Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers [Reprint 2019 ed.] 311011352X, 9783110113525, 9783110846904

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Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers [Reprint 2019 ed.]
 311011352X, 9783110113525, 9783110846904

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1. KAPITEL DIE PREDIGTTHEORIE SCHLEIERMACHERS
2. KAPITEL THEOLOGISCHE EINFLÜSSE AUF DIE PREDIGT SCHLEIERMACHERS
3. KAPITEL DIE THEOLOGIE DER ERSTEN PREDIGTEN BIS 1793
4. KAPITEL DIE THEOLOGIE DER PREDIGTEN VON 1794 BIS 1796
5. KAPITEL DIE THEOLOGIE DER PREDIGTEN VON 1797 BIS 1804
SCHLUSS: DAS VERHÄLTNIS VON SCHLEIERMACHERS PREDIGTEN ZU SEINEN ROMANTISCHEN SCHRIFTEN
LITERATURVERZEICHNIS
NAMENSREGISTER
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CHRISTOPH M EI ER-D O R K E N DIE THEOLOGIE DER FRÜHEN PREDIGTEN SCHLEIERMACHERS

w DE

G

DIE THEOLOGIE DER FRÜHEN PREDIGTEN SCHLEIERMACHERS

VON

C H R I S T O P H M EI ER-D O R K E N

WALTER D E G R U Y T E R • B E R L I N • N E W Y O R K 1988

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK TÜPELMANN HERAUSGEGEBEN V O N K. ALAND, O. BAYER, W. HÄRLE, H.-P. MÜLLER U N D C. H. RATSCHOW 45. BAND

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Meier-Dörken, Christoph: Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers / von Christoph Meier-Dörken. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1988. (Theologische Bibliothek Töpelmann ; Bd. 45) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-11-011352-X NE: G T

© 1988 by Walter de Gruyter & Co., Berlin Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz: Textstudio Groß, Heidelberg Druck: Hildebrand, Berlin Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin

Für Heidrun

VORWORT Die vorliegende Arbeit ist im Januar 1986 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen worden. Sie erscheint, geringfügig geändert und durch die neueste Literatur ergänzt, in ihrer ursprünglichen Form. Zu danken habe ich in erster Linie Herrn Prof. Dr. Wilfried Härle, der mich nicht nur in fruchtbarer Weise kritisch begleitet und gefordert hat, sondern von dem ich vor allem schlicht das wissenschaftliche Arbeiten gelernt habe. Herrn Prof. Dr. Reiner Preul danke ich für die Übernahme des Korreferats. Ferner möchte ich den Herausgebern und dem Verlag für die Aufnahme meiner Abhandlung in die Theologische Bibliothek Töpelmann danken. Schließlich sei nicht nur der Hessischen Lutherstiftung für das Promotionsstipendium gedankt, ohne das ich die Arbeit nicht hätte schreiben können, sondern auch der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau für den namhaften Druckkostenzuschuß, mit dem sie die Veröffentlichung förderte. Von Beginn an hat mich meine Frau, Heidrun Dörken, in vielerlei Weise unterstützt: mit freundlichen und guten Ratschlägen, durch ermutigende Worte, und mir so über manchen Tiefpunkt hinweggeholfen. Ihr sei deshalb dieses Buch gewidmet. Lampertheim-Neuschloß im April 1988 Christoph Meier-Dörken

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort

VII

Abkürzungsverzeichnis

XI

Einleitung

1 1. Kapitel

Die Predigttheorie Schleiermachers

13

2. Kapitel Theologische Einflüsse auf die Predigt Schleier machers 1. J . J . Spalding 2. Hugh Blair 3. Joseph Fawcett

27 29 34 45

3. Kapitel Die Theologie der ersten Predigten bis 1793 1. Die Bedeutung der Religion für die Erkenntnis der sittlichen Bestimmung des Menschen 2. Der Begriff des Bösen als Schlüsselbegriff für die ethische Theorie des menschlichen Lebens 3. Das Verhältnis zur ethischen Theorie Kants 4. Zusammenfassung

63 64 87 92 99

4. Kapitel Die Theologie der Predigten von 1794 bis 1796 Einleitung 1. Die moralische Selbstverantwortung des einzelnen . . . 2. Der Glaube als die Erkenntnis der sittlichen Bestimmung des Menschen 3. Der Grund des Glaubens (Christologie)

101 101 106 117 133

X

Inhalteverzeichnis

4. Religion und Sittlichkeit. Die Bestimmung ihres Sachzusammenhangs unter dem Einfluß von Kant 5. Die Einheit von Tugend und Glückseligkeit 6. Das Verhältnis von sittlich Allgemeinem und sittlich Individuellem 7. Zusammenfassung

149 168 171 174

5. Kapitel Die Theologie der Predigten von 1797 bis 1804 1. Möglichkeit und Gestalt der moralischen Selbstverantwortung des einzelnen Exkurs: Die unterschiedliche Bedeutung der Individualität in Kants und Schleiermachers Kulturtheorie 2. Der Glaube 3. Der Grund des Glaubens (Christologie) 4. Das Verhältnis von Religion und Sittlichkeit 5. Der Begriff des Bösen und seine Implikate 6. "Individualität" als Kernbegriff des romantischen Gehaltes der Predigten 7. Zusammenfassung

177 178 191 194 215 222 230 243 254

Schluß Das Verhältnis von Schleiermachers Predigten zu seinen romantischen Schriften 1. Der Ertrag der Untersuchung der Predigten und das damit aufgeworfene Problem 1.1 Der Ertrag 1.2 Das Problem 2. Die Bildung zur Religion in den Reden, den Monologen und den Predigten 3. Ergebnis

257 257 257 260 266 275

Literaturverzeichnis

277

Register Namen Begriffe Bibelstellen

285 285 287 289

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Bauer I

J . Bauer, Ungedruckte Predigten Schleiermachers aus den Jahren 1800 bis 1828, mit Einleitungen und mit einem Anhang ungedruckter Briefe von Schleiermacher und Henriette Herz, Leipzig 1909

Bauerll

Anhang zu: J . Bauer, Schleiermacher als patriotischer Prediger, Gießen 1908, S. 306-356 (Ungedruckte Predigtentwürfe 1795-1802)

Blair IV, V

Hugo Blairs Predigten. Aus dem Englischen übersetzt. Bd. IV, Leipzig 1795; Bd. V, Leipzig 1802

HM

J . J . Spalding: Die Bestimmung des Menschen, 2. Aufl., Leipzig 1768

Br. 1,11, III, IV

Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. 1.-4. Band hrsg. v. L. Jonas und W. Dilthey, Berlin 1858-1863

Denkmale

Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers; Anhang zu: W. Dilthey, Leben Schleiermachers, 1. Bd., 1. Aufl. 1870, S. 1-145

Fawcettl,ll

Joseph Fawcetts Predigten. Übersetzt von F. Schleiermacher; Vorrede von F.S.G. Sack; 2 Theile, Berlin 1798

GMS

1. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v. d. Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. Erste Abtheilung: Werke. 4. Bd., Berlin 1903.S.385-463

Herkunft

E. Herms, Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschatten bei Schleiermacher, Gütersloh 1974

Idee

I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784). Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v. der Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. Erste Abtheilung: Werke. 8. Bd., Berlin 1912, S. 15-31

KGA 1,1

F.D.E. Schleiermachcr. Kritische Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Schriften und Entwürfe. Band 1:

XII

Abkürzungsverzeichnis Jugendschriften 1787-1796; hrsg. v. G. B e r l i n - N e w York 1983

Meckenstock,

KprV

I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v. d. Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. Erste Abtheilung: Werke. 5. Bd., Berlin 1908, S. 1163

KrV

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (2. Aufl., 1787). Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v. d. Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. Erste Abtheilung: Werke. 3. Bd., Berlin 1904, S. 1 552

LSchlr

W. Dilthey, Leben Schleiermachers, 1. Bd. ( = Ges. Sehr. XIII. Bd., 1. u. 2. Halbband). Auf Grund des Textes der 1. Aull, von 1870 und der Zusätze aus dem Nachlaß hrsg. v. M. Redeker, Göttingen 1970

Monologen

F. Schleiermacher, Monologen nebst den Vorarbeiten. Kritische Ausgabe. Mit Einleitung, Bibliographie, Index und Anmerkungen von F.M. Schiele; 2. Aufl. von H. Mulert, Leipzig 1914 (PhB 84)

NP

J.J. Spalding, Neue Predigten,3. Aufl., Berlin 1777

PB

J.J. Spalding, Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung, 3. Aufl., Berlin 1791

Pr. I, IV, VII

Heden

HGV

F. Schleiermacher, Sämmtliche Werke. II. Abtheilung: Predigten. Bd. 1,2. Aufl., Berlin 1843; Bd. IV, Berlin 1844; Bd. VII, hrsg. v. A. Sydow, Berlin 1836 F. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Hrsg. v. H.-J. Rothert, Hamburg 1958 (PhB 255) I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793). Kants gesammelte Schriften. Hrsg. v. d. Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. Erste Abtheilung: Werke. 6. Bd., Berlin 1907, S. 1-202

WG

J.J. Spalding, Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christentum, 3. Aufl., I liipzig 1769

Zimmer I

Friedrich Zimmer, Predigtentwürfe aus Friedrich Schleiermachers erster Amtstätigkeit, in: ZprTh 4, 1882, S. 281-290,369-378

Zimmer II

Friedrich Zimmer, Predigtentwürfe von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1800, Gotha 1887

EINLEITUNG Das Fehlen einer neueren Monographie über die Predigten Schleiermachers ist ein offenkundiges Defizit der gegenwärtigen Schleiermacherforschung. 1 Das ist in Bezug auf den jungen Schleiermacher umso schmerzlicher, weil die Forschung auf diesem Gebiet in den letzten zwanzig Jahren in entscheidender Weise vorangetrieben wurde.2 Dabei entstand auf der Basis einer beeindruckenden Materialfülle 3 , jedoch unter weitgehender Ausklammerung bzw. Nichtberücksichtigung der Predigten 4 , ein im einzelnen zwar noch umstrittenes, im ganzen jedoch einheitliches Bild von der ersten Epoche der wissenschaftlichen Lebensarbeit Schleiermachers. 5 Trotzdem gibt es eine Interpretationsgeschichte der Predigten Schleiermachers. Wenn ich recht sehe, ist es in diesem Jahrhundert kein Geringerer als Karl Barth gewesen, der als erster den Hinweis auf die mögliche Fruchtbarkeit des systematisch-theologischen Studiums der Predigten Schleiermachers gab und ihm

1

Deshalb konnte W. Trillhaas noch 1975 die Neuauflage seiner 1933 zuerst erschienenen Arbeit "Schleiermachers Predigt und das homiletische Problem" (der Titel der 2. Auflage wurde gekürzt zu "Schleiermachers Predigt") so rechtfertigen: "Diese Neuausgabe scheint mir rein äußerlich dadurch gerechtfertigt zu sein, daß seit dem ersten Erscheinen keine weitere Monographie über das Predigtwerk Schleiermachers erschienen ist. Dieses Predigtwerk macht ein Drittel seiner literarischen Hinterlassenschaft aus. Aber noch immer stehen die Predigten Schleiermachers offenkundig im Schatten des Interesses der Schleiermacherforschung. Sie werden nur von Fall zu Fall beobachtet, einzelne derselben dienen immer wieder als Kronzeugen der Forschung". * Vgl. vor allem die Arbeiten von P. Seifert (1960), F. Hertel (1965), E. Quapp (1972), F. Weber (1973), E. Herms (1974) und K. Nowak (1986). 3 Vgl. z.B. die Arbeit von Quapp. 4 Von den unter Anmerkung 2 genannten Arbeiten berücksichtigen die Predigten kurz Seifert und Herms; ausführlicher Quapp; die beiden zuletzt genannten Autoren allerdings nur die Predigten bis 1796. 5 Besonders gelungen erscheint die Zeichnung dieses Bildes m.E. in der Arbeit von Herms.

2

Einleitung

auch selbst nachging.6 Mit Recht wies Barth darauf hin, daß die Predigt im theologischen Selbstverständnis bereits des jungen Schleiermacher zentral ist.7 Dieser hat sich der Predigtaufgabe nicht nur aus Pflichtbewußtsein gestellt, sondern ist ihr mit ständig wachsender Begeisterung nachgekommen8 und hat gerade mit seinen Predigten eine Kontinuität an literarischer Produktion erreicht, die sich ansonsten für ihn nicht nachweisen läßt.9 6

7 8

a

Barth hat in seiner 1923/4 in Göttingen gehaltenen Vorlesung über "Die Theologie Schleiermachers" dessen Predigten zugrundegelegt (jetzt in: K. Barth, Die Theologie Schleiermachers. Vorlesung Göttingen 1923/4; Karl Barth Gesamtausgabe II. Akademische Werke 1923/4, hrsg. von D. Ritsehl, Zürich 1978) und sein Verfahren gegen E. Brunner mit dem Argument verteidigt, daß man in den Predigten dem "religiös-theologischen Lebenszentrum" und dem "unmittelbaren Erguß" der "christlichen Persönlichkeit" Schleiermachers begegne (Barths Rezension von Brunners Schleiermacherbuch, in: ZdZ 1924,2. Jg., H. 8, S. 53). K. Barth, Die Theologie Schleiermachers S. 1 Ol'.; vgl. ders., Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 2. Aufl., 1952, S. 383f. Vgl. Br. I, S. 135f. (Schleiermacher an seinen Vater 1794): "Ich mache keinen Anspruch darauf diesen Zulauf zu behalten, der vielleicht noch einige Wochen lang Mode sein und dann wie jede Mode aufhören wird; aber ich wünsche von Herzen, daß Gott meine Vorträge dahin segnen möge, daß sie wirkliche Erbauung stiften und so zu Herzen gehen mögen, wie sie hoffentlich immer von Herzen kommen werden. Wie wichtig und rührend es mir ist, nun unter die Zahl derjenigen zu gehören, denen ein so wichtiges Amt anvertraut ist, und daß ich es nicht handwerksmäßig als mein Brod ansehe, noch jemals so zu behandeln denke, davon schweige ich gegen Sie". Daß sich Schleiermacher mit dem Gedanken getragen hat, zuerst mit einem Predigtband an die literarische Öffentlichkeit zu treten, beweist der Brief Stubenrauchs vom 01.02.1795, in dem es heißt 21

23

BMS. 11. BMS. 15. BMS.43. BM S. 75. W G . 130; NP S. 12,37. Spalding kann verkürzt von "unordentlichen Neigungen" sprechen (WG S. 138; vgl. NP S. 66). Das bedeutet: Den "Neigungen,... die der Schöpfer selbst in uns geleget hat, und die, an und für sich, auf einen guten Zweck gehen", soll ausdrücklich stattgegeben werden (NP S. 68). Auch die "Lehre J e s u " fordert von uns nur dann die "Zerstörung" der Neigungen (NP S. 70), wenn sie sich selbst in Gegensatz zu der auf Glückseligkeit zielenden Bestimmung unseres Wesens bringen (NP S. 71), d.h., wenn sie einen solchen Charakter annehmen, daß sie die "innerliche Ordnung der Gesinnungen" und der "RechtschafTenheit", ohne die "keine Zufriedenheit und Glückseligkeit" möglich ist, umkehren (NP S. 78). WGS. 140u.ö. WG S. 140, 142. Diesen "Weg" der Wesenserkenntnis über die Selbsterkenntnis ist Spalding beispielhaft in seiner Erstlingsschrift BM gegangen.

32

Theologische Einflüsse auf die Predigt Schleiermachers

Das bedeutet weiter, daß die auf dem Weg der psychologischen (Selbst-)Analyse sich einstellende Erkenntnis der Fremdbestimmtheit der empirischen Existenz gegenüber dem Wesen den notwendigen und den hinreichenden 24 Ermöglichungsgrund für die Befreiung von eben dieser Fremdbestimmtheit und für die Verwirklichung des Wesens bildet. Freilich weiß sich Spalding keinen Aufschluß zu geben über Ursache und Ursprung der Verkehrung der inneren Ordnung, und weist die Frage danach, als die menschliche Erkenntnismöglichkeiten überschreitend, zurück 25 - mit Recht, denn innerhalb der empirischen Psychologie, die Spalding ja als Ausgangspunkt und Grundlage seiner Erkenntnistheorie gewählt hatte, ist darüber nichts auszumachen. So bleibt es bei der Konstatierung der "doppelte(n)" Natur im Menschen, wobei diesem die Entscheidung für "das Bessere in unserer Natur" und damit die Auflösung des Problems als notwendig und möglich anheimgestellt wird26. Nur am Rande läßt die Bemerkung Spaldings von der "freywilligen Unterordnung meines Herzens und meines Verhaltens" die Vermutung zu, daß auch Spalding den Grund der Verkehrung der inneren Ordnung in der Freiheit des Menschen gesucht hat 27 . 2. Die Verwirklichung des Wesens der menschlichen Natur auf dem Wege der (Selbst-) Erkenntnis dieses Wesens mit Hilfe der empirischen Psychologie ist bei Spalding gleichbedeutend mit der 24

Spalding hat offensichtlich nicht mit einem nachhaltigen Widerstand des Willens gegen die Erkenntnis gerechnet. 25 N P S . 8 5 . 26 NPS.71f. 27 NP S. 46. Die "Berührungen J . J . Spaldings mit I. Kant in der Passung seines Religionsbegriffs" fallen deshalb doch noch spärlicher aus, als es K. Beckmann wahrscheinlich machen möchte. Man muß dem Verfasser zustimmen, wenn er feststellt, daß weder eine Bekanntschaft Spaldings mit den Schriften Kants noch das Umgekehrte nachweisbar oder auch nur mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist (S. 9f.). Aufgrund unserer Darstellung kann man jedoch dem Urteil Beckmanns nur bedingt zustimmen: "Spalding wie Kant sehen das Böse als die Umkehr der moralischen Ordnung; d.h. als den Zustand im Menschen, da die selbstischen Motive über das Sittengesetz triumphieren. Den Grund des Bösen finden sie beide in der Freiheit" (S. 39f.). In der Erkenntnis der Freiheit als dem Ermöglichungsgrund des Bösen liegt vielmehr die originäre Leistung Kants in seiner Religionsschrift, die von uns als sachlich notwendige und richtige Ergänzung der transzendentalen Freiheitslehre in der philosophischen Ethik verstanden wird. Diese Arbeit behandelt u.a. die Stellung der Predigt Schleiermachers zu dem solchermaßen vertieften transzendentalen Freiheitsbegriff des späten Kant (vgl. diese Arbeit S. 92).

J . J . Spalding

33

"Bestimmung des Menschen" zu Tugend und Glückseligkeit. Programmatisch führt ihn der Weg der Selbsterkenntnis in seiner Erstlingsschrift von der "Sinnlichkeit" über die "Vergnügen des Geistes"28 zur Tugend als einen ersten Höhepunkt der Bestimmung des eigenen Wesens. Doch wird Tugend sogleich definiert als Glückseligkeit an der Glückseligkeit anderer bzw. als moralische Glückseligkeit29. Von dieser inneren Ordnung ("so bin ich doch innerlich glücklich, weil ich rechtschaffen bin"30) wird dann auf die Existenz einer, die ganze Erscheinungswelt umfassenden und sie bestimmenden, auf die Vereinigung der Einzelseele mit Gott als ihrem Grund hinzielenden, somit Unsterblichkeit des Ich notwendig miteinschließenden Ordnung geschlossen31. Unsterblichkeit des Ich ist deshalb mit eingeschlossen, weil sie die Voraussetzung für die Verwirklichung der Bestimmung des Wesens, für die Vollkommenheit der menschlichen Natur bildet; wahre, ewige Glückseligkeit ist nur in der unmittelbaren Vereinigung mit Gott möglich, in dessen Wille nichts anderes als eben diese wahre und ewige Glückseligkeit des Menschen beschlossen ist32. Davon wird der Mensch letztlich überzeugt durch sein religiöses Gefühl, das zusammen mit dem sinnlichen und moralischen die auf die psychologische Herkunft dieser anthropologischen Theorie verweisende Trias der dem menschlichen Wesen entsprechenden Gefühle bildet33. In seinen späteren Schriften ist Spalding nicht müde geworden, immer wieder zwei Dinge zu wiederholen: erstens die Entdeckung von Religion auf dem Weg der Erkenntnis der Bestimmung des Wesens des Menschen (= der Weg der Selbsterkenntnis), und zweitens die Notwendigkeit der Religion für die Verwirklichung der so erkannten Wesensbestimmung (die wahre und ewige Glückseligkeit des Menschen). Das aber hat den für Spaldings Theologie im ganzen fundamentalen Sachverhalt zur Folge, daß die Thematisierung von Religion nur möglich ist unter den anthropologischen LeitbegrifTen von RechtschafTenheit und Glückseligkeit, die sich wiederum der in der "Bestimmung des Men28

BM S. 13. Gemeint sind Naturempfindung (BM S. 14), Kunstsinn 28 Pr. VII, 327,4-6.

Glaube als Erkenntnis der sittlichen Bestimmung

133

sprünglichen, wenn auch unterdrückten sittlichen Anlage im Menschen selbst 129 . Dieser Anspruch ergibt sich ohne diese Voraussetzung offenbar nicht aus dem Glauben selbst. Wie es die Qualität im Wesen des Menschen gab und gibt, die sich der sittlichen Bildung widersetzt (seine sinnliche Natur), so muß es auch die andere Qualität geben, an die der Glaube für das Werk seiner sittlichen Bildung positiv anknüpfen kann. Schleiermacher redet daher von der Aufgabe, den "Sinn für das Gute zu wekken", ihn nicht zu "verlieren", sondern zu "erhalten" 130 ; und er spricht davon, daß die aus der Erfahrung sich ergebenden Zweifel letztlich nicht so stark sein können, die Überzeugung des Glaubens umzustoßen, daß "das Gesez des Höchsten allen Menschen ins Herz geschrieben ist"131. 3. DER GRUND DES GLAUBENS (CHRISTOLOGIE) Der Glaube ist Herzensangelegenheit und innerste Überzeugung, aber er verdankt sich nicht dem eigenen Herzen und der eigenen Vernunft, sondern "den heilsamen Unterweisungen der Lehre Jesu" 132 . Die Frömmigkeit setzt die sittliche Bestimmung in ihr höheres Recht beim Menschen ein; dazu kann sie zwar anknüpfen an die sittliche Anlage im Menschen als eine natürliche Gegebenheit, begegnet aber gleichzeitig - ebenfalls als natürliche Gegebenheit - der Übermächtigkeit der Sinnlichkeit.Will sie diesem natürlichen Widerspruch standhalten und ihn sogar überwinden, muß sie zumindest auf das einmalige Aufgehriibensein des Widerspruchs zwischen sittlichem Bewußtsein und sinnlicher Natur als eine Möglichkeit des Menschen selbst verweisen. Indem der Glaube Christus verkündet, erinnert er sich an den Ort seines Ursprungs. Diese geschichtliche Erinnerung ist notwendig um der sittlichen Macht des Glaubens willen. Freilich ist die Tatsächlichkeit einer rein auf die Pflicht gegründeten Gesinnung und Hand-

12a

"Muß es mir nicht ein angenehmes Geschäft sein ..., indem ich immer aufs neue zeige, wie tief dennoch das Gefühl für Recht und Pflicht in den Menschen gelegt und in all sein Thun und Denken verwebt sei, so Vertrauen auf Gott und Anhänglichkeit an das gute zu beleben?" (Pr. VII, 374,11,15-18). 130 Pr. VII, 373,14,19,21. 131 Pr. VII, 374,10. !32 Pr. VII, 208,11 f., 20-24; vgl. Pr. VII, 209,13-16.

134

Theologie der Predigten von 1794 bis 1796

lungsweise ebenfalls schon Verkündigung 133 ; aber "warum wollten wir uns denn schämen noch eine höhere Ursach anzugeben, deren erste Leitung wir doch nothwendig wahrnehmen müssen"134? Die Möglichkeit einer rein auf die Pflicht gegründeten Gesinnung ist gerade auch für den um eine moralische Lebensführung besorgten, jedoch die Wahrheit der Religion nicht anerkennenden Menschen nur ein "unerklärliches Räthsel" 135 . Gerade für diesen Menschen besteht die Notwendigkeit, die Existenz einer "höheren Ursach" für sein sittliches Bewußtsein anzunehmen. Die "Quelle alles guten" ist "der Geist des Vertrauens auf Gott"136. Die aufgrund der sittlichen Anlage im Menschen gegebene Möglichkeit der Entwicklung einer auf das Pflichtbewußtsein gegründeten Gesinnung trifft im Glauben an Jesus Christus, in dessen Person diese Gesinnung Wirklichkeit geworden ist, zusammen mit der Absicht des sittlichen Wollens, also mit der Frömmigkeit. Die geschichtliche Erinnerung an die Person Jesu Christi 137 ( = die geschichtliche Dimension des Glaubens selbst) ist der Grund, der "Ursprung" oder jene "höhere Ursach" des Glaubens an den von der Religion behaupteten "göttlichen Beistand" zur Entwicklung einer auf das Pflichtbewußtsein gegründeten Gesinnung des Menschen. "Jeder muß es eingestehen, daß der Tod Jesu unsern Glauben mehrt und unerschütterlich macht" 138 . Hieraus leitet sich der "große(..) Einfluß" ab, den nach

133

Pr. VII, 209, 26-29: "Wenn aber die Menschen auch nicht fragen nach dem Grund unserer Ueberzeugungen und Gefühle, so sehen sie doch auf unsere Gesinnungen und Handlungsweisen, und das giebt uns die schönste Gelegenheit den Tod Jesu zu verkündigen." 13 < Pr. VII, 210,20 22. 135 Pr. VII, 210,8. Pr. VII, 210, 29; Pr. VII, 211, lf.; vgl. Pr. VII, 210, 22-29: "Was erzieht denn unsere Vernunft und unser Gefühl für Pflicht und Recht? Wodurch werden unsere Neigungen unter dasselbe gebändigt? Wodurch wird ihm sein fortdauernder Einfluß auf unser inneres gesichert, daß wir lernen rein sein und das böse meiden? Hier müssen wir dankbar der Lehre Jesu huldigen mit ihren erhabenen Grundsäzen, mit ihren strengen Geboten, mit ihrem herrlichen Trost." 137 Pr. VII, 212, 2f.: "Wir sehen ihn an als den sterbenden Freund und Lehrer 13

*> Pr. VII, 211, 24f. Vgl. H. Bleek, Die Grundlagen der Christologie Schleiermachers, S. 63: Eine "tiefere Bedeutung für uns" erlangt Christus angesichts der von

Grund des Glaubens

135

Schleiermacher der Tod Jesu für den "Gang des ganzen Menschengeschlechtes" gehabt hat139. Warum kommt gerade dem Tode Jesu diese besondere Bedeutung zu, von der aus Schleiermacher in seiner Landsberger Antrittspredigt 140 die Pflicht zur Verkündigung des Todes Jesu ableitet? Erstens zeigt uns der Tod Jesu, daß er auch in der Stunde der größten Not der von ihm uns aufgegebenen und selbst in Anspruch genommenen Gesinnung treu geblieben ist. Das "Leiden Christi" geschah also in sittlich bildender Absicht141. Christus hat damit, daß er mit dieser Gesinnung selbst in den Tod gegangen ist, ein Grundbedürfnis jedes sittlichen Menschen erfüllt, nämlich in einem Menschen die Wirklichkeit einer rein auf das Pflichtbewußtsein gegründeten Gesinnung anschauen zu können 142 . Zweitens war es notwendig, daß Christus starb, damit sich seine Verkündigung vom Reiche Gottes über den unmittelbaren Kreis derer, denen er begegnete, über die ganze Welt hinaus verbreiten konnte. Der Tod Christi erfüllte also die notwendige Bedingung dafür, daß der Glaube an ihn und seine Lehre allgemein werden konnte143. Drittens geschah sein Leiden und sein Sterben pro nobis, für unser Heil, weil seine "letzten Bitten" unzweifelhaft uns galten Schleiermacher im Hinblick auf das sittliche Handeln des Menschen konstatierten Diskrepanz zwischen Wissen und Tun. Er wird für uns zum "Urheber eines bessern Sinns, nämlich des Geistes 'des Vertrauens auf Gott, der allgemeinen Liebe, der Wachsamkeit über sich selbst"'. '33 Pr. VII, 206, 23f.; Pr. VII, 211, 14: "einen großen der ganzen Menschheit wichtigen Zwekk"; Pr. VII, 211, 15f.: "der größte Einfluß auf die Errettung und Beglükkung des Menschengeschlechts"; vgl. Pr. VII, 206, 29: "Dankbarkeit für den heilbringenden Tod Jesu Christi"; Zimmer I, S. 283: "Betrachtung, daß das (sc. was Christus getan hat) zum Besten des Menschengeschlechts geschehen" ist. uo p r v i l , S. 205-217: "Daß wir aus Dankbarkeit gegen Jesum seinen Tod zu verkündigen haben". 141 Pr. VII, 211, 26-28: Der Tod Christi "zeigt, wie groß in Christo die Ueberzeugung von den heiligen Wahrheiten war, die er mit seinem Tode versiegelte"; Pr. VII, 212, 4-6: "dessen lezte (...) Ermahnungen und Vorschriften wir uns um desto williger unterwerfen, weil er sie selbst mit der größten Beharrlichkeit bis zum Tode am Kreuz ausübte". 142 Deshalb hat der Tod Jesu den sittlichen Glauben an die Menschheit stärken können, vgl. Pr. VII, 211,28-30; Pr. VI1,212,7-10. 143 Pr. VII, 211, 30 - 212, 2: "Denn wir denken ihn uns als das Saamenkorn, welches ausgesaet werden und ersterben mußte, damit durch seinen Tod eine große reiche von Gott gesegnete Ernte hervorginge, durch welches

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Theologie der Predigten von 1794 bis 1796

(Schleiermacher denkt offenbar an die Abschiedsreden im Johannesevangelium). Christi Tod besitzt also Heilsbedeutung144. Viertens: Weil wir uns Christus als Gesandten Gottes vorzustellen haben (Er hatte den Auftrag, "uns alle unsere Verhältnisse gegen Gott...einsehn und fühlen (zu) lehren" 145 ; und er hat uns diese dargestellt nicht nur durch seine Lehre, sondern auch durch seine Person.), können wir seinen Tod nur als gottgewollt begreifen, und nicht als ein die Erfüllung seines Auftrags unterbrechendes und vernichtendes Ereignis, d.h. "sein Tod ist also das sicherste Zeichen von der gänzlichen Vollendung dieser Belehrung" 146 . D.h. der Tod Christi eröffnet uns die eschatologische Dimension der Geschichte. Weil Christus alle Menschen grundsätzlich über ihr Gottesverhältnis belehrt, in ihnen Vertrauen zu Gott geweckt und ihnen dadurch Gott nahe gebracht hat, deshalb kann sowohl die sittliche Bildung des einzelnen als auch die sittliche Weiterentwicklung der menschlichen Gattung überhaupt als die notwendige Folge dieser ein für allemal in Christus bereits geschehenen Versöhnung des Menschen mit Gott begriffen werden. Die Verkündigung des Todes Jesu stellt den Zusammenhang her zwischen der in Christus zum geschichtlichen Ereignis gewordenen Versöhnung aller Menschen mit Gott und der Gültigkeit dieser Versöhnung für jeden einzelnen heute. Die Objektivität der Wahrheit zwingt zu ihrer Verkündigung. "Dies gilt allen; dies laßt uns vor der ganzen Welt bekennen!" 147 Deshalb ist die Verkündigung des Todes Jesu "der wahrste und einzige Ausdruck unallein auch wir jezt eingewurzelt sind und grünen und reifen in dem Boden des Reiches Gottes." 144 Pr. VII, 212, 2-4: "Wir sehen ihn an als den sterbenden Freund und Lehrer, dessen lezte Bitten uns desto heiliger sind, weil sie um unsertwillen die lezten waren". Vgl. die vorhergehende Anmerkung; Zimmer I, S. 284: Christus ist "Lehrer und Retter der Menschen"; Pr. VII, 375,1-4: "Indem ich euch erinnere, daß Christus für euch in die Welt gekommen und gestorben ist, daß er euch Brüder nennt und euch ein Leben verheißen hat da wo er ist, soll ich euch zum Gefühl eurer ganzen Würde als Christen erheben." p r . VII, 212,1 lf.; vgl. Pr. VII, 325,21f.; Zimmer I, S. 287. 146 p r . VII, 212,12f. - Vgl. H. Bleek, Die Grundlagen der Christologie Schleiermachers, S. 58: Der Tod Jesu wird von Schleiermacher als "vollendende(r) Bestandteil" seines Lebens verstanden. Jesus hat ihn "durch die Treue gegen seinen Lebensberuf" zur eigenen "That" gemacht. 147 Pr. VII, 212,15f.; vgl. Zimmer I, S. 284: "Betrachtung, daß, da so vieles zur Beruhigung und Besserung der Menschen geschehen, wir uns das auch zu Nutze machen müssen".

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serer Dankbarkeit gegen ihn"148, weil der einzelne sich damit zu 148

Pr. VII, 212, 21f. - Diese Aussagen beweisen das Unsachgemäße der Interpretation von F. Melzer (Christus in der Predigt Schleiermachers, in: ThStKr 104, 1932). Danach wäre in Schleiermachers frühen Karfreitagspredigten die "Anknüpfung ... an den Tod ... nur sehr äußerlicher Art. Der Grundgedanke könnte ebensogut bloß an die Lehre Jesu oder an den Eindruck seines Lebens geknüpft werden" (S. 75). Schleiermacher "bringt Eindrücke, Empßndungen und Nutzanwendungen; Christus selbst ist nur Ausgangspunkt, dessen Notwendigkeit wir nicht einzusehen vermögen"(S. 78). Demgegenüber hat schon E. Hirsch herausgehoben, daß für Schleiermacher der Tod Jesu die notwendige Folge seines Lebenswerks ist, worin in hervorragender Weise der Sinn dieses Lebenswerks zum Ausdruck kommt. "Jesus war ihm der Lehrer rechter Lebensführung nicht nur durch sein Wort, sondern durch seine ganze lebendige Menschlichkeit und war für seine Sache gestorben" (Geschichte der neuern ev. Theologie, Bd. IV, S. 497). Wenn Schleiermacher in einem Predigtentwurf in der für ihn charakteristischen Weise formuliert: die "Dankbarkeit", die uns bei der "Feier des Gedächtnisses Jesu ... erfüllt, ... entsteht a. durch die Erinnerung an das, was Christus gethan b. durch die Betrachtung, dass das zum Besten des Menschengeschlechts geschehen" (Zimmer I, S. 283), dann hat zweifellos W. Sommer mit seiner Interpretation recht, daß sich Schleiermachers "Interesse auf die lebendige Kraft und Wirkung Christi gegenüber den Menschen und nicht auf dogmatische Erwägungen über sein Versöhnungswerk gegenüber Gott" richte (Schleiermacher und Novalis, S. 74). Im gleichen Sinn hat schon Dilthey richtig geurteilt, daß "Schleiermachers Verhältnis zu Christus" sich an die theologiegeschichtliche "Kette" anschließt, "die das tiefst Lebendige, das psychologisch Wirksamste im Verkehr der Seele mit Jesus umfasst" (LSchlr 1,1, S. 151). "Das psychologische Verhältnis des sittlich ausgestatteten Menschen zu dem vorbildlichen Leben und Tode Christi ist der Kernpunkt alles spezifisch Christlichen in diesen Predigten" (LSchlr I, 1, S. 153). In diesem Christusverständnis wirken Herrnhut und Kant zusammen (ebd.). Ähnlich ist Bleeks Beurteilung der Christusverkündigung Schleiermachers in seinen frühen Predigten (a.a.O., S. 49ff.). Nun ist in der Interpretation Karl Barths aus der psychologischen Beschreibung des Christ-Christus Verhältnisses eine "ethischpsychologische Selbstbetrachtung des Menschen unter dem Gesichtspunkt des Kreuzes Christi" geworden (Die Theologie Schleiermachers, S. 145), die er in nur wenig veränderter Form auch in den frühen Weihnachtspredigten Schleiermachers wiederfindet (ebd. S. 98ff.), so daß er sowohl für die Weihnachts- als auch für die Osterbotschaft selbst eine charakteristische "Leerheit der Mitte" konstatiert (ebd. S. 103). Dabei liegt der Interpretation Barths eine bestimmte Annahme zugrunde, daß nämlich Schleiermachers Predigttheologie insgesamt als eine "Ellipse" mit zwei Brennpunkten, Christus und "der unter dem Problem der Ethik gesehene Mensch", korrekt beschrieben werden kann. Die "Gerade" zwischen beiden Punkten symbolisiert die "Gemeinde" als die "Möglichkeit einer immer größeren Annäherung zwischen Christus und Mensch, mit dem Ausblick auf ein völliges Zu-

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seinem Glauben an die Möglichkeit ein der sittlichen Bestimmung gemäßes Leben zu führen als die in Jesus Christus Wirklichkeit gewordene Gesinnung und Handlungsweise bekennt. sammenfallen und Einswerden Beider, womit dann in der Tat aus der Ellipse ein Kreis würde" (ebd. S. 95; vgl. S. 33). Dieses Bild Barths impliziert m.E., Christus und den glaubenden Menschen als zwei artgleiche Größen anzusehen, über deren Nähe oder Distanz zueinander allenfalls zu streiten wäre. Einheit oder unendlicher Abstand wären die möglichen Extrempositionen in diesem Streit. Nun soll nicht bestritten werden, daß insbesondere die Auffassung von Christus als Vorbild in den frühen Predigten Schleiermachers eine solche Interpretation nahelegt; umgekehrt halte ich es aber für offensichtlich, daß im Gegenüber von der in Christus erschienenen Wirklichkeit der Einheit von sittlichem Bewußtsein und sinnlicher Natur und des allein darin begründeten Glaubens des Menschen, daß diese Einheit für ihn selbst möglich sei, - für Schleiermacher eine grundsätzliche und nicht nur graduelle Unterscheidung zwischen Christ und Christus getroffen ist. Demgegenüber bleibt Seiferts These von dem sich in den Predigten der 90iger Jahre allmählich vollziehenden Prozeß der "Vergrößerung des Abstands zwischen Christ und Christus" (Die Theologie des jungen Schleiermacher, S. 120f.; wiederholt von Sommer, a.a.O., S. 68) in den Bahnen der von Barth stammenden Interpretation befangen. Die Gründung des Glaubens an die Möglichkeit eines der sittlichen Bestimmung gemäßen menschlichen Lebens in Christus, in dem dieses Leben geschichtliche Wirklichkeit geworden ist, widerspricht nicht (wie jede "Vorbild-Christologie") der "Autonomie des sittlichen Bewußtseins", auf der Schleiermacher nach Dilthey beharrt (LSchlr I, 1, S. 153), aber damit erledigt sich nicht die Bedeutung der christlichen Religion, insbesondere der Verkündigung des Todes Jesu für die Sittlichkeit! "Da alle unmittelbare religiöse Gesetzgebung über das sittliche Leben verneint wird, und die gewöhnliche Willensbestimmung durch die jenseitigen Dinge fortfällt, erklärt Schleiermacher sich wider jede Vermischung von Religion und Sittlichkeit. Aber die Bedeutung religiösen Sinns für Bildung und Vertiefung höherer Sittlichkeit im Menschen wird nahezu in jeder Predigt von ihm dem Leser eindringlich gemacht" (E. Hirsch, Geschichte der neuern ev. Theologie, Bd. IV, S. 499). In einem Predigtentwurf aus dem J a h r e 1802 (Bauer I, S. 87) hat Schleiermacher über das Gebiet der Sittlichkeit hinaus in dem Ereignis der "Geburt Christi" und ihrer die Erkenntnis des Glaubens leitenden Funktion als "Symbol für alle göttlichen Wohltaten und Fügungen" den Grund der Möglichkeit für die Erschlossenheit der Bedeutung von Geschichte überhaupt, einschließlich des geschichtlichen Ereignisses der Sendung Christi selbst gesehen. So konnten "seine Lehren" nur deshalb "Raum gewinnen", weil "die Zeit erfüllt" war, d.h. die Bedingungen ihrer Annahme geschaffen waren. Christus selbst trug das für alle geschichtliche Wirklichkeit charakteristische Merkmal an sich, "eine vorübergehende Begebenheit" zu sein. Und ihm standen keine die Bedingungen geschichtlichen Handelns selbst transzendierende Handlungsmöglichkeiten zu.

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Welche Bedeutung schreibt Schleiermacher der Auferstehung Jesu Christi für den Glauben zu? Hängen der Eindruck von der "ausserordentlichen Kraft" Christi und das Gefühl, "dass darin etwas übermenschliches ist" 149 , etwa gerade an dem Auferstehungsereignis? Lenkt andererseits der wunderbare Charakter des Auferstehungsereignisses nicht von dem "geistigen Sinn" 150 des Christentums, d.h. von dem wesentlich moralischen Charakter seiner Wahrheit ab? Daß die Auferstehung des Körpers 151 Jesu in der christlichen Kirche auch heute noch gelehrt und verkündigt wird, ist notwendig aufgrund des unendlichen Trostes und Beistands, den diese Lehre den in ihrem Glauben Angefochtenen gewährt. Das war ihr historischer Sinn, und das ist ihr gegenwärtiger Sinn 152 . Eine Bemerkung aus einem Predigtentwurf des Jahres 1795153 deutet darauf hin, daß Schleiermacher die Auferstehung wie den Tod Jesu Christi als geschichtliche Ereignisse auch deshalb als für die frühchristliche Verkündigung notwendig empfunden hat, weil durch sie zusammengenommen jedenfalls allen nationalreligiösen Hoffnungen im Kreise seiner Anhänger ein Ende bereitet worden ist. Ein weiterer Entwurf zu einer Osterpredigt im Jahre 1796 zeigt uns, daß Schleiermacher der Auferstehung nicht eine dem Tode Jesu vergleichbare soteriologische und eschatologische Bedeutung zugemessen hat 154 . Die Auferstehung Jesu wird dort verstanden als "wunderbare Beförderung des Werkes Jesu", welches jedoch bereits aus sich selbst (aufgrund seiner moralischen Qualität) beweist, daß ihm "das Wohlgefallen Gottes" 155 gilt. Die Heilsbedeutung des "Werkes Jesu" steht für i « Zimmer I,S. 284. 15« Zimmer I.S. 283. 151 Pr. VII, 218, 14f. An der Tatsache des ewigen Lebens der menschlichen Seele gibt es für Schleiermacher ganz unabhängig von der Auferstehung Jesu Christi überhaupt keinen Zweifel (vgl. Pr. VII, 218,8-13). I5ü p r v i l , 218, 18 - 219, 5: "Diese Veranstaltung war nothwendig für sie (sc. die Jünger), denn ihre Gedanken von den Absichten Jesu, von dem sie hofften, er sollte das Reich Israel wieder aufrichten, waren durch den Erfolg widerlegt, und ihr Glaube an ihn war ganz dahin; und sie ist wichtig für uns, denn sie ist noch immer für die schwachen, denen die innere Würde der Religion Jesu noch nicht genug ist um von ihrer Göttlichkeit überzeugt zu sein, der augenscheinlichste Beweis". Vgl. Zimmer I, S. 372: Auferstehung "als Mittel, dessen sich Gott bedient, um das stockende Werk wieder in Gang zu bringen". 15:i Bauer I, S. 104: "Auferstehung als Begebenheit" und "Tod und Auferstehung Jesu als begreifliche nothwendige Theile seines Plans".

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Schleiermacher unabhängig von der Geschichtlichkeit des Auferstehungsereignisses fest. Sie leitet sich auch nicht vom Tode am Kreuz ab. Also ist auch die kirchliche Verkündigung nicht abhängig von dem Nachweis der Heilsbedeutung beider Ereignisse. Umgekehrt prüft Schleiermacher ihre Relevanz für die kirchliche Verkündigung an dem Kriterium, ob sie dem angefochtenen Glauben an die in Jesus Christus wirklich gewordene, auf das Pflichtbewußtsein gegründete Gesinnung als eine menschliche Möglichkeit Trost und Beistand gewähren. Die Ursprungsgeschichte des christlichen Glaubens ist nicht konstitutiv für die Annahme des Glaubens selbst, etwa als ein vom Glaubenden zu leistendes Werk; aber der Glaube verzichtet nicht darauf, in der Geschichte überhaupt und so auch in der Geschichte Jesu Christi positive Anhaltspunkte zu finden, die seine eigene Möglichkeit als Glaube an die sittliche Bestimmung des Menschen plausibel machen. Diese Funktion als positive Anhaltspunkte erfüllen beide Ereignisse, die Auferstehung jedoch in geringerem Maße als der Tod Jesu 156 . Es scheint, daß Schleiermacher die Ereignisse von Auferstehung und Himmelfahrt Christi u.a. als anschauliche Beispiele dafür verstanden ist, wie wir uns den von Christus verheißenen Zustand des ewigen Lebens157 vorzustellen haben, der auch uns, indem wir ihn in Christus erkennen, "Vorbild" 158 für Denken und Handeln sein kann und soll. Der Sinn des Bildes von der Himmelfahrt Christi liegt nach Schleiermacher darin, daß Christus sich Gott annähert in der "Glükkseligkeit", der "Erhabenheit" 154

Zimmer I,S. 373: "Die Auferstehung Jesu ist a. weder ein Beweis von seiner göttlichen Sendung; ... b. noch ein Beweis für unsre Unsterblichkeit ... c. noch ein Beweis für unsre Auferstehung". An unserer Unsterblichkeit und Auferstehung wird nicht gezweifelt; die Alternative, ob Jesus wirklich tot oder nur scheintot gewesen war, wird von Schleiermacher unentschieden gelassen. !55 Zimmer I,S. 373. i5B Nach Wendland (Die religiöse Entwicklung Schleiermachers, S. 57) zeigen indes gerade die frühen Osterpredigten Schleiermachers, daß "eine ernste Sittlichkeit... der Religion als stützenden Untergrundes (bedarf), um das Gemüt zu freudiger Pflichterfüllung zu bewegen. Sie bedarf ferner der Gewißheit, daß eine ewige, mit dem Tode nicht abgebrochene Aufgabe dem Menschen gestellt ist". Hier ist m.E. richtig gesehen, daß die Betonung der Überindividualität und Transzendenz der in Jesus Christus Wirklichkeit gewordenen Gesinnung und Handlungsweise für Schleiermacher den Versuch einer Reformulierung der christlichen Auferstehungsverkündigung darstellt. 157 Pr. VII, 375,2f.: Christus hat uns "ein Leben verheißen ... da wo er ist".

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und in der "Erkenntniß". Das bedeutet offenbar die Überschreitung der dem Menschen aufgrund seines In-der-Welt-Seins gesetzten Grenze von Glücks- und Erkenntnisfähigkeit. "Erhaben" kann jener Zustand genannt werden, in dem das Glauben an die Existenz aller nicht durch sinnliche Wahrnehmung erfahrbaren Dinge abgelöst ist durch ein "Schauen" 159 , und in dem die Glückseligkeit nicht mehr abhängig ist von der Erfüllung der auf Einzelobjekte gerichteten Wünsche und Bedürfnisse. Die Annahme liegt nahe, daß sich für Schleiermacher die Fragen der Eschatologie auf jene "Entweltlichung" als Voraussetzung für die moralische Vervollkommnung des Menschen konzentriert haben. Mit seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt hat sich Christus gleichsam dafür "verbürgt", daß auch wir einst "zu einer Vollkommenheit erhoben werden" 160 . Der christliche Glaube verdankt sich der Lehre Jesu, seinen "heilsamen Unterweisungen" 161 . Aufgrund dieser Herkunft bestimmt sich der christliche Glauben inhaltlich als ein sittlicher 162 , als Glaube an die sittliche Bestimmung des Menschen und als Glaube an Gottes Beistand und Trost in Jesus Christus (aber nicht nur in ihm). Der Grund dieses Glaubens ist die in der Person Jesu Christi erschienene Wirklichkeit der auf das Pflichtbewußtsein gegründeten Gesinnung als eine Möglichkeit für den Menschen. Das ist Schleiermachers christologischer Spitzensatz in dieser Epoche seines theologischen Denkens. Die psychologische Beschreibung des Verhältnisses zwischen Christus und dem Christen verunmöglicht nicht - wie wir gesehen haben - die Erkenntnis der soteriologischen und eschatologischen Dimensionen des Kreuzestodes Christi 163 . Nicht in gleicher Weise hat Schleiermacher die Bedeutsamkeit der Auferstehung Christi für das gegenwärtige Handeln und Denken der Christen herausstellen kön15tl

Zimmer I, S. 374f.: "Es ist gut für unsere Betrachtung, dass Christus zwei Ausgänge aus der Welt gehabt hat; denn bei dem ersten bleiben wir gewöhnlich beim Verdienstlichen stehen. Sein letzter ist zwar glorreicher, als der unsrige, er ist aber doch auch hier Vorbild." 'S" Vgl. Anmerkung 98. iBU Pr. VII, 238,20,22f. 161 Pr. VII, 208,23; vgl. Bauer I, S. 33: Christus ist "noch unter uns als Lehrer". 162 Bauer I, S. 82: Gottes Endziel mit der Schöpfung ist die "Erlösung von allem Bösen" und die "Unterstützung zu allem Guten". 163 Dieser Aspekt wird in der Darstellung Nowak's (Schleiermacher und die Frühromantik, S. 83) nicht genügend berücksichtigt.

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nen. In Spannung dazu steht die in den frühen Predigten immer noch häufig vorkommende Auffassung von Christus als moralischem Vorbild164. Denn vielleicht ist gerade das "nur eine thörichte Einbildung unserer stolzen Vernunft" 165 , daß die "lebendige Erinnerung an seine Worte und Verheißungen" alle Zweifel an der Angemessenheit der sinnlichen Natur des Menschen für seine sittliche Bestimmung zu verstreuen vermag 166 . Es ist in diesem Zusammenhang auffällig, daß der "Glaube an Christum" für Schleiermacher nur "ein großes Hülfsmittel in unserm Streite mit der Welt" 167 neben anderen ist. Der Grund des Glaubens (die Person von Jesus Christus und die soteriologische Bedeutung ihres Lebens und Sterbens) erscheint nicht so fest, als daß Schleiermacher nicht immer wieder zu anderen Konstruktionen greifen müßte 168 . Wenn es aber nicht gelingt, den Glauben an die sittliche Bestimmung des Menschen rein christologisch zu begründen, dann muß Schleiermacher demgegenüber den "Glaube(n)...an den göttlichen Beistand in allen Dingen, die zu unserer Besserung abzwekken" 169 in den Vordergrund rücken. Zu diesem Glauben an den göttlichen Beistand in allen erdenklichen Lebenssituationen verhält sich der Glaube an Jesus Christus wie ein Teil zum Ganzen. Ein zweites Moment in diesem übergeordneten Glauben ist der Glaube an Gott und seine "allwissende Gegenwart" 170 . Wenn 164

Zimmer I, S. 288: Jesus Christus ist zulängliches und reines Vorbild. Zimmer I, S. 370: Christus hat seine "Würde" nicht darin, daß er "göttliche Person" ist, sondern darin, "daß man alles was er gethan und gedacht als menschlich verstehen müsse". 165 p r y j ^ 237, 28-31: "Wer weiß auch, ob es die Bestimmung des schwachen Menschen ist immer tugendhaft und immer rechtschaffen zu sein; es ist wol nur eine thörichte Einbildung unserer stolzen Vernunft." ^ e Pr. VII, 238, 17-19; vgl. Pr. VII, 238, 9-12: "Das Aufsehn a u f s e i n Vorbild gießt einen Balsam in die Seele,... und eine edele Nacheiferung macht uns wieder rüstig zu dem Streit mit der Welt, in dem wir unterliegen wollten." Pr. VII, 237,17. 168 p r v ü , 238, 1-4: "Und wie, wenn es nun kein Leben gäbe, wo endlich der, der sich sein ganzes Leben hindurch der Religion und Tugend zu Liebe gequält hat, den Lohn für seine Mühseligkeit aus der Hand des gerechten Vergelters empfängt?" Gegen diese Glaubensanfechtung läßt sich, wie wir gesehen haben, die Auferstehung und Himmelfahrt Christi anführen. «9 Pr. VII, 236, 2f.; vgl. Pr. VII, 239, 4-6: Der "heldenmüthige" Glaube an unsere eigenen Kräfte, die wir von Gott empfangen haben und die er uns immer wieder neu schenkt, "verträgt sich sehr wohl mit der Demut, die uns geboten wird". " 0 Pr. VII, 236,8; vgl. zum folgenden Pr. VII, 236f.

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der Mensch in seiner Bemühung um eine auf das Pflichtbewußtsein gegründete Gesinnung nie, weder mit sich selbst noch mit dem Beifall anderer Menschen zufrieden sein kann und darf, so weiß er doch, daß es einen gibt, dem sein Inneres nicht verschlossen ist, der der unbestechliche Zeuge seines Sieges und seiner Niederlage ist, d.h. der ihm in jedem Moment seines sittlichen Lebens beisteht. Der Glaube an den fortwährenden göttlichen Beistand, verstanden als der jenem Glauben an die "allwissende Gegenwart" Gottes und an das "große Hülfsmittel" Jesus Christus antwortende und entsprechende gläubige Lebensvollzug, kommt selbst als drittes Moment im ganzen des Glaubens vor171. Im Vollzug seines sittlichen Lebens läßt sich der Glaubende allein leiten von dem Vertrauen auf die ihm durch die Gnade Gottes geschenkten "Kräfte" und "Hülfsmittel" 172 . Das Bewußtsein der Angewiesenheit auf Gott in jeder Lebenssituation macht den Glaubenden "demüthig"; in der Unerschütterlichkeit seines Gottvertrauens beweist er dagegen seine "Heldenmütigkeit" 173 . "Diese in der menschlichen Seele liegenden, durch die Religion belebten, durch Uebung gestärkten Kräfte sind eben der Beistand Gottes, an den wir mit einer lebendigen Ueberzeugung glauben müssen" 174 . Der Glaube erweist sich in seinem dritten, wichtigsten Moment als das letztgültige Vertrauen auf die Angemessenheit von sinnlicher Natur und sittlicher Bestimmung des Menschen, weil er die erfahrbare Wirklichkeit als die Schöpfung Gottes anerkennt, und deshalb keinen auf Dauer installierten Widerspruch in ihr zu erkennen vermag - und, zweitens, weil ihm in der Person Jesu Christi jene Angemessenheit von sinnlicher Natur und sittlicher Bestimmung in der auf das Pflichtbewußtsein gegründeten Gesinnung eines Menschen anschaulich gemacht wurde 175 . Kein Pr. VII, 238ff. Pr. VII, 239,8-14. « 3 Pr. VII, 239,4-6. 174 Pr. VII, 239, 14-18. Der Glaubende vertraut darauf, daß Gott "die äußern Umstände so regieren werde, ... daß also auch diese uns unterstüzen müssen" in unserem Kampf gegen die Versuchungen (Pr. VII, 239, 19-22); Pr. VII, 239, 26f.: "Oft bringen sie noch neue Lasten und neue Arbeit, aber auch dann sind sie nüzlich"; denn gerade darin besteht der Glaube, daß er auch in dem "erschwerte)n) Kampf eine göttliche Gnade" erblickt (Pr. VII, 240,3f.). 175 Vgl. den von Zimmer (I, S. 289) mitgeteilten Predigtentwurf "Die Angemessenheit der Sittenlehre Jesu für die menschliche Natur" (entspricht inhaltlich der Predigt Pr. VII, 1, Nr. XIV).

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Schmerz ist so groß, "daß die menschliche Natur ihn nicht... aushalten könnte. So auch die Versuchung."176 Weil Gott "gerecht" ist, ist es gewiß, daß er "von niemandem etwas fordere, was er unmöglich leisten kann". In diesem Sinne "regiert" Gott "alle Begebenheiten unseres Lebens" und im gleichen Sinn hat er auch "vorausgesehn und geschehen lassen, daß sie (sc. die Versuchung) uns treffe"177. Gott kann nicht wirklich Böses geschehen lassen wollen. Wenn aber alles, was in der Welt geschieht, entweder von ihm vorhergesehen ist oder gar sein Werk selbst ist, kann es nicht wirklich Böses in der Welt geben, auch wenn es so scheint178. Was der Mensch als solches auffasst, ist also nur eine Täuschung über die Notwendigkeit, unter der das endlich Seiende als von Gott geschaffenes und erhaltenes existiert. Was notwendig ist, weil es aufgrund der "weisen ewigen Geseze" geschieht, die Gott "der Welt und den Menschen...vorgeschrieben" hat, - und in diesem Sinne geschieht alles notwendig - kann nicht an sich böse sein179. In dieser Bestimmung des endlich Seienden als notwendiger, von Gott geordneter und von ihm abhängiger Nai™

Pr. VII, 239,29f. Schleiermacher stimmt deshalb mit Luther, wenn er auch durch die verschiedene Motivierung, Herkunft und Entwicklung seines theologischen Denkens für immer von ihm getrennt bleibt, darin überein, daß in dem Vertrauen auf Gott bzw. auf Gottes Beistand der Kern evangelischen als eines immer unter der Gefahr der Anfechtung befindlichen Glaubens zu sehen ist. - Während sich bei Schleiermacher die "fides quae creditur" und die "fides qua creditur" etwa die Waage halten (der Glaube existiert nicht ohne Grund), korrigiert er die Orthodoxie in ihrer Dreistufung des Glaubens: notitia - assensus - fiducia. Von der notitia führt überhaupt kein Weg zu Gott. Die Wirklichkeit Gottes wird anerkannt (assensus) eben als die höhere Wirklichkeit einer sittlichen Macht, die sich dem Glauben in dem Moment der Anfechtung als Trost und Beistand Gottes mitteilt. Auf eine solche Mitteilung Gottes vertraut der Glaube immer schon und immer wieder (fiducia). i " Pr. VII, 274,17,19f., 28-31. 17« Vgl. Pr. VII, 341, 27f.; Pr. VII, 342, 5-7; Pr. VII, 348, 1 lf. Das gilt für alle kleinen wir großen Begebenheiten des Lebens gleichermaßen (Pr. VII, 348, 12-21). 179 Pr. VII, 3 5 1 , 3 1 - 3 5 2 , 8 : "Können wir umhin, in diesem unverrükkten Gang aller menschlichen Schikksale nach den einfachsten Gesezen die mächtige Hand desjenigen wahrzunehmen, der der Welt und den Menschen die weisen ewigen Geseze vorgeschrieben hat, nach denen sich alle Begebenheiten und alle Handlungen ohnfehlbar entwikkeln, und so zusammengesezt und verwirrt sie auch zu sein scheinen, dennoch ganz einfach geleitet werden und sich in die große Ordnung seiner liebevollen Absicht fügen müssen."

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tur- und Weltzusammenhang, worin alles einzelne als ein Teil existiert, erkennen wir auch den Einfluß des von Schleiermacher wahrscheinlich seit 1794 betriebenen Spinozastudiums180. Eine zweite Wurzel für diese Ansicht ist die ältere empirischpsychologische Theorie von dem notwendigen Zusammenhang alles menschlichen Handelns 181 . Schleiermacher fand bei Spinoza den "vollkommenen Determinismus" 182 . Er liegt darin, daß nach Spinoza alle endlichen Dinge nur sind, sofern "sie alle zum ewigen unwandelbaren Daseyn gehören" 183 , und d.h., sofern sie allein als vom Unendlichen notwendig hervorgebracht verstanden werden können. "Wenn das Unendliche Ding imerfort hervorbringt, so werden gewiß alle Dinge welche einmal wirklich werden können, auch einmal wirklich werden; das ist die einzig mögliche Welt des Spinoza." 184 Bei Spinoza verschwindet der Unterschied zwischen Möglichkeit, Wirklichkeit ( = Dasein) und Notwendigkeit. Alles was (wirklich) ist, ist notwendig. D.h. es ist nach Spinoza logisch unmöglich ( = nicht denkbar, widerspruchsvoll 185 ), anzunehmen, daß etwas ist, was nicht notwendig ist. Nichts ist zufällig bzw. kontingent. Das Gegensatzpaar bei Spinoza heißt Notwendigkeit und Zufall (Willkür, Kontingenz). Es ist aber gerade die Definition eines kontingenten Sachverhaltes, daß von ihm gesagt werden kann, logisch möglich ( = denkbar, widerspruchsfrei) ist die Annahme seiner Existenz genauso wie die Annahme seiner Nichtexistenz. Spinoza (und Schleiermacher folgt ihm darin) will dagegen die Möglichkeit von Kontingenz in der Welt (und bei Gott) ausschließen. "Diese Welt kann weder beßer noch schlechter seyn als sie ist, denn jedes Ding wird gerade dann wirklich, wenn es wirklich werden kann, und könnte also zu keiner Zeit beßer syen als zu der wo es ist"186. 180 Vgl. diese Arbeit S. 105f. - "Die Wirklichkeit von Welt und Leben ... ist... ein von unerbittlicher Notwendigkeit getragner Gesetzeszusammenhang" (E.Hirsch, a.a.O., S. 498). Vgl. diese Arbeit S.69f. 182 "Eben deswegen bin ich auch ganz gewiß, daß Spinoza in keinem andern Verstand Fatalist war, als in dem den ich den vollkomnen Determinismus nenne" (KGA1,1, S. 532, Z. 6-9). " ö KGA 1,1, S. 529, Z. 6f. 184 KGA 1,1, S. 533, Z. 34 - S. 534, Z. 2. 185 W. Härle, Systematische Philosophie, München 1982, S. 116f. 186 KGA 1,1,S. 534, Z. 3-5. - "... eben so geht auch jedes Ding jede Veränderung durch, die es durchgehn kann, und es kann ihm keine erspart werden wel-

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Das Böse kann nur deshalb als das Böse aufgefaßt werden, weil es - und dadurch wird es erst zur wirklichen Versuchung - als außerhalb des von Gott geschaffenen, von ihm geordneten und erhaltenen, von ihm abhängigen Welt- und Naturzusammenhangs befindlich angesehen wird. D.h., der Mensch, der der Versuchung unterliegt, hat sich selbst noch nicht als unaufhebbar hineingestellt in den von Gott hergestellten187 Zusammenhang der sittlichen Bestimmung des menschlichen Lebens, und damit dieses selbst noch nicht als Teil der göttlichen Ordnung begriffen. Alle Menschen sind bis in ihre alltäglichsten Lebensverhältnisse hinein von der "Vorsehung" und ihrem "unerforschlichen, über alle menschliche Klugheit erhabenen Gang"188 abhängig. Dieser Gedanke der Abhängigkeit der Menschen von Gott ist verstehbar auf dem Hintergrund der durch die Erkenntnistheorie Kants modifizierten, also auf kritischer Basis erfolgten Spinozarezeption als das Bekenntnis des Glaubens daran, daß dem Subjekt, das sich als Geschöpf Gottes bzw. als Teil des von Gott abhängigen Weltund Naturzusammenhangs begreift, nichts an sich Widergöttli-

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che es durchgehn muß; die Idee von Zwek und Absicht und Güte findet hier nirgends Statt, außer einer metaphysischen Güte welche bloß in der Vollständigkeit besteht, die dem Unendlichen ohnehin wesentlich ist" (KGA 1,1,S. 534, Z. 5-10). 1.) Man wird, wie diese u.a. Zitate zeigen, "den Schleiermacher" der Spinozastudien nicht einfach mit dem Prediger Schleiermacher identifizieren können. Schleiermacher war kein Spinozist. Doch bleibt auch seine Predigttätigkeit nicht unberührt von den Spinozastudien. 2.) Daß es kontingente Sachverhalte gibt, hat seinen Grund in der Freiheit des Menschen als eines geschöpflichen Wesens. Die Freiheit des Menschen kann daher nicht selbst dem kontingenten Geschehen in der Welt angehören, sondern sie ist der notwendige Grund dafür, daß kontingentes Geschehen in der Welt stattfindet. Anders gesagt: Die Freiheit des Menschen darf nicht von einem in der Welt vorfindbaren, von Menschen erkennbaren, mithin gegenständlichen Sachverhalt abhängig sein (weil sie sonst sofort in das kontingente Geschehen miteinbezogen wäre). Eben dies wird durch die Rede von der Freiheit als einer dem Menschen als Gottes Geschöpf eigentümlichen Bestimmung vermieden. Seine Freiheit verdankt der Mensch Gott und nicht sich selbst. Kontingenz und Notwendigkeit bzw. Abhängigkeit brauchen also keinen Gegensatz zu bilden (wie wir ihn bei Spinoza finden). Das hat der späte Schleiermacher gezeigt und sich damit endgültig von dem Einfluß, den Spinoza zeitweilig auf ihn ausübte, abgesetzt. Das "Werk der Natur" ist das Werk Gottes und d.h. "das Werk desjenigen, welcher alle ihre Wirkung mit der höchsten Weisheit berechnet hat" (Pr. VII, 314,12-14). Pr. VII, 372,11-13.

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ches, nichts an sich Böses begegnen kann. Wohl kann dem Unglauben, der die Welt und die Natur nicht als Gottes Schöpfung begreift, die Versuchung als das wider die sittliche Bestimmung des Lebens gerichtete und diese zerstörende Böse erscheinen189. Entsprechend ergreift das Subjekt nur im Bewußtsein der Abhängigkeit von der Ordnung Gottes, indem es sich also als Teil des von Gott geschaffenen Welt- und Naturzusammenhangs begreift, sein Wesen. Die Sünde, so können wir folgern, liegt für Schleiermacher gerade darin, daß das Subjekt sich dieser Grundabhängigkeit entziehen will190. Gerade damit würde sich das Subjekt dem Schein, also dem Bösen preisgeben. Ist doch gerade jene Ordnung Gottes, von der das Subjekt abhängig ist, die Bedingung der Möglichkeit für die Realisierung der sittlichen Bestimmung im menschlichen Leben191. Weil Gott gütig ist, kann der Zweck der Leiden nicht das sittliche Unterliegen unter dem Bösen sein, sondern alle Versuchungen und Leiden müssen "heilsame Folgen" haben. Anders läßt sich vom "mitleidig liebreichen Vater der Menschen nicht denken"192. Daß "Gott der Vater aller Menschen ist", widerlegt für Schleiermacher die Lehren von der "Erbsünde", der "Prädestination", von der "Ewigkeit der Strafe" und von der 189

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Man sollte meinen, daß Schleiermacher schon jetzt nichts vom Zorn Gottes zu predigen weiß, aber zweimal taucht der Gedanke an die göttliche "Vergeltung" bzw. an das göttliche "Gericht" auf (Pr. VII, 372, 15; Pr. VII, 374, 4). Die Polemik Schleiermachers gegen Kants Annahme des transzendentalen Subjekts wurzelt gerade darin, daß der von Kant verwendete Begriff der Freiheit moralischer Subjekte (Personen) von der Qualität ist, daß durch ihn der notwendige Zusammenhang des endlich Seienden (der Naturmechanismus) außer Kraft gesetzt wird (vgl. KGA I, 1, S. 543-545). Demgegenüber halt Schleiermacher daran fest, daß das freie Handeln moralischer Subjekte (Personen) durch den mit dem endlich Seienden überhaupt gesetzten Spielraum bestimmt und begrenzt ist. Weil "Gott ein Gott der Ordnung und des Friedens ist", ist jede "Unordnung" in der Welt nur Schein, und ist jedes "Übel" in der Welt in Wirklichkeit "doch Friede". "So wie in Gott alles Ordnung ist, wie man aus seinen Werken und aus der Einrichtung des Menschen sieht, so soll es auch bei uns sein ... So wie Gott überall den Frieden befördert, so auch ihr!" (Predigtentwurf von 1797, Bauer II,S. 335). Vgl. Pr. VII, 275, 10, 25, 31. - Eine Stelle, an der Schleiermacher von der "väterliche(n) Weisheit" Gottes, "mit welcher er euch erzieht", spricht (Pr. VII, 374,30), scheint mir darauf hinzudeuten, daß Schleiermacher alle Versuchungen als sittliche Prüfungen für den Menschen verstanden, ihnen also einen pädagogischen Sinn beigelegt hat.

148

Theologie der Predigten von 1Z94 bis 1796

"Strafgerechtigkeit" 193 . Der Kern des evangelischen Glaubens ist für Schleiermacher nichts anderes als das Vertrauen, "daß uns Gott keine als menschliche Versuchung zuschikkt, keine, über die wir nicht durch Gebet und Anstrengung siegen können; das Vertrauen, daß er den demüthigen Gnade giebt, und daß auch die schwachen mächtig werden durch die Kraft der Religion" 194 . Der Glaube an die sittliche Bestimmung des Menschen ist für Schleiermacher nicht denkbar ohne das Vertrauen auf die in Jesus Christus offenbar gewordene höhere Wirklichkeit einer sittlichen Macht, die sich dem Menschen gerade in den Momenten der Anfechtung jenes Glaubens als der Beistand Gottes mitteilt. Der Glaube vertraut darauf, daß ihm in der Welt (und in der Natur, die er als die Schöpfung Gottes begreift) nichts an sich Widergöttliches, d.h. nichts Böses begegnen kann. Gott kann nicht einerseits die Menschen zur moralischen Vollkommenheit bestimmen, und andererseits solche Dinge geschehen lassen, die ihre moralische Kraft in dem unvollkommenen Zustand, in dem sie sich während ihres irdischen Daseins befinden, permanent überfordern195. Zudem ist dem Glauben in der Person Jesu Christi die Angemessenheit von sittlicher Bestimmung und sinnlicher Natur des Menschen anschaulich geworden. Wie wir jetzt sagen können, laufen in diesem Glaubensverständnis Schleiermachers aus der Landsberger Zeit verschiedene Rezeptionslinien zusammen. Das Vertrauen auf die in Jesus Christus offenbar gewordene höhere Wirklichkeit einer sittlichen Macht, von der der Mensch als laa

im

195

Zimmer I, S. 369; vgl. Pr. VII, 277, 16f.: Es ist nicht denkbar, daß es eine "Versuchung geben könne, welche zu besiegen an sich und schlechterdings unmöglich wäre". p r . VII, 3 3 3 , 3 0 - 3 3 4 , 1 ; vgl. Pr. VII, 2 7 9 , 3 2 - 2 8 0 , 1 : "Der Gedanke an Gott enthält in dem Augenblikk der Versuchung unendlich viel Ermunterung und Stärkung"; Pr. VII, 336, 28-30: Wenn wir den Glauben an unsere sittliche Bestimmung nicht aufgegeben haben, "müssen wir fühlen, wie wir uns selbst achten und über unsern Wandel und die Gnade Gottes an uns freuen müßten". Vgl. schon Br. I, S. 69 (Schleiermacher 1787 an den Vater): Gott "kann nicht wollen, daB wir hier schon ganz fehlerfrei werden sollen, denn das ist nicht möglich. Gott sieht, denke ich, auf das Herz; es kommt Ihm darauf an, ob wir uns wirklich Mühe geben, unsre Fehler abzulegen, ob wir unsere Kräfte dazu anstrengen"; vgl. Br. I, S. 45: "Gott kann die Menschen, die er offenbar nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind" (vgl. Br. I, S. 60ff.).

Grund des Glaubens

149

Gottes Geschöpf in allen seinen Handlungen bestimmt ist (Spinoza)196, gibt keine Gewißheit des Wissens (Kant), sondern die Gewißheit des Glaubens bzw. des Gefühls (Jacobi), daß das der sittlichen Bestimmung gemäße Leben, das "höhere Leben", jedem möglich ist. 4. RELIGION UND SITTLICHKEIT. DIE BESTIMMUNG IHRES SACHZUSAMMENHANGS UNTER DEM EINFLUß VON KANT Die Begriffe von Religion und Tugend bzw. Religion und Vernunft197 werden in den Landsberger Predigten, wie wir das, wenn auch nicht in dieser Intensität, schon in den ersten Predigten Schleiermachers beobachten konnten198, synonym verwendet. Die 196

197

19B

Spinoza hat Schleiermacher offensichtlich dazu angeregt, seinem ehedem auf der Basis der empirischen Psychologie entwickelten Determinismus eine kosmologische bzw. theologische Begründung zu geben. "Gottes Wort und unsere Vernunft" lehren uns beide "von dem Dasein einer andern Weit" (Pr. VII, 224, 30f.); die "Vernunft" ist eine - unter anderen "Belehrung(en) Gottes" (Pr. VII, 225, 17); "der sinnliche Mensch in uns" verhält sich zu dem "geistigen" wie "die Stimme der Begierde" zu den "sanften Töne(n) der Religion und der Vernunft" (Pr. VII, 231, 24-27); die "Leiden" und "Freuden der Welt" können in Gegensatz zu "Religion und Tugend" zu stehen kommen (Pr. VII, 234, 25); der "Zusammenhang" von "guten Handlungen" hat seine "gemeinschaftliche Ursach" in den "festen Grundsäzen der Religion und Tugend" (Pr. VII, 247,23f., 29f.); "Tugend und Religion" haben dies gemeinsam, "daß sie sich selbst ihre Hülfe und ihr Schuz sind" (Pr. VII, 251, 21f., 24); "Religion und Vernunft" leisten "dem Menschen immer Hilfe genug ... zu allem, was von ihm gefordert wird" (Pr. VII, 280, 20-22); "Endlich findet zwischen der Tugend der Verschwiegenheit und einer religiösen Gesinnung überhaupt noch eine besondere Verbindung statt, so daß man von einem auf das andere schließen kann" (Pr. VII, 300, 29-33); "wir sollen unserer Vernunft, unserm Gewissen und dem Willen Gottes mehr gehorchen als dem, was unsere Leidenschaften und unsere Trägheit wünschen" (Pr. VII, 329, 10-13); "guter Wille" ist "rechte Ehrfurcht gegen die Gebote Gottes und die Aussprüche unseres Gewissens" (Pr. VII, 331, 20-22); "Religion" und "Sittenlehre" stellen zusammen einen Katalog von "Vorschriften" auf (Pr. VII, 354,20 - 355,1); das Gebot der "Nächstenliebe" ist "der Inbegriff der Pflicht" und geht "mit der vernünftigen Liebe zu sich selbst von einerlei Grundsaz" aus (Pr. VII, 359, 9-11); Nächstenliebe ist das "höchste (...) Gebot der Religion" und "der sicherste Prüfstein der Tugend" (Pr. VII, 365,29,32). Vgl. diese Arbeit S. 68; vgl. Herms, Herkunft S. 159: "Die Landsberger Predigten gebrauchen das Vernunftgebot, den göttlichen Willen oder die Forderungen der Religion als Synonyma."

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sittliche Evidenz der Religion ist wie die religiöse Evidenz der Sittlichkeit begründet in dem einheitlichen sachlichen Zusammenhang, den Religion und Sittlichkeit für Schleiermacher bilden199. In den Zusammenhang der Erörterung des Religionsbegriffs muß die Erörterung der Begriffe von Tugend und Vernunft miteinbezogen werden, weil sich sonst die Gefahr einer defizitären Form des Religionsbegriffs ergibt. Die Frage, auf die Schleiermacher in seinen Predigten antwortet, lautet also: Inwiefern läßt sich das, was unter Religion zu verstehen ist, zureichend nur unter Einbeziehung der Begriffe von Tugend und Vernunft beschreiben? Anders gefragt: Inwiefern ist die Erörterung der Begriffe von Tugend und Vernunft konstitutiv für die Erörterung des Religionsbegriffs? Di&charakteristische Erweiterung, die das System der praktischen Philosophie Kants durch die Abfassung der Spätschrift: "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" erfährt, gewinnt auf die Entwicklung der Theorie der Sittlichkeit, soweit sie sich aus den Predigten Schleiermachers erkennen läßt, entscheidenden Einfluß; von diesem Einfluß bleibt aber auch die Religionstheorie Schleiermachers nicht unberührt, eben weil sie mit der ethischen Theorie in einem einheitlichen Sachzusammenhang steht 200 . Die Darstellung der für unsere Frage einschlägigen Abschnitte aus Kants Schrift sei im folgenden vorausgeschickt. Im vierten Stück seiner "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" handelt Kant "Vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Princips, oder Von Religion und Pfaffenthum" 201 . Um diese Unterscheidung zwischen "Dienst" und "Afterdienst" verstehen zu können, müssen wir auf die ihr zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Vernunftreligion und historischer oder Offenbarungsreligion zurückgehen. Beide bilden ein System aus zwei konzentrischen Kreisen, worin die Vernunftreligion als der engere Kreis von dem weiteren Kreis der historischen oder Offenbarungsreligion umschlossen wird202. Gegenstand der religionsphilosophischen Untersuchung Kants ist die reine Vernunftreligion, weil nur sie, nicht aber die Historie, !99

Vgl. diese Arbeits. 130ff. Schleiermachers Lektüre von Kants Werk fällt wahrscheinlich in das J a h r 1794 (vgl. Br. I, S. 134,136; Herms, HerkunftS. 121). RGVS. 151. 202 Vgl. RGVS. 12. 200

Religion und Sittlichkeit

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also der geschichtliche Ursprung von Religion als Offenbarung und die geschichtliche Verfassung von Religion als Kirche der reinen Vernunfterkenntnis a priori zugänglich ist. Das bedeutet jedoch nicht, daß damit die Historie für Kant überhaupt belanglos geworden ist203. Sondern das Historische bildet bei Kant gleichsam die Folie, von der sich der in moralisch-praktischer Hinsicht apriorische Vernunftgehalt der Religion (der für den Religionsphilosophen notwendige und hinreichende Inhalt dessen, was Religion ausmacht) abziehen lassen muß. Die Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung dieses Verfahrens ist allerdings die, daß das Historische sich zu einer solchen Folie eignet, d.h. daß alle historische oder Offenbarungsreligion sich letztlich auf die reine Vernunftreligion zurückführen läßt, ohne daß bei diesem Vorgang der kritischen Reduktion ein unauflöslicher Widerspruch auftaucht und sich schließlich zwei "Religionen" unvereinbar gegenüberstehen. Das Werk Kants ist als die materiale Durchführung dieser These anzusehen. Die reine Vernunftreligion hat keinen anderen Inhalt als den der reinen praktischen Vernunft204. Eine sich ausschließlich auf die reine Vernunftreligion gründende Kirche ist jedoch wegen der moralischen Unvollkommenheit des Menschen nicht möglich, die Existenz einer positiven Religion, d.h. eines kirchengründenden historischen oder Offenbarungsglaubens 1 ' 05 deshalb notwendig. Das Verhältnis zwischen reiner Vernunftreligion und dem christlichen Glauben als einer bestimmten geschichtlichen Form von positiver, d.h. kirchenkonstituierender Religion bestimmt Kant nun folgendermaßen: Die reine Vernunft vermag für sich allein den menschlichen Willen zu bestimmen 206 ; sie erhebt das "Ideal der moralischen Vollkommenheit" 207 als unbedingte Forderung an den Willen des Menschen. Der Mensch, der vom Standpunkt der reinen Vernunft betrachtet ein moralisch vollkommenes Wesen ist, ist der Mensch als Geschöpf Gottes; m.a.W.: die unbedingte Forderung der reinen Ver-

üoa

Vgl. dazu E. Troeltsch: Das Historische in Kants Religionsphilosophie. Zugleich ein Beitrag zu den Untersuchungen über Kants Philosophie der Geschichte,in: Kant-Studien9,1906.S.21-154. »m RGVS. 167f. 205 RGVS. 102f.;57f. 20f> Das hat Kant in der KprV gezeigt. 207 RGVS. 61.

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nunft ist identisch mit dem unbedingten Gebot Gottes an den Menschen208. Kant versucht zu zeigen, daß dem christlichen als einem bestimmten historischen, kirchengründenden Glauben ein ursprüngliches (von seinem Stifter ihm gegebenes) Prinzip innewohnt, nach dem sich der christliche Glaube der reinen praktischen Vernunftreligion annähert unter allmählicher Eliminierung aller derjenigen seiner Elemente, die in keiner notwendigen Beziehung zur reinen praktischen Vernunft stehen, also nur historisch bedingt sind. Damit ergibt sich aber die Notwendigkeit der positiven Religion als einer bloß historischen, der gegenüber die Notwendigkeit der reinen Vernunftreligion logisch allgemeiner ist, d.h. sie gilt für den Menschen als Vernunftwesen überhaupt, für alle natürlich-geschichtlichen Verfassungen seiner Existenz. Jenes Prinzip aber ist das "gute Prinzip", das zumindest in einer positiven Religion, der christlichen, zur Herrschaft gekommen ist. Die Verheißung des christlichen Glaubens, "daß das Reich Gottes zu uns gekommen sei", ist symbolischer Ausdruck für die Herrschaft des guten Prinzips vom "allmähligen Übergänge.) des Kirchenglaubens zur allgemeinen Vernunftreligion..."209. Alle Christen, die sich dem im christlichen Glauben zum erstenmal offenbar gewordenen guten Prinzip verpflichtet haben, die also die historische Notwendigkeit des Christentums darin sehen, daß durch es die wahre Vernunftreligion als der Endzweck aller geschichtlichen Religions- und Kirchengemeinschaften ins Bewußtsein gedrungen ist, sind die wahren Diener der Kirche, d.h. sie dienen der reinen praktischen Vernunftreligion '¿08

R G V S. 61: "Das, was allein eine Welt zum Gegenstande des göttlichen Rathschlusses und zum Zwecke der Schöpfung machen kann, ist die Menschheit (das vernünftige Weltwesen überhaupt) in ihrer moralischen ganzen Vollkommenheit...". - Vgl. KprV S. 101f.; R G V S. 153, 160: Jesus Christus faßt "alle Pflichten" einmal unter eine "allgemeine (...) Regel" zusammen: "thue deine Pflicht aus keiner andern Triebfeder, als der unmittelbaren Werthschätzung derselben, d.i. liebe Gott (den Gesetzgeber aller Pflichten) über alles"; zweitens aber unter eine "besondere (...) Regel": "liebe einen jeden als dich selbst, d.i. befördere ihr Wohl aus unmittelbarem, nicht von eigennützigen Triebfedern abgeleitetem Wohlwollen". Die Nächstenliebe ist das "höchste Gebot der Religion" (Pr. VII, 354, 5f.); der "Inbegriff der Pflicht" (Pr. VII, 359,11); der "sicherste Prüfstein der Tugend" (Pr. VII, 365, 32). Die "Pflicht in ihrer ganzen Strenge" berührt sich unmittelbar mit den menschlichen "Verhältnissein) gegen Gott" (Pr. VII, 372,6f.).

209

R G V S. 122; vgl. R G V S. 115,118,123,125,152f.

Religion und Sittlichkeit

153

innerhalb einer bestimmten geschichtlichen Glaubensgemeinschaft (der christlichen), bilden also ein "ethisch gemeines Wesen unter der göttlichen moralischen Gesetzgebung" als eine "wirkliche Vereinigung der Menschen", d.h. sie stellen die "wahre sichtbare Kirche" dar 210 . Dagegen verrichten nach Kant diejenigen der (wahren sichtbaren) Kirche einen "Afterdienst", die der positiven Religion und ihren geschichtlich bedingten, also zufälligen Glaubensformen eine mehr als eben geschichtliche Bedeutung zubilligen wollen; m.a.W.: die die Zufälligkeit des wenn auch christlichen so doch geschichtlichen Glaubens bewußt gleichstellen mit der übergeschichtlichen Notwendigkeit der reinen Vernunftreligion, d.h. des die unbedingte Forderung der reinen Vernunft an den menschlichen Willen als das höchste Gebot Gottes an den Menschen auffassenden (vernünftigen) Glaubens 211 . Der "Afterdienst" besteht nun aber darin, daß das, "was nur den Werth eines Mittels hat, um dem Willen eines Oberen Genüge zu thun, für dasjenige ausgegeben und an die Stelle dessen gesetzt wird, was uns ihm unmittelbar wohlgefällig mache" 212 . Welche in der Religion nur als Mittel geltenden Dinge sind nun nach Kants Meinung der Gefahr diese Mißbrauchs ausgesetzt? Die Annahme, daß ein Gott ist, ist das Postulat der reinen praktischen Vernunft, mit dem sie den ihr mit Notwendigkeit selbst gegebenen Endzweck der Proportionalität von Tugend und Glückseligkeit, das höchste Gut, begründet. Als solcher kann Gott niemals Gegenstand unseres theoretischen Wissens sein, wohl aber die unseren Glauben an die Wirklichkeit des höchsten Guts, und, sofern die Tugend die oberste Bedingung im höchsten Gut ist, an die reine praktische Vernunft fordernde Instanz. "Religion ist (subjectiv betrachtet) das Erkenntniß aller unserer Pflichten als

210 Vgl. RGV S. 101: "Ein ethisch gemeines Wesen unter der göttlichen moralischen Gesetzgebung ist eine Kirche, welche, so fern sie kein Gegenstand möglicher Erfahrung ist, die unsichtbare Kirche heißt (eine bloße Idee von der Vereinigung aller Rechtschaffenen unter der göttlichen unmittelbaren, aber moralischen Weltregierung, wie sie jeder von Menschen zu stiftenden zum Urbild dient). Die sichtbare ist die wirkliche Vereinigung der Menschen zu einem Ganzen, das mit jenem Ideal zusammenstimmt.... Die wahre (sichtbare) Kirche ist diejenige, welche das (moralische) Reich Gottes auf Erden, so viel es durch Menschen geschehen kann, darstellt". 211 RGV S. 153. 212 RGV S. 153.

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göttlicher Gebote"213. Zu diesem Glauben bedarf es lediglich der Annahme der Hypothese, "es ist möglich, daß ein Gott sei" 214 , die aber der "reine Rationalist" 215 niemals zu bestreiten versuchen würde. Kant bekämpft in seiner ganzen Schrift dasjenige Religionsverständnis, in welchem der Gottesglaube, in welcher Form auch immer, vergegenständlicht wird216. Die "schuldige Ehrfurcht" Gott gegenüber besteht einzig und allein in der "religiösein) Gesinnung", d.h. dem Glauben "bei allen unsern pflichtmäßigen Handlungen überhaupt" 217 . Das ist aber der Glaube daran, daß die reine Vernunft für sich allein praktisch werden kann, d.h. für sich allein den menschlichen Willen zu bestimmen vermag, und an die Wahrheit des Endzwecks der reinen praktischen Vernunft, die Proportionalität von Tugend und Glückseligkeit im höchsten Gut, für das Gott der Ermöglichungsgrund, mithin das Postulat seiner Existenz notwendig ist. Dieser Glaube ist von der menschlichen Vernunft ohne weiteres, d.h. ohne irgendwelche von der Vernunft selbst nicht einsehbare Sachverhalte verstehbar und einsehbar 218 . Dagegen erklärt Kant alle diejenigen religiösen Themen und Inhalte, die nicht von der Vernunft als solche erkannt und verstanden werden können, zu Elementen der "gelehrten Religion". Jede solche (also auch die christliche als "gelehrte Religion") stützt sich auf eine den Glauben fordernde geschichtliche Offenbarung und begeht damit den verhängnisvollen Fehler der Vergegenständlichung des Gottesglaubens. Ein solcher "Offenbarungsglaube" verstößt erstens gegen das Kriterium der Freiheit des Glaubens und zweitens gegen das Kriterium der vernünftigen Verstehbarkeit des Glaubens 219 . Sofern also in einer bestimmten Religion der Glaube an historische "facta" als das Got-

RGVS. 153. RGVS. 154. 21 5 RGVS. 155. 216 RGC S. 154: "Es giebt keine besondere Pflichten gegen Gott in einer allgemeinen Religion; denn Gott kann von uns nichts empfangen; wir können auf und für ihn nicht wirken." 217 RGVS. 154. 218 Vgl RGV S. 163. Auch der OffenbarungsbegrifT als Ableitung "von einer Verbindlichkeit unter dem Willen eines moralischen Gesetzgebers" ist "ein reiner VernunftbegrifT (RGV S. 156)! 214

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tesverhältnis des Glaubenden selbst betreffend angesehen wird, kann kein freies Verhältnis des Glaubenden zu diesen historischen "facta" aufrechterhalten werden. Nur dadurch (und nicht schon dadurch, daß der Glaube historische "facta" kennt220) wird die bestimmte Religion zur "gelehrten Religion", in der der Gottesglaube vergegenständlicht ist. Umgekehrt gilt: Wenn im christlichen Glauben als "Offenbarungsglaube" selbst ein jede Gegenständlichkeit des Glaubens allmählich aufhebendes Prinzip wirksam ist (und diese Wirksamkeit im "Dienst der Kirche" erfahrbar ist), dann kann die "Offenbarungslehre,...worauf eine Kirche gegründet wird,...als bloßes, aber höchst schätzbares Mittel... geliebt und cultivirt werden"221. Das Prinzip ist genau dann mißachtet, wenn der Glaube an die Offenbarungslehre und an alle mit ihr in einem notwendigen Folgezusammenhang stehenden Gebote selbst zum Gegenstand menschlicher Bemühungen um das Wohlgefallen, d.h. um die Rechtfertigung Gottes werden. M.a.W.: "alles, was außer dem guten Lebenswandel der Mensch noch thun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes"222.

2ia

220

222

RGV S. 164: "Der christliche Glaube als gelehrter Glaube stützt sich auf Geschichte und ist, so fern als ihm Gelehrsamkeit (objectiv) zum Grunde liegt, nicht ein an sich freier und von Einsicht hinlänglicher theoretischer Beweisgründe abgeleiteter Glaube (fides elicita)". - Vgl. Zimmer I, S. 288f.: "Die christliche Religion" als die "Lehre" Christi widerspricht nicht der Vernunft, sondern ist "so beschaffen, daß (sie C.M.-D.) die menschliche Vernunft immer wieder von selbst zu ihren Aussprüchen zurückbeugt". RGV S. 155f.: "Es kann demnach eine Religion die natürliche, gleichwohl aber auch geoffenbart sein, wenn sie so beschaffen ist, daß die Menschen durch den bloßen Gebrauch ihrer Vernunft auf sie von selbst hätten kommen können und sollen, ob sie zwar nicht so früh, oder in so weiter Ausbreitung, als verlangt wird, auf diesselbe gekommen sein würden, mithin eine Offenbarung derselben zu einer gewissen Zeit und an einem gewissen Ort weise und für das menschliche Geschick sehr ersprießlich sein konnte, so doch, daß, wenn die dadurch eingeführte Religion einmal da ist und öffentlich bekannt gemacht worden, forthin jedermann sich von dieser ihrer Wahrheit durch sich selbst und seine eigene Vernunft überzeugen kann. In diesem Falle ist die Religion objectiv eine natürliche, obwohl subjectiv eine geoffenbarte; weshalb ihr auch der erstere Namen eigentlich gebührt." RGV S. 165. RGV S. 170; vgl. RGV S. 168.

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Die paulinisch-lutherische Lehre von der Rechtfertigung wird von Kant 223 einer modifizierenden Interpretation unterzogen 224 . Weil für diese Lehre von der Rechtfertigung die Bezugnahme auf ein wie auch immer zu verstehendes göttliches Handeln unerläßlich ist, dieses aber kein möglicher Gegenstand vernünftiger Erkenntnis sein kann, muß folglich von dem rechtfertigenden Handeln Gottes als von einem "heiligen Geheimnis" der Religion gesprochen werden, "wovon uns etwa nur, daß es ein solches gebe, zu wissen und es zu verstehen, nicht eben es einzusehen, nützlich sein möchte" 226 . Die Vernunft gibt sich jedoch mit einem solchen "heiligen Geheimnis" der Religion niemals zufrieden, sondern fordert dessen allgemeine Verstehbarkeit 226 . Diese Verstehbarkeit ergibt sich nun anhand des Begriffs der Freiheit, den sich die Vernunft in praktischer Hinsicht selbst gegeben hat. Danach ist die Wirklichkeit der menschlichen Freiheit nicht erkennbar innerhalb derjenigen Wirklichkeit, in der der Mensch Erfahrungen macht, also innerhalb von Welt, Geschichte, Natur überhaupt, sondern nur innerhalb der Wirklichkeit der reinen praktischen Vernunft, d.h. in dem allein von der Vernunft bestimmten menschlichen Willen. Gäbe es jene Freiheit nicht, so gäbe es auch nicht diese unbedingte Forderung des moralischen Gesetzes; und erst die Wirklichkeit dieser unbedingten Forderung ermöglicht die Erkenntnis der menschlichen Freiheit 227 . D.h. aber, die Wirklichkeit der menschlichen Freiheit zur Erfüllung des unbedingt Gebotenen berührt unmittelbar das Gottesverhältnis des Menschen. Denn hinsichtlich dessen, wie der Mensch seine ihm als Vernunftwesen zukommende Freiheit in der Erfahrungswirklichkeit wahrnimmt, ist er Gott direkt verantwortlich und dessen richtender Gewalt unterworfen 228 . Diese Verantwortlichkeit kann nach Kant niemandem abgenommen werden 229 , sondern sie soll 223 Vgl. diese A r b e i t s . 58. 224 Vgl. dazu E. Hirsch: Luthers Rechtfertigungslehre bei Kant, in: Lutherstudien Bd. II. Zu den geistesgeschichtlichen Wirkungen Luthers, Gütersloh 1954.S. 104-121. 22 5 RGVS. 139. 226 RGVS. 144. 227 KprV S. 4: "so will ich nur erinnern, daß die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sei". 22» RGV S. 144ff. 22a RGVS. 72.

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von jedem so wahrgenommen werden, daß er sie als Freier vor Gott in Stellvertretung für seine sinnliche, unfreie Natur voll und ganz übernimmt. Mit dieser Übernahme der Verantwortlichkeit ist der Gerechtigkeit Gottes in einem Maße genüge getan, das die Menschen zu dem Glauben berechtigt, "vor ihrem Richter als gerechtfertigt zu erscheinen"2311. Die "Gesinnung" (der Verantwortlichkeit) vertritt völlig die Stelle der "Tat", d.h. die tatsächliche Handlungsweise des Menschen. Der Rechtfertigungsglaube besteht in dem Vertrauen auf die Gnade Gottes, nach der Gott mich nicht nach meiner tatsächlichen Handlungsweise, sondern nach meiner eigentlichen Gesinnung richtet. Der Rechtfertigungsglaube besteht "unter der Voraussetzung der gänzlichen Herzensänderung", durch die "sich für den mit Schuld belasteten Menschen vor der himmlischen Gerechtigkeit Lossprechung denken" läßt 231 . Das bedeutet aber, daß außer diesem Rechtfertigungsglauben nichts erfordert wird um uns Gott "unmittelbar wohlgefällig" zu machen. Für Kant gilt erstens, daß sich das, was unter Religion zu verstehen ist, material nur in der Identität mit dem Sittengesetz als dem Inbegriff der reinen praktischen Vernunft entwickeln läßt; für Kant gilt zweitens, daß sich der ReligionsbegrifT formal nur als der Begriff einer Vernunflreligion bestimmen läßt, d.h. alle Wahrheiten der Religion müssen von der menschlichen Vernunft verstanden und eingesehen werden können. Kants Religionsverständnis ist, und das gilt für beide genannten Aspekte, nicht ohne Einfluß auf Schleiermacher geblieben. Schleiermacher folgt in seinen Predigten Kant darin, daß er ebenso wie dieser die aus der Vergegenständlichung des Glaubens zwangsläufig folgende Außerkraftsetzung des Rechtfertigungsprinzips bekämpft, gerade indem er sein Religionsverständnis vernünftig, d.h. mit Hilfe der Begriffe von Tugend, Pflicht und Gewissen entwickelt. Schleiermacher kritisiert ebenso wie Kant dasjenige Frömmigkeitsverständnis, nach dem der Mensch versucht, durch direkt auf Gott bezogene Handlungen sich dessen Wohlgefallen zu sichern, d.h. sich durch die eigene Tat für gerechtfertigt zu halten 232 . Die spezifische Verwendung des Begriffs der Frömmigkeit ™ ™

RGV S. 74. RGV S. 76. Allerdings setzt der Rechtfertigungsglaube, also das Vertrauen auf die nach der Gesinnung, nicht nach der Tat urteilende Gerechtigkeit Gottes die Herzensänderung voraus, von der auch bei Kant selbst letztlich nicht klar ist, inwiefern sie als eigene Tat des Menschen begriffen werden kann.

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in den Predigten zeigt an, daß für Schleiermacher der Inhalt des mit dem Begriff der Frömmigkeit Bezeichneten mit dem Inhalt der praktischen Vernunft 233 identisch ist, und daß dieser Inhalt von der menschlichen Vernunft vollständig verstanden und eingesehen werden kann 234 . Für Kant ist allerdings in tieferer Weise als für Schleiermacher der Begriff der Frömmigkeit diskreditiert. Wo dieser Begriff in der Religion herrschend geworden ist, ist das Prinzip der reinen Vernunftreligion bereits verlassen. Die "Frömmigkeit", verstanden als "der Grundsatz des leidenden Verhaltens in Ansehung der durch eine Kraft von oben zu erwartenden Gottseligkeit", bringt den Menschen davon ab, wozu er im Grunde bestimmt ist, nämlich "Zutrauen in sich selbst (zu/C.M.-D.) setzen". Dagegen läßt sie ihn "in beständiger Ängstlichkeit sich nach einem übernatürlichen Beistande umsehen und selbst in dieser Selbstverachtung (die nicht Demuth ist) ein Gunst erwerbendes Mittel zu besitzen vermeinen, wovon der äußere Ausdruck (im Pietismus oder der Frömmelei) eine knechtische Gemüthsart ankündigt" 235 . Wogegen uns die Verwendung des Begriffs der Frömmigkeit in den Predigten Schleiermachers eher dessen Interesse an der Rehabilitierung dieses Begriffs anzuzeigen scheint. Schleiermacher versucht zu zeigen, daß die Frömmigkeit nicht notwendig mit der Vergegenständlichung des Glaubens einher gehen muß. Er kennt demgegenüber durchaus einen positiven Sinn des Begriffs der Frömmigkeit. Danach ist die Frömmigkeit der auf die sittliche Vorstellungskraft des Menschen unmittelbar wirkende Glaube bzw. die sittliche Macht des Glaubens selbst. Die Voraussetzung dieses Glaubens bildet bei Schleiermacher das Vertrauen auf den göttlichen Beistand in allen Handlungen, sofern sie sittlichen Charakter tragen 236 .

233

Schleiermacher hält allerdings im Unterschied zu Kant die reine praktische Vernunft, d.h. die Bestimmung des menschlichen Willens allein durch die Vernunft nicht für möglich. 2S" Vgl. Pr. VII, 317,4-8. RGVS. 184. 236 Hierbei muß allerdings beachtet werden, daß in den Landsberger Predigten die Beziehung zwischen den individuellen Handlungen einerseits und der sittlichen, überindividuellen Bestimmung andererseits noch nicht ausreichend geklärt ist (siehe unten S. 171ff.). Inwiefern lassen sich die aus der Sphäre der Sinnlichkeit hervorgehenden und ihr verhafteten Handlungen der Individuen als sittliche begreifen? Das Subjekt, das in seinen Handlungen der überindividuellen sittlichen Bestimmung entsprechen, d.h. die

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Nun hat sich ja in der Darstellung des Prinzips des Rechtfertigungsglaubens bei Kant erneut bestätigt, daß der geschichtliche bzw. Offenbarungsglaube als die bestimmte Form, unter der die christliche Religion tatsächlich existiert, von Kant nicht einfach für belanglos gegenüber der reinen moralischen Vernunftreligion erklärt wird. Vielmehr ist die Tatsache, daß Kant den christlichen Rechtfertigungsglauben wenn auch in modifizierter Form übernimmt, Beweis für die Relevanz des Geschichtlichen gerade auch für seine Religionsphilosophie. Dieselbe Relevanz des Geschichtlichen zeigt sich erneut an einem weiteren Prinzip Kants, dem Prinzip der Gottseligkeit. Sofern nämlich die Frömmigkeit, verstanden als die "passive(..) Verehrung des göttlichen Gesetzes", der Tugend, verstanden als die "Anwendung eigener Kräfte zur Beobachtung der" vom Menschen "verehrten Pflicht", untergeordnet ist in einer Verbindung, die Kant die "Idee" der "Gottseligkeit" bzw. die "wahre Religionsgesinnung" 237 nennt, kann der Begriff der Frömmigkeit, integriert in die "Idee der Gottseligkeit", von Kant durchaus positiv aufgefaßt werden. Kant kann zwar der Frömmigkeit für sich allein keinen positiven Sinn abgewinnen 238 , wohl aber in Verbindung mit der Tugend. In dieser Verbindung verschiebt sich auch unvermerkt der Sinn des Begriffs der Frömmigkeit in die Richtung des Sinns, der in der von Schleiermacher umso mehr herausgehobenen ursprünglichen geschichtlichen Form des christlichen Glaubens ebenfalls enthalten ist. Die "Gottseligkeitslehre" lehrt denn neben der "Furcht Gottes" auch die "Liebe Gottes" 239 , d.h. den Glauben an Gott "als ergänzende Ursache unseres Unvermögens in Ansehung des moralischen Endzwecks"240. Nichts anderes bezeichnet das von Schleiermacher betonte Vertrauen auf den göttlichen Beistand in allen Fällen sittlichen Handelns, ohne das die Frömmigkeit, d.h. der Glaube an die sittliche Macht nicht bestehen kann. Kant warnt im Zuabsolute Dominanz der Sinnlichkeit über die Vernunft durchbrechen w i l l , darf nach Schleiermacher ja unabhängig vom Gelingen seines Versuchs auf den göttlichen Beistand rechnen. Somit würde auch für Schleiermacher ganz im Sinne Kants - die Absicht, nicht die Tat den sittlichen Charakter des Handelns konstituieren. 237 R G V S . 2 0 1 . 238 Vgl. dagegen RGV S. 24, wonach die Frömmigkeit "im festen Vorsatz es künftig besser zu machen", besteht. 23« RGV S. 182. 24 « RGV S. 183.

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sammenhang der Erörterung der Idee von der Gottseligkeit noch einmal vor der Gefahr der Vergegenständlichung des Glaubens, die genau dann eintreten würde, "wenn die Verehrung Gottes das Erste ist, der man also die Tugend unterordnet"; Gott würde dann zum "Idol" werden, "d.i. er wird als ein Wesen gedacht, dem wir nicht durch sittliches Wohlverhalten in der Welt, sondern durch Anbetung und Einschmeichelung zu gefallen hoffen dürften; die Religion aber ist alsdann Idololatrie". Sondern es kommt für die "moralische Gesinnung" alles darauf an, welcher als der "oberste(..) Begriff" angesehen wird, "dem man seine Pflichten unterordnet" 241 . Das kann und darf kein anderer als der der Tugend sein. "Gottseligkeit ist also nicht ein Surrogat der Tugend, um sie zu entbehren, sondern die Vollendung derselben, um mit der Hoffnung der endlichen Gelingung aller unserer guten Zwecke bekrönt werden zu können"242. In diesem präzisen Sinn verwendet Schleiermacher den Begriff der Gottseligkeit in seinen Predigten, wie das die wiederholten Zusammenstellungen von "Tugend und Gottseligkeit" 243 , oder "Tugend und gottselige Gesinnung"1'44 zeigen. So verstanden, bezeichnen "Tugend" und "Gottseligkeit" bei Schleiermacher wie bei Kant zwei Aspekte

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R G V S . 185. RGV S. 185; vgl. RGV S. 183: "Die Gottseligkeitslehre kann also nicht für sich den Endzweck der sittlichen Bestrebung ausmachen, sondern nur zum Mittel dienen, das, was an sich einen besseren Menschen ausmacht, die Tugendgesinnung, zu stärken..." "So streitet der sinnliche Mensch in uns gegen den geistigen, so sucht die Stimme der Begierde, welche Lust und Vergnügen fordert, die sanften Töne der Religion und der Vernunft zu erstikken, welche uns zur Tugend und Gottseligkeit rufen wollen" (Pr. VII, 231, 24-28). "Eine gegründete Tugend und Gottseligkeit, die doch bei aller Demuth nicht umhin kann, ihren Werth zu fühlen, giebt einen gewissen Muth, eine gewisse Tapferkeit des Geistes, vor welcher auch die frechste und feinste Bosheit die Augen niederschlägt und zittert. Wer mit Zustimmung seines Herzens vor den A ugen der Welt sagen kann, Wer unter euch kann mich einer Sünde zeihen, der ist der natürliche von Gott gleichsam berufene Vertheidiger der unvollkommenen Tugend und der menschlichen Schwachheit, der kann im Vertrauen auf Gott und seine gute Sache ungescheut in die Schranken treten gegen den listigen Verläumder, kann ihn züchtigen vor den Augen der Welt und die Anmaßung demüthigen, die er auf die Geschikklichkeit in der Ausübung eines schwarzen Lasters gründet" (Pr. VII, 249,2-14). "Die Kinder der FinsterniB sind klüger in ihrem Geschlecht und auch muthiger als die Kinder des Lichts, darum werden wir ungern unsere Handlungen und unsere Gesinnungen vor ihm aufdekken, damit wir nicht

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derselben Sache: die Bestimmung des Menschen zum Streben nach sittlicher Vollkommenheit einschließlich der nicht durch menschliches Handeln selbst herstellbaren Bedingungen f ü r die Realisierung dieses Zwecks. Nun ist für Kants ethische Theorie insgesamt charakteristisch, den Spielraum möglichen sittlichen Handelns überhaupt als den Raum zu definieren, der durch die, als Manifestationen moralischer Maximen verstandenen, prinzipiell sinnlich bestimmten, individuellen Handlungen, konstituiert ist; d.h. das prinzipiell sinnlich bestimmte Handeln von Individuen wird aufgefaßt als die allein denkbare Erscheinungsform der überindividuellen, sittlichen Bestimmung des Menschen. Schleiermacher hat die unter dem Begriff des radikal Bösen bekannte Begründung Kants dafür, daß die prinzipielle sinnliche Bestimmtheit individuellen Handelns dessen sittliche Bestimmung verkehrt, als sachgemäße Weiterführung der ihm schon früher bei Spalding begegneten Lehre vom Bösen245 verstanden und als solche in seinen Predigten rezipiert. 246 Die "Gesinnungen" und "Handlungsweise" des "wahren Christen" stellen den auf Erden seltenen Fall dar, "worin Abscheu herrscht gegen alles böse und ungerade" 247 , die den Menschen "das böse meiden" läßt, indem sie die menschlichen "Neigungen" dem "Gefühl für Pflicht und Recht" unterwirft 248 . Die sittliche

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die Gelegenheit werden zu seinem tollkühnen Spott über Tugend und gottselige Gesinnung, zu einer elenden Verachtung des rechtschaffenen Wesens und der wahren Weisheit" (Pr. VII, 319,2-8; vgl. auch Bauer I, S. 95). Vgl. diese Arbeit S. 29ff. Ohne die Erkenntnis dieses Rezeptionsvorgangs ist auch kein angemessenes Verständnis für die Entwicklung des christologischen Denkens Schleiermachers möglich (vgl. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, S. 83). Pr. VII, 209,28 -210,1. Pr. VII, 210,23f„ 26; Pr. VII, 215, 17f.: Die christliche Lehre soll "die mancherlei verborgenen Schwächen und Thorheiten des menschlichen Herzens aufdekken"; Pr. VII, 230,16-18: Das Leben haben wir uns vorzustellen "als einen Zug mit den Waffen in der Hand, umgeben von unzähligen Feinden, denen wir jeden Schritt erst durch Streit und Sieg abgewinnen müssen"; Pr. VII, 231, 19-22: Die Feinde sind unsere "Neigungen", "Leidenschaften", "Begierden" und "Gewohnheiten"; Pr. VII, 232, 17f.: Die "Irrthümer", "Schwachheiten", "Fehler", "üblen Gewohnheiten", "schlechten Sitten"; Pr. VII, 258, 10-15: "Der Dienst der Leidenschaften hingegen ist voll unmöglicher Forderungen, weil es immer darauf ankommt etwas zu erreichen, das außer uns liegt und sich also um desto öfter allen unsern angestrengten Be-

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Grundverfassung des Menschen ist demnach abhängig von zwei einander widerstreitenden Faktoren, von der Sinnlichkeit und ihren Bedürfnissen auf der einen, und von der Vernunft und dem Gewissen auf der anderen Seite. Schleiermacher konstruiert allerdings nicht einen ursprünglichen Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Der läge nur dann vor, wenn die Sinnlichkeit als solche bereits als von der Vernunft unbeherrschbar gedacht werden würde. Dagegen wissen wir bereits249, daß Schleiermacher die Freiheit von der Nötigung durch die Objekte (nicht jedoch die notwendige Bezogenheit des menschlichen Willens auf alle möglichen in der Erfahrung gegebenen Gegenstände) als das anthropologische Grunddatum auffasst. Vielmehr wird der Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Vernunft als das Signum der erschienenen Wirklichkeit der sittlichen Verfassung des Menmühungen entzieht, weil es zugleich der Gegenstand von den Wünschen und Begierden und dem Streit mehrerer Menschen ist"; Pr. VII, 258,20-22: "Im Dienst der Sünde hingegen herrscht beständig die Unruhe der Begierde und Leidenschaft", Pr. VII, 259,7-10: "Im Dienst des Lasters" herrschen im Menschen "seine Empfindungen, seine Gelüste, seine Sinnlichkeit, und alle diese sind eigentlich nur zum Gehorchen gemacht"; Pr. VII, 260, 3f.: "Vernunft und Gewissen sollten herrschen, sind aber unterdrükkt"; Pr. VII, 260, 5-7: "was dagegen unterdrükkt, im Zaum gehalten und mit Strenge beherrscht sein sollte, das maßt sich eine verkehrte Oberherrschaft an"; Pr. VII, 260, 11-13: "niedrige Neigungen und Gefühle hingegen dürfen über ihren nothwendigen Gebrauch nicht hinaus"; Pr. VII, 275, 14-17: "Dieser beständige, vor dem Richterstuhl des Gewissens lange entschiedene aber in Wirklichkeit nicht zu beendigende Streit frommer und vernünftiger Gesinnung mit unrechten Neigungen und Leidenschaften"; Pr. VII, 276,1012: "daß Schwachheiten, Irrthümer und Leidenschaften uns immer verhindern mit derjenigen Festigkeit und Beständigkeit recht zu handeln, wie wir wol sollten"; Pr. VII, 287, 1: "daß du immer dir gleich und immer ohne Leidenschaft handelst"; Pr. VII, 301, 2: "der nur seinem Vortheil oder seinem Vergnügen lebt"; Pr. VII, 307, 32 - 308, 1: "Wenn die Menschen anfangen werden ihre ungezähmten Leidenschaften zu bändigen"; Pr. VII, 329, 12f.: "unsere Leidenschaften und unsere Trägheit"; Pr. VII, 333, 8: "unsere ungeordneten Neigungen"; Pr. VII, 366,1-3: jeder Fortschritt in der Tugend mißt sich daran, "wie weit wir es in der Fertigkeit gebracht haben alle unsere Neigungen festen und vernünftigen Grundsäzen zu unterwerfen"; Pr. VII, 373,18f.: "daß wir lernen sollen Leidenschaften aller Art überwinden"; Pr. VII, 376, 31f.: "eine gänzliche Umkehrung von dem Wege der Sinnlichkeit und der Zerstreuungen"; Pr. VII, 378, 30-32: "bei euch sollen Neigungen und Begierden schon ausgebraust, und die Vernunft soll mehr Herrschaft gewonnen haben"; Bauer I, S. 82: Erlösung vom moralisch Bösen; Zimmer I,S. 185: "Verleitungzum leidenschaftlichen". Vgl. diese A r b e i t s . 70.

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sehen von Schleiermacher vorgefunden, und zwar auf Grund einer, jetzt in der Tat ursprünglichen kontingenten Verkehrung des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Vernunft. Vernunft und Gewissen, die, weil sie dazu bestimmt sind, die Würde des Menschen auszumachen, "herrschen" sollen, sind "unterdrükkt"; die Neigungen, Begierden und Wünsche der sinnlichen Natur des Menschen, die "zum Gehorchen" bestimmt sind, herrschen. Damit ist aber genau die sittliche Bestimmung des Menschen verfehlt, das Subjekt der Nötigung durch die Objekte preisgegeben und deshalb unfrei. Diese ursprüngliche kontingente Vorgegebenheit des verkehrten Verhältnisses von Sinnlichkeit und Vernunft (bevor weder die moralische Vernunft noch die Religion überhaupt auch nur wirksam werden können) trifft präzise den Sinn des von Kant in seiner "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" verwendeten Begriffs des radikal Bösen250. Es betrifft die Menschheit als Gattung (in welchem Sinne Kant hier den Ausdruck "natürlich" verwendet 251 ), daß von ihr gesagt werden kann: in allen Menschen ist ein kontingenter ursprünglicher "Grund der Annehmung..böser (gesetzwidriger) Maximen" 252 . Die Sinnlichkeit als solche, als eine "Möglichkeit der menschlichen Natur", ist sittlich indifferent 253 . Sofern die "Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetz" nur als ein Akt der Freiheit begriffen werden kann, weil er sonst nicht als schuldige Tat dem Subjekt zugerechnet werden könnte, dieser Akt der Freiheit jedoch nicht als ein subjektiver, sondern als ein objektiver, d.h. als ein der Menschheit als Gattung zuzurechnender Akt verstanden werden muß, redet Kant

Auch Quapp (Christus im Leben Schleiermachers, S. 275) kommt zu dem Ergebnis, daß "die Bausteine für diese Lehre vom Bösen ... ganz von Kant übernommen" sind. Doch lasse Schleiermacher im Unterschied zu Kant das "Übergewicht" der Sinnlichkeit "durch die Versuchung von außen entstehen" (ebd. S. 276). "Von außen" kann für Schleiermacher gerade keine wirkliche "Versuchung" auf den Menschen zukommen, d.h. eine überlegene Macht, die den Menschen zum Bösen verführt. Seine Sinnlichkeit ist im Gegenteil erst die Ermöglichung der "Versuchung von außen", wozu freilich notwendig gehört, daß der Mensch sich über die wahre Konstitution der endlichen Wirklichkeit, mithin über seine sittliche Bestimmung täuscht und der sinnlichen Bestimmtheit seiner Existenz den Vorrang einräumt. Damit kommt Schleiermacher Kant sehr nahe, « i Vgl. RGV S. 32: "Der Mensch ist von Natur böse." 2M RGV S. 21. 253 RGV S. 28,34.

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vom natürlichen Hang des Menschen zum Bösen254, das er auch als "radicales, angebornes (nichts destoweniger aber uns von uns selbst zugezogenes) Böse(s) in der menschlichen Natur" bezeichnet 255 . Das Böse ist nicht gesetzlose Freiheit, sondern die Umkehrung der "sittliche(n) Ordnung der Triebfedern" (sc. des moralischen Gesetzes und der Selbstliebe) bei der Aufnahme in die "Maximen" des Handelns. Die Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetz besteht darin, daß der Mensch "die Triebfeder der Selbstliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der Befolgung des moralischen Gesetzes macht, da das letztere vielmehr als die oberste Bedingung der Befriedigung der ersteren in die allgemeine Maxime der Willkür als alleinige 256 Triebfeder aufgenommen werden sollte"257. Was "herrschen" soll, wird "unterdrükkt"; was "zum Gehorchen" bestimmt war, "herrscht". Auch darin treffen sich Kant und Schleiermacher, daß sie die Kontingenz dieser ursprünglichen "Verkehrtheit des Herzens" 258 behaupten, aber auch ihren Charakter als freie Tat, für die jeder einzelne verantwortlich gemacht werden kann und muß259. Die Erkenntnis der menschlichen Freiheit haben wir nach Kant einzig und allein durch das moralische Gesetz. Aus diesem Grunde ist die Behauptung der Unerfüllbarkeit des moralischen Gesetzes für den Menschen unvereinbar mit der Erkenntnis seiner Freiheit. Es ist deshalb für Kant durchaus ein logischer Schluß, erstens aus der Erkenntnis dessen, daß es das moralische Gesetz gibt und seine unbedingte Forderung an den Menschen, und zweitens daraus, daß die Bedingung der Möglichkeit der unbedingten Forderung des moralischen Gesetzes in der menschlichen Freiheit liegt, zu folgern: der Mensch kann, was er soll260. Dieser Schluß gilt unter der Voraussetzung der Unterscheidung zwischen der reinen sittlichen Vorstellungskraft und der erschei254 255 256

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5V 25« 259 26i>

RGVS.28,31. RGVS.32. Hier geht Kant noch einen Schritt weiter. Die Pflicht zum Handeln gemäß den Forderungen des Sittengesetzes allein aus Achtung vor diesem selbst unterscheidet sich noch einmal von der Pflicht zum Handeln gemäß den Forderungen des Sittengesetzes vor allem aus Achtung vor diesem selbst. Darin ist ihm Schleiermacher nicht gefolgt. RGV S. 36. RGV S. 37. RGV S. 43f. RGV S. 45,47,49 u.ö.; vgl. Pr. VII, 334,2f.!

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nenden Wirklichkeit dieser Vorstellungskraft, zwischen der Moralität der Aufnahme des moralischen Gesetzes als alleinige Triebfeder zum Handeln und der Legalität "gesetzmäßiger Handlungen" 261 . Von ihnen aus ist kein Schluß auf den Grad der "Reinigkeit" 262 der sittlichen Gesinnung eines Menschen möglich. Wenn also die beschriebene ursprüngliche, kontingente Verkehrtheit des menschlichen Herzens reversibel ist, so muß sich diese Reversibilität sowohl in der Moralität der Gesinnung als auch in der Legalität des Handelns ausdrücken; Kant findet f ü r diesen Sachverhalt die berühmte Formel von der "Revolution f ü r die Denkungsart" und der "allmählige(n) Reform...für die Sinnesart" 2 « 0 . Auch Schleiermacher glaubt an die Umkehrbarkeit der ursprünglichen, kontingenten Verkehrtheit des menschlichen Herzens. Wie wir jedoch schon mehrmals gezeigt haben2®4, folgt er Kant nicht in dessen Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Das hat darin seinen Grund, daß Schleiermacher die reine praktische Vernunft, d.h. die Bestimmung des menschlichen Willens allein durch die Vernunft, nicht für möglich hält. Die Negation der reinen praktischen Vernunft hat aber notwendigerweise die Leugnung der Möglichkeit der "Revolution" der sittlichen Gesinnung zur Folge. Der "gute Wandel" muß zwar auf Grundsätzen beruhen, und er darf nicht zufällig sein. Er muß "fortgesezt und ununterbrochen sein". Die "Festigkeit" des Charakters vermögen niemals "einzelne Handlungen" zu "verbürgen", sondern das kann immer nur "aus dem Zusammenhang des ganzen Lebens geschlossen werden" 265 . Doch ebenso gilt: "Schwachheiten sind freilich die allgemeine Beilage des menschlichen Gemüths, von denen wir uns nie losmachen können" 266 ; sie verraten "die Spur der menschlichen Natur, die sich auch bei dem besten nie ganz verläugnet" 267 . Zwar wertet Schleiermacher die sittliche Verfassung des Menschen als einen "Zustand, der nur dadurch beendigt wer261

™ ™ 264 265

HGV S. 47. RGVS.46. RGV S. 47. Vgl. die Anmerkungen 233 und 256. Pr. VII, 243,17f., 29f.; vgl. Pr. VII, 246,23f.; Pr. VII, 2 5 3 , 1 0 13; Pr. VII, 256, 22ff.; Pr. VII, 269, 29 - 270, 3; Pr. VII, 270, 7-10; Pr. VII, 273, 3-6; Pr. VII, 310,13f.; Pr. VII, 312,22-25; Pr. VII, 357,1-5; Bauer II,S. 308,340. Pr. VII, 244,9f.; vgl. Pr. VII, 270,22ff. Pr. VII, 248,6-8.

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den kann, daß er (sc. der Mensch) ein ganz neues Leben von vorn anfängt", welches nur vorstellbar ist als "eine sichere immer wachsende Gesundheit und Vollkommenheit der Seele" und als "ein Zustand beständiger gottgefälliger Thätigkeit" 268 , doch wird zwischen den "Einsichten und Handlungen" von Menschen immer eine große Lücke klaffen 269 . Ausdrücklich verzichtet Schleiermacher auf die Forderung nach Identität der "Triebfedern zur Besserung, zum Eifer in allem guten"; es gibt viele verschiedene "Wege zur Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Tugend und Gerechtigkeit" 270 . Der Entschluß zur sittlichen Gesinnung sichert niemanden davor, nicht auch weiterhin Fehler zu machen; "eine solche Forderung stritte mit der Unvollkommenheit der menschlichen Natur" 271 . Der hier auftauchende Gegensatz zu Kant hat letztlich seinen Grund in der uns bereits bekannten Auseinandersetzung Schleiermachers mit Kants transzendentalem Freiheitsbegriff 7 2 . Nur darauf beruht aber die Möglichkeit des kategorischen Imperativs als dem Inbegriff des moralischen Gesetzes. Obwohl also Schleiermacher nur an die Möglichkeit der stückweisen Verbesserung der sittlichen Verfassung des Menschen in der Erfahrungswirklichkeit glaubt, die der einzelne freilich selbst verantwortlich für sich als seine Pflicht zu übernehmen hat (und übernehmen kann!), so versucht er doch, seinen sittlichen Imperativen einen hohen Grad der Formalisierung zu geben, der sie möglichst allgemeingültig, wenn auch nicht kategorisch und unbedingt machen soll. Die "Befehle", die der "Dienst der Religion" an uns richtet, sind "Geseze für alle", bei deren Befolgung wir wissen, "daß es gut um die Welt stehen würde, wenn alle Menschen so handelten wie wir"273. In der Predigt Nr. XIV274 versucht Schleiermacher den Nachweis zu führen, daß in ethischen Entscheidungssituationen die Entscheidung nach dem obersten Prinzip der moralischen Vernunft bzw. des religiösen Sinns, welches das Prinzip der Men268 Pr. VII, 260,24ff. 263 Pr. VII, 308,5. ™> Pr. VII, 323,28fT.; vgl. Pr. VII, 325,18ff.; Zimmer I,S. 289f. 271 Pr. VII, 329, 31 f. Das sittliche Leben ist deshalb ein einziges Schwanken zwischen "Verachtung", "Kleinmut" und "Weichlichkeit" auf der einen, Freude und Selbstachtung auf der anderen Seite (Pr. VII, 336,18ff„ 27ff.). 272 Vgl. diese Arbeit S.92(T. 273 p r . VII, 258,25ff. 274 p r . VII, 354ff.

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schenliebe275 ist, eindeutig und unanfechtbar ist, selbst wenn es der täglichen Praxis zu widerstreiten scheint. Dieses Prinzip expliziert Schleiermacher dann wie folgt so: Wir sollen die Wünsche und Bedürfnisse jedes andern Menschen so ansehn und so behandeln wie unsere eigenen 276 . Das mit dem sittlichen Prinzip der allgemeinen Menschenliebe identische Gebot der Nächstenliebe vermag uns in allen Entscheidungssituationen eine "leichte, überall schikkliche Vorschrift" 277 zu geben. Wenn zwei verschiedene Forderungen der "Menschenliebe" bzw. der "Selbstliebe" zu kollidieren scheinen 278 , oder wenn zwei verschiedene Bedürfnisse der "Selbstliebe" miteinander streiten, dann sollen wir unsere Entscheidung jeweils so fällen, als würden jene Kollision und dieser Streit in uns selbst stattfinden; wir sollen also unabhängig von der Person entscheiden 279 . D.h. diejenige Vorschrift soll den Vorzug erhalten, der auch wir den Vorzug erteilt haben würden, wenn der Streit bzw. die Kollision in uns selbst stattgefunden hätte. Sind wir tatsächlich selbst beteiligt, so gilt diese Regel verschärft: unabhängig von der Person soll der Streit als ein Streit in uns selbst von uns selbst ausgetragen, und dabei derjenigen Vorschrift der Vorzug gegeben werden, der wir, wäre der Streit tatsächlich in uns, den Vorzug gewährt hätten 280 . Die Entscheidung soll also immer rein auf den Inhalt der Vorschrift, nicht aber auf die Person gehen. Dabei liegt das inhaltliche Kriterium darin, welcher Vorschrift "die reinste Gesinnung zum Grunde liegt", welche "mit unsern Pflichten in dem nächsten Zusammenhang steht", und welche "die beste und nüzlichste ist" 281 . "Und so läßt sich kein Fall denken, wo nicht die Vorschrift unseres Textes (sc. Mt 22, 35-40) den Streit der Selbstliebe und des Wohlwollens befriedigend entscheiden sollte" 282 . Schleiermacher will mit dem Prinzip der Menschen- bzw. Nächstenliebe dem sittlich Gesinnten eine gültige Regel für alle möglichen sittlichen Entscheidungssituationen an die Hand geben. Gerade um ihrer Notwendigkeit und Allgemeinheit in bezug auf alle möglichen Einzelfälle muß 275

«« 277 278 27a 280 281 282

Vgl. d i e s e Arbeit S. 94f. Vgl. Pr. VII, 3 6 1 , 1 - 4 . Pr. VII, 3 6 1 , 1 8 f . Pr. VII, 3 6 3 , 7 - 9 . Vgl. Pr. VII, 3 6 1 , 1 1 - 1 4 . Pr. VII, 3 6 2 , 2 7 - 3 6 3 , 6 , 2 8 - 3 3 . Pr. VII, 3 6 4 , 1 6 - 1 8 , 2 1 . Pr. VII, 3 6 3 , 3 - 6 .

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die Regel möglichst formalen Charakter tragen. Das Prinzip dient zur Entscheidung für den Fall einer Mannigfaltigkeit von möglichen guten Handlungen oder Vorschriften, d.h. der einzelne muß auswählen, welcher Vorschrift und welcher Handlung er den Vorzug geben will. Weil ihm dafür aber gerade kein kategorischer Imperativ zur Verfügung steht (die "beste" und "nüzlichste" Vorschrift ist immer eine unter vielen guten und nützlichen Vorschriften), dient die unter dem Prinzip der Menschenliebe zusammengefasste Regel der Rationalisierung von ethischen Entscheidungen. Sie setzt als Hilfe zur ethischen Urteilsfindung bereits die Pluralität sittlicher Handlungen und Vorschriften voraus. Demgegenüber behauptet Kant mit der Aufstellung des kategorischen Imperativs die Möglichkeit der eindeutigen Bezogenheit zwischen dem vom moralischen Gesetz bestimmten Willen und der tatsächlich vorzunehmenden Handlung. Ein solches von Schleiermacher formuliertes Prinzip der Menschenliebe enthält der kategorische Imperativ auch in seiner auf die Menschheit in der menschlichen Person bezogenen Form nicht; d.h. um Kants Terminologie zu benutzen, der kategorische würde in den hypothetischen Imperativ umschlagen, der eine mögliche Handlung als notwendiges Mittel zur Erreichung eines von dieser Handlung verschiedenen Zwecks gebietet 283 . 5 DIE EINHEIT VON TUGEND UND GLÜCKSELIGKEIT Die Theorie der Einheit von Tugend und Glückseligkeit entstand bereits in der Schlobittener Zeit aus der Kritik an Kants Versuch der Synthesis der Begriffe von Tugend und Glückseligkeit zu einem Begriff des höchsten Guts. Schleiermacher postulierte stattdessen den "psychologische(n)...Gesichtspunkt" als denjenigen Fixpunkt, "unter dem Sittenlehre und Glückseligkeitslehre - eben als Empfindungslehre - zusammenfließen" 284 .In Anknüpfung an die alten ethischen Lehren des Epikur und der Stoa entwickelte Schleiermacher bereits in seinen ersten Predigten einen Begriff 283

2«4

GMS S. 414: "Alle Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch, oder kategorisch. Jene stellen die praktische N o t w e n d i g k e i t einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will, ... zu gelangen vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objectiv-nothwendig vorstellte." Herms, Herkunft S. lOlf.

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von Sittlichkeit, in dem die Glückseligkeit mitgesetzt ist. Im Streben nach sittlicher Vervollkommnung ist das Bewußtsein der eigenen Glückseligkeit unmittelbar miteingeschlossen 285 . Die Wiederaufnahme dieses Themas läßt sich augenscheinlich auch in den Landsberger Predigten beobachten. Wie ehedem hängt es eng zusammen mit dem Glauben an die Erfüllbarkeit der sittlichen Gebote der Religion, insbesondere des Prinzips der Menschenliebe, d.h. mit dem Glauben an die im individuellen Handeln erscheinende sittliche Bestimmung des Menschen. Ohne diesen Glauben vermag das Individuum seine moralische Selbstverantwortung nicht wahrzunehmen. So finden sich in den Landsberger Predigten Formulierungen wie die folgenden: in der Befolgung des Willens Christi ist auch "immer unser eigenes Wohl" mitgesetzt 286 ; mit der "Freude und Hoffnung" auf die ewige Glückseligkeit verlieren wir diejenige auf die "irdische Glückseligkeit" 287 ; "das Bewußtsein, daß man das gute ernstlich will und mit Eifer ausübt, giebt dem Menschen immer eine innere Zufriedenheit und einen Trost, der ihn nie verläßt" 288 ; der "aufgeklärte Verstand" lehrt uns, "daß dasjenige das wenigste ist, was der Mensch zu seiner Glükkseligkeit für sich selbst thun kann, das aber das meiste, was andere für ihn thun müssen, indem er etwas für sie leistet,...und daß er sein Wohl nur in dem Glükk anderer finden kann" 289 . Das Maß an Glückseligkeit entspricht ganz genau dem Maß an innerer Kraft oder innerem Antrieb zur Tugend. Dies gilt für den einzelnen wie für die Gesellschaft als Ganze 29 ". Das "Reich Gottes" 291 kommt entsprechend dem Fortschritt in der "Verbesserung des Verstandes und Willens" 2 9 2 ; es ist zu denken als der "Zustand allgemeiner Tugend und Glükkseligkeit" 2 9 3 , denn die "Verbesserung des Verstandes und des Willens" hat ganz automatisch zur Folge die Reduktion aller "Mängel äußerer Einrichtungen und Verhältnisse" im ge-

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286 287 28» 28" 2»u 291 293

Vgl. diese Arbeit S. 70f. Pr. VII, 2 1 3 , 1 2 . Pr. VII, 227,26fT. Pr. VII, 2 5 2 , 7 10. Pr. VII, 3 0 8 , 3 3 3 0 9 , 7 . Pr. VII, 3 0 5 , 2 1 f f . Pr. VII, 3 0 8 , 1 3 . Pr. VII, 3 0 5 , 3 3 - 3 0 6 , 1 . Pr. VII, 3 0 5 , 1 7 ; vgl. Pr. VII, 3 0 8 , 1 3 - 1 7 .

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seilschaftlichen und staatlichen Zusammenleben eines Volkes2"4. So bilden "rechtschaffner Sinn und zufriedenes Wesen" 295 einen engen, unauflöslichen Zusammenhang, ja sie werden zu verschiedenen Momenten innerhalb eines Ganzen. Denn wer sich um die Glückseligkeit der Menschheit als Ganzer bemüht, d.h. um die Verbesserung aller auf ihre Glückseligkeit Einfluß nehmenden Faktoren - wie "Zufriedenheit", Gesundheit, Freude und Hoffnung, materielle Lebensqualität, sittliche Reife 296 - der gibt Zeugnis ab von der Wirklichkeit des moralischen Antriebs in ihm selbst, von der Wirksamkeit des obersten sittlichen Prinzips der Menschenliebe 297 in ihm selbst. Und in dem Maße, in dem in immer mehr Menschen das sittliche Prinzip wirksam und der innere Antrieb zur Tugend geweckt ist, muß sich auch die Hoffnung des einzelnen auf eigene Glückseligkeit und "Selbstzufriedenheit" 298 immer mehr als berechtigt herausstellen. Mit dem Ganzen, auf das sich der "Zustand allgemeiner Tugend und Glükkseligkeit" erstrecken soll, ist die Menschheit als Ganze, bestimmter dann das Ganze des gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenlebens eines Volkes von Schleiermacher gemeint. Damit stellt sich die Frage nach der Bezogenheit der überindiPr. VII, 309, 21. "Vielmehr werden diese Dinge von selbst unschädlich werden und sich nach und nach so weit abändern, bis sie der bessern Beschaffenheit der Menschen angemessen sind. Sobald der Mensch zu etwas vollkommnerem fähig und würdig ist, so streift er das unvollkommnere ab ohne Geräusch und Gewaltt ä t i g k e i t , und wenn er vorher selbst das beste nicht festzuhalten im Stande war, so weiß er jezt auch das minder gute zu benuzen und zu veredeln. Wenn er Recht und Billigkeit liebt, wenn sein Herz zum Wohlwollen geneigt und sein Verstand erleuchtet ist, so werden von selbst seine Geseze und Verfassungen weise und gerecht werden, denn sie richten sich immer nach dem Maaß von Einsicht und Güte, welches unter denen verbreitet ist, für die sie gegeben sind; von selbst werden die Herrscher milde und liebreich werden, denn ihre Maaßregeln sind immer ein Werk der Nothwendigkeit; von selbst wird der eiserne Scepter, womit sonst Ruhe und Ordnung gehandhabt werden mußte, sich in einen leichten Stab verwandeln, denn gute Gesinnungen bringen die Strenge bald außer Gebrauch und in Vergessenheit, ..." (Pr. VII, 309,22 - 310,7; Hervorhebungen von inir/C. M.-D.). Pr. VII, 312,10f.; vgl. Pr. VII, 313,7f.: "doch laßt uns nur erst besser werden, bald wirds um uns besser sein!" Pr. VII, 359, lff. '**> Pr. VII, 358,30ff. Pr. VII, 373,22.

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viduellen sittlichen Bestimmung der Menschheit als Gattung (für alle Menschen gilt ja, daß sie zur moralischen Vollkommenheit bestimmt sind) zu der konkreten sittlichen Totalität von Staat und Gesellschaft als den größten vorhandenen Systemen, in denen möglicherweise sinnvolles, d.h. freies und relationales Handeln von Menschen möglich ist. 6. DAS VERHÄLTNIS VON SITTLICH ALLGEMEINEM UND SITTLICH INDIVIDUELLEM Weil der Mensch Geschöpf Gottes ist, kann er von seiner geschöpflichen Bestimmung wissen und sich für ein ihr gemäßes Handeln entscheiden. Aus dieser Einsicht leitete Schleiermacher die Möglichkeit und Notwendigkeit der moralischen Selbstverantwortung des Individuums ab. Damit setzt die Vernunft bei ihrer Reflexion auf die Möglichkeit der sittlichen Bestimmung des Menschen bereits den Glauben voraus. Der Glaube ist nicht nur als Organ für die Erkenntnis der sittlichen Bestimmung gedacht, sondern als diejenige Wirklichkeit der Bezogenheit des einzelnen auf Gott, worin die Bezogenheit auf das sittliche Handeln des einzelnen unmittelbar mitgesetzt ist. Die Bezogenheit der sittlichen Bestimmung auf den transzendenten Grund fordert ihre Überindividualität. Wie bestimmt Schleiermacher das Verhältnis des einzelnen zu der für die Menschheit als Gattung geltenden überindividuellen sittlichen Bestimmung? Ist der einzelne Träger der in dieser Bestimmung manifesten, abstrakten sittlichen Universalwerte? Oder ist er ihnen gegenüber noch einmal selbständig gedacht? Für die in der sogenannten romantischen Periode Schleiermachers kulminierende Entwicklung des Begriffs der Individualität 29 " dürfte die Frage von erheblicher Bedeutung sein. Wird der einzelne deshalb zum Wertgegenstand, weil er möglicher Träger des Allgemeinwertes ist?' 00 . Denkt Schleiermacher eine Selbständigkeit des Individuums gegenüber bloß abstrakten Werten? Und: Ist die Individualität des einzelnen mit der Individualität einer konkreten sittlichen Totalität (Staat, Gesellschaft, Nation, Familie) in Beziehung gesetzt? 29» Siehe dazu unten S. 243ff. Zur "Logik des Wertens in der Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus" von Kant bis Hegel unter besonderer Berücksichtigung von Fichte vgl. E. Lask, Fichtes Idealismus und die Geschichte, bes. S. 6-27, in: Gesammelte Schriften I.Tübingen 1932.

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"Wo andere bei unläugbarer Unvollkommenheit des einzelnen stehn bleiben, da tröstet sich der Menschenfreund mit einer gewiß vorhandenen wenn auch von ihm nicht bemerkten vortheilhaften Beziehung aufs ganze" 301 . Diese und andere Sätze aus den ersten Predigten dokumentieren Schleiermachers Uberzeugung von dem Gingegliedertsein des einzelnen in das nicht näher bezeichnete Ganze, welcher Begriff sowohl das "das Wohl des einzelnen miteinschließende Gesamtwohl"301!, als auch die menschliche Gattung 303 überhaupt bezeichnen kann. Auch weiterhin läßt sich die Unbestimmtheit des Begriffs des Ganzen in den mannigfaltigen Ausdrücken für die in der überindividuellen sittlichen Bestimmung manifesten, wechselnden Wertallgemeinheiten verfolgen: das "allgemeine. ) beste(..)"304, "Ruhe 305 , "Glükkseligkeit" 306 , "Friedfertigkeit" 307 , "Eintracht" 308 , 'Vechtel.) und fleißige*..) Ausübung des guten" 3oa . Daß mit der Formulierung von abstrakten Wertallgemeinheiten noch nicht das Problem der Individualität gelöst ist, kommt dagegen bei Schleiermacher nur selten in den Blick. Solange die Individualität des einzelnen nicht in der Bestimmung des Begriffs eines Wertallgemeinen mitgedacht ist, steht aber "das e i g e n t ü m l i c h e " des einzelnen in Gefahr, "nothwendig mißverstanden" 310 zu werden. Die Definition dessen, was z.B. "Geselligkeit" 311 und "Freundschaft" 312 sind, muß auf die Eigentümlichkeit des einzelnen konstitutiv bezogen sein. So genau Schleiermacher die Tugend als aus einem inneren Antrieb, aus einem notwendigen Bedürfnis des menschlichen Gewissens entspringend bestimmte, so unbestimmt bleibt der Begriff dessen, wovon der Mensch als dem Produkt seines sittlichen Handelns spricht. Die Gemeinschaft soll unter den von dem "deutlichere(n) Bewußtein ihrer Bestimmung", von der "Ahnung eines höhern

303 31,4

305 306 '07 308 30» 3i» 3ii 3i*

Pr. VII, 133,16-19. Pr. VII, 11,1 lf. P r . VII, 6 8 , 1 5 6 9 , 6 ; Pr. VII, 6 9 , 1 0 - 7 0 , 6 . Pr. VII, 283,5f. Pr. VII, 2 8 3 , 6 ; Pr. VII, 2 8 2 , 9 . Pr. VII, 2 8 3 , 6 u.ö. Pr. VII, 2 8 3 , 4 . Pr. VII, 282,9f. Pr. VII, 284, 25f.; vgl. Pr. VII, 373, 11: d a s "allgemeine (...) Wohlergehn"; Pr. VII, 365,5: das "allgemeine Wohl". Pr. V I I , 3 0 0 , 2 3 f . Pr. V I I , 2 9 8 , 2 2 . Pr. VII, 2 9 9 , 1 2 .

Sittlich Allgemeines und Individuelles

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Lebensgenusses" 313 erfüllten Menschen von selbst entstehen 314 . Die innere Veränderung, die Ausbreitung einer tugendhaften Gesinnung soll die Verbesserung der äußeren Einrichtungen und Verhältnisse von selbst nach sich ziehen315. Im Gegensatz zu der Uberindividualität der sittlichen Bestimmung und den in ihr manifesten sittlichen Wertallgemeinheiten können die äußeren Einrichtungen und Verhältnisse ganz offensichtlich nicht zum Träger von Wertallgemeinheiten werden. Das kann nur das sich der überindividuellen sittlichen Bestimmung immer mehr angleichende Individuum sein. Staat und Gesellschaft, Nation und Familie, "alle äußeren Einrichtungen dienen nur dazu die Gesellschaft der Menschen zusammenzuhalten, und diese ist doch nur wegen der Vortheile da, welche sie den einzelnen bringen sollen"316. Sie sind eine Veranstaltung der Not der sinnlichen Natur der Menschen; auf diese und deren Bedürfnisse allein beziehen sie sich. Schon deshalb können sie nicht zu Trägern von Wertallgemeinheiten avancieren. Zwar können wir sowohl in den der Vergänglichkeit überlieferten geschichtlichen Ordnungen, als auch im "wahrhaft gute(n)" die "weisen ewigen Geseze" Gottes, seine "mächtige Hand" wahrnehmen 317 ; jedoch sind die geschichtlichen Ordnungen - eben weil sie vergänglich sind - mit der "Ordnung Gottes" nicht identifizierbar und nicht vergleichbar, vielmehr ist uns diese allein im "wahrhaft gute(n)" gegeben, damit aber nicht ohne weiteres erkennbar. Wie allerdings die Relation zwischen dem zeitlosen "wahrhaft gute(n)" einerseits, und den zeitlichen, weltlich-geschichtlichen Ordnungen andererseits zu denken ist, wird von Schleiermacher nicht erörtert. Die Selbstliebe dessen, der sich zu einem der sittlichen Bestimmung gemäßen Leben entschieden hat, muß von der Selbsthilfe des nur um seine eigene 313

Pr. VII, 308,29ff. Das gilt selbst für die Kirche (Pr. VII, 310,20«'.). 315 Vgl. Pr. VII, 305-307; Pr. VII, 310, 17-20: "Auch die von jedem Freund des guten so aufrichtig gewünschten Veränderungen in der äußern Beschaffenheit der Religion können nur eine Frucht jener vorhergegangenen innern Verbesserungen sein". 31« Pr. VII, 305,7-9. 317 Pr. VII, 351, 16-20: "Die menschliche Natur bringt es mit sich, daß alles in der Welt, das wahrhaft gute ausgenommen, sich durch Umstände unterstüzt zu einer gewissen Höhe erheben kann, aber wenn es diese erreicht hat, auch gewaltsam zurükksinkt und in diejenige Nichtigkeit verfallt, die ihm sein innerer Werth schon bestimmte"; Pr. VII, 351,31 - 352,7. 314

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Theologie der Predigten von 1794 bis 1796

Glückseligkeit besorgten Menschen spezifisch verschieden sein ais . Der "weise, der verständige" Mensch "hat eine unverbrüchliche Achtung für seine vernünftige Natur,...welche den e i g e n t ü m l i chen Werth der Menschheit" ausmacht 319 . "Der vernünftige Mann spannt seine ganze Aufmerksamkeit darauf, keinen Augenblikk und keine Gelegenheit vorbeizulassen, wo er sich seiner Bestimmung nähern und seinen Zustand verbessern kann" 320 . In dem "vernünftigen Mann", d.h. in dem sich der Uberindividualität der sittlichen Bestimmung gleichgestaltenden einzelnen erblickt Schleiermacher zu seiner Landsberger Zeit die einzig mögliche Individualität des einzelnen. Dieser ist dabei nur insofern als Wertgegenstand gedacht, als er wirkliches Wertexemplar des abstrakten Wertallgemeinen ist. Die Relationen zwischen der Individualität des einzelnen und der Individualität einer konkreten sittlichen Totalität einerseits, und die zwischen der Überindividualität der sittlichen Bestimmung einschließlich den in ihr manifesten Wertallgemeinheiten zu beiden Individualitäten andererseits, bleiben dabei ungeklärt. 7. ZUSAMMENFASSUNG Weil der Mensch Geschöpf Gottes ist, kann er von seiner geschöpflichen Bestimmung wissen und sich für ein ihr gemäßes Leben entscheiden. Aus dieser Einsicht ergeben sich Möglichkeit und Notwendigkeit der moralischen Selbstverantwortung des Individuums. Die Vernunft muß den Glauben als die Bedingung der Möglichkeit der sittlichen Bestimmung des Menschen voraussetzen - in neotischer und in ontologischer Hinsicht. Der Glaube eröffnet nicht nur die Erkenntnis der sittlichen Bestimmung, sondern auch die Erkenntnis der Wirklichkeit der Bezogenheit des Menschen auf Gott, worin die Bezogenheit auf das sittliche Handeln unmittelbar mitgesetzt ist. Inhaltlich entfaltet Schleiermacher in seinen Landsberger Predigten den Glauben als das 318

31S

Fr. VII, 357, 9-13: "Aber wohlverstanden, nicht auf die Art sollen wir unsere nächsten lieben, wie ein großer Theil der Menschen sich selbst liebt, sondern so wie wir uns selbst lieben müssen, wenn wir von rechtschaffenen, v e r n ü n f t i g e n und edlen Gesinnungen beherrscht sind." Pr. VII, 357, 21-24. Pr. VII, 358, 7-10; vgl. Pr. VII, 357, 28-30: "Er w ü r d e es f ü r d a s größte Unglükk halten e t w a s zu t h u n , wodurch er seinen Antheil d a r a n v e r w i r k e n und m i t Recht geringschätzig und verächtlich werden könnte."

Zusammenfassung

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Vertrauen auf den göttlichen Beistand für alles mit der Absicht auf Entsprechung zur sittlichen Bestimmung vorgenommene menschliche Handeln. Der Glaube an Gott, den Schöpfer und an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen sind Momente dieses einen Glaubens. Diese Auffassung von Glaube und Frömmigkeit (Frömmigkeit ist der Glaube an die Möglichkeit der Uberwindung der Herrschaft der sinnlichen Natur im Menschen, d.h. an die sittliche Macht des Glaubens) hat zwei Konsequenzen für das endlich Seiende. Erstens ist das endlich Seiende von Gott abhängig; alles in ihm geschieht mit göttlicher Notwendigkeit (Hier ist der Einfluß von Spinoza unverkennbar.). Zweitens kann es innerhalb des endlich Seienden nichts an sich Böses geben, wenn das endlich Seiende als der eine von Gott geschaffene, von ihm geordnete und erhaltene, von ihm abhängige Welt- und Naturzusammenhang begriffen wird. Deutlich wurde die Abhängigkeit des entfalteten religiös-sittlichen Gehalts der Landsberger Predigten von der mit dem Begriff vom radikal Bösen angezeigten spezifischen Weiterentwicklung der ethischen Theorie Kants, wobei Schleiermacher diese Lehre Kants deshalb rezipieren konnte, weil er sie in einem Sachzusammenhang stehend mit Spaldings empirisch-psychologisch fundierter Lehre vom Bösen verstand. Der bleibende charakteristische Unterschied zu Kant besteht dagegen in Schleiermachers Ablehnung von Kants transzendentalem FreiheitsbegrifT. Der Individualität des einzelnen mißt Schleiermacher in der Landsberger Zeit keine selbständige sittliche Bedeutung zu. Deren sittliche Bedeutung liegt allein darin, wirkliches Wertexemplar der mit der überindividuellen, sittlichen und entsprechend moralische Glückseligkeit miteinschließenden Bestimmung gegebenen Wertallgemeinheit zu sein.

5. KAPITEL DIE THEOLOGIE DER PREDIGTEN VON 1797 BIS 1804 Von der geistigen Verbindung mit dem Kreis junger Romantiker um die Brüder Schlegel ist das Schrifttum Schleiermachers in den Jahren von 1797 bis 1804 entscheidend befruchtet worden, weshalb wir von einer romantischen Epoche Schleiermachers in zeitlicher wie sachlicher Hinsicht zu reden berechtigt sind1.Die leitende Frage für die Untersuchung der Predigten aus diesem Zeitraum lautet: In welchem Verhältnis sachlicher Kontinuität oder Diskontinuität stehen die Predigten aus romantischer Zeit mit den älteren, von uns bereits analysierten Predigten Schleiermachers? Daher werden die aus der Interpretation der älteren Predigten gewonnenen Fragestellungen in heuristischer Absicht beibehalten. Es kann über die zeitliche Parallelität hinaus keine sachliche Identität zwischen Predigten und romantischen Schriften Schleiermachers vorausgesetzt werden2. Wir folgen in dieser 1 2

3

Siehe unten "Einleitung" Anmerkung 26. Problematisch erscheinen mir solche Verfahren, die sachliche Identität dadurch zu konstruieren suchen, daß sie die Selbständigkeit und Gleichwertigkeit einer Größe (in der Regel der Predigten) zugunsten der anderen fast völlig fallen lassen und die Predigten einseitig etwa von den Reden aus interpretieren (vgl. unten "Einleitung" Anmerkung 17). Die historische Interpretation darf sich nicht völlig von der Wirkungsgeschichte, innerhalb deren die Reden Schleiermachers zweifellos eine größere Rolle gespielt haben als seine Predigten, bestimmen lassen. F.S.G. Sack, Hofprediger und Mitglied des reformierten Kirchendirektoriums in Berlin, vor dessen Prüfungskomission Schleiermacher 1790 sein theologisches Examen ablegte. Sack wirft dem "Redner" Schleiermacher Spinozismus vor und spitzt seinen Vorwurf zu einem persönlichen Angriff zu. Während Schleiermacher in den Reden seine wahre Ansicht über Religion und Christentum dargelegt habe, verleugne er dieselbe als Prediger (vgl. Br. III, S. 275ff.; besonders S. 277).

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

Hinsicht dem Urteil von Sack 3 , der freilich die scheinbar nicht vorhandene sachliche Identität zwischen Predigten und romantischen Schriften als sachlichen Widerspruch werten zu müssen meinte. Man kann sagen, daß die Schleiermacherforschung durch ihre sachliche Vernachlässigung der Predigten diesem Angriff Sacks auf die Kohärenz des philosophischen und theologischen Denkens Schleiermachers in seiner romantischen Epoche die Spitze genommen hat, ohne das von diesem wahrgenommene Problem damit gelöst zu haben. Die unverkennbare Spannung zwischen Predigten und romantischen Schriften 4 erfordert die Klärung der Frage nach dem romantischen Gehalt der Predigten, d.h. nach dem Vorkommen von für den frühromantischen Gedankenkreis insgesamt als bestimmend anerkannten Ideen in der Predigt Schleiermachers. 1. MÖGLICHKEIT UND GESTALT DER MORALISCHEN SELBSTVERANTWORTUNG DES EINZELNEN Der Ansatzpunkt des religiös-sittlichen Denkens Schleiermachers ist in den Predigten der natürliche Mensch im Blickfeld seiner besonderen, als Folge seiner Bestimmung als Geschöpf Gottes verstandenen Verantwortung vor Gott. Der "volle(..) Gebrauch" der "Kräfte" 5 , mit denen der Mensch als geschaffenes Wesen natürlicherweise ausgestattet ist, soll die Bewältigung aller erdenklichen Lebenssituationen nach den Gesetzen der Pflicht 6 und des 4

Sie ist offensichtlich, wenn Schleiermacher im Vorwort zur 1. Predigtsammlung die Thematik des Ethischen für die Explikation des "Wesentlic h e ^ ) des Christentums" für unabdingbar halt (Pr. I, S. 7), obgleich doch der "schneidende Gegensatz ..., in welchen sich die Religion gegen Moral und Metaphysik befindet" (Reden S. 28) für den Religionsbegriff in den Reden grundlegend ist. s Pr. 1,30,21. 6 Vgl. Pr. I, 41, 7-19 "Es giebt keine Ruhe und keinen Stillstand in einem Pflicht und Beruf liebenden Gemüth". Pr. I, 41, 9-11 "... wünsche ich in der That nur, daß Ihr nie aufhören möget, Euren Beruf zu lieben und ihm euer ganzes Nachdenken, eure ganze Kraft zu widmen"; Pr. I, 77, 3-7 "Vor allen Dingen aber gieb uns den Geist der wahren Weisheit, daß wir in Deinen Willen ergeben und auf Deine Hülfe hoffend unter allen Umständen des Lebens, ohne zu zögern und ohne zu klügeln, treu bleiben unserer Pflicht und unserm Beruf"; Pr. I, 167, lOf. als "gute Haushalter" sollten wir "alles Gute treu und weislich benuzt haben"; Zimmer II, S. 5 nichts darf die "Pflichterfüllung" hindern, "die uns obliegt"; Zimmer II, S. 19 die Pflicht ruft "zum Handeln".

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Gewissens7 ermöglichen. Das heißt "den Weg zu wandeln, den Gott uns vorzeichnet"8. Gottes Wille drückt sich ausschließlich, unbedingt und widerspruchsfrei in dem von uns Menschen "nach unserer besten Überzeugung als Pflicht erkannt(en)" und "ausgeführt(en)" aus9. Daraus ergeben sich unmittelbar zwei Folgerungen. Erstens: Alle dem Menschen in den Herausforderungen seines Daseins begegnenden und als solche von ihm erkannten Einzelpflichten müssen in einem widerspruchsfreien Verhältnis zueinander stehen. Zweitens: Es kann auf keinem Gebiet menschlicher Tätigkeit wahren Erkenntnisfortschritt bzw. wahre Bildung geben, ohne daß diese ihren Grund in der moralischen Bildung, d.h. ihre Wurzel in einem Pflichtgebot hat 10 . Die "wahrhaft tugendsame sittliche Gesinnung"11 soll die einzige Triebfeder für die menschliche Geistesbildung sein. Alle Handlungen sollen im Willen des Menschen ihren Grund haben und "von diesem Zeugniß geben"12. Sittliche Gesinnung und wahrhafte Geistesbildung Pr. 1,87,23f., 2 7 , 3 0 Jeder Verstoß gegen die Gebote der Pflicht verletzt das Gewissen; Pr. 1,105,23 die Wahrnehmung der "Stimme (des) Gewissens" ermöglicht die sittliche Vervollkommnung; Pr. I, 80, 16f. "Willst du dein Gewissen befriedigen: so kannst du nicht zugleich auch die Welt befriedigen"; Bauer II, S. 341 Wegen der Stärke unserer "Berufstreue" sollen wir "mehr an Gott als an die Welt ... denken"; Pr. I, 80, 34 "die unserm Gewissen schuldige Treue"; Zimmer II, S. 53 das Gewissen ist eine der "edelsten Gaben" des Menschen. 8 Pr. 1,32,16f. 9 Vgl. Pr. 1, 80, 24-31 "Wer davon ausgeht, wovon jeder Christ ausgehen muß, daß nur das wohlgefällig sei, was wir nach unserer besten Überzeugung als Pflicht erkannt...: der soll sich nicht einbilden, daß es, wenn er die Sache aus einem andern Gesichtspunkt ansieht, wiederum eine andere Pflicht gebe, welche ihm gebietet jene Pflicht zu verlezen"; Zeile 36-38 "So muß es sein, weil alle Forderungen Gottes an uns mit einander bestehen und einander unterstüzen müssen". 10 Pr. I, 51,16-21 "Aber ohne einen wahrhaft guten Willen, ohne eine acht sittliche Gesinnung, ohne die feste und immer thätige Richtung aller Kräfte auf das selbsterkannte Gute, ohne treuen Gehorsam gegen die göttlichen Geseze, sind alle jene Vorzüge des Geistes... nichts, gar nichts." 11 Pr. 1,52,15. 12 Pr. 1,53,17-20; Pr. I, 52,32-34 Denn das "Gefühl der Achtung ... ist lediglich an unser Urtheil über den sittlichen Wert eines Menschen angeknüpft"; Pr. I, 54, 33-36 "Falsche Bewegungsgründe" schließen den "Anspruch auf Achtung" der "Geistesvorzüge" aus; Pr. I, 55, 37-39 "... achten kann ich Euch nicht, wenn es nicht die Liebe war, die Euch also drängte und trieb nach der Vollkommenheit zu streben." Früher galt Schleiermacher der Determinismus als notwendige Voraussetzung für den Schluß von den Handlungen auf 7

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schließen sich also nicht gegenseitig aus, sondern stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Denn auch die sittliche Gesinnung kommt nur zu ihrer Wahrheit, wenn sie bestrebt ist, "die Summe menschlicher Vortreflichkeiten zu vermehren und der Welt nüzlich zu werden"13. Schleiermacher hält es für notwendig, daß sich jegliche Geistesbildung in allen möglichen Erkenntnis- und Tätigkeitsbereichen auf einen ursprünglichen Antrieb der sittlichen Gesinnung zurückführen lassen muß. Sollte dies nicht der Fall sein, dann müßte erstens zugestanden werden, daß der ursprüngliche Antrieb zur Bildung auch nichtsittlichen Charakter tragen kann14, und zweitens, daß es menschliche Erkenntnis- und Tätigkeitsbereiche gibt, die von der Durchbildung mit der sittlichen Gesinnung ausgeschlossen werden können15. Alle nicht in der sittlichen Gesinnung bzw. im Pflichtgebot wurzelnde Bildung ist aber für Schleiermacher a priori unwahre Bildung. In diesem Verhältnis zwischen Bildung und Pflicht drückt sich der Wille Gottes aus. Er ist für den Menschen unmittelbar nur er-

13

14

1&

den sittlichen Wert der Person (KGA I, 1, S. 254, Z. 35ff.). Die Sicherheit dieses Schlusses ist jetzt für Schleiermacher fragwürdig geworden. Dagegen hält er die direkte und unmittelbare Erkenntnis des sittlichen Wertes der Person "durch" deren Handlungen "hindurch" (gleichsam "hinter" den Handlungen) für möglich. Pr. I, 56, 7f.; vgl. Pr. I, 51, 21-24 Die "gute Gesinnung" ist "freilich unausbleiblich allemal mit dem Bestreben verbunden ..., alle Anlagen, welche wir von Gott empfangen haben, aufs Beste zu benuzen"; Pr. I, 55, 8-12 "Jeder rechtschaffne Mensch wird allerdings beflissen sein, seine Fähigkeiten immer weiter auszubilden, er wird aber damit fortschreiten nach Maaßgabe als sein Beruf es erfordert, und als dieser sich wiederum mit seinem Wachsthum in der Vollkommenheit erweitert und veredelt"; Pr. I, 69, 26f., 31 f., 34ff. "Jeder Verständige benuze, jeder erweitere in seinem Theile die KenntniO der Natur ... Jeder Fromme und Tugendhafte suche mit dem Lichte seines Beispiels so weit umher zu leuchten als möglich ... jeder Nachdenkende und Muthige leihe der Wahrheit seine Stimme, und wir Alle ohne Ausnahme wollen immer enger und fester schließen den Bund der Treue und des Gehorsams unter heilsame Geseze: aber mit allem, was unsere Kräfte vermögen, wollen wir uns demüthigen unter die gewaltige Hand Gottes." Pr. I, 60, 26-30 "Wer nicht von dem Triebe seine Pflicht zu erfüllen beherrscht wird, wen dabei weder die Noth drükkt, noch der Gigennuz spornt, noch eine heftige Leidenschaft hinausjagt in das Getümmel der Welt, warum sollten für den die Vollkommenheiten, die er besizt, ein Antrieb sein, der Welt seine Ruhe aufzuopfern?" Pr. 1,61,18f. "denn alle Talente sind eben so brauchbar zum Bösen als zum Guten".

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kennbar in der Selbsterkenntnis, d.h. in der sein Denken und Handeln in der jeweiligen Lebenssituation auf das Bewußtsein der Pflicht16 gründenden Erkenntnis des Selbst als derjenigen Instanz, aufgrund deren der Mensch eine selbständige, freie Willensentscheidung zu treffen vermag17. "Weil wir in jedem Menschen ein freies inneres Leben voraussezen, so wollen wir auch in jeder Handlung eines Menschen den Ausdruk seines Inneren erkennen, und in diesem die Nothwendigkeit finden, warum sich jenes gerade so gestaltet hat"18. Die Notwendigkeit des Handelns beruht nach Schleiermacher also gerade darauf, daß es als allein und vollständig bestimmt durch die selbständige, freie Willensentscheidung des Subjekts vorgestellt wird. Derjenige, der durch sein Denken oder Handeln sein Gewissen verletzt und seiner Pflicht entgegenhandelt, setzt auch seine Selbstachtung aufs Spiel19. Es erscheint innerhalb dieser, in der Konzeption des freien Selbst ihre Möglichkeit findende Theorie des pflichtgemäßen, gottgefälligen Erkenntnis- und Bildungsstrebens des Menschen als folgerichtig, daß weder die "äußeren Umstände" noch die "natürliche Beschaffenheit des Gemüthes", sondern allein seine eigene Tat, "dasjenige was der Mensch selbst hinzuthut oder davon Pr. 1,34,29-31 Wir sollen immer an das denken, an die "Heiligkeit und Weisheit" dessen, "was uns immer das Nächste sein soll": die Pflicht, die je und je aufgrund unseres In-der-Welt-Seins auf uns zukommt als unsere göttliche Bestimmung. 17 Die selbständige, freie Willensentscheidung kann Schleiermacher auch die Stimme der Vernunft oder des Gewissens nennen (vgl. die unter Anmerkung 7 genannten Stellen). Pr. IV, 14,2 Der Mensch darf niemals den "Glauben an seine Vernunft" verlieren; vgl. Pr. I, 74, 24-28 Jeder von uns soll, "aufgefordert durch eine nicht zu unterdrükkende Stimme in seinem Innern" alle anderen Menschen allein nach ihrem "innern Werth" würdigen; vgl. Pr. I, 75,38-76,1. Neben der "Stimme der Vernunft" (Pr. 1,105,7,16f.); der "Stimme des Gewissens" (Pr. I, 105, 23; 106, 7f.) gibt es noch die "Rathschläge eigner und fremder Erfahrung" (Pr. I, 105, 8), und speziell für die Christen die Schrift und das Wort Gottes (Pr. 1,105,6; 106,22). 18 Pr. I, 84, 4-7; vgl. Pr. I, 83, 34-36; Zimmer II, S. 64 "Es gehört zum wesentlichen Charakter des Menschen, daß allen seinen äußeren Handlungen auch etwas Inneres entspricht, welches wir überall aufsuchen und überall zur Hauptsache machen. Es ist nur ein Schein, daß es Verhältnisse gäbe, wo es nur auf jene ankomme." >9 Vgl. Pr. 1,87,23f.; Pr. 1,90,17f.; aber auch Pr. 1,88, 33f. "Kleinigkeiten, die vor das Gebiet des Gewissens nicht gehören, giebt es denn die eigentlich?"; Zimmer II, S. 11 "die Achtung, die wir der Welt schuldig sind, muß sich aus der Treue gegen unser Gewissen von selbst ergeben" (vgl. den Predigtentwurf Nr. 10, Zimmer II, S. 11-13, mit der Predigt Nr. VI, Pr. I, S. 78-92).

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nimmt", als das Ausschlaggebende für die menschliche Glückseligkeit angesehen wird20. In einem Predigtentwurf aus dem Jahre 180021 drückt Schleiermacher diesen Sachverhalt so aus: "Der Thäter (sc. des Wortes) ist 1) selig in seiner That; a) er lebt im Gesez der Freiheit von äußeren Dingen, von inneren Bewegungen; b) er hat seine Freude daran, sich selbst zu beschauen,... c) diese Seligkeit in der That ist mehr wert als alle andern, die er entbehrt". Er läßt "sich das Herz nicht verführen" und hält "sich von der Welt unbefleckt". Ohne diese "inner(e) Beschaffenheit" hätten alle seine "äußern guten Werk(e)" keinen "Wert". Der Gedanke der sittlichen Vervollkommnung oder moralischen Bildung des Menschen ist für Schleiermacher unlöslich verbunden mit der Rede von den "Verrichtungen des innern Lebens, der Macht des Willens und des Selbstbewußtseins"22. Die Zunahme in der moralischen Bildung ist für ihn nicht ohne die Zunahme in der Selbsterkenntnis denkbar23. Diese Zunahme in der Selbsterkenntnis ist dem Subjekt möglich aufgrund seiner Reflexivität und der grundsätzlichen, keinem Menschen absprechbaren Fähigkeit zur sittlichen Vervollkommnung. An die Wahrnehmung dieser Möglichkeit ist aber die Entscheidung über den religiössittlichen Charakter der Einzelexistenz wie der menschlichen Natur überhaupt geknüpft24. Jede "Erfahrung" und jede "menschli2

° Vgl. Pr. I, 100, 2-7, 10-12, 17-20; Zimmer II, S. 48 "Zufriedenheit im Unglück", "Fleiß in guten Werken" und "Sorglosigkeit" entsprechen einander. 21 Zimmer II, S. 62f. 22 Pr. 1,119,23f.; vgl. Zimmer II, S. 7 "Unabhängigkeit des Innern vom äußern Schein". 2 a Vgl. Pr. I, 121, 9-11; Pr. I, 136, 4-14. Wehrung (Schleiermacher in der Zeit seines Werdens, S. 279) zieht hier mit Recht eine Parallele zu den Monologen: "Selbsttätigkeit ist demgegenüber Ausdruck sittlichen Lebens. Aber, wie auch hier betont wird, eine solche Selbsttätigkeit, die von steter Wachsamkeit und unausgesetzter Beobachtung unserer selbst begleitet ist. Erst dieses Nachdenken über sich selbst bewahrt vor selbstverschuldeter geistiger Ohnmacht, zeigt uns, was wir sind und wie wir es wurden. Wir sind mitten drin in Schleiermachers Deutung des Sittlichen als der polaren Wechselbeziehung von Tun - Schauen, Handeln - Selbstbetrachtung, wie wir es aus den Monologen kennen." 24 Zimmer II, S. 33 "alles Physische hat einen moralischen Zweck in uns selbst", und "wir sollen Gott ähnlich werden", d.h. "gute Gesinnungen ... äußern und ... befestigen"; Zimmer II, S. 70f. Der "Geist Gottes" ist die "Gesinnung der Rechtschaffenheit", die "Gesinnung des Muts und der Freudigkeit", und die "Gesinnung der wahren Liebe". Er führt uns auf einen klar erkennbaren und unverwechselbaren Weg durch das Leben in Richtung auf das Gute.

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che(..) Handlung" kann zum Gegenstand der auf den Ursprung menschlichen Tätigseins gerichteten Reflexion werden25. Schleiermacher ist der Ansicht, daß sich aus der unmittelbaren Selbsterfahrung und -beobachtung der menschlichen Handlungsweise Wesentliches für die Erkenntnis der menschlichen Natur ermitteln läßt, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Verflochtenheit als Teil der empirischen Wirklichkeit und ihrer daraus folgenden Teilnahme an der Notwendigkeit der Gesetze, denen alles endlich Seiende unterworfen ist, als auch hinsichtlich ihres eigentümlichen, dieser Notwendigkeit enthobenen freien Selbstes 26 . Diese Unterscheidung dient Schleiermacher immer wieder zur Bestimmung der Möglichkeiten, die jeder Augenblick des Lebens zum Tun des Guten, das ja nur als freie Tat denkbar ist, bietet27. Für denjenigen, der einmal die Notwendigkeit28, und, aufgrund der Konzeption des freien Selbst, die Möglichkeit der Gleichgestaltung seines Willens mit dem Willen Gottes erkannt hat, ist "jeder Augenblikk und jede Handlung heilig"29. Von dieser Möglichkeit, die seiner Existenz entsprechende (sittliche) Bestimmung zu ergreifen, ist grundsätzlich kein Mensch ausgeschlossen. 25

Vgl. Pr. I, 117, 30-34 "Man muß in dem Buche der Erfahrung fleißig lesen, und in den Spiegel der menschlichen Handlungen mit angestrengter Aufmerksamkeit hineinschauen, um ein richtiges Bild der menschlichen Natur zu erblikken, welches doch der Grund aller Weisheit ist." 26 Pr. 1,119,3f. "Wachsamkeit" und "unausgesezte Bobachtung unserer selbst" lehren uns unterscheiden zwischen Freiheit und Gewohnheit (vgl. Pr. 1,118, 35fT.); Pr. I, 121, lOf. das "heilsame Wachen und Nachdenken über sich selbst" lehrt uns die Freiheit in unseren Handlungen zu erkennen! Vgl. Pr. I, 136, 4-14; Zimmer II, S. 29 Wir sind als "Arbeiter des Herrn" jeden Augenblick zur "Wachsamkeit über unser Herz - daß das Gute nicht untergehe, was schon darin besteht", und "über unsern Beruf, ... daß uns der Herr zu aller Zeit thätig finde", verpflichtet; Zimmer II, S. 1 Notwendigkeit des Sinnes, die eigene "Heiligung über alles zu setzen", und Aufmerksamkeit auf die eigenen "moralischen Verhältnisse"; Zimmer II, S. 46 "Laßt uns lieber so tief als möglich in unser eigenes Herz hineinsehen". 27 Pr. I, 110, 11-13 "es giebt in jedem Augenblikk etwas Gutes und des Menschen würdiges zu thun, und wer es nicht thut, der will entweder etwas anderes, oder er will nichts." 28 Zimmer II, S. 13f. Die moralische Besserung des Menschen ist wegen der Zunahme in der Wahrheit notwendig. 2 » Pr. 1,129,7; vgl. Pr. 1,129,39-130,1 "in jedem Augenblikk giebt es etwas zu thun, welches der Wille Gottes an uns ist, und wir haben auf keine andere Stimme zu hören als auf die seinige" (das Urbild dieser Wirklichkeitsauffassung ist Christus, vgl. Pr. 1,129,27-33); Zimmer II, S. 2 der "Mensch Gottes" ist "zu allen guten Werken geschikkt".

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

In einer Predigt über das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16, 19-31)30 deutet Schleiermacher den dort beschriebenen Zustand des ewigen Lebens als pädagogische Einrichtung des gerechten Gottes mit dem Ziel der sittlichen Vervollkommnung aller Menschen. Nicht vergeltender31 oder ausgleichender32 Art sei die Gerechtigkeit Gottes, sondern selbst die Höllenqualen, die der Reiche erleiden muß, seien als "Besserungsmittel" Gottes zu verstehen - wie übrigens auch der selige Zustand des Armen33. Wer sich also - aus angeblicher Erfahrung - zu dem "Schluß" genötigt sieht, daß einige Menschen "überhaupt der Bes30

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P. Seifert (Die Theologie des jungen Schleiermacher, S. 202) hat die 1. Predigtsammlung von 1801 mit den handschriftlichen "Predigtentwurfbüchern" Schleiermachers im Literaturarchiv zu Berlin verglichen und aufgrund dieses Vergleichs eine Chronologie der Predigten der 1. Sammlung erstellt. Demnach stammt die Predigt Nr. 7 (Pr. I, S. 93ff.) schon aus dem J a h r 1795. Vgl. Pr. 1,102,12ff. Vgl. Pr. 1,101,18ff.; dagegen Pr. 1,104,17f„ wo Schleiermacher es offen läßt, ob wir uns "die Beschaffenheit unseres künftigen Zustandes" als "Vergeltung" oder als "Besserungsmittel" vorzustellen haben. Pr. 1,103,10-15 "Und dies führt uns darauf, was wir eigentlich in Absichtauf jeden künftigen Zustand von der göttlichen Gerechtigkeit zu erwarten haben, dieses nemlich, daß er dem höchsten Bedürfnis eines Jeden, es sei nun der Uebergang vom Bösen zum Guten, oder die fernere Annährerung zur Vollkommenheit, werde angemessen sein"; Pr. 1,103,38-104,3 So war es das "Bedürfniß" des Reichen, "zum Nachdenken gebracht zu werden, und seine sittlichen Kräfte zu üben"; wobei ihm dieser "Zustand" der "Entfernung" von den "sinnlichen Freuden" zu einem "Orte der Qual" werden mußte; Pr. I, 104, 5, 8-11 Dagegen hatte der Arme in seinem diesseitigen Leben Gelegenheiten genug zur Erweckung "gute(r) Gesinnungen in sich" gehabt, aber es fehlte ihm die Möglichkeit, "Alles, was in ihm war, recht thätig und nüzlich zu machen", und dieses "Bedürfniß" wurde nun "durch die Versezung in einen glükklichen und thätigen Zustand gestillt". Trotz (oder gerade wegen?) des berechtigten Einwandes gegen die vom Text her sich nahelegende theologische Sachaussage (Pr. 1,102,25-30 "In der That sollten wir uns hüten einen ewigen und unaussprechlichen Lohn für die Tugend, die in diesem Leben hat geübt werden können, und eine unendliche Strafe für die Verirrungen und Laster in welche der Mensch hier verfallen ist als etwas anzusehen, was von der göttlichen Gerechtigkeit zu erwarten wäre"), h a t die Auslegung Schleiermachers etwas Gezwungenes an sich. Das liegt vor allen Dingen daran, daß sie sich in einen sachlichen Widerspruch zum Text bringt, sofern darin der die Möglichkeit der Veränderung in der Zeit negierende Zustand des ewigen Lebens vorgestellt wird. Ein Hinweis auf die mögliche Herkunft dieser merkwürdigen Textinterpretation Schleiermachers könnte mit Kants Interpretation des Postulats von der Unsterblichkeit der Seele gegeben werden. Denn danach (vgl. KprV S. 122-124) ist diese zu denken als

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serung unfähig" 34 seien, der kann sich jedenfalls nach Schleiermachers Ansicht nicht auf dieses Gleichnis des Neuen Testamentes berufen. Schleiermacher behauptet folglich mit seiner eigenwilligen Interpretation des neutestamentlichen Gleichnisses, daß der Zustand der Bestimmung des Menschen zur sittlichen Vollkommenheit selbst ein ewiger ist. So wie jedem Menschen als von Gott geschaffenem Wesen die "Kenntniß von der eigentlichen Natur des Guten" möglich ist 35 , so liegt in dem Glauben und in der Hoffnung, daß "dem Guten...der Zugang zu keiner einzigen menschlichen Seele so ganz verschlossen (sei), daß nicht hier oder dort irgend einmal ein Jeder unser gemeinschaftliches Ziel finden und den Weg dahin sollte einschlagen können" 36 , geradezu die differentia specifica des christlichen Glaubens gegenüber anderen Anschauungen vom Wesen der menschlichen Natur. Die "Verachtung der menschlichen Natur" 37 kann mit der von der geschöpflichen Auffassung des Menschen sich herleitenden christlichen Liebe nicht bestehen, sofern sie aus der Bestreitung der Möglichkeit der sittlichen Vollkommenheit durch den Hinweis auf die empirische Wirklichkeit resultiert. Dagegen ist die Behauptung der Möglichkeit der moralischen Entwicklungsfähigkeit 38 des Men-

die unendliche Fortdauer jedes einzelnen vernünftigen Wesens zum Zwecke der vollständigen Adäquenz seines Willens mit dem Willen Gottes. 34 Pr. 1,103,3; vgl. Zimmer II, S. 59 "Wir müssen alle menschlichen Kräfte als unendlich ansehen ... wir können uns noch weniger denken, daß sinnliche Empfindungen auf moralische als vernichtend wirken ... Niemand hat auch eine absolute Unfähigkeit zu einzelnen Erweisungen im Guten". Vorsichtiger hatte Schleiermacher 1793/4 formuliert: Es ist in jedem Fall möglich, daß der Einfluß der moralischen Vorstellungen größer sein kann als der Einfluß des sinnlichen Begehrungsvermögens auf die Handlungsmaximen des Subjekts (KGA 1,1, S. 239, Z. 37ff.l. In der älteren Terminologie müßte Schleiermacher jetzt sagen: es ist kein Fall denkbar, in dem der Einfluß der moralischen Vorstellungen nicht größer ist als der Einfluß des sinnlichen Begehrungsvermögens. Mit der Konzeption des freien Selbst ist die empirische Psychologie als Basiswissenschaft auch der ethischen Theorie endgültig verlassen. Der theoretische Neuansatz führt dann auch zu Konsequenzen hinsichtlich der Fassung des Begriffs des Bösen (siehe diese Arbeit S. 243ff.). 35 Pr. 1,141,29; vgl. Pr. 1,144,3. 36 Pr. 1,144,10-14. 37 Pr. 1,144,15. 38 Vgl. Zimmer II, S. 41f. "Wer immer vollkommener wird", der hat auch die "ausdrückliche Verheißung" Christi, mit ihm zusammen "zur Rechten Gottes" zu sitzen; Zimmer II, S. 45 "Uns laßt unsern geraden Weg gehen und uns damit begnügen, daß wir uns wie Petrus auf das Zeugnis des Allwissen

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sehen nach Schleiermacher von der Art, daß sie empirisch weder bestätigt noch widerlegt werden kann; zur Begründung ihrer Möglichkeit muß sie selbst auf nichtempirische Sachverhalte zurückgreifen. Daß jeder Mensch hinsichtlich seiner sittlichen Vollkommenheit, d.h. hinsichtlich der Gleichgestaltung seines Willens mit dem Willen Gottes entwicklungsfähig, und der Herrschaft der Selbsterkenntnis, d.h. der Erkenntnis des eigenen freien Selbst als dem Grund der Möglichkeit von pflichtgemäßem Handeln überhaupt keine obere Grenze gesetzt ist, ist ein innerhalb des Wirklichkeitsverständnisses des christlichen Glaubens gültiger Satz39. Aufgrund der Voraussetzungen, daß es erstens keinen möglichen Erkenntnis- und Tätigkeitsbereich gibt, der von der Durchbildung mit der sittlichen Gesinnung ausgeschlossen werden kann, und daß zweitens jeder Mensch die Fähigkeit zur freien, allein dem Pflichtgebot und dem Willen Gottes entsprechenden Tat besitzt, ist es Schleiermacher in seinen Pedigten möglich, das menschliche Leben als Ganzes einer differenzierten, auf die kon-

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den berufen können, daß wahre Liebe zum Guten in uns ist"; Zimmer II, S. 59 Gott hat "an unsere Beharrlichkeit und Zunahme im Guten unsern Anteil an der geistigen Welt hier und dort" geknüpft. Vgl. Pr. 1,143,8-17; ebd. Z. 25-37 "Wer das Leben aus Gott kennt, dem ist ein solcher Glaube natürlich: denn er muß wissen, daß es nicht nur dieses und jenes einzelne Gute hervorbringt, sondern den ganzen Menschen bessert, und daß unter dieser Herrschaft eben so wenig ein einzelnes Laster ruhig wohnen kann, als eine einzige wahre Tugend in einem ungebesserten Gemüth aufgeht. Wer den Sinn Christi hat, dem ist eine solche Hoffnung natürlich: denn sie ist eine Folge seiner eigenen täglichen Erfahrung. Er sieht seine eigne Tugend täglich lauterer und schöner sich bilden; er sieht wie jedes Glied seines neuen Menschen an Kraft zunimmt durch Nahrung und Uebung, und jeder entstellende Flekk verschwindet durch den ungehemmten Umlauf heiliger und unverdorbener Gedanken und Gefühle, und er weiß, daß es ebenso ergehen muß mit Allen, die ihm gleich gesinnt sind"; der Satz "Keine Versuchung ist so groß, daß der Mensch ihr unterliegen müßte" (Zimmer II, S. 58; vgl. Pr. VII, S. 272-280) resultiert aus der Freiheit des Menschen, d.h. aus der Unmöglichkeit, "daß sinnliche Empfindungen auf moralische als vernichtend wirken" (ebd. S. 59); die Freiheit zur Gewissenstreue ist dem Menschen von Gott gegeben (ebd. S. 58); vgl. Pr. I, 22, 7-9 "Er (sc. der Mensch) weiß, daß keine Versuchung zum Bösen, die ihm bevorstehen kann, etwas Neues, Fremdes, oder Uebergroßes sein wird."

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kreten 40 Lebensverhältnisse bezogenen und nach dem in ihnen sich ausdrückenden Willen Gottes fragenden, ethischen Betrachtung zu unterwerfen. Dabei liegt das Schwergewicht darauf, daß das jeweils vom Pflichtgedanken und vom Willen Gottes her vom Menschen Geforderte in Bezug auf die konkreten Lebensverhältnisse differenziert wird. Heißt es in der Predigt über "Die Aehnlichkeit der Zukunft mit der Vergangenheit" 41 noch allgemein: "Haltet auf Ordnung und Gehorsam...", "seid überall...im Dienste der Tugend", und: "daß ein Jeder ehrbarlich wandle, und daß es redlich unter uns zugehe in allen Dingen..."42, so unterscheidet Schleiermacher in der Predigt "Die Gerechtigkeit ist die Grundlage des allgemeinen Wohlergehens"43, zwischen der Familie einerseits, in der nach den Grundsätzen der Liebe, und der Gesellschaft andererseits, in der nach den Grundsätzen des Rechts gehandelt werden soll44. Diejenige Obrigkeit, die sich in ihren Handlungen gegen ihre Untertanen ausschließlich von den Grundsätzen des Rechts in der Form positiver Gesetze leiten läßt, verdient umgekehrt den Gesetzesgehorsam seitens der Bürger45. An der "Achtung gegen die Geseze" entscheidet sich für Schleiermacher das ernsthafte Bemühen um das "gemeinschaftliche Wohl" sowohl der Obrigkeit als auch der Bürger46. Gegen seine bürgerlichen Pflichten verstößt derjenige, der nicht die "strengste Gewissenhaftigkeit" in seinen "Geschäften" mit seinen Mitbürgern walten läßt47, und auch derjenige, der "seine eigenen Angelegen40

Schleiermacher hat ja nicht im Sinne Kants ein formalsittliches Allgemeinprinzip formuliert, das jetzt auf alle Lebensbereiche gleichermaßen anzuwenden wäre! Aufgrund der Konzeption des freien Selbst müssen alle Lebensverhältnisse, die der konkreten Gestaltung von menschlichen Subjekten unterliegen, Ausdruck individueller Willensentscheidungen sein, wenn sie zum Gegenstand ethischer Betrachtung gemacht werden sollen. "So gewährt das individuelle Ethos die Möglichkeit, die Ethisierung des ganzen Menschen bis hinein in jene vom Allgemeinprinzip des kategorischen Imperativs unerreichten Lebensvorgänge anzugreifen, worin wir am engsten mit der Natur zusammenhängen" (Wehrung a.a.O., S. 282f.). 41 Predigt Nr. 1, Pr. I, S. 11-23, wahrscheinlich 1797 gehalten (vgl. P. Seifert, a.a.O., S. 202). 42 Pr. 1,19,10,14,15-18; Pr. 1,20, l l f . 43 Predigt Nr. 1 in Pr. IV,S. 1-15,gehalten 1799. 44 Vgl. Pr. IV, 12, 22-29 und Pr. IV, 13, 4-9. Also auch um die Gesellschaft als Ganze muß sich "ein festes Band der Liebe... herumschlingen"! 45 Pr. IV, 6,27f.; vgl. Pr. IV, 5,13f., 20; Pr. 1,75,29-31. 4 ® Pr. IV, 6,23ff.; vgl. Pr. IV, 5,26-28; Pr. IV, 6,9-14; Pr. IV, 7,38 - 8,4. 47 Pr. IV, 8,33-37.

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heiten vernachlässigt"48. Das Vertrauen in die rechtliche Durchdringung des gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Lebens kann allerdings nur auf dem tieferen Grund einer von allen getragenen sittlichen Gesinnung wachsen49. Nur auf dem Grund dieser sittlichen Gesinnung können wahrhaftige Bemühungen um das "gemeinschaftliche Wohl" aller sich entwickeln. Nur auf dem Grund dieser Gesinnung kann die Achtung vor den in Staat und Gesellschaft geltenden Ordnungen und Gesetze bestehen. Daß die Individuen ihre partikularen Interessen verfolgen, garantiert für sich allein weder das "gemeinschaftliche Wohl" noch die unverbrüchliche Achtung vor den Gesetzen50. Während Schleiermacher das Recht als für die Regelung der gesellschaftlichen Verhältnisse allein maßgeblich und ausreichend hält, meint er zu dessen Begründung die doch wohl in der Institution des Staates sich verbindlichen Ausdruck verschaffende Wirklichkeit der ethischen Grundordnung in Anschlag bringen zu müssen. In der Predigt 48

49

50

Denn "der verletzt in den meisten Fällen zugleich die Pflichten gegen seine Mitbürger" (Pr. IV, 11, 3f.; vgl. ebd. Z. 32-35). Ein solcher Fall ist für Schleiermacher z.B. die "schlechte Erziehung welche ihr Kindern und Lehrlingen gebt", denn sie "wird noch Andern die Veranlassung zu vielen Klagen seyn" (ebd. Z. 12f.). Unter "Pflichtverletzung" (ebd. Z. 14) versteht Schleiermacher jede Form der aus "Trägheit" (ebd. Z. 18) geborenen Nichtbeachtung der Folgen des eigenen Handelns im Blick auf die kleineren und größeren gesellschaftlichen Einheiten (Familie, Geselligkeit, Staat), worin individuelles Handeln stattfindet. Dieses Verhalten steht in Widerspruch zu dem christlichen "Glaube(n) daß jeder Beitrag unentbehrlich ist, um das Ganze zustande zu bringen" (Bauer II, S. 341 ). Allerdings müssen die "Forderungen, die der einzelne macht" auf die Forderungen der Gesellschaft abgestimmt sein (Bauer II,S. 342). Diese kann Schleiermacher mit dem Begriff der "Vaterlandsliebe" bezeichnen (Pr. IV, 6, 28); wie die verschiedenen Institutionen innerhalb eines Staates auf die alles umfassende "Macht der Gesinnung" sich allein gründen, hat Schleiermacher in der "Predigt bei der Eröffnung des akademischen Gottesdienstes in der Friedrich-Universität" Halle ( = Pr. IV, S. 16-28; gesprochen am Geburtstag des Königs 1806)gezeigt. Vgl. Pr. 1,61,36-62,5 "Hätten alle menschlichen Verbindungen eine solche Einrichtung, daß nothwendigerweise schon der Eigennuz alle ihre Mitglieder antreiben müßte, das gemeinschaftliche Wohl zu befördern, und daß dagegen die Übertretung der Geseze Keinem einen Vortheil gewähren könnte, daß für keine Leidenschaft eine Befriedigung möglich wäre, außer in den Gränzen des Erlaubten, und durch Handlungen welche den gemeinschaftlichen Endzwekk der Gesellschaft befördern; dann möchtet Ihr sagen, daß Talente für sich einen sichern Werth für die Gesellschaft hätten, und daß von ihnen auch ohne Tugend keine Gefahr zu besorgen wäre."

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"Demüthigung vor Gott" 51 wendet Schleiermacher den Begriff des Volkes bzw. den des "christlichen Volkes" an, um jenes Verhältnis zwischen umfassender ethischer Grundordnung und des auf gesetzlicher Ordnung basierenden Rechtsstaates als den "Bund der Treue und des Gehorsams, des Wohlwollens und der Thätigkeit" 52 auszudrücken. Die sittliche Gesinnung ist jedoch nicht nur der Ermöglichungsgrund der rechtlichen Durchdringung des gesamten staatlichen Lebens, aus ihr läßt sich auch das Prinzip zur Bestimmung des Handelns in den geselligen Beziehungen der Individuen untereinander ableiten. Das hier herrschende, den Gesetzesgehorsam überschreitende sittliche Grundprinzip alles Handelns ist die Beurteilung der Person allein nach ihrem inneren Wert, und damit begründet Schleiermacher eine tiefere und umfassendere Sphäre menschlichen gemeinschaftlichen Lebens 53 . In der Predigt "Die Grenzen der Nachsicht" 54 führt Schleiermacher aus, daß das Prinzip der Beurteilung einer Person allein ihrem inneren Wert nach uns dazu auffordere, "den Menschen thätige Beweise unserer Gesinnung zu geben", und zwar "auch in solchen Dingen, worüber uns Niemand etwas vorschreiben darf' 5 5 . Die Sphäre der geselligen Beziehungen der Individuen ist zwar von rechtlichen und gesetzlichen Vorschriften im engeren Sinne frei, aber diese Freiheit ist deshalb nicht gesetzlos. Die sittliche Gesinnung gibt hier selbst, direkt und unmittelbar das einzige Gesetz ab. Gegen jeden würdigen Menschen sollen wir uns so verhalten, daß wir ihn öffentlich achten und ihm unsere Liebe bezeugen, gegen jeden unwürdigen Menschen aber so, daß wir ihm gegenüber öffentlich un-

51

Predigt Nr. V, Pr. I, S. 64-77 von 1799 (vgl. P. Seifert, a.a.O., S. 202). Pr. 1,64,5-7,11,25; Pr. 1,69,36f. 53 Pr. I, 75, 36-76, 2 "Und wohin die Geseze nicht reichen können, da ergänze Achtung und Liebe ihre Belohnungen, Tadel und Geringschätzung ihre Strafen! Laßt uns mehr und mehr lernen in das Innere des Menschen hineindringen, daQ unter uns keine Stimme vom Himmel nöthig sei, um die Guten und Bösen zu unterscheiden!"; Pr. 1,137,18-21,4f. "Laßt uns vielmehr ... in unserm Wirkungskreise unser ganzes Betragen gegen die Menschen nach diesem Gesez (sc. das Gesetz, daQ "Alles ... in der Welt nach Verdienst gehe (...)", d.h. daß jeder Mensch nach seinem inneren Wert geschätzt werde), einrichten." (vgl. Anm. 12). 54 Predigt Nr. X, Pr. I, S. 137-150 von 1800 (vgl. Seifert, a.a.O., S. 202). 55 Pr. 1,138,14-17.

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serem "Tadel" und unserer "Mißbilligung" Ausdruck verleihen 56 . Gegen den letzteren sind wir - und zwar um der Beförderung des Guten und der Vollkommenheit willen 57 und "zum Besten der Gesellschaft" 58 - zum offenen Streit, ja zum "heiligsten Kriege" 59 verpflichtet, der vor rechtlichen Instanzen weder einklagbar, noch aufhebbar ist, weil er nicht der Rechtssphäre angehört, obwohl mit ihm gerade kein gesetzloser Zustand intendiert ist. "So wie es in jeder wohlgeordneten Gesellschaft Strafen und Belohnungen giebt, so muß es auch in dem freien Umgange der Menschen Auszeichnungen geben für den Guten, und Auszeichnungen für den Bösen"60. Die Sphäre der freien Geselligkeit ist von Schleiermacher in der Weise von der Rechtssphäre abgesetzt, daß nur in ihr die Erkenntnis der die ganze menschliche Lebenswelt durchdringenden ethischen Grundordnung in der Form der sittlichen Gesinnung der Individuen, mithin die Erkenntnis des inneren Wertes der Person aufgrund ihres freien, individuellen Handelns möglich ist. Dagegen ist in der Rechtssphäre, obgleich sie auf der ethischen Grundordnung aufbaut und auf sie bezogen bleibt, (um die Terminologie Kants zu benutzen) lediglich die Legalität der Handlungen der Subjekte, nicht aber deren Moralität erkennbar. Während die Sphäre der freien, geselligen Beziehungen der Individuen untereinander also das direkte und unmittelbare Abbild von deren sittlicher Gesinnung ist, stellt die Rechtssphäre lediglich den indirekten und mittelbaren Ausdruck dar. Beide Sphären zusammen bilden den Gegenstandsbereich für die ethische Betrachtungsweise des menschlichen Lebens, mit der 56 Pr. I, 138, 13; vgl. Z. 17-23; Pr. I, 150, 15-17 "Haltet, ich bitte Euch, diese Aeußerung Eurer Gesinnungen für keinen unwichtigen Theil des Euch anvertrauten Pfundes; haltet damit Haus, so daß Ihr vor Gott bestehen könnt"; Zimmer II, S. 16 "das Äußere der Gesinnung" ist der "eigentliche (...) Zweck", "worin das ausschließende Wohlergehen des Gerechten besteht"; Zimmer II, S. 27 jeder soll einen "Wirkungskreis" haben als "Anschauung" seines Beitrags zur Beförderung des Reiches Gottes; Zimmer II, S. 34 denn derjenige "verkennt die Geselligkeit, der ihren Nutzen nur auf das Leibliche und Irdische beziehen will". 57 Pr. 1,147,34. 58 p r . 1,139,15. 59 Vgl. Pr. 1,148,7f.,22f., 27-29,33;Pr.1,149,8f.,13f. 8U Pr. I, 149, 33-36 Die "Gerechtigkeit" gegenüber den Bösen ist die Form der Liebe zu ihnen, und die Liebe zu den Guten ist die Form der Gerechtigkeit zu ihnen (vgl. Pr. I, 150, 11-15); Zimmer II, S. 47 Die Liebe verträgt sich "sehr gut" mit der "Nichtachtung der Gottlosen".

Unterschiedliche Bedeutung der Individualität

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die Predigten die Positivität der auf dem freien Selbst beruhenden Grundentscheidung für das pflichtgemäße und gottgefällige Erkenntnis- und Bildungsstreben des Menschen darstellen wollen. Exkurs: Die unterschiedliche Bedeutung der Individualität Kants und Schleiermachers Kulturtheorie

in

Grundlegend für das sich aus der ethischen Betrachtungsweise der Predigten ergebende System der Kulturwelt ist die Durchdringung aller Erkenntnis- und Handlungsfunktionen mit der sittlichen Gesinnung der erkennenden und handelnden Subjekte. Ohne sie kann es für Schleiermacher an keiner Stelle wahre Erkenntnis oder richtiges, angemessenes Handeln geben. Wenn wir fragen, wodurch die sittliche Durchdringung der Kulturwelt überhaupt möglich ist, werden wir von Schleiermacher auf das alle (Erkenntnis- und Handlungs-) Akte des Subjekts als deren transzendentaler Grund ermöglichende freie Selbst verwiesen. Dieser Grund der empirischen Erkenntnis- und Handlungsakte des Subjekts wird in zweifacher Weise näher bestimmt. Erstens wird die Freiheit formal als Freiheit zur Gewissenstreue definiert. Weil die transzendentale Wirklichkeit des freien Selbst nur in einem empirischen Akt individueller Selbsterkenntnis 61 für das (erkennende) Subjekt erschließbar ist, muß zweitens Individualität als materiale Bestimmung des Aktgrundes hinzutreten. Da ferner als Handlungen per definitionem nur solche Akte des Subjekts gelten können, die in einer erkennbar notwendigen Beziehung zum Aktgrund stehen, ist die Beurteilung des inneren Wertes der Person unmittelbar und direkt, gleichsam "durch" die Handlungen "hindurch" möglich. Als Kriterien dieser Beurteilungen ergeben sich somit Gewissenstreue und Individualität, die sich in allen Handlungen des Subjekts sichtbaren Ausdruck verschaffen sollen. Allerdings wird diese Dualität des die gesamte Kulturwelt durchbildenden moralischen Prinzips von Schleiermacher insofern wieder eingeschränkt, als ja nur in der Sphäre der freien Geselligkeit der innere Wert der Person (ihre Gewissenstreue und Individualität) in ihren Handlungen erkennbar werden kann. Die Individualität als ein Teil des sittlichen Prin-

61

Vgl. dazu unten S. 264.

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

zips62 bleibt in der Rechtssphäre praktisch unberücksichtigt, weil es in ihr als unabdingbar erscheint, alle Personen nach dem gleichen Maßstab, nämlich dem der Legalität ihrer Handlungen zu beurteilen. Aber es kann nach Schleiermacher keine Legalität der Handlungen geben ohne zugrundeliegende Moralität der Gesinnung, selbst wenn diese, aufgrund der Natur der Rechtsverhältnisse, nicht erkennbar ist. Streng genommen liegt hier ein Widerspruch vor, denn sofern Akte des Subjekts nicht den inneren Wert der Person erkenntlich machen, dürfen sie per definitionem nicht als Handlungen bezeichnet werden. Individualität als moralisches Prinzip scheint indes für Schleiermacher über die Sphäre der freien Geselligkeit hinaus keinerlei Geltung beanspruchen zu können 63 . Diese Ansätze zu einer Kulturtheorie in den Predigten bringen Schleiermacher in Gegensatz zu den kulturphilosophischen Anschauungen Kants. In seiner grundlegenden Schrift zur kritischen Kulturphilosophie 64 vertrat Kant die Auffassung, daß das eigentliche Motiv kultureller Entwicklung und geschichtlichen Fortschritts in einem "Antagonism", nämlich dem der "ungeselligein) Geselligkeit der Menschen" zu suchen sei65, und nicht in dem uneingeschränkten menschlichen Willen, dem (wie auch immer verstandenen) sittlichen Grundprinzip zur universalen Durchsetzung zu verhelfen. Denn eben dieser Wille ist unaufhebbar eingeschränkt durch die partikularen Interessen der Individuen. Nur der Widerstand, den die Individuen dadurch erfahren, daß sie bei der rücksichtslosen Verfolgung ihrer partikularen Interessen mit anderen Individuen zwangsläufig zusammenstoßen66, zwingt sie letztendlich dazu, solche Arrangements zu treffen, worin sie ihre Partikularinteressen relativ ungestört vonein62

"Alles wahre sittliche Tun und Leben trägt aber individuelles Gepräge" (Wehrung, a.a.O., S. 280). Das Problem läßt sich auch so formulieren: Wie kann das individuelle Ethos einerseits beschränkt sein auf die Sphäre der freien Geselligkeit und andererseits als Teil des sittlichen Prinzips die Einheit des Sittlichen gewährleisten? (Vgl. Wehrung, a.a.O., S. 283 "Daß bei alledem das Sittliche eine innere Einheit, ein Ganzes darstelle und nichts Zersplittertes sei, dieser Schleiermacher schon aus der antiken Ethik geläufige Gedanke, den er stets festgehalten hat, bleibt auch in den Predigten nicht unausgesprochen"). 64 "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784). 65 Idee S. 20; vgl. S. 22. 6 » Idee S. 20f.

63

Unterschiedliche Bedeutung der Individualität

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ander verwirklichen können und wodurch gleichzeitig die Entwicklung von einem zunächst nur abgedrungenen Ordnungssystem der natürlichen Einzelinteressen zu einem prinzipiell zustimmungsfähigen, Kultur und Geschichte (verstanden als der kontingente Entwicklungsprozeß einer konkreten sittlichen Totalität, z.B. der Nation) allererst ermöglichenden, "moralische(n) Ganze(n)" eingeleitet wird67. Vom kulturphilosophischen Standpunkt aus gesehen ist jede Form von "bürgerliche(r) Vereinigung" 68 als Zwangssystem zur Regelung partikularer Interessenskonflikte zunächst eine Notveranstaltung, der sich die Individuen notgedrungen unterwerfen 69 . Das Ursprungsdatum von kultureller Entwicklung und geschichtlichem Portschritt bildet nach Kant nicht die den Willen durchgängig bestimmende Achtung vor dem Sittengesetz, die sich in den empirischen Akten des Subjekts sichtbaren Ausdruck verschafft, sondern die durch den irreversiblen Widerspruch der menschlichen Natur 70 selbst provozierte Einsicht in die Notwendigkeit der Unterwerfung des eigenen Willens unter eine allgemeine Rechtsordnung. Individualität kommt bei Kant lediglich als ein die praktische (geschichtlich-kulturelle) Verwirklichung des formal-sittlichen Prinzips (Achtung vor dem Sittengesetz) behinderndes und einschränkendes Moment in den Blick. Der Gegenstand des auf die Durchbildung der Kulturwelt mit der moralischen Vernunft zielenden Handelns ist für Kant nicht das Individuum, sondern die Gattung 71 . Das Maß an wirklichem geschichtlich-kulturellem Fortschritt hängt ab von der Reduktion des mit der Individualität 87

IdeeS. 21; vgl. S. 22 "Alle Cultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ordnung sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genöthigt wird sich zu disciplinieren und so durch abgedrungene Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln." 6« IdeeS.22. 69 Idee S. 22 "In diesen Zustand des Zwanges zu treten, zwingt den sonst für ungebundene Freiheit so sehr eingenommenen Menschen die Noth; und zwar die größte unter allen, nämlich die, welche sich Menschen untereinander selbst zufügen, deren Neigungen es machen, daß sie in wilder Freiheit nicht lange neben einander bestehen können." 70 "Selbstsüchtige Neigungen" ("Zum ewigen Frieden", Akademieausgabe Bd. VIII, S. 366). 71 Idee S. 18 "Am Menschen (als dem einzigen vernünftigen Geschöpf auf Erden) sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig entwickeln." Kein Individuum kann "seine Bestimmung in seinem Leben völlig zu erreichen...; nur die Gattung kann dieses hoffen" (Idee S. 23).

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der handelnden Subjekte gegebenen Kontingenzphänomens. Demgegenüber ist für Schleiermacher mit der Konzeption des freien Selbst die Individualität der handelnden Subjekte zur materialen Wesensbestimmung der moralischen Vernunft geworden; der Versuch der Reduktion des damit gesetzten Kontingenzphänomens kann selbst keine moralische Legitimation mehr beanspruchen. Der hier aufbrechende Gegensatz zu Kant hat Konsequenzen hinsichtlich der Neudefinition des Begriffs des Bösen in den Predigten der ersten Sammlung 72 . 2. DER GLAUBE Der Glaube ist formal die Voraussetzung für das wahre Verständnis des Menschen von sich selbst wie für sein Weltverständnis, er ist material der Grund der Wirklichkeit des Guten in der Welt als die allein auf Pflicht und Gewissen beruhende Gesinnung im Menschen selbst. Das Weltverständnis des Frommen unterscheidet sich charakteristisch von dem des irdisch gesinnten Menschen. Schleiermachers Predigt "Die Aehnlichkeit der Zukunft mit der Vergangenheit" 73 dient zum Nachweis dessen, daß die in Koh. 1,9 sich ausdrückende "Stimmung, welche nichts neues unter der Sonne findet, ganz im Geiste der Religion" sei, worin deshalb das Geschichts- und Weltverständnis des Frommen paradigmatisch enthalten ist 74 . Wer "mit seinen Sinnen" und "dem Auge seines Verstandes" seine "Aufmerksamkeit auf die äußeren Erscheinungen richtet", für den allerdings "geschieht nichts wieder, was schon einmal geschehen ist, und was man einmal gethan hat, wird man nicht wieder thun" 75 Für diesen ist alles einzelne das Einmalige und das Neue; in dem im ewigen Fluß befindlichen endlichen Sein der Einzeldinge erblickt er das einzige, das wahre Sein76. Dagegen sieht der Fromme aufgrund der für ihn typischen Welt- und Geschichtsauffassung allein "auf das Innere der Begebenheiten..., sowohl in der körperlichen als in der geistigen Welt", und das ist ihm "immer dasselbe" 77 . Denn der physikalische wie 72 Siehe unten S. 243ff. 73 Predigt Nr. l , P r . I , S . 11-23. ™ Vgl. Pr. 1,13,19-21. 75 Pr. 1,14,26-30; vgl. Pr. 1,70,12-14. 76 Vgl. Pr. 1,13,30ff.;Pr. 1,14,8f„ 16f.,20f.,24f. 77 Pr. 1,14, 37-39 Nach Wehrung (Schleiermacher in der Zeit seines Werdens, S. 290) ist Reden und Predigten gemeinsam die Konvergenz von spinozisti-

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der ethische Kosmos stehen beide unter der Notwendigkeit je einheitlicher Gesetze und Kräfte, in denen Gott sich den Menschen mitteilt, um seine so von ihm bewahrte und erhaltene Schöpfung zu dem von ihm vorbedachten Ziel endgültig hinzuführen: Die Aufnahme der Natur in die Vernunft, die Herrschaft der Vernunft über die Natur, die Zunahme in der Gemeinschaft der Menschen untereinander und die gemeinschaftliche Entwicklung ihrer Bildung78. Für den Frommen ist "Alles was geschieht" auf den Menschen, auf seine "Besserung" und die "Vermehrung des Guten in uns" bezogen79. Für Schleiermacher ist die Erkenntnis des moralischen Endzwecks des endlich Seienden - wir können auch sagen: das Entdecken von Sinn inmitten der sonst scheinbar sinnlosen 80 , weil als bedeutungsvoller Zusammenhang nicht verständlichen, fließenden Aufeinanderfolge der Einzeldinge - gebunden an den Glauben an die Verwurzelung des endlich Seienden im Willen Gottes81. Auf dem Boden dieses Glaubens ist aber sehen Einflüssen und dem Versuch der rationalen Begründung des irrationalen religiösen Gefühls, "z.B. wenn uns in der ersten Predigt die völlige Gleichheit von Vergangenheit und Zukunft, Großem und Kleinem im Lichte Gottes vorgerechnet wird". ™ Vgl. Pr. 1,15,1,5,7,1 lf, 23-27,31-33,34-40. ™ Pr. 1,31,31-34; vgl. Pr. 1,31,27f., 37 - 32,1; Pr. 1,21,36ff.: Der Glaube kennt "dies größte Werk Gottes auf Erden, die Heiligung des Menschen", und er weiß, "daß überall dazu etwas geschehen kann ... nichts ist unnüz oder überflüssig", Pr. 1,16,15f. "Nichts wird euch gleichgültig oder unbedeutend sein ..."; Pr. I, 70, 17-21 Denn diejenigen, "welche das Geheimniß der göttlichen Regierung durch seine (sc. Gottes) Gnade erkannt haben, ... wissen, daß Alles, was geschieht, zu gemeinsamer Heiligung dienen soll, daß Alles auf die Förderung des Reiches Gottes in der Welt abgesehen ist"; Zimmer II, S. 33 "Alles Physische hat einen moralischen Zweck in uns selbst." 80 Pr. I, 16, 25-27 "Darum staunen sie Einiges an, ohne es zu begreifen, und gehen stumpfsinnig bei Anderm vorüber, ohne die Offenbarung des Herrn zu finden"; vgl. die Illustration dieser These Pr. 1,16,27 -17,5. 81 Pr. I, 16, 7-11 "Wenn der Herr es ist, der Alles thut, und in Allem wirksam ist, so muß auch Alles seiner würdig, alles groß und herrlich sein; nichts darf über das Andere hervorragen, denn Er ist nicht wie ein Mensch, welcher jezt sich selbst Übertrift, jezt hinter sich selbst zurükkbleibt"; Pr. 1,16,1-4 "... es sind Alles nur Entwikklungen derselben göttlichen Gedanken, Annäherungen zu demselben Ziel seiner Gnade, nach demselben Entwurf seiner Weisheit"; vgl. auch Pr. 1,17,14f.; Bauer II, S. 315f. Die "göttliche, seligmachende Kraft des Evangelii" besteht u.a. darin, "den Menschen über das Sinnliche zu erheben, so daß er .. in der Betrachtung - nicht nur die einzelnen Dinge wahrnehme, sondern den großen Zusammenhang, die höhere Ordnung, die symbolische Absicht". Die "Kraft des Evangelii" zeigt sich im Menschen in dessen "übersinnlichen Denken und Gesinntsein" (Bauer II, S. 318).

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auch erst eine wirkliche Wertung des einzelnen möglich. Denn niemals gibt sich der Fromme mit dem äußeren Schein der Einzeldinge und -geschehnisse in der Welt zufrieden, sondern sucht immer nach ihrer tieferen, moralischen, aus dem göttlichen Willen ihnen zukommenden Bedeutung. Der christliche Glaube ist so der Grund für dasjenige Erkenntnisprinzip, aufgrund dessen sich alle Einzeldinge und -geschehnisse in eine bedeutungsvolle Ordnung scheinbar zwanglos einfügen. Für Schleiermacher hat das so gewonnene Erkenntnisprinzip aber nicht nur den Charakter des Postulats im Sinne Kants 82 , sondern diesem Prinzip korrespondiert tatsächlich ein ontologisches, also ein die Beziehung zwischen dem endlich Seienden als solchen, und dem es begründenden und erhaltenden wahren Sein selbst ( = Gott) betreffendes Begründungsverhältnis. Deutlicher als zuvor überschreitet Schleiermacher hier die von Kant bestimmte Grenze der Möglichkeit von Erkenntnis. Lag eine solche Auffassung der ontologischen Frage schon den Ausführungen über das Selbstverständnis des Glaubens als Vertrauen auf den Beistand Gottes 83 implizit zugrunde, so wird sie jetzt bei der Thematisierung des Weltverständnisses des Glaubens explizit. Allerdings muß dabei im Blick behalten werden, daß es Schleiermacher bei der Entwicklung des aus dem Glauben kommenden Erkenntnisprinzips nicht um eine Sonderstellung des theologischen Wissens außerhalb des natürlichen Wahrheitsbewußtseins geht, sondern schlicht um den Nachweis, daß die erkennende menschliche Vernunft erst unter der Voraussetzung des Glaubens zur Wahrheit zu gelangen vermag. Freilich werden wir gerade deshalb nach der vernünftigen Begründung für diese Behauptung Schleiermachers fragen dürfen und müssen.

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In der Transzendentalphilosophie heißen solche Ideen der Vernunft (z.B. Gott, Welt, Seele), die sich nicht auf in der Erfahrung gegebene mögliche Gegenstände beziehen, in bezug auf den Grad ihrer Gültigkeit als Prinzipien theoretischer Erkenntnis "hypothetisch" oder "regulativ", d.h. durch sie läßt sich der Gebrauch des menschlichen Verstandes, der ja auf alle möglichen in der Erfahrung gegebenen Gegenstände geht, auf einige wenige einheitliche Grundprinzipien zurückführen. Dieselben Ideen heißen jedoch "Postulate" und besitzen objektive Realität allein hinsichtlich ihres Gebrauchs durch die praktische Vernunft zur Erreichung des moralischen Endzwecks derselben, der Einheit von Tugend und Glückseligkeit unter der obersten Bedingung der Tugend im sogenannten höchsten Gut. 83 Siehe diese Arbeit S. 143ff.

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Daß die endlichen Einzeldinge und -geschehnisse in einem bedeutungsvollen Zusammenhang zueinander stehen, verdanken sie ihrem Umfangensein von dem mit der Schöpfung der Welt ausgehenden "göttlichen Entwurf', der sich in den für den Menschen erkennbaren, das endlich Seiende mit Notwendigkeit bestimmenden Gesetzen und Kräften abbildet84. Die Weltauffassung des Frommen resultiert aus dem Glauben an die seit der Schöpfung andauernde Gegenwart des Willens Gottes in der Welt. Diese Aussage des Glaubens impliziert doch wohl den Gedanken, daß es in der Welt, die sich dem "Entwurf Gottes" verdankt, nichts dem Willen Gottes von Grund auf Widersprechendes geben kann, nichts, was sich grundsätzlich und von vornherein außerhalb der moralischen Zweckbezogenheit aller Dinge befände. Darin erkannten wir bereits85 den Einfluß Spinozas auf Schleiermacher86. 84

85 86

Vgl. Pr. I, 29, 9-13 "Warlich in dem göttlichen Entwurf ist auf Alles gerechnet, und Alles ist Eins darin. Wonach Euer Herz auch verlange, ehe wird Himmel und Erde vergehen, ehe die geringste Kleinigkeit von demjenigen sich ändert, was in dem Rathe des Höchsten beschlossen ist"; Pr. 1,30,31-34 In Gott als "dem unveränderlichen Wesen ... (kann) kein neuer Gedanke, kein neuer Entschluß entstehen ..., seitdem es zu sich selbst sprach: es ist alles gut, was ich gemacht habe". Siehe diese Arbeit S. 144f. Daß selbst die Existenz der "Gottlosen" kein möglicher Beweis dafür sein kann, daß in der Welt etwas gegen Gottes Willen zu geschehen vermag, zeigt der Entwurf zur Predigt "Wie sollen wir es ansehen, wenn wir glauben, daß es den Gottlosen besser geht?" (Zimmer II, S. 49); zur daraus folgenden ethischen Konsequenz vgl. den ebd. S. 47 mitgeteilten Entwurf "Die Nichtachtung der Gottlosen, die uns empfohlen wird". Die "Ueberzeugung, daß auch das Fehlgeschlagene etwas Gutes wirkt", ist ebenfalls eine "christliche Gesinnung (...)" (Bauer II, S. 341). - Wendland (Die religiöse Entwicklung Schleiermachers, S. 88) vertritt die Auffassung, Schleiermacher sei"- ebenso wie Spinoza - der Meinung: wenn wir auch nicht alle Gesetze der Weltordnung kennen, so müsse es doch verborgene Gesetze geben, denen sich alles einordnen lasse. Diese Gewißheit einer sich gleich bleibenden Weltordnung Gottes, die von Anfang an alles unverbrüchlich, unveränderlich und gut eingerichtet hat, erfüllt den Frommen mit Andacht, ruhiger Zuversicht und stetem Gleichmut. Eine spinozistische Ruhe überkommt den Frommen in der Betrachtung der Welt, die überall Gottes Ordnungen aufweist." Nach Wehrung (a.a.O., S. 290) konvergieren in der ontologischen Theorie der Predigten Einflüsse Spinozas mit einer dem Denken Schleiermachers eingentümlichen Rationalität. "Jedenfalls hätte diese spinozistische Einwirkung nur ein Moment verstärkt, was an sich in ihm selber lebendig war."

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Der Glaube an die immerwährende Gegenwart Gottes in der Welt87 kann jedoch nicht die Verstandes- und Vernunfterkenntnis ersetzen und macht sie auch nicht überflüssig; er erweitert sie auch nicht über ihre zulässigen Grenzen hinaus88, aber nur unter seiner Voraussetzung erscheint die Sinnhaftigkeit der menschlichen Erkenntnisbemühung überhaupt als gesichert. Die menschliche Erkenntnisbemühung scheitert gerade dann, wenn sie das, was sie voraussetzen muß (die Gegenwart des Willens Gottes in der Welt) an der empirischen Wirklichkeit zu verifizieren sucht89. Daß mir in der Geschichte und in der Welt Gottes Willen begegnet - diese Annahme des Glaubens ist die Voraussetzung sinnvoller Erfahrung überhaupt, wobei sinnvoll für Schleiermacher immer heißt: die Erfahrung eröffnet mir grundsätzlich die Möglichkeit des Zugangs zu dem moralischen Sinn meiner Existenz90. Der 87

Er bildet zu Recht den Anknüpfungspunkt für die Behauptung, in den Predigten von 1801 trete der Gedanke der Immanenz Gottes gegenüber dem seiner Transzendenz in den Vordergrund (vgl. dazu G. Zumpe, Die Gottesanschauung Schleiermachers und die Pantheismusfrage, S. 53ff.). 88 Pr. 1,17, 24-40 "Nicht, daß ich behaupten wollte, der Fromme sähe zu allen großen Erscheinungen in der Welt die zerstreuten Ursachen, welche sie vereint bewirken, er sähe von Allem, was plözlich hereinzubrechen scheint, das allmählige Werden, und wäre ein untrüglicher Prophet aller wichtigen Begebenheiten; nein, Vieles kommt auch ihm unerwartet, Vieles erscheint auch seinen Augen auf einmal in seiner ganzen Größe. Aber gewohnt auf das Einzelne zu merken, und auch in dem, was der Erscheinung nach klein und unwichtig ist, den Herrn zu suchen, erkennt er die Kräfte und ihre Geseze, die im Großen wirksam sind, auch im Kleinen und Unbekannten wieder, und hat nicht« Neues gesehen unter der Sonne." - "Gott kann ... nur an seinen Werken erkannt werden" (Zumpe, a.a.O., S. 59). 89 Vgl. Pr. I, 70, 30-35; Pr. I, 71, 33-72, 15. Danach ist der Versuch der Verifizierung das Bedürfnis des "klügelnden Verstande(s)", der sich damit gegen die fromme Demut "vor der Weisheit Gottes" auflehnt; nach Pr. 1,65,36ff. ist es jedoch das "übermüthige Herz", das sich "erhebt, ... um das göttliche Wesen zu erreichen, ohne sich an dasselbe zu halten". 90 Bauer II, S. 335f.: Der christliche Gott ist ein "Gott der Ordnung". Deshalb ist der Glaube an "Ordnung in der Natur, auch da wo wir sie nicht sehen", legitim. Er ermöglicht wiederum eine erfolgreiche empirische Naturbetrachtung. Ebenso berechtigt ist der Glaube an "Ordnung in den menschlichen Schicksalen, auch da wo wir sie nicht sehen". Dieser Glaube steht in engem, unlöslichem Zusammenhang mit unserem eigenen, aus der "echt moralis c h e ^ ) Ansicht" stammenden Tätigsein. "Wir dürfen nicht glauben, daß der Grund derselben (sc. der Ordnung) erst in der Zukunft liege." - Nach Dilthey (LSchlr I, 1) verbirgt sich unter der "rationalistischen Moralpredigt" Schleiermachers (S. 148) die "Gemütsverfassung", in der auch "die Beziehung zum unsichtbaren Zusammenhang der Dinge ihre Stelle hat... Aus die-

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Mensch soll sich nach Schleiermacher auf die mögliche Erfahrung des Willens Gottes in der jeweiligen geschichtlichen Gegenwart bescheiden, er soll es aufgeben, mehr sein zu wollen, als der "nachdenkende Zuschauer der göttlichen Führungen" 91 . Überhaupt wird die Selbstbescheidung hinsichtlich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit bzw. die Haltung der "Demüthigung" vor der Weisheit Gottes als die der christlichen Frömmigkeit am nächsten kommende Gesinnung von Schleiermacher ausdrücklich hervorgehoben 92 . Wenn hier auch in erster Linie die Verstandeserkenntnis von Schleiermacher gemeint ist, so kann die Kritik von ihm ausgedehnt werden auf das "übermüthige Herz" des Menschen. Es gibt außerhalb des Glaubens keine mögliche wahre Gotteserkenntnis. Das "übermüthige Herz" und der "klügelnde Verstand" sind für Schleiermacher offensichtlich die Ursachen für alle verfehlten menschlichen Versuche, Gott erkennen zu wollen 93 . Wie der "Ratschluß Gottes" die "Grenzen menschlicher Kräfte" übersteigt (als deren Sinnbilder "Verstand" und "Herz"

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ser Stimmung entsteht die Harmonie der Seele, die dem großen Ziele, das in der Ordnung der Dinge dargelegt ist, das kleine persönliche Schicksal unterordnet" (S. 149). Nach Wendland (a.a.O., S. 82) versteht Schleiermacher die höhere sittliche Gesinnung als "ein Handeln, in dem Einsicht und ruhige Überlegung eins geworden ist mit gesammelter Willenskraft, die ebenso sich selbst beherrschen kann, wie sie mutig der Außenwelt gegenübertritt." Sie ist "von Frömmigkeit durchdrungen;... nur sie gibt uns den sicheren Takt des Gefühls für das Gute und Rechte; nur sie gibt uns die Gewißheit, daß das Gute siegen wird. Sie laßt uns auch das Universum als eine harmonische Einrichtung Gottes verstehen. Ohne Frömmigkeit haben wir keine Einsicht in Gottes weise Weltordnung, kein inneres Gefühl unseres Zusammenhangs mit Gott und seinen Weltgesetzen." Pr. I, 72, 22f.; vgl. Pr. I, 167, 8f. "Wir sollen Alles, was uns begegnet ist, als seine weise Fügung ansehen, und uns gewissenhaft fragen, ob wir auch als gute Haushalter alles Gute treu und weislich benuzt haben"; Pr. I, 72, 33ff. Die menschliche Erkenntnisfahigkeit ist beschränkt auf die im Horizont der Wirklichkeit der Gegenwart liegenden Erfahrungen. Vgl. Predigt Nr. V, Pr. I, S. 64fT. "Demüthigung vor Gott" (über Hi 42, 1-3); dort z.B. Pr. I, 69, 38-70, 1 "Aber mit allem, was unsere Kräfte vermögen, wollen wir uns demüthigen unter die gewaltige Hand Gottes." Pr. I, 65, 27f. "... das klügelnde Bestreben des menschlichen Verstandes, in das göttliche Wesen einzudringen ..."; Z. 34ff. "Nicht nur der Verstand überhebt sich dabei, und bildet sich ein die Tiefen der Gottheit zu ergründen, ohne auf sie zu sehen, sondern das übermüthige Herz erhebt sich, um das göttliche Wesen zu erreichen, ohne sich an dasselbe zu halten."

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fungieren), so tun dies auch die Gesetze, die den körperlichen 94 und den geistigen 95 Zusammenhang aller Dinge bestimmen, durch die uns die Wirklichkeit als erfahrbare gegeben ist. So sehr also auch der mit dem Begriff des Wissens ausgedrückte Sachverhalt der Herrschaft des Menschen über den physischen und ethischen Kosmos besteht, aufgrund dessen es berechtigt ist, von einer Entwicklung der geistigen und körperlichen Kräfte des Menschen zu sprechen, so sehr bleibt der Tatbestand bestehen, daß der Mensch sich selbst ein Geheimnis ist - ein Geheimnis, das er als solches nur im Glauben erkennen und annehmen kann 96 . Unserer Unwissenheit korrespondiert Gottes Allwissenheit, unserer Ohnmacht seine Allmacht, und der Glaube, der uns Aufschluß über dieses Korrespondenzverhältnis gibt, begründet eine unmittelbare Gewißheit über die beschriebene vorgegebene Struktur unserer Existenzverfassung und damit über diese selbst. 94

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Pr. I, 66, 30-32 "Verstehen wir denn jene Geseze? Können wir sie aufrecht halten? Können wir sie beugen ...?" Vgl. den ganzen Abschnitt Pr. I, 66, 1567, 2; Pr. 1,67, 2-6 "So wenig Gewalt uns verliehen ist über den Körper, den das ganze menschliche Geschlecht bewohnt, eben so wenig Macht haben wir auch über das künstliche und zerbrechliche Gefäß, worin das Leben eines jeden Einzelnen aufbewahrt wird"; vgl. das folgende Pr. I, 67, 6ff.; Pr. I, 67, 34-36 "Darum gehe Keiner hin, als ob er das Leben gekauft hätte, und Keiner rede vom morgenden Tage, als ob er ihm angehöre." Pr. I, 69, 19-24 "Ja auch die geistigen Kräfte des Menschen sind nur Schwachheit! die Stimme der Wahrheit verhallt, wenn Er es so will, in der nächst umgebenden Luft; das Bild der reinsten Tugend wird entstellt zurükkgeworfen von den Gläsern der Verläumdung, und die Vertheidiger des Rechts werden zerstreut von der Rotte der Bösewichter!" Vgl. Pr. I, 67, 20f., 36f.; Pr. I, 68, 10-16. Z.B. gibt uns das Ereignis der Auferstehung Jesu Aufschluß über die Begründetheit der "Hoffnung auf die Zukunft" und damit über eine Grundtatsache menschlichen Verhaltens (vgl. Zimmer II, S. 42). Aber sie tut das - wie an den Jüngern deutlich wird - nicht im Sinne einer Verstandeserkenntnis oder einer sinnlichen Erfahrung, sondern im Sinne einer unmittelbaren Gewißheit des Glaubens; vgl. den in Bauer I, S. 104 mitgeteilten Predigtentwurf "Wie glücklich diejenigen sind, die sich in den Besitz des Glaubens zu sezen wissen, den Jesus meinte". Danach ist der "Glaube ... in Absicht auf Dinge der Erfahrung", z.B. die "Auferstehung als Begebenheit" keine "Leichtgläubigkeit", sondern "nothwendig". Für Herms (Herkunft S. 136) ist dieser Predigtentwurf ein Beleg für Schleiermachers Übernahme von Jacobis Theorie des unmittelbaren Realitätsbewußtseins. Auch die natürliche Wirksamkeit der "ordentlichen Gnadenmittel" (Zimmer II, S. 72) ist "unbegreiflich": "Alles ist gleich unbegreiflich - nicht nur a) das auf den ersten Blick wunderbare, sondern b) das ganz Natürliche, die Erhaltung des göttlichen Worts, der kirchlichen Gemeinschaft, des echt christlichen Sinnes."

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Nichts anderes als diese Gewißheit des Glaubens will Schleiermacher mit seiner Betonung der in die Haltung der Demut vor Gott einmündenden Selbstbescheidung der menschlichen Verstandeskraft herausstellen. Die unmittelbare Gewißheit des Glaubens über die vorgegebene Struktur der menschlichen Existenzverfassung und damit über diese selbst hat Schleiermacher im Anschluß an Jacobi formuliert. Zweifellos liegt für Schleiermacher in dieser unmittelbaren Gewißheit eine mögliche Erklärung für die Annahme des ontologischen Begründungsverhältnisses 97 . Die Einsicht in die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit besteht aufgrund der "Anerkennung unserer eigenen Schwachheit und Abhängigkeit und Verlangen nach seiner (sc. Gottes) Leitung und Hülfe" 98 , also auf nichts anderem als der Anerkennung des ontologischen Begründungsverhältnisses. Deren bestimmtester Ausdruck ist die praxis pietatis des Gebetes, verstanden als diejenige Haltung, in der das den Menschen fortwährend begleitende Gefühl der Abhängigkeit und Ohnmacht gegenüber Gott nicht auf Einzeldinge oder -geschehnisse bezogen wird, sondern auf das ganze menschliche Leben und damit auf Geschichte und Natur, Welt überhaupt. Wo Gott als der tragende und wirksame Grund von endlich Seiendem überhaupt erfaßt wird, da ist "das wahre Gebet, dessen Segnungen reichlich zu genießen ich uns Allen von Herzen wünsche" 99 . Mit diesen Worten Schleier97

98 99

Vgl. Pr. IV, 1, 16-18 Die Religion "(wirkt) nicht nur durch unsichre Gefühle, und einen mit vielem Irrthum vermischten Glauben, sondern durch die deutlichsten Einsichten und die unwiderstehlichsten Empfindungen." Wehrung (a.a.O., S. 293fT.) parallelisiert im Anschluß an Wendland (a.a.O., S. 96ff.) den Anschauungsbegriff der Reden mit der durch die Religion ermöglichten Sinnerfassung in den Predigten. "Um eine Sinnerfassung handelt es sich, wie sie dem Frommen aus dem Ganzen erwächst, so daß er das einzelne Ereignis, statt von ihm in Verwirrung versetzt zu werden, jenem einzugliedern vermag" (Wehrung, a.a.O., S. 295). Deutlicher als die Reden zeigen die Predigten, daß diese Erkenntnistheorie einer ontologischen Begründung bedarf. Pr. 1,64,19f. Pr. I, 36, 14f.; vgl. ebd. Z. 2-14 "Ein herzerhebender Gedanke an den Schöpfer, wenn unser Auge auf seine Werke gerichtet ist mitten unter den stillen Freuden, die wir aus seiner Schöpfung genießen, ein den klügelnden Verstand niederschlagender Gedanke an den Beherrscher der Welt mitten unter dem Gespräch über die Schicksale und Unternehmungen der Menschen, ein Gefühl von dem, dessen Ebenbild sich in uns offenbart, wenn wir uns von Liebe und Wohlwollen durchdrungen fühlen, mitten unter dem geselligen Genuß dieser menschlichen und schönen Empfindungen; wenn wir seine Wohltaten genießen, ein frohes Gefühl seiner Liebe; wenn wir Gutes

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machers ist angedeutet, daß das jetzt herausgearbeitete Weltverständnis des Glaubens seine Entsprechung in dem glaubenden Selbstverständnis finden muß, an dem sich erneut die Überlegenheit gegenüber jedem nicht-glaubenden menschlichen Selbstverständnis demonstrieren lassen muß. Der "Anblikk eines Frommen" macht "zu allen Zeiten und unter allen Umständen...einen so eignen und wunderbaren Eindrukk" nicht nur wegen "seiner erhabenen Gesinnung", sondern auch wegen seines "seligen und beneidenswerthen Zustandeis)"100. Worin besteht dieser? Wenn wir zunächst wieder die Frage nach dem Wesenskern des nicht-glaubenden menschlichen Selbstverständnisses stellen, so finden wir bei Schleiermacher die Begriffe der "Sorge" und der "Furcht" zur Bezeichnung dieses Sachverhaltes 101 . Zunächst noch beschränkt auf die Bezeichnung dessen, was die Ungewißheit der Zukunft beim nicht-glaubenden Menschen auslöst, wird der Begriff von Schleiermacher genauer verwandt zur Bezeichnung des Zustandes des nicht-glaubenden Subjekts selbst, das die mit seinem ganzen Existenzverständnis

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wirken, ein dankbares Gefühl seines Beistandes; wenn wir über seine Gebote nachdenken, die große Hofnung, daß er uns zu sich erheben will..."; Pr. I, 33, 36 - 34, 7 "Zweitens werdet Ihr mir nun, hoffe ich, gewiß zugestehen, daß es kein anderes wahres Gebet giebt als ... den Zustand netnlich, wo der lebendige Gedanke an Gott alle unsere anderen Gedanken, Empfindungen und Entschlüsse begleitet, läutert und heiligt. Alle andere Gestalten, welche das Gebet in einzelnen Fällen annimmt, müssen sich, wenn sie Gott wohlgefällig sein sollen, in diese eine höchste, das ganze Leben umfassende wiederum auflösen"; Pr. I, 34, 25-29; Pr. I, 35, 29-33; Zimmer II, S. 32f. Die "Kraft des Gebetes" besteht "in der Stärkung und Beruhigung des Gemüths". Gott ist für Schleiermacher daher nicht "der immanente Ichgrund", sondern diejenige von der Welt unterschiedene Instanz, von der sich der Mensch abhängig weiß (Zumpe, a.a.O., S. 60). Pr. I, 151,3, 5, 8,10,12. Zimmer II, S. 67 Weswegen "auch die Widersacher sich der Ehrfurcht gegen den religiösen Sinn nicht werden erwehren können". Vgl. zum folgenden Pr. I, 128, 30ff. In Pr. I, 133, 3-9 werden das Selbstverständnis des Glaubens und das nicht-glaubende Selbstverständnis einander gegenübergestellt: "Furcht oder Liebe, eines von beiden muß den Menschen regieren. Wo der Sinn Christi nicht ist, da ist Sorgen Weisheit, da ist die Furcht ein heilsames Gebiß, um die wilde Natur zu zähmen, und wenigstens den Schein des Guten hervorzubringen, welcher der Welt nüzlich ist. Wo aber der Geist Christi regiert, da ist die Furcht ausgetrieben, und die Herrschaft der Sorge über den Menschen vernichtet"; vgl. den in Zimmer II, S. 2 mitgeteilten Predigtentwurf mit dem Thema "Vertrauen auf Gottes Sorge macht unsern Sorgen ein Ende".

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verbundene Ungewißheit, eben die "Sorge", nur aus sich heraus auf die Zukunft projiziert. Nicht die Zukunft ist ungewiß, sondern ungewiß ist die ganze Existenz des nicht den Glauben wagenden Subjekts für es selbst! Umgekehrt gilt für das glaubende Subjekt: es ist sich seiner Existenz gewiß - aber nicht durch es selbst; sein Existenzgrund ist seiner Verfügung gänzlich entzogen, weil es Gott als die Bedingung der Möglichkeit seiner Existenz erkannt hat. Dieser ist die "Quelle jener Ruhe und Zuversicht, mit welcher der Fromme Allem entgegensieht, was die Zukunft ihm bringen kann" 102 . Es ist genau dieser Sachverhalt, den Schleiermacher auch mit dem Ausdruck "Gottseligkeit" 103 umschreiben kann, der jenen merkwürdigen Eindruck hervorruft. Daß der Fromme sich nicht in Ungewißheit über seine Existenz befindet, bedeutet weiterhin erstens, daß er sich nicht in Widerspruch zu seinem Stand in der Welt befindet 104 , und zweitens, daß er sich selbst kennt: die "versuchende Lust" wie das "warnende Gewissen", den "überlegende(n) Verstand" wie den "Wille(n), welcher Gedanken und Gefühle da und dorthin leitet, und Beispiel und Gebet zu Hülfe ruft" 105 . Mit der Selbsterkenntnis, d.h. mit der Erkenntnis des freien Selbst des Menschen hat Schleiermacher ja die Bedingung dafür angegeben, daß das Subjekt die Fähigkeit besitzt, die seiner Existenz entsprechende (sittliche) Bestimmung zu ergreifen. Drittens bedeutet die auf dem Glauben beruhende Existenzgewißheit, daß der Fromme "alles Gute", "alle Vorzüge und Segnungen", die ihm begegnen, als "Segnungen von Gott" her auffasst 106 . Es ist ihm deshalb als eine "christliche Pflicht" aufgegeben, das seinem Herzen einwohnende Gute, so sehr er es auch als die Frucht seiner

102 p r . 1,17,39f.; vgl. ebd. Z. 35-38. Pr. I, 20, 29; dagegen ist "Gottseligkeit" auch "das Bestreben, das Gute aufzunehmen" (Zimmer II, S. 6); vgl. den in Zimmer II, S. 35f. mitgeteilten Predigtentwurf "Wie notwendig aufrichtiges Wesen zur Gottseligkeit sei". 104 Pr. 1,18,13-15 "Einmal wird jeder, der sich dieselbe (sc. die Gesinnung des "Predigers", daß es nichts Neues unter der Sonne gibt) zu eigen gemacht hat, um soviel mehr Ursache finden, mit der Stelle zufrieden zu sein, welche ihm Gott in der Welt eingeräumt hat"; vgl. den in Zimmer II, S. 21 f. mitgeteilten Predigtentwurf "Beruhigungsgründe bei der Ungleichheit unserer Bestimmung auf Erden". 105 Pr. I, 22, 13-15; vgl. ebd. Z. 15-18 "Von allen diesen Bewegungen des Gemüthes kennt er die Kraft, er weiß, was er bisher damit ausrichten konnte und ausgerichtet hat, und weiß, daß sie immer dieselbe bleiben wird". 10 6 Pr. 1,64,10,24-26.

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eigenen Tat betrachten mag 107 , doch als "Gnadengabe Gottes" anderen mitzuteilen und ihnen dadurch daran Anteil zu gewähren108. "Offenheit soll ein Hauptzug in der Denkungsart eines jeden Christen sein"109. Das Bemühen des Subjekts, sich selbst in Entsprechung zur sittlichen als der objektiven Bestimmung menschlicher Existenz zu bringen, kann Schleiermacher auch als Willensübereinstimmung zwischen Mensch und Gott bezeichnen. Aus der Erkenntnis der moralischen Zweckbezogenheit des menschlichen Daseins folgt das Ergreifen derselben eben in jener Willensübereinstimmung als die Haltung der höheren resignatio in deum 110 , und aus dieser subjektiven Übereinstimmung mit dem objektiven Ziel menschlichen Daseins die Sinngebung des Ganzen durch das Subjekt, indem es das Erkenntnisprinzip des Glaubens, daß alle Einzeldinge und -geschehnisse in einem bedeutungsvollen Zusammenhang zueinander stehen, auf sich selbst anwendet 111 . Daß der Fromme sich auf dem Weg befindet, "den Gott uns 107

Pr. 1,64,24-26 "... daß alle Vorzüge und alle Segnungen,... wie sehr sie auch die Früchte unserer eigenen Thaten sein mögen, dennoch Segnungen von Gott sind, daß auch hierin alles Gedeihen von Ihm kommt, und wir ohne Ihn nichts vermögen", los Vgl.Pr.1,86,5-13,16-18,24. "'s Pr. 1 , 8 6 , 4 0 - 8 7 , 1 . 110 Siehe diese Arbeit S. 70; Pr. I, 31, 6-8 "... seinen (sc. Gottes) Willen können wir nicht beugen: so bliebe uns nichts übrig, als den unsrigen übereinstimmend zu machen mit dem Seinigen". 111 Pr. I, 31, 25-29 "So entsteht Vertrauen, daß auch auf uns, ein wie kleiner Theil wir auch sind, Rücksicht genommen worden sei im Ganzen; so entsteht Ruhe, denn was uns auch begegne, es muß Gutes herauskommen; und so ruft endlich das stillgemachte und besänftigte Herz, Vater, es geschehe dein Wille." Bauer II, S. 323: Aus der "Einsicht in die Wege Gottes" und dem Offenbarsein des Wesens Gottes folgt die Möglichkeit der Willensübereinstimmung mit ihm. Bauer II, S. 324: das alles ist uns gegeben durch die Tat Christi. "Wir müssen in der Gesinnung zunehmen, die uns übereinstimmend macht mit Christo: das Irdische mit Gleichgültigkeit ansehen; überall das Gute im Sinn haben". - Die Willensübereinstimmung zwischen Mensch und Gott als das Signum des glaubenden Selbstverständnisses in den frühen Predigten Schleiermachers hebt neben Dilthey (LSchlr I, 1, S. 435) und Zumpe (a.a.O., S. 62) besonders E. Hirsch hervor (Geschichte der neuern ev. Theologie, Bd. IV, S. 497f.): "Das ganze Leben gewinnt dadurch eine religiöse Tiefe, daß eine gelassene Hingabe an den göttlichen Willen, ein stilles inneres sich Sammeln und Besinnen im Bewußtsein der Gegenwart Gottes und eine aus beiden geborne, beide in sich tragende Selbstbildung zu Lauterkeit und brüderlichem Sinn als die uns erst zu echter ganzer Menschlichkeit emporhebenden Mächte erscheinen. Über dem allen liegt dann noch ein leiser Schimmer des Glaubens an eine ewige Vollen-

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vorzeichnet" 112 , bedeutet erstens, daß dieser Weg innerhalb des bedeutungsvollen Zusammenhangs liegt, den wir das von Gott geschaffene und von ihm erhaltene endlich Seiende als solches nennen, worin er als dessen Grund ständig gegenwärtig und wirksam ist, und zweitens, daß dieser Weg zu Gott als zu seinem Ziel führt. Mit dem ontologischen Begründungsverhältnis ist also nicht nur der Grund des endlich Seienden angegeben, sondern mit der Benennung des Menschen als desjenigen Subjekts, welches allein durch den Glauben zur Erkenntnis jenes Verhältnisses befähigt ist, das Objekt des göttlichen Willens. Eine höhere resignatio in deum stellt die Willensübereinstimmung zwischen Gott und Mensch deshalb dar, weil mit ihr eben nicht die Aufgabe des eigenen Willens, sondern seine wahre und einzige Erfüllung intendiert ist. Derjenige verfehlt seine Daseinsbestimmung, der die Erfüllung seines Willens außerhalb der Ubereinstimmung mit dem Willen seines Schöpfers sucht. Damit aber ist von Schleiermacher zugleich auch die Unmöglichkeit der menschlichen Glückseligkeit außerhalb der Willensübereinstimmung behauptet. Glückseligkeit kann es weder außerhalb der Tugend, verstanden als der Inbegriff der moralischen Zweckbezogenheit des endlich Seienden, noch außerhalb des Glaubens geben, ohne den die fundamentale Erkenntnis des ontologischen Begründungsverhältnisses gar nicht möglich ist. Hier, wo das Subjekt sich selbst auf den Weg bringt, den ihm die Einsicht in seine kreatürliche Daseinsverfassung aufgibt, ist der sachgemäße Ort, an dem in den Predigten immer wieder die Entfaltung des Christuszeugnisses einsetzt. Wenngleich wir mit der Darstellung der Christologie Schleiermachers erst im folgenden Kapitel beginnen, soll dieser Zusammenhang doch nicht verloren gehen. Von der "göttliche(n) Ruhe", die das Bewußtsein von der inneren Willensübereinstimmung mit Gott mit sich führt, wissen wir eben nur durch die Anschauung von der vollendeten "Ruhe" und "Gleichmüthigkeit des Erlösers"; "sie ist die Folge der reif-

dung ... Es gilt, den unerforschlichen Willen des unveränderlichen Gottes, wie er sich gleichmäßig ausspricht in den großen und kleinen gesetzmäßigen Zusammenhängen des Lebens, durch völlige Übergabe als einen guten, lebensspendenden Willen in den eignen Sinn und Willen aufzunehmen." Pr. 1,32,16f.

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sten Weisheit und der ächtesten Frömmigkeit"113. Schleiermacher behauptet einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen drei Faktoren: (1) der Einsicht des Subjekts in seine kreatürliche Existenzverfassung, (2) seinem Ergreifen der darin liegenden (sittlichen) Bestimmung, und (3) seiner Glückseligkeit. Keines dieser Elemente darf aus dem Zusammenhang herausgelöst werden114. Im Gegensatz zu seiner früheren Ansicht kritisiert Schleiermacher jetzt das Verlangen nach der Erfahrung der Proportionalität von Tugend und sinnlicher Glückseligkeit als den Glauben und die mit ihm gesetzte wahre und einzige Glückseligkeit, nämlich die "Freude am Bürgerrecht im Reiche Gottes"115 zerstörend. 111

115

Hr. I, 44, 36-38; vgl. Pr. I, 42, 15-20 "Eine göttliche Ruhe löset also jenen Schmerz auf. Haben wir wirklich nur das Gute im Sinn: so befehlen wir Gott, indem wir ihm unsern Geist befehlen, getrost auch unsere Werke und unsere Entschlüsse; und was auch unvollendet geblieben sei, wir werden dennoch mit Recht sagen können: es ist vollbracht"; Pr. I, 43, 38-44, 12 Diese "göttliche Ruhe" ist dem "Sinnlichen und Irdischgesinnten" (Pr. I, 42, 3f.) grundsätzlich unverständlich. Nicht die Tugend: Pr. I, 38, 30-33; Pr. 1, 41, 27-34; Pr. I, 132, 30-34, 38-40; nicht der Glaube: Pr. 1,12, 16f., 29ff.; Pr. 1,18,10-15; Pr. I, 21, 4-9; Pr. I, 31, 19f.; Pr. I, 151, 10, 31; nicht die Glückseligkeit: Pr. I, 48, 9-17. Die zwei Predigtentwürfe "Vorzug der Bitte um Weisheit und Erkenntnis" (Zimmer II, S. 3f.) und "Über den kindlichen Geist des Christentums" (ebd. S. 48) zeigen beispielhaft den Zusammenhang von Glauben, Tugend und Glückseligkeit unter dem Primat des Glaubens. Vgl. auch Zimmer II, S. 66 "Wir sollen das Evangelium verkündigen" an Menschen, "die auf Recht und Tugend halten, aber gleichgültig gegen die Religion sind ..., indem man ihnen zeigt, daß in der Tugend des Religiösen noch mehr Leben und Freude ist als in der ihrigen, und die Empfindungen der Religion alles erhöhen." Pr. I, 164, 10-16 "Wie ist es möglich über der Freude am Bürgerrecht im Reiche Gottes alles Andere zu vergessen, wenn man dieses Reich nur da sehen will, wo Tugend und Glükkseligkeit in einem gewissen äußerlich sichtbaren Verhältnisse stehen? Darum können die, welche so gesinnt sind, den Herrn nicht finden: denn seine Gedanken sind nicht ihre Gedanken und seine Wege sind nicht ihre Wege." Gleichermaßen kann derjenige keinen "Frieden des Herzens" erlangen bzw. keine "Ruhe der Seele" finden, der in den "Rathschlüssen" Gottes "nur Widersprüche findet" bzw. für den sie "nur als die willkürlichsten und unsichersten Anordnungen erscheinen" (Pr. I, 164,4-10); das Streben nach "irdische(r) Glükkseligkeit" (Pr. I, 98, 16) läßt sich mit der "göttliche(n) Gerechtigkeit" in der Tat nicht vereinbaren (Pr. I, 100, 29f.); vgl. den Predigtentwurf "Wodurch sollte die Heuchelei immer mehr abnehmen?" (Zimmer II, S. 13f.): durch die "allmähliche Auflösung der willkürlichen Verbindung zwischen Moralität und physischem Wohlsein"; vgl. den Entwurf "Man muß keine Schlüsse machen vom Ergehen auf die Gesinnung Gottes gegen den Menschen" (Zimmer II, S. 37). Der Entwurf "Worin das ausschließende Wohlergehen des Gerechten besteht" (Zimmer

Der Glaube

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Wir haben gesehen: Es gibt für Schleiermacher die unmittelbare Gewißheit des Glaubens über die vorgegebene Struktur der menschlichen Existenzverfassung und damit über diese selbst; diese Gewißheit dient zur Begründung der Annahme der Fundierung des endlich Seienden im wahren Sein selbst ( = Gott). Es gibt - wie wir jetzt sehen werden - neben der unmittelbaren Gewißheit des Glaubens aber auch die unmittelbare Gewißheit des Gewissens von der allem personal Seienden 116 vorgegebenen Bestimmung zur sittlichen Vollkommenheit. Damit ist der Möglichkeit der (endlichen) Vergegenständlichung des Gehalts des Glaubens widersprochen, nicht aber seiner Objektivität. Diese hat er eben darin, daß die Stimme des Gewissens - sofern sie gedacht wird als die Offenbarung des Willens Gottes im Menschen 117 - keiner weiteren Begründung bedarf, sondern - für den Glaubenden - unmittelbar gewiß ist. Einerseits setzt die Gewißheit des Gewissens also die Gewißheit des Glaubens voraus, andererseits läßt sich in den Predigten ein ungeregeltes Nebeneinander zweier "Gewißheiten" beobachten. Die im Glauben allein evidente "gute Gesinnung" 118 ist einerseits zu unterscheiden von Bildung als dem Inbegriff der Entwicklung menschlicher Geisteskräfte, anderer-

116

117 118

II, S. 16) will zeigen, daß das Glück nicht außerhalb der Gerechtigkeit gesucht werden darf. Glückseligkeit ist gedacht als mitgesetzt in der Manifestation der Gesinnung in der Tat, die dem "Gerechten" als sein "eigentlicher" und einziger Zweck aufgegeben ist. Das Bestreben nach Glückseligkeit außerhalb des gerechten Handelns ist Torheit (Zimmer II, S. 24); vgl. Zimmer II, S. 43 "Man fragt, ob die Tugend den Menschen glücklich macht. Eine Glückseligkeit ist freilich Begleiterin der Tugend; wenn wir aber um der Glückseligkeit willen die Tugend üben, verlieren wir beides"; "Denkmale" S. 136 ( = Drittes Tagebuch, Nr. 125 und 127) "Gottes Güte ist die Idee von der gänzlichen Entbehrlichkeit des Angenehmen zum Guten ... Der Glaube an die Güte Gottes ist der Glaube an die Entbehrlichkeit des Angenehmen zu den höchsten Endzwecken des Menschen." Der Begriff des personal Seienden meint dasjenige endlich Seiende, welches aufgrund der ihm vorgegebenen Struktur von Umwelt- und Selbstbezogenheit in einer freie Wahlakte ermöglichenden Beziehung zu sich selbst und zu seiner Umwelt steht, in welcher es seiner vorgegebenen Struktur ent-, aber auch widersprechen kann (vgl. dazu W. Härle/E. Herms: Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, Göttingen 1980, S. 80f.). Der "Wille Gottes wird ... im Gewissen des Menschen offenbar" (Zumpe, a.a.O., S. 59). Zur Evidenz der guten Gesinnung im Glauben vgl. Pr. I, 124, 16-18; Pr. IV, 1,15; Pr. 1,20,23; Pr. 1,21,10-12; Pr. I, 63, 21; Pr. I, 109,3f.; Pr. I, 122, 18; Pr. 1,135,29-32; Pr. 1,143,24; Pr. 1,151,8.

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seits aber die notwendige Voraussetzung dafür, daß die Entwicklung der allgemein menschlichen Bildung mit der Entwicklung zur sittlichen Vollkommenheit übereinstimmt, d.h. tugendhaft kann nur der sein, der als Grund seiner Geistesbildung einen jedem möglichen endlichen Wert gegenüber transzendenten Antrieb fühlt: den Trieb zur Pflicht. Die Auffassung des Pflichtgefühls als Antrieb zum Handeln ist identisch mit dem Satz, daß der christlich Fromme sich in allen seinen Handlungen ausschließlich von seinem Gewissen 119 leiten läßt, oder auch mit dem Satz, "daß Alles Sünde sei, was nicht aus dem Glauben kommt" 120 . Die Evidenz der "guten Gesinnung" im Glauben und die Eindeutigkeit der Wahrheit der Stimme des Gewissens im Glauben entsprechen einander. Die Entfaltung des Gehalts des Gewissens, das als die Repräsentanz Gottes im Menschen untrügliche Wahrheitsquelle davon ist, "wie wir in der Welt vor Gott wandeln" sollen, ist zugleich die einzige für den Menschen angemessene Rede von Gott. Indem sie Aussagen über das Verhältnis Gottes zu den Menschen macht, macht sie zugleich Aussagen über die Bestimmung des Menschen und über die Eigenschaften des göttlichen Wesens 121 . Denn "Gott und die Welt, seine Eigenschaften und seine Wege und Führungen, das sind Gedanken, die unmittelbar zusammen gehören, die sich unter einander entweder aufhellen und berichtigen, oder verwirren und verdunkeln" 122 . Der Glaube, in diesem Fall der Glaube an die Gerechtig-

119

Zur Eindeutigkeit der Wahrheit des Gewissens im Glauben vgl. Pr. I, 78, 31; Pr. 1,79,2f„ 13; Pr. 1,80,16f., 34; Pr. 1,85,5-7; Pr. 1,63,13; Pr. 1,140,35; Pr. 1,94,6f.; Pr. 1,172,12-14; Pr. 1,20,36; Pr. 1,105,23; Pr. 1,174,24. 12» Pr. 1,80,27f. 121 Schleiermacher wendet gegen Fichte in der Rezension von dessen Schrift "Die Bestimmung des Menschen" (Athenaeum III, 2,1800, S. 290) ein, daQ die Frage nach der "Bestimmung des Menschen" nicht beantwortet werden kann, wenn man von der "äußeren Natur und ihrem Zusammenhange" ausgeht; sie wird auch nicht aus dem "Idealismus" beantwortet, sondern allein "aus der innern Stimme des Gewissens unmittelbar". 122 Pr. I, 94, 12-14; vgl. Pr. I, 94, 6f.; Pr. I, 93, 32f. - Der Prediger ist wie der Redner Schleiermacher der Meinung, daQ es keine mögliche direkte Rede von Gott gibt (vgl. die Polemik gegen die personale Gottesvorstellung aufgrund der eigentümlichen Bestimmung des Wesens der Religion in der zweiten Rede). Selbst das Christentum in seiner Gestalt von Wort und Lehre unterliegt der reiligiösen Polemik, weil es ohne Anthropomorphismus notwendigerweise nicht auskommt. Vgl. zum Problem jetzt: Franz Christ, Menschlich von Gott reden: das Problem des Anthropomorphismus

Der Glaube

209

keit Gottes 123 , und die (göttliche) Stimme des Gewissens, die uns zur Übernahme der Verantwortung für unser Handeln verpflichtet, sind die zwei legitimen Quellen zur Erkenntnis Gottes. Sie sind deshalb legitim, weil sie ursprünglich nicht der "Klugheit dieser Welt" entstammen, sondern der "Weisheit, welche die Religion Jesu uns lehrt" 124 . In der "Religion Jesu" liegt für Schleiermacher der Schlüssel für das wahre Verständnis des Handelns Gottes an uns und für das diesem entsprechenden Handeln des Menschen in der Welt 125 . Das beobachtete ungeregelte Nebeneinander zweier "Gewißheiten" wird von Schleiermacher in ein regelmäßiges Ineinander genau dann überführt, wenn die unmittelbare Gewißheit des Gewissens als durch die unmittelbare Gewißheit des Glaubens ermöglicht verstanden wird. Denn die unmittelbare Gewißheit des Gewissens ist die Gewißheit von dem dem Handeln Gottes entsprechenden Handeln des Menschen in der Welt. Sie hat zu ihrer Voraussetzung mindestens drei Wissensfaktoren. Erstens ein Wissen von Gott; zweitens ein Wissen darüber, daß Gott handelt und drittens ein Wissen über den Gegenstandsbereich des göttlichen Handelns (Welt und Mensch überhaupt). Nun inhärieren alle drei genannten Wissensfaktoren dem Glauben - und zwar so, daß sie in ihm unmittelbar gewiß sind. Denn der Glaube behauptet ja das ontologische Begründungsverhältnis als unmittelbare Gewißheit, d.h. die Fundierung des endlich Seienden als solchem ( = der Gegenstandsbereich des göttlichen Handelns) im wahren Sein selbst ( = Gott) als seinem tragenden, wirksamen und gegenwärtigen ( = Beschreibungen des göttlichen Handelns) Grund. Die Zurückführung der unmittelbaren Gewißheit des Gewissens auf die unmittelbare Gewißheit des Glaubens läßt sich als die Bewegung von dem ungeregelten Nebeneinander zweier "Gewißheiten" zu ihrem regelmäßigen Ineinander in den Predigten selbst beobachten, z.B. im Vergleich zwischen den Predigten "Die Gemeinschaft des Menschen mit Gott" 126 und "Der Werth des öffentlichen Gottesdienstes" 127 . Die

1!

» 12* 125 12« 127

bei Schleiermacher, Einsiedeln-Gütersloh 1982 (Ökumenische Theologie Bd. 10). Vgl. die Predigt Nr. VII, "Die Gerechtigkeit Gottes", Pr. I, S. 93ff. Pr. 1,124,4f. Vgl. dazu unten S. 215ff„ 222ff. Predigt Nr. XI, gehalten am 02.11.1800 (nach Seifert, a.a.O., S. 202). Predigt Nr. XII, gehalten am letzten Sonntag des J a h r e s 1794 (nach Seifert, a.a.O., S. 202).

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letzte Predigt thematisiert "unser Verhältniß gegen Gott", indem sie lehrt, daß sich dieses allein in der guten Gesinnung als dem einzig angemessenen menschlichen Gottesdienst ausdrückt, die christliche Religion also eine "Religion des Herzens sei"128. Dabei ist vorausgesetzt (aber nicht eigens thematisiert!), daß der Grund der Möglichkeit der guten Gesinnung der Glaube an die göttliche Vorsehung ist, aufgrund dessen der Mensch alles Gute in der Welt, also auch die eigene gute Gesinnung als ursprünglich von Gott empfangene und deshalb allein ihm zu verdankende ansieht 129 . So wird das Wesen des Gottesdienstes in der Entwicklung des moralischen Wahrheitsbewußteins gesehen, mit dem Ziel, daß der Mensch nur "den Muth fasst, sein ganzes Innere vor den Richterstuhl des vom göttlichen Worte geleiteten Gewissens zu stellen"130. Nun wird die individuelle Entwicklung des moralischen Wahrheitsbewußtseins getragen von dem Bewußtein des Ziels, das Gott der Gemeinschaft der Glaubenden (aufgrund ihres Glaubens) vorgegeben hat, nämlich freie "Bürger im Reiche Gottes" bzw. "Gottes Hausgenossen" zu sein131. Die gute Gesinnung des einzelnen ist für Schleiermacher nur sinnvoll innerhalb des Gesamtlebens des Guten, das als eine Tatsache des Glaubens gegeben ist132. D.h. in der christlichen Gemeinde ist die Wirklichkeit der sittlichen Gesinnung gegeben, und von ihr als ihrem Ur128

Pr. 1,169,10f.; vgl. Pr. 1,168,7-10; Pr. 1,169,19-24. 129 Vgl. Pr. I, 167, 8-11; Pr. I, 168, 1-4; Zimmer II, S. 1 Zur "Kunst, sich von Sorgen frei zu machen", gehört der "Glaube an die Vorsehung überhaupt", und die "Einsicht", wie Gott "für die Möglichkeit" sorgt, "alles zum Guten zu benutzen". Schleiermachers Vorsehungsglaube hat also selbst ontologi sehe Relevanz. Die Unterscheidung von Torheit und Weisheit in dem Predigtentwurf "Die Thoren können keinen wahren und lebendigen Glauben an Gott haben" (Zimmer II, S. 24f.) hat erkenntnistheoretischen Sinn: der Glaube trägt in sich die Erkenntnis der grundlegenden Bezogenheit des endlich Seienden auf Gott. 13« Pr. I, 172, 13f.; vgl. Pr. I, 170, 30-35 Der einzelne soll unter den "allgemeineren und wichtigsten Wahrheiten" v.a. "Einsicht" in die "richtige Unterscheidung dessen, was in schwierigen Fällen Recht und Unrecht ist" bekommen. Dafür ist der Gottesdienst hervorragend geeignet (Pr. 1,174,412). 131 Pr. 1,175,26f.; vgl. ebd. Z. 1-4. 2 13 Für die der Gottesdienst der entsprechende sachgemäße Ausdruck ist, vgl. Pr. 1,175, 8-11, 20-28, v.a. Z. 22-25 "Hier aber, hier findet Ihr eine Gesellschaft, die den innern Zustand eures ganzen Gemüthes für ihre Angelegenheit und eure Besserung für eine Annäherung zu ihrem gemeinschaftlichen Endzwekk erklärt."

Der Glaube

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sprungsort geht sie aus als eine alle menschlichen Lebensverhältnisse durchbildende "höhere" Wirklichkeit 133 , wodurch auch diese selbst zu ihrer Bestimmung gelangen. Worin jedoch die Durchbildung aller Lebensverhältnisse mit der im Gewissen als der Repräsentanz Gottes im Menschen unmittelbar gewissen sittlichen Gesinnung begründet ist, nämlich in der geschaffenen Struktur der erfahrbaren Wirklichkeit, die im Glauben allein gewiß ist, wird von Schleiermacher in dieser Predigt nicht eigens thematisiert. Allerdings vermag die "Tugend" ohne die - vorausgesetzte "Frömmigkeit" nicht zu bestehen 134 ; aber Schleiermacher beschreibt lediglich den Charakter der Frömmigkeit als subjektive Stimmung in vielen verschiedenen Lebenssituationen 135 , nicht aber ihren ontologischen Gehalt. Daß Schleiermacher sich über diesen ontologischen Gehalt der Frömmigkeit sehr wohl im klaren ist, zeigen die aus der Polemik gegen die falsche Alternative einer sich an der nicht-menschlichen Natur entzündenden Frömmigkeit hervorgehenden Bemerkungen, die die Predigt abschließen136. Gott ist der "Schöpfer"137 der nicht-menschlichen wie der menschlichen Natur, mit dem einen, allerdings entscheidenden Unterschied, daß für die christliche Frömmigkeit der Mensch das 133 Vgl. Pr. 1, 175, 28-176, 3; v.a. Z. 35ff. "Wenn Ihr hier (sc. im Gottesdienst) den Gedanken an die höchste menschliche Vollkommenheit faßt: so wird Alles, was Ihr dem zufolge thun und werden könnt, in Anspruch genommen für die Gemeine Christi; jeder gute Entschluß erscheint Euch als ein theures Gelübde, abgelegt, in ihre und des Erlösers Hände. Dies ist die eigentliche Ursache des tiefen Gefühls, welches Euch hier so oft ergriff, dies die Quelle der schönen Wirkungen, die Euer Hiersein zurückgelassen hat"; Zimmer II, S. 69 In der "Gemeinschaft mit allen den Seinigen" und in dem "vereinigte(n) Beispiel aller Guten" ist Christus gegenwärtig. la4 Pr. 1,177, 23 Der Gottesdienst ist gerade der Ort, an dem die Frömmigkeit geweckt und immer wieder neu belebt wird (vgl. Pr. I, 177,39-178, 4); Zimmer II, S. 6 Die Tugend der "wahre(n) Bescheidenheit" ist eine "Frucht des Glaubens" und führt als solche auf den "Weg zur Vollendung". 135 p r . I, 178, 17 "bessere Stimmung"; Pr. I, 178, 32ff.; Pr. I, 179, 12 "Muth", "Vertrauen"; Pr. 1,179,16 "Ruhe", Pr. 1,179,18 "Zufriedenheit"; Pr. 1,179, 19 "Heiterkeit"; Pr. 1,179, 22 "Freude" und Dankbarkeit. Über bloße Stimmungsbilder hinaus gehen ansatzweise Beschreibungen des Gehaltes von (christlicher) Frömmigkeit wie "richtigere Würdigung der irdischen Dinge" (Pr. I, 178, 2f.), oder "treuere Ergebung in die Wege Gottes" (Pr. I, 178, 3f.); ähnlich Zimmer II, S. 70 "Wie haben wir uns den Geist Gottes zu denken? ... a) als eine Gesinnung der Rechtschaffenheit, b) als eine Gesinnung des Muts und der Freudigkeit, c) als eine Gesinnung der wahren Liebe". 13ti Pr. 1,179,33ST. 137 Pr. 1,180,14.

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Ebenbild Gottes ist138. Deshalb vermag sich die christliche Frömmigkeit genauso, wenn nicht viel eher, an der Betrachtung der menschlichen Natur zu entzünden, an ihrer individuellen "Mannigfaltigkeit" wie an der "allmählige(n) Entwikklung des Göttlichen" in ihr139. Schon die Uberschrift der wahrscheinlich sechs Jahre später gehaltenen Predigt "Die Gemeinschaft des Menschen mit Gott" deutet an, daß für Schleiermacher in der näheren Bestimmung dieser Gemeinschaft, nämlich als einer Willensgemeinschaft, die einzige Möglichkeit legitimer Rede von Gott liegt. Daß der Fromme "den Herrn gefunden hat", heißt nicht, "er hat besondere Kenntnisse erlangt von dem, was wir das Wesen oder die Natur der Gottheit zu nennen pflegen, und es sind ihm hierüber Geheimnisse offenbaret worden, welche weit jenseit dessen liegen, was der menschliche Verstand gewöhnlich erreicht"140. Der Mensch besitzt einen zur Gotteserkenntnis inadäquaten Verstand und eine dafür genauso inadäquate Sinnlichkeit141. Der Weg zu Gott führt über das "Herz" des Menschen142, womit Schleiermacher offensichtlich das Willenszentrum des Menschen angesprochen haben will. Die Erfassung der sittlichen Bestimmung durch den Menschen in der Willensübereinstimmung mit Gott, bzw. die Auffassung der Stim138

140 U1 142

Pr. I, 180, 18; vgl. Zimmer II, S. 8 Die "Würde und Herrlichkeit des Menschen" besteht in seiner "Ähnlichkeit mit Gott". Diese hat der Mensch aufgrund seiner "Vernunft", seines "Gewissens" und seiner "Erkenntnis Gottes". Über seine "Ähnlichkeit mit Gott" oder seine Gottebenbildlichkeit vermag sich der Mensch gerade durch die Einsicht in seine "Fähigkeit" zum Bösen ("gesellige (...) Leiden"), also im Freiheitsbewußtsein bewußt zu werden. Auch im "Vergnügen" soll sich der Mensch seines "Daseins in der Welt Gottes" und seines "göttlichen Ebenbildes bewußt werden" (Zimmer II.S. 20). Pr.1,180,19,22. Pr. 1,153,32-38. Pr. 1,154,7 14. Pr. I, 154, 32; genauer "ein reines Herz und ein zum Nachdenken und zur Betrachtung aufgelegtes Gemüth"(Pr. 1,162, 26f.; vgl. Pr. I, 163, 1-4, 6-12, 18-25). Wendlands (a.a.O., S. 98) Parallelisierung der Predigtbegriffe "Herz" und "Gemüth" mit den Begriffen "Sinn" und "Phantasie" in den Reden (3. Rede) kann schon deshalb nicht überzeugen, weil beide Begriffe in den Reden ein zu unterschiedliches sachliches Gewicht haben. "Phantasie" ist nicht wie "Sinn" Zentralbegriff für die Explikation des Themas der Bildung zur Religiosität in der 3. Rede. Eher ist bei "Herz" und "Gemüth" mit Wehrung (a.a.O., S. 279) an die Dualität von Handeln und Selbstbetrachtung in der Ethik der Monologen zu erinnern.

Der Glaube

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me des Gewissens als die Stimme Gottes (und nicht nur als eine Stimme menschlicher Einsicht - denn das führt zur Teilbarkeit der Pflicht143), ist die dem Menschen adäquate Weise der Gotteserkenntnis. Für den Glaubenden gibt es diese als unmittelbare Gewißheit des Gewissens, aufgrund deren sich seine ganze Lebenswirklichkeit von Grund auf verändert144. Die unmittelbare Gewißheit des Gewissens von der Wirklichkeit des guten Willens in der Welt macht nicht nur die individuelle Entwicklung des moralischen Wahrheitsbewußtseins notwendig, sondern auch die "Gemeinschaft des Geistes", d.h. die Wirklichkeit des (seit Christus!) Gesomihandelns oder Gesamtlebens der Guten als die wahre, wenn auch nicht unbedingt sichtbare Gemeinschaft der Glau-

143

Zwar verkündigt das Gewissen allen Menschen den Willen Gottes, aber "es ist doch hierin ein Unterschied zwischen dem Rechtschaffenen, der ein Frommer ist, und dem, der es nicht ist: er beruht nemlich darauf, ob wir unser Gewissen auch als die Stimme Gottes ansehen und behandeln, oder nur als die Stimme unserer menschlichen Einsicht. Wer "nur das leztere tuth", bei dem wird "das Gewissen mit seinen Aussprüchen ... der Gegenstand einer eignen Wissenschaft. Diese theilt dem Menschen seine Pflichten ein in vollkommene und unvollkommene, in höhere und niedere, in allgemeine und besondere, in Pflichten gegen die Gesellschaft und gegen den Einzelnen, gegen sich und gegen Andere. Hie eine Regel und dort eine Regel, hie ein Gebot und dort ein Gebot, so wird auf diesem Wege das menschliche Handeln zerstükkelt" (Pr. I, 156, 17-31); vgl. Pr. I, 155, 36-38; Zimmer II, S. 37 "Das Gewissen ist die einzige Stimme Gottes"; Zimmer II, S. 58 "Gott, der uns das Gewissen gab". 144 "Sehet dagegen auf den, welcher sein Gewissen durchaus als die Stimme Gottes behandelt!" Er wird "es heilig halten", "es andächtig befragen", "es nur beobachten und üben; auf das Ähnliche in seinen Aussprüchen, auf das Innere, worauf sie sich beziehn, wird er merken, und ... sich ein leises und vielumfassendes Gefühl erwerben" (Pr. I, 157,12-19); "so begegnet es auch dem, welcher den Herrn sucht, nicht, daß er in Versuchung wäre, etwas Gott mißfälliges in sein Leben aufzunehmen" (Pr. I, 157, 21-23; vgl. Z. 2435!). Es ist ein hartnäckiges Mißverständnis (Wendland, a.a.O., S. 98), daß Schleiermacher in seinen romantischen Schriften (im Gegensatz zu den Predigten) den sachlichen Zusammenhang von Religion und Sittlichkeit ausgeblendet habe. In ähnlicher Form wie in den Predigten findet sich der Gewissensbegriff in den Monologen. Wenn das Subjekt seine sittliche Bestimmung in der Verwirklichung seines Wesens ergreift (Monologen S. 69), dann schließt das zwar die Unterbestimmtheit des Handelns gegenüber dem Wesen, also das schlechte Gewissen aus (Monologen S. 28), die sittliche Bezogenheit seines Handelns, d.h. das "Bewußtsein der Menschheit" und das diesem entsprechende Handeln aber ausdrücklich ein (Monologen S. 26).

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benden 145 . Als Glied dieser Gemeinschaft, die das "Reich Gottes" ist146, vermag sich der einzelne zu verstehen "als ein verständiger, freier und thätiger Bürger des göttlichen Reiches", der "zu den Endzwekken der ewigen Weisheit (mitwirkt)" 147 . Damit aber kann die unmittelbare Gewißheit des Gewissens von der Wirklichkeit des Guten in der Welt nicht länger als individuelle scheinbar unableitbar gelassen werden, sondern muß ihrerseits begründet werden in der unmittelbaren Gewißheit des Glaubens von der Gegenwart Gottes als tragender und wirksamer Grund der gesamten Weltwirklichkeit. Der Fromme weiß - als Moment seiner unmittelbaren Glaubensgewißheit - um den Menschen "als einen einzigen Entwurf Gottes" 148 , auf den hin der gesamte physikalische Kosmos geschaffen ist, der deshalb an der Wirklichkeit des moralischen Endzwecks teilhat 149 . Die "Ausbildung Eures Geistes", und d.h. "eine Meinung zu haben über den Zusammenhang und die Geseze der Welt, über den Ausgang aller menschlichen Bemühungen", gehört zum Glauben konstitutiv hinzu, ist seine "Bestimmung" 15 ". Weil im Glauben der "Zusammenhang und die Geseze der Welt" als das Wissen davon, wie und zu welchem Zweck Gott am Menschen und an der Welt handelt, unmittelbar gewiß sind, ist dort auch das Gewissen als das Wissen über das dem Handeln Gottes entsprechende Handeln des Menschen unmittelbar gewiß. So thematisiert Schleiermacher in dieser Predigt die für den Glauben vorgegebene Struktur der erfahrbaren Wirklichkeit und vermag deshalb die schon früher von ihm postulierte unmittelbare Gewißheit des Gewissens im Glauben zu begründen.

145

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150

Vgl. Pr. 1,159,21-26; Pr. 1,160,8-19. Pr. 1,159,19. Pr. 1,161, lOf. Pr. 1,162,1. Pr. 1,161,25ff.; Pr. 1,162,2ff. Die Beobachtungen, die der Mensch aufgrund seines Verstandes und mit Hilfe seiner Augen und seines Gedächtnisses macht, liefern ihm historische Anhaltspunkte für seine Glaubensgewißheit (vgl. Pr.1,162,7fr.). Pr. 1,165, 2-4,11-13; Pr. 1,164,37ff.

Grund des Glaubens

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3. DER GRUND DES GLAUBENS (CHRISTOLOGIE) Da wir bereits in den zwei vorausgegangenen Kapiteln bei der Darstellung des Wirklichkeitsverständnisses des Glaubens auf die wesentlichsten Züge in Schleiermachers Gottesverständnis zu sprechen gekommen sind, können wir jetzt, nach einer kürzeren Zusammenfassung, sogleich zur Darstellung seiner Christologie in den Predigten übergehen, die sich freilich sachgemäß nur im Rahmen des dem Glauben eigentümlichen Gottes- und Weltbegriffs entfalten läßt. Gott ist der Schöpfer der Natur, der Welt und des Menschen, welcher zur Gottebenbildlichkeit bestimmt ist. Diese umfassende Bestimmung des Menschen ergreift dieser durch den Glauben als seine Bestimmung zur sittlichen Vollkommenheit und zu der darin mitgesetzten (moralischen) Glückseligkeit. Dadurch erfüllt der Mensch als Erdenbürger lediglich seine Aufgabe innerhalb 151 der Gesamtbestimmung, der alles natur- und welthaft Seiende als geschaffenes notwendig unterliegt. Der Prozess der Beherrschung durch die Vernunft soll zu der als das Ziel der Schöpfung aufzufassenden Einheit von Vernunft und Natur unter der obersten Bedingung der Vernunft führen. Christus ist das "Urbild aller menschlichen Vollkommenheit" 152 . Dabei ist diese Bestimmung des Menschen nicht als allein zukünftig gedacht, sondern das Reich Gottes ist schon jetzt Wirklichkeit im Gesamthandeln der Guten als die wahre Gemeinschaft des Geistes bzw. der Glaubenden, der sich der einzelne "als ein verständiger, freier und thätiger Bürger des göttlichen Reiches'" 53 zugehörig fühlen darf. Als Zusammenfassung des dem Glauben nach Schleiermacher eigentümlichen Gottes- und Weltverständnisses mögen folgende Aussagen aus den Predigten dienen. Gott der Schöpfer drückt sich für den Menschen erkennbar in den den gesamten physikalischen 151

Vgl. "Denkmale" S. 123 ( = Zweites Tagebuch Nr. 74; vgl. ebd. S. 142, 3. Tagebuch Nr. 170) "Wenn Gott in der Schöpfungsgeschichte sagt: 'Laßt uns ein Bild machen, daß uns gleich sei': so muß man nur denken, daß er dies zu der eben geschaffenen Erde sagt, und es ist ein herrlicher sehr sinnvoller Mythos." - "Laß uns ein Bild nun schaffen / mir gleich, spricht Gott zu der Erde / Darum ist irdischer Gott /göttliche Erde der Mensch."

152

Pr. I, 174, 25 Als solcher ist er auch das Ebenbild Gottes, wenn gilt, daß die Ebenbildlichkeit Gottes Grund der Pflicht ist (vgl. Zimmer II, S. 12). Pr. 1 , 1 6 1 , 1 0 .

im

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

und ethischen Kosmos je einheitlich bestimmenden Gesetzen und Kräften aus 154 . Dabei ist "die Heiligung des Menschen" das "größte Werk Gottes auf Erden" 155 . Als der Schöpfer ist Gott unveränderlich 156 ; in Hinsicht auf den Entschluß zur Schöpfung und Erhaltung der Welt und des Menschen ist er für den Glauben unerforschlich 157 , zugleich aber der "Alleinweise" 158 und der "Gütige"159. Weil Gott für den Glauben der "Alleinweise" und der "Gütige" ist, ist auch die Schöpfung gut zu nennen, vermag sich der Glaubende als einzelnes geschaffenes Wesen innerhalb des bedeutungsvollen Zusammenhangs der geschaffenen Wirklichkeit zu verstehen, wodurch er zur im Gebet sich ihren wahrhaften Ausdruck verschaffenden, bekennenden Hinwendung zu Gott als dem Grund und Ziel der Schöpfung immer wieder getrieben wird160. Gott ist ferner "der erste Urheber und höchste Beschützer aller geselligen Verbindungen und aller nützlichen Einrichtungen unter den Menschen" 161 ; aufgrund der Einsicht und Anerkennung dieses Sachverhaltes ergibt sich die Notwendigkeit der Verantwortung des einzelnen für das Ganze der Gesellschaft. Gott ist "der Stifter...von Gesetz und Recht" und der, "von welchem der Segen bürgerlicher Verfassungen herabkömmt" 162 ; aufgrund dieser Einsicht ergibt sich für den einzelnen die Verpflichtung zu rechtmäßigem Verhalten in Staat und Gesellschaft. Gott als Grund und Ziel (!) der geschaffenen Wirklichkeit als Ganzer ist also der Ermöglichungsgrund des verantwortlichen Handelns der Geschöpfe innerhalb der in ihrer geschöpflichen Verfassung erkannten Weltwirklichkeit. Sofern Gott "Urheber" und "Stifter"

155

156 >57 158

>59 >60 >« 162

Pr. 1,15,1 lf. Pr. I, 21, 38; vgl. Zimmer II, S. 33 "Alles Physische hat einen moralischen Zweck in uns selbst"; Pr. 1,31, 29-32 "Der Betende muß sich bald daran erinnern, daß Alles was geschieht seinen Zwekk in uns selbst hat, der auf unsere Besserung und die Vermehrung des Guten in uns gerichtet ist." Vgl. Pr. 1,30,30-33; Zimmer II, S. 33. Pr. 1,31, 2f. Pr. 1,31,9. Pr. 1,31,22; Zimmer II,S. 33. Pr. 1,31,22-26. Pr. IV, 1,8 10. Pr. IV, 2, 5-7; Die "Erinnerung an den Bund, zu welchem wir gehören wir bekennen, und das Beispiel seines Stifters wird ... kräftig mitwirken", uns zur "Wachsamkeit" über unser "Herz" und unseren "Beruf" zu verpflichten (Zimmer II, S. 29); weil "Gott der Herr der Erde ist", sind wir "ihm Rechenschaftschuldig" (Zimmer II, S. 63f.).

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217

ist, ist seine Wirklichkeit von der der Welt und des Menschen kategorial verschieden. Schleiermacher wird nicht müde, diese Verschiedenheit in seinen Aussagen über die Eigenschaften des göttlichen Wesens herauszuheben. Die Allmacht Gottes, seine Weisheit und Gerechtigkeit 163 sind kategorial verschieden von jeder denkbaren menschlichen Macht, Weisheit und Gerechtigkeit. Für die göttliche Gerechtigkeit ist z.B. ein menschenunmöglicher Sachverhalt signifikant: sie ist nämlich ineins zu denken mit der göttlichen Liebe164. Die Behauptung der Identität von Gottes Gerechtigkeit und Liebe hat dann Konsequenzen für das Verständnis der göttlichen Gerechtigkeit selbst. Diese kann nicht verstanden werden als "strafende Gerechtigkeit", denn als solche "beruht" sie "auf einer gewissen Unvollkommenheit in unserer Art das menschliche Gemüth zu erkennen und auf dasselbe zu wirken" 165 . Die Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes als Prinzip zur "Abschrekkung(..)" zukünftiger "Ausbrüche des Bösen, welches im Menschen ist", widerspricht der "Allmacht" Gottes; sie entspricht vielmehr unserer Unwissenheit bzw. der Begrenztheit unseres Vorstellungsvermögens von Gottes "Weisheit" 166 . Die Vorstellung von Strafe als "Züchtigung" widerspricht der "Allwissenheit" Gottes, die sich nicht über den Charakter einer Besserung als "Furcht vor der Strafe" täuschen läßt 167 . Wie Gott "Heil und Unglükk als Besserungsmittel" gebraucht (denn daß er das tut, ist wiederum unleugbar), ist unbestimmbar für uns Menschen und muß zu den "Geheimnissen seiner Weisheit" gerechnet

'«3 164

166

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Pr. 1,66,7-10. Pr. 1,94,20-22 "So wie wir es (sc. das göttliche Wesen) uns als die Liebe denken, so soll es auch die Gerechtigkeit sein, und beides wollen wir aufs innigste in ihm vereiniget finden". Diese Aussage wird von Schleiermacher gerade mit der Intention gemacht zu zeigen, daß wir nicht einfach unsere, zunächst nur die Beziehung von Menschen untereinander betreffende Vorstellungen von Gerechtigkeit auf Gott übertragen dürfen (vgl. Z. 22ff.). Zimmer II, S. 7 "Wir dürfen Gottes Eigenschaften nicht trennen". Pr. 1,95,4-6; vgl. Zimmer II, S. 7 "Wir müssen nicht Lohn und Strafe für die Moralitat" in dem "Kausalverhältnis zwischen Handlung und Schicksal ... suchen"; vgl. dagegen den Entwurf "Wie muß euer Gebet um Abwendung göttlicher Züchtigung beschaffen sein?" (Zimmer II, Nr. 40). Pr. I, 95, 10-17; Zimmer II, S. 33 Abschreckungsmaßnahmen verweisen immer auf die eingeschränkte Macht dessen, der sie trifft. Er besitzt nicht die Macht, "Ausbrüche des Bösen" überhaupt zu verhindern. Die Rede von Gottes Allmacht impliziert zumindest die Möglichkeit dieser Macht. Pr. 1,95,18-20,23.

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werden 168 . Gottes Gerechtigkeit können wir uns als wesentlich darin bestehend vorstellen, daß er alle Menschen "nach einheitlichen Grundsäzen" behandelt 169 , welches Prinzip allerdings dem "größten Theile der Menschen verborgen" ist170. Nun zeigt diese Definition erstens, daß Schleiermacher nicht grundsätzlich dem Verfahren des analogen Rückschlusses von menschlichen Verhältnissen auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch abgeneigt ist, sofern nur die kategoriale Verschiedenheit von Schöpfer und Geschöpf dabei bedacht bleibt 171 ; zweitens, daß bei Schleiermacher die kategoriale Verschiedenheit von Gott und Mensch gerade dadurch gewahrt bleibt, daß er alle solche Vorstellungen abweist, die das richtende Handeln Gottes als motiviert, als veranlaßt durch die (guten und schlechten) Taten des Menschen verstehen wollen172. Es ist vielmehr so, daß Gott seine Liebe zu seinen Geschöpfen diesen darin erweist, daß er sie in einem Prozess von unbestimmbarer Dauer, der jedenfalls auch nicht durch den Tod vom Menschen her als beendigt angesehen oder tatsächlich beendigt werden kann, ihrer geschöpflichen Bestimmung, d.h. ihrer sittlichen Vollkommenheit zuführt. Innerhalb dieses göttlichen Prozesses der Liebe, die den Tod überwindet, hat dann die göttliche Gerechtigkeit allein ihren Sinn und ihren Platz. Wenn aber nach Schleiermacher gilt: Gottes Gerechtigkeit ist seine Liebe, so ist das Wesen der göttlichen Gerechtigkeit nirgendwo anders als in Jesus Christus sichtbar geworden; demzufolge müssen Person und Werk Jesu Christi innerhalb des von 168 Pr. 1,95,25-29. 169 Pr. I, 95, 30-40 "Was bleibt uns also für die Gerechtigkeit Gottes übrig? Dasselbe was wir auch unter Menschen von einem Herrn, einem Oberen, einem Gesezgeber gegen seine Untergebenen als Gerechtigkeit fordern: daß er sie nemlich alle nach einerlei Grundsäzen behandle, und Jeder sich zu ihm des Gleichen zu versehen habe; daß wo es auf die Vertheilung von Vortheilen und Lasten oder auf irgend etwas ankommt, was von ihm allein und nicht von ihnen abhängt, alle ohne Vorliebe und Laune zu gleichen Rechten gehen, und sich gleicher Sorgfalt und Berüksichtigung ihrer Freiheit und ihres Wohlergehens zu erfreuen haben. In dieser Gleichheit des Betragens nun besteht auch die göttliche Gerechtigkeit." Zimmer II, S. 46 "Gott ... wird jeden für sich beurteilen." >™ Pr. 1,95,40-96,1. 171 "... irgend etwas ..., was von ihm allein und nicht von ihnen abhängt..." (Pr. 1,95,35f.). 172 Das sind die Vorstellungen von der strafenden, der vergeltenden und der ausgleichenden Gerechtigkeit Gottes, die alle in der Predigt Nr. VII "Die Gerechtigkeit Gottes" (S. 93-108) der Kritik unterzogen werden.

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Schleiermacher beschriebenen Prozesses der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung sich verstehen und nach ihrer Bedeutung für die gesamte Schöpfung, mitsamt dem Menschen darin entfalten lassen. Und zwar entfaltet Schleiermacher in diesem Rahmen das Zeugnis von Jesus Christus auf zwei Ebenen. Erstens: die zeitlich begrenzte und örtlich bestimmte Erscheinung von Jesu Person auf Erden ist Bestätigung und Wende des sich in jenem Prozess ausdrückenden Willens Gottes mit seiner ganzen Schöpfung zugleich. Wende ist sie deshalb, weil sie nichts weniger als den endgültigen Sieg über alle (menschlichen) Versuche bedeutet, diesen Prozess aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Diese Auffassung von der Bedeutung der Erscheinung Jesu als Wende läßt sich freilich umfassend erst angesichts der von Schleiermacher immer im Auge behaltenen Wirklichkeit des Bösen in der Welt explizieren 173 . Zweitens: Person und Werk (Lehre, Verkündigung) Jesu Christi in toto bilden für den Glauben die einzig mögliche leibhafte Anschauung des in der Willensübereinstimmung mit seinem Schöpfer lebenden Geschöpfs, und also die einzig mögliche Anschauung für die Willensübereinstimmung des Menschen als dem zur Gottebenbildlichkeit bestimmten Geschöpf mit Gott dem Schöpfer. Jesus Christus ist das "Urbild aller menschlichen Vollkommenheit" 174 . Zum Ersten: In Jesus Christus ist der Grundratschluß Gottes über die Welt und die Menschen offenbar geworden: daß der Glaube die Welt besiegt 175 . Deshalb und allein aufgrund dieser Tatsache besteht die Möglichkeit des Glaubens für den Menschen 176 . In173 174

175

17ü

Siehe dazu unten S. 230ff. Angesichts dessen ist mir das Urteil von Zumpe (a.a.O., S. 64), in bezug auf die Willensübereinstimmung zwischen Mensch und Gott sei bei Schleiermacher "eine notwendige Beziehung auf' Christus nicht ersichtlich", schlicht unverständlich. Pr. I, 158, 10-13 "Das aber wußte er (sc. Christus) mit unumstößlicher Gewißheit, daß der Glaube die Welt besiegen, daß die Guten das Böse aus dem Wege räumen, daß Wahrheit und Gerechtigkeit sich ausbreiten würden auf Erden." Christus "hat uns mit dem bekannt gemacht, was er und sein Vater tun". Durch ihn "kennen wir die göttlichen Absichten und Führungen und können also nach Maßgabe unserer Ubereinstimmung mitwirken als freie Genossen. Er hat uns seine Geheimnisse eröffnet, seine Einsicht und seine Weisheit" (Bauer II, S. 324). Pr. 1,159, 4-7 "Er (sc. der Glaubende) kennt den ewigen Rathschluß Gottes, daß das Gute nur durch dasjenige gefördert wird, was um des Guten willen geschieht, und daß alles Andere zu jenem Wesen der Welt gehört, welches vergeht"; Pr. 1,158,13-18 "Dieser Glaube ist einem Jeden eigen, der den

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sofern versteht Schleiermachers mit Hebr. 12,2 Jesus Christus als den "Anfänger unsers Glaubens" 177 . Denn Christus ist als der Stifter desjenigen Gesamthandelns bzw. Gesamtlebens des Guten anzusehen, das seinen geschichtlichen Ursprung mit seiner Person nimmt und gegenwärtig als die Wirklichkeit des Reiches Gottes auf Erden als die "Gemeinschaft des Geistes" bzw. die wahre Gemeinschaft der Glaubenden existiert 178 . Dabei bleibt für Schleiermacher jeglicher Versuch rein rationalen Verstehenwollens der Möglichkeit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, also der Versuch des rationalen Verstehenwollens der Möglichkeit von Gottes Tat, ein außerhalb der Möglichkeit des Glaubens liegender Versuch. Die Möglichkeit, wie Jesus Christus "Mittler zwischen Gott und den Menschen" hat sein können, ist nicht mit den Mitteln des menschlichen Verstandes einsehbar 179 . Wir müssen uns mit der Auskunft bescheiden, daß Gott an Christus "einen so außerordentlichen Wohlgefallen" besaß, daß "der Erlöser sich alles menschlichen Beistandes entäußert hatte" und "daß er in allen Stükken versucht worden ist, gleich wie wir, ausgenommen die Sünde" 180 . Zum Zweiten: Christus lebte ganz aus dem "Willen seines Vaters" und hat in jedem Lebensmoment keine anderen Bestimmungsgründe für seine Handlungsweise in Anspruch genommen. Einzige Richtlinie für sein gesamtes Handeln war der ihm von seinem Vater vorherbestimmte "Beruf', zu dem er sich auch nach dem innersten, eigentümlichen Kern seiner menschliHerrn gefunden hat; von dieser allgemeinen Fortschreitung zum Besseren so überzeugt zu sein, daß wir Alles, was in der Welt geschieht, als ein Mittel dazu ansehn, wie wenig es auch oft als ein solches erscheine, daß heißt die Wege des Herrn verstehen." 177 Pr. I, 38, 6f.; vgl. Z. 6-8 "So gewiß als wir in Christo Alle den Anfänger unsers Glaubens verehren, als sein Tod uns Allen ein Tod der Liebe und des Gehorsams ist"; vgl. Zimmer II, S. 41. 178 Pr. 1,160,17,14f. 179 Pr. I, 154, 37 - 155, 5 "Nicht besser ergeht es denen, welche Christum auf diese Art (sc. mit den "trocknen und kalten Untersuchungen des Verstandes", Z. 31 f.) suchen, und in alles Geheimnisvolle seines Verhältnisses als Mittler zwischen Gott und den Menschen mit ihrem Verstände eindringen wollen. Sie haben keinen Führer, und die Schrift, in der sie nach ganz andern Dingen forschen sollten, verläßt sie. Auf der Höhe, zu welcher die Frömmigkeit den Menschen erhebt, und auf welcher wir ihn jezt betrachten, findet ihr Wenige von denen, die solche Untersuchungen am eifrigsten verfolgt haben, und gewiß wenigstens haben diese ihnen nicht hinaufgeholfen." >»° Pr. 1,25,20,24,28f.

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chen Persönlichkeit (seinem "Gemüth") in vollständiger Identität befand 181 . Wegen dieser Identität ist er "Urbild" des Glaubens und leibhafte Anschauung für das Leben aus dem Glauben zugleich. E s gibt Predigten Schleiermachers, die innerhalb der Identität von göttlichem "Beruf' und eigentümlicher Persönlichkeit Jesu Christi allein diese zweite Seite der Identitätsbeziehung behandeln, um auch für diese den leibhaften Anschauungscharakter für den Glauben herauszustellen 182 . Diese in Jesus Christus anschauliche Identität zeigt uns nicht weniger als den Glauben und das Leben aus dem Glauben als eine menschliche Möglichkeit 183 , die freilich durch eine bewußte Entscheidung vom einzelnen als seine eigene Tat ergriffen werden muß, damit sie zu einer, Individualität einschließenden, identitätsstiftenden Wirklichkeit als "Fall" der allgemeinen Möglichkeit des Glaubens zu werden vermag 184 . Den Charakter der Wirklichkeit des Glaubens als eigene Tat, d.h. als individuelle Realisierung des allgemeinen "Falles" der Möglichkeit von Glauben hat Schleiermacher deutlich beschrieben. Christus ist "ein Vorbild unseres Gehorsams" deshalb, weil sein vorgängiger Gehorsam unseren nachfolgenden Gehorsam gegen Gott grundsätzlich ermöglicht hat 185 . Dieser in Jesus

181

1S2 18a

184

185

Pr. I, 129, 2 8 - 3 3 "In jedem Augenblikk hatte er (sc. Christus) den Willen seines V a t e r s zu thun, und konnte also nichts anderes verrichten; und nur Eine A r t Alles zu verrichten gab es für Ihn, nemlich die, welche aus seinem Beruf, den er immer im Auge hatte, hervorging, und von seinem Gemüth, von seinen Eigenschaften das deutlichste Zeugniß gab." Vgl. Zimmer II, S. 6 0 Wir sehen vor allen Dingen Christus "als Helden der Tugend". Hr. I, 129, 33f. "Denselben Gesezen nun sind Alle unterworfen, die seine J ü n g e r heißen wollen"; vgl. Pr. I, 129, 37, 39f.; Pr. I, 130, 1, 5-10; "Wir Alle (sezen) uns sein Leben bis an den Tod zum Vorbild ..., dem wir nachfolgen wollen, j a sein Leben bis an den Tod, auch das Lezte nicht ausgeschlossen, was in seiner heiligen Seele vorging" (Pr. 1 , 3 8 , 8 - 1 1 ) . "Ob wir dann (sc. im Sterben) diese Verhaltnisse eben so behandeln, diese Welt eben so ansehn, und über das vergangene Leben so denken werden wie Er, das kann lediglich die Frucht sein von einem eben so geführten Leben, und einem eben so gefaßten Gemüth. Darum laßt uns sterben lernen, indem wir Christum sterben sehen!" (Pr. I, 38, 21-25). Dazu müssen wir aber wissen, daß das "Äußerliche des Todes" nicht das " E i g e n t l i c h e " betrifft, sondern daß wir in dieser Hinsicht "im Reiche Gottes bleiben" (Zimmer II, S. 28). Zimmer II, S. 40 Durch Christi Gehorsam "(bekam) das Christentum B e s t a n d ..., indem dies (sc. sein Gehorsam) als Begnadigungsmittel angesehen ward."

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

Christus liegende Ermöglichungsgrund 186 für das dem Willen Gottes entsprechende Gottesverhältnis des Menschen muß nun aber auch vom einzelnen als die Möglichkeit seines persönlichen Lebens aus dem Glauben ergriffen werden 187 . Diese letzte Bemerkung über den Ubergang von der allgemeinen Möglichkeit des Glaubens zu seiner individuellen Realität durch die eigene Tat des Menschen verweist auf die auch für Schleiermacher gegebene Realität des Bösen im Menschen, aufgrund deren der Mensch der Möglichkeit des Übergangs nachhaltig widerspricht. Freilich ist dieser Widerspruch innerhalb des Prozesses der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung von Schleiermacher gerade so gedacht, daß der Mensch ihn gegen Gott und angesichts des Christuszeugnisses gerade nicht durchhalten kann 188 . 4. DAS VERHÄLTNIS VON RELIGION UNI) SITTLICHKEIT Grundlegend für die Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Sittlichkeit in den Predigten der ersten Predigtsammlung ist die beschriebene Fundierung der unmittelbaren Gewißheit des Gewissens in der unmittelbaren Gewißheit des Glaubens. Aus ihr lassen sich zwei Folgerungen ziehen, eine für die Religion und eine für die Sittlichkeit. Erstens: An der sittlichen Praxis hat die Religion ihre objektive Seite. Wird die "Stimme des Gewissens" gedacht als die Offenbarung des göttlichen Willens im Menschen, dann ist sie für den Glauben unmittelbar gewiß. Zweitens: Die Frömmigkeit ist der Ermöglichungsgrund der Sittlichkeit, sofern dem Frommen die unmittelbare Gewißheit über die geschöpfliche Verfassung der erfahrbaren Wirklichkeit eignet. Als ein Element innerhalb dieser Gewißheit existiert die Gewißheit über den moralischen Sinn der menschlichen Existenz. In seiner sittlichen

186

Zimmer II, S. 40 "Er ist ans worden Ursach zur Seligkeit". Zimmer II, S. 40 "Es ist aber nicht genug (sc. Dankbarkeit), wir sollen auch lernen". "Laßt uns also, was er that, auf unsern Zustand anwenden." S. 41f. Nur dem gelten wirklich die Verheißungen Christi (Hebr. 12, lf.), der "immer tiefer eingeht in das, was überwunden werden muß, d.h. wer immer vollkommener wird." 18b w i r werden unten (S. 230ff.) sehen, wie diese Grundkonzeption der Realität des Bösen von Schleiermacher trotz erheblicher Modifikationen gegenüber den älteren Predigten auch in der ersten Predigtsammlung durchgehalten wird.

187

Verhältnis von Religion und Sittlichkeit

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Bestimmung ergreift der einzelne die ihm als geschöpfliches Wesen vorgegebene Bestimmung seiner Existenz. Die Aussagen in den Predigten über das Verhältnis von Religion und Sittlichkeit lassen sich dementsprechend in zwei Aussagegruppen unterteilen. In der einen Gruppe lassen sich Aussagen über das Wesen der auf Frömmigkeit gründenden Sittlichkeit (im Unterschied zu einer sich nicht als in diesem Verhältnis befindlich verstehenden Theorie der Sittlichkeit) zusammenfassen; in der anderen Gruppe lassen sich diejenigen Aussagen zusammenfassen, die, indem sie die sittliche Praxis des Glaubens thematisieren, damit seinen objektiven Gehalt selbst ansprechen. 1. Über die aus der religiösen Überzeugung hervorgehende Gesinnung der Gerechtigkeit 189 belehrt uns Schleiermacher, daß ein sicheres Urteil über sie davon auszugehen habe, ob der für alles gesellschaftliche Handeln der Individuen mögliche Konflikt zwischen persönlicher Überzeugung einerseits und gesetzlicher Legitimität andererseits zugunsten der letzteren gelöst wird oder nicht. Wenn es nämlich der Fall ist, daß in einer bestimmten Handlungssituation die persönliche Überzeugung des Subjekts mit der objektiven gesetzlichen Legitimität streitet, so soll das von der Gesinnung der Gerechtigkeit geleitete Subjekt sich die Frage stellen. Kann meine persönliche Maxime zur allgemeinen Maxime des gesellschaftlichen Handelns von Individuen werden130? Unter dem Terminus der "Gerechtigkeit" 191 entwirft Schleiermacher das Bild der vollständig auf dem Hechtssystem aufgebauten Verfassung gesellschaftlicher Wirklichkeit, die verantwortliches Verhalten im Sinn von Gesetzesgehorsam erst er18!) lao

1S1

Pr. IV, 1, 71'., 101'. Die "Ehrfurcht vor einem höhern Wesen" verpflichtet "zu einem rechtlichen und schuldlosen Verhalten" Pr. IV, 4, 8-15 "Denn wenn eine Handlung beurtheilt werden soll, die auf unsere große Vereinigung mit so vielen Menschen Bezug hat, so dürfen wir nicht bei ihren unmittelbaren Folgen allein stehen bleiben, wir müssen bedenken, daß derselbe Antrieb, der uns jezt verleitet auch andern entstehen kann, daß der nemliche Streit zwischen dem, was gesezlich, und dem was bequem ist, auch andere in Versuchung führet, und also alles Uebel erwägen, was aus der öftern Wiederholung solcher Uebertretungen entstehen kann" (vgl. Pr. I, 62, 32ff.). - Daß der Eindruck der Nähe dieser Formulierungen Schleiermachers zu der formalen Fassung des Sittengesetzes im sog. kategorischen Imperativ Kants nur scheinbar ist, habe ich bereits oben S. 166ff. gezeigt In der Predigt Nr. 1 in Bd. IV: "Die Gerechtigkeit ist die unentbehrliche Grundlage des allgemeinen Wohlergehens" (1799).

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

möglicht 192 . Nun bedarf die rechtliche Verfassung der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Zustimmung der Individuen selbst. Der rechtlichen Verfassung der Gesellschaft entspricht seitens der Individuen die Wirklichkeit der Gesinnung der Gerechtigkeit. Deren Begründung kann aber nicht selbst wieder in jener Verfassung liegen, sondern stammt aus der religiösen Uberzeugung von der Grundverantwortlichkeit des Geschöpfs seinem Schöpfer gegenüber. In der rechtlichen Verfassung der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist jedenfalls für den Glauben der Wille Gottes mit seiner Schöpfung präsent. So gilt, "daß alles gute und löbliche was das Vaterland von uns fordert, eine Pflicht ist gegen den Gott, welcher der Stifter ist von Gesetz und Recht, und von welchem der Segen bürgerlicher Verfassungen herabkömmt. Wir sollen einsehen und fühlen, daß jede Abweichung von einem Gesetz des Höchsten unvermeidlich üble Folgen über die Gesellschaft bringen muß, der wir angehören" 193 . Gleichwertig zu der Gesinnung der Gerechtigkeit ist die ebenfalls aus der religiösen Uberzeugung stammende Einsicht in die wesentliche Gleichheit aller Individuen "als Menschen", d.h. hinsichtlich ihrer Grundbestimmung als Geschöpfe des einen Gottes, und in ihre "zufällige Verschiedenheit" aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaft 194 . In dem "Gefühl" der Gleichheit 195 der menschlichen Natur konvergieren Religion und Sittlichkeit. Wenn Schleiermacher auch zugibt, daß dieses Gefühl nicht als verhaltenssteuernde Maxime innerhalb eines bestehenden gesellschaftlichen Systems 192

Damit partizipiert dieses Bild allerdings an der oben S. 191 ff. beschriebenen Spannung in Schleiermachers Kulturlheorie. Danach kann in der Rechtssphäre die Individualität als Teil des sittlichen Prinzips keine Geltung beanspruchen; die Handlungen der Subjekte können somit nur in erheblich eingeschränktem Maße als sittlich bezeichnet werden. Denn für das System der Kulturwelt ist ja die Durchbildung aller Erkenntnis- und Handlungsfunktionen mit dem sittlichen Prinzip in seiner Vollständigkeit grundlegend! Streng genommen dürfte die Rechtssphäre von Schleiermacher nicht als Teil der Kulturwelt gerechnet werden. !93 Pr. IV, 2, 4-9; vgl. Pr. IV, 1, 12ff.; Pr. IV, 15, 28f., 35f. Die Formulierung zeigt, daß die Präsenz des Willens Gottes in der gesellschaftlichen Wirklichkeit das Individuum nicht seiner verantwortlichen Entscheidung dessen, was das "gute und löbliche" ist, enthebt. 194 Pr. IV, 14, 11-17 Die "Religion ... erzeugt ein sehr tiefes Gefühl von unsern Pflichten gegen die Gesellschaft, und lehrt uns, daß Jeder sich selbst nicht mehr einräumen soll, als er einem Jeden unter seinen Brüdern eingeräumt wünscht." (Pr. 1,78,15-19) las Pr.IV, 15,11.

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gelten kann (wozu bedürfte es auch sonst der rechtlichen Verfassung?), so wird man doch seine Bestimmung des Verhältnisses zwischen jener Grundwahrheit und dieser als "notwendig" beurteilten, relativen (nämlich nur in bezug auf ihren Charakter als gesellschaftliche Individuen geltenden) Verschiedenheit so beschreiben dürfen: Die Verschiedenheiten, denen die Menschen als gesellschaftliche Individuen unterworfen sind, dürfen nicht so beschaffen sein, daß sie die Grundwahrheit über die wesentliche Gleichheit der menschlichen Natur zu verdunkeln geeignet sind. Schleiermacher kann geradezu die gesellschaftlich Mächtigeren und Privilegierten auf die Gesinnung der Gerechtigkeit und Gleichheit verpflichten 196 . Es ist offensichtlich, daß sich die ganze Predigt ("Die Gerechtigkeit ist die unentbehrliche Grundlage des allgemeinen Wohlergehens") dem Ideenkreis der Französischen Revolution verdankt. Nur ist die Begründung der politischen Ideen spezifisch theologischer Natur. Ein Zentralsatz aus dieser Predigt lautet 197 : "Der Mensch muß den Glauben an seine Vernunft verlieren, wenn er immer durch Furcht regiert wird, als ob Vorstellungen und Bewegungsgründe gar keine Kraft über ihn hätten." Darin sind zwei für Schleiermachers Sicht des Verhältnisses von Religion und Sittlichkeit fundamentale Sachverhalte ausgedrückt. Erstens: alle Lebenssituationen, in denen die Vernunft als dasjenige Organ des Menschen, das die obersten (moralischen) Bestimmungsgründe seines Handelns produziert, einer ihr fremden Herrschaft, in diesem Fall der Herrschaft des sinnlichen Phänomens der Furcht unterworfen wird, widersprechen der geschöpflichen Bestimmung des Menschen 198 . Zweitens: die Vernunft vermag sich nicht in sich selbst zu begründen, sondern hat zu ihrer notwendigen Voraussetzung den Glauben, also mindestens die Einsicht in die geschöpfliche Verfassung der erfahrbaren Wirklichkeit 199 . Beide Momente zusammen bilden Schleiermachers Begründung der Sittlichkeit in seinen Predigten. Wahre 196 Vgl. Pr. IV, 12,3ff.; Pr. IV, 14,37ff. 197 Pr. IV, 14,2-4. 198 Pr. IV, 14, 5 Die Vernunft unter der Fremdherrschaft (der Sinnlichkeit) gleicht "mißrathenen Pflanzen" und "vertrockneten Keime(n) in dem Garten Gottes". 199 "Glaube an die Vernunft" meint nichts anderes als Glaube an die sittliche Bestimmung, die der einzelne nur im Rahmen einer bestimmten Wirklichkeitsauffassung (nämlich der des Glaubens) als seine eigene ergreifen kann.

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

Aussagen über die Sittlichkeit werden genau dann gemacht, wenn vom Wirklichkeitsverständnis des Glaubens aus die geschöpfliche Bestimmung des Menschen selbst angesprochen wird200. Aus dem Gottesbewußtsein folgt eine bestimmte, nämlich die Freiheit 201 schaffende Wahrnehmung der Verantwortung für unser gesamtes Verhalten in der Welt. Die Freiheit bestehe gerade darin, daß das Individuum als "feste(s) und fromme(s) Gemüth(..)" seinen eigenen "Grundsäzen", also z.B. den Prinzipien der Gleichheit und Gerechtigkeit als oberste Bestimmungsgründe seines gesamten Verhaltens "treu" bleibt 202 . Unfrei ist dagegen derjenige zu nennen, dem es "an dem lebendigen und kräftigen Willen fehlt, der auf das Gute allein gerichtet ist", und der nicht "jeden Augenblikk des Lebens auskauft, um auf eine dem Willen Gottes und den gerechten Forderungen der Gesellschaft angemessene Art thätig zu sein"203. Die spezifische Begründung der Theorie der Sittlichkeit im Wirklichkeitsverständnis des Glaubens ermöglicht Schleiermacher nun auch die analoge Verwen200

Sicher ist, "daß derjenige, welcher die Welt so (sc. vom Wirklichkeitsverständnis des Glaubens her) ansieht, auch im Kleinen und Gewöhnlichen einen weit größern Fleiß anwenden wird als Andere" (Pr. I, 19, 36-38). Aus dem Glauben entspringt die "Hoffnung ..., daß es uns gelingen werde, von Zeit zu Zeit besser zu werden" (Pr. 1,21, llf.). Die "göttliche Gerechtigkeit", die der Fromme zum obersten Gesetz seines Handelns erklärt hat, "erweiset (sich) gegen alle Arten der Untugend" als "wirksam" (Pr. I, 74, 16f., 23ff.); die wahren Christen, denen die Zukunft der Gegenstand von Gottes Sorge ist, sind für die Gegenwart frei, für das Gute zu sorgen, d.h. für den Bestand und für das "Wohlergehen" der Gesellschaft (Pr. 1, 132, 2-13; vgl. Z. 36ff.). Das "Leben aus Gott" ist die "ächte Gesinnung der Rechtschaffenheit", die den "ganzen Menschen bessert" (Pr. I, 143, 24f., 27) - umgekehrt kann außerhalb dieses Lebens oder außerhalb dieser Gesinnung keine einzige wahrhafte Tugend sein (Pr. I, 141, 22-28). "Überall, wo religiöse Menschen stehen, (zeigen) sich Spuren einer besseren Ordnung der Dinge ..." (Zimmer II,S. 67). 201 Pr. I, 30, 15-24 "Wir sollen aufhören mit Heftigkeit nach dem Besiz eines irdischen Gutes zu verlangen, oder die Abwendung eines Uebels zu wünschen; wir sollen Muth bekommen, wenn es Gott beschlossen hat zu entbehren und zu dulden; wir sollen uns erheben aus der Ohnmacht, zu welcher Furcht und Begierde den Menschen herabziehn, und sollen zum Gefühl und zum vollen Gebrauch unserer Kräfte gelangen, damit wir uns unter allen Umständen so betragen können, wie es Jedem geziemt, welcher bedenkt, daß er unter den Augen und dem Schuze des Höchsten lebt und handelt". Pr. 1,85,16f„ 21 f.; vgl. Pr. 1,132,22f. '•¡«a l>r. 1,109,3-7.

Verhältnis von Religion und Sittlichkeit

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dungsweise der Begriffe von Religion und Sittlichkeit 204 . Die "zum Besten der Gesellschaft nothwendige Gerechtigkeit und diese (sc. christliche) Forderung der Liebe (sind) keineswegs mit einander im Streit" 205 , sondern sie kommen in den aus dem Glauben stammenden, handlungsleitenden sittlichen Prinzipien überein. Die Gerechtigkeit ist danach die Form der Liebe gegen die Bösen, und die Liebe die Form der Gerechtigkeit gegen die Guten 206 . 2. Wir sehen, daß der objektive Gehalt des Glaubens genau dann angesprochen ist, wenn die sittliche Praxis des Glaubens thematisiert wird. Das bestätigt unsere These, daß die Objektivität des Glaubens für Schleiermacher in der unmittelbaren Gewißheit des Gewissens von der allem personal Seiendem vorgegebenen Bestimmung zur sittlichen Vollkommenheit liegt. Deshalb hat Schleiermacher in den Predigten allen Versuchen widersprochen, die Existenz des Gottesverhältnisses außerhalb des Glaubens, und d.h. zugespitzt: außerhalb der sittlichen Praxis des Glaubens als eine Möglichkeit für den Menschen zu behaupten 207 . Die sittliche Praxis des Glaubens kann nur eine solche Praxis sein, deren handlungsleitende Prinzipien auf der Auffassung von Wirklichkeit beruhen, die dem Glauben eigen ist. Für den Glauben ist Gott als der Schöpfer gerade kein möglicher Gegenstand menschlichen Handelns. Der Gegenstandsbereich von menschlichem Handeln kann nur innerhalb der geschaffenen Wirklichkeit 204

2U5 206 207

Pr. 1,63,12-17 "Im Namen der Religion also und des Gewissens fordere ich Euch auf, diese so offenbar dem Sinn der Schrift und dem Geiste des Christentums angemessene Denkart (sc. die Denkart, daß es keine wahrhafte Bildung ohne Tugend geben kann) zu der Eurigen zu machen! Im Namen der Gesellschaft und der guten Sache fordere ich Euch auf, sie bei jeder Gelegenheit so stark zu äußern, als Euch möglich ist." Pr. I, 122, 18f. Die "Trägheit" ist der gemeinsame Gegner "unser(es) gute(n) Willen(s) und unsere(r) fromme(n) Thätigkeit". Vgl. Pr. I, 33, 27; Pr. I, 81, 30f.; Pr. 1, 90, 38; Pr. 1,140,14; Pr. 1,149,4 u.ö. Wir haben uns den "Geist Gottes" als eine bestimmte sittliche "Gesinnung" zu denken, die uns auf einen klar umrissenen Weg durch das Leben zum Guten führt (Zimmer II, S. 70f., Predigtentwurf Nr. 48 "Der Geist Gottes, der beste Führer der Menschen"). Pr. 1,139,15-17. Pr. 1,150,11-15. Beispielhaft Pr. I, 80, 24-28 Jeder Christ muß wissen, "daß nur das Gott wohlgefällig sei, was wir nach unserer besten Ueberzeugung als Pflicht erkannt", bzw. "daß Alles Sünde sei, was nicht aus dem Glauben kommt". Zimmer II, S. 13 "Außerhalb des Gewissens giebt es nichts. Es giebt keine moralisch gleichgültigen Handlungen oder Gedanken. Auch die Art und Weise, wie wir etwas verrichten, gehört vor das Gewissen".

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

liegen. Als Teil dieser Wirklichkeit erfüllt der Mensch mit dem Ergreifen seiner sittlichen Bestimmung die innerhalb des Gesamtprozesses der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung ihm zugewiesene Aufgabe, die ihm aufgrund seiner spezifischen, ihn von der gesamten übrigen Schöpfung unterscheidenden Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit zukommt. Nichts anderes meint die Rede von der sittlichen Praxis des Glaubens. Es gibt für Schleiermacher offenbar eine defizitäre Form der sittlichen Praxis des Glaubens, die von zwei Faktoren gekennzeichnet ist. (1) Sie befindet sich im Irrtum über den möglichen Gegenstandsbereich ihres Handelns. "Pflichterfüllung", "Aufopferung", und "Selbstbesiegung" werden von ihr als "Uebung in Gottseligkeit" verstanden und "in Hinsicht auf etwas Zukünftiges veranstalte(t)" 208 , also nicht wegen der Veränderung der besonderen Lebenssituation, aus der heraus Handeln als Pflicht seinen Ursprung genommen hat, sondern wegen der dadurch erhofften Versicherung des Wohlwollens Gottes. Der vermeintliche Gegenstand des Handelns ist also hier letztlich Gott selbst, dessen Gnade man sich durch Handeln außerhalb des Glaubens versichern will. Klar ist, daß damit das evangelische Verständnis des Handelns aus Glauben verlassen wird . (2) Sie setzt nicht die Frömmigkeit als notwendigen Grund der wahren Sittlichkeit voraus. Es sind aber keine "verschiedenen Tugenderweisungen,...eine von den andern unterschieden,...eine von den andern unabhängig,...die von uns gefordert werden"210, sondern "es ist Ein Glaube, der uns zu allem Guten Muth macht, es ist Eine Liebe, die uns zu allem Guten dringt, es ist Ein Geist, der es Alles in uns zur Wirksamkeit und zur Vollendung bringt" 211 .

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210

211

Vgl.Pr.I, 135,9f., 12f.,20f. In der Bekämpfung dieses Moments der defizitären Form der sittlichen Praxis des Glaubens konvergieren Schleiermacher und Kant. Vgl. dessen Bemerkungen zur "Gottseligkeitslehre" im Gegensatz zur "Tugendlehre" und zur "Frömmigkeit" im Gegensatz zur "Tugend" (siehe diese Arbeit S. 159ff.). Pr. I, 135, 25-27; vgl. Z. 22-24 "Mir wenigstens scheint es, als ob ein solches Verfahren Meinungen vorausseze, die mit dem Geiste des Christenthums sich nicht vertragen können". Von diesem spezifischen Defizit "frommer" Handlungen will Schleiermacher die Religion gereinigt sehen (Zimmer II, S. 13). Pr. I, 135, 29-32; vgl. Pr. I, 81, 23f. "Sie wissen recht gut, daß es unser Glaube ist, der uns leitet."

Verhältnis von Religion und Sittlichkeit

229

Das Defizit dieser Form der sittlichen Praxis des Glaubens liegt genau besehen darin, daß sie ein direktes, den Glauben ausschließendes Verhältnis zwischen dem Handeln des Menschen und dem Handeln Gottes behauptet. Dagegen zeigt Schleiermacher, daß der Grund der Möglichkeit für die Verbindung zwischen der sittlichen Praxis des Frommen und dem Handeln Gottes allein der Glaube ist. Nur er macht den Menschen gewiß darüber, daß er mit der Bestimmung zur sittlichen Vollkommenheit die einzige, dem Willen Gottes mit ihm als dem zur Gottebenbildlichkeit bestimmten Geschöpf entsprechende Möglichkeit seiner Existenz ergreift. Nur der Glaube macht den Menschen gewiß, daß das Bekenntnis seiner Sünde die Bedingung der Möglichkeit der Vergebung Gottes ist, dafür also, daß Gott uns Menschen "ansieht als solche, die auf dem Wege zum Besserwerden sind...ohnerachtet" der Sünde. Das aber heißt: "Wenn er also von dem Sünder so denkt, so ist dieser gerechtfertigt."212 Der Glaube an das rechtfertigende Handeln Gottes ermöglicht die der Geschöpflichkeit des Menschen entsprechende sittliche Praxis.213

212 213

Zimmer II, S. 54ff. Predigtentwurf Nr. 39 "Das Bekennen der Sünden vor Gott die Ursache der Vergebung". Es scheint, als habe Schleiermacher dabei das rechtfertigende Handeln Gottes im Sinne der (zukünftigen) effektiven Rechtfertigung des Sünders verstanden. "Der Abscheu, wenn er auf die Gesinnung geht, kann nicht sein ohne Lust zum Guten und wird also eine Ursache des bessern Wandels. Diesen bessern Wandel sieht Gott voraus, und wir dürfen ihn also, wenn wir uns dieses Abscheus so bewußt sind, denken, als so von uns urteilend" (Zimmer II, S. 55). "Wir können nicht Vergebung verlangen, wenn wir uns nicht bessern, und wir können uns nicht bessern, wenn wir nicht um alles wissen. Also müssen wir unsere Selbsterkenntnis zu vollenden suchen und jene Unwissenheit immer enger einschränken." (Zimmer U, S. 23). Diese Sätze lassen Schleiermacher in die Nähe eines Automatismus zwischen menschlichem und göttlichem Handeln außerhalb des Glaubens rücken und damit in die Nähe der Auffassung Kants vom rechtfertigenden Handeln als automatische Reaktion Gottes auf die veränderte Gesinnung (nicht die veränderte Tat!) des Menschen.

230

Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

5. DER BEGRIFF DES BÖSEN UND SEINE IMPLIKATE Die Wirklichkeit des Bösen in der Welt und das Zeugnis des Glaubens von Jesus Christus stehen für den Prediger Schleiermacher sachlich parallel zueinander. Nur wer um die Wirklichkeit des Bösen weiß, kann ermessen, was Jesus Christus für den Glauben bedeutet. Das führt zunächst zu einer Präzisierung der Bedeutung des Bösen innerhalb der Wirklichkeitsauffassung des Glaubens. Mit dem Begriff des Bösen verbinden sich alle Versuche des Menschen, den (göttlichen) Prozess der Liebe des Schöpfers zu seinen Geschöpfen aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Das Böse als der Inbegriff aller solcher Versuche ist begründet (und begrenzt) durch die endliche, geschaffene Freiheit des Menschen, und es ist inhaltlich bestimmt als ein im menschlichen Willen herrschender Konflikt. Mit dieser inhaltlichen Bestimmung des Bösen stellt sich Schleiermacher in die Tradition von Spalding und Kant 214 . Begründung und Bestimmung des Bösen stehen in sachlicher Parallele zur Christologie der Predigten. Jesus Christus, verstanden als die leibhafte Anschauung für das in freier Willensübereinstimmung mit seinem Schöpfer lebende Geschöpf ist die endgültige geschichtliche Bestätigung für die göttliche Überwindung der Macht des Bösen. Die Beschreibung der Wirklichkeit des Bösen in der Welt geschieht in den Predigten dementsprechend einmal durch die Beschreibung seiner Bestimmtheit als ein im menschlichen Willen selbst anzutreffender Konflikt, und zweitens durch die Beschreibung der Möglichkeit dieses Willenskonfliktes aufgrund der menschlichen Freiheit. Abschließend soll auf den Begriff der Einbildungskraft eingegangen werden, den Schleiermacher pointiert zur Aufdeckung der erkenntnistheoretischen Implikate des von ihm verwendeten Begriffs des Bösen gebraucht. 1. Übereinstimmend beschreibt Schleiermacher die Wirklichkeit des Bösen als die Selbstunterwerfung des Willens, verstanden als das Vermögen des Menschen zu freier Richtungsbestimmung seines Handelns unter ein ihm fremdes Gesetz. Oberster Bewegungsgrund des Handelns und alleiniges Gesetz des Willens sollte sein: die im Glauben evidente Stimme des Gewissens und der Vernunft von der allem personal Seienden vorgegebenen Be214

Siehediese A r b e i t s . 161.

Begriff des Bösen und seine Implikate

231

Stimmung zur sittlichen Vollkommenheit. Die Homogenität des Willens schließt die Möglichkeit der Existenz von weiteren Bewegungsgründen des Handelns nicht von vornherein aus, sondern ausdrücklich ein, wohl aber schließt sie die Möglichkeit von deren Dominanz aus. Wo also der menschliche Wille einem ihm fremden Gesetz, d.h. der Dominanz anderer Bewegungsgründe als Gewissen und Vernunft unterworfen ist, da befindet sich der Mensch im Widerspruch zu seiner geschöpflichen Bestimmung. Das ist aber genau der Fall, wenn die dem Menschen als natürlichem Wesen eignenden sinnlichen Beweggründe seines Handelns so übermächtig werden, daß sie die Stimme von Vernunft und Gewissen zu ersticken drohen. Diesen Sachverhalt bezeichnet Schleiermacher in den Predigten mit Wendungen wie "Trägheit des Herzens und des Verstandes" 215 , "Verblendung der Leidenschaften" 216 , "heftigeC.) Gemütsbewegung" 2 1 7 , "heftige Begierde" 218 , "falsche Bewegungsgründe" 219 , "ausgelassenste Sinnlichkeit" 220 , "niedrigel.) Lüste (..)" 22 \ "Gewalt blinder Triebe" 222 , "Sklaven der Lüste" 223 . Mit den Begriffen "Unordnung", "Unwissenheit" und "Unmäßigkeit" 224 kann Schleiermacher andeuten, daß es sich bei dem Tatbestand des Bösen um die Verkehrung einer ursprünglich guten Ordnung im Willenszentrum des Menschen handelt, über deren Ursache er sich - auch darin übereinstimmend mit Spalding und Kant - freilich keinen Aufschluß zu geben vermag. Allerdings wird diese vorausgesetzte ursprünglich gute Ordnung von Schleiermacher nirgends thematisiert, sondern die Wirklichkeit 215 Pr. 1,15,24f. '•»6 Pr. 1,15,26; vgl. Pr. I, 28, 4f. "Feuer der Leidenschaft"; Pr. 1, 109, 9 "heftige Leidenschaften"; Pr. IV, 15,33f. "die kleinlichen Leidenschaften". 217 Pr. I, 35, 10f.; dazu zählt auch "ilbermäßige(r) Schmerz", sofern er an der "Pflichterfüllung" hindert (Zimmer II, S. 5). 218 Pr. 1,34,13; Pr. 1,109,8 "Spiel sinnlicher Begierden". 219 Pr. 1,54,33 Das können neben den bereits genannten solche sein wie "Zorn" (Pr. I, 55, 2), "Rache" (ebd. Z. 3), bzw. "Rachsucht" (ebd. Z. 5), "zwekklose Wißbegierde" (ebd. Z. 22), "Eigennuz" (ebd. Z. 23), "Eitelkeit" (ebd. Z. 25), "Stolz" (ebd. Z. 28; Pr. 1,58,36), "Eigendünkel" (Pr. 1,58,36). 220 Pr. 1,73,31; vgl. Pr. 1,132,12 Reiz der Sinnlichkeit. 221 Pr. 1,73,33. 222 Pr. 1,84,31 f. 22 3 Pr. 1,212,8. 224 Pr. I, 73, 28; Pr. I, 109, 12-15 "Das Böse ist freilich g r ö ß t e n t e i l s das Werk unordentlicher Begierden"; vgl. beispielhaft für diesen Zusammenhang den Entwurf zur Predigt (Zimmer II, Nr. 14, S. 17ff.) "Die Richtung, welche die religiöse Gesinnung unsern Vergnügungen giebt".

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

des Bösen ist mit der Beschreibung der Spannung zwischen sinnlicher und vernünftiger Natur des Menschen und damit als gleichursprünglich mit der menschlichen Existenz 225 gegeben. Die Beschreibung des bösen oder des "trägen" Menschen 226 ist Paradigma für die Beschreibung der menschlichen Natur überhaupt. "Ihr kennt einen Menschen, der kein anderes Ziel hat, als die Befriedigung der Begierden, die eine unumschränkte Herrschaft über ihn ausüben, der selbst das Böse nicht scheut, um zu diesem Ziele zu gelangen, ja der sich die möglichste Mühe giebt, damit er mit sich selbst einig werde, sein Gewissen, sein religiöses Gefühl, und alle alten Vorstellungen, welche damit zusammenhängen, zu unterdrükken." 227 Daß mit dieser Beschreibung die Aufdeckung der der menschlichen Natur wesenseigenen Spannung intendiert ist, zeigt die von Schleiermacher gewählte Anredeform ("Ihr kennt..."). Die - als Christen und als um die innere (auf Gerechtigkeit beruhende) Stabilität des gesellschaftlichen Lebens besorgte Bürger - Angesprochenen müssen, wenn sie die Quelle der Handlungsweise solcher Menschen erkennen wollen, diese wenigstens einmal und in abgeschwächter Form bei sich selbst erkannt und als solche identifiziert haben 228 . Derselbe Grundkonflikt menschlicher Existenz kann sich auch darstellen als die Befangenheit des Menschen im Irrtum über seine ihm vorgegebene, geschöpfliche (also nur im Rahmen des Wirklichkeitsverständnisses des Glaubens offenbare) Bestimmung. Im Irrtum über die ihm vorgegebe225

Zimmer II, S. 14 "die allgemeine Überzeugung von der menschlichen Gebrechlichkeit", vgl. aber Zimmer II, S. 59 Das "Verderben" wird im Neuen Testament (Rom 2, 10ff., 23) "zwar allgemein, aber nur von den einzelnen gesagt". 226 Vgl. die Predigt Nr. VIII, Pr. I, S. 109-123 "Das Leben und Ende des Trägen". 227 Pr. 1,140,31-37. 228 Vgl. die gleichermaßen schöne wie treffende briefliche Äußerung Schleiermachers an E. Grunow vom 29.09.1802 (Br. I, S. 360) "Wieviel gehört aber auch dazu, liebe Freundin, um einen Menschen recht zu sehen und was! Nemlich es muß der Mensch sich selbst kennen, und nicht nur das, sondern er muß auch Alles in sich gefunden haben. Die rechte Einfalt und Unschuld wird zu einer solchen Menschenkenntniß nicht kommen. Aber wer von allem verkehrten und verderbten, wenn auch nur ein Element, in sich entdeckt hat, in dem das wesentliche doch ganz liegt, und dann auch von allem Großen und Schönen eine Spur, und dabei eitel genug ist, sich aus dieser Spur die ganze vollendete Gestalt heraus zu phantasiren - sehen Sie, der ist zur Menschenkenntniß gemacht. Wie groß komme ich mir dabei vor, daß ich weiß, ich habe Ihre Erlaubniß Sie da so mit zu meinen."

Begriff des Bösen und seine Implikate

233

ne Bestimmung befindet sich der Mensch genau dann, wenn er die Glückseligkeit, verstanden als das im sinnlichen Verhaftetsein mit den "irdischen Dingen" sich einstellende Gefühl, als sein höchstes natürliches Strebeziel anerkennt und seine moralische Vernunft wie seine Religiosität nur als Mittel zu diesem Zweck begreift229. Die Wirklichkeit des Bösen ist dann nicht nur dort vorhanden, wo mit der Religion auch die ethische Verantwortlichkeit des Individuums geleugnet wird230, auch nicht nur dort, wo eine ethische Verantwortung des Individuums außerhalb der Religion gelehrt wird231, sondern auch und gerade dort, wo das religiöse und moralische Bewußtsein lediglich als die Anwendung derjenigen individuellen Verantwortlichkeit erscheinen, als deren letz22

9

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231

Pr. I, 70, 12, 14, 19-21 Die "Irdischgesinnten", die "Alles nur auf ihre irdische Glükkseligkeit beziehn", sind die, die nicht "wissen, daß Alles, was geschieht, zu gemeinsamer Heiligung dienen soll, daß Alles auf die Förderung des Reiches Gottes in der Welt abgesehen ist"; Pr. I, 124, 4, 7f. "Die Weisheit, welche die Religion Jesu uns lehrt, ... weiß nichts von den Widersprüchen, in welche sich diejenigen verwikkeln, die nur nach den irdischen Dingen trachten"; Pr. 1, 163,6-12 "Steht Ihr noch auf dem Punkt, wo Ihr das Gute nur wollt als ein Mittel zum Wohlbefinden, es sei nun in diesem oder in einem künftigen Leben, oder daß Ihr nach einem unbeflekkten Gewissen nur trachtet als nach einem unentbehrlichen Bestandteil Eurer Zufriedenheit,... so wird es Euch nicht möglich sein, den Herrn zu finden ..."; vgl. Zimmer II, S. 5 "Der Hochmut... auf irdische Dinge ist noch erklärlicher, weil er einen Grundirrtum, eine ganz falsche Schätzung voraussetzt." Willens- und Zielkonflikt faßt in einem zusammen der Predigtentwurf Nr. 38 (Zimmer II, S. 52) Die "Verwerflichkeit der fleischlichen Gesinnung ... besteht darin, wenn des Menschen Zweck und Sinnen darauf gerichtet ist, glücklich zu sein, und er das göttliche Gesetz nur als Beschränkung dieses Triebes ansieht." Pr. I, 125, 26-32 "Zügellose Menschen, die abwechselnd sich bald für die Zukunft quälen, bald die Gegenwart verschwenden, drükken die eine Hälfte des Widerspruchs, in dem ihr ganzes Leben sich herumdreht, mit den Worten der Religion aus(Mt6,34;C.M.-D.), ermuntern sich zum Genuß ausschweifender Vergnügungen, zu einem Genuß, der mit der Vernachlässigung aller Pflichten verbunden ist, durch den Zuruf: laßt uns fröhlich sein, denn wer wollte des morgenden Tages gedenken." Pr. I, 125, 32-126, 1 "Die Unglükklichen hingegen, die an jener finstern Weisheit hängen, welche das Bedürfniß und die Noth als die einzige Quelle aller menschlichen Vollkommenheit verehrt, nehmen ein Aergerniß an dieser freundlichen Lehre (sc. Mt 6, 34). Wenn ihr den Menschen von der Sorge für die Zukunft entbindet, sagen sie, so thut ihr seiner Trägheit Vorschub; ihr nehmt den Stekken des Treibers von ihm, der ihn allein zur Emsigkeit und zur Arbeit zwingt; ihr würdet die Menschheit, wenn eure Lehre allgemein würde, in die alte Rohheit und Dürftigkeit zurükkwerfen."

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

ter Zweck die eigene Glückseligkeit intendiert ist 232 . Die aufgeklärten "Freunde der Religion" sprechen umso mehr die "Sprache eines irdisch gesinnten Gemüths", als sie "die Religion auf den irdischen Sinn propfen"233. Die Unhaltbarkeit der Religionstheorie der populär-kirchlichen Aufklärung, wie sie Schleiermacher vor allem in den Schriften und Predigten J . J . Spaldings begegnet ist 234 , soll gegenüber dem von Schleiermacher herausgearbeiteten Wesen der Religion aufgezeigt werden. Die Religion darf nicht funktionalisiert werden für die Zwecke einer der psychologischen Methode verpflichteten Anthropologie. Denn die Methode "macht" in diesem Fall den Inhalt, sofern die anthropologische Analyse unter Absehung des Glaubens und seines ihm inhärenten Welt- und Selbstverständnisses vorgenommen wird, d.h. keine im strengen Sinn theologische Anthropologie ist 235 . Es ist ja gerade die theologische Anthropologie, aufgrund deren wir wissen können, daß da, wo der Mensch die Glückseligkeit als sein natürliches Strebeziel anerkennt, er der ihm vorgegebenen (sittlichen) 23V! p r j ) 126,4-15 "Es werde dem Menschen nirgends verheißen, daß er irgend etwas erlangen solle, ohne den Gebrauch der Mittel, welche Gott dazu angewiesen. Gott selbst habe ihm ja das Vermögen verliehen, die Zukunft nach gewissen Regeln vorauszusehen, damit er dem zufolge seine Kräfte für dieselbe anstrengen solle. Der Mensch solle also allerdings für die Zukunft sorgen, nur daß es auf eine vernünftige Weise geschehe, nur daß sich keine Leidenschaft und keine Aengstlichkeit hineinmische, das allein wolle das Christenthum durch seiner Warnung verhüten. Darum solle er den Ausgang Gott überlassen, und nur dahin sehen, daß er sich nicht vorwerfen dürfe, selbst etwas verabsäumt zu haben, was zur Beförderung seines Glükkes und zur Sicherstellung seiner Zufriedenheit hätte gereichen können." w-i 234 235

Pr. 1 , 1 2 6 , 1 6 , 2 3 . Siehe diese Arbeits. 29fT. Zwischen Spaldings Satz: "Es wird damit (sc. mit den biblischen und dogmatischen Begriffen der Religion) im Grunde nichts weiter gesagt, als daß wir, vermittelst des Unterrichts in der Religion, und vermittelst der den menschlichen Gemüthern davon zu gebenden Eindrücke, sie in die Verfassung setzen sollen, die zum Glücklichwerden nöthig ist" (PB S. 159), und Schleiermachers Ausführungen: "Wem also Glükkseligkeit und Wohlbefinden über alles geht, der betrachtet auch Alles, was in der Welt geschieht, nur in dieser Hinsicht, und suchet darin Anordnung und Geseze auf, die sich auf diesen Endzwekk beziehen. Daher denkt er sich Gott als eine Vorsehung, welche für die Glükkseligkeit der Menschen Sorge trägt, und also alle Begebenheiten in der Welt zu diesem Ziele hinführt, welches doch für sich allein niemals erreicht werden kann" (Pr. 1,163, 18-25; vgl. Z. 6-12), besteht ein direkter sachlicher Gegensatz.

Begriff des Bösen und seine Implikate

235

Bestimmung widerspricht. Von der Radikalität der Wirklichkeit des mit der menschlichen Existenz gleichursprünglichen Bösen wissen wir also durch den Glauben, der das Geschaffensein von Gott als die für die ganze erfahrbare Wirklichkeit gültige Struktur behauptet. Die rein psychologische Beschreibung der Wirklichkeit des Bösen als ein im menschlichen Willen stattfindender Konflikt wird von Schleiermacher einfach deshalb nicht mehr übernommen, weil unter deren Leitbegriffe - Sittlichkeit und Glückseligkeit und ihr spezifisches Verhältnis zueinander - dann auch die Religion ihrem wesentlichen Gehalt nach thematisiert werden soll236. Sittlichkeit und Glückseligkeit sind für sich allein in der Tat keine Themen mehr, mit denen sich für Schleiermacher in romantischer Zeit der wesentliche Gehalt der Religion explizieren ließe: Glückseligkeit überhaupt nicht, Sittlichkeit nur, sofern sie als durch die Frömmigkeit ermöglicht und durch die Individualität material bestimmt gedacht wird*37. 2. Wir haben gesehen: Mit der Exponierung des für den Glauben charakteristischen Welt- und Selbstverständnisses wird auch die Sicht der Wirklichkeit des Bösen radikaler. Diese ist zwar noch psychologisch beschreibbar, aber nicht mehr psychologisch erklärbar. Die Möglichkeit des Bösen ist mit der Existenz der zur Gottebenbildlichkeit bestimmten, unter den übrigen Geschöpfen eben deshalb herausragenden menschlichen Natur gleichursprünglich gegeben. Darin stimmt Schleiermacher mit Kant überein 238 . Nun ist ja innerhalb der theologischen Anthropologie "Es ist nämlich die Einrichtung Gottes in unserer Natur, daß dasjenige, was wir rechtmäßige, tugendhafte Gesinnung nennen, sowohl in dem unmittelbaren Bewußtseyn, als auch in seinen Folgen, an und für sich allemal etwas Angenehmes bey sich führet, daß es eine Art von Verbesserung, Erhöhung und größerer Vollkommenheit unsers Wesen schafft; und diese Verbindung zwischen Tugend und innerlichem Glücke, als Ursache und Wirkung, bleibt so lange, als wir Menschen bleiben" (PB S. 160f.).Das Böse besteht darin, daß der Mensch die "Wirkung" ohne die "Ursache" haben will. "Das ist die Erklärung, welche Gott in der Natur gethan hat, daß kein anderer Weg uns zu dem eigentlichen höchsten Ziele unserer Wünsche führt, als der Weg der Tugend" (PB S. 161). Das "Evangelium" ist die "Unterweisung des Sohnes Gottes zu unserer höchsten und ewigen Glückseligkeit" (PB S. 162). 237 Siehe oben S. 205. 238 Dj e Tatsache, daß auch für Kant (zumindest in RGVldie menschliche Freiheit der Ermöglichungsgrund für das Böse ist, führt zu einer Schwierigkeit im Verständnis von Kants praktischer Philosophie. Denn die Freiheit ist zugleich der Seinsgrund des Sittengesetzes (KprV.S. 4). So wird m i t d e r

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

Schleiermachers in den Predigten aufgrund der Konzeption des freien Selbst die Zunahme in der Selbsterkenntnis für das Subjekt grundsätzlich möglich. Dementsprechend hat für Schleiermacher die Forderung nach der Verwandlung des "Innere(n)" ihre MögPreiheit als dem höchsten Bestimmungsgrund menschlichen Seins zugleich dieses selbst in ein zwielichtiges Licht gerückt. Man kann die Ausführungen der RGV als eine im ganzen starke Relativierung der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit des Systems der praktischen Vernunft auffassen. Für dieses Problem gäbe es dann eine Ix>sung, würde man die Freiheit des Menschen unter der sie spezifisch begründenden und begrenzenden Qualität sehen, die der Glaube ihr zuschreibt. Das aber ist keine von Kant selbst gewählte Lösung. - Dieses Problem der Kant-Interpretation wird von der neueren Forschung gesehen. Für Ei,. Fackenheim ("Kant and radical evil", in: University of Toronto Quarterly 23, 1954, S. 339-353) stellt die Lehre vom radikalen Bösen eine "Verschiebung" innerhalb des praktisch-philosophischen Systems Kants dar (S. 340). Es gibt nämlich bei Kant "two views ofmoral freedom" (S. 343), erstens: Freiheit als (Willens-(Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, und zweitens: Freiheit als Wahl zwischen Gut und Böse. Letzteres Freiheitsverständnis bezeichnet die spezifische Sicht des Problems in der Religionsschrift Kants. Die frühere Auffassung von Freiheit kommt der Verneinung der Wirklichkeit des Bösen gleich (S. 345). Nach ihr hat der Mensch "the choice ... between willing the good or not willing at all" (S. 346), denn man kann die von den Neigungen bestimmte Maxime des Handelns nicht böse nennen ("He is the willess victim of his inclinations", S. 345), sondern es handelt sich bei ihr lediglich um die Maxime eines schwachen Willens. Fackenheim gelangt schließlich zu der Feststellung des paradoxen Sachverhaltes, daß für Kant einerseits die Einführung des Begriffs des radikalen Bösen in das System seiner praktischen Philosophie notwendig wurde, daß aber andererseits diese Einführung die eindeutige Gültigkeit des Sittengesetzes als höchsten Bestimmungsgrund menschlichen Handelns zerstört hat. "But if man chooses freely, either for or against the moral law, then there can be no higher determining principle. Then each decision of each man is a metaphysical ultimate; and whichever choice is made, is an ultimate irrationality" (S. 350). Damit ist aber auch kein eindeutiger Ermöglichungsgrund für die radikale moralische Umkehr des Menschen mehr gegeben. Diese radikale Umkehr muß deshalb als eine "creatio ex nihilo" verstanden werden (S. 352). Problematisch ist m.E. die Darstellung Fackenheims von der Entwicklungsgeschichte des Systems Kants, besonders seine Beschreibung der Position Kants vor der Religionsschrift. Es läßt sich m.E. weder an der GMS noch an der KprV zeigen, daß Kant die von den Neigungen bestimmte Maxime des Handelns gleichgesetzt hat mit demjenigen Wahlakt des Menschen, in dem dieser "the absence of will" (S. 348) bzw. "not willing a t all" (S. 346, 350) wählt. Vorausgesetzt, daß "wählen" immer einen wählenden "Willen" braucht, basiert dieser Satz auf einem Widerspruch. Offenbar ist auch der Vorschlag Fackenheims, die notwendige radikale Umkehr als

Begriff des Bösen und seine Implikate

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lichkeit im menschlichen Subjekt selbst, das sich als im Irrtum über die ihm als geschaffenes Wesen vorgegebene Bestimmung

"creatio ex nihilo" zu verstehen, keine wirklich ernstgemeinte, weil an den Schriften Kante nirgends verifizierte (und verifizierbare) Lösung. A. Ridder (Die Freiheit und das radikal Böse als intelligibles moralisches Verhältnis, Dissertation, München 1966) will die Aporie der Religionsschrift Kants, die er darin sieht, daß das radikal Böse weder eine "notwendige Vernunftansicht" (diese kann nur das Sittengesetz als Erkenntnis a priori sein) bzw. "apriorische Erkenntnis", noch auch nur "Erfahrungstatsache" sein kann (S. 59), so lösen, daß er eine "Erweiterung des Kantischen ErfahrungsbegrifTs auf sittlichem Gebiet annimmt". Ansonsten bliebe die "Allgemeinheit des radikal Bösen ... unverständlich" (S. 62). Ridder meint, daß Kant "eine unmittelbare metaphysische Erfahrung des radikal Bösen" im Auge hatte (S. 65, 68 u.ö.). Mit der Denkbarkeit des "intelligible(n) böse(n) Charakters" soll das "unmittelbare Wissen um diesen Charakter" gleichursprünglich gegeben sein (S. 67, 70). Diese "Unmittelbarkeit" des Wissens sei der Grund für die von Kant behauptete "Allgemeinheit" des radikal Bösen (S. 64, 70). "Metaphysische Erfahrung nennen wir eine solche, die nicht Erfahrung und nicht Erkenntnis ist, sondern sozusagen dazwischen in dem sittlichen Persönlichkeitsbewußtsein liegt" (S. 61 ). Problematisch an dieser Lösung des Problems durch Ridder ist die Tatsache, daß er sie weniger aus der Interpretation der Texte Kants gewonnen hat, sondern aus der Interpretation Kants durch seinen Lehrer H. Heimsoeth (vgl. S. 183). O. RebouliKantet le probleme du mal, Montreal 1971 ) versteht im Gefolge der Kant-Interpretation seines Lehrers P. Ricoeur die durch den Begriff des Bösen erzeugt« immanente Spannung innerhalb der praktischen Philosophie als den Ausdruck der Wahrheit über die dem menschlichen Sein bzw. der menschlichen Freiheit selbst eigene Spannung oder Widersprüchlichkeit. Reboul meint, Kant habe in seiner Religionsphilosophie das Böse nicht als Bestandteil der phänomenalen Wirklichkeit des Menschen erwiesen, sondern als Bestandteil seiner intelligiblen Natur. Daraus folgt aber die grundsätzliche Zweideutigkeit der menschlichen Freiheit. "En tout cas cette philosophie nous fait comprendre que la liberté humaine est tragique, qu'elle ne se réduit pas à la "bonne1 volonté, qu'elle contient en elle autre chose que l'autonomie, encore que le péché se présente toujours sous le masque du bien et de l'autonomie; c'est sa manière à lui d'exister: il n'est qu'en déguisant" (S. 258). Reboul will also die von ihm beobachtete Widersprüchlichkeit innerhalb der praktischen Philosophie Kants nicht auflösen, sondern er findet in ihr ein getreues Abbild der widersprüchlichen Wirklichkeit der menschlichen Freiheit selbst. In dieser Fähigkeit der Philosophie Kants, wahres Abbild der Wirklichkeit zu sein, liegt ihre Größe und ihre Glaubwürdigkeit zugleich. "Le criticisme, c'est d'abord une volonté d'authenticité, d'où une extrême tension dans le système et même dans le style, qui fait la difficulté de cette philosophie, mai aussi sa solidité et sa profonde unité" (S. 260).

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

zur sittlichen Vollkommenheit befangen weiß, wenn es die Glückseligkeit als sein höchstes, natürliches Strebeziel anerkennt 239 . Das bedeutet aber, daß die Befangenheit im Irrtum das Ergebnis einer aufgrund der endlichen, geschaffenen Freiheit des Menschen zustande gekommenen Wahl ist. Einerseits setzt es Schleiermacher als selbstverständlich voraus, daß man in jeder menschlichen Handlung die Wirksamkeit des freien, inneren Selbst als ihre Quelle zu erkennen vermag. Denn "wir (sehen) jeden Menschen als ein freies Wesen an(..), dessen Handlungen ein freies selbstentworfenes Bild durch alle Momente ihrer Ausführung hindurchgeleitet" 240 . Andererseits hält es Schleiermacher für möglich, daß der Mensch seine ihm zukommende Bestimmung verfehlen kann, d.h. er kann offenbar aufgrund eines freien Entschlusses seines innern Selbst eben dieses als handlungsleitende Instanz seiner im einzelnen vorzunehmenden Handlungen dispensieren (d.h. natürlich nicht, daß er sein Selbst überhaupt dispensieren kann). Das geschieht genau dann, wenn er seine "Handlungen das Werk schneller und unordentlicher Aufwallungen sein" läßt241. Wir müssen also - anthropologisch - unterscheiden zwischen dem Vermögen zum Handeln überhaupt, hinsichtlich dessen der Mensch in jedem Fall frei zu nennen ist, und den im einzelnen vom Subjekt vorgenommenen Handlungen als notwendige Wirkungen von Ursachen, denen er sich - in einem freien Wahlakt - unterworfen hat. Diese Unterwerfung bedeutet für Schleiermacher offenbar den Verzicht auf die freie, selbstgestaltete Äußerung des inneren Wesens des Subjekts in seinen Handlungen. Wer in seinen Handlungen nicht "den Ausdrukk seines Innern erkennen" läßt, der "hintergeht" die "gerechteste Erwartung..., über den beklagen wir uns mit Recht, und erklären ihn seiner Stelle unter uns unwürdig" 242 . Die Radikalisierung der Anthropologie durch die Konzeption des freien Selbst ist letztlich für die Radikalisierung der Auffassung von der Wirklichkeit des Bösen verantwortlich. Wer auf die Frage nach den Bewegungsgründen seiner Handlungsweise nicht anders antworten

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"Jene (sc. "Irdischgesinnten") verstehen ... nichts von der Weisheit des Herrn; und ihr Inneres muß erst verwandelt werden, ehe sie nur im Stande sein sollen, sich vor derselben zu demüthigen"(Pr. 1,70,21-24). 240 p r . 1,84,22-24; vgl. Z. 4-8. Pr. 1,84, l l f . 2 « Pr. 1,84,6,8-10.

Begriff des Bösen und seine Implikate

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kann als: er habe "nicht anders gekonnt", der gibt in Hinsicht auf sein freies Selbst, also für sich selbst gar keine "Rechenschaft" ab. Denn "wir erfahren bloß", daß er "unter der Gewalt blinder Triebe steht, und dürfen wohl wünschen, ein vernünftigeres Wesen" an seiner Stelle zu sehen 243 . Die Tatsache, daß ein menschliches Subjekt aufgrund eines freien Wahlaktes de facto die Unfreiheit wählt, ist nicht weiter erklärbar, sondern selbst als ein möglicher, mit der menschlichen Existenz gleichursprünglicher und kontingenter Sachverhalt gegeben. An diesem Punkt besteht die engste Berührung mit Kant. Während aber bei diesem durch die Realität des Bösen die Freiheit als der Ermöglichungsgrund für das dem Sittengesetz allein entsprechende Handeln, damit aber die menschliche Existenz ihrem höchsten Bestimmungsgrund nach in ein zwielichtiges Licht gerückt wird, bleibt bei Schleiermacher die Wahrnehmung der endlichen, geschaffenen Freiheit gebunden an die Erkenntnis der dem Menschen als geschöpfliches Wesen vorgegebenen Bestimmung seiner Existenz, welche allein im Glauben gewiß ist. D.h. die Freiheit als der Ermöglichungsgrund des Bösen ist für Schleiermacher genauso der Ermöglichungsgrund für die Befreiung vom Bösen - allerdings vermag der Mensch diese nur im Glauben, und d.h. in der Begegnung mit dem in Jesus Christus handelnden Gott als seine eigene Möglichkeit für sich zu erkennen und zu ergreifen 244 . 3. Schleiermacher hat in den Predigten mit dem Begriff der Einbildungskraft offenbar eine Möglichkeit gefunden, den Begriff des Bösen zusammen mit seinen erkenntnistheoretischen Implikationen in spezifischer Weise zur Geltung zu bringen. Und zwar fungiert der Begriff der Einbildungskraft überall zur Bezeichnung des genauen Gegenteils des mit dem Selbst-, Welt- und 243

244

Fr. I, 84, 29-33 (vgl. dazu Anm. 12) Auch in der folgenden Formulierung wird der Charakter des Bösen als die aufgrund eines freien Wahlaktes des Subjekts geschehene Unterwerfung unter die Unfreiheit deutlich. (Pr. I, 121,8-12) "Nicht nur die Sklaven der Lüste verlieren zulezt alle Freiheit in ihren Handlungen: sondern auch der versinkt in eine nicht minder selbstverschuldete geistige Ohnmacht, dem das heilsame Wachen und Nachdenken über sich selbst zu schwer war, und der nachlässig dem Zufall die Zügel seines Gemüthes überließ." Zimmer II, S. 59 Denn "wir (müssen) alle Beschränkung in der Wirklichkeit aus dem Willen erklären". Wir sollen Gott "bitten, er wolle uns vor jenen (sc. bösen) Gesinnungen losmachen", deren Folgen die "Übel" sind (Zimmer II, S. 56).

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Gottesverständnis des Glaubens bezeichneten Sachverhalts. So konstruiert die menschliche Ginbildungskraft in Bezug auf die Zukunft ein "Bild" und treibt damit mit dem Menschen ein böses "Spiel" (man kann vielleicht sagen: der Phantasie), das ihn entweder in Furcht oder in Hoffnung versetzt - jeweils aber faktisch unbegründet246. Das "Spiel" der Ginbildungskraft ist genauer Ausdruck des nicht-glaubenden Selbstverständnisses, das die Sorge bzw. die Ungewißheit über sich selbst auf die Zukunft projiziert. Durch die Projektion soll das Selbstgefühl entweder bestätigt ("Furcht") oder über es hinweggetäuscht werden ("Hoffnung"). Die "Thätigkeit der Ginbildungskraft"246 steht einmal in sachlichem Gegensatz zum Selbstverständnis des Glaubens, für den die eigene Gxistenz als von Gott ermöglichte schon immer gewiß ist, und zweitens im Gegensatz zum Weltverständnis des Glaubens, der von der Gewißheit der Präsenz des Willens Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestimmt ist. Genauso steht die Ginbildungskraft, "welche immer in der Zukunft umherschweift"247, in schneidendem Gegensatz zu der auf dem Selbstverständnis des Glaubens gegründeten Selbstbescheidung der erkennenden Vernunft, die sich damit begnügt, "nachdenkende(r) Zuschauer der göttlichen Führungen zu sein"248. Der Versuch, Gott so zu "dienen", daß man ihn für die unerträglichsten Lebensverhältnisse in der Welt gegenüber den Menschen entschuldigen will, heißt Gott "dienen in einem Tempel, der von der verderbtesten menschlichen Ginbildung aufgeführt ist"249. Gr beruht auf einem falschen Gottes Verständnis, genauer auf der Verwechslung des möglichen Gegenstandes von göttlichem und menschlichem Handeln. Der Gegenstand des göttlichen Handelns ist die weltund naturhafte Wirklichkeit als Ganze; Gegenstand menschlichen Handelns kann sein jede mögliche Grfahrung innerhalb der einen Wirklichkeit. Ginbildungskraft, verstanden als das Festhalten an einem "tollen Gedanken", oder an einer "halb wahre(n) Vorstellung" 250 , hat

2« 246 247 2« 24» 250

Pr. 1,11,26f.; Pr. I 12,3. Pr. 1,15,25f. Pr. 1,72,27. Pr. I,72,22f. Pr. 1,164,1. Pr. 1,69,14.

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ihren Grund in den Sinnen des Subjekts als die Ermöglichung seines AfTiziertwerdens durch die Dinge der Außenwelt, und ist zu verstehen als das Beharren in dem Zustand passiven sinnlichen Affiziertwerdens. Dieses Beharren oder die "Spiele(..) des Wizes und der Einbildungskraft" 251 fallen mit der beschriebenen Wirklichkeit des Bösen genau dann zusammen, wenn sich das Subjekt durch sie an der Wahrnehmung seiner Handlungsfreiheit selbst hindert. Denn verstehen wir - mit Schleiermacher - unter Handeln den notwendigen Spezialfall der Wahrnehmung endlicher, geschaffener Freiheit, dann läßt es sich zwar nicht denken, daß das Subjekt nicht handelt, aber es läßt sich denken, daß es nicht verantwortlich, d.h. mit dem Bewußtsein seiner spezifischen Freiheit handelt. Es ist unmöglich, daß das Handeln Jesu von seiner Einbildungskraft hinsichtlich seiner "künftige(n) weltliche(n) Größe"252 bestimmt war, denn sein Handeln ist nur zu verstehen als die völlige Übereinstimmung zwischen vorgegebener Bestimmung und eigenem Selbstverständnis, d.h. Jesus handelte verantwortlich, mit dem Bewußtsein seiner endlichen, geschaffenen Freiheit. Nun ist aber auch umgekehrt verantwortliches Handeln, d.h. Handeln im Bewußtsein der endlichen, geschaffenen Freiheit des Subjekts nicht denkbar ohne das sinnliche Affiziertwerden des Subjekts durch die Außenwelt, auf deren Gegenstände sich ja das Handeln wiederum beziehen soll. "Handeln" als eine Weise menschlicher Wirklichkeitserfassung ist immer gegenstandsbezogen. D.h. die von der Theorie der Sittlichkeit bereitgestellten Begriffe ("Gerechtigkeit", "Gleichheit", "Liebe") können handlungsleitend erst dann werden, wenn sie sich mit der sinnlichen Anschauung verbinden. Diese Begriffe müssen dabei aber schon auf eine "aufbereitete" Wirklichkeitserfassung treffen, d.h. auf eine solche, in der die sinnliche Anschauung zusammen mit den Verstandeskategorien gegenständliche Erkenntnis, Erfahrung im Sinne Kants ermöglichen. Wenn wir sagen, der Glaube bedenkt unter der Kategorie "Handeln" dessen spezifisches Qualifiziert-

«51 Pr. 1,111,34. 252 Pr. 1,40,2f. 253 Handeln ist (neben Denken) ein Spezialfall von Erfahrung dann, wenn unter Erfahrung mit Kant der Inbegriff aller Weisen des Erschlossenseins von endlich Seiendem für es selbst zu verstehen ist.

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sein mit, nämlich Fall der Wahrnehmung von endlicher, geschaffener Freiheit zu sein, dann ist die Bezogenheit von "Handeln" auf eine sinnlich vermittelte, gegenständliche Erkenntnis darin vorausgesetzt. D.h.: dem Menschen müssen die Folgen seines und fremden Handelns sinnlich anschaulich sein. Das sind sie genau dann, wenn der Mensch aufgrund der Verstandeskategorien (z.B. Ursache-Wirkung) die Bezogenheit eigener und fremder Handlungen aufeinander als einen kausalen Zusammenhang erfährt, der als solcher erkannt werden kann 254 . Darin besteht das relative Recht jeder Zukunftsschau auch vor dem Glauben. Die auf dem Wirklichkeitsverständnis des Glaubens gründende Theorie der Sittlichkeit vermag dann in Bezug auf die Erkenntnis des Kausalzusammenhangs handlungsleitende Begriffe für das seiner spezifischen Freiheit bewußte (verantwortliche) Handeln des Subjekts bereitzustellen. Der Begriff der Einbildungskraft wird erst dann zum Paradigma für die Wirklichkeit des Bösen, wenn sich mit ihm ein Beharren des Subjekts im Zustand passiven sinnlichen Affiziertwerdens verbindet, das dadurch seine Bestimmtheit zum Handeln als notwendiger Fall der Wahrnehmung von endlicher, geschaffener Freiheit verfehlt 255 . Abgesehen von dieser seiner ethischen Bedeutung und grundlegender bezeichnet der Begriff der Einbildungskraft den Sachverhalt, daß es Handeln im beschriebenen Sinn ohne konstitutive Bezogenheit auf die qua sinnlicher Anschauung gegebenen Erfahrungsgegenstände nicht geben kann. An dieser erkenntnistheoretischen Bedeutung des von Schleiermacher verwendeten Begriffs der Einbildungskraft zeigt sich, daß die Predigten im ganzen der erkenntnistheoretischen Position Kants verpflichtet sind, für die es konstitutiv ist, daß es Erkenntnis als Erfahrung nicht ohne

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Pr. I, 120, 16-22 "Alle Veranstaltungen, durch welche etwas Heilsames gewirkt werden soll, bestehen aus verschiedenen Thätigkeiten, die in einer gewissen Regelmäßigkeit aufeinanderfolgen und in einander eingreifen müssen. Unterläßt einer dabei das Seinige, so wird dadurch alle Mühe, welche alle Frühere angewendet haben, unnüz, und die Späteren warten vergeblich auf ihre Arbeit." In dem sinnlichen Verhaftetsein des Subjekts mit der Außenwelt scheint Schleiermacher den Wesenskern der endlichen Existenz gesehen zu haben, vgl. den Entwurf zur Predigt "Trost aus der Hoffnung, das wir bei Christo sein werden" (Zimmer II, Nr. 46, S. 68).

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sinnliche Anschauung geben kann. Damit haben wir ein für die Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis zwischen den Predigten und romantischen Schriften Schleiermachers wichtiges Zwischenergebnis erhalten: die Predigten der ersten Predigtsammlung setzen offensichtlich den sinnlichen Anschauungsbegriff Kants voraus. 6. "INDIVIDUALITÄT" ALS KERNBEGRIFF DES ROMANTISCHEN GEHALTES DER PREDIGTEN Die Frage nach dem besonderen Vorkommen des Begriffs der Individualität in den Predigten erweist sich als so außerordentlich fruchtbar, daß wir die Aussagen dazu nach drei verschiedenen Gesichtspunkten getrennt darstellen können. Nachdem zuerst das Wesen der Individualität mit seinen Implikaten für eine notwendige Modifikation des Begriffs des Bösen beschrieben werden soll, folgen zweitens Aussagen, die das Wesen der Religion als individuelle, kontingente und irreduzible Erscheinung des geistigen Kosmos erfassen, und schließlich drittens solche Aussagen, die das Wesen von Individualität auf die Individualität des Individuums in Bezug auf dessen sittliches Leben hin konkretisieren. 1. Grundlegend für die Beschreibung des Wesens der Individualität ist die Schleiermacher bei der Herausarbeitung der (erkenntnistheoretischen) Möglichkeit der moralischen Selbstverantwortung des Individuums leitende Konzeption des freien Selbst 256 . Für sie gilt: es gibt ein unveränderliches, freies, inneres Selbst in jedem Menschen, welches seinen wahren Wert ausmacht 257 . Und: jede Handlung ist in jedem Fall Ausdruck des freien inneren Lebens in jedem menschlichen Subjekt. In diesem Sinne ist jede Handlung notwendig, d.h. sie "kann" nicht anders als "Ausdruck" jenes Selbst sein258. Das gilt gerade angesichts der Tatsache, daß alle Handlungen von Menschen als im Kausalzusammenhang von Ursache und Wirkung stehend begriffen werden müssen. Schleiermacher unterscheidet das freie Vermögen des Menschen zum Handeln von den konkreten Realisationen die266

Siehe oben S. 178ff. Vgl. z.B. Pr.1,18,33-39. 258 Vgl. z.B. Pr. I, 84, 4-7, 22-24; Zimmer II, S. 36 "Das Leben ist auch eine Sprache, es ist Zeichen der Gesinnung und des Charakters"; Zimmer II, S. 64. 257

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"Individualität" als Kernbegriff

ses Vermögens selbst. Einige Aussagen in den Predigten deuten darauf hin, daß Schleiermacher die erkenntnistheoretisch begründete Unterscheidung in den Rang einer Metaphysik der Individualität erhebt. Dafür sprechen folgende Indizien. Erstens: der freie, innere Wesenskern des Selbst ist offenbar so gedacht, daß er der gewöhnlichen, sinnlichen Erkenntnis niemals direkt zugänglich gemacht werden kann 259 . Zweitens: die Verletzung des Prinzips der Individualität oder Eigentümlichkeit in sittlicher Hinsicht faßt Schleiermacher als Verletzung des freien, inneren Wesenskerns des Individuums auf, und damit als Angriff auf das grundlegende Prinzip der Menschheit 260 . Danach bezeichnet das Prinzip der Menschheit nichts anderes als die Anerkennung der Mannigfaltigkeit der (sittlichen und religiösen) Individualität als die Art und Weise, wie sich die in dem Prinzip festgehaltene Einheit der Menschheit von sich aus lebendig gestalten will. Diese Ansicht von der Individualität als der Individuation des - im Prinzip der Menschheit festgehaltenen, zumindest den geistigen Kosmos umfassenden - Identischen nähert sich der Auffassung von Friedrich Schlegel an. Schlegel will seine Philosophie damit zu lehren beginnen, den Schüler "an die ganze vollständige Menschheit zu erinnern" und sein "Gefühl derselben zum Gedanken zu erhöhen". Ferner möchte er zeigen, "wie sich dieses unendliche Wesen und Werden in das theilt und das erzeugt, was wir Gott und Natur 261 nennen...Aber die Unendlichkeit des menschlichen Geistes, die Göttlichkeit aller natürlichen Dinge, und die Mensch259

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Pr. I, 147, 19-26 "Es ist wahr, daß niedrige Gesinnungen und wilde Leidenschaften des Menschen in seinem äußern Betragen Spuren zurükklassen, welche sich auch da zeigen, wo jene nicht unmittelbar im Spiel sind, und welche einem geübten Auge selten entgehen: aber wer darf behaupten, daß was aus einem solchen Grunde herrühren kann, auch immer daraus herrühren müsse? wer darf sich zutrauen, dies untrüglich zu unterscheiden?" Pr. 1,146,39-147,5 "Das Innerste eines Jeden, der die Menschheit zu ehren weiß, muß sich empören, wenn so oft, ohne daß man sich auf die Denkungsart und das Leben eines Menschen einläßt, von einem Widerwillen geredet wird, den man gegen ihn empfindet, und den am Ende eine unbedeutende Kleinigkeit rechtfertigen soll, etwas unangenehmes in der äußern Erscheinung, im gesellschaftlichen Betragen"; vgl. Br. I, S. 317 (1802) "Denn, was ein Mensch nicht ohne Verlezung seiner eigenthümlichen Sittlichkeit erlangen kann, das ist ihm nicht beschieden, eben so wie das, was ihm physisch unmöglich ist." Bei F. Schlegel ist also die "Einheit" größer als der geistige Kosmos.

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lichkeit der Götter, würde das ewige große Thema aller dieser Variazionen bleiben. So hätten wir denn zu der Mannichfaltigkeit unsrer Philosophie auch Einheit."262 Die metaphysische Ausweitung des IndividualitätsbegrifTs bei Schleiermacher (als Grundprinzip der gesamten erscheinenden Wirklichkeit) impliziert nun auch eine Modifikation des Begriffs des Bösen. Die Predigt "Das Leben und Ende des Trägen"263 bildet in gewisser Hinsicht den Schlüssel zum neuen Individualitätsbegriff einerseits und zur deshalb notwendig gewordenen Modifikation des Begriffs des Bösen andererseits. In ihr treffen zwei verschiedene theoretische Einflußlinien (Kant und F. Schlegel) zusammen264. Das kommt in dem einleitenden Satz sehr deutlich zum Vorschein: "Wenn es einem Menschen an dem lebendigen und kräftigen Willen fehlt, der auf das Gute allein gerichtet ist, der jedes innere Vermögen in Bewegung sezt, jedes äußere Verhältniß nuzt, jeden Augenblikk des Lebens auskauft, um auf eine dem Willen Gottes und den gerechten Forderungen der Gesell262 Friedrich Schlegel, Ueber die Philosophie. An Dorothea, in: Athenaeum II, 1, 1799, S. 34f.; vgl. die Darstellung von "Schlegels Streben nach dem System" bei Herms, Herkunft, S. 244-248. Vgl. Br. IV, S. 94 (1803) "Das Ausgehn von der Individualität bleibt aber gewiß der höchste Standpunct, da er zugleich den der Allgemeinheit und der Identität in sich schließt. Ist denn die ganze Welt etwas anders als Individuation des Identischen?" 263 P r . I . S . 109-123. 264 Sie ist damit ein Beweis dafür, wie durchaus differierende Ansichten über dasselbe Thema (hier das Thema der Wirklichkeit des Bösen) bei Schleiermacher scheinbar unvermittelt nebeneinander stehen können. Wir dürfen das als ein Anzeichen dafür nehmen, daß die Predigten der ersten Sammlung, die in einem größeren Zeitraum entstanden und für die Herausgabe zu einem bestimmten Zeitpunkt (1801) überarbeitet worden sind, in einem starken Maße uneinheitlichen theoretischen Einflüssen unterliegen, jedoch andererseits wegen ihres sie von der reinen wissenschaftlichen Abhandlung unterscheidenden Sprachgebrauchs fähig sind, diese in sich aufzunehmen. Eine wissenschaftliche Arbeit über Schleiermachers Predigten darf nun nicht in den Fehler verfallen, aufgrund des geschilderten Sachverhaltes zustandegekommene und literarisch verarbeitete Spannungen in den Predigten als theoretische Widersprüche zu deuten. Diesen Fehler zu vermeiden, dazu verhilft ihr in erster Linie die historische Untersuchung, die es erlaubt, verschiedene theoretische Einflüsse entsprechenden verschiedenen Zeitperioden im wissenschaftlichen Werdegang des Autors zuzuordnen. Dabei hat sie selbstverständlich mit Zeitverschiebungen zu rechnen, d.h. mit der Möglichkeit, daß theoretische Einflüsse, die sich zuerst in wissenschaftlichen Studien bemerkbar machen, sich um einiges verzögert auf die der Predigt eigene Gedankenproduktion niederschlagen.

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schaft angemessene Art thätig zu sein: so ist er entweder ein Spiel sinnlicher Begierden, deren Ausartung in heftige Leidenschaften er nicht immer verhüten kann, oder sein Trieb zu wirken wird durch keinen Gegenstand in die gehörige Bewegung gesezt, und er verbringt sein Leben in unwürdiger Trägheit" 265 . Es werden in dem letzten Satz zwei verschiedene Herkunftstraditionen der Auffassung vom Bösen durch eine Disjunktion von Schleiermacher miteinander verbunden. D.h. aber, für Schleiermacher können beide Auffassungen des Bösen, die Kants von dem zentralen Willenskonflikt in der menschlichen Natur, und die romantische von der falschen Selbstbeschränkung der Individualität in Geltung sein 266 . In der genannten Predigt geht es Schleiermacher dann ausschließlich um die Näherbestimmung der sich aus dem methaphysisch ausgeweiteten Individualitätsbegriff ergebenden spezifischen Auffassung von der Wirklichkeit des Bösen, die in dem Begriff der "Trägheit" ihren prägnanten Ausdruck findet. Nun kann der Begriff der Trägheit expliziert werden erstens hinsichtlich des menschlichen Strebens nach "irdische(m) Wohlbefinden", und zweitens hinsichtlich des menschlichen Strebens nach "höhere(r) Bestimmung" 267 . Zum Ersten: Das "Gemüth" des Menschen ist der Rohstoff für die notwendige Ausbildung eines umfassenden, individuellen Welt- und Selbstverständnisses, und seine "Bearbeitung" ist die Bedingung für die Aneignung von Welt, für

265 Pr.1,109,3-12. 266 Vgl. Pr. I, 109, 12ff. Ihr Verhältnis denkt sich Schleiermacher z.B. so, daß der gute Wille nicht nur das Gegenteil des von der Sinnlichkeit dominierten Willens ist, sondern auch der Gegensatz zur "Trägheit". "Was das gute Herz betrifft., meine Freunde, so ist es nicht immer leicht zu wissen, was damit gemeint wird; versteht Ihr aber darunter Lust und Willen zum Guten, so ist es mit keiner Trägheit vereinbar. Warlich, wer guten Willen hat, dem thut nicht Noth am Markte zu stehen und zu warten bis ihn Jemand dinge zu fremder Arbeit! es giebt in jedem Augenblikk etwas Gutes und des Menschen würdiges zu thun, und wer es nicht thut, der will entweder etwas anderes, oder er will nichts." (Pr. 1,110,6-13). 261 Es ist merkwürdig, daß Schleiermacher hier (Pr. I, 111, 16-19) kritiklos das Streben nach Glückseligkeit mit dem Streben nach (sittlicher) Vollkommenheit als die zwei gleichursprünglichen Strebeziele des Menschen nebeneinander stellt. Das weist zurück auf das von uns geschilderte Problem dieser Predigt, daß in ihr zwei Auffassungen von der Wirklichkeit des Bösen aufeinandertreffen, die verschiedenen theoretischen Herkunftstraditionen verpflichtet sind.

"Individualität" als Kernbegriff

247

"Vergnügen" 268 , "Wohlstand"269 und "Achtung bei den Menschen" 270 . Der "Träge" vermag deshalb keine "Achtung bei den Menschen" zu erlangen, weil er sich dem gesellschaftlich in Geltung stehenden sittlichen Normalwert anzugleichen versucht, statt die seinem individuellen Wesen entsprechende Sittlichkeit auszubilden und damit auch die durchschnittliche Sittlichkeit zu verändern. Deutlich ist, daß sich Schleiermachers Auffassung von dem Verhältnis einerseits zwischen der Individualität des einzelnen und der konkreten sittlichen Totalität (z.B. der Gesellschaft), und andererseits zwischen der Überindividualität der sittlichen Bestimmung und der Individualität des einzelnen geändert hat 271 . In bisher nicht bekanntem Maße konzentriert sich sein Interesse auf die Individualität des einzelnen um der konkreten sittlichen Totalität willen. Die Uberindividualität der sittlichen Bestimmung besteht in nichts anderem als der für alle Individuen gleich geltenden formalen Maxime: Bilde deine Sittlichkeit, verstanden als die umfassende Thematisierung des möglichen Selbst- und Weltverhältnisses (und, wie wir noch sehen werden, des Gottesverhältnisses) des Individuums, entsprechend des dir eigentümlichen "Gemüthes" aus, d.h. entsprechend des dir wesensmäßig •268 Vgl. Pr. I, 112, 22-28 "Wer nun diesen gleichsam rohen Stoff nicht für sich zu bearbeiten und sich anzueignen weiß, wer nicht seine Sinne verfeinert, seinen Geschmakk ausgebildet, sich einen Schaz von Gedanken, eine Mannigfaltigkeit von Beziehungen, eine eigne Ansicht der Welt und der menschlichen Dinge erworben hat, der weiß keine Gelegenheit zum Vergnügen zu benuzen, und grade das vorzüglichste geht am sichersten für ihn verloren." 269

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271

Pr. I, 113, 32-40 "Die Vorsehung hat den Menschen nichts ohne Mühe und Arbeit gegeben; Schmeichelei und Gunstsuchten ist freilich ein harter Dienst, und er findet auch wohl noch seinen Lohn: aber doch ist jene allgemeine Verbindung der menschlichen Dinge, in der alles fest gegründet ist was wir oft thörichterweise dem Zufall zuschreiben, sie ist nicht darauf eingerichtet denjenigen zu begünstigen, der sich in irgendeinem Stükk lediglich darauf verlassen will. Darum ruht kein Segen auf dem, was je so erworben ist, es harret nicht aus." Pr. I, 114, 22-30 "... statt etwas tüchtiges zu verrichten, hält er (sc. der "Träge") nur mit Genauigkeit über äußeren Gebräuchen; die hergebrachte Sitte ist seine Tugend, und die herrschende Meinung ist sein Verstand. Haltet Ihr dies für eine verzeihliche Schwachheit: so bedenkt, daß nichts geringeres darin liegt, als ein Widerstreben gegen alles Bessere. Alle Fortschritte im menschlichen Wissen und Leben werden dadurch gehemmt, der Kampf des Lichtes und der Finsterniß wird erschwert, das Reich der Vorurtheile und des Aberglaubens wird geschüzt und verlängert." Siehe diese Arbeit S. 171 ff.

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eigenen, freien, inneren Selbst. Verpönt ist dagegen "die kraftlose Unselbständigkeit", die dem Bemühen des Subjekts um Gleichgestaltung mit der jeweils in Geltung stehenden durchschnittlichen Sittlichkeit zugrundeliegt, und sich als solche spätestens dann entlarvt, wenn die gesellschaftliche Entwicklung eine notwendige neue Stufe ihrer sittlichen Entwicklung beschreitet 272 . Zum Zweiten: Die Beziehung der Überindividualität der sittlichen Bestimmung zur Individualität des Individuums ist von der Art, daß es keine wahre "Erkenntniß", keine wirkliche "Herrschaft über die Gewohnheit" und keine wahrhaften "tugendhaften und gemeinnüzigen Handlungen" gibt, denen nicht einzig und allein der Antrieb zu selbständiger Ausbildung der ursprünglichen Individualität zugrundeliegt 273 . Umgekehrt verhindert die Bezogenheit alles individuellen Handelns auf die Überindividualität der sittlichen Bestimmung, daß dieses Handeln egoistisch wird 274 . Anders gesagt. Die Selbstbeziehung alles individuellen Handelns ermöglicht seine sittliche Bezogenheit, und die sittliche Bezogenheit alles individuellen Handelns ermöglicht seine wahre (sittliche) Selbstbeziehung 275 . Dieses Schema, in dem die Auffassung von der Wirklichkeit des Bösen als ein mit der menschlichen Natur gleichursprünglicher Willenskonflikt mitenthalten ist (nämlich in der Erkenntnis, daß die sittliche Bezogenheit die notwendige Voraussetzung für das die wahre Selbstbeziehung herstellende individuelle Handeln ist), ist das Ergebnis der Vertiefung der er272

Pr. I, 115, 30-38 "Die Menschen haben nicht nur keine wahre Achtung für den, der den Weg der Thätigkeit nicht einschlagen will, um sie zu verdienen; sondern wenn nun das, was er nachgeahmt und nachgesprochen hat, zum Besseren fortschreitet, wenn die Vorurtheile abgelegt, die Sitten vereinfacht, die leeren Äußerlichkeiten mehr und mehr hinweggeschafft werden, und also die Mittel ihm unter den Händen verschwinden, die er allein zu benuzen verstand: dann steht er in trauriger BlöBe da, und wohlverdiente Schmach und Verachtung trifft die kraftlose Unselbständigkeit." 273 Vgl. Pr. 1,117,3-10. 274 Pr. I, 119, 19-24 "Die Neigung des Gemüths sich zu gewöhnen, die Unart sich unterjochen zu lassen von der Wiederholung, und irgend etwas ohne Bewußtsein und unwillkührlich zu thun, oder vielmehr in sich vorgehn zu lassen, diese Fäulniß des Geistes weicht keinem äußere Mittel, sondern nur den Verrichtungen des innern Lebens, der Macht des Willens und des Selbstbewußtseins." 275 Vgl. "Denkmale" S. 118 (Zweites Tagebuch Nr. 34) "Wer sich nicht selbst anschaut / nie wird er das Ganze begreifen / Wer nicht das Ganze gesucht/ findet wol nimmer sich selbst." "Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe". Vgl. auch Monologen S. 38.

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kenntnistheoretisch gemeinten Unterscheidung zwischen dem freien Vermögen des Menschen zum Handeln und der Realisation dieses Vermögens in konkreten Handlungen zu einer Metaphysik der Individualität (Individualität als Grundprinzip der erscheinenden Wirklichkeit), die in den Predigten v.a. hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Ethik zur Geltung gebracht wird. 2. Zunächst ist Religion als individuelle, kontingente und irreduzible Erscheinung des geistigen Kosmos davor zu bewahren, als "Vorbereitungsmittel" für einen anderen Teil desselben Kosmos vereinnahmt zu werden. So verstanden kann sie nur "in einem Gemüth wohnen..., welches noch nicht fähig ist, sie selbst in ihrem eigenen Werth aufzufassen" 276 . Als "Vorbereitungsmittel" (und zwar für die Moral!) wird die Religion genau dann aufgefaßt, wenn ihre Apologetik von denen betrieben wird, die "die Lehren derselben auf eine solche Art in Schuz nehmen und vertheidigen, daß in der That das Eigenthümlichste und Vortrefflichste davon verloren gehen würde, wenn sie nichts weiter bedeuten sollten, als was diese davon übrig lassen" 277 . Das ist aber nichts anderes als der volkspädagogische Sinn der religiösen Lehren 278 . Es gilt für Christus wie für alle auf ihn hin Glaubenden, daß deren Handeln immer als das Resultat zweier Faktoren aufzufassen ist, die sich zumindest nicht widersprechen dürfen: die mit dem göttlichen "Beruf' sich verbindende allgemeine sittliche Bestimmung und die Eigentümlichkeit der persönlichen "Gemüthsart" 279 . Der "Anblikk eines Frommen" erzeugt nicht deshalb "einen so eigenen und wunderbaren Eindruck", weil an ihm "unwandelbare Rechtschaffenheit" oder "unerschütterliche^) Gleichmüthigkeit... bei allen Vorkommenheiten des Lebens" sichtbar werden; selbst nicht der "freundlichen Liebe wegen, die der Fromme allen seinen vernünftigen Mitgeschöpfen entgegenträgt" verdankt sich letztendlich dieser Eindruck 280 . Von ihren "Aeußerungen" ist das

27

6

Pr. 1,134,18-20. Pr. 1,124,30-33. Vgl. Pr. 1,125,32ff. 279 Pr. I, 129, 28-34; vgl. Pr. I, 130, 5-10 "Denn auch wir haben einen von Gott uns angewiesenen Beruf, auf den wir Alles beziehen; auch wir haben Grundsäze zu befolgen, denen wir treu bleiben müssen; auch wir haben eine Gemüthsart, deren Eigenthümliches wir überall darstellen und ausdrükken sollen: das, und das allein heißt einfaltig wandeln vor Gott." 2 80 Pr. 1,151,3,5,19,31f.;Pr. 1,152, l l f . 277

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"innereC.) Wesen" der Frömmigkeit zu unterscheiden 281 . Für dieses ist überall, zu allem und in allem Irdischen die Bezogenheit zum Göttlichen unmittelbar erschlossen. "Der Gedanke an Gott begleitet den Frommen überall hin, nicht der bloße Gedanke, er sieht und empfindet überall das ewige Wesen; und weil er Alles in unmittelbarer Beziehung auf diesen einen und großen Gedanken thut und denkt, so ist in ihm und um ihn her nichts unbedeutend und geringfügig, und neben dem irdischen Leben, welches er mit andern gemein hat, führt er noch ein anderes himmlisches und göttliches. Alles legt hievon ein Zeugniß ab"282. Das unmittelbare Erschlossensein der Beziehung des Irdischen auf das Göttliche begründet nun aber auch eine neue, jenseits des Pflichtgehormsams liegende, individuelle Sittlichkeit. Der fromme oder religiöse Mensch erfüllt die "Forderungen seines Gewissens" nicht "mit schwerem Herzen", sondern "mit Lust und Liebe"283. Hinsichtlich seiner Bestimmung zur sittlichen Vollkommenheit ist er deshalb immer schon am Ziel, d.h. das unmittelbare Erschlossensein der Beziehung des Irdischen auf das Göttliche schließt ein das unmittelbare Erschlossensein der sittlichen Vollkommenheit des frommen Menschen für ihn selbst. Sein sittliches Leben verliert den für alle nicht-religiöse Menschen hinsichtlich ihres höchsten Strebeziels gültigen Kampfcharakter. Überhaupt erscheint für Schleiermacher alle Pflicht- und Vervollkommnungsethik in spezifischer Weise unterbestimmt, weil sie von einem Stand des Menschen ausgeht, in dem er von dem Umfangensein durch die gegenwärtige Wirklichkeit des Göttlichen und dem unmittelbaren Erschlossensein der göttlichen Wirklichkeit für das erkennende Subjekt selbst nichts weiß. "Seine (sc. des Frommen) Liebe bedarf keiner Aufforderung, keiner Befestigung; denn sie ist der natürliche Widerschein von der ihm immer gegenwärtigen Liebe 281

Pr. 1,152,19-23 "Nein, nicht jene Äußerungen der Gottseligkeit, welche sie mit andern löblichen Eigenschaften des Menschen gemein hat, ergreifen jedes Herz auf eine so eigene Weise, sondern die, woraus sich ihr inneres Wesen unmittelbar zu erkennen giebt." 282 Pr. I, 152, 23-30; vgl. "Denkmale", S. 139 (Drittes Tagebuch Nr. 152) "Das höhere Leben ist ununterbrochen fortgehende Beziehung des Endlichen a u f s Unendliche." Die Nähe all' dieser Predigtgedanken zu den Reden über die Religion ist offensichtlich (vgl. Wendland, a.a.O., S. 96ff.; Wehrung, a.a.O., S. 293flf.). 283 Pr. 1,132,33-35; vgl. Z. 36-38 "Wehe dem, der wie ein Miethling nur um des Lohnes willen die Geschäfte seines Berufs verrichtet!"

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Gottes"284. Die Begründung einer neuen, jenseits des Pflichtgehorsams liegenden Moral in dem "himmliche(n) und göttliche(n) Leben", das der Fromme führt, läßt sich als ein Systemelement romantischer Religionstheorie und Ethik bei Friedrich Schlegel nachweisen. "So kann ich doch im strengen Sinn nur das für Religion gelten lassen, wenn man göttlich denkt, und dichtet, und lebt, wenn man voll von Gott ist; wenn ein Hauch von Andacht und Begeisterung über unser ganzes Seyn ausgegossen ist; wenn man nicht mehr um der Pflicht, sondern alles aus Liebe thut, bloß weil man es will, und wenn man es nur darum will, weil es Gott sagt, nämlich Gott in uns"285. 3. Das Verhältnis zwischen dem einzelnen und dem Ganzen (entweder eine konkrete sittliche Gemeinschaft oder die Totalität der sittlichen Idee) verschiebt sich in charakteristischer Weise so, 284

Pr. I, 152, 36-38 Man beachte den indikativischen Modus in den folgenden Zitaten. Pr. I, 152, 30-36 "Seine (sc. des Frommen) Treue und Redlichkeit hat eine ganz e i g e n t ü m l i c h e Gestalt, weil durch diesen göttlichen Sinn alle Begierden, die ihn versuchen könnten, zum Schweigen gebracht sind. Seine Ruhe wird nicht einmal durch Hofnung oder durch das Bedürfnis zu hoffen gestört: denn sie gründet sich auf das Bewußtsein, daß das Hauptgeschäft seines Lebens doch unter allen Umständen ununterbrochen fortgeht"; Pr. 1, 157, 21-23 "So begegnet es auch dem, welcher den Herrn sucht, nicht, daß er in Versuchung wäre, etwas Gott mißfälliges in sein Leben aufzunehmen"; Pr. 1,157, 26-29 "... sein ganzes Leben ... besteht aus reinen Tönen, die mit kunstloser Leichtigkeit auf einander folgen". 285 f . Schlegel, Athenaeum 2. Band S. 14. Dazu Herms, Herkunft S. 245 "Dabei liegt in der Religion das Lebenszentrum der Individualität. In der Passivität der unmittelbaren Selbsterfahrung wird sie des eigenen Unendlichkeitsaspektes inne, ihrer Beziehung auf das Unendliche, ihres unendlichen Strebens. In der Selbsterfahrung konstituiert sich die Moralität... So ergibt sich eine durch den Primat der Religion ausgezeichnete unmittelbare Zuordnung von Religion und Moral. Diese muß religiös und jene moralisch tätig sein. In der Erfahrung des Selbst begründet vollzieht sich Moralität als Darleben und Bilden der eigenen Individualität." Br. IV, S. 540 ( = Schleiermachers Rezension von Schlegels Roman "Lucinde", 1800) "Durch die Liebe eben wird das Werk nicht nur poetisch, sondern auch religiös und moralisch. Religiös, weil sie überall auf dem Standpunkt gezeigt wird, von dem sie über das Leben hinaus in das Unendliche sieht; moralisch, indem sie von der Geliebten aus sich über die ganze Welt verbreitet und für Alle, wie für sich selbst, Freiheit von allen ungebührlichen Schranken und Vorurtheilen fordert"; vgl. Schleiermachers "Vertraute Briefe über F. Schlegels 'Lucinde'" (1800), in: Fr. Schleiermacher, Kl. Sehr. u. Pr. Bd. I, S. 149. Danach ist die Selbstbildung zur Individualität als der Kern der romantischen neuen Moral anzusehen. Die

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

daß das einzelne eine Aufwertung gegenüber dem Ganzen erfährt. Bestand vorher die Möglichkeit des sittlichen Wertes des einzelnen darin, daß es sich der Totalität der sittlichen Idee als dem Wertallgemeinen gleich zu gestalten vermochte, so bekommt es nun für sich selbst einen sittlichen Wert zugeschrieben. Für Schleiermacher ergibt sich dieser Sachverhalt aus der Tatsache, daß das Wertallgemeine bzw. die Totalität der sittlichen Idee (das "Gute") nicht anders will und kann, als sich in einzelnen Gestalten individuell-originär zu realisieren. Die Mannigfaltigkeit der Arten individueller Ausbildung und Beförderung des Guten sind gleichberechtigt und gleich wertvoll gegenüber dem Wertallgemeinen und diesem selbst angemessen 286 , weil das Ganze (die jeweilige konkrete sittliche Totalität) nur das Ergebnis gemeinsamen, die Originalität des Individuums achtenden und konstitutiv einbeziehenden Handelns sein kann 287 . Denn es gilt ja: "Wo ein Mensch steht, da steh(t) auch ein eigenthümliches Wesen, welches ein eignes Gesez und Urbild seiner Handlungen in sich selbst (trägt)" 288 . Die Mannigfaltigkeit der menschlichen Natur in Hinsicht auf ihre natürliche Organisation und auf ihre geistige Originalität verkündigt die Unendlichkeit Gottes 289 . Dabei bleibt die im christlichen Glauben an das Reich Gottes gründende sittliche Bezogenheit als die allem individuellen Handeln Richtung und

Kritik der Gegner des Romans von Schlegel beruht auf dem Unverständnis dieser ethischen Auffassung. "Der Mensch soll eben nicht Zeit haben, etwas zu suchen, am wenigsten sich selbst, und wenn er sich gefunden hat, begreifen sei auch nicht, warum er so ein Freudenfest anstellt, als habe er eine nüzliche Entdeckung gemacht." -8K Pr. I, 145, 1-5 "So soll jede Art zu handeln, die nur mit seinen (sc. Gottes) Geboten übereinstimmt, irgendwo zur Wirklichkeit kommen; so soll die Mannigfaltigkeit, deren das Gute im Menschen fähig ist, sich offenbaren und auf jedem Wege sein Willen geschehen und sein Reich herbeigeführt werden"; vgl. Pr. 1,144,25-39; Pr. 1,82,20 23. 287 vgl. Pr. IV, 10, 25-30 "Es gehört zum Wohl eines Volks, daß jedes aufgeweckte Gemüth Gelegenheit finde, sich einen Wirkungskreis zu machen, um mit seinen Gaben andern vorzuleuchten, und dieser Endzwekk wird verfehlt, wo man gelernt hat, jedes aufkeimende Talent zu ersticken, wo man aus Neid lieber das hergebrachte aufrecht erhält, als das bessere fremde verbreitet." Zimmer II, S. 27 "Einen Wirkungskreis zu haben, muß jedenfalls unser Zweck sein, dem wir etwas aufopfern"; vgl. Pr. 1,120,16-22; Pr. 1,85,40-86,2; Pr. 1,19,4-9; Pr. 1,146,28-32. Pr. 1,83,16-18. «88 Vgl. Pr. 1,180,18 22.

"Individualität" als Kernbegriff

253

Ziel weisende, gemeinschaftliches Leben ermöglichende, vorgegebene Bestimmung menschlicher Existenz in Geltung 290 . Das aufgrund individuell-originären Handelns ermöglichte gemeinschaftliche Leben ist in spezifischer Weise von Schleiermacher charakterisiert als Leben in "Freundschaft" 291 . Das Verständnis von gemeinschaftlichem Leben als "Freundschaft" zeichnen folgende Faktoren aus. Erstens: denkbarste Ausweitung von Kommunikation auf den Austausch von "Gesinnung" als die Weise, wie Individuen einander auf das "Innerste" ihres Herzens wirken 292 . Zweitens: Vereinigung von "gleichgestimmte(n) Gemüther(n)" in Bezug auf solche die menschliche Existenz konstitutiv bestimmende (also religiöse und sittliche) Sachverhalte 293 ; drittens: "herzliche(..) Liebe"294. So verstandene Gemeinschaft als "Freundschaft" kann nicht durch die "Veränderlichkeit des menschlichen Herzens" ernsthaft gefährdet werden, denn "diese erstrekkt sich nicht bis in diejenige Tiefe, worin wahre Freundschaft ihre Wurzeln schlägt" 295 . Die Auffassung von Gemeinschaft als "Freundschaft" läßt ihre romantische Herkunft schließlich endgültig offenbar werden, wenn sie mit gegenwärtig bestehenden, gesellschaftlich eingebundenen und institutionell abgesicherten Gemeinschaftsformen identifiziert wird. So soll die Abendmahlsgemeinschaft als der "Bund der Bruderliebe und der treuen Nachfolge Jesu" 296 ein Abbild der "Freundschaft" als dem "Band der Liebe und des Wohlwollens" 297 innerhalb der kirchlichgesellschaftlichen Wirklichkeit sein. Die "Gemeine Christi" soll 290 Vgl. Pr. I, 175, 1-4, 8-11, 20-30. Zimmer II, S. 21 "In Rücksicht unserer Talente kommt alles auf den Geist an. Ohne den Geist hat auch das Größte keinen Wert." 291 In umfassender Weise hat Betty Heimann dieses Thema für den "romantischen" Schleiermacher behandelt in ihrer Studie "Die Freundschaft in Schleiermachers Leben und Lehre", in: Romantik-Forschungen, Halle 1929, S. 1-49. 292 Pr. 1,46,4,40-47,1; Pr. 1,56,24f. "Eröfnung der innersten Geheimnisse des Herzens." 293 Vgl. Pr. 1,46,15; Pr. 1,56,31 "Uebereinstimmung der Denkart", "Aehnlichkeit der Empfindungen"; Pr. 1,48,22 "Vereinigung des Geistes". Vgl. Br. I, S. 195 (1798 an H. Herz) "Eigentlich giebt es doch keinen größeren Gegenstand des Wirkens, als das Gemüth, ja überhaupt keinen andren, wirken Sie etwa da nicht?" 294 Pr. 1,47,14; Pr. 1,56,25f. 295 Pr. 1,46,26-28. 29 6 Pr. 1,48,25f. 29 7 Pr. 1,48,19f.

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Theologie der Predigten von 1797 bis 1804

selbst sein "die Gesellschaft von Menschen, denen Uneigennüzigkeit und Wohlwollen, Theilnahme und hülfreiche Liebe natürliche Gesinnungen sind, unter denen jede Weisheit und jede Vollkommenheit vorhanden und zum Dienste eines Jeden bereit" sind298. Es zeigt sich somit, daß die spezifische Qualifikation von Gemeinschaft als "Freundschaft" bei Schleiermacher einerseits von solch grundlegendem Charakter ist, daß sie die Möglichkeitsbedingungen und gleichzeitig die Zielbestimmungen von Kirche (verstanden als institutionell abgesicherte und gesellschaftlich eingebundene Gemeinschaftsform) und der ihr eigenen Kommunikationsformen liefert; daß sie andererseits, weil die Frage der Operationalisierbarkeit ihrer Einzelbestimmungen völlig ausgeklammert ist, faktisch keine Möglichkeiten zur Ausbildung von handlungsleitenden Theorien in sich birgt (was sie freilich ihrem eigenen Anspruch nach behauptet). So bleibt der romantische Gemeinschaftsgedanke, der sich als Sollbestimmung gegenüber der institutionellen Verfasstheit des Christentums immer wieder unmittelbare Gültigkeit verschafft (obwohl sein Begründungszusammenhang nicht dem christlichen Glauben entnommen ist), Ideal, entgegen seiner Intention prägend allenfalls für die face-toface Kommunikation jenseits der die öffentliche Kommunikation (mit ) gestaltenden und (mit-) regelnden kirchlichen Institution. Ist das die Crux des romantischen Kirchenverständnisses überhaupt? 7. ZUSAMMENFASSUNG Die Möglichkeit der moralischen Selbstverantwortung des einzelnen wird von Schleiermacher erkenntnistheoretisch mittels der Konzeption des freien Selbst gedacht. Das Subjekt kann deshalb zur Verantwortung für sein Handeln verpflichtet werden, weil sich ihm in einem Akt unmittelbarer Selbsterkenntnis sein Selbst als innerer, freier und individueller Grund seiner sämtlichen empirischen Akte erschließt. Wenn die Sittlichkeit erkenntnistheoretisch im freien Selbst gründet, dann bildet die Individualität das Materialprinzip des Sittlichen. Das Problem der Kulturtheorie, die sich ansatzweise in den Predigten finden läßt, besteht darin, ob das individuelle Ethos die Einheit des Sittlichen zu begründen vermag. Die Möglichkeit der Sittlichkeit gründet onto298

Pr. 1,49,12-16.

Zusammenfassung

255

logisch in der geschöpflichen Struktur der erfahrbaren Wirklichkeit, worin alle Dinge in einem bedeutungsvollen, teleologischen, d.h. in einem auf den Menschen (als das zur Gottebenbildlichkeit bestimmte Geschöpf) hin geordneten Zusammenhang stehen. In dieser ontologischen Interpretation des Wirklichkeitsverständnisses des Glaubens ist Schleiermacher von Spinoza abhängig; das Verständnis des Glaubens als unmittelbare Gewißheit über die vorgegebene Struktur menschlicher Existenz und damit über diese selbst zeigt den Einfluß Jacobis. Die Gewißheit des Glaubens ist zugleich die Gewißheit des Gewissens über die vorgegebene Bestimmung des Menschen zur sittlichen Vollkommenheit. Da aber mit der Erkenntnis dieser Bestimmung noch nicht die Willensübereinstimmung zwischen Mensch und Gott gegeben ist, werden für den Glauben Person und Werk Jesu Christi unabdingbar. Sein Werk ist die endgültige Bestätigung der göttlichen Liebe zu seinen Geschöpfen trotz der Wirklichkeit des Bösen in der Welt; in seiner Person aber besitzt der Glaube die einzige Möglichkeit zur leibhaften Anschauung der Willensübereinstimmung zwischen Schöpfer und Geschöpf. In der Auffassung des Bösen als ein mit der menschlichen Natur gleichursprünglicher und irreversibler Willenskonflikt bleibt Schleiermacher einerseits der Tradition von Spalding und Kant verhaftet. Es zeigt sich, daß die Verwendung des Begriffs der Einbildungskraft (als Exponent des Gegensatzes zum Selbst- und Weltverständnis des Glaubens) den sinnlichen Anschauungsbegriff Kants vorausgesetzt. Der Begriff der Individualität wird unter dem Einfluß F. Schlegels von Schleiermacher ausgeweitet zur "Metaphysik" der Individualität (als Grundprinzip der erscheinenden Wirklichkeit). Das führt nicht nur zu einer Modifikation des Begriffs des Bösen, sondern auch zur Ausbildung der romantischen Religionstheorie und Ethik in den Predigten.

SCHLUSS: DAS VERHÄLTNIS VON SCHLEIERMACHERS PREDIGTEN ZU SEINEN ROMANTISCHEN SCHRIFTEN 1. DER ERTRAG DER UNTERSUCHUNG DER PREDIGTEN UND DAS DAMIT AUFGEWORFENE PROBLEM 1.1 Der Ertrag Zentrales Thema der Predigten des untersuchten Zeitraumes (1789-1804) ist die moralische Selbstverantwortung des empirischen Individuums. Im Laufe der Jahre erfuhr dieses Thema jedoch eine Zuspitzung: Schleiermachers Interesse richtete sich verstärkt auf die Frage nach der nicht im empirischen Subjekt wurzelnden Möglichkeit individueller Selbstverantwortung. Der mit dieser Frage angesprochene Sachverhalt bildete mehr und mehr den Mittelpunkt des thematischen Interesses Schleiermachers. Es ist ihm nicht möglich, die moralische Selbstverantwortung als eine in sich selbst gegründete Möglichkeit des empirischen Individuums zu verstehen. Schleiermacher hat jedenfalls in den Predigten von Anfang an der moralischen Vernunft keine Autonomie zuerkannt. Die Zuordnung von Religion und Moral im individuellen sittlichen Bewußtsein dachte sich Schleiermacher so, daß die menschliche Vernunft nur geleitet von der Religion sich selbst richtig zu verstehen vermag. Dabei war allerdings im Gefolge der aufgeklärten Theologie des Typus eines J.J. Spalding ein funktioneller Religionsbegriff vorausgesetzt, der seinen Ort innerhalb einer empirisch-psychologisch fundierten, anthropologischen Theorie besaß. Religion ließ sich lediglich thematisieren unter der fundamentalen Bezo-

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Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

genheit auf die Frage nach der wahren, d.h. Rechtschaffenheit einschließenden Glückseligkeit des Menschen. Neue Impulse für die Lösung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion und Sittlichkeit erhielt Schleiermacher durch die Rezeption von Kants Religionsschrift. Erstens fand er dort seine bereits an Spaldings Schriften bewährte Auffassung von der Wirklichkeit des Bösen sowohl bestätigt als auch weitergeführt in der Erkenntnis der menschlichen Freiheit als dem Ermöglichungsgrund des Bösen. In den Landsberger Predigten gilt Schleiermacher der Glaube als der Ermöglichungsgrund für die moralische Selbstverantwortung des Individuums, d.h. f ü r das der vorgebenen sittlichen Bestimmung entsprechende Handeln des Menschen. Mit Kant bestimmte er die Darstellung der sittlichen Praxis als die objektive Seite des Glaubens. Dabei galt ihm der Glaube zunächst als das auf das Bewußtsein von der Geschöpflichkeit der Welt und des Menschen gegründete Vertrauen auf den göttlichen Beistand für solches Handeln von Individuen, das in der Absicht auf Entsprechung zur im Bewußtsein der Geschöpflichkeit eingeschlossenen Bestimmung des Menschen geschieht. Die Möglichkeit der sittlichen Praxis des Glaubens ergab sich schließlich aufgrund einer unverkennbar von Spinoza gespeisten, ontologischen Vertiefung im Glaubensverständnis Schleiermachers. Dem aus Glauben Handelnden können sich innerhalb des von Gott abhängigen endlich Seienden keine seine Bestimmung zur sittlichen Vervollkommnung zunichtemachenden Mächte gegenüberstellen. Umgekehrt lag für Schleiermacher in den Landsberger Predigten das Wesen der Sünde gerade darin beschlossen, die dem gemäß geschöpflicher Bestimmung Handelnden in der Versuchung begegnenden widerstrebenden Kräfte als das an sich, d.h. nicht unter der Abhängigkeit von Gott stehende Böse aufzufassen. In dreifacher Hinsicht präzisierte Schleiermacher in der Folgezeit seine in der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion und Sittlichkeit zentrierte Theologie der Predigten: zunächst in der näheren Bestimmung dessen, wodurch der Glaube als christlicher seine eigentümliche geschichtliche Gestalt gewonnen hat; sodann durch die Beschreibung der Weise, in welcher das Bewußtsein von der geschaffenen Struktur der erkennbaren Wirklichkeit dem Glauben innewohnt; schließlich durch die Klärung des Verhältnisses zwischen der Überindividualität der geschöpflichen Bestimmung und der Individualität der in Entsprechung zu jener

Der Ertrag der Untersuchung

259

Handelnden. Zunächst entwickelte sich aus einem bestimmten Defizit seines Glaubensverständnisses (die Erkenntnis der Möglichkeit des der geschöpflichen Bestimmung entsprechenden Handelns erzeugt noch nicht den Willen zu einem solchen Handeln) das ernsthafte Bemühen Schleiermachers um die materiale Anbindung seines Glaubensverständnisses an die geschichtliche Ursprungsgestalt des Christentums. In Jesus Christus ist dem Glauben die leibhafte Anschauungsmöglichkeit für das Aufgehobensein der für alles menschliche Handeln geltenden Spannung zwischen Erkenntnis und Wille, damit aber die Anschauung der Willensübereinstimmung zwischen Mensch und Gott geschenkt. In ihm findet der Glaube die letztgültige Bestätigung der göttlichen Liebe zu seinen Geschöpfen trotz der Wirklichkeit des Bösen in der Welt. Sodann faßte Schleiermacher unter dem Einfluß Jacobis das im Glauben enthaltene Bewußtsein von der geschaffenen Struktur des erkennbar Wirklichen und von der geschöpflichen Bestimmung des Menschen genauer als unmittelbare Gewißheit des Glaubens über die vorgegebene geschaffene Struktur der menschlichen Existenz und damit über diese selbst, und als die darin mitgesetzte unmittelbare Gewißheit des Gewissens über die dem Menschen ebenso vorgegebene Bestimmung zur sittlichen Vollkommenheit. Schließlich versuchte Schleiermacher die empirische Individualität der Handelnden als einen konstitutiven Faktor in die in der Theorie der Sittlichkeit und der Theorie der Religion enthaltenen allgemeinen Bestimmungen einer umfassenden anthropologischen Theorie einzubringen. Von dem Versuch der Lösung dieser Aufgabe sind, wie alle Arbeiten Schleiermachers aus der romantischen Periode, auch die Predigten gekennzeichnet. Für die Predigten ergab sich dabei folgendes charakteristisches Bild: eine notwendige Bedingung zur Lösung der Aufgabe sah Schleiermacher in der Konzeption des freien Selbst erfüllt, d.h. mit der Annahme der Möglichkeit einer individuellen Selbsterkenntnis, in der das Individuum sich in seinem Handeln als frei erkennt, dem Willen Gottes mit seiner Schöpfung sowohl zu entsprechen als auch zu widersprechen. Die Konzeption des freien Selbst ist von Schleiermacher als Erkenntnistheorie entwickelt worden. Wir haben darüberhinaus zeigen können, daß der Begriff der Individualität als Grundprinzip der erscheinenden Wirklichkeit im ganzen, d.h. die metaphysische Ausweitung als Individualitätsprinzip im genuin romantischen Sinn in den Predigten als abge-

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Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

leitet von der ursprünglich erkenntnistheoretisch begründeten Konzeption des freien Selbst erscheint. 1.2 Das Problem Das neuverstandene Individualitätsprinzip führt einerseits zur Ausbildung der romantischen Religionstheorie und Ethik in den Predigten, andererseits zu einer Modifikation des Begriffs des Bösen. Religion ist das unmittelbare Erschlossensein der Bezogenheit alles Irdischen auf das Göttliche für das erkennende Subjekt selbst. Sittlichkeit ist das unmittelbare Erschlossensein der sittlichen Vollkommenheit für das handelnde Subjekt selbst. An der Konzeption des freien Selbst wird deutlich, daß der neue theoretische Ansatz nicht einfach unvermittelt neben früheren steht. Sondern es ist Schleiermacher gelungen, hinsichtlich ihres zeitlichen Ursprungs und ihrer sachlichen Herkunft verschiedene theoretische Einflußlinien in den Predigten zu verarbeiten. Im Verhältnis sachlicher Anknüpfung und Weiterführung (nicht Widerspruch!) stehen zueinander: die Konzeption des freien Selbst und der romantische Individualitätsbegriff; Glaube als unmittelbare Gewißheit von der Struktur menschlicher Existenz und Religion als das unmittelbare Erschlossensein des Transzendenzbezuges der erscheinenden Wirklichkeit für das erkennende Subjekt selbst; die sittliche Bestimmung als die dem Glauben eignende unmittelbare Gewißheit des Gewissens und das unmittelbare Erschlossensein eben dieser Bestimmung für das handelnde Subjekt selbst (als das sein Handeln leitende wahre Selbstverständnis). Trotzdem bleibt eine gewichtige Spannung bestehen: hinsichtlich des Begriffs des Bösen stoßen zwei Konzeptionen zusammen, nämlich die von Spalding und Kant herstammende Auffassung des Bösen als ein mit der menschlichen Natur gleichursprünglicher Willenskonflikt, und die romantische Auffassung des Bösen als die Selbstbeschränkung und Nichtachtung der Individualität bei der Ausbildung von Sittlichkeit. Hier hat Schleiermacher letztlich keinen Ausgleich und nicht die (nötige!) Verhältnisbestimmung geschaffen, auch wenn man nicht von einem direkten Widerspruch reden kann 1 .

1

Das ethische Schema der Individualität begreift die Auffassung des Bösen als Willenskonflikt mit in sich (siehe oben S. 248f.).

Der Ertrag der Untersuchung

261

Doch das Problem verschärft sich noch einmal, wenn wir daran denken, daß der von Schleiermacher verwendete Begriff der "Einbildungskraft" den sinnlichen Anschauungsbegriff Kants eindeutig voraussetzt. Welchen Anschauungsbegriff setzt aber die metaphysische Ausweitung der Konzeption des freien Selbst zum im eigentlichen Sinn romantischen Individualitätsbegriff voraus? Nach übereinstimmender Auffassung 2 kulminiert die Beschreibung des Wesenskerns des frühromantischen Gedankenkreises bei Schleiermacher im Begriff der intellektuellen Anschauung. Nach Dilthey erklärt Schleiermacher "Sinn" zur "psychologischen Grundlage" für den "religiösen Vorgang". Der Sinn "richtet sich...auf den ungeteilten Eindruck eines Ganzen in einer jeden" Erscheinung 3 . "Sinn" ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit für die sittliche, d.h. die nur sinnliche Anschauung entgrenzende Bildung. "Sinn" definiert sich als der "Trieb" über die sinnliche Wahrnehmung hinaus "anzuschauen"; dieser 'Trieb" steht in einem komplementären Verhältnis zur "sinnlichen Wahrnehmung" 4 . Wenn der Sinn sich nun auf das Unendliche, d.h. auf das Wirklichkeitsganze richtet, dann entsteht als unmittelbare Folge des Berührungsmomentes zwischen dem anschauenden Subjekt und seinem "Gegenstand" (das Unendliche) die "Anschauung des Unendlichen in einer endlichen Erscheinung...und ein gegenüber dem Unendlichen notwendig überströmendes, mächtiges Gefühl'*. In beidem erscheint die spezifische Religiosität des Subjekts 6 . Im Akt der Selbstanschauung schaut sich das Selbst durch "die unmittelbare Beziehung zu dem Ewigen und Unendlichen" be2

Vgl. zum folgenden Dilthey, LSchlr I, 1, S. 313ff.; Hirsch, Geschichte der neuern ev. Theologie Bd. IV, 1968/4, S. 500ff.; Herms, Herkunft S. 235ff.; Ebeling, Zum Religionsbegriff Schleiermachers, in: "Reformation und praktische Theologie", S. 61-81; Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, S. 166fT. 3 LSchlr 1,1, S. 320. 4 LSchlr I, 1, S. 322. Die Realität der Erscheinungswelt bleibt unbestritten (LSchlr 1,1, S. 323). 5 LSchlr 1,1, S. 321. 6 Schleiermacher faßt das Verhältnis von Endlichem und Unendlichem "mystisch" auf und betont einmal die Trennung des Unendlichen (das "Ewige", das "Eine und Alle", das "Ganze") vom Fluß der endlichen Dinge, sodann aber auch die Gegenwärtigkeit des Unendlichen im Endlichen (LSchlr 1,1, S. 325f.). Entsprechend ist für Schleiermacher Individualität einmal die charakteristische Gestalt endlicher Wirklichkeit, sodann aber mögliche Ausdrucksform des Unendlichen (LSchlr 1,1, S. 328).

262

Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

stimmt an und transzendiert dadurch seine Existenz als bloße Gestalt endlicher Wirklichkeit 7 . Hirsch sieht das Kennzeichnende des "romantischen" Schleiermacher darin, daß dieser den im "Begriff der menschlichen Individualität" gefundenen "eigentliche(n) Mittelpunkt des menschlichen Daseins...ethisch wie metaphysisch" befrachtet 8 . Die "Selbstanschauung des Ich" wird vertieft zur "Selbstanschauung der Individualität", d.h. die Sittlichkeit wird zumindest teilweise "auf die besondre eigentümliche Gestalt des Menschseins" gebaut 9 . Die Idee der Reden ist, daß in der Selbstanschauung des Ich die Anschauung des Universums, wie es im Endlichen sich darstellt, liege. Im Akt der Selbstanschauung ist dem Ich die Wirklichkeit des Unendlichen, zumindest als Gefühl gewiß 10 . In der Selbstanschauung erfährt sich das individuelle Ich als vom Unendlichen abgeleitet, von ihm sein höchstes Leben erhaltend und vor ihm in seiner Eigengeltung zugleich aufgehoben". Die "Anschauung des Universums", die in einer Selbstanschauung des individuellen Ich gründet, ist "etwas durch und durch Individuelles"12. Für Herms läßt sich "der gesamte Gedankenkreis" der romantischen Einflüsse auf den jungen Schleiermacher "als unmittelbare Auswirkung einer Rezeption der Idee der intellektuellen An7

LSchlr 1,1, S. 229 "In der Selbstanschauung und durch sie vollzieht sich der sittliche Vorgang" (LSchlr 1,1, S. 330). Dabei bleiben für Dilthey die ontologische und erkenntnistheoretische Möglichkeit des Vorgangs der Selbstanschauung (bzw. der Anschauung des Universums bzw. der intellektuellen Anschauung) ungeklärt; ihre begrifflich explizierte, wissenschaftlich begründete Ableitung fehlt (LSchlr I, 1, S. 335). - Der Begriff der intellek tuellen Anschauung findet sich zu gleicher Zeit auch bei Fichte, Schelling und Schlegel (LSchlr 1,1, S. 356f., 373f. und 376). 8 Geschichte der neuern ev. Theologie IV, S. 501. » Ebd. S. 510. 10 Diese religiöse Anlage des individuellen Ich muß allerdings erst geweckt und entwickelt werden (ebd. S. 512)! 11 Ebd. S. 513. 12 Ebd. S. 517. Hirsch ist der Meinung, daß Schleiermachers Begriffe von der "Anschauung des Universums" und der "Selbstanschauung des Ich" von Pichte abhängig sind (ebd. S. 504-506; vgl. dagegen Herms, Herkunft S. 237239). Den Unterschied zwischen Fichte und Schleiermacher sieht Hirsch darin begründet, daß bei Schleiermacher einmal die Ich-Individualität letztlich beschränkt bleibt auf die phänomenale Wirklichkeit (vgl. Herms, Herkunft S. 238), und er zweitens die Trennung von "Philosophie und Leben" bei Fichte als unzulässig kritisiert (Hirsch, Geschichte S. 508f.).

Der Ertrag der Untersuchung

263

schauung begreifen". Diese ist die "Idee einer von den sinnlichen Anschauungsformen freien unmittelbaren Anschauung des Selbst". Damit scheint die transphänomenale Fundierung des Selbst "hinfällig geworden zu sein" 13 . Es ist selbst "absolute(r) Grund der Erscheinungswelt" 14 . Die Erscheinungswelt ist die Welt der individuellen Selbste als Manifestationen des Grundes 15 . Aber der Schein trügt; nach Herms hat Schleiermacher vor allem unter dem Einfluß von F. Schlegel an Fichtes Begriff von der Selbstanschauung des Ich entscheidende Korrekturen angebracht. Denn Schlegel und Schleiermacher konvergieren in der Annahme des im Akt der Selbstanschauung unmittelbaren Erschlossenseins des Transzendenzbezugs der endlichen Wirklichkeit und ihres Wesens als Individualität, die jedoch nicht völlig in den "äußeren Manifestation(en)" der phänomenalen Wirklichkeit aufgeht. Für beide blieb die "Realität der endlichen individualen Erscheinungswelt in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit" unbestreitbar 16 . "Anschauen des Universums" als "Primärdefinition von Religion" in der 1. Auflage der Reden meint, so Ebeling11, den bedeutungsvollen Akt des individuellen, unmittelbaren Erschlossenseins des Wirklichkeitsganzen im einzelnen als einen Teil dieses Ganzen für das anschauende Subjekt, ohne daß das Zustandekommen dieses Vorgangs weiter erklärbar wäre. Als wichtig erscheint Ebeling bei diesem Vorgang die Passivität des Subjekts 18 . Die Haltung des Empfangens ermöglicht die Erkenntnis der Individualität als Ausdrucksform des Unendlichen. Doch überschreitet die Erkenntnis der Individualität an keiner Stelle die endliche Wirklichkeit, sondern diese wird erkannt als "die unbegrenzte und unerschöpfte Fülle des Individuellen" 19 Nowak20 versteht unter Anschauung bei Schleiermacher "unmittelbare Wahrnehmung". In der Wahrnehmung konstituiert sich das Wahrgenommene durch den Subjekt- und Objektbezug. Unmittelbar heißt die Wahrnehmung dann, wenn Subjekt und 13

Herms, Herkunft S. 235. i« Ebd. S. 236. is Ebd. S. 236. '6 Ebd. S. 250. 17 Ebeling, Zum ReligionsbegriffSchleiermachers, S. 63. '8 Ebd. S. 72. 19 Ebd. S. 73. 20 Schleiermacher und die Frühromantik, S. 169.

264

Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

Objekt im Akt der Wahrnehmung untrennbar miteinander verbunden sind. Es gibt jedoch keine nicht-sinnliche Anschauung des Unendlichen, sondern nur eine sinnlich vermittelte, subjektive, individuelle. Anschauung meint "die unmittelbare Erfahrung eines intelligiblen Ganzen in seinen Gliedern in einem Akt, der zur religiösen Wesensschau wird" 21 . Ebenso konstituiert sich in der "intellektuellen Anschauung" F. Schlegels das Objekt "in paradoxaler Einheit" mit dem Subjekt 22 . Der Begriff der intellektuellen Anschauung meint also denjenigen Akt unmittelbarer Wahrnehmung, in dem sich das Selbst als der innere, freie und individuelle Grund aller empirischen Akte des Subjekts und das angeschaute Wirklichkeitsganze gleichzeitig und gleichursprünglich dem Subjekt erschließen. Führt damit unsere Untersuchung nicht doch zu der Feststellung eines sachlichen Widerspruchs zwischen den Predigten der 1. Sammlung und den eigentlich so genannten romantischen Schriften Schleiermachers? Nun läßt sich m.E. folgende These über die Geschichte der Erforschung des Schleiermacher lange Zeit bestimmenden romantischen Gedankenkreises formulieren und nachweisen: Im Gegensatz zu der differenzierten, ja minuziösen Analyse des Erkenntnisproblems der Religion und dem Aufweis der Quellen zu seiner Lösung (die Idee der intellektuellen Anschauung und der Begriff der menschlichen Individualität), die Schleiermacher für seine romantische Religionstheorie und Ethik sowohl in den Reden als auch in den Monologen zu nutzen wußte, ist in einer diesen Texten selbst nicht entsprechenden Weise das Bildungs- bzw. Entwicklungsproblem der Religion von der Forschung im ganzen vernachlässigt worden. Die Hauptwirkung dieses Mangels der ansonsten in ihrer sachlichen Kontinuität und Konsequenz beeindruckenden Erforschung des Wesenskerns des romantischen Gedankenkreises bestand darin, daß die Möglichkeit der Erkenntnis der in ihrer sachlichen Zusammengehörigkeit sich einander ergänzenden Predigten und romantischen Schriften erschwert wurde, ihr sachlicher Gegensatz dagegen desto eindeutiger und unbestreitbarer erschien. Umso wichtiger ist die nachdrückliche Betonung der Tatsache, daß gerade in den Monologen, aber auch in den Reden (dort v.a. in der dritten Rede) die Thematik der BilEbd. S. 170. ™ Ebd. S. 258.

Der Ertrag der Untersuchung

265

dung zur Religion ein wichtiges, selbständiges Moment der romantischen Religionstheorie und Ethik Schleiermachers ausmacht, das aber nur im Zusammenhang mit dem Blick auf die Predigten in seiner vollen Tragweite erkannt werden kann. Dilthey sieht zwar die zentrale Bedeutung der Kategorie "Sinn" als psychologischen Ermöglichungsgrund sowohl für die religiöse Anschauung als auch für die in der Selbstanschauung wurzelnde Selbstbildung des Individuums. Aber er bemerkt nicht, daß diese psychologische Grundkategorie für Schleiermacher keine unproblematische Voraussetzung darstellt, sondern daß die Erzeugung von "Sinn" als Bedingung der religiösen wie der Selbstanschauung selbst nur in einem Akt der Selbstbildung als möglich gedacht werden kann. Die Vermutung erscheint berechtigt, daß in diesem Grundvorgang gerade der unverzichtbare, unverwechselbare und unverrechenbare Beitrag des Individuums zum Tragen kommt, mit dessen Hervorhebung sich Schleiermacher so scharf wie prägnant von Fichte unterscheidet. Deutlicher als Dilthey weist Hirsch auf den in der empirischen Individualität des sich selbst anschauenden Ich gründenden Entwicklungsaspekt der Religion hin, ohne jedoch auf die Kategorie des Sinns sprechen zu kommen. Herms thematisiert ebenfalls weder den Entwicklungsaspekt noch die Sinnkategorie. Doch hat gerade er in überzeugender Weise die allerdings entscheidende Differenz gegenüber Fichte (und Schelling) dahingehend interpretiert, daß Schleiermacher wie Schlegel an der geschichtlichen Mannigfaltigkeit der empirischen Individuen und an der Möglichkeit ihrer Vermittlung mit dem in der Selbstanschauung unmittelbar erschlossenen Wesen der Individualität in einer Theorie des Menschen festgehalten haben. Herms entwirft auch seine Darstellung streng von dem für die romantische Religionstheorie und Ethik grundlegenden Standpunkt des Universums aus. Danach ist Sittlichkeit das selbstverständliche Tun der Pflicht aus der religiösen Selbsterfahrung heraus 23 . Als nicht selbstverständlich und damit als offenes Problem individueller Charaktere erschien aber schon Schleiermacher der eine solche religiöse Selbsterfahrung allererst ermöglichende Akt individueller Selbstbildung. Wenn Ebeling die Kategorien von "Bereitschaft", von "Offenheit", bejahendem Entgegenkommen 24 zur Beschreibung des mit dem AnschauungsM Siehe oben S. 250f. 24 G. Ebeling, a.a.O., S. 63.

266

Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

begriff der Reden bezeichneten religiösen Grundvorgangs benutzt, dann berührt er damit die mit der Individualität des zu solcher Anschauung bestimmten Subjekts aufgegebene Thematik der Bildung zur Religion. Die spärlichen Bemerkungen der genannten Autoren zum Entwicklungsproblem der Religion zwingen dazu, schon allein um dem Anschein zu widerstehen, ihre Zurückhaltung besäße Anhalt an den Texten Schleiermachers selbst, die Diskussion dieses Themas eben dort genauer und ausführlicher zu verfolgen. In Frage kommen dafür sowohl die dritte der Reden über die Religion als auch die Monologen. 2. DIE BILDUNG ZUR RELIGION IN DEN REDEN, DEN MONOLOGEN UND DEN PREDIGTEN In der gegenüber der zweiten Rede weniger beachteten, kürzeren dritten Rede markiert Schleiermacher mit der Einführung der Kategorie "Sinn" präzise den Übergang von der Diskussion des Erkenntnisproblems der Religion zu der ihres Entwicklungsproblems. Die Frage lautet nun nicht mehr: Wie muß der Begriff von Religion beschaffen sein, der es gestattet, sie zu verstehen als den das menschliche Leben selbst gründenden Vorgang des In-Beziehung-Setzens des Menschen zum Wirklichkeitsganzen (G. Ebeling)? Die neue Frage, die sich Schleiermacher stellt, heißt jetzt: Wie ist das Zustandekommen dieses Vorgangs für das empirische Subjekt als dessen Bildung zu individuellem religiösen Sinn zu denken 25 ? Er beginnt mit der Feststellung einer grundlegenden Aporie: die als Anschauung und Gefühl des Universums definierte Religion ist nicht lehrbar 26 , die "Anlage" zu ihrer "unfehlbar(en)" Entwicklung im Individuum durch die gesellschaftlich vorherrschende religiös-sittliche Erziehung im Keim erstickt 27 . Wenn Schleiermacher Sinn und Gemeinschaft mit dem Univer25 26

27

Vgl. dazu den genannten Aufsatz von Ebeling. Reden S. 79 "Zeigt mir Jemand, dem Ihr Urteilskraft, Beobachtungsgeist, Kunstgefühl oder Sittlichkeit angebildet oder eingeimpft habt; dann will ich mich anheischig machen auch Religion zu lehren." Reden S. 80 "Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren wie mit jeder andern, und wenn nur sein Sinn nicht gewaltsam unterdrückt, wenn nur nicht jede Gemeinschaft zwischen ihm und dem Universum gesperret und verrammelt wird - dies sind eingestanden die beiden Elemente der Religion - so müßte sie sich auch in Jedem unfehlbar auf seine eigne Art entwickeln; aber das ist es eben was leider von der ersten Kindheit an in so reichem Maße geschieht zu unserer Zeit."

Bildung zur Religion

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sum als "die beiden Elemente der Religion" nennt, so kann dies nur bedeuten, daß er beide als für die Entwicklung "der religiösen Anlage" absolut notwendig und unverzichtbar ansieht. Werden sie eingeschränkt oder gar vernichtet, dann wird auch die religiöse Entwicklungsfähigkeit des Menschen eingeschränkt und vernichtet. Der ganze erste Haupt teil 28 der dritten Rede dient Schleiermacher zur Exploration der Sinnkategorie 29 . Sinn meint eine von "Verstehen" spezifisch unterscheidbare Weise der Selbst- und Welterfahrung. "Verstehen" geht auf "das Endliche", Sinn dagegen auf "das Unendliche" 30 . Dieser "eigne(..) Trieb" 31 im Menschen bildet ein ständiges Ärgernis für die auf durchschnittliche Sittlichkeit und zweckbestimmte Tätigkeit ausgerichteten Erfordernisse des "bürgerlichen Lebens"32. In den Monologen kommt Schleiermacher die Sinnkategorie als Gegensatz zu der mit der "Gemeinschaft der Sinnenwelt" gesetzten "Beschränkung" individueller Selbstbildung in den Blick33. In der "Gemeinschaft der Sinnenwelt" ist die Richtung aller Tätigkeit der Subjekte eingeschränkt auf die Herstellung und Sicherung der Bedingungen ihrer isolierten Existenz; ausgeklammert bleibt die Möglichkeit von "Hülfe und Ergänzung der Kraft zur eignen Bildung", von "Gewinn an neuem innerm Leben"34. Dem Sinnsuchenden "leistet die Welt...keinen Beistand" 35 , er bleibt auf sich selbst zurückgeworfen, ja sein Anliegen ist "Argerniss und Thorheit den geliebten Söhnen dieser Zeit"36. Weiter führt der für Schleiermachers Gedankengang in den Reden grundlegende Gegensatz von Sinn und Verstehen. Der Sinn 2« Reden S. 80-89. 29 "Dieser Begriff wird in der 3. Rede außergewöhnlich stark beachtet." (F. Hertel, Das theologische Denken Schleiermachers, untersucht an der ersten Auflage seiner Reden über die Religion, 1965, S. 127, Anm. 13). so RedenS. 80. 31 RedenS. 82. 32 RedenS. 82. 33 Monologen S. 59. M Monologen S. 59, vgl. S. 56. 35 Monologen S. 55. 36 Monologen S. 56; vgl. ebd. "Ungeschikte Begierde soll es sein nicht Armuth, was Schranken fühlen lässt, die uns so drüken, strafbare Trägheit nicht Mangel an hülfreicher Gemeinschaft, was unzufrieden mit der Welt den Menschen macht, und seinen leeren Wünschen gebietet auf weitem Felde der Unmöglichkeit umherzuschweifen."

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strebt gegenüber dem Verstehen danach, die "Erscheinungen" in ihrer sie selbst konstituierenden Eigentümlichkeit und damit in ihrer Relation zum "Ganzen" zu erkennen; das Verstehen gibt sich mit der Erkenntnis der "Erscheinungen" abgetrennt von der für sie grundlegenden Relation zufrieden 37 . Das "Wissen", welches aufgrund von "Verstehen" zustandekommt, ist eingeschränkt auf Wissen von "Sinnliche(m)"; das Handeln aufgrund von "Verstehen" genügt einzig der "praktische(n) Notwendigkeit" 38 . Diese doppelte "Beschränkung" hebt der "Sinn" auf, weil er mit der Erkenntnis alles einzelnen als "Element des Ganzen" gerade dessen unverwechselbare Einzigartigkeit in den Blick bekommt, und so "jedes Ding" nicht nur unter dem Gesichtspunkt seiner möglichen Verwertbarkeit 39 durch "Wissen" und "Handeln", sondern nach der 'Totalität seiner Wirkungen und Verbindungen" von seinem "eignen Mittelpunkt aus und von allen Seiten in Beziehung auf" es ansieht 4 ". Die Kategorie "Sinn" fungiert in den Reden als Signum für die Emanzipation individueller Selbst- und Welterfahrung (wir dürfen hinzufügen: einschließlich der religiösen Erfahrung) von dem auf diese Erfahrungen gerichteten, sie vereinnahmenden, herrschenden gesellschaftlichen Verwertungsinteresse 41 . Das Thema der Monologen ist der Nachweis der Möglichkeit dieser Emanzipation durch die Selbstbildung des Individuums. Voraussetzung dafür ist das im Akt der intellektuellen Selbstanschauung 42 unmittelbare Erschlossensein sowohl seines inneren Wesens als frei 43 als auch der Relation zum "Ewigen und Unendlichen" als seinem Grund 44 für das Subjekt selbst. Das so erschlossene freie Wesen des Subjekts wird von Schleiermacher interpre-

37 Reden S. 83f. 3« RedenS. 84. 39 Reden S. 86 "Das ist das Extrem des Nützlichen, zu dem das Zeitalter mit raschen Schritten hingeeilt ist..." 40 RedenS.85. 41 Reden S. 87 "Nur bei dem stärksten Oppositionsgeist gegen diese allgemeine Tendenz kann sich also jetzt die Religion emporarbeiten, und nie in einer andern Gestalt erscheinen, als in der, welcher Jenen am meisten zuwider sein muß." 42 Die Selbstanschauung ist zeitlos, vgl. Monologen S. 1 Off. 43 Monologen S. 7,13f., 17f. u.ö. 44 Monologen S. 11.

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tiert als die Freiheit der Tat45 des Geistes 46 , wobei diese romantische Theorie in den Monologen ihre Pointe darin findet, daß sie von Schleiermacher konsequent als maßgeblich auch und gerade für die Gestaltung des empirischen Lebens des Individuums angenommen wird47. Wenn das Subjekt seine sittliche Bestimmung in der Verwirklichung seines Wesens ergreift 48 , dann schließt das zwar die Unterbestimmtheit des Handelns gegenüber dem Wesen, also das schlechte Gewissen von vornherein aus 49 , die sittliche Bezogenheit seines Handelns, d.h. das "Bewusstsein der Menschheit" und das diesem entsprechende Handeln aber ausdrücklich ein 50 . Denn die Verwirklichung des Wesens des Subjekts kann immer nur der individuelle Fall der Verwirklichung des Wesens der Menschheit sein 51 . Die sittliche Bezogenheit des Handelns des

45 46 47

48

4a 50

51

Monologen S. 15 "Nur sein innerstes Handeln, in dem sein wahres Wesen besteht, ist frei..." Monologen S. 19 "... inneres Leben ist des Geistes Werk und freie Tat." Monologen S. 71 "Doch mögen sie es lernen oder nicht; dass nichts was mir begegnet der eignen Bildung Wachsthum zu hindern, und vom Ziel des Handelns mich zurükzutreiben vermag; der Glaube ist lebendig in mir durch die That"; S. 76 "Es hindert nicht der äussern That Unmöglichkeit das innere Handeln"; S. 78 "So nehme ich ... kraft dieses innern Handelns von der ganze Welt Besiz". Monologen S. 69 "Immer mehr zu werden, was ich bin, das ist mein einziger Wille; jede Handlung ist eine besondere Entwiklung dieses Einen Willens; so gewiss ich immer handeln kann, kann ich auch immer auf diese Weise handeln, nichts kommt in die Reihe meiner Thaten, es sei denn so bestimmt. Begegne denn, was da wolle! Solang' ich alles auf diesen ganzen Zwek beziehe, und jedes äussere Verhältniss, jede äussere Gestalt des Lebens micht gleichgültig lässt, und alle mir gleich werth sind, wenn sie nur meines Wesens Natur ausdrüken, und zu seiner innern Bildung, seinem Wachsthum mir neuen Stoff aneignen." Monologen S. 28 "Was sie Gewissen nennen, kenne ich nicht mehr; es straft mich kein Gefühl, es braucht mich keines zu mahnen." Monologen S. 26 Das "Gewissen" ist das "Bewusstsein der Menschheit". S. 27 "Ein wahrhaft menschlich Handeln erzeugt das klare Bewusstsein der Menschheit in mir, und dies Bewusstsein lässt kein anderes als der Menschheit würdiges Handeln zu." Das hat Schleiermacher schon 1786 gewußt. E.R. Meyer, Schleiermachers und C.G. von Brinkmanns Gang durch die Brüdergemeine, Leipzig 1905, zitiert (S. 213f.) einen Aufsatz des Barbyer Theologiestudenten, in dem sich der Ausspruch befindet (ebd. S. 214) "Wenn aber - o schrecklicher Fall! möchtest du nie eintreten - wenn ich niedrig gehandelt, wenn ich die Menschheit entehrt und meine Seele herabgewürdigt habe..."

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Subjekts schließt dessen charakteristische Prägung durch die Individualität subjektiven Bildens und Wirkens ein52. Schließlich stoßen wir auf dem Höhepunkt der Ausführungen der Monologen auf ein ethisches Schema der Individualität, das Schleiermacher zur Explikation des Wesens individueller Selbstbildung dient 53 . "Wer sich zu einem bestimmten Wesen bilden will, dem muss der Sinn geöfnet sein für Alles was er nicht ist" 54 . Mit der Erkenntnis dieses allgemeinen Sinns als Voraussetzung für die Entwicklung "zu einem bestimmten Wesen" bewegen wir uns "im Gebiet der höchsten Sittlichkeit" 55 - eben deshalb, weil der Bildung ermöglichende Sinn nicht "bestehen" kann "ohne Liebe", d.h. sittliche Bezogenheit, die die Selbstbeziehung im Handeln des Subjekts als wahre erst ermöglicht 56 . Umgekehrt gilt: "ohne eigne Bildung keine Vollendung in der Liebe"57, d.h. ohne individuelle Selbstbeziehung keine sittliche Bezogenheit des Handelns. Die Entwicklung der Selbstbildung des Individuums muß der "Thätigkeit des Sinnes in jeglichem Momente das Gleichgewicht... halten" 58 , und das Ideal individueller Selbstbildung ist zweifellos die völlige Entsprechung von "Sinn" und "Liebe" auf höchstem Niveau 5 ". Das Bildungsproblem konzentriert sich auf das Problem der Vermittlung von Wissen um diesen "Beruf' eines "höhern Leben(s)"60. Die Beschränkung des Menschen auf sein "sinnlich(es) Wesen" wird gefördert, statt aufgehoben, durch eine philosophische Theorie, die die Aussicht auf das freie Handeln des Geistes für ein jenseits der phänomenalen Wirklichkeit gedachtes Reich der Freiheit verkündet und damit Leben und Denken in unerlaubter Weise auseinanderreißt 61 . Wer dagegen im Sinne 52

53 54

55 56 57 58 59 B,)

61

Monologen S. 30 "So ist mir aufgegangen, was jezt meine höchste Anschauung ist, es ist mir klar geworden, dass jeder Mensch auf eigne Art die Menschheit darstellen soll, in einer eignen Mischung ihrer Elemente, damit auf jede Weise sie sich offenbare, und wirklich werde in der Fülle der Unendlichkeit Alles was aus ihrem Schoosse hervorgehen kann." Siehe oben S.248f. MonologenS. 37. Ebd. Monologen S. 38. Ebd. Monologen S. 41. MonologenS. 47. Monologen S. 11. Monologen S. 22.

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Schleiermachers schon jetzt die Vereinbarkeit des endlichen Daseins mit dem "ewigen Leben" an sich selbst anschauen will, der ist zu steter Beobachtung seiner selbst 62 und zur Arbeit an des "innern Lebens Wachsthum" 63 aufgerufen. So besteht das Wesen der Selbstbildung des Individuums in der durch den in Liebe sich vollendenden allgemeinen Sinn ermöglichten Aufhebung der mit dem sinnlichen Wesen des Menschen zwar aktuell verbundenen, aber nicht notwendig zusammenhängenden 64 Beschränkung seiner Sittlichkeit und seiner Religiosität 65 . Verstand Schleiermacher in den Monologen die Selbstbildung als die Aufhebung der mit dem sinnlichen Wesen des Menschen aktuell verbundenen Beschränkung hinsichtlich der Möglichkeit von die Sinnlichkeit selbst transzendierender Erfahrung, so hatte er in den Reden die die Selbstbildung hindernde Beschränkung vor allem als die zweckrationale Interpretation individueller Erfahrung bestimmt. Richtete sich demzufolge der "Sinn" in den Monologen auf die Ermöglichung von neuer, die höhere Sittlichkeit und Religiosität konstituierender Erfahrung, so verband sich in den Reden mit der Sinnkategorie die als Konsequenz der Einsicht in die kontingente Konstitutionsweise von Erfahrung erfolgte Betonung der Notwendigkeit des Eigenwertes individueller Selbst-, Welt- und religiöser Erfahrung. Daraus erklärt sich der ganze Gegensatz zwischen "Sinn" und "Verstehen" in der dritten Rede. Denn es geht bei der Auseinandersetzung zwischen "Sinn" und "Verstehen" als den zwei grundsätzlich verschiedenen Weisen der Interpretation von Erfahrung um nichts anderes als um das Recht des Individuums auf eigene, unmittelbare, originäre Selbst-, Welt- und religiöse Erfahrung. Nun zeigt Schleiermacher sehr schön, wie der erste, ebenso natürliche wie einseitige Ansatzpunkt f ü r die Zurückgewinnung individueller Verfügungsgewalt über die eigene Erfahrung "die innere Welt, nicht die äußere" ist, wie auf diesem Gebiet es der (Selbst ) "Anschauung" zuerst gelingt, die "erklärende Psychologie, dieses Meisterstück jener Art des Verstandes" zu verdrängen 66 . Diese für's erste unvermeidliche, aber keineswegs notwendige oder ewige Konstellation beför62

Monologen S. 24. Monologen S. 43. MonologenS. 61 f. 65 Monologen S. 66. 66 RedenS. 87. 63

64

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Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

dert das Emporkommen von "mystischen"67 und "phantastischen Naturen" 68 auf dem Gebiet des Religiösen. Doch liegt in der durch die Sinnkategorie ermöglichten Erkenntnis der psychologischen Voraussetzung individueller Selbst-, Welt- und religiöser Erfahrung bereits die Möglichkeit der "Palingenesie der Religion"69, um die es Schleiermacher in den Reden ja allein zu tun ist. Wenn die religiöse Anschauung von der freien Entfaltung des Sinns abhängig ist70, wie Reden und Monologen betonen, dann muß der Kampf gegen die Unterdrückung dieses Sinns auf allen Gebieten des menschlichen Geistes aufgenommen werden71. Denn welche Richtung auch immer der Sinn im individuellen Bewußtsein einschlägt, ob er "nach innen zu auf das Ich selbst" in der Selbstanschauung, oder "nach außen auf das Unbestimmte der WeltanB7

68

Reden S. 88f. "So aber ist es mit den Unsrigen: sie haben nichts sehen gelernt außer sich, weil ihnen alles nur in der schlechten Manier der gemeinen Erkenntnis mehr vorgezeichnet, als gezeigt worden ist, sie haben nun weder Sinn noch Licht genug übrig von ihrer Selbstbeschauung, um diese alte Finsternis zu durchdringen, und zürnend mit dem Zeitalter, dem sie Vorwürfe zu machen haben, mögen sie gar nicht mit dem zu schaffen haben, was sein Werk in ihnen ist. Darum ist das Universum in ihnen ungebildet und dürftig, sie haben zu wenig anzuschauen, und allein wie sie sind mit ihrem Sinn, gezwungen sich in einem allzuengen Kreise ewig umher zu bewegen, erstirbt ihr religiöser Sinn nach einem kränklichen Leben aus Mangel an Reiz an indirekter Schwäche." Reden S. 89 "Für die deren Sinn fürs Universum bei größerer Kraft aber ebenso weniger Bildung, sich kühn nach außen wandernd auch dort mehr und neuen Stoff sucht, gibt es ein anderes Ende, das ihr Mißverhältnis gegen die Zeit nur zu deutlich offenbart, einen sthenischen Tod, also wenn ihr wollt, eine Euthanasie, aber ein furchtbare - den Selbstmord des Geistes, der nicht verstehend die Welt zu fassen, deren inneres Wesen, deren großer Sinn ihm fremd blieb unter den kleinlichen Ansichten seiner Erziehung, getäuscht von verwirrten Erscheinungen, hingegeben zügellosen Phantasien, suchend das Universum und seine Spuren, da wo es nimmer war, endlich unwillig den Zusammenhang des Innern und Äußern gänzlich zerreißt, den ohnmächtigen Verstand verjagt, und in einem heiligen Wahnsinn endet, dessen Quelle fast Niemand erkennt, ein laut schreiendes und doch nicht verstandenes Opfer der allgemeinen Verachtung und Mißhandlung des Innersten im Menschen. Aber doch nur ein Opfer, kein Held: wer untergeht, gemeiniglich in der letzten Prüfung, kann nicht unter die gezählt werden, welche die innersten Mysterien empfangen haben."

69 RedenS. 90. 70 Ebd.: "Der Umfang und die Wahrheit der Anschauung hängt ab von der Schärfe und Weite des Sinnes..." 71 Ebd.: "Alles also muß davon anheben, daß der Sklaverei ein Ende gemacht werde, worin der Sinn des Menschen gehalten wird ..."

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schauung", oder in Richtung auf den Kunstsinn, der "beides verbindet" 72 , geht, "von Jeder aus gibt es einen Weg zur Religion und sie nimmt eine eigentümliche Gestalt an nach der Verschiedenheit des Weges auf welchem sie gefunden worden ist" 73 . Richtet Schleiermacher seinen Appell zur Aufnahme des Kampfes gegen die Beschränkung des Sinns am Ende der dritten Rede an die Adressaten der Reden, die "Gebildeten unter ihrem Verächtern" und d.h. vor allem an seine romantischen Mitstreiter 74 , so wird ihm durchaus folgerichtig der mit der Sinnkategorie bezeichnete Aspekt der individuellen Bildung zur Religion in der anschließenden vierten Rede zum Bildungsproblem der Kirche, d.h. zum Problem derjenigen Institution, die er für die Beschränkung religiösen Sinns auf den volkspädagogischen Sinn von Religion dann selbst verantwortlich macht. Doch ist damit richtig gesehen, daß die Kirche als ein Zentrum der Vermittlung von gesellschaftlicher Wirklichkeit und individuellem Bewußtsein nicht kampflos preisgegeben und irgendwelchen (Verwertungs-) Interessen überlassen werden darf, daß also "Auferstehung der Religion" und Reform der Institution Hand in Hand gehen müssen. Die in diesem Rahmen von ihm entwickelte Predigttheorie75 findet ihre Pointe darin, daß sie die Aufgabe der kirchlichen Predigt als stellvertretende Veranschaulichung von religiösem Sinn bestimmt, die Predigt miteinbezieht in die Auseinandersetzung um die Sinnfrage (die kirchliche Predigt soll der Beschränkung von Sinn auf allen Gebieten menschlichen Geisteslebens wehren), um sie dadurch auf sich selbst, d.h. auf ihr Wesen zurückzubeziehen, von wo aus sie ihre bisherige Bestimmung als Instanz religiössittlicher Volkserziehung als falsche, d.h. wesensfremde Praxis erkennt. Der sachliche Zusammenhang zwischen der dritten und vierten Rede wird daran offenbar, daß Schleiermacher seine Neubestimmung der Aufgabe der kirchlichen Predigt dann findet, als er nach einer Lösung der mit der Sinnkategorie bezeichneten Bildungsthematik der Religion sucht.

72 RedenS. 92. 73 Ebd. 74 Reden S. 95 "Sehet da, das Ziel Eurer gegenwärtigen höchsten Anstrengungen ist zugleich die Auferstehung der Religion! Eure Bemühungen sind es welche diese Begebenheiten herbeiführen müssen, und ich feire Euch als die, wenn gleich unabsichtliche Retter und Pfleger der Religion." 75 Vgl. diese Arbeit S. 13ff.

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Verhältnis der Predigten zu den romantischen Schriften

Wem der Sinn geweckt werden soll für das in allem Einzelnen und Beschränkten sich mitteilende und offenbarende Ganze und Unendliche, der muß vor allem zur ungetrübten und umfassenden Wahrnehmung alles Einzelnen und Beschränkten fähig sein, ohne daß sich für ihn in dieser Realitätswahrnehmung sein Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis erschöpfte. Wenn nun Religion nach Schleiermacher die Wirklichkeit jenes Sinns im Menschen selbst ist, dann wird der Gegensatz zwischen Religion einerseits und Moral und Metaphysik andererseits als Ausdruck ihres Bildungsproblems verständlich. Denn die - herrschende - Moral verunmöglicht die Selbstbildung 76 , und die - herrschende - Metaphysik vernichtet die Realität des Universums 77 . Die sinnliche Anschauung kann und muß neben der intellektuellen bestehen können ohne sie auszuschließen 78 . Dann besteht die Bildungsaufgabe überhaupt (und damit auch die religiöse) exakt darin, die die sinnliche Anschauung zwar einschließende, zugleich aber über sie hinausgehende Anschauungsmöglichkeit aufzuzeigen. Selbstbildung und innere Anschauung meinen bei Schleiermacher, wie Friedrich Schlegel als erster erkannt hat 79 , ein und dasselbe. Areligiös und unsittlich ist die zwar verständliche, aber nicht entschuldbare, d.h. vom Individuum selbst zu verantwortende Beschränkung der eigenen Erkenntnisfähigkeit auf die sinnliche Anschauung, die Reduktion seines Wesens auf die sinnliche Natur, und die Funktionalisierung seiner Religion auf die innerhalb der sinnlichen Wirklichkeitsrelation zwischen Selbst und Welt gültige Hoffnung auf die jenseitige, künftige Aufhebung der mit dieser Wirklichkeitsrelation notwendig verbundenen Beschränkungen zusammen mit ihrer Ursache. Damit sind wir aber genau bei den Predigten und der für sie charakteristischen ethischen Selbstexplikation des Wesens des Christentums angelangt. Die Predigten sind in Bezug auf den Bildungsaspekt der Religion von hoher Bedeutung für Schleiermacher. Sie haben die Aufgabe, religiösen Sinn zu wecken, indem sie stellvertretend für diejenigen, die ihn entbehren, religiösen Sinn veranschaulichen. Sie ™ RedenS. 30. ™ RedenS. 31. 78 Nowak (Schleiermacher und die Frühromantik) hat mittlerweile in ähnlicher Weise das Verhältnis von sinnlicher und intellektueller Anschauung bei Schleiermacher zu bestimmen versucht (a.a.O., S. 1691.). 7» Br.III.S. 166.

Ergebnis

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können und müssen das so tun, daß sie die Areligiosität und Unsittlichkeit der selbstgewählten Beschränkung auf die sinnliche Wirklichkeitsrelation zwischen Selbst und Welt bekämpfen. Weil sie moralisch wirken, d.h. zur Selbstbildung anleiten wollen, besitzen sie mit Recht ethischen Charakter. Die kirchliche Predigt soll nicht aufhören, moralisch wirken zu wollen, aber sie soll ihre moralische Wirkungsweise grundsätzlich ändern. Weil "religiösen Sinn wecken" gleichbedeutend ist mit "Selbstbildung zur Individualität", können und dürfen die Prediger der Kirche ihre Aufgabe nur unter konstitutiver Wahrung der Individualität der Hörer erfüllen. Das können sie nur dann wirklich tun, wenn sie selbst ihre eigene Individualität achten. Aber Individualität und Ethik bilden nicht an sich einen Gegensatz, sondern nur dann, wenn a) die Selbstbildung zur Individualität nicht selbst grundlegend den Charakter einer sittlichen Handlung besitzt (den Nachweis dieses Zusammenhangs erbringen neben den Monologen selbst auch die Predigten), und wenn b) die ethische Theorie so gefaßt ist, daß sie die Individualität mißachtet, d.h. die Sinngebung durch das freie, kontingente Handeln des Individuums ausschließt. 3. ERGEBNIS Damit aber ist nachgewiesen, daß zwischen der These Schleiermachers im Vorwort zu seiner 1. Predigtsammlung, wonach das Wesen des Christentums sich nur im Rekurs auf die Thematik des Ethischen angemessen zur Geltung bringen läßt 80 , und der Predigttheorie der Reden, nach der in der stellvertretenden Veranschaulichung von religiösem Sinn die notwendige und hinreichende moralische Wirkung der Predigt bestehen soll, kein sachlicher Widerspruch besteht. Im Gegenteil ergänzen sich Predigten und romantische Schriften Schleiermachers gegenseitig, wobei die Möglichkeit dieses Verhältnisses ihren sachlichen Anhalt an dem in den Reden aufgezeigten Zusammenhang zwischen dem Erkenntnis- und dem Entwicklungsaspekt des Religionsbegriffs hat. Zudem ist es Schleiermacher gelungen, die Sachhaltigkeit des übergreifenden Zusammenhangs von Predigten und romantischen Schriften in einer Wirkungstheorie der kirchlichen Predigt zu explizieren. Das Ergebnis der Untersuchung legt es jedenfalls «> Fr. 1, S. 7.

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nahe, Schleiermachers briefliche Mitteilung aus dem J a h r e 1800, daß "mancherlei Umstände und verschiedene sich von mir verbreitende Meinungen" ihn zur Herausgabe der 1. Predigtsammlung "veranlaßt" hätten111, nicht länger als ein Zugeständnis der Korrektur oder der Modifikation seiner theoretischen Positionen zu interpretieren, sondern als die Einsicht in die aufgrund sachlicher Notwendigkeit gebotene Ergänzungsbedürftigkeit seiner Theorie. Die in den Reden als Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit zur Bildung von individuellem religiösen Sinn entworfene Predigttheorie verlangte nach praktischen Beispielen, die die Erfordernis der Veranschaulichung von religiösem Sinn zu bestätigen und zu belegen vermochten. Erst mit der 1. Predigtsammlung ist die Entwicklung der romantischen Religionstheorie und Ethik Schleiermachers zu einem in sich kohärenten System abgeschlossen.

8 1 Br. I,S. 260.

LITERATURVERZEICHNIS I. QUELLEN A. Predigten

und Predigtentwürfe

Schleiermachers

Bauer, J., Anhang zu: Schleiermacher als patriotischer Prediger, Gießen 1908, S. 306-356 (Ungedruckte Predigtentwürfe 1795-1802) ders., Schleiermachers letzte Predigt, mit einer Einleitung neu herausgegeben, Marburg 1905 ders., Schleiermachers Predigten über den christlichen Hausstand (Schleiermachers Werke in Auswahl, hrsg. v. O. Braun und J. Bauer, Bd. 3, Leipzig 1911,1927/2, S. 181 400) ders., Ungedruckte Predigten Schleiermachers aus den Jahren 1800 bis 1828, mit Einleitungen und mit einem Anhang ungedruckter Briefe von Schleiermacher und Henriette Herz, Leipzig 1909 Boeck, Chr., Vaterländische Predigten. Eine Auswahl, 2 Bände, Berlin 1919,1920 Gerdes, H., Friedrich Schleiermacher. Kleine Schriften und Predigten 1800-1820, Berlin 1970 ( = Fr. Schleiermacher. Kleine Schriften und Predigten, hrsg. v. H. Gerdes und E. Hirsch, Bd. 1) Hirsch, E., F. Schleiermacher, Dogmatische Predigten der Reifezeit ( = F. Schleiermacher, Kleine Schriften und Predigten, hrsg. v. H. Gerdes u. E. Hirsch, Bd. 3), Berlin 1969 Langsdorff, W.v., Schleiermacher - Auswahl seiner Predigten, mit einer einleitenden Monographie (Die Predigt der Kirche Bd. 7), Leipzig 1889 Schleiermacher, F., Sämmtliche Werke, II. Abtheilung: Predigten. Bd. VII, Berlin 1836 (hrsg. v. A. Sydow); Bd. 1,2. Aufl., Berlin 1843;Bd. IV, Berlin 1844 Schleiermachers Gebet am Totenfest 1829, in: Christliche Welt 22,1908, S. 1129f. Schotte, W., Patriotische Predigten, Berlin 1935 Urner, H., Friedrich Schleiermachers Predigten, Göttingen 1969 Zimmer, F., Predigtentwürfe aus Friedrich Schleiermachers erster Amtstätigkeit, in: Zeitschrift für praktische Theologie 4,1882, S. 281 -290,369-378 ders., Predigtentwürfe von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1800, Gotha 1887

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Literaturverzeichnis

B. Übrige Schriften

Schleiermachers

Aus Schleiermachers Leben. In Briefen. 1.-4. Bd., hrsg. v. L. Jonas und W. Dilthey, Berlin 1858-1863 Briefe Friedrich Schleiermachers an A.W. Schlegel, hrsg. v. J . Estner, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von E. Klingner; Euphorion 21, 1914, S. 584-598,736-771 Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers; Anhang zu: W. Dilthey, Leben Schleiermachers, 1. Bd., 1. Aufl. 1870, S. 1 -145 "Die Wasserfahrt", Aufsatz von 1786, in: E.R. Meyer, Schleiermachers und K.G. von Brinkmanns Gang durch die Brüdergemeine, Leipzig 1905, S. 213f. Die Weihnachtsfeier. Kritische Ausgabe. Hrsg. und eingeleitet von H. Mulert, Leipzig 1908 (PhB 117) Friedrich D.E. Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Schriften und Entwürfe. Band 1: Jugendschriften 1787-1796, hrsg. v. G. Meckenstock, Berlin - New York 1983 F.D.E. Schleiermachers Werke. Auswahl in 4 Bänden, hrsg. v. O. Braun und J . Bauer, Leipzig 1910-1913; Bd. II: Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, hrsg. v. O. Braun, Leipzig 1913 Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre. Sämmtliche Werke, III. Abtheilung. Zur Philosophie. Bd. I, S. 1 -344, Berlin 1835 Monologen nebst den Vorarbeiten. Kritische Ausgabe. Mit Einleitung, Bibliographie, Index und Anmerkungen von F.M. Schiele; 2. Auflage von H. Mulert, Leipzig 1914 (PhB 84) Neue Briefe Schleiermachers aus der Jugendzeit, Niesky 1784-85, mitgeteilt von J . Bauer, ZKG 31,1910, S. 587 592 Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, hrsg. v. J .L. Jacobi, Halle 1887 Uber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Hrsg. v. H.-J. Rothert, Hamburg 1958 (PhB 255) Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels "Lucinde"( 1800), in: F. Schleiermacher. Kleine Schriften und Predigten 1800-1820, Berlin 1970 ( = Kl. Sehr. u. Pr. Bd. 1)

C. Andere

Quellen

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Quellen

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ders., Neue Predigten, 3. Aufl., Berlin 1777 ders., Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung, 3. Aufl., Berlin 1791 ders., Vertraute Briefe, die Religion betreffend. 3. Aufl., Breslau 1788

II. SEKUNDÄRLITERATUR

A. Sekundärliteratur

zu den Predigten

Um eine möglichst vollständige Predigtbibliographie zu bieten, fanden unter dieser Rubrik auch solche Titel Aufnahme, die nur geringen Bezug auf die Predigten nehmen. Barth, K., Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. 2. Aufl., Zürich 1952, S. 379-424 ders., Die Theologie Schleiermachers. (Vorlesung Göttingen WS 1923/24), Karl Barth Gesamtausgabe, II. Akademische Werke, Zürich 1978 ders., Schleiermacher, in: Die Theologie und die Kirche. Ges. Vorträge Band 2, München 1928, S. 136-189 ders., Schleiermachers "Weihnachtsfeier', in: Die Theologie und die Kirche. Ges. Vorträge Band 2, München 1928, S. 106-135 Bauer, J., Schleiermacher als patriotischer Prediger,Gießen 1908 Baur, A., Die Homiletik bei Schleiermacher und in der Schleiermacher'schen Schule bis heute, in: Zeitschrift für praktische Theologie 8,1886.S. 289-313 Baur, G., Schleiermacher als Prediger in der Zeit von Deutschlands Erniedrigung und Erhebung, Leipzig 1871 Bender, W., Rezension von Lommatzsch, S., Schleiermachers Lehre vom Wunder und vom Uebernatürlichen im Zusammenhange seiner Theologie und mit besonderer Berücksichtigung der Reden über die Religion und der Predigten dargestellt, Berlin 1872, in: Jahrbücher für Deutsche Theologie, Bd. 19, Gotha 1874, S. 172-174 Bengel's Archiv für die Theologie und ihre neueste Literatur 6, 1823, S. 451-468: Rezension von Schleiermachers Predigten über den christlichen Hausstand Bengel's Archiv für die Theologie und ihre neueste Literatur 7, 1824, S. 202-227: Rezension von der 3. Sammlung von Schleiermachers Predigten Benrath, G.A., Schleiermachers Bekenntnispredigten von 1830, ihrer Entstehung und ihrem Inhalt nach untersucht und dargestellt, Königsberg 1917 Blackwell, A.L., Schleiermachers Sermon at Nathanaels Grave, in: Journal of Religion, Chicago/111., 1977, Vol. 57, N. 1, p. 64-75 Bleek, H., Die Grundlagen der Christologie Schleiermachers. Die Entwicklung der Anschauungsweise Schleiermachers bis zur Glaubenslehre mit besonderer Rücksicht auf seine Christologie dargestellt, Freiburg i. Br. 1898 Brömmel, A., Homiletische Charakterbilder, Berlin 1869, S. 151-177: Friedrich Schleiermacher Brunner, E., Die Mystik und das Wort. Der Gegensatz zwischen moderner Religionsauffassung und christlichem Glauben dargestellt an der Theologie Schleiermachers, 2. Aufl., Tübingen 1928 Bürger, C., Der Wandel in der Beurteilung von Frieden und Krieg bei Friedrich Schleiermacher, dargestellt an drei Predigten, in: Kirche zwischen Krieg und

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NAMENSREGISTER Barth, K. lff.,8,122,137., Bauer, J . 11., 19ff., 46, 111, 115, 121, 124ff„ 128, 132, 138f., 141, 147, 161 f., 165, 179, 188, 195, 197f„ 200,204,219 Baum, G. 103 Beckmann, K. 32 Birkner, H . J . 7 f „ Blair, H. 19f.,28,34ff.,46f. Bleek, H. 92,134,136f. Brunner, E. 2ff., 9 Bürger, C. 12 Christ, F., 208 Descartes, R. 105 Dilthey, W. 3,7, 10, 12,27,36, 47,63f'., 69, 105, 121, 137f., 198, 204, 261f., 265 Ebeling, E. 17,261,263,265f. Eberhard, J.A. 69 Epikur 51,72,168 Fackenheim, E.L. 236 Fa wcett, J . 19f.,28,45ff. Fichte, J.G. 208,262f„ 265 Finlayson, J . 3 4 Fuchs, E. 3 Gerdes, H. 2,6,11 Grunow, E. 232 Härle, W. 145,207 Haym, R. 3 Heimann, B. 253 Heimsoeth, H. 237 Herms, E. 1, lOf. 28, 30, 64, 67, 69f., 74, 77, 81, 101, 103ff„ 122, 124f., 130f'., 149f„ 168, 200, 207, 245, 251,261 ff., 265 Herrnhut 3,14,28f., 85,90,137 Hertel, F. 1,267 Hirsch, E. 3, 6, 10, 121, 137, 138, 145, 156,204,261f.,265

Hubbeling, H.G. 106 Hume, D. 103 Jacobi, F.H. 59, 77, lOlff., 106, 122, 124,130f., 149,200f., 255,259 Jung, K.-G. 88 Kant, I. 16, 30, 32, 45, 50f., 58ff., 67, 69, 71 f., 86, 92ff„ 99, 102ff„ 107, 114f., 122, 125, 131, 137, 146f„ 149ff., 175, 184, 187, 190, 191ff., 196 , 223,228ff., 235ff., 239,241 ff., 245,255,258,260f. Lask, E.171 Leibniz, G.W. 58 Luther, M. 9,144 Mayer, R. 22 Meisner, H. 12 Melzer, F. 6,137 Meyer, E.R. 29,269 Mulert, H. 10 Nowak, K. 1, 46, 103, 141, 161, 261, 263,274 Quapp, E.H.U. 1, 5, 8f., 36f., 40, 46, 63,67,75,79,82,88,95,122,163 Reboul, O. 237 Redeker, M. 63 Ricoeur, P. 237 Ridder, A. 237 Ritsehl, 0 . 3 Roy 24 Sack, F.S.G. 23,36,47,57,177f„ Sack, K. H. 29 Schelling, F.W.J. 262,265 Schlegel, F. 10f., 177, 244f., 251, 255, 262ff., 274 Schmiechen, E. 6 Seifert, F. 1, 4, 7, 11, 18, 138, 184, 187, 189,209 Smith, A. 35 Sommer, W. 3f., 7,22,137f.

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Namensregister

Spalding, J . J . 19, 22, 24, 28ff., 47, 68ff., 74, 77f., 83, 89f., 95, 99f., 129f., 161, 175, 230f., 234, 255, 2571'., 260 Spinoza, B. 5, 101f., 105f„ 145f„ 149, 175,197,255,258 Stange, C. 104 Stoa 51,72,168 Stubenrauch, S.E.T. 2,64 Trillhaas, W. 1 , 3 , 6 , 9 , 1 2 , 2 5 , 6 3 Troeltsch, E. 151 Weber, F. 1

Wehrung, G. 6, 9, 11, 182, 187, 192, 194,197,201,212,250 Wendland, J. 6, 79, 140, 197, 199, 201, 212f„ 250 Wolff, Chr.v. 69 Zimmer, F. l l f . , 106, 111, 114f„ 121, 124ff., 135ff., 148, 155, 162, 166, 178ff„ 190, 195, 197, 200, 202f„ 206f„ 21 Off., 226ff„ 239, 242f„ 252f. Zumpe, G. 4f„ 80, 198, 202, 204, 207, 219

BEGRIFFSREGISTER Akkomodationstheorie 5 Anknüpfungspunkt 115f. Anschauung intellektuelle 22,261ff., 274 sinnliche 22, 103, 122, 241 ff'., 255, 261,263f.,268,274 Anthropologie, anthropologisch 8, 29f„ 3 3 , 4 8 , 5 0 , 5 3 , 6 1 , 8 2 , 1 3 0 , 1 6 2 , 234f., 238,257,259 Aufklärung aufgeklärt, aufklärerisch 8, 28f., 34, 46,62,66f.,82,257 Beistand 74f., 78,84fT., 9 1 , 9 9 , 1 2 1 , 1 3 4 , 141fr., 159,175,196,258 Bestimmung 30f., 33f., 36, 39fT., 64f„ 68, 71, 74, 78, 81, 83f., 86, 95, 97, 99, 102, 106ff„ 120, 123, 126f„ 130f., 138, 140ff., 146ff„ 161, 163,

169, 171tr., 175, 178, 183, 185,

203f., 206ff., 215, 218, 222, 225fT„ 23011'., 247fl'., 255,258ff. Bildung, bilden 15ff„ 179ff., 191, 195, 207f.,211f„ 261,264ff. Böses, böse 22, 30, 32, 41, 76ff., 88ff., 97, 100, 129, 144, 146ff., 161, 163f., 175, 194, 212, 219, 222, 230fl'., 243ff., 255,258fr. Christologie siehe Jesus Christus Determinismus 145,149,179 ecclesia invisibilis 15,153 militans 13,15 triumphans 13fT. visibilis 15,153 Einbildungskraft 66, 91, 230, 239fT., 255,261 Entwicklungsproblem bzw. -aspekt 17, 264fT., 275 Erkenntnisproblem bzw. -aspekt 17, 264,266,275 eschatologisch 14f„ 108,136,141

116fr„

Esoterismus 3f. Exoterismus 3f. Evidenz, evident 150,207f. Französische Revolution 225 Freiheit 3 2 , 4 2 , 9 2 , 1 4 6 , 1 5 6 , 1 6 3 f . , 166, 191,212,226,230,235ff., 258,269f. Freundschaft 253f. Frömmigkeit, fromm 43, 50, 53ff., 68, 127ff., 133f., 157ff., 175, 199, 206, 211f.,222f„ 228,235,250 funktional, funktionell 34, 55, 67ff., 73, 99,234,257 Gebet74,93,119,201,216 Gefühl 23,25,33,51,66f., 103,126,149,

232,261 f., 266 149, 157, 162f., 172, 179, 181, 191, 194,203,207ff„ 222f„ 226f., 230ff„ 250,255,259f., 269 Glaube 122fr., 149,171,174,194fr.,216, Gewissen 31, 49, 85, 89, llOff., 131f„

219ff„ 2251'., 230,239f., 255,258ff. Glückseligkeit 29, 31, 33f., 39ff„ 48, 51fl'., 65, 68ff., 89f., 92ff., 101, 109, 140f., 153f., 168ff., 174, 182, 196, 205f., 215,233ff., 246,258 Gott, göttlich 5,51,56f., 153f., 196,201, 204f., 207ff., 214fr., 244f.,250 Gottesbeweis 36 Gottseligkeit 159f., 203,228 Grundlinien lOf. Gut, höchstes 7 1 , 9 2 , 9 8 , 1 5 3 f „ 168,196 Imperativ, kategorischer 94f., 168,187, 223 Individualität, individuell 16,19f„ 24f„ 46, 55,161,171fr., 175, 187, 190fT., 212, 221 f., 224, 235, 243ff., 254f., 257ff., 275 Jesus Christus 37f„ 44f., 54ff., 75f., 79i!.,96,99,115,133fT., 215,218ff., 230,239,241,249,255,259

288

Begriffsregister

Kirche, kirchlich 13ff., 151f., 155, 254, 273 empirische 14,16f. Lehr-13,15 (un»sichtbare siehe ecclesia (in-) visibilis wahre 13ff., 153 Kultur 18,191ff.,224,254 Liebe 217ff., 228,230,255,259,270f. Menschenliebe 48,54,94f., 166ff. Menschheit 9 5 , 2 4 4 , 2 6 9 Metaphysik, metaphysisch 178, 244ff., 255,259,261f., 274 Mitteilung 13ff. Monologen 10, 182, 212f„ 248, 264, 266ff. Moral, moralisch siehe Sittlichkeit, sittlich Notwendigkeit, notwendig 47, 49f., 69, 105, 113f., 144ff„ 175, 181, 183, 193,195,197,215,243 Offenbarung, geoffenbart 36ff, 151,154f„ 159,220,222 Ontologie, ontologisch 196f., 201, 205, 2 0 9 f f , 254f., 258 Pflicht(bewußtsein), pflichtgemäß 50, 55f., 58ff., 73f., 76, 83, 86, 88, 90, 106, 109, 115, 132ff., 140f., 143, 157, 178ff, 186f„ 191, 194, 208, 2 1 3 , 2 1 5 , 2 2 4 , 2 2 7 f „ 250f.,265 Philosophie und Theologie 7f., 27,67 Platoübersetzung 10f., politisch 12 Predigt als Rede 131., 20«'., 35 Amt 13,17f', 22,63 Entwürfe 111., 182 Interpretationsgeschichte 1,311'. Sammlungen 2, 7, 9, l l f . , 22, 25, 178,184,194,222,264,275f. Theorie 13ff., 19f.,22,24,273,275f. Rechtfertigung 58,86,155ff.,229 Reden 3ff., 13ff„ 177f., 194, 201, 208, 212,250,262ff. reformatorisch 15 Reich Gottes 152, 169, 206, 210, 214f„ 220,252

Romantik, romantisch 2, 6, 10f., 13f., 17, 29f„ 171, 177f„ 213, 235, 243, 246,251,253,255,257,259ff. Schrift, Heilige 83f. Selbst 181, 183, 186f., 191, 194, 203, 236, 238f., 243f„ 248, 254, 259ff., 275 Selbstbewußtsein 70, 77, 103ff, 130, 182 Sinn 16,18,212,261,265ff. Sinnlichkeit, sinnlich 30, 33, 43, 49, 52ff., 68, 70ff., 88ff., 95ff., 106, UOff., 121, 123 , 126ff., 142f., 148, 162f., 173, 212, 225, 231ff., 241f., 244,246,268,271 Sittengesetz 32,92,235f.,239 Sittlichkeit, sittlich 47f., 50, 54, 62, 65ff., 89ff„ 92ff., 101, 106ff., 120f., 123, 132ff„ 141ff., 150, 169, 178, 180, 186, 188ff., 198f„ 203f„ 206f., 210, 212ff., 218, 222f., 2 2 4 f f , 231, 2 3 3 f f , 241f., 244, 246ff., 254f., 2 5 7 f f , 265ff. Sünde 31, 37, 44, 73, 89, 110, 114, 125, 147, 208, 220, 227, 229, 258 supranaturalistisch 36,41f°. Trägheit, träg 232,245ff. transzendental 32, 58f„ 69, 9 2 , 9 9 , 1 1 4 , 147,166,175,191,196 Transzendenz, transzendent 79, 90, 108f., 111, 119, 122, 128, 140, 171, 198,260,263 Tugend 29, 33, 40f„ 43f„ 48ff„ 64, 67f„ 70ff., 90, 94, 96fi., 109, 128, 149f., 153f., 159f., 166, 168ff., 172, 179, 196,205f.,211 Übel 41,58f. Unsterblichkeit, unsterblich 33, 40f., 56,68,125,184 Untersuchung, historische 6 , 2 4 5 Vernunft, vernünftig 31, 34, 40, 45, 47ff„ 66f„ 72f., 88f., 91, 101f„ 106, U O f f , 120f., 123ff., 149ff., 162f., 165f., 181,193f., 1 9 6 , 2 1 2 , 2 1 5 , 2 2 5 , 230ff., 240,257 Verstand 4 9 , 1 0 2 f „ 117f„ 1 9 6 , 1 9 9 , 2 0 1 , 203,212,220,241f. Vorsehung 36, 39ff., 53, 93, 119, 146, 210 Weihnachtsfeier 10

BIBELSTELLEN Altes

Testament

Hi 42,1-3 Prov 4,14f. Koh 1,9

Neues 199 50 194

Testament

Mt6,34 Mt 22,35-40 Lk 8,4-15 Lk 16,19-31 Rom 1,16 Rom 2,1 Off. 23 Rom 6,19-22 Rom 8,28 1 Kor 7,29-31 Hebr 12,1 f. Hebr 12,2

233 167 87 184 12 232 110 37,41 108 222 220

PAUL TILLICH

Main Works/Hauptwerke 6 Bände. Groß-Oktav. Ganzleinen Edited by/Herausgegeben von Carl Heinz Ratschow with the collaboration of/unter Mitwirkung von John Clayton, Gert Hummel, Theodor Mahlmann, Michael Palmer, Robert P. Scharlemann, Gunther Wenz Bereits erschienen: Volume 4/Band 4:

Writings in the Philosophy of Religion/ Religionsphilosophische Schriften Editor/Herausgeber: John Clayton IV, 422 Seiten. 1987. DM 1 1 8 , - ISBN 3 1 1 0 1 1 3 4 2 2 Volume 5/Band 5:

Writings on Religion/Religiöse Schriften Editor/Herausgeber: Robert P. Scharlemann XVI, 325 Seiten. 1988. DM 9 8 , - ISBN 3110115417 Im

Druck:

Volume 1 /Band 1:

Philosophical Writings/Philosophische Schriften Editor/Herausgeber: Gunther Wenz etwa 600 Seiten. 1989. ca. DM 1 5 2 , - ISBN 3 1 1 0 1 1 5 3 3 6 In Vorbereitung: Volume 2/Band 2:

Writings ,in the Philosophy of Culture/ Kulturphilosophische Schriften Editor/Herausgeber: Michael Palmer Volume 3/Band 3:

Writings in Social Philosophy and Ethics/Sozialphilosophische und ethische Schriften Editor/Herausgeber: Theodor Mahlmann Volume 6/Band 6:

Theological Writings/Theologische Schriften Editor/Herausgeber: Gert Hummel Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

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Berlin • New York

SCHLEIERMACHER-ARCHIV Herausgegeben von Hermann Fischer und Hans-Joachim Birkner, Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle, Kurt-Victor Selge H E R M A N N PATSCH

Alle Menschen sind Künstler Friedrich Schleiermachers poetische Versuche Groß-Oktav. X , 254 Seiten. 1986. Ganzleinen DM 9 8 , ISBN 311 010218 8 (Band 2) MICHAEL E C K E R T

Gott — Glauben und Wissen Friedrich Schleiermachers Philosophische Theologie Groß-Oktav. XII, 226 Seiten. 1987. Ganzleinen DM 9 8 , ISBN 3110104016 (Band 3)

Friedrich Schleiermacher Theologische Enzyklopädie (1831/1832) Nachschrift David Friedrich Strauß Herausgegeben von Walter Sachs • Mit einem Vorwort von Hans-Joachim Birkner Groß-Oktav. XLII, 256 Seiten. 1987. Ganzleinen DM 1 0 8 , ISBN 3110108941 (Band 4) GÜNTER MECKENSTOCK

Deterministische Ethik und kritische Theologie Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789—1794 Groß-Oktav. VIII, 244 Seiten. 1988. Ganzleinen DM 1 2 8 , ISBN 3110111551 (Band 5) REINHOLD RIEGER

Interpretation und Wissen Zur philosophischen Begründung der Hermeneutik bei Friedrich Schleiermacher und ihrem geschichtlichen Hintergrund Groß-Oktav. IX, 361 Seiten. 1988. Ganzleinen DM 1 0 5 , ISBN 3 11 011593 X (Band 6) Preisänderungen vorbehalten

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