Die Osmanischen 'Ulema' Des 17. Jahrhunderts. Eine Geschlossene Gesellschaft? [1., Erstausgabe ed.] 3879973377, 9783879973378

Die Reihe Islamkundliche Untersuchungen wurde 1969 im Klaus Schwarz Verlag begründet und hat sich zu einem der wichtigst

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Die Osmanischen 'Ulema' Des 17. Jahrhunderts. Eine Geschlossene Gesellschaft? [1., Erstausgabe ed.]
 3879973377, 9783879973378

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Denise Klein Die osmanischen Ulema des 17. Jahrhunderts

ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 274 begründet von Klaus Schwarz herausgegeben von Gerd Winkelhane

ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 274

Denise Klein

Die osmanischen Ulema des 17. Jahrhunderts Eine geschlossene Gesellschaft?

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. British Library Cataloguing in Publication data A catalogue record for this book is available from the British Library. http://www.bl.uk Library of Congress control number available http://www.loc.gov

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

© 2007 by Klaus Schwarz Verlag GmbH Erstausgabe 1. Auflage Layout und Herstellung: J2P Berlin Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-87997-337-8

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG ............................................................................................................ 9 Forschungsstand...................................................................................................... 9 Das biographische Sammelwerk Vekayiü’l-Fudalâ des Mehmed ¡eyhî Efendi ...................................................................................19 1.2.1. Die Handschrift.....................................................................................................19 1.2.2. Über den Autor .....................................................................................................19 1.2.3. Zum Werk ..............................................................................................................21 1. 1.1. 1.2.

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2.

DIE ULEMA IM 17. JAHRHUNDERT .....................................................................30 Was ist ein Alim? ...................................................................................................30 Wie wird man Alim? Die Ausbildung.................................................................36 Der Ort des Lernens: Die Medrese ....................................................................36 Die Lehre................................................................................................................41 Die Lehrinhalte......................................................................................................43 Der Weg eines Lernenden: Schritt um Schritt zum Wissen ............................45 Vom Lernenden zum Lehrenden........................................................................47 Das Ende des Lernens: Die Ulema und ihre Aufgaben...................................63 Die Freiheiten und Zwänge der Gelehrten........................................................72 Die Ulema in der osmanischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts................72 Die osmanischen Ulema des 17. Jahrhunderts im Spiegel der Zeit ...............78

3. 3.1. 3.1.1 3.1.2

EINHEIT ODER VIELFALT?...................................................................................85 Die £lmiye des 17. Jahrhunderts: eine offene Gesellschaft? ............................85 Über die Reize der Gelehrsamkeit ......................................................................85 Sozial und regional mobile 'Außenseiter' gegen Söhne Istanbuler Ulemafamilien .....................................................................................88 Die Grenzen der Durchlässigkeit........................................................................96 Beziehungen und ihr Nutzen für die Karriere ................................................103 Zusammen erfolgreich........................................................................................103 Zwischen Privatem und Dienstlichem: Beziehungsformen in der osmanischen Gesellschaft .......................................................................106 Wie wird man Protegé? Von Kontakten zu Bindungen ................................113 Aus allen Ecken des Reiches? Die Ursprungsregionen osmanischer Ulema im 17. Jahrhundert...........................................................128

3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3

3.3.1 Über geographische Größen..............................................................................128 3.3.2 Die Herkunft und ihr Einfluss auf die Karriere..............................................131 3.4 Aus allen Gruppen der Gesellschaft? Lebenswege osmanischer Ulema des 17. Jahrhunderts............................................................................................144 3.4.1 Wie der Vater so der Sohn: Ulemafamilien außerhalb der Hauptstadt........148 3.4.2 Vom religiös Gebildeten zum Religionsgelehrten ..........................................154 3.4.3 Vom Diener an der Religion zum religiösen Dienst im Staat: Predigersöhne in der £lmiye ...............................................................................158 3.4.4 Von der Zaviye in die Medrese: ¡eyhsöhne werden Ulema ..........................160 3.4.5 Vom Stift des Vaters zum Wissen des Sohnes: Söhne aus der Kalemiye werden Ulema.....................................................................................163 3.4.6 Vom Schwert des Vaters zum Wissen des Sohnes: Söhne aus der Seyfiye werden Ulema.........................................................................................165 3.4.7 Wie wichtig ist Geld? Kaufmannssöhne und ihre Karrieren.........................168 3.4.8 Die Aufsteiger aus dem Handwerk: ohne alles und trotzdem erfolgreich? ...........................................................................................................172 3.4.9 Die Reihe der Fragezeichen: Woher stammten die Söhne der Unbekannten? ...............................................................................................177 3.4.10 (Fast) alles ist möglich: ungewöhnliche Lebensgeschichten..........................183 4.

SCHLUSS ................................................................................................................188

5.

LITERATURVERZEICHNIS ...................................................................................192

6.

ANHANG ...............................................................................................................205

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VORWORT

Die Initiative, meine im Frühjahr 2005 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichte Magisterarbeit zu veröffentlichen, verdanke ich meinen beiden Professoren Prof. Dr. Hans Georg Majer und Prof. Dr. Suraiya Faroqhi sowie Dr. Christoph Neumann. Um diese Arbeit und die für die Veröffentlichung vorgenommene Überarbeitung fertigzustellen, wurde mir Hilfe von vielen Seiten zuteil. Großen Dank schulde ich Prof. Dr. Hans Georg Majer, der mich nicht nur an die Geschichte der £lmiye und seiner Mitglieder heranführte, sondern auch durch sein Interesse für meine Untersuchung maßgeblich zu deren Gelingen beigetragen hat. Auch mein ehemaliger Lehrer Prof. Dr. Ekmeleddin £hsanoºlu hat mich in meinen Arbeiten zur osmanischen Gelehrtenschaft immer wieder bestärkt und damit die vorliegende Untersuchung nicht nur durch die Beschaffung neuer arabischer und türkischer Forschungsliteratur bereichert. Weitere Unterstützung aus Istanbul erhielt ich von Dr. Christoph Neumann, dessen Verbesserungsvorschläge und Anregungen ich gerne eingearbeitet habe. Außergewöhnlichen Anteil hatte ferner Dr. Christl Catanzaro, deren unermüdliches Korrekturlesen und die sich anschließenden fruchtbaren Diskussionen mir stets halfen, Struktur in meine Gedanken und in den Text zu bekommen. Dr. Mehmed Hac¤salihoºlu danke ich herzlich für seine aufmerksame Lektüre der Südosteuropa bezogenen Abschnitte der Arbeit, Prof. Dr. Ralf Elger für inspirierende Gespräche über geeignete Herangehensweisen an mir Kopfzerbrechen bereitende Begrifflichkeiten und Dr. des. Matthias Wernhard dafür, die daraus entspringenden Interpretationen wieder auf den Boden der arabischen Grammatik zurückzuholen. Ihm gilt ferner mein besonderer Dank für die geduldige Lösung fast aller Probleme (und das waren einige), die mir mein Computer im Laufe der Quellenbearbeitung und Niederschrift bereitet hat. Die vielseitige Hilfe von Cevat Kara und Yavuz Köse sowie die Korrekturen und Verbesserungsvorschläge von Dr. Konstantinos Smyrlis, Dr. Barbara Stöcker-Parnian und Dr. Meinolf Arens, dessen besondere Aufmerksamkeit idealerweise genau den Details gilt, die allen anderen entgehen, haben geholfen, die Anzahl der Fehler hoffentlich weitestgehend zu minimieren. Vielen der Erwähnten danke ich ferner für die angenehme Arbeitsatmosphäre und erfrischende Pausen, Cevat Kara und Mehmet Hac¤salihoºlu ferner für ihr Sorgen um mein leibliches Wohl. Ganz besonders habe ich mich über die Mitarbeit meines Bruders Marcel gefreut, der die Karte im Anhang für mich angefertigt hat. Von ihm habe ich, 7

ebenso wie von meiner Familie und guten Freunden, immer vollste Unterstützung erfahren.

VORBEMERKUNG Die Transkription folgt, soweit möglich, der modernen türkischen Schreibweise. Das bedeutet, dass beispielsweise arabischstämmige Fachwörter, etwa hadÐ× oder oder ÝulamÁÞ, nicht mit den üblichen Sonderzeichen, sondern als hadis und Ulema wiedergegeben werden. Existiert keine moderne türkische Schreibung, so wird für osmanische Begriffe ebenso auf die Transkription nach der Morgenländischen Gesellschaft zurückgegriffen, wie für arabische Wörter. Namen von Gelehrten verschiedenen Ursprungs werden in ihrer türkischen Schreibung wiedergegeben. Da das Access-Programm, mit dem die Graphiken erstellt wurden, die Verwendung türkischer Sonderzeichen nicht ermöglicht, muss dort auf eine richtige Schreibung der Begriffe verzichtet werden. Um die Übersichtlichkeit des Textes zu gewährleisten, werden bekannte und sehr häufig vorkommende Wörter wie etwa Alim, Ulema, £lmiye, Mufti, Kadi, ¡eyh, Müderris oder Medrese nicht klein und kursiv geschrieben, was den weniger geläufigen oder selten verwendeten Fachbegriffen vorbehalten bleibt. Die Bezugsstellen in der Quelle werden mit I für den ersten und II für den zweiten Band in der Edition angegeben. Darauf folgen durch einen Punkt abgetrennt die Seitenzahl und die Nummer des Eintrags auf dieser Seite; II.154.3 kennzeichnet also die dritte, auf Seite 154 im zweiten Band aufgeführte Biographie. Die Referenzen werden bei der ersten Erwähnung vollständig genannt, anschließend findet sich nur der Name des Autors, Erscheinungsdatum und Seitenzahl. Existieren zwei im gleichen Jahr vom selben Autor veröffentlichte Arbeiten, werden sie durch a oder b voneinander unterschieden und im Literaturverzeichnis ebenso verzeichnet. Findet sich die Referenzstelle in den Fußnoten, so wird dies durch ein n im Anschluss an die Seitenzahl kenntlich gemacht.

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ebenso wie von meiner Familie und guten Freunden, immer vollste Unterstützung erfahren.

VORBEMERKUNG Die Transkription folgt, soweit möglich, der modernen türkischen Schreibweise. Das bedeutet, dass beispielsweise arabischstämmige Fachwörter, etwa hadÐ× oder oder ÝulamÁÞ, nicht mit den üblichen Sonderzeichen, sondern als hadis und Ulema wiedergegeben werden. Existiert keine moderne türkische Schreibung, so wird für osmanische Begriffe ebenso auf die Transkription nach der Morgenländischen Gesellschaft zurückgegriffen, wie für arabische Wörter. Namen von Gelehrten verschiedenen Ursprungs werden in ihrer türkischen Schreibung wiedergegeben. Da das Access-Programm, mit dem die Graphiken erstellt wurden, die Verwendung türkischer Sonderzeichen nicht ermöglicht, muss dort auf eine richtige Schreibung der Begriffe verzichtet werden. Um die Übersichtlichkeit des Textes zu gewährleisten, werden bekannte und sehr häufig vorkommende Wörter wie etwa Alim, Ulema, £lmiye, Mufti, Kadi, ¡eyh, Müderris oder Medrese nicht klein und kursiv geschrieben, was den weniger geläufigen oder selten verwendeten Fachbegriffen vorbehalten bleibt. Die Bezugsstellen in der Quelle werden mit I für den ersten und II für den zweiten Band in der Edition angegeben. Darauf folgen durch einen Punkt abgetrennt die Seitenzahl und die Nummer des Eintrags auf dieser Seite; II.154.3 kennzeichnet also die dritte, auf Seite 154 im zweiten Band aufgeführte Biographie. Die Referenzen werden bei der ersten Erwähnung vollständig genannt, anschließend findet sich nur der Name des Autors, Erscheinungsdatum und Seitenzahl. Existieren zwei im gleichen Jahr vom selben Autor veröffentlichte Arbeiten, werden sie durch a oder b voneinander unterschieden und im Literaturverzeichnis ebenso verzeichnet. Findet sich die Referenzstelle in den Fußnoten, so wird dies durch ein n im Anschluss an die Seitenzahl kenntlich gemacht.

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1. EINLEITUNG

Die Frage nach den Aufstiegschancen in die sowie innerhalb der £lmiye, des religiösen Pfeilers des Osmanischen Staates, ist gleichsam eine Frage nach der Durchlässigkeit des sozialen Gefüges überhaupt, nach den Barrieren zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, nach Möglichkeiten und Grenzen sozialer Kontrolle. Die Zusammensetzung der Istanbuler £lmiye zeigt einerseits gesellschaftliche Strukturen und soziale Schranken, andererseits aber auch die Verschränkung der verschiedenen Regionen des Reiches mit der Hauptstadt. Unter diesen beiden Gesichtspunkten sollen die Istanbuler Ulema analysiert werden.

1.1 FORSCHUNGSSTAND Zahlreiche Einzelfallstudien widerlegten die ehemals verbreitete Vorstellung geschlossener, hierarchisch angeordneter Klassen und korrigierten damit das Bild einer statischen gesellschaftlichen Ordnung im frühneuzeitlichen Osmanischen Reich. Die Wandlungsfähigkeit und Durchlässigkeit der gesellschaftlichen Strukturen des Osmanischen Staates wurde besonders in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts als Thema aufgegriffen.1 Die Auseinandersetzung mit zivilgesellschaftlichen Phänomenen2 und semiautonomen Strukturen innerhalb und neben der staatlichen Ordnung ist in gewisser Hinsicht als Fortführung dieser Forschungen zu betrachten. Seit den 1990er Jahren erschienen vermehrt Studien zum Themenkomplex household in der Osmanischen Geschichte. Sie beschäftigen sich vor allem mit der Zeit seit dem späten 17. Jahrhundert.3 Dass sich bis auf 1

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Eine der ersten richtungsweisenden, auf das Osmanische Reich bezogenen Arbeiten zu dieser Thematik wurde von Norman Itzkowitz 1962 unter dem Titel „Eighteenth century Ottoman realities“ in Studia Islamica, 16, S. 73-94 veröffentlicht. Vgl. etwa Suraiya FAROQHI (1985): Civilian Society and Political Power in the Ottoman Empire: A Report on Research in Collective Biography (1480-1830), International Journal of Middle East Studies, 17, S. 109-117, ibid (1986): Political Initiatives 'From the Bottom Up' in the Sixteenth- and Seventeenth-Century Ottoman Empire: Some Evidence for Their Existence. In: Hans Georg Majer (Hg.): Osmanische Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In memoriam Van¦o Boškov, Wiesbaden, S. 24-33 und ¡erif MARDIN (1969): Power, Civil Society and Culture in the Ottoman Empire, Comparative Studies in Society and History, 11, 3, S. 258-281. Vgl. etwa Jane HATHAWAY (1997): The politics of households in Ottoman Egypt. The rise of the Qazdaºl¤s, Cambridge, Thomas LIER (2004): Haushalte und Haushaltspolitik in Bagdad 17041831, Würzburg, Rifa’at Ali ABOU-EL-HAJ (1974): The Ottoman Vezir and Pa¢a Households

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vereinzelte Ausnahmen4 praktisch alle diese Monographien, Einzellfallstudien und Aufsätze mit den Eliten des Osmanischen Reiches beschäftigen, ist augenfällig und durch die weitaus bessere Quellenlage begründbar. Kunt schreibt dazu: The common justification for the study of elites, of course, is that it is the ruling groups which play the dominant and most important role in the developed societies; it can therefore be argued that the proper study of political order is its elite.5 Findley und Shinder haben sich mit den Veränderungen innerhalb des Verwaltungsapparats, Abou-el-Haj, Hathaway und Kunt mit denen innerhalb der militärischen Eliten beschäftigt.6 Ferner gibt es detaillierte Studien über das Aufkommen und die Etablierung der Provinznotablen (ayan), die sich, ausgehend vom 17. Jahrhundert, vor allem auf das 18. Jahrhundert und die arabischen Provinzen des Reiches konzentrieren.7 Im Rahmen dieser Arbeiten kommen zwar mitunter Gelehrte als wichtiger Teil der lokalen Aristokratie vor, doch fehlen weitergehende Studien über die Verbindung der vielen Zentren religiöser Bildung und geistigen Lebens im osmanischen Reich untereinander einerseits und zur Hauptstadt andererseits.8 Einen Aspekt der Integration der Provinzen in das stark auf Istanbul ausgerichtete osmanische Staatsgebilde stellt die Aufnahmefähigkeit und Durchlässigkeit der hauptstädtischen Führungsschicht dar.

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1683-1703: A Preliminary Report, Journal of the American Oriental Society, 94, 4, S. 438-447, Suraiya FAROQHI (1989): An Ulama Grandee and his Household. (Upon the occasion of new book concerning the 'Edirne Vak’as¤'), Osmanl¤ Ara¢t¤rmalar¤/The Journal of Ottoman Studies, 9, S. 199-208 oder Carter V. FINDLEY (1980): "Patrimonial Household Organization and Factional Activity in the Ottoman Ruling Class". In: Halil £nalcik und Osman Okyar (Hg.): Türkiye’nin Sosyal ve Ekonomik Tarihi (1071-1920). (Birinci Uluslararas¤ Türkiye’nin Sosyal ve Ekonomik Tarihi Kongresi Tebliºleri. Hacettepe University, 1977), Ankara, S. 227-235. Vgl. etwa FAROQHI (1986). Als umfassende, nicht die askerî-Klasse betreffende Studie ist Eunjeong Yis 2004 erschienenes Buch "Guild Dynamics in Seventeenth-Century Istanbul. Fluidity and Leverage", Leiden u.a. zu nennen, das eine erste grundlegende Untersuchung der sozialen Zusammensetzung und Dynamik der Istanbuler Handwerker bietet. £. Metin KUNT (1983): The Sultan’s Servants. The Transformation of Ottoman Provincial Government, 1550-1650, New York: XIX. Vgl. Findley (1980), Joel Shinder (1974): "Careerline Formation in the Ottoman Bureaucracy 1648-1750: A New Perspective", Journal of Economic and Social History of the Orient, 16, S. 217-237, Abou-el-Haj (1974), Hathaway (1997) und Kunt (1983). Vgl. etwa Linda SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985): Families in Politics. Damascene Factions and Estates of the 18th and 19th Centuries, Stuttgart, Richard van Leeuwen (1999): Waqfs and Urban Structures. The Case of Ottoman Damascus, Leiden u.a. sowie Colette ESTABLET und Jean-Paul PASCUAL (1994): Familles et Fortunes à Damas. 450 Foyers Damascains en 1700, Damaskus. Schatkowski Schilcher (1985) bildet hier eine der wenigen Ausnahmen.

Europäische Reisende haben nicht selten, zum Teil auch mit einiger Verwunderung, die Mobilität innerhalb der osmanischen Elite beschrieben. Im Vordergrund standen meist die in jungen Jahren nach Istanbul gebrachten, dort erzogenen und schließlich die höchsten Staatsämter bekleidenden Söhne christlicher Untertanen des Sultans im Rahmen der osmanischen dev¢irme-Politik. Ein prominentes Beispiel aus dem 17. Jahrhundert ist der aus dem dev¢irme hervorgegangene Großwesir Köprülü Mehmed Pa¢a, dessen Söhne und kap¤-Mitglieder auch nach seinem Tod wichtige Ämter besetzten.9 Der habsburgische Botschafter am Hof Süleymans I. (1520-1566) Ogier de Busbeck berichtet von dieser systemimmanenten sozialen und in den meisten Fällen damit verbunden ebenfalls regionalen Mobilität im 16. Jahrhundert: Geburt unterscheidet hier keinen von den andern, Ehre wird jedem nach dem Maße seines Standes und Amtes erwiesen [...] Ämter aber und Stellen verteilt der Sultan selbst. Dabei achtet er nicht auf Reichtum, nicht auf den nebelhaften Adel, nicht auf jemandes Ansehen oder auf das Urteil der Menge: sondern die Verdienste zieht er in Betracht, Sitten, Begabung und Eignung sieht er an; nach seiner Tugend wird jeder ausgezeichnet. So kommen die geeigneten Männer zu den führenden Stellen, so hat jeder dort seine Geburt und sein Schicksal in der Hand und mag es selbst gestalten.10 Busbeck nimmt keinen Bezug auf die religiöse Ordnung des Reiches.11 Sie wird etwa 200 Jahre später von dem osmanischen Armenier und zeitweiligen Gesandten Schwedens an der Hohen Pforte d’Ohsson beschrieben. Er charakterisiert die hohe

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Hervorzuheben sind die Söhne Fazil Ahmed Pa¢a (1661-1676) und Fazil Mustafa Pa¢a (1689-1691) sowie der bei den Köprülü erzogene Merzifonî Kara Mustafa Pa¢a (1676-1683), die alle ebenfalls das Amt des Großwesirs innehatten. Ogier Ghiselin von Busbeck (gest. 1592): Legationis Turcicae Epistulae IV, übers. und hg. von Wolfram von den Steinen 1926 u.d.T.: Vier Briefe aus der Türkei von Ogier Ghiselin von Busbeck, Erlangen: 64. Zilfi zitiert denselben Abschnitt des ersten Briefes Ogier Ghiselin von Busbecks aus einer englischen Übersetzung von 1927: "[...] high posts and judgeships are the reward of great ability and good service." (Ogier Ghislain de BUSBECQ (gest. 1592): The Turkish Letters of Ogier Ghiselin de Busbecq, Imperial Ambassador at Constantinople, 1554-1562, Oxford 1927: 154f. wie zitiert in Madeline C. ZILFI (1988): The Politics of Piety. The Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600-1800), Minneapolis: 45). Das ist irritierend, da der entsprechende Absatz im Kontext zu hohen Würdenträgern aus Militär und Verwaltung steht und weder im lateinischen Original noch in der deutschen Übersetzung, auf der die verwendete englische Ausgabe ebenfalls fussen könnte, dieser Bezug auf die religiöse Ordnung zu finden ist. In Latein heisst es: "[…] honos cuique pro muneris & officii quod administrat ratione defertur […] munera vero & officia princeps ipse distribuit in quo non diuitias, non sumum nobilitatis pendit" (Ogier Ghislain de BUSBECK: Avgerii Gislenii Bvsbeqvii Legationis Tvrc. Epistulae IV. In quibus Mores, et res à Turcis per septennium gestae explicantur, Monaci 1620: 113).

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osmanische £lmiye als einen von wenigen Istanbuler Gelehrtenfamilien dominierten elitären Zirkel: Übrigens sind alle diese hohen Richterstellen den angesehensten Familien in diesem Stande vorbehalten. [...] Was man in diesen [untern Graden] dem Verdienst und dem Alter zugesteht, das erhält Geburt oder Gunst fast immer in den obern. Die wichtigsten Stellen sowohl unter den Müderriss, als unter den Mollas, sind itzt in der That das Erbtheil großer Familien: ihre Söhne [...] werden, so zu sagen, noch in der Wiege, in den Stand der Müderriss eingeweihet.12 Osmanische Autoren seit der Mitte des 16. Jahrhunderts vermitteln ebenfalls den Eindruck, als bildeten die osmanischen Gelehrten eine geschlossene Gesellschaft, deren Hauptinteresse in der Sicherung der Position des Einzelnen und seiner Familie, nicht aber im Wohle des Staates liege.13 Dabei bot gerade die £lmiye osmanischen Untertanen muslimischen Glaubens die Möglichkeit des sozialen und gesellschaftlichen Aufstiegs. Das dev¢irme-System als Rekrutierungsmethode für die 'Männer des Schwertes' (Seyfiye) verlor im 17. Jahrhundert zwar nach und nach an Bedeutung, ermöglichte damit aber vor allem Mitgliedern dieser kul-Familien und an deren Haus gebundenen Muslimen eine Karriere im Militär. Die 'Männer der Feder' (Kalemiye), der dritte Pfeiler der askerîKlasse, war noch dabei sich zu etablieren. Studien zur Frage der Durchlässigkeit dieser Gruppen liegen für den militärisch-administrativen Bereich in begrenztem Umfang vor.14 In verschiedenen Arbeiten wurde nachgewiesen, dass innerhalb und zwischen jenen Klassen eine gewisse Fluktuation bestand.15 Die Beschäftigung mit der religiösen Hierarchie in diesem Kontext steckt ganz offensichtlich noch in ihren Kinderschuhen.16 12 13 14

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Muradgea d’OHSSON (1788-1824): Tableau général de l’empire ottoman, mit Kürzungen und Anmerkungen übers. und hg. von Christian Daniel Beck 1788-1993 u.d.T.: Allgemeine Schilderung des Othomanischen Reichs, 2 Bde., Leibzig: Bd. 2: 475f. Die bekanntesten Autoren sind Koçu Bey und Gelibolu Mustafa Ali. Ausgewählte Aspekte ihrer Werke und anderer politischer Traktate der Zeit werden unter 2.4.2 genauer besprochen. Wegweisend ist hier die Monographie von Kunt (KUNT (1983)). Ferner interessant ist der Aufsatz von Karen BARKEY (1996): "In Different Times: Scheduling and Social Control in the Ottoman Empire, 1550 to 1650", Comparative Studies in Society and History, 38, 3, S. 460483. Etwa in den Arbeiten von FINDLEY (1980), Cornell H. FLEISCHER (1986): Bureaucrat and Intellectual in the Ottoman Empire. The Historian Mustafa Âli (1541-1600), Princeton und Klaus RÖHRBORN (1972): "Die Emanzipation der Finanzbürokratie im Osmanischen Reich (Ende 16. Jahrhundert)", Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 122, S. 118-139. Eine der wenigen Abeiten zu diesem Thema ist Madeline C. ZILFI (1983b): "Elite Circulation in the Ottoman Empire: Great Mollas of the Eighteenth Century", Journal of Economic and Social History of the Orient, 26, 3, S. 318-364.

Von Zilfi existiert eine auf ihrer Dissertation über die £lmiye des 18. Jahrhunderts fußende Monographie unter dem Titel The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600-1800).17 Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass die osmanische religiöse Elite eine zunehmend abgeschlossene gesellschaftliche Gruppe darstellte, in die Aspiranten auf hohe Ämter, die nicht aus traditionellen Istanbuler Ulemafamilien stammten, nur sehr schwer Eingang fanden. Zilfi beschreibt die hauptstädtische £lmiye als aristokratische Klasse innerhalb der osmanischen Gesellschaft. Legt der Titel ihrer Arbeit es auch nahe, so wird das 17. Jahrhundert unter der Fragestellung sozialer Mobilität kaum berücksichtigt, die Ergebnisse auf diesem Feld beziehen sich auf die Zeit seit Ahmed III. (1703-1730). Ferner behandelt der Aufsatz "Social Mobility Among the Ottoman ÝUlema in the Late Sixteenth Century" von Faroqhi18 die Zusammensetzung der osmanischen £lmiye. In dieser mit der Methode der Prosopographie angestellten Studie wurden Einträge aus dem biographischen Sammelwerk Hadaiku’l-Hakaik fî Tekmileti’¢-¡akaik von Ataî für die ersten Jahre der Regierungszeit Murads III. (1574-1595) analysiert. Kann dies wegen der kurzen untersuchten Zeitspanne von 12 Jahren sowie der auf 100 begrenzten verwendeten Biographien auch nur als Tendenz gewertet werden, so zeichnet sich doch bereits hier, am Ende des 16. Jahrhunderts, ein ähnlicher Trend der UlemaRekrutierung ab, wie ihn Zilfi für das 18. Jahrhundert beschreibt, wenn auch mit wesentlich mehr Beispielen sozialer Mobilität. Die Ergebnisse dieser beiden Arbeiten stützende und erweiternde Untersuchungen existieren nicht.19 Eine Studie über das 17. Jahrhundert verspräche nicht nur Aufschluss über die Zusammensetzung der osmanischen religiösen Elite der Zeit, sie könnte auch die Forschungslücke zwischen den bisherigen Studien auf diesem Gebiet für das späte 16. und ab dem frühen 18. Jahrhundert schließen.20

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Von Madeline C. ZILFI, erschienen 1988 in Minneapolis. Der Aufsatz erschien 1973 im International Journal of Middle East Studies, 4, S. 204-218. ITZKOWITZ und SHINDER formulieren zwar in ihrem 1972 in Middle Eastern Studies, 8, S. 93101 u.d.T. "The Office of ¡eyh ül-Islâm and the Tanzimat – A Prosopographic Enquiry" erschienenen Aufsatz genau die wesentlichen Fragen ("We wanted to know, for example to what extent did sons follow in the footsteps of their fathers, if there is a 'typical' career pattern, does birth in Istanbul make difference in the career, do we see the emergence of dominant families within the religious career, and what is the nature of mobility within the career." (ibid: 97)). Ihr Versuch sie mit Einsatz des Computers zu beantworten, ist allerdings nur schwer als geglückt zu bezeichnen. Die Arbeit besteht im Wesentlichen aus einer quantitativen Auswertung der Biographien sämtlicher ¡eyhülislam von 1451 bis 1924 anhand unzureichend detaillierter Schlüssel. Die Auswertung erfolgt in sehr großen Zeitspannen, wie der 'vor-' und der 'nach-Tanzimat'-Zeit, beschränkt sich auf die Mitglieder der £lmiye, die das Amt des ¡eyülislam inne hatten und verzichtet auf eine Analyse des gewonnenen Zahlenmaterials. Den Versuch, diese Forschungslücke des 17. Jahrhunderts zu schließen, unternahm Ali U¹UR mit seinem 1986 in Berlin u.d.T. The Ottoman ÝUlemÁ in the mid-17th Century. An Analysis

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Ein Schritt in diese Richtung soll mit dieser Arbeit unternommen werden. Anhand der Analyse von Lebensbeschreibungen Istanbuler Ulema, die zwischen 1040 (1630/1) und der Amtsübernahme Sultan Ahmeds III. 1115 (1703) gestorben sind, soll versucht werden, die Durchlässigkeit der hauptstädtischen £lmiye zu beschreiben. Um zu verstehen, ob die Istanbuler Ulema eine geschlossene Gesellschaft darstellten, sind nicht die Biographien ihrer Söhne von Relevanz, sondern die all derer, die von außen, aus anderen gesellschaftlichen Gruppen und/oder Regionen des Osmanischen Reiches kamen. Die Auswertung der in den Lebensbeschreibungen jener Ulema enthaltenen Angaben über ihre soziale und regionale Herkunft erfolgt mit prosopographischen Methoden, es ergeben sich also auf Gruppen beziehbare Ergebnisse. Ein weiteres Mittel der Informationsgewinnung stellt die Bearbeitung von Einzelbiographien und Curricula dar. Es wird folglich versucht, sowohl deduktiv von bestimmten Gruppencharakteristika auf den Einzelnen als auch umgekehrt von detaillierten Angaben über Einzelpersonen induktiv auf Charakteristika mehrerer zu schließen. Zwar besteht das Risiko zu unspezifischen Typisierungen und Verallgemeinerungen, doch ist eine andere Methode aufgrund des umfangreichen Datenmaterials nicht möglich. Die eingeflochtenen Lebensgeschichten und Curricula helfen dabei, die Heterogenität einer jeden entstehenden Gruppe deutlich werden zu lassen. Sie sollen nicht nur als Beispiel für ein bestimmtes Gruppenmerkmal betrachtet werden, oder im Gegenteil, als der Regel widersprechend (und sie damit belegend), sondern den individuellen und verschiedenartigen Charakter der möglichen Wege innerhalb der £lmiye aufzeigen. Aufgebaut ist die Arbeit wie folgt: Der Diskussion der Literatur folgt die ausführliche Beschreibung und kritische Beleuchtung der Quelle, des biographischen Sammelwerks Vekayiü’l-Fudalâ des Mehmed ¡eyhî Efendi. Es soll dargelegt werden, wie die Quelle für die zu bearbeitende Fragestellung nach der Geschlossenheit der osmanischen Ulema des 17. Jahrhunderts nutzbar gemacht werden kann, aber auch, welche Einschränkungen zu treffen sind. Dem einleitenden Abschnitt der Arbeit schließt sich die Charakterisierung der £lmiye und ihrer Mitglieder, der Ulema, an. Die Frage zu Beginn ist: Wer gehörte dem Gelehrtenstand an? Basierend auf der Quelle wird der Begiff 'Alim' definiert. Anschließend wird versucht, das Leben eines solchen nachzuzeichnen; Ausbildung und Arbeitsfelder werden dargeof the VaþÁÞiÝüÞ'l-FuÛalÁ of MeÎmed ¡eyÌÐ Ef. erschienenen Buch. Es verspricht eine Analyse, ist aber eine Zusammenfassung des zeyl Mehmed ¡eyhî Efendis, die nur die erste Hälfte des Werkes (damit auch des 17. Jahrhunderts) abdeckt und oft wesentliche Informationen verschweigt. Dem in der Einleitung formulierten Wunsch: "[…] to analyze the careers of the ÝulemÁ detailed there in so as to allow the state of the learned profession in the mid-17th century to be deduced." (U¹UR (1986): IV) wird sie nicht gerecht. Auf Ungenauigkeiten und mitunter festzustellende Lese- oder Übersetzungsfehler in Uºurs Arbeit wird in Einzelfällen an entsprechender Stelle verwiesen.

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stellt und durch Beispiele illustriert. Die beiden wesentlichen Aufgabenbereiche eines osmanischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts waren die Lehre und die Tätigkeit als Richter. Zu praktisch jedem Zeitpunkt der Karriere konnte ein Alim von der Laufbahn des Lehrers in die juristische wechseln. Da das Unterrichten an einer bestimmten Medresenstufe den Einstieg in die Schicht der Istanbuler Ulema markierte, wird der Schwerpunkt der Analyse der Curricula auf dem vorangehenden Lebensabschnitt liegen. Dabei ist gesondert und ausführlich auf die Phase zwischen Lernen und Lehren einzugehen, die – wie mir scheint – in der Literatur unzureichend behandelt ist. Die Hierarchien der Müderris- und Kadiposten werden in ihren Grundzügen skizziert, um aufzuzeigen, wie hoch ein nicht aus Istanbuler Ulemakreisen stammender Alim in der £lmiye aufsteigen konnte. Einen nächsten Punkt bildet die Beschreibung der Lebensrealität der Ulema des 17. Jahrhunderts. Der nur schwer aus der Literatur zu rekonstruierende Alltag beinhaltet neben der Selbstwahrnehmung des einzelnen Gelehrten wie des Gelehrtenstandes insgesamt auch die Fremdwahrnehmung, also die den Mitgliedern der £lmiye eingeräumte Stellung in Staat und Gesellschaft, ihr Status und Ansehen. Daran anknüpfend wird auf die Darstellung des Gelehrtenstandes durch zeitgenössische Autoren eingegangen. Den zweiten großen Themenkomplex stellt die quantitative Auswertung des aus der Quelle gewonnenen Materials und dessen Analyse dar. Zentrale Fragen, denen nachgegangen werden sollen, lassen sich wie folgt formulieren: Woher kamen die in ¡eyhîs Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie gewürdigten Gelehrten? Eine Darstellung der unterschiedlichen Ursprungsregionen soll dies beleuchten. Ferner: Wie viele der Ulema des 17. Jahrhunderts entstammten nicht traditionellen Istanbuler Ulemafamilien und aus welchen sozialen Schichten gelang ihnen der Aufstieg in die hohen Ämter der £lmiye? Es bietet sich an dieser Stelle an, anhand gemeinsamer spezifischer Merkmale einzelne Gruppen zu bilden und diese getrennt zu analysieren. Beispielbiographien für horizontale wie vertikale Mobilität werden in die Interpretation integriert. Ein wichtiger Unterpunkt innerhalb dieses zweiten Themenkomplexes ist mit dem Begriff intisâb zu beschreiben. Er ist ausführlich zu diskutieren, da die unter dieser osmanischen Bezeichnung zu subsumierenden Arten von Beziehungsgeflechten eine zentrale Rolle beim Aufstieg in die und innerhalb der £lmiyehierarchie wie in der osmanischen Gesellschaft überhaupt spielten. Schließlich wird eine Einordnung und Positionierung der in der Arbeit gewonnenen Ergebnisse in einen größeren Kontext versucht. Die Mobilität innerhalb der hauptstädtischen Gelehrtenschaft wird einerseits für die Geschichte der osmanischen £lmiye und andererseits für die Durchlässigkeit gesellschaftlicher Gruppen im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts zu bewerten sein. An erster Stelle der für diese Arbeit heranzuziehenden Literatur sind die Standardwerke über die Geschichte der £lmiye zu erwähnen: Zwar nicht neuesten 15

Datums, aber noch immer zentral ist die quellenreiche Abhandlung über den Aufbau der £lmiye, £lmiye Te¢kilât¤, von Uzunçar¢¤l¤21 und der zweiteilige erste Band des Werkes Islamic Society and the West von Gibb/Bowen.22 Von Bedeutung ist ferner eine Studie Repps zur frühen Entwicklung der £lmiye23 und die Untersuchung Unans24 zur Geschichte einer Bildungsinstitution von ihrer Gründung bis ins 20. Jahrhundert. Zahlreiche in den letzten Jahren meist auf Türkisch erschienene Gesamtdarstellungen der osmanischen ehl-i ilm sind kaum zitierfähig, da sie weder ausreichend quellenbasiert sind noch mit dem verwendeten Material kritisch umgehen.25 Detailstudien über bestimmte Bereiche der £lmiye und der sie dominierenden Familien26 sowie vereinzelte Aufsätze über Gelehrte und ihr Leben27 bilden eine weitere Grundlage dieser auf Zusammenschau der Gruppe der Ulema und des einzelnen Alim angelegten Arbeit. Die einzige Monographie für das 17. Jahrhundert ist Majers unter dem Titel Vorstudien zur Geschichte der £lmiye im Osmanischen Reich, I. 21 22

23 24 25

26 27

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£smail H. UZUN†AR¡ILI (1988): Osmanl¤ Devletinin £lmiye Te¢kilât¤, 3. Aufl., Ankara. H.A.R. GIBB und Harold BOWEN (1950-57): Islamic Society and the West. A Study of the Impact of Western Civilization on Moslem Culture in the Near East, Bd. 1: Islamic Society in the Eighteenth Century, 2 Bde., London. Einen interessanten Einblick in die Forschung zur £lmiye in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt Ekmeleddin £HSANO¹LU in einem 2000 erschienen Aufsatz u.d.T. "The Initial Stage of the Historioraphy of Ottoman Medreses (1916-1965). The Era of Discovery and Construction", Archivum Ottomanicum, 18, S. 41-85, wobei er die Literatur nicht nur vorstellt, sondern auch kritisch diskutiert. R.C. REPP (1986): The Müfti of Istanbul. A Study in the Development of the Ottoman Learned Hierarchy, London. Fahri UNAN (2003): Kurulu¢undan Günümüze Fâtih Külliyesi, Ankara. Beispielhaft seien erwähnt das 2004 in Istanbul erschienene Buch von Ziya KAZICI Osmanl¤’da Eºitim-Öºretim, Aufsätze zum Thema (etwa von Zeynep AHUNBAY und Ahmet C£HAN), erschienen in einem mehrbändigen, von Kemal †içek unter dem schönen Titel The great Ottoman-Turkish civilisation 2000 in Ankara herausgegebenen Werk (dies ist eine Fortsetzung der 12-bändigen von Güler Eren 1999 in Ankara u.d.T. Osmanl¤ auf türkisch herausgegebenen Aufsatzsammlung zur osmanischen Geschichte), der 1999 in der von der Türk Kütüphaneciler DerneÊi herausgegebenen Zeitschrift Osmanl¤ Devletinde Bilim, Kültür ve Kütüphaneler von Yahya AKYÜZ erschienene Artikel "17. Yüzy¤ldan Günümüze Türk EÊitimde Ba¢l¤ca Düzenleme ve Geli¢tirme †abalar¤", S. 39-62 und schließlich das Buch Osmanl¤’dan Günümüze Eºitim Tarihi von Necdet SAKAO¹LU (Istanbul 2003). Vgl. etwa SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985) und FAROQHI (1989). Vgl. etwa die Arbeiten von Kenneth BROWN (1972): "Profile of a Nineteenth-Century Moroccan Scholar". In: Nikki R. Keddie (Hg.): Scholars, Saints and Sufis. Muslim Religious Institutions in the Middle East since 1500, Berkley u.a., S. 127-148, Nathalie CLAYER (2002): "Münîrî Belgrâdî: Un représentant de la Ýilmiyye dans la région de Belgrade, fin XVIe - début du XVIIe siècle". In: Sabine Prätor und Christoph K. Neumann (Hg.): Frauen, Bilder und Gelehrte. Studien zu Gesellschaft und Künsten im Osmanischen Reich. Festschrift Hans Georg Majer, 2 Bde., Istanbul, Bd. 2: S. 549-568 und F. WÜSTENFELD (1884): Die Gelehrten-Familie MuÎibbí in Damascus und ihre Zeitgenossen im XI. (XVII.) Jahrhundert, Göttingen. Zum 18. Jahrhundert vgl. Madeline C. ZILFI (1977): "The Diary of a Müderris: A New Source for Ottoman Biography", Journal of Turkish Studies, 1, S. 157-174.

Zu U¢akîzade, seiner Familie und seinem Zeyl-i ¡akay¤k28 erschienene Dissertation, in der die Etablierung der Familie U¢akîzade in den Istanbuler Gelehrtenkreisen aufgezeigt wird. Die dargestellten Beziehungssysteme spiegeln einen Mikrokosmos innerhalb der religiösen Ordnung des 17. Jahrhunderts wider. Aufschlussreich sind ferner Studien unter ähnlicher Fragestellung zu anderen Regionen und Epochen. Hierzu zählen der Aufsatz Browns "The Religious Establishment in Husainid Tunisia",29 die als Buch unter dem Titel Die Gelehrten des Osmanischen Reiches im 17./18. Jahrhundert anhand von al-MurÁdÐ: Silk ad-durar fÐ aÝyÁn al-qarn a×-×ÁnÐ Ýašar veröffentlichte Dissertation Wallbrechts30 sowie die Studie Urvoys über die Gelehrten im letzten Jahrhundert islamischer Herrschaft in Spanien.31 Von Interesse sind außerdem die Arbeiten von Shaked "The Biographies of ÝUlamÁÞ in MubÁrak’s KhiÔaÔ as a Source for the History of the ÝUlamÁÞ in Nineteenth Century Egypt",32 von Bulliet The Patricians of Nishapur. A Study in Medieval Islamic Social History33 und von Cohen "The Economic Background and the Secular Occupations of Muslim Jurisprudents and Traditionists in the Classical Period of Islam (until the Middle of the Eleventh Century)".34 Wie die begrenzte Anzahl der vorgestellten Arbeiten deutlich macht, wurde die osmanische £lmiye des 17. Jahrhunderts nur unzureichend bearbeitet. Unter bestimmten Gesichtspunkten, etwa der Zusammensetzung seiner Mitglieder, ist dieser wichtige Pfeiler des Reiches auch gegenüber anderen Gruppen der osmanischen Elite vergleichsweise wenig untersucht worden, was an der Quellenlage liegen mag: Man ist bei der Beschäftigung mit der osmanischen Gelehrtenschicht auf ihre Laufbahn betreffende Registereinträge und Ernennungsurkunden, auf Nachlassverzeichnisse und die Protokollbücher der Kadiämter (sicil defterleri) angewiesen. Als eine von der Steuer freigestellte Gruppe tauchen Gelehrte nicht in Steuerregistern 28 29 30

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Von Hans Georg MAJER, erschienen 1978 in München. Von Leon C. BROWN, erschienen in: Nikki R. Keddie (Hg.): Scholars, Saints and Sufis. Muslim Religious Institutions in the Middle East since 1500, Berkley u.a., S. 47-91. Von Gabriele Wallbrecht, erschienen 1970 in Saarbrücken. Als Quelle diente das biographische Sammelwerk des el-Murâdî (gest. 1206 (1791)). Anhand der darin enthaltenen 765 Biographien verfolgt die Autorin die Lebensläufe der dargestellten Gelehrten. Neben der Herkunft der Ulema bilden ihre Erziehung, ihre Ausbildung, ihre berufliche Laufbahn, das Ansehen, das sie in der Gesellschaft genossen, und ihr privater Wirkungskreis die Schwerpunkte der Untersuchung. Dominique URVOY (1978): Le monde des Ulémas Andalous du V/XIe au VII/XIIIe siècle, Genf. Von Haim SHAKED, erschienen 1971 in Asian and African Studies, 7 (special number: The ÝUlamÁÞ in Modern History. Studies in Memory of Professor Uriel Heyd), S. 41-76. Von Richard W. Bulliet, erschienen 1972 in Cambridge (Massachusetts). Erschienen 1970 in Journal of the Economic and Social History of the Orient (JESHO), 13, 2, S. 16-61.

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auf. Auch war ihr Anteil am Timarsystem zu vernachlässigen, weswegen sie in Quellen zu jenem im 17. Jahrhundert allmählich verschwindenden System der Besteuerung ebenfalls nicht erwähnt werden. Aufgrund des späten Aufkommens von Memoirenliteratur im Osmanischen Reich kann diese Quellengattung zur Erforschung der £lmiye des 17. Jahrhunderts nicht herangezogen werden, wohl aber viele Gedichte, die meist von Ulema geschrieben wurden und in begrenztem Umfang als Selbstzeugnisse zu betrachten sind. Informationen über den Werdegang eines Alim finden sich außerdem meist auf seinem Grabstein, vielleicht auch in Form eines Chronogramms in einer Chronik. Weitere Materialien, die Aufschluss über Ulema, ihr Curriculum und ihre Lebensrealität geben können, sind neben Bauinschriften und Stiftungsurkunden (vakfiye, vak¤fnâme) vor allem biographische Sammelwerke. Sie wurden von der Osmanistik zwar im Wesentlichen als Nachschlagewerk verwendet,35 doch gibt es vereinzelte Arbeiten, die sich diesem Quellenkorpus unter anderen Gesichtpunkten nähern. Neben der Analyse einzelner Lebensbeschreibungen lassen sich die zahlreichen Biographien unter bestimmten Fragestellungen auch quantitativ auswerten. Eine Synthese der beiden Herangehensweisen soll in dieser Arbeit versucht werden. Die quantitative Auswertung von Herkunftsangaben und Karrierewegen nicht aus hauptstädtischen Gelehrtenfamilien stammender Männer verspricht Rückschlüsse auf die Größenordnung regionaler wie sozialer Mobilität innerhalb der hohen osmanischen £lmiye, oder anders gesagt: wie geschlossen war der Zirkel der Istanbuler Ulema wirklich? Lässt sich von einer geschlossenen Gesellschaft sprechen? Die Betrachtung einzelner Lebenswege und Curricula kann aufzeigen, wie der Aufstieg von 'Außenseitern' in die hohen Kreise der osmanischen £lmiye konkret aussah. Dabei ist auf institutionelle Beschränkungen und Hemmnisse ebenso einzugehen wie auf Möglichkeiten und Wege diese zu umgehen. Ziel der Studie ist also, durch die Betrachtung des Allgemeinen wie des Individuellen die Durchlässigkeit des hohen osmanischen Gelehrtenstands zu untersuchen und damit einen Beitrag zum Verständnis der gesellschaftlichen Ordnung wie der regionalen Integration im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts zu leisten.

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18

So beziehen die bereits erwähnten Standardwerke zur osmanischen £lmiye die Quellengattung des biographischen Sammelwerkes nur für wenige Belegstellen (UZUN†AR¡ILI (1988)) oder aber gar nicht ein (GIBB/BOWEN (1950-57)).

1.2

DAS BIOGRAPHISCHE SAMMELWERK VEKAYIÜ’LFUDALÀ DES MEHMED ¡EYHÎ EFEND£

1.2.1

Die Handschrift

Ausgangspunkt der Untersuchung ist das von Mehmed ¡eyhî Efendi verfasste biographische Sammelwerk Vekayiü’l-Fudalâ. Das Werk liegt in einer Edition36 vor, die auf einer in der Bayezid Kütüphanesi, Veliyüddin Efendi, in Istanbul liegenden Handschrift (Sig. 2361 u. 2362) basiert. Der erste Band beinhaltet die Regierungszeiten der Sultane Murad IV. (1623-1640) (teilweise), £brahim (1640-1648) und Mehmed IV. (1648-1687), Band zwei und drei die der Sultane Süleyman II. (1687-1691), Ahmed II. (1691-1995), Mustafa II. (1695-1703) und Ahmed III. (1703-1730). Band 1 besteht aus 368 Folios, ebenso wie Band zwei und drei zusammen, jeweils à 320x190 cm mit 37 Zeilen. Das Manuskript ist in schönem naskhi-Duktus abgefasst. Neben der beschriebenen, als Faksimiledruck erschienenen Handschrift existieren mehrere Abschriften des Vekayiü’l-Fudalâ in verschiedenen Istanbuler Bibliotheken37 sowie in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.38 Da für diese Arbeit ausschließlich die edierte Fassung verwendet wurde, beziehen sich alle Angaben auf diesen 1989 von Özcan in zwei Bänden herausgegebenen Faksimiledruck. 1.2.2

Über den Autor

¡eyh Mehmed b. ¡eyh Hasan el-Feyzî Efendi, bekannt unter dem Namen ¡eyhî, wurde 1078 (1667/8)39 als Sohn Hasan Feyzî b. Mehmed Efendis40 in Istanbul 36 37 38 39

¡EYHÎ Mehmed Efendi (gest. 1732/3): Vekayiü’l-Fudalâ, hg. von Abdülkadir Özcan 1989 u.d.T.: ¡akaik-i Nu’maniye ve Zeyilleri, 5 Bde., Bd. 3 und 4: Vekayiü’l-Fudalâ 1-3, Istanbul. Vgl. dazu £stanbul Kütüpaneleri Tarih-Coºrafya Yazmalar¤ Kataloºu, Istanbul 1943-1953: 743-747 und Özcan in der Einleitung zu den Vekayiü’l-Fudalâ (¡EYHÎ: IX f.). Gustav FLÜGEL (1865): Die Arabischen, Persischen und Türkischen Handschriften der KaiserlichKöniglichen Hofbibliothek zu Wien, 3 Bde., Wien: Bd. 2: 396f. Dieses Geburtsdatum ist in der Einleitung Özcans zu ¡eyhîs Werk (¡EYHÎ: VII), in Levend (Agâh S¤rr¤ LEVEND (1973): Türk Edebiyat¤ Tarihi, Bd.1, Ankara: 360) und in Uºur (U¹UR (1986): XXII) angegeben. In allen anderen Nachschlagewerken älteren (etwa Franz BABINGER (1927): Die Geschichtsschreiber der Osmanen und ihre Werke, Leibzig: 267f.) und neueren Datums (etwa £stanbul Ansiklopedisi (Dünden Bugüne £stanbul Ansiklopedisi), 8 Bde., Istanbul 1993-1995: Bd. 8: 293) gilt ¡eyhîs Geburtsdatum als unbekannt. Während die beiden erstgenannten Autoren keine Quelle angeben, aus der sie das Geburtsdatum entnommen haben, bezieht sich Uºur auf das von F¤nd¤kl¤ £smail Efendi verfasste zeyl, die Fortsetzung zu ¡eyhîs Werk u.d.T. Tekmilet e¢-¡akaik fî Hakk ehl el-Hakaik (zu Werk und Autor vgl. BABINGER (1927): 383f.). Darin befindet sich die Biographie ¡eyhîs, die Uºur auszugsweise wiedergibt (U¹UR (1989): XXII-XXVI). In diesem biographischen Sammelwerk ist nicht nur das Geburtsjahr, sondern auch ein abweichendes Todesdatum angegeben: 1144 (1731/2), während sonst das Vorjahr genannt wird. Es wäre genauer zu prüfen, welche Lebensdaten zutreffend sind.

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geboren. Hasan Feyzî Efendi war erst im Metier seines Vaters, eines Silberschmieds, tätig, wandte sich dann dem Sufismus zu und studierte anschließend die 'orthodoxen' religiösen Wissenschaften. ¡eyhîs Vater wurde Müderris, verließ diese Laufbahn allerdings bereits auf einer unteren Hierarchiestufe. Er unterstellte sich verschiedenen ¡eyh unterschiedlicher Bruderschaften und stand schließlich selbst als ¡eyh der der Halvetiye oder Nak¢ibendiye41 zugehörigen Emir Buharî Zaviye vor. Als Hasan Feyzî Efendi im Jahre 1102 (1690) verstarb, hatte sein Sohn, der Autor der Vekayiü’l-Fudalâ, bereits eine Medresenlaufbahn durchlaufen und einige Zeit als Müderris unterrichtet. Er gab diesen Weg auf und übernahm den Posten seines verstorbenen Vaters, den er bis zu seinem eigenen Tod im Jahre 1145 (1732/3) hielt. Beerdigt wurde ¡eyhî in seiner langjährigen Arbeitsstelle, der Emir Buharî Zaviye hinter dem Edirne Kap¤ am Rande Istanbuls. Über ¡eyhîs Mutter wissen wir nichts, wohl aber über ihren Vater und Bruder; beide sind in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichnet. ¡eyhîs Großvater mütterlicherseits war Alim, hieß Ahmed b. Ali b. Ömer Efendi42 und wurde in Kula, einem kasaba im Sancak Kütahya in Westanatolien geboren. Er stieg in der osmanischen £lmiye nur bis zu einem Kadiamt niedrigen Rangs auf, sein Sohn Mecdî Mehmed Efendi,43

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Gelebt von 1036 bis 1102 (1626/7-1690/1) (¡EYHÎ: II.37.2). ¡eyhî spricht davon, dass sein Vater halîfe verschiedener ¡eyh war, die unterschiedlichen tarikat angehörten: er erwähnt einen Halvetiye-, einen Nak¢ibendiye- und einen Mevleviye¡eyh als dessen spirituelle Meister. War der Vater also Mitglied aller drei Bruderschaften? Im Dienst welcher tarikat ¡eyhî und sein Vater in der Emir Buharî Zaviye als ¡eyh tätig waren, geht aus dem Eintrag des Verfassers nicht hervor. Folgt man ¡eyhregistern, so war die Emir Buharî Zaviye seit ihrer Gründung im späten 16. Jahrhundert der Nak¢ibendiye, seit dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts bis 1731 der Halvetiye, anschließend der Kadiriye und im 19. Jahrhundert, wie zu Beginn, der Nak¢ibendiye zugehörig. Eine Quelle berichtet für das 18. Jahrhundert auch von einem Bekta¢iye-¡eyh, der dort unterkam (Thierry ZARCONE (1993-95): "Emir Buharî Tekkesi", £stanbul Ansiklopedisi). Folgt man dieser Aufstellung, war ¡eyhî als Halvetiye-¡eyh und sein 1690 verstorbener Vater entweder als Halvetiye- oder Nak¢ibendiye-¡eyh in der Emir Buharî Zaviye tätig. Dem widerspricht allerdings Özcan in seinem Vorwort der Edition der Vekayiü’l-Fudalâ, er schreibt der Verfasser des Werkes sei Nak¢ibendiye-¡eyh gewesen (¡EYHÎ: XII). Zâkir ¡ükrî Efendi, ein Autor dessen Lebensdaten unbekannt sind und dessen Aufstellung sämtlicher Zaviye und ¡eyh in Istanbul seit dem 10. Jahrhundert der Hicra wahrscheinlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts datiert, fügt dem Namen des Vaters ¡eyhîs 'el-Halvetî' an (Zâkir ¡ÜKRÎ Efendi (gest. ? (20. Jahrhundert)): Mecmu’a-i Tekaya, nach einem Typoskript v. Mehmed Serhan Tay¢¤ hg., eingeleitet und mit Indizes versehen von Klaus Kreiser 1980 u.d.T.: Zâkir ¡ükrî Efendi. Die Istanbuler Derwischkonvente und ihre Scheiche (Mecmu’a-i Tekaya), Freiburg: 54). Anhand weiterer Quellen wäre zu untersuchen, welche der unterschiedlichen Angaben korrekt ist und welcher tarikat ¡eyhî und sein Vater angehörten. Gest. 1053 (1643/4) (¡EYHÎ: I.108.2). Gest. 1128 (1715/6) (¡EYHÎ: II.380.1).

¡eyhîs Onkel, hingegen, erreichte einen hohen Posten: Er wurde zwei Mal zum Heeresrichter von Anatolien bestellt. Sowohl ¡eyhîs Onkel als auch sein Vater haben Gedichte verfasst, die der Verfasser der Vekayiü’l-Fudalâ vielerorts in seinem Werk zitiert. Die Niederschrift des letzten Teil des Werkes wurde von ¡eyhîs Sohn, ¡eyhî Mahdûmî Hasan Efendi, im Auftrag des bekannten Sadrazam des 18. Jahrhunderts Hekimzade Ali Pa¢a vollendet. ¡eyhî widmete sein Werk dem Großwesir Nev¢ehirli £brahim Pa¢a. Der Sadrazam leitete über 12 Jahre (1718-1730) die Regierungsgeschäfte, war damad Sultan Ahmeds III. und hat, als Gönner der Kunst, die Tulpenzeit (lale devri) maßgeblich geprägt. Neben den Vekayiü’l-Fudalâ werden ¡eyhî weitere Werke zugeschrieben, wobei nicht bei jedem bisher geklärt werden konnte, ob tatsächlich er der Verfasser ist.44 1.2.3

Zum Werk

Biographische Sammelwerke in der islamischen Geschichtsschreibung Die in osmanischer Zeit meist von Gelehrten verfasste biographische Literatur hat in der islamischen Geschichtsschreibung eine lange Tradition. Bereits im dritten Jahrhundert der Hicra lässt sich die Gattung der (zu dieser Zeit arabischen) biographischen Sammelwerke als eigenständiger Zweig der Historiographie beschreiben. Ihre Entwicklung steht in Verbindung mit der hadis-Wissenschaft, deren zentrale Aufgabe es war, die Richtigkeit der Prophetentradition (hadis) zu verbürgen. Schlüssel dazu war die Überprüfung der Überliefererkette, des isnad. Um aber feststellen zu können, ob Person A, die sich in der Überlieferung des hadis auf Person B stützt, zu jener Person B überhaupt Kontakt haben konnte, bedurfte es biographischer Informationen über beide Gewährsleute. Mag diese Notwenigkeit der Sammlung biographischen Materials der Anlass zur Entwicklung der Gattung des biographischen Lexikons in der islamischen Welt gewesen sein, so erfüllten jene Sammelwerke darüber hinaus auch andere Aufgaben: Von ihnen wird Geschichte beschrieben – als Summe von Taten und Erfahrungen einzelner bedeutender Persönlichkeiten. Neben der Niederschrift der eigenen Historie wird folglich des Wissens und der Tugendhaftigkeit der als Vorbild zu begreifenden Vorfahren gedacht. Doch hatten diese Werke nicht nur den Anspruch zu informieren, zu erinnern und zu würdigen, sie sollten auch der Unterhaltung dienen. Deutlich wird das an den in vielen Lebensbeschreibungen eingeflochtenen Chronogrammen und Gedichten, abwechslungsreichen Beschreibungen und Anekdoten. Die mit der Abfassung einer biographischen Sammlung verfolgten Ziele variieren je nach Autor, der seine 44

Zu dieser Frage vgl. Babinger (1927): 268 und Özcan im Vorwort der Edition der Vekayiü’lFudalâ (¡EYHÎ: XII).

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Intention oft im Vorwort darlegt. Dementsprechend unterschiedlich sind Aufteilung und Stil. Gemeinsam ist den meisten Sammelbiographen der Wunsch, möglichst jede recherchierbare Information über den Beschriebenen zu integrieren45 und die Lebensbeschreibungen zu formalisieren. Für den osmanischen Bereich hat Majer in seiner Studie über U¢akîzade nachweisen können, dass nicht nur auf ältere Sammelwerke, etwa das Ta¢köprüzades46 oder das daran anknüpfende Ataîs47 zum 16. Jahrhundert, zurückgegriffen wurde. Neben diesen insbesondere für genealogische Angaben bedeutenden Quellen bildeten eigene Recherchearbeiten in offiziellen Registern und Urkunden zur Rekonstruktion der Curricula sowie Erzählungen zeitgenössischer Bekannter den Fundus, aus dem der Autor schöpfte.48 Weitreichende Kontakte waren demnach für den Verfasser von großer Bedeutung. Durch Majers Untersuchung wissen wir von der Bekanntschaft U¢akîzades und ¡eyhîs,49 der, ohne den Namen U¢akîzade in seinem Vorwort explizit zu erwähnen, dessen Angaben, teils erweitert, teils aber auch dessen persönliche Anmerkungen aussparend, in seine eigene Biographiensammlung integrierte.50 ¡eyhîs Werk ist nicht nur als erweiterte Version der Biographiensammlung U¢akîzades zu sehen, es geht auch zeitlich über seine Vorlage hinaus. Sich als zeyl, als Fortführung des Werkes Ataîs verstehend und hieran nach dessen Tod anknüpfend, umfasst es die Zeitspanne von 1040 (1630/1) bis 1143 (1730).51 Die Tatsache, dass alle hier erwähnten 45 46

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Eine Ausnahme bilden Dichter-tezkere. Ta¢köprüzade (Ebülhayr £samüddin Ahmed Efendi) lebte von 1495 bis 1561. Sein Werk titelt ¡akaik-¤ Nu’maniyye und ist auf Arabisch verfasst. Die türkische Übersetzung dieses biographischen Sammelwerkes durch Mecdî (gest.1591) ist u.d.T. Hadaiku’¢-¡akaik bekannt, sie enthält auch Zusätze Mecdîs und wurde von Özcan als erster Band der Reihe herausgegeben, in dem auch die Vekayiü’l-Fudalâ erschienen (MECDÎ Mehmed Efendi (gest. 1591): Hadaiku’¢-¡akaik, hg. von Abdülkadir Özcan 1989 u.d.T.: ¡akaik-i Nu’maniye ve Zeyilleri, 5 Bde., Bd.1: Hadaiku’¢-¡akaik, Istanbul). Nev’îzâde ATAÎ (gest. 1635): Hadaiku’l-Hakaik fî Tekmileti’¢-¡akaik, hg. von Abdülkadir Özcan 1989 u.d.T: ¡akaik-i Nu’maniye ve Zeyilleri, 5 Bde., Bd. 2: Hadaiku’l-Hakaik fî Tekmileti’¢-¡akaik, Istanbul. Sowohl Ta¢köprüzade als auch Ataî werden von ¡eyhî im Vorwort genannt und ihr Werk gewürdigt. MAJER (1978): 77-91. Vgl. dazu Özcans Einleitung zu den Vekayiü’l-Fudalâ (¡EYHÎ: X ff.). Besonders interessant ist, dass sich die beiden Autoren nicht nur kannten, sondern einander auch Hilfestellung leisteten (MAJER (1978): 97ff.). Die alleinige Bearbeitung der Vekayiü’l-Fudalâ in dieser Arbeit liegt darin begründet. Majer schreibt: "Man könnte den in ¡eyhî inkorporieten U¢akîzade als eine zweite, überarbeitete Auflage von U¢akîzade charakterisieren. Insgesamt betrachet ist U¢akîzades Werk damit überholt, doch wird man sich bei gegensätzlichen Angaben in beiden Werken nicht immer vorbehaltlos ¡eyhî anschliessen, sondern lieber aufgrund eigener Prüfung diesem oder jenem beistimmen wollen." (MAJER (1978): 95f.). Aus der Feder ¡eyhîs stammen alle Einträge von 1040 (1630/1) bis 1130 (1718). In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod 1145 (1632/3) fertigte er Notizen an, anhand derer sein Sohn ¡eyhîzade Hasan Efendi die Vekayiü’l-Fudalâ weitere 10 bis 15 Jahre später (auf Ver-

Autoren ihre Sammlung als zeyl bezeichnen, zeigt, dass sie sich in einer bestimmten Tradition sahen, die sie weiterführten. So titeln alle Ta¢köprüzade nachfolgenden Werke von Ataî, U¢akîzade und ¡eyhî: Zeyl-i ¡akaik-i Nu’maniye oder Zeyl-i Zeyl-i ¡akaik-i Nu’maniye.52 Die Betrachtung des eigenen Werkes als Weiterführung impliziert auch die Übernahme der Form.

Aufbau und Inhalt der Vekayiü’l-Fudalâ ¡eyhî gliedert seine Arbeit – der Tradition dieser Gattung folgend – in einzelne Abschnitte (tabaka), die sich aus den Regierungszeiten der Sultane ableiten. Zwischen zwei tabaka findet sich jeweils eine Aufstellung der Inhaber der wichtigsten Staatsämter in diesem Zeitabschnitt. Die erste Klasse in ¡eyhîs Werk ist als tabaka 17 überschrieben, beginnt also mit dem 17. Sultan, Murad IV., und vollendet die von Ataî nicht mehr fertig gestellte Regierungszeit dieses osmanischen Herrschers. Innerhalb der tabaka folgt die Auflistung der vorgestellten Persönlichkeiten chronologisch nach Todesdaten,53 wobei ¡eyhî drei Personengruppen unterteilt: Ulema, ¡eyh und ¡air.54 Durch die Einbeziehung von Dichterbiographien unterscheidet er sich von seinen Vorgängern, die sich ausschließlich auf die Lebensbeschreibungen islamischer Gelehrter und Mystiker beschränkten. Eine Eingrenzung auf bestimmte Personengruppen bei der Abfassung eines biographischen Sammelwerkes war üblich und das ist bereits aufgrund der Datenmenge einsichtig. Die meisten der Werke konzentrieren sich auf hochrangige Würdenträger, Lebensbeschreibungen von Handwerkern, Kaufleuten oder gar Bauern wurden nur sehr selten Gegenstand einer derartigen Zusammenstellung – auch das ist vielseitig erklärbar.55 Die dominierende Gruppe waren stets Gelehrte. Das mag

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anlassung des damaligen Großwesirs Hekimzade Ali Pa¢a) genau nach dem Vorbild seines Vaters vollendete. Zu den Vekayiü’l-Fudalâ, den von ¡eyhî und seiner Vorlage U¢akîzade verwendeten Quellen und der Bedeutung des Werkes ¡eyhîs für die osmanische Bildungsgeschichte vgl. ferner Abdülkadir ÖZCAN (2001): "¡eyhî’nin Vekayiü’l-Fudalâ’s¤n¤n Bilim Tarihi Bak¤m¤ndan Önemi ve Deºeri". In: Hidayet Yavuz Nuhoºlu (Hg.): Osmanl¤ Dünyas¤nda Bilim ve Eºitim. Milletleraras¤ Konresi Tebliºleri (£stanbul 12-15 Nisan 1999), S. 117-132. Es existieren weitere zeyl zu Ta¢küprüzades biographischem Sammelwerk, vgl. dazu LEVEND (1973): Bd. 1: 355f. und BABINGER (1927): 69, 86, 112f. Der erste Eintrag ist Ataî, der 1045 (1635/40) verschieden ist, doch beginnt ¡eyhî seine 17. tabaka anschließend an dessen Biographie mit den seit 1040 (1630/1) verstorbenen Ulema. Eine Ausnahme dieser Regel stellt die Einbeziehung der Lebensbeschreibungen des berühmten osmanischen Historiographen Kâtib †elebi dar, dessen Biographie – unter der Rubrik Ulema – in der 19. tabaka auf den Seiten 262ff. des ersten Bands der Vekayiü’lFudalâ zu finden ist. Für eine Zusammenstellung der Personengruppen, die zu unterschiedlichen Zeiten im Osmanischen Reich durch biographische Sammelwerke repräsentiert sind, vgl. MAJER (1978): 43-47.

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zum einen daran liegen, dass die meisten biographischen Sammelwerke von Vertretern des Gelehrtenstandes verfasst wurden, ist aber insbesondere auf ihre zentrale Stellung in der Gesellschaft als Wahrer der Scharia und der gottgegebenen Ordnung zurückzuführen. Neben den Ulema bildeten die ¡eyh die zweite Gruppe der Vertreter der Religion, genossen ebenfalls hohes Ansehen und die Lebensbeschreibungen der Prominentesten unter ihnen finden sich schon bei Ta¢köprüzade neben denen der Ulema. Warum ¡eyhî Dichterbiographien als eine eigenständige Kategorie integrierte und damit von seinen Vorgängern abwich, wäre zu klären. Ob Alim, ¡eyh oder ¡air, der Aufbau der einzelnen Biographien unterscheidet sich kaum. Anhand von Auszügen aus einer der recht standardisierten Lebensbeschreibungen soll gezeigt werden, welche Informationen ¡eyhî gibt und wie sie aufgeführt sind. Auf gewisse Schwierigkeiten bei der Interpretation einiger floskelartiger Wendungen und bestimmter Begriffe wird an geeigneter Stelle gesondert einzugehen sein. Die Fragestellung der Arbeit legt nahe, einen nicht aus der Istanbuler Gelehrtenschicht stammenden Alim als Beispiel heranzuziehen. Eine mit eineinhalb Seiten überdurchschnittlich ausführliche Biographie hat ¡eyhî einem Händlersohn aus Bolu, ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi,56 gewidmet. Sie gliedert sich wie folgt: S. 421, Z. 36f.

S. 421, Z. 37

56 57

24

Genealogische Abkunft: Dem Titel elmevla folgt der Name des Beschriebenen, der Name des Vaters, des Großvaters und eventuell weiterer Verwandter.57 ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendis Vater war el-Hâcc Ahmed, Sohn des Mustafa. Regionale Herkunft: ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi stammte aus der Stadt Bolu. Oft, gerade bei kleineren Orten, ist die Ortsangabe durch die zusätzliche Erwähnung des Eyalet und Sancak präzisiert.

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...    ...

Gest. 1086 (1675/6) (¡EYHÎ: I.421.2). Sind Verwandte bereits mit einer Biographie in ¡eyhîs eigenem Sammelwerk oder in dem seines Vorgängers Ataî für das 16. Jh. vermerkt, so findet sich an dieser Stelle ein Verweis auf die tabaka, in der die entsprechenden Verwandten verzeichnet sind. Dies ist in erster Hinsicht für die Untersuchung der Abkömmlinge traditioneller Istanbuler Gelehrtenfamilien von Bedeutung und dementsprechend ausführlich sind die Angaben am Beginn der jeweiligen Lebensbeschreibungen. Bei den in dieser Arbeit zu untersuchenden Ulema ohne hochgelehrte Vorfahren findet sich ein solcher Verweis selten: Ist der Bruder als erster der Familie in die Istanbuler Gelehrtenzirkel eingetreten und bereits vorher verstorben, so findet sich ein Verweis auf ihn, war der Vater ¡eyh, so wird auf dessen Biographie Bezug genommen.

S. 421, Z. 37 S. 422, Z. 1

S. 422, Z. 2

58

Beruf des Vaters: ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendis Vater el-Hâcc Ahmed war bedeutender Händler in Bolu. Vollständiger Name des Alim: Oft wird der anfangs gegebene Name durch zusätzliche Ehren-, Ruf- oder Spitznamen ergänzt.58 In diesem Fall ist uns der vollständige Name mit Titel bereits bekannt: ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi. Ausbildung und Lehrer: ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi war Schüler des

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Sehr häufig sind Wendungen wie: Er ist unter Kirli Han¤mzade Hasan Efendi berühmt und unter diesem Namen jedem bekannt.

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(Biographie von Kirli Han¤mzade Hasan Efendi (¡EYHÎ: I.213.1)). Durch die Nennung wieterer Namen lassen sich mitunter auch verwandtschaftliche Verhältnisse rekonstruieren. Bezeichnet ¡eyhî jemanden an dieser Stelle als damad, so ist klar, dass er die Tochter der genannten Person geheiratet hat. Oft erwähnt der Autor dieses Verhältnis auch explizit und fügt dem noch weitere Informationen über den Schwiegervater (wenn eine Biographie von ihm vorhanden ist, ein Verweis auf die entsprechende tabaka, niemals jedoch die verheiratete Tochter selbst) bei. So etwa bei Mahzar Efendi Damad¤ Ahmed Efendi (ibid: I.183.2): Mit dem unter den Ulema in der tabaka Sultan Murads IV. in den zeyl des Ataî verzeichneten Mazhar Efendi war er durch Heirat verbunden, weswegen er Mazhar Efendi Damad¤ genannt wurde und allen unter diesem Namen bekannt war.

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An dieser Stelle der Biographie finden sich ferner vereinzelt Angaben zu kleineren Tätigkeiten, denen der beschriebene Alim in einer frühen Phase seines Lebens nachgegangen ist, so als tezkireci eines Sadrazam (vgl. etwa die Biographie von ¡eyhülislam Muid Ahmed Efendi (ibid: I.137.1)). Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff 'hizmet' leitet sich aus der arabischen Wurzel ‫ ح ذ م‬ab, bedeutet Dienst und kommt so auch in den Vekayiü’l-Fudalâ vor. Gleichzeitig erscheint es aber immer wieder in Verbindung mit Namen, dabei stets diesem folgend, wie etwa bei ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi. Da es hier eindeutig kein anderes mögliches Bezugswort gibt, scheint der Verdacht begründet, dass 'hizmet' und von 'hizmet' abgeleitete Formen als schmückendes Beiwort, als Ehrenbezeichnung an den Namen angefügt wird (schließlich taucht es ausschließlich bei sehr hochgestellten Würdenträgern als Namenszusatz auf). Vielleicht ist es am besten mit 'der geehrte' oder gar nicht zu übersetzen.

25

S. 422, Z. 3 S. 422, Z. 5 S. 422, Z. 5f. S. 422, Z. 6

S. 422, Z. 10f.

S. 422, Z. 15

60

61 62 63

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Mufti von Bolu Yusuf Efendi, einem Gelehrten seiner Zeit. Übersiedlung nach Istanbul61 £ntisâb-Verhältinis: Der spätere ¡eyhülislam unterhielt eine Klientbeziehung (intisâb)62 zu ¡eyhülislam Yahya Efendi. Mülâzemet63: Mustafa erhielt eine mülâzemet von ¡eyhülislam Yahya Efendi. 40 Akçe Medrese: Der beschriebene Händlersohn aus Bolu ging verschiedenen nicht genauer spezifizierten Lehrtätigkeiten bis zur Entlassung aus der Stufe der 40 Akçe Medrese nach. Müderrisposten in Medrese: Im Zu elHicca 1048 (1638/9) trat Mustafa Efendi die Nachfolge von Sar¤ Alizade Mehmed Efendi als Müderris in der Davud Pa¢a Medrese an. Wie in allen anderen Biographien auch, ist der Zeitpunkt, zu dem die Einsetzung stattfand, der Name der Institution und der des Alim, der den Posten vorher inne hatte, angegeben. Kadiamt: Im Rabi I desselben Jahres, also 1055 (1645/6), wurde ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi zum Kadi von Bursa bestellt. Wie bei der Einsetzung in ein Müderrisamt wird auch hier immer erwähnt, wann und wo der Alim als Kadi eingesetzt wurde und wer diesen Posten vorher bekleidet hatte. In diesem Fall war das £smeti Mehmed Efendi.

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Der Begriff 'hizmet' kommt an dieser Stelle einer Biographie, an der die Lehrer des vorgestellten Alim genannt werden, nur sehr selten vor, ist dann allerdings so zu verstehen, dass der Beschriebene bei dem namentlich genannten Hoca Unterricht erhielt. In seltenen Fällen werden auch andere Städte genannt. Genauer hierzu vgl. Kapitel 3.2. Genauer hierzu vgl. Kapitel 2.2.5.

S. 423, Tod64: ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Z. 8 Efendi verschied im Jahre 1086 (1675/6). S. 423, Z. 9 -13

Lobpreisungen und Persönliches: Auf die Wendung mevlana-i mezbur folgen Lobpreisungen auf den beschriebenen Gelehrten. Sein Wissen, seine Religiosität (so in diesem Fall) und Ähnliches werden ebenso gewürdigt wie besondere Begabungen und Eigenschaften. ¡eyhî berichtet etwa von dichterischen und mathematischen Talenten, von verfassten Werken oder gestifteten Institutionen. In einigen Fällen werden Chronogramme, Anekdoten und Gedichte angefügt. Oft angesprochen werden in diesem letzten Abschnitt ferner Tätigkeiten, denen der Alim zu Beginn seiner Karriere nachging, darauf gründende Kontakte und Verbindungen sowie Heiratsbeziehungen.

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Die Biographie als Quelle Während sich bei weitem nicht alle diese Informationen in jeder Biographie finden, so beschreibt vorliegende Aufstellung doch, welche Informationen der Autor zu geben gewillt war. Es ist auffällig, dass in allen Biographien die Angaben über Müderris- und Kadiämter sehr detailliert sind, der Autor aber genauere Hinweise auf den familiären Hintergrund, die Herkunft sowie die Zeit der ersten Ausbildung in einem Großteil der Fälle schuldig bleibt. Dieses Defizit lässt sich durch die ¡eyhî zur Verfügung stehenden Quellen begründen. Erlaubten die von ihm zu Rate gezogenen defter über Einsetzung und Absetzung genaueste Darstellungen der

64

Für das Dahinscheiden eines Menschen standen ¡eyhî eine ganze Reihe von Wendungen zur Verfügung, die einfachste ist: ‫ا ل اب‬, er ist verstorben. Außerdem ist in einigen Fällen die Todesursache und der Begräbnisort angegeben. Die ungewöhnlichsten von ¡eyhî überlieferten Todesursachen seien kurz genannt: Ein Alim erstickte an einem Pfirsichkern (Sebzi Seyyid Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.469.2)), ein anderer stolperte beim Beten in der Moschee über einen Teppich (Atazade Mehmed Efendi (ibid: I.273.1)), ein weiterer Gelehrter geriet über den Vorwurf, er habe einem Sklaven bei der Flucht geholfen, so heftig in Aufregung, dass er starb (Sar¤ Abdullah Efendi (ibid: I.277.1)) und wieder ein anderer wurde beim Abendessen vergiftet, starb auf dem Heimweg, und wurde, übel zugerichtet, am nächsten Morgen entdeckt (Kas¤mpa¢a Ali †avu¢zade Mustafa Efendi (ibid: I.452.1)).

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höheren beruflichen Laufbahn der Beschriebenen, ließen sich persönliche Informationen über den Alim nur schwer recherchieren. Kam der Gelehrte dann auch noch von außerhalb Istanbuls oder aus einem nicht zum weiten Bekanntenkreis des Autors gehörenden Umfeld – so ist zum Beispiel nicht anzunehmen, dass ¡eyhî engen Kontakt zu Handwerkerkreisen in Istanbul unterhielt, sondern sich im Zirkel der religiösen Elite der Hauptstadt bewegte –, waren die Möglichkeiten über die Ämterlaufbahn des vorgestellten Alim hinaus Informationen zu erhalten, sehr begrenzt. Gleiches gilt für ¡eyhîs Vorlage, den Biographen U¢akîzade. So erklärt sich die Tatsache, dass viele der Lebensbeschreibungen nicht mehr als wenige Zeilen umfassen und Angaben über familiären wie regionalen Hintergrund sowie über die Zeit der Ausbildung fehlen, besondere Fähigkeiten und Charakterzüge unerwähnt bleiben. Der Anteil derer, über die in den Vekayiü’l-Fudalâ nur spärliche Informationen enthalten sind, ist dementsprechend bei der in dieser Arbeit zu untersuchenden Gruppe der nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammenden Gelehrten besonders hoch. Wie man trotz dieser Schwierigkeit in der Analyse des Werkes ¡eyhîs unter der Fragestellung der sozialen und regionalen Mobilität zu aussagekräftigen Schlüssen kommen kann, wird unter den verschiedenen Punkten der Auswertung getrennt besprochen. Während man in einigen Fällen auch aus der Tatsache, dass ¡eyhî keine Angaben zu einem bestimmten Lebensabschnitt eines Gelehrten macht, gut begründbare Schlussfolgerungen ziehen kann, muss an anderer Stelle darauf verzichtet werden, will man sich nicht in Spekulationen versteigen. Das Schweigen ¡eyhîs an einigen Stellen wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien er Biographien von Gelehrten in seine Zusammenstellung aufgenommen hat und ob er bewusst die eine oder andere Information ausgespart hat. Durch Majers Untersuchung des in weiten Strecken zeitgleichen Werkes U¢akîzades wissen wir nicht nur, dass jener die Verwicklung einiger seiner Verwandten in die Absetzung Sultan £brahims (1640-1648) dezent verschwiegen hat, sondern auch, dass ¡eyhî bei der Verwendung U¢akîzades Werkes in sein eigenes selektiv vorgegangen ist. Ein Vergleich der beiden Biographiensammlungen ermöglicht Unstimmigkeiten und Unvollkommenheiten in Einzelfällen zu klären. Für die Zeit nach dem Ende U¢akîzades Werks besteht also kaum die Möglichkeit, fehlende Angaben in den Vekayiü’l-Fudalâ zu ergänzen oder verwunderliche Anekdoten zu verifizieren. Für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit sind die Vekayiü’l-Fudalâ durch U¢akîzade überprüfbar: ¡eyhî stellt einen idealen Quellenkorpus für die Erforschung der Istanbuler Gelehrtenschaft des 17. Jahrhunderts dar – wohlgemerkt aber der Istanbuler Gelehrtenschaft,65 denn die Vekayiü’l-Fudalâ enthalten keine Einträge über 65

28

Istanbuler Ulema (Istanbul schließt Galata, Be¢ikta¢, Eyüp und Üsküdar mit ein) waren an die Hauptstadt gebundene Gelehrte, wobei diese Hauptstadtbindung unabhängig vom

Ulema und religiöse Kreise, die außerhalb der osmanischen Hauptstadt gewirkt haben.66 Einschränkend zu dieser Feststellung ist hinzuzufügen, dass die alten Zentren der osmanischen Herrschaft Bursa und Edirne hier eine Ausnahme bilden. ¡eyhîs Biographiensammlung enthält einige wenige Lebensbeschreibungen dort ansässiger Gelehrter, auch wenn sie ausschließlich dort Müderrisposten inne hatten und womöglich nie in Istanbul gearbeitet oder studiert haben. Aus dem dargelegten Umstand leitet sich eine wichtige Prämisse für die angestellte Untersuchung ab: Die Quelle erlaubt keine Rückschlüsse auf die soziale und regionale Mobilität in der religiösen Ordnung des Osmanischen Reiches überhaupt, sondern einzig auf jene, der auf Istanbul (ferner in geringem Umfang auch Bursa und Edirne) konzentrierten höchsten Stufen der £lmiye.

66

tatsächlichen temporären Wohnort war. Insbesondere als Kadi wurden die Gelehrten an häufig wechselnden Orten im ganzen Reich eingesetzt – dabei blieben sie ohne Frage Teil der hauptstädtischen £lmiye, Istanbuler Ulema. Einige Autoren biographischer Sammelwerke haben die regionale Begrenzung ihrer Schriften offensichtlich als Mangel erkannt. Dafür spricht eine Angabe bei U¢akîzade (MAJER (1978): 92). Studien über Ulema anderer Regionen des Reiches sind anhand verschiedener, zum Teil sehr umfangreicher, regional-spezifischer biographischer Sammelwerke möglich. Exemplarisch seinen nur zwei erwähnt: Bald¤rzade Mehmed Selisîs Ravza-i Evliya über Bursa, vollendet 1059 (1649/50) und in U¢akîzades biographisches Sammelwerk eingeflossen (MAJER (1978): 77), und das die Basis für Wallbrechts bereits erwähnte Studie über die Damaszener Ulema bildende Werk Silk ad-durar fÐ aÝyÁn al-qarn a×-×ÁnÐ Ýašar el-Murâdîs. Außerdem lassen sich biographische Angaben über bedeutende lokale Gelehrte in den verschiedenen Regionalchroniken finden.

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2. DIE ULEMA IM 17. JAHRHUNDERT

2.1

WAS IST EIN ALIM?

¡eyhî über die Gelehrsamkeit In der Literatur wird der Begriff ÝÁlim (Pl. ÝulamÁÞ) sehr unterschiedlich verwendet.67 Nur selten geht einer Studie eine Klärung dieser Personenbezeichnung voran. Sicher ist: Ein Alim ist jemand, der Ýilm, Wissen, besitzt; im spezifisch muslimischen Kontext jemand, der Wissen über den Islam, religiöses Wissen, besitzt. Ein osmanischer Alim erwarb dieses Wissen in langjährigem Studium der religiösen Wissenschaften, nicht selten hatte er außerdem Kenntnisse in Naturwissenschaften und Philosophie, Medizin und Dichtkunst. Es stellt sich die Frage, ob jeder, der in irgendeiner Form religiöses Wissen erlangt hatte, als Alim (den Begriff 'Gelehrter' verwende ich synonym) zu bezeichnen ist oder ob die Position der ausgeübten Tätigkeit in der religiösen Hierarchie über die Mitgliedschaft zu den Ulema entschied. Eine genaue Differenzierung der im Dienst des Islam stehenden Männer ist für diese Arbeit auch deshalb von Relevanz, weil sie darüber entscheidet, welches Ausmaß an sozialer Mobilität innerhalb jener Gruppe im 17. Jahrhundert möglich war. Betrachten wir, wen ¡eyhî Alim nennt. Differenziert er unter den religiös Gebildeten? Alle in den Vekayiü’l-Fudalâ unter Ulema aufgeführten Personen erhalten von ¡eyhî den Ehrentitel el-mevla. Den Namen einiger der Väter geht ebenfalls elmevla voraus, es finden sich Angaben wie el-mevla A b. el-mevla B b. el-mevla C Efendi.68 In dieser Art, also mit el-mevla zu Beginn und Efendi am Schluss ihres Namens, bezeichnete Männer waren ausnahmslos hochrangige Ämter bekleidende Gelehrte. Bis auf einige wenige unter ihnen, die dauerhaft in anderen Städten des Reiches lebten und arbeiteten, waren sie alle an die Hauptstadt gebunden. ¡eyhî führt ferner Biographien von Ärzten auf. Sie finden sich im Abschnitt 'Ulema' des Werkes und der Autor beginnt jeden Eintrag gleichsam mit dem Ehrentitel eines Alim (el-mevla)

67

68

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Sehr weit und für diese Untersuchung nicht geeignet, fasst diesen Begriff etwa Wallbrecht. Sie schreibt: "[…] ÝulemÁÞ ist der Name, der für die Mitglieder der Ýilmiyye gebraucht wird, der Stand, der sich aus den Doktoren des islamischen Rechts zusammensetzte und auch die Lehrer und das Personal, das in Moscheen tätig war, mit einschloss." (WALLBRECHT (1970): 43n). Ähnlich definiert den Begriff Alim auch Chambers (CHAMBERS (1972): 33). Vgl. etwa die Biographie von ¡eyhülislam Ebusaidzade Mahdumu Mehmed Re¢id Efendi (¡EYHÎ: II.2.1).

und endet mit Efendi.69 Dem folgend sind die in den Vekayiü’l-Fudalâ vorkommenden Mediziner in diese Arbeit einzubeziehen und als Ulema zu betrachten. Weder einfache Moscheeangestellte, noch Provinzkadi oder Mufti wurden von ¡eyhî in sein Sammelwerk aufgenommen. Sie alle werden von ihm nur als Väter eines in diese hohen Ränge der Hierarchie aufgestiegenen Alim genannt, sie selbst erhalten keinen Eintrag. ¡eyhî betrachtet sie demnach nicht als Ulema. Unterscheidet ¡eyhî aber auch zwischen den Vätern, die keine Gelehrten waren, aber religiöse Aufgaben unterschiedlicher Bedeutung wahrnahmen? Ziehen wir exemplarisch eine Lebensbeschreibung heran: Nakibüle¢raf70 Nefeszade Seyyid Abdurrahman Efendi71 wurde als Sohn eines Imam und Hatib in Ankara geboren. Was lässt sich aus ¡eyhîs Wortwahl zur Bezeichnung Abdurrahman Efendis Vater schließen? Der entsprechende Absatz der Lebensbeschreibung lautet: Der Gelehrte Seyyid Abdurrahman ist Sohn eines klugen Mannes, eines Imam und Hatib in Ankara.

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¡eyhî benutzt also weder die Ehrenbezeichnung el-mevla in Verbindung mit der Nennung des Vaters noch bezeichnet er ihn als Efendi – er spricht von ihm schlicht als 'merd', Mann. Wie in diesem Beispiel, verzichtet der Autor in Verbindung mit Hatib, Imam, Muezzin oder vaiz grundsätzlich auf beide Titel, die er, handelt es sich um Ulema, stets dem Namen hinzufügt. 72 ¡eyhî trifft eine weitere Unterscheidung: Sowohl in Verbindung mit Mufti als auch mit kleineren Kadi und Müderris kommt der Titel el-mevla nicht vor,73 wohl aber Efendi. 69 70

71 72 73

Vgl. etwa die Biographie von Reisület¤bbâ Hammalzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.240.2). Der Nakibüle¢raf war das Oberhaupt der Prophetennachkommen und hatte dieses Amt in der Regel für eine längere Zeitdauer inne. Ihm oblag die nominelle Jurisdiktion über alle Seyyid und E¢ref, ferner befanden sich in seiner Obhut Mantel und Fahne des Propheten Muhammad. Gest. 1107 (1695/6) (¡EYHÎ: II.125.3). Vgl. etwa die Biographien von Müezzinzade Fikri Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.101.2) und ¡ami Hüseyin Efendi (ibid: II.19.1). Bzgl. Kadi vgl. die Biographie von Ala¢ehirli Abdullah Efendi (¡EYHÎ: II.180.2): Der Alim Abdullah b. Mustafa [war] Sohn des Ala¢ehirli Nurullahzade Mustafa Efendi, eines Provinzkadi in Anadolu.

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Bzgl. Mufti vgl. die Biographie von Sar¤ Osman Efendi (¡EYHÎ: I.453.2): Der Alim Osman b. Mehmed [war] Sohn des Mehmed Efendi, des Mufti von Amasya, weches im Vilayet Anadolu gelegen ist.

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Bzgl. Müderris vgl. die Biographie von Atpazar¤ Ahmed Efendi (¡EYHÎ: II.63.1):

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Diese begrifflichen Abstufungen ¡eyhîs legen nahe, zwischen drei Gruppen zu unterscheiden: 'kleineren Religionsdienern',74 'kleineren Ulema' und Ulema. • Unter 'kleinere Religionsdiener' sind Moscheediener, etwa Hatib, Imam, Muezzin oder vaiz zu verstehen. • 'Kleinere Ulema' bezeichnet Müderris, die ¡eyhî nicht in sein Werk aufnimmt, das sind Müderris, deren Vergütung unter 40 Akçe/Tag lag. In diese Kategorie fallen ferner Provinzkadi und Mufti. • Mit Alim werden alle Personen bezeichnet, denen höherrangige Aufgaben in der religiösen Ordnung des Reiches oblagen, all diejenigen Männer, die Ämter bekleideten, die einer Lehrtätigkeit an einer mit 40 Akçe pro Tag dotierten Müderrisstelle folgten. Das waren neben dem ¡eyhülislam und den beiden Kazasker die Kadi bedeutender Gerichtsbezirke, die Müderris an Medresen hohen Niveaus, der Nakibüle¢raf, der Imam des Sultans sowie honorige Ärzte.75 Bis auf einige wenige Ulema, die dauerhaft in anderen Städten des Reiches lebten und arbeiteten, etwa Müderris, die in ihrem Leben ausschließlich an den hochrangigen Medresen in Bursa oder Edirne tätig waren, waren sie alle an die Hauptstadt gebundene Gelehrte. Die Vekayiü’l-Fudalâ, in denen die Biographien der hauptstädtischen Ulema zusammengestellt sind, geben damit Auskunft über die Lebenswege fast aller hochrangigen Mitglieder der £lmiye des ganzen Reiches.

Alim, ¡eyh und ¡air Bei der Analyse der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ stellt sich nicht nur die Frage nach dem Niveau der Bildung, sondern auch nach der Art: Wie geht man mit den Gelehrten um, die sich nicht auf das Studium und die Lehre religiösen Wissens oder auf juristische Tätigkeiten beschränkten? ¡eyhî unterteilt jede seiner tabaka in drei Bereiche, den der Ulema, den der ¡eyh76 und den der ¡air. Bisher besprochen

Der Alim Ahmed b. Abdülbaki Efendi war Sohn des Abdülbaki Efendi, einem der Müderris von Manisa. 74

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In Anlehnung an Hans Georg Majer (1986): "Ulema und 'kleinere Religionsdiener' in einem Defter der Jahre vor 1683". In: Hans Georg Majer (Hg.): Osmanische Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In memoriam Van¦o Boškov, Wiesbaden, S. 104-119. Wir werden sehen, dass einige wenige Ulema eine gewisse Zeit lang auch als Mufti tätig waren. Für sie war dieser Posten aber nur eine Phase ihrer Karriere, anders als bei den Männern, die wir nicht als Ulema bezeichnen. Ferner werden in den Vekayiü’l-Fudalâ vereinzelt bekannte Wissende in Provinzstädten erwähnt, die über abweichende Curricula verfügen, aber trotzdem Gelehrte waren und von ¡eyhî ebenso bezeichnet werden. ¡eyh verfügten, mit regional unterschiedlichen Schwerpunkten, im gesamten Osmanischen Reich über große Anhängerschaft. Die Mevleviye, Nak¢ibendiye, Bekta¢iye und Halvetiye

wurden ausschließlich die in die Rubrik 'Ulema' fallenden Gelehrtenbiographien, aber verfügen nicht auch die Mitglieder der anderen beiden Gruppen über Wissen, ja sogar über religiöses Wissen? Ein Alim unterscheidet sich zwar in seinem Ausbildungsweg, in der Art seines Wissens, in seinem Zugang zu Religion und in seinen Aufgabenfeldern deutlich vom Derwisch, doch lassen sich diese beiden Wege der Religiosität nicht immer streng voneinander trennen. Eine interessante, sogar ein wenig abenteuerliche Lebensbeschreibung soll diese Schwierigkeit exemplarisch aufzeigen. ¡eyhülislam Esirî Mehmed Efendi77 wurde als Sohn eines Imam im kaza £brad¤ zwischen Konya und Antalya geboren. Sein Vater Abdülhalim übersiedelte mit der Familie nach Bursa, weswegen Esirî Mehmed Efendi auch mit der nisbe Bursal¤ bekannt wurde. In der alten Reichshauptstadt erfuhr er eine 'orthodoxe' religiöse Ausbildung, ging dann aber nach Istanbul, um sich in der ¡eyh Erdebilîzade Zaviyesi neben der Aya Sofya, einer Zaviye der Halvetiye, niederzulassen und schließlich den Weg eines Derwisch einzuschlagen. Nach einer gewissen Zeit wechselte er allerdings erneut die Laufbahn: Er erfuhr Unterstützung von ¡eyhülislam Yahya Efendi, wurde zu dessen fetva emini,78 widmete sich dem Studium der religiösen Wissenschaften an der Medrese und wurde schließlich selbst Müderris. ¡eyhülislam Esirî Mehmed Efendi, von dem nicht gesagt wird, ob er immer noch in der Zaviye lebte, schied nach einem Posten an der Valide Sultan Medrese, einer hochrangigen Medrese in Istanbul, aus dieser Laufbahn aus, um Kadi zu werden. Doch, so weiß ¡eyhî zu berichten, wurde das Schiff, mit dem er unterwegs nach Mekka zu seinem ersten Kadiamt war, von Malteser Rittern gekapert und er mit einhundert weiteren Muslimen gefangen genommen. Nach seiner Freilassung zum Kadi von Ägypten berufen, stieg ¡eyhülislam Esirî Mehmed Efendi in seiner Karriere bis zum Amt des ¡eyhülislam auf. In den untersuchten Ulemabiographien aus den Vekayiü’lFudalâ finden sich mehrere derartige Beispiele, darunter auch ein weiterer ¡eyhülislam. ¡eyhülislam Ali b. ¡eyh Mehmed b. el-Kad¤ Hasan79 aus Alaiye (Alanya) hatte

77 78 79

sind die heute bekanntesten tarikat und spielen in der Volksreligion immernoch eine zentrale Rolle. Den hohes Ansehen genießenden ¡eyh kam eine zentrale Stellung in der Gesellschaft zu und so verwundert es nicht, dass ¡eyhî der Tradition folgte und diese Vertreter der Religion in seine Biographiensammlung aufnahm. Interessant ist trotzdem, dass ¡eyhî, aber auch U¢akîzade, eine direkte familiäre Verbindung zum Sufismus hatten. Es liegt nahe zu vermuten, dass auch persönliche Gründe für die ausführlichen Lebensbeschreibungen von ¡eyh in den Werken beider von Bedeutung waren. Vgl. dazu etwa Kisslings Einleitung zum Werk U¢akîzades (U¡AKÎZADE (gest. 1724): Zeyl-i ¡akaik, hg. und eingeleitet von Hans Joachim Kissling 1965 u.d.T.: ÝUšaqÐzÁde’s Lebensbeschreibungen berühmter Gelehrter und Gottesmänner des Osmanischen Reiches im 17. Jahrhundert, Wiesbaden: IX f.). Gest. 1092 (1681) (¡EYHÎ: I.478.1). Der fetva emini war dem Büro des ¡eyhülislam angeschlossen und bereitete die Rechtsauskünfte dieses höchsten Mitglieds der osmanischen £lmiye vor. Gest. 1103 (1691/2) (¡EYHÎ: II.67.2).

33

seine Ausbildung zum Alim abgeschlossen und bereits eine mülâzemet erhalten, als er sich dem Halvetiye-¡eyh ¡eyhî Ömer anschloss, eine inabet80 von ihm erhielt und schließlich für jenen in einer Zaviye bei Yeni¢ehir, †atalca, eingesetzt wurde. Dort wendete er sich religiösen Studien zu, stieg schließlich wieder in die Ulemalaufbahn ein und bis zum ¡eyhülislam auf. 81 Nur in einem Fall erwähnt ¡eyhî den Grund für den Wandel vom Alim zum Derwisch: Mekkî Mehmed Emin Efendi,82 Sohn eines ¡eyh Mehmed aus Üsküp (Skopje) war bereits Müderris an einer niedrigen Medresenstufe, als er Nakka¢ Mustafa Pa¢a, für den er als Imam tätig war, beim KretaFeldzug begleitete. Der Gelehrte aus Üsküp griff selbst zur Waffe – was man von einem Alim nicht unbedingt erwarten würde –, erfuhr dann allerdings eine Sinnkrise und kehrte nach Istanbul zurück. Anstatt nun seine Müderriskarriere wieter voranzutreiben, begann er nach der inneren Wahrheit der Heiligen Schrift zu suchen, unterstellte sich einem Halvetiye-¡eyh und wurde Derwisch. Erst als sein Meister verstarb, kehrte er in seine ursprüngliche Laufbahn zurück und beendete seine Karriere als Müderris an der Medrese der Aya Sofya. Wahrscheinlich bestand häufiger eine Verbindung von Ulema zum Derwischtum als es aus den Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ hervorgeht. Das liegt nicht ausschließlich daran, dass ¡eyhî nur bedingt Kenntnis über die Religiosität aller Dargestellten hatte. Das religiöse Leben des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts war oft geprägt durch die Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Staat und den K¤z¤lba¢, volksreligiöser, insbesondere ostanatolischer Gruppen mit starken Bezügen zum schiitischen Iran, einerseits und der im 17. Jahrhundert nicht unbedeutenden 'ultra-orthodoxen' und derwischfeindlichen Kadizade-Bewegung83 andererseits. Diese Umstände führten mitunter dazu, dass sich das von Seiten des Staates wie vieler Ulema traditionell ambivalente Verhältnis gegenüber sufischen Verbindungen so schwierig gestaltete, dass einige ambitionierte Gelehrte es vorzogen, über ihre persönliche Affinität zum Sufismus oder einer bestimmten Derwischgemeinschaft zu schweigen.84 80 81

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84

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Durch die inabet, eine Art Initiation, wird der Anhänger in die Bruderschaft aufgenommen. Weitere Beispiele sind Sarih-i Mesnevi Abdullah Efendi (¡EYHÎ: I.280.1), Emini Mehmed Efendi (ibid: I.327.2), Salahî Hasan Efendi (ibid: I.365.2), Parsa Mehmed Efendi (ibid: I.467.1), Sehla Abdülbaki Efendi (ibid: I.468.1), Bâbî Mustafa Efendi (ibid: I.474.2) und U¢akî Mustafa Efendi (ibid: II.26.1). Gest. 1091 (1680) (¡EYHÎ: I.470.1). Zu den Kadizade vgl. ZILFI (1988): 39f., 129-181. Ferner existiert eine Doktorarbeit zu diesem Thema (Necati ÖZTÜRK (1981): Islamic Orthodoxy among the Ottomans in the Seventeenth Century with Special Reference to the QÁdÐ-zÁde Movement, Ph.D. diss., Edinburgh). Sie konnte allerdings von mir nicht eingesehen werden. Ein Beispiel aus den Vekayiü’l-Fudalâ ist Pa¢makç¤zade Mehmed Efendis (gest. 1056 (1646/7) (¡EYHÎ: I.226.1)) Enkel ¡eyhülislam Pa¢makç¤zade Seyyid Ali (ibid: II.336.1), dem in

Ähnliche Überschneidungen wie zwischen ¡eyh und Alim, können sich auch zwischen ¡air und Alim ergeben. Der Kelîmî genannte Dichter Kefevî Seyyid Mûsa Efendi85 absolvierte den für ein Amt in der osmanischen £lmiye vorgesehenen cursus honorum und begann eine Laufbahn als Alim. Früh verließ er die Lehre und übernahm verschiedene Provinzkadiämter in Rumeli, um schließlich Müderris und Kadi in Kefe sowie Mufti dieser osmanischen Festung auf der Krimhalbinsel zu werden. Bekannt war Kefevî Seyyid Mûsa Efendi allerdings in erster Hinsicht als Dichter und als solcher wird er uns von ¡eyhî vorgestellt: seine Biographie findet sich in der Rubrik '¡air'. Auf den umgekehrten Fall, auf dichtende Ulema, wurde bereits hingewiesen.86 Einige der von ¡eyhî in seinem Werk in der Rubrik '¡eyh' auftauchenden Männer der Religion waren also in einem anderen Lebensabschnitt oder auch zur selben Zeit Ulema,87 ebenso einige der bei ihm als ¡air verzeichneten Männer. Es stellt sich folglich die Frage, ob man sie in diese Untersuchung mit einbeziehen müsste. Ich denke nein und plädiere dafür, die £lmiye und ihre Mitglieder so zu sehen und zu definieren, wie sie ¡eyhî, selbst Teil dieser Gruppe, sah. Er konnte seine Zeitgenossen besser einschätzen als wir das heute können, seine Sichtweise der religiösen Ordnung des Reiches ist ein Spiegel der Wahrnehmung der Ulema, ¡eyh und ¡air durch die Gesellschaft der Zeit und nur daran sollte sich eine Untersuchung orientieren –

85 86 87

der Rebellion von 1703, die letztlich zur Absetzung Sultan Mustafas II. führte, eine zentrale Rolle zukam. Er verheimlichte sein Derwischtum (Hans Georg MAJER (1979): "Sozialgeschichtliche Probleme um Ulema und Derwische im Osmanischen Reich", I. Milletler Aras¤ Türkoloji Kongresi, 1973, Tebliºler, S. 218-233: 225). Andere Gelehrte nahmen nicht aktiv am gemeinschaftlichen Leben teil und beschränkten sich auf mehr oder weniger offene Sympathiebekundungen (MAJER (1979): 224). Gest. 1054 (1644/5) (¡EYHÎ: I.176.2). Einige Beispiele sind Sofyal¤ £brahim Efendi (¡EYHÎ: I.372.2), Sivasîzade Abdülvehhab Efendi (ibid: I.428.1) und Erzurumî £brahim Efendi (ibid: I.189.2). Zu den Schwierigkeiten genau zwischen einem Alim und einem Derwisch zu unterscheiden vgl. für den osmanischen Kontext Hanna SOHRWEIDE (1981): "Gelehrte Scheiche und sufische 'Ulema im osmanischen Reich". In: Hans R. Roemer und Albrecht Noth (Hg.): Studien zur Geschichte und Kultur des Vorderen Orients. Festschrift für Bertold Spuler zum Siebzigsten Geburtstag, Leiden, S. 375-386: 375f., MAJER (1978): 224f., ZILFI (1983b): 351, bzgl. des husainidischen Tunesien L. BROWN (1972): 55 und bzgl. Marokko seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Edmund BURKE (1972): "The Moroccan Ulama, 1860-1912: An Introduction". In: Nikki R. Keddie (Hg.): Scholars, Saints and Sufis. Muslim Religious Institutions in the Middle East since 1500, Berkley u.a., S. 93-125: 107. Vergleichbare Probleme ergeben sich bei der Bearbeitung anderer biographischer Sammelwerke, die sich ebenfalls nur auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen beschränken, so etwa das zu ¡eyhî fast zeitgenössische Werk elMurâdîs über die Ulema in und um Damaskus (WALLBRECHT (1970): 73f.) und das KhiÔaÔ über Ulema und andere im Ägypten des 19. Jahrhunderts (SHAKED (1971): 63). Der Biographie Münîrî Belgrâdî, gleichzeitig vaiz, Müderris, Mufti und ¡eyh in der Region um Belgrad im frühen 17. Jahrhundert, den Ataî in seinem Sammelwerk in der Rubrik der '¡eyh' aufführt, haben sich einige Studien intensiv gewidmet, so etwa CLAYER (2002).

35

auch auf die Gefahr hin, dass ¡eyhî aufgrund eines persönlichen Interesses, aus Abneigung oder Freundschaft die von ihm dargestellten Personen einer der drei Kategorien zugeordnet hat. Das bedeutet, dass ausschließlich die von ¡eyhî in der Rubrik Ulema aufgeführten Lebensbeschreibungen für diese Studie herangezogen werden.

2.2

WIE WIRD MAN ALIM? DIE AUSBILDUNG

2.2.1

Der Ort des Lernens: Die Medrese

Über Gebäude und Stifter Ort der hohen Bildung in der islamischen Welt war und ist in vielen Ländern der Welt noch heute die Medrese.88 Ihre Vorläufer reichen bis in die Zeit der Abbasiden zurück. Die Medresengründungen der Osmanen stehen in der Tradition der Rumseldschuken. Mit der Eroberung Istanbuls durch Mehmed II. (1451-1481) wurde eine intensive Bautätigkeit auch religiöser Einrichtungen in der neuen Hauptstadt ausgelöst. Das Zentrum der Bildung verlagerte sich ebenso an die Stadt am Bosporus wie jenes der Macht. Die Stätten der Gelehrsamkeit in den ehemaligen Hauptstädten Bursa und Edirne erhielten Konkurrenz und wurden bald durch bedeutende sultanische Stiftungskomplexe (külliye) in Istanbul in den Schatten gestellt. Die großen külliye bestanden nicht nur aus Moschee und Medrese(n) mit Zimmern für Studenten (hücre) als integralem Teil. Viele külliye umfassten außerdem eine Armenküche (imaret), in der Stiftungsangehörige, Studenten und Bedürftige gespeist wurden, eine Bibliothek (kütüphane), ein Krankenhaus (dar’ü¢-¢ifa), eine Unterkunft für Reisende (han), ein öffentliches Bad (hamam), eine Brunnenanstalt (sebilhane) oder eine Koranschule (mekteb). In den Gebäudekomplexen konnten sich ferner gesonderte Räume, etwa zur Koranrezitation (dar’ül-kurrâ), befinden. An eine külliye häufig angegliedert war außerdem die letzte Ruhestätte des Stifters und seiner Familie, Mausoleum und Friedhof. Die Bau- und Unterhaltskosten einer külliye wurden, ebenso wie die anderer wohltätiger Institutionen, durch Stiftungen bereitgestellt. Ein wohlhabender Gönner konnte einen Teil seines Vermögens in eine fromme Stiftung (vak¤f, Pl. evkaf) umwandeln und damit auch vor staatlichen Konfiskationen bewahren.89 Man unter88

89

36

Das Wort Medrese leitet sich vom arabischen Stamm ‫ د ر س‬für Lernen ab und bedeutet: der Ort des Lernens, Lehranstalt. Alle sich der Mektep anschließenden Orte der Ausbildung bezeichnete man mit Medrese, dabei sind die der 40 Akçe Medrese vorangehenden Einrichtungen als Stätten der mittleren Bildung, die ihr folgenden, als Stätten der hohen Bildung zu verstehen. Die in ¡eyhî verzeichneten Müderris sind demnach Hochschullehrer, sie lehrten an den der 40 Akçe Medrese folgenden Medresen, an Hochschulen. Nach islamischem Recht konnte der Staat Stiftungsvermögen nicht konfiszieren, doch hielt sich nicht jeder osmanische Sultan daran.

scheidet zwischen unterschiedlichen Formen von evkaf. Eine davon erlaubte es dem Stifter, selbst bestimmte Personen als Verwalter (mütevelli) der Einrichtung einzusetzen – meist wurden Mitglieder der eigenen Familie berufen. So konnte ein vak¤f auch den Lebensunterhalt der Stifterfamilie nach dessen Tod sichern. Die Stiftung einer külliye ist deshalb nicht ausschließlich als religiöser Akt zu verstehen. Sie konnte neben dem Ziel die Religion und Wissenschaft zu fördern und Müderris, Kadi, Mufti sowie weitere für die Verwaltung des Osmanischen Staates unverzichtbare Ulema auszubilden auch finanzielle Vorteile für die Familie des Stifters mit sich bringen. Die einzelnen Regelungen einer Stiftung wurden in einer Stiftungsurkunde, der vakfiye oder vak¤fnâme, festgeschrieben. In diesem Dokument finden sich Angaben zu den Vermögenswerten aus dem Eigentum des Stifters, die jener zum Unterhalt der Stiftung zur Verfügung stellt; das konnten ganze Dörfer mit den dort eingenommenen Steuern und sonstigen Abgaben oder etwa Mieteinnahmen verpachteter Liegenschaften sein. Aus dem Stiftungsvermögen wurden neben den Müderrisgehältern und dem Lohn der für die Unterhaltung eines solchen Komplexes notwendigen Angestellten auch die Unterbringung und Verpflegung oft zahlreicher Studenten bestritten. Diese erhielten außerdem ein kleines Taschengeld. Die Höhe aller Beträge wurde in der vakfiye festgelegt.90

Das hierarchische Medresensystem bei den Osmanen Reich ausgestattete Stiftungskomplexe konnten lange nur die Mitglieder der sultanischen Familie (zu späterer Zeit auch hohen Honoratioren) errichten. Doch lässt sich seit dem 17. Jahrhundert eine verstärkte Stiftertätigkeit bei anderen Gruppen der osmanischen Elite feststellen: Die Anzahl der in dieser Zeit entstandenen Medresen stieg drastisch an,91 ebenso die der Studenten und Müderris. Einher mit 90

91

Außerdem gab es Studenten, die nicht in der Medrese, sondern bei ihrer Familie oder in einem Zimmer außerhalb lebten. Die Anzahl der Studenten, die in den hücre der Medrese lebten, ist durch die Angaben für ihren Unterhalt in der vakfiye und durch die räumlichen Gegebenheiten relativ genau einzuschätzen. Kaum zu bestimmen ist allerdings die Anzahl der externen Studenten. Auch in der Forschung ist ihnen bisher wenig Aufmerksamkeit beigemessen worden. Dabei existiert eine umfangreiche Literatur zum osmanischen Stiftungswesen, eine grundlegende Arbeit soll an dieser Stelle genannt werden: Bahaeddin YEDIYILDIZ (1990): Institution du Vaqf au XVIIIe Siècle en Turquie. Étude socio-historique, Ankara, vgl. ferner Randi DEGUILHEM (2002): "Centralised Authority and Local Decisional Power: Management of the Endowments in Late Ottoman Damaskus". In: Jens Hanssen, Thomas Philipp und Stefan Weber (Hg.): The Empire in the City. Arab Provincial Capitals in the Late Ottoman Empire, Beirut, S. 219-234. ZILFI (1988): 205, RifaÝat ÝAli ABOU-EL-HAJ (1991): Formation of the Modern State. The Ottoman Empire, Sixteenth to Eighteenth Centuries, New York: 58. In einem Aufsatz von Ahunbay findet sich eine Liste der Medresen, die im 17. Jahrhundert in Istanbul neu errichtet wurden (Zeynep AHUNBAY (1998): "17. Yüzy¤l £stanbul’unda Eºitim Kurumlar¤", 17. Yüzy¤l Osmanl¤ Kültür ve Sanat, Sempozyum Bildirileri (Istanbul 1998), Istanbul, S. 9-19). Für eine Beschreibung

37

den vielen Neugründungen ging eine weitere Institutionalisierung des Medresewesens, das die Ausbildung einer differenzierteren Hierarchie mit sich brachte. Das sich seit dieser Zeit herausbildende System der Medresen unterschiedlicher Rangstufen blieb über Jahrhunderte, in gewisser Hinsicht bis zur Auflösung des Reiches nach dem ersten Weltkrieg, in seinen Grundfesten unverändert, wobei sowohl Neugründungen in das bestehende System integriert wurden als auch bereits existierende Medresen durch ihnen zugute kommende nachträgliche evkaf eine Umwertung innerhalb der Hierarchie erfuhren.92 Neben der Etablierung neuer Stufen lässt sich ferner eine Untergliederung bereits existierender Medresenniveaus in meist mit ibtida und hareket bezeichnete Untergruppen feststellen, so dass sich die Ranghierarchie der osmanischen Stätten hoher Bildung, also die der 40 Akçe Medrese folgenden Medresenstufen, im 17. Jahrhundert wie folgt darstellt: ibtida-i hariç

50 Akçe

hareket-i hariç ibtida-i dahil hareket-i dahil mus¤la-i sahn Sahn (-¤ Seman) ibtida-i altm¤¢l¤

60 Akçe

hareket-i altm¤¢l¤93 Mus¤la-i Süleymaniye94 Süleymaniye Dar’ül-hadis (-i Süleymaniye)95

92

93 94

38

der Medresen in Edirne im 17. Jahrhundert anhand von Evliya †elebî vgl. Klaus KREISER (1975): Edirne im 17. Jahrhundert nach EvliyÁ †elebÐ. Ein Beitrag zur Kenntnis der osmanischen Stadt, Freiburg: 67-81. Madeline C. ZILFI (1983a): "The £lmiye Registers and the Ottoman Medrese System Prior to the Tanzimat". In: Jean-Louis Bacqué-Grammont und Paul Dumont (Hg.): Contributions à l’histoire économique et sociale de l’Empire ottoman, (Turcica III), Paris, S. 309-327: 321. Diese Stufe wurde teilweise auch mit ikinci altm¤¢l¤ bezeichnet. Folgt man dem Damaszener el-Murâdî, befand sich an dieser Stelle eine mit hamise-i beziehungsweise ÌawÁmis-i Süleymaniye bezeichnete weitere Stufe (WALLBRECHT (1970): 120). Nach Majer entstand diese erst im 18. Jahrhundert (MAJER (1978): 171n). ¡eyhî berichtet allerdings in mindestens einem Fall bereits für das späte 17. Jahrhundert (1088 (1677/8)) von diesem Rang der Medresenhierarchie (Biographie von Kap¤c¤zade Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.438.1.)). Es wäre zu prüfen, ab wann der Rang hamise-i Süleymaniye eine Vorstufe der Medersen der Süleymaniye bildete.

Bis zum Bau der Süleymaniye Külliyesi durch Süleyman I. (1520-1566) in den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts bildeten die acht Medresen (Sahn-i Seman) des von Mehmed II. (1451-1481) errichteten Komplexes um die Fatih Camii die höchste Stufe dieser Hierarchie. Die Höhe des Einkommens der Müderris (angegeben in Akçe/Tag) hing vom Rang der Medrese ab, an der sie tätig waren,96 und auch die Studieninhalte variierten je nach Medresenstufe.97 Aber nicht nur an einer Medrese, sondern ebenso in öffentlichen Vorlesungen konnte man höheres Wissen erlangen.98 Diese fanden meist, wie der gesamte Unterricht in der Frühzeit des Islam, in einer Moschee statt. Die als dersiye müderris99 bezeichneten Dozenten wurden normalerweise durch ein kleineres, an eine Moschee gebundenes vak¤f finanziert.100 Sie lasen Texte, wie sie in der Medrese unterrichtet wurden. Neben Medresestudenten stand dieses Angebot allerdings auch allen

95

Der von Süleyman I. errichtete Komplex umfasste neben fünf die verschiedenen Wissensbereiche abdeckenden Medresen eine auf die Lehre der medizinischen Wissenschaften (dar’ü¢-¢ifa) und eine auf die Lehre der hadis-Wissenschaften (ilm-i hadis) konzentrierte Hochschule. Letztere bildete, von den anderen getrennt, die Spitze der £lmiyehierarchie. 96 Es ist nicht immer möglich eine Medrese eindeutig einer Hierarchiestufe zuzuordnen, zumal sich der ausgezahlte Lohn im Laufe der Zeit verändern konnte - meist stieg er durch der Stiftung zugute kommende evkaf. Eine Schwierigkeit bei der Bearbeitung der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ ist die nicht immer eindeutige Kennzeichnung von Medresen gleichen Namens. Auch die Hinzuziehung der Ranghierarchie der Medresen und ein Abgleich mit den durchlaufenen Stufen des biographierten Alim schafft nicht in allen Fällen Klarheit. Interessant ist ferner, dass einige Medresen nur auf dem Papier existierten. Sie waren 'mevcud’l-ism, ma’dûmü’l-cism' beziehungsweise in modern Türkisch: 'ismi var, cismi yok'. So etwa die Behrâm Kethüda Medrese in Eyüp (M. Kemal ÖZERG£N (1973-74): "Eski bir Rûznâme’ye göre £stanbul ve Rumeli Medreseleri", £stanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Tarih Enstitüsü Dergisi, 4-5, S. 263-290: 278). 97 Es lässt sich also auch eine Hierarchie nach unterrichteten Kursen aufstellen, die dann jeweils mit einem oder mehreren Rängen (und dem entsprechenden Lohn) korrelierten. Nach Kursen wären die wesentlichen Rangstufen: hâ¢iye-i tecrîd, miftâh, telvîh, mevâk¤f, hidâye, ke¢¢âf (ÖZERG£N (1973-74): 265). Wenn Atay mit seiner Aussage, dass die Medresen der Fatih Külliyesi und die der Süleymaniye gleichrangig seien (ATAY (1981): 180), sicherlich falsch geht, so ist doch seine – allerdings nicht belegte – Anmerkung, dass ein und dieselbe Medrese zeitgleich unterschiedlichen Rängen zugeordnet werden kann (Hüseyin ATAY (1981): "Fâtih-Süleymaniye medreseleri ders proºramlar¤ ve icâzet-nâmeler", Vak¤flar Dergisi, 13, S. 171-235: 186) nicht uninteressant. Sie wäre unter Einbeziehung möglicher verschiedenartiger Lehrstoffe zu überprüfen. 98 Außerdem gab es im Inneren des Palastes Einrichtungen hoher Bildung, doch waren sie bestimmten Personen vorbehalten. 99 ZILFI (1983a): 319f. Für in den Vekayiü’l-Fudalâ angeführte Beispiele vgl. etwa die Biographien von Ders-i Amm Salih Efendi (¡EYHÎ: I.482.1), ¡ârih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi (ibid: I.499.2). 100 Der Stifter musste so nur für den Lohn des bestellten dersiye müderris aufkommen, die Unterrichtsräume standen zur Verfügung, die Kosten hierfür waren durch die Stiftung etwa der Moschee abgedeckt und bedeuteten so keine zusätzlichen Aufwendungen für seine Seite.

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anderen Interessierten offen, so dass sich bei beliebten dersiye müderris oftmals viele Zuhörer um den Hoca geschart haben mögen.101 Das beste Angebot hoher Bildung bestand in Istanbul. Zwar gibt es auch von Familienmitgliedern eines Sultans gestiftete Medresen in anderen Städten des Osmanischen Reiches – hier seien an erster Stelle Bursa und Edirne sowie die Heiligen Städte Mekka und Medina erwähnt –, doch konzentrierten sich die meisten bedeutenden Hochschulen auf die Hauptstadt. Dies ergibt sich sowohl bei der Auswertung von Medresenaufstellungen in der Literatur, für deren Zusammenstellung neben Angaben zu Müderrisgehältern in den vakfiye der einzelnen Medresen auch offizielle Register zur £lmiye, zeitgenössische Chroniken und Reiseberichte einbezogen wurden,102 als auch aus den Vekayiü’l-Fudalâ: die überwiegende Mehrheit der in ¡eyhîs Werk erwähnten Medresen, in denen ein Müderris 50 Akçe und mehr am Tag verdiente, befanden sich in Istanbul. Zilfi untermauert diese These durch die Auswertung offizieller Register des 18. Jahrhunderts und schreibt für diese Zeit: The ilmiye registers […] reveal the otherwise exclusive dimensions of the Istanbulbased medrese system in the century or so prior to the Tanzimat reforms (183976).103

101 Wie viele Zuhörer ein solcher Hoca denn nun tatsächlich angezogen hat, ist heute kaum abzuschätzen. Unspezifizierten Angaben wie der von Atay (ATAY (1983): 169), der Zahlen von 300 Schülern bei einem Lehrer nennt, ohne Ort, Zeit oder Quelle zu erwähnen, sind Spekulation. Baltac¤ schreibt zu den Studentenzahlen in Medresen, dass nicht mehr als 15 am Unterricht eines Müderris teilnahmen (Cahit BALTACI (1977): "Medrese ve Elemanlar¤", Diyanet Dergisi, 16, 3, S. 133-141: 139). Es ist wahrscheinlich, dass dersiye müderris mehr Zuhörer hatten als ein 'normaler' Müderris an einer Medrese, dass diese Zahlen so stark variierten, ist allerdings nicht anzunehmen. 102 Vgl. etwa ÖZERG£N (1973-74). Der Autor gibt eine Aufstellung der meisten sich in den europäischen Besitzungen des Reiches und in Istanbul befindlichen Medresen. Stimmen die Angaben über den Lohn der Müderris an den jeweiligen Medresen in vielen Fällen auch nicht mit den aus anderer Literatur gewonnenen Informationen überein (sie liegen im Durchschnitt sehr niedrig und widersprechen auch den Hierarchiestufen, die sich aus den Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ ergeben), zeigen sie doch die Konzentration der hochrangigen Ausbildungsstätten in Edirne und vor allem Istanbul (vgl. insbesondere ibid: 265-269). Ein Beispiel für eine zu niedrige Angabe ist die Papasoºlu Medrese in Istanbul. Özergin bezeichnet sie als 20 Akçe Medrese (ibid: 276), Gül schreibt, dass in der vakfiye zwar 20 Akçe als Lohn festgeschrieben seien, der ausbezahlte Lohn mit dem Ende des 16. Jahrhunderts aber bis auf 50 Akçe gestiegen sei (Ahmet GÜL (1997): Osmanl¤ Medreselerinde Eºitim-Öºretim ve Bunlar Aras¤nda Dâru'l-Hadîslerin Yeri, Ankara: 118f.). Betrachtet man die Biographien (etwa von Beyzade Mahmud Efendi (¡EYHÎ: I.9.1)), so wird deutlich, dass die Angabe in dem von Özergin untersuchten Ruznâme nicht korrekt sein kann (etwa wegen im Ruznâme nicht verzeichneter Zusatzstiftungen?) und nach oben korrigiert werden muss. 103 Zilfi (1983a): 312. Zur Verschärfung der Konzentration der osmanischen Intelligentsia allein auf Istanbul kam es in der Zeit Ahmeds III. (1703-1730), als die bis dahin stets eine beson-

40

Dass es zwar bereits im 17. Jahrhundert ein stark auf Istanbul ausgerichtetes Bildungswesen gab, dieses allerdings keineswegs die Möglichkeit alternativer Wege in die höchsten Kreise der £lmiye ausschloss, wird in der späteren Analyse der Curricula nicht aus der Hauptstadt stammender Gelehrter deutlich. 2.2.2

Die Lehre

Der Lehrer Bevor sich mit der Herausbildung einer Medresehierarchie im Osmanischen Reich ein mehr oder minder fixes Curriculum der Ausbildung manifestierte, konnte jeder Student frei wählen, bei welchem Lehrer er welche Texte lesen wollte. Diese Freiheit wurde durch das festgelegte System stark eingeschränkt. Trotzdem blieb neben der Medrese auch weiterhin relevant, bei wem man studiert hat.104 Das amüsante Beispiel eines in vielen Bereichen der Wissenschaft, so auch der Medizin, gelehrten Hoca aus Bilâd e¢-¡âm hat el-Murâdî niedergeschrieben: [Mehmed el-Abdalî war] [...] geizig mit seinem großen Wissen und wollte es nicht an einen Unwürdigen weitergeben, weil er es unter so vielen Mühen erworben hatte; er mied deshalb diejenigen, die von ihm Wissen erlangen wollten.105 Es war der Müderris, der entschied, wen er in seinen Schülerkreis aufnahm und aller Wahrscheinlichkeit nach war es ebenso er, der darüber befand, wem er einen der in ihrer Zahl begrenzten und durch die Stiftung getragenen Plätze mit freier Unterbringung und Versorgung in der Medrese zuwies. Die Gunst des Lehrers konnte demnach gerade für diejenigen entscheidend sein, die keine Verwandten oder Bekannten, bei denen sie hätten unterkommen können, in der Stadt hatten, in der sie studierten, und deren finanzielle Lage es ihnen nicht erlaubte, sich ein Zimmer zu mieten. Wir wissen von zahlreichen Fällen, in denen ein Müderris den ein oder anderen seiner Studenten bei sich zu Hause aufnahm, so etwa vom berühmten arabischen Gelehrten Abdülganî el-Nâbulusî, von dem berichtet wird, dass sein Schüler Ahmed el-Makdisî Tag und Nacht bei ihm weilte.106 Hier deutet sich bereits an, dass das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler oft sehr eng war. Diese, in der islamischen Tradition stehende, enge Bindung findet sich auch im Osmanischen Reich mit seiner stark institutionalisierten und damit von

dere Stellung einnehmenden ehemaligen Hauptstädte Bursa und Edirne zurückgedrängt wurden (ZILFI (1988): 61). 104 FLEISCHER (1986): 29. 105 WALLBRECHT (1970): 88. Der Hoca starb 1166 (1752). 106 WALLBRECHT (1970): 87. Der Lehrer starb 1143 (1731), sein Schüler 1180 (1766).

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den anderen zeitgenössischen islamischen Reichen und Gesellschaften abweichenden Ausgestaltung des Systems hoher Bildung. Als eine spezifische Form von Bindungen zu analysieren, soll hier nur soviel vorweggenommen werden: Das LehrerSchüler-Verhältnis als eine der zentralen Bindungen innerhalb der religiösen Ordnung konnte mit über Aufstieg, Etablierung und Fall in den Zirkeln der osmanischen Gelehrsamkeit entscheiden.

Der Unterricht Vorlesungen konnten in einem Raum der Medrese, der oftmals von mehreren Klassen gleichzeitig genutzt wurde, aber auch in einer Ecke der Moschee, bei einem Müderris zu Hause oder an einem öffentlichen Platz abgehalten werden.107 Die Art sich zu versammeln war dabei immer gleich: Den Lehrer in ihrer Mitte, gruppierten sich seine Schüler in einem Halbkreis (halka) um ihn herum. Der Müderris war zwar an keine spezifische Lehrmethode gebunden, doch war das Vorlesen der zu lernenden Schriften durch den Hoca und das anschließende Memorieren und Auswendiglernen des Textes durch die Studenten, wie schon seit der islamischen Frühzeit Tradition, vorherrschend. Der Lernstoff wurde langsam vorgetragen, schwierige Textstellen wurden vom Müderris übersetzt und erläutert, die Studenten machten sich Notizen. Diese Mitschriften konnten sehr detailliert sein. ¡eyhî berichtet von einem außergewöhnlichen Studenten namens Sar¤ Osman Efendi.108 In Amasya als Sohn des lokalen Mufti geboren, kam er zum Studium nach Istanbul und weilte zu diesem Zweck für gewisse Zeit im Saray-¤ Sultânî in Galata. Anschließend begab er sich auf eine Reise in den Osten, nach Kurdistan, wie ¡eyhî schreibt, um bei den bekannten Gelehrten dieser Region, den ulema-i ¢ark,109 weiteres Wissen zu erwerben. Erst nach langem Studienaufenthalt kehrte Sar¤ Osman Efendi nach Istanbul zurück, wo er Tutor von Köprülüzade Fazil Ahmed Pa¢a, einem Sprößling der berühmten Wesirsfamilie des 17. Jahrhunderts und später ebenfalls Großwesir, wurde. Daran schloss sich eine Karriere als Müderris (sein letzter Posten war im Dar’ül-Hadis der Süleymaniye, das höchste, was man als Müderris erreichen konnte) und nachfolgend als Richter an. Er stieg bis zum Kadi von Edirne auf. Neben einer Bibliothek, die er der Sultan Selim Moschee vermachte, den finanziellen Mitteln für den Bau einer Mekteb und weiteren materiellen Hinterlassenschaften für wohltätige Einrichtungen hinterließ Sar¤ Osman Efendi die in seiner Studienzeit angefertigten Unterrichtsmitschriften. ¡eyhî schreibt, dass diese 107 WALLBRECHT (1970): 92f. 108 Gest. 1089 (1678/9) (¡EYHÎ: I.453.2). 109 ¡eyhî nennt Namen wie Molla Gürani, den Mufti von Mardin Ali, Ahmed Hayderani, Mamud Mavsili, Kara Kas¤m und Molla Nurallah als Sar¤ Osman Efendis Lehrer.

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an sich schon wertvolle Bücher darstellten. Mögen die Aufzeichnungen der meisten Studenten auch weniger detailliert und brillant gewesen sein – ein zweites Mal werden solche Notizen in den Vekayiü’l-Fudalâ nicht lobend erwähnt –, so bildeten sie doch einen wichtigen Teil des Lernens. Anhand der in der Vorlesung des Müderris mitgeschriebenen schwierigen Wörter, Sätze und Zusammenhänge konnten sich die Schüler nach dem Unterricht über das Gehörte austauschen. Um diese Wiederholung und Vertiefung des Unterrichts sowie gegebenenfalls die Klärung von Fraugen und Unklarheiten im Anschluss zu betreuen und zu unterstützen, gab es, zumindest an den größeren Medresen, den muid. Dieser Assistent des Müderris war in den meisten Fällen selbst noch Lernender, Student im letzten Studienabschnitt und bekam aus dem Stiftungsvermögen ein Entgelt für seine Dienste zugewiesen. Seine wesentliche Aufgabe bestand in der Wiederholung der Lesung des Müderris und der Erklärung unklarer Stellen.110 Im Regelfall fanden die Vorlesungen morgens statt, der Nachmittag war der Vertiefung des Unterrichtsstoffes vorbehalten. Während im 15. Jahrhundert wahrscheinlich zwei Tage die Woche unterrichtsfrei waren, deutet der Bericht eines Hoca des späten 16. Jahrhunderts drei freie Tage als üblich an.111 An religiösen Feiertagen fand kein Unterricht statt und wichtige Festzeiten, etwa Ramadan, kurban und ¢eker bayram¤, konnten auch die Studenten von außerhalb bei ihren Familien verbringen – es gab Ferien. 2.2.3

Die Lehrinhalte

Die Vernunftswissenschaften: ulûm-i aklî Der Fokus der Lehre lag auf den religiösen Wissenschaften. Koran und hadis, die Lebensbeschreibungen des Propheten, bildeten den Kern der Ausbildung, so dass die Beherrschung der arabischen Sprache eine Grundvorrausetzung darstellte. Dementsprechend musste ein Schüler, nachdem er Lesen und Schreiben des Arabischen bereits in der der Medresenausbildung vorangehenden Koranschule, der Mekteb, gelernt hatte, Arabisch studieren.112 Erworben wurden die nötigen Sprachkenntnisse in vier voneinander zu unterscheidenden Bereichen: der Morphologie (sarf), der Syntax und Grammatik (nahv), der Rhetorik (belâgat), das sind die verschiedenen Stile der Sprache und Literatur, und der lurat, die sich mit der Etymologie, dem 110 Die arabische Wortwurzel ‫( ع و د‬zurückkehren, wiederholen) weist bereits auf diese wichtigste Aufgabe eines muid hin. 111 Fahri UNAN (2000): "Medrese education in the Ottoman Empire". In: Kemal †içek (Hg.): The great Ottoman-Turkish civilisation, Bd. 2: Economy and society, Ankara, S. 631-642: 639. 112 Während Türkisch nie Einzug in die Medrese hielt, wurde Persisch erstmals in den Lehrplan der von Nev¢ehirli £brahim Pa¢a 1720/1 gestifteten Medrese aufgenommen (GIBB/BOWEN (1950-57): Bd. 2: 153).

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Wortsinn und den Wortwurzeln beschäftigt.113 Diese sprachlichen Kenntnisse bildeten zusammen mit dem Wissen in Bereichen wie Logik (mant¤k), Philosophie (felsefe), Arithmetik (hesap), Geometrie (hendese), Algebra (cebir) und Astronomie (heyet)114 die so genannten Vernunftswissenschaften, die ulûm-i aklî.115

Die Überlieferungswissenschaften: ulûm-i naklî Die zweite Gruppe von Wissenschaften wurden mit ulûm-i naklî bezeichnet: Die Überlieferungswissenschaften. Zu ihnen zählten die Theologie (kelâm), die Koranexegese (tefsir) mit ihren unterschiedlichen Instrumenten der Auslegung, die Traditionen des Propheten (hadis), ebenfalls mit einzelnen Unterbereichen, und das f¤kh, die islamische Rechtswissenschaft. Den Prinzipien des f¤kh, den usul-i f¤kh, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Zu den ulûm-i naklî gehören ferner die Kunst der Koranrezitation (tecvid) und dessen multiple Lesarten (k¤raat), die Dichtung (¢iir) und die schöngeistige Literatur (adab).

Was osmanische Gelehrte sonst noch wussten Neben den genannten Fachbereichen bildete auch Geschichte ein Unterrichtsfach und als Teil dessen ebenfalls die Viten der Sultane oder anderer bedeutender Persönlichkeiten, wie sie vor allem in biographischen Sammelwerken festgehalten wurden. Analysiert man die von ¡eyhî aufgeführten Lebensbeschreibungen, so finden sich Hinweise auf weitere Bereiche der Bildung eines osmanischen Alim des 17. Jahrhunderts. Ein bedeutender Teil der in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Ule113 Für umfangreiche Aufstellungen der für die verschiedenen Medresenstufen vorgesehenen Bücher in allen Wissensbereichen vgl. etwa ATAY (1981): 95f., 183-185, 187, UZUN†AR¡ILI (1988): 19-31, BALTACI (1976): 35-43 und Ramazan ¡E¡EN (1986): "Osmanl¤lar Döneminde Arap Dili ve Edebiyat¤ Öºretimi", Studies on Turkish-Arab Relations, 1, S. 267-278: 272f. Eine exemplarische Auflistung der wichtigsten Werke im Bereich der arabischen Sprachlehre stellt sich wie folgt dar: Bücher zu sarf: el-Maksûd, el-Tasrîf el-Izzî, Merâh el-Ervâh, el-¡âfiye fi’lTasrîf, Esâs el-Tasrîf, el-Hârûniyye fi’l-Tasrîf, zu nahv: el-ÝAvâmil el-MiÞe, el-Misbâh fi’lNahv, el-Kâfiye fi’l-Nahv, el-Elfiyye fi’l-Nahv, el-Lübâb fi Ý£lm el-£Ýrâ, zu belâgat: Miftâh elÝUlûm, zu lurat: el-SihâhÝ, Muhtâr el-Sihâh, el-Kâmus el-Muhît, el-Risâlet el-VazÝiyye, Kommentare zu Isagûcî und el-¡emsiye (¡E¡EN (1986): 269ff.). Diese Angaben beziehen sich auf die Zeit bis zur Gründung der Süleymaniye zu Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Da der in einer osmanischen Medrese zu studierende Schriftenkanon aber unter Sultan Mehmed II. (1451-1481) spezifiziert wurde und im Laufe der Jahrhunderte im Wesentlichen gleich blieb (UNAN (2000): 638), kann man davon ausgehen, dass auch die in den Vekayiü’lFudalâ beschriebenen Gelehrten des 17. Jahrhunderts ihren ersten Ausbildungsabschnitt in den religiösen Wissenschaften mit dem Studium jener Werke zum Arabischen bestritten. 114 Dieser Zweig war insbesondere für die Berechnung des Mondkalenders und der Gebetszeiten von Bedeutung. 115 Zu den ulûm-i aklî vgl. etwa Ya¢ar SARIKAYA (2001): "Osmanl¤ Medreselerinde Aklî £limlerin £hmali Meselesi üzerine Baz¤ Mülâhazalar". In: Hidayet Yavuz Nuhoºlu (Hg.): Osmanl¤ Dünyas¤nda Bilim ve Eºitim. Milletleraras¤ Konresi Tebliºleri (£stanbul 12-15 Nisan 1999), S. 145-158.

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ma hat Gedichte verfasst, einige waren Ärzte, haben also in einem weiteren Bereich der ulûm-i naklî, der Medizin (t¤bb), Wissen erworben, vereinzelt stößt man ferner auf Gelehrte mit besonderen Fähigkeiten in anderen Fächern. Ein berühmtes Beispiel: Ebubekir b. Behram el-Dima¢kî Efendi116 – wie die nisbe andeutet in Damaskus geboren – übersetzte auf sultanischen Befehl ein Buch, das sich 'geographischer Atlas' nannte, aus dem Lateinischen ins Türkische. Dieses lateinische Werk bescherte ihm seine lakab, man nannte ihn den Geographen: Coºrafyac¤ Ebubekir Efendi. Beherrschte ein Alim die Kunst der Dichtung, Kalligraphie oder auch Musik, wurde das von ¡eyhî ebenfalls lobend erwähnt. Mathematische Kenntnisse finden sich ebenso wie Wissen über die Gestirne.117 2.2.4

Der Weg eines Lernenden: Schritt um Schritt zum Wissen

Von ¡eyhî erfahren wir nicht, welche Vorbildung ein Schüler mitbringen musste, um an einer Hochschule aufgenommen zu werden und wo er diese erwarb. Der Autor gibt keine Informationen über frühere Phasen der Ausbildung.118 Der Herkunftsangabe schließen sich undifferenzierte Wendungen an, aus denen hervorgeht, dass der beschriebene Alim sich dem Studium der religiösen Wissenschaften widmete. Nur in seltenen Fällen werden die Lehrer angegeben, bei denen er studiert hat, praktisch nie der Name der Medrese. Die sich anschließende Angabe bezieht sich bereits auf mülâzemet, den Abschluss des Studiums und den Übergang in die Müderrislaufbahn. Über die Phase dazwischen, die lange Zeit der Ausbildung, schweigt ¡eyhî. Man darf voraussetzen, dass den Lesern die einzelnen Schritte der Ausbildung eines Alim bekannt waren. ¡eyhî hält diese Stufen des Lernens offensichtlich nicht für erwähnenswert und bricht sein Schweigen deshalb nur dann,

116 Gest. 1102 (1690/1) (¡EYHÎ: II.33.1). Zu diesem bekannten Gelehrten vgl. Heidrun WURM (1971): Der osmanische Historiker Íüseyn b. ¹aÝfer, genannt HezÁrfenn, und die Istanbuler Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Freiburg i.Br.: etwa 39-47, 70, 165. 117 Die meisten Sultane befragten vor wichtigen Entscheidungen, etwa einem geplanten Feldzug, den Hofastrologen nach dem Stand der Gestirne. 118 Dieses Problem beschränkt sich nicht auf die Vekayiü’l-Fudalâ sondern stellt sich gleichermaßen bei biographischen Sammelwerken aus anderen Regionen und Zeiten, etwa dem Werk el-Murâdîs (Syrien 17. und 18. Jahrhundert) (vgl. dazu WALLBRECHT (1970): 107) und das des el-Cabartî (Ägypten 19. Jahrhundert). Es ist also unmöglich zu rekonstruieren, wann der in der Biographie besprochene Alim geboren wurde, wann er mit seiner Ausbildung begann, welche Stufen er wo absolvierte und wie alt er war, als er seine erste in der Lebensbeschreibung verzeichnete Stelle annahm (vgl. dazu auch KUNT (1983): XX). Wir wissen also nicht, wie lang die Ausbildung zum Gelehrten im Regelfall dauerte. Angaben in der Literatur (etwa in UNAN (2000): 640) beruhen auf Schätzungen, die meist auf Einzelbiographien basieren – den vereinzelten Lebensbeschreibungen, aus denen das Geburtsdatum oder das ungefähre Lebensalter hervorgeht.

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wenn ein Student bei besonderen Lehrern Unterricht erhalten hatte oder sich seine frühe Studienphase in anderer Hinsicht außergewöhnlich gestaltete. Was aus der Literatur über die Zeit der Ausbildung zu entnehmen ist, soll kurz skizziert werden: Der lange Weg zum Alim begann mit der Erziehung, die sicherlich keineswegs nur in Ulemafamilien auf die Vermittlung der Grundlagen der religiösen Glaubenssätze, Verhaltensregeln und Wertevorstellungen abzielte. Stammten die Kinder119 aus einer gebildeten Familie, übernahm meist der Vater, manchmal auch der große Bruder oder ein Onkel die Aufgabe, ihnen Lesen und Schreiben sowie die Grundbegriffe des Islam zu vermitteln. Das Lesen des Koran war dabei zentral. Erfolgte die erste Ausbildung nicht zu Hause, ging der Junge in die Mekteb, im Regelfall im Alter zwischen fünf und sieben Jahren.120 Fand sich eine solche in der näheren Umgebung nicht, gab meist der örtliche Imam den entsprechenden Unterricht. Von einigen wohlhabenden Familien wissen wir, dass sie für die Ausbildung ihrer Söhne einen Privatlehrer engagierten,121 so genoss Hac¤ Yusufzade Zamîrî Ahmed Efendi122 Einzelunterricht von gleich drei Gelehrten – sein Vater Yusuf war Mekkapilger und ein wohlhabender Istanbuler Kaufmann. Nach Beendigung der Mekteb wechselte man auf die Medrese.123 Für Schüler aus abgelegeneren Gegenden bedeutete dieser Schritt oft gleichzeitig eine Umsiedlung

119 Dass in Gelehrtenkreisen nicht nur Söhne, sondern in vielen Fällen auch Töchter Lesen und Schreiben konnten, ihnen in Einzelfällen auch der Weg zu höherer Bildung offenstand, ist Thema des 2002 erschienenen Artikels "Ulema Efendilerin K¤zlar¤: Die Töchter der Herren Gelehrten" von £lber ORTAYLI in: Sabine Prätor und Christoph K. Neumann (Hg.): Frauen, Bilder und Gelehrte. Studien zu Gesellschaft und Künsten im Osmanischen Reich. Festschrift Hans Georg Majer, 2 Bde., Istanbul, Bd. 1, S. 281-286. Aus anderen Regionen und Epochen sind auch gelehrte Frauen bekannt, die ihren eigenen Schülerkreis hatten und sogar in biographischen Sammelwerken auftauchen, vgl. dazu etwa I. SCHNEIDER (1998): "Gelehrte Frauen des 5./11. bis 7./13. Jhs. nach dem biographischen Werk des ÅahabÐ (st. 748/ 1347)". In: U. Vermeulen und D. de Smet (Hg.): Philosophy and Arts in the Islamic World. Proceedings of the Eighteenth Congress of the Union Européenne des Arabisants et Islamisants (Katholieke Universiteit Leuven 1996), Leuven, S. 107-121. El-Murâdî führt in seinem biographischen Sammelwerk über Gelehrte, ¡eyh und ¡air des 17. und 18. Jahrhunderts in Damaskus ebenfalls eine Frau auf, eine Dichterin. Wallbrecht vermutet, dass der Autor ihr auch wegen ihrer bekannten Familie eine Biographie widmete (WALLBRECHT (1970): 154). 120 WALLBRECHT (1970): 69. Der bekannte Historiker Mustafa Ali (1541-1600) kam im Alter von sechs Jahren in die Mekteb, die er mit 12 verließ (FLEISCHER (1986): 21). 121 Für das osmanische Syrien vgl. WALLBRECHT (1970): 68. 122 Gest. 1057 (1647/8) (¡EYHÎ: I.141.2). 123 Auch die unterhalb der 40 Akçe Medrese befindlichen Medresen, die Einrichtungen mittlerer Bildung, wurden nach dem Lohn der dort tätigen Müderris unterschieden. Wie sie in ihren Rängen und Lehrplänen voneinander abwichen, ist weder der Quelle noch der Literatur zu entnehmen. Es ist allerdings anzunehmen, dass mehrere Niveaus in ein und derselben Medrese unterrichtet wurden – gerade in kleineren und mittelgroßen Städten, aber nicht nur dort. Womöglich erst in den Hochschulen, den der 40 Akçe Medrese folgenden Medresen,

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in die nächste größere Stadt, in der er eine Medrese des niedrigsten Ranges besuchte. Hatte der Lernende die für jene Hierarchiestufe der Ausbildung vorgesehenen Bücher studiert,124 erhielt er von seinem Müderris eine icazet, eine Bestätigung über die erworbenen Kenntnisse. Sie erlaubte das Aufrücken in die nächste Stufe der Medresenhierarchie.125 So durchlief ein Student die verschiedenen Ebenen des Ausbildungssystems Schritt für Schritt, wobei ihn sein Weg im Regelfall in immer größere Städte und meistens auch nach Istanbul führte, denn dort konzentrierten sich die Medresen, die das höchste Niveau repräsentierten. Der Wunsch nach einer Karriere in der osmanischen £lmiye brachte also vielfach auch örtliche Veränderungen für den Lernenden mit sich. Die regionale Mobilität eines nicht aus der Hauptstadt stammenden Alim vollzog sich zur Zeit seiner Ausbildung. Die in diesem Zusammenhang interessante Analyse der persönlichen Kontakte und Netzwerke, die bei der Verlagerung des Studien- und Lebensmittelpunktes von Bedeutung waren, erfolgt an anderer Stelle. 2.2.5

Vom Lernenden zum Lehrenden

Studenten (talebe),126 die ihre Ausbildung bis zum Erreichen einer der hohen Medresenstufen127 fortgesetzt hatten, bezeichnete man als dani¢mend. Ihre Ausbildung beschränkte sich nicht mehr auf den reinen Erwerb von Wissen, auch das Aneignen praktischer Fähigkeiten war vorgesehen. Den Abschluss der Zeit als dani¢mend markierte der Erhalt einer mülâzemet.

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waren verschiedene Lernstoffe relativ genau an Einrichtungen unterschiedlicher Hierarchiestufen gebunden. In einigen Fällen lässt sich allerdings nachweisen, dass unterschiedliche Bücher in Medresen der gleichen Hierarchiestufe gelesen wurden. Atay schließt das aus der Lebensbeschreibung von Ta¢köprüzade (1495-1561) und nennt eine Istanbuler Medrese und eine weitere in Üsküp als Beispiel (ATAY (1981): 186). UZUN†AR¡ILI (1988): 75-77, GIBB/BOWEN (1950-57): Bd. 2: 146, Halil £NALCIK (1988): "The RÙznÁm¦e Registers of the Kad¤asker of Rumeli as Preserved in the £stanbul Müftülük Archives", Turcica, 20, S. 251-275: 256. Eine icazet gab neben den studierten Werken und dem Namen des Lehrers (oft mit einer ausführlichen silsile, die seine Wissensquellen verbürgt) auch weitere Informationen. Ferner lässt sich zwischen verschiedenen Arten von icazet unterscheiden. Zu Art, genauem Aufbau, Inhalt etc. vgl. ATAY (1981): 188-191 oder Hüseyin ATAY (1983): Osmanl¤larda Yüksek Din Eºitimi. Medrese programlar¤ – £cazetnâmeler, Islahat hareketleri, Istanbul: 102-105. Die Bezeichnungen softa und müste’îd werden synonym verwendet (BALTACI (1977): 138f.). Aus der Literatur geht nicht deutlich hervor welche Medresenstufen als 'hoch' galten. Es ist jedoch anzunehmen, dass es sich um 60 Akçe Medresen handelte, also alle der Sahn-i Seman folgenden Stufen der Hochschulhierarchie.

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In der Literatur kommt der Begriff mülâzemet zwar immer wieder vor, diskutiert wird er allerdings nur sehr selten.128 Da der mit diesem Wort zusammenhängende Lebensabschnitt eines osmanischen Alim für den Vergleich von Söhnen hauptstädtischer Ulema, die in der £lmiye aufstiegen, mit Gelehrten ohne solchen Hintergrund von zentraler Bedeutung ist, kann auf den Versuch einer Klärung dieses Begriffs nicht verzichtet werden. Analysieren wir also diejenigen Aspekte von mülâzemet, die den Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ zu entnehmen sind, und vergleichen sie mit den Hinweisen in der Literatur. ¡eyhî schreibt zu mülâzemet nur je einen Satz, der sich allerdings in einer mehr oder minder abgewandelten Form und mit wenigen Ausnahmen in allen Lebensbeschreibungen findet. Die wichtigsten Wendungen sind: [Er wurde] durch ¡eyhülislam Ebusaid Efendi zum mülâzim. Er erhielt von Kara †elebizade Mahmud Efendi eine mülâzemet. Er erhielt von einem der ulema-i kiram eine mülâzemet. [Er erhielt] von einem der ulema-i as¤r eine mülâzemet. Er erhielt von einem der Ulema eine mülâzemet.

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Wer vergibt mülâzemet? Allen diesen Beschreibungen ist gleich, dass ein bestimmter Alim, sei er nun namentlich erwähnt oder nur sein Rang durch abweichende Bezeichnungen angedeutet, als mülâzemet-Geber gekennzeichnet wird. Es scheint, als hätte ¡eyhî die 128 Die wenigen Arbeiten zu der Thematik sind eine Untersuchung von Mehmet £P¡£RL£, die 1981/2 u.d.T. "Osmanl¤ £lmiye te¢kilât¤nda mülazemet sisteminin önemi ve Rumeli Kad¤askeri Mehmed Efendi zaman¤na ait mülazemet kay¤tlar¤" in Güney-Doºu Avrupa Ara¢t¤rmalar¤ Dergisi, 10-11, S. 221-231 erschienen ist, ein weiterer Aufsatz desselben Autors u.d.T. "Klasik Dönem Osmanlı Devlet Teşkilâtı. İlmiye Teşkilâtı". In: Ekmeleddin İHSANOĞLU (Hg.): Osmanlı Devleti Tarihi, 2 Bde., Istanbul 1999, Bd.1, S. 247-279: 257ff. und £NALCIK (1988). Einige aufschlußreiche Anmerkungen finden sich ferner bei Repp (REPP (1986): 37f., 51-55.) und in den verschiedenen Arbeiten Zilfis (ZILFI (1983a), ZILFI (1983b): 336-347, ZILFI (1988): 56-65, ZILFI (1977): 167ff.). 129 Biographie von Edirneli †elebi Efendi (¡EYHÎ: I.420.1). 130 Biographie von Edirneli Ebubekir Efendi (¡EYHÎ: II.171.1). 131 Biographie von Ebezade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.483.1) 132 Biographie von Hamîdî Abdurrahman Efendi (¡EYHÎ: I.310.1). 133 Biographie von Hac¤ Velizade Seyyid Mehmed Efendi (¡EYHÎ: II.25.3).

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Nennung von Namen und die Bezeichnungen als 'ulema-i kiram', 'ulema-i as¤r' oder 'Ulema' bewusst gewählt, um auf die Stellung des mülâzemet gewährenden Gelehrten hinzuweisen. Fügt ¡eyhî dem Namen des mülâzemet-Ausstellern eine Angabe über seinen Posten bei, so beschreibt dieser fast immer Kazasker oder ¡eyhülislam – die höchsten religiösen Würdenträger des Reiches. Führt ¡eyhî den mülâzemet vergebenden Gelehrten namentlich auf, so war dieser meist Richter in einem der großen und bedeutenden Gerichtssprengel oder hochrangiger Müderris. Söhne wichtiger Amtsträger erhielten ihre mülâzemet fast immer von namentlich aufgeführten, angehende Ulema unbedeutender Herkunft hingegen oft von anonymen Gelehrten. Jene scheinen in der Hierarchie etwas niedriger gestanden zu haben, wobei die Tatsache, dass ¡eyhî in mehreren Fällen das Wort 'baz¤' ('einige') verwendet, auf eine weitere Unterteilung innerhalb dieser Gruppe hindeuten könnte. 'Baz¤' findet sich öfters vor 'Ulema' oder 'ulema-i as¤r', der Alim hat folglich 'von einigen Ulema (seiner Zeit)' eine mülâzemet erhalten, jedoch niemals im Zusammenhang mit 'ulema-i kiram', einer Wendung, die weit häufiger vorkommt. Es ist anzunehmen, dass alle drei Begriffe Müderris beschreiben, die an Medresen tätig waren, an denen der Vergütung 60 Akçe/Tag betrug, doch hielten 'ulema-i kiram' wahrscheinlich einen höheren Rang. Dass nur genau spezifizierte hochrangige Kadi und Müderris mülâzemet vergeben durften, geht auch aus einem Erlass aus der Zeit Süleymans I. (1520-1566) hervor. Der Sultan hatte den berühmten ¡eyhülislam Ebusuud Efendi mit der Vereinheitlichung und Eingrenzung der unübersichtlichen mülâzemet-Vergabe beauftragt. In dem daraufhin erlassenen Edikt ist genau festgeschrieben wer, das heißt die Inhaber welcher bedeutender Posten in der İlmiye, wie viele mülâzemet ausgeben durften.134 Diese Regelungen wurden durch Fermane nachfolgender Sultane immer wieder modifiziert, jedoch ohne das System grundlegend zu verändern.135 Auch weiterhin waren neben dem Şeyhülislam, den beiden Kazasker, dem Nakibüleşraf, dem Sultanslehrer und in besonderen Fällen einigen weiteren bedeutenden Ulema nur Kadi wichtiger Gerichtssprengel und Müderris hohen Ranges zur Ausstellung einer festgesetzten Anzahl von mülâzemet berechtigt. Dabei mussten Provinzgelehrte keineswegs in einer der höchsten Medresen studieren und Zertifikate erhalten – das Lehrpersonal der zahlreichen im ganzen Reich

134 Cahid BALTACI (1976): XV–XVI. As¤rlarda Osmanl¤ Medreseleri. Te¢kilât, Tarih, Istanbul: 35, Richard REPP (1972): "Some Observations on the Development of the Ottoman Learned Hierarchy". In: Nikki R. Keddie (Hg.): Scholars, Saints and Sufis. Muslim Religious Institutions in the Middle East since 1500, Berkeley u.a., S. 17-32: 25, REPP (1986): 52f., £P¡£RL£ (1981/2): 222f., £NALCIK (1988): 260. 135 £P¡£RL£ (1999): 257.

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verstreuten Medresen bildeten lokale Gelehrte.136 Diejenigen aber, die in die Spitzenpositionen der osmanischen £lmiye aufsteigen wollten, kamen um einen Studienaufenthalt in den höchsten Medresen des Reiches und eine mülâzemet nicht herum. Das bedeutete in den meisten Fällen den Weg nach Istanbul: dort befanden sich die höchsten Medresen und die Ulema, die mülâzemet vergeben konnten – allerdings an ihre dani¢mend. Wollte ein nicht hauptstädtischer Student der religiösen Wissenschaften also Karriere machen, konnte er nicht einfach am Ende eines Studiums in der Provinz – selbst wenn er dort eine ausreichend hohe Ausbildungsstufe hätte erreichen können – nach Istanbul kommen und erwarten, dass ihm für sein Wissen eine mülâzemet ausgestellt und damit der Einstieg in die £lmiyelaufbahn ermöglicht würde. Er musste vorher den Weg in die Hauptstadt wagen, dort studieren, dani¢mend werden und etwa als muid oder tezkireci eines hohen Gelehrten tätig sein. Dieses ergiebt sich sowohl aus der quantitativen Analyse der Lebensbeschreibungen in den Vekayiü’l-Fudalâ als auch aus einzelnen Beispielbiographien. Nicht nur die Söhne Istanbuler Ulemafamilien, sondern die große Mehrheit der aus der Provinz stammenden Studenten haben ihre mülâzemet in Istanbul erhalten. Sie kamen wohl spätestens für den letzten Studienabschnitt in die Hauptstadt,137 um sich für eine Anwärterschaft zu qualifizieren. Daneben finden sich einige Beispiele von in Bursa und Edirne geborenen Söhnen meist lokaler Gelehrtenfamilien, die dort ihre gesamte Ausbildung absolvierten und auch von dortigen Müderris (etwa der Muradiye oder Selimiye Medrese) eine mülâzemet erhielten. Aus Ankara, Tire und ¡am138 sind drei Ausnahmefälle be136 Gleiches gilt für die Kadi kleinerer Gerichtssprengel. Diese beiden Gruppen niedriger £lmiyeangehöriger im Lehr- und juristischem Bereich bildeten eine in sich mehr oder minder geschlossene subhierarchische Einheit (ZILFI (1983b): 319). 137 ¡eyhî erwähnt nur bei rund einem Drittel der nicht aus Istanbul stammenden Gelehrten, dass sie in die Hauptstadt umgesiedelt sind. Dass aber auch diejenigen, bei denen eine solche Angabe fehlt, von hauptstädtischen Ulema ihre mülâzemet erhalten haben, macht deutlich, dass auch sie noch während ihres Studiums nach Istanbul kamen. Schreibt ¡eyhî von einer Umsiedlung, so bezieht sich diese Angabe immer auf die Studienzeit, ohne zu spezifizieren, an welcher Stufe der Ausbildung dieser Schritt stattgefunden haben mag. Sicher ist, dass das Studium in Istanbul weitergeführt wurde. Das ergibt sich nicht nur aus den Grundvoraussetzungen für den Erhalt einer mülâzemet sondern auch aus ¡eyhî selbst: in dem Halbsatz, der der Erwähnung einer Umsiedung nach Istanbul folgt, schreibt der Autor stets, dass sich der Student dem Erwerb von Wissen widmete. Es ist anzunehmen, dass der Zeitpunkt der Umsiedlung je nach Herkunftsregion und den dort zur Verfügung stehenden Bildungsangeboten variierte und dass dieser sowohl von der tatsächlichen Entfernung der Heimat von Istanbul abhing als auch von der persönlichen Anbindung an die Hauptstadt. Wohnte der eigene Bruder in Istanbul, konnte man seinen Sohn auch schon in jungen Jahren in dessen Obhut geben und musste nicht ausharren, bis dieser alt und selbstständig genug war, um dort alleine zu leben. 138 Biographien von Tireli Mahmud Efendi (¡EYHÎ: I.499.3), Ankaravî Koca Nakibüle¢raf Seyyid Mehmed Efendi (ibid: I.347.2) und Arab Sâlih Efendi (ibid: I.539.1)).

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kannt, in denen die mülâzemet nach einem Studium in der Heimat ebenfalls dort erworben wurde.139 Anschließend gingen alle drei Gelehrten einer Müderristätigkeit an ihrem Geburtsort nach und kamen erst später in die Hauptstadt, wo sie dann direkt in Ämter berufen wurden. £p¢irli gibt an, dass neben den wichtigen Kadi und Müderris auch die Mufti großer Städte zu bestimmten Gelegenheiten mülâzemet aus Ehrerweisung vergeben konnten140 – es ist anzunehmen, dass sich die drei hier erwähnten Ausnahmen in diese Kategorie einordnen lassen.

Was angehende Ulema dafür tun Welchen Status der Empfänger einer mülâzemet hatte, geht aus den Beispielsätzen nicht hervor. Nur im Fall des späteren ¡eyhülislam Ali Efendi141 aus Alaiye (Alanya) schreibt ¡eyhî explizit, dass er weit fortgeschrittener Student, dani¢mend, war, bevor er mülâzim wurde. Dass mit großer Wahrscheinlichkeit nur dani¢mend, die ihr muidlik abgeschlossen hatten oder über einen längeren Zeitraum bestimmte Tätigkeiten für den mülâzemet-Aussteller (etwa als tezkireci142 für den Kazasker oder fetva emini für den ¡eyhülislam) ausgeübt hatten, um Gewährung einer mülâzemet ersuchen konnten, legt die Analyse der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ nahe. Dieses Ergebnis wird ferner durch die Literatur bestätigt.143 ¡eyhî schreibt an mehreren Stellen, dass der biographierte Alim in den Dienst eines hohen Gelehrten eingetreten sei und im Anschluss, dass dieser ihm eine mülâzemet ausgestellt habe: Er gelangte in den Dienst von ¡eyhülislam Ahizade Hüseyin Efendi und [erhielt] von jenem eine mülâzemet.

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Sehr häufig findet sich folgende Wendung, in der der Molla, bei dem Dienst getan wurde, nicht namentlich genannt wird: Er war im Dienst der 'ulema-i kirâm' und erhielt von einem von ihnen eine mülâzemet.

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139 Der Werdegang einiger Gelehrter aus Bursa und Edirne, die in diesen Städten ihre mülâzemet erhalten haben, wird unter 3.4.1 genauer analysiert. Einer der Ausnahmefälle wird dort ebenfalls detaillierter beleuchtet. 140 £P¡£RL£ (1981/2): 223. 141 Gest. 1103 (1691/2) (¡EYHÎ: II.67.2). 142 Ein tezkireci war mit dem Schriftverkehr des Büros beauftragt, an das er angegliedert war. Man unterscheidet je nach Zuständigkeitsbereich verschiedene tezkireci, vgl. dazu Mehmed Z. PAKALIN (1946-54): Osmanl¤ Tarih Deyimleri ve Terimleri Sözlüºü, 3 Bde., Istanbul: "tezkireci". 143 REPP (1986): 51f., £P¡£RL£ (1981/2): 224, UNAN (2003): 200, Karen BARKEY (1994): Bandits and Bureaucrats: The Ottoman Route to State Centralization, London u.a.: 40. 144 Biographie von Hattat Ömer Efendi (¡EYHÎ: I.352.1).

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Nur selten erwähnt ¡eyhî eine konkrete Tätigkeit, etwa die des muid, die dem Erwerb einer mülâzemet vorausging: Er war muid in den ibtida-Medresen, zog Nutzen aus dem Unterricht dort und [wurde] für seine Dienste zum mülâzim.

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Wie lange die Vorbereitungszeit auf eine mülâzemet im Durchschnitt dauerte, ist schwer abzuschätzen. Kececiler £mam¤ Damad¤ Hasan Efendi,147 nicht nur Lehrer ¡eyhîs, sondern auch enger Freund U¢akîzades und als solcher von Majer genauer beleuchtet, wurde nach drei Jahren muidlik bei seinem Müderris Hafiz ¡aban Efendi zum mülâzim.148 Das entspricht dem, was in der Literatur meist angenommen wird.149 Eine genaue Zeitangabe des Erhalts einer mülâzemet findet sich bei ¡eyhî nicht. In einem Fall erwähnt er, dass ein Alim150 seine mülâzemet sehr jung erhalten hat. Einige Zeilen später präzisiert er diese Angabe und schreibt, dieser wäre zu jenem Zeitpunkt 18 Jahre alt gewesen. Die Tatsache, dass der Autor das Alter hervorhebt spricht dafür, dass ein dani¢mend seine mülâzemet in der Regel später erhielt – wenn auch wahrscheinlich nicht viel später.

Die richtige Gelegenheit – wann wurden mülâzemet ausgestellt? Es ist anzunehmen, dass die meisten derjenigen, bei denen ¡eyhî keine weiteren Angaben macht, ihre mülâzemet im Rahmen des Rotationssystems (nöbet) erhalten haben. Dies wurde in dem bereits erwähnten, unter der Ägide des Şeyhülislam Ebusuud Efendi entstandenen Erlass festgelegt und schrieb vor, dass nur alle sieben Jahre mülâzemet ausgestellt werden durften. Besondere Festtage, etwa die Beschneidungfeier eines Prinzen, stellten eine Ausnahme dieser Regel dar. Weitere Anlässe zur Ausstellung von mülâzemet ergeben sich aus den Vekayiü’lFudalâ, da Şeyhî in zahlreichen Fällen ein mit dem Zeitpunkt der mülâzemet-Vergabe verknüpftes Ereignis erwähnt. Analysiert man die hier genannten Fälle systematisch, kommt man zu folgenden Ergebnissen: Starb der Hoca, bevor seine dani¢mend ihre Zeit als Assistenten beendet hatten, so konnten einige von ihnen bereits dann mülâ-

145 146 147 148 149 150

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Biographie von B¤çak¤zade Mustafa Efendi (¡EYHÎ: II.31.3). Biographie von Seyrekzade Haf¤z¤ Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.537.1). Gest. 1109 (1697/8) (¡EYHÎ: II.145.2). MAJER (1978): 217. BARKEY (1994): 40, BALTACI (1976): 33. Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.519.1).

zim werden.151 Ferner wurden mülâzemet an dani¢mend ausgestellt, wenn der Müderris, für den sie tätig waren, an eine andere Medrese versetzt wurde. Ebenso konnte ein Kadi bei einem Amtswechsel an die bei ihm beschäftigten dani¢mend mülâzemet vergeben.152 Dass diese Praxis üblich war, zeigt auch der Fall Cinci Hüseyin Efendis.153 Cinci Hüseyin Efendi stammte aus Safranbolu in Anatolien und stieg bis zum dritthöchsten Posten der £lmiyehierarchie, dem Amt des Kazasker von Anatolien auf, welches er gleich vier Mal inne hatte. Am Ende seiner letzten Amtszeit fiel er allerdings in Ungnade; er wurde exiliert und sein Besitz konfisziert. ¡eyhî berichtet aus Cinci Hüseyin Efendis Studienzeit, dass dessen Lehrer Biber Biraderi Hasan Efendizade ¡eyh Mehmed Efendi zum Kadi von Izmir berufen wurde, seinem Studenten Cinci Hüseyin aus diesem Anlass jedoch weder eine mülâzemet ausstellte noch ihn mit nach Izmir nahm. Die Tatsache, dass ¡eyhî diesen Umstand für erwähnenswert erachtet, zeigt, dass das Verhalten des Hoca unüblich war, dass es gegen die gängige Praxis verstieß. Wie Cinci Hüseyin Efendi trotzdem zu einer mülâzemet kam, ist interessant: er wandte sich an seine Majestät den Sultan. Der Alim aus Safranbolu beeindruckte offenbar den zu jener Zeit erkrankten Herrscher mit Gebeten, die er von seinem Vater erlernt hatte und die der Genesung Sultan £brahims dienen sollten, derart, dass dieser ihm nicht nur eine mülâzemet ausstellen, sondern dem ambitionierten Studenten im gleichen Zug auch eine Müderrisstelle zuweisen ließ – an einer 60 Akçe Medrese, einer Medresenstufe, in der sonst nur langgediente Hoca unterrichteten. Cinci Hüseyin Efendi wurde also vom damaligen ¡eyhülislam ein Posten an der Sahn-i Seman zugewiesen.154 Die Lebensbeschreibung Cinci Hüseyin Efendis legt eine andere Möglichkeit des Erwerbs einer mülâzemet offen: den durch sultanischen Erlass. Ein weiteres Beispiel für diese Praxis soll genannt werden: Fazil Molla †elebi Efendi155 wurde als Sohn unbekannter Eltern in Amid (Diyarbak¤r) geboren, studierte dort unter anderem unter einem gewissen

151 Vgl. etwa die Biographien von Han¤mzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.415.1) und Be¢rî Mehmed Efendi (ibid: I.448.1). Diese Vergabevariante wurde von mehreren Autoren beschrieben £P¡£RL£ (1981/2): 224, REPP (1986): 52, 52n, £NALCIK (1988): 259f.). 152 Bzgl. Medresewechsel vgl. etwa die Biographien von Cevherîzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: II.26.2) und K¤r¤mî Abdülhalim Efendi (ibid: II.156.2), bzgl. Einsetzung in ein neues Amt vgl. etwa die Biographien von Samtî Mehmed Efendi (ibid: I.358.3) und Abdülgaffar Efendi (ibid: I.357.2). £p¢irlis Auswertung von Registereiträgen bestätigt diese Möglichkeiten des Erhalts einer mülâzemet (£P¡£RL£ (1981/2): 224). 153 Gest. 1058 (1648/9) (¡EYHÎ: I.178.1). 154 Diese Einsetzung war formell, der an der Sahn-i Seman tätige Müderris U¢akîzade Abdülhalim Efendi blieb also weiter in seinem Amt. Für Cinci Hüseyin entscheidend war allerdings der Rang und der war der eines Müderris an der Sahn-i Seman. Zu (Titular-) Rängen vgl. Kapitel 2.3. 155 Gest. 1066 (1655/6) (¡EYHÎ: I.232.3).

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Mevla †elebi und wurde – ohne Amid verlassen oder eine mülâzemet erhalten zu haben – Müderris an einer Medrese in Amid. Mit der Tochter eines Seyyid, vielleicht auch lokalen ¡eyh, verheiratet, scheint es nicht Fazil Molla †elebi Efendis vorrangiges Ziel gewesen zu sein, nach Istanbul zu gelangen und in das Ringen um die knappen Posten der hohen £lmiye einzusteigen. Man darf nicht davon ausgehen, dass jeder Gelehrte aus der Provinz in die Hauptstadt und in Amt und Würden strebte, sondern vielleicht auch in seiner gewohnten Umgebung bleiben wollte und sich dafür mit einer Stelle als kleinerer Müderris oder Kadi zufrieden gab. Dass Fazil Molla †elebi Efendis Leben anders als das der meisten Provinzgelehrten verlief, war offensichtlich Zufall: Sultan Murad IV. (1623-1640) befand sich nach seinem erfolgreichen Bagdadfeldzug auf dem Rückweg nach Istanbul, als er durch Amid kam und vom Wissen eines Alim namens Fazil Molla †elebi Efendi hörte. Murad IV. nahm den Gelehrten mit in die Hauptstadt, ließ ihm auf sultanischen Erlass eine mülâzemet ausstellen und ihn an die Sahn-i Seman als Müderris berufen. Dass sich selbst der Sultan an die Formalien hielt und sogar einem bereits über längere Lehrerfahrung in der Provinz verfügenden Alim eine mülâzemet ausstellen ließ, bevor er ihm einen Posten zuwies, zeigt die Bedeutung von mülâzemet. Die Biographie eines anderen in den Vekayiü’l-Fudalâ vorgestellten Gelehrten veranschaulicht eine weitere Möglichkeit des Erhalts einer mülâzemet. Hamid Efendi156 wurde in Aksaray in der anatolischen Provinz Karaman geboren157 und von seinem Vater wissen wir nicht mehr, als dass er Mustafa hieß. Wo und von wem Hamid Efendi seine Ausbildung erhielt, ist ebenfalls unbekannt. ¡eyhî schreibt, Hamid Efendi sei nach Istanbul gekommen und hätte dort, in Form eines arz, eines Bittschreibens, den ¡eyhülislam um Gewährung einer mülâzemet ersucht. ¡eyhülislam Yahya schickte den jungen Mann aus Karaman zu einem Alim namens Hac¤ Yusufzade Ahmed Efendi, der die Fähigkeiten des Bittstellers überprüfen sollte. Hamid Efendi machte eine Prüfung und wurde anschließend einem Müderris an der Sahn-i Seman, Acem Mehmed Efendi, als dessen dani¢mend übergeben. Dort blieb Hamid Efendi bis ¡eyhülislam Yahya Efendi, mit dem Sultan gemeinsam auf Feldzug, von der erfolgreichen Expedition aus Bagdad zurückkehrte und ihm eine Stelle als muid in der Sultan Bayezid Medrese zuwies. Nach einer unbestimmten Zeit

156 Gest. 1098 (1686/7) (¡EYHÎ: I.536.1). 157 Uºur schreibt, der Alim stamme aus dem Stadtteil Aksaray in Istanbul, wo er 1047 (1637/8) geboren worden sei. Im nächsten Satz berichtet Uºur von der Übersiedlung Hamid Efendis nach Istanbul, ebenfalls im Jahre 1047 (U¹UR (1986): 580) – wie soll das gehen? Das ist nicht nur unlogisch, sondern unverständlich: ¡eyhî präzisiert die Lage des Geburtsortes Hamid Efendis und schreibt, dass es sich um Aksaray in Anatolien handele. Ein Geburtsdatum ist in den Vekayiü’l-Fudalâ nicht gegeben, wohl aber das Jahr, in dem der Alim nach Istanbul kam: 1047 (1637/8).

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stellte ¡eyhülislam Yahya Efendi dem Alim aus Aksaray eine mülâzemet aus. Hamid Efendi blieb auch nach dem Erhalt der mülâzemet mit ¡eyhülislam Yahya durch ein nicht genauer spezifiziertes Dienstverhältnis verbunden und unterrichtete zudem dessen Neffen £zzeti ¡eyh Mehmed. In seiner sich anschließenden Karriere erreichte Hamid Efendi die höchsten Ämter: als Müderris im Dar’ül-Hadis der Süleymaniye, als Verwalter der Heiligen Stätten in Mekka und Medina und schließlich als Anadolu- und Rumeli Kazaskeri. Sein Aufstieg endete mit dem Exil: Er kritisierte die Einführung einer Extrasteuer zur Feldzugsfinanzierung. Im vorgestellten Fall Hamid Efendis wird eine andere Vergabepraxis von mülâzemet deutlich: die des Bittschreibens (arz, arzuhâl). Diese wird durch £p¢irlis Auswertung von £lmiye Registern bestätigt, doch berichtet er nichts von einer Überprüfung der Kenntnisse.158 In den wenigen Fällen in den Vekayiü’l-Fudalâ, in denen die mülâzemet durch arz erreicht wurde, ging der Ausstellung ein Wissenstest voraus. Analog zu der Hamid Efendis lässt sich die Biographie Derzizade Mehmed Efendis159 anführen. Derzizade Mehmed Efendi wurde als Sohn eines Imam in Istanbul geboren und ging erst dem Beruf seines Vaters nach. Dann wandte er sich intensiv dem Studium der Religion zu, verfasste einen arzuhâl an den ¡eyhülislam, in dem er um mülâzemet bat, musste eine Prüfung ablegen und wurde muid. Erst als der Müderris, dessen Assistent er gewesen war, an eine höhere Medresenstufe wechselte, wurde er mülâzim. Als Beispiel dient ferner Nakibüle¢raf Nefeszade Seyyid Abdurrahman Efendi,160 der ebenfalls ein entsprechendes Bittschreiben an den ¡eyhülislam richtete. Anders als in den beiden vorangegangenen Beispielen hatte er in seiner Heimatstadt Ankara nicht nur sein gesamtes Studium absolviert, sondern bereits einen Müderrisposten an der dortigen Hac¤ Bayram Medrese inne gehabt, bevor er nach Istanbul kam und sein Gesuch um eine mülâzemet an ¡eyhülislam Minkarîzade Efendi weitergab. Aber auch er musste sich einer Prüfung unterziehen, es handelte sich um eine Prüfung (imtihân) in tefsir, wie ¡eyhî anmerkt. Deutlich wird, dass die wohl eher seltene Praxis des Bittschreibens an das Oberhaupt der osmanischen £lmiye, den ¡eyhülislam, in allen drei Fällen eine Prüfung nach sich zog, eine solche in den Vekayiü’l-Fudalâ sonst aber nicht erwähnt wird.

158 Auch Baltac¤ spricht für das 15. und 16. Jahrhundert von dieser Art von mülâzemet-Vergabepraxis, betont allerdings, dass diese Art von 'müstakil arzla mülazemet' (ohne muidlik absolviert zu haben) insbesondere bei Söhnen von ¡ehyülislam und Sultanslehrern Anwendung fand (BALTACI (1976): 35). Diese These lässt sich durch diese Untersuchung weder bestätigen noch dementieren, da die Biographien von Söhnen hauptstädtischer Ulemafamilien nicht analysiert werden. 159 Gest. 1108 (1696/7) (¡EYHÎ: II.130.3). 160 Gest. 1107 (1695/6) (¡EYHÎ: II.125.3). Seine Biographie wurde bereits unter 2.1. exemplarisch herangezogen.

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Dass man das Wissen der Bewerber um mülâzemet, die – wie in den Beispielen – von außerhalb kamen, testete, bevor man ihnen Ämter zuwies, ist sehr gut nachvollziehbar, so auch die Tatsache, dass man als noch nicht ausreichend gereift empfundene Kandidaten einem altgedienten Müderris als muid anvertraute und erst nach einiger Zeit zum mülâzim machte. Es stellt sich an dieser Stelle nur die Frage, ob eine Prüfung der Kenntnisse für alle mülâzemet-Anwärter existierte. Betrachtet man alle aufgeführten Vergabepraxen von mülâzemet (mit Ausnahme des Bittschreibens), so wurden sie stets an dani¢mend ausgegeben, die über Jahre mit dem mülâzemet ausstellenden Alim verbunden waren, für ihn gearbeitet haben und bereits dafür speziell ausgesucht worden waren – ihre Fachkenntnisse sollten dem Hoca also wohlbekannt sein, eine Überprüfung derselben scheint obsolet. Auch die Tatsache, dass ¡eyhî in allen der über 700 untersuchten Lebensbeschreibungen außer im Zusammenhang mit arzuhâl nie das Wort Prüfung erwähnt, spricht dafür, dass es eine solche im Regelfall einer mülâzemet-Vergabe nicht gegeben hat. Diese These widerspricht allerdings einigen Darstellungen in der Literatur, wo von einer Prüfung an diesem Wendepunkt im Leben eines Alim gesprochen wird.161 Zilfi erwähnt ebenfalls eine solche Praxis, jedoch im Zusammenhang mit rüus, einem Lehrdiplom, das man am Ende einer im 18. Jahrhundert siebenjährigen Wartezeit als mülâzim erhielt.162 Erst der Erhalt eines rüus bedeutete den offiziellen Eintritt in die Karriere als Alim.163 Zilfi schreibt aber auch, dass sich nach einem sultanischen Erlass von 1715 alle dani¢mend (mit Ausnahme der Söhne hoher Istanbuler Ulema) einer Prüfung beim ¡eyhülislam unterziehen mussten, um "novice" zu werden,164 was sie an anderer Stelle als mülâzim übersetzt.165 Das hieße, dass seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts zwei voneinander um im Durchschnitt sieben Jahre versetzte Prüfungen vorgesehen waren, eine für den Erhalt einer mülâzemet und eine für den eines rüus.

Mülâzim. Und nun? Ein Student hohen Niveaus, ein dani¢mend, erhielt auf einem der verschiedenen möglichen und beschriebenen Wege – und das hieße für das 17. Jahrhundert ohne das Ablegen einer Prüfung166 – eine mülâzemet und wurde so mülâzim. Der nächste 161 WALLBRECHT (1970): 117 und BALTACI (1976): 34. Baltac¤ spricht zwar nicht von mülâzemet, aus dem Zusammenhang geht aber unmissverständlich hervor, dass er für dieselbe Sache nur einen anderen Begriff verwendet. 162 ZILFI (1983b): 337f., ZILFI (1983a): 312. 163 ZILFI (1988): 62. 164 ZILFI (1983b): 340f. 165 ZILFI (1983b): 337. 166 Ausnahme ist die mülâzemet durch arzuhâl, durch Bittschreiben.

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Schritt seiner Laufbahn bestand seit der Neuorganisation des Systems unter Şeyhülislam Ebusuud Efendi Mitte des 16. Jahrhunderts darin, sich in ein defter einzutragen. Es existierten zwei dieser Register, eines beim Heeresrichter von Anatolien, eines beim Heeresrichter von Rumelien. Je nachdem, in welchem Teil des Reiches der mülâzim arbeiten wollte, und je nachdem, ob er an dieser Stufe die Kadi- oder Müderrislaufbahn einschlagen wollte, trug er sich in das defter beim entsprechenden Kazasker mit seinem Namen ein und wartete, bis ein geeigneter Posten als niedriger Müderris oder kleiner Kadi frei wurde.167 Analysiert man ¡eyhîs Lebensbeschreibungen detailliert, so stellt man fest, dass er den Erhalt der mülâzemet als Einstieg in die Lehrtätigkeit versteht, nicht aber von Tätigkeiten im juristischen Bereich spricht. Dieses Fehlen kann man leicht damit erklären, dass mülâzim, die sich für eine juristische Laufbahn entschieden, also aus der weiteren Medresenlaufbahn ausstiegen, weder einen Weg zurück in die Lehrtätigkeit hatten, noch von unteren Provinzkadiposten in die hohen Richterämter der £lmiye aufsteigen konnten.168 In die Gruppe der hochrangigen, an Istanbul gebundenen Gelehrten, deren Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ zusammengestellt sind, konnte ein Aspirant, der sich als mülâzim für einen niedrigen Kadiposten entschieden hatte, demnach nicht gelangen – die Curricula dieser Gruppe finden sich in ¡eyhîs Werk nicht. Nur diejenigen, die nach dem Erhalt der mülâzemet Lehrtätigkeiten wahrnahmen und damit eine Karriere in der hohen £lmiye anstrebten, sind verzeichnet. ¡eyhî schreibt: 167 REPP (1972): 25f., REPP (1986): 55ff., FLEISCHER (1986): 32f., PAKALIN (1946-54): "rüus", "mülâzim", £P¡£RL£ (1981/2): 222f., £NALCIK (1988): 253f., 256, ¡ehabettin TEK£NDAĞ (1973): "Medrese Dönemi", Cumhuriyetin 50. Y¤l¤nda £stanbul Üniversitesi, S. 3-54: 25. Der mülazim konnte sich an dieser Stelle erstmals zwischen einer Laufbahn als Kadi oder Müderris entscheiden. Bot der Einstieg in juristische Tätigkeiten zu diesem Zeitpunkt (man wurde Kadi kleiner Gerichtsbezirke, konnte allerdings nur innerhalb des Reichsteils (Rumelien oder Anatolien) versetzt werden, für den man sich zu Beginn entschieden hatte) zwar kurzfristig bessere Verdienstchancen, bedeutete er gleichzeitig das Ausscheiden aus der Medresenlaufbahn und damit den Verzicht auf hohe Ämter. Einige Ulema waren, wie Repp anhand verschiedener Beispiele darlegt, aus finanziellen Gründen gezwungen, die Müderriskarriere an dieser Stufe der Laufbahn aufzugeben und ein Kadiamt niedrigen Niveaus anzunehmen (REPP (1972): 26ff.). Während man als Müderris von der 20 Akçe Medrese aufzusteigen begann und der Aufstieg in die hohe Medresenhierarchie nach der 40 Akçe Medrese begann, reichte das Einkommen eines Kadi der kleinsten Verwaltungseinheit im Osmanischen Reich bis zu 150 Akçe (ibid: 18n). 168 Repp gibt für die Mitte des 16. Jahrhunderts ein Beispiel für den offensichtlich extrem seltenen Fall, in dem dieser Wiedereinstieg in die Müderrislaufbahn gelang: Molla Bostan musste die Müdderriskarriere aus Geldmangel aufgeben, ihm gelang der Wiedereinstieg nur durch den Einsatz zweier Heeresrichter (REPP (1972): 28). Dies illustriert, wie schwer der Rückweg in die Lehre war, hatte man sich einmal dagegen entschieden. Für ein solches Beispiel aus den Vekayiü’l-Fudalâ vgl. die Biographie des ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.421.2), die unter 3.4.7. genauer betrachtet wird.

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Nach dem Erhalt einer mülâzemet von [...] Efendi begab der Alim sich in den Kreislauf der Medresen und als er aus der 40 Akçe Medrese ausschied [...]

. *  +  [...] ,5 85  5$ 7 '

170 [...] ;7 2$<   5 9! :! 169

An dieser Stelle wird deutlich, dass der mülâzim als Müderris die einzelnen Stufen der Medresenhierarchie aufstieg, bis er die Stufe der 40 Akçe Medrese erreichte. Der Einwand Baltac¤s, dass in keiner vakfiye Gehälter für mülâzim verzeichnet sind und nicht anzunehmen ist, dass die Staatskasse die Aspiranten für ihren Aufwand entschädigte, woraus er folgert, dass diese Aufgaben anscheinend nicht vergütet wurden,171 wäre also mit dem einfachen Argument zurückzuweisen, dass mülâzim als normale Müderris niedrigen Ranges arbeiteten und als eben solche auch in der vakfiye verzeichnet waren. Dass ein mülâzim über Jahre hinweg keine Zuwendungen aus dem Stiftungsvermögen erhielt, ist auch aufgrund logischer Argumente kaum anzunehmen; sorgte eine Stiftung doch von Beginn der Ausbildung an bis zum höchsten Müderrisposten für einen Alim – warum sollte sie für Absolventen am Anfang ihrer Karriere keine Mittel bereitstellen? Darüber, wie lange und an welchen Einrichtungen der mülâzim Lehrtätigkeiten verrichtete, schweigt ¡eyhî. Erwähnt wird immer erst die 40 Akçe Medrese, mit dessen Verlassen ¡eyhî beginnt, genaue Angaben zu den Ämtern zu machen, die der Beschriebene inne hatte.172 Die Stufe der 40 Akçe Medrese stellte ganz offensichtlich die Schwelle zwischen niederen und höheren Posten der Lehre dar. Dafür sprechen auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Register: Bis zur 40 Akçe Medrese oblag das Vorschlagsrecht für die Posten dem zuständigen Kazasker, anschließend dem ¡eyhülislam.173 Im 18. Jahrhundert musste der mülâzim nach dem Verlassen der 40 Akçe Medrese eine Prüfung ablegen, um in den Medresen höherer Hierarchiestufen lehren zu können.174 Bestand er jene, erhielt er ein rüus, wurde Mitglied der Ulemaschicht und konnte damit als Müderris an einer Medrese mit 169 In einigen wenigen Fällen folgt an dieser Stelle: ...,5 =#(> ?) $ , und er nahm an Vorlesungen teil (Biographie von Uzun Sadî Efendi (¡EYHÎ: I.183.1)). Dieser Abschnitt weist darauf hin, dass der mülazim nicht nur unterrichtete, sondern auch Vorlesungen (bedeutender Gelehrter) besuchte. Dies mag als Vorbereitung auf die anstehende rüus Prüfung verstanden werden, kann aber auch einfach bedeuten, dass der junge Gelehrte noch weiteres Wissen erwerben wollte. In Einzelfällen schreibt ¡eyhî sogar, bei wem nach dem Erhalt der mülâzemet weiter studiert wurde – diese Fortsetzung des Studiums direkt nach dem Erhalt der mülâzemet stellten aber ganz offensichtlich Ausnahmen dar. 170 Biographie von Mazhar Efendi Damad¤ Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.183.2). 171 BALTACI (1977): 141. 172 Auch Ataî listet in seinem Sammelwerk der Ulema im 16. Jahrhundert nur die nach dem Verlassen der 40 Akçe Medrese bekleideten Posten auf. 173 Vgl. dazu UZUN†AR¡ILI (1988): 59, 77, 104, 179-189, FAROQHI (1973): 212. 174 ZILFI (1988): 63.

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hariç-Rang in die Laufbahn einsteigen.175 Im 17. Jahrhundert scheinen diese Prüfungen keine "mass examinations" gewesen zu sein, wie sie Zilfi für die Zeit seit Ahmed III. (1703-1730) beschreibt,176 es ist allerdings davon auszugehen, dass sie existierten. ¡eyhî macht zwar keinerlei Angabe zum Erhalt eines rüus noch zu einer dafür notwendigen Prüfung, doch berichtet bereits Ataî von einer solchen zwischen der 40 Akçe Medrese und der ersten Medrese mit hariç-Rang angesiedelten Prüfung.177 Ferner kommt diese in zeitgenössischen Schriften zur Sprache und wurde durch ein Edikt aus dem Jahre 1115 (1703) spezifiziert.178 So ist trotz ¡eyhîs Schweigen davon auszugehen, dass sich ein mülâzim im 17. Jahrhundert an dieser Stufe seiner Laufbahn einem Wissenstest unterziehen musste und, bestand er jenen, ein rüus erhielt.

Behinderungen für 'Außenseiter'? Die Teilnahme an einer rüus-Prüfung setzte eine mülâzemet voraus, so dass beide Zertifikate wichtige Hürden auf dem Weg in die hohen Ämter der £lmiye darstellten. Bedeutend für die Untersuchung der Durchlässigkeit der religiösen Ordnung im Osmanischen Reich ist, ob Söhne ohne Istanbuler Ulemahintergrund diese Barrieren unter gleichen Bedingungen überwinden konnten wie die Sprösslinge hauptstädtischer Gelehrtenfamilien. Dies war offensichtlich nicht der Fall. Zunächst zur ersten Hürde, der mülâzemet: Betrachtet man die Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ, so fällt auf, dass das Verhältnis zwischen vielen mülâzemet-Gebern und -empfängern kein reines Lehrer-Schüler-Verhältnis darstellte. Der mülâzim war in zahlreichen Beispielen durch Verwandtschaft oder eine besondere Beziehung an denjenigen gebunden, von dem er die mülâzemet erhielt. Persönliche Kontakte welcher Art auch immer waren bei der Vergabe von mülâzemet folglich von enormer Bedeutung. Auch aus diesem Grund soll an späterer Stelle auf die Möglichkeiten eingegangen werden, die ein 'Außenseiter' beim Knüpfen von Verbindungen zu hohen Persönlichkeiten hatte. Hier stellt sich nur die Frage: Hatte jeder Anwärter auf mülâzemet die gleichen Kontakte und Kontaktmöglichkeiten? Die Antwort ist eindeutig: Nein. Die verwandtschaftlichen Bande konnten bei einem nicht aus

175 Diese Darstellung findet sich auch bei Pakal¤n (PAKALIN (1946-54): "rüus"). Zilfi hat ein tagebuchähnliches Manuskript eines Müderris des 18. Jahrhunderts bearbeitet. Darin berichtet der Alim von einer siebenjährigen Zeit als mülâzim, was Zilfi mit "novices in training for the rü’Ùs" erläutert. Anschließend legte er die rüus-Prüfung ab und erhielt am folgenden Tag den Turban eines Alim – damit wurde er zum Mitglied der Ulemaschicht. Er bekam einen Müderrisposten an einer hariç-Medrese zugewiesen (ZILFI (1977): 167ff.). 176 ZILFI (1988): 63. 177 UZUN†AR¡ILI (1988): 65. 178 UZUN†AR¡ILI (1988): 65n.

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Istanbul stammenden Aspiranten nur durch die Hochzeit mit einer Tochter des mülâzemet-Ausstellers entstehen, beim Sohn oder Verwandten eines hauptstädtischen Gelehrten ergaben sie sich von selbst. Auch das Einheiraten in gehobene Ulemakreise stellte sich für jene wegen ihres gehobenen sozialen Standes als weit unkomplizierter dar – für diese mag die Freundschaft des Vaters oder Verwandten mit ihrem Hoca ausreichend gewesen sein. So beobachten wir, dass Söhne gelehrter Väter in vielen Fällen von ihrem Vater, einem nahen Verwandten oder Freund der Familie oft bereits als Kind ihre mülâzemet erhielten, kein muidlik oder vergleichbare Tätigkeiten absolvieren mussten, damit Wartezeiten umgingen und schneller aufstiegen179 – für einen Anwärter unbedeutender Herkunft undenkbar. Im 17. Jahrhundert waren die Söhne von Ulema in Edirne und Bursa dabei nicht weniger bevorzugt als ihre Kollegen aus der Hauptstadt, denn auch dortige hohe Müderris konnten mülâzemet ausstellen. Erst mit einem Edikt von 1715 wurde ihnen dieses Recht versagt, so dass auch ihre Söhne, Verwandten und nahestehenden Anwärter auf £lmiyeämter Istanbuler Gelehrte um eine mülâzemet ersuchen mussten.180 Eine weitere Schwierigkeit für Männer von außerhalb eine mülâzemet zu erhalten, war ihre sicherlich in den meisten Fällen schlechtere finanzielle Situation. Wenn ¡eyhî zu diesem konkreten Punkt auch keine Angaben macht, so geht aus den Missbrauch, Nepotismus und Korruption geißelnden zeitgenössischen Schriften181 sowie mehreren Edikten, die als ein Versuch dies zu verhindern verstanden werden müssen,182 hervor, dass Geld bei der Vergabe von mülâzemet eine nicht unwesentliche Rolle

179 ZILFI (1983b): 338, £NALCIK (1988): 259. Ein Beispiel, in dem sich Altersangaben finden, ist folgendes: U¢akîzade Abdülbaki Efendi stellte seinem Sohn Seyyid £brahim Efendi im Alter von 15 Jahren eine mülâzemet aus. Seyyid £brahim Efendis Bruder Seyyid Abdullah Efendi erhielt eine solche bereits mit 12 Jahren, als sein Großvater Seyrekzade Abdurrahman Efendi Anadolu Kazaskeri wurde. Das bedeutete, dass die beiden Jungen bereits im Jugendalter – zumindest auf dem Papier – ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und damit einen enormen Zeitvorsprung besaßen, wenn sie sich in die Liste für eine Müderrisstelle einschrieben. Der spätere Schwager der beiden Jungen hingegen, ein gewisser Mahir Abdullah Efendi, Sohn eines ¡eyh und aus Bosnien zugewandert, erhielt erst mit 32 Jahren eine mülâzemet. Majer schreibt: "So vorteilhaft war es, Sohn und Enkel hauptstädtischer Ulema zu sein!" (MAJER (1978): 178f.). 180 Zilfi schreibt dazu: "[…] Ahmeds III. in the same decree [of 1715] saw fit to deprive the müderrises of Edirne and Bursa of the right to name novices. […] The exclusion of the rival educational centers of Edirne and Bursa ensured that scholars hoping to receive the rüus diploma – and thereby become true ulema - had to make their way in the capital. Ilmiye recruitment, inevitably centered on the capital, was now to be throroughly 'Istanbulized', and that by law." (ZILFI (1983b): 341). 181 Vgl. Kapitel 2.4.2. 182 £P¡£RL£ (1981/2): 224, REPP (1986): 54f.

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spielte.183 Rüsvet war bei jeder der aufgezeigten Ausstellungspraxen möglich, so auch beim Tod des Müderris. Es sind Fälle bekannt, in denen die Verwandten des Verstorbenen die posthum zu vergebenden mülâzemet an den Meistbietenden verkauften.184 Hatte es der Sohn eines wichtigen Alim womöglich gar nicht nötig, seine mülâzemet zu erkaufen, konnte dies für den Sohn eines reichen Kaufmanns eine interessante Option darstellen, den Aufstieg in der Hierarchie voranzutreiben – ein Bauernsohn mag dazu wohl kaum in der Lage gewesen sein. Die Vergabe von mülâzemet benachteiligte Aspiranten ohne Istanbuler Ulemahintergrund also deutlich – am stärksten jene ohne finanzielle Mittel –, indem sie den Weg zur nächsten Hürde, der rüus Prüfung, erschwerte. Lässt sich eine ebensolche Benachteiligung auch am nächsten Schritt der Karriere feststellen? ¡eyhî schreibt dazu nichts. In allen 715 bearbeiteten Biographien aus den Vekayiü’l-Fudalâ kommt der Begriff rüus nicht einmal vor. Zilfi belegt für die Zeit seit dem frühen 18. Jahrhundert anhand von Beispielen, dass Söhne hauptstädtischer Ulema oft gar nicht zur Prüfung antreten mussten oder ein rüus erhielten, obwohl sie durchgefallen waren, während deutlich über die Hälfte der Teilnehmer an der rüus-Prüfung 'leer ausgingen' und bei nächster Gelegenheit ihr Glück erneut versuchen mussten.185 In welchem Umfang diese extrem ungleichen Voraussetzungen für Anwärter verschiedener Herkunft bereits im 17. Jahrhundert bestanden, ist anhand der Vekayiü’l-Fudalâ und Literatur nur unzureichend zu eruieren. Es scheint üblich gewesen zu sein, dass wichtige Gelehrtenväter ihren Söhnen schon im Kindesalter eine rüus verschafften und sie in entsprechende Register einschrieben – eine Praxis die sich offensichtlich mit dem ausgehenden 17. Jahrhundert weiter verschärfte. Söhne hoher Istanbuler religiöser Würdenträger bekamen zudem oft ohne die Erfüllung all dieser Formalitäten Müderrisposten zugewiesen, und das nicht selten bereits in sehr jungen Jahren.186 Auch die Praxis rüus zu verkaufen, war

183 UZUN†AR¡ILI (1988): 48f., £NALCIK (1988): 260. In Bezug auf Koçu Bey vgl. ABOU-EL-HAJ (1991): Appendix B: 87 und REPP (1972): 31. Dass das Verkaufen von mülâzemet bereits vor dem 17. Jahrhundert existierte, mitunter auch bestraft wurde und zur Entlassung aus einem Amt führen konnte, zeigt sich am Fall von Kasapzade Abdulkerîm Efendi (gest. 982 (1574/5), der wegen eines solchen Vergehens seinen Posten als Müderris an der Sahn-i Seman verlor (BALTACI (1977): 138 in Berufung auf Ataî). 184 In Bezug auf den Geschichtsschreiber Mustafa Ali vgl. £NALCIK (1988): 259f. Um gegen diese Praxis vorzugehen, wurde 1006 (1597/8) ein Gesetz erlassen (ibid: 260). 185 ZILFI (1983b): 341f. Zilfi schreibt ferner, dass seit einem Edikt Ahmeds III. (1703-1730) die Söhne wichtiger Istanbuler Ulema von der Prüfung befreit wurden, sobald sie ihre Abstammung nachwiesen. Die im 17. Jahrhundert noch weitgehend informelle Benachteiligung wurde damit zementiert oder provokanter formuliert: Seit dem 18. Jahrhundert gab es eine institutionalisierte Ungleichbehandlung der Anwärter auf Posten in der osmanischen £lmiye. 186 UZUN†AR¡ILI (1988): 71-75, £P¡£RL£ (1981/2): 225, ATAY (1983): 157ff., ZILFI (1988): 65.

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offensichtlich verbreitet.187 Das zeigen sultanische Erlasse188 und seit der Mitte des 16. Jahrhunderts derartige Phänomene beschreibende und anprangernde Literatur.189 Wie weit dieser Missbrauch im 17. Jahrhundert ging, ist kaum zu beurteilen, dass es ihn gab, ist aber gesichert.190 Bei der Vergabe von rüus lässt sich also ebenso wie bei der von mülâzemet, der vorangehenden Hürde in der Karriere eines Alim, feststellen, dass Söhne wichtiger Gelehrter deutliche Bevorzugung erfuhren. Aspiranten ohne derartigen Hintergrund, aber mit Geld konnten einen Teil dieser Nachteile ausgleichen, alle übrigen wurden in ihrem Streben nach Ämtern in der osmanischen £lmiye stark benachteiligt. Die beiden Hürden mülâzemet und rüus sollten nicht nur die Qualität sichern, sondern auch das im 17. Jahrhundert immer gravierender gewordene Missverhältnis zwischen Aspiranten auf Ämter und begrenztem Angebot an Posten in der religiösen Hierarchie regeln, den Zustrom in die Gelehrtenlaufbahn drosseln.191 In der Praxis geschah dies durch Behinderung des Eindringens in Istanbuler £lmiyekreise 187 UZUN†AR¡ILI (1988): 67-75, TEK£NDAĞ (1973): 30, PAKALIN (1946-54): "rüus". Majer schreibt in Bezug auf das 17. Jahrhundert von einer Prüfung am Übergang von der 40 Akçe Medrese zu einer Medrese mit ibtida-i hariç-Rang, der untersten Medrese-Stufe unter der Zuständigkeit des ¡eyhülislam: "Zwischen Bewerbern und Stellen bestand ein krasses Missverhältnis, die Prüfungen machten den Zugang schwer. Es gab aber unter Umständen Möglichkeiten, über diese Hürden leichter hinwegzukommen. Wer Geld hatte, konnte seinen Sohn, selbst wenn er ein Ignorant war, schnell voranbringen. Die andere Möglichkeit war, dass der Vater schon einen der höchsten Ränge in der £lmiye eingenommen hatte. Dann hatte der Sohn die Möglichkeit, gleich einige Stufen zu überspringen, selbstverständlich streng hierarchisch abgestuft. Der Sohn des Schejchülislam sprang am weitesten. Dieses Verfahren war sogar legalisiert, verführte aber dazu, schon Kleinkinder die Sprünge machen zu lassen, was ihnen parallel zum Heranwachsen einen schönen Vorsprung in der Laufbahn einbrachte. Wer aber weder einen Reichen noch einen Hochgelehrten zum Vater hatte, musste gewöhnlich die üblichen Nachteile tragen." (MAJER (1978): 198). Auch wenn Majer den Begriff rüus in diesem Kontext nicht erwähnt, so ist anzunehmen, dass die von ihm beschriebene Prüfung mit der hier als rüus bezeichneten identisch ist. 188 Bzgl. verschiedener Fermane, die sich gegen die Missstände in der £lmiye richteten vgl. etwa UZUN†AR¡ILI (1988): 71, MAJER (1980): 152f. Zu Edikten, die das Einströmen von Studenten aus der Provinz in die hauptstädtische £lmiye bremsen sollten, vgl. auch £NALCIK (1988): 257. 189 Vgl. Kapitel 2.4.2. 190 Eine potentielle Möglichkeit, die bei der Vergabe von mülâzemet und rüus vorhandene Ungleichbehandlung zu analysieren, wäre die Betrachtung der Zeitspanne zwischen dani¢mendlik und Erhalt des rüus oder die Bewertung und der Vergleich der benötigten Zeit vom Ausbildungsbeginn überhaupt bis zu einer bestimmten Hierarchiestufe. Dies ist allerdings nicht möglich, da in den Vekayiü’l-Fudalâ Datumsangaben bis zur Berufung in das der 40 Akçe Medrese folgende Amt (bis auf wenige Ausnahmen, die keine vergleichenden Schlüsse zulassen) fehlen. Andere Quellen, an denen die Ausbildungszeit einer großen Menge von Ulema im 17. Jahrhundert nachvollzogen werden könnte, existieren nicht. 191 REPP (1972): 25f., REPP (1986): 54f., £P¡£RL£ (1981/2): 222, UNAN (2000): 645.

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von außen. Die Vergabepraktiken dieser beiden obligatorischen Zertifikate für einen Aufstieg in der osmanischen £lmiyehierarchie förderten demnach grundsätzlich die Bildung einer geschlossenen Istanbuler Ulemagesellschaft.

2.3

DAS ENDE DES LERNENS: DIE ULEMA UND IHRE AUFGABEN

Über Lehrer, Richter und Hierarchien Betrachten wir den der Ausbildung folgenden Lebensabschnitt eines Alim im 17. Jahrhundert. Hatte ein Aspirant auf hohe £lmiyeämter beide Hürden hinter sich gelassen, hielt er also ein rüus in den Händen, ließ er sich in ein defter einschreiben. Einem Alim, der die 40 Akçe Medrese verlassen hatte, stand an jeder Stelle seines stufenweisen Aufstiegs in der Müderrislaufbahn offen sich zu entscheiden: für den tarik-i tedris, die Lehre, oder den tarik-i kazâ, die juristische Laufbahn.192 Die Medresenhierarchie193 gab die Laufbahn eines Müderris vor. Er absolvierte, wie bereits als Student, nun als Lehrender Schritt für Schritt194 und konnte bis an die Spitze der Pyramide, eine Müderrisstelle am Dar’ül-Hadis der Süleymaniye, gelangen. Die Kadilaufbahn war ebenso wie der tarik-i tedris hierarchisch strukturiert. Die einzelnen Kadiamtsbezirke (kaza) wurden unterschiedlichen Rängen zugeordnet, die der Richter in seiner Karriere nacheinander hinaufkletterte. Höchstes zu erreichendes Amt war das des ¡eyhülislam.195 Der Einsetzung in dieses oberste

192 Entschied man sich für die juristische Laufbahn, wurde man Kadi. Als Kadi hatte man nicht nur richterliche und notarielle Aufgaben zu erledigen. Kadi fungierten auch als Mittler zwischen Bevölkerung und Hoher Pforte, indem sie kontrollierten, ob sultanische Befehle (hükm, ferman) richtig ausgeführt wurden und gleichzeitig Eingaben, Beschwerden und wietere Anliegen der lokalen Bevölkerung nach Istanbul weiterleiteten. Die verwalterischen Tätigkeitsbereiche eines Kadi waren ferner das Überwachen von Preisen, das Anfertigen von Berichten, das Kopieren von sultanischen Erlassen, das Vorschlagen von geeigneten Kanndidaten für die Neubesetzung bestimmter Stellen in Stiftungskomplexen und einiges mehr. 193 Vgl. die Aufstellung in Kapitel 2.2.1. 194 Wallbrecht schreibt, dass vor jedem Aufrücken in die nächste Stufe eine Prüfung für den Müderris verpflichtend war und erst im Anschluss an diese das Prinzip der ranginternen Seniorität entschied (WALLBRECHT (1970): 118f.). Uzunçar¢¤l¤ hingegen spricht von einer Prüfung in Ausnahmefällen: Nur wenn mehrere mazul gleichen Ranges und gleichen Dienstalters in dieser Hierarchiestufe für eine Stelle in Frage kamen, hätte eine Prüfung entschieden (UZUN†AR¡ILI (1988): 63f.). Wenn auch diese zweite Variante wahrscheinlicher erscheint, zumal in den Vekayiü’l-Fudalâ keine derartige Prüfung erwähnt wird, so müsste dieser Frage doch detailliert nachgegangen werden. 195 Spätestens seit dem Ende des 16. Jahrhunderts stellte der ¡eyhülislam den Kopf der £lmiye dar und behauptete sich damit insbesondere gegenüber dem ehemals einflussreicheren Sultanslehrer. Ernannt wurde der ¡eyhülislam vom Sultan, seine wichtigste Befugnis war die

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Amt, das die osmanische £lmiye ihren Mitgliedern bereithielt, ging eine langjährige Laufbahn als Kadi voraus, wobei die letzten Stufen festgelegt waren. Betrachtet man, welche Posten ein ¡eyhülislam im 17. Jahrhundert vorher bekleidete, so wird die Rangfolge der wichtigsten religiösen Ämter im Osmanischen Reich deutlich: Dem ¡eyhülislam in der Hierarchie direkt untergeordnet waren in absteigender Rangfolge der Rumeli Kazaskeri, der Anadolu Kazaskeri,196 der Kadi von Istanbul, davor die Richter von Edirne, Bursa und Mekka. Die unterhalb dieser fest etablierten letzten Ämter vor dem Amt des ¡eyhülislam stehenden kaza lassen sich in einige Gruppen zusammenfassen.197 Es soll genügen, diese kurz zu nennen: Die in der Hierarchie unterhalb der Kadiämter von Edirne, Bursa und Mekka stehende Gruppe umfasste die großen und bedeutsamen Gerichtssprengel, etwa Medina, ¡am (Damaskus), Selânik (Thessaloniki), Yeni¢ehir (Larissa), Halep (Aleppo) und M¤s¤r (Kairo). Einer Stelle in einem dieser Bezirke voraus gingen Kadiposten in weniger bedeutenden kaza wie zum Beispiel Mostar, Sak¤z (Khios), Manisa, Kayseri, Lefko¢e Auslegung des göttlichen Gesetzes. Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung Repps (REPP (1986)), ferner Kapitel 2.4.1. 196 Seit Mehmed II. (1451-1481) war das Amt des Kazasker nach Zuständigkeitsbereich zweigeteilt. Während der Heeresrichter von Rumelien für alle im europäischen Teil des Reiches eingesetzten Kadi, Müderris und weiteren Mitglieder der £lmiye bis zu einer bestimmten Hierarchiestufe verantwortlich war, übernahm der Anadolu Kazasker diese Aufgaben in den asiatischen Reichsteilen. Außerdem wichtig war die Teilnahme der Kazasker an Feldzügen – zog man gen Osten, begleitete der Anadolu Kazaskeri die sultanischen Heere, zog man gen Westen, der Rumeli Kazaskeri. 197 Die Nennung der Ulema in den höchsten Posten der £lmiye, die in den Vekayiü’l-Fudalâ am Ende jeder tabaka folgt, ist für die Aufstellung der Hierarchie hilfreich, da ¡eyhî die Amtsinhaber nach ihrem Rang in absteigender Folge auflistet. Doch ergeben sich im Vergleich mit den Angaben in der Literatur, die oft auf Registern und Listen der Kadiämter, Chroniken und sultanischen Erlassen fußen, wie auch innerhalb derselben Ungereimtheiten und Widersprüche, die hier nicht aufgeklärt werden können. In der Literatur werden die Verschiebungen in den Rängen der Gerichtssprengel nur selten diskutiert, oft beruft man sich auf die Angaben in einer Quelle und bezieht sie auf einen langen Untersuchungszeitraum. Während Uºur ungeprüft die Aufstellung aus den Vekayiü’l-Fudalâ übernimmt, richtet sich Zilfi sowohl in ihrem Buch, als auch in ihrem Aufsatz nach einer Kadihierarchie, wie sie seit Ahmed III. (1703-1730) galt (ZILFI (1988): 25, ZILFI (1983b): 119). Zwar vermerkt sie, dass die vorgelegte Tabelle auf der Neuordnung der Kadiamtsbezirke und ihrer Rangstufen 1723 beruht, im Text greift sie trotzdem auch für das 17. Jahrhundert darauf zurück. So schreibt sie: "By the opening of the seventeenth century, the ulema for all practical purposes had succeeded in 'unionizing' the career of an alim. Hundreds of religious colleges (medrese) and jugdeships (kad¤l¤k) had been grouped and graded over the years into a single central system (Table I [Kadihierarchie des 18. Jahrhunderts]), with virtually all content, standards, training and placement set by the ulema authorities themselves." (ZILFI (1983b): 318). Weder in ihrem Buch noch in ihrem Aufsatz finden sich Verweise auf eventuelle Unterschiede in der Hierarchie im 17. Jahrhundert. Dabei wird in der von ihr verwendeten Literatur auf einige wesentliche Veränderungen insbesondere unter Ahmed III. (1703-1730) hingewiesen (etwa das kaza Medina in UZUN†AR¡ILI (1965): 99f., 274, 276 und MAJER (1978): 171, 235) und sie selbst spricht ja von einer "reorganisation of the hierarchy" (ZILFI (1983b): 319n).

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(Nikosia), Mara¢ und Erzurum. Alle diese über den Provinzkadibezirken stehenden Gerichtssprengel wurden als mevleviyet bezeichnet.198 Knapp die Hälfte der analysierten Lebensbeschreibungen in den Vekayiü’l-Fudalâ, also aller Biographien von Gelehrten, die nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammten und zwischen 1040 (1630/1) und 1115 (1703) gestorben sind, beschreiben Ulema, die bis zum Ende ihrer Karriere Müderris blieben.199 Die Mehrheit der Gelehrten wechselte zwischen der Entlassung aus der 40 Akçe Medrese und der Beendigung einer Lehrtätigkeit am Dar’ül-Hadis der Süleymaniye in die Kadilaufbahn. Je nachdem, in welcher Rangstufe dieser Wechsel stattfand, gelangten sie in unterschiedliche Kadiämter.200 Die Ulema wurden in ein defter eingeschrieben und, wurde eine Stelle frei, erhielt der zu oberst in der Liste stehende Kandidat den Posten. Die Amtszeiten im 17. Jahrhundert waren auf eine kurze Zeit begrenzt, Kadi schieden bereits nach einem Jahr201 aus ihrem Amt aus. Nach Absetzung aus einem Richteramt folgte eine meist mehrjährige Wartezeit,202 die dafür genutzt werden sollte, sich weiterzubilden und auf sein nächstes Amt vorzubereiten. Auch Müderris wurden 198 Der Begriff mevleviyet wurde nicht in allen Zeiten gleich verwendet. Repp schreibt, dass nicht nur Kadi, sondern in einigen Epochen auch hohe Müderris in diese Kategorie fielen (REPP (1972): 18n). Ferner stiegen mehrere Provinzkadiämter im 17. Jahrhundert zum mevleviyet auf, verloren diesen Rang wieder, erhielten ihn mitunter erneut und Ähnliches. Zu diesen Wandlungen vgl. UZUN†AR¡ILI (1965): 91-103. Exemplarisch untersucht hat Özergin eine Neuordnung rumelischer Gerichtssprengel im Jahre 1078 (1667/8) (M. Kemal ÖZERG£N (1976): "Rumeli Kad¤l¤klar¤’da 1078 Düzenlemesi". In: £smail Hakk¤ Uzunçar¢¤l¤’ya Armaºan, Ankara, S. 251-309). 199 Es ist anzunehmen, dass diese Zahl bei den Söhnen Istanbuler Gelehrter höher lag, da sie in vielerlei Hinsicht leichter und schneller in der £lmiye aufsteigen und einflussreiche Kadiämter erreichen konnten. 200 £nalc¤k gibt eine Liste, in der sowohl beschrieben wird von welcher Kadistufe ein Richter in welche Kadistufe befördert wurde als auch von welcher Medresenstufe ein Alim in welche Kadistufe aufstieg (£NALCIK (1988): 271). Die Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ bieten sich zur Überprüfung solcher Angaben an. Zu achten wäre allerdings darauf, ob ¡eyhî, wenn er von einer Versetzung berichtet, auch von persönlichen Verhältnissen zu einflussreichen Männern im Staat spricht; dies kann – muss aber nicht – ein Hinweis auf Beförderungen außer der Reihe sein, die nicht dazu herangezogen werden können, das eigentlich vorgesehene System zu rekonstruieren. 201 £NALCIK (1988): 255, 261f., WALLBRECHT (1970): 123, Hans Georg MAJER (1974): "Herkunft und Volkszugehörigkeit muslimischer Amtsträger als historisches Problem in der Osmanistik". In: Klaus-Detlef Grothusen (Hg.): Ethnogenese und Staatsbildung in Südosteuropa, Göttingen, S. 40-51: 46. Diese kurze Amszeit ist einerseits durch das Missverhältnis von freien Stellen und geeigneten Kandidaten, also als wesentlicher Teil des Rotationssystems, zu erklären, diente aber zudem der Kontrolle. Es sollte verhindert werden, dass sich die von Istanbul bestellten Kadi in die lokale Gesellschaft ihres Gerichtsbezirkes integrierten und zu mächtig wurden. Das ist wohl nicht immer gelungen, so schreibt £nalc¤k (£NALCIK (1988): 264), dass viele der lokalen Notablen (ayan) im 18. Jahrhundert Mitglieder ehemaliger Kadiund Kazaskerfamilien gewesen sind. 202 £NALCIK (1988): 261f., 270.

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nach sehr kurzer Zeit abgesetzt, die Wartezeit scheint allerdings weniger lang gewesen zu sein.203 Dieses Rotationssystem für beide, Müderris- und Kadihierarchie,204 war ein Mittel des Osmanischen Staates, die starke Konkurrenz auf Stellen in der £lmiye zu verringern. Schließlich war die vorgelagerte Selektion durch mülâzemet und rüus quantitativ unzureichend – sie konnten den großen Andrang auf Ämter nicht eindämmen. Sowohl die beiden Laufbahnen wie auch das Rotationssystem spiegeln sich in den Amtslisten. Während es für die unteren Hierarchiestufen zwei dieser Register gab (je eines für die beiden Kazasker), existierte für die hohen, vom ¡eyhülislam ins Amt berufenen Ulema, ein zentrales Register.205 Aus der Literatur ist nicht genau nachzuvollziehen, wie diese Amtslisten, die einzelnen defter, aussahen. Es scheint, als würden die Einträge in verschiedene Unterregister, die als tarik defteri zusammengefasst wurden, in ruznâmçe defterleri verzeichnet. In diese würden – der £lmiyehierarchie gemäß – an oberster Stelle der ¡eyhülislam, das Oberhaupt der religiösen Ordnung des Reiches, und ihm folgend die beiden Heeresrichter verzeichnet. Anschließend würden alle ein Kadiamt und eine Stelle als Müderris inne habenden Ulema getrennt und der Hierarchie ihrer Ämter gemäß aufgelistet, wobei anzunehmen ist, dass die Ulema eines Ranges chronologisch aufgeführt wurden. Bei einer Versetzung hätte sich ein Alim folglich in die seinem neu erworbenen Rang entsprechende Liste eingeschrieben und gewartet, bis die über ihm verzeichneten Ulema, die denselben Rang zu einem früheren Zeitpunkt erworben hatten, aus dieser Stufe der Hierarchie (etwa durch Beförderung oder Tod) ausgeschieden wären, um dann den nächsten frei werdenden Posten zu erhalten. Datum der Amtseinsetzung, Name des betreffenden Alim und Amtsende, manchmal auch der Grund des Ausscheidens, wurden in den Amtslisten ebenso aufgeführt wie der Status jedes Gelehrten im Zeitraum, den das Register umfasste. Man kann unterscheiden zwischen Ulema, die gerade eine Stelle inne hatten (bilfiil), denen, die aus einem Amt ausgeschieden waren und sich in der Wartezeit bis zur Einsetzung in einen neuen Posten befanden (mazul), und jenen, die einen Titularrang (pâye) besaßen.206 203 Es wäre zu untersuchen, ob dieser anhand der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ gewonnene Eindruck zutreffen ist. 204 £NALCIK (1988): 257. 205 Seit Mitte des 16. Jahrhunderts unterstanden alle Müderris ab der der 40 Akçe Medrese folgenden Stufe ibtida-i hariç (ZILFI (1983a): 311) und alle Kadi ab 300 Akçe Einkommen aufwärts dem ¡eyhülislam, alle Ulema niedrigeren Ranges den beiden Heeresrichtern (£NALCIK (1988): 254). Die Liste der Einsetzungen der Ulema mussten vom Sultan oder in seinem Namen bestätigt werden (ZILFI (1983b): 362). 206 ZILFI (1983a): 311. Zilfis Aufstellung basiert zwar auf nicht genauer datierten Amtslisten seit dem 18. Jahrhundert, doch muss man davon ausgehen, dass keine nennenswerten Unterschiede im Aufbau der Register vom 17. zum 18. Jahrhundert bestanden. Schließlich existier-

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Ulema im Amt: bilfiil oder der Kreislauf einer Gelehrtenkarriere Die mit bilfiil verzeichneten Ulema waren je nach ihrem Rang an einer diesem entsprechenden Medrese Müderris oder einem dem gemäßen kaza Richter. Schieden sie aus ihrem Posten aus, wurden sie im Register als mazul verzeichnet und bewarben sich um den nächsten Posten. Frei werdende Ämter wurden nach dem Prinzip der Seniorität innerhalb der Hierarchiestufe (akdem fi’l-akdem) neu vergeben.207 Der frisch eingesetzte Alim taucht in den Registern nun wieder als bilfiil für ein neues Amt und einen neuen Rang – der selten auch der alte sein konnte – auf. Eingesetzt wurden Müderris wie Kadi durch eine Bestallungsurkunde (rüus,208 berât).209 In diesem Rotationssystem kletterte der Alim Stufe um Stufe die Hierarchie empor. Die täglichen Zuwendungen eines Müderris durch die Stiftung stiegen zwar beim Durchlaufen der Hierarchie, doch brachte nicht jede Beförderung auch finanzielle Veränderungen mit sich. So gab es Unterschiede in Ansehen und Rang verschiedener Stellen, die alle gleich vergütet wurden: Müderris an der Süleymaniye zum Beispiel wurden von einer anderen 60 Akçe Medrese auf diesen Posten berufen – innerhalb der Medresengruppe höchsten Ranges kam der Süleymaniye ein gesonderter, sich nicht im Finanziellen niederschlagender, Rang zu. Ein Alim konnte auch in derselben Medrese befördert werden: ihm wurde ein höherer Rang zugewiesen, er erhielt ein dementsprechendes rüus, unterrichtete aber weiterhin für das selbe Geld am selben Ort.210 Auch Kadi profitierten nicht bei jeder Beförderung finanziell. Aus den Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ geht hervor, dass viele Richter erst nachdem sie mehrere in dieselbe Hierarchiestufe fallende Kadiposten besetzt hatten, in ein Amt höheren Ranges aufstiegen und damit höhere Zuwendungen erhielten. Diese waren durch staatliche Regelungen festgesetzt, ihre Höhe variierte je nach Rang des

207 208 209 210

ten auch im 17. Jahrhundert die Unterteilungen zwischen bilfiil, mazul und pâye als Teil des Rotationssystems der Mitglieder der £lmiye und die Ulema wurden sicherlich dementsprechend in Registern verzeichnet. ZILFI (1983a): 312. Rüus bezeichnet folglich nicht nur die Ernennung an einen der 40 Akçe Medrese folgenden Posten, sondern auch jede spätere Einsetzung in ein Amt als Müderris oder Kadi. UZUN†AR¡ILI (1965): 111-116, MAJER (1979): 220. ZILFI (1983a): 318, Fahri UNAN (1998): "Osmanl¤ £lmiye Tarîkinde 'Paye'li Tâyinler Yahut Devlette Kazanç Kap¤s¤", Belleten, 62, S. 41-64: 46. ¡eyhî berichtet in zahlreichen Fällen von einer solchen Praxis der Beförderung innerhalb derselben Medrese (vgl. etwa die Biographien von Kurd Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.208.2) und Bosnavî ¡aban Efendi (ibid: I.329.2)). Er äußert sich zwar nicht zu möglicherweise veränderten Lohnansprüchen, bedenkt man allerdings, dass die Entlohnung der Müderris genau in der Stiftungsurkunde einer jeden Lehreinrichtung festgeschrieben war, wird klar, dass eine solche Beförderung nicht mit finanziellen Aspekten verbunden gewesen sein konnte – die Aufteilung des Stiftungsvermögens war fix.

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kaza,211 in dem der Kadi eingesetzt war. (Einen beachtlichen Teil der Einnahmen eines Kadi stellten allerdings die Gebühren dar, die er für die verschiedenen juristischen Aufgaben, die er wahrnahm, kassierte. Diese überstiegen nicht selten sein reguläres, von Seiten der Zentralregierung ausbezahltes Gehalt.) Aus der Analyse der Lebensbeschreibungen in den Vekayiü’l-Fudalâ ist ferner ersichtlich, dass nur vereinzelt Ulema, deren Kadikarriere in weniger bedeutenden kaza begann, in hochrangige Richterposten gelangten. Verließ man die Medresenlaufbahn früh, das heißt auf einer niedrigen Stufe und stieg folglich in untergeordnete Posten der Kadilaufbahn ein, so waren die Aufstiegschancen begrenzt. Betrachtet man die Biographien derjenigen, die bis zum Amt eines Kazasker gekommen sind, so ist bemerkenswert, dass sie fast alle erst zu einem sehr späten Zeitpunkt die Müderriskarriere aufgegeben haben und in die juristische Laufbahn umgestiegen sind: 30 der 715 untersuchten Gelehrten ohne Istanbuler Ulemahintergrund haben (mindestens) den Posten des Anadolu Kazaskeri erreicht. Über die Hälfte dieser Ulema war an einer 60 Akçe Medrese tätig, bevor sie Kadi geworden sind, die übrigen hatten, bis auf einige wenige Ausnahmen, eine Müderrisstelle an 50 Akçe Medresen inne. Ebenfalls deutlich wird die herausragende Stellung der Süleymaniye: Über ein Drittel der Kazasker ohne Istanbuler Gelehrtenhntergrund hatten an einer der Medresen des Komplexes, so auch am Dar’ül-Hadis, ihre letzte, der Laufbahn als Kadi vorangehende, Müderrisstelle. Bei den wenigen Kazasker, die bereits sehr früh in ihrer Karriere in die Kadilaufbahn gewechselt haben, scheinen persönliche Kontakte eine entscheidende Rolle bei ihrem raschen Aufstieg gespielt zu haben. Ein Beispiel soll dies illustrieren: Mülakkab Mustafa Efendi,212 Sohn eines Müsliheddin, wurde in Merzifon in der Provinz Sivas geboren. Nach dem Tod seines Lehrers und mülâzemet-Gebers Kazasker Mehmed †e¢mi Efendi heiratete er dessen Tochter. Mülakkab Mustafa Efendi gab bereits nachdem er seine Tätigkeit an einer 40 Akçe Medrese beendet hatte, die Müderriskarriere auf und verrichtete verschiedene kleinere juristische Aufgaben in Rumeli.213 Sein erstes namentlich erwähntes Kadiamt

211 Kaza, der Gerichtssprengel, das Gebiet der Jurisdiktion eines Kadi, variierte in Größe und Bedeutung und davon abhängig in Rang und Lohn. £nalc¤k schreibt, dass ein kaza 30 bis 300 Dörfer umfassen konnte und dass das an ein kaza gebundene Einkommen auf der Basis von 10 Akçe für je 100 Haushalte bemessen wurde (£NALCIK (1988): 263). 212 Gest. 1058 (1648/9) (¡EYHÎ: I.142.2). 213 Wenn ein Müderris nach seinem Ausscheiden aus einer 40 Akçe Medrese in die Kadilaufbahn wechselte, spezifiziert ¡eyhî die ersten Anstellungen nicht, sondern formuliert allgemein, etwa wie im vorliegenden Fall Mülakkab Mustafa Efendis:

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war das von ¡umnu (Šumen, im heutigen Bulgarien), also eines der mittleren Richterämter. ¡eyhî schreibt, dass der Alim aus Merzifon zu dieser Zeit eine enge Beziehung (qarîn intisâb) zu einem Schwiegersohn des Sultans (Sultan Damad¤ Cafer Pa¢a) unterhielt und durch dessen Fürsprache den Posten des Kadi von ¡am zugesprochen bekam – das bedeutete einen enormen Aufstieg, denn ¡am war eines der hochrangigen kaza. Eine solche Beförderung war völlig untypisch und ist nur durch Einflussnahme auf die Besetzungen von Stellen zu erklären. Ohne diesen großen Karrieresprung zum ¡am kad¤s¤ hätte Mülakkab Mustafa Efendi es in seiner Lebzeit mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht geschafft, alle vorgesehenen Posten bis zu dem des Kazasker zu durchlaufen. Auch sein anschließender Aufstieg zum Rumeli Kazaskeri erscheint erstaunlich schnell. Nachdem er aus dem Amt des Kadi von ¡am ausgeschieden war und eine zweijährige Phase als mazul hinter sich gebracht hatte, wurde er (ohne vorher Richter von Mekka, Bursa und/oder Edirne gewesen zu sein) zum Kadi von Istanbul ernannt. Als solcher tat er sich, wie ¡eyhî berichtet, durch die Verbesserung öffentlicher Einrichtungen hervor und wurde noch im selben Jahr zum Rumeli Kazaskeri berufen – auch das ist ungewöhnlich: Mülakkab Mustafa Efendi wurde ohne die üblichen Wartezeiten befördert und erneut übersprang er eine Stufe der Hierarchie, die des Anadolu Kazaskeri, die praktisch immer der des Heeresrichters von Rumelien voranging. Doch konnte der Alim aus Merzifon seinen Erfolg nicht lange genießen: er starb noch im Jahr seines Amtsantritts als Rumeli Kazaskeri bei den Unruhen, die die Thronbesteigung Mehmeds IV. (16481687) begleiteten. Der Fall Mülakkab Mustafa Efendis illustriert, wie jemand, der an einem sehr frühen Zeitpunkt seiner Karriere von der Müderris- in die Kadilaufbahn umgestiegen ist, hohe Ämter erreichen konnte – durch Kontakte. Auch in der Müderrislaufbahn war das Überspringen vorgesehener Stufen nur durch entsprechende Verbindungen möglich. Vorgesehen war, dass sich ein Alim, sei es als Müderris in der Medresenhierarchie, sei es als Richter in der Kadihierarchie, Stufe um Stufe hochdienen musste. Die Frage nach eventuell vorteilhaften Aufstiegschancen für die Söhne Istanbuler Gelehrter gegenüber 'Außenseitern' innerhalb dieses cursus honorum ist also insbesondere eine Frage der Zeit. Wem war es möglich, seine Karriere zu beschleunigen

[Mülakkab Mustafa Efendi] kam an eine 40 Akçe Medrese. Als er aus diesem Amt entlassen wurde, schlug er die juristische Laufbahn ein und wurde in Rumeli an einigen Orten Richter und Hüter der Scharia, bevor er zum Kadi von ¡umnu ernannt wurde.

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Erst wenn der Beschriebene einen Kadiposten in einer größeren Stadt erhielt, wird diese namentlich erwähnt.

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und wie? Neben einer guten und früh begonnenen Ausbildung waren Kontakte und Beziehungen nicht nur für den Erhalt von mülâzemet und rüus, sondern auch für die spätere Karriere von außerordentlicher Bedeutung.

Das Warten auf einen Posten: die Zeit als mazul Spielte die für jeden Schritt in der £lmiyehierarchie aufgewendete Zeit eine entscheidende Rolle, so wäre interessant zu untersuchen, ob sich die Dauer der mazulPhase bei Ulema verschiedener Herkunft unterschied.214 Der Frage kann in dieser Arbeit allerdings nicht nachgegangen werden, da dies eine Analyse sämtlicher Einsetzungen in ein und Entlassungen aus einem Amt aller in ¡eyhî verzeichneten Gelehrten und eine detaillierte Auswertung des gewonnenen umfangreichen Datenmaterials verlangen würde. Im Folgenden soll nur darauf eingegangen werden, wie ein mazul die Wartezeit auf eine neue Stelle überbrückte: Bedeutenden Müderris wurden meist kleinere Kadiamtsbezirke zugesprochen215 oder ein Gehalt ausbezahlt, hochrangige Kadi hingegen erhielten arpal¤k. Arpal¤k waren Richterposten in oft mehreren kaza. Die dem mazul zugesprochenen Bezirke wurden registriert und nicht selten umverteilt und neu zusammengewürfelt. Dem arpal¤k-Inhaber standen die Einnahmen der ihm zugeteilten Gerichtssprengel zu, ihre Höhe variierte in Abhängigkeit seines Ranges.216 Die eigentliche Richterarbeit vollzog der mazul allerdings nur in den seltens-

214 Wie lang diese Wartezeit im Durchschnitt war, ist nicht genau zu bestimmen. Sie betrug im 17. Jahrhundert mehrere Jahre, für das 18. Jahrhundert spricht Zilfi von 5 bis 6 Jahren (ZILFI (1988): 68). Dazu wie die mazul diese Phase verbrachten, welche Schritte für eine neue Stelle nötig waren etc. vgl. £NALCIK (1988): 263-367. und UZUN†AR¡ILI (1988): 87f., 106f. Das letzte Jahr der Wartezeit auf einen neuen Posten musste in Istanbul verbracht werden und wurde mit mülâzemet bezeichnet – damit ist aber nicht die ausführlich diskutierte mülâzemet am Übergang vom dani¢mendlik zum müderrislik gemeint (!), sondern die Anwärterschaft auf einen neuen Posten. Der Begriff mülâzemet bezeichnet im Osmanischen also alle Anwärter auf einen Posten, sowohl auf ein erstes Amt als auch auf ein neues Amt. Man unterschied allerdings, so Repp, trotzdem die Anwärter auf einen ersten Posten immer, teilweise indem man das Wort 'nev ' (neu) anfügte: mülâzimîn-i nev (REPP (1986): 51). In der mit mülâzemet bezeichneten Wartezeit auf ein neues Amt hatte sich der Alim einem der hohen Gelehrten (mawâlî) zu unterstellen und sein Wissen zu erweitern, in der Realität war dies aber keineswegs immer der Fall. Zu mülâzemet in der Karriere eines Kadi vgl. £NALCIK (1988): 267, UZUN†AR¡ILI (1988): 94, 104f. 215 Man nannte diese ma¢iyet (GIBB/BOWEN (1950-57): Bd. 2: 109, MAJER (1978): 26, 201). 216 UZUN†AR¡ILI (1988): 118-121, ZILFI (1983b): 354ff., MAJER (1978): 202, 249-254. Einige Richterämter, die noch im 16. Jahrhundert von einem Kadi verwaltet wurden, vergab man im 17. Jahrhundert zeitweise als arpal¤k, im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wurden sie ausschließlich als arpal¤k vergeben. Über die Jahrhunderte vergrößerte sich außerdem der Personenkreis, dem arpal¤k zugesprochen wurden (ZILFI (1983b): 354).

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ten Fällen selbst; im Regelfall wurde ein naib217 bestellt, der aus den Einnahmen bezahlt wurde und sämtliche anfallenden richterlichen und administrativen Arbeiten verrichtete.218 In einigen Biographien berichtet ¡eyhî von arpal¤k, die als Rente an verdiente Ulema ausgegeben wurden, manchmal auch in Verbindung mit einer Müderrisstelle. †ömez Ahmed Efendi,219 Sohn eines Kaufmanns namens Cafer b. Abdülfettah und in Silifke in der Provinz K¤br¤s im östlichen Südanatolien geboren, bat, nachdem er aus dem Müderrisamt an der Haseki Sultan Medrese in Istanbul ausgeschieden war, um eine Stelle an der Selimiye Medrese in Edirne als Altersposten. Dieser wurde ihm zugebilligt, außerdem erhielt er arpal¤k und Titularränge (pâye).220

Titularränge: pâye Titularränge (pâye) begannen mit dem 17. Jahrhundert an Bedeutung zu gewinnen. Neben anderen bereits aufgezeigten Maßnahmen des Staates sind auch sie als Versuch zu werten, das immer größer gewordende Missverhältnis zwischen Anwärtern auf Ämter und tatsächlich freien Stellen zu korrigieren. Die bereits erwähnte Praxis Müderris innerhalb derselben Medrese zu versetzen und ihnen, ohne das Gehalt anzuheben, eine höhere Position zuzubilligen, ist ein solcher mit pâye bezeichneter Fall. Uryani Ali Efendi221 aus Iznikmid (Izmit) etwa unterrichtete an der †elebi Sultan Mehmed Medrese in Bursa, hatte aber die pâye eines Müderris an der Süleymaniye. Das bedeutete, dass er nach dem Ende seiner Zeit in der †elebi Sultan Mehmed Medrese mit allen an der Süleymaniye unterrichtenden und allen an anderen Medresen mit dem Rang eines Müderris der Süleymaniye tätigen Ulema um eine 217 Das Amt des naib existierte in allen größeren kaza, wobei man zwischen verschiedenen Arten von naib unterscheidet. 218 Neben dem naib, dem Stellvertreter des Kadi, der meist ein einheimischer kleinerer Gelehrter war und diesen Posten über längere Zeit besetzte, gab es eine ganze Reihe von Gerichtsmitarbeitern (vgl. dazu KREISER (1975): 35f., UZUN†AR¡ILI (1988): 117f., 140ff., MAJER (1978): 220f., Halil £NALCIK (1965): "Adâletnâmeler", Belgeler, 2, 3-4, S. 49-142: 76f.). Gerade in nicht türkischsprachigen Gebieten führten naib den Großteil der Prozesse, da oftmals der aus Istanbul bestellte Kadi die Landessprache nicht oder nicht ausreichend beherrschte. 219 Gest. 1091 (1680) (¡EYHÎ: I.476.1). 220 In den Vekayiü’l-Fudalâ finden sich Beispiele dafür, dass die Familie eines verstorbenen Amtsinhabers nach dessen Tod über eine gewisse Zeit Einkünfte aus dessen Amt bezog oder ihr ein arpal¤k zugeteilt wurde. Ein Beispiel: Semin Veli Efendi (gest. 1090 (1679/80) (¡EYHÎ: I.190.2)) aus einem Dorf namens Bazar Köyü in der Nähe von Mara¢ in der südostanatolischen Provinz Dulkad¤r, stieg in der Müderriskarriere bis zur Süleymaniye auf und wechselte anschließend in die Kadilaufbahn. Nach einer Stellung als Kadi von Izmir wurde er zum Üsküdar kad¤s¤ berufen, starb allerdings auf dem Weg zu seinem neuen Posten. ¡eyhî vermerkt, dass Semin Veli Efendis Kinder nach dem Tod des Vaters über zwei Monate den Lohn des Richteramtes von Üsküdar erhielten. 221 Gest. 1112 (1700/1) (¡EYHÎ: II.169.2).

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neue Stelle konkurrierte. Dies konnte in vorliegendem Fall entweder ein Posten als Müderris am Dar’ül-Hadis der Süleymaniye sein, oder, entschied sich der Alim für den Wechsel in die juristische Laufbahn, ein hohes Kadiamt, etwa Selânik, Galata, ¡am, Eyüp oder Yeni¢ehir. Eigentlich richtete sich der Rang eines Kadi wie der eines Müderris nach dem Amt, das der Alim bekleidete. Doch wurde dieser Zusammenhang durch das pâyeSystem, das auch in der Richterhierarchie im 17. Jahrhundert verbreitet war, oft aufgelöst. Abdülhadi Efendi222 etwa, Sohn eines kleinen Provinzkadi in Rumeli namens Beypazar¤ Hasan Efendi, beendete seine Müderriskarriere nach der Sinan Pa¢a Medrese, einer zu dieser Zeit 50 Akçe Medrese in Istanbul, und wechselte in die Kadilaufbahn. Sein erster Posten war das Richteramt von Belgrad, allerdings mit einen höheren Rang, der pâye von Medina. Weiter stieg Abdülhadi Efendi nicht auf. Die Praxis der Vergabe von Titularrängen gewann stetig an Relevanz, im 18. Jahrhundert bedeutete der Erhalt einer pâye eines bestimmten Kadibezirkes praktisch die Vorstufe der tatsächlichen Einsetzung in diese Richterstelle.223 Üblich war außerdem bereits seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, nicht direkt in die £lmiyelaufbahn eingegliederten Ulema, wie dem Leibarzt des Sultans (reisület¤bbâ, hekimba¢¤), seinem Imam (imam-i sultânî) oder dem Nakibüle¢raf, Titularränge zuzubilligen und sie dadurch mit den regulären Mitgliedern der £lmiye auf eine Stufe zu stellen, obwohl sie den vorgesehenen cursus honorum oft nur bedingt absolviert hatten.224

2.4

DIE FREIHEITEN UND ZWÄNGE DER GELEHRTEN

2.4.1

Die Ulema in der osmanischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts

Gelehrtenschaft im Staat oder staatliche Gelehrtenschaft? Betrachtet man Ausbildungsweg und Aufgaben der Ulema im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts, so springt vor allem ein Aspekt ins Auge: Die enge Verquickung zwischen Ulema und Staat.225 Es existierte ein genau vorgeschriebener cursus honorum, alle religiösen Würdenträger, alle Lehrer und Richter wurden vom Divân-¤ Hümayun eingesetzt und aus dem Amt entlassen. Kadi erhielten ein geregeltes monatliches Einkommen, das nicht mit ihrer Person zusammenhing, sondern mit

222 223 224 225

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Gest. 1077 (1666/7) (¡EYHÎ: I.331.1). ZILFI (1983b): 348-356. Ausführlich zu pâye in der osmanischen £lmiye vgl. UNAN (1998). ZILFI (1983b): 355f. Darauf deutet bereits die Unterteilung der Vekayiü’l-Fudalâ nach den Regierungszeiten der Sultane hin.

dem Posten, den sie bekleideten. Auch den Müderris stand ein fest mit ihrem Amt verbundenes Gehalt zu, das allerdings nicht von Seiten der Zentralregierung, sondern durch Stiftungen bereitgestellt wurde. Dass es in der Realität Abweichungen von diesem System gab, dass man manchmal glauben möchte – und diese Entwicklung verstärkte sich offensichtlich im Laufe der Jahrhunderte –, nicht der Alim sei für die Stelle gemacht, sondern umgekehrt die Stelle für ihn, ändert nichts am System als solchen und seiner Besonderheit im historischen Vergleich. Kein anderes islamisches Reich hatte die religiöse Gelehrtenschaft so vollständig in den Staatsaufbau integriert, ihre Mitglieder quasi verbeamtet, sie institutionell, als £lmiye, zu einem zentralen Pfeiler des Staates erhoben. Die osmanischen Ulema bildeten einen Teil der staatlichen Ordnung. Diese systemimmanente Verschränkung von Gelehrtenschaft und Staat, ihre daraus resultierende gegenseitige Abhängigkeit, mag denn auch erklären, warum in der osmanischen Geschichte kaum tiefgreifende Konflikte zwischen Staatsmacht und £lmiye anzutreffen sind.226 In der Regel waren beide Seiten um ein gutes Miteinander bemüht. Viele Sultane zeichneten sich durch besondere Großzügigkeit gegenüber den Ulema aus. Wenn Sultane Gelehrte mit Ehrengewändern ausstatten ließen,227 bedeutete das ein Zeichen großer Anerkennung. Die Herrscher des Staates zollten den Vertretern der Religion in hohem Maße Respekt und waren an ihren Meinungen, auch zu politischen Fragen, interessiert. Während der ¡eyhülislam dem divân des Sultans nur mitunter beiwohnte, nahmen die beiden Kazasker im sultanischen, der Kadi von Istanbul im Mittwochs-divân des Großwesirs einen permanenten Platz ein.228 Die Verwaltung von evkaf oblag im Osmanischen Reich den Ulema und ermöglichte ihnen eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit von der Zentralregierung. Da wohltätige Stiftungen vor staatlichen Eingriffen, vor Konfiszierungen gesetzlich geschützt waren, stellten sie eine verlässliche Einkommensquelle dar. Als Stiftungsverwalter (mütevelli) bestellte Ulema – sie wurden vom Stifter eingesetzt und nicht

226 Zu beobachten ist meistens nur eine indirekte Beteiligung der Ulema an Aufständen oder Konflikten, in vielen Fällen zudem zeitlich verzögert. So etwa bei der Rebellion der Istanbuler Händler, der Männer des Bazars, im Jahre 1651. Zur Rolle der Ulema in dieser Auseinandersetzung vgl. YI (2004): 213-235. 227 Ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert: Halil el-Siddîkî (1098 (1686) in Damaskus – 1173 (1759) in Istanbul) wurde zum Kazasker von Anatolien benannt und Sultan Mustafa III. (1757-1774) ordnete an, dass er mit Zobelpelz bekleidet werde (WALLBRECHT (1970): 125). 228 MAJER (1978): 257. Ortayl¤ berichtet dies auch auf niedrigerer Ebene und schreibt, dass der örtliche Kadi, Mufti oder Nakibüle¢raf Mitglied des divân des Beylerbeyi war (ORTAYLI (1981): 158).

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vom Sultan, es sei denn dieser war mit dem vâk¤f, dem Wohltäter, identisch – konnten sich daher gewisse Freiräume gegenüber dem Staat sichern.229 Doch war der Staat in den meisten Fällen Arbeit- und damit auch Lohngeber230 der osmanischen Gelehrten. Die Ulema standen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Sultan, waren staatlichen Kontrollen unterworfen, verloren – wenn auch oft nur für kurze Zeit – ihr Amt oder wurden in Verbannung (sürgün) geschickt, wenn sie sich illoyal oder zu kritisch verhielten. Indes verliehen ihre Aufgabe und ihr Ansehen als Wahrer der religiösen Ordnung, der Grundlage des Osmanischen Staates, den Ulema legitimatorische Macht. Dieser konnten sich nur in seltenen Fällen oppositionelle Gruppen bedienen, vor allem diente sie der Legitimation des Herrschers. Vor Kriegszügen, bei inneren Unruhen und Maßnahmen gegen in Ungnade gefallene Großwesire etwa, diente ein vom Sultan oder einem von ihm beauftragten Würdenträger angefragtes fetva (Rechtsgutachten) des ¡eyhülislam der Legitimation des staatlichen Vorgehens.231 Der ¡eyhülislam hatte die Aufgabe das Gott gegebene Gesetz für die Gläubigen auszulegen, der Sultan war davon nicht ausgenommen. Das Oberhaupt der osmanischen £lmiye konnte Handlungen des Sultans als dem Koran und der Religion widersprechend geißeln, sogar die Legitimität seiner Herrschaft abstreiten.232 Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es für die Hohe Pforte ein Leichtes war, missliebige Ulema ruhig zu stellen oder gar auszuschalten. An diesem Punkt tritt die Begrenzung der Freiräume der £lmiyemitglieder offen zu Tage: sSelbst der ¡eyhülislam konnte jederzeit vom Sultan abgesetzt werden, mag er dessen Herrschaftsanspruch auch für illegitim gehalten haben – das letzte Wort sprach der Sultan selbst.

229 Richard L. CHAMBERS (1972): "The Ottoman Ulema and the Tanzimat". In: Nikki R. Keddie (Hg.): Scholars, Saints and Sufis. Muslim Religious Institutions in the Middle East since 1500, Berkley u.a., S. 33-46: 35, Richard van LEEUWEN (1994): Notables and Clergy in Mount Lebanon. The KÁzin Sheikhs and the Maronite Church (1736-1840), Leiden u.a.: 33f. Leeuwen betont an anderer Stelle besonders die verbindungsstiftende Funktion von evkaf zwischen Personen einerseits und Hauptstadt und Provinz andererseits (LEEUWEN (1999): 125, 130f., 134, 149). Vgl. hierzu ferner DEGUILHEM (2002). 230 Zwar wurden nur Kadi aus der Staatskasse bezahlt, in Ämter eingesetzt und aus Ämtern entlassen wurden allerdings sowohl Kadi als auch Müderris vom Staat. 231 Ein Beispiel erwähnt Ogier Gislain von Busbeck in dem ersten seiner Briefe aus Konstantinopel: Süleyman forderte ein fetva vom ¡eyhülislam an, bevor er seinen Sohn Mustafa, den damaligen Stadthalter von Amasya, erdrosseln ließ (BUSBECK (1926): 38f.). Auch in den Vekayiü’l-Fudalâ finden sich Beispiele; so holte man etwa ein fetva ein, bevor man den konspirativer Machenschaften beschuldigten Sadreddinzade Ruhullah Efendi (¡EYHÎ: I.283.1) exekutierte. Ausgestellt wurde das Rechtsgutachten von ¡eyhülislam Esirî Mehmed Efendi. 232 So im Fall Mehmeds IV. (1648-1687). Das fetva des damaligen ¡eyhülislam rechtfertigte die Absetzung des Sultans damit, er erfülle die ihm obliegenden Pflichten nicht.

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Über das Ansehen der Ulema in der osmanischen Gesellschaft Die Ulema waren privilegiert, besaßen womöglich so viele Freiräume wie keine andere gesellschaftliche Gruppe und waren sich ihrer Sonderstellung wohl bewusst.233 Die enge Bindung der Gelehrten an den Staat wurde allerdings sowohl innerhalb der £lmiye als auch in der Bevölkerung zum Teil skeptisch betrachtet. Während Müderris sehr hoch geschätzt wurden,234 trat man Kadi, den Organen des Staates und Vertretern der Scharia, mitunter misstrauisch entgegen.235 Über die Anerkennung eines Alim entschied weniger die konkrete Position, als sein Wissen und seine Religiosität.236 Mustafa Ali, der bekannte osmanische Geschichtsschreiber des ausgehenden 16. Jahrhunderts, entwirft ein Bild der zeitgenössischen Gesellschaft, das Aufschluss über die Wertschätzung der Ulema insgesamt, aber auch der Müderris und Kadi im Vergleich erlaubt.237 Interessant ist dabei, dass er die von Seiten des Staates oder Stiftungen vergüteten Amtsträger in Gruppen untergliedert, die sich nicht durch die 233 £nalc¤k schreibt in Bezug auf Ta¢köprüzade: "The ulema considered themselves higher than the umerÁÞ in terms of dignity and rank […]" (£NALCIK (1988): 258). 234 Wie hoch geachtet viele Ulema in der Bevölkerung waren, zeigt sich an einer von el-Murâdî überlieferten Geschichte. Als der besonders angesehene Gelehrte Muhammad el-Sîndî 1138 (1725) in Medina starb, trauerte ein ganzer Stadtteil: man arrangierte einen sehr großen Trauerzug, an dem auch Frauen teilnahmen, Honoratioren den Sarg trugen und die Läden geschlossen blieben (WALLBRECHT (1970): 192). 235 REPP (1972): 30, SOHRWEIDE (1981): 381. Als Vergleich sei das husainidische Tunesien herangezogen, über das Brown schreibt: "The muftis and leading qadis clearly rated high on the social scale, but there was nevertheless a certain lingering suspicion about such positions whose incumbents were beholden to government and obliged to concur in, or at least overlook, its actions which violated the shari’a." (L. BROWN (1972): 70). An einem Beispiel illustriert der Autor, dass ein tunesischer Kadi jener Zeit es als nicht ziemlich betrachtete, engen Kontakt mit der Bevölkerung zu unterhalten. So kam ein ehemaliger Kadi erst nach dem endgültigen Beenden seiner Laufbahn erstmals mit seinem langjährigen Friseur ins Gespräch und erklärte diesem über das veränderte Verhalten seines Kunden irritierten Mann, dass er ja jetzt in Ruhestand sei und von nun an frei normale soziale Beziehungen führen könne (L. BROWN (1972): 68f.). Inwieweit sich dies auf osmanische Verhältnisse übertragen lässt, wäre zu überprüfen, ähnliche Vorstellungen sind allerdings zu erwarten. 236 Welche Rolle die Herkunft eines Alim für dessen Wahrnehmung von außen hatte, müsste genauer untersucht werden. Dass Seyyid besondere Ehrerbietung genossen, ist anzunehmen, dass sie ihre Nachkommenschaft des Propheten aber automatisch zu angesehenen Religionsgelehrten machte, nicht. Auch sie mussten sich religiöses Wissen aneignen und, wie ¡eyhî zeigt, den ganz normalen cursus honorum eines osmanischen Alim absolvieren. Ihre Position war anders als die der Prophetennachkommen im Südlibanon, wo die Autorität der Seyyid in religiösen Fragen auf ihrer Abstammung und nicht auf ihrem erworbenen Wissen gründete (K. BROWN (1972): 132, in Bezug auf E.L. Peters (1963): "Aspects of Rank and Status among Muslims in a Lebanese Village". In: J. Pitt-Rivers (Hg.): Mediterranean Countrymen, Paris, S. 159-200)). 237 Andreas TIETZE (1982): "Mustafa ‘ÀlÐ on luxury and the Status Symbols of Ottoman Gentlemen", Studia turcologica memoriae Alexii Bombaci dicata, Neapel, S. 577-590.

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Mitgliedschaft in Seyfiye, Kalemiye oder £lmiye unterscheiden, die sich auch nicht am Einkommen orientieren, sondern auf soziale Werte abheben: Mustafa Ali beschreibt die Wohnverhältnisse, die er für jede Gruppe für angemessen erachtet. Basiert diese Aufstellung auch auf seiner persönlichen Perspektive, so lässt sie sich doch als Indikator für gesellschaftlichen Rang und Ansehen verstehen. Danach werden dani¢mend mit Sipâhî und Auszubildenden in den sultanischen Büros, Provinzkadi mit Zuwendungen bis zu 150 und Müderris bis zu einer 50 Akçe Medrese mit zaîm238 und den Sekretären des divân als auf einer Stufe stehend betrachtet. Müderris bis zu einer 60 Akçe Medrese stellt Mustafa Ali Aºa, ümerâ und den Söhnen von Beylerbeyi gleich und dem Kadi von Istanbul, den beiden Kazasker sowie dem ¡eyhülislam spricht er ebenso fünf Zimmer zu wie Beylerbeyi und defterdâr. Allein an der Tatsache, dass Müderris trotz ihrer deutlich geringeren Bezüge mit den hohen Vertretern der Seyfiye und Kalemiye als ebenbürtig betrachtet werden, macht den großen Respekt vor der ehl-i ilm deutlich.

Gesellschaftliches Miteinander und der Alltag osmanischer Gelehrter Wie die finanziellen Verhältnisse (neben den regulären Einkünften aus Ämtern, also dem Lohn und den erhobenen Gebühren, spielten arpal¤k und vak¤f-Einkünfe eine zentrale Rolle) sowie die Wohn- und Alltagskultur der Ulema des 17. Jahrhunderts aussah, ist aus dem Werk ¡eyhîs nicht zu rekonstruieren. Die Lebenswirklichkeit der Gelehrten seiner Zeit darzustellen, war nicht das, was er mit seinem Werk bezweckte. Neben Reiseberichten, Briefen, sultanischen Erlassen und anderem könnten vor allem Erbschaftsregister (kassam sicilleri) Aufschluss über die Lebensumstände liefern.239 Soziale Kontakte pflegten die Gelehrten des 17. Jahrhunderts insbesondere mit den Mitgliedern der £lmiye, mit Dichtern, ¡eyh und anderen intellektuell Interessierten. ¡eyhî erwähnt an vielen Stellen freundschaftliche Beziehungen zwischen Ulema und durch zeitgenössische Berichte wissen wir von der Vorliebe Abende, vor allem freitags, gemeinsam zu verbringen; man veranstaltete Lesungen, Dichterabende oder einfach Gesprächsrunden.240 Eine Einladung zu einem Freund nach Hause lehnte man nur ungern ab, war man verhindert, wurde die Entschuldigung

238 Zaîm stellten einen Teil der Provinzialtruppen und waren Inaber von Großpfründen. Diese sicherten ihnen zwar ein höheres Einkommen, nicht aber einen höheren Rang als Sipâhî, die über ein timar verfügten (Klaus KREISER (2001): Der Osmanische Staat, 1300-1922, München: 56). 239 Majer untersuchte anhand von Nachlassregistern die finanzielle Situation der Familie U¢akîzade, Seyrekzade und anderer (MAJER (1978): 182-191). 240 WALLBRECHT (1970): 173-178, Gülgün ܆EL-AYBET (2003): Avrupal¤ Seyyahlar¤n Gözünden Osmanl¤ Dünyas¤ ve £nsanlar¤ (1530-1699), Istanbul: 159-162, 169.

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oft poetisch verpackt.241 Es war nicht nur üblich sich gegenseitig zu besuchen und Freundschaften zu pflegen, sondern auch familiäre Bande zu knüpfen und Heiraten zu arrangieren. Dieser intensive Kontakt ist einer der Gründe weswegen ich, wenn ich von Istanbuler Gelehrten spreche, die in Eyüp und Üsküdar ansässigen Ulema einbeziehe, obwohl beide Orte am inneren Goldenen Horn und auf der asiatischen Seite des Bosporus im 17. Jahrhundert nicht wie heute Stadtteile Istanbuls waren. Ein weiteres Argument dafür findet sich bei ¡eyhî selbst. So gibt der Autor der Vekayiü’l-Fudalâ an einigen Stellen die Herkunft eines Alim mit Istanbul an, um nachfolgend zu präzisierten, es handele sich um Eyüp oder Üsküdar.242 Innerhalb Istanbuls selbst wird dieses weitgehend Ulema-interne Beziehungsgeflecht ebenfalls an der Wohnsituation deutlich. In vielen Städten des Reiches243 konzentrierten sich die Gelehrten traditionell auf zentrums- und marktnahe Viertel, dort befanden sich meist auch die wichtigen Stiftungskomplexe mit Moscheen, Medresen und anderen Einrichtungen. In Istanbul war das der Distrikt Fatih.244 Die enge Nachbarschaft mag den ein oder anderen Grundstock für spätere Freundschaften und Patronageverhältnisse gelegt haben. Nicht nur die Häufung der Ausbildungsstätten, auch die möglichen Kontakte mögen für Aspiranten auf £lmiyeämter ein Anreiz gewesen sein, sich in der Umgebung der alteingesessenen Istanbuler Ulemafamilien niederzulassen – sofern man es sich leisten konnte. In diesen Beziehungen mag eine Ursache dafür liegen, dass Gelehrte Kadiämter mitunter ablehnten.245 Gibt ¡eyhî auch nur Alter, Schwäche, Gebrechlichkeit oder Krankheit als Grund für ein solches Verhalten an,246 so sind doch weitere Erklärungen denkbar. Es wäre nachvollziehbar, wenn der Alim Istanbul nicht verlassen wollte – man muss sich vor Augen halten, dass gerade ein hauptstadtfernes Kadiamt Nachteile mit sich brachte: Es war zwar auf eine absehbare Zeit begrenzt, doch konnte der Gelehrte für die Dauer, die er das Richteramt bekleidete, nicht in den hauptstädtischen Zirkeln weilen, wichtige Kontakte pflegen und darauf acht geben, dass die eigene Familie und Entourage ihren Einfluss bewahrte. 241 Ein Beispiel dafür findet sich etwa in WALLBRECHT (1970): 174. 242 Vgl. etwa die Biographien von Reisület¤bbâ Zeynülabidîn (¡EYHÎ: I.132.1) und ¡ârih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi (ibid: I.499.2.)). 243 Etwa Aleppo, Kairo oder Damaskus. Zu Damaskus vgl. SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985): 13f., WALLBRECHT (1970): 163. 244 Zilfi (1988): 44, 75n. Betrachtet man eine Karte Istanbuls, in der die Moscheen, Medresen und anderen religiösen Stiftungen verzeichnet sind, so wird die besondere Lage dieses Distrikts deutlich (vgl. etwa Wolfgang MÜLLER-WIENER (1977): Bildlexikon zur Topographie Istanbuls. Byzantion - Konstantinupolis - Istanbul bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, Tübingen.). 245 Biographien von Cüzhan £dris Efendi (¡EYHÎ: I.192.2) und Sanî £brahim Efendi (ibid: I.204.1). 246 Biographie von Sirecizade £brahim Efendi (¡EYHÎ: I.488.1).

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2.4.2

Die osmanischen Ulema des 17. Jahrhunderts im Spiegel der Zeit

Die Ulema als Vorbild? Über den Lebenswandel der Gelehrtenschaft und dessen Darstellung in zeitgenössischen Quellen Jeder Muslim ist vom Koran angehalten, sich Kenntnisse über seine Religion anzueignen, ein Alim diente dabei den anderen als Vorbild. Sein Glaube und sein alltägliches Verhalten, seine Lebensführung,247 wurden nicht selten als Spiegelbild des Zustands der Gesellschaft überhaupt betrachtet. Dabei war der Lebenswandel osmanischer Ulema nicht immer vorbildlich. ¡eyhî liefert dafür einzelne Anhaltspunkte: Bali Efendizade Mehmed Efendi248 war der Sohn eines aus Bosnien nach Istanbul gekommenen und dort in die Gelehrtenlaufbahn eingestiegenen Mannes. ¡eyhî berichtet, der Alim sei Tabak rauchend mit dem Boot zwischen Istanbul und Be¢ikta¢ unterwegs gewesen, als der Sultan ihn entdeckte und seine Sucht damit bestrafen ließ, den voll bekleideten Bali Efendizade Mehmed Efendi in den Bosporus werfen, aber auch wieder herausziehen zu lassen. Über einen weiteren Gelehrten weiß ¡eyhî schlimme Dinge zu berichten. Auch hier war es der Vater,249 der in die Hauptstadt kam und Alim wurde. Sein Sohn250 folgte ihm auf diesem Weg, doch verfiel er der Drogensucht. ¡eyhî schreibt nach den lobenden Worten am Ende der Lebensbeschreibung: Allerdings war er dem ber¢ [aus Hanfblättern und Opium bestehendes Präparat] und Opium verfallen, was ihn zu einem richtigen Genussmenschen machte.

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In zeitgenössischen Schriften wird weniger die Drogensucht der Ulema beklagt – man sollte davon ausgehen, dass es sich hier um Einzelfälle handelte – als vielmehr ihr Verhalten überhaupt, das ihrem Stand als nicht angemessen empfunden wurde. In den Quellen, gerade seit dem späten 16. Jahrhundert, werden die Ulema für das Abfallen der Moral und des Wissens in der Gesellschaft, schlussendlich für die

247 Brown beschreibt – und hier lassen sich sicherlich zahlreiche Parallelen zu Vorstellungen im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts ziehen –, was ein vorbildlicher Lebenswandel eines tunesischen Alim in der husainidischen Zeit bedeutete (L. BROWN (1972): 66ff.). 248 Gest. 1084 (1673/4). Seine Biographie findet sich in den Vekayiü’l-Fudalâ (¡EYHÎ: I.399.3), doch ging nicht er, sondern sein Vater Bosnavî Bali Efendi (¡EYHÎ: I.511.3) in diese Untersuchung ein. 249 Biographie von Kas¤mzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.140.1) aus Aleppo. 250 Biographie von Kas¤mzade Abdullah Efendi (¡EYHÎ: I.472.1). Vgl. dazu ferner MAJER (1978): 176f. sowie zu Rauschmitteln Hans Joachim KISSLING (1957): "Zur Geschichte der Rausch- und Genußgifte im Osmanischen Reich", Südostforschungen, 16, S. 342-356.

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Krise des Osmanischen Staates insgesamt verantwortlich gemacht – Argumente, die oft ungeprüft in die Forschungsliteratur des 20. Jahrhunderts übernommen wurden und mit denen die lange die Osmanistik bestimmende These des 'Niedergangs' des Osmanischen Reiches nach Süleyman I. (1520-1566) unter anderem begründet wurde.251 Im Kontext dieser Arbeit einzig interessant ist die zeitgenössische Bewertung der £lmiye und ihrer Mitglieder.

Wie schlimm stand es um die £lmiye wirklich? Einige Anmerkungen zur nasihat-Literatur seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert Die tragikomische Lebensbeschreibung des Alim Selânik Uºrusu Abdurrahman Efendi ist unter verschiedenen Gesichtspunkten interessant, führt sie doch gleich mehrere der von zeitgenössischen Kritikern aufgezeigten und verurteilten Missstände auf, etwa die Einsetzung in ein Amt mit Hilfe von Geld. Selânik Uºrusu Abdurrahman Efendi252 aus Bolu in Anatolien, studierte zunächst unter den Gelehrten seiner Heimatregion ('diyar-i ulema'). Anschließend ging er nach Istanbul, erhielt einige Zeit später eine mülâzemet vom Kazasker £smeti Mehmed Efendi und absolvierte die 40 Akçe Medrese als Müderris. Auf interessante, an anderer Stelle noch ausführlich zu besprechende Weise wurde er zum Kadi von Selânik bestellt, musste dafür allerdings – wie ¡eyhî schreibt – acht kise ( )253 Akçe bezahlen. Da der Alim aus Bolu nicht so viel Geld besaß, füllte er acht kleine Beutel mit Hufeisen und bedeckte sie mit ein paar Münzen. Doch fiel sein Betrug auf, Abdurrahman Efendi wurde bestraft: Er erhielt nicht den Kadiposten von Selânik, sondern den Spitznamen Selânik Uºrusu (der Dieb von Selânik) und blieb über 10 Jahre ohne Ernennung. Seine Laufbahn beendete er am Dar’ül-Hadis der Cafer Aºa Medrese in Istanbul. Der Vorwurf des Ämterkaufs findet sich durchgehend in den osmanischen Traktaten der Zeit, nur ist die Lebensbeschreibung des Selânik Uºrusu Abdurrahman Efendi die einzige der 715 analysierten Biographien aus den Vekayiü’l-Fudalâ, in der ¡eyhî dieses Problem anspricht. Dass der Aufsteiger aus Bolu allerdings auch der einzige dieser vielen aufgeführten Ulema war, der durch Zahlung von Geld zu



251 Diese These wurde verstärkt in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Frage gestellt und in dieser Form verworfen. In Abou-El-Hajs Buch The Formation of the Modern State von 1991 geht es im Wesentlichen um eine Neubewertung dieser Zeit, wie sie sich allerdings auch in zahlreichen anderen Werken neueren Datums findet – doch noch immer nicht überall, ein Beispiel dafür ist Halaçoºlu (Yusuf HALA†O¹LU (2003): XIV–XVII. yüzy¤llarda Osmanl¤larda devlet te¢kilât¤ ve sosyal yap¤, 5. Aufl., Ankara: z.B. 138). 252 Gest. 1077 (1666/7) (¡EYHÎ: I.336.2). 253 Nach Pakal¤n (PAKALIN (1946-54): "kise") betrug ein kise in der Mitte des 17. Jahrhunderts 40.000 Akçe. Der Kadi von Selânik erhielt täglich 500 Akçe (UZUN†AR¡ILI (1988): 95f.). Es handelte sich also um eine stattliche Summe.

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einem Posten kommen wollte, ist kaum anzunehmen, vielmehr, dass er der einzige oder einer der wenigen war, bei denen dieser Versuch misslungen ist. Es ist nicht zu erwarten, dass viele, die das Geld nicht besaßen, einen solchen Betrug wagten, wohl aber, dass Söhne reicher Väter hierin eine Chance für einen schnellen Aufstieg in der £lmiye sahen und ihre finanziellen Mittel gezielt einsetzten. Der arme Selânik Uºrusu Abdurrahman Efendi hatte diese Möglichkeit nicht, versuchte zu betrügen und zeigte damit in einem weiteren Punkt genau jenes Verhalten, das in den zeitgenössischen Traktaten so scharf verurteilt wurde. Nicht nur, dass es das System des Ämterkaufs gab254 und er sich daran beteiligte, er versuchte dies außerdem mit unlauteren Methoden. Was den Mitgliedern der £lmiye vorgeworfen wurde, lässt sich unter den Begriffen Nepotismus,255 Ämterkauf und Korruption,256 Amtsmissbrauch,257 fehlendes Wissen,258 Verantwortungslosigkeit259 und mangelnde Moral260 bündeln.261 Doch 254 REPP (1972): 30. Dieses System, unter dem Mustafa Ali auch selbst einige Male in seinem Leben zu leiden hatte, wurde von dem 1600 verstorbenen Autor in einigen seiner Traktate aufs heftigste verurteilt (FLEISCHER (1986): 62, 96). 255 Bzgl. Mustafa Ali und Koçu Bey vgl. ABOU-EL-HAJ (1991): 27, 55f., bzgl. Mustafa Ali vgl. FLEISCHER (1986): 202, 305, bzgl. Koçu Bey vgl. ATAY (1983): 183, ausführlich zu Korruption (rü¢vet) in der £lmiye vgl. Ahmet MUMCU (1969): Osmanl¤ Devletinde Rü¢vet (Özellikle Adlî Rü¢vet), Ankara: 125-155. 256 ABOU-EL-HAJ (1991): 39, ZILFI (1988): 30, bzgl. Koçu Bey und Mustafa Ali vgl. ABOU-ELHAJ (1991): 37, Appendix A: 74, bgzl. eines Traktats vom Ende des 16. Jahrhunderts, eines um 1620 entstandenen Werkes mit dem Titel 'kitap-i müstetab' und eines weiteren um 1640 verfassten 'nasihatname' eines Anonymus vgl. Hans Georg MAJER (1980): "Die Kritik an den Ulema in den osmanischen politischen Traktaten des 16.-18. Jahrhunderts". In: Halil £nalcik und Osman Okyar (Hg.): Türkiye’nin Sosyal ve Ekonomik Tarihi (1071-1920). (Birinci Uluslararas¤ Türkiye’nin Sosyal ve Ekonomik Tarihi Kongresi Tebliºleri. Hacettepe University, 1977), Ankara, S. 147-55: 148f. 257 Bzgl. Mustafa Ali vgl. FLEISCHER (1986): 202ff. Am geeignetsten zur Untersuchung von Amtsmissbrauch sind Beschwerden der Bevölkerung. In adaletnâme, ¢ikayet defterleri und anderen Dokumenten finden sich Beschwerden und Petitionen aller Art sowie die anschließend getroffenen Maßnahmen von Seiten des Staates. Besonders schwer ins Gewicht fallen Vergehen von Kadi oder naib, die unverhältnismäßig hohe oder schlicht unzulässige Gebühren einzogen. Zu dieser Thematik vgl. UZUN†AR¡ILI (1988): 117, BARKEY (1994): 106f., FAROQHI (1986): 26-33, £NALCIK (1965): 75-79. In den meisten Fällen hatten Verfehlungen im Amt aber nur zeitlich begrenzte Konsequenzen für den bestraften Alim (vgl. etwa die Biographie von Velizade Abdurrahman Efendi (¡EYHÎ: I.43.2)). Vgl. dazu auch ZILFI (1983b): 360. Selten endete Amtsmissbrauch tödlich, wie bei Kaplan Pa¢a £mam¤ Ömer Efendi (¡EYHÎ: I.495.3). Als Kadi von Bosna zog er unzulässige Gebühren von der Bevölkerung ein, hielt sich anschließend nicht an den sultanischen Befehl, dies zu unterlassen und wurde von der aufgebrachten Bevölkerung umgebracht. Sein naib, sein kethüda und weitere neun seiner Angestellten wurden nicht verschont. 258 Bzgl. Mustafa Ali vgl. FLEISCHER (1986): 301. 259 Einige von dem heftig kritisierten ¡eyhülislam Feyzullah Efendi im späten 17. Jahrhundert stammende Instruktionen können exemplarisch für den Vorwurf der Laxheit und des man-

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war das nichts Neues, wie einen die Verfasser jener Schriften glauben machen wollen. Studiert man die Quellen, wird deutlich, dass es auch in der von vielen dieser Autoren zum Ideal stilisierten Zeit Süleymans I. (1520-1566) solche Verfehlungen von Ulema gegeben hat.262 Wie ist dann aber die verstärkte Klage über diese Zustände erst seit der Spätzeit Süleymans I. zu erklären? Ein wichtiger Grund war die Verschärfung der Missstände oder die größere Relevanz. Das bis in jene Zeit expandierende Osmanische Reich benötigte zur Administration einen großen Corpus an gut ausgebildeten Beamten, an Müderris und Kadi. Als sich ein festes System allerdings etabliert hatte und die Stellen besetzt waren, bot die £lmiye, wie auch die anderen Bereiche der staatlichen Verwaltung, nicht mehr unbegrenzte Möglichkeiten. Es gab weit mehr Anwärter auf Ämter als offene Stellen, die Versuche den Ansturm zu bremsen waren unzureichend, um jeden Posten wurde scharf konkurriert. Dass unter diesen verschärften Bedingungen häufiger auf unlautere Methoden zurückgegriffen wurde, ist kaum anzuzweifeln. Hinzu kamen die schwierige politische, militärische, wirtschaftliche und soziale Situation der Zeit. Militärische Niederlagen, Münzverschlechterung, Aufstände – hier sind an erster Stelle die unter celâlî isyanlar¤ zu subsumierenden Rebellionen in Anatolien zu erwähnen –, Landflucht und anderes bestimmten das politische und soziale Leben im Reich. Betrachtet man die zeitgenössischen Quellen kritisch, geben sie interessante Informationen über die Gesellschaft der Zeit, aber auch über die Schreiber selbst. Die beiden bekanntesten Autoren sind Mustafa Ali263 und Koçu Bey,264 einem der

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262

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gelnden Pflichtgefühls mehrerer Gelehrter in Amt und Würden, aber auch der Bevölkerung gewertet werden (ABOU-EL-HAJ (1991): Appendix C: 92) Bzgl. Mustafa Ali vgl. etwa FLEISCHER (1986): 160, bzgl. Koçu Bey vgl. etwa MAJER (1980): 149. Die den Ulema seit dem späten 16. Jahrhundert entgegengebrachte Kritik ist relativ ausführlich in der Literatur der letzten Jahrzehnte behandelt worden. "Verhältnismäßig wenig wissen wir über die Legitimations- und Rechtfertigungsstrategien der Kritisierten in demselben Diskurs" schreibt Neumann in einem Aufsatz, der Briefe von Mitgliedern der £lmiye dieser Zeit analysiert und eben diese Wahrnehmung der Gegenseite beleuchtet (Christoph K. NEUMANN (2002): "Freundschaft und Karriere. Zwei Briefe †elebi-zade £smail As¤ms zu Verhalten und Fehlverhalten führender ulema". In: Sabine Prätor und Christoph K. Neumann (Hg.): Frauen, Bilder und Gelehrte. Studien zu Gesellschaft und Künsten im Osmanischen Reich. Festschrift Hans Georg Majer, 2 Bde., Istanbul, S. 603-627: 606). ABOU-EL-HAJ (1991): 33ff., KUNT (1983): XV, £NALCIK (1988): 261. Vgl. dazu ferner die bereits besprochene Möglichkeit des Erhalts einer mülâzemet durch Kauf, auch im 16. Jahrhundert (Kapitel 2.2.5). Gelebt von 1541-1600. Die zentralen Gedanken seiner 'risale' finden sich zusammengefasst in ABOU-EL-HAJ (1991): Appendix A: 73-78. Ausführlich behandelt werden Mustafa Ali, sein Werdegang, seine Gedankenwelt und seine Traktate von FLEISCHER (1986). Vgl. Außerdem TIETZE (1982).

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weniger bekannten, Muha¢¢i ¡ihâb Efendi,265 auch el-Hafâcî genannt, hat ¡eyhî eine Biographie gewidmet. El-Hafâcî wurde von seinem Vater und verschiedenen ägyptischen Gelehrten, darunter seinem Onkel mütterlicherseits, unterrichtet. Eine Pilgerreise nach Mekka verband er, wie viele andere Hac¤ auch, mit einem Studienaufenthalt und frequentierte für eine gewisse Zeit die Zirkel der dortigen Gelehrten. Kaum zurück in Kairo, machte sich el-Hafâcî auf, seine Heimat zu verlassen, um sein Studium bei den 'ulama-i Rûm' in Istanbul fortzusetzen. Er erwarb eine mülâzemet, verließ die Laufbahn des Lehrenden aber nach der 40 Akçe Medrese und erhielt nacheinander mehrere kleine Posten als Richter in Rumeli. Erstes namentlich genanntes Kadiamt ist das von Siroz (bei Selânik), es folgten Rhodos und Gümülcine (bei Edirne). Während dieser Jahre beendete el-Hafâcî eines seiner Werke, das er über Kap¤dan Mustafa Pa¢a dem Sultan zukommen ließ und das ihm einen beachtlichen Aufstieg in der Karriere bescherte: er wurde zum Kadi von Selânik ernannt. (Das zeigt uns, dass ein Aspirant auf hohe Posten durch das gekonnte Abfassen von Schriften den Sultan bei den im letzten Schritt durch ihn zu bestätigenden Einsetzungen in Ämter durchaus positiv stimmen konnte.) Anschließend wurde el-Hafâcî M¤s¤r kad¤s¤, allerdings noch im gleichen Jahr wieder enthoben, woraufhin er nach Istanbul zurückkehrte. Ganz offensichtlich hatte er nach seiner Ankunft in der Hauptstadt nicht nur die Unverschämtheit besessen, den ¡eyhülislam nicht zu besuchen, er hatte ihn außerdem in aller Öffentlichkeit kritisiert. Der zeitgenössische osmanische Geschichtsschreiber Naima berichtet von weiteren Verfehlungen des Alim aus Kairo266 – el-Hafâcî wurde in seine Heimat ins Exil geschickt. Dort verbrachte er den restlichen Teil seines langen Lebens (¡eyhî schreibt, er sei über 100 Jahre alt geworden). Finanziell versorgt durch arpal¤k, ausgezeichnet mit hohen Titularrängen (pâye), studierte er die religiösen Wissenschaften und beschränkte sich auf die Lehre. ¡eyhî vermerkt, dass er zwar wegen seines großen Wissens geehrt, wegen der Strenge seiner richterlichen Urteile aber gefürchtet wur264 Gest. um 1650. Seine zentralen Gedanken finden sich zusammengefasst in ABOU-EL-HAJ (1991): Appendix B: 79-89. Sowohl eine Aufstellung weiterer Autoren, ihrer Traktate und ihres zentralen Gedankenguts als auch eine historische Einordnung und kritische Bewertung des Materials findet sich in MAJER (1980). Außerdem diskutiert wird diese mit erwähnten Autoren aufgekommene Strömung der nasihat-Literatur in FLEISCHER (1986): 101ff. 265 Sein in den Vekayiü’l-Fudalâ gegebener Name lautet: Fazil Ahmed b. Mehmed b. Ömer e¢¡ehir b. ¡ihâbeddîn el-Hafâcî el-Misrî el-Hanafî, gest. 1069 (1658/9) (¡EYHÎ: I.267.1). AbouEl-Haj gibt eine Zusammenstellung der Lebensbeschreibung el-Hafâcîs nach ¡eyhî (ABOUEL-HAJ (1991): Appendix D: 99f.). Zu el-Hafâcîs Werken vgl. auch Ralf ELGER (2004): "Autobiographical maqâmât of the 17th and 18th Centuries: A nearly typically Egyptian Genre". In: Daniel Crecelius und Muhammad Husam al-Din Ismail (Hg.): Papers from the Third Conference for Ottoman Studies in Egypt, Kairo, S. 61-73. 266 Abou-El-Haj gibt Ausschnitte aus dem Bericht des osmanischen zeitgenössischen Geschichtsschreibers Naima über el-Hafâcî wieder (ABOU-EL-HAJ (1991): Appendix D, 100ff.).

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de. In Schriften, die der Gelehrte aus Ägypten verfasst hat, beschuldigte er die osmanische Elite in Istanbul mit "beißender, ungehemmter Gehässigkeit", was AbouEl-Haj durch die Frustration über sein persönliches Scheitern in der hohen £lmiye erklärt.267 Wie el-Hafâcî waren die meisten anderen Verfasser derartiger politischer Traktate in der £lmiye nicht so weit aufgestiegen wie erhofft. Ihre schärfste Kritik galt den einflussreichen Istanbuler Ulemafamilien; allerdings nicht, weil die Autoren regionale und soziale Mobilität befürworteten und diese durch die Existenz dominanter Familien in der Hauptstadt bedroht sahen, sondern weil diese dafür sorgten, dass das Reich nicht mehr durch verdienstvolle und erfahrene Männer gelenkt würde – wie etwa sie selbst es gewesen wären –, sondern aristokratische und korrupte Züge trage. Mustafa Ali schreibt im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu der Praxis, dass die Söhne der ranghöchsten Ulema im Reich, direkt nachdem sie ihre mülâzemet erhalten hatten, an eine 40 Akçe, sogar an hariç oder dâhil-Medresen als Müderris berufen wurden,268 überspitzt: […] noch in der Krippe werden sie mülâzim, wenn sie beginnen zu sprechen, haben sie ihre erste Stelle als Müderris, in der Pubertät bereits ein wichtiges Kadiamt, und, wenn ihr Bart zu sprießen beginnt, wandern sie bereits von einem wichtigen Richteramt zum nächsten […].269 Die kritischen Autoren sind sich in ihrer Forderung einig, dass wieder 'traditionelle' Werte – und sie meinen damit vor allem Fähigkeit und Dienstalter – über das Fortkommen eines Alim entscheiden müssten, nicht das Elternhaus. Doch ging es den Autoren dabei auch um den Erhalt der Privilegien der 'Eigenen', einer gebildeten, aber nicht traditionsreichen Istanbuler Gesellschaftsschicht. Wenn Koçu Bey die wachsende Mobilität in der £lmiye anprangerte, für langfristige Anstellungen mit einem Minimum an sozialer Mobilität und festen gesellschaftlichen Schranken plädierte,270 so sicherlich nicht, weil mehr Jungen ohne familiären Ulemahintergrund in die religiöse Elite des Reiches aufstiegen als es in früheren Zeiten der Fall gewesen war, sondern eher, weil diese Aufsteiger von außen Konkurrenten der 'Eigenen' in einer schwierigen Zeit bedeuteten.

267 268 269 270

ABOU-EL-HAJ (1991): Appendix D: 100f. UZUNÇAR¢ILI (1988): 69. Mustafa Ali, wie zit. bei Uzunçar¢¤l¤ (UZUNÇAR¢ILI (1988): 69f.), [Übersetzung der Autorin]. Koçu Bey, wie inhaltlich wiedergegeben in ABOU-EL-HAJ (1991): 29-33.

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Politische Traktate als Quelle für die Mobilität in der osmanischen Gelehrtenschaft? Betrachtet man die nasihat-Literatur seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert, wird deutlich, dass wohl weit mehr Abweichungen vom eigentlichen cursus honorum existierten als aus einer alleinigen Analyse der Biographien von Ulema in sammelbiographischen Werken wie den Vekayiü’l-Fudalâ hervorgeht. Es war ganz offensichtlich Intention ¡eyhîs, die kritischen Seiten der Ulema seiner Zeit weniger darzustellen als deren Fähigkeiten, Gelehrsamkeit und Verdienste. Um zu bewerten, wie die Chancen eines ambitionierten Schülers der religiösen Wissenschaften, dessen Familie nicht Teil der Istanbuler Ulemaklasse war, auf eine Karriere in der £lmiye aussahen, sollten demnach weitere Quellengattungen einbezogen werden. Die politischen Traktate des Gelibolu Mustafa Ali, des Koçu Bey, des el-Hafâcî und anderer sind für eine Untersuchung der £lmiye im Osmanischen Reich des späten 16. und 17. Jahrhunderts unerlässlich. Bereits der aufgezeigte, auf wenige Aspekte ihrer Kritik reduzierte Einblick ermöglichte Rückschlüsse auf die sozialen Schranken der Istanbuler Gelehrtenschaft im Untersuchungszeitraum: Die Analyse der Curricula der in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie verzeichneten Ulema in Zusammenschau mit der Literatur führte zu dem Ergebnis, dass Söhne hauptstädtischer Ulema sowie Gelehrter aus Bursa und Edirne in ihrer Karriere in der osmanischen £lmiye des 17. Jahrhunderts deutlich bevorzugt wurden und dass ferner Aspiranten ohne diese familiären Hintergründe ihre Aufstiegschancen durch Beziehungen und Geld nachdrücklich verbessern konnten. Die Einbeziehung der zeitgenössischen nasihat-Literatur bestätigt diesen Schluss. Darüber hinaus lassen sich anhand der politischen Schriften weitere Arten der Benachteiligung der von außen in die hohen £lmiyeämter strebenden Männer festmachen sowie das Ausmaß abschätzen: Auch eine kritische Betrachtung der Quellen zeigt, dass es sich bei den Abweichungen vom institutionell festgesetzten cursus honorum nicht um Einzelerscheinungen handelte und dass mit den direkten negativen Folgen dieser Abweichungen vor allem die 'Außenseiter' ohne Geld und Kontakte zu kämpfen hatten.

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3. EINHEIT ODER VIELFALT?

3.1

DIE £LMIYE DES 17. JAHRHUNDERTS: EINE OFFENE GESELLSCHAFT?

3.1.1

Über die Reize der Gelehrsamkeit

Warum Alim werden? Wer waren die 'Außenseiter', die trotz der erschwerten Bedingungen ein Amt in der £lmiye des 17. Jahrhunderts erreichten? Woher kamen sie und wie gelang ihnen der Einstieg in die hohen Zirkel der Istanbuler Gelehrtenschaft, wie der Aufstieg in ranghohe Posten? Dabei ist an erster Stelle zu beleuchten, für wen eine Karriere in der osmanischen £lmiye reizvoll war und warum. Als Teil der osmanischen Führungsschicht, die sich, mit einigen Überschneidungen, je nach Funktion und vorgesehenem Curriculum in Seyfiye, Kalemiye und £lmiye unterteilen lässt, stellten die Ulema eine privilegierte Gruppe der Gesamtgesellschaft dar. Nicht nur, dass sie, wie die anderen Mitglieder der askerî-Klasse auch, von Steuern befreit waren, sie genossen herausragendes Ansehen und eine gewisse Unabhängigkeit. Das private Vermögen der Ulema war vor staatlichen Konfiskationen ebenso sicher wie Leib und Seele eines Religionsgelehrten – zumindest im Vergleich.271 Betrachtet man über die Jahrhunderte hinweg, wie oft ein nicht erfolgreicher, intriganter oder auch schuldloser Großwesir seine Karriere mit dem Tod bezahlen mußte, zeigt sich, dass auch missliebige Ulema nur in seltenen Ausnahmefällen auf diese unnatürliche Art frühzeitig aus dem Leben schieden. Eine £lmiyekarriere bot die Möglichkeit ohne großes Risiko eines der hohen Staatsämter zu bekleiden, über ein dauerhaftes, steuerfreies Einkommen zu verfügen, langfristig eine Versorgung für die eigene Familie und Nachkommen zu bieten sowie der vielleicht geachtetsten Gruppe der osmanischen Gesellschaft anzugehören. Die Beschäftigung mit dem Koran und ein Lebenswandel nach dessen Vorschriften waren zentral im Leben eines gläubigen Muslim, eine Karriere als Alim bot dafür die besten Voraussetzungen. Glaube, Prestige, Einfluss, in einigen Ämtern zudem Macht, oft auch Geld – die £lmiye übte sicherlich Anziehungskraft auf viele muslimische Osmanen aller gesellschaftlichen Schichten, wie wir sehen werden sogar den ein oder anderen zimmi 271 MAJER (1979): 221, ABOU-EL-HAJ (1991): 46, ZILFI (1988): 70.

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aus. Es verwundert also nicht, wenn gerade in Zeiten der Unsicherheit und Krise viele junge Männer ein Leben als Religionsgelehrter anstrebten. Die quantitative Auswertung der Ulemabiographien aus Ataîs biographischem Sammelwerk ergibt: [...] ulema incumbents for the same posts doubled from 1553 of Süleyman’s reign up to 1566, and nearly tripled in the 70 years from Süleyman to Osman II.272 Auf einige der aus diesem inflationären Zustrom in die religiöse Laufbahn resultierenden Schwierigkeiten wurde bereits verwiesen, ebenso verschiedene Bemühungen des Staates dargestellt, dieses Problems Herr zu werden. Zu beachten ist allerdings, dass das Aufblähen des religiösen Apparats des Staates und die zahlreichen unbefriedigten Anwärter auf Müderris- und Kadiposten oder auch nur einen Platz an einer der ranghohen Medresen, sich ebenfalls auf die osmanische Ordnung außerhalb der £lmiye auswirkten. Die suhte-Aufstände in den letzten Jahrzehnten des 16. und im beginnenden 17. Jahrhundert zeigen, welche Konsequenzen sich auch für die Bevölkerung ergaben. Studenten, die keinen Weg in die staatlich kontrollierte religiöse Hierarchie fanden, zogen plündernd durch Anatolien.273 Die meisten dieser Studenten mögen den Weg in die £lmiyehierarchie in ihrem ganzen Leben nicht geschafft haben, wie auch viele andere, von deren Versuch – sind sie nicht gewalttätig oder anderweitig auffällig geworden – wir nichts wissen. Untersuchen lassen sich ausschließlich die Lebenswege derer, die bis in die hohen Ämter aufgestiegen sind; diejenigen, die dies umsonst versucht haben, bleiben in der Regel in den Quellen unerwähnt. Ihre Anzahl ist ebenso wenig zu bestimmen wie die Gründe für ihr Scheitern.

272 ZILFI (1988): 79. Untersucht wurde die Anzahl der in jedem Jahr verstorbenen Ulema in den Regierungszeiten der Sultane Süleyman I. (1520-1566), Selim II. (1566-1574), Mehmed III. (1595-1603), Ahmed I. (1603-1617) und Osman II. (1618-1622). 273 Das Phänomen der suhte-Aufstände beschränkte sich nicht auf Kleinasien, auch im rumelischen Reichsteil rotteten sich talebe zusammen. Doch war das Problem mit diesen Aufständischen, die die ländliche Bevölkerung erpressten und beraubten, sich die Besitztümer osmanischer Staatsbediensteter aneigneten und Kaufleute und deren Karavanen überfielen, vor allem in Anatolien präsent. Interessant ist, dass der Staat auch Istanbuler Medresestudenten als Mittelsmänner zur Lösung des Konflikts einsetzte und erst als die Verhandlungen und Kompromissvorschläge scheiterten, begann, das Problem der aufständischen Studenten militärisch zu lösen. Ausführlich zu den suhte-Aufständen vgl. BARKEY (1994): 156-163, 192 und Mustafa AKDA¹, (1949/50): "Medreseli £syanlar¤", £ktisat Fakültesi Mecmuas¤, 11, S. 361-387.

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Gelehrte in Zahlen oder über das Wachsen einer gesellschaftlichen Klasse Im Untersuchungszeitraum, von 1040 bis 1115 (1630/1-1703), verzeichnet ¡eyhî insgesamt 994 Biographien in der Rubrik 'Ulema'.274 Diese fast 1000 Lebensbeschreibungen osmanischer Gelehrter müssen für eine quantitative Analyse anders gruppiert werden als ¡eyhî das in seinem Werk tut. Ein Vergleich der in den Regierungszeiten der verschiedenen Sultane verstorbenen Ulema wäre kaum sinnvoll, variieren jene doch extrem. Dass sich in der tabaka Mehmeds IV. (1648-1687) 589, in der seines Nachfolgers Süleyman II. (1687-1691) aber nur 69 Ulemabiographien finden, liegt nicht etwa an einer besonderen Förderung der Gelehrten durch den einen und einer Abneigung ihnen gegenüber bei dem anderen – Mehmed IV. hat fast 40, Süleyman nur vier Jahre regiert. Um quantitativ zu bestimmen, wie sich die hohe £lmiye im Osmanischen Reich im 17. Jahrhundert entwickelt hat, bietet es sich an, den Untersuchungszeitraum in fünf Perioden à 15 Jahren zu unterteilen.275 Vergleicht man die in den fünf Perioden verstorbenen und von ¡eyhî mit einer Lebensbeschreibung gewürdigten Ulema, so fällt auf, dass ihre Zahl sich im Laufe der Zeit stark verändert hat. Dieser quantitative Unterschied ist nicht auf eine veränderte Methodik ¡eyhîs zurückzuführen. Ich bin davon überzeugt, dass der Autor stets die gleichen Kriterien bei der Auswahl der in sein Werk aufgenommenen Ulema ansetzte. Im Laufe des 17. Jahrhunderts läßt sich ein deutliches Anwachsen der hauptstädtischen £lmiye feststellen. Ein enormer Anstieg lässt sich von der ersten zur zweiten Periode (in der allerdings auch Quellenverlust die Veränderung dramatisiert haben mag), ein etwas abgeschwächter zur dritten Periode feststellen. Anschließend stabilisiert sich die Zahl. Tabelle 1. Hauptstädtische Ulema des 17. Jahrhunderts in Zahlen Periode

Zeitraum

Ulema

1

1040-1054 (1630/1-1644/5)

108

2

1055-1069 (1645/6-1658/9)

196

3

1070-1084 (1659/60-1673/4)

222

4

1085-1099 (1674/5-1687/8)

239

5

1100-1115 (1688/9-1703)

229

Insgesamt

1040-1115 (1630/1-1703)

994

274 Diese Zahl basiert nicht auf dem in der Edition gegebenen Index aller Biographien, da bei der Erstellung des Indexes offensichtlich versehentlich einige Namen vergessen wurden (etwa Kürd Kas¤m Efendi (¡EYHÎ: I.96.2) oder Prizrinli Mahmud Efendi (ibid: I.105.2)). 275 Ausgegangen wird von der islamischen Zeitrechnung. Da der gesamte Untersuchungszeitraum 76 Hicrajahre umfasst, besteht die fünfte sich ergebende Periode aus einem Jahr mehr als die vorangehenden: aus 16 Jahren.

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Zieht man in Betracht, dass die in den Vekayiü’l-Fudalâ beschriebenen Gelehrten nach Todesdatum aufgenommen wurden und geht davon aus, dass sie nicht vor ihrem 20. oder 30. Lebensjahr den Status eines Alim erreicht hatten, so zeigt sich, dass in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts weit mehr Männer hohe £lmiyeämter inne hatten als in den vorangegangenen Jahrzehnten, dem Zeitraum, in dem diejenigen Ämter bekleideten, die in Periode eins verstorben sind. Der bisher immer wieder beschriebene Zustrom in die Istanbuler Gelehrtenschaft findet sich folglich in der quantitativen Analyse der Vekayiü’l-Fudalâ bestätigt. Bedenkt man, dass die Phase der Expansion des Osmanischen Reiches bereits unter Murad III. (1574-1595) ihren Höhepunkt erreicht hatte und in den folgenden Jahrzehnten die Einrichung der notwendigen Stellen abgeschlossen war, so tritt das oft beklagte und zitierte Missverhältnis zwischen zur Verfügung stehenden Posten und geeigneten Anwärtern offen zu Tage. 3.1.2

Sozial und regional mobile 'Außenseiter' gegen Söhne Istanbuler Ulemafamilien

Wer ist 'Außenseiter'? Einige Vorbemerkungen Um quantitativ fassen zu können wie sich die Ulema der einzelnen Zeitabschnitte zusammensetzten, bedarf es einiger Vorüberlegungen. Die Frage nach der Geschlossenheit der Gruppe der Istanbuler Ulema ist in wesentlicher Hinsicht die Frage nach dem prozentualen Anteil nicht aus diesem Zirkel stammender, im Laufe ihres Lebens aber ein Teil dessen gewordener Persönlichkeiten. Es gilt also zu prüfen, wie viele Männer, die ihr Leben als einer der großen Gelehrten beendeten, diesen Weg nicht in Familientradition gingen, sondern von außen in jene Gesellschaftsschicht gelangten und wie hoch ihr Anteil gemessen an allen verzeichneten Ulema der Zeit war. Bei der Analyse der in den Vekayiü’l-Fudalâ gegebenen Biographien stellt sich an dieser Stelle ein entscheidendes Problem: Über viele der Ulema haben wir nur ungenügende Informationen. Wie bereits anfangs erwähnt, berichtet ¡eyhî über einige Details im Leben der Gelehrten, doch betreffen die genauen Angaben fast ausschließlich die Zeit nach der 40 Akçe Medrese, dem Zeitpunkt, ab dem Registereinträge Karrierestationen genau beschreiben und vom Autor zu Rate gezogen werden konnten, dem Zeitpunkt, als der Dargestellte zum Alim wurde. Der Anfang einer solchen Laufbahn bleibt meist im Unklaren, ebenso die regionale und soziale Herkunft. Liegt der Anteil der Ulema unbekannter regionaler Herkunft in den ersten beiden Perioden noch bei etwa einem Fünftel, so sinkt er im Folgenden bis auf ein Zehntel in den letzten beiden Zeitabschnitten, also seit den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Betrachtung der sozialen 88

Hintergründe der in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Ulema: Der Anteil derjenigen, über die ¡eyhî keine Angaben zu ihrem Elternhaus macht, liegt zwar stets bei über 50 Prozent, sinkt allerdings im Zeitverlauf.276 Dieses Mehr an Information ist sicherlich nicht monokausal zu begründen, es ist aber anzunehmen, dass ¡eyhîs persönliche Kontakte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Der Autor der Vekayiü’l-Fudalâ wurde womöglich 1078 (1667/8) geboren, gestorben ist er 1145 (1732/3). In den ersten beiden Perioden des Untersuchungszeitraums lebte er demnach noch nicht und in der dritten war er ein Kind – die zu Beginn dieser Zeit verstorbenen Persönlichkeiten mögen weder er noch die meisten Personen seiner Umgebung persönlich gekannt haben. Anders verhält es sich mit den in den tabaka des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts aufgeführten Gelehrten: Als einem, der sich in den Zirkeln Istanbuler Gelehrsamkeit bewegte, waren ¡eyhî mit hoher Wahrscheinlichkeit viele der von ihm biographierten Ulema direkt bekannt, bei einigen hatte er vielleicht selbst studiert, andere waren möglicherweise freundschaftlich mit seinem gelehrten Vater, ihre Söhne mit ihm verbunden und er wusste dementsprechend mehr über sie.

Vater? Ungenannt. Wie kann man mit den Ulema, zu deren sozialer Herkunft ¡eyhî keine Angaben macht und deren Anteil trotz eines Rückgangs über den gesamten Zeitraum mehr als die Hälfte aller in den Vekayiü’l-Fudalâ beschriebenen Gelehrten ausmacht, verfahren? Kann man aus der Tatsache, dass ¡eyhî den Vater eines Alim nicht erwähnt, Schlussfolgerungen ziehen? Ich denke, man kann – bis zu einem gewissen Grad. Die Analyse der einzelnen Biographien und der gesellschaftliche Kontext der Zeit machen die Bedeutung der familiären Herkunft offensichtlich. Es scheint, als gebe ¡eyhî grundsätzlich alle Informationen zu verwandtschaftlichen Verhältnissen mit bedeutenden Persönlichkeiten, sofern solche existierten. Er erwähnt selbst entfernte Bindungen, schreibt etwa der vorgestellte Alim sei ein später Nachfahre dieses oder der Schwiegersohn des Onkels jenes berühmten Gelehrten gewesen. Ist dem Verwandten in den Vekayiü’l-Fudalâ oder einem anderen Sammelwerk (fast immer verweist ¡eyhî auf die seinem Werk vorausgehende Sammlung Ataîs) eine Biographie gewidmet, gibt ¡eyhî an, in welcher tabaka sich diese befindet. Ferner stellt sich beim kritischen Vergleich von Lebensbeschreibungen hochrangiger und weniger hochrangiger Gelehrter heraus, dass die Häu-

276 Diese Schwierigkeit findet sich auch in anderen biographischen Sammelwerken, so dem des el-Murâdî: Nur in 12 der insgesamt 765 Biographien berichtet er über den sozialen Hintergrund des vorgestellten Alim (WALLBRECHT (1970): 57). Diese 12 Biographien stellt Wallbrecht kurz vor (ibid: 58-60).

89

figkeit der Erwähnung der Abstammung sowie die Detailgenauigkeit der Angaben mit dem Amt wächst und zwar unabhängig von den sozialen Verhältnissen, aus denen der Alim stammte. Exemplarisch seien hier die Angaben bei den Brüdern Ahmed und Feyzullah erwähnt. Während Seyyid Ahmed Efendi277 es bis zum Kadi von Mekka brachte, erreichte sein Bruder Seyyid Feyzullah Efendi278 die Spitze der Hierarchie: Nachdem er bereits Sultanslehrer gewesen war, wurde er zum ¡eyhülislam ernannt. Seyyid Ahmed Efendi starb einige Jahre vor seinem erfolgreichen Bruder. ¡eyhî erwähnt in seiner Biographie, dass er Sohn eines gewissen Seyyid Mehmed Efendi aus Erzurum war. Der Autor legt aber mehr Wert darauf, die Verwandtschaft mit seinem bedeutenden Bruder, dem ¡eyhülislam, zu betonen und stellt ihn als ¡eyhülislam Seyyid Feyzullah Efendi Biraderi Seyyid Ahmed Efendi seiner Leserschaft vor. Die ehrenwerte Herkunft des Alim wird also durch das ranghöchste Familienmitglied verdeutlicht. Da es allerdings keine weiteren herausragenden Verwandten bis zu dieser Zeit gegeben hat, bemüht sich ¡eyhî in der Lebensbeschreibung des Bruders, ¡eyhülislam Seyyid Feyzullah Efendis, dessen Abkunft so ausführlich wie möglich darzustellen: ¡eyhî schreibt, dass der Vater des ¡eyhülislam Mufti von Erzurum gewesen war, zählt die Vorfahren des Alim über fünf Generationen auf und bezeichnet ihn als Nachfahren des berühmten ¡emseddîn et-Tebrîzî, des spirituellen Partners Celaleddîn Rûmîs. Insgesamt nehmen die Erläuterungen fünf Zeilen ein – ¡eyhî war es offensichtlich wichtig zu zeigen, welcher Herkunft der ¡eyhülislam war. Stammte er auch nicht aus einer der hohen Gelehrtenfamilien des Reiches, so kam er doch aus einem religiös gebildeten familiären Umfeld und diese Tradition des Lernens war achtenswert und herauszustellen. Davon auszugehen, dass ¡eyhî bei Gelehrten mit nicht nur peripherem Ulemahintergrund, sondern mit bekannten Vorfahren aus den hohen Kreisen der Gelehrsamkeit des Reiches, der Istanbuler £lmiye, diese nicht erwähnte, kann praktisch ausgeschlossen werden – zu wichtig war die Abstammung.279 In der Konsequenz heißt das, dass die vielen Gelehrten, über deren Väter und Verwandte der Verfasser der Vekayiü’l-Fudalâ schweigt, nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammten.280 Wer ihre Väter waren, ist nicht zu sagen. 277 Gest. 1113 (1701/2) (¡EYHÎ: II.179.1). 278 Gest. 1115 (1703) (¡EYHÎ: II.247.1). 279 Nicht nur Ulema sondern auch ¡eyh und andere Persönlichkeiten verwiesen gerne auf eine möglichst bedeutende silsile. Sie entschied mit über Ansehen und Legitimität (so auch die silsile auf Studienzertifikaten (icazet)). Zur Bedeutung der Abkunft vgl. z.B. FAROQHI (1989): 201. Gleiches findet sich in anderen Regionen und Epochen, vgl. etwa L. BROWN (1972): 62 über das husainische Tunesien. 280 Eine analoge Argumentationsweise findet sich in Studien ähnlichen Charakters zu anderen Zeiten, Regionen oder Personengruppen. Beispielhaft sei die dieser Arbeit thematisch und methodisch vergleichbare Untersuchung der Ulema im husainidischen Tunesien erwähnt, wo

90

'Außenseiter' dominieren die £lmiye Die Brisanz dieses Ergebnisses liegt in der quantitativen Auswertung: Zählt man die Biographien derjenigen Ulema, deren Familien nicht der hohen Istanbuler Gelehrtenschaft angehörten, und die derjenigen, über deren soziale Herkunft ¡eyhî schweigt, zusammen und stellt sie den hohen Istanbuler Ulema, die Söhne ebensolcher waren, gegenüber, erhält man einen Indikator für die soziale Durchlässigkeit der osmanischen religiösen Elite. In folgender Tabelle ist dargestellt, wie viele der Ulema einer Zeitperiode Söhne hauptstädtischer Gelehrter waren und wie viele es nicht waren. In der jeweils linken Spalte findet sich die Angabe der Anzahl der in diese Kategorie fallenden Ulema, in der jeweils rechten ihr prozentualer Anteil an der Gesamtheit der in diesem Abschnitt von ¡eyhî aufgeführten Gelehrten. Tabelle 2. Soziale Mobilität in der Istanbuler £lmiye Perio Zeitraum Ulema Ulema, die aus de insg. Istanbuler Ulemafamilien stammten 1 2 3 4 5 Insg.

1040-1054 (1630/1-1644/5) 1055-1069 (1645/6-1658/9) 1070-1084 (1659/60-1673/4) 1085-1099 (1674/5-1687/8) 1100-1115 (1688/9-1703) 1040-1115 (1630/1-1703)

Ulema, die nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammten

108

31

29 %

77

71 %

196

60

31 %

136

69 %

222

70

32 %

152

68 %

239

61

26 %

178

74 %

229

57

25 %

172

75 %

994

279

28 %

715

72 %

Es wird deutlich, dass a) praktisch keine Veränderung in der Zusammensetzung der Gruppe der Istanbuler Ulema in Bezug auf den Anteil der Neueinsteiger in diese Schicht im Untersuchungszeitraum feststellbar ist, und dass Brown zu dem Problem unbekannter familiärer Abstammung formuliert: "It must be remembered that Bin Diyaf [der Autor des bearbeiteten biographischen Sammelwerks] does not give information identifying the family background or place of origin in all his biographies; and it may properly be assumed that in many cases a discreet silence on the matter indicates that the alim in question came from humble stock. (For a cultured Muslim such as Bin Diyaf in Tunisia of that period it would have been unseemly to call attention to a men’s modest origin just as it would have been unthinkable not to have mentioned a creditable family background.)" (L. BROWN (1972): 62).

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b) konstant nur ungefähr drei von zehn in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie gewürdigten Ulema aus einer hauptstädtischen Gelehrtenfamilie stammten, die überwiegende Mehrheit aber, nämlich sieben von zehn, nicht Söhne dieses Kreises waren. Greifen wir einen Zeitabschnitt exemplarisch heraus: In der dritten Untersuchungsperiode führt ¡eyhî 222 Biographien auf. 70 dieser Lebensbeschreibungen behandeln Söhne Istanbuler Gelehrter, von 28 wissen wir, bei allen übrigen können wir davon ausgehen, dass es sich nicht um Söhne hauptstädtischer Ulema handelt. Das bedeutet, dass 68% der Mitglieder der Istanbuler £lmiye, die in diesem Zeitraum verstorben sind, als erstes Mitglied ihrer Familie in diese Schicht eindrangen. Da jene Istanbuler Gelehrtenschaft eine Gesellschaft für sich bildete, schlage ich vor, all diejenigen in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Ulema als sozial mobil zu betrachten, die nicht in diesen Kreis hineingeboren wurden, auch wenn ihr Vater einer der wenigen Ulema außerhalb Istanbuls war. Im Durchschnitt sind also über 70 Prozent der hauptstädtischen Ulema des 17. Jahrhunderts als sozial mobil zu betrachten, wobei der Grad der Mobilität natürlich teils erheblich differiert. Wer die Väter der Neueinsteiger in die hohe £lmiye waren, ist in den allermeisten Fällen nicht auszumachen. Nur bei etwa einem Viertel281 der in diese Gruppe fallenden Gelehrten erwähnt ¡eyhî die soziale Herkunft. So entpuppt es sich quasi als unmöglich zu beschreiben, aus welcher gesellschaftlichen Schicht der Großteil der Ulema des 17. Jahrhunderts stammte. Die Tatsache, dass ¡eyhî für die erste Periode nur in einem Fall schreibt, dass es sich um den Sohn eines Händlers handelte, im dritten Zeitabschnitt bei 12, im fünften Abschnitt sogar bei 45 Ulema Kaufleute als ihre Väter angibt, hat kaum mehr Aussagekraft, als dass in der ersten Periode mindestens einer (ein Prozent) in der dritten mindestens 12 (drei Prozent) und in der fünften mindestens 45 (fünf Prozent) der sozial mobilen Ulema Kaufmannssöhne waren. Aus den wenigen Angaben über die soziale Herkunft der in den Vekayiü’l-Fudalâ beschriebenen Ulema lässt sich also nicht mehr herauslesen, als dass eine Mindestzahl an Gelehrten mit Sicherheit aus eben diesen oder jenen genannten Verhältnissen stammte. Wir sollten uns damit zufrieden geben, aus den Lebensbeschreibungen, in denen die Väter erwähnt werden, zu folgern, dass die Söhne solcher Männer in die hohen Istanbuler Gelehrtenzirkel eindringen konnten, dass sie mindestens in dem aus ¡eyhî zu entnehmenden Umfang in die hohe £lmiye gelangten und dass sich im Vergleich mit Ulema anderen familiären Hintergrunds 281 Während dieser Anteil in der ersten Periode noch bei weit unter 20 Prozent liegt, vergrößert er sich stetig und beträgt im letzten Abschnitt des Untersuchungszeitraums 'immerhin' 28 Prozent. Gründe für diese Steigerung, also eigentlich dieses Mehr an Informationen zur Abstammung, das ¡eyhî im Laufe der Jahre liefert, wurden in den einleitenden Bemerkungen dieses Kapitels aufgeführt.

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die Tendenz abzeichnet, dass sie häufiger oder seltener in der hauptstädtischen £lmiye Karriere machten als jene – nicht mehr und nicht weniger. Etwas anders verhält es sich mit den Söhnen von Männern, die ¡eyhî als Ulema außerhalb Istanbuls bezeichnet. Es gibt einige Argumente, die dafür sprechen, dass auch die meisten dieser Ulema außerhalb Istanbuls ¡eyhî bekannt waren. Das Vorschlagsrecht für die Posten bis zur 40 Akçe Medrese oblag dem zuständigen Kazasker, für alle höheren Stellen, also solche, die von Ulema besetzt wurden, war der Şeyhülislam zuständig. Wir wissen, dass verschiedene Register für die Zusammenstellung der Biographien der Vekayiü’l-Fudalâ verwendet wurden, darunter insbesondere die aus dem Büro des ¡eyhülislam.282 Die Tatsache, dass der Anteil an Lebensbeschreibungen von Ulema, in denen ¡eyhî einen Gelehrten außerhalb der Hauptstadt als Vater des vorgestellen Alim nennt, nicht wie der aller Gelehrten anderen Hintergrunds je weiter man sich der Lebenszeit ¡eyhîs beziehungsweise des Verfassers seiner Vorlage, U¢akîzade, nähert steigt, spricht ebenfalls dafür, dass die Informationen über jene Personengruppe vornehmlich den Registern entnommen wurden. Die 24 in diese Kategorie fallenden Lebensbeschreibungen verteilen sich völlig gleichmäßig auf alle fünf Perioden. Ferner behandeln 20 dieser 24 Biographien Söhne von Ulema aus Edirne oder Bursa.283 Neben Istanbul boten praktisch nur diese beiden Städte einem Alim die Möglichkeit zu dauerhafter Beschäftigung und das nur in sehr begrenztem Umfang, nämlich nur als Müderris an den dortigen hochrangigen Medresen.284 Aufgrund dieser Tatsachen ist anzunehmen, dass die reale Anzahl der Söhne nicht-Istanbuler Ulema von der von ¡eyhî gegebenen nicht stark abweichen kann. Ginge man darauf aufbauend einen Schritt weiter und machte den Versuch darzustellen, wie viele der Istanbuler Ulema des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich nicht aus hoch gelehrtem Hause kamen, stellte sich das wie folgt dar:

282 MAJER (1978), 81-91. Vgl. ferner Özcan in der Einleitung zu den Vekayiü’l-Fudalâ (¡EYHÎ, X) sowie ÖZCAN (2001): 119. 283 Genauer hierzu vgl. Kapitel 3.4.1. 284 Ich spreche hier von wirklich in das System der osmanischen £lmye integrierten Ulema und schließe damit die gelehrten Männer aus, die in traditionellen Zentren der Gelehrsamkeit tätig waren, aber nicht oder nur pro forma von Istanbul in ihre Müderrisposten eingesetzt wurden. Das betrifft insbesondere Müderris an Medersen hohen Niveaus in den arabischen Provinzen des Reiches, in den Städten Kairo, Damaskus und Aleppo.

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Tabelle 3. Istanbuler Ulema ohne Gelehrtenhintergrund Perio Zeitraum Ulema Ulema, die aus de insg. Ulemafamilien stammten 1 2 3

4 5 Insg

1040-1054 (1630/1-1644/5) 1050-1069 (1645/6-1658/9) 1070-1084 (1659/601673/4) 1080-1099 (1674/5-1687/8) 1100-1115 (1688/9-1703) 1040-1115 (1630/1-1703)

Ulema, die nicht aus Ulemafamilien stammten

108

33

31 %

75

69 %

196

63

32 %

133

68 %

222

76

34 %

146

66 %

239

69

29 %

170

71 %

229

62

27 %

167

73 %

994

303

30 %

691

70 %

Greifen wir wieder die dritte Untersuchungsperiode exemplarisch heraus: ¡eyhî gibt die Biographien von 222 Ulema, die in den Jahren 1070 bis 1084 (1659/ 60-1673/4) verstorben sind. 70 dieser Lebensbeschreibungen behandeln Söhne Istanbuler Gelehrter, sechs beschreiben Gelehrte, deren Väter nicht-hauptstädtische Ulema waren. Die übrigen 146 Ulema hatten wahrscheinlich keinen Hochgelehrten zum Vater, stiegen selbst aber bis zum hauptstädtischen Alim auf. Gemessen an allen in den Vekayiü’l-Fudalâ für diese Periode aufgeführten Ulema liegt ihr Anteil bei erstaunlichen 66 Prozent. Ebenso stellt sich das Ergebnis in den weiteren Perioden dar. Mit einer gewissen Berechtigung lässt sich folglich sagen, dass zwischen zwei Drittel und drei Viertel der von ¡eyhî vorgestellten Ulema nicht nur nicht aus der Istanbuler £lmiye, sondern überhaupt nicht aus Hochgelehrtenkreisen stammten.

Herkunft? Ungenannt. Bei der Beschreibung der regionalen Herkunft der Istanbuler Ulema des 17. Jahrhunderts stellt sich ebenfalls das Problem der fehlenden Angaben in der Quelle. In der vorangehenden Untersuchung der sozialen Mobilität wurde dargelegt, dass ¡eyhî es in jedem Fall erwähnen würde, hätte der Beschriebene bedeutende Vorfahren gehabt und Schweigen über die Verwandtschaft ergo den Schluss zulässt, dass von einer Abstammung ausgegangen werden kann, die Istanbuler Gelehrtenfamilien ausschließt. In Bezug auf die regionale Herkunft eines Alim ist eine solche Argumentation nicht möglich. Erwähnt ¡eyhî keinen Geburtsort, kann man weder folgern, dass dieser Istanbul war, noch dass dieser nicht Istanbul war, noch irgend etwas anderes – wir wissen es einfach nicht. Anzunehmen, dass der Verfasser Istanbul als Geburtsort verzeichnet hätte, käme der Gelehrte wie er selbst aus der Haupt-

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stadt, wäre falsch, denn warum sollte ¡eyhî den Sohn eines nicht in seinen Kreisen verkehrenden Istanbulers eher kennen als den eines anderen aus der Provinz? Die Angaben über die regionale Herkunft einiger Ulema in den Vekayiü’l-Fudalâ sind zwar nicht präzise zu bestimmen, erlauben allerdings einen Rahmen abzustecken, in dem sich die regionale Mobilität osmanischer Gelehrter des 17. Jahrhunderts bewegte. Ist von einer bestimmten Anzahl von Gelehrten bekannt, dass sie aus der Hauptstadt stammten, von einer weiteren, dass sie sicher nicht aus Istanbul kamen und findet sich bei einer dritten Gruppe dazu keine Angabe, so lässt sich folgenderweise vorgehen: Ein Alim unbekannter Herkunft konnte entweder in der Hauptstadt oder nicht in der Hauptstadt geboren und aufgewachsen sein. Die Ulema, in deren Lebensbeschreibungen sich keine Informationen über ihre regionalen Wurzeln finden, konnten im Extremfall entweder alle aus Istanbul285 oder alle nicht aus Istanbul stammen. Um diesen Ansatz zu verdeutlichen und die folgende Tabelle zu erläutern, sei als Beispiel erneut die dritte Periode herausgegriffen: Von den 222 zwischen den Jahren 1070 und 1084 (1659/60-1673/4) verstorbenen Ulema, die in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie bedacht wurden, schreibt ¡eyhî in 88 Fällen, dass sie in Istanbul geboren wurden. Bei 112 Ulema gibt ¡eyhî an, dass sie nicht aus der Stadt am Bosporus stammten (er nennt einen anderen Heimatort), bei 22 macht er keine Angabe zu dieser Frage. Daraus lässt sich schließen, dass mindestens 88, maximal 110 der Gelehrten aus Istanbul oder – anders betrachtet – mindestens 112 und maximal 134 der Ulema nicht aus Istanbul stammten und damit regional mobil waren. Tabelle 4. Regionale Mobilität der Istanbuler Ulema Perio de 1 2 3 4 5 Insg.

Zeitraum

Ulema insg.

Ulema, die aus Istanbul stammten

Ulema, die nicht aus Istanbul stammten

1040-1054 (1630/1-1644/5) 1055-1069 (1645/6-1658/9) 1070-1084 (1659/60-1673/4) 1085-1099 (1674/5-1687/8) 1100-1115 (1688/9-1703) 1040-1115 (1630/1-1703)

108

35-49

32-45 %

59-73

55-68 %

196

77-107

39-55 %

89-119

45-61 %

222

88-110

40-50 %

112-134

50-60 %

239

85-105

36-44 %

134-154

56-64 %

229

73-88

32-38 %

141-156

62-68 %

994

358-459

36-46 %

535-636

54-64 %

285 An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass in Üsküdar und Eyüp ansässige Ulemafamilien als hauptstädtische Ulema betrachtet werden.

95

Die Ergebnisse der Auswertung zur regionalen Mobilität zeigen über die verschiedenen Untersuchungsperioden hinweg kaum Abweichungen: Stets kamen etwa zwischen 50 und 60 Prozent der Ulema erst für ihre Karriere als Alim in die Hauptstadt. Das bedeutet, dass mehr als jeder zweite Gelehrte des 17. Jahrhunderts nicht als Sohn einer Istanbuler Familie geboren wurde. Die folgende Tabelle fasst die bisher gewonnenen Ergebnisse zusammen. Sie setzt sich aus den bereits präsentierten Einzeltabellen zusammen und ist um eine weitere Spalte ergänzt. Diese letzte bietet eine Aufstellung derjenigen Ulema, die weder aus Istanbul stammten noch Sohn eines Alim waren. 3.1.3

Die Grenzen der Durchlässigkeit

Über die Bedeutung des Schweigens Zilfi beschreibt die £lmiye des 18. Jahrhunderts als Aristokratie,286 als "'great family' ilmiye".287 Uºur sieht dieses Ergebnis in seiner Arbeit über die religiöse Ordnung des Reiches im 17. Jahrhundert offensichtlich bestätigt: The exclusiveness of the [ulema] class may be estimated by the number of individuals who were allowed to enter it from other walks of life.288 Diese Darstellungen widersprechen frappant den Resultaten der quantitativen Analyse der Biographien aus den Vekayiü’l-Fudalâ. Selbst wenn Zilfi anmerkt, dass die Klasse der Ulema erst seit der Zeit Ahmeds III. eine weitgehend geschlossene Gesellschaftsschicht bildete, so ist kaum anzunehmen, dass mit dessen Amtsantritt im Jahr 1703 ein grundlegender Wandel der Zusammensetzung der osmanischen £lmiye einherging. Ferner begründet Zilfi die Entwicklung einer religiösen Aristokratie vorwiegend mit der Institutionalisierung von häufig bereits seit dem späten 16. Jahrhundert garantierten Privilegien an die Nachkommen wichtiger Ulema.289 Da sich die von ihr verwendete Methodik der Prosopographie von der dieser Untersuchung nicht unterscheidet, scheint es angebracht, die gewonnenen Ergebnisse zu überprüfen und zu diskutieren. Die Auswertung der Lebensbeschreibungen in den Vekayiü’l-Fudalâ basiert auf einer für die Beschreibung der Zusammensetzung der Istanbuler Ulema aber wesentlichen Annahme: Es wird davon ausgegangen, dass ¡eyhî die Abkömmlinge hauptstädtischer Ulemafamilien als solche kenntlich macht. Dies lässt sich nicht nur

286 287 288 289

96

ZILFI (1988): 74. ZILFI (1988): 13. U¹UR (1986): LXVII. ZILFI (1988): 73.

1040-1054 (1630/1-1644/5)

1055-1069 (1645/6-1658/9)

1070-1084 (1659/60-1673/4)

1085-1099 (1674/5-1687/8)

1100-1115 (1688/9-1703)

1040-1115 (1630/1-1703)

2

3

4

5

Insg.

Zeitraum

1

Peri ode

994

229

239

222

196

108

Ulema

715

172

178

152

136

77

Insgesamt

72 %

75 %

74 %

68 %

69 %

71 %

691

167

170

146

133

75

70 %

73 %

71 %

66 %

68 %

69 %

Nicht aus einer Ulemafamilie

535-636

141-156

134-154

112-134

89-119

59-73

54-64 %

62-68 %

56-64 %

50-60 %

45-61 %

55-68 %

Nicht aus Istanbul

Ulema, die nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammten

Tabelle 5. Die Istanbuler Ulema des 17. Jahrhunderts – Zusammenfassung der Ergebnisse

511-612

136-151

126-146

106-128

86-116

57-71

51-62 %

59-66 %

53-61 %

48-58 %

44-59 %

53-66 %

Weder aus einer Ulemafamilie noch aus Istanbul

aus der Quelle und zeitgenössischen Vorstellungen von familiärer Abstammung belegen, wie bisher geschehen. Auch die quantitative Analyse bestätigt, dass Schweigen des Autors als Indiz für eine Herkunft außerhalb der hauptstädtischen £lmiye zu werten ist. Zwei wesentliche Argumente seien kurz vorgestellt. Das erste basiert auf den Angaben zum sozialen Hintergrund aller in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Ulema im Zeitverlauf. Während der Anteil der Beschriebenen, die als Söhne hauptstädtischer Gelehrter geboren wurden, über alle fünf Perioden unverändert bleibt, wächst der Anteil derer, deren familiäre Herkunft durch die Nennung des Berufs ihrer Väter eindeutig als 'nicht aus der Istanbuler £lmiye' gegeben ist. Die vermehrten Informationen über die gesellschaftlichen Schichten, aus denen die osmanischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts stammten, oder – anders ausgedrückt – die genauere Beschreibung der Familienverhältnisse derjenigen, die in der vorangegangenen Periode noch als 'soziale Herkunft unbekannt' aufgeführt wurden, vergrößern nie den Anteil der Istanbuler Ulemasöhne, die ihrerseits in der £lmiye Karriere machten, sondern stets den anderer gesellschaftlicher Gruppen. Gewann ¡eyhî also zusätzliche Informationen über den Beruf des Vaters, so waren diese Väter fast alles, nur keine Mitglieder der hauptstädtischen Gelehrtenschaft.290 Das zweite Argument, das die Richtigkeit der Interpretation von Schweigen über die familiären Hintergründe belegt, geht von der großen Gruppe der 569 Ulema aus, über deren soziale Herkunft ¡eyhî keine Angaben macht. Er nennt in 441 der Biographien dieser Gruppe einen Heimatort, der nicht Istanbul ist. Könnten jene Ulema Spößlinge Istanbuler Gelehrter sein, die als Kadi in der Provinz eingesetzt waren? Dass sie alle einen solchen Hintergrund aufwiesen, ist schon allein wegen ihrer großen Zahl unmöglich. Zudem müsste ¡eyhî als Herkunftsort Städte angeben, in denen ein hochrangiger Kadi seinen Amtssitz hatte – das ist keineswegs der Fall. Die Städte mit Kadiamtssitzen, die ein Mitglied der Istanbuler £lmiye bekleiden konnte, scheinen sogar eher unterdurchschnittlich repräsentiert zu sein.291 Ferner waren Kadi wichtiger Gerichtssprengel nur für eine recht kurze Zeit im Amt. Darauf folgte eine weit längere als mazuliyet bezeichnete Wartezeit, die in der Hauptstadt verbracht wurde, um anschließend ein Richteramt an einem anderen Ort wahrzunehmen. Selbst wenn ihre Söhne in einer der Amtszeiten in Provinzstädten geboren wurden, so wuchsen sie dort nicht auf, sondern waren Istanbuler und von ¡eyhî als ebensolche aufgeführt. Die nachweislich 441 nicht aus der Hauptstadt

290 Diese Argumentation lässt sich gut durch eine graphische Darstellung der Zusammensetzung der Istanbuler Gelehrtenschaft in den fünf Perioden veranschaulichen vgl. Anhang, Abb.1: 'Söhne nicht hauptstädtischer Ulema und ihre Herkunft'. 291 Für genauere Ausführungen zu der Frage nach der regionalen Herkunft vgl. Kapitel 3.3.

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stammenden Ulema unbekannter Herkunft waren folglich keine Mitglieder hauptstädtischer Gelehrtenfamilien. Die zentrale Grundannahme der quantitativen Analyse der Ulemabiographien ist zweifelsohne als korrekt zu betrachten. Der hohe Anteil nicht aus der Istanbuler Gelehrtenschicht stammender Ulema, die im Laufe ihres Lebens Teil dieses elitären Zirkels wurden, basiert nicht auf Prämissen und ergibt sich in voneinander unabhängigen Auswertungen der in den Vekayiü’l-Fudalâ enthaltenen Informationen. Warum aber weichen diese Resultate so extrem von denen Zilfis für die sich direkt anschließende Periode ab? Es ist vor allem die Definition der hohen osmanischen £lmiye, die die konträren Ergebnisse hervorruft. Zilfi schreibt zwar, dass der Erhalt des rüus den Eintritt in die £lmiyehierarchie bedeutet habe,292 listet alle Gelehrten, die die 40 Akçe Medrese absolviert hatten, als Mitglieder der £lmiye auf und nennt sie Ulema, doch zieht sie in ihrer Analyse der Zusammensetzung dieser Schicht die Grenze auf einer weit höheren Rangstufe. Ihre prosopographische Untersuchung basiert ausschließlich auf der Analyse der Amtsinhaber der drei höchsten Posten, die die religiöse Ordnung einem osmanischen Alim offen hielt: der beiden Kazasker und des ¡eyhülislam. Ein Kadi von Mekka, von Yeni¢ehir oder auch nur ein Müderris, der die Stufe der 40 Akçe Medrese hinter sich gebracht hat, findet keinen Eingang in ihre Studie.293

292 "[...] to receive the rüus diploma – and thereby become true ulema [...]" (ZILFI (1983b): 341) oder an anderer Stelle: "More than any other document, the rüus diploma sealed off the hierarchy from the less select. It was for the ulema the mark of full participation in the privileges of the Ottoman ruling elite." (ZILFI (1988): 62). 293 Zilfi gibt eine Aufstellung der Mitglieder der osmanischen £lmiye, in der die hariç-Medresenstufe den niedrigsten und das Amt des ¡eyhülislam den höchsten Rang bildet. Das Schaubild ist mit "£lmiye Hierarchy" überschrieben (ZILFI (1988): 25). Auf die Uneinheitlichkeit der Definition der Begriffe Alim und £lmiye in Zilfis Untersuchung der familiären Herkunft der osmanischen Ulema seit Ahmed III. (1703-1730) weist auch Peirce in einer Rezension des Buches The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600-1899) hin. Sie schreibt von "[...] inconsistent usage of the term ilmiye, which clouds the analysis" und präzisiert: "[…] the term is at times used with the widest compass to include the sheikh ül-Islam (chief Mufti); the great mollas – a category which include the justices (kad¤askers), the judges (kad¤s) of Istanbul, Mecca, Medina, Edirne, Bursa, Cairo, Damascus and eight other cities, plus those with honorary rank at these levels; the ranked or hierarchized medrese teachers, jurisconsults (müftis), preachers, and administrators of pious foundations (evkaf). At other times the term appears to refer only to the first three categories, and at still others only to the sheikh ül-Islam and the two chief judges. […] The conclusion the author draws from her empirical analysis of the three top positions (the sheikh ül-Islam and the two chief justices) – the principal basis for her conclusion about aristocratizing tendencies – may well holf for other groups within the ilmiye, but the book offers no empirical evidence in this regard." (Leslie P. PEIRCE (1991): Rezension zu Madeline C. Zilfi (1988): The Politics of Piety: The Ottoman Ulema in the Postclassical Age (1600-1800), International Journal of Middle East Studies, 23, 4, S. 625-628: 626f.).

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Wenn Zilfi also für das 18. Jahrhundert zu dem Schluss kommt, dass die hohe osmanische £lmiye eine geschlossene, aristokratische Gesellschaft darstellte, dann bezieht sich das – auch wenn sie das so nicht schreibt – nur auf die obersten drei Ränge, mit anderen Worten auf das Höchste vom Hohen. Kann man sich aber auf die Untersuchung der Inhaber so weniger Ämter beschränken? Lässt sich dann wirklich von einer gesellschaftlichen Schicht sprechen? Ich denke nicht und plädiere deshalb dafür, die Istanbuler Gelehrtenschaft so weit zu fassen, wie das Werk ¡eyhîs und die Wahrnehmung der Gesellschaft es nahe legen. Das heißt konkret: Alle Ulema, die von ¡eyhî mit einer Biographie gewürdigt wurden, das sind alle diejenigen Studierten, die ein der 40 Akçe Medrese folgendes Amt erreicht hatten und an Istanbul gebunden waren, bildeten 'die Klasse der Istanbuler Ulema'. Das bedeutet, dass Söhne nicht hauptstädtischer Ulema trotz aller genannten Benachteiligungen, mit denen sie beim Ein- und Aufstieg in die und in der hohen osmanischen £lmiye zu kämpfen hatten, sehr wohl in diese Zirkel aufsteigen konnten und sogar die Mehrheit der Istanbuler Gelehrtenschaft des 17. Jahrhunderts bildeten. Die Frage nach der Geschlossenheit jener Klasse der Gesellschaft lässt sich damit eindeutig mit nein beantworten.294 Es gab zwar verschiedentlich Bestrebungen aufsteigenden 'Außenseitern' diesen Karriereweg zu versperren oder zumindest zu erschweren (etwa durch die ungleichen Voraussetzungen beim Erwerb von mülâzemet und rüus), doch zeigen vorliegende Zahlen, dass diese Bemühungen ihr Ziel weitestgehend verfehlten.

'Außenseiter' an der Spitze der £lmiye War die osmanische £lmiye des 17. Jahrhunderts auf allen Ebenen offen für 'Außenseiter'? Zilfis prosopographische Untersuchung beschreibt nicht die ganze £lmiye, sondern die obersten Ämter als von wenigen Familien kontrolliert, als Aristokratie. Lässt sich im 17. Jahrhundert von einer Istanbuler £lmiye sprechen, die, wie die des 18. Jahrhunderts, in den höchsten Rängen durch wenig Mobilität gekennzeichnet war? Beruht das bisher dargestellte Ergebnis vorwiegend auf Durchlässigkeit in den unterhalb des Amtes des Anadolu Kazaskeri angesiedelten Rängen der religiösen Hierarchie? Eine Zilfis Studie analoge Betrachtung kann Aufschluss

294 In anderen islamischen Gesellschaften blieb der Weg in die Klasse der Religionsgelehrten nicht aus diesen Kreisen stammenden Männern ebenfalls nicht verschlossen. Wenn auch in geringerem Umfang, so beschreibt Brown die religiöse Schicht des husainidischen Tunesien als durchlässig. Er formuliert: "[…] the ulema class still appears as the institution in Husaynid Tunisia offering the greatest opportunity for both geographical and social mobility to the largest number of Tunisians. In its recruitment of new members just as in its social role, the ulema class played a well-nigh unique role of both leaven and cement for Tunisian society." (L. BROWN (1972): 63).

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über eine etwaige 'Zwei-Klassen-£lmiye' in der Periode zwischen 1040 (1630/1) und dem Amtsantritt Ahmeds III. 1115 (1703) geben. Dazu werden von den bearbeiteten Biographien jene betrachtet, die Ulema beschreiben, die die drei höchsten religiösen Ämter in der osmanischen £lmiye erreichten. Im Untersuchungszeitraum stiegen 68 Ulema bis zum Amt des Kazasker auf, 24 von ihnen wurden ¡eyhülislam. Welchen familiären Hintergrund die Gelehrten, die diese Spitzenämter der osmanischen £lmiye erreichten, hatten, ist in folgender Tabelle dargestellt: Tabelle 6. Die Spitzenämter Zeitraum

1040-1115 (1630/1-1703)

Ulema, die bis zum Kazasker und ¡eyhülislam aufstiegen Anzahl Ulema, die aus Istanbuler Ulema, die nicht aus insg. Ulemafamilien stammten Istanbuler Ulemafamilien stammten 68

38

56 %

30

44 %

Der Anteil der Ulema, die nicht aus Istanbuler Gelehrtenfamilien stammten und bis in die höchsten Ämter aufstiegen, die einem Alim offen standen, liegt bei 44 Prozent und damit deutlich niedriger als in der gesamten hauptstädtischen £lmiye. Betrachtet man ausschließlich den Posten des ¡eyhülislam, so ist ihr Anteil noch geringer. Nur neun der 24 ¡eyhülislam der Zeit295 stammten aus solchen Familien, die übrigen 15 waren Söhne von Mitgliedern der Istanbuler Gelehrtenschaft.296 Zwar finden sich in den Rängen der Hierarchie, die niedriger waren als der des Anadolu Kazaskeri, weit häufiger Ulema, die als erste ihrer Familie hohe Gelehrte wurden, doch beschreibt dieses Ergebnis trotzdem keine 'Zwei-Klassen-£lmiye'. Auch die höchsten Ämter der religiösen Ordnung des Staates wurden von Männern 295 In der turbulenten Übergangsperiode zwischen Sultan Mustafa II. (1695-1703) und seinem Bruder und Nachfolger Ahmed III. (1703-1730) gab es einen weiteren ¡eyhülislam, Yekçe¢m Hüseyin Efendi. Er hielt dieses Amt allerdings nur für vier Tage. Neben der extrem kurzen Amtszeit verlangen auch die Umstände seiner Berufung in dieses Amt, ihn aus der Gruppe der ¡eyhülislam des Untersuchungszeitraumes auszuschließen. 296 Ortayl¤ hat ebenfalls die sozialen Hintergründe der ¡eyhülislam betrachtet und kommt zu dem Ergebnis, dass in der Zeit vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts neun der ¡eyhülislam dieser Periode aus gehobenen und sehr hohen Ulemafamilien stammten, einer Sohn eines ¡eyh und ein weiterer Sohn eines hochrangigen Staatsbeamten war. Die übrigen neun kämen "aus dem Volk". Zwischen 1702 und 1750 hätte die Abstammung an Bedeutung gewonnen, denn nur noch vier der 30 ¡eyhülislam stammten "aus dem Volk", 21 hingegen aus der hochrangigen £lmiye, oft waren die Amtsinhaber selbst Söhne eines ¡eyhülislam. Einer der den höchsten Posten der osmanischen £lmiye dieser Zeit bekleidenden Ulema war Sohn eines ¡eyh, drei kamen als Kinder hoher Staatsbeamter auf die Welt (ORTAYLI (2002): 282).

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eingenommen, deren Ursprünge nicht in der hauptstädtischen £lmiye lagen. Sie stellten mehr als jeden dritten ¡eyhülislam und beinahe jeden zweiten Alim, der in seiner Karriere bis zum Kazasker aufstieg. Es gilt also eine Unterscheidung zu treffen und die gewonnenen Ergebnisse über die Zusammensetzung der hohen osmanischen £lmiye dahingehend zu spezifizieren, dass diese gesellschaftliche Schicht durch Durchlässigkeit nach außen zu charakterisieren ist, die höchsten Ränge der Hierarchie allerdings stärker von traditionellen Gelehrtenfamilien bestimmt wurden als niedrigere Ämter.297 Von einer Aristokratisierung oder einer in diese Richtung zielenden Entwicklung der drei höchsten religiösen Posten des Staates lässt sich aber keineswegs sprechen. Eine Verfasstheit der gelehrten Spitze des Reiches, wie sie Zilfi für das 18. Jahrhundert beschreibt, zeichnete sich im vorangehenden Jahrhundert nicht ab.

Dauerhafte Mitgliedschaft in Aussicht? Es wäre zu untersuchen, wie viele der zwischen 1040 (1630/1) und 1115 (1703) neu in die Istanbuler Gelehrtenschaft aufgestiegenen Männer ihre Familie in diesen Kreisen dauerhaft etablieren konnten und die Nachkommen welcher von ihnen durch die Sprösslinge alteingesessener Ulemafamilien verdrängt wurden. Für eine erste quantitative Auswertung wären die den Vekayiü’l-Fudalâ zu entnehmenden Daten ausreichend, da ¡eyhîs Werk mehrere Generationen einer Familie dokumentiert. In zahlreichen der analysierten Biographien verweist der Autor auf Söhne, teilweise sogar auf Enkel der Ulema. Auch einige in Zilfis Arbeit über das 18. Jahrhundert vorgestellte Biographien beschreiben Söhne von im vorigen Jahrhundert in diese gesellschaftliche Schicht gelangten Gelehrten. Die Durchsicht aller verzeichneten Lebensbeschreibungen legt nahe, dass zwar mehr Nachkommen bereits über mehrere Generationen etablierter Ulemafamilien ebenso hohe Posten bekleideten wie ihre Vorfahren, dass es aber einem bedeutenden Teil der neu in diese Klasse Eingedrungenen gelang, ihren Söhnen eine Mitgliedschaft in den Zirkeln der Istanbuler Gelehrtenschaft und die damit verbundenen Privilegien zu sichern.298 Ver297 An diesen Ergebnissen wird deutlich wie irreführend eine Untersuchung wie die von Itzkowitz und Shinder (ITZKOWITZ/SHINDER (1972)) sein kann, die sich ausschließlich auf eine Zusammenstellung und Auswertung der sozialen Hintergründe von ¡eyhülislam gründet und damit die Zusammensetzung der osmanischen £lmiye im Laufe der Jahrhunderte darzustellen gewillt ist. Vgl. dazu auch die Anmerkungen in der Einleitung. 298 Auch in anderen Regionen, Metiers und Zeiten war es üblich, dass Söhne ihren Vätern beruflich folgten (und so ist es nicht selten ja auch noch heute). Zu diesem Phänomen unter den Religionsgelehrten im husainischen Tunesien vgl. L. BROWN (1972): 64f., zu den Ulema im Ägypten des 19. Jahrhunderts vgl. SHAKED (1971): 65, zu den Söhnen von Militärs und ¡eyh in Syrien um 1700 vgl. ESTABLET/PASCUAL (1994): 190.

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flechtungen zwischen traditionellen und neu aufgestiegenen Familien zeigen, wie vollständig zahlreiche 'Außenseiter' Teil der hauptstädtischen £lmiye wurden. Wie diese Integration im Einzelnen erreicht wurde, müsste durch detaillierte Studien geklärt werden. Dass persönlichen Bindungen ein außerordentlicher Stellenwert beikam, macht die Analyse der Lebensbeschreibungen deutlich. Kontakte des Vaters wurden in den folgenden Generationen oft zu engeren Verhältnissen, durch die die Stellung der Familie in den Zirkeln der hohen Gelehrtenschaft des Reiches zementiert wurde.

3.2

BEZIEHUNGEN UND IHR NUTZEN FÜR DIE KARRIERE

3.2.1

Zusammen erfolgreich

Die Protegés Kontakte und Beziehungen spielten sowohl beim Einstieg in die als auch beim Aufstieg in der £lmiye eine zentrale Rolle. In den meisten Fällen erwähnt ¡eyhî ein Patronageverhältnis für einen frühen Zeitpunkt der Karriere eines Alim; sei es in der späten Ausbildungsphase, sei es als junger Müderris oder Kadi. Klientelbeziehungen konnten jahrelang zu einem Patron bestehen, ein Alim konnte allerdings auch zu einem anderen Patron wechseln299 oder manchmal mehrere Patrone haben. Wie an verschiedenen Stellen bereits deutlich geworden, beschleunigten neben Verwandtschaft insbesondere diese im Osmanischen mit intisâb bezeichneten Verbindungen zwischen Patron und Klient die Karriere. Hac¤ Hüseyin Efendi Tâbii Musahib Pa¢a300 aus Bolu in der Provinz Anadolu etwa beendete seine Müderrislaufbahn bereits nach der 40 Akçe Medrese und erhielt einen dementsprechend niedrigen Kadiposten, Sayda/Beirut, im Libanon. Noch während er diesen Posten inne hatte, ermöglichte ihm seine intisâb-Beziehung zu einem Musahib Pa¢a einen steilen Karrieresprung: er wurde Kadi von Trabulus¢am. Einzelbiographien veranschaulichen ebenso die Bedeutung von Beziehungen für den Erfolg in der religiösen Ordnung des Osmanischen Reiches wie die quantitative Auswertung der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ: In 112 der 715 untersuchten Lebensbeschreibungen, das bedeutet in mehr als jeder siebten, berichtet ¡eyhî von einem Patronageverhältnis, das der Dargestellte unterhielt. Greift man aus dieser Gruppe die Biographien derjenigen heraus, die eines der drei höchsten Ämter der £lmiye inne hatten, also ¡eyhülislam, Rumeli- und Anadolu Kazaskeri wurden, so liegt der Anteil doppelt so hoch: fast ein Drittel dieser ranghöchsten Ulema des 17. 299 UNAN (2003): 212. 300 Gest. 1094 (1682/3) (¡EYHÎ: I.507.1).

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Jahrhunderts, die nicht hauptstädtischen Gelehrtenkreisen entstammten, konnte in ihrer Laufbahn auf die Unterstützung eines Patrons, mit dem sie durch intisâb verbunden waren, setzen. Der Schluss, dass die Ulema, die in die Spitzenämter der £lmiye aufstiegen, auch deshalb so erfolgreich waren, weil ihre Karrieren durch einflussreiche Persönlichkeiten zusätzlich vorangetrieben wurden, liegt nahe. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Aussichten in der £lmiyelaufbahn bis in die höchsten Ämter vorzudringen deutlich schlechter waren, konnte der Alim nicht auf Patronagebeziehungen zurückgreifen.

Patronage für die Konkurrenz? In den Biograpien der nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammenden Gelehrten führt der Verfasser intisâb-Beziehungen zu Mitgliedern der verschiedenen Gruppen der osmanischen Elite auf. Es finden sich Großwesir301 neben ¡eyhülislam,302 Nakibüle¢raf303 neben Reisülküttab,304 Kazasker305 neben Pa¢a,306 Vali307 neben hazinedâr,308 ehemals diese Posten inne habende neben solchen, die noch im Amt waren. Aber nicht nur die Höchsten der Hohen konnten als Patrone fungieren; ¡eyhî berichtet etwa von einem ehemaligen Kadi von Aleppo,309 einigen kaymakam310 und einem kethüda der Sultansmutter,311 die Gelehrte ohne Istanbuler Ulemahintergrund protegierten.312 301 Vgl. etwa die Biographien von Husrev Pa¢a £mam¤ Habib Efendi (¡EYHÎ: I.33.3) und Civan Kap¤c¤ba¢¤ Mehmed Pa¢a £mam¤ Abdürrahim Efendi (ibid: I.377.2). 302 Vgl. etwa die Biographien von Balizade Emini Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.292.1) und Kamranzade Ali Efendi (ibid: I.300.2). 303 Vgl. etwa die Biographie von Seyrekzade Haf¤z¤ Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.537.1). 304 Vgl. etwa die Biographie von ¡eyhülislam Minkarizade Efendi Damad¤ Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.513.2). 305 Vgl. etwa die Biographien von Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.526.1) und Kap¤c¤zade Ahmed Efendi (ibid: I.438.1). 306 Vgl. etwa die Biographie von Allamek Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.29.3). 307 Vgl. etwa die Biographie von Antakyal¤ Mustafa Efendi (¡EYHÎ: II.24.1). 308 Vgl. etwa die Biographie von Hazinedâr Ali Pa¢a £mam¤ Seyyid Mehmed Efendi (¡EYHÎ: II.70.1). 309 Biographie von Nasruh Pa¢azade £mam¤ Zilevî Mahmud Efendi (¡EYHÎ: I.307.1). 310 Vgl. etwa die Biographien von Kara £brahim Pa¢a £mam¤ Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.504.2), Kuyumcuzade £smail Efendi (ibid: II.142.2) und Erzurumî Adüllatif Efendi (ibid: II.27.1). 311 Biographie von Valide Kethüdas¤ £mam¤ Süleyman Efendi (¡eyhÎ: I.517.2). 312 In wenigen Ausnahmefällen präzisiert ¡eyhî nicht, wer als Patron fungierte, vgl. etwa die Biographie von Koçba¢ Mahmud Efendi (¡eyhÎ: I.367.2), in der ¡eyhî schreibt, der Alim unterhalte ein intisâb-Verhältnis zu einem der Ulema (‫ )   اب‬oder die Biographie von Öreke Mustafa Efendi (ibid: I.184.1), in der ¡eyhî von einer intisâb-Beziehung zu einem der 'ulema-i kirâm' berichtet ( ‫   ا  دردر ا‬ ‫)اب‬.

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Die Personen, die ¡eyhî als Patrone aufführt, waren alle mehr oder minder bedeutende Männer der höhergestellten Istanbuler Gesellschaft, viele waren selbst Ulema. Gerade diese hatten – so könnte man im ersten Moment denken – kein Interesse daran, junge Medreseabsolventen, die von außen in die Istanbuler Gelehrtenschicht einzudringen versuchten, in diesem Bemühen zu unterstützen. Sie mussten sich um ihre eigenen Söhne sorgen und ihnen die einzelnen Schritte in der Hierarchie erleichtern oder gar ganz abnehmen. Wieso schafften sie ihren eigenen Familienmitgliedern dennoch zusätzliche Konkurrenten, noch dazu in einer derart angespannten 'Arbeitsmarktsituation'? Das Verhalten der Patrone, vor allem der Ulema unter ihnen, die besonders mit dem Zustrom in die £lmiye zu kämpfen hatten, erscheint irrational. Doch stellt sich die Situation nur aus der Vogelperspektive so dar; von seinem persönlichen Standpunkt aus betrachtet, agierte jeder Patron äußerst überlegt. Ihm ging es weniger um die Entwicklung der Klasse der Istanbuler Ulema insgesamt als vielmehr darum, die Stellung der 'Eigenen' zu festigen und auszubauen, gerade in schweren Zeiten. Ein geeignetes Mittel dazu waren nicht nur Beziehungen zu alteingesessenen Gelehrtenkreisen, sondern auch die Bindung hoffnungsvoller Männer von außerhalb an sich und sein Haus. Da die überwiegende Mehrheit dieser Männer keinen anderen Rückhalt hatte, oft auch finanziell von ihrem Patron abhängig war, konnte jener sich ihrer Loyalität sicher sein. Suchte man sich seine Protegés gewissenhaft aus, hatte man gute Chancen, dass der eine oder andere von ihnen in seiner Laufbahn hoch aufstieg und seinen gewonnenen Einfluss zum Wohle des alten Förderers und der 'Seinigen' einsetzte. Das erklärt, warum zahlreiche Ulema, die nicht hauptstädtischen Gelehrtenfamilien entstammten, bei ihrem Aufstieg in diese Kreise auf die Hilfe von Männern aus der gehobenen bis sehr hohen Istanbuler Gesellschaft, oft auch der £lmiye, bauen konnten. Es lässt sich folglich nicht sagen, dass die hauptstädtischen Gelehrten in ihrem Handeln darum bemüht waren, sich als geschlossene Gesellschaft zu etablieren.313

313 Die Situation, die Zilfi für das 18. Jahrhundert beschreibt, weicht deutlich von diesem Ergebnis ab: "Ulema success in perpetuating the interests of the ulema-born turned on their ability to block avenues of recruitment and mobility not of the ilmiye’s own making." (ZILFI (1983b): 320). In anderen Gebieten und Epochen hingegen scheint der Umgang mit neu in die Kreise der Gelehrsamkeit strebenden Männern dem der osmanischen £lmiye des 17. Jahrhunderts zu ähneln. So beschreibt Brown die Rolle alteingesessener Gelehrtenkreise im husainidischen Tunesien als 'Außenseitern' gegenüber nicht abgeneigt und betont ihre Rolle beim Aufstieg nicht aus Gelehrtenkreisen stammender Männer auf ihrem Weg zu Religionsgelehrten: "The entrenched ulema seem to have permitted without mental reservation competent newcomers to join their ranks. There is no indication of old religious families showing prejudice against a newcomer qua newcomer or attempting to block his advancement. The major difficulty was that the newcomers as a relative unknown needed to catch someone’s eye. He required a patron or a sponsor." (L. BROWN (1972): 63f.). Zu sehr ähnlichen Ergebnissen in dem ganz anderen Bereich der Istanbuler Handwerker des 17. Jahrhunderts kommt

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Klientelbeziehungen waren durch Ungleichheit der beiden Partner charakterisiert, brachten aber sowohl dem einen als auch dem anderen Vorteile: Versorgung, Schutz und Förderung der Karriere standen Loyalität und daraus resultierend einer Stärkung der sozialen und politischen Stellung des Patrons gegenüber. 3.2.2

Zwischen Privatem und Dienstlichem: Beziehungsformen in der osmanischen Gesellschaft

¡eyhîs Werk bietet nicht nur die Möglichkeit den Nutzen von intisâb-Beziehungen, wie sie die Ulema des 17. Jahrhunderts unterhielten, genauer herauszustellen. Auch der Charakter und die Entstehung von Patronageverhältnissen kann mithilfe dieser Quelle näher beschrieben werden. Durch einige exemplarische Ausschnitte aus Lebensbeschreibungen soll dies verdeutlicht werden: Bsp. 1

Bsp. 2

Bsp. 3

Bsp. 4

314 315 316 317

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Er [Kara £brahim Tabii £shak Efendi] wurde durch ein intisâb-Verhältnis zum ehemaligen Sadrazam Kara £brahim Pa¢a und dessen Unterstützung beglückt. [Der Alim Husrev Pa¢a £mam¤ Habib Efendi] erfuhr durch eine intisâbBeziehung zum ehemaligen Sadrazam Husrev Pa¢a und als dessen Imam Ehre. Deswegen ist er unter dem Namen Husrev Pa¢a £mam¤ bekannt. Er [Balizade Emini Ahmed Efendi] war mit der Pforte (asitâne) des ¡eyhülislam Balizade Mustafa Efendi verbunden, erhielt von ihm eine mülâzemet und diente ihm in jener Zeit als fetva emini, was ihm Ehre brachte. Durch intisâb zu einigen Ulema (wörtl.: einigen 'Großen' des Weges) erhielt [Kara¢ükrullah Efendi Damad¤ Hüseyin Efendi] eine mülâzemet.

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Yi in ihrer Untersuchung: "Outsiders could easily enter guilds by making connections to the guild masters or the landlords of the guild shops." (YI (2004): 111) und "In the early decades of the seventeenth century, most guilds appearently did not attempt to impose strict regulations on people coming into their trade or leaving it, particularly if the matter was handled through guildsmen or established shop owner." (ibid: 52). Biographie von Kara £brahim Tabii £shak Efendi (¡EYHÎ: II.4.2). Biographie von Husrev Pa¢a £mam¤ Habib Efendi (¡EYHÎ: I.33.3). Biographie von Balizade Emini Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.292.1). Biographie von Kara¢ükrullah Efendi Damad¤ Hüseyin Efendi (¡EYHÎ: I.96.1).

Bsp. 5

Bsp. 6

[Hattat Ömer Efendi] beherrschte die Regeln der Schreibkunst des ta’lîkDuktus so hervorragend, dass er mit den Pforten (asitâne) der 'Großen' durch intisâb verbunden war. Durch die Schönheit seiner Schriftkunst gelangte er in ihre Nähe. Dadurch, dass [Eyyubî Müezzin ¡aban Efendi] dem ehemaligen Großwesir Köprülüzade Ahmed Pa¢a den großen Korankommentar 'Tefsîr-i Kebîr'319 abschrieb, entstand ein intisâb-Verhältnis und [der Beschriebene] erfuhr Ehre und Ansehen.

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Wie eng sind Bindungen? Über Begriffe und ihre Verwendung Wie aus den Beispielen ersichtlich, verwendet ¡eyhî, berichtet er von Beziehungsgeflechten, in einigen Fällen den Begriff asitâne in Verbindung mit intisâb, in anderen nicht. Asitâne bedeutet 'Schwelle', 'Pforte' und bezeichnete meist die Hauptstadt Istanbul insgesamt als den Ort, an dem sich die Pforte des Sultanspalastes befand. Wie ist der Begriff asitâne nun im vorliegenden Kontext zu verstehen? Sind es nur stilistische Varianten, dieses Wort zu verwenden oder darauf zu verzichten? Oder ist asitâne als kap¤321 zu deuten, also am besten mit dem englischen 'household' zu übersetzen? Es wäre zu prüfen, ob es Unterschiede in der Intensität der Beziehung zwischen Patron und Klient gab, ob die Wendung '(birinin) asitânesine intisâb' beinhaltet, dass der Klient Mitglied des kap¤ seines Patrons wurde und dort auch wohn-

318 Biographie von Hattat Ömer Efendi (¡EYHÎ: I.352.1). 319 Bekannter Korankommentar des Fahreddin er-Râzi, Gelehrter aus dem östlichen Iran/ Zentralasien des 12. Jahrhunderts. 320 Biographie von Eyyubî Müezzin ¡aban Efendi (¡EYHÎ: II.12.3). 321 Ausführliche Studien zu kap¤ und den ihnen zugrunde liegenden Beziehungen sind etwa die verschiedenen Arbeiten von Abou-el-Haj (RifaÝat ÝAli ABOU-EL-HAJ (1985): "The Nature of the Ottoman State in the Latter Part of the XVIIth Century". In: Andreas Tietze (Hg.): Habsburgisch-osmanische Beziehungen, Wien, S. 171-185, ibid. (1984): The Rebellion of 1703 and the Structure of Ottoman Politics, Leiden und ibid. (1974)) sowie die Aufsätze von Findley und Unan (FINDLEY (1980) und Fahri UNAN (1991): “Osmanl¤ Resmî Dü¢üncesinin '£lmiye Tarîki' £çindeki Etkileri: Patronaj £li¢kiler", Türk Yurdu 11, S. 33-41). Zu dieser Thematik im osmanischen Ägypten vgl. die Arbeiten von Hathaway (Jane HATHAWAY (1995a): "The Military Household in Ottoman Egypt", International Journal of Middle East Studies, 27, 1, S. 39-52, ibid: (1995b): "Marriage Alliances among the Military Households of Ottoman Egypt", Annales Islamologiques, 29, S. 133-149 und ibid. (1997)). Zum osmanischen Irak und dazu, auf welchen verschiedenen Ebenen die Beziehungen der kap¤-Mitglieder zum Patron bestehen konnten, vgl. LIER (2004), zu Patronageverhältnissen im ruralen Kontext im Osmanischen Reich (insbesondere Anatolien) vgl. BARKEY (1994): 91-107.

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te, während intisâb alleine nur eine Bindung an jenen bedeutete, ohne zwangsweise etwa mit räumlicher oder finanzieller Abhängigkeit verknüpft gewesen zu sein. Für eine solche begriffliche Unterscheidung spricht das Ergebnis einer quantitativen Untersuchung: In mehr als 60 Biographien wird von einer Verbindung mit der asitâne des Patrons gesprochen, in nur gut einem Dutzend davon ist jener nicht ¡eyhülislam oder Großwesir. Kazasker und hohe Pa¢a finden sich vereinzelt unter den Patronen, mittlere Kadi oder Amtsträger ähnlichen Ranges nicht. Betrachtet man ferner die relative Häufigkeit, in der eine intisâb-Beziehung im Zusammenhang mit dem Begriff asitâne vorkommt, im Zeitverlauf, dann stellt sich heraus, dass diese sich von der ersten bis zur letzten Periode verdoppelt: Zehn Prozent der in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verstorbenen Ulema, die nicht aus einer hauptstädtischen Gelehrtenfamilie stammten, unterhielten eine Beziehung dieser Art. Die intisâb-Beziehungen, die nicht im Zusammenhang mit asitâne standen, sind im Durchschnitt nur halb so oft anzutreffen und steigen im Untersuchungszeitraum nur schwach an. Gingen wir davon aus, dass '(birinin) asitânesine intisâb' die Aufnahme in einen kap¤ mit finanzieller und räumlicher Bindung bedeutete, dann ließe sich die Zunahme dieser Spielart von intisâb-Verbindungen gut erklären. Kap¤ wurden nur von sehr hohen Würdenträgern unterhalten – dies würde begründen, warum im Zusammenhang mit asitâne im Wesentlichen ¡eyhülislam und Großwesir als Patrone auftauchen, bei anderen intisâb-Beziehungen aber auch zahlreiche wietere Personengruppen. Die kap¤ dieser führenden osmanischen Familien beendeten die Monopolstellung des Sultanshofs in der Rekrutierung der wichtigsten Staatsdiener.322 Indem ein kap¤-Vorstand vielversprechende Männer an seine Familie und sein Haus band, ihnen eine vorzügliche Ausbildung zukommen ließ und sie damit für die höchsten Posten des Reiches qualifizierte, sicherte er sich durch geschickte Personalpolitik Einfluss und Macht. Außerdem entwickelten sich diese dem Sultanshof nachempfundenen kap¤ verstärkt seit der Mitte des 17. Jahrhunderts.323 Der osmanische Geschichtsschreiber Naima berichtet, dass die zivilen kap¤ den Staat übernommen hätten, dass in den letzten zwei Jahrzehnten des Jahrhunderts 40 solcher Häuser über die Hälfte der Besetzungen von hohen Staatsämtern kontrollierten.324 Hier wäre der Grund zu sehen, warum der Anteil der Ulema, die sich seit dieser Zeit in einem mit '(birinin) asitânesine intisâb' bezeichneten Patronageverhältnis befanden, deutlich höher lag als der ihrer Vorgängergeneration. Die angeführten Argumente sprechen für eine Differenzierung zwischen '(biri)yle intisâb' und '(birinin) asitânesine intisâb' als Wendungen, die Beziehungen unter322 ABOU-EL-HAJ (1974): 438, 443 und ABOU-EL-HAJ (1984): 8f. 323 ABOU-EL-HAJ (1984): 88. 324 ABOU-EL-HAJ (1991): 45.

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schiedlicher Intensität beschreiben. Während '(biri)yle intisâb' ein Patronageverhältnis beschreibt, scheint '(birinin) asitânesine intisâb' darüber hinauszugehen und die Aufnahme in den kap¤ einer der großen Familien des Reiches zu bedeuten. Um diesen aus den Vekayiü’l-Fudalâ gewonnenen Eindruck zu bestätigen oder zu korrigieren, wären weitere Quellen hinzuzuziehen, die eine genauere Analyse der semantischen Funktion beider Ausdrücke ermöglichen.

Der Patron als Dienstherr und Lehrer Während sich die als erstes Beispiel angeführte Passage der Lebensbeschreibung Kara £brahim Tabii £shak Efendis auf die Nennung eines intisâb-Verhältnisses zu Kara £brahim Pa¢a beschränkt, legt im zweiten Beispiel bereits der Name des Alim, Husrev Pa¢a £mam¤ Habib Efendi, nahe, dass das im Text angesprochene intisâbVerhältnis zu Husrev Pa¢a ein Arbeitsverhältnis einschloss. Am Ende der Biographie folgt die erwartungsgemäße Erläuterung des Namens: Der Alim, aus dessen Biographie der Ausschnitt entnommen ist, diente seinem Patron als Imam. In den Vekayiü’l-Fudalâ finden sich zahlreiche Beispiele für eine solche Verbindung von Patronage und Dienstleistung. ¡eyhî spezifiziert nicht in allen Fällen die Art der Tätigkeit (manchmal vermerkt er lediglich, dass ein 'Dienstverhältnis' bestand),325 wohl aber in den meisten. Ihr überwiegender Teil bezieht sich, wie in Beispiel zwei, auf den Posten des Imam eines Patrons. Klienten nahmen aber auch andere Aufgaben war, etwa den des Lehrers (des Patrons und/oder seiner Kinder),326 den des tezkireci,327 des mektubcu,328 des muid,329 des naib330 oder auch des fetva emini, wie im dritten Beispiel des Balizade Emini Ahmed Efendi. Seine Lebensbeschreibung verdeutlicht ferner den Zusammenhang zwischen Patron, mülâzemet-Aussteller und ehemaligem Lehrer. Sie waren in zahlreichen Fällen ein und derselbe. Das weist auf den Nutzen eines intisâb-Verhältnisses für einen ambitionierten Medreseschüler hin: Nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammende dani¢mend konnten nicht darauf bauen, von ihrem Vater, Onkel oder einem Freund der Familie eine mülâzemet ausgestellt zu bekommen. Für sie stellten Beziehungen zu hohen Gelehrten, aber auch zu hohen Nicht-£lmiyemitgliedern, die ihren Einfluss spielen lassen konnten, eine gute Möglichkeit dar, den Einstieg in die £lmiyelaufbahn zu meistern. 325 Vgl. etwa die Biographie von †avu¢zade £brahim Efendi (¡EYHÎ: I.101.1). 326 Vgl. etwa die Biographien von Yekçe¢m Kürd Süleyman Efendi (¡EYHÎ: II.148.1) und Sivasîzade Efendi Hocas¤ Ömer Efendi (ibid: I.333.1). 327 Vgl. etwa die Biographie von Tezkireci Abdülhalim Efendi (¡EYHÎ: II.83.2). 328 Vgl. etwa die Biographie von Arikzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: II.195.1). 329 Vgl. etwa die Biographie von Seyrekzade Haf¤z¤ Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.537.1). 330 Vgl. etwa die Biographien von Alaiyeli £brahim Efendi (¡EYHÎ: I.257.1) und Katib Mahmud Efendi (ibid: I.473.1).

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Gefährliche Beziehungen Ein intisâb-Verhältnis barg Risiken: Fiel der Patron in Ungnade, dann hatten auch seine Klienten einen schweren Stand. Im besten Fall konnten sie sich nach einem neuen Patron umsehen, was sicher gerade in dieser Situation nicht ganz einfach war, im schlechtesten Fall bezahlten sie mit ihrem Posten, manchmal sogar mit ihrem Leben. Das Paradebeispiel für Beziehungsgeflechte, ¡eyhülislam Feyzullah Efendi, bescherte mehreren seiner Klienten ein solches Ende. Der bereits verschiedentlich wegen seiner nepotistischen Politik erwähnte ehemalige Sultanslehrer und ¡eyhülislam unter Mustafa II. (1695-1703) war einer derjenigen, an denen sich der Zorn im Edirne Vak’as¤ zu Beginn des 18. Jahrhunderts entlud (und der war nicht unberechtigt – Feyzullah Efendi hatte seine halbe Verwandtschaft aus Erzurum in Amt und Würden gebracht).331 Noch vor dem ¡eyhülislam selbst,332 bekamen einige der an ihn gebundenen Männer die Konsequenzen seiner Politik zu spüren: ¡eyhülislam Feyzullah Efendis Söhne wurden abgesetzt oder verbannt,333 einer von ihnen zahlte mit seinem Leben und auch seine beiden Schwager Vanîzade Seyyid Ahmed Efendi und Vanîzade Seyyid Süleyman Efendi wurden exekutiert. Die beiden Schwager waren Söhne ¡eyh Mehmed Vanî Efendis.334 Der ältere der beiden, Vanîzade Seyyid Ahmed Efendi begleitete seinen Vater, als dieser aus Erzurum nach Edirne und anschließend nach Istanbul kam. Während der Sohn die Medresen besuchte, machte der Vater Karriere. ¡eyh Mehmed Vanî Efendi wurde Lehrer Mehmeds IV. (16481687) und hatte beachtlichen Einfluss am Hof. ¡eyhülislam Feyzullah Efendi berichtet, dass ¡eyh Mehmed Vanî Efendi es war, der ihn, als den Sohn seines ehemaligen Mentors aus Erzurum, nach Istanbul brachte und beim Aufstieg in der £lmiye unterstützte. Die familiären Bindungen wurden durch Ehen gefestigt. Wie ¡eyhülislam Feyzullah Efendi in einem Text schreibt, heiratete er nacheinander zwei der Töchter der Sultanslehrers ¡eyh Mehmed Vanî Efendi.335 Offensichtlich blieb es aber nicht dabei, in den Lebensbeschreibungen der Brüder Vanîzade ist vermerkt, dass sie wiederum mit dem ¡eyhülislam verschwägert waren. Sie beide profitierten erheblich von dieser Verbindung: ¡eyhî zählt die arpal¤k und Titularränge (pâye) auf,

331 Für eine detaillierte Analyse der Rolle Feyzullahs zur Regierungszeit Mustafas II. (1695-1703) und dem Edirne Vak’as¤ vgl. das bereits zitierte Buch von Abou-El-Haj über die Rebellion 1703 (ABOU-EL-HAJ (1984)). Zu seinem Leben, seiner Personalpolitik und seinem (Nicht-) Ansehen innerhalb der £lmiye vgl. ZILFI (1988): 215-220. 332 Seine Biographie ist der erste Eintrag in den Vekayiü’l-Fudalâ für die Regierungszeit Ahmeds III. (1703-1730) (¡EYHÎ: II.247.1). 333 MAJER (1978): 210. 334 Seine Biographie findet sich in den Vekayiü’l-Fudalâ unter der Rubrik '¡eyh' (¡EYHÎ: I.580.3.), vgl. ferner ZILFI (1988): 146-159. 335 FAROQHI (1989): 202.

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die Vanîzade Seyyid Ahmed Efendi erhielt – er gelangte bis zur Istanbul pâye und das als Müderris einer 60 Akçe Medrese in Bursa. Der Fall ¡eyhülislam Feyzullah Efendis, an dem Mustafa II. (1695-1703) trotz aller Kritik festgehalten hatte, bedeutete das (zeitweise) Ende für Protegés und Söhne. Interessant ist, dass die Familie zu einem späteren Zeitpunkt der Geschichte wieder auftauchte.336

Ehe verbindet: Über Heiratsbeziehungen und Loyalität Eine in den Lebensbeschreibungen der Söhne ¡eyh Mehmed Vanî Efendis angeklungene Spielart von Beziehungen blieb vielen Söhnen unbedeutender Herkunft versperrt: die Zementierung eines intisâb-Verhältnisses durch Heirat. Es gibt zwar einige Beispiele dafür, dass aus einfacheren Verhältnissen stammende Ulema in einflussreiche Istanbuler Familien einheirateten, die Regel war dies aber nicht.337 Hatibzade Ahmed Efendi338 ist es gelungen. Wer Hatibzade Ahmed Efendis Vater war wissen wir ebenso wenig wie woher er stammte oder wann er nach Istanbul übersiedelte. In der Hauptstadt erhielt er eine mülâzemet von Ebusuudzade Mehmed Efendi, einem Nachfahren des berühmten ¡eyhülislam unter Süleyman I. (15201566). Zu dessen asitâne verband ihn auch ein intisâb-Verhältnis. Ferner war der Alim unbekannter Ab- und Herkunft mit diesem Mitglied der bedeutenden Ulemafamilie der Ebusuudzade durch Heirat verbunden. Hatibzade Ahmed Efendi ist ein Beispiel für die Praxis, dass kap¤-Vorstände – und auch hier zeigt sich die Vorbildfunktion des Sultanspalastes – langjährigen Protegés eine Bedienstete zur Frau gaben oder sie sogar mit der eigenen Tochter verheirateten.339 Er ehelichte die Tochter seines ehemaligen Lehrers, seines mülâzemet-Ausstellers und seines Patrons in einem. Doch scheint die Verheiratung von kap¤-Mitgliedern, die aus niedrigeren sozialen Verhältnissen stammten, mit den eigenen Töchtern in der £lmiye des 17. Jahrhunderts weniger üblich gewesen zu sein als in anderen Bereichen der osmanischen Elite: Nur 39 aller 715 Ulema ohne Istanbuler Gelehrtenhintergrund wurden damad eines bekannten Mannes. Nur einer Handvoll von diesen wiederum gelang es, Schwiegersohn eines der 'Großen' im

336 FAROQHI (1989): 206f. 337 Zur Bedeutung von Heiratsbindungen zur Festigung eines intisâb-Verhältnisses, zu Heiratspolitik der kap¤ und zu der den Frauen zufallenden Rolle im osmanischen Ägypten vgl. HATHAWAY (1995b) und HATHAWAY (1997): 109-124. Zu Eheschließungen mit Freunden der Familie, Verwandten und über standesgemäßes Heiraten bei osmanischen Ulema vgl. außerdem WALLBRECHT (1970): 153f. 338 Gest. 1061 (1650/1) (¡EYHÎ: I.198.1). 339 FAROQHI (1985): 111, Findley (1980): 229. Findley berichtet außerdem von Adoption (evlatl¤k) als Form der Zementierung von intisâb-Verhältnissen (ibid: 229).

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Staat zu werden.340 Dieses Ergebnis verwundert nicht, kann man doch davon ausgehen, dass die Vorstände bedeutender kap¤ gewillt waren, ihre Stellung zu sichern und auszubauen. Dafür waren Hochzeiten mit hochrangigen Familien besser geeignet als mit Ulema ohne standesgemäße Herkunft.341 Ein erstaunlich hoher Anteil der Heiratsverbindungen in den betrachteten Biographien bestand zu Zaviye-¡eyh. Ein Beispiel dafür ist Emir Buharî ¡eyhî Damad¤ Seyyid Ahmed Efendi.342 Was der Name bereits verrät, spezifiziert ¡eyhî in der Lebensbeschreibung Emir Buharî ¡eyhî Damad¤ Seyyid Ahmed Efendis: Er war damad eines ¡eyh an der Emir Buharî Zaviye, die der Nak¢ibendiye zugehörig war.343 Neben dieser Verbindung (die übrigens sehr schön die mögliche Nähe von 'orthodoxer' Gelehrsamkeit und Sufismus illustriert) spiegelt die Lebensbeschreibung des damad des Nak¢ibendiye-¡eyh viele bisher besprochene Facetten eines intisâb-Verhältnisses wieder und zeigt ferner eine weitere Eigenheit einer solchen Verbindung auf: Emir Buhari ¡eyhî Damad¤ Seyyid Ahmed Efendi war nicht nur durch Heirat in bestimmte Istanbuler Kreise eingebunden, der in Giresun, einer kasaba in der Region von Trabzon am Schwarzen Meer geborene Sohn eines Provinzkadi, unterhielt außerdem zu Beginn seiner Laufbahn ein Patronageverhältnis: Er war mit der asitâne des ¡eyhülislam Abdurrahim Efendi verbunden. Als dieser höchste Würdenträger der osmanischen £lmiye nach Belgrad exiliert wurde, begleitete ihn sein Klient, der gleichzeitig als sein Imam fungierte. Emir Buharî ¡eyhî Damad¤ Seyyid Ahmed Efendi blieb so lange in Belgrad, bis sein Patron verstarb. Erst dann kehrte er in die Hauptstadt zurück und widmete sich seiner Karriere. Neben einer mit einem Dienstleistungsverhältnis verbundenen Beziehung zwischen Patron und Klient zeigt die Lebensbeschreibung einen weiteren Aspekt von intisâb-Beziehungen: Loyalität. ¡eyhî gibt mehrere Beispiele, in denen der Protegé

340 Es finden sich neben den Brüdern Vanîzade vier Schwiegersöhne von ¡eyhülislam und je zwei von Kazasker und Nakibüle¢raf. Außerdem berichtet ¡eyhî von einem Alim, der damad eines Mannes der gehobenen Seyfiye war. Der Schwiegervater half dem Alim indirekt durch seine Kontakte zum Sadrazam Köprülü Mehmed Pa¢a (Biographie von †al¤k Damad¤ Haf¤z Mehmed Efendi (gest. 1102 (1690/1)) (¡EYHÎ: II.61.1)). 341 Für den arabischen Kontext vgl. auch WALLBRECHT (1970): 151. 342 Gest. 1092 (1681) (¡EYHÎ: I.487.2). 343 Allein in Istanbul gibt es mehrere unter dem Namen Emir Buharî bekannte Zaviye. ¡eyhî erläutert im Text nicht, wo sich diejenige befand, in der der Schwiegervater ¡eyh Seyyid Abdullah Nak¢ibendî des vorgestellten Alim tätig war. Es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit nicht um die Zaviye gleichen Namens der ¡eyhî vorstand, denn die ¡eyh dieser Stätte hinter dem Edirne Kap¤ führt Zâkir ¡ükrî Efendi offensichtlich alle auf (¡ÜKRÎ (1980): 54) – ein ¡eyh Seyyid Abdullah Nak¢ibendî ist nicht darunter. Für unsere ungeklärte Frage nach der tarikat-Zugehörigkeit ¡eyhîs und seines Vaters ist jener Nak¢ibendiye-¡eyh also keine Hilfe.

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den Mann, zu dem er durch ein intisâb-Verhältnis gebunden war, sowohl bei Feldzügen als auch ins Exil begleitete.344 3.2.3

Wie wird man Protegé? Von Kontakten zu Bindungen

Arbeit als Kontaktbörse Wie gelang es den vielen Ulema ohne einen gelehrten Verwandten in der Hauptstadt, Beziehungen zu knüpfen, die ihre Karriere beförderten? Wie machten sie einen potentiellen Patron auf sich aufmerksam? Viele der von ¡eyhî erwähnten und für die weitere Karriere vorteilhaften Beziehungen nahmen ihren Ausgang offensichtlich in den letzten Studienjahren, wenn einem für ausreichend gereift befundenen dani¢mend bestimmte Aufgaben etwa in der Medrese, dem Büro eines Kazasker oder des ¡eyhülislam zugewiesen wurden. Diese beeinflussten den Aufstieg in der £lmiyehierachie zwar nicht direkt, ermöglichten dem angehenden Alim aber Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen, aus denen sich nicht selten Patronagebeziehungen entwickelten. Eine gute Kontaktmöglichkeit stellte ferner der Beruf des sahhaf, des Buchhändlers, dar. Zu ihm kamen die Gelehrten, um Handschriften zu erwerben. Sahhaf Resul Efendi,345 der in jungen Jahren als sahhaf arbeitete, kam auf diesem Wege mit vielen wichtigen Männern zusammen, sogar mit dem Großwesir Köprülüzade Fazil Ahmed Pa¢a. Nicht nur mit dem Verkaufen von Schriften, auch mit deren Produktion konnte man das Augenmerk eines potentiellen Patron auf sich ziehen und seine Gunst zu gewinnen versuchen. Hattat Ömer Efendi und Eyyubi Müezzin ¡aban Efendi bedienten sich ihrer künstlerischen beziehungsweise literarischen Fähigkeiten, um die Aufmerksamkeit der wichtigen Männer im Staat zu gewinnen.346 Über die soziale Herkunft der beiden Gelehrten weiß ¡eyhî nichts zu berichten. Er erwähnt nur, dass der Kalligraph Ömer Efendi aus Mostar in Bosnien stammte und Eyyubi Müezzin ¡aban Efendi, wie seine nasab es nahe legt, in Eyüp geboren wurde. Kalligraphie und Buchillumination waren hoch geschätzte Künste, so auch das Abschreiben eines Korankommentars – Eyyubî Müezzin ¡aban Efendi gelangte so in ein Nahverhältnis zum ehemaligen Großwesir. Es ist durchaus denkbar, dass auch einige der Gelehrten, die in einem Patronageverhältnis standen, zu dessen Ent-

344 Vgl. etwa die Biographien von Tezkireci Musa Efendi (¡EYHÎ: I.188.1) und Üsküdarî Ahmed Ramazan Efendi (ibid: I.338.2). Auch in anderen Teilen der islamischen Welt und zu anderen Zeiten trifft man diese Praxis an. Vgl. etwa die von Brown wiedergegebene Lebensbeschreibung des marokkanischen Alim Ahmed b. Halid el-Nasirî im 19. Jahrhundert (K. BROWN (1972): 129f.). 345 Gest. 1095 (1683/4) (¡EYHÎ: I.510.1). 346 Vgl. die Beispielbiographien fünf und sechs zu Beginn dieses Kapitels.

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wicklung ¡eyhî keine Angaben macht, ihre dichterischen Talente eingesetzt haben, um sich bei den 'Großen' bekannt und beliebt zu machen.347

Beziehungen zu außergewöhnlichen Frauen In mehreren Biographien berichtet ¡eyhî von Frauen, zu denen der beschriebene Alim Kontakt hatte und deren Einfluss seiner Karriere förderlich war. Einer von ihnen ist Siyamî Efendi.348 Über Siyamî Efendis Herkunft ist nur bekannt, dass er aus Canik in der Provinz Sivas stammte. Über seinen Vater, seine frühe Ausbildung und den Zeitpunkt seiner Umsiedlung nach Istanbul verrät ¡eyhî nichts. Bis der Alim aus Canik eine 40 Akçe Medrese als Müderris verließ, verlief seine Laufbahn wie vorgesehen. Anschließend erhielt er allerdings kein Provinzkadiamt, wie zu erwarten, sondern den Posten des Kadi von Filibe (Plovdiv). ¡eyhî nennt als Grund für den ungewöhnlich schnellen Aufstieg eine Frau namens Câme ¡uy Hatun: Nachdem er aus der 40 Akçe Medrese ausschied, wurde [Siyamî Efendi] durch die Hilfe der Câme ¡uy Hatun das Kadiamt von Filibe zugesprochen.

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Wer war diese Frau, durch deren Hilfe der Alim aus Canik zu einem für ihn so hohen Kadiposten gelangte? Der Kreis der Frauen, die Einfluss auf die Besetzungen von Stellen hatten, war begrenzt. In letzter Instanz bestätigte der Sultan die Einsetzungen. Aber konnte Siyamî Efendi zu einer Frau aus dem Saray Kontakt aufnehmen, um seine Karriere voranzutreiben? Offensichtlich ja. Eine Câme ¡uy Hatun war für das Waschen der Wäsche verantwortlich – im Harem.349 Die Tatsache, dass ¡eyhî von einer hatun und nicht einer kad¤n spricht, könnte darauf hindeuten, dass sie keine Dienerin (câriye) niedrigsten Ranges war. Welche Stellung sie genau hatte und wie sie ihrem Anliegen Geltung verschaffte, ist ebenso wenig zu eruieren wie die Kontaktaufnahme Siyamî Efendis mit dieser Frau aus dem Inneren des sultanischen Palastes. Hat er ihr vielleicht schöne Briefe geschrieben, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen? In den Vekayiü’l-Fudalâ taucht eine weitere Gruppe Frauen als Unterstützer von Ulema auf: musâhibe. Einer von ihnen begegnet man in der Biographie Ümmi £brahim Efendis,350 dessen soziale wie regionale Herkunft unbekannt ist, einer weiteren

347 Zu dieser Option des Gunsterwerbs vgl. FINDLEY (1980): 232. 348 Gest. 1058 (1648/9) (¡EYHÎ: I.179.1). 349 Ahmed AKGÜNDÜZ (1995): £slâm Hukukunda Kölelik-Câriyelik Müessesi ve Osmanl¤’da Harem, 2. Aufl., Istanbul: 283, 286, 288ff., £smail H. UZUN†AR¡ILI (1984): Osmanl¤ Devletinin Saray Te¢kilât¤, 2. Aufl., Ankara: 460f. 350 Gest. 1062 (1651/2) (¡EYHÎ: I.203.1).

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in der des bereits im Zusammenhang mit Ämterkauf besprochenen Selânik Uºrusu Abdurrahman Efendi.351 In beiden Darstellungen spricht ¡eyhî von musâhibe-i ¢ehriyârî. Die entsprechenden Abschnitte lauten: Durch die intisâb-Beziehung zu einer der musâhibe-i ¢ehriyârî wurde [Ümmi £brahim Efendi][...] zu einem der [Müderris] der Sahn-i Seman berufen. Durch den ser-i bostanyân und dessen Vermittlung verband [Selânik Uºrusu Abdurrahman Efendi] eine intisâbBeziehung zu einer der musâhibe-i ¢ehriyârî. Mit einer Zahlung von acht kise Akçe wurde er zum Kadi von Selânik ernannt.

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Die beiden Gelehrten unterhielten also jeweils eine intisâb-Beziehung zu einer musâhibe-i ¢ehriyârî, zu einer musâhibe des Sultans. Musâhibe bedeutet Gesellschafterin. Aber wen meint ¡eyhî, wenn er von 'einer der Gesellschafterinnen des Sultans' spricht? Die maskuline Form von musâhibe ist musâhib. Musâhib finden sich verschiedentlich in der Literatur über den enderûn, den inneren Palast. Der musâhib war der Gesellschafter des Sultans, der ihn durch Gespräch unterhielt. Ein musâhib hatte nicht nur die Möglichkeit, direkt mit dem Sultan in Kontakt zu treten, er war mitunter auch bei Zusammenkünften des Herrschers mit hohen Würdenträgern des Staates wie Großwesir, ¡eyhülislam und Kazasker zugegen353 – eine ideale Plattform, um ein Anliegen zur Besetzung von Müderris- und Kadistellen anzubringen. Welchen Status eine musâhibe genau hatte, welche Aufgaben ihr zufielen und wie sie Einfluß ausüben konnte ist weitgehend ungeklärt. Nur eine sultanische musâhibe ist der Forschung genauer bekannt, Raziye Hatun, sultanische Gesellschafterin im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts.354 Es ist belegt, dass sie neben den Karrieren

351 Gest. 1077 (1666/7) (¡EYHÎ: I.336.2). Eine dritte Biographie, in der diese Wendung vorkommt, ist die von Sahhaf ¡eyhzade Abdülbaki Efendi (¡EYHÎ: I.382.1). Er wurde in die vorliegende Untersuchung der Zusammensetzung der Istanbuler Ulema nicht einbezogen, wohl aber sein Vater Sahhaf ¡eyhzade Abdurrahman Efendi (ibid: I.127.1), der aus einem kasaba bei Hamid in der Provinz Anatolien kam und als erster seiner Familie eine Karriere in der £lmiye anstrengte. 352 An dieser Stelle muß es sich um einen Schreibfehler bei ¡eyhî handeln, der sich in der Wiener Handschrift der Vekayiü’l-Fudalâ nach Hans Georg Majer nicht findet. Dort heißt es richtig: ‫ و‬, durch Vermittlung. 353 UZUN†AR¡ILI (1984): 203, 210. 354 Während Raziye Hatun bei Fleischer erwähnt wird (FLEISCHER (1986): 72), beschäftigt sich Markus KÖHBACH in seinem 2002 erschienenen Artikel "Rāżiye ËÁtÙn und ihr Umfeld". In: Sabine Prätor und Christoph K. Neumann (Hg.): Frauen, Bilder und Gelehrte. Studien zu Gesellschaft und Künsten im Osmanischen Reich. Festschrift Hans Georg Majer, 2 Bde.,

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ihrer eigenen Kinder auch die weiterer Männer förderte. Insbesondere Männer der Religion erfuhren ihre Gunst.355 Ob diese Einflußnahme durch direkten Kontakt zum Sultan selbst oder/und durch das gute Verhältnis zu den mächtigsten Frauen des sultanischen Harems (Raziye Hatuns gutes Verhältnis zu Safiye Sultan, haseki Murads III. und Mutter Mehmeds III., wird in den Quellen öfters angesprochen, gelegentlich wird sie ferner als Vertraute der berühmten Nûrbânû Sultan, haseki und Gattin Selims II. sowie Mutter Murads III., bezeichnet)356 stattfand, ist nur schwer zu eruieren. Die Biographien der beiden Gelehrten Ümmi £brahim Efendi und Selânik Uºrusu Adurrahman Efendi belegen, dass es neben der in der Geschichtsschreibung dokumentierten Raziye Hatun auch anderen, anonym gebliebenen, musâhibe gelang, eine "einflußreiche Stellung […] zwischen Hof/Harem und £lmiye durch ihr persönliches bzw. familiäres Beziehungsgeflecht"357 aufzubauen. Wie aber schafften es Gelehrte, mit diesen Frauen aus dem intimen Umkreis des großherrlichen Harem Kontakt aufzunehmen und sie zu ihren Unterstützerinnen zu machen? Während einige musâhibe-i ¢ehriyârî Dienerinnen des Sultans im Sklavenstatus waren und im Palast lebten, wurden andere freigelassen, verheiratet und verließen damit den Saray. Sie wurden aber mitunter bei Festen oder anderen besonderen Anlässen wegen ihrer Kunstfertigkeiten in den Palast gerufen. Ferner finden sich "freigeborene Musliminnen, die durch ihren Gatten in ein spezifisches Nahverhältnis zu einem Prinzen oder Sultan gekommen und auf diese Weise die Stellung einer musâhibe erlangt hatten".358 Diese außerhalb des Palastes lebenden musâhibe waren für einen nach Unterstützung strebenden Alim sicherlich leichter zu erreichen, doch wissen wir im Fall Selânik Uºrusu Adurrahman Efendi sicher, dass es sich um eine im Palast lebenden musâhibe handelte. Denn ¡eyhî nennt in der Biographie des betrügerischen Alim aus Bolu den ser-i bostanyân, ursprünglich Chef der sultanischen Gärtner, in dieser Zeit Oberer der großherrlichen Leibgarde,359 als beim Knüpfen der intisâb-Beziehung behilflich.

355 356 357 358 359

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Istanbul, Bd. 2: S. 109-123 intensiv mit dieser langjährigen Dienerin des Sultans. Sein Aufsatz erlaubt einige Fragen zu musâhibe zu beantworten, die in der Literatur über den Saray ungeklärt bleiben (vgl. etwa UZUN†AR¡ILI (1984): 90, 95). Uºur geht nicht darauf ein, wer eine musâhibe-i ¢ehriyari war. Wie an vielen anderen Stellen seines Buches auch, begnügt er sich mit unpräzisen Begriffen. Er überträgt musâhibe-i ¢ehriyari an der einen Stelle mit "some royal lady" (U¹UR (1986): 140), an einer anderen mit "one of the intimates of the Sultan" (ibid: 307) und an einer dritten Stelle mit "a woman of the Palace" (ibid: 373). KÖHBACH (2002): 109, 116, 118ff. KÖHBACH (2002): 115. KÖHBACH (2002): 123. KÖHBACH (2002): 123. Josef MATUZ (1985): Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt: 88, UZUN†AR¡ILI (1984a): 475f.

¡eyhî berichtet in einer weiteren Biographie von einer Patronin. In der Lebensbeschreibung des Baltac¤lar Hocas¤ Mustafa Efendi,360 eines Alim unbekannter Abkunft aus Kurdistan heißt es: [Baltac¤lar Hocas¤ Mustafa Efendi] [war] durch eine intisâb-Beziehung mit der asitâne der Hatice Sultan verbunden und wurde als Lehrer der baltac¤ bekannt.

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Die baltac¤ waren Palastpagen, die im Saray für verschiedene Aufgaben im Staatsdienst ausgebildet wurden. Baltac¤lar Hocas¤ Mustafa Efendi war einer ihrer Lehrer. Aber wer war Hatice Sultan, die ihm diesen Posten beschaffte? Nur eine bestimmte Gruppe der Palastdamen wurde mit Sultan bezeichnet: War sie die Valide, eine Schwester oder Tochter des Sultans oder eine seiner haseki?361 ¡eyhî erwähnt leider nicht, wann Baltac¤lar Hocas¤ Mustafa Efendi durch seine intisâb-Verbindung zu Hatice Sultan den Posten als Hoca der Palastpagen erhielt. Das hätte die Zuordnung erleichtert, schließlich gab es zu seinen Lebzeiten (er starb 1108 (1696/7)) mehrere Haremsdamen mit Namen Hatice Sultan. Die bekannteste von ihnen war Hatice Turhan Sultan, haseki von £brahim (1640-1648) und Mutter des folgenden Sultans Mehmed IV. Da ihr Sohn schon als Kind den Thron bestieg, führte sie über Jahre die Regierungsgeschäfte. Mit ihr endete die Zeit, in der die Sultansmütter besonders großen Einfluss auf die Staatsgeschäfte hatten.362 Ferner kommen Hatice Muazzez Sultan, eine weitere haseki Sultan £brahims,363 und eine seiner Töchter364 in Frage. Eine Tochter Mehmeds IV. hieß ebenfalls Hatice Sultan. Sie wurde bereits als Kind mit dem bekannten Großwesir Merzifonî Kara Mustafa Pa¢a verheiratet365 und lebte folglich nicht mehr im Palast. Doch obwohl nur im Topkap¤ Saray¤ baltac¤ ausgebildet wurden, könnte auch sie, eine einflussreiche Frau, die Unterstützerin des Alim gewesen sein. Um welche Hatice Sultan es sich handelte und wie das intisâbVerhältnis entstand, ist nicht zu klären. Ebensowenig wissen wir, warum Baltac¤lar 360 Gest. 1108 (1696/7) (¡EYHÎ: II.134.3). 361 Die Frauen im Harem durchliefen eine Hierarchie, mit dem Ziel eine der haseki kad¤nlar, der Favoritinnen des Sultans, und möglicherweise auch die zukünftige Valide Sultan zu werden. Sie, die Sultansmutter, wachte über den Harem. Die Frauen wurden je nach ihrer Stellung unterschiedlich bezeichnet. Zum Aufbau des Harems vgl. Leslie PEIRCE (1993): The Imperial Harem. Women and Sovereignty in the Ottoman Empire, New York u.a., UZUN†AR¡ILI (1984a): 146-171 und Gülrü NEC£PO¹LU (1991): Architecture, Ceremonial, and Power. The Topkap¤ Palace in the Fifteenth and Sixteenth Centuries, New York: 159-165, 181-183. 362 Zu Hatice Turhan Sultan (gest. 1094 (1682/3)) vgl. †aºatay M. ULU†AY (1980): Padi¢ahlar¤n Kad¤nlar¤ ve K¤zlar¤, Ankara, 56-59, PEIRCE (1993): 252-258, AKGÜNDÜZ (1995): 332. 363 PEIRCE (1993): 107, AKGÜNDÜZ (1995): 332. 364 ULU†AY (1980): 63n. 365 ULU†AY (1980): 68f., 68n, 69n.

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Hocas¤ Mustafa Efendi diese Protektion erhielt; was veranlasste Hatice Sultan gerade diesen Alim zu unterstützen? Schließlich sei das Leben von Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendi366 skizziert. Es ist nicht nur interessant, weil er ebenfalls eine intisâbBeziehung zu einer Frau aus dem Palast unterhielt, sondern weil diese Verbindung Auswirkungen hatte wie kaum eine andere und ¡eyhî die Meinung des ¡eyhülislam dazu nicht verschweigt. Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendi wurde als Sohn eines Mehmed Aºa geboren. Sein Großvater mütterlicherseits, Üsküdarî ¡eyh Mahmud, war Celvetiye367-¡eyh. Nicht nur Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendi, sondern auch sein jüngerer Bruder Seyyid Mahmud Efendi368 entschied sich für den Weg in die £lmiye. Jener kam allerdings nicht über den dâhil-Rang einer Istanbuler Medrese hinaus, er starb offensichtlich früh. Der Bruder hingegen erhielt bereits im Alter von 18 Jahren, wie ¡eyhî schreibt, von ¡eyhülislam Abdurrahim Efendi eine mülâzemet. Er ging anschließend zum ¡eyhülislam, um ihm seine Ehrerbietung zu erweisen, jener sagte: "Mevleviyet mesur olsun", "ein hohes Kadiamt soll dich erfreuen" und fügte hinzu, dass er für ihn beten werde. Wenige Tage später wurde Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendi zum Kadi von Izmir ernannt. Das bedeutete einen gewaltigen Karrieresprung. ¡eyhî selbst schreibt, der Alim hätte noch nie unterrichtet, was er nach dem Erhalt einer mülâzemet bis zum rüus, und, um £zmir kad¤s¤ zu werden, noch in einigen weiteren Medresenstufen hätte tun müssen, wäre alles mit rechten Dingen zugegangen. ¡eyhî lässt uns den Grund für die Besetzung außer der Reihe erfahren: ¡ekerpâre Kad¤n. Auf Ersuchen von ¡ekerpâre Kad¤n erhielt er den vorerwähnten Posten [des £zmir kad¤s¤].

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Nach dem Erhalt des Bestallungsschreibens für das Kadiamt von Izmir ging Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendi wie es üblich war zum ¡eyhülislam. Dieser sagte, dass ihm dieses Amt nichts Gutes bringen möge. Der junge Alim antwortete: "Aber mein Herr, als ich mülâzim wurde, sagtet ihr, ich solle bald 366 Gest. 1096 (1684/5) (¡EYHÎ: I.519.1). 367 In der Literatur wird die Celvetiye teilweise als Untergruppe der Halvetiye, teilweise als Zweig der Bayramiye betrachtet. Verbreitung fand sie vor allem in Istanbul, Izmir, Bal¤kesir, Zentralanatolien und Südosteuropa. Zu dieser Bruderschaft vgl. Hasan Kâmil YILMAZ (1988-): "Celvetiyye", Türkiye Diyanet Vakf¤ (Hg.): £slam Ansiklopedisi, bis Bd. 28: Ma-Meks, Istanbul. 368 Seine Biographie ist bei ¡eyhî verzeichnet (¡EYHÎ: I.294.2). 369 Die Lesung der Verbindung 'ricas¤yla' ist bei ¡eyhî nicht eindeutig. Sie ist aber korrekt, findet sich doch im Werk U¢akîzades der identische Abschnitt und dort ist das Wort zweifelsfrei zu bestimmen (U¡AKÎZADE: 507).

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ein mevleviyet erhalten, und Gott hat es nicht versäumt, unser Wunsch hat sich erfüllt." Darauf erwiderte der ¡eyhülislam, er hätte gewollt, dass der junge Alim dies auf dem richtigen, dem rechtschaffenen Weg erhalte. Die Begünstigung Üsküdarî ¡eyh Mahmud Efendizade Seyyid Mustafa Efendis durch ¡ekerpâre Kad¤n, eine haseki Sultan £brahims (1640-1648),370 gefiel dem Oberhaupt der £lmiye offensichtlich ganz und gar nicht. Die Jahresangabe der Amtseinsetzung als £zmir kad¤s¤ zeigt, dass diese Verbindung noch in der Regierungszeit Sultan £brahims entstand. ¡ekerpâre Kad¤n war also Favoritin des Sultans und lebte im Topkap¤ Saray¤, nicht im Eski Saray¤, wo die Haremsdamen nach dem Tod des Sultans untergebracht waren. Wie der Enkel des Celvetiye-¡eyh mit dieser Favoritin des Sultans in Beziehung treten konnte, ist ebenso wenig zu rekonstruieren wie ihre Beweggründe, den jungen Alim zu unterstützen.

Über den Zufall Manchmal war es einfach der Zufall, der über Kontakte und das Fortkommen in der Karriere entschied. Vielleicht war es gerade der alte Studienkollege oder Zimmernachbar, der in der £lmiye zügig aufstieg, sich seines alten Freundes erinnerte und ihn in seinem Fortkommen beförderte? Oder bot die Freundschaft zu dem Sohn eines einflussreichen Istanbuler Hauses die Möglichkeit in diesen Kreis einzutreten, von dessen Familie Unterstützung zu erhalten? Da ¡eyhî nur in sehr seltenen Fällen Angaben über die frühen Lehrer und Stationen der Ausbildung macht, nie Jahresdaten hinzufügt oder auf in dieser Zeit entstandene Kontakte eingeht, ist anhand der Quelle leider nicht zu eruieren, welche Rolle Studienbekanntschaften im Werdegang eines Alim zufielen. ¡eyhî erwähnt zwar in den allermeisten Lebensbeschreibungen, von wem der junge Aspirant seine mülâzemet erhielt, nicht aber wann. Variierten die Zeitspannen zwischen Erhalt der mülâzemet und der ersten spezifizierten Stelle nach der 40 Akçe Medrese um mehrere Jahre, scheint es kaum möglich zu rekonstruieren, wer mit wem gemeinsam studiert hatte. Ein Netzwerk an Professoren-Studenten-Verhältnissen, wie Urvoy es für das späte muslimische Spanien anfertigen konnte,371 ist mit dem mir zur Verfügung stehenden Quellenkorpus nicht möglich; icazet und Registereinträge der mülâzim in den rûznâmçe-Büchern könnten die Basis einer derartigen Untersuchung bilden. Lässt sich anhand der Vekayiü’l-Fudalâ auch kaum eine Aussage über die Entstehung von Freundschaften und sich mitunter daraus entwickelnden Patronagebeziehungen machen, so ist doch anzunehmen, dass Freundschaften eine entscheidende Rolle spielten. Dass solche auf gegenseitigem Respekt und Zugewandtsein basierenden Bezie370 ULU†AY (1980): 56n. 371 URVOY (1978): 82-104.

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hungen oft unabhängig von sozialen Schranken waren, illustriert die Herkunft der Männer, mit denen U¢akîzade sich umgab. Der Alim, auf dessen Werk weite Teile der Vekayiü’l-Fudalâ beruhen, hatte Freunde unterschiedlichen Hintergrunds: Zwei seiner Freunde kamen aus der Provinz und traten neu in die Gelehrtenlaufbahn ein,372 zwei weitere stammten aus erst kürzlich in die Hauptstadt umgesiedelten 'kleineren Ulemafamilien',373 nur der Hintergrund eines Mannes aus U¢akîzades Freundeskreis ähnelte seinem eigenen.374 Auch zufällige Begegnungen konnten den Ausgang eines Patronageverhältnisses darstellen. Manch einer erregte sogar die Aufmerksamkeit des Sultans, indem er auf dem Bazar seinem Vater zur Hand ging. Man weiß von Fällen, in denen der Sultan bei Ausritten durch die Stadt Jungen sah, die sein Interesse weckten, woraufhin er sie mit in den Palast nahm, ausbilden ließ und förderte.375 Wonach viele strebten, wünschte sich aber offensichtlich nicht jeder Vater für seinen Sohn: Kaba Receb b. Mahmud Efendi,376 ein Mann aus Kastamonu, der in die Hauptstadt kam und in der £lmiye Karriere machte (er kletterte die Leiter bis zum Kadi von Istanbul hinauf), war offensichtlich beunruhigt, als der Sultan nach seinem Sohn schicken ließ und fragte ¡eyhülislam Yahya Efendi um Rat. Ihm wurde empfohlen, seinen Sohn wie einen Gelehrten vor dem Sultan erscheinen zu lassen, das könne jenen davor bewahren, im Saray behalten zu werden, war er doch ein sehr schöner Jüngling. Der Sohn des Alim aus Kastamonu wickelte sich also den Turban eines Alim um den Kopf, als er in den Palast ging und er kam wieder – mit einem sultanischen Befehl, ihm eine Stelle als Müderris in einer Medrese zuzuweisen. Hin und wieder trat der Sultan also selbst an denjenigen heran, der sein Protegé werden sollte. Dass Murad IV. auf der Rückreise vom Bagdadfeldzug 1639 in Amid Station machte und einen dortigen Gelehrten, Fazil Molla †elebi Efendi,377 nach Istanbul mitnahm, haben wir bereits gehört.378 Doch nicht allein der Sultan, auch andere einflussreiche Männer fanden Gefallen an diesem oder jenem und wurden zum Unterstützer. So begeisterte den ehemaligen Großwesir Köprülü Mehmed Pa¢a das ungewöhnliche Wissen Neffatî ¡eyh Meh-

372 Beide sind in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichnet: Tabib Seyyid Abdullah Efendi (¡EYHÎ: II.143.2) aus Kütahya und Kececiler £mam¤ Damad¤ Hasan Efendi (ibid: II.145.2) aus Canik. 373 Darunter auch der Enkel eines der Brüder des Hüdhüd Abdülkadir Efendi (¡EYHÎ: I.97.1) aus Alanya. 374 MAJER (1978): 234. 375 Findley führt zwei solcher Beispiele auf (FINDLEY (1980): 231). 376 Gest. 1046 (1636/7) (¡EYHÎ: I.28.2). 377 Gest. 1066 (1655/6) (¡EYHÎ: I.232.3). 378 Vgl. Kapitel 2.2.5.

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med Efendis.379 Neffatî ¡eyh Mehmed Efendi aus Tunis war zum Studium nach Istanbul gekommen, hatte eine mülâzemet erhalten und war Stufe um Stufe in der Hierarchie aufgestiegen. Erst nachdem er den höchstmöglichen Rang als Müderris inne gehabt hatte, wechselte er vom Dar’ül-Hadis der Süleymaniye in die Kadilaufbahn. Sein höchster Posten war der des Kadi von Jerusalem. Es waren seine 'seltsamen Kenntnisse',380 etwa über den Anbau verschiedener Zitrusfrüchte, die Neffatî ¡eyh Mehmed Efendi unterschieden und, wie ¡eyhî zu berichten weiß, den Grund dafür bildeten, dass der ehemalige Großwesir diesen Alim aus Tunis an seine asitâne band und förderte. ¡eyhî berichtet außerdem von einem Gelehrten aus Amid namens Hanl¤zade Mehmed Efendi.381 Geboren als Sohn eines nicht bekannten Mannes in der kasaba Han, lernte Hanl¤zade Mehmed Efendi in der nächsten größeren Stadt, in Amid (Diyarbak¤r), wo er im Anschluss an zwei Medresen gleichzeitig als Müderris arbeitete. Seine große Reputation reichte bis in die ferne Hauptstadt und so lud ihn Köprülüzade Fazil Ahmed Pa¢a, selbst Alim, bevor er das Großwesirat von seinem Vater übernahm, nach Istanbul ein. Der Mann aus dem Osten kam der Offerte nach und wurde zum Tutor von Sohn und Cousin des berühmten Pa¢a. Anschließend kehrte er in seine Heimat zurück, wurde aber vom folgenden Sadrazam Merzifonî Kara Mustafa Pa¢a erneut in die Hauptstadt gerufen. Hanl¤zade Mehmed Efendi kam, war als Müderris am Dar’ül-Hadis der Süleymaniye tätig und begleitete anschließend den Großwesir und Patron auf den osmanischen Feldzug, der 1683 in der verheerenden Niederlage von Wien endete. Nach dem Tod des verantwortlichen Sadrazam blieb der Alim aus Amid ohne Unterstützer, sein Medreseposten wurde an einen anderen vergeben. Hanl¤zade Mehmed Efendi kehrte in seine Heimat zurück, verstarb aber noch bevor er Amid erreichte. Seine Lebensgeschichte illustriert nicht nur, wie unvermittelt eine Karriere in der Hauptstadt ihren Ausgang nehmen, sondern auch wie abrupt sie enden konnte. Interessant ist ferner, dass Hanl¤zade Mehmed Efendi immer wieder nach Amid zurückkehrte, sobald ihm in der Hauptstadt die Unterstützung versagt wurde. Das wirft die Frage auf, wie stark die Bindung an den Ort war, aus dem man stammte, hatte man sich einmal woanders etabliert.

379 Gest. 1078 (1667/8) (¡EYHÎ: I.347.1). 380 Diese Stelle ist bei ¡eyhî nicht eindeutig, da über dem Buchstaben ‫ ع‬der Punkt fehlt und die Punkte unter ‫ ب‬und ‫ ي‬nicht eindeutig zu trennen sind: Man liest hier also   ‫م‬, arabische Wissenschaften, was im Zusammenhang mit Orangensorten nur wenig Sinn ergibt. U¢akîzade (U¡AKÎZADE: 336) schafft Klarheit, er setzt den Punkt und gibt die richtige Lesung als:   ‫م‬, seltsame Wissenschaften. 381 Gest. 1096 (1684/5) (¡EYHÎ: I.520.3).

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Heimat verbindet? Es gibt einige Beispiele von aus der Provinz stammenden Ulema, die zwar in der Hauptstadt Karriere machten, auch ihre Nachfolgegeneration in Istanbuler Gelehrtenkreise einführten, und doch weiterhin in der Herkunftsregion verwurzelt blieben. ¡eyhülislam Feyzullah Efendis Familie ist ein solcher Fall und auch in den arabischen Reichsteilen trifft man häufiger auf lokale Netzwerke, die, auch wenn der Alim in die Hauptstadt übergesiedelt war, seine Basis blieben. Es stellt sich also die Frage, ob und inwieweit Bindungen an die Herkunftsregion intisâb-Beziehungen beeinflussten. Förderte man eher jemanden, der aus derselben Stadt kam oder auch nur dieselbe Sprache sprach? ¡eyhî verweist an mehreren Stellen auf einen gemeinsamen Hintergrund, er verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des hem¢ehri. Dabei ist nicht immer klar zu definieren, welche Arten von Verbindungen dieser Begriff einschließt. Bedeutet er, dass die jeweiligen Personen aus derselben Stadt kamen382 oder stammten sie aus derselben Region? Betrachten wir einen Fall, in dem ¡eyhî von hem¢ehrilik spricht: Beyazî Hasan b. Sinan Efendi383 aus dem Eyalet Bosna erhielt von seinem hem¢ehri Rûznâmçi £brahim Efendi, für den er außerdem als Imam arbeitete, eine mülâzemet. Ein weiterer Bosnier, Bosnavî ¡aban b. Veliyüddin Efendi,384 stand ebenfalls mit Ruznamçi £brahim Efendi in engem Kontakt, dessen Einfluss sicherte dem aus einem kasaba namens Nevesin in Bosnien stammenden Alim die Gunst des Großwesirs, was ihm wiederum eine Beförderung in die nächst höhere Medresenstufe bescherte. Dieser von seinem hem¢ehri vermittelte Kontakt zum Sadrazam eröffnete Bosnavî ¡aban Efendi weitere Aufstiegsmöglichkeiten: Er begleitete den neu gefundenen Gönner als ordu kad¤s¤,385 als dieser als Oberkommandeur gen Osten marschierte und wurde in der Müderrishierarchie hochgestuft. Vom erfolgreichen Revân-Feldzug386 zurückgekehrt, wurde der Alim aus Bosnien zum Kadi 382 Hem¢ehri kommt aus dem Persischen und setzt sich aus den Wörtern 'hem' für 'gleich' und dem Wort '¢ehir', Stadt, zusammen. 383 Gest. 1063 (1652/3) (¡EYHÎ: I.207.1). 384 Gest. 1077 (1666/7) (¡EYHÎ: I.329.2). 385 Ein ordu kad¤s¤ begleitete das Heer beim Feldzug, wenn der Sultan nicht selbst an der Kampagne teilnahm, sondern die Führung dem Großwesir überließ, wie es hier der Fall war. Stand der Herrscher an der Spitze seiner Truppen, versah der zuständige Kazasker die Aufgaben, die, führte der Großwesir das Heer an, dem ordu kad¤s¤ zufielen. Dieser war insbesondere für die Beilegung innerhalb der Truppen entstehender Streitfälle zuständig und wurde für das zusätzlich entstehende Risiko, das diese Tätigkeit im Vergleich zu einem normalen Richteramt mit sich brachte, entsprechend entlohnt. Neben der Zuteilung von arpal¤k war diese Aufgabe meist auch mit einer Beförderung verbunden; so erhielt Bosnavî ¡aban Efendi den Rang eines Müderris an der Sahn-i Seman. Zu ordu kad¤s¤ vgl. UZUN†AR¡ILI (1988): 131f. 386 ¡eyhî schreibt, dieser hätte 1643 stattgefunden. Dabei muss es sich um ein Versehen handeln, denn Murad IV. eroberte Revân (Eriwan) 1632 von den Safawiden, die die Region

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von Amid benannt – dafür, dass er vor dieser Bekanntschaft Müderris an einer Medrese der hâriç-Stufe gewesen war, bedeutete dieses Amt einen bemerkenswerten Karrieresprung. Diese Geschichte gibt einige Hinweise auf die Bedeutung des Begriffs hem¢ehri. Aus welchem kasaba Beyazî Hasan Efendi stammte, ist nicht bekannt und auch in allen anderen Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ, in denen von hem¢ehri die Rede ist, lässt sich weder ein Beweis noch ein Gegenbeweis dafür anbringen, dass die Betreffenden aus ein und derselben Stadt stammten. Es scheint vernünftig, von regionalen Gemeinsamkeiten auszugehen und den Begriff hem¢ehri weiter zu fassen als seine wörtliche Übersetzung es verlangt. Sprachliche und kulturelle Verbundenheiten wären demnach entscheidend, nicht direkte Nachbarschaft. Kunt hat sich mit dieser Thematik beschäftigt und die aus dem dev¢irme-System hervorgegangenen, im militärisch-administrativen Bereich die höchsten Ämter des Staates bekleidenden Männer unter der Fragestellung nach herkunftsbedingter Solidarität untersucht.387 Seine Studie, die sich ebenfalls auf das 17. Jahrhundert bezieht, untermauert die vorgeschlagene Deutung des Begriffs hem¢ehri. Der Autor stellt zwei Großregionen einander gegenüber – die zwei wesentlichen Rekrutierungsgebiete der Sultane: den Kaukasus auf der einen und die südosteuropäischen Besitzungen auf der anderen Seite und betrachtet unter anderem deren Darstellung in zeitgenössischen Chroniken. Kunt kommt zu dem Schluss, dass neben einer gewissen Konkurrenz zwischen Abchasen, Georgiern, Tscherkessen und anderen Kaukasiern einerseits, und Albanern und Bosniern andererseits, diese auch von osmanischen Geschichtsschreibern wie Naima und Silahdar (sie stammen aus Aleppo beziehungsweise Istanbul und es ist kaum anzunehmen, dass sie Affinitäten für die eine oder andere Gruppe hegten) sehr unterschiedlich dargestellt wurden.388 Es handelt sich folglich um zwei distinkte Fraktionen, die sich sowohl selbst als Gruppe definierten als auch von außen als solche wahrgenommen wurden. Die Loyalität der über das spezifisch osmanische System des dev¢irme wie auch über allgemein übliche Methoden der Sklavenbeschaffung in den Staatsdienst gelangten Männer hielt man für außergewöhnlich stark. Denn schon in jungen Jahren, also bevor sie langlebige und weit verzweigte Netzwerke etablieren konnten, hatten sie ihre Heimatregion verlassen. Es ist allerdings bekannt, dass neben der Sprache auch familiäre Kontakte häufig weiterhin gepflegt wurden.389 Kann man also bei kul allerdings bereits wenig später zurückgewinnen konnten. Die dauerhafte Herrschaft über Revân wurde durch den Friedensvertrag von 1639 festgeschrieben. 387 £. Metin KUNT (1974): "Ethnic-Regional (Cins) Solidarity in the Seventeenth-Century Ottoman Establishment", International Journal of Middle East Studies, 5, 3, S. 233-239. 388 KUNT (1974): 237f. 389 KUNT (1974): 236. Kunt berichtet auch von Fällen, in denen spezifische regionale Kleidungsstile lebenslang beibehalten wurden (ibid: 235).

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von einem Heimatbezug ausgehen, so kann man es bei Ulema allemal. Sie kamen meist erst später in die Hauptstadt und unterhielten in der Regel intensive Kontakte zur Familie, die – wohnte die Familie nicht allzu weit weg und hatte man das nötige Geld für die Reise – Besuche zu wichtigen Festzeiten einschlossen. Betrachtet man Stiftertätigkeiten nicht nur unter dem Aspekt des sozialen Engagements, sondern auch unter dem der persönlichen Vorlieben des wohltätigen Spenders, lassen sich Rückschlüsse auf seine Heimatbindungen ziehen. Leider ist anhand der Vekayiü’l-Fudalâ darüber keine eindeutige Aussage zu treffen. ¡eyhî berichtet zwar in einigen Fällen von Stiftungstätigkeiten, es handelt sich aber meist um Moscheen, Türbe oder Mekteb in Istanbul. Ein solcher Bau in der Hauptstadt, in seltenen Fällen auch in Bursa als weiterer wichtiger Stadt des Reiches, war prestigereich und attraktiv für jeden Alim, der es sich leisten konnte, woher auch immer er kam. Nur von F¤nd¤kl¤ Abdullah Efendi,390 wie der Name bereits andeutet, ein Mann aus dem kasaba F¤nd¤k im Eyalet Trabzon am östlichen Schwarzmeer, berichtet ¡eyhî, dass er in seiner Heimatstadt eine Moschee erbauen ließ und durch eine vak¤f für den Unterhalt sorgte. Andere Quellen zeigen, dass aufgestiegene Auswanderer in zahlreichen Fällen ihre Geburtsstadt mit Stiftungen ausstatteten.391 Gab es aber auch ein Solidaritätsgefühl unter den Mitgliedern dieser Gruppen unterschiedlicher Herkunft? Beyazî Hasan Efendi und Bosnavî ¡aban Efendi erfuhren die Hilfe eines Landsmannes. Lassen sich auch in einem Dutzend weiterer Fälle vergleichbare Verbindungen nachweisen, ergibt diese quantitative Herangehensweise kein ausreichendes Indiz für ein Gemeinschaftsgefühl unter Ulema gleicher Herkunft. Schließlich dokumentiert ¡eyhî in 151 Fällen Beziehungen von Gelehrten zu Mitgliedern der gehobenen Istanbuler Gesellschaft. Dass er in 12 Biographien von hem¢ehri berichtet, kann einfach Zufall sein. Nur eine genaue Aufstellung aller bekannten Herkunftsregionen und Beziehungsgeflechte könnte Aufschluss über weitere durch gemeinsame regionale Ursprünge bedingte Patronageverhältnisse geben. Die Tatsache allerdings, dass zeitgenössische Autoren von einem Gemeinschaftsgefühl zwischen Personen gleichen regionalen Hintergrunds als natürlichem Charakterzug der osmanischen Gesellschaft ausgehen, weist nach, 390 Gest. 1101 (1689/90) (¡EYHÎ: II.30.1). 391 Einige Beispiele von Moscheen, die Kadi in ihrer Heimatstadt errichten ließen, finden sich in Michael KIEL (2002): "Die Rolle des Kad¤ and der Ulema als Förderer der Baukunst in den Provinzzentren des Osmanischen Reiches". In: Sabine Prätor und Christoph K. Neumann (Hg.): Frauen, Bilder und Gelehrte. Studien zu Gesellschaft und Künsten im Osmanischen Reich. Festschrift Hans Georg Majer, 2 Bde., Istanbul, Bd. 2: S. 569-601. Auch Sadrazam Köprülü Mehmed Pa¢a stiftete eine Moschee und eine Schule in dem Dorf, aus dem er stammte. In der vakfiye ist vermerkt, dass es sich um seine 'vatan-¤ aslî', seine ursprüngliche Heimat handelt (KUNT (1974): 235).

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dass eine solche Solidarität existierte.392 Der berühmte osmanische Reisende des 17. Jahrhunderts Evliya †elebi berichtet sogar von gegenseitiger Hilfe und intisâb-Beziehungen aufgrund gleicher Herkunft.393 Ein nicht auf die £lmiye bezogenes Beispiel, das die Existenz einer besonderen Verbundenheit zwischen Personen gleicher Herkunft dokumentiert, sei genannt: Der in Albanien geborene spätere Großwesir Köprülü Mehmed Pa¢a gelangte offensichtlich durch Vermittlung eines hem¢ehri in den Palast, wo er eine Ausbildung erfuhr und sich dann an den bosnischen Großwesir Husrev Aºa band. Nachdem jener die Gunst des Sultans eingebüßt hatte, verlor auch sein Klient die an diese Verbindung gekoppelten Vorzüge. Aber bereits wenige Jahre nach dem Verlust des alten Patrons war Köprülü Mustafa Pa¢a erneut an einen hem¢ehri als Protegé gebunden. Mindestens zwei zeitgenössische Quellen erklären explizit, dass diese neue Verbindung auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass beide Männer ursprünglich aus Albanien stammten.394 In einem einzigen Fall gibt auch Mehmed ¡eyhî Efendi explizit hem¢ehrilik als Grund für Patronage an. Hâf¤z Abdurrahman Efendi,395 als Sohn unbekannter Eltern im kasaba Merzifon in der Provinz Sivas im östlichen Anatolien geboren, übersiedelte nach Istanbul, wo er studierte und eine mülâzemet erhielt. Er stieg im Laufe seiner Karriere bis zu den hohen Kadiämtern von Eyüp und Mekka auf, erlangte sogar die pâye des Anadolu Kazaskeri und verschiedene arpal¤k. ¡eyhî weiß allerdings zu berichten, dass der Alim aus Merzifon nicht jede der Hierarchiestufen nur durch seine Fähigkeiten erklomm. Es war ein hem¢ehri, der ehemalige Großwesir aus Merzifon, Merzifonî Kara Mustafa Pa¢a, der beim Aufstieg behilflich war. Weil [Hâf¤z Abdurrahman Efendi] hem¢ehri des Sadrazam Merzifonî Kara Mustafa Pa¢a war, machte dieser seinen Einfluss für ihn geltend: Hâf¤z Abdurrahman Efendi erhielt keine niedrige pâye, sondern den Rang des Kazasker.

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Es war also vor allem die Verbindung zu seinem mächtigen Landsmann, die dem Alim aus dem östlichen Anatolien den Weg in die höchsten Hierarchiestufen 392 KUNT (1974): 236. Die Begriffe, mit denen er operiert, sind neben hem¢ehri hemcins und mücânese. Um Solidarität, die auf gemeinsamer Herkunft gründet, zu beschreiben, listet er folgende osmanische Wendungen auf: 'bi-hasb el-mücânese', 'bi-hükm el-cinsiyye', 'hemcinsiyet takribiyle' und 'gayret-i cinsiyet muktezâs¤nca'. Vgl. dazu ferner FINDLEY (1980): 230. 393 KUNT (1974): 236, leider aber ohne Angabe der entsprechenden Stellen bei Evliya †elebi. 394 KUNT (1974): 236f. Als ein weiteres Indiz kann eine von Evliya †elebi überlieferte Begebenheit dienen, in der einer der Wesire vom Großwesir Köprülü Mehmed Pa¢a gefragt wurde, ob er denn gegen eine von seinem Landsmann angeführte Revolte vorgehen würde, schließlich seien sie beide Abchasen (KUNT (1974): 239). 395 Gest. 1099 (1687/8) (¡EYHÎ: II.4.3).

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ebnete. Diese Anmerkung ¡eyhîs ist als deutliches Indiz für ein Solidaritätsgefühl unter Männern gleicher Herkunft zu sehen. Gemeinsam mit den anderen in diesem Zusammenhang vorliegenden Quellen und Untersuchungen kann sicher von der Existenz eines solchen Zusammengehörigkeitsgefühls ausgegangen werden – ob dies in der Regel spezifische Bindungen zur Folge hatte, ist anhand des vorhandenen Materials nicht zu beurteilen.

Über Unterstützer von Zuhause und unterwegs In welchem Kontext hem¢ehrilik eine zentrale Stellung zukam, verdeutlicht eine vom syrischen Autor el-Murâdî aufgezeichnete Episode. Er berichtet von einem Damaszener Gelehrten, der eine Karriere in der Hauptstadt des Reiches anstrebte und dazu um die Hilfe eines Freundes und hem¢ehri Mehmed Tabia el-Dima¢kî Efendi bat, der bereits seinen Weg nach Istanbul gemacht hatte. Der ambitionierte Abdülvehhab el-Suâlâtî Efendi ersuchte seinen alten Kameraden, ihn über die beruflichen Stellungen im Zentrum der Macht zu informieren, damit er selbst sich bewerben könne. Doch jener berichtete ihm nur von den Preisen in seiner neuen Heimat, von dem kostengünstigen Fleisch, von Milch, Brot, Kichererbsen und Linsen. Darauf schickte der enttäuschte, in Damaskus zurückgebliebene Abdülvehhab el-Suâlâtî seinem Freund folgende Verse: Entweder du bist mein Freund mit Aufrichtigkeit, dann weiß ich bei Dir meinen Vorteil von meinem Nachteil zu unterscheiden Sonst lass mich zufrieden und betrachte Mich als Feind, der Dich meidet, während Du mich meidest.396 Man erwartete also von einem Freund, der die Heimat verlassen hatte und sich in Istanbul um den Einstieg in die hohe osmanische £lmiye bemühte, Unterstützung für seine eigenen Pläne. Es ist anzunehmen, dass diese in den meisten aller Fälle gewährt wurde, dass ein erfolgreicher, aus der Provinz gekommener Alim versuchte, seine Verwandten, Bekannten und hem¢ehri ebenfalls in hauptstädtische Gelehrtenzirkel zu integrieren – anders als der unkameradschaftliche Mehmed Tabia elDima¢kî Efendi aus Damaskus. Ein Beispiel für verlässliche Bindungen ist der Autor des biographischen Sammelwerks über syrische Gelehrte, ein Sprössling der bekannten Damaszener Gelehrtenfamilie Muhibbî. Mehmed el-Amin b. Fadlallah el-Muhibbî Efendi,397 bekannt unter el-Muhibbî, lernte erst bei seinem Vater, anschließend bei dessen Freunden. Als der Vater nach Istanbul reiste, gab er seinen damals 12 jährigen Jungen in die 396 El-Murâdî wie zitiert und übersetzt in WALLBRECHT (1970): 139. 397 Gelebt von 1061-1111 (1650/1-1699/1700).

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Obhut seines jüngeren Bruders, der sich des Schülers annahm und ihn in seiner Geburtsstadt Damaskus bei verschiedenen Gelehrten studieren ließ. In die Hauptstadt kam Muhibbî erst später, durch einen alten Bekannten seines Vaters. Die beiden Männer hatten sich in Damaskus kennen und schätzen gelernt, als jener dort die Stelle des Kadi inne hatte. Viele Jahre später und mittlerweile Heeresrichter von Anatolien, erinnerte sich der ehemalige ¡am kad¤s¤ seines damals gegebenen Versprechens, sich des Sohnes des gelehrten Freundes aus Damaskus in der Zukunft annehmen zu wollen: Er ließ dem jungen Muhibbî ein Stipendium zukommen, mit dem dieser an einer Medrese in Bursa studierte. Der hoch aufgestiegene alte Bekannte des Vaters gab ihm in Edirne eine Anstellung und nahm ihn, als er krank wurde und seinen Posten aufgeben musste, mit nach Istanbul. Muhibbîs Gönner führte ihn in die Kreise der hohen hauptstädtischen Gelehrten ein. Der Alim aus Damaskus knüpfte Kontakte, es entwickelten sich Freundschaften. Bis zum Tod seines Patrons blieb Muhibbî in der Hauptstadt und kümmerte sich um den Mann, dem er so viel zu verdanken hatte.398 Verbindungen, die während der Amtstätigkeit in der Provinz entstanden, konnten demnach ebenfalls das Sprungbrett in eine Laufbahn in der Hauptstadt darstellen. Wie Beziehungen zu einem hem¢ehri, der sich bereits in Istanbul etabliert hatte, stellten sie eine Anlaufstelle für den aus der Provinz stammenden ambitionierten Anwärter auf Posten in der hauptstädtischen £lmiye dar. Die Prozesse der Zuwanderung von Gelehrten nahmen häufig in einem Kontakt ihren Ausgang. Ihr Ansprechpartner in Istanbul, sei er Verwandter, Freund der Familie, entfernter Bekannter oder Landsmann, führte sie in die ungewohnte Umgebung ein, machte sie mit wichtigen Personen bekannt und unterstützte sie teilweise auch finanziell, indem er sie in sein kap¤ aufnahm.399 Mitunter wurde dem Neuankömmling ferner ein Medreseplatz oder gar eine Anstellung als Müderris vermittelt, so wie dem jungen el-Muhibbî aus Damaskus. Man kann die Verbindungen zwischen bereits in die Hauptstadt umgesiedelten Personen aus den verschiedenen Reichsteilen und den neu Zuwandernden einerseits sowie den in der Heimat verbleibenden und den dort, in den unterschiedlichen Provinzen, eingesetzten Kadi andererseits, als Netzwerk begreifen. Dieses bot dem Einzelnen über Kontakte Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs. Patronagebeziehungen stellten damit nicht 398 WÜSTENFELD (1884): 19-24. 399 Die meisten modernen Urbanisierungsprozesse liefen und laufen ebenso ab. Sie beginnen im Kleinen: Ein Familienmitglied übersiedelt – oft erst nur saisonweise – in die Stadt, baut sich dort eine bescheidene Existenz auf und lässt dann die Familie nachkommen. Es entstehen Netzwerke, über die weitere Verwandte, Nachbarn oder andere aus der selben Region stammende Gruppen nachziehen. Oft werden die alten Nachbarn zu neuen Nachbarn, es bilden sich Straßenzüge, teilweise sogar ganze Stadtviertel, mit regional homogener Bewohnerschaft.

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nur eine Verbindung zwischen Individuen und Personenkreisen unterschiedlicher Position wie sozialer Herkunft dar, auf ihnen gründete auch wesentlich die Interaktion zwischen Kernland und Provinz, zwischen Hauptstadt und Provinzstadt.400

3.3

AUS ALLEN ECKEN DES REICHES? DIE URSPRUNGSREGIONEN OSMANISCHER ULEMA IM 17. JAHRHUNDERT

Die Analyse der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ hat deutlich gemacht, dass praktisch alle Wege der verzeichneten Ulema langfristig nach Istanbul führten. Dort fanden sich die höchsten Medresen des Reiches, dort waren die einflussreichsten Männer versammelt, deren Gunst man sich zu versichern gewillt war, dort wurde über Besetzungen von Stellen entschieden. Woher aber kamen die Ulema? Wurden sie innerhalb oder außerhalb der Grenzen des Reiches geboren? Waren sie 'Kinder vom Land' oder wuchsen sie vorwiegend in Städten auf? Lassen sich regionale Unterschiede ausmachen? Wie an anderer Stelle aufgezeigt, waren über 70 Prozent der Ulema, die im 17. Jahrhundert die bedeutenden Posten in der religiösen Hierarchie des Osmanischen Reiches einnahmen, keine Abkömmlinge Istanbuler Gelehrtenfamilien. Bisher haben wir nur festgestellt, dass ein beachtlicher Anteil jener Männer nicht aus der Hauptstadt stammte, woher sie kamen, soll im Folgenden beleuchtet werden. 3.3.1

Über geographische Größen

Einige Vorüberlegungen Welche Hinweise enthalten die Vekayiü’l-Fudalâ bezüglich der Herkunft der beschriebenen Ulema? ¡eyhîs Informationen sind, wie in vielen anderen Hinsichten auch, sehr uneinheitlich – er hat notiert, was er wusste und das reicht von keiner Angabe über sehr allgemein gehaltene Gebietsangaben bis hin zur detaillierten Nennung des Geburtsortes, dessen Lage er, um Verwechslungen zu vermeiden, meist noch genauer beschreibt. Befassen wir uns zu Beginn mit dem Fall, dass ¡eyî keine Ausführungen zur Ursprungsregion eines Alim macht. Meist gibt es keinen Anhaltspunkt, wo der Geburtsort hätte sein können. Einige Biographien geben allerdings Hinweise: Diese Hinweise finden sich entweder in der Erwähnung des väterlichen Berufs oder im Namen des vorgestellten Alim.

400 Zu der Rolle der kap¤ in diesem System der Verflechtung zwischen Istanbul und Kairo vgl. HATHAWAY (1995a): 44.

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Erwähnt ¡eyhî, an welchem Ort der Vater arbeitete, liegt der Verdacht nahe, dass er dort wohnte und auch sein Sohn dort aufwuchs. Diese Schlussfolgerung mag in vielen Fällen zutreffend sein, muss aber mit Vorsicht behandelt werden. Stammte der Alim etwa aus einer traditionellen Damaszener Gelehrtenfamilie, wie der besprochene Mehmed el-Amin b. Fadlallah el-Muhibbî Efendi, so kann man davon ausgehen, dass er auch dort aufgewachsen ist. Ebensolches gilt für Söhne von Provinzkadi, schließlich wurden jene entweder in Rumelien oder in Anatolien eingesetzt,401 ein Wechsel in den anderen Reichteil war nur mit einer Sondergenehmigung des Sultans möglich und kam eher selten vor. Man kann also annehmen, dass der Sohn des Kadi entweder aus dem europäischen oder aus dem asiatischen Teil des Reiches stammte. Auch wenn ¡eyhî schreibt, dass der Vater vaiz in einer kleinen Moschee in Bursa war, und ¡eyhî angibt, der Sohn hätte seine Ausbildung in Bursa absolviert, ist die Heimatstadt eindeutig zu bestimmen. Es gibt aber Fälle, in denen der Schluss von den Angaben über den Vater auf den Geburtsort des Sohnes unsicher ist. Ein ¡eyh zum Beispiel kann in seinem Leben in unterschiedlichen Zaviye in verschiedenen kasaba oder Städten tätig gewesen sein. Die Lage der Zaviye, die in der Lebensbeschreibung seines Sohnes als seine Arbeitsstätte verzeichnet ist, muss nicht dem Ort entsprechen, in dem der Sohn aufgewachsen ist, sondern kann auch die zu einem anderen Zeitpunkt besetzte, höchste Stellung des Vaters sein. In zwei Dutzend der bearbeiteten Biographien aus den Vekayiü’l-Fudalâ, ist eine Herleitung der Herkunft aus dem Beruf des Vaters zweifelsfrei möglich. Man ist auch leicht gewillt, anhand der nisbe eine bestimmte Herkunft zuzuordnen. Die nisbe, der Namensteil, der neben charakteristischen Eigenarten, Beruf und anderem auch auf die Herkunft verweisen kann, besteht dann aus einem Orts- oder Gebietsnamen, an den entweder das arabische Suffix -î oder das vergleichbare türkische -li angefügt wird. Ein solcher Namenszusatz findet sich nur dann, wenn sein Träger die Heimat verlassen hat – schließlich soll er der Unterscheidung dienen. K¤z¤kl¤ Mehmed Efendi402 stammte wirklich aus dem Dorf K¤z¤k in der Nähe von Bursa; ¡eyhî präzisiert das in der Biographie. Mekkî Mehmed Emin Efendi403 hingegen, ein Gelehrter, der an anderer Stelle wegen seines Lebenswandels vom Alim zum Sufi und anschließend wieder zurück zur Buchgelehrsamkeit vorgestellt wurde, kam aus Üsküp. Seine nisbe legt zwar nahe, er sei in Mekka groß geworden, doch entstand sie erst viel später in seinem Leben, als er in der Heiligen Stadt an einer

401 Es gab außerdem einen eigenen Kadikreislauf in der Provinz M¤s¤r. In den Vekayiü’l-Fudalâ finden sich zwei Biographien, in denen ¡eyhî erwähnt, der Vater sei einer der ägyptischen Provinzkadi. 402 Gest. 1067 (1656/7) (¡EYHÎ: I.244.1). 403 Gest. 1091 (1680) (¡EYHÎ: I.470.1).

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Medrese unterrichtete. Eine Nisbe muss also nicht auf den Geburtsort verweisen. Sie kann auch für eine Stadt stehen, in der die Person sich länger aufgehalten hat. Oft wurden diese Namenszusätze zudem vererbt, so dass sie sich unter Umständen auf einen Vorfahren beziehen, der umgesiedelt war. Man kann also die nisbe, findet sich dort eine Anspielung auf geographische Wurzeln des Alim, nicht als hinreichendes Indiz für eine bestimmte Herkunft betrachten. In den meisten Fällen lässt ¡eyhî glücklicherweise keinen Raum für derartige Spekulationen. Falls doch – es handelt sich um nicht mehr als eine Handvoll Beispiele – wurde von einer unbekannten Ursprungsregion ausgegangen.

Über Provinzen und Regionen Um die regionale Herkunft der in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Gelehrten zu analysieren, ist eine Systematisierung der Angaben nötig. Die gröbste Einteilung, die ¡eyhî vornimmt, ist die Unterscheidung von Regionen, etwa Rumeli, Anadolu und Bosna, die wohl in der Regel mit der gleichnamigen Provinz (Eyalet) übereinstimmen. Da ¡eyhî in zahlreichen Fällen keine präziseren Angaben macht, bietet es sich an, die verschiedenen Eyalet als Basis der Untersuchung der Ursprungsregionen zu nehmen. Dies dient außerdem der Übersichtlichkeit. Das heißt konkret, dass alle detaillierten Angaben zum Geburtsort der biographierten Ulema den verschiedenen, im 17. Jahrhundert existierenden Verwaltungseinheiten zugeordnet werden. Ausgenommen sind davon die wichtigsten Städte Istanbul (was Eyüp und Üsküdar mit einschließt), Bursa und Edirne, die getrennt aufgelistet werden. Ist eine solche Einteilung anhand der zeitgenössischen Verwaltungseinheiten auch die einzige praktikable Möglichkeit, so ist sie doch mit einigen Schwierigkeiten verbunden, etwa der mangelnden Vergleichbarkeit der Eyalet. Sie unterscheiden sich zum Teil erheblich in Größe und sozioökonomischer Struktur, in Einwohnerzahl und Zusammensetzung der Bevölkerung. Es wird also mitunter hilfreich sein, diese starren Kategorien etwas aufzulösen und mit der Nähe der Ursprungsregion zur Hauptstadt Istanbul zu argumentieren, etwa die arabischen Provinzen den im europäischen Teil des Reiches befindlichen Gebieten gegenüberzustellen. In mehreren Bereichen zwingt uns ¡eyhî zu Modifikationen, zur Zusammenfassung mehrerer Eyalet zu einer Großregion. Oft wählt der Autor 'Kurdistan' als die Herkunftsregion bezeichnenden Begriff. Die Eyalet Amid (Diyarbak¤r), Ruha (Urfa), Mossul und Van, als das wesentliche kurdische Siedlungsgebiet, werden also zusammengefasst und als Kurdistan bezeichnet. Ein ähnliches Problem stellt sich auf der Krim. ¡eyhî schreibt in mehreren Fällen, dass der vorgestellte Alim von der Krim stamme. Ob es sich aber um den unter direkter osmanischer Kontrolle befindlichen Teil der Krimhalbinsel handelte oder diese Angabe allgemeiner zu verstehen ist und Gelehrte aus dem Krimkhanat mit einschließt, ist ohne differenzierte 130

Ortsangaben nicht auszumachen. Krimhalbinsel und Khanat werden folglich ebenfalls als Einheit betrachtet. Eine weitere unpräzise Angabe verpflicht zu einer Sammelbezeichnung: Vermerkt ¡eyhî, ein Alim komme aus den 'Ländern des Ostens', wird darunter das Safawidenreich verstanden. 3.3.2

Die Herkunft und ihr Einfluss auf die Karriere

Die 101 Ulema unbekannter regionaler Herkunft machen nur circa ein Siebtel der gesamten untersuchten, nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammenden Gelehrten der Zeit aus. Es ist also ohne große Einschränkungen möglich, quantitativ zu analysieren und zu beschreiben, wie sich die Herkunftsregionen aller Ulema des 17. Jahrhunderts, die nicht in die hauptstädtische Gelehrtenschicht hineingeboren wurden, aufgliedern lassen: Ursprungsregionen der Ulema, die nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammen404 Anadolu Istanbul Bursa Edirne Rumeli Bosna Karaman Cezayir Kurdistan ¡am Sivas Dulkad¤r Safawidenreich Halep K¤br¤s Erzurum Krim Trabzon M¤s¤r Bagdad Gürcistan Tunis Unbekannt

Anzahl

prozentualer Anteil405

137 79 63 40 36 35 33 22 21 20 18 17 15 14 14 12 12 9 8 4 4 1 101

19,2 % 11,0 % 8,8 % 5,6 % 5,0 % 4,9 % 4,6 % 3,1 % 2,9 % 2,8 % 2,5 % 2,4 % 2,1 % 2,0 % 2,0 % 1,7 % 1,7 % 1,3 % 1,1 % 0,6 % 0,6 % 0,1 % 14,1 %

404 Eine graphische Darstellung der Ergebnisse wie eine Karte der Provinzen und Regionen, in die diese Angaben eingefügt sind, findet sich im Anhang (Abb. 2: 'Herkunftsregionen der Ulema (excl. Söhne Istanbuler Ulema)' und Abb. 3). 405 Gemessen an allen nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammenden Gelehrten.

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Aus der Nähe kommen viele Die meisten aller in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie gewürdigten Ulema des 17. Jahrhunderts, die nicht aus einer hauptstädtischen Gelehrtenfamilie stammten, kamen aus der Provinz Anadolu. In dieser größten Provinz lagen Städte wie Bolu, Kastamonu, Manisa, Kütahya und Ankara.406 Nicht nur die Größe des Eyalet und die Zusammensetzung seiner Bevölkerung – dort wohnten zur überwiegenden Mehrheit Muslime – erklärt, warum so viele dort geborene Jungen nach Istanbul in die £lmiye strebten. Ein weiteres Argument war die Nähe zur Hauptstadt und die Sprache. Zwar war Arabisch die Unterrichtssprache in der Medrese, doch kam man weder im Istanbuler Leben noch in der £lmiye ohne Türkischkenntnisse aus. Diese Schwierigkeit stellte sich den türkischsprachigen Aspiranten auf Ämter, etwa aus der Provinz Anadolu, nicht. Dem größten Eyalet Anadolu folgen die drei wichtigsten Städte Istanbul, Bursa und Edirne. Istanbul als die größte Stadt im Reich mit ihren handwerklichen und wirtschaftlichen Zentren in und um den Großen Bazar und in Galata, Üsküdar als wichtigem Handelsknotenpunkt, Eyüp mit seiner weitestgehend muslimischen Bewohnerschaft und religiösen Bedeutung waren der Geburtsort vieler Männer, die Karriere in der £lmiye machten. Nicht nur den Söhnen der großen Ulema, auch zahlreichen anderen 'Istanbullu' gelang der Weg in die hohen Ämter der religiösen Hierarchie. Bursa und Edirne konnten als die beiden ehemaligen Hauptstädte des Reiches auf zahlreiche Stiftungen verweisen, die auch nach der Eroberung Istanbuls weiter gepflegt und ergänzt wurden. Nicht nur Mehmed IV. (1648-1687), dessen nisbe ('Avc¤', der Jäger) bereits seine Leidenschaft für die Jagd verrät, hielt sich gerne in Edirne auf, um diesem Hobby nachzugehen. Edirne war beliebter Ort der Sommerfrische für Sultan und Hofstaat. Wie weit diese Vorliebe – hier spielten allerdings auch politische Gründe eine Rolle – gehen konnte, zeigte Mustafas II. (1695-1703) Versuch, den Palast längerfristig in die Stadt im östlichen Rumelien zu verlegen, was in Istanbul zu heftigen Protesten führte. Außerdem war wegen der häufigen Kriege im 17. Jahrhundert Edirne verstärkt Aufenthaltsort der Sultane. Auch die Tatsache, dass sich außer in Istanbul nur in den beiden ehemaligen Reichshauptstädten Medresen der höchsten Rangstufe befanden und bis zum Edikt von 1715407 in diesen Hochschulen tätige Müderris mülâzemet ausstellen konnten, zeigt die hervorgehobe-

406 Anhand europäischer Reiseberichte ab der zweiten Hälfte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts beschreibt Üçel-Aybet die größeren Städte in Kleinasien, ihre Bedeutung für Handel und Handwerk, für Verwaltung und Wissenschaft sowie ihre Einwohnerschaft (܆ELAYBET (2003): 430-630). 407 ZILFI (1983b): 341, vgl. dazu auch Kapitel 2.2.5.

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ne Bedeutung dieser beiden Städte. Beide waren attraktive Zentren der Ausbildung, insbesondere für junge Männer vor Ort. Sie konnten studieren, ohne die Heimat verlassen zu müssen, weiterhin zu Hause wohnen und gegebenenfalls dem Vater in dessen Beruf zur Hand gehen. Im einen oder anderen Fall mag solch ein in Bursa oder Edirne aufgewachsener Student der religiösen Wissenschaften auf Beziehungen aufgebaut haben, die seine Familie zu einer der dort ansässigen Ulemafamilien unterhielt. Die Söhne dieser Familien waren zwar Sprösslinge von Gelehrten, die meist wohl in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichnet sind, Istanbuler Ulema waren die Väter trotz intensiver Kontakte zur Hauptstadt aber nicht. Die in Südosteuropa gelegenen Provinzen sind etwa ebenso stark vertreten wie die Gebiete in Zentralanatolien, während weit von Istanbul entfernte Regionen, obwohl sie eine oft bedeutende muslimische Bevölkerung besaßen, nur recht selten als Ursprungsregion genannt werden.408 Gerade die arabischen Gebiete sind signifikant unterrepräsentiert. Aus Mekka oder Medina stammende Ulema finden sich in den Vekayiü’l-Fudalâ gar nicht. Zählt man die in den arabischen Provinzen und Nordafrika geborenen Ulema zusammen, so machen sie kaum mehr aus als die Gelehrten, die im gleichen Zeitraum aus der Stadt Edirne stammten, schon Bursa ist stärker vertreten. Allein aus der Provinz Anadolu kamen drei Mal so viele Ulema wie aus der gesamten arabischen Welt zusammen. In den nördlich der Donau gelegenen Reichsteilen gab es kaum Muslime – kein Wunder, dass keiner der Gelehrten aus Ungarn, der Moldau oder Walachei stammte. In den vorangehenden Jahrhunderten lag die Heimat eines bedeutenden Anteils der Ulema, die die wichtigen religiösen Ämter im Osmanischen Staat einnahmen, außerhalb der Grenzen des Reiches409 (das in der Folgezeit allerdings auch erheblich gewachsen ist). Fast alle in den Vekayiü’l-Fudalâ vorkommenden Gelehrten hingegen wurden auf osmanischem Boden geboren. Selbst aus den Randzonen kamen nahezu keine Gelehrten nach Istanbul. Im Untersuchungszeitraum verzeichnet ¡eyhî einen einzigen Alim, der in den offiziell osmanischen Besitzungen in Nordafrika, in Tunesien, aufwuchs. Von ihm haben wir bereits wegen seiner Kenntnisse über die Kultivierung von Zitrusfrüchten gehört.410 Die Aufwendungen, die die Sultane vor 408 Diese Ergebnisse decken sich mit denen Faroqhis für das späte 16. Jahrhundert. Sie stellte fest, dass die Ulema dieser Zeit – neben Istanbul – insbesondere aus west- und zentralanatolischen Gegenden stammten, während Ostanatolien und nicht türkischsprachige Regionen des Reiches deutlich unterrepräsentiert waren (FAROQHI (1973): 210). 409 GIBB/BOWEN (1950-57): Bd. 2: 83, ZILFI (1983b): 321. 410 Vgl. Kapitel 3.2.3. Auch in späteren Jahrhunderten scheint es äußerst unüblich gewesen zu sein, dass tunesische Ulema ins Osmanische Reich kamen, um zu studieren. Burke schreibt über einen tunesischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts: "[…] the fact that Ibn KhaÃrÁ was of provincial origin made him a bit of an anomaly among the professors at the QarawÐyÐn, as did the fact that he had studied in the Ottoman Empire." (BURKE (1972): 104).

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allem seit dem 15. Jahrhundert Bildungsinstitutionen zukommen ließen, das umfangreiche Stiftungswesen der Mitglieder des Palastes und anderer gesellschaftlich hoch stehender Personen sowie die zum Teil persönliche Förderung von Wissen, Kunst und Kultur hatten offensichtlich mehrere Effekte: Sie haben zum einen dazu geführt, dass die großen Städte des Osmanischen Reiches Hochburgen der Gelehrsamkeit in der muslimischen Welt wurden. Andererseits hat sich der Staat damit eine gewisse Kontrolle über die Ausbildung und Rekrutierung seiner Staatsbeamten gesichert. Diese kamen vor allem aus den Kernlanden, aus Kleinasien und den Provinzen Rumeli und Bosna in den europäischen Landesteilen. Ferner haben sich einige der Wege, auf denen viele Ulema in die Hauptstadt gelangten, verändert: vor der Zeit Süleymans I. (1520-1566) wurden die Sultanssöhne (¢ehzade) mit ihren Müttern in die Provinz geschickt, um sich als Statthalter zu profilieren. In den Höfen, die sie in den Provinzhauptstädten unterhielten, versammelten sich auch die Gelehrten der Region. Für den ein oder anderen unter ihnen stellten die Kontakte zum ¢ehzade ein Sprungbrett für eine Karriere in der Hauptstadt dar – setzte sich 'ihr' Sultanssohn als Nachfolger seines Vaters durch, nahm er sie mitunter mit nach Istanbul.411

Aus der Ferne nur die Besten? 15 der in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie gewürdigten Ulema stammten aus dem benachbarten Safawidenreich. Warum kamen sie in das Reich des Sultans, gab es doch auch im Iran selbst bedeutende Zentren der Gelehrsamkeit? Für einige Gelehrte war der Weg nach Istanbul kaum weiter als in die wichtigen Zentren der Wissenschaft im Iran. Die meisten dieser Ulema stammten aus den iranischen Besitzungen im Kaukasus (nicht selten nennt ¡eyhî ¡irvan am Kaspischen Meer als Herkunftsregion) und waren wahrscheinlich turksprachig. In dem einen oder anderen Fall deutet der Name auch auf kurdische Wurzeln hin.412 Neben geographischen und sprachlichen Argumenten spielte sicherlich auch das religiöse Bekenntnis eine entscheidende Rolle. Mit der Ausbreitung der safawidischen Herrschaft seit der Wende zum 16. Jahrhundert gewann die Schia an Einfluss, wurde zur Staatsreligion und wirkte sich nicht nur auf die schiitischen Vorstellungen nahe stehenden Nomaden Anatoliens, sondern auch auf die sunnitischen Bevölkerungsteile des persischen Reiches aus. Sunniten sahen sich zu mehreren Zeitpunkten der Geschichte Repressionen und ebenfalls Verfolgungen ausgesetzt. War er auch nicht in seinem Leben bedroht, so konnte ein Student der religiösen Wissenschaften sunnitischer Lesart doch nicht auf eine hohe Stellung in einem schiitischen Staat 411 FAROQHI (1973): 208. 412 Vgl. etwa Kürd £shak Efendi (¡EYHÎ: I.381.2), der aus einem kasaba in der Nähe von Tabriz stammte.

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hoffen. Die Übersiedlung ins Osmanische Reich stellte die einzige Möglichkeit dar, Karriere als Religionsgelehrter zu machen.413 Einem der aus dem benachbarten muslimischen Großreich stammenden Ulema gelang der Aufstieg bis ins höchste Amt, das das osmanische System einem Alim offen hielt. ¡eyhülislam Hanefî Mehmed Efendi414 stammte aus Nahcivan in Karabaº im südlichen Kaukasus, der zu dieser Zeit Teil des Safawidenreiches war. Über seine soziale Herkunft macht ¡eyhî keine Angaben. Der Autor berichtet, dass der spätere ¡eyhülislam seine Ausbildung bei den 'ulema-i acem', den Ulema Irans, erhielt, bevor er ins Osmanische Reich kam und in Istanbul sein Studium fortsetzte. Von einem nicht weiter spezifizierten Alim erhielt er eine mülâzemet, um anschließend Schritt für Schritt die Müderriskarriere zu durchlaufen. Nach einer Lehrtätigkeit an der Selimiye Medrese in Edirne, einer der höchsten Medresen des Reiches, wechselte er in die Kadilaufbahn, die mit dem Richteramt von Mekka begann und ihn auf dem vorgesehenen Weg bis zum Amt des ¡eyhülislam brachte. Nicht nur ¡eyhülislam Hanefî Mehmed Efendi, auch die anderen aus dem Safawidenreich stammenden Ulema waren sehr erfolgreich in ihrer Karriere im Nachbarland. Lässt sich dieses Ergebnis verallgemeinern? Betrachtet man, wie weit die Ulema unterschiedlichen Ursprungs in ihrer Karriere in Istanbul jeweils gekommen sind, stellt man fest, dass aus hauptstadtfernen Provinzen stammende Gelehrte im Durchschnitt höher aufstiegen: Über die Hälfte der aus Halep, Trabzon oder dem Safawidenreich Zugewanderten waren Müderris an einer 60 Akçe Medrese, einige von ihnen gelangten bis zum Dar’ül-Hadis, viele wechselten in die Kadihierarchie und erhielten ein dementsprechend hohes mevleviyet. Bei den aus Istanbul oder angrenzenden Gebieten wie Cezayir und Anadolu, aus Bursa oder Bosna stammenden Ulema liegt dieser Anteil viel niedriger. Nur zwischen 14 und 25 Prozent dieser Gruppe stiegen in der Müderrishierarchie bis in die hohen Posten auf, die meisten wechselten vorher in Kadiämter niedrigen Ranges. Die aus fernen Regionen stammenden Gelehrten kamen zwar deutlich seltener nach Istanbul, waren dafür aber recht erfolgreich. Der Weg in die Hauptstadt war für sie mit größeren Schwierigkeiten verbunden, vielleicht wagten deshalb nur die aussichtsreichsten Kandidaten eine Karriere im Zentrum der Macht.

413 Urvoy beschäftigte sich damit, wie viele der Ulema Spaniens im Laufe der Reconquista auswanderten, wohin sie gingen und ob sie ihren ursprünglichen Tätigkeitsbereich beibehielten oder verließen (URVOY (1978): 137-166). Unter ähnlichen Gesichtspunkten zu untersuchen wären die aus den sunnitisch besiedelten Gebieten des Safawidenreiches (etwa dem Kaukasus) in das Osmanische Reich gekommenen Gelehrten sowie umgekehrt die schiitischen Untertanen des osmanischen Sultans, die, etwa aus dem Irak oder kleineren Gebieten in Ostanatolien, zum Studium der religiösen Wissenschaften in den Iran gingen. 414 Gest. 1069 (1658/9) (¡EYHÎ: I.264.1).

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Regionale Gelehrtentraditionen entscheiden über die Laufbahn Es lässt sich feststellen, dass die aus den arabischen Provinzen, aus Trabzon, Karaman, Edirne, Rumeli und Bosna stammenden Ulema zum überwiegenden Teil (zwischen 60 und 89 Prozent) ihre Laufbahn als Richter fortsetzten. Deutlich über die Hälfte der aus allen übrigen Regionen in die hauptstädtische £lmiye gelangten Ulema blieben ihr ganzes Leben lang Müderris. Warum kamen nur so wenige Araber nach Istanbul, peilten dann allerdings meist eine Karriere als Kadi an und waren überdurchschnittlich erfolgreich? Warum hingegen wechselten die Ulema aus Rumeli und Bosna oft schon recht früh in ein Richteramt, was ihnen in den meisten Fällen einen Aufstieg bis in die höchsten Ämter des Staates unmöglich machte? Einen bedeutenden Unterschied stellten sicherlich die unterschiedlichen Gelehrtentraditionen in den beiden Gebieten dar. Während in Städten wie Damaskus, Aleppo und Kairo seit Jahrhunderten Einrichtungen zur hohen und höchsten Bildung bestanden und durch neue osmanische ergänzt wurden,415 ging die Islamisierung Südosteuropas mit der Eroberung durch die Osmanen einher. Bosnien war stärker in den Staat integriert als viele andere osmanische Besitzungen in Südosteuropa,416 auch war ein großer Teil der Bevölkerung zum Islam konvertiert. In den europäischen Gebieten entstanden erst nach und nach Medresen und andere Stiftungen,417 deren Größe und Bedeutung nicht mit denen in den arabischen Reichsteilen oder auch mit den zum Teil noch aus seldschukischer Zeit stammenden Stiftungskomplexen in Kleinasien vergleichbar waren.418 Traditionen, wie man sie aus einigen arabischen Provinzstädten kennt, konnten sich nicht herausbilden. Alteingesessenen einflussreichen Damaszener oder Kairiner Ulemafamilien gelang es nicht selten, bestimmte Posten in den lokalen religiösen Institutionen über Generationen in ihren Familien zu halten419 – Vergleichbares fand sich im zeitgenössischen Bosnasaray¤ (Sarajevo), Sofya oder Belgrad nicht. Welche Ausbildungsmöglichkeiten Damaskus, Kairo oder Aleppo boten, zeigt ihre hervorragende Stellung in den seltenen Fällen, in denen ¡eyhî Angaben über 415 Karl BARBIR (1979/80): "From Pasha to Efendi: The Assimilation of Ottomans into Damascene Society 1516-1783", International Journal of Turkish Studies, 1, 1, S. 67-83: 76f. 416 Avdo SUĆESKA (1980): "The Position of the Bosnian Moslems in the Ottoman State", International Journal of Turkish Studies, 1, 2, S. 1-24: 1. 417 Für eine Aufstellung der Medresen im europäischen Reichsteil und Istanbul im 17. Jahrhundert vgl. ÖZERG£N (1973-74). 418 Eine ganze Reihe kleinerer Stiftungen, meist in Südosteuropa, wird von Kiel besprochen (KIEL (2002)). 419 Sehr aufschlußreich ist die Darstellung der traditionellen Damaszener Ulemafamilien in SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985): 156-193. Sie beschränkt sich nicht auf das 18. und 19. Jahrhundert. Über die soziale Zusammensetzung der Damaszener Stadtbevölkerung vgl. ferner ESTABLET/PASCUAL (1994): 128-136.

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den Ort der Ausbildung der Ulema macht. Erwartungsgemäß führt Istanbul diese Liste an, gefolgt von Bursa, das für einige aus Anatolien stammende Studenten erster Anlaufpunkt war, bevor sie nach Istanbul gingen. Edirne scheint in dieser Hinsicht weniger bedeutend, abgesehen von den aus Edirne stammenden Personen, kamen die meisten südosteuropäischen Anwärter auf £lmiyeämter direkt in die Hauptstadt. Nach Istanbul und Bursa werden am häufigsten Damaskus, Aleppo und Kairo sowie Amid als Ausbildungsstätte erwähnt. ¡eyhî bezeichnet die Stadt im Osten Anatoliens als eine klare Quelle von Geist und Wissen.420 Amid zog nicht nur Gelehrte aus der näheren Umgebung an. Wir haben an anderer Stelle bereits von zwei dort tätigen Müderris gehört, die der Sultan selbst beziehungsweise der Großwesir nach Istanbul gebracht hatten.421 Außerdem sei auf den Lebensweg des Fazil Uzun Hasan Efendi422 hingewiesen. Fazil Uzun Hasan Efendi entstammte einer Familie 'kleinerer Religionsdiener' (sein Vater £smail war Imam und Hatib) und wuchs in der Nähe von Konya in der Provinz Karaman in Zentralanatolien auf. Den jungen Man verschlug es nach Erzincan, wo er den Weg eines Sufi einschlug, anschließend nach Amid. Dort unterstellte er sich einem bekannten Nak¢ibendiye¡eyh und erhielt von ihm eine inabet, widmete sich aber außerdem den Studien. ¡eyhî schreibt Fazil Uzun Hasan Efendi sei etwa 20 Jahre in der Region von Amid geblieben, sein Ruhm habe sich aber schnell verbreitet, so dass er, als er nach Istanbul kam, einen starken Patron hatte und schnell zum spirituellen Ratgeber des damaligen ¡eyhülislam Yahya Efendi aufstieg. Von diesem erhielt der Gelehrte und Sufi eine mülâzemet und begann seine £lmiyekarriere, die ihn bis zum Kadiamt von Edirne führte. Die Suche nach ähnlichen Ulemabiographien für den europäischen Reichsteil in den Vekayiü’l-Fudalâ ist vergeblich. ¡eyhî hebt keine der dort befindlichen Medresen besonders hervor, gibt keine von ihnen als erste Station eines Gelehrten auf seinem Weg in die hohe £lmiye an. Außer Edirne und in gewissem Umfang Bosnasaray¤ (Sarajevo) gab es keine wichtigen Zentren der Gelehrsamkeit im europäischen Teil des Osmanischen Reiches. Medresen in Damaskus oder Kairo hingegen erwähnt ¡eyhî an vielen Stellen. Sie genossen hohes Ansehen, waren zahlreich und oft durch umfangreiche Stiftungsvermögen finanziell getragen. Für arabische Gelehrte ging der Weg nach Istanbul 420 Biographie von Minkarizade Efendi Tabii Ömer Efendi (¡EYHÎ: II.193.2). Einen groben Eindruck von Gelehrten in den kurdischsprachigen Gebieten des östlichen Kleinasien bietet der Artikel von Abdülcebber KAVAK (1997): "17. Yüzy¤lda Doºubeyazit’te Ya¢am¤¢ Büyük bir £slam Alimi ve Mutasawifi: Ahmed Hani", Ilim ve Sanat, 1-2, S. 116-119. 421 Fazil Molla †elebi Efendi (¡EYHÎ: I.232.3) und Hanl¤zade Mehmed Efendi (ibid: I.520.3), sie wurden unter 2.2.5. beziehungsweise 3.2.3. vorgestellt. 422 Gest. 1083 (1672/3) (¡EYHÎ: I.375.1).

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oft nicht nur über die ihrem Heimatdorf am nächsten gelegene Stadt, sondern über weitere Stationen in den alten Zentren der islamischen Welt.423 Sahib’ül-Tessanif Abdülkadir el-Bagdadî Efendi,424 der Sohn eines Mannes namens Ömer aus Bagdad, verließ seine Heimatstadt in Richtung Syrien. Er studierte unter berühmten Gelehrten in Damaskus und übersiedelte anschließend nach Kairo, wo er seine Studien an der ruhmreichen Azhar Hochschule fortsetzte. ¡eyhî erwähnt die Namen einiger seiner Lehrer. Von Kairo aus machte er sich mit dem ehemaligen osmanischen Gouverneur der Stadt nach Istanbul auf, trat in die Dienste des Großwesirs Köprülüzade Fazil Ahmed Pa¢a, erkrankte allerdings und kehrte nach Kairo zurück. Krankheit zwang Sahib’ül-Tessanif Abdülkadir el-Bagdadî Efendi auch bei einem spätereren, erneuten Aufenthalt in der Hauptstadt zur Rückkehr nach Ägypten, wo er verstarb.425 ¡eyhî berichtet sogar von in Anatolien geborenen Gelehrten, die nicht in das näher gelegene Istanbul reisten, sondern im Osten nach Wissen suchten. So begab

423 Um zu erfahren, warum arabische Studenten häufig diesen Weg wählten, müsste man wietere Literaur einbeziehen. Aufschlussreich wären in diesem Kontext sicherlich Selbstzeugnisse, Memoiren, falls sie existieren, insbesondere aber Reiseberichte. Interessant wäre dabei auch auf vielleicht verschiedenen Schwerpunkte der Lehre in den unterschiedlichen Städten als Anziehungsgrund zu achten, wie sie Urvoy für das späte muslimische Spanien herausgearbeitet hat (URVOY (1978): 48-90). Oft hingen wirtschaftliche Kontakte zwischen verschiedenen Regionen der arabischen Welt mit über Generationen anhaltenden persönlichen Kontakten und Studienaufenthalten zusammen. Vgl. dazu die Untersuchung von Baer, in der er sich mit den aus Jerusalem stammenden Ulema beschäftigt, die nach Kairo übergesiedelt sind. Die Studie basiert auf dem biographischen Sammelwerk el-Cabartîs, eines ägyptischen Autors des 19. Jahrhunderts, und beschäftigt sich unter anderem mit den vielseitigen familiären und wirtschaftlichen Kontakten zwischen Jerusalemer Ulema und Kairiner Bevölkerungsgruppen (Gabriel BAER (1984): "Jerusalem Notables in Ottoman Cairo". In: Amnon Cohen und Gabriel Baer (Hg.): Egypt and Palestine: A Millennium of Association (868-1948), Jerusalem, S. 167-175). Ferner interessant ist der Artikel von MannÁ’ ('Adel MANNÀ' (1983): "Cultural relations between Egyptian and Jerusalem ÝUlamÁÞ in the early nineteenth century", Asian and African Studies. Studies in the Social History of the Middle East In Memory of Professor Gabriel Baer, 17, 1-3, S. 139-152), in dem die verschiedenartigen Beziehungen und Verflechtungen zwischen Kairiner und Jerusalemer Ulema im frühen 19. Jahrhundert aufgezeigt werden. Er macht deutlich, dass Kairo als Zentrum der Wissenschaft mit dem Erstarken des Osmanischen Reiches zwar an Bedeutung verlor, trotzdem aber Gelehrte aus anderen arabischen Provinzen unter osmanischer Herrschaft nach Kairo kamen und nicht unbedingt in die Medresen Anatoliens oder der großen Städte Istanbul, Bursa und Edirne strömten. Zum Verhältnis der Jerusalemer Gelehrten zu Kairo im Vergleich zu Istanbul vgl. ferner LEEUWEN (1999): 122. 424 Gest. 1093 (1682) (¡EYHÎ: I.493.1). 425 Für weitere Beispiele vgl. die Biographien von Sarihü'l-Mülteka Seyyid Memed Efendi (¡EYHÎ: II.70.3) und Babî Mustafa Efendi (ibid: I.474.2). Vgl. auch die Beispiele aus elMurâdîs biographischem Sammelwerk, von denen sich einige in Wallbrecht finden (WALLBRECHT (1970): 80).

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sich Fazil Uzun Ali Efendi426 mit seinem Vater Resul Bey nach Damaskus und studierte dort, bevor er nach Istanbul übersiedelte, um in der osmanischen £lmiye bis zum Kadi von Bursa aufzusteigen. Auch der junge Kaba Sakal Mehmed Efendi427 aus Bolu in der Provinz Anadolu beschloss zum Studieren in den Osten zu gehen (wohin genau schreibt ¡eyhî allerdings nicht), anstatt in die nahe Hauptstadt des Reiches. Ein in Ägypten, der Provinz Halep oder ¡am geborener Gelehrte hatte die Option, in einer der bedeutenden Städte in der Heimat einen Müderrisposten anzunehmen, vielleicht zusätzlich auch Imam in der wichtigsten Moschee am Ort oder sogar Mufti der Stadt zu werden. In die Hauptstadt zu gehen, lohnte sich in der Regel nur für diejenigen, die ein hohes Richteramt anstrebten, fanden sie doch, wenn sie ihr Leben dem Erwerb und der Vermittlung von Wissen widmen wollten, ebenfalls in ihrer Heimat beste Vorraussetzungen.428 Auch gestaltete sich der Aufstieg in der Heimatstadt leichter als in der großen, fremden Hauptstadt mit zahlreichen Konkurrenten und ohne langjährige Kontakte.429 Anders stellt sich die Situation in Gegenden wie Bosna, Rumeli oder Cezayir dar: Die Aufstiegsmöglichkeiten in der Heimat waren begrenzt, es gab deutlich weniger Ämter, die man, ohne nach Istanbul gehen zu müssen, erreichen konnte. Der Weg in die Hauptstadt war für einen ambitionierten Studenten der religiösen Wissenschaften meist die einzige Option, um zu hohen und ehrenvollen Posten zu gelangen. Einen wichtigen Faktor bei der Umsiedlung in die Hauptstadt stellten außerdem Kontakte und Netzwerke dar. Die wichtigen Patrone der Zeit stammten aber fast nie aus den arabischen Provinzen.430 Oft waren sie Mitglieder traditioneller Istan426 Gest. 1089 (1678/9) (¡EYHÎ: I.442.1). 427 Gest. 1089 (1678/9) (¡EYHÎ: I.452.2). 428 Zu diesem Ergebnis kommt auch Kupferschmidt in seiner Untersuchung der Verbindungen palästinensischer Ulema zu den verschiedenen Gebieten des Osmanischen Reiches vom 16. Jahrhundert über das Ende der osmanischen Herrschaft in dieser Region hinaus. Er schreibt: "A journey to Istanbul in most cases had a material rather than an intellectual purpose: while aspiring ÝulamÁÞ 'sought (religious) knowledge' (Ôalaba al-Ýilm), it was generally '(public) office' (Ôalaba al-waÛÐfa) which they sought in Istanbul." (Uri M. KUPFERSCHMIDT (1984): "Connections of the Palestinian ÝUlamÁÞ with Egypt and Other Parts of the Ottoman Empire". In: Amnon Cohen und Gabriel Baer (Hg.): Egypt and Palestine: A Millennium of Association (8681948), Jerusalem, S.176-189: 185f.). 429 Auf ein ähnliches Phänomen traf Kunt in seiner Untersuchung hoher Mitglieder der militärisch-administrativen Klasse des Osmanischen Staates: nur in den Randprovinzen des Reiches konnten lokale Mitglieder der Seyfiye in hohe Ämter vordringen (KUNT (1983): 63ff.). Fleischer bewertet dies als Anreiz nicht in die Hauptstadt abzuwandern, sondern in seiner Heimat die erfolgversprechendere Karriere voranzutreiben (FLEISCHER (1986): 210). 430 Diese Aussage bezieht sich auf die Patronageverhältnisse, die in den Vekayiü’l-Fudalâ für die untersuchte Personengruppe angegeben wurden. Die Herkunft der Patrone lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen, aber sehr oft: zu den meisten Patronen aus der £lmiye finden

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buler Ulemafamilien, oft aus dem dev¢irme hervorgegangene 'Männer des Schwertes', die ihre Wurzeln vorwiegend in den europäischen Reichsteilen hatten. Wie bereits dargelegt, spielte Solidarität unter Personen gleicher Herkunft eine Rolle: Es würde also nicht verwundern, wenn Aspiranten auf hohe £lmiyeämter aus den Eyalet Bosna und Rumeli auf ein weitreichenderes Netz an Unterstützern zurückgreifen konnten, als junge Gelehrte aus arabischen Provinzen. Auch darin mag ein Grund für die ungleiche Repräsentation der beiden Großregionen der in den Vekayiü’lFudalâ verzeichneten Ulema liegen.

Auswanderer und Heimattreue zwischen Religion, Politik und Kultur Ferner von Bedeutung für eine Karriere als ranghoher osmanischer Alim waren das religiöse Bekenntnis und die politische Situation: In Bagdad gab es sunnitische und schiitische Gelehrte und im 17. Jahrhundert wechselte die Herrschaft in dieser Region zwischen dem Reich der Osmanen und dem der Safawiden – eine eindeutige Bindung an die religiöse Hierarchie Istanbuls konnte sich nicht herausbilden. In den arabischen Provinzen des Osmanischen Staates dominierten die schafiitische (insbesondere in Syrien und im südlichen Ägypten) und die malikitische Rechtsschule (vor allem im nördlichen Ägypten). Die Muslime in den anderen Reichsteilen, in Rumelien und dem übrigen Anatolien, hingegen, waren meist Hanafiten – die offizielle Rechtsschule (mezhep) des Reiches. Um als nicht-Hanefî einen hohen Posten in der Istanbuler £lmiye zu erreichen, hätte der Alim die Rechtsschule wechseln müssen. In seiner Heimat hingegen boten sich einem schafiitischen, malikitischen oder hanbalitischen Gelehrten vielfältige Möglichkeiten und Aufstiegschancen.431 In der Art des Bekenntnisses lässt sich auch ein Grund für die relativ geringe Repräsentation bestimmter Gegenden im Eyalet Rumeli suchen. Das westlich von Monast¤r gelegene, bis ans Mittelmeer reichende Gebiet war vorwiegend von Albanern besiedelt. Sie waren nicht nur wie viele andere Muslime in Südosteuropa nicht türkischsprachig, sondern außerdem zu einem wesentlichen Teil der tarikat der Bekta¢iye zugehörig – sunnitische Religionsgelehrte wurden solche Leute sicherlich eher nicht. Stattdessen traten viele Männer aus diesem Gebiet in militärische Dienste. Eine

sich die Informationen in den Vekayiü’l-Fudalâ selbst, zu Pa¢a, Bey und anderen in den Sicil-i Osmanî (Mehmed SÜREYYA (1996): Sicill-i Osmanî, 6 Bde., türkische Übersetzung der osmanischen Originalausgabe von 1308, hg. von Nuri Akbayar, Istanbul). 431 Gerade in Syrien und Ägypten, die vor allem schafiitisch und malikitisch geprägt waren, hätten die unterschiedlichen Rechtsschulen ein Problem darstellen können. Gehörten die höchsten Kadi dieser Regionen auch stets der hanefitischen mezhep an, so wurden lokalen Rechtsgelehrten gewisse Freiräume zugestanden, die Bevölkerung konnte sich an einen Gelehrten ihrer Rechtsschule wenden.

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hohe religiöse Ausbildung wurde zudem durch das Fehlen eines lokalen Zentrums erschwert. Die persönliche Verbundenheit zur Heimat war ein weiterer Grund, nicht nach Istanbul zu gehen. Sie mag von Provinz zu Provinz und von Individuum zu Individuum variiert haben, wurde allerdings sicherlich durch unterschiedliche Sprachen, Traditionen und Gewohnheiten verstärkt. Für einen Stadtbewohner Syriens war die Umstellung in der Hauptstadt des Reiches wahrscheinlich größer als für einen Mann, der in einer westanatolischen Stadt aufgewachsen ist.432 Die Geschichte eines ¡eyh der Zeyniye433 namens Burhaneddin illustrierrt dies. Der ¡eyh verließ seine Heimatstadt Eºridir bei Isparta, um zwei seiner Söhne in Istanbul zu besuchen. Einer der beiden war dort Müderris, der andere Kadi. Der damalige Großwesir Rüstem Pa¢a – die Geschichte spielt demnach in der Mitte des 16. Jahrhunderts – wies dem Vater einen Posten als ¡eyh in der Istanbuler Küçük Aya Sofya Zaviye zu. Trotz dieser angesehenen Stelle hielt es ¡eyh Burhaneddin nicht lange in der Hauptstadt aus; bereits nach einem Jahr kehrte er in seine Heimat zurück. Als Begründung nannte er, dass ihm das Gewimmel (kesret) in Istanbul nicht bekam.434 Zudem stellte die Anbindung an die Hauptstadt einen wichtigen Faktor dar. Die Wegenetze im europäischen Teil des Reiches waren gut ausgebaut und frequentiert – anders in Anatolien: Gerade von den östlichen Gebieten Kleinasiens oder den arabischen Provinzen war die Reise nach Istanbul schwierig und nicht ungefährlich. Eine Route von Sarajevo über Belgrad, Ni¢, Sofya, Filibe (Plovdiv) nach Edirne und von dort an den Bosporus wie auch eine seit dem 17. Jahrhundert etablierte Strecke von der Donau über Silistre (Silistra) und ¡umnu (Šumen) nach Edirne erleichterten regionale Mobilität innerhalb der Provinzen Rumeli und Bosna sowie von dort in die Hauptstadt.435

432 Vgl. einen Bericht des syrischen Autors el-Muhibbî, der von Kupferschmidt wie folgt kommentiert wird: "However, only a few went to study in Istanbul: distance as well as language probably formed serious impediments. It is impossible to give an exact answer to the question why MuÎammad al-SurÙrÐ (d. 1678/9) – an outstanding ÝÁlim from Jerusalem who had also studied in Cairo – became temporarily 'possessed by jinns' while complementing his studies in Istanbul, but this fact might have something to do with the unfamiliar environment." (KUPFERSCHMIDT (1984): 187). 433 Die tarikat der Zeyniye fand vor allem in Istanbul und Bursa Verbreitung. Es handelt sich um einen Zweig der Sühreverdi, die wiederum ein Zweig der Kadiriye war (Adnan BENK (Hg.) (1986): Büyük Larousse. Sözlük ve Ansiklopedisi, 24 Bde., Istanbul: "Zeyniye", "Sühriverdi"). Vgl. ferner Hans Joachim KISSLING (1964): "Einiges über den Zejnîje-Orden im Osmanischen Reich", Der Islam, 39, S. 143-179. 434 SOHRWEIDE (1981): 381. 435 Zum Straßennetz vgl. Halil £NALCIK (1973): The Ottoman Empire, The Classical Age 1300-1600, London: 146-150, Karte 122f.

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Die Analyse der Herkunftsregionen der Istanbuler Ulema des 17. Jahrhunderts zeigt, dass die hauptstädtische religiöse Elite aufnahmefähig war. Männer aus den verschiedenen Gebieten des Reiches wurden in diesen elitären Zirkel integriert – allerdings nicht zu gleichen Anteilen. Dass bestimmte Provinzen stärker vertreten waren als andere, ist nicht durch gesetzliche Erschwernisse für die einen oder Bevorzugung der anderen bedingt. Benachteiligungen und Begünstigungen lagen vielmehr in geographischen, sprachlichen und institutionellen Voraussetzungen sowie informellen Bindungen, die sich in den verschiedenen Regionen des Reiches stark unterschieden. Spiegeln sich Wandlungen innerhalb und an den Grenzen des Reiches in den Wegen der osmanischen Gelehrten wider? Haben sich die Herkunftsregionen der Ulema im Laufe des 17. Jahrhunderts verändert? Insgesamt steigen die Zahlen für alle Ursprungsregionen.436 Dieses Ergebnis zeigt einen Aspekt des bereits diskutierten allgemeinen Anwachsens der Istanbuler Ulemaschicht im Untersuchungszeitraum, vor allem von der ersten zur zweiten Periode. In den meisten Fällen lässt sich kein überdurchschnittlich hoher Rückgang oder Anstieg in der Anzahl der Ulema feststellen, die aus einer bestimmten Region stammten. Die kleine Datenmenge für jede Region und Zeit macht es unmöglich, aus den festzustellenden Schwankungen Rückschlüsse zu ziehen.

Der Geburtsort: nur der Ort der Geburt? Kann man Aussagen über das Umfeld machen, aus dem die Ulema des 17. Jahrhunderts stammten? Die Angabe, ob der einzelne Gelehrte aus einer rural geprägten Region kam oder aus einer Stadt stammte, lässt gewisse weiterführende Rückschlüsse zu. Die detaillierte Nennung eines Geburtsortes erlaubt, den möglichen sozialen Hintergrund eines Alim einzuschränken. Es ist nicht immer eindeutig zu bestimmen, aus welchen Gebieten der Provinz die Ulema stammten. Aus ¡eyhîs Angabe, jemand stamme aus der Provinz Karaman, kann man weder schließen, derjenige sei in einem kleinen Dorf geboren noch er komme aus einer der in Karaman gelegenen Städte, etwa Konya oder Kayseri. Im Regelfall stammte der betreffende Gelehrte aber wahrscheinlich nicht aus einer der bedeutenden Städte in seiner Heimatprovinz, sonst hätte ¡eyhî sicherlich eher den Städtenamen angegeben, als die Provinz, beziehungsweise der Alim wäre unter seinem Geburtsort und nicht der Provinz bekannt gewesen. Wertet man die in den Lebensbeschreibungen der Ulema genannten Herkunftsangaben nach Provinzen unter dem Aspekt 'städtische versus dörfliche Herkunft' aus, so erhält man in vielen Provinzen ein vergleichbares Bild: die in Städten auf436 Vgl. Anhang, Abb. 4: 'Herkunftsregionen der Ulema (excl. Söhne Istanbuler Ulema)'.

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gewachsenen Gelehrten halten sich ungefähr mit denen aus Kleinstädten, Gemeinden und Dörfern stammenden die Waage. Abweichungen von diesem Ergebnis lassen sich sowohl im europäischen Reichsteil als auch im Eyalet Anadolu und den arabischen Provinzen feststellen. Die aus den Eyalet ¡am und Halep stammenden Ulema sind fast ausschließlich in den wichtigen Städten der Region geboren, das sind Damaskus, Aleppo und in zwei Fällen auch Jerusalem. In mehreren Biographien ist der Beruf des Vaters genannt – es sind einige Söhne ansässiger Ulema darunter –, in fast drei Viertel der Fälle erwähnt ¡eyhî zumindest den Namen des Vaters, teilweise auch den des Großvaters. Das ist deutlich öfter als sonst und lässt darauf schließen, dass es sich nicht um Personen aus sehr einfachen Verhältnissen handelte. Wahrscheinlich waren es Gelehrte oder Familien der gehobenen Stadtbevölkerung, die ihre Söhne in die entfernte Hauptstadt schickten. Eine solche Reise war auch kostenintensiv – ein einfacher syrischer Bauernsohn wird sich dies in der Regel kaum geleistet haben können. Ähnlich stellt sich die Situation in der Provinz Rumeli am anderen Ende des Reiches dar: Auch hier stammen fast alle in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Gelehrten aus Städten. Dieses Ergebnis verwundert deshalb nicht, weil in den europäischen Provinzen die Städte, in einigen Fällen auch osmanische Gründungen, stark muslimisch geprägt waren. Dass die Anzahl der aus dem Eyalet Bosnien kommenden Ulema sich hier unterscheidet und nur geringfügig vom Trend des Gleichgewichts städtischer und dörflicher Ursprungsregionen abweicht, ist durch das dortige regionale Zentrum zu erklären. Bosnasaray¤ war nach Edirne das wichtigste muslimische Kulturzentrum in Rumelien und stellte für die aus den umliegenden Gebieten stammenden Studenten gute Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung. Mit Rumeli vergleichbar ist die Provinz Cezayir. Sie umfasst die Ägäischen Inseln und Ostthrazien, die vorwiegend griechisch bewohnt waren – sie werden nur in sechs Fällen als Herkunftsregion von Ulema genannt. Vorherrschend sind größere Gemeinden und Städte, etwa Gelibolu oder Tekirdaº¤. Von der Tendenz eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Stadt und Dorf weicht außerdem das größte aller Eyalet ab: Anadolu. Anders als in den bisher besprochenen Fällen überwiegen in dieser großen westanatolischen Provinz die aus ruralen Verhältnissen, aus Dörfern und kleinen Ansiedlungen stammenden Ulema. Es ist festzuhalten, dass es einem in der Provinz geborenen Jungen, der dort eine erste Ausbildung genoss, möglich war, in die religiöse Istanbuler Elite aufzusteigen. Dabei lassen sich keine prinzipiellen Unterschiede zwischen den aus Dörfern und den aus Städten stammenden Gelehrten machen. Variiert das Verhältnis zwischen den rural und den urban geprägten Ulema in den Vekayiü’l-Fudalâ zwar von Region zu Region, so nennt ¡eyhî für alle Ursprungsregionen eine gewisse Anzahl von Gelehrten, die aus Dörfern stammten. Wie hoch ihr Anteil im Einzelnen war, ist nicht zu bestimmen, da ¡eyhîs Angaben unzureichend präzise sind. Ebensowenig lässt 143

sich der genaue Beruf der Väter dadurch erschließen, dass der Autor den Geburtsort näher beschreibt.437 Spricht er von einer kleinen Ansiedlung auf dem Land, kann man allerdings sehr wohl davon ausgehen, dass es sich bei der Familie des dort aufgewachsenen Alim mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht um Kaufleute oder gar Mitglieder der askerî-Klasse, sondern um einfachere Leute handelte. Sie alle für Bauern zu halten, wäre ebenso unzulässig wie die Stadtbevölkerung nur in Händler und Handwerker zu unterteilen. Folglich hatten nicht nur Männer unterschiedlicher regionaler Herkunft Zugang in die Ämter der £lmiye, auch ihr sozialer Hintergrund war vielschichtig.438

3.4

AUS ALLEN GRUPPEN DER GESELLSCHAFT? LEBENSWEGE OSMANISCHER ULEMA DES 17. JAHRHUNDERTS

Eine allgemeine, quantitative Aussage über die sozialen Ursprünge der Mitglieder der osmanischen £lmiye im 17. Jahrhundert ist anhand des Werkes ¡eyhîs unmöglich. Bereits an anderer Stelle wurde dargelegt, wie begrenzt die Informationen sind, die der Autor zu diesem Punkt gibt. Insgesamt kann in 146 der analysierten 715 Biographien die soziale Herkunft des Alim aus der Nennung des Berufs des Vaters geschlossen werden. Diese Anzahl ist zwar sehr gering,439 doch erlaubt sie, bestimmte Tendenzen aufzuzeigen und verschiedene mögliche Lebenswege nachzuzeichnen. Die gesellschaftlichen Gruppen, aus denen diese 146 Ulema stammten, gliedern sich wie folgt:

437 Aufschluss über die Familie der einzelnen in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie verzeichneten Ulema und damit ihren gesellschaftlichen Hintergrund könnten Regionalchroniken geben. Es existieren zahlreiche Arbeiten über Regionalgeschichte, so etwa £brahim H. KONYALI (1976): Üsküdar Tarihi, 2 Bde., Istanbul, Hülya CANBAKAL (1999): ÝAyntab at the End of the Seventeenth Century, Ph.D. diss., Harvard University und Abdurrahim ¡. BEYGU (1936): Erzurum Tarihi, An¤tlar¤, Kitabeleri, Istanbul. Diese drei genannten Arbeiten konnten allerdings nicht von mir eingesehen werden. Schatkowski Schilcher (SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985)) setzt sich ausführlich mit den wichtigen Familien der Aºa, Ulema und E¢ref im Damaskus des 18. und 19. Jahrhunderts auseinander, ist aber auch für das vorangegangene Jahrhundert verwendbar, bei Kreiser (KREISER (1975)) finden sich kaum Angaben zu bestimmte Berufe dominierenden Familien in Edirne im 17. Jahrhundert. 438 Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis gelangt Brown in seiner prosopographischen Untersuchung der tunesischen Gelehrtenschaft in husainidischer Zeit: Etwa die Hälfte der von ihm analysierten Ulemabiographien verwies auf eine Herkunft außerhalb der Stadt Tunis, die Gelehrten stammten aus unterschiedlichen Regionen und gesellschaftlichen Gruppen (L. BROWN (1972): 56f.). 439 Der Anteil dieser Ulema bekannter Abkunft wird in der graphischen Darstellung der sozialen Herkunft aller Ulema des Untersuchungszeitraumes deutlich. Vgl. Anhang, Abb. 5: 'Die osmanischen Ulema des 17. Jhs. und ihre soziale Herkunft'

144

Es fällt auf, dass Söhne von Männern, die religiöse Aufgaben wahrnahmen, offensichtlich besonders stark in der hohen osmanischen £lmiye vertreten waren. Zählt man die Ulema zusammen, die einen nicht an die Hauptstadt gebundenen Alim, einen 'kleineren Alim', einen 'kleineren Religionsdiener' oder einen ¡eyh zum Vater hatten, so ergibt sich eine Zahl von 88. Das bedeutet: deutlich mehr als die Hälfte der untersuchten Ulema, deren Abkunft bekannt ist, kamen aus Familien, die auf verschiedenen Rangstufen im Dienst der Religion standen. Aus allen übrigen Bevölkerungsgruppen, seien sie Teil der privilegierten askerî-Klasse oder reaya, stammten nur 58 Gelehrte. Diese Tendenz kann unterschiedliche Ursachen haben. Neben den persönlichen Kontakten des Autors spielt sicherlich die Tatsache eine Rolle, dass nicht nur Ulema, sondern auch die als Imam, Hatib oder vaiz in Moscheen tätigen Männer sowie die meisten ¡eyh zumindest des Lesens und Schreibens kundig waren. Es ist anzunehmen, dass sie ihren Söhnen selbst Unterricht gaben oder sie einem Lehrer anvertrauten. Ferner ist davon auszugehen, dass Kenntnisse der Religion in diesen Kreisen als besonders wichtig betrachtet wurden. Zum anderen ist wahrscheinlich, dass dieses Ungleichgewicht in den Angaben in den Vekayiü’l-Fudalâ begründet liegt: Wie bereits an anderer Stelle diskutiert, ist davon auszugehen, dass durch die Verwendung der Register des Büro des ¡eyhülislam für die Zusammenstellung der biographischen Angaben in ¡eyhîs Werk 145

in den allermeisten Fällen bekannt war, wenn der Biographierte einen Hochgelehrten zum Vater hatte, auch wenn dieser nicht in Istanbul tätig war. Es wäre zu prüfen, inwieweit ¡eyhî ebenfalls die Register der beiden Kazasker zu Rate ziehen und womöglich aus diesem Grund genauere Angaben über Väter machen konnte, die Provinzkadi oder kleinere Müderris waren. Von den 58 Ulema, die nicht von Haus aus mit der religiösen Ordnung des Reiches verbunden waren, kamen 39 nicht aus der privilegierten Schicht der askerîKlasse. Die meisten von ihnen waren Söhne von Kaufleuten, eine nicht geringe Anzahl auch von Handwerkern. ¡eyhî erwähnt in keiner Biographie, die Familie des Alim seien Bauern, Nomaden, Tagelöhner oder ähnliches gewesen.440 Das bedeutet, dass der größte Teil der osmanischen Bevölkerung in der hauptstädtischen £lmiye wenn überhaupt, dann nur sehr schwach vertreten war. Dies liegt zum einen im geringeren Bildungsniveau jener Bevölkerungsgruppen begründet. Kenntnisse der religiösen Wissenschaften hatten, anders als in anderen Gesellschaftsschichten, wenig Relevanz in ihrem alltäglichen Leben. Außerdem konnten die nicht alphabetisierten Untertanen des Sultans ihre Söhne nicht selbst unterrichten und andere Möglichkeiten waren begrenzt. Mekteb stellten für nomadisierende Stämme keine angemessene Ausbildungsstätte dar, und auf dem Land waren weit weniger Bildungsangebote vorhanden als in mittelgroßen Dörfern oder gar Städten. Die unter Nomaden oder muslimischen Bauern verbreiteten religiösen Vorstellungen und Traditionen waren zudem nicht selten deutlich verschieden vom 'orthodoxen' Verständnis des Islam der Ulema und ihrer Institutionen. Zum anderen erklären die Erfordernisse der Berufsgruppen und die unterschiedlichen Lebensumstände das Fehlen von Gelehrten, die aus den einfachen, in der Landwirtschaft tätigen, nomadisierend Viehzucht betreibenden oder sich als Tagelöhner verdingenden Familien stammten. Untertanen aus diesen Bevölkerungsschichten konnten es sich kaum leisten, ihre Söhne an die Gelehrsamkeit zu verlieren – sie brauchten deren Arbeitskraft, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Although access to the requisite genealogy education of the ulama came most easily to the sons of the wealthy and learned, the biographies of scholars indicate the wide variety of their social origins. 441 Dieses Zitat ist zwar einer Untersuchung über die Gelehrtenschicht im Marokko des 19. Jahrhunderts entnommen, doch läßt es sich ebenso zur Beschreibung der

440 Nur in einer Biographie, in der die Herkunft nicht genauer zu bestimmen ist und die zudem einen interessanten Sonderfall darstellt, scheint ¡eyhî auf einen solchen Hintergrund zu verweisen. Zu diesem unspezifizierten reaya vgl. 3.4.10. 441 K. BROWN (1972): 133.

146

Verfasstheit der osmanischen £lmiye des 17. Jahrhunderts heranziehen. Trotz der unzureichenden Angaben in den Vekayiü’l-Fudalâ lässt sich die Tendenz feststellen, dass im Wesentlichen Söhne aus gebildeten Familien (und dazu zählen auch Kaufleute) und besonders aus Familien, die in die religiöse Ordnung des Reiches eingebunden waren, in die £lmiye strömten. Während einigen Handwerkersöhnen der Einstieg in die £lmiye gelang, scheint die große Masse der Bevölkerung des Osmanischen Reiches, die Bauern, Nomaden und Tagelöhner in der hohen religiösen Ordnung des Staates nicht oder nur sehr selten vertreten gewesen zu sein. Abou-el-Haj zeichnet ein deutlich abweichendes Bild der osmanischen Ulema des 17. Jahrhunderts. Er schrieb zu Beginn der 1990er Jahre, dass seine "ongoing study of the ilmiye institution ca. 1650-1720", die offensichtlich (noch) nicht erschienen ist, folgendes Ergebnis andeutet: The social system of orders had broken down: anyone could enter any order. This obtained not only for the military but also for the ilmiye and the ruling elite. The change was particularly apparent within the ilmiye. For most of the seventeenth century and even the very early part of the eighteenth, nearly half of the new recruits for the Istanbul high ilmiye came from merchant and artisan backgrounds. The new recruits come to equal in number those drawn from high ilmiye families, that is, the aristocratic families that had brought forth high-level ulema for at least three generations.442 Auf welche Quellen der Autor sich stützt, geht aus dem Text leider nicht hervor, aber welche kann es geben, die so genaue Ergebnisse zulassen? Die wichtigste Quelle zur Untersuchung der sozialen Hintergründe der Ulema dieser Zeit sind zweifelsohne biographische Sammelwerke und weder Ataî noch U¢akîzade oder ¡eyhî lassen Aussagen über die Zusammensetzung der osmanischen £lmiye in diesem Umfang zu, noch deuten die in vorliegender Arbeit gewonnenen Ergebnisse in eine Richtung, wie Abou-el-Haj sie beschreibt. Was die berarbeitete Quelle an Schlüssen zuläßt, ist begrenzt und im Folgenden zusammengestellt. Die nicht in hauptstädtische Gelehrtenkreise hineingeborenen Ulema werden dazu nach ihrer gesellschaftlichen Herkunft gruppiert und die unterschiedlichen Prozesse sozialer Mobilität durch Beispielbiographien veranschaulicht. Es wird versucht, die Besonderheiten jeder einzelnen dieser gesellschaftlichen Gruppen, denen die Gelehrten entstammten, aufzuzeigen und Interpretationsansätze für die festzustellenden Phänomene zu liefern.

442 ABOU-EL-HAJ (1991): 38.

147

3.4.1

Wie der Vater so der Sohn: Ulemafamilien außerhalb der Hauptstadt

Nicht nur in Istanbul lebten Ulema, auch in anderen Teilen des Reiches gab es, wie bereits angesprochen, Zentren der Gelehrsamkeit und des Wissens. Auch dort gelang es Familien, über mehrere Generationen hinweg die wichtigsten Posten in der lokalen religiösen Hierarchie zu besetzten. Einige Sprösslinge solcher Familien fanden den Weg in die Hauptstadt und wurden Teil der hohen osmanischen £lmiye. In 24 der 715 untersuchten Biographien ist die Abstammung aus einer Gelehrtenfamilie eindeutig feststellbar. In einem dieser Fälle nennt ¡eyhî die Verwandten der Mutter als Referenz in die £lmiyehierarchie, während er nicht mehr als den Namen des Vaters erwähnt. Es ist unklar, ob diese unübliche Vorgehensweise ¡eyhîs darauf beruht, dass der Vater dieses Alim namens £smeti H¤sm¤ Mehmed Efendi443 ein nicht weiter bekannter Mann war oder ob sein Rang nur deutlich niedriger war als der des Bruders seiner Mutter, eines Kazasker.444 Alle übrigen 23 in diese Gruppe fallenden Ulema hatten Gelehrte zum Vater. Bis auf vier Ausnahmen stammten sie alle aus Bursa oder Edirne und besetzten hohe Posten in der £lmiye, offensichtlich ohne in die Hauptstadt zu ziehen. Dizdarzade Mehmed Efendi445 wurde als Sohn des ebenfalls in den Vekayiü’lFudalâ erwähnten Dizdarzade Mustafa Efendi446 in Edirne geboren. Der Vater war Sohn eines in Ataî mit einer Biographie bedachten ¡eyh und kam in der von jenem errichteten Zaviye in Edirne zur Welt. Dizdarzade Mustafa Efendi verließ seine Heimatstadt zwar (er war auf dem Gipfel seiner Karriere Kadi von Konya), seine Familie verblieb aber offensichtlich in Edirne. In der Biographie des Sohnes, Dizdarzade Mehmed Efendis, erwähnt ¡eyhî keine Umsiedlung in die Hauptstadt und gibt gleichzeitig Indizien dafür, dass der Alim, ohne diesen Schritt zu wagen, in der £lmiye aufstieg. Die Tatsache, dass ¡eyhî den Namen des Gelehrten, von dem der junge Alim aus Edirne seine mülâzemet erhalten hat, nicht erwähnt, ist ein erster Hinweis. Zwar verwendet ¡eyhî auch bei Ulema, die zweifelsohne ihre mülâzemet in Istanbul erhielten, oft allgemeine Floskeln, um den ausstellenden Alim zu beschreiben, sehr selten jedoch bei Söhnen bekannter Familien, wie sie die Dizdarzade waren. Deren Nachkommen wurde meist von einem der Kazasker, dem ¡eyhülislam oder zumindest einem namentlich erwähnten hohen Alim eine mülâzemet ausgestellt. Verfolgt man den Lebenslauf des Dizdarzade Mehmed Efendi, so stellt sich heraus, dass sich alle 12 Medresen, an denen er tätig gewesen war, in Edirne 443 444 445 446

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Gest. 1091 (1680) (¡EYHÎ: I.471.1). Zur Familie dieses Alim vgl. auch SOHRWEIDE (1981): 383f. Gest. 1103 (1691/2) (¡EYHÎ: II.66.2). Gest. 1059 (1649/50) (¡EYHÎ: I.186.1).

befanden.447 Der Alim verließ also seine gesamte Müderrislaufbahn über seine Heimatstadt nicht. Dabei erreichte er die direkt unterhalb des Dar’ül-Hadis der Süleymaniye stehende Hierarchiestufe als Müderris und wurde von dort aus zum Kadi von Medina berufen. Wenig später verstarb Dizdarzade Mehmed Efendi. Er bildete damit die dritte Generation einer Familie, die zwar hohe Ämter der osmanischen £lmiye bekleidete, aber nicht in die Hauptstadt übersiedelte. Die Lebensbeschreibung des Dizdarzade Mehmed Efendi macht deutlich, wie hoch Ulema außerhalb der Hauptstadt aufsteigen konnten, und dass sie Karriere in der £lmiye machen konnten, ohne für eine bestimmte Zeit in der Stadt am Bosporus leben, lernen und lehren zu müssen. Wenn auch nur im Kleinen, so bildete Edirne ein neben Istanbul bestehendes Zentrum der Gelehrsamkeit, das Aufstiegschancen bis in die höchsten Ränge der Müderrislaufbahn bot. Nahm die zweite ehemalige Hauptstadt des Reiches ebenfalls eine Sonderstellung ein? Ein Beispiel aus Bursa: K¤z¤kl¤zade Ahmed Efendi448 war Sohn des K¤z¤kl¤ Mehmed Efendi449 aus K¤z¤k, einem Dorf in der Nähe von Bursa. Sowohl in der Biographie des Vaters als auch in der des Sohnes schweigt ¡eyhî – wie so oft – über die Zeit der Ausbildung. Bei beiden ist allerdings nicht erwähnt, dass sie Bursa verlassen haben. Während der mülâzemet-Geber des Vaters nicht namentlich aufgeführt wird, nennt ¡eyhî Nakibüle¢raf Kudsîzade ¡eyh Mehmed Efendi als Aussteller der mülâzemet des Sohnes. Das muss nicht zwangsweise bedeuten, dass K¤z¤kl¤zade Ahmed Efendi dieses Zertifikat in Istanbul erhalten hat. Schließlich war der später zweimalige Rumeli Kazaskeri Nakibüle¢raf Kudsîzade ¡eyh Mehmed Efendi in

447 In 11 der 12 Fälle handelt es sich sicher um Medresen in Edirne. Das sind der Hierarchie von unten nach oben folgend: die £lm ed-Din Medrese, von der ¡eyhî selbst schreibt, sie befände sich in Edirne, gefolgt von: ¡ah Melek Medrese (in Edirne (ÖZERGIN (1973-74): 279)), Eminiye Medrese (in Edirne (ibid: 279)), Sirâciye Medrese (in Edirne (ibid: 279)), Ta¢l¤k Medrese (in Edirne (ibid: 279)), Cami-i Atîk Medrese (in Edirne (Ahmet GÜL (1997): Osmanl¤ Medreselerinde Eºitim-Öºretim ve Bunlar Aras¤nda Dâru'l-Hadîslerin Yeri, Ankara: 45)), Üç ¡erefli Medrese (in Edirne (ibid.: 52)), Edirne Dar’ül-Hadis, Sultan Bayezid Medrese (in Edirne (ibid.: 68 und ÖZERGIN (1973-74): 278)). Zwei der drei übrigen Medresen niedriger Hierarchiestufen befanden sich ebenfalls in der alten Hauptstadt des Reiches. Von der †okac¤ Hac¤ Medrese ist bekannt, dass sie Mitte des 16. Jahrhunderts hariciye-Rang hatte (KREISER (1975): 76), dass die ¡eyhî †elebî Medrese ebenso in Edirne war, wissen wir aus der berühmten Regionalchronik Abdurrahman †elebi H¤brîs (ibid: 75). Nur zur Mîr Mîrân Medrese macht weder ¡eyhî genauere Angaben noch ist sie in der eingesehenen Literatur verzeichnet. Da es sich allerdings weder um eine Medrese in Istanbul noch in Bursa zu handeln scheint und ¡eyhî keinen anderen Ort angibt, was er sonst immer tut, findet sich eine Medrese nicht in einer der drei genannten wichtigsten Städte oder findet ein Ortswechsel zu dieser Zeit der Laufbahn statt, kann davon ausgegangen werden, dass sich auch diese Medrese in Edirne befand. 448 Gest. 1089 (1678/9) (¡EYHÎ: I.450.2). 449 Gest. 1067 (1656/7) (¡EYHÎ: I.244.1).

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seiner Laufbahn auch Kadi von Bursa, konnte als solcher mülâzemet vergeben, und hatte diesen Posten 35 Jahre vor dem Tod von K¤z¤kl¤zade Ahmed Efendi aus Bursa inne. Dieser hätte die mülâzemet also in seiner Heimatstadt erhalten können: Unterstellen wir, er ist im Alter von etwa 60 Jahren verstorben, hätte er den Schritt vom Lernenden zum Lehrenden in seinen Zwanzigern gemacht – das sind sehr realistische Annahmen. Lässt sich auch nicht sicher nachweisen, dass K¤z¤kl¤zade Ahmed Efendi seine gesamte Ausbildung in Bursa absolviert hat, so trifft dies zumindest für seine Müderriskarriere zu: alle sechs Posten als Dozent erfüllte er in seiner Heimatstadt.450 Anschließend wurde er zum Kadi von Tokat berufen, was der höchste Posten bleiben sollte, den er in seiner Karriere erreichte. Interessanterweise ist der Lebensweg des Vaters praktisch identisch: Auch er absolvierte alle Müderrisstellen in Bursa451 und stieg anschließend in die Kadilaufbahn als Richter von Sak¤z (Khios) ein, die er als Sofya kad¤s¤ beendete. Wir haben also eine mindestens zwei Generationen an die Stadt Bursa gebundene Ulemafamilie vor uns, deren Mitglieder ihre Karrieren ebenso unabhängig von der Hauptstadt des Reiches vorantrieben wie die Dizdarzade in Edirne. Neben Ulema, die aus einer der etablierten Familien aus Bursa oder Edirne stammten und ihre Heimatstadt nicht verließen, finden sich in den Vekayiü’l-Fudalâ auch einzelne in der Provinz geborene Medresestudenten, die eine Karriere in der £lmiye anstrebten, ohne nach Istanbul zu gehen. Receb b. Mahmud Efendi452 stammte aus einem kasaba namens Küçük Kum in Gemlik unweit von Band¤rma an der anatolischen Küste des Marmarameeres. Über den Beruf seines Vaters schweigt ¡eyhî, dafür verrät er, dass der junge Mann nach Bursa ging und dort sowohl sein Studium absolvierte als auch eine mülâzemet erhielt. Der Alim aus Küçük Kum hatte nur drei Müderrisposten inne, bevor er starb: an Medresen in Bursa.453 In der Bio-

450 Die namentlich genannten Medresen, in denen er lehrte, sind in der Hierarchie aufsteigend angeordnet: Cendik Medrese und Iscak Pa¢a Medrese (beide in Bursa, wie ¡eyhî präzisiert), Molla Yegan Medrese (in Bursa (GÜL (1997): 40)), £vaz Pa¢a Medrese (in Bursa, wie aus der Biographie von Derzizade Bostan Efendi (¡EYHÎ: I.11.1) hevorgeht) und £sa Bey Medrese (in Bursa, wie aus der Biographie des Vaters des vorgestellten Alim, K¤z¤kl¤ Mehmed Efendi (ibid: I.244.1), hervorgeht). Auch die letzte Hochschule, an der K¤z¤kl¤zade Ahmed Efendi lehrte, die Kadriye Medrese, stand in Bursa (GÜL (1997): 112). 451 Das waren: £sa Bey Medrese (in Bursa, wie ¡eyhî schreibt), Emir Sultan Medrese (auch unter Kas¤m Pa¢a Medrese bekannt, in Bursa (GÜL (1997): 119)) und Gazi Hüdavendigar Medrese (in Bursa (GÜL (1997): 38)). 452 Gest. 1068 (1657/8) (¡EYHÎ: I.255.1). 453 Wie ¡eyhî schreibt, befand sich die Seyyid Hüseyin Erzincanî Medrese, an der er zuerst lehrte, in Bursa. Darauf folgte eine Anstellung an der £vaz Pa¢a Medrese (in Bursa (Biographie von Derzizade Bostan Efendi (¡EYHÎ: I.11.1)), in der er nach einiger Zeit einen höheren Rang (musîle-i Sahn) zugesprochen bekam.

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graphie seines Sohnes,454 der ebenfalls Alim wurde, wird Receb Efendi von ¡eyhî als ein Müderris aus Bursa bezeichnet. Bursa und Edirne stellten für einen Alim Alternativen zur Hauptstadt dar. Istanbul war den alten Hauptstädten in seiner Bedeutung zwar weit überlegen – das zeigt sich nicht zuletzt in einem quantitativen Vergleich –, es war nicht nur das politische Zentrum, sondern auch die 'Hauptstadt der £lmiye', besaß im 17. Jahrhundert aber weder ein Monopol auf die Ausbildung (die die Ausstellung von mülâzemet einschloss)455 noch auf die Lehre. Ein Student der religiösen Wissenschaften konnte, ohne einen Fuß in die Stadt am Bosporus zu setzen, in Bursa oder Edirne bis in die höchsten Müderrisposten aufsteigen.456 Erst als Kadi musste der Gelehrte die Stadt verlassen. ¡eyhî berichtet ferner von mehreren Mitgliedern einer in Ankara ansässigen Seyyidfamilie, die in der osmanischen £lmiye Karriere machten. Zurückverfolgen lässt sich die Genealogie dieser Familie in den Vekayiü’l-Fudalâ bis auf Nakibüle¢raf Ankaravî Seyyid Mehmed Efendi,457 einen in Ankara geborenen Sohn unbekannten Vaters. Er erhielt seine mülâzemet von Nakibüle¢raf Mirza Efendi, verließ die Müderrislaufbahn nach der 40 Akçe Medrese und wurde zum Kadi seiner Heimatstadt bestellt. Die höchsten Posten seiner Karriere waren das Kadiamt von Medina und der Posten als Oberer der Prophetennachkommen. Sein Sohn Ankaravî Koca Nakîbzade Nakibüle¢raf Seyyid Mehmed Efendi458 trat in die Fußstapfen des gelehrten Vaters. Er studierte in seiner Heimatstadt Ankara und erhielt dort eine mülâzemet. Interessanterweise vermerkt ¡eyhî nicht, dass er den Weg eines Lehrenden einschlug und das Müderrisamt an einer 40 Akçe Medrese abschloss, wie es sonst üblich war. Es scheint, als sei er direkt nach dem Erhalt seiner mülâzemet in die Kadihierarchie eingestiegen und zum Richter seiner Heimatstadt bestellt worden, wie sein Vater vor ihm. Auch seine weitere Laufbahn ähnelte der seines Vaters: Nach dem Kadiamt von Jerusalem wurde er, wie jener auch, Richter von Medina und im Anschluss Nakibüle¢raf. ¡eyhî berichtet außerdem von einem Enkel des ersten vorgestellten Vertreters dieser erfolgreichen Ankaraer Seyyid- und Ulema-

454 Der Sohn hieß Bursavî Recebzade ¡eyh Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.346.1) und stieg bis zum Kadi von Sofya auf. 455 Dies änderte sich mit dem 18. Jahrhundert und einem 1715 von Ahmed III. (1703-1730) erlassenen Edikt, das es Müderris in Bursa und Edirne untersagte, mülâzemet auszustellen. Vgl. Kapitel 2.2.5. 456 Das schließt nicht aus, dass er nicht für bestimmte Eintragungen in Register des Kazasker oder ¡eyhülislam in die Hauptstadt gehen musste – lernen oder lehren brauchte er dort jedenfalls nicht. 457 Gest. 1057 (1647/8) (¡EYHÎ: I.135.1). 458 Gest. 1078 (1667/8) (¡EYHÎ: I.347.2).

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familie. Der Sohn einer seiner Töchter wurde, wie Großvater und Onkel auch, in Ankara groß, studierte und erreichte nach dem Richterposten von Medina das Amt des Nakibüle¢raf. Das Beispiel dieser Ulemafamilie, die innerhalb von nur 76 Jahren über mehrere Generationen in den Vekayiü’l-Fudalâ zu verfolgen ist, zeigt, dass auch in Ankara eine Ausbildung abgeschlossen und gleich im Anschluss hohe Ämter in der £lmiye wahrgenommen werden konnten. Eine direkte Verbindung nach Istanbul bestand nicht, nur eingesetzt wurden die Vertreter dieser Familie vom Divân-¤ Hümayun – und das in gehobene Gerichtsbezirke wie Medina. Das vorgestellte Beispiel gibt Anhaltspunkte dafür, dass im 17. Jahrhundert Provinzzentren ebenfalls gewisse Aufstiegsmöglichkeiten in der £lmiye bieten konnten. Ferner ist ersichtlich, dass provinzielle Ulemafamilien Zugang zu den hohen Posten der £lmiye hatten und es ihnen mitunter gelang, sich über mehrere Generationen hinweg hochrangige Ämter in der religiösen Hierarchie zu sichern. Inwieweit sich dieses Einzelergebnis verallgemeinern lässt, müssen Detailuntersuchungen bedeutender lokaler Ulemafamilien und ihrer Inkorporation in die stark auf Istanbul bezogene £lmiye zeigen. Während vergleichbare Fälle in Ägypten459 und Syrien460 bekannt sind und teilweise bearbeitet wurden, sind anatolische und rumelische Städte unter diesem Aspekt kaum untersucht. Über einzelne Kapitel in Regionalund Stadtgeschichten hinausgehende, vergleichende Arbeiten gibt es praktisch nicht. Das gilt sowohl für das 17. Jahrhundert als auch für andere Epochen. Eine der seltenen Ausnahmen bildet eine neu erschienene Studie über einen Provinzgelehrten aus der Region Konya im 18. Jahrhundert und dessen Netzwerke, die intensive Kontakte zu hohen Mitgliedern der osmanischen Verwaltung und Politik in Istanbul einschlossen. Weitere vergleichbare Untersuchungen über die Möglichkeiten und Grenzen von Karrieren osmanischer Provinzgelehrter würden die Diskussion über Alternativen zu Istanbul und den ehemaligen Hauptstädten als Zentren der Bildung bereichern.461 Dass sich die Übersiedlung in die Hauptstadt oft nicht innerhalb einer Generation vollzog, zeigt folgendes Beispiel. Sadreddinzade Ruhullah Efendi462 kam im Jahre 1022 (1613/4) gemeinsam mit seinem älteren Bruder Feyzullah nach Istan459 Biographien von ¡iranîzade Mehmed Zeynülabidin Efendi (¡EYHÎ: I.230.2) und ¡iranîzade Ebusuud Efendi (ibid: I.387.1). Vgl. ferner einige von Kupferschmidt genannte Beispiele (KUPFERSCHMIDT (1984): 188, 188n.). 460 Vgl. die Aufstellung und Vorstellung wichtiger Damaszener Familien in Schatkowski Schilcher. Sie zeigt Familienzweige, die nach Istanbul übergesiedelt sind und sich teilweise über mehrere Generationen in der Hauptstadt etabliert haben, während andere in Syrien blieben (SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985): 156-193). 461 Ya¢ar SARIKAYA (2005): AbÙ SaÝÐd MuÎammad al-ËÁdimÐ (1701-1762). Netzwerke, Karriere und Einfluss eines osmanischen Provinzgelehrten, Hamburg. 462 Gest. 1071 (1660/1) (¡EYHÎ: I.283.1).

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bul.463 Der Großvater, Sadreddin e¢-¡irvanî, stammte – wie die nisbe es andeutet – aus ¡irvan im südöstlichen Kaukasus, das unter safawidischer Oberhoheit stand. Ihr Vater Sadreddinzade Mehmed Emin Efendi464 wurde dort geboren, ging dann aber in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches und machte als Alim Karriere. Der höchste Posten, den er in seiner Laufbahn erreichte, war ein ranghohes Müderrisamt. Er wurde Dozent am Dar’ül-Hadis der Selimiye Medrese in Edirne. Offensichtlich blieb seine Familie aber in der Heimat zurück, denn dort wurden seine beiden Söhne geboren. Wie der Vater verließen sie ihre Heimat ¡emah in ¡irvan und begaben sich ins Osmanische Reich. In Istanbul erhielt Sadreddinzade Ruhullah Efendi eine mülâzemet, begann zu unterrichten und stieg bis zum Müderris der Süleymaniye auf, um dann in die Kadilaufbahn zu wechseln und das hohe Amt des Richters von Istanbul zu erreichen. Er wurde allerdings exekutiert, weil man ihm konspirative Machenschaften mit zwei weiteren Gelehrten vorwarf. Ein Rechtsgutachten ¡eyhülislam Esirî Mehmed Efendis rechtfertigte das Vorgehen des Staates. Sein Bruder Sadreddin Fethullah Efendi465 stieg nicht ganz so hoch auf: Er beendete seine Karriere als Kadi von Trabulus¢am. Erst in dieser Generation vollzog sich der eigentliche Umzug der Ulemafamilie aus der Region am Kaspischen Meer in die Hauptstadt des benachbarten Reiches: Sadreddinzade Ruhullah Efendis Sohn kam in Istanbul zur Welt und wurde – der Familientradition treu bleibend – Alim im Osmanischen Reich.466 Die Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ geben die Möglichkeit, mehrere Generationen Nicht-Istanbuler Ulema zu untersuchen. Entweder verlagerten diese Familien erst mit der Zeit ihr Zentrum in die Osmanische Hauptstadt oder sie blieben dauerhaft in anderen Städten des Reiches. Bursa und Edirne, in gewissem Umfang auch Provinzstädte wie Ankara, erlaubten ihnen in die Kreise der £lmiye aufzusteigen, die sonst nur von Istanbuler Ulema kontrolliert wurden.

463 In dieser Biographie ist ausnahmsweise das Geburtsdatum vermerkt: 1011 (1602/3), das bedeutet, dass Sadreddinzade Ruhullah Efendi 60 Jahre alt wurde. Uºur gibt in seiner stichworthaften Zusammenfassung zwar ein Geburtsdatum an, allerdings das Jahr 1030 (1620/1). Das ist nicht nur falsch, sondern auch deshalb unverständlich, da er einige Notizen später die Übersiedlung des Alim mit seinem Bruder nach Istanbul erwähnt: im Jahre 1022 (1613/4). Dieses Datum ist zwar korrekt, aber offensichtlich mit dem zu Beginn genannten nicht zu vereinbaren. 464 Gest. 1036 (1626/7), seine Biographie findet sich bei Ataî (ATAÎ: 712). 465 Gest. 1076 (1665/6) (¡EYHÎ: I.326.1). 466 Biographie von Sadreddinzade Abdülkerim Efendi (¡EYHÎ: I.355.3). Eine ähnliche Familiengeschichte hat Majer beschrieben: Das Zentrum der Familie Kavakibizade war lange Zeit Aleppo und doch bekleideten ihre Mitglieder hohe Kadiposten. Die Umsiedlung in die Hauptstadt vollzog sich schrittweise (MAJER (1978): 229).

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3.4.2

Vom religiös Gebildeten zum Religionsgelehrten

Wie viele der in den Vekayiü’l-Fudalâ aufgeführten Gelehrten stammten aus Familien, die zwar religiöse Aufgaben wahrnahmen, die aber keine Ulema waren? Betrachten wir die Gruppe, die wir eingangs mit 'kleinere Ulema' bezeichnet hatten: In 32 Lebensbeschreibungen wird eindeutig von Vätern gesprochen, die in diese Kategorie fallen. Damit bildeten ihre Söhne den größten Anteil der Gelehrten mit bekanntem sozialen Hintergrund, mehr als jeder fünfte von ihnen war Nachkomme 'kleinerer Ulema'. Ob, wie diese Tendenz andeutet, die Söhne jener Männer eher in die £lmiye vordrangen als die Abkommen anderer gesellschaftlicher Kreise, ist nicht zu eruieren. Vielleicht ist diese Personengruppe der gelehrten Väter nur besser dokumentiert?467 Die Anzahl der Söhne 'kleinerer Ulema', die in der £lmiye Karriere gemacht haben, steigt im Untersuchungszeitraum etwas stärker als die der Söhne in anderen Bereichen tätiger Männer. Während in der ersten Periode, 1040-1054 (1630/11644/5), nur bei drei Prozent der nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammenden Gelehrten gesichert ist, dass sie Nachkommen von Mufti, Provinzkadi oder kleinen Müderris waren, liegt ihr Anteil in der letzten Periode bei mindestens neun Prozent. Die Angaben zur sozialen Herkunft der in den Vekayiü’l-Fudalâ beschriebenen Ulema steigt zwar im Laufe des Jahrhunderts, der Anteil der Söhne anderer Berufsgruppen verändert sich allerdings weniger stark, er verdoppelt sich maximal. Regional lassen sich keine Schwerpunkte feststellen. 12 Ulema haben einen Provinzkadi zum Vater (meist in Anadolu, in wenigen Fällen in Rumeli, zwei Mal auch in M¤s¤r), 11 Väter waren als Müderris in einer Medrese tätig, in acht Fällen berichtet ¡eyhî, der Vater des Beschriebenen sei Mufti gewesen. Die meisten der Gelehrten, deren Väter 'kleinere Ulema' waren, wechselten in die Kadihierarchie. Nur 25 Prozent dieser Gruppe blieben ihr ganzes Leben lang Müderris und diese waren ohne Ausnahme in Istanbul tätig. Schauen wir uns den ein oder anderen Lebensweg etwas genauer an. Eyyubî Süruri Mustafa b. Hasan Efendi468 wurde als Sohn eines Provinzkadi in Eyüp geboren. In welcher der drei möglichen Einsatzgebiete von Kadi auf provinzieller Ebene der Vater tätig war, ist nicht bekannt. ¡eyhî schreibt nicht mehr, als dass er ein Efendi aus der Gruppe der Provinzkadi war. Damit unterscheidet sich die Biographie von Eyyubî Süruri Mustafa Efendi von denen aller übrigen Richtersöhne auf dieser Ebene, in denen ¡eyhî stets spezifiziert, ob der Vater in Rumeli, in Anadolu oder in M¤s¤r eingesetzt war. Auch wenn ¡eyhî nie explizit erwähnt, wo die erste Ausbildung der Söhne 'kleinerer

467 Vgl. die Darstellungen unter 3.4. 468 Gest. 1100 (1688/9) (¡EYHÎ: II.18.2).

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Ulema' erfolgte, so kann man davon ausgehen, dass sie von ihren Vätern in die religiösen Wissenschaften eingeführt wurden und anschließend auf die Medrese wechselten. Nach einer von ¡eyhî nicht näher beschriebenen Ausbildungszeit schloss Eyyubî Süruri Mustafa Efendi sein Studium mit der mülâzemet ab. Er erhielt diese vom Oberen der sultanischen Ärzte, dem Reisület¤bbâ Zeynülabidin Efendi.469 Eyyubî Süruri Mustafa Efendi begann eine Laufbahn als Müderris, beendete diese allerdings auf einer niedrigen Hierarchiestufe und nahm den Posten des Kadi und Mufti von Lefko¢e (Nikosia) auf Zypern an. Diese beiden Ämter hielt er bis zu seinem Tod. ¡eyhî erwähnt, dass der Posten des Kadi ihm einen Namenszusatz bescherte und dass er K¤br¤sî Mustafa Efendi genannt wurde – die seinen Geburtsort beschreibende nisbe wurde also durch die seiner langjährigen Arbeitsstelle ersetzt. Interessant an der Biographie Eyyubî Süruri Mustafa Efendis oder K¤br¤sî Mustafa Efendis ist, dass er zwei Posten auf einmal hielt, den des Kadi der Stadt und den des örtlichen Mufti. In mehreren Fällen finden sich solche Ämterhäufungen, sei es bei niedrigen Ämtern, die von 'kleineren Religionsdienern' wahrgenommen wurden (etwa Imam und Hatib),470 sei es bei 'kleineren Ulema' (etwa Mufti und Müderris in einer mittleren Provinzstadt), sei es aber auch bei Ulema wie Eyyubî Süruri Mustafa Efendi. Ämter wurden aber nicht nur in Personalunion ausgeübt, sie wurden in einigen Fällen auch an Söhne weitergegeben, wie folgende Biographie zeigt: Der bereits an mehreren Stellen erwähnte ¡eyhülislam Feyzullah Efendi471 stammte aus Erzurum. Sein Vater war Mufti der Stadt, ein Posten, den einer seiner Brüder später übernahm – aber betrachten wir dessen Lebensweg der Reihe nach: ¡eyhülislam Feyzullah Efendi Biraderi Seyyid Ahmed Efendi472 war der ältere Bruder des späteren Oberhaupts der osmanischen £lmiye. In Erzurum in Nordostanatolien geboren, studierte er in seiner Heimatstadt und wurde Müderris. Er lehrte an einer Medrese aus dem 13. Jahrhundert, der Hâtûniye Medrese in Erzurum.473 Als dann sein Vater starb, führte er dessen Amt des Erzurum Müftüsü weiter. Seyyid Ahmed

469 Das bestätigt das eingangs gewonnene Ergebnis, zu dem wir anhand einer vergleichenden Analyse der Begriffe, die ¡eyhî vewendet, um einen Alim zu beschreiben, gelangten: ein tabib ist ein Alim. Tabib waren Teil der £lmiye und konnten mülâzemet vergeben – man schrieb ihnen also auch ausreichend Kenntnisse in den religiösen Wissenschaften zu, wie sonst erklärt sich, dass sie dem mülâzemet-Empfänger den Erwerb solcher Kenntnisse attestieren konnten? 470 Vgl. den Aufsatz Majers über Ulema und 'kleinere Religionsdiener' (MAJER (1986)). 471 Seine Biographie ist bei ¡eyhî aufgeführt (¡EYHÎ: II.247.1). Sowohl seine Lebensbeschreibung als auch die seines Bruders Seyyid Ahmed Efendi wurden unter 3.1.2. unter einem anderen Gesichtspunkt herangezogen. 472 Gest. 1113 (1701/2) (¡EYHÎ: II.179.1). 473 Die Stiftung stammt aus der £lhanidenzeit, wobei es in der Literatur Unstimmigkeiten über Stifter/in und Bauherren gibt, vgl. dazu GÜL (1997): 33.

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Efendis jüngerer Bruder, der andere Posten anstrebte, hatte indessen in der Hauptstadt Karriere gemacht. Kurz nach seiner Ernennung zum ¡eyhülislam wurde auch sein großer Bruder in der Provinz befördert – zum Kadi von Bagdad. Vom Erhalt einer mülâzemet, von Müderristätigkeiten an den wichtigen Hochschulen des Reiches, wie sie andere absolvieren mussten, die von einer Stelle als Dozent in einer Provinzmedrese in die hohen Istanbuler Zirkel aufsteigen wollten, berichtet ¡eyhî nichts. Der Einfluss des Bruders genügte, um die Karriere Seyyid Ahmed Efendis in großen Schritten zu befördern, und es folgten weitere Gunsterweisungen aus Istanbul: verschiedene arpal¤k, die pâye von Mekka und schließlich auch die tatsächliche Beförderung zum Kadi der Heiligen Stadt. Dieses Amt war das höchste, das die einflussreiche Verbindung in die Hauptstadt dem Prophetennachkommen Seyyid Ahmed Efendi aus Erzurum bescherte. Das Beispiel der Familie des ¡eyhülislam ist ein extremes, aber keine Ausnahme. Es zeigt die Verbindungen, die man in vielen Fällen zwischen Familien 'kleinerer Ulema' in der Provinz und Verwandten, Freunden oder anderen Unterstützern in der Hauptstadt feststellen kann. Ein großer Teil der nicht in Istanbul ansässigen Familien 'kleinerer Gelehrter' unterhielt Kontakte nach Istanbul, die oft über mehrere Generationen bestehen blieben. Es gibt ferner Belege dafür, dass die Hohe Pforte lokale Ulema finanziell unterstützte. Diese Praxis bestand bereits im 17. Jahrhundert, wurde im darauf folgenden Jahrhundert aber weiter ausgedehnt.474 Untersuchungen über die Ulema in Provinzstädten, wie sie zu Damaskus existieren,475 zeigen die Verzahnung zwischen lokalen Gelehrten sowohl mit hauptstädtischen Ulema als auch mit hohen Vertretern der Istanbuler Seyfiye und Kalemiye. Im 18. Jahrhundert wurden die bestehenden Verbindungen erweitert und durch wechselseitige Besuche, vor allem aber durch Studien- und Lehraufenthalte in der Stadt am Bosporus gestärkt. Gefestigte Patronageverhältnisse zu Mitgliedern der hauptstädtischen hohen Gesellschaft sicherten traditionellen Damaszener Ulemafamilien Ämter, die die Mitglieder ihrer Familie manchmal über Generationen bekleideten.476 Wie am Beispiel des Bruders ¡eyhülislam Feyzullah Efendis deutlich 474 BARBIR (1979/80): 80. 475 Vergleichbare Studien über die wichtigen anatolischen und rumelischen Städte sind mir nicht bekannt. 476 LEEUWEN (1999): 119 und John VOLL (1975): "Old ÝUlamaÞ Families and Ottoman Influence in Eighteenth Century Damascus", The American Journal of Arabic Studies, 3, S. 48-59: 59. Beim Knüpfen von Kontakten war die finanzielle Situation der lokalen Ulemafamilie offensichtich nicht unbedeutend. Beziehungen in die Hauptstadt bestanden oft über mehrere Generationen. Das veranschaulicht ein von Leeuwen genanntes Beispiel, in dem ein durch seine guten Kontakte zu einflussreichen Männern in Istanbul aufgestiegener Damaszener für seinen Sohn dieselben Rechte einklagte. Jener nahm eine Reise nach Istanbul auf sich, sprach beim ¡eyhülislam vor und betonte, der Posten des Gouverneurs von Ägypten und Syrien

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geworden, konnten die Söhne 'kleinerer Ulema' die Posten ihres Vaters übernehmen, wenn dieser verstarb. So kam es, dass einige Stellen über Generationen von Mitgliedern ein und derselben Familie besetzt wurden. Das Amt des Mufti der Stadt Damaskus beispielsweise wurde bis in die zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts von Gelehrten eingenommen, die direkt aus der Hauptstadt nach Damaskus geschickt wurden. Anschließend veränderte sich das Bild und eine einheimische Familie, die el-£mâdî, hielt das Amt, das mit einer Müderrisstelle an der dortigen Süleymaniye Medrese verbunden war, über den Großteil des Jahrhunderts.477 Kontakte in die osmanische Hauptstadt sicherten die Position solcher regionaler Gelehrtenfamilien.478 Gab es Veränderungen in der Zusammensetzung der hohen Istanbuler Kreise, verlor das etablierte Netzwerk seine Funktion und das hatte nicht selten weitreichende Auswirkungen auf die Amtseinsetzungen in Provinzstädten wie etwa Damaskus und die dortigen Familien.479 Anders als im Fall ¡eyhülislam Feyzullah Efendi Biraderi Seyyid Ahmed Efendis konnten die meisten Söhne 'kleinerer Ulema' allerdings nicht auf so weitreichende Unterstützung aus Istanbul hoffen, dass sie direkt in Posten befördert wurden. Alle anderen in den Vekayiü’l-Fudalâ mit einer Biographie gewürdigten Ulema aus 'kleineren Gelehrtenfamilien' sind sehr wohl in die Hauptstadt gegangen, haben gelernt, eine mülâzemet erhalten, gelehrt und eigene intisâb-Beziehungen geknüpft. Vorteilhaft erwies sich die gebildete Familie, deren Mitglieder religiöse Ämter mittleren Ranges in der Heimat inne hatten, auch dann, wenn der Versuch in den hohen Zirkeln der £lmiye Karriere zu machen, nicht von Erfolg gekrönt war. Strebte der gescheiterte Alim nun die Laufbahn eines lokalen 'kleineren Alim' an, wollte er in den Kreis der Provinzgelehrten einsteigen, so bestand die Möglichkeit auf familiäre Kontakte zurückzugreifen, vielleicht sogar den Posten des Vaters zu übernehmen.480

477 478

479

480

liege doch traditionell in der Familie. Gleiche Beispiele lassen sich auch für die £lmiye finden (LEEUWEN (1999): 124f.). Diese Entwicklung ist als Hinführung der sich im 18. Jahrhundert vor allem in den arabischen Provinzen etablierenden ayan-Familien zu verstehen. LEEUWEN (1999): 121ff. und VOLL (1975): 54. Für Beispiele zu anderen niedrigeren Posten wie Müderris, nÁ’ib oder kÁtib vgl. SCHATKOWSKI SCHILCHER (1985): 114-131. Zu einer einflußreichen Jerusalemer Gelehrtenfamilie schreibt Kupferschmidt: "The ÍusaynÐ family in Jerusalem, and probably other families as well, had their own agents in Istanbul to look after their interests." (KUPFERSCHMIDT (1984): 185f.) LEEUWEN (1999): 119, VOLL (1975): 58f. Dass diese Verbindungen in die Hauptstadt nicht nur positive Folgen für die eigene Karriere haben konnten, illustriert das Beispiel von Nasuh Pasha, Vali von Damaskus (1708-1714) und Protegé des ¡eyhülislam. Nach dessen Absetzung stürzte nicht nur der Protegé in der Provinz, sondern auch dessen Klienten, einer von diesen war Asad al-Bakrî, der Kadi von Jerusalem (LEEUWEN (1999): 125). Über die Trennung der hohen und der lokalen Laufbahn in Syrien schreibt Leeuwen: "It is remarkable that two circuits seem to have existed which were virtually seperated from each

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3.4.3

Vom Diener an der Religion zum religiösen Dienst im Staat: Predigersöhne in der £lmiye

Auf elaborierte Netzwerke wie die der 'kleineren Ulema' konnten Söhne niedriger stehender Männer der Religion kaum zählen. Ihre Väter waren als Imam oder Hatib, als Muezzin oder vaiz tätig. 14 Personen stammten sicher aus solchen Verhältnissen, aufgewachsen sind sie in einer der großen oder größeren Städte. Die meisten von ihnen wurden in Istanbul, Edirne oder Bursa geboren, ein Gelehrter dieser Gruppe kam je aus Damaskus, Ankara und der Umgebung von Konya.481 Die Väter dieser 14 Gelehrten waren in den meisten Fällen als Imam tätig, einige kombinierten dieses Amt mit dem des Freitagspredigers, andere waren nur Hatib. Ein Vater war Imam und ¡eyh, ein anderer Imam, ¡eyh und Hatib in einem, zwei Väter sind als Muezzin aufgeführt – Ämterhäufung war bei den 'kleineren Religionsdienern' des 17. Jahrhunderts offensichtlich recht verbreitet. Diese Posten wurden nur geringfügig und in einigen Fällen auch gar nicht entlohnt, so dass viele der Männer, die kleinere religiöse Aufgaben wahrnahmen, gezwungen waren, mehrere Stellen gleichzeitig anzunehmen. Trotz der unzureichenden finanziellen Vergütung scheint eine gewisse Konkurrenz um Posten als Imam, Hatib oder vaiz bestanden zu haben, wurden sie doch als ehrenvolle Tätigkeiten empfunden. Für die Ernennung jedes Hatib im Reich war eine formelle Zustimmung des Sultans nötig,482 denn der Hatib war derjenige, der den Namen des Herrschers als des

other: the circuit of the qadis, which was completely controlled by Istanbul and which depended solely on the bureaucratic policies and networks of the imperial capital; and the local circuits, where ulama competed for teaching posts and official functions in their city, such as those of mufti, khaÔÐb, administrator of waqfs, nÁ’ib, qadi, naqÐb al-ashrÁf and others. There does not seem to have been an intermediate circuit, covering the Syrian regions or even the province of Damascus [...] the family was the most important framework for the transfer of positions within the local circuit from one generation to he next." (LEEUWEN (1999): 122). Interessant sind auch die Lebenswege anderer Mitglieder der osmanischen Elite, die in der Konkurrenz um Posten in der Hauptstadt nicht bestanden und sich in Provinzzentren zu etablieren suchten. Barbir beschäftigt sich in einem Aufsatz mit Pa¢a, die nach einer nicht erfolgreichen Karriere in Istanbul nach Damaskus gingen und sich in die lokale Gesellschaft integrierten (BARBIR (1979/80): 78-81). 481 Der bereits an anderer Stelle erwähnte Fazil Uzun Hasan Efendi (¡EYHÎ: I.375.1, vgl. Kapitel 3.3.2) wuchs unweit von Konya in der zentralanatolischen Provinz Karaman auf und ist damit also der einzige nicht aus städtischem Milieu stammende Gelehrte dieser Gruppe. 482 MAJER (1986): 106ff. Über die Praxis von Ämterhäufung und -teilung im Damaskus des 18. Jahrhunderts vgl. LEEUWEN (1999): 123. Die Ernennungen 'kleinerer Religionsdiener' erfolgten auf Basis von Bittschriften (istia, ilam), die vom Stiftungsverwalter, in der Provinz vom zuständigen Kadi, vorgelegt wurden (MAJER (1986): 106). Anhand von Einträgen in rüus defterleri lassen sich etwa die Stellenvergabe und der Lohn der Bediensteten frommer Stiftungen (evkaf) bestimmen. Majer hat sich damit für das späte 17. Jahrhundert beschäftigt (MAJER (1986)).

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rechtmäßigen Oberhaupts der Gemeinschaft in der Freitagspredigt nannte – ein in der islamischen Tradition hoch bedeutsamer Akt. Konnte das gesellschaftliche Ansehen der Söhne kleinerer Diener der Religion ihnen im einen oder anderen Fall dabei helfen, intisâb-Beziehungen zu knüpfen und so ihre Karriere als Alim voranzutreiben? Die Analyse der Biographien in den Vekayiü’l-Fudalâ deutet nicht darauf hin, dass diese Ulema häufiger Kontakte zu einflussreichen Männern im Staat unterhielten als Gelehrte, die aus anderen gesellschaftlichen Gruppen stammten. Auch ihre finanziellen Möglichkeiten waren eher begrenzt. Es wurde aufgezeigt, wie bedeutsam die Finanzkraft eines Studenten sein konnte, wenn es darum ging, die für den Eintritt in die £lmiye nötigen Zertifikate zu erhalten. Für Ulema, die einen gewissen Rang erreicht hatten und sich um hohe Posten in der Kadihierarchie bemühten, war der Kauf eines solchen Postens mitunter der einzige Weg weiter aufzusteigen. Für die meisten Söhne 'kleinerer Religionsdiener' waren diese Schritte in die und innerhalb der religiösen Hierarchie umso schwerer. Trotzdem stiegen sie in der osmanischen £lmiye vergleichsweise hoch auf. Zwar wechselten nur knapp zwei Drittel der in diese Kategorie fallenden Ulema von der Müderris- in die Kadilaufbahn, unter den 14 analysierten Biographien sind allerdings vier Gelehrte, die mindestens Kazasker geworden sind. Zwei von ihnen stiegen bis an die Spitze der religiösen Hierarchie des Reiches auf und wurden ¡eyhülislam. In dieser Gruppe finden sich außerdem je ein Kadi von Edirne und Mekka. In einem483 der 14 Fälle erwähnt ¡eyhî, dass der betreffende Alim neben seinen religiösen Tätigkeiten Handel betrieben hatte, dass er deshalb reich war und sogar eine Medrese und ein dar’ül-kurra stiftete. Dieser Gelehrte stieg bis zum Amt des Heeresrichters von Rumelien auf, sein Bruder,484 der eine intisâb-Beziehung zum ¡eyhülislam unterhielt, wurde ¡eyhülislam. Die erfolgreichen Brüder konnten nicht nur auf Verbindungen setzen, ihnen standen auch finanzielle Mittel zur Verfügung, um ihre Karriere in der £lmiye voranzubringen. Sie unterscheiden sich damit von den meisten Söhnen 'kleinerer Religionsdiener'. Doch auch Söhne kleiner Diener der Religion ohne Geld sind bis in die höchsten Ämter vorgedrungen. ¡eyhülislam Balizade Mustafa Efendi485 konnte sich zwar nicht auf die Zusatzeinkünfte eines Bruders verlassen, dafür aber auf Beziehungen. Der Sohn eines Hatib aus Istanbul, der die Grundlagen der religiösen Wissenschaften von seinem Vater vermittelt bekam, war mit der asitâne des ¡eyhülislam Hocazade Mehmed Efendi verbunden, von ihm erhielt er außerdem seine mülâzemet. Anschließend stieg ¡eyhülislam Balizade

483 Esirî Biraderi Mustafa Efendi (¡EYHÎ: I.539.4). 484 Er hieß ¡eyhülislam Esirî Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.478.1) und wurde bereits vorgestellt, da er eine gewisse Zeit seines Lebens Derwisch gewesen war, vgl. Kapitel 2.1. 485 Gest. 1073 (1662/3) (¡EYHÎ: I.297.1).

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Mustafa Efendi bis an die Spitze der osmanischen £lmiye auf. Obwohl er für fünf Jahre in Verbannung (sürgün) geschickt wurde, gelang es ihm, seine Familie in den Zirkeln der Istanbuler religiösen Elite zu etablieren: Sein Sohn, dem er selbst die mülâzemet ausstellte, wurde ebenfalls Alim. Dass auch Söhne 'kleinerer Religionsdiener' aus weit entfernten Provinzen den Weg in die Hauptstadt wagen und erfolgreich in die Istanbuler Ulemazirkel eindringen konnten, zeigt die Biographie des ¡amî Hüseyin b. ¡eyh Mehmed b. Cemaleddin Efendi.486 Der Aufstieg ¡amî Hüseyin Efendis, des Sohnes eines Imam in der Siyavu¢ Pa¢a Moschee in Damaskus, markierte den Schritt von einer Familie 'kleinerer Religionsdiener' in Syrien zu einer hauptstädtischen Ulemafamilie, denn auch sein Sohn wurde Mitglied der Istanbuler Gelehrtenschaft. Dabei sah es nicht zu allen Zeitpunkten in ¡amî Hüseyin Efendis Leben so aus, als wollte er dauerhaft in der Stadt am Bosporus bleiben. Er absolvierte die Grundausbildung in seiner Heimatstadt Damaskus, übersiedelte anschließend in die Hauptstadt, verließ diese aber wieder, nachdem er die vorgeschriebenen Etappen hinter sich gebracht hatte (er erhielt eine mülâzemet und stieg als Müderris bis zur 40 Akçe Medrese auf). ¡eyhî nennt keinen Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten, merkt nur an, dass sich ¡amî Hüseyin Efendi in Damaskus weiterhin dem Studium widmete. Nach unbestimmter Zeit ging der Alim erneut in die Hauptstadt. Dort verbrachte er seine Tage allerdings wieder mit Lernen. Er hörte Vorlesungen bei ¡eyhülislam Minkarizade, obwohl er doch bereits Jahre zuvor seine Müderrislaufbahn begonnen hatte. Erst später setzte er sie fort. Außerdem vermerkt ¡eyhî, dass ¡amî Hüseyin Efendi als Verwalter der Frommen Stiftungen des ¡eyhülislam Ali Efendi tätig war. Es verwundert also nicht, wenn der gelehrte Imamsohn aus Damaskus verstarb, bevor er die höchsten Medresenstufen erreicht hatte. Die genannten Beispiele zeigen, dass Söhnen 'kleinerer Religionsdiener' der Weg in die hohen Ämter der osmanischen £lmiye des 17. Jahrhunderts nicht versperrt war. Zwar ermöglichten Geld und intisâb-Beziehungen zu einflussreichen hauptstädtischen Würdenträgern besondere Karrierevorteile, doch gelang es einigen von ihnen auch ohne diese beiden Hilfsmittel in die Zirkel der hochrangigen Gelehrtenschaft einzudringen. Offensichtlich klappte ein solcher Schritt bei Ulema aus hauptstadtfernen Regionen nur vereinzelt, bei Söhnen von Männern, die in kleinen Dörfern im Dienst der Religion tätig waren, nur sehr selten. 3.4.4

Von der Zaviye in die Medrese: ¡eyhsöhne werden Ulema

Eine weitere Gruppe von Ulema, deren Familienmitglieder religiöse Aufgaben wahrnahmen, waren die Söhne von ¡eyh. Einige Studien legen nahe, dass unter 486 Gest. 1100 (1688/9) (¡EYHÎ: II.19.1).

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ihnen eine Tendenz vorherrschte, in die 'orthodoxe' Gelehrtenhierarchie zu strömen.487 Finden sich also vergleichsweise viele Biographien von ¡eyhsöhnen in ¡eyhîs Werk? Eine quantitative Auswertung des biographischen Materials deutet nicht auf eine besondere Stellung der Söhne von ¡eyh in der £lmiye des 17. Jahrhunderts hin: 18 in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichnete Ulema hatten mit Gewissheit den ¡eyh einer Zaviye zum Vater, das sind nicht mehr als Söhne anderer gesellschaftlicher Gruppen. Einige aus ¡eyhfamilien stammende Ulema sind allerdings außerordentlich bekannt geworden, manchen sind wir schon mehrfach begegnet: erinnern wir uns an die Brüder Vanîzade, deren enge Verbindung mit ¡eyhülislam Feyzullah Efendi ihren Tod nach sich zog, an ihren Vater, den Hoca des Sultans ¡eyh Mehmed Vanî Efendi aus Erzurum, an U¢akîzade,488 und schließlich an ¡eyhî selbst, Alim, ¡eyh und Sohn des ¡eyh einer Zaviye am Rande von Istanbul. Aber auch weniger prominente ¡eyhsöhne haben ihren Weg in die Istanbuler Ulemazirkel gemacht. Mehmed Aºa ¡eyhî Mahdûmî Fethi †elebi Efendi489 gelangte nicht in die sehr hohen Ämter der £lmiye, er beendete seine Laufbahn als Müderris mit dem hariç-Rang. Als Sohn ¡eyh Hüseyins, des ¡eyh der Mehmed Aºa Zaviye in Istanbul geboren, folgte er erst dem Weg seines Vaters und wurde anschließend Musiker. ¡eyhî vermerkt, er habe eine sehr schöne Stimme gehabt. Dann wandte sich der ¡eyhsohn dem Studium der religiösen Wissenschaften zu, erhielt von ¡eyhülislam Debbaºzade Mehmed Efendi, als jener zum höchsten religiösen Amt des Reiches berufen wurde, eine mülâzemet und begann zu lehren. Doch gab er die Tätigkeit als Müderris bald auf, um Imam des Gouverneurs von Bagdad Hasan Pa¢a zu werden. Eine Karriere in der £lmiye war offensichtlich nicht das, was der musikalische ¡eyhsohn favorisierte. Fetva Emini ¡eyhzade Mehmed Efendi490 stieg in der £lmiye so hoch auf wie kein anderer Vertreter der Gruppe der ¡eyhsöhne. Fetva Emini ¡eyhzade Mehmed Efendis Vater war ebenfalls ¡eyh in der Mehmed Aºa Zaviye in Istanbul und bereits Ataî hat ihn in seinem biographischen Sammelwerk mit einer Lebensbeschreibung

487 MAJER (1979): 226. Auch für das husainidische Tunesien, das sehr stark von sufischen Strömungen geprägt war, kommt Brown zu einem derartigen Schluss (L. BROWN (1972): 89f.). 488 Die Söhne des Halvetiye-¡eyh Husameddin el-U¢akî namens U¢akîzade Abulaziz Efendi (¡EYHÎ: I.22.2) und U¢akîzade Abdürrahim Efendi (ibid: I.427.2) sind im Untersuchungszeitraum verstorben. Auch weitere Generationen der Familie U¢akîzade wurden Ulema. Ihre Biographien finden sich in den Vekayiü’l-Fudalâ. Ausführlich zu dieser Familie, Verwandten und Freunden (incl. genealogischen Tafeln) vgl. MAJER (1978). In seiner Untersuchung finden sich die Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder ebenso wie die Betrachtung des sufischen Hintergrunds der Familie. 489 Gest. 1111 (1699/1700) (¡EYHÎ: II.163.1). 490 Gest. 1068 (1657/8) (¡EYHÎ: I.260.1).

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gewürdigt.491 Der Sohn des bekannten ¡eyh widmete sich dem Wissenserwerb, wie es der Kanon eines Alim vorschrieb. Der damalige ¡eyhülislam Ebuleyamin Mustafa Efendi bestätigte seinem Studenten, der auch sein Protegé war, die erworbenen Kenntnisse durch das Ausstellen einer mülâzemet. Fetva Emini ¡eyhzade Mehmed Efendi begann zu lehren, stieg Stufe um Stufe die Müderrishierarchie auf, unterrichtete in der Süleymaniye und wechselte anschließend an die Medrese der Aya Sofya mit dem Rang eines Müderris des Dar’ül-Hadis der Süleymaniye. Es folgte eine Karriere als Kadi, die, nachdem er zweimal das Richteramt von Edirne inne gehabt hatte, mit dem Kadiamt von Istanbul ihren Höhepunkt erreichte. Wirkte sich die Abkunft von einem geachteten ¡eyh, etwa dem Vater Fetva Emini ¡eyhzade Mehmed Efendis, positiv auf die Karriere aus? Der Lebensweg des Sohnes ist sehr gewöhnlich und gibt keine Anhaltspunkte für etwaige Unterschiede in den Curricula von ¡eyhsöhnen im Vergleich zu den Nachfahren anderer Männer. Aufgrund der geringen Datenmenge mit konkreten Berufsangaben der Väter ist auch quantitativ nicht zu bestimmen, ob ¡eyhsöhne leichter Beziehungen zu den einflussreichen Persönlichkeiten im Staat aufbauen konnten als andere. Nur ein Perspektivenwechsel ermöglicht Aussagen über besondere Förderung: Es gab eine ganze Reihe von ¡eyh, die als Patrone Anwärter auf Posten in der £lmiye unterstützten. Hinter hochrangigen Ulema und Mitgliedern der Seyfiye rangierten die ¡eyh als Männer, die Gelehrte an sich banden,492 zwar mit einigem Abstand, aber noch vor den Vertretern der Kalemiye, auf Rang drei. Konnten die Oberen der verschiedenen Zaviye fremde aufstrebende Ulema an sich binden und ihren Einfluss für sie geltend machen, dann konnten sie sich auch für ihre eigenen Söhne einsetzen. Nur wenige ¡eyh, die Väter der in den Vekayiü’l-Fudalâ biographierten Ulema waren, kamen aus der Provinz, je einer stammte aus Bursa und Edirne. Die überwiegende Mehrheit war in der Hauptstadt zu Hause. Es ist davon auszugehen, dass die Väter untereinander, mit dem ein oder anderen einflussreichen Oberen einer bedeutenden Istanbuler Bruderschaft oder auch direkt mit hohen Würdenträgern aus £lmiye, Seyfiye oder Kalemiye Kontakt pflegten. Nicht selten gehörten diese einer tarikat an oder hegten Sympathien für sufisches Gedankengut. Hauptstädtische ¡eyh konnten also ihre Beziehungen für die Karriere des Sohnes leichter

491 Biographie von ¡eyh Sinan (ATAÎ: 676). 492 Diese Bindungen waren in hohem Maße Heiratsbindungen, während bei Ulema und Pa¢a die intisâb-Verhältnisse deutlich dominierten. Dieser Unterschied ist in einigen Fällen mit einer schlechteren finanziellen Lage der ¡eyh zu erklären. Bedeutend waren ferner wahrscheinlich die Zielsetzungen beim Eingehen von Bindungen. Hohe Staatsämter bekleidende Mitglieder der £lmiye, Seyfiye oder Kalemiye unterhielten mitunter einen eigenen kap¤, in den sie aufstrebende Gelehrte einbanden und auch politisch einsetzten – ein ¡eyh förderte wahrscheinlich aus anderen Gründen.

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spielen lassen als viele andere Väter. Neben diesen Verbindungen begünstigte sicherlich das Ansehen, das ¡eyh genossen, die Karrieren ihrer Söhne, die sich anschickten, in die 'Orthodoxie' zu wechseln. Warum sollten einflussreiche Würdenträger des Staates mit sufischen Neigungen nicht gerade die aufstiegswilligen Gelehrten unterstützen, die ähnliche Wurzeln oder Affinitäten hatten wie sie selbst? Umgaben sich viele Patrone nicht gerne mit Nachkommen bedeutender ¡eyh? Heiratsbindungen zwischen Ulema- und bekannten ¡eyhfamilien zeigen, dass sich ¡eyhsöhnen Möglichkeiten eröffneten, die vielen anderen verschlossen blieben. Durch eine breiter angelegte Analyse der Netzwerke und Karrieren von ¡eyhsöhnen und Söhnen anderer gesellschaftlicher Gruppen im Vergleich ließe sich die Vermutung, dass Söhne von Sufis Vorteile im Aufbauen von intisâb- und Heiratsbeziehungen und damit beim Aufstieg in der £lmiye hatten, überprüfen. 3.4.5

Vom Stift des Vaters zum Wissen des Sohnes: Söhne aus der Kalemiye werden Ulema

Die 'Männer des Stiftes' haben im 17. Jahrhundert kaum einen Sohn hervorgebracht, der das Metier wechselte und Alim wurde. Die einzigen beiden Ulemabiographien in den Vekayiü’l-Fudalâ, in denen eindeutig auf einen Vater aus der Kalemiye hingewiesen wird, fallen in die Mitte des Jahrhunderts. Beide sind Söhne eines tevkii, eines Bewahrers der sultanischen tuºra.493 Der tevkii stand mit dem defterdâr auf einer Stufe, war jenem vielleicht sogar überlegen, denn nie wurden tevkii zum defterdâr, oft allerdings defterdâr zum tevkii befördert. In seiner Kanzlei wurden die kanun vorbereitet, auf deren Formulierung der tevkii also erheblichen Einfluss hatte. Auch die Dokumente, die er durch die tuºra des Sultans beglaubigte, wurden inhaltlich durch ihn überprüft. Im 17. Jahrhundert war der Posten des tevkii folglich ein sehr hochrangiges Amt, seine Kompetenzen gingen deutlich über die eines bloßen Bewahrers der tuºra hinaus, zu dem sich dieser Posten im 19. Jahrhundert entwickelte.494 Der Vater einer der beiden Gelehrten aus Kalemiyefamilien, Yahya Pa¢a;495 war tevkii Sultan Mehmeds III. (1595-1603). Über die Ausbildung von Yahya Pa¢as Sohn Yahya Pa¢azade Mehmed Nutki Efendi schreibt ¡eyhî nicht mehr, als dass er diese abschloss und von einem der großen Ulema ('ulema-i kira-

493 Neben dem arabischstämmigen Wort tevkii wird die geläufigere Bezeichnung ni¢anc¤ verwendet. 494 Zur Herausbildung des Amtes des tevkii beziehungsweise ni¢anc¤ vgl. Franz BABINGER (19792002): "NishÁndj¤", Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Leiden. 495 Einige wenige Informationen zu Yahya Pa¢a finden sich auch in der Aufstellung aller osmanischen ni¢anc¤ in £smail H. DAN£¡MEND (1971): Izahl¤ Osmanl¤ Tarihi Kronolojisi, 2. Aufl., 6 Bde., Istanbul: Bd. 6, 328.

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m¤n birinden') eine mülâzemet erhielt.496 Er begann seine Karriere als Müderris und stieg bis zur Valide Sultan Medrese in Istanbul, einer sehr hochrangigen Medrese, auf, um daraufhin in die Kadilaufbahn zu wechseln: Er wurde Kadi von Eyüp, verstarb allerdings kurz darauf. Warum entschied sich Yahya Pa¢azade Mehmed Nutki Efendi für eine Karriere in der £lmiye und folgte nicht dem Weg seines Vaters als 'Mann des Stiftes'? Als ein hochrangiges Mitglied der Kalemiye hätte er seinen Sohn sicherlich besonders in der Laufbahn der schreibenden Zunft protegieren können. Der Vater497 Okçuzade Ahmed Efendis, des zweiten Alim, der als Sohn eines tevkii geboren wurde, war sogar einer der bekanntesten Bewahrer der sultanischen tuºra – er hatte diesen Posten unter verschiedenen Sultanen fünf Mal inne! Dass auch Ataî ihn in sein biographisches Sammelwerk aufgenommen hat498 obwohl er der Kalemiye angehörte, zeigt die besondere Stellung dieses tevkii, kann aber auch als ein Hinweis auf dessen Interessen gewertet werden. Man sollte die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass einige Väter eine Affinität zu religiösen Studien hatten, vielleicht für sich selbst eine solche Karriere favorisiert hätten und daher den eigenen Söhnen den Weg in die £lmiye nahelegten. In den Jahrzehnten, die der Regierungszeit Süleymans I. (1520-1566) folgten, wechselten viele Ulema in die expandierende Kalemiye, die bessere Aufstiegschancen bot.499 Ein prominentes Beispiel hierfür ist Gelibolu Mustafa Ali, der Autor politischer Traktate, über den wir bereits gesprochen haben.500 Im 18. Jahrhundert folgten die Söhne der 'Männer des Stiftes' ihren Vätern in ihrer Karriere.501 Doch finden sich Ausnahmen, so weiß man vom Sohn eines reisülküttab, der sich für den Weg des Lernens der religiösen Wissenschaften entschied, in eine traditionelle Ulemafamilie einheiratete und bis zum ¡eyhülislamat aufstieg.502 Wie sah es in der Zwischenzeit, im 17. Jahrhundert, aus? ¡eyhî gibt in den beiden Biographien der Söhne von Bewahrern der sultanischen tuºra keinen Anhaltspunkt, warum sie sich für eine Karriere in der £lmiye entschlossen.

496 Gest. 1058 (1648/9), (¡EYHÎ: I.180.1). 497 Okçuzade Mehmed Bey verstarb 1039 (1629/30) und ist in der Aufstellung der osmanischen Würdenträger in Dani¢mend (DAN£¡MEND (1971): 327-330) verzeichnet. 498 ATAÎ: 730f. 499 Zum Aufbau der Kalemiye, der Herausbildung eines spezifischen Curriculum und den Motiven des Wechsels von der £lmiye in die Kalemiye vgl. FLEISCHER (1986): 221 und ITZKOWITZ (1962): 87-90, 93. Vgl. ferner RÖHRBORN (1972): 135ff. und SHINDER (1974), der sich außerdem mit den Ebenen der £lmiyehierarchie beschäftigt, aus denen die Gelehrten ausstiegen, um 'Männer des Stiftes' zu werden. 500 Zu Mustafa Alis Lebensweg vgl. FLEISCHER (1986): 33-36. 501 ITZKOWITZ (1962): 90 502 Zu diesem Alim namens †elebizade £smail As¤m Efendi vgl. NEUMANN (2002): 605.

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Lässt die Analyse der Ulemabiographien in den Vekayiü’l-Fudalâ auch keine konkreten Aussagen über die Söhne von Mitgliedern der Kalemiye, die sich für eine Laufbahn als Alim entschieden, zu, so deutet die sehr geringe Anzahl von Gelehrten solchen Hintergrunds an, dass es sich eher um Ausnahmeerscheinungen handelte. Die £lmiye war nach der festen Etablierung der Kalemiye, die im 17. Jahrhundert allerdings auch eine sehr dünne Schicht war, offensichtlich keine Alternative für die Söhne der 'Männer des Stiftes'. 3.4.6

Vom Schwert des Vaters zum Wissen des Sohnes: Söhne aus der Seyfiye werden Ulema

Strebten die Söhne der 'Männer des Schwertes' eher in die religiöse Laufbahn als die der schreibenden Zunft? Ja, diese Tendenz lässt sich feststellen, wenn man die Biographien von Ulema in den Vekayiü’l-Fudalâ betrachtet, denn es finden sich mindestens 17 Söhne von Mitgliedern der Seyfiye darunter. Ihre Väter gingen sehr unterschiedlichen Aufgaben im osmanischen Militär oder im Palastdienst nach: Unter ihnen lassen sich Janitscharen,503 Sipâhî,504 Torwächter (kap¤c¤),505 ein Kämmerer im Saray (hacib)506 und sogar ein ehemaliger Beylerbeyi ausmachen. Hüseyin Pa¢a war Beylerbeyi von Rumelien,507 nach dem Großwesirat und den Kuppelwesiren das höchste Amt in der militärisch-administrativen Laufbahn, und mit der Tochter eines bedeutenden Gelehrten508 verheiratet. Zwei seiner Söhne entschieden

503 Etwa Kâtib Kara £brahim Efendi (¡EYHÎ: II.190.1) und Kudsizade Tezkirecisi Mehmed Efendi (ibid: I.526.1). Janitscharen stellten den bedeutensten Anteil der kap¤kulu, der 'Sklaven der Pforte'. Sie waren Truppen der Infanterie. Zu den einzelnen militärischen Truppen und den Bezeichnungen verschiedener Einheiten vgl. KREISER (2001): 56-63, 220. Für eine Übersicht über Karrierewege in der militärisch-administrativen Laufbahn in der Mitte des 17. Jahrhunderts vgl. die Aufstellung in KUNT (1983): 34. Von Uzunçar¢¤l¤ existiert ein zweibändiges Werk über die kap¤kulu, in denen neben den Janitscharen auch weitere Truppenteile ausführlich und quellennah besprochen werden (£smail H. UZUN†AR¡ILI (1984b): Osmanl¤ Devleti Te¢kilât¤ndan Kapukulu Ocaklar¤. Bd. 1: Acemi Ocaº¤ ve Yeniçeri Ocaº¤, Bd. 2: Cebeci, Topçu, Top Arabac¤lar¤, Humbarac¤, L⺤mc¤ ve Kapukulu Suvarileri, 2. Aufl., Ankara). 504 †aker Aºazade Halil Efendi (¡EYHÎ: I.444.1) und Beyazîzade Damad¤ Mahmud Efendi (ibid: II.15.1). Sipâhî waren Timarinhaber, die in Kriegszeiten ein gewisses Aufgebot an Männern zur Verfügung zu stellen hatten und ihre Einnahmen aus timar (Militärpfründen) bestritten. Außerdem nannte man die berittenen Regimenter der Janitscharen Sipâhî. Zu welcher der beiden Gruppen gleicher Bezeichnung die Väter jeweils gehörten, ist anhand der Vekayiü’lFudalâ nicht festzustellen. 505 Kap¤c¤zade Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.438.1) und Muhzirba¢¤zade Ahmed Efendi (ibid: I.182.3). 506 Hacibzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: II.21.1). 507 Zum Posten des Beylerbeyi vgl. £NALCIK (1973): 104-118. 508 Mütevellizade Mustafa Efendi (ATAÎ: 746).

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sich für eine Karriere als Alim. Hüseyin Pa¢azade £brahim Efendi509 und Hüseyin Pa¢azade Ahmed Efendi510 erhielten am Ende ihres Studiums eine mülâzemet von jeweils einem Kazasker, wurden Müderris und gelangten beide bis in die hohe Stufe der Lehre an der Süleymaniye. Anschließend wurden beide Kadi von Izmir. Hüseyin Pa¢azade Ahmed Efendi erreichte keine weiteren Ämter, sein Bruder wurde in seiner Laufbahn ein weiteres Mal Richter von Izmir, anschließend Baºdad kad¤s¤. Die beiden Söhne des Beylerbeyi folgten also in ihrer Karriere nicht ihrem Vater, sondern der Familientradition ihrer Mutter. Es ist anzunehmen, dass sie auf Beziehungen verschiedenster Art setzen konnten, um ihren Aufstieg in der £lmiye voranzutreiben. Welche Vorteile bot den Söhnen eines Beylerbeyi der Weg des Gelehrten? Warum bauten sie nicht die Position ihrer Familie in der Seyfiye aus, sondern verließen diese, um Ulema zu werden? ¡eyhî nennt keine Beweggründe für die Entscheidung der Brüder Pa¢azade. Doch war das Prestige eines Alim außerordentlich groß und mag gemeinsam mit der Tatsache, dass die Mitglieder der £lmiye nicht nur – wie die der Kalemiye und Seyfiye ebenfalls – von der Steuer freigestellt waren, sondern darüber hinaus weitere Privilegien besaßen, auch auf Söhne von hohen Militärs eine Anziehungskraft ausgeübt haben.511 Neben persönlichen Interessen und Vorlieben, die stets einen wesentlichen Grund für die Zuwendung zur Gelehrsamkeit bildeten, ist bei Söhnen von Angehörigen der Seyfiye die Durchlässigkeit des Metiers ihrer Väter zu beachten. Das System des dev¢irme verlor erst mit der Zeit an Bedeutung in der Rekrutierung der Mitglieder der Seyfiye, es wurde nicht vor der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufgegeben.512 Damit bildeten kul die Mehrheit in der Seyfiye des 17. Jahrhunderts und der Palast als Ort der Ausbildung spielte, trotz der aufkommenden kap¤ einflussreicher Familien, weiterhin die zentrale Rolle. Es scheint nicht immer selbstverständlich gewesen zu sein, dass den Söhnen von Militärsklaven der Weg in die Seyfiye offen stand – den Söhnen eines Beylerbeyi blieb er im 17. Jahrhundert wohl kaum versperrt.513 Dass weniger hochrangige 'Männer des Schwertes' für dieses Recht kämpfen mussten, zeigt ein Ereignis aus dem Jahr 1651. Dem Großwesir gelang es nur dadurch einen Janit-

509 Gest. 1097 (1685/6) (¡EYHÎ: I.530.1). 510 Gest. 1074 (1663/4) (¡EYHÎ: I.302.1). 511 £nalc¤k schreibt: "Since the Ýilmiyye career brought social prestige and many advantages, including exemption from taxes, even the high echelons of the military class sought the Ýilmiyye career for their sons." (£NALCIK (1988): 258). 512 KUNT (1983): 76. 513 Zu der Möglichkeit einer Ausbildung im Palast, die sich Nachkommen und Verwandten einflussreicher Vertreter der militärisch-administrativen Klasse bot, vgl. KUNT (1983): 34, 39-44, ferner Kapitel 3.4.9.

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scharenaufstand zu beenden, dass er der Forderung der Aufständischen, in Zukunft würden nur noch die Söhne von Janitscharen zum Korps zugelassen, nachkam.514 In dieser Auseinandersetzung zeigt sich zum einen, wie wichtig es den Militärsklaven war, ihre Söhne im System unterzubringen, zum anderen, dass Söhne von Mitgliedern der Seyfiye auch im 17. Jahrhundert nicht ohne weiteres eine militärische Karriere anstreben konnten. Einige dieser Söhne versuchten in die £lmiye zu gelangen und damit meist auch sozial merklich aufzusteigen. Kap¤c¤zade Ahmed Efendi515 war einer derer, denen dieser Schritt gelungen ist. Wie Kap¤c¤zade Ahmed Efendis Name bereits andeutet, wurde er als Sohn eines kap¤c¤, eines Torhüters am Hof des Sultans, wie ¡eyhî schreibt, geboren. Er widmete sich den Studien und unterhielt eine intisâb-Beziehung zum Kazasker Hocazade Abdullah Efendi, mit dessen asitâne er verbunden war. Nachdem Kap¤c¤zade Ahmed Efendi in die Müderrislaufbahn eingetreten war und die 40 Akçe Medrese hinter sich gelassen hatte, begleitete er den Sohn des ¡eyhülislam Ebusaid Efendi nach Selânik, wo dieser als Kadi tätig war. Er diente dem Alim als naib, wechselte aber auf dessen Bitte wieder in die Müderrislaufbahn, als in Selânik eine neue Medrese errichtet wurde. Anschließend an die Lehrtätigkeit in Selânik ging er zurück nach Istanbul und stieg Stufe um Stufe in der Hierarchie auf. Der höchste Posten, den der Sohn des kap¤c¤ erreichte, war eine Stelle als Müderris an der Valide Sultan Medrese in Istanbul, wobei ihm der hamise-i Süleymaniye-Rang516 zugesprochen wurde. Es ist interessant, dass Kap¤c¤zade Ahmed Efendi, nachdem er bereits einige Jahre unterrichtet hatte, als naib in eine Stadt in der Provinz ging und dort einen Posten als Müderris annahm und das auch nur auf Drängen. Offensichtlich war er wenig bemüht, an seiner Karriere zu einem hohen hauptstädtischen Alim zu stricken, warum, verrät ¡eyhî nicht. Ambitionierter als der Sohn des kap¤c¤ war Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendi.517 Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendis Vater war ebenfalls Militärsklave, allerdings auf einer deutlich niedrigeren Rangstufe als der Kap¤c¤zade Ahmed Efendis. Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendis Vater hieß Ferruh und gehörte zur 'kul taifas¤', wie ¡eyhî schreibt, er war also Janitschar. Wo der Sohn geboren wurde, ist nicht bekannt. Mit dem Abschluss seines Studiums erhielt er eine mülâzemet vom Kazasker Kudsîzade Efendi, mit dessen asitâne er verbunden war. Außerdem arbeitete er als dessen tezkireci, worauf auch sein Name zurückgeht. Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendi durchlief die Hierarchie als Müderris und verließ diese nach

514 ITZKOWITZ (1962): 92. 515 Gest. 1088 (1677/8) (¡EYHÎ: I.438.1). 516 Zu diesem Rang vgl. die kurzen Ausführungen im Rahmen der Darstellung der verschiedenen Hierarchiestufen im osmanischen Medresewesen des 17. Jahrhunderts in Kapitel 2.2.1. 517 Gest. 1097 (1685/6) (¡EYHÎ: I.526.1).

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einer Medrese gehobenen Ranges, um das Kadiamt von Izmir anzunehmen. Als Richter stieg er bis zum Anadolu Kazaskeri auf, wurde von diesem Amt allerdings wegen geistiger Schwäche abberufen. Er wurde wahnsinnig und starb. Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendi war der einzige Sohn aus der Gruppe der 'Männer des Schwertes', der in der £lmiye bis in die höchsten Posten aufstieg. Verglichen mit den Söhnen der meisten anderen gesellschaftlichen Gruppen, gelangten die Söhne von Mitgliedern der Seyfiye nur sehr selten in hohe Ämter. Neben dem Anadolu Kazaskeri Kudsîzade Tezkirecisi Mehmed Efendi findet sich je ein Gelehrter, der bis zum Kadi von Edirne und Üsküdar aufstieg. Die anderen Ulema dieser Herkunft erreichten nur kleinere Kadiämter, blieben in mehr als 40 Prozent der Fälle sogar Müderris. Dieser Anteil war, abgesehen von den Handwerkersöhnen, bei Nachfahren aller übrigen betrachteten gesellschaftlichen Gruppen deutlich niedriger, das durchschnittlich erreichte Niveau der Kadi- und Müderrisposten merklich höher. Warum verliefen die Karrieren in die Klasse der 'Männer des Schwertes' hineingeborener Ulema im Allgemeinen weniger erfolgreich als die von Gelehrten anderer sozialer Herkunft? Schließlich unterhielten sie nicht seltener Bindungen zu wichtigen Persönlichkeiten als jene. Der in Mostar im Eyalet Bosnien geborene Sohn eines Sipâhî war sogar mit der asitâne eines Landsmannes, eines hohen Alim, verbunden und heiratete anschließend die Tochter eines weiteren bedeutenden Gelehrten.518 Zudem stammten die meisten Söhne von Mitgliedern der Militärklasse aus der Hauptstadt. Einige der Väter hatten wichtige Posten im Palast inne. Viele Väter hatten die Möglichkeit auf die Stellenvergabe Einfluss zu nehmen. Die finanzielle Situation mehrerer dieser Familien war ebenfalls gut. Der Vater des Alim £smail Aºazade Mehmed Efendi519 tat sich gar als Stifter einer Moschee in Aksaray, einem Viertel in Istanbul, hervor, wie ¡eyhî schreibt. Ob sich der anhand der 17 Biographien aus den Vekayiü’l-Fudalâ gewonnene Eindruck, dass Söhne von 'Männern des Schwertes' in der £lmiye nicht in die höchsten Posten aufstiegen, als richtig erweist, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Eine besondere Benachteiligung dieser Ulema ist aus ihren Lebensbeschreibungen nicht ersichtlich, und die oft einflussreichen Posten der Väter legen eher besonders erfolgreiche Karrieren der Söhne nahe. 3.4.7

Wie wichtig ist Geld? Kaufmannssöhne und ihre Karrieren

Die Männer der £lmiye, der Kalemiye und der Seyfiye waren privilegiert. Einem nicht in diese Klasse hineingeborenen Muslim boten sich nur begrenzt Möglich518 Biographie von Beyazîzade Damad¤ Mahmud Efendi (¡EYHÎ: II.15.1). 519 Gest. 1059 (1649/50) (¡EYHÎ: I.182.1). Eine kurze Biographie des Vaters findet sich in den Sicill-i Osmanî (SÜREYYA (1996): 811).

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keiten Teil der von Steuern freigestellten Schicht der osmanischen Gesellschaft zu werden. Durch die zahlreichen, oft verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert wurden in den verschiedenen Gebieten des Reiches, vor allem in Anatolien, verstärkt Männer für den Militärdienst ausgehoben, von denen einige durch die Zugehörigkeit zum Militär in die askerî-Klasse gelangten. Eine zweite Chance des sozialen Aufstiegs war der Weg der Bildung, der in die £lmiye führte. Die Söhne von reaya,520 die in ¡eyhîs Werk aufgeführt sind, hatten praktisch durchweg Väter, die einem Handwerk oder Geschäften nachgingen. Kaufmannssöhne scheinen besonders häufig über die £lmiye in die askerî-Schicht aufgestiegen zu sein. ¡eyhî berichtet in 23 Lebensbeschreibungen, dass der Vater des Beschriebenen tâcir (Kaufmann, Händler) gewesen sei. Damit bildeten die Söhne der Handel treibenden Zunft hinter den Nachkommen Istanbuler Gelehrtenfamilien, den Söhnen 'kleinerer Ulema' und Sprösslingen nicht Istanbuler Gelehrter die Gruppe, die am häufigsten in den Vekayiü’l-Fudalâ aufgeführt ist. Bei der Analyse der Lebensbeschreibungen fällt auf, dass Kaufmannssöhne überdurchschnittlich erfolgreiche Karrieren aufwiesen: Nur fünf der 23 Ulema, in denen ein solcher familiärer Hintergrund zweifelsfrei belegt ist, wechselten nicht von der Müderris- in die Kadilaufbahn – so wenige wie in keiner anderen Gruppe. Von denen, die Richter wurden, sind die allermeisten bis in die hohen und höchsten Kadiämter aufgestiegen: Sechs von ihnen waren Richter in kaza mittleren bis hohen Ranges wie Konya, ¡am und Eyüp, fünf stiegen bis zu den Gerichtsbezirken von Mekka, Bursa und Edirne auf und fünf erreichten die Spitzenämter des Istanbul kad¤s¤, des Kazasker und des ¡eyhülislam. Eine solche Bilanz kann keine andere der untersuchten Gruppen von Ulema verschiedener gesellschaftlicher Herkunft aufweisen. Zudem stammten die Söhne von Kaufleuten aus den verschiedensten Provinzen und keineswegs nur aus den größten Zentren des Reiches. Neben Istanbul, Edirne und Bursa sind auch mittlere Städte in den Eyalet Anadolu, Bosna, K¤br¤s, Trabzon, M¤s¤r, Erzurum und Halep als Geburtsorte der Ulema genannt. Einige tacir schickten nicht nur einen, sondern zwei ihrer Söhne in die Medrese und trieben damit den dauerhaften Aufstieg ihrer Familie in die askerî-Klasse besonders voran. Ihre Söhne bauten Beziehungsgeflechte auf, integrierten sich und auch ihre Nachkommen in die Istanbuler Gelehrtenzirkel. Im Fall †e¢mizade Mehmed b. Süleyman Efendis,521 des Sohnes eines wichtigen Kaufmanns aus einem kasaba im 520 Der Begriff reaya erfuhr über die Jahrhunderte einen Bedeutungswandel. Während er im 19. Jahrhundert insbesondere Nichtmuslime bezeichnete, umfasste er in früheren Epochen alle Steuer zahlenden Untertanen des Sultans und stellte sie der askerî-Klasse gegenüber – in dieser Bedeutung wird reaya in vorliegender Arbeit verwendet. 521 Gest. 1044 (1634/5) (¡EYHÎ: I.14.2).

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Sancak von Ayd¤n in Westanatolien, der je zwei Mal den Posten des Anadolu und des Rumeli Kazaskeri inne gehabt hatte, lassen sich allein bis 1703 drei Generationen ausmachen. Im Folgenden werden einige Biographien genauer betrachtet, um herauszufinden, was die Söhne von Kaufleuten so erfolgreich machte. Das Geschwisterduo ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi522 und Boluvî Biraderî Ali Efendi523 ist wie kein zweites in der £lmiye aufgestiegen. Wie ihr Name bereits andeutet, wurden die Brüder in der westanatolischen Provinzstadt Bolu geboren. Über ihren Vater, el-Hac Ahmed b. Mustafa, schreibt ¡eyhî, dass er ein wichtiger Kaufmann ('zu’ül-iktidâr') gewesen sei. ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi studierte in seiner Heimatstadt Bolu bei dem dortigen Mufti Yusuf. Um sein Studium auf höherem Niveau fortzusetzen, übersiedelte er nach Istanbul, wo er nach einiger Zeit der Ausbildung eine mülâzemet von ¡eyhülislam Yahya Efendi erhielt. Mit der asitâne dieses obersten Würdenträgers der £lmiye war der Alim durch ein intisâb-Verhältnis verbunden, außerdem war er in dessen Kanzlei, der fetva hâne, tätig. Die Beziehung zu seinem Patron währte offensichtlich über viele Jahre, denn als der Kaufmannssohn bereits die Laufbahn eines Müderris verlassen und das Amt des Kadi von Ayd¤n, einer Provinzstadt im Eyalet Anadolu, angenommen hatte, berichtet ¡eyhî, dass er seinen langjährigen Unterstützer auf den Bagdadfeldzug begleitete.524 Nach der erfolgreichen Eroberung von Bagdad kehrte ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi nach Istanbul zurück und folgte, weil er hoch aufsteigen wollte, wie ¡eyhî hinzufügt, dem Weg der Lehre. Obwohl er bereits als Kadi tätig gewesen war, wechselte er also wieder in die Müderrishierarchie. In keiner anderen der analysierten Biographien in Mehmed ¡eyhî Efendis Werk findet sich der Schritt vom Kadi zurück zum Müderris. Wenn der Alim die Laufbahn des Lehrenden einmal verlassen hatte, gab es kein Zurück – es liegt nahe, dass ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi dieser Schritt nur wegen seiner guten Kontakte möglich war. Der erneute Einstieg in die Müderrislaufbahn ermöglichte ihm eine Karriere, die ihn bis an die Spitze der Hierarchie brachte, dem Amt des ¡eyhülislam. Er endete allerdings unglücklich in der Verbannung (sürgün) in Ägypten. Sein Bruder Boluvî Biraderî Ali Efendi wählte den direkten Weg: Er verließ die Süleymaniye, wechselte in die Richtertätigkeit und stieg bis zum Kazasker von Anatolien auf. Ferner war er, so ¡eyhî, damad des damad eines ehemaligen ¡eyhülislam. 522 Gest. 1086 (1675/6) (¡EYHÎ: I.421.2). 523 Gest. 1112 (1700/1) (¡EYHÎ: II.170.2). 524 Er diente seinem Patron als tesvîd, was wahrscheinlich eine Schreibtätigkeit bedeutete. Uºur liest nicht tesvîd, sondern müsevvîd, gibt allerdings keine Übersetzung (U¹UR (1986): 427). Ich lese sowohl in ¡eyhîs Werk, als auch in U¢akîzade (U¡AKÎZADE: 418) eindeutig tesvîd. Da beide Begriffe von derselben arabischen Wurzel gebildet sind, bringt die abweichende Lesung allerdings keine wesentliche Bedeutungsunterschiede mit sich.

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Die erfolgreichen Brüder aus Bolu hatten praktisch alles, was eine Karriere in der £lmiye beschleunigte: der Vater war ein bedeutender Kaufmann und hatte damit neben Verbindungen in die Hauptstadt, die den älteren Sohn vielleicht in seiner Anfangsphase in Istanbul unterstützten, auch Geld. Bereits die Tatsache, dass der Vater ein Hac¤, ein Mekkapilger war, spricht für die wohlhabenden Verhältnisse, in denen die Brüder aus Bolu aufwuchsen. Er konnte seinen Söhnen eine gute Ausbildung zukommen lassen und, waren sie in ihrer späteren Laufbahn darauf angewiesen, die mitunter anfallenden Kosten für ein Kadiamt begleichen. Ferner verfügten sowohl der spätere ¡eyhülislam Boluvî Mustafa Efendi als auch sein Bruder über enge Beziehungen zu den Spitzen der £lmiye, die einen wesentlichen Anteil am Aufstieg insbesondere des späteren ¡eyhülislam hatten. Auch bei den anderen Kaufmannssöhnen, die eine religiöse Laufbahn absolviert haben und in den Vekayiü’l-Fudalâ vorkommen, scheinen die Finanzkraft der Familie und Beziehungen den Aufstieg befördert zu haben. Bei vielen von ihnen vermerkt ¡eyhî, dass es sich um wohlhabende bis sehr reiche Männer, häufig ebenfalls um Mekkapilger, handelte. Einmal spricht der Autor von einem großen Erbe,525 einmal von einem Vater, der in Ankara eine Moschee, eine Medrese, eine Mekteb, eine Kervansaray und etwa 24 Brunnen gestiftet habe: der Sohn dieses tacir ist ebenfalls ¡eyhülislam geworden, wurde allerdings, wie ¡eyhî vermerkt, auch fast 90 Jahre alt.526 Zwei der Kaufmannssöhne traten sogar selbst als Finanziers wohltätiger Einrichtungen hervor.527 ¡eyhî berichtet ferner von einem Kaufmannssohn, der Alim wurde und nebenbei selbst Handel betrieb528 und von einem weiteren, der seinen reichen Vater auf einer Reise von seiner Heimatstadt im Sancak von Silifke im südanatolischen Eyalet K¤br¤s nach Zentralanatolien begleitete und dort studierte.529 Die Ulema, bei denen ¡eyhî nicht hinzufügt, dass sie aus einer bedeutenden Kaufmannsfamilie stammten, etwa ein Alim, dessen Vater Gerstenhändler (arpac¤) im zentralanatolischen Kastamonu war,530 sind interessanterweise diejenigen, deren Karriere vor den höchsten Ämtern endete. Einige dieser Gelehrten wurden bereits vor Aufnahme des Studiums der religiösen Wissenschaften in ihrem Aufstieg gebremst: sie begannen im Metier ihres Vaters zu arbeiten und wandten sich erst zu 525 Biographie von Sahibü't-Tesanif Mehmed Sirüddin Efendi (¡EYHÎ: I.234.1). 526 Biographie von ¡eyülislam Ankaravî Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.543.1). 527 Biographien von Caferzade Ramazan Efendi (¡EYHÎ: II.86.1) und Alt¤parmak £brahim Efendi (ibid: I.400.2). 528 Biographie von Sahibü't-Tesanif Mehmed Sirüddin Efendi (¡EYHÎ: I.234.1). Dies scheint häufiger vorgekommen zu sein, vgl. die Anmerkungen unter 3.3.2. In Bezug auf das späte maurische Spanien vgl. URVOY (1978): 81. 529 Biographie von Fazil Müfette¢ Süleyman Efendi (¡EYHÎ: I.341.1). 530 Biographie von Arpac¤zade Ali b. Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.379.2).

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einem späteren Zeitpunkt den religiösen Wissenschaften zu.531 Gerade in Fällen wie diesen, in denen die Entscheidung den Weg eines Gelehrten einzuschlagen, in einem reifen Alter getroffen wurde, ist anzunehmen, dass die Laufbahn eines Alim als Berufung betrachtet wurde. Vielleicht zogen diese Männer ein Leben, in dem sie sich voll den Studien widmen konnten, dem eines erfolgreichen Kadi vor. Nicht ausschließlich Berechnung, die in den Privilegien der Ulema gründete, sondern stets auch persönliche Gründe und Religiosität führten in die Gelehrsamkeit. Der messbare 'Erfolg' in der Karriere lässt sich folglich nicht ohne Einbeziehung der von Alim zu Alim unterschiedlichen Ambitionen erklären. Ansonsten scheint Geld eine zentrale Rolle gespielt zu haben und zwar nicht nur für die Ulema, die sich bereits in Amt und Würden befanden. Um bis in hohe Ämter vordringen zu können, war neben dem zügigen Durchlaufen der einzelnen Hierarchiestufen ein frühzeitiger Beginn der Ausbildung notwendig. Dass reiche Händler ihre Söhne mitunter von Privatlehrern unterrichten ließen, wurde bereits an der Biographie des Hac¤ Yusufzade Efendi Zamîrî Ahmed Efendi532 deutlich. Die Söhne wohlhabender Männer konnten so von Vorteilen profitieren, die sonst nur Ulema aus gebildeten Familien eigen waren, die von Vater, Onkel oder anderen Bekannten und Verwandten einen wesentlichen Teil ihrer Ausbildung erhielten. Einer der bekanntesten Kaufmannssöhne war Mustafa Ali, der Geschichtsschreiber und Autor kritischer politischer Traktate in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, also vor dem Beginn des Werkes ¡eyhîs. Sein reicher Vater unterstützte nicht nur den Sohn von früher Kindheit an und ließ ihm Privatunterricht geben, er war zudem Patron lokaler Gelehrter und Dichter in seiner Heimatstadt Gelibolu auf der europäischen Seite des Marmarameeres.533 3.4.8

Die Aufsteiger aus dem Handwerk: ohne alles und trotzdem erfolgreich?

Eine weitere Bevölkerungsgruppe, deren Söhne in der £lmiye des 17. Jahrhunderts anzutreffen sind, sind Handwerker. Ihre Nachkommen waren zwar weniger stark vertreten als die der Händler, weniger auch als die der mit religiösen Tätigkeiten unterschiedlichen Ranges betrauten Familien, doch machen sie mindestens ein Prozent aller Ulema des Untersuchungszeitraums aus. Die 13 Biographien, in denen der Beruf des Vaters eindeutig mit Handwerker gegeben ist, beschreiben Ulema, die

531 Biographien von Nâzik Abdullah Efendi (¡EYHÎ: I.531.2, Kadi von Konya) und Kurt Mehmed Efendi (ibid: I.208.2, Müderris). 532 Gest. 1057 (1647/8) (¡EYHÎ: I.141.2), vgl. Kapitel 2.2.4. 533 Zur Lebensgeschichte Gelibolu Mustafa Alis vgl. die ausführliche Darstellung in Fleischer (FLEISCHER (1986): 14, 21-26).

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wohl ausschließlich aus den großen Städten stammten: acht aus Istanbul, drei aus Bursa, in zwei Fällen ist der Geburtsort nicht erwähnt.534 Die Kaufmannssöhne kamen aus allen Ecken des Reiches nach Istanbul, die Herkunft der Handwerker ist geographisch klar auf die zwei großen Städte des Reiches begrenzt, warum dieser Unterschied? Händler kauften und verkauften Waren, sie waren selbst, vereinzelt auch mit ihren Söhnen unterwegs. Wichtige Kaufleute hatten außerdem Kontakte in die verschiedenen wirtschaftlichen Zentren des Reiches, ihre Söhne konnten auf die Netzwerke der Väter zurückgreifen – den Söhnen eines Handwerkers, dessen Aktionsradius sich in den meisten Fällen auf seine eigene mahalle, das Stadtviertel, bezog, war dies nicht möglich. Es ist anzunehmen, dass der Sohn eines wichtigen Händlers aus der Provinz Ansprechpartner in Istanbul und anderen bedeutenden Städten hatte, der Sohn eines Handwerkers vom Dorf hatte wahrscheinlich niemanden, an den er sich wenden konnte, wollte er in den hohen Medresen des Reiches studieren. Es verwundert also nicht, dass diese Männer nicht den Schritt wagten, ihre Heimat zu verlassen und sich um eine Karriere in der hauptstädtischen £lmiye zu bemühen. Auch wird nicht jeder Handwerkersohn vom Land das Geld für die weite Reise nach Istanbul gehabt haben. Fand der Student nicht auf Anhieb eine Medrese, die ihn aufnahm und ihm einen von der Stiftung getragenen Schlafplatz zuwies, war er gezwungen, sich ein kleines Zimmer zu mieten und seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Ein solches Problem stellte sich Studenten, die in ihrer Heimatstadt bis zu einem hohen Niveau der Studien gelangen konnten, nicht. Ferner spielten Familientradition und finanzielles Auskommen der Familie eine bedeutende Rolle. Es wird nicht immer möglich gewesen sein, denjenigen zu entbehren, der im Metier des Vaters mitarbeiten und dies hätte übernehmen können. ¡eyhî berichtet in den Lebensbeschreibungen einiger aus Handwerkerfamilien stammenden Ulema, dass sie den Beruf des Vaters ausübten und sich erst zu einem späteren Zeitpunkt der Gelehrsamkeit zuwandten. Einer von ihnen war Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi.535 Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi wurde in Bursa als Sohn eines pa¢makç¤, eines Schuhmachers, geboren und wurde ebenfalls Schuhmacher. Zusätzlich begann er allerdings, in seiner Heimatstadt die religiösen Wissenschaften zu studieren, um anschließend nach Istanbul zu gehen und diesen Weg weiter zu verfolgen. Dort erhielt er von ¡eyhülislam Esad Efendi eine mülâzemet und begann

534 Dass gerade die beiden Gelehrten eine Ausnahme bilden und aus kasaba in der Provinz stammten, ist nicht anzunehmen. Vielleicht kamen sie aus Edirne, doch war die Einwohnerschaft Bursas zu dieser Zeit höher als die Edirnes. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wohnten wahrscheinlich etwa doppelt so viele Muslime in Bursa wie in Edirne und trotz des Bedeutungszuwachses von Edirne wird sich dieses Verhältnis innerhalb eines Jahrhunderts nicht grundlegend gewandelt haben. 535 Gest. 1065 (1654/5) (¡EYHÎ: I.226.1).

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eine Karriere als Müderris. Nach dem Verlassen einer Medrese gehobenen Ranges in Bursa wechselte der Schustersohn in die Kadilaufbahn und stieg bis zum Richteramt von Istanbul auf. Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi legte eine Basis, die wieteren Generationen seiner Familie die Möglichkeit gab, in der osmanischen £lmiye Karriere zu machen: Einer seiner Söhne wurde Kadi von Trabulus¢am,536 ein wieterer erreichte den hohen Posten des Kadi von Üsküdar.537 Dessen Sohn gelang der Schritt bis ins höchste religiöse Amt des Staates: er wurde ¡eyhülislam und spielte eine zentrale Rolle in der Rebellion von 1703.538 Die Heiratsverbindungen weiterer Nachkommen im 18. Jahrhundert zeigen, wie vollständig sich die ehemalige Schusterfamilie in den höchsten Zirkeln der osmanischen £lmiye integriert hatte.539 Es ist erstaunlich, wie hoch Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi in der osmanischen £lmiye aufgestiegen ist, schließlich hatte er durch die Tätigkeit als Schuhmacher einige kostbare Studienjahre verloren. Außerdem erwähnt ¡eyhî in seiner Lebensbeschreibung weder eine intisâb-Beziehung noch ein Heiratsverhältnis, wie übrigens in allen anderen Biographien von Ulema, deren Väter Handwerker waren, auch. In jeder bisher analysierten Gruppe von Gelehrten unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft machte ¡eyhî Hinweise auf Beziehungsgeflechte,540 nur die Söhne der Handwerker bildeten eine Ausnahme. Dass hochangesehene Mitglieder der askerîKlasse es vorzogen, ihre Töchter nicht mit den Söhnen von Handwerkern zu verheiraten – vielleicht hatten diese auch bereits eine Familie, schließlich waren sie oft deutlich älter als ihre Mitstudenten aus anderen gesellschaftlichen Kreisen –, lässt sich durch Standesbewusstsein und Prestige erklären. Aber warum nahmen sie sich ihrer auch nicht als Patron an? Ein einziger der Ulema, deren Väter Handwerker waren, hatte zumindest Beziehungen zu einem Mann der 'kleineren Ulema', er stellt allerdings einen Sonderfall dar. Nachdem der Vater des Gelehrten verstorben war, heiratete seine Mutter erneut – einen Provinzkadi aus M¤s¤r, der Abdülmümin Efen536 Biographie von Pa¢makç¤zade Nuh Efendi (¡EYHÎ: I.389.1). 537 Biographie von Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.500.2). 538 Biographie von Pa¢makç¤zade Seyyid Ali Efendi (¡EYHÎ: II.336.1), zu diesem Alim vgl. ferner ABOU-EL-HAJ (1984): 24ff. und MAJER (1979): 225. 539 Zilfi hat eine Aufstellung der Heiratsverbindungen zwischen den einflußreichsten Ulemafamilien des 18. Jahrhunderts angefertigt. Interessanterweise stammten bis auf eine Ausnahme alle Ehepartner aus der £lmiye und bis auf einen verzeichneten Alim hielten alle drei Dutzend vorkommenden Gelehrten mindestens das Amt eines Kazasker, meistens waren sie ¡eyhülislam. Der Enkel des Schustersohns ¡eyhülislam Pa¢makç¤zade Ali Efendi, dessen Sohn (ebenfalls ¡eyhülislam) und zwei seiner Töchter (beide mit einem ¡eyhülislam verheiratet) finden sich in der Aufstellung (ZILFI (1983b): 332). Ferner existiert eine allerdings schon ältere Magisterarbeit zur Familie Pa¢makç¤zade (¡ükriye D£K£L£TA¡ (1948): Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi Ailesi Ve Onun Diºer Ailelerle Vücuda Getirdiºi S¤hrî Münasebetler, Tarih Tezi Nr. 1705, Edebiyat Fakültesi, Istanbul). Sie konnte von mir nicht eingesehen werden. 540 Dabei wird von den zwei Vertretern aus der Kalemiye abgesehen.

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dizade Mehmed Efendi hieß. Ihr Sohn nahm dessen Namen an und nannte sich fortan nicht mehr Arpac¤zade Mehmed Efendi, sondern Müminzade Mehmed Efendi.541 Sein ursprünglicher Name verweist auf seine soziale Herkunft; wie ¡eyhî im Text ausführt, arbeitete sein verstorbener Vater als arpac¤, als Gerstenhändler, anschließend hatte er sich als kethüda bei den Janitscharen verdingt. Die erneute Hochzeit der Mutter erleichterte dem Sohn des Gerstenhändlers wahrscheinlich den Einstieg in die £lmiye ein wenig, als einflussreicher Patron konnte der Provinzkadi aus Ägypten aber sicher nicht fungieren. Darüber, dass einer der aus Handwerkerkreisen stammenden Ulema über umfangreiche finanzielle Mittel verfügte wie ein großer Teil der Händlersöhne, schreibt ¡eyhî nichts und der Beruf des Handwerkers sowie die Tatsache, dass mehrere der Ulema im Metier ihres Vaters begannen, spricht gegen eine Herkunft aus wohlhabenden Familien. In einigen Lebensbeschreibungen von Ulema, deren soziale Herkunft unbekannt ist, berichtet ¡eyhî, sie hätten in ihrer Studienzeit verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, etwa Abschriften von Büchern angefertigt und verkauft542 oder Turbane für Ulema genäht.543 Es steht zu vermuten, dass der ein oder andere Handwerkersohn aus bedürftigen Verhältnissen sich auf ähnliche Weise etwas Geld nebenbei verdiente.544 Die Grundvoraussetzungen für ein Studium der religiösen Wissenschaften und eine sich anschließende Laufbahn als Alim waren für Handwerkersöhne also sichtlich schlecht: Sie begannen oft spät mit der Ausbildung, verfügten weder über Kontakte noch über Geld.545 Es ist demnach nicht erstaunlich, wenn ihr Erfolg in der £lmiye im Vergleich zu allen anderen Gruppen am geringsten war. Neben dem vorgestellten Pa¢makç¤zade Mehmed Efendi, dem es sogar gelang, eine neue Familientradition in der Istanbuler Gelehrtenschicht zu etablieren, findet sich ein weiterer Alim, der bis in die höchsten Ämter der religiösen Hierarchie vorgedrungen ist, er wurde sogar ¡eyhülislam. Allen weiteren der 13 aus Handwerkerkreisen stammenden Ulema blieben die oberen Ränge der £lmiye verwehrt. Nur drei von ihnen wechselten überhaupt in die Kadilaufbahn, um ihre Karriere mit einem Richterposten mittleren Ranges zu beenden, die übrigen acht blieben ihr ganzes Leben lang Müderris. Damit ist der Anteil der Gelehrten, die nicht Kadi wurden, so hoch wie nirgends sonst. Während er sich sonst zwischen 22 Prozent (bei den Kaufmannssöhnen) und 41 Prozent (bei den Söhnen aus der Seyfiye)

541 542 543 544 545

Gest. 1100 (1688/9) (¡EYHÎ: II.23.1). Biographie von Hattat Tatar Efendi (¡EYHÎ: I.396.1). Biographie von Tâcî £brahim Efendi (¡EYHÎ: I.499.1). Einige solche Beispiele werden von Wallbrecht aufgezeigt (WALLBRECHT (1970): 60f.). Gibb und Bowen schreiben: "Wealth was regarded as an essential requisite for high religious office." (GIBB/BOWEN (1950-57): Bd. 2: 109).

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bewegt, blieben fast zwei Drittel der £lmiyemitglieder aus der Handwerkerschicht Müderris und das in nicht sehr hochrangigen Medresenstufen. Die Söhne von Handwerkern, die ihren Weg in die £lmiye gemacht haben, waren also gemessen an den Söhnen anderer Bevölkerungsgruppen weit unterdurchschnittlich erfolgreich. Vergegenwärtigt man sich aber die Voraussetzungen, unter denen sie diesen Weg einschlugen und gingen, ist ihre Gesamtanzahl erstaunlich: sie stellten immerhin mindestens ein Prozent aller Gelehrten des 17. Jahrhunderts. Das ist im Vergleich betrachtet viel, denn für keine der bisher betrachteten Gruppe konnten wir aufgrund der mangelhaften Quellenlage mehr als einen dreiprozentigen Anteil nachweisen. Dabei kamen die Handwerkersöhne, die Ulema wurden, oft aus sehr einfachen Verhältnissen. Einige der von ¡eyhî aufgeführten Berufe der Väter sind: sirkeci (Essigverkäufer), takiyeci (Hersteller von leinenen Kappen, die man unter dem Hut trug), berber (Barbier) und b¤çakç¤ (Messerschleifer). Einen Goldschmied (kuyumcu) erwähnt ¡eyhî ebenfalls.546 Für die Söhne dieser Männer bedeutete die Mitgliedschaft in der £lmiye, auch wenn sie auf mittleren Rängen der Hierarchie stehen blieben, einen enormen sozialen Aufstieg. Widmen wir uns zum Abschluss dem Lebensweg des erfolgreichsten Vertreters der Handwerkerschaft in der £lmiye, dem zweifachen ¡eyhülislam Debbaºzade Mehmed Efendi.547 ¡eyhülislam Debbaºzade Mehmed Efendi studierte in seiner Heimatstadt Istanbul bei verschiedenen Gelehrten, die ¡eyhî namentlich aufführt, erhielt eine mülâzemet und gelangte als Müderris bis an die Spitze der Lehre, einer Stelle am Dar’ül-Hadis der Süleymaniye. Anschließend Kadi von ¡am, stieg er Stufe um Stufe bis zum höchsten religiösen Amt im Staat auf – der gewöhnliche Karriereweg. Nicht nur ¡eyhülislam Debbaºzade Mehmed Efendi, sondern auch zwei seiner Brüder gelang es, über Bildung in die privilegierte askerî-Schicht der osmanischen Gesellschaft aufzusteigen. Einer von ihnen wurde Müderris an einer 50 Akçe Medrese,548 der zweite stieg bis zum musile-i Süleymaniye-Rang in der Lehre auf.549 Die Tatsache, dass drei Brüder nicht den Beruf ihres Vaters ausübten, legt nahe, dass sie aus einer finanziell besser gestellten Familie stammten. Kostete die Ausbildung, wenn die Jungen in einer Medrese unterkamen, die Eltern auch nichts, so ging ihnen doch deren Arbeitskraft verloren. Wer war also ihr Vater, ¡eyh Mahmud b. Ahmed? Worin unterschied er sich von den anderen Handwerkern? 546 Biographien von Sirkecizade Abdullah Efendi (¡EYHÎ: II.127.3), Solakzade Halil Efendi (ibid: I.513.1), Nedim Mehmed Efendi (ibid: I.366.2), B¤çakç¤zade Ali Efendi (ibid: I.272.1) und Kuyumcuzade Mehmed Efendi (ibid: I.517.1). Eine Auflistung wesentlicher Berufsbezeichnungen findet sich in YI (2004): 245-267 (Appendix A-E). 547 Gest. 1114 (1702/3) (¡EYHÎ: II.188.2). 548 Biographie von ¡eyhülislam Debbaºzade Efendi Biraderi Ahmed Efendi (¡EYHÎ: I.477.2). 549 Biographie von Debbaºzade Sunullah Efendi (¡EYHÎ: II.15.2).

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Wie die Namen der Söhne es bereits andeuten, war er debbaº, Gerber.550 ¡eyhî beschreibt genau, wo er diesem Handwerk nachging, der Ort befindet sich in Yedikule, einem Istanbuler Stadtteil. Wie viele andere Handwerker auch, waren die Gerber von Yedikule in einer Gilde organisiert, an deren Spitze ein oberster Vertreter stand. Bei den debbaº dieses Stadtteils nahm der Vater der vorgestellten drei Gelehrten dieses Amt wahr.551 Er hatte also eine herausragende Stellung und hob sich von den übrigen Vätern der betrachteten Ulema aus Handwerkerfamilien ab. Das erklärt zumindest teilweise den sozialen Aufstieg gleich dreier seiner Söhne. Insgesamt können wir festhalten, dass die £lmiye auch Söhnen aus unteren gesellschaftlichen Schichten nicht verschlossen war. Söhnen von Handwerkern gelang über Bildung der Aufstieg in die askerî-Schicht, obwohl alle in den Vekayiü’lFudalâ eindeutig als dieser gesellschaftlichen Schicht zugehörigen Gelehrten ganz offensichtlich weder über Beziehungen zu einflussreichen Männern verfügten noch die meisten von ihnen wohlhabend waren. Die von Uºur aufgestellte These, dass Aufsteiger dieser gesellschaftlichen Schichten, wenn überhaupt, dann nur durch Bestechung Zugang in die geschlossene Gesellschaft der Istanbuler Ulema fanden, ist kaum haltbar.552 3.4.9

Die Reihe der Fragezeichen: Woher stammten die Söhne der Unbekannten?

Widmen wir uns nun der größten Gruppe, den 569 Ulema, über deren Herkunft ¡eyhî keine Angaben macht. Weniger als ein Viertel dieser Gelehrten stammte aus einer der drei wichtigen Städte Istanbul, Bursa und Edirne, zwei Dutzend weniger aus dem Eyalet Anadolu. Die weiteren verteilen sich auf alle Regionen des Reiches,

550 Interessant ist, dass ¡eyhî nur in der Biographie des dritten Bruders, des ¡eyhülislam, Angaben zur sozialen Herkunft macht. Dies bestätigt erneut die eingangs getroffene Feststellung zur Bedeutung der Abkunft. Gerade bei hochrangigen Mitgliedern der £lmiye war ¡eyhî gewillt, die Abstammung zu zeigen. Es scheint, als wolle man durch eine möglichst lange Ahnenkette das Ansehen der Person mehren und das auch, wenn der bedeutende Gelehrte nicht aus Ulema, sondern aus einfacheren Kreisen der Gesellschaft stammte, wie im Fall ¡eyhülislam Debbaºzade Mehmed Efendis. 551 Vgl. dazu auch YI (2004): 64, 70n, 72. 552 Es finden sich Aussagen wie: "The fact that 17 men came from the commercial classes is probably attributable to the venality of the age, and one feels little hesitation in regarding such admissions to the ÝulemÁ class as having been achieved by bribery." (U¹UR (1986): lxvii f.), vgl. ferner ibid: xlii f. Auch Yi bringt in einer Fußnote ihre Zweifel an dieser Sichtweise Uºurs zum Ausdruck, sie schreibt: "He analyzes only part (about a half) of ¡eyÌi’s biographical dictionary, and conjectures that these people [from commercial backgrounds] probably made their way into the religious bureaucracy by bribery. However, while there was the (a strong) tendency for ulema positions to be filled mostly by prominent ulema families, we may not simply assume that outsiders could get in through bribery alone." (YI (2004): 64n).

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kamen aus Provinzstädten oder aus kasaba, bei einigen ist die Ursprungsregion unbekannt.

Wessen Sohn ist ein -zade? In mehreren Dutzend Fällen deutet der Name der Beschriebenen auf die Tätigkeit des Vaters hin. Es finden sich Berufsbezeichnungen – fast alle aus dem Handwerk–, an die die Endung für Sohn (-zade)553 angefügt ist, etwa Kebabc¤zade, Hammamc¤zade, Bazarba¢¤zade oder Hazinedârzade.554 Namen, die mit -zade gebildet wurden, fanden fast ausschließlich bei Mitgliedern der £lmiye Verwendung.555 Die so bezeichneten Männer hatten also einen Vorfahren, der in dem entsprechenden Metier tätig gewesen war. Bei vielen von ihnen war es wahrscheinlich der Vater, da jener ansonsten in einem der biographischen Sammelwerke über Ulema erwähnt wäre und ¡eyhî auf diesen Eintrag verweisen würde. Mit Sicherheit findet sich folglich in den Vekayiü’l-Fudalâ der eine oder andere weitere Handwerkersohn, der im 17. Jahrhundert seinen Weg in die askerî-Klasse gemacht hat. Darüber hinausgehende Schlussfolgerungen sollte man an dieser Stelle aber ebenso wenig ziehen wie im Fall der auf die geographischen Wurzeln eines Alim verweisenden nisbe.556

Migranten und Aufsteiger vom Land? Seit dem späten 16. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts strömten große Teil der Landbevölkerung in die Städte.557 In der Zusammensetzung der Istanbuler Handwerkerschaft etwa blieb dies nicht ohne Folgen: Es bildeten sich neue Gilden, alte bekamen neue Mitglieder.558 Ferner sah sich der Staat im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert – also der Jugendzeit der in den

553 Die türkische Entsprechung dieser persischen Endung wäre -oºlu, sie kommt allerdings in den Vekayiü’l-Fudalâ nicht vor. 554 Kebabc¤zade Ahmed Efendi (¡EYHÎ: II.17.2), Hammamc¤zade Mehmed Efendi (ibid: I.361.1), Bazarba¢¤zade Mustafa Efendi (ibid: I.99.1) und Hazinedârzade Naziri Ahmed Efendi (ibid: I.282.1). Der Name des zu Beginn aufgeführten Alim würde auf den Nachkommen eines kebabc¤, eines Kebabverkäufers, der zweite auf den eines Betreibers eines hamam, der dritte auf den eines Oberen der Gilde der Lebensmittelhändler (YI (2004): 70n) und letzte auf den eines hazinedâr, eines Schatzmeisters, hinweisen. 555 ZILFI (1988): 75n. 556 Zu dem Namensbildungssuffix -zade/-oºlu vgl. ferner MAJER (1978): 101-106. 557 Die Gründe reichen von den Kriegen an den Grenzen des Reiches, Aufständen und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Inneren (insbesondere den unter Celâlî zusammengefassten Rebellionen) sowie vagabundierenden Bauern und Angehörigen verschiedener militärischer Einheiten bis zu Inflation und Umstellungen im Steuersystem. 558 Neben der in die Handwerksberufe strömenden Landbevölkerung vermehrte sich auch der Anteil der Militärs in den Istanbuler Gilden. Vgl. dazu die ausführliche Analyse von Yi (YI (2004): 127-132, 148f.).

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ersten Perioden des Untersuchungszeitraums verstorbenen Ulema – mit rebellierenden, vorwiegend aus Westanatolien stammenden Studenten von Provinzmedresen konfrontiert. Auch diese bereits angesprochenen Aufständischen (suhte) entsprangen der kleinstädtischen und dörflichen Bevölkerung. Kamen vielleicht einige der Gelehrten unbekannter Abstammung aus ähnlichen Verhältnissen? Gelangten sie im Rahmen des Zuzugs in die großen Städte nach Istanbul oder gelang es ihnen, den Schritt von Provinzmedresen in die hauptstädtische £lmiye zu meistern?

Vom Diener des Sultans zum Diener Gottes: Palastjungen in der £lmiye Hinweise auf die soziale Herkunft einiger der in den Vekayiü’l-Fudalâ aufgeführten Gelehrten, in deren Biographien sich keine Angaben zum Beruf des Vaters finden, kann ihre Ausbildung geben. So berichtet ¡eyhî in mehreren Fällen von Männern, die für den Dienst in Militär, Verwaltung oder Palast geschult wurden und anschließend die Laufbahn wechselten. Diese Ulema, die ihre Ausbildung im Palast des Sultans erhalten haben, waren unterschiedlicher Herkunft.559 Mümin Efendi Damad¤ £smail Efendi560 kam mit großer Wahrscheinlichkeit als Sklave in den Palast. Seine Abstammung ist aus seiner Lebensbeschreibung nicht zu entnehmen, ¡eyhî erwähnt allerdings, dass der Gelehrte aus Georgien stammte. Nicht nur in den südosteuropäischen Reichsgebieten wurden Jungen christlicher Familien in der Knabenlese ausgehoben (vor allem Griechen, Bosnier und Albaner), auch in Anatolien wandte man diese Methode an. Ferner stammten viele kul aus dem Kaukasus – es ist wahrscheinlich, dass Mümin Efendi Damad¤ £smail Efendi auf diesem Weg in die Hauptstadt gelangte. Nach Beendigung seiner Ausbildung im Palast erhielt er von ¡eyhülislam Ali Efendi eine mülâzemet, heiratete die Tochter eines Kadi aus M¤s¤r namens Mümin und stieg in die Müderrislaufbahn ein, allerdings nicht sehr hoch auf.561 Ob ein weiterer in den Vekayiü’l-Fudalâ aufgeführter Alim, der sich erst nach einiger Zeit im Dienst des Sultans der Gelehrsamkeit zuwandte, ebenfalls kul war, lässt sich nicht genau nachvollziehen: Celeb Mustafa Efendi562 stieg, nachdem er als teberdâr563 in der Seyfiye gedient hatte, in die £lmiye ein und bis zum Kadi von Eyüp auf.

559 Zur Ausbildung der militärischen-administrativen Eliten des Reiches, zur Unterteilung zwischen enderûn und birûn etc. vgl. KUNT (1983): 6ff. und FLEISCHER (1986): 194. Für ausführlichere Darstellungen vgl. UZUN†AR¡ILI (1984a): 279-512 und NEC£PO¹LU (1991): 113-122. 560 Gest. 1101 (1689/90) (¡EYHÎ: II.28.2). 561 Eine recht ähnliche Lebensgeschichte ist die Kilisi Damad¤ Haf¤z¤ Mustafa Efendis (¡EYHÎ: II.16.1), der bis zum Kadi von ¡am aufstieg. 562 Gest. 1063 (1652/3) (¡EYHÎ: I.210.1). 563 ¡eyhî schreibt, er gehöre zur Gruppe der teberdarân-i hassa. Diese waren eine spezielle Gruppe von Palastdienern (baltac¤). Vgl. dazu PAKALIN (1946-54): "teberdar", "terberdaran", "teberdaran-i hassa", "teberdan-i Saray-i atik", UZUN†AR¡ILI (1984a): 432-438.

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¡arih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi564 hingegen war kein Sklave, wie man bei jemandem, der für den Staatsdienst im Palast ausgebildet wurde, anzunehmen gewillt ist. Er wurde in Üsküdar als Sohn eines nicht weiter beschriebenen Ömer b. ¡eyh Mehmed geboren und dort wurden sicherlich keine kul rekrutiert. Auch der Name des Vaters und Großvaters macht deutlich, dass ¡arih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi als Muslim geboren wurde. Im 17. Jahrhundert gab es also Muslime unter den Palastjungen. ¡eyhî berichtet, dass ¡arih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi im Palast Unterricht erhielt, unter anderem von Ders-i Amm Keçi Mehmed Efendi, in dessen Gesellschaft er sich aufhielt.565 Er verließ den Saray des Sultans als Sipâhî, entschied sich aber für den Weg eines Gelehrten und nicht eines Soldaten. Er studierte die religiösen Wissenschaften und gab Vorlesungen in der Süleymaniye Moschee, stieg also nicht in die £lmiyehierarchie ein, um ordentlicher Müderris oder Kadi zu werden. Unter den gilmân, den Pagen im Palast, waren auch Söhne, Verwandte und Bekannte von ümerâ.566 In mindestens einem Fall der von ¡eyhî vorgestellten Ulema ist ein solcher Hintergrund anzunehmen: Dürri Mehmed b. Ali b. G¤yaseddin Efendi567 wurde in Bolu im Eyalet Anadolu geboren. ¡eyhî berichtet, dass er in den Saray gelangte und einer der gilmân des Sultans wurde, weil er einem hochgestellten 'Mann des Schwertes' nahe stand, vielleicht sogar mit ihm verwandt war.568 Der spätere

564 Gest. 1093 (1682) (¡EYHÎ: I.499.2). 565 ¡eyhî schreibt: : […] H14 72

YZ […] ¡eyhî verwendet den Dativ (-e mülâzemet), nicht den Ablativ, wie in den Fällen, in denen jemand von einer bestimmten Person eine mülâzemet erhielt. Der Begriff mülâzemet ist an dieser Stelle nicht im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Ausbildung in den religiösen Wissenschaften zu verstehen, wie er in allen anderen Biographien verwendet wurde und wie wir ihn bisher benutzt haben, sondern in seiner Grundbedeutung: 'fest anhängen', 'viel Umgang haben mit'. ¡arih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi hielt sich also dauernd in der Gesellschaft des Ders-i Amm auf. 566 "Although in the past (especially starting from the middle of the fifteenth century) the imperial household was staffed almost exclusively by slaves, in the second half of the seventeenth century a good number of those who entered the service were free-born Muslims, some of whose parents were comparatively well known." (ABOU-EL-HAJ (1974): 440), vgl. dazu auch KUNT (1983): 41-44. Vor den Veränderungen in der Provinzverwaltung seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hatten einige wenige Söhne von ümerâ Zugang zum birûn, dem äußeren Zweig des Palastdienstes, und erfuhren dort eine Ausbildung. Sie gelangten in eine spezielle Einheit, die mit müteferrika bezeichnet wurde. Der Sohn eines solchen müteferrika findet sich ebenfalls als Alim in den Vekayiü’l-Fudalâ (Parsa Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.467.1)). Mit dem 17. Jahrhundert wurden allerdings auch Muslime in den enderûn aufgenommen, ein besonderes Beispiel hierfür ist der berühmte Reisende Eyliya †elebi (KUNT (1983): 33, 97). 567 Gest. 1098 (1686/7) (¡EYHÎ: I.533.1). 568 ¡eyhî schreibt:

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Alim wurde geschult, studierte und erhielt von ¡eyhülislam Minkarizade eine mülâzemet. Als er den Palastdienst verließ, wohnte er bei dem Schwager des Mannes, Musahib Mustafa Pa¢a, der ihm Eingang in die Ausbildung im Inneren des Saray ermöglicht hatte. Dürri Mehmed Efendi aus Bolu begann die Laufbahn eines Müderris, die er als Lehrer an der Sahn-i Seman in Istanbul beendete. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gab es noch eine weitere Personengruppe, die im Palast ihre Ausbildung absolvierte: Söhne von kap¤kulu. Mit der allmählichen Auflösung des dev¢irme-Systems stand auch einigen Nachfahren der 'Truppen der Hohen Pforte', die ursprünglich nur aus kul bestanden, dieser Weg offen. Über sechs der im Palast erzogenen Ulema sind aus den Vekayiü’l-Fudalâ keine Hinweise auf ihre soziale Herkunft zu gewinnen. War der ein oder andere von ihnen Sohn eines kap¤kulu? ¡eyhî macht dazu keine Angaben, auch schweigt er über den Weg, auf dem sie in den Palastdienst gelangten. Einer dieser Gelehrten war Mehmed Bedreddin Efendi,569 ein Mann unbekannter Abstammung, der in der Region von Antep im Eyalet Dulkad¤r in Südostanatolien auf die Welt kam. War er kul? Stammte er aus ümerâ-Kreisen? Oder war er Sohn eines Mannes aus den Truppen der Hohen Pforte? Wir wissen es nicht. Es stellt sich die Frage, warum diese in ¡eyhî verzeichneten Ulema, die im Saray unterrichtet und geschult worden waren, nach dem ç¤kma, wie das Verlassen des Saray bezeichnet wurde, nicht die Laufbahn einschlugen, für die sie ausgebildet worden waren, sondern in die Gelehrtenlaufbahn einstiegen. ¡arih-i Mülteka Celeb Mustafa Efendi etwa, der vorgestellte Alim aus Üsküdar, verließ den Palast als Sipâhî. Das war ein hoher Rang, der einige Möglichkeiten des Aufstiegs über den Posten eines mittleren Provinzverwalters über den eines Sancakbeyi zum Beylerbeyi, vielleicht sogar anschließend bis zum Wesir eröffnete. In der religiösen Hierarchie hingegen musste der Gelehrte aus Üsküdar auf einem weitaus niedrigeren Niveau anfangen und dementsprechend früh endete seine Karriere. Gleiches lässt sich bei weiteren Ulema, die ihre Jugend im Saray verbracht haben, feststellen: sie beendeten ihre Karriere auf einer mittleren Medresenstufe. Dabei konnten diejenigen, die eine Ausbildung im Palast absolviert hatten, auf ein Netzwerk an Kontakten zurückgreifen, das vielen anderen verschlossen blieb. Wie in einigen in einem anderen Kontext vorgestellten Lebensbeschreibungen aufgezeigt, wandten sich Gelehrte, wenn sie Durch seine 'kirâbet' zu Musahib Mustafa Pa¢a, an dessen asitâne er gebunden war, erhielt [Dürri Mehmed Efendi] die Erlaubnis, einer der gilmân des Sultans zu werden.

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Es ist nicht klar, ob 'Musahib Mustafa Pa¢aya kirâbetleri' nur Nähe zu diesem Mann oder auch Verwandtschaft ausdrückt. 569 Gest. 1065 (1654/5) (¡EYHÎ: I.222.1).

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Einfluss auf die Entscheidungen des Divân-¤ Hümayun nehmen wollten, des öfteren an Bedienstete des Sultans, etwa Palastpagen oder Torwächter. Warum konnten die Ulema, die jahrelang im Inneren des Palastes gewohnt, gelernt und gearbeitet hatten, die Verbindungen in den Saray, die sie sicherlich auch nach ihrem ç¤kma unterhielten, nicht besser für ihre eigene Karriere einsetzen? Oder waren sie einfach zu alt, als sie ihre Gelehrtenlaufbahn begannen, um noch in hohe Ämter aufsteigen zu können? Ferner unklar ist, warum sie sich gegen eine Karriere in Militär und Verwaltung entschieden. Wollten sie ihr Leben dem Studium der religiösen Wissenschaften widmen oder war es der Status eines Alim sowie die besonderen Privilegien dieser gesellschaftlichen Gruppe, die jene ehemaligen Palastdiener und -schüler dazu bewegten, in die £lmiye zu wechseln? ¡eyhî schweigt über die Motive der von ihm vorgestellten Ulema. Im einem Fall stellen sich solche Fragen nicht – Mirza Mehmed Efendi570 landete eher per Zufall im Palast des Sultans. Mirza Mehmed Efendi wurde als Sohn eines Habib Bey in einem der 'Länder des fernen Ostens' geboren571 und kam in der Regierungszeit Murads IV. (1623-1640) mit einer Karawane nach Istanbul. Auf von ¡eyhî nicht genauer beschriebenem Weg gelangte er in das Haus des Großwesirs Bayram Pa¢a, bei dem er großgezogen wurde.572 Mirza Mehmed Efendi begleitete den Sadrazam, als sich dieser mit dem Sultan auf Feldzug nach Bagdad (1638) be-

570 Gest. 1093 (1682) (¡EYHÎ: I.491.1). 571 ¡eyhî schreibt an dieser Stelle:

3  Q E=$ ,  ,4 \]  >? :2 ,:O $, R Q 7@! In U¢akîzade findet sich an Stelle von ‫ ا‬das selbe Wort ohne Punkt ‫( ا‬U¡AEr stammte von Habib Bey, [ ... (?)] in den 'Ländern des Fernen Ostens'.

]... [

KÎZADE: 485), was zum Verständnis beiträgt und die 'Länder des fernen Ostens' als Herkunftsregion nahelegt. Was das Wort 'baz¤' in diesem Kontext bedeuten soll, ist mir nicht klar. Uºur schreibt, dass der Alim Sohn eines "ruler in one of the eastern lands" sei (U¹UR (1986): 518). Ausgegangen ist er dabei wahrscheinlich vom Namen des Alim, da das persische Mirza einen Prinzen bezeichnet. Man könnte vermuten, dass Mirza Mehmed Efendi als Gefangener während des langen Krieges Mehmeds IV. gegen das Safawidenreich (16231639) aus 'den Ländern des fernen Ostens', vielleicht den östlichen Regionen Irans, in das Osmanische Reich gelangte und Sohn eines Regionalfürsten war, doch ist dies kaum nachzuweisen.

572 ¡eyhî schreibt hier: Er wurde im 'harem-saray' des Sadrazam Bayram Pa¢a erzogen.

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War der Sadrazam, wie Uºur schreibt (U¹UR (1986): 518), nur der Patron des Mirza Mehmed Efendi, der sich den Studien widmete? Es scheint, als handele es sich hier nicht um ein reines Patronageverhältnis, sondern darum, dass Mirza Mehmed Efendi im Haus des Bayram Pa¢a lebte, dort großgezogen und unterrichtet wurde. Welchen Status er hatte, ob er als Sklave in das Haus des Sadrazam kam, ist nur zu vermuten.

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gab. Mit mehreren anderen Jungen gleichen Alters ließ man Mirza Mehmed Efendi allerdings in Tokat unter der Obhut einiger Lehrer zurück, um sie auf dem Rückweg wieder mit in die Hauptstadt zu nehmen. Da der Großwesir Bayram Pa¢a in diesem Krieg gegen die Safawiden umkam, nahm sich der Sultan selbst mancher der Schützlinge des Pa¢a an und genehmigte ihnen durch einen sultanischen Erlass den Eintritt in den Palastdienst. Mirza Mehmed Efendi war einer dieser Jungen. Er kam in den Saray, erhielt Unterricht und blieb dort über die verbleibenden zwei Jahre der Regierung Murads IV., die gesamte Regierungszeit £brahims (1640-1648) und die frühe Zeit Mehmeds IV. (1648-1687). ¡eyhî fügt hinzu, dass Mirza Mehmed Efendi das Wohlwollen der Sultane genoß. Als der Lehrer der Palastsklaven niedrigsten Ranges, der büyük oda hocas¤ Osman Efendi,573 verstarb, wurde er mit dessen Aufgaben betraut. Als Mirza Mehmed Efendi nach dieser langen Zeit den Palast verließ, wurde ¡eyhülislam Hüsamzade Abdurrahman durch ein hatt-i hümayun, einen großherrlichen Erlass, angewiesen, ihm einen Posten an der Süheyl Bey Medrese mit dem hariç-Rang zuzusprechen. Vom Erhalt einer mülâzemet berichtet ¡eyhî nicht. Mirza Mehmed Efendi stieg in der Müderriskarriere auf, wechselte in die Kadilaufbahn, in die er als Richter von ¡am ein und bis zum £stanbul kad¤s¤ aufstieg. Am Schluss seiner Karriere erhielt er außerdem die pâye des Kazasker von Anatolien zugesprochen. Mirza Mehmed Efendi, ein Mann, dessen Herkunft sich nur begrenzt rekonstruieren lässt, erreichte auf einem sehr ungewöhnlichen Lebensweg eines der höchsten Ämter der osmanischen £lmiye. 3.4.10 (Fast) alles ist möglich: ungewöhnliche Lebensgeschichten

Die ett¤bâ, Ärzte als Teil der £lmiye Die Ärzte im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts waren entweder Mediziner, die in einem der Krankenhäuser (dar’ü¢-¢ifa) arbeiteten, oder solche, die zu den Leibärzten des Sultans gehörten. Der Ausbildungsweg für Ärzte scheint wenig standardisiert, sondern recht flexibel gewesen zu sein. In den Vekayiü’l-Fudalâ finden sich einerseits Biographien von Gelehrten, die im wesentlichen Medizin studiert haben, etwa Reisület¤bbâ £sa Efendi574 aus Sak¤z (Khios). Nach seinem Medizinstudium kam Reisület¤bbâ £sa Efendi in die Hauptstadt, wo er nach einiger Zeit den

573 Die içoºlanlar¤, die Pagen des Topkap¤ Saray¤, wurden auch als gilmânân-i enderûn bezeichnet. Sie waren hierarchisch organisiert, wobei die einzelnen Stufen mit oda bezeichnet wurden. Uzunçar¢¤l¤ listet sechs solcher Stufen auf, von denen die gilmân des kleinen und großen oda die unterste Stufe bildeten. Für ausführlichere Angaben vgl. UZUN†AR¡ILI (1984a): 308-329. 574 Gest. 1059 (1649/50) (¡EYHÎ: I.185.1). Vgl ferner ÖZCAN (2001): 121.

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ehemaligen reisület¤bbâ des Sultans575 ablöste, nachdem dessen Versuche, den kranken Herrscher zu heilen, keinen Erfolg gezeigt hatten. Der Alim aus Sak¤z wechselte sich mit seinem Vorgänger in diesem Posten in den folgenden Jahren immer wieder als reisület¤bbâ ab. Andererseits hat ¡eyhî Gelehrte verzeichnet, die die Medresenhierarchie, wie für einen angehenden Müderris vorgeschrieben, durchliefen, sich den religiösen Wissenschaften widmeten, Posten in der £lmiye bekleideten und erst zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben Arzt (tabib) wurden. Tabib Seyyid Abdullah Efendi576 ist ein solcher Fall. Als Sohn eines Seyyid Ahmed b. Seyyid Be¢ir in Kütahya in der Provinz Anadolu geboren, kam Tabib Seyyid Abdullah Efendi nach Istanbul. Er absolvierte eine Medresenausbildung, erhielt eine mülâzemet und stieg als Müderris bis zu einer Medrese mittleren Rangs auf. Anschließend wurde er zum Oberen der Ärzte am dar’ü¢-¢ifa der Fatih Külliye berufen. Der Alim war außerdem ein enger Freund U¢akîzades.577 Nicht nur von der Medrese, auch von einem Richteramt aus konnte ein Alim umsteigen und Arzt werden. So bekleidete ein ehemaliger Kadi von Izmir den Posten des reisület¤bbâ fünf Mal hintereinander.578 Ebenso möglich war der umgekehrte Fall: Einer der von ¡eyhî beschriebenen Ulema war nach seiner Medresenausbildung in einem dar’ü¢-¢ifa in Istanbul tätig, wurde anschließend sogar einer der Leibärzte des Sultans, um daraufhin das Amt des Kadi von Eyüp anzunehmen. Seine Karriere beendete er als £stanbul kad¤s¤.579 Diese unterschiedlichen Curricula der Mediziner, die zwischen Posten als Arzt, Müderris und Kadi wechselten, machen deutlich, dass die Laufbahnen der osmanischen £lmiye eine gewisse Flexibilität aufwiesen. Interessanterweise erlaubten die Laufbahnen von Müderris und Kadi keine Wendungen der Karriere wie sie den Medizinern offensichtlich möglich waren. Im Metier der Medizin finden sich darum eine ganze Reihe verschiedenartiger Lebenswege. Es wäre genauer zu untersuchen, wie das Curriculum eines tabib in der Regel aussah, um einordnen zu können, welche der aufgeführten Ulema den üblichen Weg gegangen sind und welche Ausnah575 Der Oberste der sultanischen Ärzte war nicht nur für die Gesundheit des Herrschers selbst und dessen Familie zuständig. In seiner Verantwortung lag ferner die allgemeine Aufsicht über die Mediziner im ganzen Reich. Es handelte sich also um einen hohen und einflussreichen Posten. Zum reisület¤bbâ beziehungsweise hekimba¢¤ in der osmanischen Ordung vgl. Tayy¤b M. GÖKB£LG£N (1971): "ÍekÐm-Bash¤", Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Leiden. 576 Gest. 1109 (1697/8) (¡EYHÎ: II.143.2). Vgl ferner ÖZCAN (2001): 124. 577 Zu diesem Freundschaftsverhältnis vgl. MAJER (1978): 216f. 578 Biographie von Reisület¤bbâ Hammalzade Mehmed Efendi (¡EYHÎ: I.240.2). Vgl ferner ÖZCAN (2001): 121. 579 Biographie von Reisület¤bbâ Zeynülabidin Efendi (¡EYHÎ: I.132.1). Vgl ferner ÖZCAN (2001): 121.

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meerscheinungen darstellten.580 Das schließt einen Vergleich von Karrieren muslimischer und nicht-muslimischer sultanischer Ärzte ein. Denn nicht nur innerhalb des Systems, auch nach außen stellt die Gruppe der Mediziner einen Sonderfall dar. Bei den mit medizinischen Tätigkeiten betrauten Mitgliedern der religiösen Ordnung des Reiches lässt sich eine besondere Durchlässigkeit der Ulemaschicht feststellen. Der Beruf des Arztes stand Personen offen, denen wir in unserer Analyse der Gelehrtenbiographien bisher nicht begegnet sind: der Gruppe der Nicht-Muslime. Es gab einige jüdische Untertanen, die zu den Leibärzten von Sultanen aufstiegen. Einer von ihnen war Reisület¤bbâ Hayatîzade Mustafa Efendi.581 ¡eyhî berichtet nichts über die Herkunft dieses Juden, der zum Islam konvertierte und bis zum Posten des reisület¤bbâ gelangte. Seine Konversion und die sich anschließende Karriere als Alim markierten einen Wendepunkt in der Familiengeschichte. Mindestens einer der Söhne des Sultansarztes folgte seinem Vater in die £lmiye und ist in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichnet – die Hayatîzade hatten sich offensichtlich in den Zirkeln der Istanbuler Gelehrtenschaft etabliert.

Konvertiten als islamische Religionsgelehrte Neben dem reisület¤bbâ jüdischer Herkunft berichtet ¡eyhî von zwei weiteren Nichtmuslimen, die zum Islam konvertierten und ihren Weg in die religiöse Hierarchie des Osmanischen Reiches machten.582 Als Müderris oder Kadi nicht-muslimischer Herkunft stellten sie aber gewiß Ausnahmen dar. Einer der beiden war Sencar Müizzeddin Mehmed Efendi:583 Müizzeddin Mehmed Efendi stammte aus Georgien und wurde gemeinsam mit seiner Mutter als Sklave an Hakimî Gîlânî Efendi, einen im Werk Ataîs erwähnten Gelehrten,584 verkauft. Dieser war ein reicher Mann und besaß viele männliche Sklaven, denen er in einer Art Losverfahren Namen gab. Wie ¡eyhî darlegt, schrieb er Bezeichnungen verschiedener Regionen und Orte auf 580 Zur osmanischen Medizingeschichte vgl. etwa I. Türk T¤b Tarihi Kongresi (17-19 ¡ubat 1988 £stanbul). Kongreye Sunulan Bildiriler, Ankara 1992. 581 Gest. 1103 (1691/2) (¡EYHÎ: II.69.2). Vgl ferner ÖZCAN (2001): 123. Die Lebenswege der weiteren in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichneten Ärzten hat Özcan zusammengestellt: ÖZCAN (2001): 120-127. 582 Itzkowitz schreibt, dass sich bereits in vorangehenden Jahrhunderten Ulema nicht-islamischen Ursprungs finden lassen, so im biographischen Sammelwerk des Ta¢köprüzade (ITZKOWITZ (1962): 82). In diesem Kontext erwähnensweit ist die von ¡eyhî überlieferte Beziehung zwischen einem der von ihm vorgestellten Ulema, dem aus dem Safawidenreich stammenden Seyyid Nurullah e¢-¡irvânî Efendi (¡EYHÎ: I.227.3), und einem jüdischen Dichter. Jener nahm bei dem islamischen Gelehrten Unterricht und konvertierte daraufhin zum Islam. ¡eyhî berichtet, die beiden hätten eine aus Fragen und Antworten bestehende 'risale' erstellt. 583 Gest. 1076 (1665/6) (¡EYHÎ: I.320.1). 584 ATAÎ: 591f. Er stieg bis zum Kadi von ¡am auf.

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Zettel, ließ seine Sklaven einen der Zettel ziehen und fertig war die Namensgebung. Auf dem Papier des vorgestellten Sklaven aus Georgien war Sencar, der Name eines Gebietes in Mesopotamien, notiert, er wurde also unter Sencar Müizzeddin Mehmed Efendi bekannt und in den Vekayiü’l-Fudalâ verzeichnet. Sencar Müizzeddin Mehmed Efendi kam als Sklave in die osmanische Hauptstadt, er war also kein Muslim und gehörte sicherlich einer christlichen, wahrscheinlich der georgischorthodoxen Konfession an. Als seine Mutter zur Konkubine wurde, wurde er zum Stiefsohn und Muslim. Der ehemalige Sklave erfuhr eine Ausbildung und schlug den Weg eines Gelehrten ein. Nach dem Erhalt einer mülâzemet begann er zu unterrichten, verließ die Müderrislaufbahn allerdings nach der 40 Akçe Medrese, um das Kadiamt von Sofya anzunehmen. Dort geriet er in Schwierigkeiten mit dem lokalen Vali, der, nachdem er mehrere Personen hatte exekutieren lassen, von ihm eine nachträgliche Legitimation für sein Vorgehen verlangte. Der Alim verweigerte sich diesem, ritt nach Istanbul und erstattete im Palast Bericht über die Geschehnisse. Daraufhin wurde der Vali selbst exekutiert und Müizzeddin Mehmed Efendi, der die Gunst des Sultans gewonnen hatte, auf den Posten des Richters von Filibe berufen. In seiner weiteren Laufbahn wurde er fünf weitere Male Sofya kad¤s¤, bekleidete aber außerdem die Kadiämter von Bagdad und Manisa. Sencar Müizzeddin Mehmed Efendi, als Sklave nach Istanbul gekommen, machte eine erstaunliche Karriere in der osmanischen £lmiye. Die Adoption und Förderung durch den Mann, der ihn und seine Mutter einst gekauft hatte, ermöglichte ihm diesen sozialen Aufstieg. Der Lebensweg Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendis,585 ebenfalls Sohn nichtmuslimischer Eltern, verlief völlig anders. Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi wurde als Sohn von reaya586 auf Girid (Kreta) geboren. Auf Kreta lebten neben insbesondere griechischen Christen auch Venezianer, die, nachdem bereits mehr als 20 Jahre früher fast die ganze Insel an die Osmanen gefallen war, 1669 auch die Festung Kandiye (Heraklion) verloren.587 Sie waren allerdings keine osmanischen Untertanen. ¡eyhî spricht also aller Wahrscheinlichkeit nach von griechischen Christen, wenn er Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendis Herkunft mit reaya beschreibt. Wie ¡eyhî anmerkt, war der spätere Alim unglückselig und hatte noch nicht das 585 Gest. 1102 (1690/1) (¡EYHÎ: II.60.3). 586 ¡eyhî spezifiziert nicht, welcher Tätigkeit der Vater nachging, wie sonst, wenn er von Mitgliedern der Klasse der Steuer zahlenden Untertanen des Sultans spricht, sondern verwendet das einzige Mal den Begriff reaya. Dass er von reaya spricht, weil es sich bei Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendis Vater um einen Nichtmuslim handelte, ist für das 17. Jahrhundert nicht anzunehmen, eher, dass ihm die genaue berufliche Tätigkeit des Vaters nicht bekannt war oder dass er auf eine bäuerliche Abkunft des Alim verweisen wollte. Eventuell wäre Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi damit der einzige dokumentierte Fall eines Alim, der aus der Klasse der reaya stammte, nicht aber Sohn eines Händlers oder Handwerkers war. 587 Zwei Hafenorte blieben noch bis 1715 in venetianischer Hand.

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Alter der Reife erreicht, als er nach Izmir kam,588 um dort in die Dienste nicht näher spezifizierter Bewohner einzutreten. Der Junge konvertierte zum Islam. Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi lernte bei verschiedenen, namentlich genannten, Gelehrten in Izmir, ging dann für weitere Studien nach Istanbul, um sich anschließend in Ägypten vor allem den hadis-Wissenschaften zu widmen. Der angehende Alim reiste zu den Heiligen Stätten in den Hicaz, wo er außerdem seine Kenntnisse in den religiösen Wissenschaften erweiterte, um schließlich in die Hauptstadt des Reiches umzusiedeln und von ¡eyhülislam Ali Efendi mit einer mülâzemet ausgestattet zu werden. Nach einem Aufenthalt in der Stadt seiner Jugend Izmir kehrte Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi nach Istanbul zurück, hörte Vorlesungen, erhielt einen Müderrisposten, reiste allerdings wenig später erneut nach Izmir, um den Posten des örtlichen Mufti anzunehmen. Sein nächstes Amt war das des Kadi von Sak¤z (Khios).589 Anschließend wurde Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi für den zweiten Feldzug unter dem Kommando des Großwesirs Köprülüzade Mustafa Pa¢a Efendi (zur Rückeroberung Belgrads 1690) zum ordu kad¤s¤ bestellt, als Entschädigung für das erhöhte Risiko seines Postens sprach man ihm das arpal¤k von Siroz590 zu. Doch wurde der Alim in diesem Krieg von einer Kugel der Gegner, der küffâr (Sg. kâf¤r), der Ungläubigen, wie ¡eyhi schreibt, getroffen und starb. Man brachte ihn in das gerade zurückeroberte Belgrad, wo er beerdigt wurde.

588 Griechen und andere Christen stellten etwa die Hälfte der Bevölkerung von Izmir (Diese Angaben basieren auf Darstellungen verschiedener Reisender des 17. und 18. Jahrhunderts, wie sie in dem von Behar herausgegebenen Werk zur Bevölkerungsstatistik wiedergegeben sind (Cem BEHAR (Hg.) (1996): Osmanl¤ £mparatorluºu’nun ve Türkiye’nin Nüfusu, 1500-1927, (Tarihi £statistikler Dizisi, 2), Ankara: 10)). Bereits zu venetianischer Zeit war Izmir auch für Inselgriechen ein wichtiger Bezugspunkt, insbesondere wegen des Levantehandels. So wundert es nicht, dass Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi zuerst in diese Stadt übersiedelte. 589 Die beiden Posten des Ordu Kad¤s¤ £zmirî Süleyman Efendi waren vorwiegend von Griechen bewohnte Gegenden, man bediente sich also der sprachlichen Kenntnisse des Alim aus Kreta. 590 Es gibt zwei Orte desselben Namens, die in Frage kommen. Nur einer von ihnen war allerdings Verwaltungszentrum eines Sancak, es ist also anzunehmen, dass es sich um dieses in der Nähe von Selânik gelegene Siroz handelt.

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4. SCHLUSS

Die Analyse der im biographischen Sammelwerk Vekayiü’l-Fudalâ des Mehmed ¡eyhî Efendi verzeichneten Gelehrtenbiographien hat gezeigt, dass die Istanbuler Ulema eine vielfältige, facettenreiche Gesellschaftsschicht darstellten. Sie wurde zum überwiegenden Teil, in den Spitzenämtern zur Hälfte, von nicht in diese Kreise Hineingeborenen gestellt. Nachkommen von Mitgliedern der askerî-Klasse wie von Steuer zahlenden Untertanen des Sultans, von Reichen wie weniger Wohlhabenden, solche, die Verbindungen zu den einflussreichen Würdenträgern im Staat unterhielten und solche, die nicht über ein Netz an Kontakten verfügten, haben ihren Weg in die Istanbuler £lmiye gemacht. Sie kamen aus Großstädten, Kleinstädten und Dörfern, aus den wichtigen Zentren, den Provinzen und aus Gebieten, die außerhalb der Reichsgrenzen lagen. Die osmanische religiöse Elite war also aufnahmefähig. Sie integrierte Männer aus den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Regionen des Reiches, doch nicht zu gleichen Anteilen und Voraussetzungen. Die hohen Zirkel der Gelehrsamkeit wurden von Männern aus den hauptstadtnahen türkischsprachigen Regionen dominiert, die Masse der Bevölkerung scheint praktisch gar nicht vertreten zu sein. Der Aufstieg aus der Klasse der reaya durch Bildung war möglich, beschränkte sich allerdings weitgehend auf Söhne wohlhabender Händler und Handwerker, wobei Handwerker ihr Studium der religiösen Wissenschaften nur dann bis zu einem hohen Niveau fortsetzen konnten, wenn sie ihre Heimatstadt nicht verlassen mussten. Bauern, Nomaden oder Tagelöhner stiegen offensichtlich nicht oder nur sehr selten in die hochgelehrte Oberschicht des Reiches auf. Besonders oft gelang Sprösslingen aus Familien, deren Angehörige mit religiösen Aufgaben auf unterschiedlichen Ebenen betraut waren, eine Karriere als Alim. Nachkommen von Mitgliedern der Seyfiye trifft man seltener und für Söhne von Vertretern der Kalemiye, die im 17. Jahrhundert allerdings auch eine sehr dünne Schicht war, scheint die £lmiye zu dieser Zeit keine ernstzunehmende Karriereoption gewesen zu sein. Dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen sehr stark, andere dafür kaum Ulema hervorgebracht haben, hat vielseitige Gründe. Je nach sozialem Umfeld unterschieden sich die Bedürfnisse und Notwendigkeiten des Alltags, die Bildung beigemessene Bedeutung sowie die finanziellen Möglichkeiten. Auch die Voraussetzungen, die in der Heimat zur Verfügung standen, entschieden darüber, ob man eine Laufbahn als Istanbuler Alim anstrebte und die dafür notwendigen Schritte wagte. Neben politischen, religiösen, sprachlichen und kulturellen Eigenarten spielten 188

insbesondere die Karrierechancen an dem Ort, aus dem man stammte, eine Rolle. Es war ferner bedeutend, ob und wie ein auswärtiger Aspirant auf hohe Ämter an die Zentren der institutionalisierten religiösen Ordnung des Osmanischen Staates gebunden war. Sowohl geograpische und sprachliche Nähe als auch persönliche Kontakte und Bindungen erleichterten den Einstieg in jene Zirkel, ermöglichten diesen oft erst. Zwar besaß Istanbul kein Monopol auf die hohe Ausbildung, doch war die Hauptstadt unangefochten Zentrum des Wissens und der Gelehrsamkeit. Um an den bedeutenden Bildungseinrichtungen des Reiches bei ranghohen Ulema zu studieren und die für den Einstieg in die hauptstädtische £lmiye notwendigen Zertifikate zu erwerben, mussten die meisten Studenten von auswärts in die Stadt am Bosporus übersiedeln. Im 17. Jahrhundert stellten Bursa und Edirne noch Alternativen im Kleinen dar. Der Einstieg in die hohe £lmiye aus einer Provinzstadt gelang nur in Ausnahmefällen, war allerdings nicht unmöglich. Die unverhältnismäßige (Nicht)Präsenz bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wie Regionen des Osmanischen Reiches in der Istanbuler £lmiye des 17. Jahrhunderts erklärt sich folglich zu weiten Teilen durch die Eigenheiten der Herkunft. Die Grundlagen für Karrieren als hauptstädtische Ulema wurden weit vor dem eigentlichen Versuch, Mitglied der Istanbuler £lmiye zu werden, gelegt. Herkunftsbedingte spezifische Anreize und Hemmnisse entschieden über die Ausbildung zum Religionsgelehrten. Um den Schritt zum Istanbuler Alim zu meistern, mussten die von außen in die hauptstädtische Gelehrtenschaft strebenden Studenten der religiösen Wissenschaften Hindernisse überwinden, die ihren in jenen elitären Kreisen aufgewachsenen Mitstreitern erleichtert, nicht selten ganz erspart wurden. Die wesentliche Benachteiligung ging dabei nicht von rechtlichen Bestimmungen aus, sondern bestand in informellen Praktiken. Die Instrumente, mit denen der Staat versuchte, den Zustrom in die hohe £lmiyehierarchie zu drosseln und die Qualität der Amtsträger der Lehre und des Rechts zu sichern, führten wegen expansivem Missbrauch zu einer verzerrten Zusammensetzung der religiösen Elite des Reiches. Die Vergabepraktiken von mülâzemet und rüus sowie Korruption, Ämterkauf und Nepotismus beförderten eine Abschottung der Klasse der Istanbuler Ulema, da sie aufstrebende 'Außenseiter' erheblich benachteiligten. Doch ermöglichten Geld und Beziehungen jenen von außen in die hauptstädtische £lmiye drängenden Männern, diese Behinderungen weitgehend aufzuheben. Die Istanbuler Oberschicht, darunter zahlreiche alteingesessene Ulemafamilien, unterstützte auch neu in die Kreise der hauptstädtischen Gelehrsamkeit strebende Männer, ihre Personalpolitik zielte nicht auf die Etablierung einer geschlossenen Klasse. Jedoch waren, um Kontakte zu knüpfen und auszubauen, neben den Fähigkeiten ebenfalls die soziale wie regionale Herkunft entscheidend.

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Eine institutionelle Benachteiligung nicht aus Istanbuler Ulemafamilien stammender Aspiranten auf Ämter in der hauptstädtischen £lmiye konnte sich vor der Zeit Ahmeds III. (1703-1730) nicht herausbilden. Wie diese Institutionalisierung von statten ging, und ob Praktiken, die sich bereits im 17. Jahrhundert herausgebildet hatten, nachträglich durch staatliche Bestimmungen zementiert wurden, könnte Thema einer weitergehenden Untersuchung sein. Es wäre interessant zu betrachten, wie diese Entwicklungen von Zeitgenossen rezipiert wurden und welche Rolle den Ulema, die erst in der vorangegangenen Generation Mitglieder der religiösen Elite des Osmanischen Staates geworden waren, dabei zufiel. Studien über einzelne dieser Aufsteiger in die askerî-Klasse oder 'Umsteiger' innerhalb dieser privilegierten Schicht des Reiches sowie ihre Familien und Nachfahren könnten jene Entwicklungen genauer aufzeigen. Ferner zu beleuchten wären die Parallelen zu anderen gesellschaftlichen Schichten. Studien über die Seyfiye und Kalemiye sowie die mitunter anzutreffenden Verschränkungen zwischen den Mitgliedern dieser Gruppen ließen sich auf die £lmiye ausweiten. Dabei sollte man sich nicht auf die obersten Ränge der Hierarchie konzentrieren, sondern Mobilität auf der mittleren und unteren Ebene einbeziehen. Die religiöse Ordnung des Reiches etwa ermöglichte bereits auf niedrigerem Niveau die Mitgliedschaft zur askerî-Klasse: Wie offen waren die Schichten, deren Vertreter wir als 'kleinere Ulema' und 'kleinere Religionsdiener' beschrieben hatten? Wie stellt sich die Zusammensetzung dieser Gruppen im Vergleich mit den religiösen Eliten des Reiches dar? Auch reaya wären unter dem Aspekt von Mobilität genauer zu betrachten, denn wie Yi für die Istanbuler Handwerkergilden des 17. Jahrhunderts hat nachweisen können, zeigten auch diese "greater fluidity and flexibility than we have previously thought."591 Eine Zusammenschau von Untersuchungen gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Schranken mit Detailstudien einzelner ihrer Vertreter versprächen ein genaueres Verständnis des Aufbaus der osmanischen Gesellschaft der frühen Neuzeit. Die Verbindung der vielen Zentren religiöser Bildung und geistigen Lebens im Osmanischen Reich untereinander einerseits und zur Hauptstadt andererseits konnte in dieser Arbeit nur angeschnitten werden. Darauf aufbauend wäre die Frage nach einem Wissenstransfer und den Kanälen und Kontakten, die ihn innerhalb dieses Reiches enormen Ausmaßes ermöglichten, zu stellen. Wie funktionierte die Interaktion zwischen den religiösen Eliten in der Provinz und ihren Kollegen in Istanbul und lassen sich hier regionale Unterschiede ausmachen? Eine solche Untersuchung könnte die Diskussion über das Verständnis von Peripherie und Zentrum befruchten.

591 YI (2004): 110f.

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Außerdem sind in dieser Arbeit einige definitorische Fragen zu osmanischen Begriffen und Wendungen aufgeworfen worden, die einer genaueren Klärung durch Hinzuziehung verschiedenartiger Quellen bedürfen. Sie könnten als eine Basis für die detaillierte Beschäftigung mit dem Aufbau der religiösen Strukturen und Hierarchien innerhalb des Osmanischen Reiches des 17. Jahrhunderts dienen, von denen viele Aspekte nur in ihren Grundzügen bekannt sind. Auf unterschiedlichen Quellen, etwa Amtslisten und biographischen Sammelwerken im Vergleich, basierende Studien versprächen Klärung verschiedener Charakteristika der in ihrer Institutionalisierung in der islamischen Welt einmaligen £lmiye im Osmanischen Staat, die trotz der genauen strukturellen Vorgaben so erstaunlich flexibel und durchlässig war.

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204

6. ANHANG

Abbildung 1:

'Söhne nicht hauptstädtischer Ulema und ihre Herkunft'

Abbildung 2:

'Herkunftsregionen der Ulema (excl. Söhne Istanbuler Ulema)'

Abbildung 3:

Karte 'Herkunftsregionen der Ulema' basierend auf Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO), hg. vom Sonderforschungsbereich 19 'Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO)', Wiesbaden 1977-94: Karte B IX 8: Osmanisches Reich, Die Provinzverwaltung im 17. und 18. Jahrhundert.

Abbildung 4:

'Herkunftsregionen der Ulema (excl. Söhne Istanbuler Ulema)' nach Perioden aufgegliedert.

Abbildung 5:

'Die osmanischen Ulema des 17. Jhs. und ihre soziale Herkunft'

205

210

211

212

213

214

7. INDEX

A Abdalî, Mehmed el41 Abdülbaki Efendi 32 Abdülbaki Efendi, Sahhaf úeyhzâde 117 Abdülbaki Efendi, Sehla 34 Abdülbaki Efendi, Uûakîzâde 60 Abdülgaffar Efendi 53 Abdülhadi Efendi 72 Abdülhalim Efendi, Kırımî 53 Abdülhalim Efendi, Tezkireci 111 Abdülhalim Efendi, Uûakîzâde 54 Abdülkadir Efendi, Hüdhüd 122 Abdülkadir Efendi, Sahib’ül-Tessanif elBagdadî 141 Abdulkerîm Efendi, Kasapzâde 61 Abdülkerim Efendi, Sadreddinzâde 156 Abdullah Efendi, Alaûehirli Nurullahzâde 31 Abdullah Efendi, Fındıklı 126 Abdullah Efendi, Hocazâde 170 Abdullah Efendi, Kasımzâde 79 Abdullah Efendi, Mahir 60 Abdullah Efendi, Nâzik 175 Abdullah Efendi, Sarı 27 Abdullah Efendi, Sarih-i Mesnevi 34 Abdullah Efendi, Seyyid Uûakîzâde 60 Abdullah Efendi, Sirkecizâde 179 Abdullah Efendi, Tabib Seyyid 122, 187 Abdullah Nakûibendî, úeyh Seyyid 114 Abdülvehhab Efendi, el-Suâlâtî 128 Abdülvehhab Efendi, Sivasîzâde 35 Abdurrahim Efendi 114, 120, 121 Abdürrahim Efendi, Civan Kapıcıbaûı Mehmed Paûa ùmamı 106 Abdürrahim Efendi, Uûakîzâde 164 Abdurrahman Efendi, Hâfız 127, 128 Abdurrahman Efendi, Hamîdî 49 Abdurrahman Efendi, Hüsamzâde

186 Abdurrahman Efendi, Nefeszâde Seyyid

56

Abdurrahman Efendi, Sahhaf úeyhzâde 117 Abdurrahman Efendi, Selânik Uørusu 80, 117 Abdurrahman Efendi, Seyrekzâde 60 Abdurrahman Efendi, Velizâde 81 Abulaziz Efendi, Uûakîzâde 164 Adüllatif Efendi, Erzurumî 106 Adurrahman Efendi, Selânik Uørusu 118 Ägypten Siehe Mısır Ahmed Efendi, Atpazarı b. Abdülbaki 31 Ahmed Efendi, b. Ali b. Ömer 21 Ahmed Efendi, Balizâde Emini 106, 108, 111 Ahmed Efendi, Çömez 71 Ahmed Efendi, Emir Buharî úeyhî Damadı Seyyid 114 Ahmed Efendi, Hacı Yusufzâde 55 Ahmed Efendi, Hacı Yusufzâde Efendi Zamîrî 47, 175 Ahmed Efendi, Hatibzâde 113 Ahmed Efendi, Hazinedârzâde Naziri 181 Ahmed Efendi, Hüseyin Paûazâde 169 Ahmed Efendi, Kapıcızâde 39, 106, 168, 170, 171 Ahmed Efendi, Kebabcızâde 181 Ahmed Efendi, Kızıklızâde 152, 153 Ahmed Efendi, Mazhar Efendi Damadı 25, 58 Ahmed Efendi, Muhzirbaûızâde 168 Ahmed Efendi, Muid 25 Ahmed Efendi, Okçuzâde 167 Ahmed Efendi, úeyhülislam Debbaøzâde Efendi Biraderi 180 Ahmed Efendi, úeyhülislam Seyyid Feyzullah Efendi Biraderi Seyyid 91, 158, 159, 160 Ahmed Efendi, Vanîzâde Seyyid 112, 113, 164 Ahmed Hayderani 43 Ahmed I. 87 Ahmed II. 19 Ahmed III. 13, 14, 19, 21, 41, 59, 61, 62, 65, 99, 101, 102, 103, 112, 154, 194

215

Ahmed Paûa, Köprülüzâde 109 Ahmed Ramazan Efendi, Üsküdarî 115 Ahmed, el-Hac b. Mustafa 24, 25, 173 Ahmed, Seyyid b. Seyyid Beûir 187 Aksaray 54, 55 Aksaray (Istanbul) 55, 171 Alaiye 34, 51, 122 Alanya Siehe Alaiye Albanien 127 Aleppo Siehe Halep Ali Efendi 51, 163 Ali Efendi, Arpacızâde b. Ahmed 175 Ali Efendi, b. úeyh Mehmed b. el-Kadı Hasan Efendi 34 Ali Efendi, Bıçakçızâde 179 Ali Efendi, Boluvî Biraderî 173, 174 Ali Efendi, Fazil Uzun 141 Ali Efendi, Kamranzâde 106 Ali Efendi, Paûmakçızâde Seyyid

35, 177 Ali Efendi, úeyhülislam 183, 190 Ali Efendi, Uryani 72 Ali Paûa, Hekimzâde 21 Amasya 42, 75 Amasya müftüsü 31, 42 Amid 54, 123, 124, 133, 139, 140 Amid kadısı 125 Anadolu 31, 53, 55, 57, 80, 87, 105, 117, 127, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 141, 143, 144, 145, 146, 157, 158, 173, 181, 182, 184, 187 Anatolien Siehe Anadolu Ankara 31, 51, 56, 134, 154, 155, 157, 161, 174 Ankara kadısı 154 Antalya 33 Antep 184 arpalık 71, 72, 77, 83, 112, 125, 127, 159, 191 arz 55, 56, 57 Arzt Siehe tabib (Pl. ettıbâ) asitâne 108, 109, 110, 113, 114, 119, 123, 163, 170, 171, 173, 184 Ataî, Nev’îzâde 22, 23 Aya Sofya Aya Sofya Medrese 34 Medrese 165 Aydın 173 Aydın kadısı 173

216

B Bagdad 54, 55, 123, 134, 141, 143, 164, 173, 186 Baþdad kadısı 159, 169, 189 Bali Efendi, Bosnavî 79 Balıkesir 120 Bandırma 153 Bayram Paûa 186 Bayramiye 120 Bazar Köyü 72 Behrâm Kethüda Medrese 39 Beirut 105 Bektaûiye 20, 32, 143 Belgrad 35, 114, 139, 144, 191 Belgrad kadısı 72 Beûiktaû 29, 79 Beylerbeyi 76, 169, 170, 185 bilfiil 67 Bitola Siehe Monastır Bolu 24, 25, 26, 80, 105, 118, 134, 141, 173, 174, 184 Bolu müftüsü 26, 173 Bosna 60, 79, 124, 125, 132, 134, 136, 138, 139, 142, 144, 146, 171, 173 Bosna kadısı 81 Bosnasaray 139, 140, 144, 146 Bostan Efendi, Derzizâde 153 Burhaneddin, úeyh 144 Bursa 29, 32, 33, 36, 40, 41, 51, 60, 61, 65, 72, 85, 94, 113, 126, 129, 131, 132, 134, 135, 136, 138, 139, 141, 144, 151-154, 156, 161, 165, 172, 173, 176, 177, 181, 193 Bursa kadısı 27, 64, 70, 101, 141, 153

C Cabartî, el46, 140 Cafer Aøa Medrese Dar’ül-Hadis(-Cafer Aøa Medrese) 80 Cafer Aøa Medrese 80 Cafer Paûa, Sultan Damadı 69 Cafer, b. Abdülfettah 71 Câme úuy Hatun 116 Cami-i Atîk Medrese 152 Canik 116, 122 Çatalca 34 Celaleddîn Rûmî 91 Çelebi Efendi, Edirneli 48 Çelebi Efendi, Fazil Molla 54, 123, 140

Çelebi Efendi, Mehmed Aøa úeyhî Mahdûmî Fethi 164 Çelebi Sultan Mehmed Medrese 72 Celvetiye 120, 121 Cendik Medrese 153 Cezayir 134, 138, 142, 146 Coørafyacı Ebubekir Efendi Siehe Ebubekir Efendi, b. Behram elDimaûkî Çokacı Hacı Medrese 152

Erzurum 65, 91, 112, 134, 158, 159, 164, 173 Erzurum müftüsü 91, 158, 159 Esad Efendi 177 Evliya Çelebi 38, 127, 184 Eyüp 29, 39, 72, 77, 96, 115, 132, 135, 157, 172 Eyüp kadısı 127, 167, 183, 188

D

Fatih (Istanbul) 78 Fatih (külliyesi) 39, 187 Fazil Ahmed b. Mehmed b. Ömer eûúehir b. úihâbeddîn el-Hafâcî el-Misrî el-Hanafî Siehe Hafâcî, elFazil Ahmed Paûa, Köprülüzâde 11, 43, 115, 123, 141 Fazil Mustafa Paûa 11 Fethullah Efendi, Sadreddin 156 fetva emini 33, 51, 108, 111 Feyzullah Efendi, Seyyid 81, 91, 112, 113, 124, 158, 164 Filibe 144 Filibe kadısı 116, 189 Fındık 126

Damaskus Siehe úam daniĩmend 48, 50, 51, 53, 55, 56, 57, 76, 111, 115 Dar’ül-Hadis(-i Süleymaniye) 39, 43, 55, 64, 65, 69, 72, 123, 138, 152, 165, 179 dar’üĩ-ĩifa 36, 39, 187, 188 Davud Paûa Medrese 26 divân 74, 76 Divân-ı Hümayun 73, 74, 155, 185 Diyarbakır Siehe Amid Dulkadır 72, 134, 184

E Ebubekir Efendi, b. Behram el-Dimaûkî 45 Ebubekir Efendi, Edirneli 48 Ebülhayr ùsamüddin Ahmed Efendi Siehe Taûköprüzâde Ebusaid Efendi 48, 170 Ebusuud Efendi 49, 53, 57 Ebusuud Efendi, úiranîzâde 155 Edirne 29, 32, 36, 38, 40, 41, 51, 60, 61, 65, 72, 83, 85, 94, 112, 129, 132, 134, 135, 136, 138-141, 144, 146, 151-154, 156, 161, 165, 172, 173, 176, 181, 193 Edirne kadısı 43, 64, 70, 101, 140, 162, 165, 171 Edirne Kapı (Istanbul) 20, 114 Edirne Vak’ası 35, 112 Eøridir 144 Eminiye Medrese 152 Emir Buharî Zaviye 20, 114 Emir Sultan Medrese 153 Eriwan Siehe Revân Erzincan 140

F

G Galata 29, 42, 72, 135 Gazi Hüdavendigar Medrese 153 Gelibolu 146, 175 Gemlik 153 Georgien Siehe Gürcistan Giresun 114 Girid 34, 190, 191 Gümülcine 83 Gürcistan 134, 182, 189

H Habib Bey 185 Habib Efendi, Husrev Paûa ùmamı 106, 108, 111 Hacı Bayram Medrese 56 Hafâcî, el82, 83 Hakimî Gîlânî Efendi 189 Halep 65, 77, 79, 94, 125, 134, 138, 139, 141, 145, 156, 173 Halep kadısı 106 Halil Efendi, Çaker Aøazâde 168

217

Halil Efendi, Solakzâde 179 Halvetiye 20, 32, 33, 34, 120, 164 Hamid 117 Hamid Efendi 54, 55 Han 123 Hasan Efendi 21, 23 Hasan Efendi, Beyazî b. Sinan 124, 125, 126 Hasan Efendi, Beypazarı 72 Hasan Efendi, Fazil Uzun 140, 161 Hasan Efendi, Kececiler ùmamı Damadı 52, 122 Hasan Efendi, Kirli Hanımzâde 25 Hasan Efendi, Salahî 34 Hasan Feyzî Efendi 20 Hasan Paûa 164 Haseki Sultan Medrese 71 Hatib 31, 32, 140, 148, 158, 161, 163 Hatice Sultan 119, 120 Hâtûniye Medrese 159 Heeresrichter von Anatolien Siehe Anadolu Kazaskeri Heeresrichter von Rumelien Siehe Rumeli Kazaskeri hekimbaĩı Siehe reisületıbbâ hemĩehri 124, 125, 127, 128, 129 hemĩehrilik 124, 127, 128 Heraklion Siehe Kandiye household Siehe kapı Husameddin Uûakî, el164 Hüseyin Efendi, Ahizâde 52 Hüseyin Efendi, Cinci 53, 54 Hüseyin Efendi, Hacı Tâbii Musahib Paûa 105 Hüseyin Efendi, Karaûükrullah Efendi Damadı 108 Hüseyin Efendi, úamî 31 Hüseyin Efendi, úamî b. úeyh Mehmed b. Cemaleddin 163 Hüseyin Efendi, Yekçeûm

103 Hüseyin Paûa 169 Hüseyin, úeyh 164 Husrev Paûa 108, 111, 127

I ùbradı ùbrahim 186

218

33 19, 28, 54, 119, 121,

ùbrahim Efendi, Alaiyeli 111 ùbrahim Efendi, Altıparmak 174 ùbrahim Efendi, Çavuûzâde 111 ùbrahim Efendi, Erzurumî 35 ùbrahim Efendi, Hüseyin Paûazâde 169 ùbrahim Efendi, Kâtib Kara 168 ùbrahim Efendi, Rûznâmçi 124 ùbrahim Efendi, Sanî 78 ùbrahim Efendi, Seyyid Uûakîzâde Siehe Uûakîzâde ùbrahim Efendi, Sirecizâde 78 ùbrahim Efendi, Sofyalı 35 ùbrahim Efendi, Tâcî 178 ùbrahim Efendi, Ümmi 116, 117, 118 ùbrahim Paûa, Kara 108, 111 ùbrahim Paûa, Nevûehirli 21, 44 ùdris Efendi, Cüzhan 78 ùlm ed-Din Medrese 152 Imam 31, 32, 33, 34, 47, 56, 108, 111, 114, 124, 140, 141, 148, 158, 161, 163, 164 imam-i sultânî 73 Imam des Sultans Siehe Imam:imam-i sultânî intisâb 15, 26, 69, 105, 106, 108-114, 117, 119, 120, 124, 127, 160, 162, 163, 165, 166, 170, 173, 177 Iran Siehe Safawiden(reich) ùsa Bey Medrese 153 ùsa Efendi, Reisületıbbâ 187 Iscak Paûa Medrese 153 ùshak Efendi, Kara ùbrahim Tabii 108, 111 ùshak Efendi, Kürd 137 ùsmail Asım Efendi, Çelebizâde 168 ùsmail Efendi, Kuyumcuzâde 106 ùsmail Efendi, Mümin Efendi Damadı 182 Isparta 144 Istanbul 10, 11, 13, 19, 26, 28, 29, 32, 33, 34, 36, 38, 40, 41, 42, 47, 50, 51, 54, 55, 56, 58, 60, 61, 63-66, 70, 71, 72, 74, 77-80, 83, 87, 90, 94-97, 100, 102, 109, 112, 113, 114, 116, 120, 123, 125-130, 132, 133-144, 148, 150-157, 159, 160, 161, 163, 164, 165, 167, 170-174, 176, 177, 179, 181, 182, 184, 186-190, 193, 194

ćstanbul kadısı 64, 70, 74, 76, 101, 122, 156, 165, 172, 177, 186, 188 ùvaz Paûa Medrese 153 Izmir 120, 190 ćzmir kadısı 53, 72, 120, 121, 169, 171, 187 ćzmir müftüsü 190 Izmit Siehe Iznikmid Iznikmid 72

J Siehe Kudüs

Jerusalem

K Kadiriye 20, 144 Kadriye Medrese 153 Kairo Siehe Mısır Kalemiye 12, 76, 86, 159, 165, 166-169, 172, 177, 192, 194 Kandiye 190 kapı 9, 11, 109, 110, 113, 130, 165, 169 Kara Kasım 43 Karabaø 137 Karaman 54, 134, 138, 140, 145, 161 Kasım Efendi, Kürd 88 Kasım Paûa Medrese Siehe Emir Sultan Medrese Kastamonu 122, 134, 175 Kâtib Çelebi 23 Kaukasus 125, 137, 156, 182 Kayseri 65, 145 Kazasker 32, 49, 50, 51, 57, 58, 59, 64, 66-70, 74, 76, 94, 101, 102, 103, 106, 110, 114, 115, 117, 125, 128, 148, 151, 154, 162, 169, 172, 177 Anadolu Kazaskeri 21, 53, 55, 57, 60, 64, 69, 70, 74, 102, 103, 105, 127, 129, 171, 173, 174, 186 Rumeli Kazaskeri 55, 64, 70, 105, 153, 162, 173 Kefe Kefe kadısı 35 Kefe müftüsü 35 Kelîmî Siehe Mûsa Efendi, Kefevî Seyyid Khios Siehe Sakız Kıbrıs 71, 134, 173, 175 Kızık 132, 152 Konya 33, 140, 145, 155, 161, 172

Konya kadısı 151, 175 Krankenhaus Siehe dar’üĩ-ĩifa Kreta Siehe Girid Krim 133, 134 Küçük Aya Sofya Zaviye 144 Küçük Kum 153 Kudsîzâde Efendi 171 Kudüs 140, 141, 143, 145, 160 Kudüs kadısı 123, 154, 160 Kula 21 Kurdistan 42, 119, 133, 134 Kütahya 21, 122, 134, 187

L Larissa Lefkoûe Lefkoĩe kadısı Lefkoĩe müftüsü Leibarzt des Sultans

Siehe Yeniûehir 65, 158 158 158 Siehe reisületıbbâ

M Mahmud Efendi, Beyazîzâde Damadı168, 171 Mahmud Efendi, Beyzâde 41 Mahmud Efendi, Kara Çelebizâde 48 Mahmud Efendi, Katib 111 Mahmud Efendi, Koçbaû 106 Mahmud Efendi, Nasruh Paûazâde ùmamı Zilevî 106 Mahmud Efendi, Prizrinli 88 Mahmud Efendi, Seyyid 120 Mahmud Efendi, Tireli 51 Mahmud, Seyh b. Ahmed 180 Makdisî, Ahmed el42 Mamud Mavsili 43 Manisa 32, 65, 134 Manisa kadısı 189 Männer des Schwertes Siehe Seyfiye Männer des Stiftes Siehe Kalemiye Maraû 65, 72 Mardin Mardin müftüsü 43 Marokko 149 Mazhar Efendi 25 mazul 64, 67, 70, 71 Medina 40, 55, 65, 72, 75, 136, 155, 190 Medine kadısı 101, 152, 154, 155 Mehmed Aøa 120

219

Mehmed Aøa Zaviye 164, 165 Mehmed Bedreddin Efendi 184 Mehmed Bey, Okçuzâde 167 Mehmed Çeûmi Efendi 69 Mehmed Efendi 31 Mehmed Efendi, Abdülmümin Efendizâde 178 Mehmed Efendi, Acem 55 Mehmed Efendi, Allamek 106 Mehmed Efendi, Ankaravî 174 Mehmed Efendi, Ankaravî Koca Nakîbzâde Seyyid 51, 154 Mehmed Efendi, Ankaravî Seyyid

154 Mehmed Efendi, Arikzâde 111 Mehmed Efendi, Arpacızâde Siehe Mehmed Efendi, Müminzâde Mehmed Efendi, Atazâde 27 Mehmed Efendi, Bali Efendizâde 79 Mehmed Efendi, Beûrî 53 Mehmed Efendi, Biber Biraderi Hasan Efendizâde úeyh 53 Mehmed Efendi, Bursavî Recebzâde úeyh 154 Mehmed Efendi, Çalık Damadı Hafız 114 Mehmed Efendi, Çeûmizâde b. Süleyman 173 Mehmed Efendi, Cevherîzâde 53 Mehmed Efendi, Debbaøzâde

164, 179, 180 Mehmed Efendi, Ders-i Amm Keçi 183 Mehmed Efendi, Derzizâde 55 Mehmed Efendi, Dizdarzâde 151, 152 Mehmed Efendi, Dürri b. Ali b. Gıyaseddin 184 Mehmed Efendi, Ebezâde 49 Mehmed Efendi, Ebusuudzâde 113 Mehmed Efendi, Emini 34 Mehmed Efendi, Esirî 33, 75, 156 Mehmed Efendi, Fetva Emini úeyhzâde 165 Mehmed Efendi, Hacı Velizâde Seyyid 49 Mehmed Efendi, Hacibzâde 169 Mehmed Efendi, Hammalzâde

30, 187 Mehmed Efendi, Hammamcızâde 181 Mehmed Efendi, Hanefî 137, 138

220

Mehmed Efendi, Hanımzâde 53 Mehmed Efendi, Hanlızâde 123, 124, 140 Mehmed Efendi, Hazinedâr Ali Paûa ùmamı Seyyid 106 Mehmed Efendi, Hocazâde 163

Mehmed Efendi, ùsmail Aøazâde 171 Mehmed Efendi, ùsmeti 27 Mehmed Efendi, ùsmeti 80 Mehmed Efendi, ùsmeti Hısmı 151 Mehmed Efendi, Kaba Sakal 141 Mehmed Efendi, Kasımzâde 79 Mehmed Efendi, Kızıklı 132, 152, 153 Mehmed Efendi, Kudsîzâde úeyh

152, 153 Mehmed Efendi, Kudsîzâde Tezkirecisi 106, 168, 170, 171 Mehmed Efendi, Kurd 68, 175 Mehmed Efendi, Kuyumcuzâde 179 Mehmed Efendi, Mecdî 21 Mehmed Efendi, Mirza 185, 186 Mehmed Efendi, Müezzinzâde Fikri 31 Mehmed Efendi, Müminzâde 178 Mehmed Efendi, Nedim 179 Mehmed Efendi, Neffatî úeyh 123 Mehmed Efendi, Parsa 34, 184 Mehmed Efendi, Paûmakçızâde 35, 177, 179 Mehmed Efendi, Samtî 53 Mehmed Efendi, Sarı Alizâde 26 Mehmed Efendi, úârih-i Mülteka Seyyid 141 Mehmed Efendi, Sebzi Seyyid 27 Mehmed Efendi, Sencar Müizzeddin 189 Mehmed Efendi, úeyh b. úeyh Hasan elFeyzî Siehe úeyhî Mehmed Efendi, Seyyid 91 Mehmed Efendi, Tabia el-Dimaûkî 128, 129 Mehmed Emin Efendi, Mekkî 34, 132 Mehmed Emin Efendi, Sadreddinzâde 156 Mehmed II. 36, 39, 44, 64 Mehmed III. 87, 118, 167 Mehmed IV. 19, 70, 75, 88, 112, 119, 135, 186 Mehmed Nutki Efendi, Yahya Paûazâde 167 Mehmed Paûa, Köprülü 11, 114, 123, 126, 127

Mehmed Reûid Efendi, úeyhülislam Ebusaidzâde Mahdumu 30 Mehmed Sirüddin Efendi, Sahibü'tTesanif 174 Mehmed Vanî Efendi, úeyh 112, 113 Mehmed Zeynülabidin Efendi, úiranîzâde 155 Mehmed, ùzzeti úeyh 55 Mekka 33, 40, 47, 55, 65, 83, 132, 136, 159, 172, 174, 190 Mekke kadısı 64, 70, 91, 101, 127, 138, 159, 162 Mekteb 36, 43, 44, 46, 47, 126, 149, 174 Merzifon 69, 70, 127, 128 Mevla Çelebi 54 Mevleviye 20, 32 mezhep 143 Mîr Mîrân Medrese 152 Mirza Efendi 154 Mısır 65, 77, 83, 94, 104, 113, 130, 131, 134, 139, 140, 141, 143, 155, 157, 158, 160, 173, 174, 178, 183, 190 Mısır kadısı 33, 83, 101 Moldau 136 Molla Gürani 43 Molla Nurallah 43 Molla Yegan Medrese 153 Monastır 143 Mostar 65, 115, 171 Mosul 133 Muezzin 31, 32, 161 Muhaûûi úihâb Efendi Siehe Hafâcî, elMuhibbî, Mehmed el-Amin b. Fadlallah Efendi el129, 130, 131, 143 muid 43, 50, 52, 55, 56, 111 muidlik 51, 52, 55, 60 mülâzemet 26, 34, 46, 48-58, 60, 61, 63, 66, 69, 70, 71, 80, 82, 83, 84, 102, 108, 111, 113, 120, 121, 123, 124, 127, 135, 138, 140, 151-154, 156, 158, 159, 160, 163, 164, 165, 167, 169, 171, 173, 177, 179, 183, 184, 186, 187, 189, 190, 193 mülâzim 48, 51, 52, 53, 56-60, 84, 121, 122 Münîrî Belgrâdî 35 Murad III. 13, 89, 118 Murad IV. 19, 23, 25, 54, 123, 125, 186 Murâdî, el17, 35, 39, 46, 90, 141 Muradiye (külliyesi) 51 Mûsa Efendi, Kefevî Seyyid 35

Musa Efendi, Tezkireci 115 Musahib Paûa 105 musâhibe 116, 117, 118 Mustafa Ali, Gelibolulu 47, 81, 82, 167, 175 Mustafa Efendi, Alaûehirli Nurullahzâde 31 Mustafa Efendi, Antakyalı 106 34, 141 Mustafa Efendi, Bâbî Mustafa Efendi, Balizâde 108, 162, 163 Mustafa Efendi, Baltacılar Hocası 119, 120 Mustafa Efendi, Bazarbaûızâde 181 Mustafa Efendi, Bıçakızâde 52 Mustafa Efendi, Boluvî 24, 25, 26, 27, 58, 162, 173, 174 Mustafa Efendi, Celeb 183 Mustafa Efendi, Dizdarzâde 151 Mustafa Efendi, Ebuleyamin

165 Mustafa Efendi, Eyyubî Süruri b. Hasan 157, 158 Mustafa Efendi, Hayatîzâde

188 Mustafa Efendi, Kara ùbrahim Paûa ùmamı 106 Mustafa Efendi, Kasımpaûa Ali Çavuûzâde 27 Mustafa Efendi, Kıbrısî Siehe Mustafa Efendi, Eyyubî Süruri b. Hasan Mustafa Efendi, Kilisi Damadı Hafızı 183 Mustafa Efendi, Mülakkab b. Müsliheddin 69, 70 Mustafa Efendi, Mütevellizâde 169 Mustafa Efendi, Öreke 106 Mustafa Efendi, úârih-i Mülteka Celeb 40, 77, 183, 185 Mustafa Efendi, úeyhülislam Minkarizâde Efendi Damadı 106 Mustafa Efendi, Seyrekzâde Hafızı 52, 106, 111 Mustafa Efendi, Uûakî 34 Mustafa Efendi, Üsküdarî úeyh Mahmud Efendizâde Seyyid 52, 120, 121 Mustafa II. 19, 35, 103, 112, 113, 135 Mustafa III. 74 Mustafa Paûa, Kapıdan 83 Mustafa Paûa, Köprülüzâde

191

221

Mustafa Paûa, Merzifonî Kara

11, 120, 123, 128 Mustafa Paûa, Musahib 184 Mustafa Paûa, Nakkaû 34

N Nâbulusî, Abdülganî el42 Nahcivan 137 naib 71, 81, 111, 160, 170 Nakibüleûraf 31, 32, 50, 73, 74, 106, 114, 154, 155 Nakûibendiye 20, 32, 114, 140 Nevesin 124 Nikosia Siehe Lefkoûe Niû 144 Nuh Efendi, Paûmakçızâde 177 Nûrbânû Sultan 118 Nurullah Efendi, Seyyid eû-úirvânî 189

O Ömer Efendi, Hattat 52, 108, 115 Ömer Efendi, Kaplan Paûa ùmamı 81 Ömer Efendi, Minkarizâde Efendi Tabii 139 Ömer Efendi, Sivasîzâde Efendi Hocası 111 Ömer, b. úeyh Mehmed 183 ordu kadısı 124, 191 Osman Efendi, Sarı 31, 42, 43 Osman II. 87

P Papasoølu Medrese 40 pâye 67, 72, 73, 83, 112, 127, 128, 159, 186 Plovdiv Siehe Filibe

R Ramazan Efendi, Caferzâde 174 Raziye Hatun 117, 118 reaya 148, 149, 172, 190, 192, 194 Receb Efendi, b. Mahmud 153, 154 Receb Efendi, Kaba b. Mahmud 122 reisületıbbâ 73, 158, 187, 188 Resul Bey 141 Resul Efendi, Sahhaf 115 Revân 125

222

Rhodos 83 Ruha 133 Ruhullah Efendi, Sadreddinzâde 75, 156 Rumeli 35, 40, 57, 69, 72, 83, 131, 132, 134, 136, 138, 142, 143, 144, 146, 157, 158 Rüstem Paûa 144 rüus 56, 58-63, 66, 67, 68, 70, 101, 102, 120, 162, 193

S úaban Efendi, Bosnavî b. Veliyüddin 68, 124, 125, 126 úaban Efendi, Eyyubî Müezzin 109, 115 úaban Efendi, Hafiz 52 Sadî Efendi, Uzun 58 Safawiden 125, 137, 143, 156, 186 Safawidenreich 34, 133, 134, 137, 138, 186, 189 Safiye Sultan 118 Safranbolu 53, 54 úah Melek Medrese 152 Sahn-i Seman 39, 48, 54, 55, 61, 117, 125, 184 Sakız 65, 187 Sakız kadısı 153, 191 Sâlih Efendi, Arab 51 Salih Efendi, Ders-i Amm 40 úam 29, 35, 41, 45, 46, 51, 65, 69, 72, 74, 77, 94, 104, 128, 129, 130, 134, 138141, 143, 145, 146, 155, 159, 160, 161, 163, 172 Ĩam kadısı 69, 70, 101, 129, 179, 183, 186, 189 Ĩam müftüsü 160 Sarajevo Siehe Bosnasaray Saray 40, 42, 109, 113, 116-122, 127, 135, 136, 168-171, 182-186, 189 Sayda 105 úekerpâre Kadın 120, 121 Selânik 65, 72, 83, 170, 191 Selânik kadısı 80, 83, 117 Selim II. 87, 118 Selimiye (külliyesi) Selimiye Camii 43 Selimiye Medrese 51, 71, 138 Dar’ül-Hadis(-i Selimiye) 156 úemah 156 Sencar 189

Seyfiye 12, 76, 86, 114, 142, 159, 165, 166, 168, 169, 171, 172, 179, 183, 184, 192, 194 úeyh Erdebilîzâde Zaviye 33 úeyh Mahmud, Üsküdarî 120 úeyh Mehmed 34 úeyhî 19-23, 28, 29, 33, 52, 90, 94, 164 úeyhî Çelebî Medrese 152 úeyhî Ömer 34 úeyhülislam 13, 26, 32, 33, 34, 49, 50, 52, 54-57, 59, 62, 64, 66, 74, 75, 76, 83, 91, 94, 101-106, 110, 113, 114, 115, 117, 120, 137, 138, 148, 151, 154, 159, 160, 162, 165, 168, 170, 172, 174, 177, 179, 180 Seyyid Hüseyin Erzincanî Medrese 153 Silifke 71, 175 Silistre 144 Sinan Paûa Medrese 72 Sinan, úeyh 165 Sipâhî 76, 168, 171, 183, 185 Sirâciye Medrese 152 Siroz 191 Siroz kadısı 83 úirvan 137, 156 úirvanî, Sadreddin eû156 Sivas 69, 116, 127, 134 Siyamî Efendi 116 Siyavuû Paûa Moschee 163 Skopje Siehe Üsküp Sofya 33, 139, 144 Sofya kadısı 153, 154, 189 Stiftung (fromme) Siehe vakıf Stiftungsurkunde Siehe vakfiye Süheyl Bey Medrese 186 Sühreverdi 144 Süleyman Efendi, Fazil Müfetteû 175 Süleyman Efendi, ùzmirî 190, 191 Süleyman Efendi, Valide Kethüdası ùmamı 106 Süleyman Efendi, Vanîzâde Seyyid 112, 113, 164 Süleyman Efendi, Yekçeûm Kürd 111 Süleyman I. 11, 39, 49, 79, 82, 87, 113, 136, 167 Süleyman II. 19, 88 Süleymaniye (külliyesi) 39, 44, 68, 69, 72, 156, 165, 169, 174, 183 Süleymaniye Medrese (úam) 160 Sultan Bayezid Medrese 55, 152

Šumen Siehe úumnu úumnu 69, 144 Ĩumnu kadısı 69 Sunullah Efendi, Debbaøzâde 180

T tabib (Pl. ettıbâ) 30, 31, 32, 158, 187, 188 Tabriz 137 Taûköprüzâde 22, 23, 47 Taûlık Medrese 152 Tatar Efendi, Hattat 178 Tebrîzî, úemseddîn et91 Tekirdaø 146 tezkireci 25, 50, 51, 111, 171 Thessaloniki Siehe Selânik Tire 51 Tokat 186 Tokat kadısı 153 Topkapı Sarayı Siehe Saray Trabulusûam Trabulusĩam kadısı 105, 156, 177 Trabzon 114, 126, 134, 138, 173 Tunesien 75, 92, 102, 107, 136, 164 Tunis 123, 134

U Üç úerefli Medrese 152 Ungarn 136 Urfa Siehe Ruha Uûakîzâde 22, 23, 28, 29, 33, 52, 60, 77, 122, 164, 187 Üsküdar 29, 77, 96, 132, 135, 183, 185 Üsküdar kadısı 72, 171, 177 Üsküp 34, 47, 132

V vaiz 31, 32, 35, 131, 148, 161 vakfiye 18, 37, 40, 58, 68, 126 vakıf (Pl. evkaf) 37-40, 74, 77, 101, 126, 135, 139, 162 Valide Sultan Medrese 33, 167, 170 Van 133 Vanî Efendi, úeyh Mehmed 164 Veli Efendi, Semin 72

223

W Walachei Wien

136 19, 123

Y Yahya Efendi 26, 33, 55, 122, 140, 173 Yahya Efendi, Minkarizâde

56, 163, 184 Yahya Paûa 167

224

Yedikule (Istanbul) Yeniûehir Yeniĩehir kadısı Yusuf Efendi Yusuf, Hacı

180 34, 65, 72 101 26, 173 47

Z Zeyniye 144 Zeynülabidin Efendi 77, 158, 188 Zypern 158