Die Skulpturen des Asklepiostempels von Epidauros [Reprint 2018 ed.]
 9783111502182, 9783111135823

Table of contents :
INHALT
VORWORT
DIE BAUURKUNDE
TIMOTHEOS. DIE AKROTERE DES WESTGIEBELS
THEODOTOS. DIE AKROTERE DES OSTGIEBELS
DER WESTGIEBEL
HEKTORIDAS. DER OSTGIEBEL
LITERATUR
TAFEL

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JOHANN FRIEDRICH CROME DIE SKULPTUREN DES ASKLEPIOSTEMPELS VON EPIDAUROS

JOHANN F R I E D R I C H CROME

DIE SKULPTUREN D E S AS K L E PI O S T E M P E L S VON EPIDAUROS

V E R L A G VON W A L T E R DE G R U Y T E R & CO., B E R L I N vormals G. J . Göschen'sehe Verlagshandlung

• J . Guttentag,

Karl J . Trübner • Veit &

19 5 1

Verlagsbuchhandlung Comp.

• Georg Reimer

Archiv-Nr.

350451

S a t z v o n W a l t e r d e G r u y t e r & Co., B e r l i n W 3 5 Druck: .Buchkunst", Hans Jentzsch&Co., Berlin P r i n t e d in

Germany

W35

SEINER KÖNIGLICHEN HOHEIT ERNST A U G U S T H E R Z O G ZU B R A U N S C H W E I G UND L Ü N E B U R G DEM K Ö N I G L I C H E N F R E U N D E DES

GRIECHENTUMS

IN T I E F S T E R

EHRERBIETUNG

GEWIDMET

INHALT Seite

Vorwort

g

Die Bauurkunde

n

Timotheos. Die Akrotere des Westgiebels

20

Theodotos. Die Akrotere des Ostgiebels

27

Der Westgiebel

31

Hektoridas. Der Ostgiebel

45

VORWORT Am 21. Juli 1928 ist Panagiotis Kabbadias, der Ausgräber des Hieron von Epidauros gestorben, dem er neben anderen großen Aufgaben seit 1881 sein ganzes langes Leben gewidmet hat 1 . Seine Gebeine hat das griechische Volk in der Einsamkeit von Epidauros in einer schlichten Marmorgruft vor dem Eingang des kleinen Museums, das seine Gründung ist, in Dankbarkeit beigesetzt. Seine zähe Arbeit um das berühmte Heiligtum des Asklepios hat seine Krönung in einer endgültigen Publikation nicht gefunden; nur die Inschriften hat Friedrich Hiller von Gärtringen im Auftrage der Berliner Akademie noch mit seiner Unterstützung 1926 neu bearbeiten und 1929 herausgeben können2. Im Jahre 1936 hat mir Herr Ministerialdirektor Prof. Dr. h. c. Oikonomos die Veröffentlichung der Giebelskulpturen des Asklepiostempels übertragen, um das Werk von Kabbadias vollenden zu helfen und einen alten Wunsch der Wissenschaft jetzt endlich zu erfüllen3. Die Photographien ließ die Athenische Abteilung des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches durch den Photographen Herrn Wagner machen. Die stärkste Unterstützung aber hatte ich in jeder Weise durch meinen väterlichen Freund, Gabriel Welter, der manche Schwierigkeit aus dem Wege geräumt hat. Und manche Frage konnte ich noch mit meinem Lehrer, Herrn Geheimrat H. Thiersch, besprechen. Ich verweise hierfür nur auf die beiden Arbeiten von H. Thiersch zur Bauurkunde des Asklepiostempels von Epidauros in den Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften 1937 und 1938, die das richtige Verständnis der Bauurkunde vor allem in der Frage nach dem Anteil der Künstler entscheidend gefördert haben. Herrn Stabsarzt Dr. Melzer danke ich, daß er mir während meines Lazarettaufenthaltes nach meiner dritten Verwundung im Frühjahr 1944 in Schneeberg im Erzgebirge die Möglichkeit gab, das Manuskript druckfertig zu machen. Das Archäologische Institut übernahm sofort die Drucklegung. Die Tafeln und der Satz waren fertiggestellt, als der Zusammenbruch kam. Der Satz war zerstört und das Manuskript durch die Kriegswirren verloren gegangen. Doch ein junger Student hat es in Posen geborgen. Es ist das Verdienst dieses jungen Kameraden, daß diese Arbeit nun doch noch nach so vielen Jahren erscheinen kann. 1

Vgl. Nachruf Noacks, A A . 1928, 677.

* Vgl. EphArch. 1925/26, 6yf[. I G . I V ed. min.

3 Vgl.

zuletzt Curtius, Antike Kunst I I 3 4 1 . Neugebauer, J d l . 4 1 , 1926, 93. Lippold, R E . unter Timotheos Nr. 76.

10

VORWORT

Mit den Skulpturen aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts, die sich zu einem Teil im Museum von Epidauros, zum anderen Teil im Athener Nationalmuseum befinden, ist nach der Bauinschrift der Name des Timotheos verknüpft, des bekannten Bildhauers des vierten Jahrhunderts. Die Forschung hat seinen Anteil an den Skulpturen des Asklepiostempels bis jetzt ganz verschieden angenommen: Furtwängler sah in der „Nike" des Ostfirstes (4)1 ein Werk des Timotheos 2 , Neugebauer hingegen will gerade allein diese „Nike" für das Oeuvre des Timotheos ausscheiden 3. Während E. Pfuhl, L. Curtius und G. Lippold den Skulpturenschmuck des Tempels als einheitlich und Timotheos als seinen Schöpfer ansehen 4, erkennen Rumpf und G. M. A. Richter Stilverschiedenheiten. Rumpf gibt nur die „Nike" (4) dem Timotheos, der aber nicht der berühmte des vierten Jahrhunderts sein soll5. In diesem Punkt der antiken Künstlergeschichte zu einem sicheren Ergebnis zu kommen, soll und muß mit eine Aufgabe dieser Veröffentlichung sein. Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf den Katalog der Giebelskulpturen. Vgl. S. 20. Furtwängler SBMünchAk. 1903, 4 3 9 s . 3 Neugebauer, J d l . 41, 1926, 93. Die Alten Sprachen, 6. Jahrg., Heft 5, 8 7 s . 4 Vgl. Pfuhl, J d l . 43, 1928, 4 Anm. 3. Curtius, Die antike Kunst 2, 341. Lippold, RE. unter Timotheos Nr. 76. 5 Rumpf, GriechRömKunst 57. Richter, The Sculpture (1930) 277, Abb. 7ioff.

1 1

DIE B A U U R K U N D E Die uns erhaltene Urkunde über den Bau des Asklepiostempels in Epidauros 1 muß nach den Schriftformen und nach der Schreibweise der Endredaktion der Urkunde in der ersten Zeit des neu eingeführten jonischen Alphabets entstanden sein. Das jonische Alphabet wird in Epidauros nicht viel später als in Athen eingeführt worden sein, also kurz nach 403/2. Wir können also annehmen, daß der Tempel im ersten Jahrzehnt des vierten Jahrhunderts gebaut ist. Ganz bestechend wirkt hiernach eine Interpretation des Platonischen Jon durch B. Keil 3 . Der Dialog ist kurz nach 394 entstanden. Jon, der gerade auf den Asklepien in Epidauros gesiegt hatte, kommt nach Athen, um an den kurz bevorstehenden Panathenaeen des Jahres 394 teilzunehmen. Zu Beginn des Dialoges erfährt Sokrates durch Jon von einem in Epidauros neu eingeführten musischen Agon. »Wann ist diese Erweiterung des Festes wahrscheinlicher, vor oder nach der Erbauung und Vollendung des Tempels des Gottes, dem die Spiele gelten ? Ich denke der Schluß liegt auf der Hand: Die Erweiterung der Spiele hängt mit der Einweihung des neuen, glänzenden Gotteshauses zusammen. Dann ist also das Asklepieion in den vier Jahren 399/8 bis 395/4 gebaut« (B. Keil) 2 . Die Bauleitung hatte der Architekt Theodotos. Er erhielt ein Jahresgehalt von 353 Drachmen (Z. 9). Die Bauzeit des Tempels betrug vier Jahre, acht Monate und einige Tage. Der Tempelbau selbst war im dritten Baujahr beendet: es war das Dach gelegt, waren die Wände der Cella geglättet, die 34 Säulen kanneliert, als der Bildhauer Hektoridas3, von dem ein Werk im Heiligtum stand*, es nach der Bauurkunde Zeile 89 für 1610 Drachmen übernimmt, »KspKiSa t o ü aisTOÖ i p y ä c j a a ö a i « , die Giebelfiguren einer Giebelhälfte des Giebels zu arbeiten. Man hat allgemein mit Recht 1

1 I G . ed. Min. I V 102, A b b . : T a f e l 6. B . Keil, AM. 20, 1895, 75. Das D a t u m wegen des Namens Timotheos herabzurücken, wie man getan hat (Schede, Traufleistenornament 42) ist nicht berechtigt. Die Mitteilung Cic. de nat. Deorum 3, 34, 83, nach der Dionysios von S y r a k u s den goldenen B a r t v o m Kultbild des epidaurischen Asklepios habe entfernen lassen, würde, wenn sie den Tatsachen wirklich entsprach, beweisen, daß Tempel und Kultbild v o r dem Todesjahr (367) des Dionysios jedenfalls schon fertig waren. P o m t o w datiert den Tempel ohne Grund in die J a h r e 373 — 368 (Die große Tholos zu Delphi, Leipzig 1 9 1 2 , 44). Süsseroth, Griechische Plastik des I V . Jahrhundert, datiert in das Jahrzehnt 390/80 die Aurae. 3 T B . 16, 322 unter Hektoridas. R E . unter Hektoridas. 4 I G . 4, 1477

A n m . 4.

Baunack, A u s Epidauros 86.

12

D I E BAUURKUNDE

angenommen, daß es sich hier nur um die Verdingung des Skulpturenschmucks der Front, des Ostgiebels handeln kann. Diese Arbeit wird man zuerst vergeben haben 1 . Hiermit beginnt die Arbeit am Skulpturenschmuck des Tempels. Z. 90 übernimmt Timotheos für 2240 Drachmen die Arbeit an den Akroteren für den »anderen« Giebel, wie wir »£rri t ö v crrepov ccisTÖv« mit Thiersch übersetzen, also des Westgiebels. Es kann hiergegen eingewendet werden, daß »ö ETEpos« nicht notwendig als »der andere« zu übersetzen ist, da die Grundbedeutung nur »der eine von den beiden« ist. Doch da bei der Übernahme der Arbeit für die Giebelfiguren des Ostgiebels durch Hektoridas dies Wort im Gegensatz zu den dann folgenden drei Fällen der Arbeitsübernahme der Akrotere der beiden Giebel und der Skulpturen des zweiten Giebels fehlt, halte ich an Thiersch's Interpretation fest. J a , daß eine andere Übersetzung nicht möglich ist, geht aus den Zeilen 1 1 1 / 1 1 2 der Bauinschrift hervor, nach denen Hektoridas die Giebelskulpturen »der anderen der zweiten Giebelhälfte« des Ostgiebels abgeliefert hat. Anders ist >nräs crrepas KEpxiSos« nicht zu übersetzen. Denn es steht hier deutlich in Beziehung zu der einen Giebelhälfte, die Hektoridas in Z. 89 mit Skulpturen zu schmücken übernahm. Ein Künstler, dessen Namensanfang mit OEO in Z. 97 erhalten ist, übernimmt für 2240 Drachmen« den Auftrag, die Akrotere für »den anderen« Giebel, also den Ostgiebel, zu arbeiten. Nach dem Fragment des Namens ist es zu verlockend, Theodotos, den Architekten des Baues hier als Bildhauer der Akrotere der Front zu vermuten 3. Theodotos erhält das gleiche Honorar wie Timotheos. In Z. 98 sind an einen Künstler, dessen Name verloren ist, die Skulpturen »des anderen Giebels«, das ist der Westgiebel4, für 3010 Drachmen vergeben. Für diese beiden Aufträge zusammen hat Theoxenidas allein die Bürgschaft übernommen. Während zum Beispiel für die Skulpturen nur der einen Giebelhälfte der Eingangsseite zwei Bürgen (Z. 89/90) und für die Akrotere der Westseite zwei Bürgen (Z. 91/92) verzeichnet sind. In Z. 100 f. vergibt die Bauleitung die TtapaieTi'Sas Kai ccyEnövas Kai ßccöpa t o i s dcKpcoTTipiois. In Z. 103 und 104 werden an verschiedene Personen Summen ausgezahlt. Wir wissen leider nicht wofür 5. Auch Hektoridas wird mit einem kleinen Betrag genannt, und Theodotos der Architekt erhält sein Gehalt für das vierte Jahr. In diesem vierten Jahr werden nur noch wenige kleine Arbeiten vergeben, tvie die Bemalung der Löwenköpfe der Sima nach dem von Hektoridas, dem BildH. Thiersch, NGG. 1938, Fachgruppe I. Altertumswissenschaft. Neue Folge, Bd. II, Nr. 8, 1938, 164: »Es wäre nicht zu verstehen, wenn gerade an dieser Stelle, wo zum allererstenmal von den Giebelgruppen überhaupt die Rede ist, und zwar schlechthin — und das nur hier — als von dem Giebel, mit sichtlicher Betonung durch den bestimmten Artikel und ohne irgend einen weiteren Zusatz — wenn gerade hier ausgerechnet der Giebel der Tempelrückseite im Westen gemeint sein sollte. Wäre wirklich dieser gemeint gewesen, so hätte er als solcher unbedingt, sei es auch durch einen noch so kurzen Hinweis, bezeichnet werden müssen. Der Bündigkeit dieser Schlußfolgerung wird sich wohl niemand entziehen wollen.« * Vgl. H. Thiersch a. O. S. 172 Anm. zu S. 168. 3 Neugebauer, Jdl. 1926, 89. Die Alten Sprachen, 6. Jahrg., Heft 5, 87ff. 4 H. Thiersch, a. O. 5 Sicher nicht für die 1

Giebelskulpturen, wie Wolters und Sieveking, Jdl. 24, 1909, 188 meinen. Da die Giebelfiguren in den Zeilen 89, 97, 111 klar und unmißverständlich verrechnet sind.

DIE BAUURKUNDE

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hauer des Ostgiebels, für 16 Drachmen gelieferten Muster (Z. 303), wie die Arbeit eines Gitters und eines Schlosses an der großen Tempeltür. Die Hauptarbeit dieses ganzen letzten Jahres galt also dem Skulpturenschmuck. Da dieser nicht fertig wurde, mußte der Architekt als der Leiter des ganzen Baues noch für ein weiteres halbes Jahr angestellt werden (Z. 110). Dieses halbe Jahr wurde aber auch noch, um 70 Tage, überschritten, die Theodotos bei Beendigung bezahlt wurden (Z. 1 1 1 ) . Daß in dieser Zeit wirklich an den Skulpturen gearbeitet wurde, ist für uns aus einem glücklichen Umstand zu schließen. Hektoridas hat aus einem unbekannten Grund Z. 89 den Skulpturenschmuck nur einer Hälfte des Ostgiebels übernommen. Vielleicht fanden sich keine Bürgen, die für die ganze Ausführung des ganzen Giebels dem Staat gegenüber die Bürgschaft übernahmen1, oder was wahrscheinlicher ist, er selbst benötigte die ganze Summe nicht als Vorschuß. Die Skulpturen dieser zweiten Giebelhälfte lieferte er daher fertig gegen Zahlung von 1400 Drachmen ab. Dieser Betrag ist ganz zum Schluß in der Z. i n nach dem Sechsmonatsgehalt des Architekten, aber noch vor der Schlußzahlung an ihn für die letzten 70 Tage verbucht. Hiernach kann man sagen, daß zwischen Auftragserteilung im dritten Baujahr und Fertigstellung des Ostgiebels mindestens 13/4 Jahre liegen. Der Gesamtbetrag, den Hektoridas nach Z. 89 und Z. i n für den Ostgiebel erhalten hat, beträgt 1610 + 1 4 0 0 = 3010 Drachmen. Genau die gleiche Summe wurde dem uns unbekannten Künstler des Westgiebels gezahlt. Man hat daran Anstoß genommen, daß der Preis für die Skulpturen eines Giebels mit 3010 Drachmen sehr niedrig sei 1 . Ja, Neugebauer zieht sogar den Schluß: »So können nur Gehilfen größerer Meister abgefunden worden sein«3. Der Preis ist aber für seine Zeit nicht gering. Denn selbst der leitende Architekt erhielt nicht mehr als eine Drachme Tageslohn. Da der Architekt des Erechtheions den gleichen Lohn hatte 4, haben wir in den Bildhauerarbeiten des Erechtheionfrieses der Jahre 408/7 und den dafür gezahlten Preisen sehr gute Vergleichsmöglichkeiten, vor allem, weil die Figuren, die jede für sich vom Bildhauer für den dunklen Architrav aus eleusinischem Stein gearbeitet waren, bis auf eine kleine, aber sauber gepickte Ansatzfläche rundplastisch sind, worauf schon C. Blümel ausdrücklich hingewiesen hat 5. 1

1 Partsch, Bürgschaftsrecht I, 331. Sieveking-Wolters, Jdl. 24, 1909, 188. 3 Neugebauer, J d l . 4 1 , 1 9 2 6 , 88. 4 JGI. 374, Z. 109, 256. D a s Architektengehalt kann als Wertmesser der Drachme gelten. Vgl. Schweitzer, Der bildende Künstler 54, Anm. 42. Im Gegensatz zur Bauinschrift der Tholos von Epidauros in der genau zwischen der äginetischen, attischen, korinthischen und argivischen Drachme unterschieden wird (B. Keil, AM. 20, 1895, 64), können wir über den Fuß der Drachme der Bauinschrift des Asklepieions nichts sagen. Doch da noch in der ersten Bauperiode der Tholos der größte Teil der Ausgaben mit attischem Gelde bezahlt wurde (B. Keil, a. O. 68), ist es wahrscheinlich, daß bei der festzustellenden Abhängigkeit des epidaurischen Bauhandwerks von Athen die attische Drachme der Rechnungsablage des Asklepieions zugrunde liegt. Daß der Architekt in Epidauros und der Architekt des Erechtheions die gleiche Summe als Lohn erhalten, spricht auch dafür, daß Theodotos nicht mit der 5 Vgl. Blümel, im Wert so viel geringeren äginetischen oder argivischen Drachme entlohnt wurde. Griechische Bildhauerarbeit 13.

T

4

DIE

BAUURKUNDE

So erhält Phyromachos dreimal für einen Jüngling oder einen Mann 60 Drachmen 1 , Praxias für ein Pferd und einen hinter ihm stehenden Mann 120 Drachmen 1 , Antiphanes für einen Wagen mit zwei angespannten Pferden und einen Jüngling 240 Drachmen3, Mynnion für ein Pferd, einen Mann, der es schlägt, und eine Stele 127 Drachmen^», Soklos für einen Mann, der mit den Zügeln in der Hand dargestellt ist, 60 Drachmen 5, Iasos für eine Frau und ein Kind, das sich vor sie hingeworfen hat, 80 Drachmen6. In einer Prytanie, also ungefähr im Verlauf eines Monats, wurde für solche gelieferten Bildhauerarbeiten für den Fries des Erechtheions die Summe von 3315 Drachmen ausgegeben?. Da, wie die erhaltene Einzelabrechnung zeigt, ein Einheitspreis von 60 Drachmen für eine fast rundplastisch ausgearbeitete Figur 8 — Mann, Pferd oder Wagen — bezahlt wurde, sind in dieser Prytanie 55 Figuren abgeliefert worden. So viel Figuren muß man für den ungefähr 16 m langen Fries der Nordseite der Cella des Erechtheions annehmen, für den die hier verrechneten Figuren gearbeitet waren 9. Der Cellafries ist 61 cm, seine Figuren sind 58 cm hoch. Mit den 60 Drachmen für eine Figur wurde am Erechtheion wohl nur die Bildhaüerarbeit, die der einzelne Steinmetz leistete10, bezahlt nicht aber der Entwurf und das Modell des leitenden Künstlers, nach dem die Bildhauer ihre Einzelfiguren gearbeitet haben. Dieses Modell muß ins einzelne gegangen sein und der leitende Künstler des Frieses muß eine dauernde lebendige, teilnehmende Aufsicht über die Arbeit der Steinmetzen ausgeübt haben. Anders läßt sich die im Fries erreichte Stileinheit und erst recht seine Komposition nicht erklären 11 . Ziehen wir jetzt den Vergleich zu den Preisen der Bildhauerarbeiten am Tempel des Asklepios in Epidauros, so ergibt sich folgendes Bild. Die Bildhauerarbeit an einer Giebelfigur, wie dem ungefähr 65 cm hohen Hockenden (17), oder dem Liegenden (19), die im Rücken alle nicht sorgfältig durchgearbeitet sind, bringen wir mit 120 Drachmen in Anrechnung. Das ist mehr I

J G I . 1 374, Z. 1 6 1 , 169, 1 7 7 .

Hermes 25, 4 3 2 . 4 a. O. Z. 1 7 1 .

2

5 a. O. Z. 1 7 5 .

Griechische Bildhauerarbeit 10

The Erechtheum S. 3 8 8 X V I I 1 0 1 , 1 H .

J G I . 2 374, Z . 1 6 3 . 13.

6 a . o . Z. 180. 9 Vgl.

Vgl. zu dieser Stelle Robert,

3 a. O. Z. 166. Vgl. The Erechtheum Taf. 46, 106. Pallat,

7 a. O. Z. 182. AJA.

8

Vgl.

Blümel,

1 6 , 1 9 1 2 , 1 8 8 ; T h e Erechtheum

4130.

Wenn auch der Bildhauer für die Lieferung einer Figur, also nicht nur für die Arbeit 60 Drachmen

erhielt, so darf man doch annehmen, daß der Marmor den

Bildhauern geliefert wurde,

und die

60 Drachmen nur den reinen Arbeitslohn ausmachen. (Vgl. Blümel, Griechische Bildhauerarbeiten 13.) F ü r die Bildhauerarbeiten des Parthenon steht es jedenfalls fest, daß den Bildhauern der Marmor geliefert wurde (vgl. zuletzt Rumpf, J d l . 40, 1 9 2 5 , 33). In Epidauros war das Material, der Marmor, ebenfalls nicht in dem Preis einbegriffen. Denn Hektoridas übernimmt (Zeile 89 der Bauinschrift) ausdrücklich nur die Bearbeitung der Giebelskulpturen: »'EKToplSas KAETO KepidSoc TOÜ OCUTOÖ ipydcracröai«. II

W i e lange ein Bildhauer in der Antike an einer 58 cm hohen Figur des Erechtheions wirklich gearbeitet

hat, ist nicht sicher zu entscheiden. Vgl. Blümel a. O. 1 3 , der, mit seiner praktischen Erfahrung uns überzeugend, 60 T a g e annimmt, gegen Rumpf, J d l . 1 9 2 5 , 35, A n m . 4, der nur 10 T a g e ausrechnet. Unwahrscheinlich aber ist Blümeis Annahme, daß die einzelnen Steinmetzen wieder noch eigene W e r k stätten gehabt hätten. Dazu sind die Aufträge schon zu sehr aufgeteilt und zu klein. Daß jedoch die in einer Prytanie, also in 3 6 Tagen, für 3 3 1 5 Drachmen gelieferten Bildhauerarbeiten erst in dieser Prytanie auch in A u f t r a g gegeben seien, wie Rumpf a. O. annimmt, das ist technisch kaum möglich.

DIE BAUURKUNDE

15

als genug, wenn man bedenkt, daß für denselben Preis zwei Erechtheionfiguren von etwa 60 cm Höhe geliefert wurden. Die reitende Amazone der Giebelmitte (9) ist mit 240 Drachmen zu berechnen, indem wir, wie am Erechtheionfries, für das Pferd den gleichen Lohn wie für eine menschliche Figur annehmen. Diese hier vorgeschlagene Berechnung ist für den Steinmetz günstiger als für die Bildhauer des Erechtheionfrieses, denn die Giebelfiguren sind nicht doppelt so groß wie die Figuren des Erechtheionfrieses, sondern bestenfalls in der Giebelmitte nur um die Hälfte größer. Um nun weiter den höchstmöglichen Lohn für die handwerksmäßige Bildhauerarbeit eines Giebelfeldes zu errechnen, nehmen wir 16 Figuren für einen Giebel an. Das ist die höchst mögliche Zahl. Danach hätte die Arbeit an den Skulpturen eines Giebels ganz hoch gerechnet 1920 Drachmen gekostet. Von dem an einen Giebelmeister gezahlten Betrag von 3010 Drachmen bleibt nun noch ein Rest von 1090 Drachmen übrig. Diese hohe Summe kann man nur als den Lohn bzw. Gewinn des leitenden Bildhauers für Modell und Leitung verrechnen. Eine andere Möglichkeit besteht kaum. Der Gewinn des Künstlers ist mit einem guten Drittel der Gesamtsumme unvergleichlich hoch 1 . Schon allein aus dieser Rechnung ergibt sich klar, daß die beiden Künstler, die den Giebelschmuck lieferten, nicht Gehilfen eines größeren Meisters waren, sondern selbständige Künstler, die jeder für sich ihren Auftrag vom Entwurf bis zur Vollendung erledigten. Da die Künstler einen Teil der Bildhauerarbeiten selbst durchführten, verdienten sie persönlich außerdem einen Teil der oben mit 1920 Drachmen berechneten Summe für die reine Bildhauer arbeit. Bei einem Tageslohn von 1 Drachme sind 1920 Tagewerke an Bildhauerarbeit für die Skulpturen eines Giebels geleistet. Da nach der Bauinschrift ungefähr 600 Tage an den Skulpturen gearbeitet ist, müssen sich durchschnittlich drei Bildhauer in die Arbeit eines Giebels geteilt haben, d. h. jeder Giebelmeister hatte während der ganzen Zeit noch zwei Gesellen in Arbeit, und jeder von ihnen arbeitete in dieser Zeit fünf Figuren für 600 Drachmen, also in 120 Tagen eine Figur. Blümel nimmt für eine Figur des Erechtheionfrieses eine Arbeitszeit von 60 Tagen an 2 . Diese schematische Rechnung, das muß zum Schluß betont werden, ist in jedem Punkte zugunsten der eigentlichen Bildhauerarbeit durchgeführt worden. Sicher war der Verdienst des leitenden Bildhauers in Wirklichkeit noch höher, als wir schon errechnet haben. Wenn wir die Arbeit an den Akroteren berechnen, erhalten wir für den leitenden Künstler ein noch günstigeres Ergebnis. Die Akrotere des Westgiebels, die zwei 79 cm hohen Reiterinnen (2, 3) und das ungefähr i , i o m hohe Mädchen3 mit dem Vogel in der Rechten (1), sind mit 2240 Drachmen bezahlt. Die Bildhauerarbeit an einem Eckakroter von 79 cm Höhe berechnen wir mit 240 Drachmen, indem wir sowohl für das Pferd, wie für die Reiterin wieder jedesmal den doppelten Preis der 59 cm hohen Erechtheionfiguren rechnen. Das Mittelakroter mit den weit1

Über den Verdienst des bildenden Künstlers vgl. Schweitzer, Der bildende Künstler 54. Vgl. Blümel, Griechische Bildhauerarbeit 13. 3 Die bei Blümel, Griechische Bildhauerarbeit 14 angegebenen Maße hat L. Curtius schon richtiggestellt. BrBr. 766, 5, Anm. 4.

2

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DIE

BAUURKUNDE

bewegten Gewandfalten schätzen wir im günstigsten Falle auf 300 Drachmen. 7 8 0 ( 2 X 2 4 0 + 3 0 0 ) Drachmen sind also für die Bildhauerarbeit der drei Figuren ausgegeben, und 1460 Drachmen bleiben für Entwurf und sonstige Ausgaben. Der Verdienst, den hier Timotheos, der Meister dieser Akrotere, gehabt hat, ist besonders hoch, so daß schon C. Blümel annahm, daß in die hohe Summe die Kosten für Entwurf und Modell miteingeschlossen sein müßten 1 . Der Meister der Akrotere des Ostgiebels hat an seinen Akroteren das gleiche verdient 2 . Die unbefangene Lesung der Urkunde führt so eindeutig zu dem Ergebnis, daß vier Künstler mit ihren Gesellen an der Ausschmückung des Asklepiostempels beteiligt waren, und jeder seinen Teil für sich gearbeitet hat, wie wenig später auch am Mausoleion von Halikarnassos. Daß Hektoridas, der Meister des Ostgiebels, nicht ein Steinmetz, sondern ein selbständiger Künstler war, können wir außerdem schon daraus schließen, daß von ihm nicht nur ein Bildwerk im Heiligtum stand, sondern er auch für 16 Drachmen das Muster für die Bemalung der Sima mit dem Löwenkopf Wasserspeier lieferte 3. Die fast allgemein verbreitete Ansicht, daß die Skulpturen des Asklepiostempels in ihrer Gesamtheit als das Werk des Timotheos anzusehen sind, ist schon nach dieser Lesung der Bauurkunde nicht mehr aufrecht zu halten. Diese Annahme gründete sich vor allem auf die Verrechnungsnotiz Z. 37 der Bauinschrift: TiiJioöeos e A e t o t ü t t o u s epyaaaaOai Kai irapixEiv. Hiernach hat Timotheos es übernommen, für 9 0 0 Drachmen t ü t t o i z u arbeiten und zu liefern. Da dieser Vertrag bei der Auftragserteilung der Bauarbeiten eines Ergasterion 4 in der Urkunde eingetragen ist, nahm man fast allgemein an, daß die t u t t o i Modelle für den Skulpturenschmuck des Asklepiostempels seiens. A. v. Blumenthal hat uns aber in einem ausgezeichneten Aufsatz den Bedeutungswandel des Wortes tvtttos klargemacht 6 ; »Hohlform — Relief — Abdruck einer Form — Statue — Unform — plastische Skizze«7, das alles kann t ü t t o s sein. Doch für die letzte Bedeutung »plastische Skizze« kennt A. v. Blumenthal »nur ein einziges, einigermaßen sicheres literarisches Beispiel, Piaton Legg. IX 876 e«8 tö irepiypaqjfiv xe Kai t o u s t v t t o u s t c o v Tipcopicöv efrrövTas Soüvai taAäv ¿yKccOaios für den Asklepiostempel. In der Bauinschrift des delphischen Tempels sind 17 Statere bezahlt für Lieferung »TOÜ UAPOCSEIYUATOS R A S AEOVTOKECPAAÄS« (Dittenberger, 241 B. 105). In der Tholosinschrift von Epidauros findet sich Z. 72 trapötSEiyna als Modell für den Schmuck der Zellawand der Tholos. Auch Piaton kennt das -irapÄSeiypa, das Modell der Bildhauer (Tim. p. 28 G). Diese Reihe läßt sich weiter vermehren3. Dieser Terminus ist im Bauhandwerk, wie alle Bauinschriften zeigen, zu geläufig, als daß man ihn nicht angewandt hätte, wenn Timotheos wirklich Modelle geliefert hätte. Drittens ist es entscheidend, daß die Arbeit und Lieferung der TÜ-TTOI von Timotheos während des Arbeitsauftrags eines Ergasterions übernommen wurden. Es findet sich kein Hinweis, wofür die TUTTOI bestimmt sind. Und, wenn die TÜTTOI wirklich Modelle wären, dann hätte der sich sonst sehr präzise ausdrückende Verfasser der Urkunde es bestimmt klar formuliert, daß es sich hier nicht nur allgemein 1

a. O. 408.

1

Blümel, A A . 1939, 301

SBBerl. 1922, 24, 19öS. 2

Crome

ff.

3 Alexander Pogovelski, F. Hiller v. Gärtringen,

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DIE BAUURKUNDE

um Modelle, sondern eben um die Modelle der Giebelskulpturen handelt, wie es in den Inschriften allgemein Brauch war. Das zeigen die angeführten Beispiele. Es gibt nur eine Lösung aus all diesen Schwierigkeiten. Die TÚTTOI des Timotheos sind Reliefs. Wir nehmen damit die schon früh und am meisten gesicherte Bedeutung von TÚTTOI an. So kennen wir TÚTTOI = = Reliefs aus den Inventaren der Heiligtümer, z. B. des athenischen Asklepios-Tempels um 275 1 und des delischen Bezirkes aus den Jahren 150/5 2 . P. Wolters hat auf Grund des klaren sprachlichen Tatbestandes die früher von ihm mit Nachdruck vertretene Auffassung, die von Timotheos gearbeiteten und gelieferten TÚTTOI seien die Modelle der Giebelskulpturen, aufgegeben und die Bedeutung von TÚTTOS als Hohlform durch weitere Belege gestützt, so daß er auch nur die Reliefs als TÚTTOI bezeichnen möchte, die aus Hohlformen stammen oder getrieben sind 3. Wofür aber waren die Reliefs des Timotheos dann bestimmt ? Nach der Bauinschrift muß man annehmen für das Ergasterion. Thiersch hat in seiner Zusammenstellung der Ergasteria nach Furtwängler noch einmal darauf hingewiesen, wie ungewöhnlich massiv und sorgfältig, im Gegensatz zu anderen uns bekannten Ergasteria, das Ergasterion von Epidauros nach der Bauinschrift gebaut gewesen sein muß. So kosteten die Dachbalken allein 240 Drachmen (Z. 32). Sotairos erhielt für Nägel und Metallbeschläge 157 Drachmen (Z. 43), für Holzarbeiten an der Tempeltür und am. Ergasterion 840 Drachmen. Selbst die Wände des Ergasterions waren geglättet, die Türen verpicht (Z. 256 u. 246). Der Schlüssel der Werkstatt kostete allein 29 Drachmen (Z. 222). Ein so solider und wohl verschließbarer Bau konnte nur etwas Kostbares bergen. In ihm wird Thrasymedes sein Goldelfenbeinbild des Asklepios gearbeitet haben 4. Daß ein solcher Bau, der sicher seinen Zweck überdauerte, wie wir das von der Werkstätte des Phidias in Olympia wissens, auch mit Reliefs geschmückt war, dürfen wir nach der Bauinschrift mit guten Gründen vermuten, und wahrscheinlich sind uns in den beiden schönen Hochreliefs mit dem göttlich thronenden Asklepios (Athen, National Museum 174) diese Reliefs des Timotheos erhalten. Das eine Relief hat W. H. Schuchhardt schon lange als Werk des Timotheos erkannt 6 . Das Gegenstück ist sicher von einem Gesellen gearbeitet. Sein anderer Stil springt in die Augen. 1 1 JG. II 2 , 1534. Vgl. zusammenfassend Hermes 63, 1928, 401, Anm. 4. a. O. 398. 3 CorollaCurtius 95fí. In Anm. 1 nimmt P.Wolters noch an: Trapíxtiv heiße »je nach Bedarf zur Verfügung stellen«. Sicher bedeutet es aber in der Bauinschrift »liefern«. Vgl. zuletzt A. v. Blumenthal, Hermes 6 3 , 4 1 3 . Zu TÚTTOS = Relief, vgl. noch Frhr. Hiller v. Gärtringen (IG. ed min. IV 1 0 2 zu Zeile 3 6 , und A. Rumpf (GriechRöm. Kunst 5 7 ) ; E. Langlotz (Jdl. 1 9 , 1 9 3 4 , 2 5) hält die TÚTTOI für Modelle in Form von Reliefs. Hierfür liegt kein Grund vor. 4 H. Thiersch, GGN. 1938, Bd. II, 15 ff. 6 5 Über die monumentale Werkstatt des Phidias in Olympia vgl. zuletzt H. Thiersch a. 0 . 8 . Gnomon 4, 1928, 207. Lippold, RE. unter Timotheos Nr. 76 stimmt Schuchhardt zu. Schuchhardt, Geschichte der Kunst 3 3 1 , Abb. 306. »Wie in der ruhigen, königlichen Haltung, so ist auch in dem klaren rhythmisch gegliederten Faltenwerk ein Nachklang der klassischen Formensprache des fünften Jahrhunderts zu spüren. Die feine und zarte Faltengebung aber, ihre spröde fast gebrechliche Ausarbeitung verrät unmittelbar die Hand des Timotheos als eines feinsinnigen und zugleich etwas altmodischen Heisters.«

DIE BAUURKUNDE

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Was die Bauurkunde aussagt, wird entscheidend durch die erhaltenen Reste des Skulpturenschmucks des Asklepiostempels bestätigt. Sie zeigen, wie wir im folgenden sehen werden, so große Stilverschiedenheiten nicht nur im einzelnen, sondern auch im Aufbau der Figuren und der ganzen Giebelkomposition, daß man nichts von einer einheitlichen Leitung der gesamten Bildhauerarbeiten merkt. So falsch es war, Timotheos nur seines berühmten Namens wegen als den eigentlichen Künstler von Epidauros zu bezeichnen, geht es auf der anderen Seite zu weit, wenn man bestreitet 1 , daß der hier genannte Timotheos identisch sei mit jenem, der um die Mitte des 4. Jahrhunderts mit Skopas, Leochares und Bryaxis zusammen an dem Skulpturenschmuck des Mausoleions arbeitete und damit zu den ersten Bildhauern seiner Zeit gehörte. Da es feststeht, daß Timotheos in der Nähe von Epidauros gearbeitet hat — nach Pausanias (2, 32) war das Bild des Asklepios in Troizen, in dem die einheimischen Hippolytos erkannten, sein Werk — muß man daran festhalten, in den von Timotheos für den Asklepiostempel von Epidauros geschaffenen Akroteren des Westgiebels Jugendwerke des großen Meisters des 4. Jahrhunderts zu sehen. Sonst wissen wir wenig von ihm. Ein Ares auf der Akropolis von Halikarnass und eine Artemis, die später im Apollotempel auf dem Palatin zwischen dem Apollo von Rhamnus des Skopas und der Leto des jüngeren Kephisodot aufgestellt war, sind uns neben seiner Mitarbeit am Mausoleion noch als seine Werke überliefert. Außerdem zählt Plinius Timotheos in seiner Liste der Erzgießer auf*. 1 1 Rumpf, GriechRöm. Kunst 57. Vitruv II, 8, 11. Plin. n. h. 36, 32. Properz 3, 31, 15. Über Timotheos vgl. zuletzt Lippold, R E . unter Timotheos

2*

TIMOTHEOS DIE A K R O T E R E DES WESTGIEBELS Die Akrotere des Westgiebels sind uns am vollständigsten erhalten. Sie sind, wie alle Skulpturen des Tempels aus pentelischem Marmor. Nach der Bauurkunde wissen wir, daß sie Werke des Timotheos sind. Sie sind die wichtigsten Zeugnisse seiner Kunst und sollen deshalb zum Ausgangspunkt der Betrachtung des Skulpturenschmucks genommen werden. 1. Epione, mit Vogel in der rechten Hand, Athen NM. Nr. 155, 86 cm hoch 1 . Oben an der Brust, über dem Chiton, in den Falten über dem rechten Unterarm, in den Falten unter dem linken Arm und im Rücken Verwitterungsspuren. Oberkörper und Unterkörper sind wieder zusammengesetzt. Taf. 1—3. FO. des Oberkörpers: in den späten Mauern zwischen Tempel und Tholos. Literatur: Eph. 1884, Taf. 4, 8, 9; KabbKat. Nr. 155. Basis des Praxiteles, 69.

LechDefr. 77.

SBMünch. 1903, 444, Taf. 2.

Cavv. 20, Taf. 8, 5, 5 a ; 11, 12.

Furtwängler, Phil. Wochenschr. 1888, 1484.

Amelung,

Furtwängler,

Winter, K i B . 298; Stais, Marbres et Bronzes 38 ff. Curtius,

SBHeid.

1923, 4, Abh. S. 12. Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 89ff. Papaspiridi, Guide, S. 61 Nr. 155. Curtius, Die antike Kunst, 340, Abb. 497. Neugebauer, Die Alten Sprachen, 6. Jahrg., 87.

Das Mädchen mit dem Vogel auf der Hand des rechten angewinkelten Armes hat man allgemein für eine Nike gehalten. Man nahm im Rücken große Flügel an. Die flügelartigen Reste im Rücken sind nichts anderes als die Ansätze des Gewandes. Um den rechten Unterarm ist es fest herumgeschlungen. Die Enden flattern heftig zurück. Von dem seitwärts ausgestreckten linken Arm war es ausgespannt und durch den Wind aufgebläht. Der Mantel war wie ein Segel ausgebreitet. Um bei dieser Gestaltung einer »Velificans sua veste« festen Halt für die kühn ausgebreitete Marmormasse des Mantels zu haben, hat der Bildhauer im Rücken Masse stehen lassen müssen 2 . Bis oben an die Schultern sind die Ansätze für das Gewand rechts und links hinaufgeführt, in Höhe der Schultern aber glatt abgearbeitet, so daß sie bei nur wenig erhöhter Aufstellung der Figur schon nicht mehr sichtbar sind 3. 1

Die Maßangabe bei Curtius, Die antike Kunst, Abb. 497 ist durch Druckfehler entstellt.

3

Die

von Furtwängler a. O. vermerkten Keillöcher in den »Flügelstumpfen« sitzen zu sehr am Rand, als daß sie Flügeln irgend einen Halt geben könnten.

3 Die von oben aufgenommene Aufnahme der A b -

bildung bei Cavv. a. O. Taf. 11, 12 zeigt die Ansätze.

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Die feste Standfläche der Figur bildete ein großer Block mit den weit zurückgewehten Falten. Das vorgesetzte linke Bein löste sich nicht, wie bei der Nike des Paionios, aus dem Marmorblock los, sondern war durch eine Faltenwand mit diesem verbunden. Das Mädchen stürmt nicht einfach nach vorn. Eine Drehung bestimmt den beschwingten Rhythmus der Gestalt. Sie beginnt unten im rechten zurückgesetzten Fuß, und führt spiralförmig um das vorschreitende linke Bein über den Bauch zu der nach hinten zurückgenommenen linken Schulter. Die Drehung ist so stark, daß die Beine sich leicht überkreuzen. In der Seitenansicht wird die Bewegung zum Tanz. Diese Figur, und das ist ihre Bedeutung, zeigt einen Ansatz jener Torsion in der Bewegung der Gestalt, die Skopas in seiner Mänade später vollendete1. Das Mädchen ist der Ausgangspunkt, die Dresdener Mänade die höchste Steigerung dieser drehenden, wirbelnden Aktion des Körpers. Ganz in der Tradition des ausgehenden fünften Jahrhunderts steht die Darstellung des Gewandes, in seiner Bewegtheit, seiner schwunghaften, S-förmigen Führung der Falten. Sie verhüllen nicht den Leib, sie betonen ihn. So stauen sich die Falten über und zwischen den Brüsten, die unter dem Chiton kräftig sich vorwölben. Ja, die linke Brust ist für den Chiton, der sich auf der Schulter gelöst hat, geradezu der Halt, ganz wie bei der Nike von der Stoa des Zeus Eleutherios1 auf der Agora von Athen. Dieses Motiv hält sich weiter bis zur Nike von Samothrake. Alle Falten strömen unter der linken Brust am Gürtel zusammen, wie von der Kraft eines Wirbels angesogen. An einer Nike von der Nikebalustrade ist dieses Motiv vorgebildet 3. Nur sind die Falten hier noch nicht so aufgelockert. Im Gegensatz zu den tiefen, wirbelnden Falten zwischen und um den Brüsten ist das Gewand an den Unterkörper vom Winde angepreßt, so daß das Nabelgrübchen durchschimmert und die Beine wie nackt hervortreten. Die feinen Gewandfalten umziehen den leicht vorgewölbten Bauch und fließen zwischen den Beinen zusammen. Künstler wie der des Kopenhagener Apoll 4 und Paionios haben dieses Motiv zuerst verwandt. Es war so reizvoll, daß nicht nur Timotheos es hier übernommen hat; es findet sich z. B. auch bei Gestalten der Nikebalustrade oder der ungefähr gleichzeitigen »Aura vom Palatin«, hier nur härter und in den Übergängen schroffer 5. Timotheos' Werk — und sicher war dieses Mittelakroter von seiner Hand — steht deutlich in der Tradition des reichen, bewegten, beschwingten attischen Stils vom Ausgang des 5. Jahrhunderts. Im Aufbau der Figur aber wird das Neue sichtbar, das Timotheos hier durch die der Figur gegebene Drehung mit Erfolg gestaltet 1

Es ist dies die Dresdener Mänade. Trotz der Bedenken von Lippold (RE. 2. Reihe, 3, 577, unter Skopas). Vgl. Rumpf (Gerke-Norden 3, 59); Neugebauer, Studien über Skopas 51, Tai. 3—4; Pfuhl, J d l . 43, 1928, 2gff. Pfeiff, Apollon 1 2 7 0 . ; Schuchhardt, Geschichte der griechischen Kunst, Abb. 299. > Hesperia 4, 1935, 374; Taf. 4; A A . 1933, 195, Abb. 1. 3 Vgl. Hekler, J d l . 1927, 73 Abb. 1 3 ; Carpenter, The Sculpture of the Nike-Temple, Taf. 9. 4 N y Carlsberg, Taf. 3 3 ; J d l . 1926, 41, 146; Pfeiff, Apollon 112. 5 BrBr. 766, vgl. L. Curtius' ausgezeichnete Analyse im Text S. 8. Ferner vgl. Carpenter a. O. 58. W. H. Schuchhardt, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts I, 1948, 135, Anm. 2.

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hat. Es fehlt dieser Gestalt alle Unsicherheit im Aufbau, die am Ende des fünften Jahrhunderts an Figuren wie dem Kopenhagener Apollon bemerkbar ist, die eine leicht drehende Bewegung zur Darstellung zu bringen versuchen1. Daß die Deutung des Mädchens auf eine geflügelte Nike voreilig war, haben wir gesehen. Eine Nike »apteros« wird es kaum sein. Denn kein Künstler würde gerade bei einer Akroternike, die herabschwebt, auf die Flügel — und damit das eigentlich reizvolle Motiv einer solchen Firstgestalt — verzichtet haben. Deshalb hat L. Curtius sie wohl auch als »Aura« gedeutet3. Schon der Vogel in ihrer Rechten ist kaum ein Attribut der Nike. Dieser könnte uns allein für die sichere Deutung der Figur den entscheidenden Fingerzeig geben, wenn nicht seine beiden Schwingen, sein Hals und Kopf weggebrochen wären, wodurch die Vogelart nur schwer zu bestimmen ist. Auch die oben auf dem Rücken als Federansätze nebeneinander eingeritzten Bogen ergeben für eine Deutung nichts. Nach dem Halsansatz können wir aber den Hals nur dünn und lang annehmen. Sicher war der Vogel kein Hahn, wie Lechat den Vogel bezeichnet hat. Der Hals eines Hahnes setzt sich niemals vom Körper so scharf ab, wie es hier der Fall ist. Rumpf hat das Tier als »Wasservogel« richtiger erkannt3. Für einen solchen ist der dünne, lange Hals geradezu bezeichnend. Nach der Größe des Tieres wird dieser Wasservogel eine Gans gewesen sein. Seit dem Ausgang des 5. Jahrhunderts kennen wir Terrakotten: Frauen die in der Hand einen kleingebildeten Schwan halten, mit der anderen Hand das Gewand schützend ausbreiten, dahineilen und Leda darstellen4. Die Ähnlichkeit mit dem Firstakroter ist auffallend. Aber als Schwan kann der Vogel auf der rechten Hand nicht gedeutet werden. Im Kreise des Asklepios kennen wir Epione, die eine Gans als Attribut hat und auf dem Arm hält5. Einmal sitzt sie auch unter ihrem Thron. Die Gans war dem Asklepios heilig. Ihr Fleisch, ihre Eier, und vor allem das Schmalz galten als milde und angenehme, aber wirkungsvolle Heilmittel. So darf man am ehesten in diesem Mittelakroter des Westgiebels Epione, die Schmerzlindernde erkennen, die Verkörperung des Milden und Linden in der Heilkunst, die Gattin des Asklepios. Die Göttin, die den Menschen die milden Heilmittel, fiiTia «päpnaKoc durch die Gans spendet, die sie auf ihrem rechten Arm trägt, schwebt oben vom First des Tempels für die Kranken herab. 2. Kopf eines Mädchens. Rechte Seite verwittert. Kinn, Nase, Mund stark bestoßen. Gesichtshöhe 11 cm. Athen NM. 140. FO. Westseite des Tempels. Taf. 4,5. ' Pfelff, Apollon 112. Vgl. die überzeugende Einordnung durch W. H. Schuchhardt, Mitteilungen des 1 SBHeid. 1923, 4. Abh., Astragal des SoDeutschen Archäologischen Instituts I, 1948, 129 ff. tades. 3 Rumpf, GriechRöm. Kunst 58 ff. 4 Winter, Typen 3, 1, 69, 2 ff.; BrBr. 648. Zur Deutung dieser Figur auf Nemesis vgl. Furtwängler, Samml. Sabouroff 2. Vaseneinl. 9. Dazu ML. unter Nemesis. 5 Vgl. hierüber Svoronos, Das Athenische Nationalmuseum 296, Taf. 40, 5; vor allem S. 297.

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L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 8, 9. Eph. 1884, Taf. 4, 1. KabbKat. 140; DefrLech. 67 Nr. 5; Winter, KiB. 298, 5; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 92, Beilage 1, Abb. 3, 4.

Dieser weibliche Kopf ist vor der Westseite des Tempels gefunden. Er kann also zu den Akroteren, nach seiner Größe zum Mittelakroter, oder den Amazonen des Westgiebels gehören. Drei Flechten sind um die Stirn gelegt. Ein zurückgelegter Scheitelzopf faßt das Haar der Stirnseite zusammen. Diese Frisur hat ihr Vorbild in der Haaranordnung der Erechtheionskoren. Für den attischen Einfluß ist dies wieder ein Beleg. Sonst tragen diesen Zopf auch Eros, Kinder und Apollon 1 . Unter dem Zopf ist das Haar für einen Bronzeschmuck ( ?) durchbohrt. Der Kopf ist noch in den einfachen, großen flächigen Formen des fünften Jahrhunderts angelegt, und darin dem Kopf des Dexileos verwandt. In der vorspringenden Unterstirn aber wird das Neue sichtbar, das dem Gesicht eine Spannung im Ausdruck verleiht, die Skopas in den Giebelskulpturen von Tegea später übersteigert hat. Die Anordnung des Zopfes, der nach rechts verrutscht ist, und die ein wenig vorgezogene rechte Gesichtshälfte, die in der Modellierung der Flechten und des Ohres vernachlässigt ist, weisen darauf hin, daß der Kopf auf eine linke Dreiviertelansicht gearbeitet ist. Der geöffnete Mund zeigt leidenschaftliche Erregung. Der Blick scheint nicht auf ein nahes Ziel, eher leicht nach oben und in die Ferne gerichtet zu sein. Eine Amazone wird dieser Kopf schon nach seiner Frisur nicht sein. Auch der einst vorhanden gewesene Ohrschmuck spricht dagegen, den die Eckakrotere auch getragen haben. So möchte ich das kleine Köpfchen für das Mittelakroter in Anspruch nehmen, wenn er auch Bruch an Bruch nicht anpaßt. Zu diesem Mittelakroter gehören nach ihrem Fundort die beiden auf Pferden reitenden Mädchen (3, 4). 3. Mädchen auf einem Pferd nach links reitend. Athen NM. Nr. 157. 79,5 cm hoch. Stark verwittert, Rückseite ist nur angelegt. Das Ohrläppchen zeigt Loch für Ohrgehänge, oben mitten auf dem Kopf Loch für Eisendorn. Kopf und linker Ellenbogen sind Bruch an Bruch angesetzt. Taf. 6, 7, 8. FO. : an der Westseite des Tempels. L i t e r a t u r : Eph. 1884, Taf. 3,3, 3 a (Rückseite der Figur); KabbKat. Nr. 1 5 7 ; Cavv. 20, Taf. 8, 3, 3a, 11, 1 7 ; LechDefr. 77ff.; BrBr. 19; Winter, KiB. 298 (hier gute Abbildung für die richtige Stellung!) ; Collignon II, 198, Abb. 93; Stais, Marbres et Bronzes, 40; Springer-Wolters" 320, Abb. 595; ML. 3, unter Nereiden S. 227, Abb. 7; Neugebauer, Jdl. 41,1926, 89ff.; Curtius, Die antike Kunst 339, Abb. 495; Gute Abbildung des Kopfes: BrBr. 648, Abb. 4 — 6. Zur Deutung dieser Figur und der folgenden vgl. Amelung, RM. 20, 1905, 306; Wolters-Sieveking, Jdl. 24, 1909, 198.

4. Mädchen, im Chiton mit entblößter rechter Brust, nach rechts reitend. Oberfläche verwittert. Athen NM. Nr. 156. 68 cm hoch. Taf. 9. FO. : Vor der Westseite des Tempels. L i t e r a t u r : Eph. 1884, Taf. 3, 2; KabbKat. Nr. 156; Cavv. Taf. 8, 2; 11, 16; LechDefr. 75; Winter, KiB. 298, 1 ; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 89ff. ; vgl. weitere Literatur unter Nr. 2. 1

Vgl. Bulle, Der schöne Mensch 215, Taf. 192; Dict. des antiquités s. v. Coma 1 3 6 1 ; Meisterwerke 570; CatBritMus. 3, 1549S.; Pfeiff, Apollon Taf. 52.

Furtwängler,

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TIMOTHEOS

DIE AKROTERE DES WESTGIEBELS

Diese Reiterinnen sind schon lange als Eckakrotere erkannt, sie sitzen zur Mitte hin; und zwar sind sie ganz für eine Schrägansicht vom Künstler entworfen, indem er für den Betrachter den Standpunkt unten mitten vor dem Tempel angenommen hat. Nur in einer solchen Aufnahme, die den ursprünglichen Standpunkt des Betrachters berücksichtigt, wie es die Tafel 7 zeigt, kommen die Akrotere zu ihrer vollen Wirkung 1 . Der Sitz des Mädchens, die Haltung der Beine, die um den Pferdehals herumgelegte Hand und der leicht angehobene linke Arm, dessen Hand den im Rücken flatternden Mantel hielt, werden so zu einer lebendigen Aktion. In dieser Ansicht ist auch die Anordnung des Chitons, wie er in großen, tiefen Falten an den Pferdeleib zurückflattert und die Beine der Reiterin ganz hervortreten läßt, sinnvoll. Reine Vorderansichten, wie auf Tafel 8 und 9, lassen die Akrotere in der Faltengebung unruhig, zerflatternd, und in ihrer Bewegung steif und ungelenk erscheinen. Die Einheit des Ganzen ist verloren. Die beiden Mädchen unterscheiden sich vor allem in der Gewandung. Die eine (3) trägt einen Chiton, der gegürtet ist. Um beide Schultern läuft eine Schnur, die im Rücken kreuzweise gelegt ist; sie hält den Mantel hinten im Rücken fest und soll das Wegflattern des Gewandes bei dem Ritt verhindern Die andere (4) trägt einen ungegürteten Chiton, der von der rechten Schulter heruntergeglitten ist und die rechte Brust entblößt. Über der linken Schulter fällt dicht und fein gefältet der Mantel hinter dem Pferdehals herunter. Er liegt schräg im Rücken, seinen einen Zipfel hält die rechte Hand vorn auf dem Schoß. Mit der linken Hand greift sie vorn zum Hals des Pferdes. Die beiden Akrotere haben durch die Verwitterung ihre Oberfläche und damit alle Feinheiten der Modellierung eingebüßt. Aber zweierlei ist noch deutlich, nämlich daß die beiden Reiterinnen wohl nach Modellen e i n e s Künstlers gearbeitet sind, daß aber in der Ausführung soviel Verschiedenheiten sind, daß für jede Figur ein anderer Geselle angenommen werden muß. Die beiden kräftigen Pferdekörper zeigen auf den ersten Blick ihre nahe Verwandtschaft und ihre Herkunft aus der attischen Kunst 3. Doch das Pferd des rechten Akroters (3) ist kräftiger durchmodelliert, das Muskelspiel des Hinterschenkels wie des Schulterblatts ist sichtbar gemacht. Die Mähne ist bei ihm nicht so fein und gelockert gebildet wie bei dem anderen Pferd (4). Die Mädchen zeigen die gleichen Unterschiede: Bei dem Mädchen des rechten Eckakroters (3) fällt die kräftige Bildung des Körpers auf, die Anlage des mit vielen tiefen Faltentälern durchmodellierten Gewandes macht die Rundungen des Körpers deutlich. Bei der anderen Reiterin (4) ist nicht nur der Körper von einer zarteren Bildung 1 , auch die Falten sind mit allen kleinen Knicken und Tälern sowohl feiner wie auch schwungvoller durchgeformt. Doch das beiden Eckakroteren Modelle eines Künstlers zu Grunde liegen, zeigt der ganze Aufbau, der 1

1 Die Aufnahme wurde nach dem Göttinger Gips von L. Pieper gemacht. Vgl. hierzu Bieber, Entwicklungsgeschichte der griechischen Tracht, Tai. 25. (Vorder- und Rückseite.) BrBr. 212. Auch der Wagenlenker von Delphi hat z. B. diese Schnur, die das Flattern des Chiton um die Brust und um den Rücken verhindern soll. 3 Vgl. die Pferde auf dem Dexileos-Grabmal und dem Reiterdenkmal der Villa Albani.

TIMOTHEOS. D I E A K R O T E R E D E S

WESTGIEBELS

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die Akrotere nur in schräger Dreiviertelansicht von unten wirkungsvoll werden läßt, wie wir auf Tafel 7 gesehen haben, und wodurch auch der Stilzusammenhang mit dem Mittelakroter erst sichtbar wird: man vergleiche die zurückwehenden, tiefen, geschwungenen, langen Falten unterhalb der Knie bei dem Seitenakroter (3) und dem Mittelakroter (1); ferner die gebrochene Faltenführung des vom rechten Bein zurückwehenden Mantels der Reiterin (3) mit den Falten, die von der Brust des Mittelakroters zum Gürtel herunterfallen. Ganz übereinstimmt bei beiden auch eine Einzelheit, wie der oben um die rechte Brust herumgelegte Faltenwulst. Die Stilverwandtschaft mit dem Mittelakroter ist deutlich. Sie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Mittelakroter in seiner Ausführung weit die Eckakrotere überragt. Das kann nicht anders erklärt werden, als daß der Meister des Mittelakroters die Ausführung seiner Entwürfe der Eckakrotere Gesellenhänden überlassen hat. 5. Mädchenkopf, nur rechte Seite mit Hals erhalten. Epidauros, Mus. 8, 15 cm hoch. Stark verwittert. Loch im Ohrläppchen und hinterm Ohr im Zopf. Taf. 10. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : Neugebauer, J d l . 41, 1926, g 2 f f .

Dieses Fragment gehört nicht nur nach seiner starken Verwitterung zu einer der Akroterfiguren, sondern auch nach seiner Frisur, dem Schopf im Nacken und nach dem Loch im Oberläppchen für ein Ohrgehänge. Denn alles das hat genau so der Kopf der Reiterin des Eckakroters (3). Dazu ist der Aufbau des Kopfes und der feine, schmale Umriß des Gesichts beider Köpfe so ähnlich, daß man sie derselben Werkstatt zuschreiben muß. Es ist hiernach wahrscheinlich, daß der Kopf zu der anderen Reiterin (4) gehört, wenn es auch nicht möglich war, beide Bruch an Bruch anzupassen. Diese reitenden Mädchen hat man früher allgemein als »Nereiden« gedeutet. Aber Nereiden reiten auf Seetieren und nicht auf Pferden 1 . So hat Amelung sie als aöpai bezeichnet. Schon Euripides kannte die aupai als besondere Gestalten 2 , und für das 4. Jahrhundert überliefert uns Plinius3 »auras velificantes sua veste« des Praxiteles. Abgesehen davon, daß es nicht sicher ist, ob diese mit ihrem Gewand dahinfliegenden Mädchen nicht erst durch Plinius als aurae gedeutet worden sind 4, so entsprechen solche Mädchen doch eher dem Wesen der Aurae, als die Mädchen hoch zu Roß. 1

In den Pferden Gestalten des Wassers, der Quellen zu erkennen, ist trotz Kern, Die Religion der

Griechen, 8 9 s . nicht möglich. Eine Quelle wie die Hippukrene, kann durch den Huf eines Rosses wohl aus dem Boden geschlagen werden. Eine Quelle kann aber nicht Roßgestalt haben. Vgl. Malten, J d l . 29, 1 9 1 4 , 185 ff.

* Euripides, Hekabe 444.

tius, SBHeid. 1923, 4. Abh. 1 1 . BrBr.

766.

4 Vgl.

3 Plin. n. h. 36, 29. Über die »Aurae« vgl. L. CurRobert, Archäologische Hermeneutik 5 2 ;

L . Curtius,

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TIMOTHEOS. DIE A K R O T E R E D E S

WESTGIEBELS

Diese Reiterinnen sind am ähnlichsten chthonischen Gottheiten, wie Selene 1 und Bruno 2 , die genau wie diese auf springendem Pferd dahinreiten. L. Malten hat weitere Nachweise dafür geliefert, »wie lebendig der vorhomerische Glaube vom Pferd als Begleiter des Todesgottes« immer war3. Zu dieser Welt eines unerbittlichen Schicksals, das aus der Tiefe kommt, gehören nach den genannten Beispielen wohl auch die Eckakrotere; Moiren oder diesen sehr verwandte Wesen wären sie dann, die die alte göttliche Ordnung vom Leben und Tode wahrten, und gegen die sich weder Asklepios noch Apollo 4 ungestraft auflehnen konnten. So berichtet es der Mythos: Als Asklepios einen Toten zum Leben erweckt hatte, schleuderte Zeus gegen ihn den Blitz und traf ihn tödlich. 1

Vgl.

Furtwängler, Sammlung Sabouroff Taf. 43; ML. unter Mondgöttin.

von Pherai.

CatBritMus. Thessaly Taf. 10 Nr. 16; L. Malten, Jdl. 29, 1914, 197.

Jdl. 29, 1914, 197, 2o8ff.

1

Vgl. die Münzen 3 L. Malten,

4 Vgl. ML. unter Moira 3101; ML. unter Asklepios 619.

THEODOTOS D I E A K R O T E R E DES O S T G I E B E L S Der Künstler dieser Akrotere war wohl Theodotos, der Architekt. Nur wenige, aber um so kostbarere Reste seines Werkes sind uns erhalten. 6. Oberteil einer Iris. Athen NM. Nr. 162. Höhe des Oberkörpers 25 cm. Das rechte Flügelende war angestückt, auf der Rückseite des Flügels ist hierfür am Rande in der Mitte ein keilförmiger Einschnitt, auf der rechten Schulter war das Gewand nach dem vorhandenen Bohrloch durch eine bronzene Gewandnadel gehalten. Die Oberfläche des Flügels ist stark verwittert. Die Figur ist im Museum jetzt falsch aufgestellt, der rechte Körperkontur muß senkrecht zu stehen kommen. Vgl. die hierfür richtigen Abbildungen bei Furtwängler, Winter und Kabbadias. FO.: In der Nähe des Schiffsvorderteils vor der Nordostecke des Tempels, das, ursprünglich ein Siegesdenkmal eines Euandros, von L. Mummius für eine Weihung an Asklepios wieder verwendet war. Da auf dem Schiffsvorderteil sicher eine Nike, nach der Inschrift des Künstlers Nikon, stand, hat man diese zuerst in dem gefundenen Oberteil erkennen wollen, bis Furtwängler nachwies, daß der Torso unmöglich ins Ende des 3. Jahrhunderts gehören kann, in die das Schiffsvorderteil zu datieren ist. Vgl. IG. ed. min. 4, 306. Taf. 11. L i t e r a t u r : KabbKat. Nr. 162; Cavv. Taf. 19; LechDefr. 189; Furtwängler, SBMünch. 1903, 445, Taf. 2; Overbeck, Geschichte der Plastik 114, i28ff.; Collignon, Griech. Plastik 2, 214; Wolters-Sieveking, J d l . 24, 1909, 189; KiB. 298, 6; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 8g ff.; Neugebauer, Die Alten Sprachen, 6. Jahrg., Heft 5, 87.

Ein Mädchen, noch ein Kind, ist die wie der Wind vom Himmel herabbrausende Flügelgestalt. Ihre Kindlichkeit läßt einen zögern, eine Nike in ihr zu erkennen, wie man. getan hat. Die Nike des Paionios und die Niken auf der Balustrade des Nikepyrgos und die anderen sind alle frauliche Erscheinungen. Eine merkwürdige, ungewöhnliche Auffassung hätte dieser Künstler von der Siegesgöttin gehabt 1 , wenn die Deutung richtig wäre. Aber es kann kein Zweifel sein: Iris, die »Vogelschnelle«3, die Goldgeflügelte, wie schon Homer sie feierte3, sie ist in diesem geflügelten Kind zuerkennend Groß sind die einfach und doch feingebildeten Schwingens, 1 Vgl. Studniczka, Die Siegesgöttin. 1 Aristoph. Av. 1024. 3 Ilias 8, 398; g, 185. 4 Vgl. zuletzt Weicker, RE. unter Iris. 5 Zur Bildung der Schwingen vgl. Schefold, Kertsch. Vas. Taf. 20,

Nr. 215.

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THEODOTOS. D I E A K R O T E R E D E S O S T G I E B E L S

die den leichten, zarten Körper tragen. Dazu ist das Gewand mit den Flügeln geradezu verwachsen und hat teil an deren Funktion. So bauscht sich weit aufgeblähtes Gewand — es ist weder Chiton noch Mantel — unter dem hochgereckten rechten Arm. Das Himation hat sich in den Flügeln verfangen; es liegt oben auf der Flügeldecke auf und flattert unten hinter dem Flügel hervor. Oben spannte es sich von Flügel zu Flügel breit aus; der obere Stoffrand ist hier erhalten. Der Zwischenraum zwischen den Flügeln war dadurch ausgefüllt, gleichsam als Hintergrund des mit leichter Neigung nach links gewandten Kopfes. Die Haltung dieser Figur, soweit sie aus dem Fragment zu erkennen ist, wird wesentlich durch das Hochrecken des rechten Armes bestimmt. Ihre Hand griff vielleicht zu einem Zipfel des oben am Flügel verfangenen und übergeschlagenen Gewandes. Die Haltung des Körpers mit den beiden gegeneinander verschobenen Schultern und das steile Aufwärtsstreben der Figur, ist durch die Anordnung des Gewandes betont, so liegt der Chiton auf der hochgereckten rechten Schulter, während er unter die linke Brust herabgeglitten ist. Auch die dünnen gratigen Falten des sonst ganz an den Körper angeschmiegten Gewandes unterstreichen diese Bewegung: sie sind alle um den Leib zur rechten Schulter hingeführt. Wir haben in diesem Fragment den kostbaren Rest einer kühnen, virtuosen und eleganten Schöpfung. Sie übersteigert in allem die ungefähr 30 Jahre früher entstandene Nike des Paionios in Olympia 1 . Wieviel einfacher, klarer ist diese im Aufbau und wieviel schlichter das Gewand in Anordnung und Behandlung! Die Nike des Paionios hat auch den im Rücken durch die Arme weit ausgebreiteten Mantel zum Schweben zur Hilfe genommen, doch Flügel und Gewand sind klar voneinander geschieden, jedes ist frei für eigene Entfaltung. Der Künstler unserer geflügelten Gestalt hat hingegen kühn diese Scheidung aufgehoben, ja, der rechte Flügel ist ganz im Gewand »verfangen«. Doch die heftig flatternden Stoffe lassen es den Beschauer nicht zum Bewußtsein kommen; die Illusion eines vogelschnellen Fluges ist hier ganz unabhängig vom Möglichen gestaltet worden, so kühn, wie es selbst kein Späterer jemals wieder gewagt hat, selbst nicht der Künstler der Nike von Samothrake. Allein und ohne Nachfolge steht das epidaurische Werk.- Fast möchte man es in seiner illusionistischen Wirkung als »barock« bezeichnen. Nur ein Künstler von ganz eigener Gestaltungskraft kann diese Figur gebildet haben. Innerhalb des Skulpturenschmucks des Asklepiostempels ist sie das überragende und dafür aber auch ganz für sich stehende Werk, wie man schon immer bemerkt hat 2. Eigenwillig und kühn im Ganzen, straff und knapp und von metallischer Schärfe im Einzelnen, so ist dieser Künstler Theodotos. Nichts verbindet sein Werk mit der Epione des Timotheos, der noch unter dem Einfluß der Werkstatt der Nike-Balustrade, aus der er wohl hervorgegangen ist, den bewegten, schwungvollen Rhythmus der Falten liebt. 2 Vgl. zuletzt Neugebauer, Jdl. 1926, S. 92; Lippold, Hege-Rodenwaldt, Olympia Tai. 82ff. R E . unter Timotheos; Schuchhardt, Gnomon 4, 207.

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THEODOTOS. DIE AKROTERE DES OSTGIEBELS

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Die Stilverschiedenheit der Iris vom übrigen Skulpturenschmuck des Tempels wurde richtig immer gesehen, so daß man sie als Tempelakroter zuerst sogar ausgeschieden und für hellenistisch gehalten hat. Daß die Figur aber in das frühe vierte Jahrhundert gehört, wird heute nicht mehr bestritten. So sind, um nur einen Hinweis zu geben, die feinen, stegartigen Falten des sonst ganz an den Körper fest angepreßten Gewandes denen der sandalenlösenden Nike von der Balustrade nahe verwandt 1 , wenn sie auch härter und metallischer sind. Auch daß die Iris das Mittelakroter des Ostgiebels ist, dürfen wir nach der von Furtwängler wieder zuerst ausgesprochenen Vermutung als gesichert annehmen, da für sie nach ihrem Fundort vor der Ostfront des Tempels, ihrem ganzen Aufbau und Wesen wie auch den starken Verwitterungsspuren im Rücken kein anderer Platz bleibt. Dazu sind die drei Akrotere des Westgiebels hinreichend bestimmt. Von den Eckakroteren dieser Tempelfront sind uns nur ein schöner Mädchentorso und ein Kopf noch erhalten. 7. Oberteil eines Mädchens, Epidauros, Mus. 70. Höhe 30 cm, Vorder- und Rückseite stark verwittert. Taf. 12. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : Studniczka, AA. 1921, 333; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, gifl., Abb. 3, 4.

Der Torso ist nicht nur vorn, sondern auch im Rücken stark verwittert und schon dadurch wahrscheinlich eine Akroterfigur. Zu einem nach links reitenden Mädchen, wie sie als Eckakrotere des Westgiebels (3, 4) erhalten sind, ist er am ehesten zu ergänzen. Vor allem die Reiterin des Akroters (4) ist äußerlich im Aufbau und ihrer Kleidung verwandt, so sehr auch dieser Torso sie im Ganzen wie im Einzelnen überragt. Der linke Arm war in die Höhe gehoben, der rechte Arm griff wohl zum Hals des Reittieres. Der Chiton hat sich auf der rechten Schulter gelöst; vorn ist er heruntergeglitten und gibt die rechte Brust frei, während der Zipfel hinten auf der Schulter aufliegt und so den Chiton noch im Rücken hält. Zu dem Hals des Pferdes gewandt, saß das Mädchen mit seinem schönen Leib, den der hauchdünne Chiton, wo er ihn bedeckt, nicht verhüllt. Seine feinen, gratigen Falten betonen die Bewegung, die Wendung des Körpers wie am Torso der Iris. Die Falten erscheinen durch die starke Verwitterung heute weich; das gibt einen falschen Eindruck. Ursprünglich waren sie von der gleichen Härte und Schärfe wie die Falten am Iris-Torso (6). An der rechten Seite, wo die Oberfläche an einigen Stellen unversehrt ist, ist die ursprüngliche Schärfe in der Formgebung noch spürbar. Auch in der Darstellung des feinen, jugendlichen, bewegten Körpers sind sie verwandt. Diese beiden Fragmente schließen sich bei einem Vergleich mit den anderen Skulpturen aus Epidauros noch enger zusammen. Sie stehen ganz für sich, und wenn es bei dem Erhaltungszustand der Reiterin auch nicht ganz sicher zu sagen ist, daß sie ein eigenhändiges Werk des Künstlers der Iris ist, so ist sie doch sicher unter seiner Leitung in seiner Werkstatt entstanden. 1

Carpenter, The Sculpture of the Nike Temple Parapet 62.

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THEODOTOS. DIE AKROTERE DES OSTGIEBELS

Und was aus der starken Verwitterung schon geschlossen war, bestätigt sich durch die Stilgleichheit auf das Beste. Die Figur kann nur das zur Iris gehörige rechte Seitenakroter des Ostgiebels sein. Auch ihr im Rücken erhaltener Haarschopf, den ebenso die Eckakrotere des Westgiebels (3, 4) haben, weist darauf hin, daß dieses Fragment wie diese zu ergänzen ist. Zu einer Giebelfigur — einer Kassandra, wie Studniczka wollte — kann der Torso, nachdem er hier seinen Platz gefunden hat, nicht mehr gehören. Von dem zweiten, Eckakroter besitzen wir nur den Kopf. 8. Mädchenkopf, Epidauros, Mus. 10. Stark bestoßen und verwittert. 1 cm breites Loch hinten links vom Wirbel, für Eisendorn zum Vogelschutz (?). Taf. 10. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 92.

Schon nach seiner starken Verwitterung wird er am ehesten zu einem Akroter gehören. Außerdem hat er nicht nur den gleichen Schopf im Nacken, wie das westliche Eckakroter (3) und der eben besprochene Mädchentorso (7), sondern auch wie der Kopf des Eckakroters (5) oben ein Loch für einen Eisendorn. Nach seinem Stil ist dieser Kopf aber von den erhaltenen Köpfen der Akrotere des Westgiebels (3, 5) zu trennen. Das Gesicht ist kräftiger und breiter angelegt, und die Wangen sind im Umriß ausladender als bei diesen. Die Stirnumrahmung durch das Haar ist nur leicht geschwungen und nicht so spitzwinklig wie bei den Köpfen der Westakrotere. Das Köpfchen ist nach seinem ganzen Aufbau eher mit einem Kopf aus dem Westgiebel des Heraions von Argos verwandt 1 . Diese wenigen Reste der Eckakrotere weisen darauf hin, daß auch die Ecken der Tempelfront durch reitende Mädchen gekrönt waren. Diese waren dann die Schwestern der chthonischen Reiterinnen des Westgiebels. 1

ÖJh. 1919, 19, 20, 131, Abb. 77, 143 Abb. 8.

DER W E S T G I E B E L Die Giebel des Asklepiostempels sind in ihren Maßen nicht ganz gesichert. Dörpfeld gibt in seinen Zeichnungen den Giebelwinkel der Ecken mit io° an 1 , während Defrasse 140 annimmt 2 . Das ist auch die allgemein übliche Giebelschräge3. Mit diesem Winkel verhält sich auch die lichte Giebelhöhe zur Giebelbreite wie 1:8. Es ist dies das für Giebel übliche ungefähre Verhältnis 3. Die lichte Giebelweite des Asklepiostempels beträgt 10,90 m. Wenn wir uns an Dörpfelds Zeichnung halten, würde die Giebelhöhe im Lichten nur 1 m betragen. Das ist aber schon nach der Größe der Giebelskulpturen des Westgiebels ausgeschlossen. So war die reitende Amazone (9) 1,30 m hoch. Sie hat in der Mitte des Giebels nur Platz, wenn die Schräge des Geisons 140 beträgt. Wir erhalten dann im Aufbau ein Giebelfeld von 10,90 m lichter Breite und 1,359 m lichter Höhe. Der Zeichnung von Defrasse ist somit auf jeden Fall der Vorzug zu geben. Die Giebeltiefe gibt Dörpfeld mit 38 cm an. Die größte Tiefe der reitenden Amazone beträgt 35 cm. Fast das gleiche Maß gewinnen wir aus einem Geison-Bruchstück wahrscheinlich des Westgiebels, das Furtwängler und Fiechter im Jahre 1901 in einer Skizze aufgenommen haben4. Aus dieser ergibt sich, daß die Oberfläche des horizontalen Geisons teilweise für zu groß geratene Figuren durch besondere Abarbeitungen noch um 5^2 cm tiefer gelegt ist und hierauf die Giebelfiguren ohne besondere Einlassungen standen, was man auch nach den erhaltenen Resten der Giebelskulpturen annehmen muß. Der Geisonrand ist zum Teil für überragende Teile der Giebelfiguren abgearbeitet, die wie der liegende Jüngling (19), mit den Händen und dem Kopf und Stoffmassen über den Rand des Giebels herausragten. Die Giebelfiguren, wie die Akrotere aus pentelischem Marmor, sind sehr zerstört, wenn auch nicht so stark wie die Skulpturen des Heraions von Argos5. Außerdem fehlen uns für alle Fragmente, die noch nach 1893 gefunden wurden, die Fundangaben 6 . Diese beiden Umstände machen es fast unmöglich, die Giebel in ihrer Komposition wieder zu gewinnen. Immerhin lassen sich durch die nach 1893 gemachten Funde mehr Figuren für die Giebel nachweisen als bisher. 3 Neugebauer, CavvFouilles Tai. 6 Abb. 4; Prakt. 1884, 53s., Tai. 2. * LechDafr. 55. Studien über Skopas 31; Dörpfeld, AM. 6, 1881, 398; Eichler, ÖJh. 19, 20, 1919, 19. 4 SBMünch. 6 Alle 1903, 443. 5 Vgl. zuletzt Eichler, ÖJh. 19/20, 1919, 15 fl.; Schuchhardt, AM. 1927. Versuche, solche zu erhalten, sind fehlgeschlagen. 1

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DER WESTGIEBEL

Außer Kabbadias haben sich vor allem Fr. Studniczka und K. A. Neugebauer1 mit den Fragmenten beschäftigt, ohne daß es ihnen vergönnt war, ihre Arbeiten zu beenden, so daß wir nur vorläufige Mitteilungen von ihnen besitzen. Auch H. Lechat* hat die Skulpturenreste bearbeitet, allerdings ganz oberflächlich, und die von Defrasse gezeichnete Rekonstruktion des Westgiebels ist mehr phantasievoll als richtig. 9. Reitende Amazone. Erhaltene Höhe 92 cm. Länge des Pferdekörpers 70 cm. Athen NM. 136. Taf. 13, 14, 15. FO.: Westseite des Tempels. L i t e r a t u r : Kabb. Eph. 1884, 51, 62f.; Cavv. Taf. 8, 1, Taf. 11, 1; KabbKat. Nr. 136; DefrLech. 64; BrBr. 20; Amelung, Ausoma 3, 1909, 97; Caskey, BrBr. 674; Cat. Boston 40; G. M. A. Richter, The Sculpture 587, Abb. 716, 717 (Vorderansicht); Curtius, Die antike Kunst 340.

9 a. Oberer Teil eines Amazonenkopfes. Teil der phrygischen Mütze erhalten. Ihr Rand hatte nach den vorhandenen Stiftlöchern noch einen Bronzeschmuck. Höhe des Erhaltenen: 15 cm. Athen NM. 141. Taf. 36. FO.: vor der Westseite des Tempels. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 8, 10; Eph. 1884, Taf. 4, 3; KabbKat. 141.

Die Amazone reitet auf galoppierenden Pferd nach rechts. Sie trägt hohe Schuhe, Chiton und Chlamys und einen Gürtel, den zwei schmale, zwischen den Brüsten sich kreuzende Schulterriemen halten 3. Mit der Streitaxt in der erhobenen Rechten und dem ganzen Schwung ihres hochgereckten Körpers holte sie offenbar gegen den unten am Boden liegenden Gegner zum Schlag aus. Das Pferd wie die Amazone selbst sind wie ein Hochrelief angelegt, so sind der Oberkörper der Amazone, der Bug des Pferdes so stark verschoben, das sie in der Hauptansicht zu sehen sind. Sichtbarkeit geht vor Wirklichkeit. Das wird besonders deutlich bei einem Vergleich mit dem Grabrelief des Dexileos. Dieser Reiter wirkt im Aufbau als Vorbild4; hier erscheint der Oberkörper ebenso in Vorderansicht, und die zügelhaltende Hand ist zwischen die Mähne und den Körper gezwängt um sie sichtbar zu machen. Die hier sichtbaren Härten, vor allem in der Drehung des Oberkörpers, sind in Epidauros vom Künstler der Amazone ausgeglichen. Daß bei dieser Anlage der Figur die Rückseite nur flach gearbeitet sein kann, und Arm und Bein dieser Seite nicht mehr organisch entwickelt sein können, ist von vornherein klar. Die Tafeln 14 und 15 zeigen deutlich wie stark diese Amazone in ihrem Aufbau ganz im Stil des Hochreliefs gedacht ist. Das Zaumzeug war aus Bronze 5; in den am Hals und Schulterblatt des Pferdes sichtbaren Stiftlöchern war es befestigt. Vgl. Studniczka, AA. 1921, 333; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 82ff.; Neugebauer, Die Alten Sprachen, 1 Defrasse et Lechat, Epidaure, Paris 1895. 3 Die gleiche Gürtung 6. Jahrg., Heft 5, 81 ff. findet sich oft z. B. an der Nikebalustrade. Carpenter, The Sculptures of the Niketemple-parapet Taf. 8, 17. 4 Conze, Attische Grabreliefs 1158. 5 Wie z. B. am Pferd des Dexileos. 1

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Das Loch vorn in der Mitte des Gürtels wird ein Gürtelschloß aus Bronze gehalten haben1. Wozu das Stiftloch etwas über dem unteren Rand des Chitons gedient hat, ist nicht mehr zu sagen. Der Kopf der Amazone ist uns in dem Fragment 9 a erhalten. Nicht nur die sehr sorgfältige Bearbeitung macht diese Zuweisung wahrscheinlich, sondern vor allem die Auszeichnung dieses Amazonenkopfes mit reichem diademartigen Bronzeschmuck. Denn die Amazone ist auch sonst durch ihre Tracht hervorgehoben, durch den Mantel und die Gürtung des Chitons. Sie ist die Königin Penthesilea. Unter dem Bauch des Pferdes ist ein stegartiger Rest im Bruch erhalten, der als Stütze für das Pferd zu schwach und zu klein ist. Es ist wahrscheinlich, daß der gestürzte Gegner aus dem gleichen Block mit der Reiterin gearbeitet war und daß an dieser Stelle sein Arm abwehrend nach oben gerichtet war. Da die Giebelfiguren, wie wir sehen werden, mit ausgearbeiteten Basisplatten, die nicht in den Giebelboden eingelassen wurden, in das Giebelfeld gestellt waren, wäre für den Gegner auch sonst gar kein Platz gewesen. Die einstige Gesamthöhe der Amazone läßt sich errechnen. Die Basis mit den Hinterbeinen des Pferdes ist, wie es die Tafel 38 zeigt, zu ergänzen. 15 cm Höhe sind dafür zu berechnen. Für den Kopf der Amazone und den die Streitaxt schwingenden Arm, darf man mindestens 25 cm an Höhe hinzurechnen. Das macht mit der erhaltenen Höhe von 90 cm insgesamt 130 cm Gesamthöhe aus. Der Stil dieser Amazone ist von dem der Akroterfiguren ganz verschieden. Die Falten der Epione (1) sind fließend, rhythmisch bewegt, geschwungen und umströmen den Körper, die der Iris des Ostfirstes sind dünne Grate, die scharf und prägnant auf dem feinen, ganz an den Leib angepreßten Stoff gezogen sind. Der Chiton der Amazone hingegen ist stofflich als Masse aufgefaßt, gefältet, knittrig und unruhig. Der flatternde Chitonsaum ist hierfür besonders bezeichnend. Im Gegensatz zu dem Chiton des Dexileos, der glatt und ruhig hinten auf dem Pferderücken und den Schenkeln aufliegt, zeigt sich hier eine Flattrigkeit des Gewandes3 wie sie an der gleichzeitigen Bostoner Amazone bemerkt ist 3. Ein dritter Künstler in der Gestaltung von Einzelheiten von eigener Art, im Entwurf und im Ganzen von der attischen Kunst herkommend, wird hier faßbar. Nicht ein einziger Zug weist darauf hin, daß der Künstler der Epione (1), Timotheos, an dieser Schöpfung der Amazone irgendwie beteiligt ist. Eine weitere Bestätigung für das, was wir aus der Bauurkunde herausgelesen haben, ist damit gewonnen. Da die Amazone nach ihrem Fundort in den Westgiebel gehört, ist uns der Name des Künstlers nicht bekannt. Dieser ist in der Bauinschrift leider zerstört. 10. Torso einer Amazone, die durch einen Pfeil in die rechte entblößte Brust getroffen, vom Pferderücken herabgleitet. Vom Pferd ist nur der untere Teil des Halses erhalten. Hinten im Rücken der Amazone ist ein Dübelloch, durch das die a ' Vgl. Carpenter, The Nike Temple Parapet, Tai. 17. Vgl. den Fries des Maussolleums, wo der gleiche Gewandstil noch ausgeprägter ist. 3 Cat. Boston 89, Nr. 40; BrBr. 674.

S Crom*

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Figur an der Giebelrückwand befestigt war. Erhaltene Länge 48 cm, Höhe 27 cm. Athen NM. Nr. 127. Tai. 16, 17. FO.: wie Nr. 9. Westfront des Tempels. L i t e r a t u r : Eph. 1884, 5iff., Tai. 4, 10; Cavv. Taf. 11, 2, Tai. 8, 4; KabbKat. 130; LechDefr. 66, 2.

Dieser Torso ist nicht nach ähnlichen Darstellungen auf den Friesen von Phigalia und des Nereiden-Monuments1 zu ergänzen, wo von dem Rücken des zusammengebrochenen Pferdes der Leib der zu Tode verwundeten Amazone herunterrollt. Nach dem erhaltenen Halsansatz des Pferdes und den Halsfalten galoppierte vielmehr das Pferd mit hochgerecktem Hals dahin. Nur die Amazone war getroffen und stürzte so von ihrem Pferd herunter. Der Kopf und der rechte Arm der Amazone hingen herunter. Der Chiton mit Uberwurf ist auf der linken Schulter geknüpft. Die Falten des Chiton teilen sich vor der linken Brust. Das eine Faltenbündel läuft außen um die linke Brust herum, das andere fällt strahlenförmig sich ausbreitend zwischen den beiden Brüsten herab und bedeckt noch die rechte Brustwarze. Das obere Faltenbündel stößt über den Gürtel wieder auf das andere zu. Der Schwung beider wulstigen Faltenbündel ist der gleiche. Unterhalb des Gürtels ist von Falten des Überwurfs der gleiche Schwung zum drittenmal aufgenommen. Der linke Arm liegt ohne eigene Kraft auf der linken Hüfte. Nach der Größe und dem Aufbau der Figur stand sie nicht weit von der Giebelmitte in der rechten Giebelhälfte. Das Pferd galoppierte nach links wohl auf die Giebelmitte zu und ordnete sich so gut in den Giebelrahmen ein. Im Stil ist die Amazone, vor allem in der Gewandbehandlung der reitenden Amazone (9) verwandt. Von dieser Giebelfigur sind außerdem noch ein Teil der Basisplatte mit dem linken Hinterhuf des Pferdes und der größte Teil des Pferdeschweifes erhalten. 11. Basisplatte, unten rauh gepickt. Erhaltene Länge 31 cm. Epidauros Mus. Nr. 76. Taf. 38. Vor faltiger Stoffdraperie ist das linke Hinterbein eines nach links galoppierenden Pferdes dargestellt. Auffallend ist die merkwürdige knittrige, stoffartige Bodenangabe dieses Stückes. Sie findet sich genau so noch an anderen Resten der Giebelskulpturen und ähnlich auch bei den Giebelskulpturen des Heraions von Argos2. 12. Mittelstück eines Pferdeschwanzes. Rückseite nicht bearbeitet. Länge des Erhaltenen 27 cm. Epidauros, Mus. ohne Nummer. Taf. 18. Dieser feinsträhnige geschwungene Pferdeschwanz gehört ebenfalls zu einem nach links gewendeten Pferd. Da das Pferd der abstürzenden Amazone das einzige Pferd des Giebels war, das nach links galoppierte, wird ihm dieser Schweif zuzuweisen sein. Zu einem Akroter kann er nach seiner Bearbeitung und Erhaltung nicht gehören. « Jdl. 29, 1914, 156 Beilage 2.

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ÖJh. 19, 20; 1919, 34fi., Abb. 26, 27.

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13. Pferdekopf. Erhaltene Länge 24 cm. Athen NM. 143. Tai. 19. FO.: Ist schon vor dem Beginn der Ausgrabung von einem Bauern im Heiligtum gefunden. L i t e r a t u r : Eph. 1884, Tai. 4, 6, 5 (Skizze der Rückseite des Kopfes); Cavv. Tai. 8, 12, Tai. 11, 14; KabbKat. 131, Nr. 143.

Der Kopf ist jetzt im Museum falsch aufgestellt, so wie es unsere Tafel zeigt. Der Kopf war hoch erhoben. Die kleine Abbildung bei Cavv. Tafel 11, gibt die richtige Haltung wieder. Das Zaumzeug auch dieses Pferdes war aus Bronze und wurde durch Stiftlöcher gehalten. Der Kopf gehört zu einem nach rechts sich bäumenden Pferd eines Giebels; denn die andere Seite ist nicht sorgfältig ausgeführt und nicht korrodiert. Der lebendig gestaltete Kopf gehört aber keinesfalls zu dem Pferd der reitenden Amazone (9), dessen Halsfalte unter den Kinnbacken gerade noch erhalten ist und eine Anpassung so ausschließt. Ein zweites Pferd, nach rechts galoppierend, ist damit für den Westgiebel, gesichert. Denn im Ostgiebel waren keine Pferde dargestellt. 14. Hinterteil eines Pferdes. Dreifach auseinandergeplatzt. Rechte Seite stark bestoßen. Erhaltene Länge 30 cm. Epidauros, Mus. Nr. 77. Taf. 18. Abarbeitungen am linken Schenkel machen es wahrscheinlich, daß auch dieses Fragment in den Westgiebel und zu einem nach rechts galoppierenden Pferd gehört, wohl demselben, von dem wir den Pferdekopf (13) besitzen. 15. Kniende Amazone mit Pelta. Linke Seite nicht ganz ausgeführt; rechte stark verwittert. Der untere Teil wurde mit der Amazone (9) zusammengefunden. Die linke Brusthälfte mit Armansatz wurde erst später gefunden. Höhe des Erhaltenen 50 cm. Athen, NM. Nr. 138. Taf. 20. L i t e r a t u r : Eph. 1884, 51, Taf. 4, 1 1 ; Cavv. Taf. 8, 6, Taf. 11, 3; KabbKat Nr. 138; LechDefr. 66; G. M. A. Richter, Sculpture Taf. 587, Abb. 718.

Die Amazone hockt auf ihren Füßen unten am Boden. Hinter den Fußsohlen breitet sich wieder eine gleiche Draperie aus wie hinter dem Pferdebein (11). Sie ist in der Bildung von dem Chiton der Amazone nicht unterschieden, ohne doch mit ihm zusammenzuhängen. Die linke Schulter ist nac'i vorn herausgedreht, der abgebrochene Arm hielt die Pelta, deren unterer Rand hinter dem linken Bein noch erhalten ist. Das rechte Knie ist abgesplittert. Es war aber tiefer gesenkt als das linke und auf den Boden aufgestützt. Die Amazone trägt einen Chiton mit Überfall, linke Schulter und Brust waren entblößt. Viel höher als 60 cm wird diese Figur nicht gewesen sein. Die Bewegungen von Kopf und rechtem Arm bleiben unsicher. In der Bildung der stark verriebenen wulstigen Falten ist der Stilzusammenhang mit der herabstürzenden Amazone (10) deutlich. Daß der Giebelmeister, dem wir die reitende Amazone der Giebelmitte wohl auch in ihrer Ausführung verdanken, diese hockende Amazone gearbeitet hat, das verbietet schon allein die Faltenbildung, s»

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DER WESTGIEBEL

16. Kniende Amazone von vorn, aus drei Fragmenten zusammengesetzt: i (Athen NM. 139, Cavv. Taf. 11,5; LechDefr. 68 Nr. 13; KabbKat. Nr. 139; Höhe 38 cm; gefunden mit Nr. 9). 2 (AthenNM. 149; Cavv. Taf. 11,14; KabbKat. Nr. 149, LechDefr. 68 Nr. 4, Höhe 39 cm, gefunden in den späten Mauern zwischen Tholos und Westseite des Tempels), 3 (Epidauros. Mus. 67; Fundort unbekannt). Der Rücken, die linke entblößte Brust, Kopf und Arme und das linke Bein oberhalb des Knies sind abgesplittert. Rechts unten ist noch der Rest einer abgebrochenen Stoffbank wie bei Nr. 17 erhalten. Taf. 22, 23. Literatur: AA. 1936, 138 Abb. 12.

Die Amazone, in kurzem Chiton mit Überfall, gegürtet, mit entblößter linker Brust, ist in allem ein Werk des Giebelmeisters, den wir in dem Werk der reitenden Amazone kennen gelernt haben. Sie kniet auf dem Giebelboden mit dem rechten Knie, das stumpfförmig gebildet ist. Der zurückgesetzte Unterschenkel mit dem Fuß ist vom Künstler unterschlagen, da diese Teile doch nicht sichtbar gewesen wären. Das ist eine Kühnheit, die ganz unklassisch ist. Die Welt des Scheins ist aufgesucht, es kommt nur auf die optische Wirkung an. Das linke Bein war frei nach rechts gesetzt. Die Anlage des Chitons, wie er vom rechten Oberschenkel hinter dem linken Bein gleichsam als Hintergrund zu Boden gleitet, statt sich über das linke Bein zu legen, ist in der Wirklichkeit unmöglich. Zwar ist das Bein durch dünnem Stoff verhüllt, um den Schein aufrecht zu erhalten, aber richtig und organisch ist diese Gewandanordnung keinesfalls. Die Gestalt war heftig bewegt. Zu der rechten hochgereckten und zurückgewandten Schulter, die fehlt, war der Kopf gewendet. Der linke Arm machte offenbar eine abwehrende Bewegung nach rechts, wahrscheinlich zu einer Gestalt, mit der sie im Handgemenge war, und die wohl aus dem gleichen Block gearbeitet war. Das ist daraus zu schließen, daß sich die wulstigen, geknickten Falten, von denen unten rechts am Boden ein Rest erhalten ist, vielleicht in den Falten eines Mantels fortsetzen, auf dem ein Jüngling hockt, den wir in der Betrachtung hier einfügen. 17. Kniender Jüngling aus fünf Fragmenten zusammengesetzt, Höhe 55 cm. Epidauros, Mus. 14. Taf. 24, 25. FO.: unbekannt. Gleich zwischen den Oberschenkeln sind die erwähnten Falten sichtbar. Leider aber passen beide Stücke 16 und 17 nicht Bruch an Bruch aneinander. Es fehlt ein Zwischenstück, das Raum für das linke Bein der Amazone und für das seitwärts gesetzte rechte Bein des Jünglings geben müßte. Der Jüngling in Vorderansicht mit zur Seite geneigtem Oberkörper hockt auf den Zehen des linken Fußes. Eine linke Hand, die der Amazone, faßt ihn an der Seite dicht unter der rechten Achselhöhe und stößt ihn nach rechts, während seine rechte Hand wohl die jetzt abgesplitterte Brust der Amazone ergriffen hatte. Auch sein Kopf war zur Amazone hingewandt. Über seinem erhobenen linken Unterarm liegt der Mantel. Der Jüng-

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ling war verwundet; auf der linken Schulter ist oben dicht am Halsansatz der Rest eines Eisenpfeils erhalten. Sein Körper ist vorn kräftig und gleichmäßig durchmodelliert, die Rückseite nur skizzenhaft behandelt. Hiermit ist eine Zweikampfgruppe von einer Heftigkeit gewonnen, wie wir sie aus Reliefs und Vasenbildern des ausgehenden fünften Jahrhunderts kennen. Ungefähr 70 cm wird die Scheitelhöhe dieser Gestalten gewesen sein. Wenn diese beiden Figuren (16, 17) wirklich zu einer Gruppe zusammen gehören, — und nach den vorhandenen Resten und der Bewegung der Gestalten spricht alles dafür —, so ist der erste männliche Körper für den Westgiebel nachgewiesen. Denn nach dem Fundort kann kein männlicher Torso diesem Giebel zugeordnet werden. 18. Oberteil einer Amazone, aus zwei Stücken zusammengesetzt, rechte Brustpartie zum Teil in Gips ergänzt. Höhe 25 cm. Athen, NM. 150. Taf. 21. FO.: in den späten Mauern zwischen Westseite und Tholos. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 11, 13; KabbKat. 133, Nr. 150; LechDefr. 66, Nr. 4, S. 69, Nr. 4.

Die rechte Brust der Amazone ist vom Chiton entblößt. Das Haar fällt gelöst in den Nacken und auf die Schultern. Der Kopf war zur rechten Schulter gewendet. Der rechte Oberarm ist an den Oberkörper angepreßt, der linke war etwas freier bewegt. Der Faltenstil ist der der Amazonen und weist diese Figur in den Westgiebel. Die einstige Aktion der ganzen Figur, die sicher für Vorderansicht gearbeitet war, ist nicht mehr zu erkennen. Jedenfalls lassen sich mit diesem Torso außer den drei Amazonen zu Pferd (9, 10, 13) mindestens noch drei Amazonen (15, 16, 18) nachweisen. Außer dem Jüngling der Zweikampfgruppe sind noch folgende Reste von Kriegern dem Westgiebel zuzuweisen. 19. Liegender Jüngling. Der linke Oberarm ist mit dem Ellbogen, der über dem Kopf eingewinkelt war, weggebrochen. Die unter dem Kopf geschobene linke Hand ragte über den Giebelrand heraus und war von unten sichtbar. Ebenso ist der äußere Rand der Stoffdraperie für Untersicht gearbeitet, wie der rechte, zum größten Teil abgestoßene Arm mit der nach unten gewendeten inneren Handfläche. Den übrigen Erhaltungszustand zeigen die Abbildungen. Die Unterseite ist rauh gepickt. Erhaltene Länge 1,12 m. Epidauros, Mus. Nr. 42. Taf. 26. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : Furtwängler, SBMünch. 1903, 439, Taf. 1; Neugebauer, Studien über Skopas 57, Taf. 5.

Furtwänglers Wunsch, diese wichtige Gestalt der Giebelskulpturen gut veröffentlicht zu sehen, hat sich trotz seines drängenden Hinweises nicht erfüllt. Die Aufsicht zeigt die Kühnheit und Leidenschaftlichkeit, mit der der Künstler an die Lösung seiner Aufgabe herangegangen ist, einen zu Tode getroffenen, auf sein Himätion zu Boden gesunkenen Jüngling darzustellen. Er liegt auf beiden

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DER

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Schulterblättern. Um nun die Figur aber für den Beschauer gut sichtbar zu machen, ist sie einer kühnen Drehung unterworfen: diese beginnt in der Hüfte; die linke Seite hebt sich, und der linke Oberschenkel legt sich über den rechten, so daß das rechte Bein für den Beschauer ganz verschwindet. Der Kopf fällt seitwärts über den Giebelrand nach unten. Ihn stützt die linke Hand des hoch zurückgenommenen Armes, der abgesplittert ist. Das linke Auge ist schon gebrochen, und eine Falte des Schmerzes durchzieht die Stirn. Wie die Struktur des Leibes und seine Bewegung vom Künstler beherrscht werden, zeigt am deutlichsten die Gestaltung der Partie um die Hüften und um den Nabel, also dort, wo die Drehung sich am deutlichsten in jedem Muskel und jeder Falte auswirkt. In dieser Gestalt ist das Motiv des Gefallenen, bis zur letzten Möglichkeit ausgeschöpft, ohne daß dabei die Sichtbarkeit der Figur im Giebel verloren gegangen wäre. Der Vergleich mit einer klassischen, liegenden Giebelfigur, dem Kopenhagener Niobiden 1 , zeigt, wie neu, im eigentlichen Sinne unklassisch, hier die Aufgabe schon im Anfang des vierten Jahrhunderts gelöst worden ist. Der Niobide liegt auf der Seite. Beide Beine liegen aufeinander. Der Oberkörper ist durch die zurückgenommene rechte Schulter nur wenig verschoben. Der Kopf, über den der rechte Arm gelegt ist, ist aber schon wieder in Vorderansicht dargestellt. Die Figur breitet sich fast vor einer Fläche aus, sie vermeidet Tiefe; in ihrer Haltung und Bewegung ist sie voll Spannung. Jede Gebärde ist beherrscht, so daß der zu Tode Getroffene »in Zucht« zusammenbricht. Der Jüngling von Epidauros wälzt sich vor Schmerz fast aus dem Giebel, ja der Kopf fällt rückwärts über den Giebelrand herunter. Es ist eine heftige, verzweifelte Bewegung, die der Bildhauer für die Sichtbarkeit der Gestalt sehr geschickt ausgenutzt hat. Der jugendliche Leib liegt auf dem knittrig sich stauenden Stoff eines Himations. Die kurzen, sich brechenden Wulstfalten sind denen der hockenden Amazone (15) des Westgiebels und der anderen Bodenstücke (11, 27, 28, 31 ff.) so ähnlich, daß man auch ihn in den Westgiebel setzen muß. Für die eine Giebelecke des etwas älteren Heraions von Argos hat Eichler ein Fragment nachgewiesen, das eine sehr ähnliche Stoffdraperie zeigt, auf der ebenfalls ein Jüngling liegt 2 . 20. Männlicher Torso. Epidauros, Mus. 16. Erhaltene Höhe 40 cm; in zwei Teile zerbrochen; Sprung durch den rechten Armansatz. Rest eines Helmbusches auf der linken Rückenhälfte. Rest einer Stütze (?) am rechten Glutäus. Höhe 43 cm. Taf. 28, 29. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : LechDefr. 72, Abb.: Torso in der Mitte. 1

BrBr. 7 1 0 ;

I2gfi.

zuletzt Schuchhardt, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Institutes I, 1

ÖJh. 19/20, 1919, S. 35, Abb. 27.

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Dieser herrliche Leib ist etwas über halblebensgroß. Wie der Helmbusch im Rücken beweist, trug der Krieger einen Helm. Der Körper ist in heftiger Bewegung dargestellt: Die linke Seite ist ganz gestrafft, während die Körperpartien der rechten Seite sich leicht zusammenschieben. Der geringe Rest des rechten Armes zeigt, daß dieser zurückgenommen war. Das rechte Bein war nach vorn vorgesetzt, also das Knie eingewinkelt. Diese Bewegung ist aus dem erhaltenen Teil des rechten Oberschenkels zu schließen. Die Aktion der Gestalt kann hiernach nicht viel anders gewesen sein als die der Giganten auf der attischen Amphora aus Melos, wie dort des Apollo- und des ZeusGegners1. Man vergleiche mit dem letzten die Rückenansicht des Torso. Jeder Zug des Rückens und der Glutäen stimmt überein. Sonst ist der Rücken nur hart und skizzenhaft angelegt. Raspelstriche sind stehengeblieben. An dem rechten Glutäus ist der Ansatz eines ungefähr 5 cm hohen und fast ebenso breiten Marmorsteges erhalten. Er ist nicht besonders abgesetzt, sondern wächst gleichsam aus dem Fleisch hervor. Rechts neben der Bruchstelle ist die Oberfläche nur grob bearbeitet; sie war hier am ehesten durch die rechte Hand verdeckt, die hier durch den Ansatz mit dem Körper verbunden war. Was vom Oberarm erhalten ist, paßt gut zu dieser Annahme. Die Hand war zurückgenommen, um von hinten zum Schlag oder Stoß mit der Waffe auszuholen. Für die Ergänzung des linken Armes gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hielt er einen Schild, einen heranstürmenden Gegner abwehrend, oder der Krieger versuchte einen mit der linken Hand gegriffenen Gegner mit seiner ganzen Leibeskraft zu sich herüber zu ziehen, wie es angenommen ist. Der Torso ist dem Leib des hockenden Kriegers (17), der in seiner Oberfläche nicht gut erhalten ist, so verwandt, daß man auch diese Kriegergestalt für den Westgiebel in Anspruch nehmen darf. Bei Beiden ist der Bauch eingezogen und zwischen den Rändern des Brustkorbes spannt und wölbt sich über der obersten Zwischensehne der gerade Bauchmuskel hervor. Eine starke Beweglichkeit und gestraffte Spannung aller Teile ist hier betont gestaltet. Ein neues Sehen, eine neue Darstellung des Leibes, ist hier wirksam. Licht und Schatten sind in der Gestaltung herausgeholt. Wir kennen dieses alles seit dem Ende des fünften Jahrhunderts aus der attischen Kunst 2 . Die Krieger und Amazonen des Mausoleion-Frieses darf man als den Höhepunkt für diese weit ausgreifende Bewegung und diese übertriebene Anspannung des ganzen Leibes ansehen. Den Künstlern der klassischen Zeit war es darauf angekommen, den Leib durch die »Inscriptionen« klar zu gliedern und die Gestalt in einer ausgewogenen Haltung darzustellen. Seit dem letzten Viertel des fünften Jahrhunderts geht dieses verloren, und alle Figuren erhalten eine übersteigerte Straffheit in ihrer körperlichen Haltung, die für uns am sichtbarsten in dem tiefeingezogenen Bauch ist, oder den immer straff angespannten großen Bauchmuskeln. 1

1 F R . 96, Pfuhl, MuZ. 234, 236, Abb. 587. Vgl. Fries des Niketempels und Vasenbilder des Aison und des Axistophanes. Pfuhl, MuZ. 228, 235, Abb. 587.

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Der Krieger hat in seiner kräftigen Gliederung noch viel vom Stil des fünften Jahrhunderts. Aber er ist deutlich jünger als der Kriegertorso einer Metope des argivischen Heraions1. Er ist schon viel mehr auf die Wirkung von Licht und Schatten und auf eine stärkere Spannung und ausgreifende Bewegung der Gestalt hin gearbeitet. 21. Brust eines Jünglings, Epidauros, Mus. 59, Höhe 16 cm; trägt eine vorn vorm Hals durch runde Brosche gehaltene Chlamys, die den Rücken rechts frei läßt und nur die linke Schulterhälfte bedeckt. Das Fragment läßt sich sicher mit dem Torso eines auf rechtem Knie hockenden Jünglings verbinden; Puntello oben am Ende des linken Beinstumpfes. Epidauros, Mus. 5. Erhaltene Höhe 35 cm. Taf. 30, 32, 33. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : LechDefr. 72, Abb.: Torso in der Mitte.

Die Rückenansicht zeigt eine Anordnung der Chlamys, die die Zusammengehörigkeit beider Fragmente deutlich macht: Die Chlamys hängt auf der linken Seite des Rückens und war durch den linken erhobenen Oberarm vorgezogen, wie der über dem linken Schenkel sichtbare Rest der Chlamys noch zeigt. Der Krieger saß auf seinem rechten Bein, während das linke seitwärts vorgestreckt war. Der Oberkörper, das können wir nach dem erhaltenen Rumpfansatz annehmen, war weit zurückgenommen, dem Stoß eines Gegners ausweichend, so wie der Gegner der Athena auf der Amphora von Melos im Louvre 2 . Hinter dem Fuß des aufknienden rechten Beins war eine Stütze. Die Rückenansicht zeigt sie unter dem Rand der Chlamys. Die Gestalt war etwas kleiner als halblebensgroß; sie ist im Stil kaum zu trennen von dem knienden Jüngling (17). Man vergleiche nur die skizzenhafte Darstellung des Schamhaares. Er würde danach nicht nur in den Westgiebel gehören, sondern der gleichen ausführenden Hand zuzuweisen sein, die den knienden Jüngling gearbeitet hat. 22. Oberer Teil eines Jünglings. Unter der rechten Brust fast kreisrunde Bruchfläche; Oberfläche der Brust verwittert. Erhaltene Höhe 20 cm. Athen NM. 151. Taf. 31. FO.: In den Mauern zwischen Westfront des Tempels und der Tholos. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 8, 7; Taf. n , 10; KabbKat. Nr. 151; LechDefr. 70, Nr. 10.

Dieser Rest ist als ein liegender Jüngling zu ergänzen, der für reine Vorderansicht gestaltet war. Der Oberkörper stützte sich auf den rechten Ellenbogen. Dort, wo die kreisrunde Bruchfläche unter der rechten Brust ist, lag die hochgenommene rechte Hand am Oberkörper. Nach den erhaltenen Bauchfalten neigte sich der Oberkörper ein wenig nach vorn über. Dieses Fragment gehört wahrscheinlich mit dem folgenden zusammen. 2 2 b . Die Oberschenkel eines Jünglings. Athen NM. 152. Länge 33 cm. Unter dem rechten Oberschenkel Abarbeitung für Auflage. FO.: wie 22. » ÖJh. 19/20, 1919, 60.

> Pfuhl, MuZ. 234; FR. 9b.

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L i t e r a t u r : Cavv. Tai. 11, 15; LechDefr. 69, Nr. 9; KabbKat. 152.

Auf dem rechten, ein wenig vorgeschobenen Oberschenkel liegt der linke, dessen Unterschenkel hinter dem rechten verschwand. Auf dem linken Oberschenkel liegt mit dem Handrücken eine linke Hand. Die beiden Fragmente eines auf der rechten Seite liegenden Jünglings, wenn auch das Mittelstück fehlt, zu verbinden, liegt nahe. Hierfür spricht auch der Ansatz des linken Armes, der sich nur wenig vom Körper abgehoben haben kann. Die Hand dieses Armes ist uns auf dem Oberschenkel erhalten. Die Figur, die etwas kleiner als halblebensgroß ist, war nach ihrem schräg ansteigenden Aufbau für eine rechte Giebelecke bestimmt. Im Gegensatz zu dem auf seinem Himation liegenden Jüngling (19) lag dieser unmittelbar auf dem Giebelboden. Der Stil, vor allem des Oberkörpers ist nicht zu trennen von dem der vorher besprochenen Kriegerleiber. 23. Torso eines Kriegers. Athen NM. 148. Länge des Erhaltenen 57 cm. Taf. 27. FO.: in den späteren Mauern zwischen Tholos und Asklepiostempel. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 29; Taf. 11, 9; KabbKat. Nr. 148; LechDefr. 69, Nr. 8.

Der Körper ist so weit nach vorn gereckt, und der linke Oberschenkel so hoch genommen, daß Leib und Oberschenkel dicht aneinander gepreßt sind. Der linke Arm war im Sinn der ganzen Körperbewegung nach vorn gestreckt; der rechte zurückgenommen. Nach dem starken Hervortreten der Schlüsselbeine war der Kopf erhoben. Im Nacken sind Reste der flüchtig gearbeiteten Haare erhalten. Ein auf sein aufgestütztes linkes Bein mit seinem Oberkörper vornüber sinkender zusammenbrechender Krieger ist kaum in diesem Rest zu erkennen. Alle Muskeln, die bis zum Letzten angespannt sind, und das linke aufgestützte Bein deuten vielmehr auf eine vorstürmende, heftige Aktion. Die Einzelformen, wie die Schlüsselbeine, die Sägemuskeln, sind etwas vergröbert, wie es sonst nicht wieder an den Skulpturen des Asklepiostempels begegnet. Eine sichere Zuweisung an eins der beiden Giebelfelder ist daher schwer möglich. Doch scheint dieser Torso am ehesten in den Westgiebel zu gehören. Außer diesen Figuren gehören noch folgende Fragmente in den Westgiebel, die erwähnten, oder verlorengegangenen Figuren angehören können. 24. Oberer Teil eines Amazonenkopfes. Teil der phrygischen Mütze und des rechten Auges erhalten. Das Haar ist als lockere Masse angedeutet. Höhe des Erhaltenen 10 cm. Epidauros, Mus. 9. Taf. 36. FO.: unbekannt. 25. Gesicht einer sterbenden Amazone. Die Augen sind gebrochen, der Mund leicht geöffnet. Alles andere fehlt. Höhe des Erhaltenen 10 cm. Athen NM. 142. FO.: Vor der Westseite des Tempels. Taf. 34.

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DER W E S T G I E B E L L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 8, n ; Eph. 1884, Taf. 4, 4; KabbKat. 142.

Die Breite und die weiche Fülle des Gesichtes erlauben die Deutung auf einen Frauenkopf. Nach seinem Fundort kann dann das Fragment nur das Gesicht einer sterbenden Amazone sein. 26. Kopf eines Jünglings. Stark bestoßen. Höhe 20 cm. Epidauros Mus. 7. FO.: unbekannt. Taf. 35. Das Haar liegt mit kurzen Locken kappenartig an. Die spätklassische klare Formengebung des Gesichtes dieses leicht nach links geneigten Hauptes ist heute trotz der starken Zerstörung zwar noch spürbar, aber eine sichere Zuweisung des Kopfes in den Ostgiebel ist nicht möglich; dazu sind uns zu wenig Köpfe erhalten. Die attische Tradition, aus der heraus dieser Kopf entstanden ist, ist deutlich. 27. Bodenstück mit rechter, sich aufstützender Hand. Athen, NM. ohne Nummer. Länge 1 7 , 5 cm. Taf. 37. FO.: unbekannt. Die Hand stützt sich auf eine faltige Stoffmasse. Gleich hinter dem Handgelenk ist eine glatt abgearbeitete 3,5 cm breite Vertiefung. Daran schließt sich die wieder höherliegende Bruchstelle. Nach dem erhaltenen Armansatz stützte sich der Unterarm steil auf. 28. Bodenstück mit rechter Hand. Länge: 1 4 , 2 cm. Athen, NM. ohne Nummer. Taf. 37. FO.: unbekannt. Die rechte Hand liegt wieder auf Mantelstoff. Die Finger greifen um die Standplatte herum, so daß sie über das Giebelgeison wohl herausragte. Nach dem Rest des Unterarmes gehört dieses Fragment zu einer liegenden Gestalt, die ihren rechten Arm neben sich flach auf dem Boden liegen hatte. 29. Linkes Bein einer Amazone. Nur unterer Teil des Oberschenkels, das Knie und ein Teil des Unterschenkels sind erhalten. Taf. 37. Athen, NM. ohne Nummer im Magazin. Höhe des Erhaltenen 25 cm. FO.: unbekannt. Das Bein ist mit dem fast bis zum Knie hochgehenden Schnürstiefel (¿vSpopiis) bekleidet. Denselben Stiefel trägt die reitende Amazone der Giebelmitte. Das Bein gehört mit seiner geringen Beugung im Knie kaum einer reitenden Amazone. Es darf nach diesem Fragment eine zu Fuß kämpfende Amazone für den Giebel angenommen werden. 30. Rechter Unterschenkel einer Amazone ohne Fuß. Athen, NM. ohne Nummer im Magazin. Höhe des Erhaltenen 1 5 cm. Taf. 37. FO.: unbekannt. Auch dieser Unterschenkel ist mit dem gleichen hohen Stiefel bekleidet wie das Bein 29. Er wird zu der gleichen Amazone gehören.

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31. Basisplatte mit Stoffmasse, die sich über einen linken Fuß staut. Epidauros, Mus. ohne Nummer. Länge 1 5 cm. Mit seinen kurzen tiefgebohrten Falten gehört das Fragment ganz nahe mit dem Fragment (27) zusammen. Tat. 3 8 . 32. Bodenstück mit Stoffdraperie. Epidauros, Mus. ohne Nummer. Länge: 2 7 cm. Die Draperie unterscheidet sich in der stärkeren Flächigkeit von den bisher besprochenen Stücken. Trotzdem bleibt der Zusammenhang deutlich. Am ähnlichsten in der Draperie ist das Himation des liegenden Jünglings (19). 33. Versatzstück, Stoffdraperie, davor korinthischer Helm. Länge des Erhaltenen 5 5 cm; Höhe des Erhaltenen 2 3 cm, rechts und links Bruch. Epidauros, Mus. 5 3 . FO.: unbekannt. Taf. 3 8 . Das Fragment gehört nach seiner Behandlung der Falten in den Westgiebel. Es wird in eine Giebelecke gehören. Eine solche auszufüllen, war es besonders geeignet. Eine ähnliche Ausgestaltung der Giebelecke mit Waffen kennen wir aus dem vierten Jahrhundert bisher nur an dem einen Giebel des Alexandersarkophags1. Man glaubte bisher infolgedessen, für Giebel der großen Architektur eine solche Lösung ablehnen zu müssen2. Zu Unrecht, wie dieses Fragment beweist. Jedenfalls ist der Künstler des Amazonengiebels des Asklepiostempels der erste, von dem wir wissen, daß er ein solches Versatzstück in die Giebelecke eines Tempels gesetzt hat. Indem wir von den durch die Fundumstände für den Westgiebel gesicherten Amazonen (9, 1 0 , 1 5 , 1 6 , 1 8 ) ausgegangen sind, haben wir aus stilistischen und äußeren Gründen weitere Torsen vor allem von Kriegern (17, 1 9 , 20, 2 1 , 2 2 , 2 3 ) diesem Giebel zuweisen können. Die hier vorgenommene Einordnung wird eine weitere entscheidende Bestätigung finden, wenn diese Reste mit den gesicherten Ostgiebelfiguren verglichen werden. Sie setzen sich deutlich von jenen ab. Sicher sind die Figuren des Westgiebels nicht alle von einer Hand gearbeitet. Aber sie erscheinen uns als eine Einheit, als die Leistung eines schöpferischen Geistes, der uns in der Amazone der Giebelmitte am greifbarsten entgegentritt. Das Thema des Westgiebels war die Amazonenschlacht. Die Giebelmitte wurde von der Königin Penthesilea ausgefüllt; sie bildete den Mittelpunkt der Giebelkomposition. Mit ihrer Größe hat sie im Giebelfeld sonst keinen Platz. Der zusammenbrechende Krieger (22) ist nach seinem Aufbau mit Sicherheit der rechten Giebelecke zuzuweisen. Die Figuren werden nach den Giebelecken zu im allgemeinen kleiner. So sind die Krieger (22, 2 1 ) unter halblebensgroß, während die Figuren nach der Mitte zu halblebensgroß sind. Der Krieger (20) ist sogar etwas größer als halblebensgroß 3. Der auf seinem Himation liegende Jüngling (19) ist zwar ebenso groß, aber für eine so hingestreckte Figur ist doch wohl die Giebelecke 1 1 Winter, Alexandersarkophag Tai. 14. Neugebauer, Studien über Skopas 6. Vgl. Furtwänglers Kritik über diese Art von Giebelgestaltung, Ägina 334. 3 Vgl. über die verschiedenen Größenverhältnisse im Giebel Neugebauer, Stud. über Skopas 3 1 ; Bulle, BrBr. 649, Text.

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der gegebene Platz. Die anderen Figuren finden nach der ungefähr zu errechnenden Scheitelhöhe ihren Platz im Giebel, wobei es allerdings oft unsicher bleiben muß, ob sie in die rechte oder linke Giebelhälfte gehören. Außer der reitenden Penthesilea der Giebelmitte lassen sich noch zwei Amazonen zu Pferde nachweisen. Das eine Pferd (13, 14) galoppierte nach rechts, das andere nach links zur Giebelmitte hin (10, 11, 12). Ihre Gegner waren wie meistens zu Fuß. In dem Krieger (20) dürfen wir, da er nach seiner Größe und Ausführung sicher nicht weit von der Giebelmitte gestanden haben kann, den Gegner der vom Pferde herabsinkenden Amazone sehen. Auch der kniende Jüngling (21), der sich mit seinem erhobenen linken Arm gegen einen Stoß von oben schützt, hat am ehesten eine reitende Amazone (13, 14) zum Gegner. Hinter diesen Pferden ist dann in jeder Giebelhälfte nur noch Platz für hockende und liegende Gestalten. In die rechte Giebelhälfte läßt sich die Zweikampfgruppe (16, 17) und der sich auf seinen Ellbogen aufstützende Krieger (22) einordnen. Ähnlich ist die andere Giebelhälfte zu ergänzen, in welchen die hockende Amazone (15) und der auf seinem Himation hingestreckte Krieger (19) gehören. Zur Erfüllung der Giebelzwickel dienten Versatzstücke wie Waffen (33). Einschließlich der Pferde hat der Giebel für nicht mehr als 15 Figuren Platz. Wie der Giebel, vor allem die rechte Hälfte, etwa ausgesehen hat, mag Beilage 1 verdeutlichen.

HEKTORIDAS. DER OSTGIEBEL Genau wie für den Westgiebel gehen wir für die Zurückgewinnung der Ostgiebelfiguren, die der Bildhauer Hektoridas gearbeitet hat, von den Fragmenten aus, die nach ihrem Fundort diesem Giebel zugewiesen werden müssen. Wir stellen an den Anfang die Reste, die das Thema des Giebels am klarsten sichtbar machen. 34. Kopf eines bärtigen Mannes, dem oben in das Haar und die phrygische Mütze eine linke Hand greift. Unterlippe und Bart sind abgebrochen; die Rückseite ist stark bestoßen; die Haare der rechten Seite sind weniger ausgearbeitet. Höhe des Kopfes 15 cm. Athen, NM. 144. Taf. 40, 41. FO.: Vor der Ostfront des Tempels. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. 8, 13; Taf. 11, 6; KabbKat. Nr. 144; LechDefr. 71, Nr. 11; Amelung, Basis des Praxiteles 70; Amelung, Wochenschr. f. klass. Philolog. 28, 1911, 619; Studniczka, AA. 1921, 333; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 92, Beil. 1, Abb. 1, 2.

Das Gesicht dieses Kopfes drückt durch die zusammengezogenen Brauen und die Stirnfalten Schmerz und Schrecken aus. Die phrygische Mütze, die der Greis trägt, machte es Amelung möglich, Priamos in dem Kopf zu erkennen. Die Hand, die in das Haar und die phrygische Mütze greift, ist richtig als die des Neoptolemos gedeutet. Priamos, durch die linke Hand des Neoptolemos im Haar ergriffen, empfängt in die Knie gesunken voll Schrecken den Todesstoß durch Neoptolemos. Wie die Szene zu ergänzen ist, zeigt ein tarentinisches Relief in Boston 1 . Daß diese Kampfgruppe in der großen attischen Kunst vom Ausgang des fünften Jahrhunderts entstanden ist, dafür sei die Kampfszene auf der attischen Amphora aus Melos im Louvre ein Beispiel, in der Hermes einen in die Knie gesunkenen Giganten genau so im Haar gepackt hat 2 . Der Kopf des Priamos war im Giebel fast von vorn dargestellt und nur mit seiner rechten Seite ein wenig zur Giebelwand gewendet. Diese Seite ist im Haar nicht sorgfältig bearbeitet. Der Kopf verrät deutlich Verwandtschaft mit attischen Köpfen 3. BrBr. 607; Sieveking, Münch Jb. 1922, 127; Rumpf, RM. 1923, 24, 466; Klumbach, Tarentiner Grab1 FR. 96. Als Beispiel vgl. Phigaliafries: Winter, KiB. 281, 4; Klumbach, Tarent. kunst 63. Grabkunst Nr. 57. 3 Vgl. als Ausgangspunkt die Kentaurenköpfe der Südmetopen des Parthenon; ferner bärtige Köpfe der att. Grabreliefs, z. B. Conze, Attische Grabreliefs, Taf. 69, 85, 97, 98. 1

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Nach Größe und Fundangabe gehört er sicher in den Ostgiebel. Der dargestellte Mythos dieses Giebels liegt durch die sichere Deutung dieses Fragmentes fest: die Iliupersis. Sie wird durch das zweite Fragment, das wir nach dem Fundort ebenfalls dem Ostgiebel zuweisen müssen, bestätigt. 35. Fragment eines Palladions. Aus drei Resten zusammengesetzt. Wird von hinten her von einer rechten Hand umklammert, deren Finger um den rechten Oberarm des Palladions liegen. Die Rückseite ist nicht sorgfältig ausgeführt. Höhe des Erhaltenen 27 cm. Epidauros, Mus. Nr. 17. Der rechte Oberarm des Palladions war früher als Athen, NM. Nr. 147 katalogisiert. Taf. 39. FO.: des rechten Oberarms: vor der Ostfront des Asklepiostempels; der des Palladions selbst (Epidauros, Mus. 17) ist unbekannt. L i t e r a t u r : KabbKat. Nr. 147; Cavv. Taf. 8, 14; LechDefr. 7off.; Amelung, Wochenschr. f. klass. Philolog. 1911, 620.

Das Palladion ist ein archaistisches Werk, das die spätarchaische Tracht des fein gefälteten Ärmelchitons mit schrägem Himation zeigt, wie das Idol G aus dem Giebel des Heraions von Argos1. Der Archaismus ist bei beiden der gleiche. Das hohe Alter und der feierliche Charakter des Kultbildes sollten hierdurch betont werden2. Auf die Schultern des Idols von Epidauros fallen gedrehte Locken, wieder in archaistischer Manier, herab. Muß die Deutung des Idols aus dem Giebel des argivischen Heraions unsicher bleiben, so ist das Idol des Ostgiebels des Asklepiostempels durch die Aegis deutlich als ein Palladion gekennzeichnet. Die Hand der Figur, die am Palladion Schutz sucht, ist also die der Kassandra. In der Darstellung der durch die Kentauren gestörten Lapitenhochzeit flüchten zwar auch Frauen auf der 21. Südmetope des Parthenon wie auf dem Fries von Phigalia hilfesuchend zu einem Idol3. Dieses ist aber in beiden Fällen nicht als ein Palladion gekennzeichnet. Die beiden Fragmente des Ostgiebels, der Kopf des Priamos und das Palladion, ergänzen sich auf das Beste und erheben so die ausgesprochene Deutung einer Iliupersis als Thema des Ostgiebels zur Gewißheit. Die Kassandra war nach der erhaltenen Hand ungefähr halblebensgroß. Von ihrem Körper ist sonst nichts erhalten, nachdem der von Studniczka als Kassandra gedeutete Torso (7) als östliches Eckakroter erkannt ist und damit als Giebelfigur ausscheidet. 36. Unterteil einer auf beiden Knien hockenden Frau. Das linke Knie wie die ganze linke Seite sind stark bestoßen. Der Rest eines angearbeiteten linken Kinderbeines ist erhalten. Höhe des Erhaltenen 43,5 cm. Athen, NM. Nr. 146. Taf. 44. FO.: Vor der Ostfront des Asklepiostempels 4. 1

ÖJh. 19/20, 1919, 31 ff. 3 Vgl. über den Archaismus zuletzt Ed. Schmidt, Archaistische Kunst in Griechenland und Rom. 3 KiB. 280; Smith, The Sculptures of the Parthenon 34, Abb. 59 (Zeichnung Carreys). 4 TA irrr' dp. 1 4 4 — 1 4 7 b TrpoepxovTai mSavcos £K TOÜ dvaroXiKoü derwlicrros das EÜpeöiirra uapd Tf|v dvorroAitcf|v TOÜ vaoü TrXeupdv (KabbKat. S. 131).

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L i t e r a t u r : Cavv. Tai. n , 8; KabbKat. 132, Nr. 146; Amelung, Basis des Praxiteles von Mantinea 70; Amelung, Wochenschr. f. klass. Phil. 1911, 620; Studniczka, A A . 1921, 333; Neugebauer, Jdl. 41, 1926; 90 Abb. 1 ; Schuchhardt, Gnomon 4, 203; G. Richter, The Sculpture 587, Abb. 719.

Die Frau im langen Chiton und dem im Schoß, zwischen den Schenkeln sich stauenden Mantel ist nach der auf einem Altar knienden, wehklagenden Hekabe des schon genannten tarentinischen Reliefs im Museum von Boston zu ergänzen 1 . Die Ähnlichkeit zwischen Torso und Relief ist so stark, daß Amelung die Figur als Hekabe gedeutet hat. Sie hockt auf beiden Unterschenkeln; ihr Hauptgewicht liegt aber auf der linken Seite. Rechts unten ist ein Rest eines Kinderbeines, die linke Kniekehle, erhalten. Das Kind war hiernach in Rückenansicht gegeben. Für die Deutung müssen wir uns an das oben aus wenigen Resten gewonnene Ergebnis halten, daß im Ostgiebel, in den diese Figur gehört, die Iliupersis dargestellt war. Amelung hatte bei seiner Deutung das Kinderbein übersehen. Dieses Kind wird Astyanax sein. Die Frau kann dann nur seine Mutter Andromache darstellen, die ihren Sohn vor dem Feinde Neoptolemos schützen will. Eine ähnliche Szene, Andromache mit ihrem Sohn Astyanax auf dem Arm, malte schon Polygnot 2 . Im Gegensatz zu den Westgiebelfiguren, deren Rückseiten im einzelnen nur angedeutet sind, ist diese Figur auf allen Seiten ganz durchgebildet. Die Hauptansicht ist durch die dichte Stoffmasse des Mantels zwischen den Beinen und über dem rechten Oberschenkel betont. Tiefe und immer wieder abbrechende, schmale Faltenfurchen stauen sich hier. In ihrer unruhigen Fülle geben diese Stoffmassen den Rahmen für den sich anschmiegenden, dünnen Chiton, der den Leib fast nackt zur Wirkung bringt. An den anderen Seiten, wie auch dem linken Oberschenkel, sind das Gewand und die Falten flach und trocken gebildet. Die Falten sind in der Führung stark gebrochen und an den Körper angepreßt. Keine Einzelheit ist aber dabei vernachlässigt. Der Stil dieser Figur zeigt gegenüber allem, was bisher von dem Skulpturenschmuck des Asklepiostempels betrachtet wurde, eine vierte, neue, ganz anders geartete Richtung. Wo fanden sich bisher so hohe Faltenstege und so tiefe Faltentäler? Auch die geknickte Führung der Falten, die um die Faltentiefen herumgelegt sind, erscheinen als eine Eigenart des Künstlers, der hier am Werke war. Eine malerisch durch Schatten und Licht stark wirkende Unruhe ist das Wesen der Stoffbehandlung der Figur in der Hauptansicht. Man hat zwischen der Epione (1) und dieser Andromache eine Stilverwandtschaft sehen wollen3. Zu Unrecht! Denn in jenem Werk ist ein »Rhythmus«, ein Fließen, ein Strömen der Falten wirksam, das die ganze Leiblichkeit der Gestalt sichtbar macht und das Ausgreifende ihrer Bewegung betont. An der Andromache aber 1

BrBr. 607; Cat. Boston Nr. 99. Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 91.

' Pausanias, 10, 2 5 , 4 ; dazu ML. unter Andromache.

3 Vgl.

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straffen und stauen sich die Falten, ohne daß sie von einem Rhythmus durchströmt sind. Jeder durchgehende Schwung der Falten fehlt, die Falten setzen an und brechen kurz danach wieder ab. So sind hier Gegensätze des Stils, nicht Übereinstimmungen sichtbar1. Auch der Gewandstil der Amazonen ist ein anderer. Die Auffassung des Stofflichen ist eine ganz verschiedene. Bei den Amazonen sind bei reicher Fältelung des dünnen Chitons Faltentiefen und damit starke Schatten vermieden. Dieser Unterschied liegt aber nicht nur an den ausführenden Händen, sondern es ist ein Gegensatz, der im Entwurf schon seine Ursache hat. Wir sahen, wie betont und für den Aufbau wichtig die faltigen Stoffmassen vom Künstler der Andromache verwendet worden sind. Dazu ist auch ihr Körper kräftiger, voller und breiter in seiner ganzen Anlage als der der anderen Figuren des Westgiebels und der Akrotere. Die Auffassung des Leibes erinnert an die gedrungenen Gestalten des Phigaliafrieses, weswegen wohl Schuchhardt in dieser Gestalt das Werk einer peloponnesischen Bildhauerschule erkennen möchte 2 ; aber der Faltenstil der Andromache findet sich so ähnlich auf der Grabstelle der Ampharete vom Kerameikos in Athen aus dem letzten Jahrzehnt des fünften Jahrhunderts wieder 3, daß sich der attische Einfluß in dieser Gestalt nicht verleugnen läßt. Es ist ein anderer Geist, der die Andromache geformt hat. G. M. A. Richter hat darum ihre Zugehörigkeit zu den Giebelskulpturen in Frage gestellt 4. Doch Kabbadias' Fundangabe ist ganz eindeutig, und nach ihren Maßen paßt die Figur in den Giebel. Sie ist dreiviertel lebensgroß; da eine ebenso hockende Frau 90 cm mißt, ist diese Gestalt des Ostgiebels mit einer Höhe von ungefähr 70 cm zu ergänzen. Die Tiefe der Figur beträgt 35 cm. Nach der sicheren Giebeltiefe von 38 cm steht der Einordnung der Andromache in den Ostgiebel nichts im Wege. Die Figur stand unmittelbar auf dem Giebelboden auf. Der Stilunterschied zwischen dieser Ostgiebelfigur und den anderen Skulpturen des Tempels bestätigt noch einmal, daß jeder Künstler seinen Teil des Auftrags für den Skulpturenschmuck nicht nur ausgeführt, sondern auch entworfen hat. Mit dieser Figur haben wir das erste größere Fragment eines Werkes des Hektoridas, das uns einen Eindruck seines Stiles zu geben vermag. Auch der folgende Rest einer Zweifigurengruppe läßt sich nach Fundort und Stil ihm eindeutig zuweisen. 37. Mittelstück einer nach rechts sich niederbeugenden Frau. An ihrem rechten Knie ist der rechte nackte Unterschenkel eines Mannes erhalten. Athen, NM. 147. Höhe des Erhaltenen 63 cm. Taf. 42, 43. FO.: Vor der Ostfront des Tempels (vgl. 36). L i t e r a t u r : KabbKat. 146b; Neugebauer, Jdl. 41, 1926, 90, Abb. 2.

Das Fragment gehört zu einer Zweifigurengruppe. Eine Frau, die einen dünnen Chiton trägt und darüber ein Himation, das im Rücken herunterfällt und zum Teil 1

1 Amelung, Die Basis des Praxiteles von Mantinea 70; Schuchhardt, Gnomon 4, 207. Schuchhardt a. O. 3 AM. 59, 1934, 25ff-. Tai. 5, Beil. 3. 4 Richter, The Sculpture 587, Abb. 719.

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vorn auf dem rechten Oberschenkel sich staut, beugt sich mit gebeugten Knien und vorn übergeneigtem Oberkörper tief herunter. In der Höhe ihres Knies ist das rechte kräftige Bein eines Mannes erhalten. Der Oberschenkelansatz verrät, daß der Oberkörper hochgerichtet war. Auch das Gewand der Frau ist vorn auffallend roh gehalten, nur wenig bearbeitet, so daß der Leib des Mannes diesen Teil verdeckt haben muß. Die Ergänzung kann nur die sein, daß die Frau einen nach vorn überfallenden, schwer verwundeten oder toten Mann emporhebt, etwa wie Eos die Leiche Memnons aus dem Schlachtgetümmel rettet1. Die Hauptansichtseite dieser Gruppe zeigt die Tafel 43. So ist alles entfaltet. In diesem Rest besitzen wir eine frühe Vorstufe zu der im Thema ähnlichen Menelaos-Patroklos-Gruppe des Antigonos von Karystos2. Die Giebelgruppe aber steht mit ihrer Darstellung, der Rettung eines Verwundeten oder Toten aus der Schlacht, nicht allein im Anfang des vierten Jahrhunderts. Seit dem Erlebnis des peloponnesischen Krieges haben die Griechen dieses Thema einer großen Kameradschaft, des mutigen Einsatzes für Hilfe und Rettung des Andern, auf dem Friese des Niketempels, des Apollotempels von Phigalia und am eindringlichsten in dem Relief eines Spiegels aus Anatolikon gestaltet 3. Nur eine Troerin, die einen schwer Verwundeten oder einen Toten vor dem weiteren Zugriff der Feinde retten will, kann im Rahmen dieses Giebelthemas hier dargestellt sein. Die Troerin war ungefähr 1 m hoch. Die Gruppe stand hiernach ganz in der Nähe der Giebelmitte. Die Figur ist stilistisch mit der Andromache auf das engste verwandt und deutlich ein eigenhändiges Werk desselben Meisters, des Hektoridas. 38. Unterer Teil eines knienden Bogenschützen. Athen, NM. 145. Erhaltene Höhe 34 cm. Taf. 45. FO.: Vor der Ostfront des Tempels (vgl. 36). L i t e r a t u r : Caw. Taf. n , 7; KabbKat. 145; LechDefr. 68, 12.

Der Jüngling hockt auf der Ferse seines rechten Fußes, das linke Bein war nach vorn gesetzt. Wir gewinnen so die Haltung eines Bogenschützen. Gewand fällt hinten bis auf den Boden und war an der linken Seite vom linken Oberarm und der Schulter gehalten. Der erhaltene rechte Fuß war unmittelbar auf dem Giebelboden aufgesetzt. Die Figur war etwas größer als halblebensgroß. Nach ihrem Fundort muß sie in den Ostgiebel gehören. Hiermit sind alle Reste aufgezählt, die lediglich nach ihrem Fundort dem Ostgiebel zugewiesen werden müssen. Doch folgende männliche Gestalten lassen sich aus anderen Gründen noch dem Ostgiebel zuweisen. 39. Torso eines Jünglings mit anpassendem linken Oberschenkel, in dessen Kniekehle die linke Hand einer anderen Figur von unten greift. Im linken Glutäus ist 1

Vgl. Pfuhl, MuZ. 164, Abb. 466. Gruppe (Abh. Leipz. 43, Nr. 4, 1936). 4

Crome

1

B. Schweitzer, Das Original der sogenannten Pasquino3 Vgl. B. Schweitzer a. O.; Die Antike 14, 69 ff.

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ein kleines Bohrloch, während die kleinen, muldenförmigen Löcher an der rechten Körperhälfte von ausgesprungenen Kristallen herrühren. Länge des rechten Oberschenkels 42 cm. Epidauros, Mus. 61. Tai. 46, 47. FO.: unbekannt. L i t e r a t u r : LechDefr. 72 auf der Abbildung ganz links.

Dieser Jüngling, halblebensgroß, ist für die Rückenansicht gearbeitet. Die Muskulatur der Vorderseite ist nur hart und skizzenhaft angegeben. Die vier Finger der gegnerischen Hand, die nur bei der Rückenansicht sichtbar sind, sind sorgfältig gearbeitet, während der Daumen auf der Innenseite des Schenkels, in den er sich kräftig hineindrückt, nur angedeutet ist. Das Bewegungsmotiv ist deutlich. Das rechte Bein ist gestrafft und schiebt den Körper nach vorn. Das linke Bein ist hochgesetzt, am ehesten auf einen Altar oder den Sockel des Palladions, zu dem sich das Opfer geflüchtet hat, auf das der Jüngling losstürmt. Die Heftigkeit der ganzen Bewegung zeigt auch der Oberkörper. In ihm ist eine starke Drehung wirksam. Die rechte Schulter war nach vorn, die linke zurückgenommen, so daß die Brust für den Beschauer fast im Profil sichtbar wurde. Nach ihrer Darstellung hat die Gestalt kaum Platz im Amazonengiebel, wohl aber im Ostgiebel, und hier kommen nur zwei Möglichkeiten in Betracht: Neoptolemos, der Priamos am Altar tötet, und Aias, der Kassandra vom Palladion fortreißt. Nach dem erhaltenen Kopf des Priamos (34) kann Neoptolemos ihn nur von links angegriffen haben. Der Jüngling aber stürmt von rechts her. Das paßt aber so ausgezeichnet zu dem erhaltenen Rest des Palladions (35), zu dem von rechts her hilfesuchend Kassandra geflüchtet ist, wie man es sich nur wünschen kann. Die Hand im Kniegelenk des Jünglings ist also die Linke der Kassandra. In der Größe und der besonderen Art der Finger, ihrer zarten Schlankheit geht sie geradezu auffallend mit der rechten Hand zusammen, die das Palladion umklammert. Wir gewinnen eine Gruppe, wie sie ungefähr die Skizze verdeutlicht. Eine kühne, heftige Szene mit starken Überschneidungen ist hier vom Künstler gestaltet. Schon der Griff in die Kniekehle, so ungewöhnlich er ist, ermöglicht kaum eine andere Wiederherstellung der Gruppe. Der in diesem Torso für den Ostgiebel wiedergewonnene Aias hatte eine ungefähre Höhe von 80 cm. Der Torso ist in der fast übertriebenen Gestrecktheit seines Oberschenkels, in der Schlankheit seiner Proportionen, in dem sicheren Rhythmus seines ganzen Umrisses, in der Jugendlichkeit seines Leibes, stilistisch so klar, daß sich noch einige weitere Fragmente mit ihm verbinden und so dem Ostgiebel zuweisen lassen. 40. Rechter Oberschenkel. Länge des Erhaltenen 25 cm. Epidauros, Mus. 65. FO.: unbekannt. Taf. 50. Das Fragment ist in Größe und Stil dem Schenkel des Aias gleich. Es gehörte mit dem erhaltenen Knie zu einer Figur mit starker Ausfallstellung. Die Abbildung gibt die Stellung richtig wieder.

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41. Rechte Hüfte eines Mannes, ähnlich flache Aussprengsei im Marmor wie bei Nr. 40. Erhaltene Höhe 24 cm. Epidauros, Mus. 6. Taf. 50. FO.: unbekannt. 42. Frauenkopf, stark verwittert. Großer Teil des Untergesichts abgesplittert. Höhe des Gesichts 11 cm. Athen, NM. 153. Taf. 48. FO.: in den späten Mauern zwischen Tholos und Westfront des Tempels. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. n , n ; Taf. g, ig; KabbKat. Nr. 1 5 3 ; LechDefr. 71, Nr. 15; Neugebauer, J d l . 41, 1926, 92; Beil. 1, Abb. 7, 8.

Der Frauenkopf ist leider verwittert; er gehört, wie der stark vorgereckte Hals noch verrät, zu einer bewegten Figur. Nach seinem Erhaltungszustand ragte er wahrscheinlich über den Giebelrand heraus, wenn man nicht annehmen will, daß die Oberfläche des Kopfes erst später, nach der Zerstörung des Tempels so arg verwitterte. Auffallend ist der starke, lebendige Ausdruck der Augen und des ganzen Gesichtes, wie er in Epidauros nur noch im Kopf des Priamos erreicht ist. Das Haar ist in drei langen schmalen Flechten um den Kopf herumgelegt. Diese Frisur ist kaum die einer Amazone. Die Amazonen im Westgiebel tragen alle ihre phrygischen Mützen. Auch die Ausdruckskraft im Gesicht dieses Frauenkopfes trennt ihn von den Köpfen der Amazonen. Dazu ist es eine ältere Frau, die hier dargestellt ist. Es ist ein Gesicht voll Schrecken und Leid. So wird der Kopf in den Ostgiebel gehören und ist vielleicht als Hekabe zu deuten. 43. Frauenkopf. Höhe des Gesichts 10,5 cm. Rechte Seite stark verwittert, linke Seite abgesplittert. Athen, NM. 154. Taf. 49. FO.: wie 42, also zwischen Westfront und Tholos. L i t e r a t u r : Cavv. Taf. n , 1 5 a ; Taf. 8, 8; KabbKat. Nr. 154; LechDefr. 71, Nr. 6; Neugebauer, J d l . 41, 1926, 92fi.; Beil. 1, Abb. 5, 6.

Dieses Köpfchen auf einem schlanken, langen Hals, das die Abbildung bei Cavvadias Tafel 11, 15 a am eindrucksvollsten wiedergibt, war nach den erhaltenen Halsfalten zur linken Seite gewendet. Der Beschauer sah die rechte Seite. Über das locker zurückgestrichene Haar liegt das Kopftuch, das im Nacken flattert. Die Augen sind schmal, die gebrochenen einer Sterbenden. Der Mund ist wie atmend geöffnet. Der Kopf ist im Aufbau feiner als die Amazonenköpfe, und sicher war eine Amazone mit einem Kopftuch kaum dargestellt. Wir weisen so diesen Kopf auch dem Ostgiebel zu. Welche der trojanischen Frauen er darstellte, muß offen bleiben. Dieser Giebel der Frontseite des Tempels erscheint nicht so einheitlich in seinem Skulpturenschmuck wie der Westgiebel. Die Größen- und Stilunterschiede der einzelnen Figuren sind stärker als im Westgiebel. Zwei Gruppen lassen sich deutlich scheiden, die Andromache-Gruppe (36, 37, 38) und die Palladion-Aias-Gruppe (34. 35. 39)4*

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HEKTORIDAS. DER OSTGIEBEL

Die Figuren der Andromache-Gruppe sind dreiviertel lebensgroß. Keine Westgiebelfigur, selbst nicht der Gefallene (19) hat diese Größe. Das unterscheidet den Gesamtaufbau des östlichen Giebelfeldes nicht unwesentlich vom westlichen. Die Figuren dieser Andromache-Gruppe sind kräftig und massig in ihrem Aufbau angelegt. Auch der Faltenstil dieser Gruppe steht in Epidauros ganz für sich. Das wurde oben gezeigt. Die Palladion-Aias-Gruppe dagegen ist nicht nur kleiner, halblebensgroß, sondern auch durch den Stil von der Andromache-Gruppe verschieden. Nach der Fundlage ist allerdings für den Ostgiebel nur das Palladion gesichert. Aber die vollkommene Gleichheit der das Palladion umklammernden Hand mit der, die in das Kniegelenk des Aias greift, läßt keinen Zweifel zu, daß die im Gegensatz zu den Figuren der Andromache-Gruppe sehr schlank proportionierten Gestalten demselben Giebel zugewiesen werden müssen. Größenunterschiede, wenn auch nicht so stark wie in diesem Fall, sind in Giebelkompositionen die Regel 1 . So sind die nach der Mitte zu liegenden und knienden Gestalten größer als die stehenden der Mitte. Hiernach sind die Andromache, die sich beugende Troerin, der Bogenschütze in die Mitte des Giebelfeldes einzuordnen, während die Reste der Palladion-Aias-Gruppe von der Giebelmitte weg ihren Platz gehabt haben werden. Von den Figuren des Ostgiebels sind uns im ganzen mindestens die Reste von 13 Figuren erhalten: Andromache mit dem Astyanax (36), Troerin mit Gefallenem (37), der Bogenschütze (38), Priamos (34), Kassandra (35), Aias (39) und zwei weitere Reste von Jünglingen (40, 41); dazu die Köpfe der Hekabe (42) und einer Troerin (43). Weiter muß man für eine Iliupersis noch Gefallene im Giebelfeld, vor allem für die Ecken, annehmen. Reste von solchen fehlen. Der Asklepiostempel in Epidauros war keinem der großen olympischen Götter errichtet. Ein neuer Glaube an eine heilende, rettende Kraft, an den ZcoTT)p, wie der Anruf an Asklepios lautete, hat sich hier ihren ersten Tempel gebaut. Homer und noch Pindar kennen Asklepios nur als Heros2. Der alte Mythos von dem Tod des Asklepios durch den Blitz des Zeus 3 macht das Bewußtsein der Griechen deutlich, die seine Heilungen und Auferweckungen als ein Zerstören der alten, ewigen göttlichen Ordnung empfanden. Hiergegen mußte Zeus einschreiten. Asklepios konnte seine große Bedeutung als ZcoTtip, als Heiland erst in dem Augenblick bekommen, als der Glaube an die olympischen Götter ins Wanken geriet. Und so verbreitete sich gegen Ende des fünften Jahrhunderts von Epidauros aus sein Kult. 420/19 vor Christus Geburt brachte Telemachos von Acharnai den Asklepioskult nach Athen, und Sophokles führte den neuen Gott in sein Heiligtum am Südabhang der Burg ein. Dieses Ereignis ist der Anfang einer neuen Welt4. 1

2 BrBr. 649 Text; Neugebauer, Studien über Skopas 31. Vgl. Homer, II. 4, 193; Pindar, Pyth. 3, 7; ML. unter Asklepios 620. Der verbreiteten Annahme, Asklepios sei von Anfang an ein Gott gewesen, ist nicht zuzustimmen. Pindars Zeugnis ist zu entscheidend. 3 ML. unter Asklepios 619. < K. A. Pieiff, Apollon 117.

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Jetzt erst war auch die wirtschaftliche Möglichkeit für eine große, baukünstlerische Gestaltung des Asklepieions von Epidauros gegeben. Der Tempel, die Tholos und das Theater des Polyklet konnten jetzt dort entstehen, wo man schon früh Heilung suchte und den Asklepios verehrte, und wohin mit der wachsenden Bedeutung des Gottes immer mehr und mehr Besucher kamen. War das Giebelfeld des griechischen Tempels im ganzen fünften Jahrhundert in seinem dargestellten Mythos ein ausdrucksstarkes Bild von dem Gotte oder der Göttin,-die das Haus bewohnten, so zeigt der Ostgiebel des Asklepiostempels zu Epidauros die Iliupersis. Die einzige Beziehung, die Asklepios zu diesem allerdings größten Ereignis des griechischen Mythos hat, ist die, daß seine beiden Söhne Podaleirios und Machaon als Ärzte an dem Kampf der Griechen gegen Troja teilgenommen haben 1 . Das ist aber auch alles. Im Giebelfeld der Westseite war der Amazonenkampf dargestellt. Penthesilea füllte hier die Giebelmitte aus. Jedes Bild des Gottes, dem der Tempel geweiht war, hat hier gefehlt. Studniczka hat richtig vorgeschlagen, in diesem Amazonenkampf den troischen zu erkennen2. So ist zwischen Ost- und Westgiebel durch das Thema ein Zusammenhang da. Beide Giebel zeigen den gemeinsamen Kampf und Sieg aller Griechen über Troja. Die griechische Kraft und Macht ist in diesen mythischen Bildern sichtbar gemacht, wie sie seit den Metopen am Parthenon ganz bewußt immer wieder verwendet werden. Die einzige sichtbare Beziehung zum Gott haben nur die Akrotere: Epione, die Spenderin der guten Heilmittel, und Iris, die gute Botschaft bringt. Haben wir die Eckakrotere richtig gedeutet, so sollten sie die unabänderliche Macht des Schicksals, des Todes sichtbar machen und an die Grenzen des »göttlichen« Retters Asklepios erinnern. Die Entstehungszeit der Giebel durch ihren Stil festzulegen, haben wir bei der Besprechung der einzelnen Reste versucht. Die reitende Amazone ist kaum später als das Dexileos-Grabmal in Athen. Die Stoffbehandlung am liegenden Jüngling (29) erschien in ihrer-ganzen Anlage der des Liegenden aus dem Giebel des Heraions von Argos verwandt 3. Das Heraion und seine Skulpturen gehören in die Zeit kurz nach 420 vor Christi Geburt. Die Gewandbehandlung der Andromache und der sich vorn überneigenden Troerin des Westgiebels stimmt Zug für Zug mit der der Ampharete in Athen überein, deren Grabstele noch im letzten Jahrzehnt des fünften Jahrhunderts vor Christi Geburt entstanden ist 4. Wahrscheinlich ist sie ein Werk des Hektoridas. Die Akrotere, die beiden Giebelfelder, — das wird diese Zusammenstellung aller erhaltenen Skulpturenreste des Asklepiostempels gezeigt haben — sind nicht das Werk eines Künstlers. Die Unterschiede sind zu deutlich, und die Figuren verraten schon in ihrem Aufbau, daß verschiedene Künstler sie entworfen haben müssen. 1 AA. 1921, 333. Tai. 5, Beil. 3.

3

AA. 1921, 333.

3 ÖJh. 19x9, S. 35, Abb. 27.

4 AM. 59, 1934, 25S.,

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HEKTORIDAS. DER OSTGIEBEL

Nach der Bauurkunde hat Timotheos die westlichen Akrotere (i, 3, 4) gearbeitet. Das Mittelakroter, die Epione (1) wurde als das überragende und damit eigenhändige Werk des Timotheos erkannt. Von diesem Mittelakroter also muß man für weitere Zuweisungen von Werken an diesen Künstler ausgehen. Um den sicher gewonnenen Boden nicht wieder zu verlieren, darf man nicht wie bisher, Timotheos stilistisch sehr verschiedene Werke zuschreiben. Am weitesten ist darin Lippold gegangen 1 . Man konnte das tun, weil man sich darüber nicht im klaren war, welche der im Stil so verschiedenen Skulpturen des Asklepiostempels in Epidauros Timotheos zuzuschreiben waren. Ehe man das Oeuvre des Timotheos zusammenstellen kann, muß erst sein bedeutender Anteil am Skulpturenschmuck des Mausolleions festgestellt werden. Denn nach der Überlieferung soll Timotheos die Südseite des Mausolleions mit seiner Plastik geschmückt haben. So berichtet wenigstens Plinius, während Vitruv Praxiteles nennt, aber hinzusetzt »nonnulli etiam putant Timotheum«1. Man hat daher Timotheos' Werk an der Südseite entdecken wollen; vor allem im Fries der Amazonenschlacht suchte man seine Hand nachzuweisen. Verschiedene Vorschläge sind gemacht worden, ohne daß eine Einigung bis heute erzielt worden wäre. Am meisten wurde noch der Vorschlag von Wolters und Sieveking angenommen. Danach sind die Platten Brit. Mus. 1006—1008, 1010—1012, 1016, 1017 von Timotheos 3. Vergleicht man aber alle Platten des Amazonenfrieses miteinander, so erscheinen die immer wieder herausgestellten Unterschiede nicht so groß, daß man hier vier verschiedene bedeutende Meister in ihrem persönlichen Stil, ihrer eigenen Gestaltungskraft erkennen könnte. Dazu gibt es bei jeder der vorgeschlagenen Einteilungen stilistische Überschneidungen 4 und, was das Wichtigste ist, der Fries ist in seiner Gesamtanlage und im Aufbau der einzelnen Kampfgruppen einheitlich, so daß zwar verschiedene Hände hier im einzelnen wirksam waren und auch, wie an allen größeren Friesen, in ihrer Arbeit deutlich zu erkennen sind, aber nur e i n e r der Gestalter dieses Frieses gewesen sein kann. G. Rodenwaldt hat das immer betont5. Zschietzschmann hat es klar aufgezeigt 6 . Die Frage nach dem Anteil der vier bedeutendsten Künstler des vierten Jahrhunderts an der Gestaltung des Amazonenfrieses des Mausolleions dürfen wir wohl nicht mehr stellen. Denn die Annahme, einer dieser vier Großen habe den Entwurf geliefert, und die drei anderen hätten sich ihm als große Meister ihrer Zeit in allem wie Gehilfen unterworfen, ist sehr unwahrscheinlich. Die antike Überlieferung kann sich hiernach, was ja auch das Naheliegende ist, nur auf den großen, reichen Skulpturenschmuck zwischen den Säulen mit den 1

R E . Timotheos 1363; Curtius, Die antike Kunst II 1 377ff. Vgl. auch Pfuhl, J d l . 43, 36ff., der richtig 1 Lippolds Zuweisung des Aristonautes und des Jünglings Alba an Timotheos ablehnt. Plinius n. h. 36, 30; Vitruv V I I praef. 12. 3 J d l . 26, 171, 185; vgl. ferner mit anderen Zuweisungen Neugebauer, A A . 1923/24, 1 1 1 ; Pfuhl, Jdl. 43, 3gfi.; Rumpf, GriechRömKunst 59ff. 4 Vgl. Bulle, 6 BrBr. 649, 14. 5 Vgl. Welt als Geschichte I 443, Anm. 6. Welt als Geschichte I, 1935, 435ff.

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vielen teils überlebensgroßen Figuren beziehen, von denen ein großer Teil wieder gefunden ist, und die, wenn sie, was längst hätte geschehen müssen, mit genauen Fundangaben veröffentlicht werden, dann die entscheidenden Zeugnisse der Kunst des Timotheos1, Bryaxis 2 , Leochares und Skopas für uns sein werden. 1

Vgl. z. B. BritMus. Nr. 1049, 1053, 1055—57, die im Süden, also auf der Seite des Timotheos gefunden sind, und wenn die Angabe richtig ist, als Ausgangspunkt der ganzen neuen Untersuchung dienen 1 müssen. Vgl. hier jetzt schon den gelungenen Nachweis, daß der sogenannte Maussolos ein Werk des Bryaxis ist. K. A. Neugebauer, J d l . 1942.

56

LITERATUR Kabbadias, Kabbadias, Cavvadias, Foucart, KaßßaBias

Eph. Arch. 1884, 49—60 Tai. 3, 4. Eph. Arch. 1885, 41 — 54 Tai. 1, 2. Fouilles d'Épidaure (abgekürzt: Cavv.). Bull, corrhell 14 1890, 589—594. (abgekürzt KabbKat.). rXUTTTÔt T o O E0V1KOÖ MOUCTEIOU

BrBr. Taf. 19, 20. Winter, Defrasse et Lechat, Furtwängler, Amelung, Wolters- Sieveking, Amelung, Amelung, Vallois, Studniczka, Lippold, Neugebauer, Richter, v. Blumenthal, Richter, Schuchhardt, Rumpf, Curtius, Fernand, Lippold, Thiersch,

Neugebauer,

AM. 19. 1894 157 — 162 Taf. 6. Épidaure, Paris, 1895 (abgekürzt: DefrLech.). SBMünch. 1903 439 — 446. Ausonia 3, 1908, 91 ff. Jdl. 24, 1909, 171, 1 8 5 0 . Wochenschr. f. klass. Philologie 1911, 62off. Die Basis des Praxiteles 69 ff. Bullcorrhell. 36, 1912, 229. A A . 1921, 333. Jdl. 40, 1925, 206. Jdl. 41, 1926, 82ff. A J A . 3 1 , 1927, 80 ff. Hermes 63 (1928), 391—414. The Sculpture and the Sculptors of the Greeks (1930) 104, 277 Abb. 7ioff. Gnomon 4, 1928, 207. Griechische und römische Kunst (1931), 57ff. Die antike Kunst II 341. Épidaure, Le Monde hellénique, Paris 1935. R E . unter Timotheos Nr. 76. Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, Fachgruppe I Altertumswissenschaft. Neus Folge. Bd. II Nr. 8, S. 163ff. (1938). Die Alten Sprachen, 6. Jahrg., Heft 5, 81 ff.

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Athen,

1 Nationalmuseum

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ISS

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Athen, Nationalmuseum Nr. US (Aufnahme nach Göttinger Gips)

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1 Athen,

Nationalmuseum

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2 Athen,

Nationalmuseum

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140

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2 Athen,

Nationalmuseum

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5 Athen, Nationalmuseum Nr. 157 (Aufnahme nach Göttinger Gips)

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5 Athen,

Nationalmuseum

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5 Athen,

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4 Athen,

Nationalmuseum

Nr.

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Museum

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Nationalmuseum

Nr.

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16 Athen,

Nationalmuseum

Nr. 1)9 u. 149.

Epidauros,

Museum

Nr.

67

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16 Athen,

Nationalmuseum

Nr.

1)9

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17 Epidauros,

Museum

Nr.

14

TAFFX 25

17 Epidauros,

Museum

Nr.

14

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TAFEL

28

20 Epidauros,

Museum

Nr.

16

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20 Epidauros,

Museum

Nr.

16

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21 Epidauros,

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Nr.

S9

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22 Athen,

Nationalmuseum

Nr.

151

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Nationalmuseum

Nr. 142

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Museum

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Athen,

9a Nationalmuseum

Epidauros,

24 Museum

Nr.

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Nr.

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11 Epidauros,

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33 Epidauros,

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JJ

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54 Athen,

Nationalmuseum

Nr.

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Nr.

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57 Athen,

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Nr.

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57 Athen,

Nationalmuseum

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36 Athen,

Nationalmuseum

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Nationalmuseum

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Ostgie

Westgie

Beilage i