutung. Diese Aspekte stellen nicht nur die äußere Form eines Inhalts dar, sondern sind Teil des Diskurses. Nach Fleischer kann Diskurs als „ein System des Denkens und Argumentierens verstanden werden, das durch einen gemeinsamen Redegegenstand, durch Regularitäten der Rede und durch Relationen zu anderen Diskursen bestimmt ist. Diskurse sind also keine Einzeltexte oder Textgruppen, sondern Komplexe, die sich aus Aussagen und den Bedingungen und Regeln ihrer Produktion und Rezeption 21 in einem bestimmten Zeitraum zusammensetzen.“ Der Diskursbegriff wird für diese Arbeit von sprachlichen und textlichen Äußerungen auf Handlungen, die als Selbstäußerungen im weiteren Sinne verstanden werden, ausgedehnt. Der Begriff Handlungen beschreibt Gesetzesinitiativen und alle weiteren Regierungshandlungen der AKP. Da Diskurse von verschiedenen Akteuren produziert werden, benutzt Fleischer zur besseren Unterscheidung die Begriffe Einzelkultur und Subkultur. Der Begriff Kultur beschreibt die Summe aller erlernten Verhaltensweisen, übernommenen Einstellungen, Wertesysteme und Kenntnisse, die die Mitglieder einer Gesellschaft teilen. Kultur ist damit sowohl Ausdruck als auch Struktur einer Gesellschaft. Den Begriff Einzelkultur setzt Fleischer mit dem Begriff der Nationalkultur gleich, der „alle in einem geopolitischen und kulturell bedingten Raum vorhandenen 19 Vgl. Fleischer, Michael, Kulturtheorie, Systemtheoretische und evolutionäre Grundlagen, Oberhausen 2001.

20 Der französische Philosoph Michel Foucault ist der Begründer der Diskursanalyse. Vor allem in seinen Werken „Die Ordnung des Diskurses“ (München 1974) und „Die Archäologie des Wissens“ (Frankfurt am Main 1973) regte er dazu an, die Wirkung von Texten über ihren sichtbaren Inhalt (d.h. die Wörter) hinaus zu untersuchen. 21 Vgl. Fleischer (2001), S. 343. 19

22

Subkulturen“ umfasst. Die Türkei wird in dieser Arbeit als Einzelkultur verstanden. Subkulturen definiert Fleischer als „aus kulturellen Gruppen unterschiedlicher Anzahl und Größe“ bestehende Objekte, die durch gemeinsame Werte und Regeln als System generiert werden. Ihre wichtigste Eigenschaft ist die Herausbildung eines spezifischen Diskurses, der die be23 treffende Subkultur nach außen abgrenzt und nach innen festigt. Subkultur und Einzelkultur dürfen nicht als abgeschlossene Gebilde gedacht werden, vielmehr stehen sie in einem Verhältnis von Austausch und Abgrenzung zueinander. Die AKP stellt somit eine Subkultur innerhalb der Einzelkultur Türkei dar. Innerhalb des gegebenen Diskurses der Subkultur können auch Spezialdiskurse geführt werden. Den Spezialdiskurs definiert Fleischer als „Bestandteile, Subsysteme von Diskursen […], die nur innerhalb eines Diskurses funktionieren“. Dabei realisiert der Spezialdiskurs „die Gesamtausrichtung, die Werte- und Normenhierarchie eines Diskurses in Anwendung auf einen spezielleren Bereich 24 oder Systemaspekt.“ Da keine Partei ein homogenes Gebilde darstellt, finden sich auch in der AKP spezifische Positionen verschiedener Gruppen. Sollen in der Arbeit Abweichungen vom allgemeinen Parteidiskurs durch Teile der Partei deutlich gemacht werden, wird der Begriff Spezialdiskurs verwandt. Im Bereich jeden Diskurses lassen sich verschiedene Diskurselemente unterscheiden. In dieser Arbeit finden die Elemente „Wert“ und „Opposi25 tion“ Verwendung. Fleischer definiert Werte als in einer Kultur etablierte und tradierte Objekte, die einen Bestandteil des Diskurses dieser 22 23 24 25

20

a.a.O., S. 315. a.a.O., S. 314. a.a.O., S. 317 f. Weitere Elemente Fleischers Kulturtheorie sind „Kollektiv- und Diskurssymbole“, „Ereigniskonstrukte“, „Normative“, „Stereotype“ und „Vergleiche“. Diese werden im Hinblick auf den Umfang der Arbeit jedoch nicht weiter verfolgt.

Kultur darstellen. Sie sind allgemein positiv konnotiert, stellen einen Maßstab oder ein Ideal und damit eine Norm dar. Werte werden innerhalb einer Kultur für wertvoll gehalten und übernehmen somit in Diskursen eine steuernde Funktion. Sie stellen die Bewertungsgrundlage dar, nach der die Entscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“, „richtig“ 26 und „falsch“ getroffen wird. Es soll betont werden, dass der Wert an sich keine normative Bewertung vornimmt, sondern die Grundlage darstellt, anhand derer die Diskursakteure bzw. der Diskurs Ereignisse bewerten. Neben Werten stellen Oppositionen ein weiteres wichtiges Element der Diskursanalyse dar. Der Begriff Opposition beschreibt nicht nur sprachliche Oppositionen (beispielsweise „kalt/heiß“), sondern auch Denkmuster (beispielsweise „Kommunist/Kapitalist“). Oppositionen „hel27 fen“ bei der Differenzierung und Bewertung von Ereignissen. In der Analyse können so Bewertungen und Standpunkte herausgearbeitet werden. Abbildung 3 Verwandte Elemente aus Fleischers Kulturtheorie (eigene Darstellung)

Als letztes soll das Phänomen der kulturellen Bedeutung erläutert werden, da es wichtig für das Verständnis und die Anwendung der Diskurselemente ist. „Kulturelle Bedeutung“ beschreibt die Tatsache, dass ein Wort neben seiner rein lexikalischen Grundbedeutung eine spezifi28 sche kulturelle Bedeutung aufweisen kann. Dieses „Mehr an Bedeu26 a.a.O., S. 316 ff., 354 ff. u. S. 380 ff. 27 a.a.O., S. 430 ff. 28 a.a.O., S. 325. 21

tung“ ist kultur- oder subkultur-abhängig und häufig emotional besonders besetzt. Für die Türkei können als Beispiele kultureller Bedeutung die Bereiche „Kopftuch“ (türban) und „Laizismus“ (layiklik) genannt werden. Kulturelle Bedeutung kann nicht Säule der Analyse, sondern nur Hilfsmittel sein, da sie analytisch nicht eindeutig zu erfassen ist.

2.4

Theorie: Zentrum und Peripherie (Ëerif Mardin)

Der türkische Soziologe Şerif Mardin unterteilte in seinem 1973 erschienen Aufsatz „Center-Periphery Relations: A Key to Turkish Politics?“ die 29 türkische Gesellschaft in Zentrum und Peripherie. Vereinfacht dargestellt, bezeichnet er mit dem Begriff Zentrum den Staat, mit dem Begriff Peripherie das Volk. Mardin argumentiert, die gelungene Integration der Peripherie (Adel, Städte, Bürgertum, Arbeiterschaft) in das Zentrum sei ein Phänomen westlicher Nationalstaaten und liege in der Autonomie der Städte, des Handels und dem Ständesystem begründet. Durch gegenseitige Konfrontationen sei die Peripherie schrittweise anerkannt und in das Zentrum integriert worden. Die Peripherie ist daher aktiv und passiv durch zahlreiche Mechanismen mit den Handlungen des Zentrums ver30 bunden. Mardin beginnt seine Darstellung im Osmanischen Reich. Für dieses beschreibt er Zentrum und Peripherie als lose miteinander verbundene, an sich autonome Gebilde. Diese traten nur durch religiöse oder juristische Institutionen und den Verwaltungsapparat in Kontakt. Das Zentrum bestand aus dem Sultan und der Verwaltung (Beamte und Rechtsgelehrte) und bildete ein abgeschlossenes, sprachlich einheitliches Sys31 tem. Die Peripherie bestand aus dem Volk und war religiös und ethnisch sehr stark fragmentiert. Zum Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Druck des Zentrums auf die Peripherie durch Steuern und Gesetze zu. 29 Vgl. Mardin, Şerif, “Center-Periphery Relations: A Key to Turkish Politics?”, in: Daedalus, Vol. 102, No. 1, 1973, S. 169-190.

30 a.a.O., S. 170. 31 a.a.O., S. 169. 22

Im Gegenzug hatte diese jedoch keine Möglichkeiten, das Zentrum zu 32 beeinflussen oder sich darin zu artikulieren. Die religiösen Institutionen des Reiches verloren durch den Ausbau des Verwaltungsapparates, besonders in der Endphase des Osmanischen Reiches, an Einfluss und wurden stärker zu einem Teil der Peripherie. Zusätzlich kam es zu Gebietsabspaltungen religiöser Minderheiten, so dass die zunächst multikonfessionelle Peripherie zu einer überwiegend muslimischen Gruppe 33 wurde. Die Trennung von Peripherie und Zentrum und das Unvermögen der Peripherie, sich wirkungsvoll im Zentrum zu artikulieren, blieb auch nach der Gründung der Türkischen Republik im Jahre 1923 erhalten. Zwar war es formell zu einem Bruch mit dem Osmanischen Reich gekommen, dennoch blieben Verwaltung, Justiz und Militär die dominierenden Institutionen des Zentrums. Prägende kulturelle Merkmale waren die Ausrichtung nach Westen, das Bekenntnis zum säkularen Staat und die Propagierung eines als städtisch und fortschrittlich empfundenen Lebensstils. Die Peripherie in der Zeit der Türkischen Republik definiert Mardin als Landbevölkerung, die ländlichen, religiösen und lokalen Traditionen verhaftet blieb. Auch nach der Republikgründung fand keine Integration der Peripherie in das Zentrum statt. Vielmehr versuchte das Zentrum durch ein staatliches Modernisierungsmodell, die Peripherie „von oben“ zu verändern. Mit der Demokrat Partisi (DP, Demokratische Partei) nahm 1946 erstmals eine politische Partei für sich in An34 spruch, die Interessen der Peripherie zu vertreten. Seitdem sind mehr als 60 Jahre vergangen. Anlehnend an Mardins Theorie soll die Beantwortung folgender Fragen helfen, die Identität der AKP zu bestimmen. Kann für die türkische Gesellschaft noch von einer Teilung in Peripherie und Zentrum gesprochen werden? Falls ja, ist die AKP eine Vertreterin der Peripherie bzw. empfindet sie sich selbst als 32 a.a.O., S. 170 f. 33 a.a.O., S. 175 f. 34 a.a.O., S. 185 ff. 23

solche? Falls ja, wie beeinflusst dies ihre Identität? Was bedeutet diese Einschätzung für ihren Menschenrechts- und Pluralismusdiskurs?

2.5

Das Material

Diese Arbeit stützt sich bei der Analyse sowohl auf Primär- als auch auf Sekundärquellen. Als Primärquellen wurden schriftliche Selbstäußerungen der Partei herangezogen. Wichtigste Quelle ist das 2004 von der AKP herausgegebene und von Erdoǧans politischem Berater Yalçin Akdoǧan verfasste Buch „AK Parti ve Muhafazakar Demokrasi“ (Die AKP und Konservative Demokratie). Wie der Titel besagt, beschäftigt sich dieses 160-seitige Buch mit der AKP und ihrer Selbstbezeichnung als „Konservative Demokraten“. Da das Buch relativ preiswert in der Türkei vertrieben wird, ist theoretisch von einem großen Rezipientenkreis auszugehen. Das Inhaltsverzeichnis lässt einen informativen Text vermuten, allerdings entsprechen die einzelnen Kapitel inhaltlich nur bedingt den Überschriften. Analyseschwierigkeiten ergeben sich zudem dadurch, dass Akdoǧan kaum eigene Positionen bezieht, sondern hauptsächlich Zitate anderer Politologen, Philosophen und Soziologen aneinanderreiht. Es fällt auf, dass er dabei überproportional häufig westliche Quellen anführt. Seine eigene Argumentation bleibt daher häufig unklar. Sein zweiter hier verwandter Text ist im Jahr 2006 unter dem Titel “The Meaning of Conservative Democratic Political Identity” im Sammelband “The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti” erschienen. Der Herausgeber M. Hakan Yavuz ist Assistenzprofessor 35 an der Universität von Utah. Akdoǧans Beitrag in diesem Sammelband ist besser strukturiert als sein eigenes Buch. Im Januar 2004 veranstaltete die AKP mit dem „Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu“, einen Kongress zu Konserva35 Durch seine Verwendung des Parteikürzels „AK Parti“ anstelle von „AKP“ und aufgrund der Tatsache, dass AKP-Mitglieder als Autoren erscheinen, kann ihm Sympathie für die Partei unterstellt werden. 24

36

tismus und Konservativer Demokratie. Die Teilnehmer waren in erster Linie Parteimitglieder. In dieser Arbeit finden die Reden des Parteivorsitzenden und Premierministers Erdoǧan sowie des damaligen stellvertre37 tenden Parteivorsitzenden Dengir Mir Mehmet Fırat Verwendung. Abdullah Gül hielt seine Rede “The Need for Reform in the Islamic World and the Role of Civil Society” am 1. Mai 2005 im Rahmen der “International Conference of Islamic Civil Society Organizations: In Search of a New Vision in a Changing World” in Istanbul. Sie ist ebenfalls als 38 Anhang im Sammelband von M. Hakan Yavuz zu finden. Auf Grund der Veranstaltung ist davon auszugehen, dass er sich an ein muslimisches, wohl überwiegend auch religiös zivilgesellschaftlich engagiertes Publikum richtete. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass Gül auch in diesem Rahmen unter der Beobachtung säkularer Kreise gestanden und seine Worte im Hinblick darauf gewählt haben wird. Auch die Rede Recep Tayyip Erdoǧans “Conservative Democracy and the Globalization of Freedom” ist im Anhang von Yavuz’ Veröffent39 lichung abgedruckt. Diese Rede hielt er am 29. Januar 2004 beim American Enterprise Institute in Washington. Das als konservativ einzuordnende Institut untersucht Fragen der Wirtschaft, Außenpolitik und Gesellschaft mit Bezug zu Amerika. Erdoǧan wird hier ein akademisches, 36 Die Veranstaltung fand am 10.-11. Januar 2004 im Grand Cevahir Kongre Merkezi in Istanbul statt.

37 Vgl. Erdoǧan, Recep Tayyip, “Konuşması”, Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu, 10./11.01.2004 Istanbul, http://tr.wikisource.org/wiki/ Recep_Tayyip_Erdo%C4%9Fan%27%C4% B1n_15_Ocak_-2004_tarihli_konu %C5%9Fmas%C4%B1, 21.02.07; und Fırat, Dengir Mir Mehmet, “Kapanış Konuşması”, Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu, 10./11.01.2004 Istanbul, www.akparti.org.tr/siyasivehukuk/dokuman/Konusma DengirBey%20UMDS.doc, 21.02.07. 38 Vgl. Gül, Abdullah, “The Need for Reform in the Islamic World and the Role of Civil Society”, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 341-345. 39 Vgl. Erdoǧan, Recep Tayyip, “Conservative Democracy and the Globalization of Freedom”, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 333-340. 25

politisch konservatives Publikum mit Nähe zur Bush-Administration gehabt haben. Das Parteiprogramm wird in dieser Arbeit in der Fassung von 2007 40 verwandt. Als politische Absichtserklärung richtet es sich an alle potentiellen Wähler, d.h. an die gesamte türkische Öffentlichkeit. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich nur wenige Wahlberechtigte inhaltlich mit Wahlprogrammen auseinandersetzen. Dabei hat es, ähnlich wie die Programme deutscher Parteien, vor allem eine Bedeutung als „innerparteiliche Richtschnur“. In türkischen Medien sind Interviews kein geläufiges Mittel der Berichterstattung. Daher findet in dieser Arbeit bedauerlicherweise nur ein Interview Erdoǧans im September 2007 mit der deutschen Zeitschrift 41 Der Spiegel Verwendung. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die verwendeten Quellen einen Zeitraum von knapp neun Jahren umfassen und sich an ein unterschiedliches Zielpublikum richteten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Äußerungen der Parteiführung sind. Das Führen von Interviews mit AKP-Abgeordneten oder Mitgliedern war auf Grund des eingeschränkten zeitlichen und finanziellen Rahmens der Arbeit nicht möglich. Der Diskurs der AKP speist sich aus den oben aufgeführten sprachlichen Äußerungen sowie den Regierungshandlungen (z.B. Gesetzesinitiativen) der Partei. Regierungshandlungen können dem Parteidiskurs zugerechnet werden, da sie Selbstäußerungen im weitesten Sinne darstellen. Beide Formen der Selbstäußerung werden in dieser Arbeit nicht getrennt voneinander behandelt, sondern, so wie es der politischen Wirklichkeit entspricht, themenbezogen. 40 Vgl. http://eng.akparti.org.tr/english/partyprogramme.html für die Fassung von 2007. Zwischen der Fassung von 2001 und der Fassung von 2007 bestehen nur geringe Unterschiede. Die Fassung von 2001 findet sich unter: http://www. belgenet.com/parti/program/ak_1.html, 11.02.08. 41 Vgl. Spiegel Online, Interview mit Erdoǧan, 20.9.2007, „Leader says headscarf ban at universities ‘unfortunate’“, http://www.spiegel.de/international/world/ 0,1518,506896,00.html, 10.6.08. 26

Wichtigste Sekundärquellen dieser Arbeit sind die Sammelbände zur 42 AKP von M. Hakan Yavuz und Ümit Cizre. Da die Frage nach der Identität der AKP ein sehr aktuelles Thema ist, konnte bei zahlreichen Spezialaspekten der Untersuchung nicht auf wissenschaftliche Literatur zurückgegriffen werden. In diesem Fall wurden überwiegend deutsche und türkische Zeitungsartikel sowie weitere Informationen aus dem Internet ausgewertet.

42 Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006 und Cizre, Ümit (Hg.), Secular and Islamic Politics in Turkey, The Making of the Justice and Development Party, London 2008. 27

3

Konservatismus

Der Begriff Ideologie beschreibt ein System von Denkweisen und Wertvorstellungen, die einer bestimmten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Interessenlage zugeordnet sind. Ideologien vermitteln eine bestimme Weltanschauung, d.h. ein „von konkreten zeitlichen und gesellschaftlichen Bedingungen unabhängiges Vorverständnis von rea43 len Zusammenhängen.“ Da die AKP ihre politische Identität als „konservative Demokratie“ beschreibt, ist Konservatismus ein Schwerpunkt dieser Arbeit. Für die Beschäftigung mit dem Konservatismuskonzept der AKP ist es wesentlich, sich zunächst die Grundkonzepte des europäischen und amerikanischen Konservatismus bewusst zu machen, um das Konzept der AKP in 44 einem internationalen Kontext verorten zu können. 45 Im Westen hat eine uneinheitliche Entwicklung stattgefunden, deren Ergebnisse im Hinblick auf den Umfang der Arbeit nur skizzenhaft und sehr vereinfacht dargestellt werden können. Daran anschließend wird Konservatismus im Bezug auf das Osmanische Reich bzw. die Türkische Republik untersucht. Die Kenntnis geschichtlicher Hintergründe und türkischer Spezifika sind wichtig, um Entstehung und Zielsetzung 43 Vgl. Häckel, Erwin, „Ideologie und Außenpolitik“, in: Woyke, Wichard (Hg.), Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn 2000, S. 142-150, S. 148.

44 Wenn in dieser Arbeit vom europäischen Konservatismus gesprochen wird, ist damit der kontinentaleuropäische Konservatismus, beschränkt auf das lateinische Europa, gemeint. Der Begriff amerikanischer Konservatismus steht für den geographischen Bereich Nordamerikas. 45 Der Begriff Westen umfasst in dieser Arbeit Kontinentaleuropa, England und Nordamerika. 28

konservativer Positionen in Gesellschaft und Politik zu verstehen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf möglichen konservativen Kontinuitäten und geschichtlichen Parallelen zum Konzept der AKP.

3.1

Entwicklung im Westen

Der konservative Diskurs im Westen unterlag zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Regionen einer stark divergierenden Schwerpunktsetzung. Konservatismus zeichnet sich durch das Fehlen einer verbindlichen Theorie und durch eine unterschiedliche geographische Entwicklung aus. Die überwiegende Mehrheit der Autoren geht vom Beginn des Konservatismus in einem Zeitraum innerhalb der Aufklärung bzw. der Französischen Revolution aus. Konservatismus ist eine Reaktion auf politische und gesellschaftliche Ereignisse. Er definiert sich somit erst durch die jeweilige Herausforderung und Infragestellung. Große Bedeutung kommt Tradition und der Bewahrung von Werten und Strukturen zu. Wichtige Werte sind Familie, Respekt, Ordnung, Moral und Autorität. Zwischen Religion und Konservatismus bestehen so zahlreiche gegenseitige Überschneidungen und Beeinflussungen, dass Religion als prägendes Element des Konservatismus bestimmt werden kann. Wichtig für die Unterscheidung zwischen amerikanischem und europäischem Konservatismus ist, dass amerikanischer Konservatismus großen Wert auf die Selbstverantwortung des Bürgers legt und den Anspruch hat, klassenlos zu sein. Europäischer Konservatismus hingegen misst staatlichen Strukturen und deren Ordnungsfunktion größere Bedeutung bei und verfügt auf Grund seiner geschichtlichen Entwicklung über ein stär46 keres Klassenbewusstsein. 46 Zu ausführlicheren Erläuterungen zu Entwicklung und Konzepten in Europa und in den USA vgl. Hacke, Jens, „Konservatismus“, in: Gosepath, Stefan / Hinsch, Wilfried / Rössler, Beate (Hg.), Handbuch der Politischen Philosophie und Sozialphilosophie, Band 1, Berlin / New York 2005, S. 645-649; Heidenreich, Bernd, Politische Theorien des 19. Jahrhunderts, Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Berlin 2002, ; Müller, Johann Baptist, Konservatismus, Konturen einer Ordnungsvorstellung, Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Berlin 2007; 29

3.2

Entwicklung in der Türkei

Bei der Beschäftigung mit dem türkischen Konservatismus stellt sich zunächst die Frage, ob es überhaupt möglich ist, im Fall der Türkei von Konservatismus zu sprechen, da ihr für Europa Impuls gebende Ereignisse wie beispielsweise die Französische Revolution völlig fehlen. Viele Autoren sind daher der Meinung, dass erst seit der Einführung des Mehrparteiensystems 1946 von Konservatismus gesprochen werden 47 kann. Diese Aussage ist solange richtig, wie sie allein auf parteipolitischen Konservatismus beschränkt wird. Wie im Folgenden gezeigt wird, lassen sich schon im Osmanischen Reich, und durchaus nicht nur in seiner Endphase, dezidiert konservative Positionen feststellen. Mit der Gründung der Türkischen Republik (1923) hat kein so klarer Bruch mit der osmanischen Vergangenheit stattgefunden, wie die offizielle Geschichtsschreibung es später darstellte. Gesellschaftliche Gruppen, die damals über die Notwendigkeit von Modernisierungsmaßnahmen uneinig waren, stehen sich in leicht veränderter Form auch heute gegenüber. Die Kontroverse über das Verhältnis zum Westen zieht sich als roter Faden durch die Geschichte des Osmanischen Reiches und der Türkischen Republik. Auf Grund dieser Kontinuität beginnt die Darstellung des türkischen Konservatismus im 17. Jahrhundert. Anschließend wird die Entwicklung des Konservatismus im Zeitraum zwischen der Jungtürkenbe48 wegung und der Gründung der Türkischen Republik behandelt. Die Muller, Jerry Z., Conservatism, An Anthology of Social and Political Thought from David Hume to the Present, Princeton 1997; Neumann, Franz (Hg.), Politische Theorien und Ideologien, Baden-Baden 1977 und Volkert, Bernd, Der amerikanische Neokonservatismus, in: Funke, Hajo / Rensmann, Lars (Hg.), Politische Theorie und Kultur, Band 3, Berlin 2006. 47 Als Beispiele für diese Position seien die Autoren Nuray Mert, Ersin Kalaycıoǧlu und Ali Çarkoǧlu genannt. 48 Die Jungtürken bildeten sich aus der Studentenschaft der Istanbuler MedizinSchule heraus und waren zumindest während der Gründungsphase überwiegend nicht-türkische Muslime. 1908 zwang das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ durch eine Allianz mit dem Militär den Sultan zur Wiedereinsetzung der Verfassung von 1876. Als Folge kam es 1909 zu einem Aufstand 30

unterschiedlichen Konnotationen der türkischen Entsprechungen für konservativ, muhafazakar und tutucu, sowie ihre Verortung in gesellschaftlichen Gruppen werden in diesem Rahmen erörtert. Danach wird das Aufkommen konservativer Parteien von der Einführung des Mehrparteiensystems bis zum Militärputsch 1980 untersucht. Ein letzter Abschnitt beschäftigt sich mit der Entwicklung des Konservatismus in der Türkei von 1980 bis in die heutige Zeit. Historische Hintergründe sind wichtig für das Verständnis von Zusammenhängen, dennoch würden eine umfassende Darstellung der türkischen Geschichte und ihrer Wirkung auf konservative Konzepte den Umfang dieser Arbeit sprengen. Aus diesem Grund wird nur so viel Geschichte referiert, wie für das Verständnis nötig ist, detaillierte Angaben und weiterführende Literatur finden sich in den Fußnoten.

3.2.1 Im Osmanischen Reich Bereits in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts begann der Nie49 dergang des Osmanischen Reiches. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts fanden Modernisierungsbestrebungen statt, die im 19. Jahrhundert in die Tanzimat-Reformen mündeten und die Übernahme westlicher Errun50 genschaften zum Ziel hatten. Die Beamtenschicht begrüßte Reformen von Teilen der Armee und der konservativen Opposition; als Reaktion verbannten die Jungtürken Abdülhamid II. Vgl. Kreiser, Klaus, Der Osmanische Staat 1300-1922, Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 30, München 2001, S. 48. 49 Die gescheiterte Belagerung Wiens (1683), der Vertrag von Karlowitz (1699) und der erfolglose Krieg gegen Russland (1768‒1774) markieren den Zeitraum, nach dem es dem Osmanischen Reich nie wieder möglich war, militärisch mit einer europäischen Großmacht zu konkurrieren. 50 Die osmanischen Modernisierungen begannen unter Sultan Selim III. (1789‒ 1806). Er und seine Berater waren der Überzeugung, dass die Übernahme westlicher Wissenschaft auch dem Osmanischen Reich zu neuer Blüte verhelfen könnte. Allerdings beschränkten sich seine Projekte fast ausschließlich auf das Militär, für das er ausländische Berater einstellte. Mahmut II. (1808‒1839) setzte sich für eine Zentralisierung der Verwaltung ein und schuf erste Ministerien. Eines davon war der „Oberste Rat für Rechtsangelegenheiten“, der die Aufgabe hatte, informelle islamische „Beratungsorgane“ unter staatliche Kontrolle zu 31

vor allem in den Bereichen Technik, Bürokratie, Recht und Wissen51 schaft. Die Rechtsgelehrten (ulema) nahmen eine Gegenposition ein und begründeten den Machtverlust mit dem Abfall der Regenten vom is52 lamischen Recht und mit der Entfernung von der eigenen Kultur. Die ulema nahmen in der Auseinandersetzung eine konservative Position ein, da sie Religion und Tradition als Quelle der Verbesserung bestimmten. So schreibt Wolff: „Bei ihnen [Anm. der Reformopposition] war ein Motiv leitend, das in der Reaktion der islamischen Welt auf die Herausforderungen durch die wachsende Überlegenheit des Westens eine bis in die Gegenwart wirkende Bedeutung gewinnen sollte. Die Unterlegenheit rühre von der Vernachlässigung der islamischen Prinzipien und der ursprünglichen Tugenden des Osmanentums her. Die Rückkehr zu ihnen werde die Überle53 genheit des Osmanischen Reiches wiederherstellen.“ bringen. Weitere Umstrukturierungen fanden während der Tanzimat Periode (1839-1876) statt, die Sultan Abdülmecid (1839‒1861) mit der Verlesung des „Kaiserlichen Handschreibens“ von Gülhane (hatt-ı şerîf) einleitete. In deren Mittelpunkt stand eine Rechtsschutzgarantie für Person und Vermögen aller Untertanen ohne Ansehen ihrer sozialen Stellung oder ihres Vermögens, sowie ein geregeltes Nebeneinander der Religionsgemeinschaften (durch die Ergänzung hatt-ı hümâyûn, 1856). In der von Abdülhamit II. (1876‒1908) proklamierten neuen Verfassung (1876) wurde das Osmanische Reich formal zur konstitutionellen Monarchie erklärt, eine Entscheidung, die er bereits 1878 durch die Auflösung des Parlaments rückgängig machte. Vgl. Kreiser, Klaus / Neumann, Christoph K., Kleine Geschichte der Türkei, Bonn 2006, S. 36, S. 188, S. 316, S. 324 u. 342 ff. sowie Kazancıǧıl, Ali, „De la Modernité Octroyée par l`Ètat à la Modernité Engendrée par la Société“, in: Vaner, Semih (Hg.), Modernisation Autoritaire en Turquie et en Iran, Paris 1991, S. 19-31, S. 22 f. 51 Der Begriff ulema umschreibt für die Zeit des Osmanischen Reichs die Mitglieder der ilmiyye, der „Ordnung“, die aus islamischen (sunnitischen) Rechtsgelehrten, Lehrern und dem Moscheepersonal bestand. 52 Vgl. Kazancıǧıl (1991), S. 22. 53 Vgl. Wolff, Arno, „Tanzimat, Der erste Versuch einer Modernisierung in der Türkei“, KAS-Auslandsinformationen 6/05, S. 100-121, S.105. 32

Durch Bürokratisierung und die Modernisierung des Staatsapparates verschob sich das gesellschaftliche Gefüge zu Ungunsten der ulema, die 54 55 an wirtschaftlichem und politischem Einfluss verloren. Das Militär, neben Beamten und ulema der dritte Machtfaktor des Osmanischen Reiches, lässt sich nicht verbindlich der reformorientierten oder der konservativen Gruppe zuordnen. Es wurde deutlich, dass Reformen nur innerhalb des Zentrums diskutiert wurden. Damit waren sowohl Modernisierungsbestrebungen als auch deren Gegenbewegung immer „Ereignisse von oben“, d.h. aus der Staatselite und nicht aus der Gesellschaft. Analog zu Mardins Einschätzung kann daher festgestellt werden, dass es eine Entwicklung wie in Europa, bei der ein bürgerlicher und ein monarchischer bzw. adliger Gesellschaftsentwurf miteinander konkurrierten, in der Türkei nicht gab. Das Phänomen der Diskussion von politischen und gesellschaftlichen Themen innerhalb der staatlichen Elite lässt sich, in abgeschwächter Form, auch nach der Gründung der Republik beobachten.

3.2.2 Von den Jungtürken zur Türkischen Republik Die Situation, dass nur innerhalb des Staatsapparates über Reformen diskutiert wurde, änderte sich Ende des 19. Jahrhunderts. Seit Mitte der 1880er Jahre hatte sich eine als Jungtürken bekannte Oppositionsgruppe gegen die Regentschaft Abdülhamids II. (1876‒1908) gebildet. Aus der Gruppe ging 1889 mit dem „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (İttihad ve Terakki Cemiyeti) eine politische Bewegung hervor, die auf eine konstitutionelle Staatsform und Reformen hinarbeitete. Gab es zu Beginn auch liberale Stimmen innerhalb der Gruppe, setzte sich langfristig ein rassistisch konnotierter Nationalismus durch. Der Sieg Japans über Russland (1905) spielte eine wichtige Rolle für diese Position. Er wurde als 54 Vgl. Kreiser (2001), S. 41. 55 Die politisch relevante Gruppe des Militärs im Osmanischen Reich bestand in erster Linie aus den Yeniçeri (dt. Janitscharen), der Elitegruppe der Osmanischen Armee, sowie den Sipahi und den Akıncı, die der Reiterei angehörten. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 156 ff. 33

Beispiel dafür angeführt, wie die Beibehaltung einer traditionellen Einstellung mit der Übernahme ausschließlich nützlicher, westlicher Errungenschaften zu vereinbaren sei. So zitiert Kreiser den in seiner Zeit ein56 flussreichen Intellektuellen Mehmet Akif Ersoy (1873‒1936) wie folgt: „Die Zivilisation konnte nur mit ihrer technischen Seite ins Land kommen. Aller schändlicher Firlefanz wurde wieder vor die Türe geworfen. Wenn die westliche Ware einen Wert hat, wird sie hereingelassen. Aller modische Schund verrottet in 57 den Lagern des Zolls.“ Neben Ersoy spielte auch der Intellektuelle Ziya Gökalp (1875‒1924) eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines konservativen Diskurses. Er setzte sich in seinen Texten für die „Pflege des türkischen Bewusstseins“ in Zeiten des nationalen Auseinanderbrechens ein und stand panturkisti58 59 schen und turanistischen Ideen nahe. Er vertrat die Meinung, dass jede Nation eine eigene Kultur mit bestimmten unveränderlichen Eigen60 schaften besäße. Für Gökalp war der Islam wichtiges Element und spirituelle Institution der türkischen Kultur. Die Übernahme westlicher 61 Werte sollte daher nur in reflektierter und gefilterter Form stattfinden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spalteten sich als Folge eines erstarkten Nationalismus zahlreiche Minderheiten vom Osmanischen Reich ab, 62 was zu einer erheblichen Reduktion seines Staatsgebietes führte. Auch 56 Vgl. Mehmet Akif Ersoy Fikir ve Sanat Vakfı, http://www.mehmetakifersoy.

57 58 59 60 61 62 34

com/, 02.05.09. Akif Ersoy ist in erster Linie als Verfasser der späteren türkischen Nationalhymne bekannt. Vgl. Kreiser, Klaus, „Wie viel Westen braucht das Land?“, http://www.nzz.ch/2005/11/26/li/articleD4W0F.html, 03.06.09. Der Panturkismus hat die Einheit aller Turkvölker in einem Staat zum Ziel. Der Turanismus geht von einem gemeinsamen Ursprung von Türken, Turkvölkern, Ungarn, Finnen und Mongolen aus. Im Folgenden beschreibt der Begriff Islam das, was im innertürkischen Diskurs unter Islam verstanden wird. Vgl. Kazancıǧıl (1991), S. 25. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 355-357.

in den übriggebliebenen Gebieten des Osmanischen Reiches stellte sich die Frage nach der eigenen Identität und ihrer Bestimmbarkeit. Die alliierte Besetzung Istanbuls nach dem I. Weltkrieg und der Vertrag von Sèvres (1920), dessen Umsetzung die Türkei stark benachteiligt hätte, führten zum Beginn des Befreiungskampfes durch Atatürk (188163 1938) und seiner Verbündeten, sowie zur Einrichtung der Nationalver64 sammlung in Ankara im Frühling 1920. Am 29. Oktober 1923 wurde die Türkische Republik ausgerufen, deren Politik in der neuen Hauptstadt Ankara durch die Einheitspartei Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Repu65 blikanische Volkspartei) bestimmt wurde. Im Befreiungskrieg arbeitete Atatürk eng mit religiösen Kräften zu66 sammen. Zu Beginn der Türkischen Republik wurde daher dem islami-

63 Atatürks bürgerlicher Name war Mustafa. Den Namen Kemal (Vollkommenheit, Perfektion) erhielt er mit großer Wahrscheinlichkeit um 1885 wegen guter Leistungen im Mathematikunterricht. 1934 wählte Mustafa Kemal den Namen Atatürk (Vater der Türken). Die Verwendung des Namens Atatürk ist umstritten, insbesondere religiöse Kreise lehnen diese Bezeichnung ab, um von einem Personenkult Abstand zu nehmen. Da er in der Literatur grundsätzlich als Atatürk bezeichnet wird, schien es vertretbar, hier diesen Begriff zu verwenden. Vgl. Kreiser, Klaus, Atatürk, Eine Biographie, München 2008, S. 11-20. 64 Am 13. Oktober 1922 erklärte die zu den Friedensverhandlungen nach Lausanne eingeladene Regierung, dass sie an Stelle des Osmanischen Reiches getreten sei. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 377 ff. 65 Die von Atatürk gegründete Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei) regierte bis 1946 in einem Einparteiensystem. Sie war hierarchisch aufgebaut und versuchte, das Volk durch eine staatlich gelenkte Bildungs- und Kulturpolitik zu modernisieren. Eine besondere Rolle kam dabei dem Lehrer zu, der die neue Generation bilden und erziehen sollte. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 386 ff. 66 Die Verleihung des Titels Gazi im Jahr 1921 zeugt davon. Gazi bezeichnet ursprünglich islamische Glaubenskrieger und wurde für Verdienste auf dem Schlachtfeld vergeben. Viele osmanische Sultane trugen diesen Titel, so dass Atatürk damit sprachlich in Zusammenhang mit der (glorreichen) osmanischen Vergangenheit gebracht wird. Um 1919 wurde er außerdem mit mücahid (Glaubenskämpfer) angesprochen. Vgl. Kreiser (2008), S. 11-20. 35

67

schen Erbe noch hohe Bedeutung eingeräumt. Doch bald wurden die religiösen Kräfte, d.h. in erster Linie die Rechtsgelehrten und religiösen Bruderschaften, von der neuen Regierung als konkurrierende Macht wahrgenommen. Diese reagierte darauf mit einer ganzen Reihe von Reformen, deren erste die Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 darstellte. Der Staat kontrollierte nun zudem Unterricht und Verbreitung des sunnitischen Islams. Durch die Verankerung des Säkularismusprinzips in der Verfassung wurde Religion zu einer privaten Angelegenheit erklärt, die nicht auf staatliche Belange Einfluss nehmen dürfe (s. unter 2.1). Religionsgelehrte, die bislang hohes Ansehen genossen hatten, verloren durch diese Veränderungen an gesellschaftlicher Bedeutung. 1925 wurden die Sufi-Bruderschaften verboten und ihre Versammlungsorte (tekke) und 68 Schreine (türbe) geschlossen. Damit brachen zusätzlich ganze Bildungs- und Kommunikationsnetzwerke zusammen. Der Gebetsruf (ezan) wurde seit 1932 auf Türkisch ausgerufen, zwischen 1934 und 1947 69 war die Pilgerfahrt nach Mekka nicht erlaubt. 1928 wurde das arabi70 sche Alphabet durch lateinische Buchstaben ersetzt. Damit wurde einerseits den Bürgern der Zugang zu ihren religiösen Texten sowie ihrer Kultur und Geschichte verwehrt, andererseits der Austausch mit islamischen Gelehrten im Ausland erschwert. Im Rahmen der Sprachreform wurde, mit unterschiedlichem Erfolg, versucht, arabisch- oder persischstämmige Wörter durch „rein türkische“ zu ersetzen. Der bislang ver71 wendete, arabischstämmige Begriff für konservativ, muhafazakar, soll67 Eines der ersten Gesetze der Nationalversammlung war 1920 das Gesetz, das die

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Produktion, den Verzehr und den Verkauf von Alkohol verbot. 1924 wurde der Freitag als Wochenfeiertag festgelegt, ab 1935 war es dann der Sonntag. Artikel 2 der Verfassung bestimmte den Islam zur Religion des türkischen Staates. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 410f. Vgl. Zürcher, Erik J., Turkey, A Modern History, London 1993, S. 180 f. Vgl. Agai, Bekim, „Islam und Kemalismus in der Türkei“, http://www. bundestag.de/cgibin/druck.pl?N=parlament, 15.02.08. Vgl. Zürcher (1993), S. 196. Muhafazakarlik wird im Oxford-English Dictionary als „Conservatism“ übersetzt. Vgl. Iz, Fahir / Alderson, A.D. (Hg.), The Oxford Turkish-English Diction-

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te durch tutucu ersetzt werden. Tutucu setzte sich jedoch nur in den Kreisen der Kemalisten als herabsetzender Ausdruck für Konservative durch. Diese wählten zur Selbstbezeichnung den alten Ausdruck muhafazakar, vermutlich um sprachlich eine Verbindung zum osmanisch-islamischen Erbe beizubehalten. Durch die Verwendung der zwei Begriffe lassen sich daher ‒ in Grenzen ‒ Rückschlüsse auf die ideologische Positionierung des jeweiligen Sprechers ziehen. Der Einschätzung mancher Autoren, durch die Neuausrichtung in den ersten Jahren nach der Republikgründung sei der Islam an sich in Gesellschaft und Politik zurückgedrängt worden, ist allerdings nur bedingt zuzustimmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Regierung versuchte, den gesellschaftlichen und politischen Einfluss, den bislang religiöse Kräfte innehatten, zu schwächen und durch die staatliche Organisation von Religion zu ersetzen. Bilici stellt richtig fest: „Ce qui est nouveau par rapport à l’ État ottoman c’est que la modernité républicaine ne supporte pas l’existence des instances intermédiaires traditionelles, qu’elles soient religieuses 73 (confréries, sectes, etc.), ethniques ou économiques.“ Der Staat schuf also einen offiziellen, staatlichen Islam, der die bislang dominierenden religiösen Netzwerke und Bruderschaften ersetzen sollte. ary, Oxford 1984. Im Türkçe Sözlük findet sich zu muhafazakar der Eintrag: „Muhafazakar: Bir şey deǧistermeden, olduǧu gibi tutmak isteyen eskiye bağlı, tutucu. “ Vgl. Aǧakay, Mehmet Ali, Türkçe Sözlük, Ankara 1959. Bei Karl Steuerwald findet sich für muhafazakar die deutsche Übersetzung „konservativ (eingestellt, denkend)“. Vgl. Steuerwald, Karl, Türkçe-Almanca Sözlük, Wiesbaden 1974. 72 Im Türkçe Sözlük findet sich als Synonym für tutuculuk folgender Eintrag: „Tutucu olma hali, tutucu ilkesi“ sowie der Verweis auf Muhafazakarlık. Auch Steuerwald verweist auf den Eintrag Muhafazakarlık. Vgl. Aǧakay (1959) und Steuerwald (1974). Zu vermuten ist eine Wortherkunft für den Begriff tutucu von tutmak (halten, festhalten). 73 Vgl. Bilici, Faruk, „Islam, Modernité et Éducation religieuse en Turquie“, in: Vaner, Semih (Hg.), Modernisation Autoritaire en Turquie et en Iran, Paris 1991, S. 41-60, S. 42. 37

Darauf regte sich Widerstand sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch 74 innerhalb der kemalistischen Gruppe. Vor allem religiöse Bruderschaf75 ten waren Zentren solchen Widerstandes. Die konservativen Kräfte kritisierten vorrangig die Entmachtung und Herabwürdigung der Religion, aber auch die starke Annäherung an den Westen. Fragen wie die Änderung des Rechtsstatus’ der Frau und ihre erweiterten politischen Rech76 te wurden dagegen seltener kritisiert. Die wichtigsten Thesen der Konservativen waren, dass eine Gesellschaft ohne Religion sowie die Übertragung eines westlichen Gesellschaftsmodells auf die Türkei nicht möglich seien. Vielmehr verfolge jedes Land einen eigenen „Weg in die Moderne“ und könne daher keine politischen, gesellschaftlichen oder kultu77 rellen Konzepte von außen übernehmen. Ab den 1940er Jahren wurde das Konzept des Konservatismus nicht mehr nur von einer kleinen Gruppe Intellektueller diskutiert, sondern 78 zunehmend von einer breiten Bevölkerungsschicht getragen. Wichtigs74 Leitfiguren dieser Gegenbewegung innerhalb des Kemalismus, die sich für reli-

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giöse und traditionelle Werte einsetzte, waren Autoren wie Peyami Safa, Mustafa Şekip und Ahmet Aǧaoǧlu. Sie nutzen Zeitschriften wie Dergâlı, Türk Düşüncesi und Kültür Haftası als ihr Sprachrohr. Als Folge dieser inhaltlichen Neuentwicklung bildete sich 1930 die Serbest Cumhuriyet Fırkası (SCF, Liberale Republikanische Partei), der allerdings nur eine Lebensdauer von sechs Monaten beschieden war. Die SCF war der staatlichen Wirtschaftslenkung gegenüber kritisch und trat für Glaubensfreiheit, freie Marktwirtschaft, Nationalismus und eine stärkere öffentliche Wahrnehmung der Religion ein. Vgl. Safi, Ismail, Türkiye’de Muhafazakârlıǧın Düşünsel – Siyasal Temelleri ve ,Muhafazkâr Demokrat‘ Kimlik Arayışları, unveröffentlichte Doktorarbeit, Ankara Üniversitesi 2005, S. 76-82. Für eine ausführlichere Darstellung der gesellschaftlichen Stellung religiöser Bruderschaften. Vgl. Zürcher (1993), S. 200 ff. 1926 wurde das Türkische Zivilrecht eingeführt, das sich am Schweizer Zivilrecht orientierte. Es verbot Polygamie und gab Frauen gleiche Rechte in Bezug auf Scheidung und Erziehungsberechtigung. 1930 erhielten die Frauen das aktive, 1934 das passive Wahlrecht. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 413 f. Vgl. Safi (2005), S. 78. Wichtige Medien der Diskussion waren die Zeitschriften Büyük Doǧu und Serdengeçti. Vgl. Safi (2005), S. 84.

ter Intellektueller dieser Zeit war Necip Fazıl Kısakürek (1905‒1983), der in seinen Texten die Überzeugung vertrat, der Westen entbehre „der see79 lischen Ordnung, des Mittelpunkts der Ethik und des Glaubens“. Als Zwischenfazit lässt sich feststellen, dass „konservativ sein“ in der Zeit von den Jungtürken bis zur Einführung des Mehrparteiensystems vor allem eine gesellschaftliche Gegenbewegung zur zügigen, weitestgehend staatlich initiierten Westannäherung bedeutete. Fremde Einflüsse und die vermeintliche Zurückdrängung der eigenen Kultur und Tradition durch die Regierung und Teile der Gesellschaft führten zu einem stark nationalistisch gefassten, konservativen Weltbild. Dies muss vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse (Abspaltung von Minderheiten, Vertrag von Sèvres) und der politischen Situation in Europa (nationalistische Regierungen in zahlreichen europäischen Staaten) gesehen werden. Erst die Einführung des Mehrparteiensystems 1946 markiert den Übergang von der intellektuell-gesellschaftlichen Debatte zur parteipolitischen Auseinandersetzung. Seit diesem Zeitpunkt treten Konservative das erste Mal als parteipolitische Akteure auf.

3.2.3 Entwicklung zwischen 1946 und 1980 Das Jahr 1946 ist in zweierlei Hinsicht für die Geschichte der Türkei von großer Bedeutung. Einerseits wurde offiziell das Mehrparteiensystem eingeführt, andererseits kam es zur Gründung der Demokrat Partisi (DP, Demokratische Partei), die 1950 mit Adnan Menderes an ihrer Spit80 ze die bisherige Einheitspartei CHP ablöste. Diese war von der Bevölkerung zunehmend als elitäre Gruppe empfunden worden, die dem Volk 81 ein Modernisierungsprojekt von oben aufzwang. Auch die als religionsfeindlich rezipierte Politik hatte zu Unmut geführt, so dass die CHP im Hinblick auf die Wahlen schon in den vorangegangenen Jahren dem 79 Kısakürek entwickelte während der 1940er Jahren die Idee des „Großen Islamischen Ostens“, wobei mehrere Staaten zu einem „islamischen Suprastaat“ zusammengefasst werden sollten. Vgl. Kreiser, (03.06.09). 80 Vgl. Zürcher (1993), S. 221 ff. 81 Vgl. Mert, Nuray, Merkez Saǧın Kısa Tarihi, Istanbul 2007, S. 19. 39

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Islam wieder mehr öffentliche Sichtbarkeit zugestanden hatten. Da Menderes eine Schlüsselfigur bei der Entwicklung des Konservatismus in der Türkei ist, werden er und die DP im Folgenden ausführlicher dargestellt. 83 Adnan Menderes (1899‒1961) gründete 1946 mit anderen ehemaligen Mitgliedern der CHP die Demokrat Partsi. Sie kritisierten das Säkularismusgebot und die staatliche „Einheitskultur“ und setzten sich zum Ziel, die Landbevölkerung gegenüber dem Staat zu vertreten. Die DP repräsentierte neben Wirtschaftsliberalen, städtischen Handwerkern und Kleinunternehmern vor allem die ländliche und weniger gebildete Be84 völkerung. Die DP inszenierte sich gegenüber der von ihr als elitär be85 werteten CHP als volksorientierte Partei. Tatsächlich kann ihr politisches Verdienst in der Integration weiter Teile der Bevölkerung in das politische und wirtschaftliche System der Türkei gesehen werden, da sie als erste Partei die Bedürfnisse der Peripherie in den Mittelpunkt stellte. 82 1947 wurde staatlicher Religionsunterricht auch außerhalb der Schulen erlaubt. Im darauf folgenden Jahr wurde fakultativer Religionsunterricht in den letzten beiden Klassen der Grundschule eingeführt und ein Lehrplan für die Ausbildungskurse der Vorbeter und Prediger erstellt. Auch den „großen Männern der türkischen Geschichte“, d.h. kriegerisch erfolgreichen Sultanen, wurde durch die Wiedereröffnung ihrer Mausoleen Ehre erwiesen. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 424. 83 Menderes stammte aus der Region Izmir und gehörte einer Familie landwirtschaftlicher Großgrundbesitzer an. Durch seine Ausbildung (Schule des Komitees für Einheit und Fortschritt, später American College in Izmir) und durch seine Heirat mit Berrin Evliyazade, der Nichte des damaligen Außenministers, Fatın Rüştü Zorlu, fand er Eintritt in die Kreise hoher CHP-Politiker. Er war Mitglied der jedoch nach wenigen Monaten wieder aufgelösten SCP (Serbest Cumhuriyet Fırkası, Freie Republikanische Partei). Von 1931 bis 1945 war er CHP-Abgeordneter der Nationalversammlung. Vgl. Sayarı, Sabri, “Adnan Menderes: Between Democratic and Authoritarian Populism”, in: Heper, Metin / Sayarı, Sabri, Political Leaders and Democracy in Turkey, Lanham 2002, S. 65-85 84 Vgl. Agai, Bekim, Zwischen Netzwerk und Diskurs, Das Bildungsnetzwerk um Fethullah Gülen (geb. 1938): Die flexible Umsetzung modernen islamischen Gedankenguts, Hamburg 2004, S. 78-81. 85 Vgl. Mert (2007), S. 18 f. 40

Sie kann daher als Vertreterin der Peripherie gegenüber der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Dominanz des Zentrums verstanden werden. Damit war sie Teil einer breiteren gesellschaftlichen Entwicklung, denn auch die konservativen Intellektuellen wandten sich in den 1950er Jahren der Landbevölkerung zu. Ihr traditioneller Lebensstil wurde als rein und in Harmonie mit konservativen Werten wie Familie, Reli86 gion und Autorität beschrieben. In der Parlamentswahl 1950 gewann die DP 53,3% der Stimmen, wor87 aufhin Menderes den Posten des Ministerpräsidenten einnahm. Unter seiner Regierung erhielt der Islam wieder stärkeren gesellschaftlichen und politischen Einfluss. In der Folge kam es zum Bau Hunderter von Moscheen, zu einem neuen Aktivismus der religiösen Bruderschaften 88 und zur Wiedereinführung des Gebetsrufs auf Arabisch. Vor allem seit den späten 1950er Jahren, als Menderes’ Politik immer stärker in die Kri89 tik geriet, nutzte er Religion auch zur politischen Mobilmachung. In der Zusammenarbeit v.a. mit den USA wurde Religion zudem im Kampf ge-

86 Für den bereits angesprochenen Intellektuellen Peyami Safa (1899-1961) war in den 1950er Jahren die Beziehung zwischen der Türkei und dem Westen von großer Bedeutung. In seinen Romanen „Sözde Kızlar“ und „Fatih-Harbiye“ beschwor er die Gefahr einer zu starken Verwestlichung und stellte die schwierige Position der zwischen den Stühlen „Ost“ und „West“ sitzenden Türkei dar. Das traditionelle türkische Landleben beschrieb er als unberührt und idyllisch, während den Menschen der Großstadt seiner Meinung nach der Glauben an Gott abhanden gekommen sei, was sie in ein unmoralisches Leben führte. Vgl. Turkish Culture.org, „Peyamı Safa,“ http://www.turkishculture.org/pages.php?ChildID=125&ParentID=3&ID= 4&ChildID1=256&miMore=1, 03.06.2009. und Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, „Islami Büyük Dogu AkincilarCephesi“, http://www.im.nrw.de/sch/717.htm, 03.06.09. 87 Vgl. Sayarı (2002), S. 68 f. 88 Vgl. Zürcher (1993), S. 244 f. 89 Als Menderes einen Flugzeugabsturz überlebte, bei dem die Mehrheit der Passagiere ums Leben kam, wurde dies von großen Teilen der Bevölkerung für einen göttlichen Akt gehalten, eine Einschätzung, die die DP politisch auszunutzen wusste. Vgl. Sayarı (2002), S. 70. 41

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gen den Kommunismus instrumentalisiert. Im Laufe der Zeit nahm der Regierungsstil der DP immer diktatorischere Züge an und beschnitt grundlegende Freiheiten der Bevölkerung, wie die Presse- und Meinungsfreiheit. War Menderes vor 1950 noch als Kritiker eines autoritären Regierungsstils in Erscheinung getreten, verfolgte er diesen nun selbst. Häufig setzte er politische Entscheidungen ohne Absprache mit anderen 91 Parteiorganen durch. Am 26. Mai 1960 putschte das Militär mit der Begründung, die Stabilität des demokratischen Systems sei gefährdet, gegen die Regierung. Die militärische Übergangsregierung verbot die DP und verurteilte Mende92 res zum Tod durch den Strang. Die Verurteilung Menderes war wohl auch machtpolitisch und nicht nur inhaltlich motiviert, da die nachfolgende Militärregierung ähnliche politische Ziele verfolgte wie die DP. Sie vertrat nun eine moderate Haltung gegenüber dem Islam, was sich in verstärktem Moscheebau, der Restaurierung von Schreinen und einem grö93 ßeren Angebot an İmam-Hatip-Schulen zeigte. Die 1961 eingeführte Verfassung war liberaler und eröffnete religiösen Gruppen neue Möglich94 keiten des gesellschaftlichen Engagements. Diese versuchten, ihre Ziele wie Geschlechtertrennung, feste Familienstrukturen und religiöse Verhaltensvorschriften durch die Unterstützung der İmam-Hatip-Schulen und das Veranstalten von Korankursen in der Gesellschaft zu verankern. 90 Vgl. Mert (2007), S. 22 f. 91 Vgl. Soysal, Mümtaz, „Le Constitutionalisme républicain et l`Évolution sociale

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en Turquie“, in: Vaner, Semih (Hg.), Modernisation Autoritaire en Turquie et en Iran, Paris 1991, S. 33 ff. sowie Sayarı (2002), S. 76. Vgl. Agai (2004), S. 78-81. İmam-Hatip-Schulen bilden Vorbeter und Prediger aus. Theoretisch berechtigte zwischen 1951‒71 der Abschluss der İmam-Hatip-Schule nur zum Studium an den Yüksek İslam Enstitüleri (theologisches Studium), viele Schüler schrieben sich aber parallel noch an einer anderen Schule für die Abschlussprüfungen ein, um sich so auch die Option auf andere Studienfächer zu eröffnen. Vgl. Zürcher (1993), S. 258 f. Vgl. Hazama, Yasushi, Electoral Volatility in Turkey, Cleavages vs. the Economy, Chiba 2007, S. 86.

In den 1960er Jahren war Religion durchaus ein Thema konservativer Parteien, spielte aber in den politischen Auseinandersetzungen nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidender war die Spaltung der Gesellschaft in linke und rechte Gruppierungen. Die politische Lage vom Ende der 1960er Jahre bis zum Putsch 1980 war von politischer Instabilität gekennzeichnet; Studentenproteste, Streiks und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppen standen auf der Tages96 ordnung. Die Regierungen wechselten im Durchschnitt jährlich, weshalb hier auf eine detaillierte Darstellung verzichtet wird. Auf Grund der anhaltenden Unruhen zwischen linken und rechten 97 Gruppen erzwang das Militär im März 1971 den Rücktritt der Regierung. Dennoch verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern immer mehr. Nachdem es im Sommer 1980 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekommen war, putschte am 12. September 98 das Militär erneut.

3.2.4 Konservatismus seit 1980 Nach dem Putsch übernahm bis 1983 ein Militärregime die politische 99 Macht. Es belegte alle Parteien und ihre Führer mit einem Politikverbot und regierte das Land durch die Institution des Nationalen Sicherheitsrates (Milli Güvenlik Konseyi, MGK). In der Folgezeit ging es besonders hart gegen linke Parteien und Gruppen, aber auch gegen Gewerkschafter, Lehrer und Intellektuelle vor. Sozialistische Gruppen waren in den Armutsvierteln der großen Städte gut vernetzt und unter den Arbeitern sehr aktiv. Nach ihrer Zerschlagung entstand hier ein Vakuum, das aber schnell von religiösen Bruderschaften (tarikat) und Gemeinschaften (cemaat) gefüllt wurde. Religiös motiviert, betrieben sie Wohlfahrt durch 96 Vgl. Belgin, Tayfun, Türkei, Ein Land auf der Suche nach der Gegenwart, Wien 2006, S. 137 ff.

97 Vgl. Seufert, Günter / Kubaseck, Christopher, Die Türkei, Politik, Geschichte, Kultur, München 2004, S. 95.

98 Vgl. Zürcher (1993), S. 276 ff. 99 Vgl. Hale, William, Turkish Politics and the Military, London 1994, S. 246. 43

das Verteilen von Kohle, Kleidung oder Essen. Es gelang ihnen so, auch die Arbeiterschicht und die städtische Unterschicht für religiöse Themen 100 und Werte zu gewinnen. Bei der Neustrukturierung der Politik nach 1980 wurde das Militär von tiefer Skepsis gegenüber Parteien und Politikern geleitet. Die restriktive Verfassung von 1982 stärkte daher die Stellung des Präsidenten. Die Parlamentshürde wurde durch das neue Parteiengesetz von 1983 auf 10% 101 angehoben, um einer Fragmentierung des Parlaments vorzubeugen. Die Verfassung von 1982 stellte auch die rechtliche Grundlage für eine stärkere Kontrolle der Universitäten sowie die „Neustrukturierung“ der Beamtenschaft durch Verhaftung, Pensionierung und Strafversetzung 102 bereit. Politisch linke Fachleute im Staatsdienst wurden häufig durch 103 konservativ-religiös orientierte ersetzt. Trotz des Widerspruchs zum staatlichen Säkularismusgebot befürwortete das Militär die Förderung religiöser Gruppen. Durch eine Stärkung religiöser Überzeugungen in der Bevölkerung sollte die Verbreitung des Kommunismus abgewehrt werden. Der Glaube wurde als einende Kraft interpretiert, mit dem der Zerfall der Gesellschaft in „links“ und „rechts“ sowie in ethnische Identi104 täten vermieden werden könnte. Diese ideologische Ausrichtung des 105 Staates wurde unter dem Namen Türk İslam Sentezi (TİS) bekannt. Der TİS zufolge hatte die türkische Kultur zwei Grundlagen, zum einen das Türkentum (was pan-turkische Gedanken einschloss), zum anderen den Islam. Als ethnische Heimat der Türken wurde Zentralasien bestimmt, die Islamisierung hätte dort und nicht über die Araber stattge100 Vgl. Çarkoǧlu, Ali / Kalaycıoǧlu, Ersin, The Rising Tide Of Conservatism in Turkey, New York 2009, S. 8.

101 a.a.O., S. 7. 102 Vgl. Seufert / Kubaseck (2004), S. 97. 103 Vgl. Insel, Ahmet, “The AKP and Normalizing Democracy in Turkey”, in: The South Atlantic Quarterly, Vol. 102, No 2/3, Spring/Summer 2003, S. 293-308, S. 294. 104 Vgl. Çarkoǧlu / Kalaycıoǧlu (2009), S. 7 f. 105 Die intellektuellen Wurzeln der TİS liegen in den Aydınlar Ocağı (Herzen der Erleuchteten). Dieser Begriff bezeichnet die intellektuellen Zirkel der politischen Rechten. Vgl. Insel (2003), S. 293-308. 44

funden. In diesem Zusammenhang kam es auch zur Revision von Geschichtsschreibung und Lehrinhalten. Es wurde beklagt, dass die Schulen bislang nur Wissen, aber keine Werte vermittelt hätten. In der Abschaffung des Religionsunterrichts in den vergangenen Jahren sah man einen Grund für das Entstehen anarchistischer Gruppen. Bildung sollte sich wieder stärker auf Tugenden wie Disziplin, Patriotismus und Gehorsam gründen, da zu viele individuelle Freiheiten als gefährlich ange106 sehen wurden. Die TİS war zwar insofern erfolgreich, als dass sich keine linken und rechten Gruppen mehr gegenüberstanden. Die Aufspaltung in ethnische und religiöse Identitäten konnte sie aber nicht verhin107 dern. Turgut Özal, ein Wirtschaftsspezialist, erhielt das Amt des stellver108 tretenden Premierministers. Da Özal neben Menderes eine weitere wichtige Schlüsselfigur des politischen Konservatismus in der Türkei ist, soll auch er im Folgenden ausführlicher dargestellt werden. Özal gründete im Frühling 1983 die Anavatan Partisi (ANAP, Mut109 terlandspartei). Zwei Erfahrungsbereiche prägten seine politische Hal106 Vgl. Agai (2004), S. 93 f 107 Vgl. Yavuz, M. Hakan, “Opportunity Spaces, Identity and Islamic Meaning in Turkey”, in: Wiktorowicz, Quintan (Hg.), Islamic Activism, A Social Movement Theory Approach, Bloomington 2004, S. 270-289, S. 270. 108 Vgl. Agai (2004), S. 85 ff. 109 Özal trat 1960 mit einer Gruppe von anderen Beamten Süleyman Demirels Adalet Partisi (AP, Gerechtigkeitspartei) bei. 1967 wurde er von diesem zum Untersekretär der Devlet Planlama Teşkilatı, einer Institution, die sich mit struktureller Staatsplanung beschäftigte, berufen. Nach einer mehrjährigen Beschäftigung bei der Weltbank in Washington arbeitete Özal in hohen Positionen der türkischen Privatwirtschaft; hauptsächlich in Firmen oder Stiftungen mit religiösem Hintergrund. Seine Kandidatur für die MSP 1977 blieb zwar erfolglos, verschaffte ihm aber Glaubwürdigkeit in den Augen frommer Muslime. Andrerseits waren seine Modernisierungs- und Liberalisierungsprojekte sowie seine Tätigkeit bei der Weltbank wichtige Faktoren, um westlich und säkular Orientierte zu überzeugen. Vgl. Acar, Feride, “Turgut Özal: Pious Agent of Liberal Transformation”, in: Heper, Metin / Sayarı, Sabri, Political Leaders and Democracy in Turkey, Lanham 2002, S. 163-180, S. 164 f. 45

tung; zum einen war er in einer religiösen Familie aufgewachsen, die der 110 Nakşibendi Bruderschaft angehörte. Zum anderen hatte er ein Jahr in den USA studiert, deren technische Überlegenheit und gesellschaftliche 111 Mobilität großen Eindruck auf ihn machten. Durch seine eigene „Gespaltenheit“ gelang es ihm, sowohl religiöse als auch säkulare Kräfte von sich zu überzeugen; Acar stellt dazu fest: “He was thus able to break down the age-old dichotomy of Turkish political life, namely the traditional/Islamist versus mod112 ern/secular.” Ein konservatives Weltbild, das sich auf Werte wie Religion, Familie, staatliche Autorität und Traditionsbewahrung stützte, sowie eine liberale Wirtschaftssicht bildeten den Kern der ANAP-Politik, deren Wahler113 folg Özal im November 1983 zum Premierminister machte. Die ANAP war nationalistisch ausgerichtet und glorifizierte die osmanische Vergangenheit. Andererseits verfolgte sie politisch und militärisch die Ausrichtung nach Westen, insbesondere zur EU. In Bezug auf Konfliktthemen wie die Kurdenfrage trat die ANAP dafür ein, diese offen zu debattieren. Im Bezug auf die Religion erreichte die ANAP durch ihr Engagement für Meinungs- und Religionsfreiheit eine Stärkung religiöser Grup114 pen. Einige von ihnen engagierten sich im Bereich der Medien und gründeten Zeitungen, Fernsehsender oder Radiostationen. Andere wurden im Bereich des Banken- und Versicherungswesens tätig. Firmen für Bekleidung oder andere Konsumgüter mit islamischer Ausrichtung wurden gegründet. Im Bereich des Bildungsengagements tat sich Fethullah 110 Die Nakşibendi Bruderschaft ist eine der einflussreichsten Bruderschaften der

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Türkei. Sie entstand im 14. Jahrhundert in Buchara. Prägnantes Merkmal des Ordens ist das Praktizieren des schweigenden Gedenkens an Gott. Vgl. Acar (2002), S. 164. a.a.O., S. 166. Diese Position füllte Özal bis 1989 aus, als er auf den Posten des Präsidenten wechselte; a.a.O., S. 172 f. a.a.O., S. 176.

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Gülens Bewegung hervor. Diese Entwicklungen müssen als Bemühungen der Peripherie verstanden werden, ihre Kultur in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und eine Alternative zur bislang dominierenden Kultur des Zentrums anzubieten. Sie zielten vorrangig nicht auf die Veränderung der Politik, sondern auf die Ausrichtung des täglichen Lebens 116 nach konservativ-religiösen Werten. Ihr Engagement stellt somit die Verbindung religiöser Prinzipien und Wertvorstellungen mit dem kapitalistischen System dar. Özal leitete umfangreiche Liberalisierungen ein, in deren Folge sich der Staat aus kulturellen und sozialen Bereichen zurückzog. Dies hatte für die Türkei weitreichende Folgen, da sich die Unterschiede zwischen Arm und Reich enorm verschärften. Darüber hinaus reduzierte der Staat in den 1980er Jahren die wirtschaftliche Förderung zentrumsnaher Unternehmer ganz erheblich. Durch ihre zuvor erworbene Bildung waren Teile der Peripherie in der Lage, diese neuen Möglichkeiten effektiv zu nutzen. Als ein Vorteil erwies sich ihr „kulturelles Kapital“. Dies bestand aus ihrer Zugehörigkeit zu religiösen Bruderschaften und Netzwerken und einer daraus resultierenden „Solidarität unter Muslimen“. Ein großer Teil des Kapitals zur Erstinvestition konnte aus den Ersparnissen europäischer Gastarbeiter oder durch Investitionen aus muslimischen Ländern gewonnen werden. Dadurch war es ihnen möglich, Kapital zu aquirieren, ohne das islamische Zinsverbot zu verletzen. Die in den 1980er Jahren entstandenen Unternehmen produzieren in erster Linie Textilien und Möbel, also keine Produkte mit direktem „Islam-Bezug“ 117 Großer Wert wird auf (wie beispielsweise helal-Nahrungsmittel). 115 Fethullah Gülens (geb. 1938) Bewegung ist aus der Nurcu Gemeinschaft hervorgegangen und hat ein weltweites Bildungsnetzwerk entwickelt. Der inhaltliche Schwerpunkt der Schulen liegt auf Naturwissenschaften und Sprachen. Aus dem Islam begründete Wert- und Moralvorstellungen werden den Schülern durch das Vorbild des Lehrers, außerschulische Zusatzangebote und die Unterbringung in Wohngemeinschaften und Internaten nähergebracht. Vgl. Agai (2004). 116 Vgl. Yavuz (2004), S. 272 f. 117 Der Begriff helal-Nahrungsmittel beschreibt Nahrungsmittel, die den Speisevor47

einen moralisch einwandfreien Produktionsprozess gelegt. Dieser ist durch die Finanzierung aus islamischem Bankwesen und „saubere Produktionsorte“ (z.B. kein Alkohol, Geschlechtertrennung u.a.) gewährleistet. Typisch ist das Fehlen von Gewerkschaften in den Unternehmen. Das Arbeitsverhältnis wird als Familienstruktur wahrgenommen, in der der Arbeitgeber die Rolle des „strengen, aber fürsorglichen Familienvaters“ einnimmt, dessen „Kinder“ (Arbeitnehmer) ihm im Gegenzug Ge118 horsam und Tüchtigkeit schulden. Daraus ergibt sich, dass unterschiedliche Interessen nicht artikuliert und verhandelt, sondern durch eine Patriarchenfigur in Einklang gebracht werden. Dahinter steht die Idee, dass, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft die Vorschriften des Islam befolgen, automatisch eine gerechte Gesellschaftsordnung entsteht. Kapitel 7 untersucht inwieweit die AKP ähnliche politische Vorstellungen vertritt. Der Anspruch dieser Unternehmer an sich selbst, hart zu arbeiten, andere nicht zu übervorteilen, und in Form von Almosen oder Stiftungen jenen zu helfen, die unverschuldet in Not geraten sind, erklärt sich ebenfalls aus dieser Vorstellung einer gerechten Gesell119 schaftsordnung. Charakteristisch dafür ist die hohe, aus dem Koran begründete Spendenbereitschaft (z.B. für Schulen, Krankenhäuser und 120 Moscheen), um benachteiligte Muslime zu unterstützen. 1990 wurde durch Teile dieser Gruppe die Unternehmervereinigung MÜSİAD (Müstakil Sanayici ve İşadamları Derneği, Verband Unabhänschriften aus Koran und Sunna (beispielsweise Schächtung der Tiere) entsprechen. 118 Vgl. Buǧra, Ayşe, “Class, Culture, and State: An Analysis of Interest Representation by two Turkish Business Associations”, in: International Journal of Middle East Studies, Vol. 30, (1998), S. 521-539, S. 533. 119 Vgl. Thumann, Michael, Die Zeit, „Die Anatolische Versuchung“, http://www. zeit.de/2008/21/T-rkei3, 12.04.09. 120 Vgl. Vorhoff, Karin, “Businessmen And Their Organisations: Between Instrumental Solidarity, Cultural Diversity, and the State”, in: Yerasimos, Stefanos / Seufert, Günter / Vorhoff, Karin (Hg.), Civil Society in the Grip of Nationalism, Studies on Political Culture in Contemporary Turkey, Istanbul 2000, S. 143-195, S. 160. 48

giger Industrieller und Unternehmer) als Gegenstück zur zentrumsnahen Unternehmervereinigung TÜSİAD (Türk Sanayicileri ve İşadamları Derneği, Vereinigung Türkischer Industrieller und Unternehmer) ge121 gründet. Auch wenn offiziell die Abkürzung „MÜ“ aus „Müstakil“ (unabhängig) hergeleitet wird, entspricht sie – wegen der Zusammensetzung aus überwiegend frommen Muslimen – in der geläufigen Wahr122 nehmung Müslüman (muslimisch). Ziel der Mitglieder von MÜSIAD ist es, langfristig den wirtschaftlichen und politischen Einfluss des sunnitischen Islams zu vergrößern sowie eine Verbindung von Kapitalismus 123 und islamischer Ethik und Moral zu erreichen. Der Islam soll nicht Privatsache, sondern essentieller Bezugspunkt auch im wirtschaftlichen Handeln sein. Der Verband erklärt, dass Islam und Kapitalismus nicht in einem Konflikt stünden. Ein Hauptargument hierfür ist Muhammads Tä124 tigkeit als Händler. Am westlichen Kapitalismus kritisiert der Verband Sinnentleerung und das Fehlen von Spiritualität, Moral und religiösen 125 Werten. Das Streben nach Profit, beispielsweise durch die Eröffnung 126 einer Fabrik wird als eine „Form des Gebets“ verstanden. Die Aneig121 122 123 124 125 126

Vgl. Buǧra (1998), S. 524 und Insel (2003), S. 297 ff. Vgl. Vorhoff (2000), S. 159. Vgl. Yavuz (2004), S. 279. Vgl. Buǧra (1998), S. 531. Vgl. Vorhoff (2000), S. 162. Von der Nichtregierungsorganisation European Stability Initiative interviewte Unternehmer verglichen sich selbst mit den protestantischen Calvinisten; genau wie diese stünden sie für harte Arbeit, keine Spekulation, keine persönliche Verschwendung und die Wiederinvestition von Gewinnen. Inwieweit diese Selbstbeschreibung wirklich zutreffend ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Auch, ob zunächst die Vorstellung über eine solche Herangehensweise bestand, oder ob Ereignisse nachträglich von den Akteuren in diese Richtung gedeutet wurden, lässt sich nicht beantworten. Vgl. European Stability Initiative, Islamische Calvinisten, Umbruch und Konservatismus in Zentralanatolien, Istanbul/Berlin 2005. Roman Loimeier beschreibt ähnliche Phänomene im Senegal, in Nigeria und Tansania. Vgl. Loimeier, Roman, „Is there something like ‘Protestant Islam?’“, in: Die Welt des Islams 45,2, Leiden 2005, S. 216-254. 49

nung von Wissen und Technologie wird als indirekte Pflicht aus dem Islam begriffen, da seine Bedeutung auf diese Weise erhöht werden kön127 ne. Auch wenn auf Grund des Umfangs der Arbeit die wechselseitigen Beziehungen und Einflüsse zwischen der AKP und den zentralanatolischen Unternehmern nicht detaillierter untersucht werden können, soll dennoch auf dieses Phänomen hingewiesen werden. Seit Beginn der 1990er Jahre lässt sich in der Türkei ein verstärkt konservatives Klima beobachten. Wichtig dafür war sicher das „gesellschaftliche Fußfassen“ der zu Beginn der 1980er Jahre vom Staat entwickelten TİS. Daneben führten auch außenpolitische Faktoren zum Anstieg des Konservatismus in der Türkei, wie beispielsweise die „green belt“-Strategie der USA gegen den Kommunismus seit den 1980er Jah128 129 ren sowie der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Jugosla130 wienkrieg in den 1990er Jahren. Innenpolitisch wechselten sich konservative Parteien in unstabilen Koalitionen mit der islamistischen Refah Partisi (RP, Wohlfahrtspartei) unter Necmettin Erbakan ab. Auf die RP und ihre Bedeutung für die Entwicklung von Positionen in der AKP wird in Kapitel 4.2.3 vertiefend eingegangen. Die konservativen Parteien zeichneten sich weniger durch ihre politischen Programme als vielmehr durch Korruption und Kliente127 Vgl. European Stability Initiative (2005), S. 26. 128 Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 entwickelten die USA die Strategie, in den Ländern der Region den Islam als „natürliche Waffe” gegen den Kommunismus zu stärken. Vgl. Çarkoǧlu / Kalaycıoǧlu (2009), S. 9-12. 129 Der Zusammenbruch der Sowjetunion wurde durch die Türkei zunächst als Chance wahrgenommen, eine Führungsrolle für die Turkvölker Zentralasiens zu übernehmen. Diese Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht und auch der Verlust der strategischen Bedeutung für den Westen führte in der Türkei zu Desillusionierung und Verunsicherung. 130 Durch die gemeinsame Vergangenheit im Osmanischen Reich fühlten viele Türken eine besondere Verbundenheit zu den dortigen Muslimen. Die ethnischen Säuberungen wurden als ein Wegschauen des Westens gegenüber dem Leid der muslimischen Brüder interpretiert. Der Ruf nach nationalistischen und islamistischen Parteien wurde dadurch verstärkt, dass die türkische Diplomatie als unfähig erschien, mäßigend in den Konflikt einzugreifen. 50

131

lismus aus. War zu Beginn des Jahrzehnts mit Süleyman Demirels Doǧru Yol Partisi (DYP, Partei des Rechten Weges) noch eine konservative Partei an der Regierung beteiligt, wurde sie 1995 durch islamistische Refah Partisi (RP, Wohlfahrtspartei) abgelöst. Nach dem Verbot der RP 1997 gelangten mit der Anavatan Partisi (ANAP, Mutterlandspartei) und der DYP wieder konservative Parteien an die Macht. Sie wurden jedoch schon bald von der Bevölkerung als unfähig und korrupt wahrgenommen. Kristallisationspunkte dieser Einschätzung durch die Bevölke132 rung waren das Marmara-Erdbeben 1999 und die wirtschaftlich höchst 133 desolate Situation, die 2001 in eine Wirtschaftskrise mündete, sowie 131 Der Begriff Klientelismus umschreibt die Pflege von Beziehungen, die durch ihre persönliche Komponente ein Gegengewicht zur unpersönlichen Bürokratie darstellt. Häufig liegen diesen Beziehungen ethnische oder religiöse Verbindungen zugrunde. Klientelismus ist seit den 1950er Jahren fester Bestandteil des türkischen Parteiensystems und führte zum steten Ausbau des Beamtenapparates sowie zu einem starken Anstieg der Gehälter im öffentlichen Dienst. Auch der verbreitete Parteiwechsel der Abgeordneten ist durch Klientelismus zu erklären. Vgl. Franz, Ehrhard, „Das Parteiensystem in der Türkei“, Arbeitspapier Deutsches Übersee-Institut, Hamburg 2003, S. 21-27. 132 Das Erdbeben forderte 18.000 Tote. Diese hohe Zahl von Opfern ließ sich auf Korruption und Vetternwirtschaft im Bereich des Bausektors und unprofessionelles Management der Hilfs- und Rettungsmaßnahmen durch die Regierung zurückführen. Vgl. Die Zeit, „Menschen machen Katastrophen“, http://www. zeit.de/1999/35/199935.katastrophen_.xml, 12.03.09. 133 Die Türkei befand sich seit Mitte der 1990er Jahre in einer wirtschaftlich höchst schwierigen Situation. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Wirtschaftskrise 2001. Diese führte zu einem extremen Wertverlust der Türkischen Lira gegenüber dem Dollar (um 113%) und hoher Arbeitslosigkeit. Die Krise und zahlreiche Korruptionsskandale im selben Zeitraum hatten großen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Ali Çarkoǧlu und Ersin Kalaycıoǧlu stellten fest, dass 78% der türkischen Wähler 2002 die Wirtschaftskrise als das größte Problem des Landes betrachteten. Vgl. Kramer, Heinz, „Die Türkei im Prozess der Europäisierung“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/2004, S. 9-17, S. 16. sowie Öniş, Ziya, “Globalization and party transformation: Turkey’s Justice and Development Party in Perspective”, http:/portal.ku.edu.tr/~zonis/-publications.htm, 21.02.09 sowie Çarkoǧlu, Ali / Kalaycıoǧlu, Ersin, Turkish Democracy Today, Elections, Protest and Stability in an Islamic Society, London 2007, S. 153. 51

zahlreiche Korruptionsskandale. Der Wahlerfolg der AKP im Jahr 2002 ist auch eine Absage an die bisherigen Regierungsparteien, die von den Wählern als unfähig und korrupt wahrgenommen wurden. Keine der zuvor an der Regierung beteiligten Parteien schaffte den Sprung über die 10%-Hürde.

3.2.5 Die Gründung der AKP Der Erfolg der AKP in den Parlamentswahlen 2002 (34,28%) ist in erster Linie in den Krisen um die Jahrtausendwende begründet. Die Partei war erst im August 2001 durch Recep Tayyip Erdoǧan, Abdullah Gül, Bülent Arinc, Ayşe Böhürler u.a. gegründet worden und stand somit in keinem Zusammenhang zu den Korruptionsskandalen und Krisen. Auch durch ihren Namen Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) nahm sie Bezug auf diese Ereignisse. Die von der Partei bevorzugte Schreibweise ist AK Parti (anstatt AKP), wodurch die Bedeutung als moralisch integre Partei herausgestellt wird – ak bedeutet 134 sauber, rein, weiß und unverbraucht. Das Symbol der Partei ist parallel dazu eine leuchtende Glühbirne, die „Licht ins Dunkel“ bringt. Die AKP nennt als ihre grundlegenden Ziele die Verwirklichung freier Marktwirtschaft durch Liberalisierung und Privatisierung, die Stärkung der Menschenrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit und eine stärkere Demokratisierung der Türkei. Sie bekennt sich zum Säkularismusgebot und strebt gleichzeitig die „Aussöhnung von Religion und Staat“ in Politik und Gesellschaft an. Außenpolitisch verfolgt sie einen 135 EU-Beitritt und die Übernahme einer regionalen Mittlerfunktion. Im folgenden Kapitel soll die Selbstdefinition der AKP untersucht und in Kontext zu anderen konservativen Parteien gesetzt werden. Dar134 In der Literatur zur Partei wird überwiegend die Abkürzung AKP (bzw. deren englische Übersetzung JDP) verwendet, die in dieser Arbeit übernommen wird. Diese Art der Abkürzung ist zur Bezeichnung politischer Parteien üblich (Sozialdemokratische Partei Deutschlands = SPD) und enthält keinerlei inhaltliche Wertung. 135 Vgl. Parteiprogramm (2007), I. Introduction. 52

an anschließend wird untersucht, wie sich die AKP mit westlichen Konservatismuskonzepten auseinandersetzt und inwieweit diese Eingang in „Konservative Demokratie“ gefunden haben.

3.2.5.1 DAS POLITISCHE KONZEPT DER AKP „MUHAFAZAKAR DEMOKRASİ“ Die AKP definiert ihr politisches Konzept mit dem Begriff Muhafazakar Demokrasi („Konservative Demokratie“). Dieses Konzept wurde erst 136 nach dem Wahlerfolg der Partei 2002 entwickelt. Dies ist ungewöhnlich und wirft die Frage auf, ob „Konservative Demokratie“ ein Ausdruck innerer Überzeugungen der Partei ist oder vielmehr ein gewähltes politisches „Label“. Im Jahr 2004 setzte sich die AKP intensiv mit der eigenen Identität auseinander. Im Januar 2004 veranstaltete sie mit dem „Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu“, ein internationales Symposium zu Konservatismus und Konservativer Demokratie. Die Reden Erdoǧans und Fırats finden als Primärquellen Eingang in diese Arbeit. Im selben Jahr veröffentlichte die Partei das Buch „AK Parti ve Muhafazakar Demokrasi“ (Die AKP und Konservative Demokratie), das von Erdoǧans politischem Berater Yalcin Akdoǧan verfasst wurde. Es kann nur vermutet werden, dass die AKP im Jahr 2004, d.h. in der Mitte der Legislaturperiode, einen geeigneten Zeitraum für die Auseinander137 setzung mit ihrer Identität sah. Der Begriff Konservatismus wird von der Partei als graduelle Wandlung, die auf Ausgewogenheit anstelle von radikalen Lösungen setzt, beschrieben. Als wichtigste konservative Werte benennt sie Familie, Tradi138 tion und die Errungenschaften früherer Gesellschaften. Ihr eigenes Konzept bezeichnet die AKP nicht als „Konservatismus“, sondern als „Konservative Demokratie“. Diese Selbstbezeichnung ist für sie zweifach 136 Vgl. Hale, William, “Christian Democracy and the JDP: Parallels and Contrasts”, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Party, Salt Lake City 2006, S. 66-87, S66. 137 In der Türkei finden alle fünf Jahre Parlamentswahlen statt. 138 Vgl. Akdoǧan, Yalcin, AK Parti ve Muhafazakar Demokrasi, Istanbul 2004, S. 13. 53

vorteilhaft. Durch die Verwendung des Adjektivs „konservativ“ ordnet sie sich – nicht zuletzt im internationalen Rahmen – einer etablierten Ideologie zu. Im Bezug auf die Türkei stellt sie sich in eine Reihe anerkannter, konservativer Akteure. Andererseits ermöglicht ihr die abweichende Selbstbezeichnung als „konservativ-demokratisch“, einen eigenen Spezialdiskurs innerhalb des konservativen Diskurses zu etablieren. Die Botschaft an die Öffentlichkeit und auch an die Wähler ist die eines politischen Aufbruchs, ohne mit der Vergangenheit zu brechen. Auf dem Konservatismuskongress 2004 definierte Fırat „Konservative Demokratie“ als eine Synthese aus Konservatismus und Demokratie, die türkische Wertvorstellungen mit Elementen des europäischen Konserva139 tismus verbinden würde. Er führte weiter aus: „Wir als AKP sehen uns nicht als streng ideologische rechte oder linke Partei, auch nicht als liberale Partei. Obwohl wir Gemeinsamkeiten mit dem Liberalismus haben, haben wir auch Punkte, die uns vom Liberalismus fernhalten und sehen uns deshalb woanders. Statt uns als liberale Konservative oder rechte Konservative zu bezeichnen, haben wir es vorgezogen, uns als konservative Demokraten zu bezeichnen, und denken, 140 dass dieser Begriff uns beschreibt.“ Erdoǧan sieht das Zeitalter klar voneinander abgegrenzter Ideologien als beendet an und spricht davon, dass „[...] Ideologien sich nicht mit sehr strengen und klaren Linien voneinander trennen und polarisieren, sondern dass sich mit der Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Ideologien neue politische Bahnen ergeben. Statt einem „Schwarz-Weiß-Bild” 139 Vgl. Fırat, Dengir Mir Mehmet, “Kapanış Konuşması”, Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu, 10./11.01.2004 Istanbul, www.akparti.org.tr/ siyasivehukuk/dokuman/KonusmaDengirBey% 20UMDS.doc, 21.02.07, Anhang S. 35. 140 a.a.O., Anhang S. 37. 54

haben wir ein Bild vor uns, welches farbig und multidimen141 sional ist.” Er versteht auch „Konservative Demokratie” als einen solchen multidimensionalen Ansatz und lehnt eine feste Zuordnung des Begriffs ab. Das politische Vorgehen der AKP beschreibt er folgendermaßen „In other words, we go from each idea, each perspective to another one and we look at the developments around the world so that we can learn and understand what we can add to our ap142 proach.” Die zitierten Passagen sind Vergleiche im Sinne Fleischers. Allerdings sind die Vergleichskategorien sehr ungenau. Der Rezipient erfährt zwar, dass sich die AKP weder als liberal-konservativ noch als rechts-konservativ, sondern als konservativ-demokratisch definiert, allerdings erfährt er nicht, durch welche Merkmale diese Einordnung begründet wird. Auch die angesprochenen Gemeinsamkeiten bzw. Differenzen mit dem Liberalismus lassen, von einer großen ideologischen Offenheit abgesehen, keine Rückschlüsse auf den Inhalt konservativer Demokratie zu. Wird Ideologie nach Häckel als „universelle Weltanschauung mit unein143 geschränktem Geltungsanspruch“ definiert, ist es schwierig „Konservative Demokratie“ als Ideologie zu bezeichnen. Vielmehr scheint sie ein Sammelbecken verschiedener Ideologien oder – als Ergebnis von Erdoǧans Ansatz – gar die Auflösung fester Ideologien zu bezeichnen. Nicht nur dem Außenstehenden bleiben Inhalt und Umfang des Kon141 Vgl. Erdoǧan, Recep Tayyip, “Konuşması”, Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu, 10./11.01.2004 Istanbul, http://tr.wikisource.org/wiki/ Recep_Tayyip_Erdo%C4%9Fan%27 %C4% B1n_15_Ocak_-2004_tarihli_konu %C5%9Fmas%C4%B1, 21.02.07, Anhang S. 22. 142 Vgl Erdoǧan, Recep Tayyip, “Conservative Democracy and the Globalization of Freedom”, Rede am American Enterprise Institute, 29.01.2004, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 333-340, S. 335. 143 Vgl. Häckel (2000), S. 148. 55

servatismuskonzepts der Partei unklar, auch die Partei selbst zieht es 144 vor, eine Politik ohne festen ideologischen Bezugspunkt zu verfolgen. Darin besteht der entscheidende Unterschied zu westlichen konservativen Parteien, die gerade dies tun. Da sich die Partei so konsequent der Theoretisierung ihres Konzepts verweigert, ist es schwer, auf dieser Ebene einen inhaltlichen Vergleich mit anderen Konzepten durchzuführen. Akdoǧan räumt selbst ein, dass der Begriff „Konservative Demokratie“ problematisch sei, da er bislang nicht politikwissenschaftlich erfasst wurde. Allerdings würde „Konservative Demokratie“ auf der praktischen 145 Ebene nicht viele Fragen offenlassen. Diese Position erstaunt insofern, als er im Auftrag der AKP ein Buch über konservative Demokratie verfasst hat. Damit hat er theoretisch etwas bestimmt, was er selbst als nicht abschließend definierbar ansieht. Wie obige Zitate zeigen, wird seine Einstellung auch vom Führungskader der Partei geteilt. Es bleibt festzuhalten, dass die Begriffe „Konservatismus” und „Konservative Demokratie” von der AKP häufig synonym verwendet werden. Gegenüber der internationalen Öffentlichkeit bezeichnet sich die AKP vorrangig als konservativ und hat sich dementsprechend für die Aufnahme in den Verbund europäischer konservativer Parteien (European’s People’s Parties) beworben. Die Partei verweigert sich zu einem bestimmten Grad der Definition und möchte ihr Konzept vielmehr durch die Praxis erklärt wissen. In ihrer Definition der Begriffe „konservativ” und „konservativ-demokratisch” nennt die AKP übereinstimmende Werte wie Familie und Tradition. Religion wird dagegen im Rahmen der Selbstdefinition nicht angeführt. Dies verwundert zunächst, da der überwiegende Teil des Führungskaders seine politische Karriere in islamistischen Parteien begonnen hat. Allerdings hat muhafazakar eine „kulturelle Bedeutung” im Sinne Fleischers. So impliziert der Begriff für die türkische Öffentlichkeit immer auch „muslimisch-sein”. Eine Partei 144 Vgl. Parteiprogramm (2007), I. Introduction. 145 Vgl. Akdoǧan, Yalçin, “The Meaning of Conservative Democratic Political Identity”, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 49-65. S. 54. 56

wie die AKP, die sich selbst als konservativ bzw. konservativ-demokratisch bezeichnet, muss daher nicht ausdrücklich betonen, auch islamische Moralvorstellungen, Werte und Traditionen zu vertreten.

3.2.5.2 AUSEINANDERSETZUNG MIT TÜRKISCHEN KONSERVATIVEN PARTEIEN Die AKP nimmt auf konservative Parteien in der Vergangenheit Bezug und vergleicht ihren eigenen Wahlerfolg 2002 mit dem der Demokrat Partisi im Jahr 1950. Ebenso werden die Gemeinsamkeiten zwischen der Liberalisierungspolitik der Anavatan Partisi und dem eigenen Pro146 gramm angesprochen. Tatsächlich zeigt sich auf der Mitgliederebene eine starke Verankerung der AKP im türkischen Konservatismus. Dalmıs und Aydın konnten in ihrer Untersuchung der politischen Herkunft der AKP-Mitglieder feststellen, dass knapp die Hälfte von ihnen zuvor in 147 rechten Parteien aktiv gewesen war. Auch bei der Betrachtung der politischen Ziele der AKP und der großen konservativen Massenparteien DP und ANAP fallen Gemeinsamkeiten auf. Alle drei Parteien setzen sich für Liberalisierung und Privatisierung ein. DP und ANAP unterstützten eine Westannäherung und die Mitgliedschaft in der NATO. Mit der Bemühung um eine EU-Mitgliedschaft verfolgt die AKP ähnliche Ziele. Alle drei Parteien verstehen sich als Mitglieder und Repräsentanten der Peripherie und nehmen für sich in Anspruch, Volksparteien zu sein. Erdoǧan definierte auf dem ersten Parteitag „Konservative Demokratie“ als „Synthese“, die die Differenzen zwischen Peripherie und Zen148 trum überwinden soll. Die AKP setzt sich für die Aufwertung und 146 Vgl. Akdoǧan (2006), S.49 ff. und Mert (2007), S. 36. 147 Die Untersuchung wurde im Jahr 2005 durchgeführt. Die Angabe 45% bezieht sich nur auf diejenigen Mitglieder, die schon zuvor politisch aktiv waren. Dies trifft für 41% der AKP-Mitglieder zu. Vgl. Dalmıs, İbrahim / Aydın, Ertan, “The Social Bases of the Justice and Development Party”, in: Cizre, Ümit (Hg.), Secular and Islamic Politics in Turkey, The making of the Justice and Development Party, London 2008, S. 201-223, S. 205. 148 Vgl. Tepe, Sultan, “A Pro-Islamic Party?, Promises and Limits of Turkey’s Justice and Development Party”, in: Yavuz, M. Hakan, The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 107-135, S. 119 f. 57

Stärkung traditioneller Lebensstile in Opposition zu der dominierenden Zentrumskultur ein. Eine wichtige Rolle spielte für alle drei Parteien das Engagement für mehr Religionsfreiheit und größeren gesellschaftlichen Spielraum religiöser Gruppierungen. Trotz dieser zahlreichen Gemeinsamkeiten versteht sich die AKP nicht als Nachfolgerin von DP und ANAP und betont, mit „Muhafazakar Demokrasi (Konservative Demokratie)“ ihren eigenen Spezialdiskurs innerhalb des Konservatismus entwickelt zu haben. Konflikte mit dem Staat, wie derjenige der DP-Regierung 1960 und moralische Fehltritte konservativer Parteien in den 1990er Jahren durch Korruption und Blockierung des politischen Prozesses, sollen nicht wiederholt werden. Die AKP wirft den beiden großen konservativen Parteien vor, sie hätten ihre Politik nur auf die Identität bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ausgerichtet und wären damit keine Volksparteien gewesen. In Abgrenzung dazu versteht die AKP sich als „Massenpartei für die Gesamtheit der Gesellschaft mit allen ihren Fra149 gen“. Konservative Politik dürfe in der Türkei nicht länger zur Spaltung der Gesellschaft beitragen, sondern solle „die Lokomotive der Ge150 meinsamkeit und Bindung werden.”

3.2.5.3 AUSEINANDERSETZUNG MIT „DEM WESTEN“ (BATI) Genauso wie sich die AKP in ihrer Selbstdefinition auf den türkischen Konservatismus bezieht, spricht sie auch davon, Teile eines (nicht genauer bestimmten) europäischen Konservatismus übernommen zu ha151 ben. Erdoǧan betont, dass in der Auseinandersetzung mit dem Westen die sozialen und kulturellen Traditionen der Türkei bewahrt bleiben 152 müssen. Das Ziel der Partei sei “to reproduce our system of local and deep-rooted values in harmony with the universal standards of political 153 conservatism.” Er präzisiert nicht, was die AKP als die Grundprinzipi149 150 151 152 153 58

Vgl. Akdoǧan (2004), S.19. Vgl. Erdoǧan (2004), Anhang S. 26. Vgl. Fırat (2004), S. 35. Vgl. Erdoǧan (2006), S. 335. ibid.

en des Konservatismus definiert. Auch über Inhalt und Umfang von „local and deep-rooted values“ kann nur spekuliert werden. Es ist zu vermuten, dass die Partei Traditionen und Vorschriften meint, die das gesellschaftliche Zusammenleben im Bezug auf Geschlechterbeziehungen, gesellschaftliche Hierarchien und die Institution Familie regeln. Akdoǧan mahnt an, nur die positiven Errungenschaften des Westens 154 wie Technik und Wissenschaft zu übernehmen. Hier zeigen sich Übereinstimmungen mit der Diskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit hatten konservative Intellektuelle die Überzeugung vertreten, nur Technik und Wissenschaft, jedoch keine Werte aus dem Westen übernehmen zu wollen. Die Frage, wie eine „Kontrolle“ etabliert werden kann, wurde damals nicht geklärt. Die AKP verweist dazu auf einen Konsens der türkischen Öffentlichkeit. “A significant part of the Turkish society desires to adopt a concept of modernity that does not reject tradition, a belief of universalism that accepts localism, an understanding of rationalism that does not disregard the spiritual meaning of life, 155 and a choice for change that is not fundamentalist.” Die Partei lässt durch diese Herangehensweise offen, welches Verhältnis zwischen fremden und nationalen Traditionen und Wertvorstellungen sie anstrebt. Auch werden beide nicht weiter in ihrem Umfang definiert. Als ganz zentralen Wert ihres Konzepts stellt sie jedoch Fortschritt heraus. „Sie [Anm. die Partei] ist für Veränderung in der Bedeutung von Entwicklung und Fortschritt. Die AKP ist für einen Konservatismus, der offen für Neues und modern ist, nicht aber für einen Konservatismus der Vergangenheit, der darauf beharrte, die Lage so sein zu lassen wie sie ist und keine Verän156 derung zulässt.” 154 Vgl. Akdoǧan (2004), S. 54. 155 Vgl. Erdoǧan (2006), S. 335. 156 Vgl. Erdoǧan (2004), Anhang S. 27. 59

Es bleibt unklar, ob die AKP mit dem Begriff Fortschritt politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder technischen Wandel meint. Damit ist der Begriff offen für die Assoziationen des Wählers. Dieser bestimmt, ob er mit „Fortschritt“ eine Veränderung der Staatsstrukturen, des Verhältnisses von Religion und Staat, des Minderheitenstatus oder „nur“ technischen Fortschritt verbindet. Auffallend ist, dass die AKP ihr starkes Bekenntnis zu Wandel im Rahmen eines konservativen Konzeptes äußert. Dies ist für eine konservative Partei ungewöhnlich. Vom „bewahrenden“ Charakter des Konservatismus bleibt so nicht viel übrig. Vielmehr scheint die Partei einen „dynamischen Konservatismus“ zu verfolgen, der sich permanent ändert, ohne sich dabei jedoch selbst in Frage zu stellen.

3.2.6 Zeitgenössischer gesellschaftlicher Konservatismus Im folgenden Abschnitt wird „Konservative Demokratie“ in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt. Auf Grund der großen Wahlerfolge der Partei ist zu vermuten, dass sie einen Aspekt einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung darstellt. Die Untersuchung des gesellschaftlichen Umstands der Entstehung und des aktuellen Standes konservativer Positionen sind nötig, um das politische Konzept der AKP zu analysieren. Dazu werden drei Studien ausgewertet, die innerhalb der letzten 157 neun Jahre in der Türkei entstanden sind. Als zentraler Wert des zeitgenössischen Konservatismus hat sich in den zitierten Untersuchungen die Familie herausgestellt. Diese Institution ist durch traditionelle Rollenmodelle geprägt, in denen der Mann die Rolle des Ernährers, die Frau die Rolle der Umsorgerin von Mann und Kindern einnimmt. Diese Rollenmodelle werden überwiegend aus religi-

157 Die Studien sind: Pusch, Barbara, “Türk Gençliǧinin Muhafazakarlıǧı ve İslamcı Söylemin Zemin”, Konrad-Adenauer-Stiftung, Istanbul 2000 und Yilmaz, Hakan, “Conservatism in Turkey”, Turkish Policy Quarterly, Vol. 7, Nr. 1, Frühling 2008, S. 57-63 und Çarkoǧlu, Ali / Kalaycıoǧlu, Ersin, The Rising Tide Of Conservatism in Turkey, New York 2009. 60

158

ösen Vorschriften begründet. Wichtigstes „Gut“ der Familie ist die Ehre der Frau (namus), die von den männlichen Familienmitgliedern ge159 schützt werden müsse. Das beliebte Sprichwort „Toplumun temeli 160 aile, ailelerin temeli ise nikahdır“ zeugt davon. Religion ist ein weiterer, sehr zentraler Wert. Allerdings ist auffällig, dass sich theoretische 161 religiöse Überzeugungen nicht 1:1 in der Praxis niederschlagen. Konservative Überzeugungen sind in allen Bevölkerungsschichten vertreten, besonders ausgeprägt sind sie unter Menschen mit ländlichem Hintergrund und unterdurchschnittlicher Bildung, d.h. den klassischen Mitglie162 dern der Peripherie. Insgesamt stellten alle Studien einen Anstieg konservativer Positionen fest. Verschiedene Gründe werden zur Erklärung herangezogen, so 158 Vgl. Pusch (2000), S. 54 ff. 70,6% der Befragten nannten Familie als wichtigsten

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Wert. Die Hälfte der Befragten zog es vor, mit der Familie nicht über eigene Probleme zu sprechen und 17,7% trauten sich nicht, innerhalb der Familie eigene Ideen zu äußern, da diese als respektlos gegenüber älteren Familienmitgliedern verstanden werden könnten. Mädchen bezeichneten Ehrlichkeit und den Respekt der Traditionen als die wichtigsten Werte, die sie von ihrer Familie mitbekommen hätten, während die Jungen die Treue zu Religion und Staat nannten. Pusch stellte weiter fest, dass die Jungen einen weiteren Bewegungsradius hätten, der sie auf ihrer Position in der Gesellschaft (Nachbarschaft, religiöse Netzwerke, Erwerbstätigkeit) vorbereitet. Sie würden sich mit ihren Freunden oft aushäusig, beispielsweise in Kaffeehäusern, Bars und Lokalen sowie auf Straßen und Plätzen in der Nachbarschaft treffen. Mädchen werden stärker auf ihre Rolle innerhalb der Familie vorbereitet. Sie besuchen sich daher mit ihren Freundinnen meist gegenseitig zuhause. Vgl. Yilmaz (2008), S. 58 f. Es lässt sich folgendermaßen übersetzten: „Das Fundament der Gesellschaft ist die Familie, das Fundament der Familie ist die Ehe.“ Vgl. Pusch (2000), S. 58. Für 21% der Jugendlichen ist Religion der wichtigste Wert und fast 90% bezeichneten sich als gläubig. 5,7% gehen regelmäßig in die Moschee, über 52% von Zeit zu Zeit. Fast 15% beten regelmäßig und über 57% von Zeit zu Zeit. Fast 70% fasten durchgehend während des Ramadan und über 20% unregelmäßig. Fast 60% beten regelmäßig während der Arbeit und über 32% gelegentlich. Über 22% lesen regelmäßig religiöse Bücher und Zeitschriften oder sehen Sendungen bzw. hören Kassetten, fast 55% tun dies gelegentlich. Vgl. Yilmaz (2008), S. 57-63. 61

die veränderte Lebenswirklichkeit der Menschen durch Globalisierung sowie die negativen Folgen der innertürkischen Migration wie Verstädterung, Verarmung und das Aufeinanderprallen verschiedener Lebenssti163 le. Seit den 1960er Jahren bewirkte die starke Binnenmigration aus allen Landessteilen an die gesamte Westküste sowie von den Dörfern in die Städte gewaltige Bevölkerungsverschiebungen. Entgegen der Erwartungen nahmen die Migranten keinen städtischen Lebensstil (şehirli) an, sondern behielten ihre dörflichen Traditionen und Werte bei (köylü). So war es ihnen möglich, im unpersönlichen Umfeld der Städte ihre dörflichen Netzwerke zu nutzen, was oft die einzige ihnen zugängliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Ressource darstellt. Innerhalb dieser Netzwerke finden Ehepartner- und Arbeitsvermittlung, Unterstützung 164 für Mitglieder in Not und Geldtransfers statt. Ein Leben nach traditionellen Werten wie Familie, Religion, Autorität und Geschlechtertrennung wird in diesem System „belohnt“, die Anpassung an die städtische Gesellschaft „bestraft“. Gesellschaftlicher Konservatismus bezieht sich in der Türkei sich auf Werte. Der Bewahrung politischer Institutionen und Strukturen steht ein Großteil der Türken gleichgültig gegenüber. Als wichtigste Werte für den Bereich der Politik wurden Autorität, Ordnung und die Wahrung 163 Vgl. Çarkoǧlu / Kalaycıoǧlu (2009), S. 39. So stimmten mehr als 60% der Befragten den Aussagen „one good way to teach certain people right from wrong is to give them a good stiff punishment when they get out of line“ und „those who run the country should be strong and intelligent and be able to rule, if necessary, single handed“. 164 Interessante Erkenntnisse zu diesem Phänomen bietet die Studie von Tahire Erman, die Migranten zu ihrer Entscheidung für/gegen eine Identität als şehirli bzw. köylü und die Gründe dafür befragt hat. Jenny B. White beschreibt – aus ethnologischer Perspektive – Netzwerkbildung in den gecekondu Vierteln (über Nacht illegal errichtete Häuser) Istanbuls. Vgl. Erman, Tahire, “Becoming ‘Urban’ or Remaining ‘Rural’: The Views of Turkish Rural-To-Urban Migrants on the ‘Integration Question’“, in: International Journal of Middle East Studies (1998), S. 541-561, sowie White, Jenny B., Islamist Mobilization in Turkey: A Study of Vernacular Politics, Seattle 2002. 62

165

politischer und wirtschaftlicher Stabilität genannt. Das Konservatismusverständnis der Gesellschaft ist mit dem der AKP übereinstimmend. Prägende Kraft ist in beiden Fällen die Peripherie.

3.3

Zwischenfazit: Die AKP als konservative Partei?

Ein wichtiger Wert des konservativen Weltbildes ist der Islam. Dabei zu differenzieren, inwieweit Konservatismus Teil der Religion oder Religion Teil des Konservatismus ist, ist nicht immer möglich. Vielmehr sollte von ständigem Austausch und gegenseitiger Beeinflussung gesprochen werden. Konservatismus tritt gegen vom Zentrum ausgehende Modernisierungsmaßnahmen ein und mahnt, die nationalen Werte und Traditionen zu bewahren. Anhänger der Peripherie fordern daher die Rückbesinnung auf die islamisch-osmanische Vergangenheit. Fand die konservative Debatte zunächst innerhalb des Staatsapparates statt, lässt sich seit der Jungtürkenperiode beobachten, dass der konservative Diskurs weitere Teile der Gesellschaft, hauptsächlich Intellektuelle, erreichte. Sie vertraten die Position, dass westliche Wissenschaft und Technik durchaus nützlich seien könnten, westliche Werte jedoch keinen Niederschlag in der Gesellschaft finden sollten. Diese Entwicklung ist auf die Abspaltung von Minderheitengebieten und den verstärkten Einfluss westlicher Staaten auf die Innenpolitik zurückzuführen. Nach der Gründung der Türkischen Republik durch Atatürk kam es zu einer massiven politischen und gesellschaftlichen Abwertung der Religion von Seiten des Staates. Der konservative Diskurs dieser Zeit beschäftigte sich hauptsächlich mit der Rolle der Religion in Staat und Gesellschaft. Durch die Konfrontation mit fremden, westlichen Lebensstilen entwickelte sich Nationalismus zu einem wichtigen Element des konservativen Diskurses. Die Stärkung der rechtlichen und gesellschaftlichen Rolle der Frau wurde von Konservativen hingegen nur wenig kritisiert. Durch die Demokrat Partisi erhielt der türkische Konservatismus zum ersten Mal ein parteipolitisches 165 Çarkoǧlu / Kalaycıoǧlu (2009). 63

Gesicht. Ihre Gründung markiert den Übergang von einer intellektuellen zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung. Wichtige Aspekte im Diskurs der DP waren die Aufwertung der Religion, die Integration der Landbevölkerung sowie die Stärkung ihrer Kultur und Traditionen in der Auseinandersetzung mit der kemalistischen „Einheitskultur“. Seit den 1960er Jahren näherte sich auch das Zentrum immer stärker konservativen Positionen an. Besonders im Rahmen der Türk İslam Sentezi versuchte die Militärregierung nach dem Putsch von 1980, Religion und Konservatismus gezielt einzusetzen, um eine homogene Gesellschaft zu schaffen. Dennoch betrachtet sie einige Felder der Innenpolitik, wie beispielsweise das staatliche Säkularismusgebot, für unverhandelbar. Seit den 1990er Jahren lässt sich ein Anstieg des Konservatismus in der Türkei feststellen, der auf innenpolitische (Wirtschaftskrisen, Korruption, Erdbeben) und außenpolitische Ereignisse (Jugoslawienkrieg, Zusammenbruch der Sowjetunion u.a.) zurückzuführen ist. Auch wenn der türkische Konservatismus mit Religion, Familie, Autorität, Traditionen, Nationalismus u.a. ähnliche Werte wie der westliche Konservatismus vertritt und Kommunismus vehement ablehnt, ist er keine Kopie oder Übernahme des westlichen Modells. Er hat sich stattdessen unter landesspezifischen Rahmenbedingungen entwickelt. So wurde, wie eingangs erwähnt, anders als im Westen, die Debatte zunächst nur innerhalb des Zentrums und nicht innerhalb der gesamten Gesellschaft geführt. Die Auseinandersetzung mit der Moderne war und ist für die Türkei nicht nur die Auseinandersetzung mit etwas „Neuem“, sondern mit einem fremden (westlichen) Konzept, das Konservative als im Widerspruch zu den eigenen Traditionen begreifen. Die AKP bezeichnet sich selbst als konservativ-demokratische Partei und stellt sich damit in den nationalen und internationalen konservativen Diskurs. Die Untersuchung aktueller konservativer Positionen hat ergeben, dass die AKP Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in der Türkei ist. Im Vergleich mit den zwei anderen wichtigen konservativen Volksparteien, der Demokrat Partisi (DP) und der Anavatan Partisi (ANAP), zeigten sich zahlreiche Parallelen in Bezug auf die ver64

tretenen Werte und die Wählercharakteristika. Die AKP selbst zieht Parallelen zu DP und ANAP, betont jedoch, mit „Konservativer Demokratie“ ein neues, originäres Konzept verfolgen zu wollen. Unterschiede zum konservativen Diskurs bestehen durch die hohe Bedeutung, die die Partei den Werten Entwicklung und Fortschritt beimisst. Auffällig ist darüber hinaus, dass die Definition des politischen Konzepts schwammig ist und eine feste ideologische Ausrichtung ablehnt. Als Konsequenz ungenauer Definition bleibt der Partei ein großer Handlungsspielraum erhalten, der es erschwert, der Partei vorzuwerfen, sie würde gegen eigene Positionen handeln. Übereinstimmung mit den europäischen konservativen Parteien besteht durch den Schwerpunkt, den die AKP auf traditionelle Werte wie Religion, Familie, Autorität und Moral legt. Auffallend ist, welche enorme Bedeutung dem Begriff Fortschritt zugeordnet wird, da dieser im Widerspruch zur konservativ-demokratischen Selbsteinschätzung steht. Die Partei scheint einen „dynamischen Konservatismus“ zu verfolgen, der sich permanent ändert, ohne dabei jedoch sich selbst in Frage zu stellen. Anders als europäische konservative Parteien ist die AKP als Bewegung gegen den status quo, d.h. gegen die Dominanz des Zentrums gegenüber der Peripherie, zu verstehen. Im Vergleich mit westlichen Konservatismuskonzepten besteht die größte Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Modell; starke Parallelen sind die Unveränderlichkeit von Werten und ein Religionsbezug bei gleichzeitig uneingeschränkter Bejahung von Technik und Wissenschaft. Aufgrund der bisherigen Untersuchungen scheint die Selbsteinschätzung der AKP als konservativ plausibel.

65

4

AKP und Religion

Säkulare Kreise in der Türkei unterstellen der AKP, die şeriat etablieren zu wollen oder eine islamische Revolution nach dem Vorbild des Iran zu 166 planen. Zwar lassen sich diese Anschuldigungen nur schwer durch Fakten belegen, dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die AKP ein „islamisches Erbe“ hat. Die politische Herkunft eines großen Teiles des Führungskaders und der Mitglieder liegt in den Milli Görüş167 Parteien. Daher ist die Frage nach der Rolle, die die Religion für Identität und Politik der AKP spielt, mehr als berechtigt. Welchen Stellenwert innerhalb der Konservativen Demokratie hat sie? Für welche Bereiche benennt die AKP Religion als Faktor ihres politischen Handelns? Stellt das politische Programm der AKP einen Bruch mit den islamistischen Vorgängerparteien oder die Weiterführung ihrer Politik dar? Um diese Fragen zu klären, ist es zunächst nötig, sich mit dem bisherigen Verhältnis von Staat und Religion in der Türkischen Republik zu befassen. Daran anschließend werden islamistische Parteien in der Türkei und die mögliche Weiterführung ihrer politischen Programme durch 166 Vgl. Milliyet, AKP, takiye yaparak vatandaşı kandırıyor, http://www.milliyet. com.tr/2007/02/22/ege/ege 01.html, 12.08.09.

167 Der Begriff Milli Görüş umschreibt eine länderübergreifende islamistische Organisation, deren Ziel (zumindest zum Zeitpunkt der Gründung) die Etablierung eines auf dem Islam beruhenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems ist. Die Organisation ruht auf verschiedenen Säulen, u.a. islamistische Parteien (in der Türkei) oder Moscheevereine (in Europa). Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, „Islamistische Organisationen in NordrheinWestfalen“, Düsseldorf 2008, S. 63-68 und Schiffauer, Werner, Nach dem Islamismus, Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş, Berlin 2010, S. 63 ff. 66

die AKP beleuchtet. Darauf aufbauend wird untersucht, wie die AKP mit der vorgefundenen Rechtslage umgeht, wie ihr Verhältnis zur Religionsgemeinschaft der Aleviten ist und welche Gesetze mit Religionsbezug sie verabschiedet hat. Der letzte und dritte Teil dieses Kapitels versucht – aufbauend auf den erlangten Erkenntnissen – eine vorläufige Einordnung der AKP. Dabei werden auch in der Literatur verbreitete Konzepte der AKP als „Muslim Democrats“ bzw. als „türkische Christdemokraten“ erörtert.

4.1

Religion in der Türkei – ein Überblick

Offiziell gelten 99,2% aller Türken als sunnitische Muslime, daneben bestehen christliche und jüdische sowie weitere kleinere religiöse Minder168 heiten. Die größte religiöse Minderheit in der Türkei stellen die Aleviten dar, die in Kapitel 4.4.2 ausführlicher vorgestellt werden. Die Sunniten in der Türkei sind zu einem bedeutenden Teil von religiösen Bruderschaften (tarikat) und Gemeinschaften (cemaat) geprägt. Ohne näher auf ihre Inhalte eingehen zu können, seien als wichtigste Nakşibendi, 169 Kadiri, Mevlevi, Süleymancı und Nurcu genannt. Seit den 1980er Jahren hat zudem die Gemeinschaft der Anhänger Fethullah Gülens (Fethullahçı) besonders durch ihr Engagement im privaten Bildungsbe170 reich großen gesellschaftlichen Einfluss gewonnen. Die Türkische Republik ist verfassungsmäßig säkular (s. Kapitel 2.1), der Staat bestimmt und kontrolliert allerdings die die Vermittlung des sunnitischen Islams sowie die religiöse Ausbildung. Eine zentrale Position nimmt dabei das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı, im Folgenden Diyanet) ein. Es wurde bereits 1924 als eine an das Amt des Ministerpräsidenten angegliederte Institution gegründet. Der Vorsitzende des Präsidiums (seit 2003 Ali Bardakoǧlu) stellt 168 Vgl. Spuler-Stegemann, Ursula, „Türkei“, in: Der Islam in der Gegenwart, Ende, Werner / Steinbach, Udo, (Hg.), Bonn 2005, S. 229-246, S. 229.

169 a.a.O., S. 236. 170 Zu Fethullah Gülen und seinem weltweiten Bildungsnetzwerk vgl. Agai (2004). 67

die höchste religiöse Autorität im Staat dar. Das Präsidium verwaltet ca. 78.000 Moscheen sowie 80.000 Imame und Muezzine mit Beamtenstatus. Diyanet hatte 2006 mit ca. 700 Mio. Euro (1,3 Mrd. YTL) den viertgröß171 ten Posten im Haushalt. Der Staat fördert durch Diyanet die dominierende Stellung des sunnitischen Islams und benachteiligt damit andere muslimische und nichtmuslimische religiöse Minderheiten. Diyanet ist zudem als staatliche Behörde der möglichen Beeinflussung durch die jeweilige Regierungspartei ausgesetzt. Neben Diyanet ist das Erziehungsministerium eine weitere Institution staatlicher Einflussnahme auf religiöse Belange. Es regelt die religiöse Schulerziehung, das Theologiestudium und die Verwaltung der 172 İmam-Hatip-Schulen. Das Fach „Religiöse Kultur und Sittenlehre“ (Din Kültürü ve Ahlak Bilgisi) ist formal kein Pflichtfach. Allerdings sind 173 grundsätzlich nur christliche und jüdische Kinder davon freigestellt.

4.2

Milli Görüş-Parteien und die AKP

Im Folgenden werden islamistische Parteien in der Türkei und die Schwerpunkte ihrer politischen Programme untersucht. Zum Zeitpunkt der Einführung des Mehrparteiensystems 1946 stellte keine der konkurrierenden Parteien den Islam ins Zentrum ihrer Politik. Daher sahen reli171 Diyanet ist in fünf Abteilungen gegliedert. Die Abteilung für Religiöse Dienste (Din Hizmet Dairesi) betreut die Ausarbeitung der zentralen Freitagspredigt, die Gestaltung von Sendungen über den Islam in staatlichen Medien, die Übersetzung religiöser Schriften und die Ausarbeitung von Rechtsgutachten. Darüber hinaus bestehen die Abteilungen Religiöse Erziehung (Din Eğitim Dairesi), Wallfahrtswesen (Haç Dairesi) und Religiöse Publikationen (Dinî Yayınlar Dairesi). Die Abteilung für Außenbeziehungen (Dış İlişkiler Dairesi) betreut türkische Muslime im Ausland. In Deutschland geschieht dies durch DİTİB (Diyanet İşleri Türk İslam Birliǧi, Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Vgl. Karakaş (2007) S. 11-12. 172 Vgl. Spuler-Stegemann (2005), S. 237. 173 Eine weitere Institution ist die Direktion für das Stiftungswesen (Vakıflar Genel Müdürlüǧü), die hauptsächlich religiöse Stiftungen betreut. 68

giöse Bevölkerungsgruppen in den folgenden Jahrzehnten ihre Anliegen am ehesten von konservativen Parteien vertreten. Diese unterstützten die Einrichtung von Korankursen oder die Wiedereinführung des Ge174 betsrufs auf Arabisch. Die 1970 gegründete Milli Nizam Partisi (MNP, Nationale Ordnungspartei) war die erste islamistische Partei der Türkei. Islamistische Parteien wurden in der Folgezeit vom Staat verboten, jedoch von den ehemaligen Mitgliedern unter neuem Namen wiederbelebt. In den folgenden Abschnitten soll untersucht werden, wie sich diese Parteien inhaltlich verändert haben und in welchem Bezug die AKP zu ihnen steht. Der Schwerpunkt liegt daher auf inhaltlichen Kontinuitäten bzw. dem möglichen Bruch mit islamistischer Programmatik durch die AKP.

4.2.1 Milli Nizam Partisi 1970‒1971 Die Gründung der ersten islamistischen Partei der Türkei wurde von dem Nakşibendi Scheich Mehmet Zahit Kotku angeregt, der der İskenderpaşa Moschee in Fatih, Istanbul vorstand. Im Januar 1970 wurde die Milli Nizam Partisi (MNP, Nationale Ordnungspartei) gegründet, deren 175 176 Vorsitz bald darauf Necmettin Erbakan einnahm. Die Gründungsmitglieder und Wähler der Partei waren Teil der Peripherie. Sie waren auf dem Land groß geworden, lebten traditionsbezogen und maßen religiösen Normen und Werten große Bedeutung bei. Viele von ihnen wa-

174 Vgl. Yeşilada, Birol A., “The Virtue Party”, in: Turkish Studies, Vol. 3, No. 1, Spring 2002, S. 62-81, S. 63-64.

175 Erbakan (geb. 1926), ein Ingenieur, wurde in der Türkei und Deutschland (Aachen) ausgebildet. Vor seiner politischen Karriere war er Professor an der Istanbul Teknik Üniversitesi und Generalsekretär der Türkiye Odalar ve Borsalar Birliği, einer Vereinigung von Industrie und Handelskammern. 1970 gründete er mit der Milli Nizam Partisi die erste islamistische Partei der Türkei. Diese und die auf sie folgenden Parteien werden der Milli Görüş-Bewegung zugerechnet. Vgl. Zürcher, Erik J., Turkey, A Modern History, London 1993, S. 390. 176 Vgl. Yeşilada (2002), S. 65. 69

ren, etwa als Händler, Handwerker oder Kleinunternehmer, wirtschaft177 lich aktiv. Als Gründe für die Probleme des Landes führte das Parteiprogramm die Nachahmung des Westens und die Ignoranz gegenüber dem Osmanischen Erbe an. Eine Verbesserung der Verhältnisse könne nur durch eine Rückbesinnung auf eine religiös begründete Gesellschaftsordnung er178 reicht werden. Im Mai 1971 wurde die MNP als Folge des Militärputsches (März 1971) geschlossen. Erbakan ging in die Schweiz, wo er begann, die länderübergreifende Milli Görüş-Organisation aufzubauen. Das Ziel dieser Organisation ist die Etablierung eines auf dem Islam be179 ruhenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems.

4.2.2 Milli Selamet Partisi 1972‒1980 Eine Gruppe ehemaliger MNP-Mitglieder gründete im Oktober 1972 die Milli Selamet Partisi (MSP, Nationale Heilspartei). Im Parlament war die 180 MSP zwischen 1973 und 1980 in drei Koalitionen vertreten. 1973 wurde Erbakan zum Vorsitzenden gewählt, damit war er die zentrale Figur 181 der Partei. Auch die MSP stellte den Islam ins Zentrum ihres politischen Programms. Auf praktischer Ebene schlug sich dies in einem starken Anstieg der İmam-Hatip-Schulen von 50 (1974) auf 270 (1977) nieder. Seit Gründung der Republik gab es in staatlichen Schulen keinen Religionsunterricht. Unter der MSP wurde ein Ethikunterricht (ahlak bilgisi), der 182 de facto ein Religionsunterricht war, als Pflichtfach eingeführt. Auf 177 Vgl. Yavuz, M. Hakan, Islamic Political Identity in Turkey, Oxford 2003, S. 209. 178 a.a.O., S. 209. 179 Vgl. Yeşilada (2002), S. 65. Zumindest kann dies für den Zeitpunkt ihrer Gründung behauptet werden. Inwieweit diese Einschätzung aktuell, beispielsweise im Hinblick auf die deutsche Milli Görüş Organisation, zutrifft, ist umstritten. Vgl. Schiffauer (2010). 180 Vgl. Ayata, Sencer, “Patronage, Party and State: The Politicization of Islam in Turkey”, in: Middle East Journal, Vol. 50, (1996), S. 40-56, S. 52. 181 Vgl. Yavuz (2003), S. 209. 182 Vgl. Oehring (1984), S. 156-157. 70

diese Weise sollten als islamisch empfundene Werte wie Religion, Familie, Autorität und Gehorsam wieder stärker in der Gesellschaft verankert werden. Der Institution Familie als Grundstein gesellschaftlicher Moral und Stabilität kam im Parteiprogramm besondere Bedeutung zu. Die MSP lehnte das staatliche Säkularismusgebot ab. Das Verhältnis von Religion und Staat sei bislang als Herrschaft der Nichtgläubigen über die 183 Gläubigen missverstanden worden. Im Bezug auf die Wirtschaft forderte die Partei ein zinsloses Bankwe184 sen. Ziel war zudem, die wirtschaftliche Stellung kleiner Händler und Unternehmer zu verbessern. Ein Beitritt zur EU oder andere Formen der Westausrichtung wurden kategorisch abgelehnt. Während ihrer Regierungsbeteiligung gelang es der MSP, Stellen im Innen- und Erziehungsministerium zu besetzten und Netzwerke mit religiösen Stiftungen und Vereinen zu etablieren. Diese stellten für die nachfolgenden islamisti185 schen Parteien wichtige Ressourcen zur Mobilisierung der Wähler dar. Gemeinsam mit allen anderen türkischen Parteien wurde die MSP nach dem Putsch vom 12. September 1980 verboten.

4.2.3 Refah Partisi 1983‒1998 Im Juli 1983 wurde die Refah Partisi (RP, Wohlfahrtspartei) gegründet, deren Mitglieder zu großen Teilen bereits in der MSP aktiv gewesen wa186 ren. Erbakan konnte den Parteivorsitz erst im Jahre 1987 übernehmen, 187 nachdem sein politisches Betätigungsverbot aufgehoben worden war. Die RP war zum ersten Mal bei den Kommunalwahlen im Jahr 1994 erfolgreich, als sie 20% erlangte. Bei den Parlamentswahlen im Dezember 183 a.a.O., S. 149-151. 184 Der Begriff zinsloses Bankwesen besagt, dass Banken keine Zinsen nehmen und stattdessen an den Unternehmen, die sie finanziell unterstützen, beteiligt werden. Vgl. Nienhaus, Volker, „Islamische Ökonomik in der Praxis: Zinslose Finanzwirtschaft“, in: Der Islam in der Gegenwart, Ende, Werner / Steinbach, Udo, (Hg.), Bonn 2005, S. 163-198, S. 164. 185 Vgl. Yeşilada (2002), S. 67. 186 Vgl. Yavuz (2003), S. 218. 187 Vgl. Franz (2003), S. 24. 71

1995 wurde die RP mit 21,4% stärkste Partei. In den Jahren 1996‒1997 besetzte Erbakan innerhalb einer Koalitionsregierung den Posten des Mi188 nisterpräsidenten. Zunächst hatte die RP die Wähler der vorherigen islamistischen Parteien, d.h. kleine Händler und Unternehmer ländlicher Herkunft, umworben. Der politische Durchbruch stellte sich 1994 ein, als sich die Partei auch der städtischen Unterschicht zuwandte. Im diesem Jahr gewann 189 sie 29 Städte, darunter auch Ankara und Istanbul. Die 1990er Jahre waren durch steigende soziale Ungleichheit und Korruption gekennzeichnet. Teile der Peripherie waren in den vorangegangenen Jahrzehnten in der Hoffnung auf Arbeit in die Städte, vor allem die der Westküste, migriert. Sie hatten sich jedoch überwiegend nicht in das „städtische Leben“, d.h. den Lebensstil des Zentrums integriert. Stattdessen behielten sie die Traditionen und Werte ihrer Heimatregion bei. Dadurch unterschieden sie sich kulturell, wirtschaftlich und sozial von den ursprünglichen Stadtbewohnern, was ihre Ausgrenzung bzw. ihre eigene „Abkapselung“ verstärkte. Die RP war bei dieser städtischen Unterschicht mit ihrem als adıl düzen (Gerechte Ordnung) bekannten Pro190 gramm besonders erfolgreich. Es enthielt Forderungen nach der Einrichtung eines Wohlfahrtsstaates, Industrialisierung und stärkerer Verankerung des Islam in Politik und Gesellschaft. Die RP ging davon aus, 191 dass sich so eine gerechte Gesellschaftsordnung herausbilden würde. Der Erfolg der RP muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die politische Linke nach dem Putsch 1980 durch die Militärregie-

188 Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 456 f. 189 Vgl. Esmer, Yilmaz, “At the Ballot Box: Determinants of Voting Behaviour”, in: Sayari, Sabri / Esmer, Yilmaz (Hg.), Politics, Parties and Elections in Turkey, Boulder 2002, S. 91-114, S. 93. 190 Vgl. Güneş-Ayata, Ayşe / Ayata, Sencer, “Ethnic and Religious Bases of Voting”, in: Sayar, Sabri / Esmer, Yilmaz (Hg.), Politics, Parties and Elections in Turkey, Boulder 2002, S. 137-155, S. 149-150. 191 Vgl. Öniş (10.02.09). 72

rung so stark demontiert wurde, dass sie nie wieder zu politischem Einfluss gelangte. Vor allem in den Städten war die Partei eng mit islamistischen Stiftungen und Wohlfahrtsorganisationen vernetzt. Dadurch bestand eine für beide Seiten nützliche Verbindung, die zunächst nur an religiöser Vereinsarbeit interessierte Menschen in den politischen Prozess einbe192 zog. Die RP war darüber hinaus effizient organisiert. So hatte jede Nachbarschaft einen Leiter, der wiederum Straßenverantwortliche er193 nannte und selbst durch einen Gebietsleiter koordiniert wurde. Die einzelnen Glieder gingen durch entsprechende Besetzung auf lokale Besonderheiten ein; ein Erzurumlu (jemand der ursprünglich aus Erzurum stammte und von dort z.B. nach Istanbul migriert war) war für ein Viertel aus weiteren Erzurumlu zuständig. Durch diese Aufstellung wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Migranten meist in Stadtvierteln 194 mit Migranten aus demselben Dorf bzw. derselben Heimatregion lebten. Die RP ging gezielt auf lokale Besonderheiten ein, und versuchte, anders als die Parteien des Zentrums, eine persönliche Beziehung zu den Menschen aufzubauen. Die gemeinsame Religion und nicht Ethnie oder Staat wurde als die wichtigste Verbindung zwischen den Türken proklamiert. Im Umgang mit Konfliktfeldern der türkischen Innenpolitik wie beispielsweise der Kurdenfrage oder sozialer Ungleichheit wurde der Islam als Basis eines 195 friedlichen Zusammenlebens beschworen. Die Anerkennung der Kurden als ethnische Minderheit war für die RP daher unproblematisch. Eine vergleichbare Argumentation findet sich auch bei der AKP (s. Kapitel 7.1). Die Popularität der RP liegt zum großen Teil darin begründet, dass sie ihre ideologische Sendung in lokale kulturelle Normen transferieren konnte. Sie betrieb zudem verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber eine differenzierte Politik. So kann die Berufung auf den 192 193 194 195

Vgl. Ayata (1996), S. 52. Vgl. White (2002), S. 180. a.a.O., S. 198. a.a.O., S. 134. 73

Islam für Unternehmer die Sicherung der bestehenden Gesellschaftsordnung, für Kurden gesellschaftliche Gleichstellung und für eine städtische Unterschicht Teilhabe am kulturellen und wirtschaftlichen Leben bedeuten. Vergleichbar mit früheren islamistischen Parteien stellte auch die RP den Islam ins Zentrum ihres politischen Programms. Sie kritisierte Säkularismus als Instrument zur Unterdrückung des Islams, das türkische 196 Werte und Traditionen zerstören würde. Verhaltensregeln wurden aus 197 dem Koran begründet. Auch der Bereich der Außenpolitik stand für die RP unter der Prämisse des Islams, so wurde eine Vereinigung islamischer Staaten (ähnlich den Vereinten Nationen), eine gemeinsame Verteidigungsorganisation, eine islamische Weltbank und ein gemeinsamer 198 Markt mit einheitlicher Währung angestrebt. Jegliche Form der Westannäherung durch die NATO-Mitgliedschaft oder einen möglichen EU199 Beitritt wurde abgelehnt. Im Bezug auf die Übernahme wissenschaftlicher oder technischer Errungenschaften aus dem Westen sah die RP jedoch keinen Konflikt, vielmehr sollten diese genutzt werden, um die 200 Entwicklung der Türkei voranzutreiben. Durch den politischen Erfolg der RP sah das Zentrum seinen bisherigen politischen und gesellschaftlichen Einfluss gefährdet. Es warf der RP vor, das Säkularismusgebot zu verletzen. Das Militär forderte Erbakan auf, einen Maßnahmenkatalog mit zahlreichen Änderungen umzusetzen (bekannt als „Coup durch Memorandum“). Forderungen waren u.a. die Heraufsetzung der Grundschulzeit von fünf auf acht Jahre, um den Einfluss der İmam-Hatip-Schulen einzugrenzen, und die Durchset196 Vgl. Tepe (2006), S. 133. 197 Vgl. Öniş (10.02.09). 198 Am 15. Juni 1997 wurde auf Anregung Erbakans in Istanbul ein ökonomischer Verbund islamischer Länder, die „Developing-8“, mit der Türkei, Bangladesh, Ägypten, Indonesien, Iran, Malaysia, Nigeria und Pakistan gegründet. Vgl. Tepe (2006), S. 133. 199 Vgl. Öniş (10.02.09). 200 Vgl. Yavuz, (2003), S. 224. 74

zung eines universitären Kopftuchverbots. Obwohl Erbakan zusagte, die Forderungen umzusetzen, wurde die RP im Januar 1998 durch das Verfassungsgericht verboten und Erbakan jegliche politische Tätigkeit un201 tersagt.

4.2.4 Fazilet Partisi 1997‒2001 Die Parteimitglieder hatten in Voraussicht des Verbots bereits Ende 1997 die Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) gegründet. In den Wahlen 1998 wurde die FP mit 15,4% nur drittstärkste Partei und verlor im Vergleich 202 zur RP Stimmen an kurdisch- und türkisch-nationalistische Parteien. Wie ihre Vorgängerparteien war auch die FP bei Menschen mit unter203 durchschnittlichem Bildungsniveau am erfolgreichsten. Im Bezug auf die Wirtschaft wandte sich die FP verstärkt Unternehmerpositionen zu. Der Staat sollte einige soziale Aufgaben übernehmen, sich prinzipiell jedoch aus der Wirtschaft heraushalten, damit diese durch Wettbewerb und Privatisierungen ihre Dynamik entfalten könne. Den möglichen Beitritt zur EU unterstützte die FP in erster Linie aus wirtschaftspolitischen Überlegungen. Durch den Konflikt mit kemalistischen Eliten sensibilisiert, trat die FP sehr viel zurückhaltender auf als ihre Vorgängerin. Gesellschaftliche Werte wurden nicht mehr aus dem Islam, sondern aus der Tradition heraus begründet. Auch die Aufhebung des Säkularismusgebots war keine Forderung mehr. Der Wunsch nach Ausbau religiöser Freiheiten wurde 204 innerhalb des Menschenrechtsdiskurses formuliert. Dass Religion für Wähler und Mitglieder der Partei allerdings unvermindert einen hohen Stellenwert hatte, zeigt folgende Umfrage: 32,9% der FP Wähler waren dafür, religiösen Themen in der Öffentlichkeit mehr Gewicht einzuräumen. In den anderen Parteien waren durchschnittlich weniger als 20% 201 Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 457. 202 Vgl. Güneş-Ayata / Ayata (2002), S. 148-49. 203 Nur 2% der FP-Wähler waren Universitätsabsolventen, etwa 20% von ihnen hatten keine abgeschlossene Schulbildung. Vgl. Yeşilada (2002), S. 74.

204 Vgl. Öniş (10.02.09). 75

205

dieser Auffassung. Der Wandel in der Schwerpunktsetzung hin zu Menschenrechten, Pluralismus und Demokratie erklärt sich durch das Verbot der RP 1998. Die Mitglieder hatten erkannt, dass eine offen islamistische Partei, besonders als Teil der Regierung, durch das Zentrum nicht toleriert wurde. Die Parteiführung distanzierte sich daher von einer ideologischen Ausrichtung ihrer Politik. Ähnlich wie später die AKP präsentierte sich auch die FP als Vertreterin des Volkswillens und der gesellschaftlichen Mitte. Als ihr wichtigstes Charakteristikum nannte die Partei ihr uneingeschränktes Bekenntnis zur Demokratie. Der damalige Parteivorsitzende Recai Kutan definierte die politische Haltung der FP auf einem Parteikongress in İzmit im Juni 1998 folgendermaßen: “They ask, are you left, right, mid-left, mid-right? These are artificial differentiations. […] We want democracy and we are 206 exactly in the middle of democracy.” Trotz dieser Selbstcharakterisierung wurde die FP im Juni 2001 gerichtlich verboten. Ihr wurde vorgeworfen, ein Zentrum anti-säkularer Akti207 vitäten zu sein und inhaltlich die Politik der RP fortzuführen.

4.2.5 Modernisierer und Traditionalisten Beim Vergleich von FP und AKP fallen inhaltliche Überschneidungen auf. Daher stellt sich die Frage, inwieweit durch die Gründung der AKP tatsächlich ein inhaltlicher Bruch stattgefunden hat. Die geläufige Darstellung ist, innerhalb der FP hätten Spannungen zwischen der Gruppe der „Modernisierer“ (Yenilikçiler) und der „Traditionalisten“ (Gelenekçiler) bestanden. Als „Modernisierer“ wird die Gruppe um die Gründungs208 mitglieder der AKP wie Erdoǧan, Gül und Arınç bezeichnet. Mit „Traditionalisten“ wird die Gruppe um den damaligen Parteivorsitzenden Kutan sowie um Erbakan, der wegen seines Politikverbots nur 205 206 207 208 76

Vgl. Esmer (2002), S. 102. Zitiert nach: White (2002), S. 155. Vgl. Yeşilada (2002), S. 62. Vgl. Öniş (10.02.09).

aus dem Hintergrund agieren konnte, bezeichnet. Die Traditionalisten gründeten im Juli 2001, kurz vor dem Verbot der FP die Saadet Partisi 209 (SP, Glückseligkeitspartei). Den Parteivorsitz hat zur Zeit Numan Kurtuluş inne, Erbakan nimmt im Hintergrund aber weiterhin großen Einfluss auf die Parteipolitik. Die SP tritt aggressiver auf, lehnt eine Westannäherung ab und stellt, stärker als die FP, den Islam ins Zentrum ihrer 210 Politik. Dieses Programm scheint die Wähler nicht zu überzeugen, die 211 Wahlergebnisse der SP bewegen sich seit ihrer Gründung bei 2%. Dass die SP bislang nicht verboten wurde, offenbart eine gewisse Doppelmoral des Zentrums: nicht eine islamistischen Partei an sich, sondern allein eine islamistische Partei mit politischem Einfluss wird als verfassungsfeindlich eingeschätzt. Die Bezeichnung als „Traditionalisten“ und „Modernisierer“ suggeriert große inhaltliche Unterschiede. Tatsächlich sind diese gering. Beide Parteien gingen aus der FP hervor, der Grund für die Spaltung war nicht nur inhaltlich, sondern auch machtpolitisch motiviert. Erdoǧan hatte als Bürgermeister Istanbuls (1994‒1998) in weiten Kreisen Ansehen erlangt. Er und Gül waren in der Bevölkerung außerordentlich beliebt und forderten mehr Einfluss in der Partei, wurden aber durch Erbakan blockiert. Bereits 1999 hatten die „Modernisierer“ sehr viel bessere Umfragewerte 212 als die Mitglieder der „Traditionalisten“. Im Mai 2000 bewarb sich Gül mit der Unterstützung einer überwiegenden Mehrheit der FP-Mitglieder für den Parteivorsitz. Dennoch setze Erbakan seinen Kandidaten Kutan durch, um weiterhin die Partei aus dem Hintergrund zu lenken. Darauf209 Vgl. Öniş (10.02.09). 210 Vgl. Safi (2005), S. 194. 211 Vgl. Tröndle, Dirk, KAS-Auslandsinformationen, „Die türkische Parteiendemokratie“, http://www.kas. De /wf/doc/kas_11374-544-1-30.pdf, 12.11.09.

212 63,8% der Befragten waren für Erdoǧan als Parteivorsitzenden, 12,4% für Gül, 12,4% für Arınç, nur 6,4% für Erbakan, bzw. 1,3% für andere (diese Gruppe schließt den Parteivorsitzenden Kutan ein). Vgl. Aydın, Ertan / Dalmış, İbrahim, “The Social Bases of the Justice and Development Party”, in: Cizre, Ümit (Hg.), Secular and Islamic Politics in Turkey, The Making of the Justice and Development Party, London 2008, S. 201-223, S. 202. 77

hin spaltete sich die Gruppe der Modernisierer von der FP ab und gründete mit der AKP ihre eigene Partei. Eine vor der Gründung der AKP durchgeführte Befragung ergab, dass 30% der Wähler für eine von Erdoǧan geleitete Partei stimmen würden. Die Befragung ergab auch, dass diese Werte noch erhöht werden könnten, würde die Partei aus der FP 213 hervorgehen. Mit der Gründung der AKP wurde also viel mehr ein personeller als ein inhaltlicher Bruch vollzogen. Daher besteht eine engere inhaltliche Verbindung zu islamistischen Parteien als die Selbstdarstellung der Partei vermittelt. Dies zeigt sich auch darin, dass ein großer Teil der AKP-Wähler (68%) in der Parlamentswahl 2002 ehemalige FP214 Wähler waren. Akdoǧan, der Verfasser des Buches zur Identität der Partei, bestätigt, dass Führungskader und Mitglieder der AKP ihr politisches Engagement überwiegend in islamistischen Parteien begonnen hätten. Er betonte jedoch, diese seien bereits innerhalb der islamistischen „Vorgängerparteien“ für Demokratisierung und Menschenrechte einge215 treten. Damit hätten sie darauf reagiert, dass islamistische Parteien sich politisch und gesellschaftlich selbst marginalisiert hätten. Die AKP hingegen würde sich nicht abgrenzen, dem Volk keine Ideologie vorschreiben sowie ethnische und religiöse Merkmale nicht zur politischen 216 Mobilisierung verwenden. Akdoǧan erklärte, zudem könne der innere Wandlungsprozess der AKP am besten am politischen Verhalten der Po217 litiker, die aus islamistischen Parteien stammten, abgelesen werden. Der Wandlungsprozess sei noch nicht abgeschlossen, da von niemandem erwartet werden könne, von einem Tag auf den anderen sein politisches

213 Vgl. Aydın / Dalmış (2008), S. 202. 214 Vgl. Daǧı, İhsan D., “The Justice and Development Party: Identity, Politics, and Human Rights Discourses in the Search for Security and Legitimacy”, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 88-107, S. 94. 215 Vgl. Akdoǧan (2004), S. 104. 216 a.a.O., S. 19 Nr.4 217 a.a.O., S. 105. 78

218

Profil zu ändern. In ihrer Interpretation und Darstellung der Spaltung der FP in SP und AKP berücksichtigt die AKP die machtpolitische Komponente nicht. Vielmehr forciert die Partei eine bestimmte Lesart ihrer Entstehung, die damit auch Auskunft über ihre gegenwärtige Identität geben soll.

4.3

Die Türkei als Modell für die Islamische Welt ?

Einige westliche Politiker und Autoren verstehen die AKP als Mittler zwischen Orient und Okzident sowie als Modell für die Vereinbarkeit 219 von Islam und Demokratie. Verlockend an dieser Idee ist, dass eine Partei mit islamistischen Wurzeln den Westen nicht ablehnt, sondern vielmehr eine Annäherung an Europa und die USA verfolgt. Damit scheint die AKP Huntingtons These eines „clash of civilizations“ zu widersprechen und darüber hinaus Modellcharakter für andere islamische 220 221 Länder zu haben. Die Partei teilt diese Einschätzung. Die Vorteile einer solchen Einschätzung liegen auf der Hand: eine größere strategische Bedeutung der Türkei für die EU, eine stärkere regionale Rolle und die Legitimation des politischen Konzepts im Bezug auf innenpolitische Kritiker. Dabei machen schon formale Voraussetzungen einen solchen Vergleich schwierig. Die Türkei hat keine Kolonialisierungserfahrung und damit eine andere Ausgangsposition im Verhältnis zum Westen als die meisten islamisch geprägten Länder. Zudem ist die Türkei wirtschaftlich besser entwickelt, die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind vergleichsweise gering. Daraus ergibt sich, dass die Mehrheit türkischer 218 ibid. 219 Vertreter dieser Gruppe sind u.a. große Teile des Rot-Grünen Lagers in Deutschland und der US-Präsident Barack Obama. 220 Samuel P. Huntington stellte 1993 die These auf, zukünftige Konflikte zwischen Staaten würden nicht von ideologischen, politischen, geographischen oder finanziellen Faktoren geprägt sein, sondern von der Zugehörigkeit zum Kulturkreis. 221 Vgl. Erdoǧan (2006), S. 334 sowie (2004), Anhang S. 23. 79

Bürger radikale politische Positionen ablehnt und stärker an einer stabilen Wirtschaft interessiert ist. Islamistische Parteien in anderen Staaten sind überwiegend in der Opposition und befinden sich unter staatlicher Beobachtung bzw. werden staatlich verfolgt. Während in der Türkei ein, wenn auch leicht defizitäres, demokratisches System besteht, kann davon in Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit häufig nur nominell gesprochen werden. Es darf stark angezweifelt werden, inwieweit autokratisch regierende Staatsführer bereit sind, sich die AKP zum Vorbild zu nehmen. Auch auf inhaltlicher Ebene ergeben sich zahlreiche Unterschiede. So lässt sich in der Türkei eine weniger klare Trennung zwischen konservativen und islamistischen Parteien ziehen. Beide zielen auf eine ähnliche Wählergruppe – überwiegend Angehörige der Peripherie – ab und zeigen inhaltliche Überschneidungen in Bezug auf ihre politischen Programme. Damit steht die AKP in Konkurrenz zu den rechten Parteien der Türkei, was zu einer stärker kompromissbereiten Politikform führt. Erst die Moderierung der Positionen ehemals islamistischer Parteien macht die AKP zu einem möglichen Vorbild. Zentral für diese Wandlung ist der Druck, der durch das Zentrum, besonders durch Militär und Justiz, aufgebaut wurde. Traumatisches Erlebnis war in diesem Hinblick die Schließung der Refah Partisi 1998. Ihr Schicksal hat deutlich gemacht, dass selbst eine Regierungspartei den Kräften des Zentrums wenig entgegenzusetzen hatte. Das permanente „Korrektiv“ des Zentrums brachte türkische Islamisten dazu, ihre Positionen immer weiter zu modifizieren und dem „politisch Machbaren“ anzupassen. Unterstützt wird diese Wandlung durch die EU. Über den positiven Anreiz eines möglichen EU-Beitritts können den Wählern schwierige politische Positionen und Reformen vermittelt werden. Der islamischen Welt steht ein solcher „EU-Anker“ allerdings nicht zur Verfügung. Im Rahmen einer ausführlicheren Untersuchung wäre es sinnvoll, die „intellektuellen Wurzeln“ islamistischer Parteien in der Türkei genauer zu klären, da sich auch im Bezug darauf eine Differenz zu Parteien in der islamischen Welt ergibt. Islamistische Parteien in der Türkei standen 80

überwiegend unter dem Einfluss religiöser Bruderschaften, in erster Linie der Nakşibendi, aber auch der Nurcu Gemeinschaft. In der Mehrzahl der Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit sind islamistische Parteien durch den orthodoxen Glauben geprägt und lehnen Bruderschaften häufig sogar ab. Die sich daraus ergebenden abweichenden Programme und Positionen können im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher verfolgt werden. Ebenso sollte angemerkt werden, dass das Konzept der Nation sich in der Türkei stark von dem vieler islamischer Staaten unterscheidet. Naturgemäß sind der AKP pan-arabische Gedanken fremd. Darüber hinaus wird der Islam in der Türkei in erster Linie als türkischer Islam empfunden. Referenzpunkt politischen Handels islamistischer Parteien ist nicht nur die Frühzeit des Islam, sondern auch das „Goldene Zeitalter“ des Osmanischen Reichs. Auch wenn dieser Ansatz im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt werden kann, sollte darauf hingewiesen werden, dass die islamistischen Parteien in der Türkei nicht so sehr an einer Gemeinschaft islamischer Staaten als vielmehr, in Orientierung an osmanischen Strukturen, an einer Führungsrolle in einer Gemeinschaft islamischer Staaten interessiert ist. Bis dementsprechende Signale vorliegen, sollte die Übertragung eines „Erfolgsmodells AKP“ auf die islamische Welt daher vorläufig nicht überschätzt werden. Auch wenn einige Parteien, wie beispielsweise die syrischen Muslimbrüder, Interesse am „Projekt AKP“ bezeugt haben und die marokkanische PJD (Parti de la Justice et du Développement, Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) Parallelen zur AKP zieht, lässt 222 sich noch nicht von einem Transfer politischer Konzepte sprechen. Die AKP kann nur dann ein Modell für die islamische Welt sein, wenn ihr innerhalb der Türkei die Aussöhnung von Staat und Religion in einer 222 Vgl. Wieland, Carsten, Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Syriens geläuterte Islamisten“, http://www.carsten-wieland.de/mediapool/74/746018/data/Middle_ East/Syriens_gelaeuterte_Islamisten_in _FAS_30.11.2003.pdf und Wegner, Eva, Der König gewinnt die Parlamentswahlen in Marokko, SWP-Aktuell 49, September 2007, http://www.swpberlin.org/common/get_document.php?asset _id=4333, beide 12.12.09. 81

Weise gelingt, der der überwiegende Teil der Gesellschaft zustimmt. Inwieweit die AKP diesen Anspruch bislang einlöst, wird im Folgenden untersucht.

4.4

Religionspolitik der AKP

Der folgende Abschnitt untersucht, wie die AKP die vorgefundene rechtliche Situation in Bezug auf religiöse Themen beurteilt und wo sie Änderungsbedarf sieht. Zunächst wird betrachtet, welche Regierungshandlungen die AKP in Bezug auf konfliktreiche Themen der türkischen Innenpolitik, wie das Kopftuchverbot, den staatlichen Religionsunterricht und die İmam-Hatip-Schulen, vorgenommen hat und wie sie diese begründet (s. Kapitel 4.4.1). Daran anschließend wird das Verhalten gegenüber religiösen Minderheiten untersucht. Die Christen stehen dabei exemplarisch für alle nichtmuslimischen Minderheiten. Die Beschäftigung mit den Aleviten ist interessant, da diese von der AKP grundsätzlich als Muslime betrachtet werden (s. Kapitel 4.4.2). Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit den generellen Vorstellungen der Partei zum Verhältnis von Religion und Politik (s. Kapitel 4.4.3).

4.4.1 Regierungshandlungen mit direktem Religionsbezug Im folgenden Kapitel werden Regierungshandlungen der AKP mit direktem Religionsbezug untersucht. Die Bereiche Kopftuchfrage, İmam-Hatip-Schulen und Religionsunterricht werden in der türkischen Öffentlichkeit höchst kontrovers diskutiert. An der Haltung zu diesen Themen lässt sich meist deutlich ablesen, wer sich als Angehöriger des Zentrums bzw. der Peripherie betrachtet und wer das staatliche Säkularismusgebot befürwortet bzw. ablehnt.

4.4.1.1 KOPFTUCH Der Kopftuchstreit in der Türkei bezieht sich auf die Frage, ob das Tragen einer Kopfbedeckung ein Symbol politischen Islams ist. Dabei wird zwischen başörtüsü und türban unterschieden. Başörtüsü bezeichnet das 82

traditionelle Kopftuch, das unter dem Kinn geknotet wird und als „Bäuerinnenkopftuch“ gilt. Der Begriff türban bezeichnet ein Kopftuch, das den Kopf eng umschließt, keinerlei Haare zeigt, mit Nadeln fixiert wird, auch Nacken und Brustbereich bedeckt und meist in Kombination mit einem bodenlangen Mantel getragen wird. Das Tragen des türban wird von den Angehörigen des Zentrums als Symbol des politischen Islams angesehen. Im Folgenden werden die Begriffe türban und Kopftuch analog verwendet. Abbildung 4: Unterschiede zwischen başörtüsü und türban

Die Dame links trägt das geknotete „Bäuerinnenkopftuch“ başörtüsü, die Dame rechts den fest fixierten türban.

Prinzipiell gilt in allen öffentlichen Einrichtungen ein Kopftuchverbot. Für öffentliche Angestellte und Beamtinnen gilt zudem, nur mit un223 bedecktem Kopf und gepflegter Frisur zur Arbeit zu erscheinen. Auch Abgeordnete dürfen nur unbedeckt im Parlament erscheinen. Eine widersprüchliche Situation ergibt sich für die Kopftuch tragenden Ehefrauen von Regierungsmitgliedern. So darf Emine Erdoǧan nicht kopftuch223 Vgl. Göztepe, Ece, „Die Kopftuchdebatte in der Türkei, Eine kritische Bestandsaufnahme für die deutsche Diskussion“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 3334/2004, S. 32-38, S. 35. 83

tragend in türkischen Staatsräumen auftreten, ihren Mann jedoch mit derselben Kopfbedeckung auf Auslandsreisen begleiten. Am heftigsten entfacht sich die Kopftuchfrage seit den 1980er Jahren im Bezug auf gläubige Studentinnen. Hatten bis dahin fast nur Angehörige des Zentrums studiert, drängten nun vermehrt auch türban tragende, durch Bildung sozial aufgestiegene Angehörige der Peripherie an die Universitäten. Salopp ausgedrückt, betrachteten die Angehörigen des Zentrums ihre Kopftuch tragende Hausangestellte nie als Problem, bedeckte Studentinnen aber schon. Das Zentrum befürchtete, die Kopftuch tragenden Frauen könnten durch Bildung neue gesellschaftliche Positionen erreichen und so zu einer Islamisierung der Gesellschaft beitragen. Damit wird deutlich, dass das Kopftuch nicht nur Symbol des politischen Islam ist, sondern auch Symbol des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs eines Teils der Peripherie. Diese gesellschaftlichen Verschiebungen bedeuten für das Zentrum eine Bedrohung seiner bislang dominierenden wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Position. Als Folge dieser Entwicklungen wurde 1984 erstmalig das Tragen des Kopftuches ausdrücklich verboten. Seitdem ist dieser Bereich durch ständig wechselnde Bestimmungen und große Rechtsunsicherheit für die betroffenen Studentinnen geprägt, da Verfassung und Gesetze rechtlich 224 wenig Greifbares hergeben. Nach zahlreichen Verboten und ihren 224 1988 wurde auf Initiative der konservativen Anavatan Partisi ein Gesetz , das absolute Kleidungsfreiheit an der Universität zum Ziel hatte, verabschiedet. Dagegen legte Staatspräsident Kenan Evren sein Veto ein, indem er argumentierte, das Gesetz würde gegen die Prinzipien Atatürks, das Säkularismusgebot und die Gleichheit der Bürger verstoßen. Daraufhin verabschiedete das Parlament ein weiteres Gesetz, dass das Tragen moderner Kleidung an den Universitäten vorschrieb, das Tragen eines Kopftuches aus religiösen Gründen jedoch erlaubte. 1989 urteilte das Verfassungsgericht, diese Ergänzung sei nicht zulässig, da sie sich gegen die Grundprinzipien des türkischen Staates richte. Die Kleiderwahl sei durch die Türkische Revolution und Atatürks Prinzipien beschränkt und falle daher nicht unter die Glaubensfreiheit. Das Gericht sah zudem in der Zulassung des Kopftuchs an Universitäten die Ausgrenzung von nicht Kopftuch tragenden Studentinnen gegeben. 1990 wurde das Gesetz durch das Parlament dahingehend geändert, dass sämtliche Kleidungsstücke erlaubt wurden, die sich gegen 84

Rücknahmen ist das Tragen des türban in Schul- und Universitätsgebäu225 den seit 1997 verboten. Das Kopftuch wurde somit nicht erst unter der AKP zu einem Politikum, sondern war schon länger Streitpunkt zwi226 schen Anhängern des Zentrums und der Peripherie. Die Kopftuchfrage hat für die AKP besondere Relevanz, da ein Großteil ihrer weiblichen Mitglieder und Wählerinnen Kopftuchträgerinnen sind. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Fall der Medizinstudentin Leyla Şahin. Sie wurde 1998 wegen Kopftuchtragens vom Gelände der Istanbul Üniversitesi verbannt und klagte daraufhin vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Zunächst hatte die AKP diese Klage im Rahmen ihres Menschenrechtsdiskurses unterstützt. Hätte der EGMR im Sinne der Klägerin entschieden, wäre es für die AKP innenpolitisch unproblematisch gewesen, in der Türkei – mit Verweis auf die europäische Rechtsprechung – eine Aufhebung des Kopftuchverbots durchzusetzen. Im Juni 2004 erklärte das Gericht jedoch, keine Menschenrechtsverletzung feststellen zu können und behielt diese Haltung kein Gesetz richteten. Damit wurde eine rechtliche Grauzone genutzt, da es ja kein Gesetz gab, dass das Kopftuchtragen an sich verbot, sondern nur Urteile des Verfassungsgerichts und des Staatsrates. 1991 hingegen urteilte das Verfassungsgericht, dass auch die Verfassung als Gesetz gelte und die neue Regelung daher nicht dahingehend interpretiert werden könne, dass das Tragen des Kopftuches an Bildungseinrichtungen erlaubt sei. Vgl. Kuru (2006), S. 147. 225 Das Militär forderte in seinem Memorandum (28. Februar 1997) von Erbakan das Erlassen eines verbindlichen Verbots für das Tragen von Kopftüchern in Bildungseinrichtungen. Dies lag bis dahin im Ermessen der Hochschulen. Vgl. Göztepe (2004), S. 34-37. 226 Das Thema Kopftuch wurde erneut im Mai 2006 zum Politikum, als ein Richter des Obersten Gerichtshofes erschossen und sechs weitere verletzt wurden. Das Gericht hatte zuvor einer Schulleiterin auf Grund ihrer Vorbildfunktion das Tragen des Kopftuchs auch außerhalb des Schulgeländes untersagt. Die AKP-Regierung hatte das Urteil kritisiert, weswegen ihr von politischen Gegnern eine Mitschuld an dem Vorfall zugesprochen wurde. Bis heute halten sich allerdings auch Gerüchte, der Täter sei vom Ergenekon-Netzwerk mit der Tat beauftragt worden, um die Regierung zu Fall zu bringen. Vgl. Spiegel-Online, „Anschlag in Ankara: Richter wegen Kopftuch-Urteil erschossen“, http://www.spiegel.de/ politik/ausland/0,1518,416710,00.html, 13.08.09. 85

auch in der Berufung bei. Erdoǧan äußerte daraufhin, das Urteil des EGMR sei wenig aussagekräftig. Staatliche Gerichte könnten diesen 227 Sachverhalt nicht entscheiden, da er ein Anliegen für die ulema sei. Diese Argumentation stellt jedoch eine Ausnahme dar, da die AKP generell das Recht auf das Tragen des Kopftuchs aus der Glaubensfreiheit begründet. Die Berücksichtigung der Grundrechte und -freiheiten sei das Fundament der Demokratie und der Grundstock sozialen Frie228 dens. Gerade der Erziehungsbereich müsse im Einklang mit solchen Rechten stehen und dürfe nicht zu einem ideologischen Schlachtfeld ge229 macht werden. Darüber hinaus habe jede Frau das Recht, sich so zu kleiden, wie sie wünsche. So äußerte sich Erdoǧan: “The right to education cannot be restricted because of what a 230 girl wears.” Ganz ähnlich äußerte er sich 2007 in einem Spiegel-Interview, in dem er sagte, dass niemand, der sich als demokratisch bezeichnet, den Frauen das Recht auf Bildung wegen ihres verhüllten Kopfes verweigern könne. “I think that anyone who calls himself a democrat thinks that a person cannot be denied a university education simply be231 cause that person wears a headscarf.” Hier wird deutlich, dass die AKP die Durchsetzung religiöser Freiheiten innerhalb des weiteren Rahmens „Demokratisierung und Menschenrechte“ behandelt und ihre Forderungen nicht aus dem Islam begründet. Die 227 Vgl. Hürriyet, “Erdoǧan: Türbanda söz hakkı ulemanındır“, http://hurarsiv. hurriyet.com.tr/goster/ haber.aspx?id=3527074&tarih=2005-11-16, 02.11.09.

228 Vgl. Parteiprogramm (2007), 2.1 Fundamental Rights and Freedoms. 229 Vgl. Parteiprogramm (2007), 5.2 Education. 230 Vgl. Turkish Press, “Turkish PM, president push for abolition of headscarf ban”, http://www.turkishpress.com/nw.asp?s=i&i=070919120911.g2htf1 w0&t=Turkish %20PM,%20-president%20push%20for%20abolition%20of%20headscarf%20ban, 29.01.09. 231 Vgl. Spiegel Online, Interview mit Erdoǧan (10.6.08). 86

AKP hat im Bezug auf das Kopftuchverbot in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit Werten wie Demokratie und Menschenrechten argumentiert. Es scheint jedoch, als hätte sie diesen Weg weniger aus tiefer Überzeugung als im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel gewählt. Ein zweiter Argumentationsstrang der AKP betont, dass das Kopftuch für die betroffenen Frauen eine Möglichkeit darstellt, ihren gesellschaftlichen Bewegungsradius zu erweitern. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Frauen erst durch das Tragen des Kopftuchs in die Lage gebracht werden, berufstätig zu sein oder sich gesellschaftlich zu enga232 gieren. Das Kopftuch wird für die Frauen zum „Emanzipationsvehikel“, da es ihnen ermöglicht, am öffentlichen Leben teilzunehmen und sich trotzdem in einem als „geschützt“ verstandenen Bereich zu bewegen. Auch Gül versteht das Kopftuch-Verbot als Bildungshindernis für Mädchen und Frauen, das ihre Partizipation am öffentlichen Leben einschränke. Er argumentiert, dass es für die Frauen besser sei, ihren Kopf zu verhüllen und zur Universität zu gehen, als unverhüllt zu Hause zu 233 bleiben. Auch das Parteiprogramm äußert sich dementsprechend, indem gefordert wird, sämtliche Bildungshindernisse für Mädchen abzu234 schaffen. Diese Argumentation bezieht sich auf die Benachteiligung, die gläubige Frauen – im Gegensatz zu gläubigen Männern – erfahren. Durch das Kopftuchverbot werden allein die Frauen benachteiligt, Männer, deren Glaubenseinstellung von außen weniger bestimmbar ist, unterliegen nicht denselben Einschränkungen. Für sie ist daher die Absolvierung ihrer schulischen und universitären Ausbildung sehr viel unkomplizierter. Die AKP ist eine Partei, die überproportional vom Kopftuchverbot betroffen ist, da die meisten der weiblichen Mitglieder und Wählerinnen sowie die weiblichen Verwandten von Regierungs- und Parteimitgliedern und Wählern Kopftuch tragen. Dass sie für fast sechs Jahre keine Gesetzesinitiative in diese Richtung vorgelegt hat, lässt sich mit der Be232 Vgl. Göle, Nilüfer, Musulmanes et Modernes, Paris 1993, S. 102 ff. und 113. 233 Vgl. Turkish Press (29.01.09). 234 Vgl. Parteiprogramm (2007), 5.7 Women. 87

fürchtung eines Parteiverbots erklären. Erst Anfang 2008, als die AKP durch den Wahlerfolg 2007 ihren politischen Kurs bestätigt sah, erließ sie eine Regelung, die allen Studenten, die ihr Studium aus den verschiedensten Gründen nach dem 29. Juni 2000 nicht beendet hatten, die Rück235 kehr an die Universität ermöglichte. Dieses Gesetz zielte auf ehemalige Studentinnen ab, die wegen Kopftuchtragens von der Universität verwiesen worden waren. Die Betroffenen profitierten durch diese Regelung, da die AKP im Februar 2008 eine Verfassungsänderung zur Locke236 rung des Kopftuchverbots durchsetzte. Diese gemeinsam mit der nationalistischen MHP verabschiedete Verfassungsänderung erlaubte an der Universität das Tragen des Kopftuchs. Davon ausgeschlossen blieb jedoch ein streng das Gesicht abschließender türban sowie der Ganzkör237 perschleier (çarşaf). Die AKP berief sich darauf, dass Kopftücher bis 1982 in öffentlichen Einrichtungen erlaubt gewesen waren, und dass die Türkei das einzige Land sei, das erwachsenen Studentinnen das Kopf238 tuchtragen verbiete. Da kein ausdrückliches Verbot bestünde, müsste, so der Umkehrschluss der AKP, das Kopftuch an Universitäten erlaubt 239 sein. Allerdings widersetzten sich viele zentrumsnahe Rektoren dieser 240 Regelung, und die Oppositionspartei CHP reichte Verfassungsklage ein. 235 Das Gesetz betraf ca. 270.000 wegen Kopftuchtragens ausgeschlossene Studentinnen, insgesamt betraf die Regelung 677.000 Studenten. Vgl. Tepe (2006), S. 125.

236 411 der 550 Parlamentarier stimmten für die Verfassungsänderung. Die AKP

237

238 239 240

88

setzte diese Änderung mit Hilfe der ultranationalistischen MHP durch. Vgl. Spiegel Online, „Kopftuchstreit in der Türkei“, http://www.spiegel.de/ unispiegel/studium/0,1518,53 5011,00.html, 22.03.09. Geändert wurden Artikel 10 („Gleichheit vor dem Gesetz“) und Artikel 42 („Recht und Pflicht zu Erziehung und Bildung“). Vgl. Spiegel Online, „Türkisches Verfassungsgericht hebt Erdogans Kopftuch-Reform auf“, http://www. spiegel.de/politik/ausland/0,1518,557956,00.html 22.03.09 Vgl. Strittmatter, Kai, „Studieren mit bedeckten Köpfen“, Süddeutsche Zeitung, 20.09.07, Printausgabe. Vgl. Rumpf, Christian, „Kopftuch“, http://www.tuerkei-recht.de/KopftuchUrteil.pdf., 12.09.09. Vgl. Strittmatter, Kai, „Wir sind noch nicht emanzipiert“, Süddeutsche Zeitung, 03.03.08, Printausgabe.

Im Juni 2008 wurde die Gesetzesänderung durch das Verfassungsgericht in Ankara für ungültig erklärt (9:2 Stimmen), da es das Prinzip der Tren241 nung von Religion und Staat verletze. Das Recht auf Ausübung der Religionsfreiheit sei durch öffentliche Interessen, namentlich das Säkula242 rismusgebot, beschränkt. Die Entscheidung des Gerichts wurde nicht nur von der AKP, sondern auch von weiten Teilen der Öffentlichkeit als 243 zunehmende Politisierung der Judikative stark kritisiert. Im Frühjahr und Sommer 2008 prüfte das Verfassungsgericht einen Antrag zum Verbot der AKP. Die Anklage nahm vor allem die Aufhebung des Kopftuchverbots zum Anlass, der AKP „anti-säkulares Verhalten“ vorzuwerfen. Dies bestätigt die Einschätzung der Partei, dass es sich bei der Kopftuchfrage um ein sehr sensibles Thema handele und macht ihre Zurückhaltung in diesem Bereich verständlich. Abschließend lässt sich feststellen, dass die Kopftuchfrage, obwohl sie in erster Linie Frauen in ihrer Lebensführung betrifft und einschränkt, in der türkischen Politik traditionell von Männern diskutiert und entschieden wird. Sie ist zudem einer der Kernkonflikte in der ideologischen Auseinandersetzung von Zentrum und Peripherie – ein Zustand, der vor allem zu Lasten der Frauen geht. Diese Praxis, die Kopftuchfrage nicht mit, sondern „über die Köpfe der Frauen hinweg“ zu entscheiden, wird von der AKP fortgesetzt. Gibt es zur Kopftuchfrage spezifische Positionen weiblicher AKP-Mitglieder, so dringen diese zumindest nicht an die Öffentlichkeit. Dabei wären verschiedene Möglichkeiten ge241 Vgl. Spiegel Online (22.03.09). 242 Mit diesem Urteil hat das Verfassungsgericht keine einfache Gesetzesvorschrift sondern eine Verfassungsänderung für ungültig erklärt. Zwar darf das Verfassungsgericht nur solche Änderungen für nichtig erklären, die formell unrechtmäßig sind, es argumentierte aber, dass auch Änderungen, die an „den Grundfesten der Verfassungsordnung rütteln“, als Formfehler zu betrachten seien. Vgl. Seufert, Günter, Qantara.de, „Verfassungsreform in der Türkei“, http://de. qantara.de/webcom/show_article.php?wc _c =468 &wc_id=884, 24.01.08 und Rumpf (12.09.09). 243 Vgl. Süddeutsche Zeitung, Kopftuch als Waffe, http://www.sueddeutsche.de/ politik/tuerkei-kopftuch-als-waffe-1.527758-2, (12.01.10). 89

geben, den Frauen, etwa durch die Einrichtung eines Ausschusses, Gehör zu verschaffen.

4.4.1.2 İMAM-HATİP-SCHULEN Zwischen 1946 und 1950 wurden in einigen Provinzstädten zehnmonatige İmam-Hatip-Kurse eingerichtet. Sie bildeten zu Predigern und Vorbetern aus. Nach dem Wahlsieg der Demokrat Partisi 1950 wurden auch İmam-Hatip-Mittelschulen und Gymnasien eröffnet. Diese sind koedukative staatliche Schulen und unterrichten neben Arabisch sowie Koran244 und Islamkunde das Curriculum der normalen Schulen. Im Anschluss daran kann an ein Yüksek İslam Enstitüsü (Hohes Islam-Institut) oder zum Theologiestudium an die Universität gewechselt werden. Als sich in den 1980er Jahren der Staat immer stärker aus sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aufgaben zurückzog, nahmen vor allem religiöse Gruppen die Möglichkeit wahr, sich stärker im Umfeld von İmam-Hatip-Schulen zu engagieren. Stiftungen und Bruderschaften, aber auch Privatpersonen, stellten dem Staat Baugrundstücke zur Verfügung, bauten Studentenwohnheime, finanzierten Computerräume oder einen Schulausbau. In erster Linie schickten Angehörige der Peripherie ihre Kinder in die in Provinzstädten gelegenen İmam-Hatip-Schulen. Die Eltern überzeugte, dass die Schüler dort in den Wohnheimen und wäh245 rend ihrer Freizeit durch religiöse Netzwerke betreut wurden. Relativ kleine Klassen und gute Lernbedingungen brachten den İmam-HatipSchulen den Beinamen „Privatschule des kleinen Mannes“ ein und führ246 ten zu guten Ergebnissen in der Universitätseingangsprüfung. Mit einem İmam-Hatip-Abschluss konnte jedes Fach an der Universität studiert werden. Dadurch gelangten zahlreiche Angehörige der Peripherie in wirtschaftliche, juristische oder technische Berufe. Auch viele AKPPolitiker sind İmam-Hatip-Absolventen. Ein Beispiel dafür ist Erdoǧan, 244 Vgl. Spuler-Stegemann (2005), S. 238. 245 Vgl. Agai (2004), S. 61, 84 und 105. 246 a.a.O., S. 105. 90

der nach seinem İmam-Hatip-Abschluss an der Marmara Universität (Istanbul) Wirtschaftswissenschaften studierte. Nach dem Verbot der Refah Partisi 1998 versuchte das Zentrum, den erstarkenden Einfluss der Peripherie auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zurückzudrängen. In diesem Rahmen wurde die Grundschulzeit von fünf auf acht Jahre angehoben. So sollte der frühestmögliche Eintritt in İmam-Hatip-Schulen nach hinten verlegt und jüngere Schüler vor religiöser Beeinflussung geschützt werden. Zudem wurde das System der Universitätszulassung geändert: İmam-Hatip-Schüler bekommen seitdem in der Eingangsprüfung so viele „Strafpunkte“ abgezogen, dass ih247 nen nur das Theologiestudium offen steht. Als Folge wurde diese Schulform für viele Eltern unattraktiv und die Schülerzahlen sanken 248 stark ab. AKP-Führung, Mitglieder und Wähler haben im Rahmen ihrer eigenen „Elitenbildung“ ein ganz erhebliches Interesse daran, die Schulen wieder aufzuwerten und ihren Absolventen ein Universitätsstudium zu ermöglichen. Die AKP möchte daher die Situation von vor 1997 wiederherstellen. Sie argumentiert, die Ungleichheiten im Bildungsbereich müssten beseitigt werden, die aktuelle Situation würde den ideologischen Kampf zwischen verschiedenen Kräften in der Türkei widerspie249 geln. Damit sei der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt. Zudem soll innerhalb der achtjährigen Schulpflicht der Wechsel in andere Schulformen ermöglicht werden, um schon vor der Beendigung der 8. 250 Klasse den Besuch der İmam-Hatip-Schule zu ermöglichen. Das Parteiprogramm fordert die Gleichstellung aller Berufsfachschulen, also auch der İmam-Hatip-Absolventen, mit den Gymnasien, um den Uni251 versitätszugang für alle Fächer zu erreichen. Im Mai 2004 legte die

247 Vgl. Kuru (2006), S. 150-151. 248 So gab es 1997 noch 511.502 Schüler, 2003 jedoch nur noch 64.534. Vgl. Kuru (2006), S. 151.

249 Vgl. Parteiprogramm (2007), 5.2 Education. 250 Vgl. Parteiprogramm (2007), 5.2 Education 251 ibid. 91

252

AKP dem Parlament einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Gegen dessen Verabschiedung legte der damalige zentrumsnahe Staatsprä253 sident Sezer jedoch sein Veto ein. Erdoǧan wäre es als Premierminister möglich gewesen, dass Gesetz erneut dem Parlament zur Entscheidung vorzulegen, um es auch gegen das Veto des Präsidenten zu verabschieden. Er entschied sich jedoch dagegen und zog stattdessen die Eltern von İmam-Hatip-Schülern zur Verantwortung, indem er ihnen vorwarf, sich in der Öffentlichkeit nicht ausreichend für das Thema eingesetzt zu ha254 ben. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass sich die AKP im Zweifelsfall für ein konfliktvermeidendes Verhalten entscheidet. Betrachtet man die Wichtigkeit der İmam-Hatip-Schulen für die Klientel der AKP, erstaunt die Zurückhaltung. Vergleichbar mit der Kopftuchfrage vermied die AKP es auch, sich in diesem Thema mit Islambezug auffallend zu engagieren, um ein Parteiverbot zu vermeiden.

4.4.1.3 RELIGIONSUNTERRICHT Der 1982 als Din Kültürü ve Ahlak Bilgisi (Religiöse Kultur- und Sittenlehre) eingerichtete Unterricht ist de facto ein Religionsunterricht, der 255 auf den sunnitischen Islam zugeschnitten ist. Ein reiner Ethikunterricht wird nicht angeboten. Obwohl es – zumindest den christlichen und jüdischen Schülern – theoretisch möglich ist, sich vom Religionsunterricht befreien zu lassen, scheuen Minderheiten häufig die öffentliche Stigmatisierung ihres Kindes. Die AKP visiert keine Einrichtung eines Ethikunterrichts an und setzt auch den Wunsch alevitischer Eltern nach einer generellen Freistel252 Vgl. The New York Times, “Mosque and State in Turkey”, http://www.nytimes. com/2004/06/06/opinion/mosque-and-state-in-turkey.html, 19.08.2009.

253 Vgl. Duran, Burhanettin, “The Justice and Development Party’s ‘new politics’, Steering toward Conservative Democracy, a revised Islamic Agenda or Management of New Crises?”, in: Cizre, Ümit (Hg.), Secular and Islamic Politics in Turkey, The Making of the Justice and Development Party, New York 2008, S. 80107, S. 90. 254 Vgl. Tepe (2006), S. 127. 255 Vgl. Karakaş (2007), S. 18. 92

lung ihrer Kinder vom Religionsunterricht nicht um. Die Regierung plant vielmehr, im Rahmen einer Verfassungsänderung zusätzlichen fakultativen Islamunterricht einzuführen, da der Staat sich dem elterlichen 256 Wunsch nach mehr Religionsunterricht nicht entgegenstellen dürfe. Sie begründet dies mit dem Säkularismusgebot, das sie als staatliche Neutralität gegenüber religiösen Belangen verstehen möchte. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, inwieweit im kleinstädtischen und ländlichen Milieu die Freiheit der Eltern, auf „optionalen Religionsunterricht“ zu verzichten, überhaupt gegeben ist. Vor allem aber wird im Bezug auf den Religionsunterricht deutlich, dass die AKP mit dem Begriff Religionsfreiheit in erster Linie die Stärkung des sunnitischen Islams und nicht dieVerbesserung der religiösen Freiheiten an sich verbindet.

4.4.2 Auseinandersetzung mit religiösen Minderheiten Die Türkei ist ein Vielvölkerstaat mit arabischen, armenischen, griechischen, bosnischen, kasachischen, kurdischen, lasischen, tscherkessischen, turkmenischen und zazaischen Minderheiten. Darüber hinaus bestehen auch zahlreiche religiöse Minderheiten. Allerdings genießt nur ein Bruchteil dieser Gruppen einen rechtlichen Minderheitenstatus. Grundsätzlich werden Minderheitenrechte aus dem Lausanner Vertrag von 1923 abgeleitet. Wichtig ist zu betonen, dass nicht alle aus dem Vertrag zugestandenen Rechte durch den türkischen Staat in der Praxis auch umgesetzt werden. Geleitet wurde und wird der Staat bei seinem Umgang mit Minderheiten von der Idee eines ethnisch, religiös und sprachlich einheitlichen Staatsvolks. Dabei lässt er sich bei der Entwicklung 257 der nationalen Identität von der religiösen Zugehörigkeit leiten. Die256 Vgl. Parteiprogramm (2007), 5.2 Education 257 Der Lausanner Vertrag bildete die Grundlage für den Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland. In seiner Folge wurden über 1,2 Mio. griechische Christen und ca. 400.000 griechische Muslime umgesiedelt. Davon ausgeschlossen war nur die griechische Bevölkerung Istanbuls. Der Bevölkerungsaustausch kann als Bestrebung der Türkei gewertet werden, ein religiös einheitliches Staatsvolk zu schaffen. Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 406. 93

ses Konzept spiegelt sich auch in der offiziellen Minderheitendefinition wieder, die religiösen Minderheiten wie armenischen und griechischen 258 Christen und Juden einen Minderheitenstatus einräumt. Selbst seit über 500 Jahren auf dem Gebiet der Türkei ansässigen jüdischen Bevöl259 kerungsgruppen wie den Sepharden wurde der Minderheitenstatus zugesprochen. Der Minderheitenstatus begründet für die Gemeinschaften das Recht zum Betreiben ihrer kultischen, schulischen und sozialen Institutionen. Daneben werden ihnen die öffentliche und private Ausübung ihrer Religion, die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie den muslimischen Türken und ein Selbstverwaltungsrecht im Bezug auf Personenund Familienrecht zugestanden. Dennoch haben die Gemeinden bis heute keine Rechtspersönlichkeit und können sich nur in Form einer Stiftung organisieren. Sie kämpfen daher weiterhin mit zahlreichen Schwierigkeiten – so ist es ihnen nicht möglich, Verträge zu unterzeichnen oder 260 Konten zu eröffnen. Dass nur türkische Staatsbürger als Geistliche tätig sein dürfen, ist für die meist schrumpfenden Gemeinden ebenfalls 261 problematisch. Häufig sind sie zudem gesellschaftlicher Diskriminie258 Dabei erhielten jedoch nicht alle christlichen Gemeinschaften Minderheitenstatus, besonders im ostanatolischen Raum angesiedelte Gemeinschaften wie beispielsweise Syrer und Nestorianer werden nicht erfasst. Auch in jüngerer Zeit entstandene Gemeinden, wie beispielsweise protestantische Konvertitengemeinden, genießen keinen Minderheitenstatus. Vgl. Duncker, Anne, „Christliche Minderheiten in der Türkei“, http://www.igfm.de/Christliche-Minderheiten-inder-Tuerkei.570.0.html, 24.09.09. 259 Der Begriff Sepharden bezeichnet die zwischen dem Ende des 14. Jahrhunderts und der Mitte des 16. Jahrhunderts aus Spanien geflohenen Juden. Ein Großteil von ihnen siedelte sich auf dem Gebiet der heutigen Türkei und im Maghreb an. 260 Vgl. Kreiser / Neumann (2006), S. 466 f. 261 Zur Zeit der Republikgründung lebten in der Türkei 300.000 Armenier (heute: 60.000), 125.000 Griechen (heute: 2000), 80.000 Juden (heute: 17.000) sowie 200.000 Syrisch-Orthodoxe (heute: 4500). Vgl. Seufert, Günter, Bundeszentrale für politische Bildung, „Religiöse Minderheiten in der Türkei“, http://www. bpb.de/publikationen/OCE2XO,4,0,Religi%F6se_Minderheiten_in_der_ T%FCrkei.html#art4, 18.07.09. 94

rung und Verfolgung ausgesetzt, wenn sie sich aktiv für kulturelle oder politische Rechte ihrer Gruppe engagieren, wie das tragische Beispiel des 262 Armeniers Hrant Dink zeigt. Die Aleviten, die größte religiöse Minderheit der Türkei, bekam keinen Minderheitenstatus zugesprochen, sondern wurde als den sunnitischen Muslimen zugehörig betrachtet. Kapitel 4.4.2.2 setzt sich detaillierter mit der Zuordnung der Aleviten und daraus resultierenden Schwierigkeiten auseinander. Ethnische und sprachliche Minderheiten wie Kurden und aus dem Balkan oder anderen Gebieten zugewanderte (teilweise türkischstämmige) Muslime erhielten keinen Minderheitenstatus. Sie wurden einer staatlichen Assimilierungspolitik unterworfen, die die Entwicklung eines einheitlichen Staatsvolkes zum Ziel hatte.

4.4.2.1 CHRISTEN Der Anstieg des Nationalismus in den letzten Jahren hat das Klima für 263 christliche Minderheiten verschlechtert. Zudem kam es vermehrt zu – 264 auch tödlich endenden – Angriffen auf Christen. Selbstverständlich 262 Hrant Dink (geb. 1954) wurde 2007 in Istanbul vor dem Verlagshaus der Zeitschrift „Agos“ erschossen. Als deren Chefredakteur versuchte er, auf den Völkermord an den Armeniern 1915 aufmerksam zu machen und das türkische und armenische Volk zur Versöhnung aufzurufen. Bevor er von einem nationalistischen Extremisten erschossen wurde, war er bereits einige Male wegen angeblicher Verleumdung des Türkentums (Art. 301) verurteilt worden. Vgl. Hrant, Dink, Der Stern, „Letztes Interview mit Hrant Dink: Die Angst begleitet mich täglich“, http://www.stern.de/politik/ausland/2-letztes-interview-mit- hrantdink-die-angst-begleitet-mich-taeglich-580795.html, 03.02.09. 263 Verantwortlich dafür sind neben der allgemein nationalistischen Stimmung auch aufheizende Filme und Serien, wie der in Deutschland verbotene Film „Kurtlar Vadisi“ (Tal der Wölfe), der Christen und Kurden als moralisch verdorbene Feinde der Türkei darstellt. 264 So wurden im Februar 2006 der katholische Priester Andrea Santoro in Trabzon und im April 2007 drei Mitarbeitern eines christlichen Verlages in Malatya ermordet. Letztes Opfer wurde im Juli 2009 ein in Istanbul erstochener Deutscher. Kirchen, christliche Einrichtungen, Verlage oder Gläubige sind immer wieder Ziel von Angriffen oder Beschädigung (z.B. Angriff auf die christliche Buchhandlung in Adana im Februar 2009). Vgl. Musharbash, Yassin, Spiegel Online, 95

steht die AKP als Regierungspartei in keinem Zusammenhang mit Übergriffen von Einzelpersonen. Sie muss sich jedoch fragen lassen, ob sie engagiert genug gegen ein solches gesellschaftliches Klima vorgegangen ist. Vielmehr scheint es, als unterstütze die AKP ein minderheitenfeindliches Weltbild, wie die folgenden Beispiele unterstreichen. Im April 2003 forderte der damalige AKP-Erziehungsminister Hüseyin Çelik die türkischen Schüler zu einem Aufsatzwettbewerb über die „Völkermordlüge an den Armeniern“ auf. Die unter seiner Ägide neu aufgelegten Schulbücher bezeichneten zudem nicht-muslimische Gruppen als „Spione und 265 Verräter“. Damit vertrat auch die AKP eine in nationalistischen Kreisen der Türkei gängige Position gegenüber der christlichen Minderheit. Christen werden in diesem Ansatz nicht als „Landsleute anderen Glaubens“, sondern als „Helfer“ ausländischer, feindlicher Mächte und „potentielle Verräter“ dargestellt. Diese Einstellung scheint sich im Bezug auf Konvertiten zu bestätigen: Im Februar 2009 genehmigte der Justizminister der AKP, Mehmet Ali Şahin, ein Verfahren auf Grundlage des Artikels 301 gegen Hakan Taştan und Turan Topal. Den beiden zum Christentum Konvertierten wurde „Beleidigung der Türkischen Nation“ sowie 266 abwertende Äußerung zum Islam und Militärdienst vorgeworfen. In letzter Zeit scheint sich jedoch eine Wende abzuzeichnen. Die AKP bemüht sich darum, mit den Vertretern religiöser Minderheiten Gespräche zu führen. Die Minderheiten sind erfreut, dass ihre Existenz öffentlich gewürdigt wird und ihnen von Seiten der Regierung eine Verbesserung ihrer Situation zugesagt wurde. Allerdings kann bislangmit Ausnahme des Stiftungsgesetzes von Februar 2008 – nicht von nennenswerten Reformen gesprochen werden. Dessen Verabschiedung stellte eine Verbesserung des Rechtsstatus christlicher und jüdischer Minder„Christenmord in der Türkei: Tilman war kein aggressiver Missionar“, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,478343,00.html, 08.09.09. 265 Vgl. Hofmann, Tessa, Gesellschaft für bedrohte Völker, „Christliche Minderheiten in der Türkei“, http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=146, 02.08.09. 266 Vgl. Amnesty International, „Länderbericht Türkei“, Mai 2009, http://www. amnesty.de/kurzinfo/2009/5/laenderbericht-tuerkei, 13.06.09. 96

heiten dar, da es die Rückgabe des seit den 1970er Jahren enteigneten Besitzes regelt. Allerdings klärt es Fragen wie die Rechtsstellung nichtsunnitischer Religionsgemeinschaften sowie die Ausbildung ihrer Geist267 lichen nicht. Auch wird das Gesetz durch die dazugehörigen Durchführungsbestimmungen in seiner Verwirklichung eingeschränkt. So wartet die griechisch-orthodoxe Gemeinde noch immer auf die versprochene Wiedereröffnung ihres Priesterseminars auf der Insel Chalki, auf die Anerkennung ihres Patriarchen als ökumenischem Patriarchen, die Rückgabe eines enteigneten Waisenhauses und das Recht auf Immobilienbe268 sitz. Insgesamt wird die AKP von den Minderheiten im Vergleich mit 269 dem Zentrum jedoch als das „kleinere Übel“ beschrieben. Sie loben die prinzipielle Anerkennung ihrer religiösen Minderheitenidentität, auch wenn sich diese noch nicht in strukturellen Verbesserungen niedergeschlagen hat. Positiv muss auch angemerkt werden, dass mit Karun Kovan in der Kommunalwahl im März 2009 erstmals ein Armenier, also ein 270 Angehöriger der christlichen Minderheit, als AKP-Kandidat antrat. Diese Entscheidung der Partei steht eventuell in Zusammenhang mit der geopolitischen Annäherung an Armenien. Bei der Anerkennung christlicher und jüdischer Minderheiten zieht die AKP Parallelen zur Neuinterpretation des „millet-Systems“ des Os271 manischen Reiches durch die Refah Partisi. Vereinfacht dargestellt waren die religiösen Minderheiten zu dieser Zeit nicht „gleich“ den mus267 Vgl. Söyler, Mehtap, „Der demokratische Reformprozess in der Türkei“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 39-40/2009, S. 3-8, S. 8.

268 Vgl. Evangelische Kirche Deutschland, „Erdogan geht auf Christen zu“, http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2009_08_17_3_erdogan_christen_ tuerkei.html, 12.11.09. 269 Vgl. Oehring, Otmar, Die Welt, „Interview mit Otmar Oehring, Erdogan und die AKP sind das kleinere Übel“, http://www.welt.de/welt_print/article1040519/ Erdogan_und_die_AKP_sind_das_kleinere_Uebel. html, 12.11.09. 270 Vgl. Steinvorth, Daniel, Spiegel Online, „Minderheiten streben aus der Isolation“, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,614581,00.html, 13.07.09. 271 Der Begriff millet-System bezeichnet die rechtliche Regelung des Status der nichtmuslimischen Minderheiten im Osmanischen Reich. 97

limischen Bürgern, sondern verfügten über ihre eigenen Sonderregeln und die Möglichkeit der Selbstverwaltung in Bezug auf Recht, Religion 272 und Bildung.

4.4.2.2 ALEVITEN Die Entstehung des Alevitentums ist auf keine Offenbarung zurückzuführen, sondern durch eine Verbindung verschiedener Elemente ge273 prägt. Bezüglich der Frage, ob das Alevitentum eine eigene Religion oder eine Strömung innerhalb des Islam darstellt, besteht sowohl in der 274 Literatur als auch in den alevitischen Gemeinden selbst Unklarheit. Unterschiede bestehen im Bezug auf das Gebet, das in cemevleri (Gemeinschaftshäusern) und nicht in Moscheen stattfindet. Weitere Differenzen ergeben sich aus der Ablehnung der Verschleierung der Frau und dem Nicht-Beachten der fünf Säulen des Islams. Jedoch besteht durch ihre besondere Verehrung des vierten Kalifen Ali eine gewisse Nähe 275 zum schiitischen Islam. Ca. 15% der türkischen Bevölkerung sind Ale272 Vgl. Seufert, Günter, „Minderheiten in der Türkei“, http://www.bundestag.de/dasparlament/2008/26/ Beilage/004.html, 03.03.09.

273 Gümüş macht dafür a) die Religionen der nach Anatolien eingewanderten zentralasiatischen Turkmenen, b) schiitischen Einfluss und c) den Bektaşi-Orden verantwortlich. Vgl. Gümüş, Burak, Türkische Aleviten. Vom Osmanischen Reich bis zur heutigen Türkei, Konstanz 2001, S. 25-34. 274 Zwischen Aleviten und sunnitischen und schiitischen Muslimen bestehen signifikante Unterschiede. So richten sich Aleviten nicht nach den „Fünf Säulen des Islams“. Sie beten nicht fünfmal am Tag, richten ihr Gebet nicht nach Mekka aus, pilgern nicht nach Mekka und fasten nicht im Ramadan. Die Aleviten sehen die šarīʿa für sich als nicht verbindlich an. Andererseits bestehen, besonders mit den Schiiten, Gemeinsamkeiten. Die Mehrheit der Aleviten ist zudem der Meinung, das Alevitentum gehöre zum Islam bzw. sei aus diesem entstanden. Andere Stimmen lehnen jedoch jegliche Nähe zum Islam ab oder betrachten das Alevitentum als „originären Islam“, Sunniten- und Schiitentum hingegen als „Verfälschungen“. Vgl. Sökefeld, Martin (Hg.), Aleviten in Deutschland, Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in der Diaspora, Bielefeld 2008, S. 17-19 und 201-204, sowie Gümüş (2001) S. 41 ff. 275 Vgl. Spuler-Stegemann (2005), S. 244 f. 98

viten und gehören sowohl der türkischen als auch der kurdischen und 276 arabischen Ethnie an. Aleviten waren wegen ihrer Andersartigkeit immer wieder Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt und werden in der Türkei nicht of277 fiziell als Religionsgemeinschaft anerkannt. Aleviten werden als Muslime betrachtet, die Differenzen zum sunnitischen Islam werden nicht 278 beachtet. Dahinter steht die Furcht, eine Anerkennung des Alevitentums als Religionsgemeinschaft würde die Einheit der Nation in Frage stellen. Findet eine Anerkennung statt, dann allein als kulturelle, nicht als religiöse Gemeinschaft. Erst seit November 2002 ist es ihnen unter dem Einfluss der EU-Reformen möglich, sich selbst als „alevitisch“ zu 279 bezeichnen. Ihre Gemeindehäuser werden dennoch nach wie vor als „Kulturzentren“ und nicht als Orte religiöser Handlungen eingestuft. Die Aleviten wurden als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, um zu erfahren, wie die AKP mit einer durch die türkische Öffentlichkeit grundsätzlich als muslimisch definierten Minderheit umgeht. Es lässt sich beobachten, dass die AKP prinzipiell versucht, das Thema Alevitentum zu vermeiden. Es taucht im Parteiprogramm nicht, in öffentlichen Äußerungen nur sehr selten auf. Die Parteivertreter sind zu Gesprächen mit den Spitzen alevitischer Organisationen nicht bereit. Entgegen den Forderungen der EU und alevitischer Organisationen hat die AKP die Anerkennung der Aleviten als eigenständige Religionsgemeinschaft bislang verweigert. Sie lehnt es zudem ab, die alevitischen Cemevleri (Gemeinschafts- und Gebetshäuser) als Religionsstätten zu bezeichnen. So befand Erdoğan 2005, cemevleri seien nur Kulturzentren, die einzige reli-

276 a.a.O. S. 229. 277 So wurden in den 1970er Jahren alevitische Stadtteile in Malatya und Maraş zerstört, 1993 starben 36 Aleviten bei einem Anschlag auf ein Hotel in Sivas, 1995 wurden 23 bei einer Demonstration in Istanbul erschossen. Vgl. Karakaş (2007), S. 5. 278 Vgl. Sökefeld (2008), S. 15. 279 Vgl. Seufert / Kubaseck (2004), S. 141-145. 99

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giöse Stätte für alle Muslime sei die Moschee. Bei einem Deutschlandbesuch vor einigen Jahren von Vertretern der alevitischen Gemeinde auf die Benachteiligung von cemevleri gegenüber sunnitischen Moscheen angesprochen, entgegnete Erdoğan: „Sie beziehen sich auf inner-türkische Fragen. Jeder Alevit, den ich treffe, sagt: Wir sind Muslime. Das Gebetshaus der Muslime ist die Moschee. Das Alevitentum ist keine Religion. […] Wenn wir diese Entscheidung machen würden, warum sollten wir die Türkei spalten. Das eine ist ein Gebetshaus, das andere ist ein Kulturhaus. Cem-Häuser können nicht dieselbe Unterstützung bekommen wie Moscheen. […] Sie sind auch ein 281 Muslim, Sie sollten auch in die Moschee gehen.“ 2004 verkündete er, wenn Alevitentum die Verehrung Alis bedeute, so 282 wäre er selbst der größte Alevit. Die AKP lehnt es darüber hinaus ab, Aleviten in den Rat der Diyanet zu integrieren oder alevitische Kinder 283 vom Religionsunterricht freizustellen. Damit zeigt sich, dass die AKP der Anerkennung der Aleviten als eigene Religionsgemeinschaft – vergleichbar den Juden oder Christen – ablehnend gegenüber steht. Durch die aufgeführten Zitate wird deutlich, dass die AKP die Aleviten grundsätzlich als Muslime betrachtet. Das Alevitentum sei nicht mit dem Islam vergleichbar, da es, so die AKP, keine Religion, sondern nur eine Kultur darstelle. Damit geht eine Verweigerung ihrer politischen und rechtlichen Anerkennung und Gleichstellung einher. Die alevitische Forderung nach Anerkennung als eigene Religionsgemeinschaft betrachtet 280 Vgl. Radikal, “Cemevi sosyal tesismiş”, http://www.radikal.com.tr/haber.php? haberno=151383, 12.08.09.

281 Vgl. Sökefeld (2008), S. 213. 282 Vgl. Radikal, „Başbakan: Ben daha Aleviyim“, http://www.radikal.com.tr/ haber.php?haberno=130534, 12.08.09.

283 Vgl. Usul, Ali Resul, “The Justice and Development Party and the European Union, From Euro-Skepticism to Euro-Enthusiasm and Euro-Fatigue”, in: Cizre, Ümit (Hg.), Secular and Islamic Politics in Turkey, The Making of the Justice and Development Party, London 2008, S. 175-199, S. 188. 100

die AKP daher als eine Falsch-Einschätzung der eigenen (religiösen) Situation. Aus Gesprächen mit Aleviten ergibt sich, dass es seit dem Regierungsantritt der AKP für die Betroffenen unangenehmer geworden ist, sich öffentlich als Alevit zu bezeichnen. Dies trifft nur bedingt für Istanbul, stark jedoch für kleinere Städte zu. Diese Einschätzung wird durch die 2008 erschienene Studie der türkischen Politikwissenschaftlerin Binnaz Toprak „Türkiye’de farklı olmak“ (frei übersetzt: „Anders-Sein in der Türkei“) bestätigt. Sie berichtet von zahlreichen Bürgermeistern, die den 284 Aleviten nicht erlauben, ein cemevi zu eröffnen. Toprak stellte zudem fest, dass Aleviten sich verstärkt Ablehnung und Anfeindungen aus der Gesellschaft ausgesetzt sehen. In der Öffentlichkeit, im Arbeitsleben oder in der Schule ziehen viele Aleviten vor, ihre Glaubensausrichtung zu verbergen. Besonders für das ländliche Milieu und Kleinstädte berichtet Toprak von Händlern und Handwerkern, die angeben, ihre Läden zur Zeit des Freitagsgebets zu schließen oder zum Gebet zu erscheinen. Sie versuchen so, ihre Kunden nicht merken zu lassen, dass sie keine Sunniten sind. Die Position der AKP widerspricht dem von ihr geführten Diskurs der Religionsfreiheit. Es wird erneut deutlich, dass die Partei mit Religionsfreiheit keine allgemeine Religionsfreiheit für alle religiösen Gemeinschaften, sondern die Stärkung des sunnitischen Islams verfolgt. Es wird deutlich, dass die Regierungstätigkeit der AKP nicht zu mehr Glaubensfreiheit für alle religiösen Gruppen geführt hat, sondern allein zu einer Stärkung des sunnitischen Islam. Darunter leiden vor allem die Aleviten als größte religiöse Minderheit. Mit der Alevitenfrage befindet sich die AKP in einer schwierigen Situation und es wird spannend sein zu beobachten, wie sie in Zukunft damit umgeht. Einerseits drängt die EU auf eine Verbesserung der Rechtssituation der Aleviten. Ein Konflikt mit der EU kann das Scheitern der Beitrittsverhandlungen zur Folge haben. Andererseits lehnt ein Großteil 284 Vgl. Toprak, Binnaz, “Türkiye’de farklı olmak, Din ve Muhafazakarlık Ekseninde Ötekileştirilenler”, http://www.docstoc.com/docs/3284017/, 14.11.09. 101

der AKP-Wähler die Anerkennung der alevitischen Minderheit ab. Mit der Anerkennung ihres Minderheitenstatus würde die Partei zudem riskieren, Wähler an die ultranationalistische Milli Hareket Partisi (MHP, Partei der Nationalistischen Bewegung) zu verlieren. Ganz abgesehen von diesen äußeren Faktoren ist zu fragen, ob die AKP-Führung eine Anerkennung der Aleviten mit dem eigenen Glauben vereinbaren kann.

4.4.3 Das Verhältnis von Staat und Religion Die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion ist eines der zentralen Themen der türkischen Innenpolitik, zu dem sich auch die AKP immer wieder äußert. Entgegen den Vorwürfen ihrer Kritiker finden sich keinerlei Belege dafür, dass die AKP die Einführung der şeriat und die Etablierung einer islamischen Republik verfolgt. Allerdings finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass die AKP eine Veränderung des aktuellen Verhältnisses von Staat und Religion anstrebt. Als erste Aussage lässt sich festhalten, dass die Argumentation der Parteiführung zum Verhältnis von Religion und Staat teilweise widersprüchlich ist und von Kontext und Zeitpunkt der Entstehung abhängt. Die Partei bekennt sich in ihren Äußerungen zum staatlichen Säkularismusgebot. Auf die Kritik des Zentrums, dieses als gläubige Muslime nicht glaubhaft vertreten zu können, entgegnete Erdoǧan Anfang 2008 285 „Menschen können nicht laizistisch sein, nur der Staat ist laizistisch“. Mit dieser Aussage wollte er deutlich machen, dass es möglich sei, als Privatperson gläubiger Muslim, als Ministerpräsident jedoch säkular zu sein. Die strikte Teilung der Identität zwischen einer Privatperson und einer öffentlichen Person, die Erdoǧan beschreibt, ist allerdings auf praktischer Ebene im säkularen, konfliktreichen System der Türkei problematisch. Auch Akdoǧan widerspricht mit seiner Argumentation Erdoǧans Ansatz. Er betont, wie stark der Glaube nicht nur das tägliche Handeln der Menschen, sondern auch ihr Wahlverhalten beeinflussen würde. Die Zu285 Vgl.Yeni Şafak, “Erdoǧan: Kişiler laik olmaz”, http://yenisafak.com.tr/Politika/ Default.aspx?t=26.01. 2008&c=2&area=5&i=95786, 08.10.09. 102

gehörigkeit zu einer Glaubensrichtung und die Häufigkeit des Gebets seien damit wichtigere Faktoren für das Wahlverhalten als der wirt286 schaftliche oder soziale Status der Wähler. Im Bezug auf die türkische Innenpolitik stünde es in Übereinstimmung mit anerkannten soziologischen Prinzipien, Religion als Faktor bei der Entstehung gesellschaftli287 cher Identitäten zu betrachten. Akdoǧan argumentiert, jedes Handeln und damit auch die Politik der AKP sei indirekt durch den Islam beeinflusst. Dies ließe sich nicht vermeiden, da der sunnitische Islam in überragender Weise identitätsstiftendes Merkmal sei. Diesen bezeichnet er als das Fundament der Türkei, deren Geschichte, Kultur und Tradition 288 seien ohne ihn nicht denkbar. Daher fordert er, dass religiöse Werte offiziell mehr Einfluss auf Politik und Gesellschaft haben sollten. Die AKP würde unter den gegebenen Umständen versuchen, dies über die Verschmelzung konservativer Kultur mit religiösen Werten zu gewähr289 leisten. Das folgende Zitat unterstreicht, dass die AKP keinen Islamismus als politische Ideologie, sondern Muslimisch-Sein als private und politische Identität verfolgt. “In the political arena, Islam as a way of life has unavoidably become synonymous with Islam as an ideological identity. The JDP`s goal is to transform cultural values in such a way that religion as a political identity is acceptable, rather than to 290 simply reduce religion to an ideology.” Akdoǧan macht in einem weiteren Argumentationsstrang den Grad der Demokratisierung in der Türkei von der Möglichkeit abhängig, sich als 291 islamistische Partei zu bezeichnen. Erst wenn diese realisiert sei, wäre auch der Vorwurf gegen die AKP, in erster Linie islamistisch und nur in 286 287 288 289 290 291

Vgl. Akdoǧan (2004), S. 116. a.a.O., S. 85. a.a.O., S. 85. a.a.O., S. 106 und 110. Vgl. Akdoǧan (2006), S. 62. a.a.O., S. 112. 103

292

zweiter Linie demokratisch zu sein, ausgeräumt. Diese Aussage bringt die Frage auf, inwieweit die Selbstbezeichnung als konservativ eine im Hinblick auf Außenstehende gewählte Bezeichnung ist. Auffallend ist, dass die AKP keine Durchsetzung einer stärker religiös geprägten Ordnung fordert, sondern diese mit dem Begriff der „Demokratisierung“ in einen weiten, von westlichen Konzepten bestimmten Kontext stellt. Das vom Zentrum unterstützte Argument der Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie bezeichnet die AKP als künstlich. Vielmehr behauptet sie, auch islamische Werte könnten eine demokratische Gesell293 schaftsform hervorbringen. Islam und Demokratie würden über ein „stark übereinstimmendes Gesinnungs- und Gedankenklima“ verfügen, da beide „Rasse, Nation, Reichtum, Armut oder Klassenzugehörigkeit 294 der Menschen keine Bedeutung“ zumessen würden. Auch lehne der Islam, genau wie die Demokratie, die „Herrschaft eines Menschen über 295 andere“ ab. Allerdings bleibt unklar, wer „der Islam“ ist und durch wen er politisch vertreten wird. Der Islam wird somit als Beispiel für eine gerechte Gesellschaftsordnung genannt. Hier zeigen sich starke Parallelen zum adil düzen-Konzept, das bereits in den 1990er Jahren durch Erbakans Refah Partisi vertreten wurde (s. 4.2.3.). Damit hat die AKP ein zentrales Gesellschaftskonzept islamistischer Parteien übernommen. Das wirft die Frage auf, was dies für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie die Behandlung religiöser Minderheiten bedeutet. Zudem wird das demokratische Prinzip, für den Ausgleich unterschiedlicher Interessen Sorge zu tragen, außer Acht gelassen. In der Darstellung der AKP bleibt unklar, wie ein aus dem Islam hervorgegangenes System Ähnliches leisten könne. Die AKP spricht zwar von einer gleichen Zielsetzung von Islam und Demokratie, doch scheint sie sich in letzter Instanz religiösen Prinzipien verpflichtet zu fühlen. So sagt Akdoǧan: 292 293 294 295 104

Vgl. Akdoǧan (2006), S. 58. Vgl. Akdoǧan (2004), S. 81. ibid. ibid.

„Autorität kann allein von einer über dem Menschen stehenden Sache oder Person, das heißt in der letzten Analyse nur 296 von Gott kommen“. Es ist unklar, wie das Bekenntnis zur Demokratie, in der die Macht vom Volk kommt, und das Verständnis von Gott als höchster Autorität miteinander vereinbar sind. Die Aussage stellt auch die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz. Es bleibt unklar, ob es in der Vorstellung der AKP eventuell Bereiche gibt, die nicht durch das Parlament, sondern durch Rechtsgelehrte entschieden werden sollten. Die obigen Zitate legen insgesamt die Vermutung nahe, dass die AKP eine stärker auf religiösen Normen und Werten beruhende Politik verfolgen würde, wenn die politischen Umstände dies zulassen würden. Im Bezug auf das Säkularismusgebot lässt sich Vergleichbares feststellen. Die AKP bezeichnet dieses in ihrem Parteiprogramm als eine 297 notwendige Bedingung für Demokratie. Die genauere Untersuchung zeigt aber, dass die AKP den Begriff Säkularismus (in der Türkei als layiklik bezeichnet) anders versteht als die offizielle Definition. Den staatlichen Säkularismus interpretiert sie als Feindseligkeit gegenüber 298 dem Islam. Die AKP plädiert dafür, das Prinzip des Säkularismus nicht 299 prinzipiell in Frage zu stellen, es jedoch neu zu definieren. In ihrer Interpretation steht Säkularismus für die Garantie von Religionsfreiheit, 300 was sie als staatliche Neutralität gegenüber der Religion versteht. Dies bedeutet als Folge die Aufhebung des Kopftuchverbots und mehr öffentliche Präsenz des Islams. Mit dieser Säkularismusdefinition bewegt sich die AKP vordergründig in Richtung des amerikanischen Modells (s. Kapitel 2.1). Ein Widerspruch ergibt sich daraus, dass die AKP einerseits 296 297 298 299

Vgl. Akdoǧan (2004), S. 40. Vgl. Parteiprogramm (2007), I. Introduction. Vgl. Akdoǧan (2004), S. 79f. Vgl. Seibert, Thomas, Tagesspiegel, „Wir müssen den Laizismus neu definieren“, http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/art141,1886506, 20.03.09. 300 Vgl. Akdoǧan (2004), S. 79 f. und S. 117. 105

eine Ausweitung der Religionsfreiheit fordert, andererseits aber an der Institution des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) fest301 halten möchte. Wie bereits gezeigt werden konnte, steht Diyanet nicht für Religionsfreiheit, sondern für die Dominanz des sunnitischen Islam. Zudem plant die AKP, Diyanet durch Reformen mehr Rechte zuzugestehen. So soll diese in eine selbstverwaltete Behörde umgewandelt wer302 den, die nicht mehr dem Premierminister untersteht. Der Präsident der Diyanet solle dann von den ulema, den Religionsgelehrten und nicht mehr vom Staat eingesetzt werden. Allerdings soll Diyanet weiterhin staatlich gefördert werden und ein unverändertes Aufgabengebiet haben. Damit verfolgt die AKP einen anderen Ansatz als den amerikanischen; statt mehr Religionsfreiheit für alle Glaubensgemeinschaften bzw. die Gleichgültigkeit des Staates gegenüber religiösen Belangen geht es ihr um die Stärkung des sunnitischen Islams. Dadurch benachteiligt sie alle nicht-sunnitischen Glaubensgemeinschaften in der Türkei. Eine Folge dessen ist die Zunahme des mahalle baskısı, der im Bezug auf Kleidung oder die Beziehung der Geschlechter zueinander angestiegen ist. Der Begriff mahalle baskısı bezeichnet die gegenseitige gesellschaftliche Kontrolle, die besonders stark bei nachbarschaftlichen Bezie303 hungen entsteht. Besonders während des Fastenmonats ramazan lässt sich in einigen Gegenden in den letzten Jahren eine Verschärfung sozia304 ler Kontrolle feststellen. Dabei ist eines bemerkenswert: Anders als in 301 Vgl. Kuru (2006), S. 143. 302 Vgl. Karakaş (2007), S. 34. 303 So wird das Tragen eines T-Shirts inzwischen in einigen Istanbuler Vierteln als zu freizügig betrachtet. Toprak berichtet von einem Bewohner eines Mietshauses, der von der Polizei aufgefordert wurde, keine kurzen Hosen mehr zu tragen, weil sich seine Nachbarinnen dadurch belästigt gefühlt hatten. Ebenso werden vermehrt Männer mit langen Haaren oder Ohrringen auf der Straße als „Schwächlinge“ bezeichnet und angegriffen. Vgl. Toprak (14.11.2009), S. 20 u. 22. 304 Von Händlern und Restaurantbesitzern wird verlangt, ihr Geschäft während des Tages zu schließen. Geschäfte, die sich nicht daran hielten, wurden teilweise zerstört. Personen, die auf der Straße aßen, tranken oder rauchten, wurden vielfach angegriffen. a.a.O. S. 40. 106

den großen Städten wurde „Anderslebenden“ in Kleinstädten und auf dem Land nie viel Toleranz entgegengebracht. Nun finden sich durch die starke Binnenmigration seit einigen Jahrzehnten konservative Lebensstile vermehrt auch in größeren Städten wie Istanbul, Ankara, Antalya oder Izmir. Das Nebeneinander verschiedener Lebensstile ist damit schwieriger geworden. Seit dem Regierungsantritt der AKP haben sich solche Tendenzen verstärkt. Durch den Gesellschafts- und Religionsdiskurs der Partei sehen sich die konservativen Kräfte in ihrer Einstellung bestätigt und durch die Regierung unterstützt. Allerdings ist für diese Entwicklung nicht allein die AKP, sondern auch die ultranationalistische MHP verantwortlich, die einen nationalistischen, autoritäts- und religionsbezogenen Lebensstil gesellschaftsfähig macht.

4.4.4 Die AKP als „türkische Christdemokraten“? In deutschen Medien wird von der AKP gelegentlich als dem türkischen 305 Äquivalent der CDU gesprochen. Die Bezeichnung der AKP als „türkische Christdemokraten“ ist zunächst naheliegend, da sich die Partei um die Aufnahme in den Bund der „European’s People’s Parties“ beworben 306 hat, die die christdemokratischen Parteien Europas vernetzt. Darüber hinaus lobt die AKP, im Westen würde es positiv aufgenommen werden, wenn sich eine Partei als christlich bezeichnet. Dort hätten gläubige Menschen, anders als in der Türkei, keine Schwierigkeiten, sich politisch 307 zu betätigen. Auch inhaltlich fallen Gemeinsamkeiten auf. Sowohl 305 Vgl. Großbongart, Anette / Zand, Bernhard, Spiegel Online, „Türkei, Drama mit vertauschten Rollen“, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-51449025.html, 03.08.09, Lerch, Wolfgang Günter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Aufstieg der AKP, Ein langer Weg mit vielen Hindernissen, http://www.faz.net/s/ Rub DDBDAB B9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~EE91D694CE98347C5 A9872CA2D4FB1 9B3~ ATpl ~Ecommon~Scontent.html, 12.06.10 sowie Akdoǧan (2004), S. 114. 306 Vgl. Hale, William, Christian Democracy and the JDP: Parallels and Contrasts, in: Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 66-87, S. 66 f. 307 Vgl. Spiegel Online, Interview mit Erdoǧan (10.6.08). 107

christdemokratische Parteien als auch die AKP befürworten den Beitritt (bzw. die Mitgliedschaft) zu Organisationen wie EU und NATO. Beide weisen eine besondere Sensibilität für religiöse Themen wie beispielsweise den schulischen Religionsunterricht auf. Im Zentrum der Parteiprogramme stehen konservative Werte wie Religion, Familie, Autorität und Moral. Zudem bestehen Ähnlichkeiten in der Wählerstruktur. Andererseits ist ein Vergleich zwischen der AKP und europäischen christdemokratischen Parteien immer pauschalisierend. Auch lehnt die Partei die Bezeichnung als türkisches Pendant der 308 CDU kategorisch ab. Der Islam sei frei von jedem Makel, wohingegen eine politische Partei Fehler machen könne. Würde sich die AKP in irgendeiner Weise als islamistische Partei bezeichnen, würden ihre Fehl309 handlungen der Religion zur Last gelegt werden. Aus diesen Gründen vermeide die AKP es, im Namen oder auf andere deutliche Weise Bezug zum Islam herzustellen. Wahrscheinlicher scheint jedoch, dass es der AKP im politischen Kontext der Türkei gar nicht möglich ist, in ihrem Namen oder auf andere Weise direkt Bezug auf den Islam zu nehmen. Bislang wurden durch die Dominanz des Zentrums von Justiz und Militär ein Großteil der islamistischen Parteien wegen Verstoßes gegen das 310 Säkularismusgebot verboten. Möchte die AKP einem solchen Schicksal entgehen, muss sie jede Referenz an den Islam vermeiden. Institutionelle Unterschiede beim Vergleich zwischen der AKP und den europäischen Christdemokraten bestehen in den unterschiedlichen Strukturen von Islam und Christentum (Einstellung zum Staat, Einfluss der Religion auf staatliche Belange, Rolle des Vatikans etc.) und der historisch anderen Entwicklung (Auseinandersetzung mit dem 2. Welt311 krieg). Die Christdemokraten haben im Laufe der Zeit ihre Positionen modifiziert, und es ist zu unterschiedlichen landestypischen Entwicklun308 Vgl. Akdoǧan (2006), S.58. 309 Vgl. Spiegel Online, Interview mit Erdoǧan (10.6.2008). 310 Die einzige Ausnahme bildet die Saadet Partisi. Da ihr Wahlerfolg bislang sehr gering ist (um 2%), wird sie vom Zentrum als ungefährlich eingeschätzt und toleriert.

311 Vgl. Hale (2006), S. 75. 108

gen gekommen. Sie sind politisch nur noch wenig einflussreich (Italien, Frankreich) oder weisen nur noch geringe Referenzen an das Christen312 tum (Deutschland) auf. Die Begriffe „wirtschaftsliberal“ oder „konservativ“ sind zur Beschreibung dieser Parteien inzwischen besser geeignet als das Adjektiv „christlich“. Christdemokratische Parteien sind sowohl kulturell als auch politisch eher am Status Quo orientiert. Die AKP ist zwar kultur-konservativ, verfolgt aber im Bezug auf den Staat weitrei313 chende Reformpläne. Daher erscheint es wenig sinnvoll, die Bezeichnungen „Muslim Democrat“ bzw. „türkische Christdemokraten“ zu verwenden. Auch wenn oberflächliche Ähnlichkeiten bestehen, verhindern diese plakativen Ausdrücke die gründliche Auseinandersetzung mit Zielen und Programm der AKP.

4.5

Zwischenfazit: Die AKP als islamistische Partei?

Im Bezug auf den Umgang der AKP mit religiösen Minderheiten kann keine eindeutige Aussage getroffen werden. Die Situation christlicher Minderheiten hat sich unter der AKP leicht verbessert, die Reform ihrer Rechtsstellung wird jedoch bislang nur schrittweise angegangen. Die Einstellung gegenüber Christen orientiert sich am millet-System des Osmanischen Reiches bzw. dessen Neuinterpretation durch die Refah Partisi. Christen unterliegen damit einem eigenen Regelungssystem und haben im Rahmen dessen Anspruch auf bestimmte Rechte und Freiheiten. Allerdings erfahren Konvertiten sowohl von der AKP als auch von großen Teilen der türkischen Gesellschaft Diskriminierung und Ausgrenzung, da sie als „Landesverräter“ wahrgenommen werden. Aleviten gelten der AKP als fehlgeleitete Sunniten, die auf den rechten Weg zurück gebracht werden müssen. Eine Anerkennung ihrer religiösen Identität findet daher durch die Partei nicht statt. Die Untersuchung islamistischer Parteien in der Türkei ergab, dass 312 a.a.O., S. 83. 313 Als Beispiel seien hierfür genannt: Verfassungsänderung, Einschränkung der Rolle des Militärs, Dezentralisierung, Aufwertung der kurdischen Identität etc. 109

sich diese, genau wie die konservativen Parteien, als legitime Vertreter der Peripherie verstehen. Auf Grund des Wählerprofils (ländliche Herkunft, unterdurchschnittlicher Bildungsstand, traditioneller, von Religion geprägter Lebensstil), ist dieser Einschätzung zuzustimmen. Vom Zentrum wurden islamistische Parteien nicht toleriert und daher verboten. Allerdings gründeten sie sich immer zügig unter anderem Namen, aber mit alten Mitgliedern und einem ähnlichen Programm neu. Auch die AKP ist personell aus islamistischen Parteien hervorgegangen, betont jedoch, eine konservative Partei zu sein. Aus zahlreichen Gründen ist diese Selbsteinschätzung zu bezweifeln. Die Spaltung der islamistischen Fazilet Partisi in AKP und Saadet Partisi war nicht nur inhaltlich, sondern auch personell motiviert. Die Veränderung inhaltlicher Positionen begann bereits in der Fazilet Partisi und nicht erst unter der AKP. Angestoßen wurde diese Veränderung durch das Parteiverbot der Refah Partisi im Jahr 1998. Es stellt für die islamistische Bewegung einen Wendepunkt dar, dass sowohl eine Regierungspartei, die den Ministerpräsidenten stellte, als auch sämtliche ihr verbundenen zivilgesellschaftlichen Gruppen verboten wurden. Seitdem lässt sich beobachten, dass islamistische Parteien weniger an der Einheit mit der islamischen Welt als vielmehr an einem EU-Beitritt interessiert sind. Als zentrale Themen ihrer Programme wurde die „gerechte Gesellschaftsordnung“ durch Werte wie Demokratie, Menschenrechte und gesellschaftlichen Pluralismus ersetzt. Wurde bislang die Errichtung eines autoritären Staates verfolgt, der eine islamische Gesellschaftsordnung von oben durchsetzen würde, forderten islamistische Parteien danach einen zurückgenommenen Staat, der sich wenig in die Belange seiner Bürger einmischt. Seit 1998 hat die Politik islamistischer Parteien in der 314 Türkei die Schaffung von “opportunity spaces” zum Ziel. Der Begriff geht auf M. Hakan Yavuz zurück und beschreibt “[…] a forum of social interaction that creates new possibilities for augmenting networks of shared meaning and associational 314 Vgl. Yavuz (2003), S. 24. 110

life. Such arenas include civic and political forums and elec315 tronic and print media and cyberspace, as well as the market.” Gemeint ist die Schaffung und Vergrößerung von „Freiräumen“, in denen sich religiöse Gruppen auf vielfältigste Weise (Bildung, Wohlfahrt, Wirtschaft, Politik) für eine stärkere Islamisierung der Gesellschaft einsetzen. Die Untersuchung der Regierungshandlungen der AKP zeigt parallele Tendenzen. Die Partei ist am Ausbau religiöser Freiheiten für ihre sunnitischen Wähler interessiert. Dabei vermeidet sie den Konflikt mit dem Zentrum bzw. zieht bei starker Opposition ihre Vorstöße zurück. Das ursprüngliche Konzept der Milli Görüş-Parteien, nämlich einer Islamisierung von oben, d.h. durch den Staat, wurde durch das Konzept einer Islamisierung von unten ersetzt. FP und SP, aber auch die AKP verfolgen somit keine „Zwangsislamisierung“ der Gesellschaft durch den Staat. Vielmehr bedingt die Schaffung von „opportunity spaces“ in Verbindung mit innergesellschaftlicher Kontrolle (mahalle baskısı) eine stärkere gesellschaftliche Hinwendung zum Islam. Die Partei wird von der Annahme geleitet, dass sie als Regierungspartei durch die Schaffung von Freiräumen erfolgreicher für die Interessen ihrer Mitglieder eintritt, als wenn sie durch einen progressiven Politikstil ihre vorzeitige Schließung riskiert. Die AKP setzt auf eine schrittweise Veränderung der Situation, indem sie Posten in Verwaltung, Justiz und im Hochschulrat besetzt. Damit unterscheidet sie sich in keiner Weise von anderen politischen Parteien in der Türkei – die Besetzung von Posten mit eigenen Anhängern ist ein weit verbreitetes und bekanntes Phänomen. Im Ansatz der AKP muss Religion nicht mehr in den (ideologischen) Mittelpunkt der Politik gestellt werden. Vielmehr nimmt sie als prägendes Element der Persönlichkeit von Wählern und Politikern sowie als Bestandteil der Nationalkultur Eingang in alle Bereiche von Politik, Kultur und Gesellschaft. Dies bestätigt die Einschätzung, der Islam brauche nicht von oben aufgezwungen zu werden, sondern es sollten vielmehr 315 ibid. 111

die Möglichkeiten geschaffen werden, dass er aus dem Volk heraus Eingang in die Politik findet. Die AKP bekennt sich zum staatlichen Säkularismusgebot. Allerdings interpretiert sie dieses, in seiner jetzigen Form, als Feindseligkeit gegenüber der Religion. Sie fordert daher, das Verhältnis von Staat und Religion grundlegend zu überdenken. Das Bekenntnis zum Säkularismusgebot ist daher der politischen Wirklichkeit in der Türkei geschuldet; es ist keiner Partei möglich, sich nicht zum Säkularimusgebot bzw. „Atatürks geistigem Erbe“ zu bekennen. Höchste Autorität jeden (politischen) Handelns ist für die AKP nicht das Volk, sondern Gott. Die AKP fordert darüber hinaus, es solle möglich sein, als islamistische Partei Teil der türkischen Demokratie zu sein. Unter den gegebenen politischen Umständen versucht sie, islamische Werte über ihren konservativen Diskurs in die Gesellschaft einfließen zu lassen. Die Partei postuliert, dass Islam und Demokratie, wenn auch auf verschiedenen Wegen, dieselbe Zielsetzung verfolgen.

112

5

Demokratisierungsdiskurs der AKP

Im folgenden Kapitel wird der Demokratisierungsdiskurs der AKP untersucht. Zentral ist dabei die Frage, wie sich die Partei mit dem Militär als einem ihrer stärksten innenpolitischen Gegner auseinandersetzt. Zunächst werden die Vorstellungen der Partei zu Demokratisierung und ihr Staatsverständnis untersucht. Anschließend wird betrachtet, inwieweit die AKP ihr Ideal der innerparteilichen Demokratie umsetzt.

5.1

Verhältnis von Militär und AKP

Das Militär spielt in der Türkei seit dem Unabhängigkeitskrieg (19181923) eine herausragende Rolle. Zwar war aktiven Militärs seit 1923 die politische Betätigung per Gesetz verboten, dennoch bildete sich in dieser Zeit das Selbstverständnis des Militärs als Hüter von Atatürks Revoluti316 on und seiner Prinzipien heraus. Das Militär versteht sich bis heute nicht nur als Verteidiger der Türkei gegenüber äußerer Bedrohung, sondern auch gegen innere Feinde. Als solche definiert es all jene, die seiner Vorstellung von der Einheit des Staates und dem laizistischen Charakter 317 der Republik entgegenstehen. Dabei ist die Einschätzung von Militär und ziviler Gesellschaft nicht immer deckungsgleich. Der Freiheit des Bürgers vor dem Staat steht die Freiheit des gesamten Staates entgegen,

316 Als Symbol der Verteidigung einer solchen Einstellung – notfalls bis zum Tod – gilt Mustafa Fehmi Kubilday. Dieser wurde 1930 als junger Offizier in Menemen (Nähe Izmir) durch Anhänger einer religiösen Gruppierung erschossen. Vgl. Franz (2003), S. 2. 317 Vgl. Hale (1994), S. 67 und Kramer (2004), S. 12. 113

318

woraus sich Interessenkonflikte ergeben können. Dabei stellt sich die Frage, wer das Recht hat, die Bedrohungssituation einzuschätzen und die darauf angemessenen Maßnahmen zu bestimmen. Diese Situation ist in der Türkei häufig Ursache von Konflikten zwischen Militär und gewählter Regierung. Kritiker des Militärs führen zudem an, dass dies an der „Aufrechterhaltung einer Bedrohungssituation“ interessiert sei, um die eigene Rolle zu legitimieren. Über seine selbst gewählte „Wächterfunktion“ hinaus greift das türkische Militär auch institutionalisiert in die Regierungspolitik ein. Dies geschieht durch das Organ des Nationalen Sicherheitsrats (Milli Güven319 lik Kurulu, MGK). In den Provinzen wird das Militär durch die Gendarmerie (Jendarma), eine paramilitärische Einheit, tätig, womit in diesen Gebieten die Gewährleistung der Sicherheit der Regierung entzogen 320 ist. Auch wenn es immer wieder Ansätze dazu gab, ist es bislang keiner türkischen Partei gelungen, den politischen Einfluss des Militärs einzudämmen. Gesellschaftlich ist das Militär stark sichtbar – Monumente, Symbole, Inszenierung im Fernsehen und Paraden zeugen davon. Angehörige des Militärs erfahren in der Bevölkerung noch immer besonderen Respekt, öffentliche Kritik des Militärs ist gesellschaftlich tabuisiert. Der obligatorische Wehrdienst ist mit aktuell fünf bis fünfzehn Monaten (abhängig 318 Vgl. Hagen, Ulrich vom (Hg.), Armee in der Demokratie, Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 9-31, S. 9.

319 Der MGK wurde 1961 durch die neue Verfassung begründet. Zwischen 1982 und 2003 tagte er monatlich. Mitglieder sind neben dem Generalstabschef, den Kommandeuren der verschiedenen Abteilungen der Streitkräfte, dem Staatspräsidenten und dem Premierminister auch der Verteidigungs- und Außenminister. Auch wenn der MGK offiziell nur beratende Funktion hatte, so war er inoffiziell in Verteidigungsfragen der Regierung gegenüber weisungsbefugt ‒ bei Nichtbeachtung drohte schließlich ein Putsch. 320 Vgl. Sezer, Esra, Bundeszentrale für politische Bildung, „Das türkische Militär und der EU-Beitritt der Türkei“, http://www.bpb.de/publikationen/ NE6V8C,1,0, Das_t%FCrkische_Milit%E4r_und_der_EUBeitritt-_der_T%FCrkei.html#art1, 12.08.09. 114

vom Bildungsgrad) relativ lang und führt zu einer engen Bindung der 321 türkischen Männer an das Militär. Das Militär versteht sich selbst als eine Institution, die dem sozialen und wirtschaftlichen Status ihrer Mitglieder und der Bürger gleichgültig gegenübersteht, sowie zur „Formung 322 des türkischen Mannes“ beitrage. Das Militär in der Türkei hat ein im weltweiten Vergleich stark überdurchschnittliches Budget. Durch seine Rentenkasse (OYAK, Ordu Yardımlaşmak Kurumu) tritt es darüber hinaus als bedeutender wirtschaft323 licher Akteur des Landes auf. Das türkische Militär spielt somit sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene eine einflussreiche Rolle, die sich staatlicher Kontrolle häufig entzieht. Die Bezeichnung der Türkei als defizitäre Demokratie liegt in diesem Umstand begründet. Mit dem Militär und der AKP stehen sich zwei politische Akteure konfliktträchtig gegenüber. Grundsätzlich lehnt die AKP, wie andere Parteien vor ihr, den politischen Einfluss des Militärs auf die Arbeit einer gewählten Regierung ab. Das Verhältnis wird durch das Memorandum des Militärs gegen die Refah Partisi zusätzlich belastet. Das vom Militär vertretene Säkularismusgebot definiert die AKP als bewusste Feindseligkeit gegenüber der Religion. Das Militär hingegen befürchtet die Errichtung einer islamischen Republik und die Einführung der şeriat durch die AKP. Es ist davon auszugehen, dass sich das Militär als Teil des Zentrums auch durch eine erstarkte Peripherie als konkurrierende Machtquelle bedroht fühlt. Nach dem Wahlsieg der AKP im November 2002 wurde daher gespannt erwartet, wie sich das Verhältnis von Partei und Militär entwi321 Vgl. Sezer (12.08.09). 322 Vgl. Hale (1994), S. 80. 323 Der Begriff OYAK bezeichnet die 1961 gegründete Rentenkasse des Militärs. Aktuell zahlen ca. 200.000 aktive Offiziere 10% ihres Solds ein. OYAK besitzt eine Bank (Oyak Bankası) und eine Holding. 2003 war sie eine der vier größten Wirtschaftsgruppen der Türkei. Vgl. Handelsblatt, „Generäle greifen nach Türk Telkom“, http://www.handelsblatt.com/politik/international/generaele-greifennach-tuerk-telekom;865634, 02.08.09. 115

ckeln würde. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die AKP in der Auseinandersetzung mit dem Militär eine zweistufige Strategie verfolgt: kurzfristig die Vermeidung eines Putsches, langfristig die Beschneidung der politischen Macht des Militärs. Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen setzte die AKP eine Reihe von Harmonisierungspaketen durch, die politische, soziale und kulturelle Reformen bedingten. Diese wiederum hatten eine Schwächung des politischen Einflusses des Militärs zur Folge. Dabei ist besonders das Harmonisierungspaket von August 2003 hervorzuheben. Der MGK wurde seiner exekutiven Kompetenzen enthoben und in ein rein beratendes Organ umgewandelt. Die Zahl der zivilen Mitglieder des MGK wurde erhöht, so dass diese nun die Mehrheit stellen. Die dem MGK untergeordneten Abteilungen wurden um fast die Hälfte reduziert, die monatlichen Tref324 fen in zweimonatige umgewandelt. Konnte bislang nur ein 4-Sterne General die Rolle des Generalsekretärs einnehmen, ist dies nun auch einem Zivilisten gestattet. Der automatische Zugriff auf die Unterlagen anderer Ministerien ist für diesen seit der Reform nicht mehr möglich. Auch hat der MGK nun nicht mehr das Recht, Mitglieder in die nationa325 len Hochschul- und Medienräte zu entsenden. In einem zweiten Reformpaket im Mai 2004 wurden die Militärabgeordneten aus dem Hohen Rat für Bildung sowie dem Medienrat abgezogen und dem Parlament mehr Einfluss auf das Militärbudget eingeräumt. Außerdem wurden die Staatssicherheitsgefängnisse abgeschafft und die Zuständigkeit der Mili326 tärgerichte über Zivilisten aufgehoben. Damit hat die AKP wichtige Einschränkungen des militärischen Einflusses auf Politik und Gesellschaft erreicht. Die Einschätzung der AKP als Kraft des Wandels und der Demokratisierung durch Anhänger der Partei und ausländische Be324 Vgl. Cizre, Ümit, “The Justice and Development Party and the Military, Recreating the Past after Reforming it?”, in: ders. (Hg.), Secular and Islamic Politics in Turkey, The Making of the Justice and Development Party, London 2008, S. 132173, S. 137 f. 325 Vgl. Kramer (2004), S. 12. 326 Vgl. Cizre (2008), S. 139 f. 116

fürworter beruht zu großen Teilen auf ihren Reformen in diesem Bereich. Beispiele für den Versuch, den militärischen Einfluss auch bei außenpolitischen Fragen einzudämmen, sind die pragmatische Zypernpolitik der AKP und die Annäherung an Armenien. Seit 2005 nahm die AKP auf Grund einer Reihe von Faktoren einen Kurswechsel vor. In diesem Jahr nahm die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf. Paradoxerweise ging mit der Erreichung dieses Etappenzieles eine Abnahme der Reformbemühungen der Regierung einher. Dies scheint mit einem Anstieg nationalistischer Stimmungen im selben Zeitraum zusammenzuhängen. Gründe hierfür sind die durch Teile der kurdischen Bevölkerung ausgelösten Unruhen in den Jahren 2005 und 2006 sowie der Irakkrieg seit 2003. Das gute Wahlergebnis der ultranationalistischen MHP (14%) in den Parlamentswahlen ist eine Konsequenz dieser Entwicklung. Ein tendenziell reformorientiertes Klima wurde abgelöst durch ein von Sicherheitsfragen dominiertes. In der Bevölkerung setzte sich mehr und mehr die Einstellung durch, dass das „Projekt EU“ nicht nur lohnende Seiten habe, sondern der Bewahrung der nationalen Kultur und ihren Werten entgegenstünde. Es ist zu vermuten, dass der „politische Instinkt“ der AKP es ihr gebot, sich der nationalistischen Stimmung im Land anzuschließen, anstatt Ursachenforschung zu betreiben und alternative Szenarien zu entwickeln. Diese Entwicklung ist in Zusammenhang mit der anstehenden Parlamentswahl (ursprünglich November 2007) zu lesen. Um ihre Wiederwahl zu gewährleisten, nahm die AKP einen nationalistischeren Kurs ein und näherte sich den Positionen des Militärs und der MHP an. Der sicherheitspolitische Diskurs der AKP wurde schärfer, zentrale Werte wie Demokratie und Pluralismus, die bislang wichtig gewesen waren, spielten nur noch eine untergeordnete Rolle. Seit mehr als zwei Jahren befinden sich Militär und AKP, ausgelöst durch die Kontroverse um die Präsidentschaftskandidatur Abdullah Güls und die vorgezogene Parlamentswahl, in einem länger dauernden Konflikt. Im April 2007 gelangte auf unklare Weise eine Nachricht auf die Webpage der türkischen Streitkräfte, die von vielen als Putschdrohung für den Fall gewertet wurde, dass Gül die Präsidentschaft gewinnen 117

327

würde. Damit trat das Verhältnis von Militär und AKP, das sich zuvor um die Etablierung eines „modus vivendi“ bemüht hatte, in eine stärker konfliktreiche Phase ein. Dies zeigt, dass eine Strategie, die nur auf Konfrontationsvermeidung angelegt war, für die AKP nicht erfolgreich sein konnte. Die AKP versuchte, in verschiedenen Bereichen die übermächtige Stellung des Militärs zu demontieren. Eine besondere Rolle spielen die 328 Ermittlungen gegen die Ergenekon Organisation und dessen Querverbindung zum Militär sowie die Ermittlung gegen den Nachrichten- und Geheimdienst des Militärs JİTEM (Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele, Nachrichtendienst und Terrorabwehr der Gendarmerie). Die AKP sah sich gezwungen, ihren halbherzigen Frieden mit dem Militär aufzugeben und sich selbst mit einem Demokratisierungs- und Zivilgesellschaftsdiskurs neu zu positionieren. Abschließend lässt sich feststellen, dass das türkische Militär einer der größten innenpolitischen Gegner der AKP in der Türkei ist. Beide beziehen unterschiedliche politische Positionen hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Religion. Die AKP versucht, durch Reformen im Hinblick auf einen möglichen EU-Beitritt sowie Ermittlungen zu Ergenekon und JİTEM eine Schwächung der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Position des Militärs zu erreichen und gleichzeitig einen Putsch zu vermeiden.

5.2

Demokratieverständnis der AKP

Die AKP bezeichnet den gegenwärtigen Zustand der Türkei, u.a. wegen der Einmischung des Militärs, als nicht demokratisch. Viele der Konflik329 te, die die Türkei belasten, hätten ihren Ursprung in diesem Zustand. Für Demokratie trifft sie folgende Definition:

327 Vgl. Senkyr, Jan, KAS-Länderbericht, „Die Stellung der Armee in der türkischen Politik und Gesellschaft“, http://www.kas.de/proj/home/pub/44/1/year-2009/ dokument_id-15420/index.html, 19.09.09. 328 Vgl. Fn. 403. 329 Vgl. Akdoǧan (2006), S. 50 ff. 118

„Demokratie ist der Name eines Regimes, welches verschiedene Ansichten gemeinsam leben lässt, mehrheitlich und freiheitlich ist. Wir als AKP legen großen Wert darauf, egal welche Identität, Herkunft oder Lebensgewohnheiten bei den Bürgern vorhanden sind, alle ihre Rechte und Freiheitsbedürfnisse 330 zu gewährleisten.“ Die AKP möchte durch ihren Demokratiediskurs die Polarisierung der Gesellschaft hinsichtlich bestimmter Konfliktfelder vermeiden. „Konservative Demokratie“ soll zur Einführung einer „pluralistischen Arena“ führen, die eine große Breite sozialer und kultureller Unterschiede bein331 haltet. Durch eine funktionierende Demokratie würden die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der Gesellschaft die Möglichkeit bekommen, sich auf friedliche Art und Weise zu artikulieren. Die Gründung der AKP im Jahr 2001 bezeichnet Erdoǧan als politischen Meilenstein für die Demokratisierung der Türkei. „Der heutige Tag wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem die Führer der Oligarchie fallen, als der Tag, an dem sich ein Verständnis von Führung durchsetzt, das an die Stelle einer sich monopolistisch orientierenden Führung die Vorstel332 lung einer kollektiven Mentalität setzt.“ Die Kritik der AKP richtet sich nicht nur gegen die politische Dominanz des Zentrums gegenüber der Peripherie, sondern auch gegen die von 333 ihm vertretene „Einheitskultur“. Der jetzige Staat sei zu groß und zu bürokratisch. Die AKP fordert einen Staat, der sich möglichst wenig in das Leben seiner Bürger einmischt und sich vielmehr als „Dienstleister“ versteht. Damit soll das bisherige Konzept der „Nation für den Staat“ durch einen „Staat für die Nation“ ersetzt werden. Diesen beschreibt die 330 331 332 333

Vgl. Fırat (2004), Anhang S. 36. Vgl. Akdoǧan (2006), S. 50 f. Vgl. Akdoǧan (2004), S. 13. Vgl. Erdoǧan (2004), Anhang S. 26 ff. 119

AKP als „functioning, small but dynamic and effective“, der „exessiven334 ess and waste in government“ vermeidet. Weitere Kritik der AKP richtet sich gegen die jetzige Verfassung. Damit befindet sie sich auf einer Linie mit dem überwiegenden Teil der Gesellschaft. Mit geringen Änderungen gilt noch immer die durch ein Referendum der Militärregierung etablierte, restriktive Verfassung von 1982. Der Einschätzung des türkische Verfassungsrechtlers Özbudun, das Ziel dieser Verfassung sei vielmehr die Stabilisierung staatlicher Autorität als 335 der Schutz der Bürger vor dem Staat gewesen, ist zuzustimmen. Unter der AKP fanden 2002, 2004, 2007 und 2008 Ergänzungen und Änderungen statt. So wurde im Oktober 2007 durch Referendum entschieden, den Präsident direkt durch das Volk sowie nicht mehr auf sieben sondern nur noch auf fünf Jahre zu wählen. Das Parlament muss sich nach vier (bis336 lang fünf) Jahren der Neuwahl stellen. Am „Grundgeist der Verfassung“ hat sich jedoch durch die bisherigen Änderungen nichts verbessert, was in der restriktiven und unveränderlichen umfassenden Präambel begründet liegt. Eine Verfassungsänderung kann erfolgen, wenn mindestens ein Drittel der Gesamtzahl der Parlamentsangehörigen dies schriftlich vorschlägt. Die Änderungsvorschläge der Verfassung werden im Plenum zweimal verhandelt. Die Annahme des Vorschlages erfolgt, wenn drei Fünftel der Gesamtzahl der Mitglieder der Nationalversammlung in geheimer Abstimmung zustimmen. Nimmt die Nationalversammlung das Gesetz mit einer Mehrheit von nur zwei Dritteln der Gesamtzahl ihrer Mitglieder an, muss der Präsident der Republik dieses Ge337 setz einer Volksabstimmung unterbreiten. 334 Vgl. Akdoǧan (2006), S. 50. 335 Vgl. Özbudun, Ergun, „Democratization Reforms in Turkey, 1993–2004“, in: Turkish Studies, Vol. 8, No. 2, Juni 2007, S. 179-196, S. 179.

336 Vgl. Uran, Peri, „Turkey’s Hasty Constitutional Amendment Devoid of Rational Basis: From a Political Crisis to a Governmental System Change“, in: Journal of Politics and Law, Vol. 3, No.1, März 2010, S.2-11, S. 2. 337 Für die Hinweise zur rechtlichen Regelung danke ich sehr herzlich Kristina Kamp-Yeni. 120

Bereits im Wahlkampf 2007 hatte die AKP eine Reform zu einem zentralen Thema gemacht. Nach dem eindeutigen Wahlsieg am 22. Juli 2007 berief Erdoǧan eine Expertenkommission unter der Leitung Özbuduns 338 ein. Dieser Entwurf war jedoch wegen Unstimmigkeiten innerhalb der AKP nie zur Abstimmung ins Parlament gelangt. Erst im Frühjahr dieses Jahres (2010) war wieder Bewegung in die Sache gekommen. Am 12. September findet nun ein Referendum zur Verfassungsreform statt. Das Datum ist historisch geprägt – es ist der 30. Jahrestag des Militärputsches durch General Kenan Evren. Zum Referendum kam es, weil die AKP bei der Abstimmung im Parlament im Mai dieses Jahres die nötige 3/5-Mehrheit für eine direkte Übernahme nicht erreichen konnte. Nachdem das Reformpaket das Parlament passiert hatte, bereiteten die Oppositionsparteien eine Verfassungsklage vor. Allerdings gab auch das Verfassungsgericht der Reform nach Änderungen statt. Die Änderungen betrafen die Vorstellungen der AKP zur Neuregelung der Anzahl und Wahl der Verfassungsrichter. Der ursprüngliche Entwurf hätte der AKP 339 umfassende Freiheiten im Bezug darauf gegeben. Die Verfassungsreform besteht aus ca. 30 Einzelartikeln. Inhaltlich bewirken diese eine Stärkung ziviler Kontrolle über das Militär, die Aufhebung der Straffreiheit für die Putsch-Generäle von 1980, eine Justizreform (Parlament und Präsident sollen einen Teil der Richter des Verfassungsgerichts bestimmen können, die Erschwerung von Parteiverboten – nur mit Zustimmung des Parlaments, d.h. gegen Regierungspartei quasi unmöglich, und nur bei Aufruf zu oder Beteiligung an Gewalttaten durch die Partei) sowie eine Stärkung der Grundrechte. Die Herabsetzung der 10%-Klausel für Parlamentswahlen, eine wichtige Forderung liberaler Kräften in der Türkei, aber auch der EU, wird jedoch nicht erfüllt. Kleinere Parteien, wie beispielsweise die kurdischen, werden von dieser Regelung benachteiligt. Sie begünstigt große Parteien, wie bei338 Vgl. Senkyr, Jan, KAS-Länderbericht, „Länderbericht Januar 2008“, http://www. kas.de/wf/doc/kas_12832-544-1-30.pdf , 12.04.08. 339 Vgl. Köhne, Gunnar, Deutschlandradio„Tauziehen um eine neue Verfassung“, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1149368/, 26.08.10. 121

spielsweise die AKP, die in der Wahl 2002 mit 34% der Stimmen 66% der Parlamentssitze gewann. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die AKP im Bezug auf den Staat Werte wie Demokratie und den Geltungsanspruch des Gesetzes in den Mittelpunkt stellt. Autoritäre und totalitäre Praktiken lehnt 340 die AKP in ihrem Diskurs ab. Zudem sollen der Einfluss des Staates auf seine Bürger reduziert, Parlament und Regierung gegenüber dem Militär aufgewertet werden. In ihrem Diskurs geht die AKP in Opposition zu typischen Phänomenen der türkischen Parteienlandschaft wie Korruption und Klientelismus. Große Aufmerksamkeit erregte in der Türkei der Fall des AKP-Abgeordneten und Mitglieds des AKP-Zentralkomitees Şaban Dişli. Er wurde im August 2008 wegen Korruption angeklagt und 341 musste seine Posten in der Partei räumen. Auch durch die Verwendung des Kürzels AK Parti versucht sie über den Begriff „ak“ (sauber, rein) moralische Integrität zu demonstrieren. Den Brauch, Mitgliedern der eigenen Partei oder Anhängern des eigenen Weltbildes einen Arbeitsplatz als Verwaltungsbeamter zu verschaffen, lehnt sie ab. Allerdings zeigte sich in der Praxis, dass auch die AKP nicht frei von den beschriebenen Phänomenen ist. Versteht die CHP beispielsweise das Trinken von Alkohol als indirektes Bekenntnis zum Säkularismusgebot, macht die AKP Kriterien wie regelmäßigen Moscheebesuch oder eine 342 Kopftuch tragende Ehefrau zum Einstellungskriterium. Damit zeigt sich, dass sich die Selbstdarstellung der AKP als moralisch integere Partei, die allein den „Dienst am Bürger“ im Sinn hat, ähnlich den anderen türkischen Parteien, nicht 1:1 in der Praxis wiederfindet.

340 Vgl. Akdoǧan (2006), S.50. 341 Vgl. Tümgazeteler, „Şaban Dişli için suç duyurusu“, http://www.tumgazeteler. com/?a=4235851, 03.03.09. 342 Vgl. Radikal, „Baykal: AKP kadrolaşması tahrip edici“, http://www.radikal.com. tr/haber.php?haberno=146671, 19.09.07. 122

5.3

Innerparteiliche Demokratie

Die türkische Parteienlandschaft ist von Klientelismus und autokratischen Strukturen geprägt, bei denen die politische Macht in der Figur des Parteiführers zentriert ist. Er entscheidet, welche Abgeordneten sich den Bürgern zur Wahl stellen dürfen, und er bestimmt den politischen Kurs der Partei. Die AKP war durch ihr Bekenntnis zu innerparteilicher Demokratie ein vielversprechendes Symbol eines demokratischen Aufbruchs in der Türkei. Der Aufbau der Partei (zentrale Ebene, regionale Ebene, Bezirksebene, Dorf- und Stadtteilebene, sowie Frauen- und Jugendabteilungen) 343 entspricht demjenigen anderer türkischer Parteien. Die AKP zeichnete sich in der Zeit nach ihrer Gründung allerdings dadurch aus, dass sie innerparteilicher Demokratie hohe Bedeutung zumaß. Diese sei nötig, um innerhalb der Partei auch Meinungen von Minderheiten Raum zu geben und würde zudem als Keimzelle gesamtgesellschaftlicher demokratischer Strukturen fungieren. Durch das Originalstatut der Partei, das allerdings nur vom 14. August 2001 bis zum 2. Februar 2003 gültig war, unterschied sich die AKP von anderen politischen Parteien. Die Möglichkeiten des Parteivorsitzenden, die Partei zu dominieren, sollten beschränkt werden. Interne Vorwahlen, und nicht der Parteipräsident, sollten die Kandidaten für die Wahlen auf Landes- oder Gemeindeebene bestimmen. Ausschlaggebend für die Besetzung eines Postens sollten allein Fähigkeit und Verdienst des Kandidaten sein. Die Mitglieder genossen Meinungs- und Re344 defreiheit. Den Abgeordneten wurden weitreichende Kontrollmöglichkeiten über das Zentralkomitee der Partei verliehen. Ebenso wurde ein Schiedsgericht für Streitfragen bezüglich innerparteilicher Demokratie eingesetzt. Die Verwendung des Parteibudgets sollte veröffentlicht wer345 den. Seit ihrem Wahlsieg 2002 entfernte sich die Partei allerdings schritt343 Vgl. Rashwan (2007), S. 210. 344 Vgl. Tepe (2006), S. 114 f. 345 Vgl. Rashwan (2007), S. 208-209. 123

weise von dieser Position. Seitdem zentriert auch die AKP die politische Macht in der Figur ihres Parteiführers Erdoǧan. Die AKP ist eine Massenpartei, die Mitglieder mit unterschiedlichem Hintergrund und verschiedenen politischen Zielen in sich vereint. Um den Ausgleich dieser divergierenden Interessen innerhalb der Partei zu gewährleisten, verhielt sich die Parteiführung zunehmend autoritär. Die ursprünglichen parteiinternen demokratischen Ansätze wurden durch eine top-down-Politik 346 ersetzt und die Rechte des Parteivorsitzenden wieder gestärkt. Ein Beispiel für diese Entwicklung und den autokratischen Führungsstil ist Ertuǧrul Yalcınbayır. Dieser war zunächst Staatsminister, dann stellvertretender Parteivorsitzender der AKP. Als er sich zwischen 2002 und 2007 für die Einhaltung von Regeln innerparteilicher Demokratie und gegen Klientelismus aussprach, isolierte sich seine Position in der Partei mehr 347 und mehr, bis er schließlich die Partei verließ. Diese Zentralisierung von Macht ist in mehrfacher Hinsicht negativ. Unterschiedliche politische Positionen und Überzeugungen, die in der AKP vertreten sind und sie zunächst zu einer Volkspartei machten, kommen nun nicht mehr zu Gehör. Die Partei löst die Hoffnungen, die sie in der Bevölkerung geweckt hat, nicht ein. Ihre Rolle als Demokratisierungsakteur wird damit weniger glaubhaft. Damit sinken auch die Chancen, in der Türkei einen Demokratisierungsprozess einzuleiten. Auch wenn Demokratisierung einer der Dreh- und Angelpunkte des Konservatismusbegriffes der Partei ist, bleibt im Kern unklar, was die AKP damit meint. Verfolgt sie ein minimales Verständnis von Demokratie als allein auf periodische Wahlen reduziertes System oder ein maximales Demokratieverständnis, in dem alle Agenten des demokratischen Spiels grundlegende individuelle Rechte und Freiheiten besitzen? 346 Der Begriff top-down bezeichnet von der Regierung, der Parteiführung oder einem anderen Entscheidungsorgan zentral koordinierte Kampagnen oder Konzepte. Vgl. Tepe (2006), S. 115. 347 Vgl. Haberler, “AKP'li Yalçınbayır: AK Parti Kendisiyle Yüzleşebilseydi Bunlar Olmazdı“, http://www.haberler.com/akp-li-yalcinbayir-ak-parti-kendisiylehaberi/ 16.12.09. 124

Demokratie braucht aktive Teilnehmer, Diskussion und die Möglichkeit zur abweichenden Meinung. Für deren Umsetzung tut die AKP jedoch wenig. Zwar fordert sie eine stärkere Demokratisierung der Türkei, Meinungsfreiheit und eine pluralistische Gesellschaft, setzt diese Forderungen jedoch nur teilweise in politische Praxis um. Auch ihren Forderungen nach Dezentralisation und innerparteilicher Demokratie kommt sie nicht wie ursprünglich angekündigt nach und setzt stattdessen auf Zentralisierung und top-down Strukturen.

125

6

Realisation struktureller Werte

Werte werden nach Fleischer als kulturelle Norm, Ideal und Maßstab begriffen, so dass Äußerungen und Handlungen eingeordnet und nachvollzogen werden können. Sie sind positiv konnotiert und stellen die Bewertungsgrundlage dar, nach der zwischen „gut“ und „schlecht“ unterschieden wird (s. Kapitel 2.3). Werte wie Familie, Religion und Tradition stellten sich in den vorangegangenen Kapiteln als zentrale Werte sowohl für konservative als auch für islamistische Parteien heraus. Erstaunlicherweise nehmen im Diskurs der AKP jedoch nicht diese, sondern Menschenrechte und gesellschaftlicher Pluralismus einen sehr viel zentraleren Platz ein. Es soll geklärt werden, warum die Partei gerade auf diese Werte abhebt und worin ein möglicher Nutzen für die Partei und ihre Wähler besteht. Eine Untersuchung aller von der Partei im Bezug auf Menschenrechte geäußerten Forderungen und durchgeführten Handlungen ist in dieser Arbeit nicht möglich. Der Menschenrechtsdiskurs der AKP wird daher exemplarisch anhand der Beispiele „Artikel 301“, „Antiterrorgesetz“ und „Pressefreiheit“ analysiert. Die Frage nach dem Umgang mit ethnischen Minderheiten und gesellschaftlichem Pluralismus wird an den Beispielen „Kurden“ und „Gender“ demonstriert.

6.1

Menschenrechte

Menschenrechte sind Rechte, die unteilbar und egalitär sind, d.h. sie stehen jedem Menschen ohne Ansehen von Geschlecht, Nationalität, Haut348 farbe und Religion gleichermaßen zu. Auch die AKP bekennt sich zur 348 Rechtsquellen sind die Internationale Erklärung der Menschenrechte (1948) sowie der Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte und der Pakt über Wirt126

Unteilbarkeit und Gleichheit der Menschenrechte, indem sie formuliert, dass diese „ohne Unterschied der Religion, der Nationalität, des Geschlechts, der Sprache, des politischen oder gesellschaftlichen Status für 349 alle Menschen gültig” sein sollen. Im Parteiprogramm nehmen Menschenrechte das erste Kapitel nach der Einführung ein und werden als 350 „foundation of democracy” bezeichnet. Soziale Stabilität könne nur sichergestellt werden, wenn jeder im Land dieselben Rechte und Freihei351 ten genießt. Wie auch folgendes Zitat unterstreicht, ist besonders Freiheit ein zentraler Begriff des Menschenrechtsdiskurses der Partei: “One of the main principles of our Party it the proverb, ,Unless everyone is free, no one is free.‘ Our Party considers as one of its most important tasks, the assurance of democratization by placing the individual at the centre of all its policies, and to provide and protect fundamental human rights and free352 doms.” Auf welche Freiheiten die AKP konkret abzielt, bleibt unklar. Vergleichbar mit anderen Parteien lässt die AKP dem Wähler Raum für eigene Assoziationen. Dieser entscheidet, ob er „Freiheit“ in Bezug auf wirtschaftliche Liberalisierung, kulturelle und politische Freiheiten für Minderheiten oder religiöse Freiheiten beispielsweise in Bezug auf die Kopftuchfrage verstehen will. Die AKP bezeichnet den Grad der Menschen353 rechte eines Landes als „Zivilisationsindikator“. Der Begriff lässt sich als Anspielung auf das Gesellschaftskonzept des Zentrums verstehen. Hatte dieses noch das Tragen eines Huts anstelle des fes und einen westlichen Lebensstil als Zivilisationsindikatoren festgelegt, so macht die AKP Zivilisation am Grad der Umsetzung der Menschenrechte fest. Das 349 350 351 352 353

schaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (beide 1976). Vgl. Erdoǧan (2004), Anhang S. 29. Vgl. Parteiprogramm (2007), II. 2 Fundamental Rights and Freedoms ibid. Vgl. Parteiprogramm (2007), I. Introduction. Vgl. Parteiprogramm (2007), II. 2 Fundamental Rights and Freedoms. 127

kemalistische Konzept der „Zivilisierung“ durch Verwestlichung wird damit kritisch hinterfragt. Im Folgenden wird diskutiert, ob und wie die AKP ihren Menschenrechts- und Freiheitsdiskurs in die Praxis umsetzt. Erschwert wird die Analyse dadurch, dass die Türkei sich während der Regierungszeit der AKP intensiv um eine EU-Mitgliedschaft bemühte und in diesem Rahmen zahlreiche Reformen durchführte. Es ist nicht immer möglich, zu bestimmen, inwieweit es sich um allgemeine Positionen der AKP handelte oder um solche, die durch den EU-Beitrittsprozess bestimmt wurden. Zwischen 2002 und 2005 beschloss das Parlament im Hinblick auf einen EU-Beitritt acht Reformpakete („Harmonization Packages“). Diese hatten das Ziel, in unterschiedlichen Bereichen die rechtliche Position des Einzelnen gegenüber dem Staat zu verbessern. Zusätzlich wurden eine Reihe internationaler Abkommen ratifiziert, die zu einer besseren 354 Rechtslage beitragen sollten. Im Juni 2005 führte die AKP eine grundlegende Reform des Strafrechts durch. Damit wurden erhebliche Menschenrechtsverbesserungen im Bezug auf Versammlungsfreiheit, Schutz vor Folter und Schutz des Lebens, Minderheitenrecht und verbesserte 355 Rechte für den Angeklagten in Gerichtsverfahren geschaffen. Nachdem im Jahr 2005 durch die Aufnahme von Verhandlungen zum EU-Beitritt eine wichtige Etappe erreicht war, ließen die Reformbemühungen jedoch stark nach. 354 Die ratifizierten Abkommen sind: Internationale Konvention zu zivilen und politischen Rechten, Internationale Konvention zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, Protokoll 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Optionales Protokoll der Kinderrechtskonvention, und Protokoll 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Vgl. Daǧı (2006), S. 100. 355 Verbesserungen ergaben sich konkret in folgenden Bereichen: Abschaffung der Todesstrafe auch in Kriegszeiten, Verbot von Folter und Misshandlung von Gefangenen, Radio- und Fernsehprogramme in Minderheitensprachen, verbesserte Möglichkeiten, ein Verfahren nach Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs (EGMR) wiederaufzunehmen, Verminderung der Zuständigkeit von Militärgerichten über Zivilisten, Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte und Vorrang internationaler Abkommen vor türkischem Recht. a.a.O., S. 99 f. 128

6.1.1 Artikel 301 Die Meinungsfreiheit in der Türkei wird durch offizielle Verbote und gesellschaftliche Tabus eingeschränkt. Die wichtigste die Meinungsfreiheit einschränkende Regelung ist Artikel 301. Dieser ahndet die Beleidigung der türkischen Nation und wird immer wieder dann auch in deutschen Medien diskutiert, wenn bekannte türkische Intellektuelle wie Orhan Pamuk, Elif Şafak oder Hrant Dink auf Grundlage dieses Artikels angeklagt werden. Der Artikel 301 ist unter der Ägide der AKP-Regierung entstanden, allerdings bestanden inhaltlich vergleichbare Artikel schon früher. 2003 strich das Parlament Artikel 8 des Anti-Terrorismusgesetzes und Artikel 159 und 312 des Strafgesetzes, die es durch Artikel 301 er356 setzte. Die Gesetzesänderung muss als formale Änderung, nicht aber als inhaltliche Verbesserung bewertet werden, da auch sie die „Herabwürdigung des Türkentums und der staatlichen Institutionen“ unter 357 Strafe stellt. Im Mai 2008 wurde Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches im Hinblick auf die EU-Beitrittsverhandlungen erneut, aber wiederum nicht grundlegend, geändert. Statt der „Beleidigung des Türkentums“ wurde die „Beleidigung der Türkischen Nation“ als Straftatbe358 stand definiert. Die Höchststrafe wurde von drei auf zwei Jahre reduziert. Der Artikel 301 stellt somit eine Beschränkung der Meinungsfreiheit dar. Eine Verschlechterung der Rechtssicherheit ist zudem dadurch gegeben, dass die Aufnahme eines Verfahrens von der Zustimmung des 359 Justizministers abhängig ist. Damit wird in diesem Bereich die Tren356 Die Änderung ist seit 2005 in Kraft. Vgl. Hermann, Rainer, Wohin geht die türkische Gesellschaft?, München 2008, S. 61.

357 Vgl. Amnesty International, „Artikel 301: Das Gesetz über die ,Verunglimpfung des Türkentums’", http://www.amnestytuerkei.de/wiki/Artikel_301:_Das_ Gesetz_%C3%BCber_die_%22Verunglimpfung_des_T%C3%BCrkentums%22, 11.09.09. 358 ibid. 359 Vgl. Keskin, Erin, Amnesty International, „Interview mit Eren Keskin, In der Türkei bestimmt das Militär“, August 2008, http://www.schattenblick.de/ infopool/gesell/amnesty/baeur251.html, 02.08.09. 129

nung zwischen Judikative und Exekutive aufgelöst und die mögliche Einflussnahme der jeweiligen Regierung auf die Aufnahme von Verfahren erhöht. Daneben hat Amnesty International eine Zunahme der Verfahren vor allem gegen Intellektuelle, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten 360 beobachtet. Diese sollte im Zusammenhang mit dem Anstieg nationalistischer Positionen in der Gesellschaft betrachtet werden. Besonders durch das Militär wurde ein Gefühl permanenter äußerer und innerer Bedrohung hervorgerufen, dass auch die AKP beeinflusste bzw. unter Druck setzte. Wie bereits in den Kapiteln 4 und 5 deutlich wurde, versucht die AKP, einen offenen Konflikt mit dem Militär und damit ein Parteiverbot oder einen Militärputsch zu vermeiden. Darüber hinaus sind Parteien keine homogenen Gebilde, und auch in der AKP existieren verschiedene Gruppierungen, die unterschiedliche Meinungen vertreten. In der Partei bestehen nationalistische Positionen, die jede Artikulation von „Anders-Sein“ als Angriff auf die Einheit des Staates und der Nation interpretieren. Diese Gruppe unterstützt den Menschenrechts- und Pluralismusdiskurs der Partei nicht. Äußere Faktoren wie politische Krisen oder Druck aus dem Militär tragen dazu bei, zeitweise den Einfluss dieser Gruppe zu verstärken. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur die durch die AKP zu verantwortende rechtliche Lage problematisch ist, sondern auch ihre oft abenteuerliche Auslegung durch die Justiz. Auch wenn der Druck durch das Militär und die der Meinungsfreiheit meist ablehnend gegenüberstehende Auslegung der Gerichte in Betracht gezogen werden, muss festgestellt werden, dass in Bezug auf Artikel 301 starke Differenzen zwischen dem Meinungsfreiheitsdiskurs der AKP und ihrer praktischen Umsetzung bestehen.

360 Vgl. Çetin, Fethiye, Amnesty International, „Interview mit Fethiye Çetin, Ein Klima des aggressiven Nationalismus“, http://www.amnesty.de/umleitung/ 2008/deu05/014?lang=de%26mimetype%3Dtext%2 Fhtml, Januar 2008, 12.07.09. 130

6.1.2 Antiterrorgesetz Im Zusammenhang mit gewalttätigen Demonstrationen durch Teile der kurdischen Bevölkerung im Jahr 2006 starteten Teile der Medien eine anti-kurdische Kampagne und forderten die Regierung auf, „endlich ange361 messen auf den Terror zu reagieren“. Als Folge darauf entstand unter Einflussnahme des Militärs ein Antiterrorgesetz (Terörle Mücadele Yasası). Bei dessen Entwicklung war Cemil Çicek, als damaliger Justizmi362 nister der AKP-Regierung maßgeblich beteiligt. Das Antiterrorgesetz ahndet „jede Straftat, die mit dem Ziel begangen wird, die verfassungsmäßige, politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Ordnung zu 363 zerstören und Instabilität zu erzeugen“ als Terror. Diese weite Auslegung des Terrorbegriffs ist rechtlich höchst problematisch und trägt zu großer Rechtsunsicherheit bei. Terrorverdächtige können nach dem neuen Gesetz zudem 24 Stunden (auf vier Tage ausdehnbar) festgehalten 364 werden, ohne einen Anwalt kontaktieren zu dürfen. Das Verheimlichen von Folter oder Misshandlung durch Sicherheitskräfte wird so erleichtert. Selbst jemand, der nicht Mitglied einer terroristischen Organisation ist, kann auf Grundlage des Antiterrorgesetzes verurteilt werden, wenn sein Verhalten der Organisation zurechenbar ist. Dies kann im konkreten Fall bedeuten, dass Journalisten auf der Grundlage des Gesetzes für ihre Berichterstattung über eine terroristische Organisation oder ein Interview mit deren Mitgliedern mit bis zu drei Jahren Haft belangt werden können. Auch gewaltfreie Äußerungen, etwa Sprechchöre für kurdische Gruppen, können nun als Terror definiert und mit mehreren Jahren Haft geahndet werden. Das Antiterrorgesetz bezeichnet 15- bis 18-Jährige als volljährig – und verstößt damit gegen die von der Türkei 361 Vgl. Amnesty International (13.06.09). 362 Cemil Çicek ist aktuell Staatsminister und stellvertretender Ministerpräsident der AKP.

363 Vgl. Deutschlandfunk, „Türkei: Streit um Grundrechte“, http://www.dradio.de/ dlf/sendungen/europaheute-/514771/, 15.08.09.

364 ibid. 131

365

unterzeichnete UN-Kinderrechtskonvention. Durch die Verabschiedung des Antiterrorgesetzes werden die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Kinderrechte, das Recht auf juristischen Beistand sowie das Recht auf Schutz vor Folter erheblich verletzt. Das Gesetz schränkt nicht nur kurdische Gruppen in ihrer Meinungsäußerung ein, sondern auch alle „anders Denkenden.“ In diesem Bereich besteht daher eine große Diskrepanz zwischen den theoretischen Ausführungen und der tatsächlichen Regierungspraxis der AKP. Als Hauptgründe lassen sich der politische Druck von Seiten des Militärs und der Einfluss einer nationalistischen Gruppe innerhalb der Partei ausmachen.

6.1.3 Pressefreiheit Die türkische Presselandschaft lässt sich mit der deutschen nur bedingt vergleichen. Grundsätzlich wird in weiten Teilen eine scharfe, persönliche Berichterstattung geführt, die als „Sensationsjournalismus“ bezeichnet werden kann. Den gesellschaftlichen Lagern Zentrum und Peripherie 366 können bestimmte Zeitungen gut zugeordnet werden. Von staatlicher Seite wird die Pressefreiheit durch „rote Linien“ (beispielsweise keine Beleidigung des Erbes Atatürks oder keine Forderungen nach einem kurdischen Autonomiegebiet) eingeschränkt. Die AKP kündigte ursprünglich an, die Pressefreiheit verbessern und sich für eine rationale, nichtpolarisierende Berichterstattung einsetzen zu wollen. Im Umgang mit der Presse offenbart die Partei jedoch Differenzen zwischen ihren theoretischen Ausführungen und der konkreten Umsetzung in der Regierungspraxis. So lässt sich seit ihrer Regierungstätigkeit eine weitere Ver367 schärfung der Pressezensur feststellen. Premierminister Erdoǧan selbst 365 Vgl. Avşar, Ahmet, Verein für Demokratie und Internationales Recht, „Das Neue Anti-Terror-Gesetz“, http://www.mafdad.org/deutsch/images/pdf/ Anti_Terror_Gesetz.pdf, 15.08.09. 366 Vakit, Milli Gazette und Yeni Şafak können als islamistische Zeitungen bezeichnet werden. Sabah und Zaman sind religiös geprägt. Cumhuriyet und Hürriyet sind Zeitungen des säkularen Zentrums. 367 Die staatliche Fernsehanstalt (Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu, TRT) setzte 2006 die Walt Disney Serie „Winnie the Pooh“ ab, weil es „inhaltliche Un132

zeigt im Umgang mit der Presse wenig Humor und Gelassenheit. Immer wieder klagt er gegen Karikaturdarstellungen seiner Person, die ihn in 368 harmloser Tierfigur als Zebra oder Katze darstellen. Abbildung 5

„Wir haben versprochen, die Probleme ohne Schwierigkeiten zu lösen.” Sieben Journalisten, die ihn durch Fragen oder Artikel verärgerten, entzog er die Akkreditierung als Korrespondenten des Ministerpräsidentenamtes und berief sich auf ihren nicht weiter definierten „Verstoß ge369 gen Prinzipien des Journalismus“. stimmigkeiten mit den Werten der türkischen Kultur“ in Bezug auf das Schwein Piglet gebe. Vgl. Küper-Busch, Sabine, Amnesty International, „Ein falsches Wort – In der Türkei wird so kontrovers wie selten zuvor über Meinungsfreiheit diskutiert“, http://www.amnesty.de/umleitung/2006/deu05/156?lang= de% 26mimetype%3dtext%2fhtml, 17.08.2009. 368 ibid. 369 Vgl. Süddeutsche Zeitung, „Erdogan erklärt kritische Journalisten für unerwünscht“, http://www.sueddeutsche.de/politik/843/320713/text/, 02.08.2009. 133

Auch mit der Doǧan Holding, einem Mischkonzern, der u.a. die Hälfte aller türkischen Medien kontrolliert, steht Erdoǧan in einem konflikt370 reichen Verhältnis. Im konkreten Beispiel erwuchs Erdoǧans Verärgerung über die Berichte einer Verstrickung der AKP in den „Deniz Feneri371 Spendenskandal“. Ermittelt wird gegen die in Deutschland tätige Organisation wegen Veruntreuung von Spendengeldern. Verbindungen zur AKP ergeben sich durch Zahid Akman, der von der AKP zum Vorsitzenden des Rundfunk- und Fernsehrates (Radyo ve Televizyon Üst Kurulu, RTÜK) berufen wurde, sowie durch Zekeriya Karaman, einem Vertrauten Erdoǧans und Mitglied der Geschäftsführung des regierungsnahen 372 Fernsehsendes Kanal 7. Als Reaktion auf die scharfe Berichterstattung der Doǧan Holding kritisierte Erdoǧan diese wiederholt im Parlament 373 oder rief bei öffentlichen Reden zum Boykott ihrer Produkte auf. Im Februar 2009 wurde die Doǧan Holding von der Steuerbehörde zur Zahlung einer 400 Millionen Euro hohen Strafe verurteilt, die bei ihrer Durchsetzung die wirtschaftliche Handlungsunfähigkeit der Gruppe be374 deuten würde. In einem anderen Fall der Beeinflussung der Medienlandschaft hatte die Regierung die Mediengruppe Merkez in einer umstrittenen Entscheidung beschlagnahmen lassen und Geschäftsbereiche wie den Fernseh370 Zur Gruppe gehören die Tageszeitungen Hürriyet, Milliyet, Radikal, Posta so-

371

372

373 374

134

wie die Fernsehsender CNN Türk, Kanal D und Star. Daneben ist sie auch im Energie-, Bau-, Industrie- und Immobilienbereich aktiv. Der islamische Wohltätigkeitsverein Deniz Feneri (Leuchtturm) hat in den letzten Jahren, überwiegend in Deutschland, ca. 41 Mio. Euro Spendengelder gesammelt. Teile davon wurden durch den Vorstand veruntreut bzw. in regierungsnahe Medien investiert. Vgl. Ataman, Ferda, Spiegel Online, „Spendenskandal in Deutschland belastet Ministerpräsident Erdogan“, http://www. spiegel.de/politik/deutschland/0,1518, 577408,00.html, 02.10.09. Vgl. Qantara.de, „Medienkrieg in der Türkei“, http://de.qantara.de/webcom/ show_article.php/_c-469/_nr -1006/webcom/show_article.php/_c-468/_nr-1032/ i.html, 15.08.09. ibid. Die Strafe wurde im Zusammenhang mit Unregelmäßigkeiten beim Verkauf von Firmenanteilen an die Axel Springer AG Ende 2006 verhängt.

verbund Sabah-ATV aus der Gruppe herausgelöst. Ende 2007 kam es schließlich zum Verkauf von Sabah-ATV für 1,1 Milliarden US-Dollar an die Çalık Holding. Diese war bislang nur im Energie-, Textil-, Finanzund Baubereich aktiv, wurde aber von der Regierung mit äußerst groß375 zügigen Krediten beim Kauf unterstützt. Es ist wenig verwunderlich, dass die Medien der Holding nun eine ausgesprochen regierungsfreundliche Berichterstattung betreiben. Der Verdacht der Einflussnahme wird zudem dadurch genährt, dass einer von Erdoǧans Schwiegersöhnen Ge376 schäftsführer der Çalık Holding ist. Die AKP wurde ihrem Anspruch, die Pressefreiheit in der Türkei verbessern zu wollen, bisher nicht gerecht. Wie die Mehrzahl der regierenden Parteien der Türkei toleriert auch die AKP Pressefreiheit nur so lange, wie sich die Berichterstattung nicht gegen sie richtet. Ist die Partei persönlich betroffen, zeigt sie geringe Konflikt- und Kritikfähigkeit. Zudem versucht die AKP über Institutionen wie die Steuerbehörde, die staatliche Fernsehanstalt sowie den Fernseh- und Rundfunkrat, Einfluss auf die Berichterstattung und die Zusammensetzung der Medienlandschaft zu nehmen. Damit fand keine Verbesserung der kritischen Situation der Meinungsfreiheit in der Türkei statt. Stattdessen setzt auch die AKP eine repressive Tradition fort, der sie ursprünglich kritisch gegenüberstand. In den vorangegangenen Kapiteln wurde die praktische Umsetzung des Menschenrechtsdiskurses der AKP untersucht. Es ist Teil des politischen Alltags, dass es Parteien nur selten gelingt, ihr Programm vollständig in die Realität umsetzen. Es fällt jedoch auf, dass die AKP sich, besonders wenn eigene Interessen betroffen sind, entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen verhält. Im internationalen Vergleich ist ungewöhnlich, dass Menschenrechte zu einem derart zentralen Thema des Parteiprogramms gemacht werden, 375 Vgl. Qantara.de (15.08.09). 376 Vgl. Krüger, Karen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Der Sultan mag die Presse brav“, http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/ Doc~E71289DCE934B4C488CF0B3C1C00CBEBA~ATpl~Ecommon~Scontent. html, 17.08.09. 135

wie dies durch die AKP geschieht. Daher sind Fragen, warum die AKP sich so verhält, und wie die Unregelmäßigkeiten bei der Umsetzung zu erklären sind, berechtigt. Die Antwort findet sich in der Geschichte: Große Teile der AKP-Mitglieder haben ihr politisches Engagement in Parteien begonnen, bei denen der Islam im Zentrum des Programms standen. Die Wende zu einem Menschenrechtsdiskurs vollzog sich mit dem Verbot der Refah Partisi 1998 durch das Militär. In diesem Zusammenhang wurden viele religiöse und religiös inspirierte, kulturelle, politische und wirtschaftliche Netzwerke verboten. Die Mitglieder und Wähler der RP erkannten, dass die Zustimmung der Wähler allein sie nicht vor einer Schließung bewahren konnte, und dass die Annäherung an den Westen und seinen Menschenrechtsdiskurs in der Auseinandersetzung mit dem Zentrum durchaus nützlich sein konnte. Die Legitimation politischer Ziele aus dem Islam wurde nun durch die Legitimation aus internationalen Rechtsnormen ersetzt. Als Folge dessen vollzog sich ein Wandel in der ursprünglich anti-westlichen Haltung der betroffenen Parteien. Schon bei der Fazilet Partisi und der Saadet Partisi fand eine starke Auseinandersetzung mit den Menschenrechten statt, die seit 2001 377 von der AKP fortgesetzt wird. Der Menschenrechtsdiskurs der Partei ist auch eine Forderung nach politischer, wirtschaftlicher und kultureller Teilhabe und der Anerkennung der eigenen Lebensweise durch die gesamte Gesellschaft. Bereits 1998 hatte Erdoǧan als Bürgermeister Istanbuls gesagt: „In diesem Land besteht eine Trennung zwischen weißen Türken und schwarzen Türken; euer Bruder Tayyip ist einer der 378 schwarzen Türken.“ Die Begriffe „weiße“ und „schwarze“ Türken stammen aus vor-osmanischer Zeit und beschrieben eine Elite (weiß) in Abgrenzung zum Volk (schwarz). Der Begriff „weißer Türke“ beschreibt einen Angehörigen der 377 Vgl. Öniş (21.02.09). 378 Vgl. Hermann (2008), S. 144. 136

säkularen, städtischen Mittel- und Oberschicht. Er kann daher mit dem Begriff Zentrum assoziiert werden. „Schwarzer Türke“ bezeichnet einen Angehörigen der traditions- und religionsbezogenen Landbevölkerung, bzw. der in die Städte abgewanderten Landbevölkerung und entspricht 379 dem hier verwendeten Begriff der Peripherie. Die AKP versteht sich selbst als Vertreterin einer gesellschaftlich diskriminierten und ausgegrenzten Gruppe – eben der Peripherie. Indem Erdoǧan sich als „schwarzen Türken“ bezeichnet, formuliert er den Anspruch, das Volk gegenüber dem Staat zu verteidigen und selbst einer bislang ausgegrenzten Gruppe anzugehören. Die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung der Menschenrechte ist daher auch die Forderung nach der Anerkennung des eigenen Lebensstils. Darüber hinaus verfolgt die AKP mit ihrem Menschenrechtsdiskurs die Einrichtung von „opportunity spaces“ für religiöse Gruppen (s. Kapitel 4 und 5). Durch die angeführten Beispiele ist klar geworden, dass die AKP mit dem Menschenrechtsdiskurs bestimmte gesellschaftliche Ziele verfolgt. Diese können als Stärkung des sunnitischen Islams sowie stärkere gesellschaftliche Akzeptanz und Teilhabe der Peripherie definiert werden. Mit der Instrumentalisierung des Menschenrechtsdiskurses zugunsten einer gesellschaftlichen Gruppe und eben nicht der gesamten Gesellschaft ist die AKP in der politischen Landschaft kein Einzelfall. Dennoch sollte diese Tatsache nicht unerwähnt bleiben, um ihren Anspruch angemessen zu beurteilen. Insgesamt ist jedoch von einem Mehrwert des AKPMenschenrechtsdiskurses für die türkische Gesellschaft auszugehen. Von großer Bedeutung ist, dass in der Türkei ein Menschenrechtsdiskurs auf Regierungsebene initiiert wurde. Der AKP ist es zu verdanken, dass in der politischen Auseinandersetzung das Rekurrieren auf Menschenrechte, anders als noch vor 10 Jahren, von allen Akteuren als legitim betrachtet wird. Politische Forderungen und Handlungen werden sich daher auch in Zukunft an entsprechenden Konventionen messen lassen müssen. 379 Vgl. Vortrag Prof. Lutz Berger, Heroes and villains – Erinnerungskultur in der zeitgenössischen Türkei, 04.11.2009, im Rahmen der Ringvorlesung „Türkei in Europa – Europa in der Türkei”, Universität Hamburg, WS 2009/10. 137

7

Gesellschaftlicher Pluralismus

Ein weiterer Wert, den die AKP in ihren Äußerungen als zentral heraus380 stellt, ist gesellschaftlicher Pluralismus. Die Partei sieht die Türkei im Spannungsfeld zahlreicher Konflikte, deren wichtigste zwischen den Bereichen „Religion und Politik“, „Tradition und Moderne“ sowie „Staat 381 und Gesellschaft“ bestünden. Diese Konflikte seien einerseits durch die staatliche Unterdrückung der Peripherie, andererseits durch die Betonung ethnischer und religiöser Unterschiede in der Gesellschaft entstanden. Erdoǧan betonte beim Konservatismuskongress der Partei (2004), dass die türkische Politik „statt auf Konflikte, Barrikadisierungen und Polarisationen auf Verständigung, Vervollständigung und Toleranz” 382 aufbauen müsse. Seine klare Abgrenzung von einem konfliktreichen Politikstil stellt eine Opposition im Sinne Fleischers dar. Diesem Politikstil stellt er von der AKP vertretene Werte wie Toleranz und Verständigung entgegen. Durch “Konservative Demokratie” sieht er unterschiedliche Identitäten in soziale und kulturelle Vielfalt verwandelt, die 383 so als „Farbe für die Politik hinzukommen“. Die politische Artikulation von Unterschieden hingegen betrachtet er als gefährlich und de384 struktiv. Im Folgenden wird untersucht, wie die AKP in der Regie380 In dieser Arbeit wird Pluralismus als friedliche Koexistenz verschiedener Über-

381 382 383 384

138

zeugungen, Religionen, Kulturen und Lebensstile in einer Gesellschaft verstanden. Vgl. Akdoǧan (2004), S. 18. Vgl. Erdoǧan (2004), Anhang S. 27 f. ibid. Vgl. Bianet, Radikal, „Erdoǧandan DEHAPa Sert Tavır“, http://bianet.org/ bianet/siyaset/36788-erdogandan-dehapa-sert-tavir, 26.08.09.

rungspraxis mit Minderheiten umgeht, wie sie gesellschaftlichen Pluralismus vorantreibt und welche Handlungsmuster sie aus dem Begriff der „Konservativen Demokratie“ ableitet. Die Darstellung wird auf Grund des Umfangs der Arbeit auf die Kurden als größte ethnische Minderheit beschränkt. Daran anschließend wird der Umgang der Partei mit „Gender“ anhand der Bereiche „Frauen“ sowie „Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle“ untersucht.

7.1

Rechtlich nicht anerkannte Minderheiten – Kurden

Ethnische Gruppen werden nach Edwards als Gruppen verstanden, die subjektiv an eine gemeinsame Herkunft glauben, wobei unerheblich ist, ob objektiv Blutsverwandtschaft besteht. Auch wenn Religion, Sprache, Kultur etc. Merkmale einer Ethnie sein können, ist dennoch das subjektive Gefühl der Zugehörigkeit, das sich in gemeinsamen Werten und dem 385 Gefühl der Gemeinschaft ausdrückt, am prägendsten. Wie in Kapitel 4.4.2 dargestellt, wird nur ein Bruchteil der in der Türkei lebenden Minderheiten rechtlich auch als solche anerkannt. Die Kurden bilden mit 1220% der Bevölkerung die zweitgrößte ethnische Gruppe in der Türkei, 386 besitzen jedoch keinen Minderheitenstatus. Durch innertürkische Migration, Sprachverlust und türkisch-kurdische Heiraten wird es aller387 dings immer schwerer zu bestimmen, wer Kurde ist. Daher wird in 385 Vgl. Edwards, John, Language, Society and Identity, Oxford 1985, S. 9. 386 Da in Untersuchungen nur nach der Muttersprache, nicht aber nach der ethnischen Zugehörigkeit gefragt werden darf, bewegen sich die Schätzungen staatlicher und anderer Quellen zwischen diesen Werten. Die Kurden sind keine homogene Gruppe, sondern unterscheiden sich in Bezug auf Religion (Sunniten und Aleviten) sowie unterschiedliche Stämme und Dialekte. Vgl. Güneş-Ayata / Ayata 2002, S. 139. 387 Der mehrheitlich kurdisch besiedelte Südosten ist das wirtschaftlich am schlechtesten entwickelte Gebiet der Türkei, so dass seit den 1960er Jahren viele Kurden in die großen Städte der Westtürkei gezogen sind. Einen hohen Stellenwert nimmt für viele Kurden der sunnitische Islam und die Mitgliedschaft in religiösen Bruderschaften und Gemeinschaften wie Nakşibendi oder Nurcu ein. Eine 139

dieser Arbeit analog zur dargestellten Ethnizitätstheorie von Edwards, „Kurdisch-Sein“ als selbst gewählte (oft multiple) Identität verstanden. Als „Kurdenfrage“ werden die Forderungen großer Teile der kurdischen Bevölkerung, die von mehr kulturellen Freiheiten über die Errichtung einer Autonomiezone bis zur Etablierung eines kurdischen Staates reichen, betrachtet. Die Kurdenfrage hat zu Gewalt und Tod auf kurdischer und türkischer Seite geführt. Ihre Lösung ist daher von zentraler Bedeutung für die Aussöhnung dieser beiden größten Bevölkerungs388 gruppen und den gesellschaftlichen Frieden in der Türkei. Bei der Betrachtung der AKP und ihrer Herangehensweise an die Kurdenfrage wird deutlich, dass sie keine einheitliche Position einnimmt. Vielmehr lassen sich drei Phasen unterschiedlicher Argumentation erkennen. Während der ersten Phase zwischen 2001 und 2006 machte die AKP es sich zum Anliegen, die Kurdenfrage politisch und nicht militärisch zu 389 lösen. Sie versprach der kurdischen Bevölkerung im Südosten die Aufwertung der Religion, den Abbau des Zentralstaates, die Demilitarisierung des Konflikts und die Reduktion staatlichen Einflusses auf kulturelle und soziale Bereiche. Die AKP lag in diesen Bereichen auf einer Linie mit den Forderungen der EU, die eine Verbesserung des kurdischen Sta390 tus forderte. Mit der Begründung, damit einen EU-Beitritt möglich zu religionsfeindliche Ausrichtung verfolgt die linksnationalistische Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans), die mit Waffengewalt für einen unabhängigen Kurdenstaat kämpft. Auch wenn durch das Parteiengesetz jegliche Referenzen an die Ethnie in der Politik verboten sind, wird die Demokratik Toplum Partisi (DTP, Partei der Demokratischen Gesellschaft) als „kurdische Partei“ verstanden. Vgl. Kirisci, Kemal / Winrow, Gareth, The Kurdish Question and Turkey, London 1997, S. 122 ff. 388 Eine umfangreichere Darstellung lässt Umfang und Ansatz dieser Arbeit nicht zu. Für ausführlichere Informationen zur Geschichte der Kurden im Osmanischen Reich bzw. der Türkei vgl. Kesen, Nebi, Die Kurdenfrage im Kontext des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union, Zürich 2009, S. 137 ff. sowie Strohmeier, Martin / Yalçın-Heckmann, Lale, Die Kurden, München 2003. 389 Vgl. Duran (2008), S. 97. 390 Relevante Forderungen der EU sind politische, soziale und kulturelle Minderhei140

machen, konnte die AKP diese Reformen auch gegen innenpolitische Widerstände durchsetzten. Vor allem das dritte, sechste und siebte Harmonisierungspaket (zwischen 2002 und 2004) waren für die Kurdenfrage von besonderer Bedeutung. Als Folge wurden im März 2003 die ersten 391 offiziellen Radio- und Fernsehsendungen auf kurdisch ausgestrahlt. Am 1. Januar 2009 wurde innerhalb des staatlichen Fernsehsenders TRT (Türkiye Radio Telivision Kurumu, Türkischer Radio- und Fernsehrat) 392 mit TRT 6 ein Sender für „mehrsprachige Sendungen“ eröffnet. Auch Sprachkurse in Kurdisch wurden durch die Harmonisierungspakete ermöglicht. Die Reformen haben in erster Linie eine symbolische Bedeutung, da sie die kurdische Identität von staatlicher Seite aus erstmals 393 sicht- und hörbar machen. Im August 2005 vertrat Erdoǧan bei einem Treffen mit Intellektuellen den Standpunkt, zwei gleichberechtigte Nationen (türkisch und kurdisch) könnten unter dem Dach der Türkei zusammenleben. Bei einem Besuch in Diyarbakır im November 2005 räumte er ein, der türkische Staat hätte bei der Handhabung der Kurdenfrage Fehler gemacht. Er machte diese zu seiner Angelegenheit und legte sein 394 Konzept der „Supra-Identität“ dar. Dieser Begriff geht auf die 2004 veröffentlichen Ergebnisse der von Erdoǧan ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe „Minderheiten- und kulturelle Rechte“ (azınlık raporu) zurück. Unter der Leitung des Menschenrechtlers und Professors Baskın

391 392

393 394

tenrechte, die Abschaffung der 10%-Hürde bei Wahlen sowie Amnestieangebote an PKK Mitglieder. Vgl. Yavuz, M. Hakan / Özcan, Nihat Ali, Düşünce Kahvesi, “The Kurdish Question and Turkey`s Justice and Development Party”, http://www.dusuncekahvesi.net/2006/04/kurdish-question-and-turkeysjustice.html, 02.07.09. Vgl. Duran (2008), S. 97. Vgl. Internet haber, „TRT Kürtçe bugün yayında“, http://www.internethaber. com/news_detail.php?-id=171523&interstitial=true und Amnesty International (13.06.09). Vgl. Kummer, Werner, „Sprache und kulturelle Identität“, in: Dittrich, Eckhard J. / Radtke, Frank-Olaf (Hg.), Ethnizität, Opladen 1990, S. 265-277, S. 267. Vgl. ntv, „Erdoǧan: Türkiye bir mozaiktir“, http://arsiv.ntvmsnbc.com/news/350724.asp, 24.08.09. 141

Oran entwickelte die Arbeitsgruppe die Vorstellung einer zweistufigen Identität aller Bürger. Der Begriff Türkiyeli sollte alle Bürger der Türkei bezeichnen. Dieser Begriff ist vergleichbar mit dem von vielen DeutschTürken verwendeten Begriff Almanlı. Damit drücken sie aus, zwar aus Deutschland zu stammen, aber ethnisch nicht deutsch zu sein. Der Begriff Türk sollte nach Vorstellung der Kommission die Volkszugehörigkeit bezeichnen. Es sollte jedoch genauso möglich sein, sich als Kürt, 395 Laz, Ermeni etc. zu bezeichnen. Das Konzept der „Supra-Identität“ bezeichnet also die Möglichkeit der Bürger, im Rahmen einer türkischen 396 „Erstidentität“ noch eine weitere Identität zu haben. Diese Herangehensweise führte zu einer Aufbruchstimmung unter Kurden und liberalen Türken und ließ die Lösung der Kurdenfrage nach langer Zeit wieder in den Bereich des Möglichen rücken. Die zweite Phase (2006–2009) der Rezeption der Kurdenfrage seitens der AKP wurde durch Anschläge der PKK im Jahr 2005 sowie durch Unruhen von Teilen der kurdischen Bevölkerung im Frühling 2006 eingeleitet. Militär und Teile der Medien bauten daraufhin Druck auf die Regie397 rung auf, sich restriktiv der Situation anzunehmen. Die AKP verab398 schiedete zeitnah ein Antiterrorgesetz (s. Kapitel 6.1.2). Die Partei reagierte in der Konfliktsituation autoritär und nicht durch die Entwicklung eines Alternativkonzepts. Die Frage der kurdischen Identität wird von der AKP also nicht erst seit dem Krieg gegen die PKK im Nordirak (seit 2007), sondern schon seit Ende 2005 wieder militärisch und nicht politisch definiert. Den Ausbau kultureller oder politischer Rechte erwähnt 395 Vgl. Oehring, Otmar, „Gutachterliche Stellungnahme vom 06.04.2008“, http://www.ekiba.de/download /Gutachten-Oehring-Christen-060408.pdf, 19.09.09. 396 Vgl. Çandar, Cengiz, Radikal, „Başbakan ve Diyarbakır“, http://www.radikal. com.tr/Default.aspx?aType =YazarYazisi&ArticleID=904523&Yazar=CENG %C4%B0Z%20%C3%87ANDAR&Date=22.10.2008&CategoryID=99, 19.12.09. 397 Vgl. Al-Ahram online, “The Kurdish Question”, http://weekly.ahram.org.eg/2006/789/re2.htm, 22.04.09. 398 Vgl. Duran (2008), S. 99. 142

399

die AKP während der zweiten Phase nicht mehr. Ihre Politik wurde vielmehr von der Überzeugung geleitet, dass auf türkischem Staatsgebiet nur ein türkisches Volk mit türkischer Identität leben könne. Damit entsprach sie der traditionellen Einstellung des türkischen Staates, die auf 400 dem Grundsatz „ein Staat, eine Nation, eine Flagge“ beruht. Dieser Grundsatz geht von der Unteilbarkeit des Staatsgebiets und einem einheitlichen Staatsvolk aus. Die AKP zeichnete sich in dieser Zeit, sehr wahrscheinlich im Hinblick auf die anstehende Parlamentswahl 2007, durch ein nationalistisches Weltbild aus. Es soll noch einmal daran erinnert werden, dass die AKP grundsätzlich unter dem Zwang steht, keine nationalistisch gerichteten Wähler an die ultranationalistische MHP zu verlieren. Zum Frühjahr 2009 begann eine dritte, bis heute andauernde Phase, mit der die AKP eine vollständige Umkehr ihrer bisherigen Kurdenpolitik zu vollziehen scheint. Diese Herangehensweise steht im Zusammenhang mit vom Zentrum initiierten Aktivitäten wie dem Verbotsantrag 401 gegen die AKP im Jahr 2008 und den Aktivitäten des Ergenekon Netz402 werks, die auf eine Schwächung der AKP-Regierung abzielten. Seit399 Vgl. Parteiprogramm (2007), II. 2.4. The East and Southeast, 400 Vgl. Duran (2008), S. 97. 401 Im März 2008 wurde durch den Staatsanwalt Abdurrahman Yalçınkaya ein Verbotsantrag gegen zahlreiche Regierungsmitglieder und die AKP gestellt. Dieser wurde damit begründet, dass die AKP zum „Zentrum anti-säkularer Aktivitäten“ geworden sei. Vgl. Senkyr, Jan, KAS-Länderbericht, „AKP-Verbotsantrag und Ermittlungen gegen den „tiefen Staat“ stellen die Türkei vor Zerreißprobe“, http://www. kas.de/wf/doc/kas_13373-544-1-30.pdf, 12.03.09. 402 Der Begriff Ergenekon bezeichnet keine formelle Organisation sondern eine geheimes Bündnis. Es wird auch als „tiefer Staat“, oder „Staat im Staat“ bezeichnet. Mitglieder sind reaktionäre Angehörige des Staats- und Militärapparates. Ergenekon ist ein nationalistisches Netzwerk, das sich gegen jede vermeintliche Bedrohung der Einheit der türkischen Nation richtet. Erstmalig wurde das Ergenekon-Netzwerk im Rahmen des „Susurluk-Skandals“ (1996) öffentlich diskutiert. Damals brachte ein Verkehrsunfall die Zusammenarbeit von Polizei, Mafia und Politik ans Licht. Es wird vermutet, dass Ergenekon auch an der Ermordung Hrant Dinks sowie an Terroranschlägen, Drogenhandel und Putschplänen 143

dem hat sich das Verhältnis zwischen der Regierung und den Angehörigen des Zentrums weiter verschlechtert. Nach Massakern an Kurden durch den Geheimdienst der Gendarmerie (İstihbarat ve Terörle Mücadele, JİTEM) in den 1990er Jahren im Süd403 osten der Türkei wurden die Toten anonym vergraben. Anfang 2009 veranlasste die AKP Grabungen, um vermutete Massengräber zu öffnen. Die Öffnung der Gräber bestätigte seit langem schwelende Gerüchte und war für die türkische Öffentlichkeit ein Schock. Es ist zu vermuten, dass die Untersuchungen auch den Versuch der AKP darstellen, das Militär in der Öffentlichkeit zu demontieren. Wichtigster Impuls für die erneute Annäherung der AKP an kurdische Positionen war die Kommunalwahl im Frühling 2009. Die AKP musste hier erstmalig einen Stimmenverlust seit Beginn ihrer Regierungstätigkeit 2002 hinnehmen. Ehemalige AKP-Wahlkreise im kurdischen Südosten fielen in dieser Wahl an die als kurdische Partei rezipierte Demokratik Toplum Partisi (DTP, Partei der Demokratischen Gesell404 schaft). Zudem bekam die AKP von Seiten des inhaftierten ehemaligen PKK-Führers Abdullah Öcalan Konkurrenz, einen Plan für die friedliche Lösung der Kurdenfrage vorzulegen. Dieser hatte im Sommer 2009 aus dem Gefängnis heraus angekündigt, ein Konzept für eine friedliche 405 Lösung erarbeitet zu haben, allerdings liegen bislang keine Details vor. Seit diesen zwei Ereignissen demonstriert die AKP erneut starkes Interesse an einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage. Erdoǧan traf sich daraufhin zum ersten Mal seit seinem Regierungsantritt im Jahr 2003 mit beteiligt war. Seit Herbst 2008 kam es vermehrt zu Ermittlungen gegen und Verhaftungen von Mitgliedern. Vgl. Oehring (19.09.09), S.18. 403 Schätzungen sprechen von bis zu 15.000 Opfern. Vgl. Amnesty International (13.06.09). 404 Vgl. Baydarol, Can, Qantara.de, „Politischer Stimmungstest für Erdogan“, http://de.qantara.de/webcom /show-_article.php/_c-468/_nr-1137/i.html, 17.08.09 und Strittmatter, Kai, Süddeutsche Zeitung, „Wahlschlacht um die Kurdenfestung“, http://www.sueddeutsche.de/politik/692/463303/ text/, 19.08.09. 405 Vgl. Haberciniz, „İşte Öcalan’ın Yol Haritası“, http://www.haberciniz.biz/haber/ iste-ocalanin-yol-haritasi--681734.html, 19.08.09. 144

dem Vorsitzenden der DTP zu Gesprächen. Staatspräsident Gül machte Schlagzeilen, als er den Ort Güroymak mit seinem ursprünglichen kurdischen Namen Norsin benannte. Anfang August 2009 hielt Erdoǧan im Parlament eine in der Türkei als historisch eingestufte Rede, in der er das auf türkischer und kurdischer Seite durch den Konflikt erfahrene 406 Leid thematisierte. Diese Ansätze sind Erfolg versprechend und machen Hoffnung. Dennoch ist es nicht das erste Mal, dass sich die AKP rhetorisch um die Lösung der Kurdenfrage bemüht. Daher ist aufmerksam zu verfolgen, inwieweit den Ankündigungen auch Taten folgen. Zu fragen ist auch, warum die AKP, wenn sie ernsthaft an einer Lösung der Kurdenfrage interessiert ist, nicht zunächst deren parlamentarische Vertretung verbessert. Von liberalen Gruppen in der Türkei und der EU wird schon lange die Reform der parlamentarischen 10-Prozent-Klausel gefordert. Von einer Senkung würden vor allem kleine Parteien wie die kurdische DTP profitieren, da ihre Stimmen mit der jetzigen Regelung bislang meist verloren gingen. Als stärkste Partei wurde vor allem die 407 AKP von der 10-Prozent-Klausel begünstigt. Es scheint daher so, als ginge es der AKP mehr um den Gewinn von Wählerstimmen aus dem kurdischen Lager als um eine bessere gesellschaftliche, kulturelle und politische Sichtbarkeit der kurdischen Identität. Zudem ist zu vermuten, dass die AKP eine explizit „kurdische Partei“ als überflüssig betrachtet, da sie sich selbst als legitime Vertreterin der Kurden sieht. Um dieses Konzept nachzuvollziehen, muss ein kurzer Exkurs zu den zwei wichtigsten Strömungen im türkischen Nationalismus (milliyetçilik) gemacht werden. Wie bereits erläutert (s. Kapitel 3), entstand im Rahmen des Unabhängigkeitskrieges die Vorstellung einer „türkischen Nation“, die alle anderen ethnischen Gruppen (Kurden, Lasen, 406 Vgl. Strittmatter, Kai, Süddeutsche Zeitung, „Erdogan will Versöhnung mit den Kurden“, 14./15./16. 08.09, Printausgabe und Video der Rede Erdoǧans im Parlament, http://www.habercinizbiz/haber/iste-ocalanin-yol-haritasi--681734.html, 20.09.09. 407 Bei der Wahl im Jahr 2002 beispielsweise erhielt sie 34% der abgegebenen Stimmen, aber 66% der Parlamentssitze. 145

Bosniaken, Tscherkessen etc.) einschloss. In den Jahren nach der Gründung der Republik entwickelte sich dieses Nationalismus-Konzept immer stärker dahingehend, jegliches ethnische oder kulturelle Anderssein abzulehnen und rigiden Assimilierungsbestrebungen zu unterwerfen. Jeglicher Äußerung von Minderheitenidentitäten wird noch immer repressiv begegnet, vor allem von der MHP (Milliyetçi Halk Partisi), aber auch von der CHP (Cumhuriyet Halk Partisi). Eine andere Position sieht die Türkei als Vielvölkerstaat, doch geht sie davon aus, dass auch die ethnischen Minderheiten sunnitische Muslime seien. Diese zweite Position wird politisch von der AKP vertreten. Das Konzept der „türkischen Nation“ wird von ihr durch das Konzept der „muslimischen Gemeinschaft“ 408 (ümmet) ersetzt. Diese Position stellt eine Fortführung von Erbakans Konzept dar, das Kurden und Türken als Mitglieder einer islamischen Nation bezeichnet hatte. Die gemeinsame Bindung des Islams soll stärker sein als ethnische Differenzen. Erbakan verstand dies als islamisch gerechte (adil) Lösung für die Kurdenfrage. Erziehung oder Rundfunkbzw. Fernsehausstrahlung in Kurdisch wurde für die Refah Partisi auf 409 dieser Basis für unproblematisch erklärt. Sie definiert die Kurdenfrage als Frage von Solidarität innerhalb der muslimischen Gemeinschaft und macht als Grund des Konflikts das staatliche Säkularismusgebot verantwortlich. Nur dieses und keineswegs nationalistische Positionen stünden 410 einer Lösung im Wege. Dieser Ansatz wird von Teilen der kurdischen Minderheit, deren Weltbild ist stark von Werten wie dem sunnitischen Islam und lokalen Traditionen geprägt ist, als überzeugend betrachtet. Sie stehen damit nicht nur ethnisch, sondern auch im Bezug auf die Religion häufig in Opposition zu der vom Zentrum propagierten homogenen 411 und säkularen Nation. Der religionszentrierte ümmet-Ansatz der AKP 408 Vgl. Oehring (19.09.09), S. 14. 409 Vgl. Kirisci / Winrow (1997), S. 145. 410 Vgl. Gürsel, Kadri, Milliyet, „Aktütün’den Brüksel’e uzanan bir sorun: CHP“, http://www.milliyet.com. tr/Yazar.aspx?aType=YazarDetay&ArticleID= 1002083&AuthorID =78&Date=12.10.08. 411 Frühestes Beispiel dafür ist der Scheich Said Aufstand, der 1925 ausbrach. Dafür 146

hat Vorteile für ethnische Minderheiten, benachteiligt aber gleichzeitig religiöse (z.B. Christen, Juden, Aleviten etc.) sowie ethnisch-religiöse Minderheiten (z.B. kurdische Aleviten).

7.2

Gender-Fragen

Im Folgenden wird die Haltung der AKP in Bezug auf Gender exemplarisch an den Bereichen „Frauen“ sowie „Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle“ untersucht. Mit „Gender“ (Geschlecht) werden die sozialen und kulturellen Codes bezeichnet, die eine Gesellschaft benutzt, um „maskulin“ oder „feminin“ und die zugehörigen Rollenbilder in den 412 Bereichen Familie, Staat bzw. Recht und Öffentlichkeit zu bestimmen.

7.2.1 Frauen Der rechtliche Status der türkischen Frau wurde im Jahr 1926 durch die Einführung des Zivilgesetzbuchs aufgewertet. Allerdings blieb ihr der 413 Mann in vielen Bereichen übergeordnet. Außerdem hing die Durchsetzung der Rechte stark vom sozialen Status und dem Bildungsgrad der Frauen ab. So verstanden die dem Zentrum angehörenden Frauen es meist besser, ihre Rechte durchzusetzen als die oft analphabetischen Anwaren zwei Gründe ursächlich: Zum einen wurde der kurdischen Bevölkerung immer deutlicher, dass in der neu gegründeten Republik ein selbstbestimmtes Kurdengebiet nicht möglich war. Dies war ihnen im Vertrag von Sèvres 1920 von den europäischen Mächten zugestanden worden. Zum anderen lief die Abschaffung des Kalifats 1923 ihren religiösen Überzeugungen entgegen und zerstörte ein wichtiges Bindeglied zwischen den (jeweils sunnitischen) türkischen und kurdischen Volksgruppen. 412 Vgl. Connell, R.W., “Gender Regimes and the Gender Order”, in: Polity Press (Hg.), The Polity Reader in Gender Studies, S. 29-41, London 1994, S. 34. 413 Das neue Zivilgesetzbuch übernahm in großen Teilen das Schweizer Zivilrecht und verbot Polygamie, sprach den Frauen gleiche Rechte im Bezug auf Scheidung und Sorgerecht zu und verlieh ihnen das aktive und passive Wahlrecht. Der Mann wurde jedoch weiterhin als Familienoberhaupt bezeichnet. Kam es zu einer Anklage wegen Gewalt an Frauen, konnten zahlreiche haftmildernde Umstände angeführt werden. 147

414

gehörigen der Peripherie. Beachtenswert ist, dass der Frauendiskurs durch Männer geführt wurde und die Rolle der Frau Mittelpunkt des jeweiligen Weltbildes von Zentrum bzw. Peripherie war. Durch das Zentrum wurde sie als Schützerin und Beschützte des Kemalismus stilisiert, durch die Peripherie als Bewahrerin konservativer Werte und der Familie. In den 1980er Jahren verließen die Frauen diese passive Position. Frauengruppen orientierten sich an westlichen Frauenrechtsdiskursen; sie setzten die Revision einer Reihe diskriminierender Gesetze durch und 415 stießen eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Frau an. Ebenfalls in den 1980er Jahren bildeten sich religiös-konservative Frauenverbände. Meist entstanden sie als Frauen-Untergruppen innerhalb männlich dominierter Organisationen, da nur wenige religiös ausgerichtete Organisationen die Zusammenarbeit von männlichen und weiblichen 416 Mitgliedern tolerierten. Andere Frauenverbände engagierten sich in der Wohlfahrt und in der Verbreitung des Islam in der Gesellschaft. Die Frauen wurden so in die Lage versetzt, ein traditionelles Rollenbild mit 417 der Teilnahme am öffentlichen Leben zu verbinden. Die Verfolgung eines westlichen Lebensstils wird durch die religiös-konservativen Frauenverbände für eine empfundene Erniedrigung, Ausbeutung und Verlust der Ehre (namus) verantwortlich gemacht. Diesem stellen sie als Ideal418 bild die muslimische Frau entgegen. Die Bezeichnung „Feministin“ 414 Vgl. Ilkkaracan, Pınar, “Reforming the Penal Code in Turkey: The Campaign for

415

416

417 418 148

the Reform of the Turkish Penal Code from a Gender Perspective”, http://www.ids.ac.uk/ids/Part/proj/pnp.html, September 2007, 03.08.09 Vgl. Tekeli, Şirin, „Frauen in der Türkei der 80er Jahre“, in: Neusel, Aylâ / Tekeli, Şirin / Akkent, Meral (Hg.), Aufstand im Haus der Frauen, Frauenforschung aus der Türkei, Kassel 1990, S. 27-46, S. 39-42. Vgl. Pusch, Barbara, “Stepping into the Public Sphere: The Rise of Islamist and Religious-Conservative Women’s Non-Governmental Organizations” in: Yerasimos, Stefanos / Seufert, Günter / Vorhoff, Karin (Hg.), Civil Society in the Grip of Nationalism, Studies on Political Culture in Contemporary Turkey, Istanbul 2000, S. 475-507, S. 490. a.a.O., S. 488. Vgl. Acar, Feride, „Was die islamische Bewegung für Frauen so anziehend

lehnen die Mitglieder religiöser Frauenverbände daher häufig als westli419 ches Konzept ab.

7.2.1.1 FRAUEN IN DER AKP Insgesamt haben in der Türkei Frauen nur sehr wenig Einfluss in politischen Parteien. Im internationalen Vergleich rangiert das Land im Bezug 420 auf den Prozentsatz weiblicher Abgeordneter (9%) am unteren Ende. Auch die Möglichkeiten des innerparteilichen Aufstiegs sind nicht mit Deutschland zu vergleichen. Ein gehobener Berufsstand (z.B. als Professorin) macht es möglich, ohne vorheriges parteiinternes Engagement, Abgeordnete zu werden. Dieses Phänomen trifft in geringerem Maße auch auf männliche Abgeordnete zu. Die AKP ist im Bezug auf Frauen ein Spiegelbild der türkischen Parteienlandschaft. Eine Untersuchung zur Mitgliederstruktur der AKP 2005 zeigte, dass nur ein geringer Prozentsatz der Mitglieder (6,2%) weiblich 421 war. Das Engagement von Frauen in der Partei findet auf drei gegeneinander undurchlässigen Ebenen statt: die der Nachbarschaftsaktivisten, die der aktiven Mitglieder sowie die der Abgeordneten und Ministerinnen. Die Frauen der drei Ebenen begegnen sich fast nicht und stammen aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Jede Ebene verfügt über ihr eigenes, von milieuspezifischen Faktoren geprägtes Frauenbild. Eine Vernetzung der Ebenen oder die Entwicklung eines gemeinsamen Frauendiskurses wird nicht konsequent verfolgt. Als Folge werden in der macht, Eine Untersuchung über Frauenzeitschriften und eine Gruppe von Studentinnen“, in: Neusel, Aylâ / Tekeli, Şirin / Akkent, Meral (Hg.), Aufstand im Haus der Frauen, Frauenforschung aus der Türkei, Kassel 1990, S. 73-92, S. 73 f. 419 Vgl. Pusch (2000), S. 497. 420 Der Human Development Report stellte fest, dass nur knapp 9% der türkischen Parlamentsabgeordneten weiblich sind (Stand 2009). Diese Zahl kommt vor allem durch den hohen Prozentsatz unabhängiger weiblicher Abgeordneter zustande. Vgl. Today’s Zaman, “Human development report shows wide gender disparity in Turkey”, http://www.todayszaman.com/tz-web/news-189143-human-development-report-shows-wide-gender-disparity-in-turkey.html, 12.12.09. 421 Vgl. Dalmıs / Aydın (2008), S. 203 149

AKP, vergleichbar mit der Situation in anderen türkischen Parteien, frauenrelevante Themen, wie die Kopftuchfrage, Ausbildung von Frauen und Mädchen, Erwerbstätigkeit, Rechtsstellung u.a., in erster Linie von Männern entschieden. Frauen der ersten Ebene stammen aus der Unterschicht und haben ein unterdurchschnittliches Bildungsniveau. Sie waren häufig bereits für die Milli Görüş-Parteien aktiv, sammeln Informationen über Familien und leiten sie an Parteiverantwortliche weiter, koordinieren Spenden 422 und stellen den Kontakt zu anderen Frauen her. Diese Frauen sind weniger politisch, als vielmehr religiös und sozial motiviert. Frauen der zweiten Ebene engagieren sich vorrangig in den Provinzorganisationen der Partei. Sie haben, im Vergleich zu den männlichen Mitgliedern, einen überdurchschnittlichen Bildungsstand (44,2% der weiblichen Parteimitglieder, aber nur 27,2% der männlichen hatten einen 423 Universitätsabschluss, Stand 2005). Die Frauen der zweiten Ebene bringen sich in sogenannten Frauenabteilungen (kadın kolları) ein. Diese bestehen parallel zur regulären Parteistruktur und bilden ein Forum 424 für monatliche Treffen und die Diskussion aktueller Themen. Diese parallelen Strukturen werden von der AKP als „Politik-Schule“ für Frau425 en interpretiert, die sie für den politischen Alltag trainieren soll. Die Frauen der dritten Ebene treten als einzige sichtbar in der Öffentlichkeit auf. Auf Grund des Kopftuchverbots in öffentlichen Einrichtungen ist weiblichen Abgeordneten das Kopftuchtragen verboten. Daher wird den meist Kopftuch tragenden Frauen der ersten und zweiten Ebene der Schritt in die dritte Ebene erschwert. Ob die Frauen der dritten 422 Konzept und Strukturen stellen eine Fortführung der RP-Praxis dar. Für eine ausführliche Darstellung der weiblichen Basisbewegung der RP siehe: White (2002). 423 Vgl. Dalmıs / Aydın (2008), S. 204 f. 424 Vgl. Tepe (2006), S. 124. 425 Vgl. Sözen, Edibe, “Gender Politics of the JDP”, Yavuz, M. Hakan (Hg.), The Emergence of a New Turkey, Democracy and the AK Parti, Salt Lake City 2006, S. 258-281, S. 264. 150

Ebene Identität und Biographie der AKP-Wählerinnen repräsentieren, muss stark bezweifelt werden. Sie sind überdurchschnittlich gebildet und stellen als Abgeordnete oder Ministerinnen das Aushängeschild der Partei dar. Ein Großteil dieser Frauen ist vor 2002 nie politisch in Erscheinung getreten. Vielmehr wurden sie kurz vor der Wahl 2002 von der AKP-Führung dazu eingeladen, sich in der Partei politisch zu engagieren. Viele von ihnen standen auf den untersten Listenplätzen; ihr Einzug ins Parlament war dem überraschenden Wahlerfolg der AKP geschuldet. Somit liegt der Verdacht nahe, dass ihre politische Tätigkeit nicht geplant war und sie vielmehr als „Quotenfrauen“ fungierten. Aktuell liegt 426 der Prozentsatz weiblicher Abgeordneter bei knapp 7%. Von der Parteispitze wird der geringe Prozentsatz weiblicher Abgeordneter mit der Hemmung der Frauen vor politischer Tätigkeit erklärt. Laut AKP existiert zudem eine, allerdings inoffizielle, von Erdoǧan festgelegte Vorga427 be, die den Prozentsatz weiblicher Abgeordneter auf 30% erhöhen soll.

7.2.1.2 FRAUENDISKURS Seit 2002 begannen westlich orientierte Frauenverbände die Öffentlichkeit zu mobilisieren, um eine Reform des Strafrechts zu erreichen. Sie verlangten, als frauenfeindlich empfundene Regelungen aus dem Gesetzbuch zu entfernen. Ihre wichtigste Forderung war, Vergewaltigung, Belästigung oder Missbrauch nicht mehr als Verbrechen gegen die Gesellschaft („Verbrechen gegen die moralischen Traditionen und die Ordnung der Familie“), sondern als Verbrechen gegen Individuen zu be428 zeichnen. Nach anfänglicher Ablehnung der Forderungen setzte die AKP eine Reformkommission ein, der allerdings keine einzige Frau angehörte. Nach der Bekanntgabe ihrer Ergebnisse im Oktober 2003 wurde 426 Vgl. Hürriyet, “Meclis’te 46 kadın milletvekili”, http://www.hurriyet.com.tr/gundem/6941940.asp? top=1, 13.04.08. 427 Vgl. Senkyr, Jan / Tröndle, Dirk, Konrad-Adenauer-Stiftung, „Die Ehrenmordproblematik als Dialogthema im Länderprogramm Türkei“, http://www.kas.de/wf/doc/kas_9112-544-1-30.pdf., 19.11.09. 428 Vgl. Ilkkaracan (03.08.09), S. 256. 151

bekannt, dass die AKP an einem Gesetz festhalten wollte, das dem Vergewaltiger, sollte er sein Opfer heiraten, Haftminderung zusichert, da so 429 die verletzte Ehre der Frau wiederhergestellt würde. Auf Protest der Öffentlichkeit reagierte die AKP mit Unverständnis. So erklärte Professor Doǧan Soyaslan, der Hauptberater des Justizministeriums: „Jeder 430 möchte schließlich gern eine Jungfrau heiraten.“ Auch die Position, eine vergewaltigte Frau trüge Mitschuld, da sie den Täter wohl provoziert hätte, wurde durch Abgeordnete geäußert. Die Frauenministerin reagierte auf Kritik an dem Reformentwurf, mit der Aussage, „es ginge 431 der Regelung nicht darum, die Frauen 100% glücklich zu machen“. Auffallend war, dass sowohl islamische Frauenverbände als auch weibliche AKP-Mitglieder und Abgeordnete keinen eigenen Standpunkt entwickelten bzw. sich nicht öffentlich äußerten. Dabei wäre dies eine Gelegenheit gewesen, ihre Sicht, in Abgrenzung vom Zentrum, einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Warum sie stattdessen die Argumentation männlichen Vertretern überlassen haben, ist nicht klar. Von Seiten der dem Zentrum zuzuordnenden Frauenverbände, der Medien und großer Teile der Öffentlichkeit hingegen erfuhr die AKP starke Opposition. Sie präsentierte daraufhin einen Gesetzesentwurf, der die Mehrzahl der Forderungen der Frauengruppenvereinigungen berücksichtigte. Artikel, die die Vorherrschaft des Mannes bestimmten, wurden revidiert. Belästigung und Gewalt an Frauen, bislang als „Verbrechen gegen die Gesellschaft“ definiert, bezeichnete der neue Entwurf als „Verbrechen gegen Individuen“. Zudem sollte der Umstand, ob das Opfer einer Vergewaltigung Jungfrau war oder nicht, keinen Einfluss mehr auf 429 Durch dieses Gesetz wurde die Frau zusätzlich zu dem sexuellen Übergriff von ihrer Familie (Wiederherstellung der Ehre) und dem Vergewaltiger und dessen Familie (Haftminderung) unter Druck gesetzt. Es kam immer wieder vor, dass Männer, die um eine Frau angehalten und abgelehnt worden waren, die bisherige Gesetzeslage nutzten, um die Frau zu heiraten. 430 Vgl. Habervitrini, „Prof. Dr. Doǧan Soyaslan: Herkes bakire kız ister“, http://www.habervitrini.com /haber.asp?id=103632, 15.08.09 431 Vgl. Zaman Online, „Bakan Akşit: AB'ye gireceğiz diye değer yargılarımızdan vazgeçemeyiz“, http:// www.zaman.com.tr/haber.do?haberno=85818, 12.08.09. 152

das Strafmaß haben. Auch Vergewaltigung in der Ehe wurde nun als 432 Straftat definiert. Die AKP beugte sich der nationalen und internationalen Opposition, betonte jedoch immer wieder, die Frauenrechtsgruppen würden nur einen marginalen Teil und nicht die „durchschnittliche 433 türkische Frau“ repräsentieren. Auch hier zeigt sich wieder, dass die AKP eine konfliktvermeidende politische Strategie verfolgt und bei starker Opposition – vorläufig – ihre Position zurückzieht. Aufsehen, auch über die Grenzen der Türkei hinaus, erregte die Gesetzesänderung im Bezug auf Ehrenmord. Für die Untersuchung der rechtlichen Änderungen in diesem Bereich muss zunächst geklärt werden, wie der Begriff „Ehrenmord“ rechtlich definiert wird. Bislang umschloss er alle Morde, die von Männern aus dem Gefühl verletzter Ehre heraus verübt wurden. Gründe dafür konnten vom Fremdgehen der Ehefrau, Eifersucht, Abweisung bis zu sexuellen oder anderen als ehrverletzend empfundenen Kontakten der Tochter, Schwester etc. reichen. In der alten Gesetzesfassung konnten diese Beweggründe strafmildernd angeführt werden. Während der Gesetzesreform wurde gefordert, diese Regelung zu entfernen. Dazu konnte sich die AKP nicht durchringen und präsentierte nach langem Zögern einen Kompromiss. Ihr Gesetzesentwurf führte ergänzend zum Straftatbestand Ehrenmord (namus cinayetleri) auch den Straftatbestand traditionsbedingter Morde (töre cinayetleri) ein. Mit dem Begriff „traditionsbedingte Morde“ umschreibt die AKP die Tötung von Mädchen und Frauen durch ihre Angehörigen nach einer dementsprechenden Entscheidung durch den „Familienrat“. Dieser 434 Tatbestand kann nun nicht mehr strafmildernd angeführt werden.

432 Vgl. Gottschlich, Jürgen, Spiegel Online, „Ehebruch-Gesetz, Erdogans Eigenheiten“, http://www. spiegel.de/politik/ausland/0,1518,317443,00.html, 12.08.09.

433 Vgl. Tümgazeteler, „Türk kadınını marjinal bir kesim temsil edemez“, http://www.tumgazeteler.com /?a=659927, 19.08.09.

434 Vgl. Uçan Süpürge, Kadın Haber Sitesi, „Türk Ceza Kanunu Kadınlara Neler Getiriyor?“, http://www.ucansupurge.org/arsiv/www.ucansupurge.org/ indexf6b4.html?option=com_content&task=view&id=2140&Itemid=87, 19.08.10. 153

(Verwirrenderweise wird dieser Straftatbestand in der deutschen Diskussion als Ehrenmord bezeichnet.) Die AKP bezeichnete mit dem Begriff Ehrenmord die Tötung aus Eifersucht, Leidenschaft oder verletztem Ehrgefühl. Diese Motive können weiterhin strafmildernd geltend gemacht werden. Die Differenzierung in unterschiedliche Straftatbestände wird in der europäischen Debatte oft nicht beachtet – hier erscheint die AKP als die Partei, die sich aus voller Überzeugung gegen die Tötung von Frauen und Mädchen engagiert. Die Partei macht das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen in den Städten, geringe Bildung, Armut, die Erziehung der Jungen und das Herausreißen der Menschen aus ihren sozialen und kulturellen Lebensbe435 dingungen für die Gewalt verantwortlich. Daher wäre es wünschenswert gewesen, dass die AKP die Gesetzesänderung durch entsprechende Kampagnen in der Bevölkerung begleitet hätte, um die sozialen Wurzeln zu beseitigen. Vielmehr stärkt die Partei durch ihren Frauendiskurs, der der Ehre der Frau und der Institution Familie einen derart zentralen Platz einräumt, die patriarchalischen Kräfte in der Gesellschaft. Amnesty International zufolge stieg die Zahl der Ehrenmorde weiter von 150 436 (2002) auf 220 (2007) an. Auch traditionsbedingte Morde nehmen nicht 437 ab; das Gesetz hat somit keine abschreckende Wirkung. Kurz vor Verabschiedung der Gesetzesänderungen versuchte die AKP zudem, Ehebruch (zina) als Straftatbestand im neuen Strafrecht zu 438 verankern. Erdoǧan erklärte, damit würde die Partei auf die „Wün435 Vgl. Senkyr / Tröndle (19.11.09). 436 Vgl. Amnesty International, „Töchter der Moderne“, http://www.amnesty.de/journal/1970/januar/toechter-der-moderne, 02.08.09.

437 Vgl. Accord (Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research and Documentation), „KurdInnen in der Türkei”, http://www.ecoi.net/file_upload/ 1226_1244206565_kurdinnen-in-der-tuerkei-20090605.pdf, (12.09.09). 438 Bis 1996 war Ehebruch im türkischen Strafrecht ein Straftatbestand. Dabei wurde zwischen Frauen und Männern in der Definition als Straftat unterschieden. Während für die Frau jeder sexuelle Kontakt mit einem anderen Mann als ihrem Ehemann als Ehebruch galt, musste der Mann nachweislich mit einer anderen Frau als seiner Ehefrau zusammenleben. Vgl. Musharbash, Yassin, Spiegel 154

sche der anatolischen Frau“ eingehen. Er versuchte so, die Kritik zu entschärfen, seine Partei hätte sich bislang nur wenig für die Belange von Frauen eingesetzt. Andererseits rückte er durch diese Argumentation die kulturelle Besonderheit der Türkei in den Mittelpunkt und verbat sich auf dieser Grundlage die Einmischung der EU. Die AKP argumentierte, dass Reformen der Geschlechterbeziehungen von westlichen Vorstellungen beeinflusst seien und eine Bedrohung für die kulturelle Identität der Türkei darstellten. Die damalige Familienministerin Akşit erklärte, die Türkei müsse an den eigenen Werten festhalten und sich nicht dem 439 Druck der EU beugen. Nach Demonstrationen auf Initiative der Frauenrechtsverbände zog die AKP den Ehebruch-Vorschlag zurück, allerdings sagte sie kurze Zeit darauf das gesamte Strafrechts-Reformprojekt 440 ab. Erst nach massivem Druck der EU wurde das neue Strafrecht Ende September 2004 verabschiedet. Auch hier zeigt sich erneut die Strategie der Konfliktvermeidung durch die Partei. Im Rahmen der Verfassungsreform unternahm die AKP in Bezug auf Frauen einen kontrovers diskutierten Vorstoß. So schlug sie im Jahr 2007 vor, den seit 2004 in Artikel 10 der Verfassung verankerten Grundsatz „Frauen und Männer sind gleichberechtigt; der Staat ist verpflichtet, die Gleichheit zu verwirklichen“ durch: „Alle sind vor dem Gesetz völlig gleich. Maßnahmen zum Schutze besonders schutzbedürftiger Gruppen wie der Frauen, Kinder, Alten und Behinderten dürfen nicht zum Nachteil des 441 Gleichheitsprinzips ausgelegt werden.“ Online, „Empörung über geplantes Gesetz gegen Ehebruch“, http://www.spiegel. de/politik/ausland/0,1518,317374,00.html, 09.08.09 und Radikal, „AKP ‘zina’da yalnız kaldı“, http://www.radikal.com.tr/haber.php?haberno=126733, 13.05.09. 439 Vgl. Zaman Online, „Bakan Akşit: AB’ye gireceğiz diye değer yargılarımızdan vazgeçemeyiz“, http://www.zaman.com.tr/haber.do?haberno=85818, 12.08.09. 440 Vgl. BBC news, “Turkish PM attacks EU ‘pressure’”, http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/3666288.stm, 19.08.09. 441 Vgl. Höhler, Gerd, Kölner Stadtanzeiger, „Erdogan will Frauenrechte beschneiden“, http://www.ksta.de/html/artikel/1193144143818.shtml, 02.08.09 und 155

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zu ersetzen. Der inzwischen zurückgezogene Verfassungsentwurf hätte Frauen insofern diskriminiert, als er sie mit Kindern, Alten und Behinderten einer schützenswerten und rechtlich, psychisch oder physisch oft nicht vollständig handlungsfähigen Gruppe zugeordnet hätte. Rechtsunsicherheit wäre zudem dadurch gegeben, dass „schutzbedürftig“ sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann und somit die Gefahr der Bevormundung gegeben ist. Die Streitereien um die Strafrechtsreform und Verfassung zeigen zweierlei: Zum einem verfolgen die weiblichen AKP-Abgeordneten und Ministerinnen keine eigene Linie im Bezug auf die Frauenpolitik der Partei. Vielmehr demonstrieren sie öffentlich Übereinstimmung mit Erdoǧan und anderen männlichen Vertretern. Die ehemalige Familienministerin Güldal Akşit vertrat häufig Frauen benachteiligende Positionen, die sie mit einer partikulären türkischen Kultur und Tradition begründete. Zum anderen versuchte die AKP immer wieder als „national“ bezeichnete Wertvorstellungen durchzusetzen, zog diese jedoch bei starker Opposition der türkischen Öffentlichkeit oder der EU zurück. Es ist daher zu vermuten, dass dementsprechende Gesetzesinitiativen auch eine Rückversicherung an islamistische Wähler darstellen und dem Ausloten von Handlungsspielräumen dienten. Im Bezug auf die Ehebruch-Initiative bleibt die Frage im Raum stehen, inwieweit es nach Vorstellung der AKP dem Staat möglich sein soll, in die privaten Belange seiner Bürger strafrechtlich einzugreifen. Auch konnte sich die AKP nicht zu einem Verfassungszusatz bezüglich positiver Diskriminierung von Frauen („Frauenquote“) durchsetzen. Diese sei angeblich bereits durch die Ratifizierung der CEDAW (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Wo443 men) abgedeckt. Die Vorsitzende der Frauenrechtsgruppe Ka-Der (KaŞimşek, Yurdagül, Radikal, „Kadın, yaşlı ve engelliler için ufukta pozitif ayrımcılık gözüktü“, http://www.radikal.com.tr/haber.php?haberno=232997, 19.08.10. 442 Vgl. Şeker, Nimet,“Streit um Frauenrechte in der neuen Verfassung“, http://www. gazelle-magazin.de/leben/ausland/newsdetails/article/10/1237233949.html, 18.08.09. 443 Vgl. Sözen (2006), S. 267. 156

dın Adayları Destekleme ve Eǧitme Derneǧi) Hülya Gülbahar wies Erdoǧan in einem Gespräch darauf hin, sogar in Ruanda gäbe es eine Frauenquote. Der Ministerpräsident entgegnete ihr, es stünde ihr jederzeit 444 frei, dorthin auszuwandern. Im Bezug auf Bildung und Berufstätigkeit lassen sich keine eindeutigen Aussagen machen. Die AKP bekräftigt immer wieder, wie wichtig der Schulbesuch für alle Mädchen ist und unternimmt dementsprechende Initiativen. Um Defizite, besonders in Ostanatolien, auszugleichen, führte sie zwischen 2003 und 2005 in Zusammenarbeit mit UNICEF die Kampagne „Haydi Kızlar Okula Kampanyası“ (frei übersetzt: „Los Mäd445 chen, ab in die Schule“-Kampagne) durch. Wie bereits in Bezug auf die Kopftuchfrage (s. Kapitel 4.4.1.3) deutlich wurde, ist die Ausbildung von Frauen und Mädchen ein Anliegen der AKP. Dabei hat sie aber nicht unbedingt deren spätere Berufstätigkeit im Sinn. So förderte die ehemalige Familienministerin Güldal Akşit vorrangig Projekte zur weiblichen Heimarbeit und nicht zu ihrer aushäusigen Berufstätigkeit. Die von ihr ins Leben gerufenen Projekte zielten allesamt darauf ab, Verkaufskanäle 446 für in Heimarbeit hergestellte Produkte zu etablieren. Es lässt sich daher festhalten, dass der Frauendiskurs der AKP die Position der Frauen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nicht grundlegend gestärkt hat. Auch wenn in Teilbereichen eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung stattgefunden hat, scheint es der AKP vorrangig um die Beibehaltung der traditionellen Frauenrolle und die Segregation der Ge447 schlechter zu gehen. Die Rolle der Frau wird durch die AKP vorrangig 444 445 446 447

Vgl. Amnesty International (02.08.09). Vgl. Sözen (2006), S. 266. ibid. Ein Beispiel hierfür ist der AKP-Bürgermeister des Istanbuler Vororts Baǧcılar, der einen Park nur für Frauen einrichtete, angeblich um deren Bedürfnis, ungestört und unter sich bleiben zu können, Rechnung zu tragen. Vgl. Zaptıcıoǧlu, Dilek, Qantara.de, „Frauenrechte in der Türkei, Emanzipation zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c297/_nr-68/i.html, 25.08.09. 157

als Hausfrau und Mutter, jedoch nicht als sich selbst verwirklichende Berufstätige definiert. Im Bezug auf die Funktion der Frau als Gebärende und somit den Fortbestand der Familie Sichernde vermischen sich in der Position der AKP konservative, nationalistische und religiöse Positionen. Am 8. März 2008 (Weltfrauentag) forderte Erdoǧan als „bekümmerter Bruder“ seine „lieben Schwestern“ auf, je mindestens drei Kinder zu bekommen – dies sei die einzige Möglichkeit, sich gegen die Feinde der Türkei wirkungs448 voll durchzusetzen. Im Wertediskurs wird der „anatolischen Frau“ als Verkörperung türkischer Werte und Traditionen der „verdorbene Westen“ als Opposition im Sinne Fleischers entgegengestellt. Diese Position ist religiös geprägt; die ideale Frau erscheint als sittsam und keusch, ihr wichtigstes Gut ist ihre Ehre (namus). Frauenverbände, die in der Gesetzesdiskussion die Partei unter Zugzwang gesetzt haben, werden als „untürkisch“ abgewertet. Im Bereich der Frauenfrage lässt sich somit ein starker Einfluss religiöser Normen und Werte wie auch nationalistischer Positionen feststellen.

7.2.2 Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle Die türkische Gesellschaft hat ein ambivalentes Verhältnis im Bezug auf 449 450 451 Homosexuelle, Transvestiten und Transsexuelle. Anders als beispielsweise in Deutschland, wo Homosexualität erst seit 1969 gesetzlich erlaubt ist, war sie in der Türkei nie verboten. Auch wird Homosexualität gesellschaftlich nicht durchgehend geächtet. Die Übernahme des „ak448 Vgl. Strittmatter, Kai, Süddeutsche Zeitung, „,Weltgebärtag’ in der Türkei“, 11.03.08, Printausgabe.

449 Der Begriff Homosexuelle bezeichnet in dieser Arbeit Menschen, die sich von Menschen desselben Geschlechts sexuell angezogen fühlen. In dieser Arbeit werden darunter auch Bisexuelle subsumiert, also Menschen, die sich sowohl vom eigenen als auch vom anderen Geschlecht angezogen fühlen. 450 Der Begriff Transvestiten bezeichnet Menschen, die zeitweise ihre sexuelle Identität wechseln. 451 Der Begriff Transsexuelle bezeichnet Menschen, die eine dauerhafte, biologische Veränderung ihrer Sexualität vollzogen haben. 158

tiven Parts“ ist gesellschaftlich, wenn auch „hinter vorgehaltener Hand“ akzeptiert, die Übernahme des „passiven Parts“ wird hingegen gesellschaftlich geächtet. Unterschieden wird darüber hinaus zwischen der öffentlichen und der privaten Person. Vereinfacht dargestellt wird Homosexualität solange akzeptiert, wie sie nicht öffentlich thematisiert wird. Schwierig ist hingegen das öffentliche Outing als schwul oder lesbisch, das als Bedrohung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung interpretiert wird. Diese Menschen sind dann häufig vielfältigen Formen von Gewalt, Bedrohung und Verfolgung ausgesetzt. Viele entscheiden sich dennoch, nach Übergriffen nicht zur Polizei zu gehen, da ihre Anliegen häufig nicht ernsthaft weiter verfolgt werden und sie weitere Aggressionen fürchten. In einigen Fällen werden sie zudem von der Polizei erpresst oder ausgeraubt. Homosexuelle werden vom Militär als psychisch krank eingestuft und vom Wehrdienst ausgeschlossen. Oft müssen sie 452 durch Photos oder Videos beweisen, „wirklich homosexuell“ zu sein. Auch in diesem Bereich wird wieder die gesellschaftliche Doppelmoral sichtbar, da für das Militär nur die Übernahme des „passiven Parts“ einen ausreichenden Beweis für Homosexualität darstellt. Transvestiten und Transsexuelle gehören zu einer Gruppe, die vielfältiger Verfolgung und häufiger Gewalt ausgesetzt ist und sich in einem quasi rechtlosen Zustand befindet. Im Bezug auf das Showbusiness, vor allem das Fernsehen, stellt sich die Situation allerdings umgekehrt dar; dort werden sie von einer großen Fangemeinde verehrt. Prominentestes Beispiel dafür ist die Transsexuelle Bülent Ersoy, die die Sendung „a la Turca“ (in etwa das türkische Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“) moderiert. Ebenso treten bei Feiern in anatolischen Dörfern gelegentlich als Frauen verkleidete und geschminkte männliche Bauchtänzer (köçek) auf. Zur Vertretung ihrer Interessen haben sich Homosexuelle und Trans-

452 Vgl. Deutschlandfunk, „Gewalt gegen Homosexuelle in der Türkei“, http:// www.dradio.de/dlf/sendungen/ europaheute/792635/, 12.10.09. 159

453

454

gender-Personen in den Organisationen KAOS GL, Pembe Hayat 455 und Lambda Istanbul zusammengeschlossen. Die Bedrohung und Tötung von Homosexuellen sowie TransgenderPersonen durch Gesellschaft und Polizei wurde durch die AKP-Regierung bislang weder öffentlich thematisiert noch durch rechtliche Rege456 lungen bekämpft. Die AKP erwähnt Homosexualität und Transgender-Identitäten nicht öffentlich und lehnt es ab, in diesem Bereich tätige Organisationen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Durch ihr konservatives Weltbild, das die Institution Familie und die Ehre der Frau in den Mittelpunkt stellt, trägt die AKP dazu bei, dass davon abweichenden Lebensformen keine Toleranz entgegengebracht wird. Im Frühling 2008 hatte der AKP-Bürgermeister Istanbuls, Kadir Topbaş, den Antrag gestellt, die Homosexuellenorganisation Lambda Istanbul per Gerichtsbeschluss zu verbieten und erklärt, die Organisation und von ihr verwandte Begriffe wie lesbisch, schwul, bisexuell, Transvestit und transsexuell würden sich gegen die „moralischen Werte der Türkei“ und die „Familienstruktur“ richten. In einem Brief an die Organisation unterstrich er, sie würde Gesetz und 457 Moral der Türkei massiv verletzen. Lambda wurde daraufhin im Mai 2008 verboten. Zwar wurde diese Entscheidung vom Revisionsgericht im November wieder aufgehoben, doch war das Urteil mit der Warnung verbunden, in keinerlei Weise Homosexualität oder Transsexualität zu 458 propagieren. Eine Ausnahme von dieser Position stellt der AKP-Abge453 KAOS GL vertritt seit seiner Gründung 1994 die Rechte von Homosexuellen. Vgl. www.kaosgl.com.

454 Pembe Hayat setzt sich für die Rechte von Transgender-Personen ein. Vgl. www.pembehayat.org.

455 Lambda Istanbul wurde 1993 gegründet und war die erste Organisation der Türkei, die sich für die Rechte Homosexueller einsetzt. Vgl. www. lambdainstanbul.org. 456 Vgl. Human Rights Watch, “Jahresbericht 2008”, www.hrw.org/en/reports/2008/5/21/we-need-law-liberation, 12.08.09. 457 Vgl. Amnesty International (13.06.09). 458 Vgl. Human Rights Watch (12.08.09). 160

ordnete und Vorsitzende des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses Prof. Zafer Üskül dar. Er besuchte im Mai 2008 eine von KAOS GL organisierte Veranstaltung gegen Homophobie und sagte dort, dass auch „diejenigen mit anderen sexuellen Überzeugungen Menschen“ sei459 en. Auf Grund dieser Äußerung wurde er von islamischen Gruppen und aus der eigenen Partei scharf angegriffen und ihm die Unterstüt460 zung „Perverser“ vorgeworfen. Abschließend kann festgestellt werden, dass das Weltbild der AKP auf einer die männliche und weibliche Identität einschränkenden Definition beruht. Im Bezug auf Frauen verfolgt die AKP generell ein tradiertes, religionsgeprägtes Frauenbild, das die Frau in erster Linie als Mutter und Ehefrau sieht. Auch Männer werden durch das enge Männerbild der AKP eingeschränkt, das von Werten wie Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und der Dominanz gegenüber Frauen bestimmt ist. Für Homosexuelle und Transgender-Personen ist im Genderdiskurs der Partei kein Platz, sie werden als psychisch krank und „moralisch verdorben“ verurteilt.

7.3

Zwischenfazit Menschenrechte und Pluralismus

Im Bezug auf das politische Konzept der AKP, Muhafazakar Demokrasi (Konservative Demokratie), konnte festgestellt werden, dass Menschenrechte und gesellschaftlicher Pluralismus einen zentralen Platz in den Äußerungen der AKP einnehmen. Allerdings finden sich diese nicht in adäquater Form in der Regierungspraxis der Partei wieder. Anhand der Beispiele „Artikel 301“, „Antiterrorgesetz“ und „Pressefreiheit“ konnte gezeigt werden, dass sich die AKP teilweise sogar völlig konträr zu ihren Grundsätzen verhält.

459 Vgl. Tümgazeteler, “AKP’li Üskül’den eşcinsel desteği“, http://www. tumgazeteler.com/?a=2857059, 12.09.09.

460 Vgl. Bianet, “Vakit Hedef Gösteriyor, ‘Hassas Vatandaşlar’ Gereğini Yapıyor“, http://bianet.org/bianet /azinliklar/115822-vakit-hedef-gosteriyor-hassasvatandaslar-geregini-yapiyor, 19.11.09. 161

Obwohl sich die AKP uneingeschränkt zu Menschenrechten bekennt und diese zu einer ihrer zentralen Forderungen macht, konnten bei der Durchsetzung derselben erhebliche Defizite festgestellt werden. Zudem werden Menschenrechtsreformen bevorzugt in jenen Bereichen vorgenommen, die für sunnitische Muslime größere Handlungsspielräume, die „opportunity spaces“ eröffnen. Weitere strategische Ziele des Menschenrechtsdiskurses sind die Schaffung einer „außerparlamentarischen Legitimation“ der Partei und die Stärkung der Peripherie in der Auseinandersetzung mit den Kräften des Zentrums. Der Menschenrechtsdiskurs der AKP beruht damit anscheinend weniger auf innerer Überzeugung; es handelt sich auch um einen instrumentalisierten Diskurs, der im Hinblick auf die Ziele EU-Beitritt und Machtbeschneidung des Militärs geführt wird. Die AKP unterscheidet sich in ihrem Verhalten, Reformen im Hinblick auf den EU-Beitritt in Gang zu bringen, nicht von den Regierungen anderer Beitrittskandidaten.

162

8

Fazit

In der Türkei stehen sich in der Auseinandersetzung um die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht zwei konkurrierende Gruppen gegenüber: das Zentrum und die Peripherie, wobei letztere konservative Werte vertritt. Die AKP schätzt sich selbst als Teil der Peripherie ein und hält sich zugute, einen Spezialdiskurs innerhalb des Konservatismus-Diskurses begründet zu haben, den sie als „Konservative Demokratie“ bezeichnet. Eine der Schwierigkeiten der Analyse lag darin, dass dieser Begriff von der Partei weder eindeutig definiert noch klar von anderen Konzepten abgegrenzt wurde. Es zeigte sich, dass „Konservative Demokratie“ weniger eine innerparteiliche Leitschnur als vielmehr eine im Hinblick auf Außenstehende gewählte Bezeichnung ist. Übereinstimmung mit den europäischen konservativen Parteien besteht in dem Schwerpunkt, den die AKP auf traditionelle Werte wie Religion, Familie, Autorität und Moral legt. Auffallend ist, welche enorme Bedeutung dem Begriff Fortschritt zugeordnet wird, da dieser im Widerspruch zur konservativ-demokratischen Selbsteinschätzung steht. Die Partei scheint einen „dynamischen Konservatismus“ zu verfolgen, der sich permanent ändert, ohne sich dabei jedoch selbst in Frage zu stellen. Anders als europäische konservative Parteien ist die AKP als Bewegung gegen den status quo, d.h. gegen die Dominanz des Zentrums gegenüber der Peripherie, zu verstehen. Das Verbot der Refah Partisi 1998 leitete einen Prozess der Mäßigung der islamistischen Parteien in der Türkei ein. Seitdem stehen die Annäherung an die EU, Menschenrechte, gesellschaftlicher Pluralismus und Demokratisierung im Zentrum der Forderung dieser Parteien. Es konnte gezeigt werden, dass die Aufspaltung der Fazilet Partisi im Jahr 2001 in 163

AKP und Saadet Partisi nicht nur inhaltlich, sondern auch machtpolitisch begründet war. Der Vergleich der AKP mit islamistischen Parteien ergab, dass eine hohe Übereinstimmung in Bezug auf das Wählerprofil, die Mitglieder und politische Positionen besteht. Die AKP entwickelte sich in einem für die Türkei spezifischen Umfeld, in dem die şeriat nicht als Rechtsquelle gilt und Verbreitung und Lehre des sunnitischen Islams durch das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) kontrolliert werden. Das staatliche Säkularismusgebot wird von der AKP als Feindseligkeit gegenüber dem Islam interpretiert. Bekennt sich die AKP selbst zu Säkularismus, möchte sie diesen als staatliche Neutralität gegenüber der Religion verstanden wissen. Ihr Verhalten ist in diesem Bereich widersprüchlich, da sie gleichzeitig am Präsidium für Religiöse Angelegenheiten festhält und dieses durch eine Erweiterung seiner Kompetenzen noch stärken will. Damit bevorzugt sie den sunnitischen Islam vor allen anderen Religionsgemeinschaften. Dass sie ansonsten islamrelevante Themen nur wenig thematisiert, sollte angesichts bestehender Konflikte nicht als Aussöhnung von Religion und Staat in der Türkei missverstanden werden. In Bezug auf ihre religionsrelevanten Regierungshandlungen (Kopftuchfrage, İmam-Hatip-Schulen und Religionsunterricht) verfolgt die AKP den Ausbau religiöser Freiheiten zugunsten ihrer sunnitischen Wähler. Dieser erfolgt schrittweise und wird bei zu starkem Widerstand des Zentrums – vorübergehend – zurückgezogen. Die AKP verfolgt die Etablierung von „opportunity spaces“, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Engagement religiöser Gruppen und Einzelpersonen begünstigen. Sie strebt dadurch eine Islamisierung von Gesellschaft und Politik von unten, d.h. durch die Gesellschaft an. Zudem soll die kulturelle Dominanz des Zentrums überwunden und der Lebensstil der Peripherie gesamtgesellschaftlich aufgewertet werden. Das Verhältnis zur christlichen Minderheit ist ambivalent. Konvertiten werden häufig als „Landesverräter“ wahrgenommen. Doch ist die AKP um eine – wenn auch langsame – Verbesserung der Rechtsstellung christlicher Minderheiten bemüht. Aleviten versteht die Partei als „fehl164

geleitete Sunniten“, ihre Situation hat sich seit dem Regierungsantritt der AKP tendenziell verschlechtert. Den Konflikt zwischen Staat und Religion in der Türkei versucht die AKP zu entkräften, indem sie für Demokratie und Islam ähnliche Ziele und Werte angibt. Ihrer Überzeugung nach nimmt der Islam auf alle Bereiche von Politik und Gesellschaft Einfluss, ohne dass ein explizit islamischer Staat errichtet werden müsse. Die AKP versteht Islam nicht als Grundlage einer politischen Ideologie, sondern als Basis ihres politischen Selbstverständnisses. Wenn islamistische Politik nicht als Einführung der şeriat, sondern als inhaltlich im Bezug zum Islam stehend verstanden wird, ist die Einschätzung der AKP als islamistische Partei gerechtfertigt. Die AKP führt einen ausgedehnten Demokratisierungsdiskurs, der als eine Form legitimer Auseinandersetzung mit dem Zentrum zu bewerten ist. Für den Zustand der Demokratie in der Türkei benennt sie zahlreiche Schwächen: Spannungen zwischen den verschiedenen Ethnien, frommen Muslimen und dem Staat sowie dessen Eingriff in das Leben seiner Bürger. Durch „Konservative Demokratie“ möchte die AKP eine pluralistische und demokratische Gesellschaft sowie einen zurückgezogenen Staat, der sich in erster Linie als „Dienstleister seiner Bürger“ versteht, verwirklichen. Die Partei versucht, eine Schwächung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflusses des türkischen Militärs über Reformen im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen zu bewirken. Grundsätzlich ist der AKP ein Erfolg ihres Demokratisierungsdiskurses durch eine Dezentralisierung politischer Strukturen und ein Zurückdrängen des staatlichen Einflusses auf seine Bürger zu bescheinigen. Allerdings bestehen erhebliche Mängel hinsichtlich der Umsetzung innerparteilicher Demokratie sowie bezüglich Korruption und Klientelismus innerhalb der eigenen Reihen. Damit wird die Selbsteinschätzung der AKP als moralisch integere Partei und „demokratischer Neuanfang“ für die Türkei fragwürdig. Menschenrechte und gesellschaftlicher Pluralismus nehmen einen zentralen Platz im Diskurs der Partei ein. Der Menschenrechtsdiskurs 165

der Partei hat vorrangig die Festigung der Legitimität der AKP und die Verteidigung ihrer Position im politischen System der Türkei gegen die Angriffe des Zentrums zum Ziel. Es zeigt sich, dass sich die AKP trotz ihres Mandats bedroht fühlt; nicht zu Unrecht, wie der Antrag auf Verbot der Partei 2008 zeigte. Auffällig ist, dass die AKP zwar einen allgemeinen Menschenrechts- und Pluralismusdiskurs führt, Umsetzungen jedoch nur in solchen Bereichen stattfinden, von denen ihre Klientel profitiert. Besonders Lebensformen, die nicht in das Weltbild der AKP passen, werden dadurch benachteiligt. Frauen werden in ihrem Wunsch nach Bildung von der AKP unterstützt. Allerdings ist der Frauendiskurs der Partei nicht dazu angetan, die gesamtgesellschaftliche Situation der Frau zu verbessern, da er dem Rollenbild der Frau als Umsorgerin der Familie verhaftet bleibt. Die Frage der kurdischen Identität wird unter dem Begriff ümmet (Gemeinschaft aller Gläubigen) subsumiert; in diesem Rahmen ist das Zugestehen von Minderheitenrechten unproblematisch. Auffällig war, dass die Partei in diesem Bereich keine „klare Linie“ vertrat und von äußeren Einflüssen abhängig war. Die AKP hat ihre politische Karriere im Jahr 2001 mit einem gesellschaftlich liberalen, pro-demokratischen Programm und dem Bekenntnis zu innerparteilicher Demokratie begonnen. Der Kampf der Partei gegen die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Dominanz des Zentrums ist prinzipiell zu begrüßen. Als Fazit muss jedoch festgestellt werden, dass sich die AKP seit Aufnahme ihrer Regierungstätigkeit 2002 immer stärker auf eine nationalistisch-islamistische Position hinbewegt. Es wurde deutlich, dass die AKP nicht wirklich eine pluralistischere und demokratischere Gesellschaft anstrebt. Sie scheint mehr und mehr, quasi als „neues Zentrum“, an der autoritären Durchsetzung ihres Gesellschaftsmodells interessiert zu sein.

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Abbildungsverzeichnis Tabelle 1 Belgenet, „3 Kasım 2002 Seçimleri“, http://www.belgenet.com/secim/3kasim.html, 21.02.2009. Tabelle 2 Belgenet, „2007 Yili Genel Seçim Sonuçlar“, http://www.belgenet.net/ayrinti.php?yil_id=15, 21.01.2009. Abbildung 3 eigene Darstellung Abbildung 4 Nethaber, http://www.nethaber.com/Politika/53772/Burhan-KuzuTURBAN-ILE-BASORTUSU-ARASINDAKI-FARKI, 21.02.2009. Abbildung 5 Cumhuriyet, http://www.millimucadele.org/77/tayyipin-kedi-karikat%FCr %FC.jpg.

180

10 Anhang

Wichtige Türkische Parteien 1923–2009 AKP

Adalet ve Kalkınma Partisi ‒ Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei, 2001 aus dem moderaten Flügel der FP hervorgegangen, Vorsitz: Recep Tayyip Erdoǧan ANAP Anavatan Partisi ‒ Mutterlandspartei, 1983 durch Turgut Özal gegründet AP Adalet Partisi ‒ Gerechtigkeitspartei1961 gegründet, 1964-1980 Vorsitz Süleyman Demirel, 1992 Angliederung an DYP CHP Cumhuriyet Halk Partisi ‒ Republikanische Volkspartei, 1923 vom Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk gegründet, Vorsitz Deniz Baykal, (inzwischen) konservativ DP Demokrat Partisi – Demokratische Partei, 1946 bei der Einführung des Mehrparteiensystems gegründet, Vorsitz: Adnan Menderes, 1960 verboten, 1992 wieder zugelassen DSP Demokratik Sol Parti – Partei der Demokratischen Linken, 1985 von Rahşan Ecevit gegründet, 2007 Wahlbündnis mit CHP DYP Doǧru Yol Partisi – Partei des Rechten Weges, 1983 gegründet, Vorsitz 1987-1993 Süleyman Demirel, 1993–1996 Tansu Çiller, konservativ FP Fazilet Partisi ‒ Tugendpartei, 1997 als Ersatz der vom Verbot bedrohten RP gegründet, Vorsitz bis zum Verbot 2001 Recai Kutan, islamistisch, HADEP Halkın Demokrasi Partisi – Volksdemokratiepartei, 1994 gegründet, pro-Kurdisch 181

MHP

MNP MSP

RP

SP

182

Milliyetçi Hareket Partisi – Partei der Nationalen Bewegung. Unter anderem Namen 1948 gegründet, Vorsitz 1965–1980 Alparslan Türkeş, seit 1997 Devlet Bahçeli, nationalistisch Millî Nizâm Partisi – Nationale Ordnungspartei 1970–1971, islamistisch Millî Selamet Partisi – Nationale Heilspartei, 1972 gegründet, Vorsitz 1973 bis zur Schließung 1980 Necmettin Erbakan, islamistisch Refah Partisi – Wohlfahrtspartei, 1983 als Nachfolgepartei der MSP gegründet, Vorsitz 1987–1997 Necmettin Erbakan, Verbot 1998 Saadet Partisi – Glückseligkeitspartei, 2001 aus dem traditionellen Flügel der FP hervorgegangen, Vorsitz Recai Kutan

Glossar adıl düzen

Gerechte Ordnung, Gesellschaftspolitisches Programm der Refah Partisi ahlak bilgisi Ethikunterricht ak sauber, rein, weiß, unverbraucht başörtüsü traditionelles Kopftuch batı Bezeichnung für „den Westen“ çarşaf Ganzkörperschleier cemaat Bezeichnung für religiöse Gemeinschaften cemevi Gemeinschaftshaus der Aleviten devrimçilik Revolutionismus, eines der kemalistischen Prinzipien Din Kültürü ve Ahlak Bilgisi Religiöse Kultur und Sittenlehre, Schulfach Diyanet İşleri Başkanlıǧı Präsidium für Religionsangelegenheiten Ergenekon nationalistischer, terroristischer Geheimbund Erzurumlu jemand, der ursprünglich aus Erzurum stammt ezan Gebetsruf Fethullahçı Anhänger Fethullah Gülens gecekondu über Nacht illegal errichtete Häuser Gelenekçiler Traditionalisten helal-Nahrungsmittel den Speisevorschriften des Korans entsprechend İmam-Hatip-Schulen Schulen für Vorbeter und Prediger İttihad ve Terakki Cemiyeti Komitee für Einheit und Fortschritt Jendarma Gendarmerie, dem Militär untergeordnet JİTEM, Jandarma İstihbarat Nachrichtendienst und Terrorabwehr der ve Terörle Mücadele Gendarmerie 183

kadın kolları Kadiri köylü layiklik mahalle baskısı Mevlevi millet-System

Milli Görüş

MGK, Milli Güvenlik Konseyi milliyetçilik MÜSİAD, Müstakil Sanayici ve İşadamları Derneği Muhafazakar Demokrasi

Frauenabteilungen in türkischen Parteien religiöse Bruderschaft Bezeichnung für dörflichen Lebensstil Laizismus soziale Kontrolle innerhalb der Nachbarschaft religiöse Bruderschaft Regelung der Rechte und Pflichten der religiöser Minderheiten im Osmanischen Reich Organisation, die ein auf dem Islam beruhendes politisches, soziales und wirtschaftliches System anstrebt Nationaler Sicherheitsrat

Nationalismus Verband Unabhängiger Industrieller und Unternehmer Konservative Demokratie, politisches Konzept der AKP muhafazakar konservativ Nakşibendi religiöse Bruderschaft namus cinayeti Ehrenmord namus Ehre der Frau Nurcu religiöse Gemeinschaft OYAK, Ordu Yardımlaşmak Rentenkasse des Militärs Kurumu PKK, Partiya Karkeren Arbeiterpartei Kurdistans, terroristische Kurdistan Organisation RTÜK, Radyo ve Televizyon Rundfunk- und Fernsehrat Üst Kurulu şehirli Bezeichnung für städtischen Lebensstil 184

şeriat Süleymancı takiye Tanzimat Tarikat tekke Terörle Mücadele Yasası töre cinayeti türban türbe Türk Hukuk Kurumu TİS, Türk İslam Sentezi TRT, Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu TÜSİAD, Türk Sanayicileri ve İşadamları Derneği tutucu ümmet ulema Yenilikçiler Yüksek İslam Enstitüleri zina

islamisches Recht (arab. sharīʿa) religiöse Bruderschaft Verbergen des eigenen Glaubens in Gefahrenzeiten 1839-1876 Reformperiode im Osmanischen Reich Bezeichnung für religiöse Bruderschaften Sufi-Versammlungsort Antiterrorgesetz traditionsbedingter Mord „strenges“ Kopftuch, teilweise Symbol politischen Islams Sufi-Schreine Türkischer Rechtsverein Staatsphilosophie in den 1980er Jahren Staatliche Fernsehanstalt Vereinigung Türkischer Industrieller und Unternehmer konservativ Gemeinschaft der Muslime religiöse Rechtsgelehrte im Osmanischen Reich Modernisierer Hohe Islam-Institute, für theologische Studien Ehebruch

185

Texte

Recep Tayyip Erdoǧan’ın Konuşması, Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu, 10./11.01.2004 461 Istanbul Adalet ve Kalkınma Partisi yeni milenyumun ilk yıllarında kurulan, bir yıl sonra da iktidara gelen, Türkiye’nin en büyük partisidir. Sadece Cumhuriyet tarihinde değil, dünya tarihinde de bu siyasal başarının çok az örneği vardır. AK Parti Türk siyasal yaşamında yeni bir siyaset tarzını, yeni bir anlayışı temsil ediyor. Muhafazakar Demokrasi olarak ifade ettiğimiz siyasal kimlik altında ortaya koyduğumuz siyaset üslubu, siyaset tarzı ve siyaset kültürü sadece Türkiye açısından değil, dünya siyaseti açısından da çok önemli bir açılımdır. Dünya üzerinde sosyalizm, liberalizm ve muhafazakarlık arasında olduğu gibi diğer siyasal çizgiler arasında da ciddi bir ilişkinin ve etkileşimin olduğu görülüyor. Artık çok katı ve kesin hatlarla ideolojilerin birbirlerinden ayrılması ve kutuplaşmasına değil, farklı ideolojiler arasındaki geçişkenliklerle birlikte yeni siyasal kulvarların oluşmasına tanık oluyoruz. Siyah ve beyazın keskinliği yerine daha renkli ve çokboyutlu bir tablo var önümüzde. Biz AK Parti olarak Muhafazakar Demokrasi anlayışına önem atfediyoruz, çünkü bu çabanın siyasetin yenilenmesi ve güçlenmesi açısından ne anlam ifade ettiğini çok iyi biliyoruz. Türkiye’de siyasetin gerçekçi bir zeminde yapılması, partilerin kendi siyasal kimliklerini deklare etmeleri ve buna uygun bir siyaset tarzı gütmeleri öncelikle siyasetin güçlenmesi anlamını taşıyacaktır. Ak Parti’den önce siyasi hayata hakim olan partilerin iki karakteristiği vardı.

461 Vgl. http://tr.wikisource.org/wiki/Recep_Tayyip_Erdo%C4%9Fan%27%C4%B1n_ 15_Ocak_-2004_tarihli_konu%C5%9Fmas%C4%B1, 21.02.2007. 186

Birinci kısım partiler, siyaseti sadece belli bir ideoloji temelinde yaparak siyasi parti olmaktan çok “siyasi cemaat” gibi davranıyorlardı. Bu partiler, kamu siyaseti temelinde bir yapılanma yerine, katı ideoloji temelinde yapılanarak siyaseti radikalleştirmekteydiler. Diğer tür partiler ise her türlü “siyasi fikir”den yoksun, sadece rant dağıtmaya ayarlanmış “siyasi şirket” görünümündeydiler. Ak Parti siyaseti radikalleştiren “siyasi cemaat” anlayışına da, siyaseti fikirsizleştiren “siyasi şirket” anlayışına da karşıdır. Ak Parti, “muhafazakarlık temelinde bir kitle partisi”dir. Siyasetin fikir ekseninde yapılmasını temel almakta, buradan kalkarak kitlelere dönük merkez siyaseti üretmektedir. Böylece Ak Parti toplumsal merkezden aldığı güçle siyasi merkezi yeniden inşa etmiş ve merkez sağın tartışmasız tek gücü haline gelmiştir. Türk siyasi yaşamından silinip giden partilere baktığımız zaman bu partilerin siyasal kimliklerini geliştiremedikleri için önce “söylem krizi”ne, sonra “temsil krizi”ne girdiklerini görürüz. AK Parti’nin bugün iktidarda olmasına rağmen böyle bir çaba içine girmiş olması, önemsenmesi gereken bir açılımdır.Türkiye’de üretilecek bir model birçok ülkeye de örnek olabilecektir. Türkiye doğu ile batı, İslam ile Hıristiyanlık, Avrupa ile Asya arasında köprü durumundadır. Türkiye’nin laik ve demokratik yapısıyla İslam kültüründen kaynaklanan gelenekleri bir arada götürmesi doğudan da batıdan da dikkatle izlenmektedir. Böyle bir modelin olması iki uygarlık arasında kanalların açık olması, işbirliğinin var olması demektir. Bu misyonu kendi çıkarları için uygun görmeyen ve medeniyetler arası çatışmayı körüklemek isteyenler olabilir. Ancak unutmayalım ki, çatışmalar ve savaşlar istisnadır; asıl olan barış ve uzlaşı, diyalog ve işbirliğidir. Bugün için çağdaş dünyanın ortak hedefi “barış, istikrar ve refahı güvenceye alacak bir diyalog ve işbirliğini geliştirmek” şeklinde özetlenebilir. Bu ortak hedefe ulaşabilmek için, • demokrasi ve insan haklarına saygının güçlendirilmesi, • sürdürülebilir ve dengeli bir ekonomi • ve sosyal gelişmenin sağlanması, • yoksullukla mücadele önlemlerinin arttırılması ve kültürler arasındaki karşılıklı anlayışın geliştirilmesi zorunluluğu vardır. 187

Barış ve uzlaşının yolu iletişim ve diyalogdan geçmektedir. Diyalog ve işbirliğine kapalı olan toplumların geleceğin dünyasında etkin bir yer bulabilmesi mümkün değildir. Diyaloğa sırtımızı dönersek yerine ne koyabiliriz? Diyaloğu reddetmek bir arada yaşamayı reddetmek anlamına gelir. Diyalog, beyni ve gönlü açık, ilim ve fikirle aydınlanmış, ön yargısız insanların, samimi ve eleştirel olarak birbirlerinden öğrenmeye hazır olduğu ilişkinin adıdır. Küresel yönetimin temel şartı olarak, insan dayanışmasının medeniyet çeşitliliği ile tamamen tutarlı olduğunun ve medeniyetlerarası diyaloğun öneminin kabul edilebilir bir düzenin temeli olduğunun anlaşılması gerekir. İnsanlık büyük acıların ve yıkımların ardından birbirine yakınlaşmakta, ortak bir takım değerler üretmeye ve bunları kurumsallaştırmaya çalışmaktadır. Bugün çağdaş dünyayla entegre olamayan, evrensel değerleri benimseyemeyen, insan hakları, demokrasi ve hukuk devleti gibi kavramları geliştiremeyen ülkeler yalnızlığa itilmektedir. Varlığını koruyabilmenin ve diğer ülkelerle rekabet edebilmenin yolu yalnızlıktan değil, özbenliğini koruyarak evrensel kriterlere hakim olan bir işbirliğinden geçmektedir. Biz, bugün medeniyetler arasında gerçekleştirilebilecek bir diyaloğun dünya barışı ve kardeşliği için gerekli bir işbirliği çabası olduğunu düşünüyoruz. Farklılıkların birbirini tolere etmeleri ve ortak bir zeminde buluşmaları demokratik bir dünya için kaçınılmaz bir durumdur. Bugün bize düşen ortak bir barış dili ve diyalog zemini üretebilmektir. Bugüne kadar insan hakları evrensel bir değer olarak insanlık vicdanının ortak sesi, toplumların mutabakat zemini, farklılıkların diyalog platformu olarak şekillenmiştir. İnsan hakları kadar insanlığın üzerinde ittifak edebildiği bir üst değer çok az var olmuştur. Adalet ve hakkaniyet ilkeleriyle beslenen hak ve özgürlük söylemi insanlığın mütemmim cüz’ü olarak kurumsal yapılanmalara, hukuki düzenlemelere ve somut uygulamalara rengini –biraz değil, tamamen-vermelidir. Aslında insan hakları hemen hemen bütün dinlerin ve ideolojilerin bir şekilde vurguladıkları bir değerdir. Tüm dinler ve birçok ideoloji insani değerleri kutsallaştıran ve bugünkü şekliyle insan haklarına önem veren bir yapıdadır. 188

O halde bugünün barış dünyasının tesisinde ortak bir değer olarak insan hak ve özgürlükleri belirleyici rol oynamalıdır. Eğer dünya halkları ortak değerleri paylaşma noktasında bir erdem gösterirlerse, farklılıklarımıza saygı duyma noktasında da bir hassasiyet gelişir. Bu mutabakatın değersel zemini adalet ve insan hakları; siyasal zemini ise çoğulcu demokrasidir. Asıl olan insanlığın genel kabulünü alan evrensel değer ve ilkelerdir. Bugün olması gereken hak ve özgürlükler, adalet, fazilet ve barışın evrensel değerler olarak küreselleşmesi, kurumsallaşması ve tüm dünya insanına ulaştırılabilmesidir. Aksi takdirde belli bir kültürün dominant bir hale gelmesi, sermaye çevrelerinin küresel bir güce kavuşması; güneyle kuzey, doğuyla batı, zenginle yoksul gibi yeni ve birbirine mesafesi açılan kutupların oluşması olumlu görülebilecek bir değişim sayılamayacaktır. Bugün maruz kaldığımız risk ve tehditlerle tek bir devletin veya kuruluşun başa çıkması mümkün değildir. Bugün orta yerde duran gerçek, insanoğlunun yerküre gemisinde ortak bir kaderle yolculuk ettiğidir. Artık dünyanın herhangi bir köşesinde yaşanan olumsuzluklara gözümüzü kapamamız, yoksulluğu gözardı etmemiz, zulüm ve teröre vurdumduymaz davranmamız gibi bir lüksümüz yok. Silahsızlanma, demokratikleşme, hakkaniyetli ve sürdürülebilir kalkınma, çevre koruması, kültürel çoğulculuk, insan hakları ve küresel yönetim gibi konular bugün küresel sivil toplumun güçlendirilmesi gerektiğini ortaya koymaktadır. Küreselleşmenin lokomotifi her ne kadar ekonomi ise de, küreselleşme, toplumsal dinamikleri harekete geçirerek ve yerel zenginlikleri sürece katarak ancak istikrarı yakalayabilir. Küresel dünyada patronaj kesinlikle belli bir çevrenin inisiyatifine terk edilmemelidir. Türkiye’de AK Parti’nin ortaya çıkması, mevcut siyasal anlayışların milletin değer ve beklentilerine cevap verememesinin, kriz ve gerilimlerin siyasal alanı daraltmasının bir neticesidir. AK Parti sayesinde Türkiye’nin önünü tıkayan siyaset tarzlarını tasfiye etmiştir. Bu yüzden AK Parti dünden de ders alarak geleceğe yelken açmıştır. Türkiye’de artık Siyaset, birlikteliğin ve kuşatıcılığın lokomotifi olmak zorundadır. 189

Halkımız Türkiye’yi kutuplaşmalara götüren, halkın genelini kucaklamayan, söylem ve üsluplarıyla marjinalleşen partilere tam anlamıyla güvenememektedir. Huzur ve uyum isteyen toplumumuz ülkenin tüm sorunlarını gören ve çözmeye çabalayan, farklı toplumsal kesimleri hasım olarak görmeyen bir anlayışı arzulamaktadır ki, AK Parti iktidarı bu hissiyatın bir neticesidir. Mesele, herhangi birine saygısızlık yapmadan çok sayıda kimliğe yer bulacak bir siyasal üsluba ve yapılanmaya sahip olabilmektir. Toplumun küçümsenmeyecek bir kesimi • geleneği dışlamayan bir modernlik, • yerelliği kabul eden bir evrensellik, • manayı reddetmeyen bir rasyonellik, • köktenci olmayan bir değişim istemektedir. Demokrasi diyalog, tahammül ve uzlaşı rejimidir; bugün dünya ölçeğinde bir demokratikleşmeye ihtiyaç vardır. Küresel rekabet, ticaret ve uluslar arası ilişkiler ağı, kapalı toplumların hızla kendilerini dünyaya açmalarını gerekli kılmaktadır. Siyaseten kimi otoriter ülkelerin özgürleşmesi için çaba göstermeyenler bir gün ekonomik olarak bu ülkeleri dünya sistemine katmak zorunda kalacaklardır. Bizim arzumuz insanlık ailesinin her üyesinin güven zemininde tesis edilen bir iletişim ve işbirliği ağına katılmasıdır. Gettolaşan, içe kapanan ve işbirliğine kapalı olan toplumlar dünya üzerinde her an sorun üretebilecek sağlıksız alanların oluşmasına sebep olmaktadır. Dünyanın geleceği medeniyetler çatışmasından değil, medeniyetlerin işbirliğinden geçmektedir. Yerel özelliklerin, farklılıkların, milli ve dini değerlerin yani her türlü çeşitliliğin sahiplenilebildiği bir ortam çatışma değil uzlaşma; kavga değil barış getirecektir. AK Parti, Yeni Muhafazakar Demokrat çizgiyi muhafazakarlığın genlerine ve tarihi kodlarına uygun şekilde, ama siyaset yaptığı coğrafyanın toplumsal ve kültürel geleneklerine yaslanarak ortaya koymaktadır. AK Parti kendi düşünce geleneğinden hareketle, yerli ve köklü değerler sistemimizi evrensel standarttaki muhafazakar siyaset çizgisiyle yeniden üretmek amacındadır. 190

AK Parti değişime değil, gerileme ve yozlaşmaya direnen bir anlayıştadır. Değişimi gelişim ve ilerleme anlamında savunmaktadır. AK Parti geçmişin statükoculuk üzerine bina edilen muhafazakarlığı yerine yeniliğe açık modern bir Muhafazakarlık üzerinde durmaktadır. AK Parti, evrimci veya tedrici ve doğal sürecinde işleyen toplumsal dönüşüme dayalı bir değişimi savunmaktadır. AK Parti’nin muhafazakarlıktan anladığı mevcut kurum ve ilişkilerin korunması değil, bazı değerlerin ve kazanımların korunmasıdır. Koruma ise değişime ve ilerlemeye kapalı olma değil, özü yitirmeden gelişmeye uyum sağlamaktır. Muhafazakar Demokrasiye göre “siyaset” bir uzlaşı alanıdır; toplumsal ve kültürel çeşitlilikler demokratik çoğulculuğun üreteceği tolerans ve hoşgörü zemininde siyasete bir renklilik olarak katılırlar. Sivil siyaseti önemseyen ve siyasette sivil toplumun etkisine inanan AK Parti, demokratik bir toplumda ara korunak mekanizmaları olarak sivil toplum örgütlerine büyük önem verir. AK Parti, radikal söylem ve üslubun Türkiye siyasetine bir fayda sağlamadığını; Türk siyasetinin çatışma, kamplaşma ve kutuplaşma yerine uzlaşı, bütünleşme ve hoşgörü üzerine kurulması gerektiğini düşünmekte ve ılımlılığın toplumun genel bir talebi olduğuna inanmaktadır. Muhafazakar Demokrasiye göre sınırlandırılmayan, keyfiliğe ve hukuksuzluğa olanak sağlayan, katılımı ve temsili önemsemeyen, bireysel ve kollektif hak ve özgürlükleri hiçe sayan totaliter ve otoriter anlayışlar sivil ve demokratik siyasetin en büyük düşmanlarıdırlar. AK Parti hukuk devleti normlarını benimseyen asli fonksiyonlarına çekilmiş, küçük ama dinamik ve etkili bir devletten yanadır. Siyasi iktidarın en temel dayanağı milli iradedir ve özelliği, meşruluğunu halkın genel kabulünden almasıdır. Biz hukuki ve siyasi meşruluğu her partinin “olmazsa olmazı” olarak görüyoruz. Her türlü dayatmacı, buyurgan, tek tipçi, toplum mühendisliğine dayanan yaklaşımlar sağlıklı bir demokratik sistem için engeldir. Hiç kimse masa başından toplumları yönlendirmeye, onlara biçim vermeye kalkmamalıdır.

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Muhafazakar demokrasi kimliğimiz, her türlü toplumsal ve siyasal mühendisliğe karşıdır. Demokrasi bir diyalog, tahammül ve uzlaşı rejimidir. Diyalogun gelişmediği kapalı toplumlar demokratik bir kültür üretemezler. Türkiye’de kendine özgü bir demokrasi yerine; çoğulculuk, çokseslilik ve tahammül duygusunu sindirebilmiş bir demokrasi tesis edilmelidir. İdeal olan seçimlere ve belli kurumlara indirgenmiş mekanik bir demokrasi değil; idari, toplumsal ve siyasal tüm alanlara yayılmış organik bir demokrasidir. Biz buna “derin demokrasi” diyoruz. Demokratik siyaset zemini her türlü sorunun aktarıldığı, tüm toplumsal taleplerin yansıtıldığı ve doğru ile yanlışın kendisini test ederek düzeltebilecekleri bir zemin olmalıdır. “Özgürlük” sadece demokrasiyi mümkün kılan bir değer değil, aynı zamanda toplumsal düzenin ve sorumlulukların ahlaki ve hukuki çerçevede işlemesini de temin eden bir değer ve ilkedir. İnsanlık ailesinin her ferdi temel hak ve özgürlüklere “insan” olmaları sebebiyle sahip olmalıdır. Bireysel özgürlüğün tam olarak tesis edilebilmesi bireyi soyut, silik ve devlet karşısında korumasız kılmak değil, onu toplumsal alan içinde sivil ve sosyal oluşumlarla donatmaktan geçmektedir. Herkesin doğuştan sahip olduğu “insan hakları”nın hiçbir dinsel, ırksal, cinsel, dilsel, siyasal ya da sınıfsal ayırım gözetmeksizin tüm insanlar için geçerli olmalı ve hukuki zeminde tanınmalıdır. AK Parti, insan hak ve özgürlükleri çerçevesinde bireysel tercih ve kabullerin korunması gerektiğini saklı tutarak “aile” kurumunu sarsacak uygulamalar konusunda hassasiyet gösterilmesi gerektiğine inanmaktadır. AK Parti, “biz ve diğerleri” ayrımı yapan; tek bir mezhebi, etnik unsuru veya dini anlayışı siyasetinin ana gövdesi yaparak, diğer seçenekleri karşısına alan bir söylem ve örgütlenme biçimlerini dışlayıcı ve ayrıştırıcı bir özellik taşıyacağına inanmaktadır. Bunlar partimizin kırmızı çizgileridir. AK Parti, “laiklik”i devletin tüm dinler ve düşünceler karşısında nötr kalmasını ve eşit mesafeyi korumasını sağlayan, inanç farklılıklarının 192

veya farklı mezhep ve anlayışların çatışmaya dönüşmeden sosyal barış içinde yaşatılabilmesi için takınılan kurumsal bir tutum ve yöntem olarak tanımlamakta; laikliğin temel hak ve özgürlüklerin anayasal güvence altına alınarak bir tür hakem müessesesi gibi işletilebilmesi için demokrasiyle taçlanması ve uzlaşı ortamı sunması gerektiğini düşünmektedir. Laiklik, toplumsal çeşitliliği, çatışma veya gerginlik ortamından uzaklaştırıp barış içinde ve özgür olarak bir arada tutabilmenin bir yolu olarak görülmelidir. Muhafazakar Demokrasi anlayışımız, geleneği önemsemekle birlikte modern kazanımları reddeden bir gelenekçilik gütmemektedir. AK Parti körü körüne geleneği veya modern olanı reddetmek yerine, yeni bir senteze varılması gerektiğini düşünmektedir. Yerelliği savunmak, evrenselliği red anlamına gelmemeli, yerellik de kendisini çatışmacı bir mutlaklığa dönüştürmemelidir. AK Parti toplumsal olanı, grup aidiyetini ve sivil toplumu önemli bulurken, cemaatçi bir yaklaşımı önplana çıkarmamaktadır. AK Parti dini bir toplumsal değer olarak önemsemekle birlikte din üzerinden siyaset yapmayı, devleti ideolojik bir dönüşüme uğratmayı, dini sembollerle örgütlenmeyi doğru bulmamaktadır. Din üzerinden siyaset yapmak, dini araç haline getirmek, din adına dışlayıcı bir siyaset yürütmek hem toplumsal barışa, hem siyasi çoğulculuğa, hem de dine zarar vermektedir. Dini ve dindarları önemsemek, dini değerlerin sosyal fonksiyonlarını kabul eden bir parti olmak ile dini bir ideoloji haline getirerek devlet aygıtı marifetiyle ve zorla toplumu dönüştürmeyi amaçlayan bir parti olmak arasında çok ciddi bir fark vardır. Din adına parti kurmak veya böyle bir imaj vermek topluma ve dine yapılabilecek bir kötülüktür. Din mukaddes ve ortak bir değerdir, bunu kimse siyasi tarafgirlik konusu yaparak bölünme ve ayrışmalara sebebiyet vermemelidir. Bu yüzden geleneği, tarihi ve toplumsal kültürü önemseyen muhafazakarlığın dini de önemseyerek demokratik bir formatta kendisini inşa etmesi önemli bir açılım olacaktır. AK Parti’nin geliştirmeye çalıştığı Muhafazakar Demokrasi anlayışı 193

din-demokrasi, gelenek-modernizm, devlet-toplum arasındaki ilişkiyi sağlıklı bir zeminde yeniden üretmek açısından büyük önem taşımaktadır. AK Parti kuruluşundan bugüne hem zihinsel, hem örgütsel, hem yönetsel olarak kurumsallaşma noktasında önemli adımlar atmıştır. Bu çalışma Muhafazakarlık olarak tanımladığımız siyasal düşünce biçimini demokratik formatta kodlayarak Muhafazakar Demokrasi anlayışını ve siyaset tarzını Türk siyasal yaşamına kazandırmayı amaçlamaktadır. AK Parti Muhafazakar Demokrasi anlayışıyla Türk siyasetinin bugünü ve yarınında ülke ve millet menfaatleri çerçevesinde belirleyici olma gayretindedir. Tutarlı bir siyaset öncelikle partinin siyasal söylemi ve felsefesiyle eylemlerinin örtüşmesini gerektirmektedir. Halkımızın değer ve beklentilerini siyasal alana taşıyan partimiz, siyasal düşüncemize uygun politikalar üretmenin önemine inanmaktadır. Bu çalışma bu amaçla hazırlanmış ve kamuoyunun katkılarına açılmıştır. Ümit ediyoruz ki, Muhafazakar Demokrasi anlayışı siyasal hayatımıza yeni bir soluk ve açılım getirir.

Recep Tayyip Erdoǧan, Rede auf dem Symposium „Internationaler Konservatismus und Demokratie” 10./11.01.2004, Istanbul Die AK Partei, die in den Anfangsjahren des neuen Milleniums gegründet wurde und ein Jahr später an die Macht kam, ist die grösste Partei der Türkei. Nicht nur in der Geschichte der Türkischen Republik, sondern auch in der Weltgeschichte gibt es wenige Beispiele eines solchen politischen Erfolges. Die AK Partei vertritt in ihrer politischen Entwicklung innerhalb der türkischen Politik einen neuen politischen Stil und eine neue Auffassung. Der politische Stil, die Methode und die politische Kultur, welche wir unter unserer politischen Identität einer konservativen Demokratie, 194

wie wir sie nennen, hervorbringen, ist nicht nur vom Blickwinkel der Türkei her, sondern auch von der Weltpolitik her betrachtet, eine sehr wichtige Öffnung. Weltweit gibt es zwischen dem Sozialismus, Liberalismus und dem Konservatismus ernste Beziehungen und Einwirkungen, genauso gibt es sie auch bei anderen politischen Weltanschauungen. Wir werden nun Zeugen, wie Ideologien sich nicht mit strengen und klaren Linien voneinander trennen und polarisieren, sondern sich mit der Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Ideologien neue politische Bahnen ergeben. Statt einem „Schwarz-Weiß-Bild”, haben wir ein Bild vor uns, das farbig und multidimensional ist. Das Demokratie-Verständnis hat bei uns als AK Partei einen hohen Stellenwert, weil wir wissen, welche Bedeutung dieses Bestreben für die Erneuerung und Verstärkung der Politik hat. Primär wird es die Verstärkung der Politik bedeuten, wenn in der Türkei die Politik auf realistischem Boden ausgeübt wird, die Parteien ihre eigene politische Identität deklarieren und dementsprechende Politik ausüben. Vor der AK Partei hatten die Parteien, welche das politische Leben bestimmten, zwei Merkmale. Einige dieser Parteien führten ihre Politik nur nach einer gewissen Ideologie aus und verhielten sich mehr wie eine „politische Gemeinde” als wie eine politische Partei. Diese Parteien bauten ihre Ideologien auf radikaler Ideologie statt auf der öffentlichen Meinung. Dies bringt Radikalismus. Andere Parteien jedoch, ohne jegliche „politische Idee”, sahen aus wie „politische Firmen”, welche darauf eingestellt waren, Gewinne zu verteilen. Die AK Partei ist gegen ein „politische-Gemeinde”-Verständnis, welches die Politik radikalisiert, wie auch gegen ein „politische-Firma”-Verständnis, welches zur ideenlosen Politik führt. Die AK Partei ist eine Partei der Massen und hat ihre Wurzeln im Konservativen. Auf unserer Grundlage wird Politik im Bereich der Ideen ausgeführt und von hier aus erreichen wir mit unserer Zentral-Politik die Massen. 195

Somit hat die AK Partei mit der Kraft, die sie aus dem gesellschaftlichen Zentrum erhalten hat, das politische Zentrum neu aufgebaut und ist zweifellos die Nummer eins im Zentrum der rechten Parteien. Wenn wir auf die Parteien schauen, welche von der türkischen Politik-Arena verschwunden sind, ist der Grund darin zu sehen, dass diese Parteien ihre politische Identität nicht weiterentwickelt haben, was zunächst zu einer „Ausdruckskrise” und danach zu einer „Vertretungskrise” geführt hat. Dass die AK Partei heute, obwohl sie an der Macht ist, einer solchen Bestrebung [Anm. Identitätsweiterentwicklung] nachgeht, ist eine ernst zu nehmende Entwicklung. Ein Modell, das in der Türkei erstellt wird, kann als Beispiel für einige Länder dienen. Die Türkei steht als Brücke zwischen dem Osten und dem Westen, dem Islam und dem Christentum, Europa und Asien. Das Zusammenleben [zeitgleiche Nebeneinander] des weltlichen und demokratischen Aufbaus der Türkei mit den Traditionen der Islamischen Kultur wird vom Osten und vom Westen genau beobachtet. Die Existenz eines solchen Modells und die offenen KommunikationsKanäle zwischen zwei Zivilisationen zeigen, dass Zusammenarbeit stattfindet. Es kann sein, dass es einige gibt, die diese Mission als Nachteil für ihre eigenen Interessen sehen und Unruhen zwischen den Zivilisationen schüren wollen. Aber vergessen wir nicht: Unruhen und Kriege sind Ausnahmen; maßgebend ist der Friede und die Verständigung, der Dialog und die Zusammenarbeit. Heute ist das gemeinsame Ziel der modernen Welt kurz gefasst „Dialog und Zusammenarbeit zu entwickeln, die Frieden, Stabilisierung und Wohlstand gewährleisten”. Um die gemeinsamen Ziele • Verstärkung des Respekts für Demokratie und Menschenrechte • eine kontinuierliche und ausgewogene Wirtschaft • Gewährleistung der sozialen Entfaltung zu erreichen, ist es notwendig, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut zu erhöhen und das gegenseitige Verständnis zwischen den Kulturen zu verbessern. Der Weg des Friedens und der Verständigung beruht auf Kommunikation und Dialog. Für Gesellschaften, die sich vom Dialog und der Zusammenarbeit abwenden, ist es nicht möglich, einen aktiven Platz in der zu196

künftigen Welt zu finden. Womit können wir die Ablehnung des Dialogs ersetzen? Den Dialog abzulehnen bedeutet, das Zusammenleben abzulehnen. Dialog ist der Name der Beziehung zwischen Menschen, deren Köpfe und Herzen offen sind, die mit Wissen und Ideen aufgeklärt sind, Menschen ohne Vorurteile und Menschen, die in aufrichtiger und kritischer Weise bereit sind, voneinander etwas zu lernen. Das Grundprinzip der globalen Führung ist, dass die Solidarität unter den Menschen die Kultur-Vielfalt berücksichtigt und die Wichtigkeit des Dialogs zwischen den Kulturen als Grund einer akzeptablen Ordnung verstanden wird. Die Menschheit kommt sich nach großem Leid und Katastrophen näher und versucht, gemeinsame Werte herzustellen und diese dann einzubinden. Länder, die es heute nicht schaffen, sich in die moderne Welt zu integrieren, die sich die globalen Werte nicht aneignen, Begriffe wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat nicht entwickeln, werden allein gelassen. Die eigene Existenz zu schützen und im Wettbewerb mit den anderen Ländern zu bestehen, ist in der Einsamkeit nicht möglich; es ist nur möglich, wenn man seine Kernpersönlichkeit bewahrt und in eine Zusammenarbeit tritt, welche die globalen Kriterien beherrscht. Wir glauben heute, dass der Dialog zwischen den Kulturen realisiert werden könnte und dieser für den Weltfrieden und die Bürderlichkeit ein notwendiges, gemeinsames Bestreben ist. Dass Verschiedenheiten sich gegenseitig tolerieren und sich auf einem gemeinsamen Basis treffen, ist für eine demokratische Welt eine unerlässliche Voraussetzung. Heute ist unsere Aufgabe, eine gemeinsame Sprache des Friedens und einen Boden für den Dialog hervorzubringen. Bis heute haben sich die Menschenrechte als globaler Wert, als gemeinsame Stimme des Gewissens der Menschheit, als Boden für die Übereinstimmung zwischen den Gesellschaften und als Plattform für den Dialog zwischen Verschiedenheiten erwiesen. Einen Oberwert wie die Menschenrechte, unter dem die Menschheit zu einem Bündnis zusammengefunden hat, hat es selten gegeben. Die aus den Grundsätzen der Gerechtigkeit bestehenden Aussagen des Rechts und der Freiheit, die Teil der Menschheit sind, sollten beim organisato197

rischen Aufbau, beim Ordnen im rechtlichen Bereich und bei konkreten Durchführungen nicht nur ein wenig Farbe, sondern ihre ganze Farbe hinzufügen. Eigentlich sind die Menschenrechte ein Wert, den fast alle Religionen und Ideologien irgendwie betont haben. Alle Religionen und viele Ideologien sind so aufgebaut, dass sie die menschlichen Werte heiligen und die Menschenrechte in ihrer heutigen Form ernst nehmen. Also sollten in der Errichtung der heutigen Friedens-Welt die Menschenrechte und Freiheiten als gemeinsamer Wert eine bestimmende Funktion haben. Wenn die Weltvölker sich beim Teilen der gemeinsamen Werte moralisch korrekt verhalten, entwickelt sich auch eine Sensibilität, welche die Differenzen untereinander respektiert. Der Boden dieser Übereinstimmung sind Gerechtigkeit und Menschenrechte; der politische Boden ist die pluralistische Demokratie. Maßgebend sind die von der Menschheit allgemein angenommenen globalen Werte und Prinzipien. Die Rechte und Freiheiten, die heute notwendig sind - Gerechtigkeit, Tugend und Frieden - müssen als globale Werte weltweit verbreitet, organisiert und an alle Menschen übermittelt werden. Ansonsten wird eine bestimmte Kultur in eine dominante Lage kommen, Kapitalgruppen erreichen weltweite Macht; neue Polarisierungen wie Süden - Norden, Osten - Westen, Reich und Arm mit zunehmendem Abstand zueinander, entstehen. Diese Veränderung kann nicht als positive Veränderung angesehen werden. Die heutigen Risiken und Bedrohungen kann ein Land oder Unternehmen unmöglich allein überwinden. Tatsache ist, dass die Menschheit mit einem gemeinsamen Schicksal auf dem Erdball reist. Nun besitzen wir nicht den Luxus, unsere Augen schließen zu können, um schlimme Dinge, die in irgendeiner Ecke auf der Welt geschehen, nicht zu sehen, die Armut zu übersehen, Grausamkeiten und Terror gleichgültig zu betrachten. Themen wie Entwaffnung, Demokratisierung, ein gerechter und fortsetzbarer Aufschwung, Umweltschutz, kulturelle Vielfalt, Menschenrechte und globale Führung zeigen, dass es nötig ist, die globale, zivile Gesellschaft zu verstärken. Obwohl die Lokomotive der Globalisierung die Wirtschaft ist, kann die 198

Globalisierung nur Stabilität erreichen, wenn sie die soziale Dynamik in Bewegung setzt und die lokalen Reichtümer in den Entwicklungsprozess mit einbindet. Die Leitung der globalen Welt darf auf gar keinen Fall der Initiative bestimmter Kreise überlassen werden. Das Auftreten der AK Partei in der Türkei resultiert daraus, dass die vorhandenen politischen Mentalitäten nicht die Antwort auf die Werte und Erwartung des Volkes waren und Krisen und Spannungen das politische Feld verengt haben. Dank der AK Partei sind politische Gruppen, welche die Türkei in der Vorwärtsbewegung gehindert haben, aufgelöst worden. Deshalb hat die AK Partei auch von der Vergangenheit gelernt und die Segel in die Zukunft gesetzt. In der Türkei muss die Politik nun die Lokomotive der Gemeinsamkeit und Bindung werden. Unser Volk hat kein Vertrauen in Parteien, welche die Türkei in eine Polarisation führen, nicht hinter dem ganzen Volk stehen und mit ihren Aussagen und ihrem Stil gesellschaftsfeindlich erscheinen. Unser Volk will Frieden und Harmonie, ein Verständnis, das alle Probleme des Landes sieht und anstrebt, sie zu lösen, ein Verständnis, das unterschiedliche gesellschaftliche Teile nicht als Gegner untereinander betrachtet. Die Regierung der AK Partei ist das Ergebnis dieser Gefühle. Die Hauptsache ist, sich niemandem gegenüber respektlos zu äußern und einen politischen Ausdrucks-Stil und Aufbau zu besitzen, in dem viele Identitäten Platz haben. Eine beachtlicher Teil des Volkes erwartet: • eine Modernität, welche die Tradition nicht ausschließt • eine Globalität, welche das Lokale akzeptiert • eine Rationalität, welche die Bedeutung [das Spirituelle] nicht ablehnt • eine Veränderung, die nicht radikal ist. Die Demokratie ist ein Regime des Dialogs, der Toleranz und der Verständigung; heute benötigt die Welt Demokratisierung. Die globale Konkurrenz, der Handel und das Netz der internationalen Beziehungen verlangen die schnelle Öffnung verschlossener Gesellschaften gegenüber der Außenwelt. Jene, die sich politisch nicht für die Freiheit einiger autoritärer Länder einsetzen, müssen eines Tages aus ökonomischen Gründen diese Länder ins Welt-System eingliedern. Unser Wunsch ist, dass jedes Mitglied der Familie der Menschheit sich 199

einem Netz der Kommunikation und Zusammenarbeit anschließt, dessen Grundlage das Vertrauen ist. Gesellschaften, die das „Ghetto-Leben” wählen, sich verschließen und Zusammenarbeit ablehnen, verursachen die Entstehung von unsicheren Gebieten auf der Welt, die jederzeit Probleme hervorbringen können. Die Zukunft der Welt darf nicht aus dem Konflikt zwischen den Zivilisationen bestehen, sondern aus der Zusammenarbeit der Zivilisationen. Ein Milieu, in dem örtliche Besonderheiten, Differenzen, nationale und religiöse Werte, also alle möglichen Verschiedenheiten akzeptiert werden, wird nicht Konflikte, sondern Verständigung, nicht Streit, sondern Frieden bringen. Die AK Partei legt die neue konservative, demokratische Linie, den Genen des Konservatismus und den geschichtlichen Codes entsprechend dar, stützt sich dabei jedoch auf die sozialen und kulturellen Traditionen des Gebietes, in dem sie Politik ausübt. Die AK Partei hat das Ziel, ausgehend von der eigenen MeinungsTradition, unser einheimisches und grundlegendes Werte-System mit ihrer konservativen politischen Linie, welche einen globalen Standard hat, von neuem zu entwickeln. Die AK Partei hat eine Mentalität, die nicht gegen Veränderung ist, sondern gegen Rückschritt und Degeneration. Sie ist für Veränderung in der Bedeutung von Entwicklung und Fortschritt. Die AK Partei ist für einen Konservatismus, der offen für Neues und modern ist, nicht aber für einen Konservatismus der Vergangenheit, der darauf beharrte, die Lage so sein zu lassen, wie sie ist, und keine Veränderung zulässt. Die AK Partei verteidigt eine Veränderung, die evolutionär oder allmählich ist und in ihrem natürlichen Entwicklungs-Prozess arbeitet und sich auf soziale Veränderung stützt. Für die AK Partei bedeutet der Konservatismus nicht, dass die vorhandenen Organisationen und Beziehungen beschützt werden, sondern dass einige Werte und Errungenschaften beschützt werden. Schutz heißt nicht, der Veränderung und dem Fortschritt verschlossen zu sein, sondern sich, ohne seinen Kern zu verlieren, den Entwicklungen anzupassen. 200

Gemäß der konservativen Demokratie ist „Politik” ein Feld der Verständigung; soziale und kulturelle Vielfalten kommen auf der Basis der Toleranz, welche vom demokratischen Pluralismus erzeugt wird, als „Farbe” in die Politik dazu. Die AK Partei findet die zivile Politik wichtig und glaubt an die Wirkung der zivilen Gesellschaft in der Politik, sie legt großen Wert auf zivile Gesellschafts-Organisationen, die in einer demokratischen Gesellschaft als „Zwischenraum - Schutz - Mechanismus” dienen. Die AK Partei glaubt, dass radikale Aussagen und radikaler Stil der türkischen Politik keinen Nutzen bringen, sondern daß die türkische Politik statt auf Konflikten, Barrikadisierungen und Polarisationen auf Verständigung, Vervollständigung und Toleranz aufgebaut sein muss und Ausgewogenheit eine allgemeine Forderung der Gesellschaft ist. Die konservative Demokratie sieht die größten Feinde der zivilen und demokratischen Politik in totalitären und autoritären Auffassungen, welche die folgenden Eigenschaften haben: sie werden nicht begrenzt, ermöglichen Eigenmächtigkeit und Rechtlosigkeit, sehen Teilnahme und Vertretung nicht als wichtig an und ignorieren persönliche und kollektive Rechte und Freiheiten. Die AK Partei ist für einen Staat, der sich an die Normen des Rechtsstaats hält und sich auf seine primären Funktionen bezieht, das heißt, klein, aber dynamisch und effektiv ist. Die größte Stütze der politischen Macht ist der nationale Wille und ihre Besonderheit, dass sie die Legalität vom Volk [von den allgemeinen Stimmen des Volks] erhält. Wir sehen die rechtliche und politische Legalität als einen der wichtigsten Grundsätze überhaupt aller Parteien an. Alle Arten von zwingender, diktatorischer, „Einheits-”, auf Gesellschafts-Engineering basierender Betrachtungen sind Hindernisse für ein gesundes Demokratie-System. Niemand darf vom bequemen Sitz aus versuchen, Gesellschaften zu dirigieren und sie zu formen. Unsere konservative Demokratie-Identität ist gegen jede Form gesellschaftlichen und politischen Engineering. Demokratie ist ein Regime des Dialogs, der Toleranz und der Verständigung. Verschlossene Gesellschaften, bei denen sich der Dialog nicht entwickelt hat, können keine demokratische Kultur erzeugen. 201

In der Türkei sollte statt einer Einheitsdemokratie eine pluralistische, vielstimmige und das Gefühl der Toleranz in sich tragende Demokratie gegründet werden. Ideal wäre nicht eine mechanische Demokratie, die reduziert wird auf Wahlen und bestimmten Organisationen, sondern eine verwaltende, soziale und politisch auf alle Gebiete verteilte, organische Demokratie. Wir nennen dies „tiefe Demokratie”. Die Plattform der demokratischen Politik sollte ein Boden sein, wo alle Probleme dargelegt werden, soziale Forderungen reflektiert werden und richtig und falsch sich testend korrigieren können. „Freiheit” ist nicht nur ein Wert, der die Demokratie ermöglicht, ebenso ist es ein Wert und Grundsatz, der dafür sorgt, dass soziale Ordnung und Verpflichtungen im Rahmen moralischer und rechtlicher Ebenen funktionieren. Jeder Angehörige der Menschheit sollte die Grundrechte und Freiheiten auf Grund der Tatsachen, dass er ein „Mensch” ist, besitzen. Die vollständige Durchsetzung der individuellen Freiheit hat nichts damit zu tun, dass man den Einzelnen abstrakt, unauffällig und schutzlos vor dem Staat lässt, sondern ihn im sozialen Feld mit zivilen und sozialen Bildungen ausrüstet. Die „Menschenrechte”, die jeder von Geburt an besitzt, sollten ohne Unterschied auf Religion, Nationalität, Geschlecht, Sprache, politischen oder Klassen-Status angesehen und für alle Menschen gültig sein und auf rechtlicher Ebene anerkannt werden. Die AK Partei glaubt, dass im Rahmen der Menschenrechte und Freiheiten individuelles Handeln und Glauben geschützt werden muß. Zudem muß Sensibilität gegenüber die der Institution Familie erschütternde Strukturen gezeigt werden. Die AK Partei glaubt, dass die Unterscheidung zwischen uns und den anderen, zwischen ethnischen Identitäten oder religiösen Überzeugungen, wenn sie zur wichtigsten politischen Idee gemacht wird, sich gegen alle anderen Meinungen, Enscheidungen und Organisationsformen richtet. Dies ist die rote Linie für unsere Partei. Die AK Partei definiert Laizismus als eine neutrale Haltung des Staates gegenüber allen Religionen und Meinungen, und diese gewährleistet und ermöglicht es, eine gleiche Distanz zu bewahren, die Differenzen 202

zwischen den Religionen oder verschiedenen Konfessionen und Mentalitäten, ohne in einen Konflikt zu geraten, zu tolerieren, das heißt eine organisatorische Haltung und Methode. Laizismus sollte eine Schiedsrichterfunktion einnehmen. Er sollte die wichtigsten Rechte und Freiheiten überwachen. Laizismus braucht Demokratie und Ausgleich. Laizismus muss als Möglichkeit gesehen werden, eine gesellschaftliche Vielschichtigkeit von einer Atmosphäre der Unruhen oder Spannungen zu befreien und dafür zu sorgen, dass sie [Anm. die Menschen] in Frieden und frei miteinander leben können. Unser konservatives Demokratie-Verständnis gibt der Tradition einen hohen Stellenwert, ist aber auch offen für moderne Erkenntnisse. Die AK Partei ist der Überzeugung, dass, statt blindlings die Tradition oder das Moderne abzulehnen, versucht werden sollte, eine neue Synthese zu finden. Lokalität zu verteidigen, sollte nicht heißen, die Globalität nicht zu akzeptieren, Lokalität sollte sich nicht in konfliktsuchenden Absolutismus verwandeln. Die AK Partei legt grossen Wert auf das Gesellschaftliche, die GruppenIdentität und die zivile Gesellschaft, nicht aber auf ethnische Abgeschiedenheit und das Zusammenleben nur unter Gleichgesinnten. Die AK Partei nimmt die Religion als gesellschaftlichen Wert wichtig, findet es aber nicht richtig, mit Hilfe der Religion Politik auszuüben, den Staat in eine ideologische Wandlung zu bringen und sich mit religiösen Symbolen zu organisieren. Religion für die Politik zu missbrauchen, Religion als Mittel zum Zweck zu machen, im Namen der Religion eine Politik zu machen, welche andere ausschließt, schadet dem sozialen Frieden, der politischen Mehrheit und auch der Religion. Es gibt einen ernsten Unterschied zwischen einer Partei, welche die Religion und das Religiöse wichtig nimmt und die sozialen Funktionen der religiösen Werte akzeptiert, und einer Partei, welche die Religion zu einer Ideologie werden lässt und mit Hilfe des Staatsapparates das Volk zur Veränderung zwingt. Im Namen der Religion eine Partei zu gründen oder ein solches Image zu verbreiten, schadet der Gesellschaft und der Religion. Religion ist ein 203

heiliger und gemeinsamer Wert, niemand sollte das zum Thema einer politischen Voreingenommenheit machen und dadurch Teilung und Zerfall verursachen. Deshalb wird der Konservatismus, der die Tradition, die Geschichte und die gesellschaftliche Kultur wichtig nimmt, der auch die Religion wichtig nimmt und sich in einem demokratischen Format aufbaut, eine wichtige Öffnung sein. Das konservative Demokratie-Verständnis, das die AK Partei weiterzuentwickeln versucht, hat eine grosse Bedeutung zur erneuten Erstellung der Beziehung zwischen Religion und Demokratie, Tradition und modernem Leben sowie Staat und Gesellschaft auf einer gesunden Basis. Die AK Partei hat von ihrer Gründung bis zum heutigen Tag, intellektuell, organisatorisch und administrativ in punkto Organisation wichtige Schritte unternommen. Diese Arbeit hat das Ziel, die politische Denkweise, die wir als Konservatismus bezeichnen, im demokratischen Format zu kodieren und das konservative Demokratie-Verständnis und die politische Art der türkischen Politik zu präsentieren und davon profitieren zu lassen. Die AK Partei mit ihrem konservativen Demokratie-Verständnis handelt im Heute und Morgen der türkischen Politik, im Rahmen der Interessen des Landes und des Volkes. Konsequente Politik verlangt zuerst, dass die politischen Äußerungen und die Philosophie mit den Handlungen übereinstimmen. Unsere Partei, welche die Werte und Erwartungen unseres Volkes an die politische Front getragen hat, glaubt an die Wichtigkeit, eine unseren politischen Ansichten gerecht werdende Politik zu machen. Diese Studie wurde für dieses Ziel entwickelt und ist nun offen für Ergänzungen der Öffentlichkeit. Wir hoffen, dass das konservative Demokratie-Konzept einen frischen Wind in unser politisches Leben bringt und zugleich eine Öffnung darstellt.

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Dengir Mir Mehmet Fırat`ın Kapanış Konuşması, Uluslararası Muhafazakarlık ve Demokrasi Sempozyumu,10./11.01.2004 462 Istanbul Saygıdeğer Konuklar ve Değerli Katılımcılar, Öncelikle hepinize “Muhafazakarlık ve Demokrasi” konulu sempozyumumuza katılarak bu son derece önemli düşünsel/siyasal faaliyete katkıda bulunduğunuzdan ötürü şahsım ve partim adına teşekkür ediyorum. İki gündür burada modern dünyaya damgasını vuran, partimizin de özgün siyasi kimliğini oluşturan muhafazakarlık ve demokrasi konusunda gerçekten çok değerli fikirler dile getirildi ve konu çeşitli boyutlarıyla enine boyuna tartışıldı. Memnuniyetle görüyorum ki, böyle bir faaliyet, partimiz dolayısıyla gündemleşen muhafazakarlık ve demokrasi anlayışının her bakımdan anlaşılmasına ön ayak olduğu için gayet isabetli olmuştur. Sempozyumda gündeme getirilip tartışılan konulardan biri olduğu için özellikle ve önemlilikle bir kez daha partimizin esas aldığı “Muhafazakar Demokrasi” kavramına kısaca değinmekte yarar görüyorum. Burada da gündeme getirildi. Doğrudur: Siyasetbilimi literatüründe “Muhafazakar Demokrasi” diye bir kavram henüz mevcut değildir. Muhafazakarlık ile demokrasinin “olmazsa olmaz” önemde yeni bir sentezle fikir ve siyaset dünyasına taşınması, Ak Parti ile gündeme gelmiş bir olgudur. Bu çerçevede Ak Parti’nin gerek siyasal felsefesi, gerekse siyasal tecrübesi hem muhafazakarlık, hem de demokrasi açısından özgün bir “Türkiye modeli”ni ortaya çıkartmayı amaçlamaktadır. Muhafazakarlığın Batı’da ortaya çıkmış genel geçer kabullerine kendi düşünsel ve yerli değerlerimizin yorumlarını da katarak özgün bir muhafazakarlık anlayışı geliştirmeyi denedik. Ayrıca demokrasiye ilişkin olarak getirdiğimiz farklı tanımlamalarla da evrensel kültüre katkıda bulunmayı amaçladık. Genel Başkanımız ve Başbakanımızın açılış konuşmasında çerçevesini gayet özlü ve net bir biçimde çizdiği “Muhafazakar Demokrasi” anlayışımız, uluslar arası ilişkilerden tutunuz da, 462 Vgl. www.akparti.org.tr/siyasivehukuk/dokuman/KonusmaDengirBey%20 UMDS.doc, 21.02.2007. 205

küresel düzeyde bir arada barış içerisinde yaşamayı mümkün kılacak. yeni bir siyasal ve sivil alanın oluşumuna varıncaya kadar pek çok önemli konuda farklı bir açılımın ifadesi niteliğindedir. Hiç kuşkusuz, “Muhafazakar Demokrasi”, yeni bir felsefi ve siyasi paradigmanın ta kendisidir. Siyasetbilimi literatürüne böyle bir kavramın, sadece teorik düzeyde değil, tecrübi düzeyde de tarafımızdan sunulmuş olması, siyaset bilimi açısından yeni bir kazanım olarak değerlendirilmelidir. Ak Parti’yi bu yeni siyaset felsefesi ve tarzı itibariyle değerlendirmek isteyenlerin, öncelikle bizim tezlerimizden hareketle bunu yapmaları gerekmektedir. Herkesçe bilinmelidir ki, bizim muhafazakarlığımız; geçmişe tapınmayı önceleyen bir anlayışa sırtını yaslamadığı gibi, geçmişi bugüne aynen taşımayı amaçlayan çağdışı ve anakronik bir zihniyete de asla bel bağlamamaktadır. Bizim muhafazakarlığımız: yeniliğe ve değişime açık bir muhafazakarlıktır. Kökü mazide, ama yüzü geleceğe dönük çağdaş ve yenilikçi bir muhafazakarlık anlayışını temsil eden bir partiyiz biz. Ak Parti olarak yapmaya çalıştığımız şey; yerel ile evrenseli buluşturarak, gelenek ile modernliği bir arada yaşatarak, süreklilik içinde değişimi sağlayarak çağdaş dünyaya sunmaya çalıştığımız modeli tartışmaya açmaktır. Muhafazakarlık kadar demokrasi de bizim için vazgeçilmez bir öneme sahiptir. Demokrasi farklılıkları bir arada yaşatan çoğulcu ve özgürlükçü bir rejimin adıdır. Ak Parti olarak biz aidiyetleri, kimlikleri veya yaşam tarzları ne olursa olsun, bütün yurttaşlarımızın temel hak ve özgürlüklerini garanti altına alan demokratik ve özgürlükçü bir rejimden yana olmayı her şeyden önemli ve öncelikli buluyoruz. Yaşadığımız yüzyılda hangi bahaneyle olursa olsun, yurttaşların temel hak ve özgürlüklerini yok etmeye veya kısıtlamaya dönük uygulamaları, demokrasi anlayışımızla bağdaştırmadığımızı önemle vurgulamak istiyoruz. Bir başka deyişle, ne adına olursa olsun, hangi ideolojiye yaslanırsa yaslansın, her türlü devrimci, jakoben, tek tipçi, otoriter ve silbaştancı siyasetleri, muhafazakarlık ve demokrasi anlayışımızla bağdaştırmadığımız için reddediyoruz. 206

Bu vesileyle belirtmek isterim ki, Ak Parti’nin “Muhafazakar Demokrasi” anlayışı, bugüne kadar ülkemizde hep bir çatışma konusu olarak karşımıza çıkan milletin talepleriyle devletin hassasiyetlerini sensitivieness uygun demokratik bir dille yorumlayan, dahası ve en önemlisi merkezde demokratik bir temsil sistemi oluşturmayı amaçlayan özelliğiyle de bir büyük toplumsal barış ve uzlaşma projesinin adıdır. Ayrıca önemle vurgulamak istediğimiz bir başka husus ise şudur: Ak Parti olarak biz, kendimizi katı ideolojik sağ veya sol çerçevesinde tanımlamaya başından beri karşı çıktığımız gibi, muhafazakarlığımızın önüne -her ne kadar benzer özelliklerimiz olsa bile, ayrıştığımız noktalar da olması dolayısıyla- liberal sözcüğünün iliştirilmesine de çok sıcak bakmadık. Kendimizi liberal muhafazakar veya sağ muhafazakar olarak nitelendirmek yerine, “muhafazakar demokrat” olarak nitelemeyi daha doğru ve yerinde bulduk. Ak Parti tartışmalarında, bu belirleyici özelliğimizin gözden kaçmaması/kaçırılmaması gerektiğine inanıyoruz. Değerli Konuklar, İki gün boyunca süren tartışmalardan da anlaşıldığı üzere, muhafazakarlığın dünya ölçeğinde bir tek tanımı veya tek bir rengi yok. Kendi içinde farklı renkler ve tonlar taşıyan muhafazakarlık anlayışları var. Bizim muhafazakarlık anlayışımızın da bu çerçevede okunması, literatürü zenginleştirici bir deneyim olarak hayli anlamlı sonuçlar doğuracaktır. Bizler fikirlerin gücünü takdir ediyoruz. Ak Parti’nin muhafazakar kimliğinin muhtevasının sağlıklı biçimde oluşabilmesi, yaşadığımız dünyadaki fikir ve oluşumların ciddi bir incelemeye ve tenkide tabi tutulmasını gerektirmektedir. Türkiye’deki demokrasi standartının yükselmesi bakımından da muhafazakarlığın doğru anlaşılması, muhafazakarlığın modern dünyadaki demokratik mahiyeti ve önceliğiyle tesis edilmesi önemlidir. Bizler burada tarihsel öneme sahip bir inşa sürecini yaşıyoruz. Ülke tarihimizin bundan sonraki dönemlerine damgasını vuracak bir siyasi gelenek ve tarz inşa ediyoruz. Bunu yaparken, evrensel ve yerel birikimlerden uyumlu ve tutarlı bir biçimde yararlanmaya çalışıyoruz. Biliyoruz ki, bizim ülkemizde yaşadığımız sorunlar ne kadar bize özgü görünürse görünsün, onları çözmek için insanlık ailesinin te207

crübelerinden ve birikimlerinden yararlanmak çok önemlidir. Aynı şekilde kendi teorik ve tecrübi birikimlerimizi insanlık ailesinin katkısına sunmak da önemlidir. Tek yönlü aktarımlar veya etkilenmelerle değil, ancak karşılıklı aktarımlar ve etkileşimlerle zenginleşebileceğimize inanıyoruz. Bizim diyalogtan kastımız budur. Yeni bir zihniyet dünyasının inşasına hep birlikte katkıda bulunabiliriz. Bulunmalıyız diyoruz. Bu sempozyumu düzenlemekteki asıl amacımız budur. Son derece ufuk açıcı bir beyin fırtınasına sahne olan bu sempozyumu başka faaliyetlerimiz de izleyecektir. Sempozyumu kapatırken hepinize tekrar şahsım ve partim adına katılımlarınızdan ve katkılarınızdan ötürü teşekkür eder, saygılar sunarım.

Dengir Mir Mehmet Fırat, Abschlussrede auf dem Symposium „Internationaler Konservatismus und Demokratie“, 10./11.01.2004, Istanbul Sehr geehrte Damen und Herren, zuerst möchte ich Ihnen allen persönlich und im Namen meiner Partei dafür danken, dass Sie am Symposium „Konservatismus und Demokratie” teilgenommen haben und ihren Beitrag zu dieser sehr wichtigen gedanklich-politischen Aktivität leisten. Seit zwei Tagen wurden hier sehr wertvolle Ideen vorgebracht und über Konservatismus und Demokratie diskutiert, die die moderne Welt prägen und auf die auch die politische Identität unserer Partei aufbaut. Zufrieden stelle ich fest, dass eine Veranstaltung zu Konservatismus und Demokratie wie diese durch unsere Partei zum Thema geworden ist und wir somit zum Verständnis dieses Themas beitragen. Auf Grund seiner Wichtigkeit möchte ich speziell auf den Begriff „Konservative Demokratie” eingehen, da er ein zentraler und viel diskutierter Begriff dieses Symposiums war. Es stimmt: In der Literatur der Politikwissenschaft existiert der Begriff „Konservative Demokratie” vorläufig noch nicht. Es ist der AK Partei zu verdanken, dass sich „Konservatismus und Demokratie” in einer sehr wichtigen neuen Synthese in die

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Welt der Politik und der Ideen eingebracht haben. In diesem Rahmen ist es das Ziel der AK Partei, sei es mit ihrer politischen Ansicht, sei es mit ihrer politischen Erfahrung, Demokratie und Konservatismus zu einem eigenen „Türkei-Modell” zu formen. Zusätzlich zum generell angenommenen und akzeptierten Konservatismus Europas haben wir unsere eigenen Wertvorstellungen verwendet und versucht, unseren eigenen [originalen] Konservatismus zu entwickeln. Außerdem haben wir mit den verschiedenen von uns entwickelten Definitionen der Demokratie versucht, einen Beitrag zur globalen Kultur zu leisten. Die Eröffnungsrede, in welcher unser Parteivorsitzender und Ministerpräsident unser Verständnis einer „Konservativen Demokratie” kurz und klar formuliert hat, beinhaltet viele wichtige Themen und ist die Aussprache und Öffnung auf eine andere Art; sie befasst sich mit internationalen Beziehungen, dem Aufbau eines neuen politischen und zivilen Gebietes, das ein friedliches gemeinsames Leben ermöglichen soll, und noch vielem mehr. Ohne Zweifel, die „konservative Demokratie” ist ein philosophisches und politisches Paradigma. Dass so ein Begriff in der politikwissenschaftlichen Literatur, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis von uns angeboten wird, muss als Gewinn für die politische Wissenschaft betrachtet werden. Wer die AK Partei und ihre neue politische Ansicht bewerten will, muss sich an unseren Absichten orientieren. Jeder sollte wissen, dass unser Konservatismus sich nicht an Denkweisen klammert, die die Vergangenheit verherrlichen, wie wir auch nicht die Vergangenheit im gleichen anachronistischen, unmodernen Zustand im Heute und Jetzt leben wollen. Unser Konservatismus ist offen für Neues und zur Veränderung. Seine Wurzeln sind zwar in der Vergangenheit verankert, aber er ist zukunftsorientiert, modern und aufgeschlossen für Neues. Diese Art des Konservatismus repräsentieren wir als Partei. Was wir als AK Partei umsetzen wollen ist, das Einheimische mit dem Universalen zu verbinden, Tradition und Moderne zusammenleben zu lassen, dann in diesem Fluss Veränderungen vorzunehmen und der modernen Welt dieses Modell zu präsentieren, damit man darüber diskutieren kann. 209

Für uns ist Demokratie ebenso unverzichtbar und wichtig wie Konservatismus. Demokratie ist der Name eines Regimes, welches verschiedene Ansichten gemeinsam leben lässt, pluralistisch und freiheitlich ist. Wir als AK Partei, legen großen Wert darauf, egal welche Identität, Herkunft oder Lebensgewohnheiten bei den Bürgern vorhanden sind, allen ihre Rechte und Freiheitsbedürfnisse zu gewährleisten und sie dabei zu unterstützen. Dies sehen wir als das Wichtigste überhaupt an und geben ihm auch oberste Priorität. In diesem Jahrhundert, in dem wir leben, egal mit welcher Begründung auch immer, Handlungen vorzunehmen, um die Rechte und die Freiheiten der Bürger auszulöschen oder zu verkürzen, das möchte ich speziell betonen, hat mit unserer Auffassung der Demokratie nichts zu tun. Anders gesagt, jegliche Ideologie, welches es auch sei, kommunistische, jakobinische, einseitige, autoritäre und kurzschlussartige politische Ansichten lehnen wir ab, weil sie mit unseren Ansichten des Konservatismus und der Demokratie nicht zusammenpassen. Aus diesem Grund möchte ich sagen, dass das Konzept „Konservative Demokratie” der AK Partei eine Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen ist. Unser Land steht bis zum heutigen Tag immer wieder Konflikten zwischen den Sensibilitäten des Staates und den Bedürfnissen der Menschen gegenüber. Diese müssen in eine angemessene demokratische Sprache übersetzt und kommentiert werden. Zusätzlich und als Wichtigstes sollte im Zentrum ein demokratisches Vertretungssystem installiert werden, dessen Ziel ein großes gesellschaftliches Friedens- und Kompromissprojekt ist. Wir möchten auch Folgendes betonen: Wir als AK Partei sehen uns nicht als streng ideologische rechte oder linke Partei und auch nicht als liberale Partei. Obwohl wir Gemeinsamkeiten mit dem Liberalismus haben, haben wir auch Punkte, die uns auch vom Liberalismus trennen. Wir sehen uns deshalb anderswo. Statt uns als liberale Konservative oder rechte Konservative zu bezeichnen, haben wir es vorgezogen uns als „konservative Demokraten” zu bezeichnen und denken, dass dieser Begriff uns beschreibt. Wir glauben daran, dass man bei Diskussionen über die AK Partei diese Eigenschaft der Partei nicht aus den Augen verlieren darf.

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Sehr geehrte Gäste, wie wir nach den zweitägigen Diskussionen sehen, gibt es auf der Welt für den Konservatismus keine einheitliche Beschreibung und keine verbindliche Form. Es gibt vielmehr [vielfältige] Konservatismus-Arten, welche ihre eigenen Strukturen beinhalten. In diesem Rahmen muss auch unser Konservatismus-Verständnis betrachtet werden, was als Erfahrung der Literatur zugute kommen und sehr wichtige Ergebnisse mit sich bringen wird. Wir respektieren die Kraft der Ideen. Dass sich die konservative Identität der AK Partei [inhaltlich] auf eine gesunde Art und Weise formen kann, hat auch zur Folge, dass die Ansichten und Formierungen auf der Welt einer kritischen Überprüfung und Kritik unterzogen werden. Um den Standard der Demokratie in der Türkei zu erhöhen, ist es wichtig, dass der Konservatismus richtig verstanden wird. Auch wichtig ist, zu sehen, welchen Stellenwert der Konservatismus in der modernen Welt hat, welche Prioritäten, und ihn dann umzusetzen. Wir durchwandern hier gerade eine Aufbau-Zeit mit historischer Bedeutung. Wir erschaffen eine politische Kultur und Art, welche die Zukunft unseres Landes prägen wird. Während wir das tun, versuchen wir, die globalen und örtlichen Erfahrungen auf harmonische Art zu nutzen. Wir wissen, dass wir [zur Lösung] der Probleme in unserem Land, auch wenn es so aussieht, als seien sie sehr spezifisch, von den Erfahrungen und vom Wissen der Menschheit profitieren können. Ebenso wichtig ist es, die eigenen theoretischen wie auch die eigenen praktischen Erfahrungen mit der Menschheit zu teilen. Wir glauben, dass wir uns nicht durch einseitige Transfers oder Einwirkungen, sondern nur durch gegenseitigen Transfer und Einwirkungen bereichern können. Das ist es, was wir als Dialog bezeichnen. Wir alle können zur Entstehung einer neuen globalen Mentalität beitragen. Wir sagen: Das müssen wir auch. Das ist der wahre Grund für die Organisation dieses Symposiums. Andere Organisationen werden diesem Symposium folgen, das dem Wissensaustausch sehr dienlich war. Zum Schluss dieses Symposiums möchte ich Ihnen allen persönlich, wie auch im Namen meiner Partei, herzlich für Ihre Teilnahme und ihren Beitrag danken. 211

Studien zum Modernen Orient SMO 12 Sara Winter

»Ein alter Feind wird nicht zum Freund« Fremd- und Selbstbild in der aserbaidschanischen Geschichtsschreibung Berlin 2011, Br. 131 S., 978-3-87997-385-9 SMO 13 Fawzi Habashi Prisoner of All Generations My Life in the Homeland Berlin 2011, Br. 292 S., 978-3-87997-350-7 SMO 14 Melanie Krebs

Zwischen Handwerkstradition und globalem Markt Kunsthandwerker in Usbekistan und Kirgistan Berlin 2011, Br. 160 S., 978-3-87997-379-8 In Vorbereitung: Irene Weipert

Starke Reformer oder schwache Revolutionäre? Ländliche Notabeln und der Parlamentarismus in Ägypten, 1866-1882 Berlin 2011. Br. ca. 120 S., 978-3-87997-387-3

Salam Said Globalisierung und Regionalisierung im Arabischen Raum Eine empirische Untersuchung zur Auswirkung der „Großen Arabischen Freihandelszone“ (GAFTA) auf die Textil-, Bekleidungs- und Olivenölindustrie in Syrien Berlin 2011. Br. ca. 290 S., 978-3-87997-388-0 Klaus Schwarz Verlag GmbH • Fidicinstr. 29 • D-10965 Berlin Tel. +30-916 82 749/751 • Fax +30-322 51 83

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