Die Rede vom Jüngsten Gericht in den Konfessionen der Frühen Neuzeit [1 ed.] 311061488X, 9783110614886

Lange Zeit blieb die frühneuzeitliche Rede vom Jüngsten Gericht weitgehend unbeachtet. Dies gilt sowohl für die Topik de

202 69 9MB

German Pages 337 [350] Year 2018

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Rede vom Jüngsten Gericht in den Konfessionen der Frühen Neuzeit [1 ed.]
 311061488X, 9783110614886

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abbildungsnachweis
1. Einleitung
2. Martin Luther
3. Bekenntnisse gegen Allversöhnung
4. Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel der Auslegung von Mt 25,31–46
5. Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20 in frühneuzeitlichen Apk-Kommentaren
6. Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit: Wie sich frühneuzeitliche Poeten in geistlicher Lyrik einen Reim auf die Lehre vom Jüngsten Gericht machen
7. Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument gegen Hexenverfolgungen in der Frühen Neuzeit
8. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Bibelstellenregister
Personenregister

Citation preview

Frank Alexander Kurzmann Die Rede vom Jüngsten Gericht in den Konfessionen der Frühen Neuzeit

Arbeiten zur Kirchengeschichte

Begründet von Karl Holl † und Hans Lietzmann † Herausgegeben von Christian Albrecht und Christoph Markschies

Band 141

Frank Alexander Kurzmann

Die Rede vom Jüngsten Gericht in den Konfessionen der Frühen Neuzeit

ISBN 978-3-11-061488-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061731-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061495-4 ISSN 1861-5996 Library of Congress Cataloging in Publication Control Number: 2018958375 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die Thematik des Jüngsten Gerichts ist in der lutherschen und frühneuzeitlichlutherischen Theologie nicht einfach rein formal beibehalten worden; auch ist sie keinesfalls aufgegeben worden. Vielmehr wird man sagen dürfen, dass die Topik des Letzten Gerichts in vielerlei Hinsicht für Theologie und Frömmigkeit der Frühen Neuzeit überhaupt bedeutsam und prägend war. Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2016/17 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg als Dissertation angenommen und nach dem Abschluss des Verfahrens im Sommersemester 2017 für die Publikation geringfügig überarbeitet und ergänzt wurde, zielt darauf ab, den Umgang frühneuzeitlicher Theologen mit dem Theologumenon des Jüngsten Gerichts zu erforschen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf inter- und transkonfessionellen Phänomenen und Prozessen. Die Rede vom Jüngsten Gericht ist – über konfessionelle Grenzen hinweg – zentraler Bestandteil der frühneuzeitlichen (Kontrovers‐)Theologie und Verkündigung. Dies wird deutlich anhand von Texten verschiedener Gattungen – etwa Predigten, exegetischen Kommentaren, Bekenntnisschriften und geistlicher Lyrik. In diesem Zusammenhang manifestiert sich in den Texten die Hoffnung, dass nicht Leid, Schuld und Tod, sondern Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit das letzte Wort haben werden. Dafür, dass diese Studie zustande gekommen ist, möchte ich all jenen danken, die mich bei meinem Vorhaben unterstützt haben. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, der meine Arbeit stets konstruktiv, wertschätzend und kritisch betreute und mit wertvollen Ratschlägen beförderte. Prof. Dr. Christine Büchner, die das Zweitgutachten erstellte, danke ich für die überaus hilfreichen Hinweise aus katholisch-theologischer Perspektive. Auch Prof. Dr. Inge Mager, welche meine Arbeit ebenfalls begleitete, möchte ich für ihre nutzbringenden Anmerkungen danken. Die Aufnahme in das sowie die vielfältige Förderung durch das Graduiertenkolleg Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit der Universität Hamburg trugen dazu bei, die vorliegende Untersuchung zu realisieren. Für den ertragreichen fachlichen Austausch und den damit verbundenen Erkenntnisgewinn bedanke ich mich bei allen Mitgliedern des Graduiertenkollegs. Weiterhin sei Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann für seine Ratschläge zur Vorbereitung der Drucklegung gedankt. Prof. Dr. Christian Albrecht und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies möchte ich für die Annahme der vorliegenden Arbeit zur Publikation in der von ihnen herausgegebenen Reihe Arbeiten zur Kirchengeschichte herzlich danken. Dem Verlag De Gruyter danke ich für die aufmerksame verlegerische Beratung und Betreuung; stellvertretend seien hier Dr. Albrecht Döhnert, Alice Meroz und https://doi.org/10.1515/9783110617313-001

VI

Vorwort

Stefan Selbmann genannt. Zu großem Dank bin ich der Karl H. Ditze Stiftung für den Erhalt des Karl H. Ditze Preises 2017 und der damit verbundenen finanziellen Förderung verpflichtet. Für die wertvollen Anregungen und motivierenden Diskussionen sei meinen Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden gedankt, insbesondere Dr. Ralph Kogelheide. Diese Arbeit ist meinen Eltern und Großeltern mit großer Dankbarkeit für ihre fortwährende Unterstützung gewidmet. Hamburg, im Juni 2018

Frank Alexander Kurzmann

Inhalt Abbildungsnachweis  . . .  . . . . . . .. .. .. . .  . . .. .. . .. .. . . .

XI

1 Einleitung Zu Thema und Forschungsstand 1 Zur besonderen Berücksichtigung interkonfessioneller 13 Phänomene Der Aufbau der Arbeit 17 21 Martin Luther Einleitung 21 23 Das futurische Gericht nach den Werken Werke der Barmherzigkeit als geistlicher Wucher mit Gott – 29 Luthers Auslegung von Lk 16,19 – 31 Der liebe Jüngste Tag 32 Radikale Reformulierung der Lehre vom Jüngsten Gericht? 34 43 Luthers Jona-Auslegung Der Hölle entkommen 43 Luthers Jona-Auslegung als Beispiel interkonfessioneller 50 Austauschprozesse Der Richter erleidet als Gerichteter das Jüngste Gericht zugunsten 53 der Christen Spezielle Anwendungsfälle 58 64 Zusammenfassung Bekenntnisse gegen Allversöhnung 66 66 Einleitung 68 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche 68 75 Reformierte Bekenntnisse 79 Allversöhnung bei den Täufern? Fremdzuschreibungen 79 85 Mögliche Vertreter einer Allversöhnungs-Konzeption Der annihilatio-Gedanke bei Lelio Sozzini, Fausto Sozzini und Ernst Soner 92 Ausblick: Allversöhnung bei Johanna Eleonora Petersen 95 Zusammenfassung 97

VIII

 . . . . . .  . . . . . . . . . . . 

. . .. .. . .. ..

Inhalt

Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel Mt 25,31 – 46 99 99 Einleitung Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46 Katholische Predigten über Mt 25,31 – 46 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten Zusammenfassung 145

der Auslegung von

100 117 127 135

Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20 in frühneuzeitlichen Apk-Kommentaren 148 148 Einleitung Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts: Daniel Cramer und David Chyträus 150 160 Zwischen Naherwartung und Terminspekulationen Luthers Einschätzung von Apk 20 163 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller 166 Übernahmen Ausgewählte Beispiele der Auslegung von Apk 20 im interkonfessionellen Vergleich 181 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas als 184 Beispiele für katholische Exegese von Apk 20 Die Auslegung von Apk 20 bei Heinrich Bullinger 194 Exkurs: Einflüsse von Luis de Alcázar auf Hugo Grotius in der 199 Auslegung von Apk 20 Die Auslegung von Apk 20 bei Johanna Eleonora Petersen 203 207 Zusammenfassung Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit: Wie sich frühneuzeitliche Poeten in geistlicher Lyrik einen 209 Reim auf die Lehre vom Jüngsten Gericht machen Einleitung 209 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer 211 Autoren 211 Bartholomäus Ringwaldt 226 Johann Rist Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren 233 233 Johannes Khuen Johannes Scheffler (Angelus Silesius) 238

Inhalt

. . 

IX

Exkurs: Die Rede von den Letzten Dingen in Gryphius‘ Kirchhofgedanken 247 251 Zusammenfassung

. . . . . .

Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument gegen Hexenverfolgungen in der Frühen Neuzeit 254 254 Einleitung Friedrich Spee 260 268 Johann Matthäus Meyfart Anton Praetorius 279 Ausblick: Christian Thomasius 289 291 Abschluss



Zusammenfassung

294

Literaturverzeichnis 310  Quellen und Quellensammlungen  Sekundärliteratur 315 Bibelstellenregister Personenregister

329 334

310

Abbildungsnachweis Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung : Abbildung :

Universitätsbibliothek Rostock, Fl-., S. , http://purl.uni-rostock.de/ros  dok/ppn Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, RAR B  (), fol. aa v, urn: nbn:de:gbv::-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/B.g.cath. , fol. Hh v, urn:nbn:de: bvb:-bsb-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/ B.g.prot. , fol. Rrr v, urn:nbn:  de:bvb:-bsb- Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, RAR B  (), fol. bb v, urn: nbn:de:gbv::-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/B.g.cath. , fol. Kk v, urn:nbn:de: bvb:-bsb-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/ B.g.prot. , fol. Rrr r, urn:nbn:  de:bvb:-bsb- Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, RAR B  (), fol. dd r, urn: nbn:de:gbv::-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/ B.g.cath.  i, fol. J r, urn:nbn:  de:bvb:-bsb- Bayerische Staatsbibliothek München, Res/B.g.cath. , fol. Ll r, urn:nbn:de: bvb:-bsb-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/ B.g.prot. , fol. Sss v, urn:nbn: de:bvb:-bsb-  Bayerische Staatsbibliothek München, Res/B.g.cath. , fol. Kk v, urn:nbn:de: bvb:-bsb-  Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, RAR B  (), fol. ee v, urn:  nbn:de:gbv::- © Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, Hamburg   © Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, Hamburg © Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, Hamburg 

https://doi.org/10.1515/9783110617313-002

1 Einleitung 1.1 Zu Thema und Forschungsstand Wird dann ein jüngstes Gericht gewiß erfolgen? JA in allewege. Dann unser HErr Jesus Christus wird am Jüngsten Tage kommen zu richten/ und alle Todten aufferwecken/ den Gläubigen und Außerwehlten Ewiges Leben/ und die ewige Freude geben/ Die Gottlosen Menschen aber/ und die Teuffel in die Hölle und ewige Straff verdammen/ da sie ewige Quaal und Pein haben werden.¹

Die Erwartung, dass Jesus Christus am Weltende, dem Jüngsten Tag, zurückkehren (Parusie Christi) und das Jüngste Gericht halten sowie das Urteil über die Lebenden und Toten, welche zuvor auferstehen und im Anschluss an das Gericht in die himmlische Seligkeit eingehen oder ewige Höllenqualen erleiden werden², sprechen wird, ist zentraler Teil des christlichen Glaubens und verbindet grundsätzlich lutherische, reformierte und römisch-katholische Christen.³ Doch wie weit reicht dieser Konsens⁴? Bedenkt man die Thematik des Letzten Gerichts, so

 So beginnt Leonhard Hütter (1563 – 1616) in seinem (Schul‐)Lehrbuch den locus vom Letzten Gericht. Leonhard Hütter: Compendium locorum theologicorum ex Scripturis Sacris et Libro Concordiae. Lateinisch – deutsch – englisch. Kritisch hrsg., kommentiert und mit einem Nachwort sowie einer Bibliographie sämtlicher Drucke des Compendium versehen von Johann Anselm Steiger. Teilbd. 1. Stuttgart-Bad Cannstatt 2006 (= Doctrina et Pietas II, 3), S. 601. Der bedeutende lutherisch-orthodoxe Theologe Johann Gerhard (1582– 1637) definiert das Jüngste Gericht folgendermaßen: „Judicium extremum est actus solennis et publicus, in quo Deus juxta aeternum et immutabile suum decretum per Jesum Christum, in assumta natura humana visibiliter e coelo in nubibus comitantibus angelis omnibus cum gloria et majestate magna in die novissimo rediturum, omnes omnino homines mortuos et vivos, illos e pulvere terrae suscitatos, hos vero immutatos, ad tribunal suum congregabit, pios ad dextram, impios ad sinistram collocando ac utrique parti justam et ultimam sententiam promulgabit, illos, utpote qui in vera fide perseverarunt et bonorum operum, praesertim caritatis et beneficentiae testimonio eam comprobarunt, juxta evangelii promissionem in plenariam regni coelestis possessionem introducendo; hos vero, utpote qui impoenitentes et increduli ad finem usque vitae permanserunt ac mala egerunt, juxta legis damnationem cum malis angelis in ignem infernalem detrudendo.“ Johann Gerhard: Loci Theologici […]. Hrsg. von Eduard Preuß. Bd. 9. Leipzig 1875, S. 124a.  Die Thematik des Jüngsten Gerichts ist Teil der Eschatologie, also der Lehre von den Letzten Dingen (Eschata, novissima), zu denen auch Tod und Auferstehung, Weltende sowie Himmel und Hölle zählen.  Vgl. etwa Philipp Schäfer: Eschatologie. Trient und Gegenreformation. Freiburg im Breisgau u. a. 1984 (= Handbuch der Dogmengeschichte IV, 7c, 2), S. 3.  Wolfgang Sommer zufolge war „[d]as Fegefeuer […] der eigentliche Streitpunkt zwischen reformatorischen und katholischen Theologen, während sonst in der Lehre von den Letzten Dingen keine großen Kontroversen stattfanden“. Wolfgang Sommer: Der Untergang der Hölle. Zu den

2

1 Einleitung

ergeben sich Detailfragen, welche die frühneuzeitlichen⁵ Theologen durchaus unterschiedlich beantworten, wie etwa solche: Wann wird jenes zukünftige Gericht erfolgen bzw. wie nah ist der Jüngste Tag? Nach welchem Maßstab werden die Menschen im Endgericht beurteilt – genügt allein der Glaube? Kann man sich den Himmel verdienen? Wie steht es mit einem Gericht nach den Werken? Wie gewiss darf der Christenmensch seines Heils sein? Ist der Mensch durch einen Ratschluss Gottes von Ewigkeit her zu Heil oder Unheil vorherbestimmt? Zudem existiert neben der Vorstellung eines allgemeinen bzw. universalen Gerichts über alle Menschen am Jüngsten Tag auch die eines individuellen Partikulargerichts, in dem der Sterbende allein vor den göttlichen Richter treten muss bzw. in welchem über die Seele des Menschen geurteilt wird. Kann es neben dem sogenannten doppelten Ausgang des Gerichts (entweder Himmel oder Hölle) einen weiteren möglichen Ausgang des Partikulargerichts in Form der vorübergehenden Läuterung im Fegefeuer geben? Was geschieht etwa mit ungetauft gestorbenen Kindern? Wäre es möglich, dass die Höllenstrafen nicht ewig währen werden bzw. alle Menschen letztlich zur himmlischen Seligkeit gelangen (Allversöhnung bzw. Apokatastasis panton)? Weiterhin: Welchem Zweck dient die Rede vom Letzten Gericht, an welche Adressaten in welchen Situationen kann sie gerichtet werden? Welche konfessionellen Spezifika, Gemeinsamkeiten und Differenzen zeigen sich? Die Reihe der Fragen ließe sich fortsetzen.⁶ Die frühneuzeitlichen Theologen konnten auf zahlreiche biblische, einander inhaltlich ergänzende Texte zur Gerichtsthematik zurückgreifen. Von den loci der Schrift, auf welche sich die früh-

Wandlungen des theologischen Höllenbildes in der lutherischen Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von dems. Göttingen 1999 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 74), S. 177– 205, hier S. 180, vgl. auch ebd., S. 180 f. Anders sieht dies etwa Christine Göttler, die konstatiert: „Purgatory and the Last Things lay at the very core of the confessional conflict“. Christine Göttler: Last Things. Art and the Religious Imagination in the Age of Reform. Turnhout 2010 (= Proteus: Studies in Early Modern Identity Formation 2), S. 165. Sommers These ist zu relativieren, wie die vorliegende Arbeit zeigt.  Zur Frage, wann die Frühe Neuzeit angesetzt werden kann (vor allem, wann sie beginnt), vgl. Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann: Reformation und konfessionelles Zeitalter. Darmstadt 2002 (= Kontroversen um die Geschichte o. Nr.), S. 11; 17– 29; 62– 79. Über die frühneuzeitliche Geschichte informiert einleitend etwa Franz Brendle: Das Konfessionelle Zeitalter. 2. Aufl. Berlin u. a. 2015 (= Akademie Studienbücher – Geschichte o. Nr.). Zum Problem der möglichen Eingrenzungen der Epoche vgl. ebd., S. 11– 14. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt jedoch auf dem Zeitraum zwischen ca. 1517 und 1700.Vgl. auch den einleitenden allgemeinhistorischen Überblick bei Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung. 4. Aufl. des Bandes „Das Zeitalter des Absolutismus“. München 2007 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte 11), S. 1– 24.  Weitere Fragen könnten etwa lauten: (Wo) ist das Jüngste Gericht zu verorten? Gibt es Vorzeichen des Jüngsten Tages? Oder nochmals kleinteiliger: Wie wird der Thron des Richters aussehen?

1.1 Zu Thema und Forschungsstand

3

neuzeitlichen Autoren beziehen, sei nur auf Dan 7; Mt 12,36; 25,31– 46; 2Kor 5,10 sowie Apk 20,11– 15 hingewiesen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, verschiedene Vorkommen, Aspekte und Kontexte der Rede vom Jüngsten Gericht in ausgewählten Schriften frühneuzeitlicher Autoren zu beleuchten. Besonderes Interesse gilt dabei der Untersuchung inter- und transkonfessioneller Phänomene, weshalb (ausgehend von Luther und lutherischen Schriftstellern) Texte von lutherischen, reformierten und römisch-katholischen Autoren bzw. Reformatoren und Altgläubigen sowie – in bestimmten Zusammenhängen – nonkonformistischer Individuen bzw. Gruppen⁷ berücksichtigt werden. Es wird also konfessionskomparatistisch verfahren. Dazu ziehe ich in der Regel Quellen aus dem deutschsprachigen Raum heran, welche im 16. und 17. Jahrhundert (hauptsächlich zwischen ca. 1517 und 1700)⁸ entstanden sind. Um die Fragestellung sinnvoll einzugrenzen, werden Pietismus und (Früh‐) Aufklärung allenfalls am Rande Beachtung finden. Betrachtet werden Texte unterschiedlicher Gattungen und Zusammenhänge. Die Darstellung und Analyse der Quellen sollen dabei im Zentrum stehen. Die Spezifika bzw. Funktionen der jeweiligen Gattungen sind ebenfalls in Anschlag zu bringen. In geeigneten Einzelfällen werden die Texte um Beispiele aus der bildenden Kunst ergänzt⁹, wenngleich kunsthistorische Fragestellungen nicht eigentlich Gegenstand der Arbeit sind und das Hauptaugenmerk nicht auf einem intermedialen Vergleich liegt.¹⁰

 Dass die Beschäftigung mit Nonkonformisten im Kontext der Erforschung von Intra-, Inter- und Transkonfessionalität fruchtbar sein kann, zeigt auch etwa der Aufsatz von Thomas Kaufmann: Nahe Fremde – Aspekte der Wahrnehmung der „Schwärmer“ im frühneuzeitlichen Luthertum. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 179 – 241.  Siehe dazu auch oben Anm. 5.  Wie lohnend die Einbeziehung von Artefakten der bildenden Kunst bzw. Bildern in die Untersuchung frühneuzeitlicher Vorstellungen von Jüngstem Gericht, Hölle, Fegefeuer etc. sein kann, hat beispielsweise Christine Göttler unlängst gezeigt, vgl. Göttler (s. Anm. 4). Göttler betont hier unter anderem die Dringlichkeit, mit welcher die Glaubenden dazu bewegt werden sollten, der Letzten Dinge eingedenk zu sein.  Ein solcher würde weitere neue, möglicherweise theologisch-kunsthistorisch interdisziplinär angelegte Studien erfordern. Vgl. dazu etwa Birgit Emich: Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche. In: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), 1, S. 31– 56. Auf die Erforschung von Weltgerichtsdarstellungen in kunsthistorischer Perspektive kann in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden. Exemplarisch sei dazu hingewiesen auf Eleonora Cagol: Das Jüngste Gericht. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von Tobias Pfeifer-Helke. Berlin u. a. 2015, S. 114– 137. Es geht in dieser Arbeit ebenfalls nicht um die Vorstellungen vom innerweltlichen Gerichtshandeln Gottes; auch kann

4

1 Einleitung

Angesichts der Fülle von potenziell relevanten Quellen, die in diesem Zeitraum allein in deutschsprachigen Gebieten produziert wurden, soll diese Arbeit keinen Gesamtabriss aller Aussagen zur Eschatologie bieten, sondern schlaglichtartig Fälle aufzeigen, in denen sich Aussagen über das Jüngste Gericht mit solchen über konfessionelle, inter- sowie transkonfessionelle Phänomene verschränken. Es fällt auf, dass hinsichtlich der Erforschung des Umgangs frühneuzeitlicher (deutschsprachiger) Autoren verschiedener konfessioneller Provenienz mit der Gerichtsthematik erhebliche Defizite bestehen. In Reinhard Schwarz‘ Artikel über Martin Luthers Theologie im Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart ¹¹ sucht man einen eigenen Abschnitt über Luthers Eschatologie oder gar die Thematik des Endgerichts vergebens. So wirkt es, als habe die Lehre vom Jüngsten Gericht für Luther keine große Bedeutung.¹² Ebenso verhält es sich, wenn man die 2015 erschienene Monographie von Schwarz über Luther betrachtet.¹³ Nur vereinzelt geht Schwarz auf die Gerichtsthematik ein und unterschätzt diese meines Erachtens in ihrer Relevanz für Luther.¹⁴ Schwarz resümiert: „Das Jüngste Gericht wird in Luthers Theologie zu der vom Christus-Glauben erhofften Vollendung der Befreiung von den Mächten des Unheils. Mit apokalyptischen Spekulationen und mit einer juridischen Vorstellung vom Jüngsten Gericht hat Luther nichts im Sinn. Ihm genügt es, die Rede vom Jüngsten Tag mit dem gegenwärtigen Glaubensleben zu verknüpfen.“¹⁵ Die Einschätzung, eine paränetische Gerichtspredigt unter Einschluss der Forderung guter Werke könne (oder dürfe!) es bei Luther und den

nicht in aller Ausführlichkeit auf die übrigen novissima und die damit verbundenen Fragen eingegangen werden, wenngleich diese Themen gelegentlich flankierend Beachtung finden werden. Ein interreligiöser Vergleich mag sich ähnlicher Methodik bedienen, ist jedoch ebenso wenig Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Mit Blick auf den Vergleich der Konfessionen ist mir bewusst, dass ich diesen nicht völlig voraussetzungslos, sondern als evangelischer bzw. lutherischer Theologe unternehme.  Vgl. Reinhard Schwarz: Art. Luther, Martin. II. Theologie. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 5 (2002), Sp. 573 – 588.  Nur knapp erwähnt Schwarz Jüngstes Gericht und die Auslegung von Mt 25,31– 46, vgl. ebd., Sp. 579 f.  Vgl. Reinhard Schwarz: Martin Luther. Lehrer der christlichen Religion. Tübingen 2015.  Von der Vorstellung eines richtenden Christus, welcher die Werke ins Gericht einbezieht, kann laut Schwarz bei Luther keine Rede sein. Schwarz weist einseitig auf Luthers Ablehnung mittelalterlicher Schreckensszenarien des Gerichts hin. Vgl. etwa ebd., S. 187– 190; 268 – 271; 273 – 276; 281. Der Autor spricht etwa von „Luthers eindeutige[m] Verwerfen der traditionellen Vorstellung vom richtenden Christus“ (ebd., S. 271), wenngleich es hier um die Soteriologie und eben nicht um die nicht eigens behandelte Eschatologie geht.  Ebd., S. 275.

1.1 Zu Thema und Forschungsstand

5

lutherischen Theologen nicht geben, lehnt Schwarz nicht ausreichend ab.¹⁶ Ein Kapitel über Luthers Lehre von den Letzten Dingen fehlt indes auch hier – auf die Ausführungen zur Ethik folgt abschließend ein Passus über Luthers Ekklesiologie.¹⁷ Ebenso fehlt auch im Luther-Lexikon ein eigener Artikel über das Jüngste Gericht.¹⁸ Dies ist kein Zufall, sondern geradezu symptomatisch. Die Gerichtsthematik bei Luther und seinen Erben wird in der Forschung häufig ausgeklammert. So konstatierte Olaf Rölver 2010 in Bezug auf die ‚Stimmung‘ bei vielen heutigen Theologen: „Das Jüngste Gericht ist ›out‹.“¹⁹ Dies gilt, wie oben angedeutet, auch für die Kirchengeschichtsschreibung. Hier besteht eindeutig Nachholbedarf. Die Rede vom Letzten Gericht ist in der Frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum keine theologische Rarität, sondern begegnet im Gegenteil häufig und über Konfessionsgrenzen hinweg. Johann Anselm Steiger hat unlängst etwa gezeigt, wie weit die Thematik des Jüngsten Gerichts im frühneuzeitlichen Luthertum auch im Medium Bild verbreitet war.²⁰ Die Berücksichtigung dieses heute unliebsam gewordenen Theologumenons ist somit durchaus relevant für die Erforschung der Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit.²¹ Nicht unerwähnt sollen jedoch einzelne Studien bleiben, in welchen Teilaspekte der Materie bzw. verwandte Themen (man denke zum Beispiel an Herbert Vorgrimlers Geschichte der Hölle)²² behandelt werden. So existieren etwa über-

 Vgl. ebd., S. 276.  Ein ähnliches Desinteresse an der Thematik des Endgerichts bei Luther lässt sich auch im Luther Handbuch feststellen. Vgl. Notger Slenczka: Christliche Hoffnung. In: Luther Handbuch. Hrsg. von Albrecht Beutel. 2. Aufl. Tübingen 2010, S. 435 – 443. Siehe dazu unten Kapitel 2.5.  Vgl. Das Luther-Lexikon. Hrsg. von Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff. 2. Aufl. Regensburg 2015. Im Artikel zur Eschatologie bei Luther wird in Bezug auf das Endgericht einseitig die Überwindung des verdammlichen Gerichts für den Glaubenden betont. Vgl. Markus Mühling: Art. Eschatologie. In: Das Luther-Lexikon. Hrsg.von Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff. 2. Aufl. (2015), S. 199 – 204. Mühling relativiert den Gerichtsernst in Luthers Denken und Luthers Annahme einer ewigen Höllenqual der Verdammten, vgl. ebd., S. 203.  Olaf Rölver: Christliche Existenz zwischen den Gerichten Gottes. Untersuchungen zur Eschatologie des Matthäusevangeliums. Göttingen 2010 (= Bonner Biblische Beiträge 163), S. 13.  Vgl. Johann Anselm Steiger: Gedächtnisorte der Reformation. Sakrale Kunst im Norden (16.– 18. Jahrhundert). Bd. 1. A–K. Regensburg 2016, etwa S. 61, Abb. 11; 63; 79 und 79, Abb. 4; 114, Abb. 2; 155 u. ö.; sowie ders.: Gedächtnisorte der Reformation. Sakrale Kunst im Norden (16.–18. Jahrhundert). Bd. 2. L–Z. Regensburg 2016, etwa S. 507; 545 – 547; 595; 597; 687– 689; 745 u. ö.  Zur bleibenden Relevanz des Themas bzw. zu dem Vorteil, durch die Beschäftigung mit den historischen Debatten, Lehren, Überlegungen etc. heute gerade angesichts möglicher Sprachlosigkeit in Bezug auf die Frage nach dem Jüngsten Gericht wieder Aussagen darüber treffen zu können, vgl. auch etwa Sommer (s. Anm. 4), S. 204 f.  In seiner für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit höchst einschlägigen Geschichte der Hölle zeichnet Herbert Vorgrimler die Entwicklung der Höllenvorstellungen im Christentum nach

6

1 Einleitung

blicksartige Darstellungen zur Eschatologie der Reformatoren bzw. der sich ausbildenden Konfessionen.²³ Auf den Gerichtsernst bei Luther sowie die Tatsache, dass den guten Taten Luther zufolge im Letzten Gericht Bedeutung zukommt, hat

und lässt dabei auch die Frühe Neuzeit nicht aus. Vorgrimler geht (knapp) auf verschiedene Textgattungen bzw. Medien ein und betont u. a., dass Luther die Lehre einer eschatischen Hölle keineswegs aufgab. Vgl. Herbert Vorgrimler: Geschichte der Hölle. 2., verbesserte Aufl. München 1994, bes. S. 234– 254. Anne Smets hat unlängst eine Studie über die sogenannte Endzeitrede im Matthäusevangelium (Mt 24 f.) verfasst, in welcher sie einerseits eine Exegese des biblischen Textes bietet, andererseits jedoch auch in praktisch-theologischer bzw. hymnologischer Sicht auf ausgewählte Lieder des Evangelischen Gesangbuches eingeht, in welchen das Jüngste Gericht thematisiert wird. Vgl. Anne Smets: Das Endgericht in der Endzeitrede Mt 24– 25 und im Evangelischen Gesangbuch. Tübingen 2015 (= Mainzer Hymnologische Studien 27). Zur Gerichtsthematik bei Matthäus sowie zur Relevanz der Beschäftigung mit dem Thema des Letzten Gerichts überhaupt vgl. auch Rölver (s. Anm. 19). Eine aktuelle systematisch-theologische Untersuchung über römisch-katholische und orthodoxe (ost-kirchliche) Lehren von der und Debatten über die Eschatologie, hauptsächlich in Bezug auf die Themen des Purgatoriums und der Hölle, hat Max Ortner vorgelegt: Max Ortner: Apokatastasis panton und Fegefeuer. Ost-westliche Kontroversen im Lichte von Dogmen- und Lehrentwicklung. Hamburg 2015 (= Schriften zur Ideen- und Wissenschaftsgeschichte 14). In mitunter sehr knappen Ausführungen zu (einer Fülle von) einzelnen Themenbereichen – der reformatorischen Kritik am Fegefeuergedanken etwa widmet Ortner nur wenige Sätze (vgl. ebd., S. 174 f.) – kommt Ortner auf Konzeptionen der unsterblichen Seele, des Zwischenzustandes, des Fegefeuers, des Himmels und der Hölle sowie der Apokatastasis-Konzeption zu sprechen und bezieht sich dabei auf Theologen der Zeit der alten Kirche bis zur Gegenwart. Johannes Fried weist auf die bleibende Relevanz der Frage nach dem Weltende hin und unternimmt in einem populärwissenschaftlichen Buch den Versuch,Vorstellungen über das Ende der Welt von der Antike bis zur Gegenwart zu skizzieren, wobei er auch auf die Naherwartung des Jüngsten Tages sowie die Terminspekulationen im Luthertum der Frühen Neuzeit zu sprechen kommt: Johannes Fried: Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs. München 2016. Hingewiesen sei ferner auf Ottmar Fuchs: Das Jüngste Gericht. Hoffnung über den Tod hinaus. Regensburg 2018.  Vgl. exemplarisch Erhard Kunz: Protestantische Eschatologie. Von der Reformation bis zur Aufklärung. Freiburg im Breisgau u. a. 1980 (= Handbuch der Dogmengeschichte IV, 7c, 1), S. 3 – 41 (zu den Reformatoren); S. 42– 67 (zur lutherisch-orthodoxen sowie zur reformierten Eschatologie). Über die römisch-katholische Eschatologie in der Frühen Neuzeit informiert überblicksartig etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 3 – 85. Über die Eschatologie der Reformatoren informiert einleitend auch Friedrich Beißer: Hoffnung und Vollendung. Gütersloh 1993 (= Handbuch Systematischer Theologie 15), S. 19 – 119. Zu eschatologischen Themen der Frühen Neuzeit vgl. einleitend Gerhard Sauter: Art. Eschatologie. IV. Dogmengeschichtlich. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 2 (1999), Sp. 1561– 1567, bes. Sp. 1564. Vgl. zur Lehre vom Weltgericht bei den Reformatoren einleitend etwa Helmut Merkel: Art. Gericht Gottes. IV. Alte Kirche bis Reformationszeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 12 (1984), S. 483 – 492, bes. S. 489 – 492, obwohl Merkel die Bedeutung guter Werke (in Bezug auf das Endgericht) für die Protestanten in der Frühen Neuzeit m. E. unterschätzt (vgl. ebd., S. 492). Über die mittelalterliche Eschatologie informiert Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. 4. Aufl. Darmstadt 2005, S. 684– 750.

1.1 Zu Thema und Forschungsstand

7

Ole Modalsli in seiner 1963 veröffentlichten Studie Das Gericht nach den Werken hingewiesen.²⁴ Während gelegentlich – wie von Ulrich Asendorf²⁵ und in jüngerer Zeit von Christian Danz²⁶ – die Auffassung vertreten wird, die Vorstellung eines futurischen Gerichts als objektive Realität bei Luther könne vernachlässigt werden, relevanter sei die subjektive Erfahrung des Gerichtszornes für den Einzelnen²⁷, weist etwa Friedrich Beißer darauf hin, dass Luther trotz der Relevanz, welche er der präsentischen Eschatologie beimisst, die Gewissheit und den Ernst eines künftigen universalen Weltgerichts keineswegs aufgibt²⁸. Zu würdigen ist auch, dass Erich Trunz auf das große Interesse des lutherischen Erbauungsschriftstellers und Coburger Lehrers Johann Matthäus Meyfart (1590 – 1642) an den Themen des Jüngsten Gerichts sowie der Hölle hingewiesen, die Werke dieses frühneuzeitlichen Theologen über die Letzten Dinge analysiert und Meyfarts Kritik an Hexenverfolgungen geschildert hat.²⁹ Im Zuge dieser Kritik, welche zudem Potential für die Erforschung von inter- und transkonfessionellen Gegebenheiten birgt, setzt Meyfart auch die Rede vom Jüngsten Gericht ein, wie etwa Hartmut Lehmann skizziert hat.³⁰ Auf die Beschäftigung Meyfarts mit der Thematik des Endgerichts ist ebenfalls Friedrich Vollhardt jüngst eingegangen und hat gezeigt, dass die rationalistischen Einwände gegen die Annahme einer Ewigkeit der Höllenstrafen, wie etwa der Sozinianer Ernst Soner sie formulierte, eine severe Bedrohung der lutherisch-orthodoxen Theologie darstellte.³¹

 Vgl. Ole Modalsli: Das Gericht nach den Werken. Ein Beitrag zu Luthers Lehre vom Gesetz. Göttingen 1963 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 13).  Vgl. Ulrich Asendorf: Eschatologie bei Luther. Göttingen 1967.  Vgl. Christian Danz: „Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben“ (Mt 25,46). Überlegungen zur Funktion und Bedeutung des Letzten Gerichts in der protestantischen Theologie. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 53 (2011), 1, S. 71– 89. Während eine Stärke dieses Texts darin besteht, auf die bleibende Relevanz von Luthers Denken für die gegenwärtigen theologischen Debatten hinzuweisen, werden solche Texte Luthers jedoch wenig beachtet, in denen der Reformator mit großem Ernst vom zukünftigen, als objektive Realität verstandenen Universalgericht spricht.  Vgl. ebd., S. 78; 86 u. ö. Vgl. auch Asendorf (s. Anm. 25), etwa S. 283 – 285.  Vgl. Beißer (s. Anm. 23), S. 19 – 33; 68 – 73.  Vgl. Erich Trunz: Johann Matthäus Meyfart. Theologe und Schriftsteller in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. München 1987.  Vgl. Hartmut Lehmann: Johann Matthäus Meyfart warnt hexenverfolgende Obrigkeiten vor dem Jüngsten Gericht. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von dems. und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 223 – 229.  Vgl. Friedrich Vollhardt: Ausblicke ins Jenseits. Imaginationen der Hölle und ihre Revisionen in der Literatur der Frühen Neuzeit. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von Tobias Pfeifer-Helke. Berlin u. a. 2015, S. 29 – 39.

8

1 Einleitung

Hinzuweisen ist ferner auf Anne M. Steinmeier-Kleinhempels Beschäftigung mit und Würdigung von Philipp Nicolais erbaulicher Schrift Freudenspiegel des ewigen Lebens, worin der Autor ihr zufolge angesichts von Tod und Sterben in bildreicher Sprache die Adressaten mit dem Theologumenon des ewigen Lebens tröstet, ohne zu vertrösten. Steinmeier-Kleinhempel weist auch auf negativ-interkonfessionelle Bezüge bei Nicolai hin.³² Wolfgang Sommer skizziert in einem Aufsatz einige Aspekte der Entwicklung der Vorstellungen von Endgericht, Hölle und Fegefeuer. Er setzt dabei zeitlich im Mittelalter an und gelangt mit seinen Ausführungen bis ins 18. Jahrhundert.³³ Unter anderem erwähnt er darin Meyfart sowie den sogenannten Millenarismus, also eine Konzeption, bei der damit gerechnet wird, dass den Christen in der Endzeit ein tausend Jahre währendes Friedensreich auf Erden zuteilwird. Einige Aufmerksamkeit ist (zum Teil vorübergehend motiviert durch den Anbruch des Jahres 2000) der Frage nach der Erwartung des Jüngsten Tages im frühneuzeitlichen Luthertum gewidmet worden. Zu nennen sind beispielsweise Beiträge des Sammelbandes Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert ³⁴, wie etwa ein Aufsatz von Thomas Kaufmann, der unter anderem zeigt, welches die Gesellschaft gefährdende Potential in Prophezeiungen vom Weltende lag.³⁵

 Vgl. Anne M. Steinmeier-Kleinhempel: „Von Gott kompt mir ein Frewdenschein“. Die Einheit Gottes und des Menschen in Philipp Nicolais „FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens“. Frankfurt am Main u. a. 1991 (= Europäische Hochschulschriften XXIII, 430). Vgl. auch dies.: Philipp Nicolai. Eine Theologie des Lebens im Sterben der Pest. In: Hamburgische Kirchengeschichte in Aufsätzen. Teil 2. Reformation und konfessionelles Zeitalter. Hamburg 2004 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs 22), S. 311– 318. Sowie dies.: Wo bist Du, Gott? Wer bin ich Mensch? Eine Theologie der Seelsorge im Sterben der Pest. Philipp Nicolai (1556 – 1608). In: 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg. Hrsg. von Johann Anselm Steiger. Berlin u. a. 2005 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 95), S. 17– 33.  Vgl. Sommer (s. Anm. 4).  Vgl. als pars pro toto etwa den Beitrag von Hartmut Lehmann: Weltende 1630: Daniel Schallers Vorhersage von 1595. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 147– 163.  Vgl. Thomas Kaufmann: 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende im deutschen Luthertum. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 155), S. 73 – 128. Vgl. auch ders.: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts. Tübingen 2006 (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 29), bes. S. 29 – 47.

1.1 Zu Thema und Forschungsstand

9

Volker Leppin hat in seiner Habilitationsschrift deutschsprachige Flugschriften untersucht, welche zwischen 1548 und 1618 entstanden sind, in denen der Jüngste Tag bzw. mögliche Vorzeichen desselben (etwa Erscheinungen von Kometen, die Offenbarung des Antichrists etc.) thematisiert werden. Leppin beschränkt sich dabei auf Texte aus dem lutherischen Milieu und zeigt, dass den Autoren dieser Konfession eine ausgeprägte Naherwartung des Jüngsten Tages (bei gleichzeitiger Ablehnung des auch Chiliasmus genannten Millenarismus) zu eigen ist. Angesichts des verbreiteten Desinteresses am Jüngsten Tag in Teilen der Bevölkerung seien die Menschen auch zur Buße aufgefordert worden. Überdies beschreibt Leppin binnenkonfessionelle Eigenheiten der Aussagen von zwei von ihm bestimmten theologischen Strömungen: Einerseits werden ihm zufolge von sich eher an der Bibel orientierenden Theologen Wunderzeichen wie Kometen als ‚Beweise‘ für die Nähe des Weltendes herangezogen und die Reformation als Teil der Heilsgeschichte betont, andererseits von eher humanistisch geprägten Kreisen gewisse Berechnungs- bzw. Bestimmungsverfahren genutzt, um das Ende der Zeit einzugrenzen. Dabei kommt er auch auf die Bezeichnung des Papsttums als antichristlicher Größe zu sprechen.³⁶ Zu frühneuzeitlichen Flugschriften mit endzeitlich-apokalyptischen Inhalten existieren weitere Studien; Heribert Smolinsky hat unter Bezugnahme auf Leppin nochmals verstärkt auf die (negativ‐)interkonfessionelle Dimension einiger Themen derartiger Flugschriften hingewiesen.³⁷ Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Einbeziehung weiterer Gattungen gewinnbringend ist, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden wird. Matthias Pohlig hat sich mit der frühneuzeitlichen lutherischen ApokalypseAuslegung beschäftigt, bezieht sich dabei ebenfalls gelegentlich auf Leppin und vertritt unter anderem die Auffassung, dass Naherwartung und Endzeitbewusstsein weit bis ins 17. Jahrhundert hinein charakteristisch für das Luthertum sind. Er

 Vgl. Volker Leppin: Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548 – 1618. Gütersloh 1999 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 69).  Vgl. etwa Heribert Smolinsky: Deutungen der Zeit im Streit der Konfessionen. Kontroverstheologie, Apokalyptik und Astrologie im 16. Jahrhundert. Vorgetragen am 21. Juli 2000. Heidelberg 2000 (= Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 20).Vgl. auch Susanne Homeyer: ‚…das ende mus verhanden sein!…‘. Studien zur eschatologischen Bildlichkeit auf illustrierten Flugblättern der Frühen Neuzeit. Magdeburg 2002. [Elektronische Ressource. URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:101:1-201010124028 (zuletzt aufgerufen am 05.08. 2016)].

10

1 Einleitung

ist der Ansicht, dass die Kommentare zur Offenbarung des Johannes keine konsequente Darstellung eines Ablaufes der (Kirchen‐)Geschichte bieten.³⁸ Irena Backus berücksichtigt in diesem Zusammenhang zusätzlich den Aspekt der Interkonfessionalität: Backus hat katholische und reformierte (spezieller: calvinistische) Auslegungen der Johannesoffenbarung in Frankreich im 16. Jahrhundert untersucht. Ihr zufolge gilt, dass der transkonfessionelle Rückgriff auf die gemeinsame Tradition in Form der Schriften der Kirchenväter einerseits dazu führt, dass Ähnlichkeiten in den Auslegungen bestehen und interkonfessionelle Polemik nicht zentrales Interesse der Exegeten ist, andererseits jedoch auch eher wenig innovative exegetische Erkenntnisse gewonnen werden.³⁹ Ausführlicher geht Backus in einer im Jahr 2000 erschienenen Untersuchung⁴⁰ auf die interkonfessionelle Auslegung der Apk, näherhin Apk 12 und 20, ein. Sie zieht dabei hauptsächlich Texte von calvinistischen, Zürcher sowie (eher am Rande) lutherischen Autoren heran und untersucht auch deren Umgang mit der Apk an sich, wobei sie unter anderem auf die Problematik der Kanonizität des biblischen Buches zu sprechen kommt. Dies ist zwar eine für meine Fragestellung relevante Arbeit, allerdings liegt ein Schwerpunkt auf französischsprachiger Literatur und Backus behandelt die Gerichtsthematik (vgl. Apk 20,11– 15) allenfalls am Rande. Backus selbst weist meines Erachtens zu Recht auf den Bedarf weiterer Erforschung frühneuzeitlicher Apokalypse-Auslegung in interkonfessioneller Perspektive hin.⁴¹ Da zudem die Rede vom Jüngsten Gericht nicht von zentralem Interesse für Backus ist, vermag meine Arbeit die Forschung zu ergänzen. Gewinnbringend kann überdies die zusätzliche Berücksichtigung der Auslegungen von weiteren relevanten biblischen Texten über die Johannesoffenbarung hinaus sein, wie etwa Mt 25,31– 46, weshalb die vorliegende Arbeit solche in den

 Vgl. Matthias Pohlig: Exegese und Historiographie. Lutherische Apokalypsekommentare als Kirchengeschichtsschreibung (1530 – 1618). In: Frühneuzeitliche Konfessionskulturen. Hrsg. von Thomas Kaufmann, Anselm Schubert und Kaspar von Greyerz. Gütersloh 2008 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 207), S. 289 – 317.  Vgl. Irena Backus: French Calvinist and Catholic Commentaries on the Apocalypse of John, 1539 – 1589. Common Ground and Confessional Tensions. In: Der Kommentar in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Ralph Häfner und Markus Völkel. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit 115), S. 5 – 20.  Vgl. dies.: Reformation readings of the Apocalypse. Geneva, Zurich, and Wittenberg. Oxford u. a. 2000 (= Oxford Studies in Historical Theology o. Nr.). Zu Luthers Auslegung der Apk vgl. auch etwa Hans-Ulrich Hofmann: Luther und die Johannes-Apokalypse. Dargestellt im Rahmen der Auslegungsgeschichte des letzten Buches der Bibel und im Zusammenhang der theologischen Entwicklung des Reformators. Tübingen 1982 (= Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese 24).  Vgl. Backus (s. Anm. 39), S. 7.

1.1 Zu Thema und Forschungsstand

11

Blick nimmt. Es wäre grundsätzlich nicht zielführend, wenn man zuvor definierte Merkmale bzw. Unterschiede zwischen den Konfessionen an die frühneuzeitlichen Quellen herantrüge. Daher verfolgt diese Arbeit den Ansatz, im interkonfessionellen Vergleich nicht nur die Unterschiede zwischen den Konfessionen aufzuzeigen, sondern den Blick auch auf Konvergenzen zu richten.⁴² Zudem sollen nicht etwa nur dogmatische Texte, sondern verschiedene literarische Gattungen wie Predigten, geistliche Lyrik und exegetische Kommentare etc. verglichen und an geeigneten Stellen um Beispiele aus der bildenden Kunst ergänzt werden, da sich erst so ein differenziertes Bild ergibt.⁴³ Arbeiten, die sich beispielsweise speziell mit der Rede vom Jüngsten Gericht bei barocken Dichtern wie Johann Rist oder auch bei frühneuzeitlichen Predigern wie Johann Gerhard befassen, fehlen meines Erachtens bislang. Das Forschungsinteresse an der frühneuzeitlichen Predigt ist ohnehin eher gering. Es existiert kein Einführungswerk über die lutherische Barockpredigt; für den katholischen Bereich liegen die Dinge anders.⁴⁴ Ausnahmen stellen die Arbeiten Sabine Holtz‘ und Wolfgang Sommers zu lutherischen Predigten dar.⁴⁵ Dementsprechend ist auch die Erforschung von Pre-

 Gelegentlich wird eine klare konfessionelle Positionierung in Abgrenzung zum anderen lediglich als trennend und zu überwindend dargestellt, statt zu würdigen, dass durch das Vertreten einer deutlichen Position ein Diskurs (erst) möglich wird.Vgl. etwa Klaus Garber: Religionsfrieden und praktizierte Toleranz um 1600. Eine irenische Stiftungsurkunde im Zeichen des ‚vhraltten Catholischen Christlichen Glaubens‘ aus dem Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder. In: Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Friedrich Vollhardt. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 198), S. 87– 132, hier S. 94 f. u. ö.  Vgl. dazu auch etwa Hans-Henrik Krummacher: „De quatuor novissimis“. Über ein traditionelles theologisches Thema bei Andreas Gryphius. In: Ders.: Lyra. Studien zur Theorie und Geschichte der Lyrik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Berlin u. a. 2013, S. 439 – 499, hier S. 452 f. Krummacher weist auch darauf hin, dass die Thematik der novissima in der Frühen Neuzeit transkonfessionell von großem Interesse war, vgl. etwa ebd., S. 445 – 451. Dass die Erforschung inter- und transkonfessioneller Phänomene in diversen Textgattungen lohnend ist, zeigt etwa das Beispiel eines Aufsatzes von Johann Anselm Steiger: Interkonfessionalität im Schwank. Bemerkungen zu Johann Peter Hebels Kalendergeschichten. In: Ordentliche Unordnung. Metamorphosen des Schwanks vom Mittelalter bis zur Moderne. Festschrift für Michael Schilling. Hrsg. von Bernhard Jahn, Dirk Rose und Thorsten Unger. Heidelberg 2014 (= Euphorion 79), S. 251– 264.  Vgl. Urs Herzog: Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt. München 1991.Vgl. neben der wichtigen Arbeit von Herzog auch die grundlegende Studie von Johann Baptist Schneyer: Geschichte der katholischen Predigt. Freiburg im Breisgau 1969.  Vgl. Wolfgang Sommer: Die lutherischen Hofprediger in Dresden. Grundzüge ihrer Geschichte und Verkündigung im Kurfürstentum Sachsen. Stuttgart 2006 sowie ders.: Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie. Göttingen 1988 (= Forschungen zur Kirchenund Dogmengeschichte 41) sowie ders.: Die Stellung lutherischer Hofprediger im Herausbildungsprozeß frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte

12

1 Einleitung

digten der Autoren dieser Epoche voranzutreiben. Die Thematik des Endgerichts in der geistlichen Dichtung der Frühen Neuzeit ist – zumal in interkonfessioneller Perspektive – bisher ebenfalls nicht genügend beachtet worden. Es lassen sich einzelne Ausnahmen nennen⁴⁶, vor allem ist auf einige Arbeiten Hans-Henrik Krummachers⁴⁷ und Johann Anselm Steigers zu eschatologischen Themen in lyrischen Werken frühneuzeitlicher Autoren – etwa Andreas Gryphius und Martin Opitz – hinzuweisen⁴⁸. So zeigt sich umso mehr, dass auf diesem Feld der Forschung noch mancher Schatz zu heben bleibt. Schließlich ist auch die Erforschung von täuferischen Endgerichtskonzeptionen lohnend, da differenzierte Darstellungen hierzu eher spärlich gesät sind.⁴⁹

106 (1995), S. 311– 328.Vgl. auch Sabine Holtz: Die Unsicherheit des Lebens. Zum Verständnis von Krankheit und Tod in den Predigten der lutherischen Orthodoxie. In: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Hartmut Lehmann und Anne-Charlott Trepp. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 152), S. 135– 157 sowie dies.: Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550 – 1750. Tübingen 1993 (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 3).  Exemplarisch sei hingewiesen auf den folgenden Aufsatz sowie die übrigen in jenem Sammelband enthaltenen Beiträge: Vgl. Bernhard Jahn: Johann Rists grenzüberschreitendes Theater. Gattungsexperimente und Interkonfessionalität. In: Johann Rist (1607– 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und dems. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 163 – 183, bes. S. 170 – 183. Der Beitrag von Sven Grosse ist dem Thema der Sterbebereitung bei Johann Rist gewidmet; Grosse behandelt jedoch die Gerichtsthematik dabei kaum. Vgl. Sven Grosse: Sterbens-Kunst. Eine Anleitung aus den Himmlischen Liedern des Johann Rist. In: Johann Rist (1607– 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und Bernhard Jahn. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 301– 320.  Vgl. Krummacher (s. Anm. 43), S. 439 – 499.  Vgl. etwa Johann Anselm Steiger: Diß Donnerwort heißt Ewigkeit. Lyrisch-eschatologische Strategien gegen die Prokrastination bei Martin Opitz und Johann Rist und deren interkonfessionelle Tragweite. Drucklegung in Vorbereitung. Vgl. weiter ders.: Schule des Sterbens. Die ›Kirchhofgedanken‹ des Andreas Gryphius (1616 – 1664) als poetologische Theologie im Vollzug. Heidelberg 2000. Steiger trägt in seiner Untersuchung der Kirchhofgedanken des Andreas Gryphius auch der Tatsache Rechnung, dass der lutherische Dichter auf Prätexte eines katholischen Autors zurückgreift.  Hinzuweisen ist hierbei etwa auf Matthias Gockel: A Reformer’s Dissent from Lutheranism: Reconsidering the Theology of Hans Denck (ca. 1500 – 1527). In: Archiv für Reformationsgeschichte 91 (2000), S. 127– 148.

1.2 Zur besonderen Berücksichtigung interkonfessioneller Phänomene

13

1.2 Zur besonderen Berücksichtigung interkonfessioneller Phänomene Der Erforschung von inter- und transkonfessionellen Phänomenen in der Frühen Neuzeit ist zuletzt einige Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die dabei untersuchten Aspekte (Irenik, Toleranz, Konversionen, Konfession und Alltag etc.) sind durchaus vielfältig.⁵⁰ Von den Studien, die in den letzten Jahren zur Thematik der Inter- bzw. Transkonfessionalität publiziert worden sind, sei exemplarisch hingewiesen auf den Sammelband Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. ⁵¹

 Einige Beispiele seien hier gegeben: Die Autoren der Beiträge des Sammelbandes Religion und Erinnerung befassen sich unter anderem mit negativ-interkonfessionellen Themen bzw. negativinterkonfessionellen Prozessen in der Frühen Neuzeit und der Herausbildung konfessioneller Identität. Vgl. etwa Dagmar Freist: Einleitung. In: Religion und Erinnerung. Konfessionelle Mobilisierung und Konflikte im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von ders. und Matthias Weber. München 2015 (= Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 23), S. 9 – 20. Sie beschreibt, wie die Wissenschaftler in den letzten Jahren zunehmend auf Themenfelder der Erforschung von Konfessionen bzw. Interkonfessionalität eingegangen sind, etwa mit Blick auf Fragen des Alltagslebens, bikonfessioneller Städte, Studien zur Mission etc., vgl. ebd., S. 9 – 11. Die Fragen von Toleranz und Irenik sowie das Verhältnis der christlichen Konfessionen im frühneuzeitlichen Europa (auch im Sinne einer Koexistenz) sind Gegenstand des Interesses der Autoren folgenden Sammelbandes: Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Friedrich Vollhardt. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 198). Im Sammelband Unversöhnte Verschiedenheit werden etwa Phänomene von Koexistenz der Angehörigen verschiedener Konfessionen und Strategien zur Eindämmung interkonfessioneller Konflikte in den Blick genommen, die beispielsweise in erzwungener Konversion bestehen konnten.Vgl. außer den übrigen Beiträgen darin etwa Barbara Stollberg-Rilinger: Unversöhnte Verschiedenheit. Schlusskommentar. In: Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Paulmann, Matthias Schnettger und Thomas Weller. Göttingen u. a. 2016 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universalgeschichte 108), S. 197– 203. Vgl. zum Folgenden auch Sarah Lehmann, Sarah Stützinger und Christoph Ketterer: Einleitung. Die Medien der Frühen Neuzeit als Begegnungsräume der Konfessionen. In: Begegnungsräume der Konfessionen. Glaubensvielfalt in Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von dens. Leiden u. a. 2017 (= Daphnis 45), S. 3 – 12, hier S. 3 – 10.  Exemplarisch seien zwei Beiträge aus dem Sammelband genannt: Mit der Frage nach der Abgrenzbarkeit von Konfessionen beschäftigt sich der darin enthaltene Beitrag von Nicole Grochowina am Beispiel von Fällen von Nonkonformismus in Ostfriesland. Vgl. Nicole Grochowina: Grenzen der Konfessionalisierung – Dissidententum und konfessionelle Indifferenz im Ostfriesland des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201),

14

1 Einleitung

Dabei wurden auch Arbeiten zu Fragen nach den Begrifflichkeiten, Grenzen etc. der Konfessionalisierung⁵² sowie Inter- und Transkonfessionalität vorgelegt, etwa von Anton Schindling, Heinz Schilling und Thomas Kaufmann.⁵³ Mit Termini wie ‚Inter-, Trans-, Binnenkonfessionalität‘ und dergleichen versucht man, das zunehmend in die Kritik geratene⁵⁴ sogenannte Konfessionalisierungsparadigma zu ergänzen, zu präzisieren und gegebenenfalls abzulösen.⁵⁵ Dieses war in den 1980er Jahren formuliert worden, maßgeblich zu nennen sind hierbei Wolfgang Reinhard und vor allem Heinz Schilling.⁵⁶ Die Konfessionalisierungsthese besagt, dass sich im 16. Jahrhundert parallel zueinander drei Konfessionen ausbildeten, wobei eine Verquickung zwischen Staat (bzw. politischen Faktoren) und Kirche bestand.⁵⁷ Kritiker werfen den Vertretern des Paradigmas unter anderem vor, dass hier ein hinterfragbares, weil teleologisches Geschichtsverständnis vorherrscht, das von einem auf die Neuzeit zielenden Fortschrittsgedanken geprägt ist, bzw.

S. 48 – 72. Vor einer zu verengten bzw. vereinfachenden und Eindeutigkeit suggerierenden Verwendung des Begriffs der konfessionellen Identität wird im folgenden Beitrag gewarnt: Frauke Volkhart: Konfession, Konversion und soziales Drama. Ein Plädoyer für die Ablösung des Paradigmas der ›konfessionellen Identität‹. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 91– 104.  Einen Überblick über die (historische) Reformationsforschung bzw. den Stand der Diskussionen bieten Ehrenpreis und Lotz-Heumann (s. Anm. 5).  Vgl. Thomas Kaufmann: Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität – Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 9 – 15. Vgl. auch Anton Schindling: Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650. Bd. 7. Bilanz – Forschungsperspektiven – Register. Hrsg. von dems. und Walter Ziegler. Münster 1997 (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), S. 9 – 44.  Vgl. etwa Hartmut Lehmann: Grenzen der Erklärungskraft der Konfessionalisierungsthese. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 242– 249.  Kaufmann bietet einen kurzen Überblick wichtiger Arbeiten zur Erforschung der Konfessionalisierung, vgl. Kaufmann (s. Anm. 53), S. 9 f., Anm. 1.  Vgl. Heinz Schilling: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620. In: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1– 45.  Vgl. etwa Ehrenpreis und Lotz-Heumann (s. Anm. 5), S. 64. Die Konfessionalisierung habe zudem Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft gehabt. Vgl. ebd., S. 64 f. Zu den Begriffen ‚Reformation‘ und ‚Gegenreformation‘ vgl. etwa ebd., S. 63 f.

1.2 Zur besonderen Berücksichtigung interkonfessioneller Phänomene

15

dass durch die Konzentration auf die gesellschaftlich-politischen Faktoren bzw. Ereignisse der Blick für die Erforschung individueller, alltäglicher religiöser Erfahrung und dergleichen verstellt werde. Überdies vermöge das Modell nicht, Phänomene wie Synkretismus, Vortäuschung einer Konfessionszugehörigkeit etc. zu erfassen, schenke den binnenkonfessionellen Prozessen zu wenig Aufmerksamkeit und sei zu sehr auf konfessionstrennende Aspekte fixiert. Weiterhin wurde die Annahme der Parallelität der Entwicklungen der verschiedenen Konfessionen kritisiert.⁵⁸ Auch in dieser Hinsicht kann also die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Weitung des Blickwinkels leisten, indem etwa positive Bezugnahmen zwischen den Konfessionen gewürdigt und Nonkonformisten berücksichtigt werden. Die Diskussion um die Begrifflichkeiten ist hierbei weiterhin im Fluss. In der vorliegenden Arbeit werden hauptsächlich die lutherische, reformierte und römisch-katholische Konfession, welche sich im Laufe des 16. Jahrhunderts ausbilden und entwickeln, Beachtung finden.⁵⁹ Dabei werden zur Beschreibung der Sachverhalte folgende Begrifflichkeiten gebraucht, welche auf die Ergebnisse der Forschung des Graduiertenkollegs Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit der Universität Hamburg zurückgehen: Unter Interkonfessionalität werden alle Phänomene von Äußerungen, Kommunikation, Kontakt, Rezeption und Austausch von bzw. zwischen Individuen und/ oder Gruppen verschiedener Konfessionszugehörigkeit verstanden. Dies schließt etwa auch den Fall ein, dass Aussagen über (Vertreter) eine(r) andere(n) Konfession erfolgen, ohne dass eine Reaktion (oder Kenntnisnahme) erfolgen muss.⁶⁰ Dabei kann es sich sowohl um Polemik, Abgrenzung, Kontroverstheologie etc. handeln (negative Interkonfessionalität), als auch um Konsens, Affirmation, (partielle) Aneignung bzw. Rezeption, Überwindung von Grenzen und dergleichen (positive Interkonfessionalität). Die Bezeichnungen ‚positiv‘ und ‚negativ‘ seien jedoch nicht so verstanden, als gäbe es hier keine Grauzonen oder Überschneidungen – etwa bei einer Rezeption reformatorischer Schriftauslegungen, welche sodann jedoch für gegenreformatorische

 Vgl. zur Konfessionalisierungsthese, zur Kritik daran sowie zur Vorarbeit von Ernst Walter Zeeden in den 1960er Jahren etwa Brendle (s. Anm. 5), S. 147– 162. Vgl. weiterhin Kaufmann (s. Anm. 53), S. 9 – 12 sowie ders.: Art. Konfessionalisierung. In: Enzyklopädie der Neuzeit 6 (2007), Sp. 1053 – 1070. Vgl. dazu auch Ehrenpreis und Lotz-Heumann (s. Anm. 5), S. 13 f.; 62– 79.  Zur weiteren Präzisierung wird bezüglich der frühen Reformationszeit von Reformatoren, reformatorischer Bewegung etc. sowie von Altgläubigen gesprochen. Vgl. zur Schwierigkeit der zeitlichen Abgrenzung etwa ebd., S. 74 f.  Kaufmanns Definition von Interkonfessionalität als notwendig wechselseitigem Geschehen muss m. E. insofern präzisiert werden. Vgl. Kaufmann (s. Anm. 53), S. 15.

16

1 Einleitung

Zwecke eingesetzt werden.⁶¹ Vielmehr sollen die Begriffe dem Befund Rechnung tragen, dass es eine Verkürzung darstellen würde, Interkonfessionalität auf Polemik, Konflikt und Abgrenzung zu reduzieren.⁶² Weiterhin ist zu bedenken, dass nicht immer eindeutig ist, welcher Konfession ein Individuum oder eine Gruppe zuzuordnen ist bzw. ob überhaupt eine Konfessionszugehörigkeit besteht, da mit Phänomenen wie Konversion, dissimulatio und Areligiösität zu rechnen ist.⁶³ Überdies muss daran erinnert werden, dass sich bestimmte Individuen und Gruppen keiner der genannten Konfessionen zuordnen lassen (zum Beispiel Nonkonformisten wie etwa Täufer und Sozinianer). Für Sachverhalte, die innerhalb einer Konfession diskutiert werden bzw. sich ereignen, sollen die Begriffe intrakonfessionell bzw. binnenkonfessionell synonym verwendet werden. Der Terminus Transkonfessionalität soll Gemeinsamkeiten zwischen Konfessionen beschreiben, welche entweder zufällig bzw. ohne Kommunikation entstehen oder aufgrund gemeinsamer Tradition bzw. Vorgaben bestehen (implizite Transkonfessionalität), oder aber durch positive Interkonfessionalität zustande kommen (explizite Transkonfessionalität).⁶⁴ Hierbei geht es keineswegs nur um die Einebnung oder Nivellierung der eigenen Position, sondern auch um die Verständigung über Gemeinsames, Anerkennung von Unterschieden oder die Weiterentwicklung innerhalb einer Konfession unter Bezugnahme auf eine andere. Sowohl interkonfessionelle als auch transkonfessionelle Phänomene bzw. Ereignisse können zudem wiederum auf die Beschaffenheit bzw. Identität einer Konfession zurückwirken und die Schärfung der jeweiligen Positionen herbeiführen. Dabei ist keinesfalls an ein statisches Modell von Inter- und Transkonfessionalität zu denken, sondern man hat es mit dynamischen Prozessen zu tun. Für Sachverhalte, welche sich konfessionellen Zuschreibungen entziehen oder aus der Zeit vor der Entstehung der drei hier in den Blick genommenen Konfessionen stammen, werden die Begriffe prä- oder akonfessionell gebraucht. Das Paradigma einer Konfessionalisierung (siehe oben) soll hierdurch also nicht ersetzt, sondern ergänzt werden.

 Siehe dazu auch unten Kapitel 2.6.2.  Vgl. dazu etwa Jahn (s. Anm. 46), S. 176. Lohnend dürfte es sein, verstärkt positiv-interkonfessionelle Phänomene und Transkonfessionalität in den Blick zu nehmen.  In bestimmten Fällen lohnt sich im Kontext der Beschreibungen interkonfessioneller Phänomene auch die Frage nach der Pragmatik, welche beispielsweise darin bestehen kann, sich durch Verstellung zu schützen oder Erkenntnisse von Vertretern anderer Konfession zu eigenen Zwecken zu übernehmen.  Die Begriffe ‚konfessionsübergreifend‘, ‚überkonfessionell‘, ‚gemeinkonfessionell‘ und ‚transkonfessionell‘ werden in der vorliegenden Arbeit synonym gebraucht.

1.3 Der Aufbau der Arbeit

17

1.3 Der Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur aktuellen Forschung, indem bisher behandelte Einzelthemen verbunden, vertieft und um neue Themen bzw. Aspekte ergänzt sowie in interkonfessioneller Zusammenschau betrachtet werden. So lassen sich sowohl für die Interkonfessionalitätsforschung als auch die Behandlung der Thematik des Jüngsten Gerichts in der Frühen Neuzeit neue und fruchtbare Perspektiven eröffnen. Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst ist zu fragen, wie der Reformator Martin Luther die Rede vom göttlichen Gericht einsetzt. Dafür werden unter anderem Predigten Luthers über das Gericht und den Jüngsten Tag sowie exegetische Schriften analysiert und Thesen der Lutherforschung kritisch überprüft. Überdies werden situative Schriften des Reformators wie etwa Leichenpredigten herangezogen, um die Beobachtungen zu ergänzen. Gibt es Entwicklungen im Denken Luthers in Bezug auf den Jüngsten Tag? Kann weiterhin davon die Rede sein, dass Luther die Annahme eines futurischen Gerichts nach den Werken aufgibt – und wenn dies nicht der Fall sein sollte, welche Rolle spielt die lutherische Rechtfertigungslehre für die Gerichtsthematik? Damit verbunden ist auch die Frage nach der Anlassbezogenheit von Luthers Ausführungen zum Jüngsten Gericht – kann Luther die Adressaten im Kontext der Gerichtspredigt auch dazu auffordern, Geld zu spenden, um der Hölle zu entgehen? Überdies soll gezeigt werden, inwiefern Luther die Objektivität der Schrecken des Jüngsten Tags und der Hölle in Abrede stellt und die wahre Hölle als auf Erden erfahrbar denkt. Wie verhält sich die Rede von einem fürchterlichen Zorngericht zur sehnlichen Erwartung des ‚lieben Jüngsten Tages‘? Exemplarisch wird zudem auf Austauschprozesse zwischen dem Reformator und den Altgläubigen hingewiesen: Wurden Luthers in diesem Zusammenhang wichtige Auslegungen des Propheten Jona auf altgläubiger Seite rezipiert? Im folgenden Kapitel soll sodann gezeigt werden, dass die Gerichtsthematik auch in den Bekenntnisschriften der lutherischen und reformierten Kirchen Beachtung findet und das Bekenntnis, dass Christus zum Gericht wiederkehren wird, die sich bildenden Konfessionen – auch die römisch-katholische – verbindet. Dazu werden ausgewählte Bekenntnistexte betrachtet und untersucht. Wo liegen Gemeinsamkeiten der sich ausbildenden Konfessionen – etwa im Hinblick auf die Ablehnung von nonkonformistischen Vorstellungen zur Allversöhnung? Lassen sich Beispiele für Texte von Vertretern einer solchen Allversöhnungslehre in den Quellen finden? Die Rekonstruktion von Apokatastasis-Konzeptionen und die Einordnung ihrer mutmaßlichen Vertreter erweisen sich als komplex. Es werden Texte herangezogen, welche eine Fremdbeschreibung von mutmaßlichen

18

1 Einleitung

Allversöhnern bzw. Polemik gegen die Aussagen und Argumentationen mutmaßlicher Allversöhner bieten, etwa von Heinrich Bullinger und Justus Menius. Dabei ist auch zu betrachten, welche Relevanz dies für die (Wahrnehmung der) sich bildenden Konfessionen hat. Nehmen die Altgläubigen bzw. Katholiken die Lutheraner oder Reformierten als gemeinsame Gegner der Nonkonformisten wahr bzw. ernst? Spielt die Abgrenzung von den Nonkonformisten eine Rolle für die konfessionelle Identität? Ferner ist zu fragen, welche rationalistischen Einwände Sozinianer wie Ernst Soner gegen die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafe anführen. Wie stehen später radikale Pietisten zu einer Allversöhnungslehre⁶⁵? Im vierten Kapitel wird am Beispiel von Predigten über den für die Gerichtsthematik zentralen biblischen locus classicus Mt 25,31– 46 gezeigt, wie Prediger lutherischer, reformierter und katholischer Provenienz über das Endgericht, die Hölle und das Fegefeuer predigen. Dazu werde ich Predigten ausgewählter Theologen unterschiedlicher Konfession – etwa Johann Gerhards, Georg Spindlers, Jakob Feuchts – analysieren, auch im Hinblick auf interkonfessionelle Polemik und transkonfessionelle Gemeinsamkeiten. Ist die Rede vom Jüngsten Gericht auf Drohung zum Zwecke der Sozialdisziplinierung beschränkt? Auch ist zu prüfen, ob konfessionelle Spezifika in Predigten über das Letzte Gericht existieren. Vereinbaren die lutherischen Prediger die Rechtfertigung allein aus Glauben mit dem Aufruf zu guten Werken? Kann es im reformierten Bereich trotz bzw. mit der Lehre einer doppelten Prädestination Mahnungen geben, die mit dem Verweis auf die Abwendung von Höllenstrafen einhergehen? Ferner ist zu fragen, ob aus der grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen den Konfessionen hinsichtlich des Bekenntnisses zur Parusie Christi zum Endgericht folgt, dass in den Predigten interkonfessionelle Polemik ausgeklammert wird. Überdies sollen einige Beispiele für Leichenpredigten herangezogen werden. Wie werden Endgericht und Hölle in Leichenpredigten thematisiert? Welche Troststrategien nutzen die Autoren im Hinblick auf diese Letzten Dinge? Im folgenden Abschnitt gehe ich der Frage nach, wie Apk 20 in der exegetischen Literatur der Frühen Neuzeit bei Autoren verschiedener Konfessionen ausgelegt wurde. Gegenstand der Untersuchung sind unter anderem ApokalypseKommentare von etwa Daniel Cramer oder dem katholischen Exegeten Cornelius

 Exemplarisch zu würdigen ist die Forschung zu Johanna Eleonora Petersen durch Ruth Albrecht.Vgl. Ruth Albrecht: Die Apokatastasis-Konzeption bei Johanna Eleonora Petersen. In: Alles in allem. Eschatologische Anstöße. J. Christine Janowski zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Ruth Heß und Martin Leiner. Neukirchen-Vluyn 2005, S. 199 – 214. Vgl. auch etwa Dieter Breuer: Der Bekräfftigte Origenes – Das Ehepaar Petersen und die Leugnung der Ewigkeit der Höllenstrafen. In: Heterodoxie in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Hartmut Laufhütte und Michael Titzmann. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit 117), S. 413 – 424.

1.3 Der Aufbau der Arbeit

19

a Lapide sowie Schriften, welche entweder Überlegungen zu einer Berechnung des Weltendes enthalten – oder derartige Texte widerlegen, wobei auch die binnenkonfessionelle Perspektive zu berücksichtigen ist. Dabei soll gezeigt werden, inwiefern gerade die lutherischen Theologen in einer gewissen Spannung einerseits daran interessiert sind, sich mit dem nahenden Weltende zu befassen, andererseits aber Spekulationen über den Termin desselben abzuwehren. Weiterhin ist zu fragen: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen zeigen sich überdies hinsichtlich der Auslegung von Apk 20? Gibt es verschiedene Gewichtungen des Interesses an den einzelnen Abschnitten von Kapitel 20 – liegt der Fokus hier (immer) auf der Gerichtsthematik? Kommt es zu interkonfessioneller Polemik? Wie deuten die jeweiligen Autoren die Details des bildreichen Bibeltexts? Ferner werden Texte der Reformatoren Heinrich Bullinger und Martin Luther über Apk 20 herangezogen. In diesem Zusammenhang soll ein Beispiel für die Relevanz der Berücksichtigung des Mediums Bild in Fragen interkonfessioneller Phänomene gegeben werden: Die Illustrationen zur Offenbarung des Johannes, die Eingang in Luthers Neues Testament von 1522 fanden, stellen aufschlussreiche Beispiele für interkonfessionellen Austausch dar, wurden sie doch mit einigen Modifikationen für Bibeln bzw. Ausgaben des Neuen Testaments anderer konfessioneller Milieus übernommen. Das sechste Kapitel ist der Untersuchung ausgewählter geistlicher Dichtungen im Hinblick auf das Vorkommen der Gerichtsthematik gewidmet. Analysiert werden dabei unter anderem geistliche Gedichte der Lutheraner Bartholomäus Ringwaldt und Johann Rist sowie der katholischen Autoren Johannes Khuen und Johannes Scheffler (Angelus Silesius). Lässt sich auch hier die Rede vom Endgericht nachweisen? Es soll gezeigt werden, inwiefern die lutherischen Autoren die Menschen tröstlich auf Christus verweisen, welcher am lieben Jüngsten Tag zur Rettung zurückkehrt, und inwiefern (etwa inspiriert von dem Term des Tages des Zorns Gottes) lutherische wie katholische Lyriker Aussagen über das Jüngste Gericht ver-dichten, und dabei den Menschen die Sterblichkeit und Rechenschaftspflicht gegenüber Gott vor Augen führen. Zudem soll gezeigt werden, inwiefern Katholiken und Lutheraner sich in ihren Dichtungen über den Jüngsten Tag und die Hölle einer bildgewaltigen Sprache bedienen. Ist die Polemik gegen Nonkonformisten und Areligiöse auf wissenschaftlich-theologische Schriften beschränkt? Überdies wird den Fragen nachgegangen: Lassen sich Übereinstimmungen von Luthers Theologie, die am Anfang in den Blick genommen wurde, und der hier behandelten lyrisch entfalteten Theologie der lutherischen geistlichen Dichter finden? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen bzw. interkonfessionelle Übernahmen? Welche konfessionellen Spezifika werden erkennbar? Es ist ebenfalls zu fragen, inwiefern bestimmte Aspekte wie Trost oder Mahnung in verschiedenen Texten im Vordergrund stehen. Gilt die Mahnung mit

20

1 Einleitung

dem Endgericht vor allem den einfachen Glaubenden, welche zu einem obrigkeitstreuen Leben ermahnt werden sollen? Oder ist vielmehr derjenige, welcher eine besondere Machtposition innehat, auch in besonderer Weise vor Gott in der Verantwortung? An diese letztgenannte Frage schließt auch das Thema des letzten Kapitels an, in welchem gezeigt werden soll, dass die Rede vom Jüngsten Gericht ein transkonfessionelles theologisches Argument gegen die Hexenverfolgungen in der Frühen Neuzeit darstellt. Es wird vor allem anhand der Schriften Johann Matthäus Meyfarts, Friedrich Spees und Anton Praetorius’ untersucht, wie sich die Vertreter verschiedener Konfessionen dabei positionieren. Es ist darauf hinzuweisen, dass zahlreiche Befürworter der Hexenverfolgung in den Reihen der Theologen verschiedener konfessioneller Provenienz existierten. Vor diesem Hintergrund soll exemplarisch geprüft werden, inwiefern sich Lutheraner, Katholiken und Reformierte in der Zeit vor der Aufklärung bereits gegen die Folterung und Tötung mutmaßlicher Hexen aussprechen, welche Rolle der Verweis auf das Endgericht Gottes dabei spielt und wie dieser variiert werden kann. Dabei werden auch interkonfessionelle Austauschprozesse bzw. Bezugnahmen in den Blick genommen. Zudem soll am Beispiel einer Schrift des Christian Thomasius gezeigt werden, worin sich die Kritik an den Hexenprozessen im Zeitalter der Aufklärung von der früheren Ablehnung der Hexenverfolgungen unterscheidet.

2 Martin Luther⁶⁶ 2.1 Einleitung In der Abendmahlsschrift von 1528 findet sich zum Abschluss ein Bekenntnis Martin Luthers (1483 – 1546) zu verschiedenen Bereichen des christlichen Glaubens. Er formuliert dieses nach eigener Aussage auch im Bewusstsein seiner Verantwortung, im Letzten Gericht dem himmlischen Richter Rechenschaft geben zu müssen: So wil ich mit dieser schrifft fur Gott und aller welt meinen glauben von stück zu stück bekennen, darauff ich gedencke zu bleiben bis ynn den tod, drynnen (des mir Gott helffe) von dieser welt zu scheiden und fur unsers herrn Jhesu Christi richtstuel komen, […] Jch byn itzt nicht truncken noch unbedacht, Jch weis, was ich rede, fule auch wol, was mirs gilt auff des herrn Jhesu Christi zukunfft am iüngsten gericht, Darumb sol mir niemand schertz odder lose teydung draus machen, Es ist mir ernst⁶⁷.

Luther bekennt die Parusie Christi zum Jüngsten Gericht mit doppeltem Ausgang sowie die allgemeine Auferstehung der Toten am Jüngsten Tage. Die sogenannte Allversöhnungslehre, die besagt, dass alle Menschen und sogar der Teufel das ewige Heil erlangen werden⁶⁸, lehnt der Reformator ab: Am letzten gleube ich die aufferstehung aller todten am Jüngsten tage, beyde der frumen und bösen, das ein iglicher daselbs empfahe an seinem leibe, wie ers verdienet hat, Und also die frumen ewiglich leben mit Christo, und die bösen ewiglich sterben mit dem teuffel und seinen engeln, Denn ichs nicht halte mit denen, so da leren, das die teuffel auch werden endlich zur seligkeit komen.⁶⁹

 Teile dieses Kapitels wurden bereits veröffentlicht im folgenden Aufsatz: Frank Kurzmann: „Hölle ist, was Ihr draus macht.“ Überlegungen zur Rede von Jüngstem Gericht und Hölle in ausgewählten Schriften Martin Luthers. In: Begegnungsräume der Konfessionen. Glaubensvielfalt in Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sarah Lehmann, Sarah Stützinger und Christoph Ketterer. Leiden u. a. 2017 (= Daphnis 45), S. 201– 223.  WA 26,499,19 – 23; 500,20 – 23 (Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis 1528). Vgl. auch WA 26,499,16 – 19. Vgl. hierzu auch Oswald Bayer: Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung. Tübingen 2003, S. 301.  Vgl. einleitend Hartmut Rosenau: Art. Allversöhnung. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 1 (1998), Sp. 322 f. Siehe dazu auch unten Kapitel 3.  WA 26,509,13 – 18. Vgl. auch Bayer (s. Anm. 67), S. 297.

22

2 Martin Luther

Es wäre ein Missverständnis, anzunehmen, das Jüngste Gericht nach den Werken sei bei Luther nur eine Randerscheinung.⁷⁰ Es lässt sich zeigen, dass Luther das futurische Gericht in universal-eschatologischer Perspektive nicht aufgibt. Zudem kann Luther sehr wohl von einem Gericht nach den Werken sprechen, ohne dass dies lediglich ein mittelalterliches Überbleibsel wäre, welches er im Begriff stand zu überwinden. Es ist Luther durchaus darum zu tun, den Gerichtsernst zu betonen. Sein Interesse gilt dabei nicht lediglich dem Bewusstsein des frommen Subjekts in der Gegenwart. Was Luthers Verständnis von Jüngstem Gericht und Hölle betrifft, lässt sich weder sagen, dass er ganz in traditionellen Aussagen verbleibt, noch dass er eine radikale Neudeutung vollzieht.⁷¹ Der junge Luther fürchtete das Jüngste Gericht nach eigener Aussage sehr⁷², doch gewann Luther den Jüngsten Tag als Tag der Wiederkunft Christi lieb. Christus erlitt Luther zufolge auf Golgatha das göttliche Zorngericht an der Sünder statt. Daher kann der Glaubende mit Gottes Hilfe der Hölle auf Erden und in Ewigkeit entgehen. Diesen Gedanken entfaltet Luther auch in seiner JonaExegese von 1526. Dieser Auslegung kommt zudem insofern besondere Bedeutung zu, als dass sich daran exemplarisch interkonfessionelle Austauschprozesse zeigen lassen. Die Erkenntnis, dass Christus der pro me gerichtete Richter ist, ermöglicht es Luther, den Jüngsten Tag und das Jüngste Gericht erhoffen zu können. Diese tröstliche Hoffnung wiederum ist es, die Luther befähigt, auch von einem Gericht nach den Werken zu sprechen. Zudem lässt sich zeigen, dass Luther verschiedene Aspekte bzw. Funktionen der Rede vom Jüngsten Gericht adressatenspezifisch verwendet. Ermahnend kann zu pädagogischen Zwecken mit dem futurischen Gericht gedroht werden.⁷³ Im seelsorgerlichen Anwendungsfall hingegen kann ganz der tröstliche Hinweis auf Hoffnung dominieren.

 Auch in der Lutherforschung wurde mitunter zu wenig auf die Relevanz des Gerichts nach den Werken hingewiesen. Vgl. dazu Modalsli (s. Anm. 24), S. 10.  Überhaupt sollte hier nicht von einem reinen Entweder-Oder oder einem reinen ‚Nebeneinander‘ gesprochen werden.  Vgl. WA 54,179,31– 33 (Vorrede zum ersten Bande der Gesamtausgaben seiner lateinischen Schriften 1545). Der Hinweis auf den Text findet sich auch bei Bernhard Lohse. Vgl. Bernhard Lohse: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang. Göttingen 1995, S. 349, Anm. 581.Vgl. zudem ebd., S. 345 f.; 355.Vgl. ferner Modalsli (s. Anm. 24), S. 97– 102.  Die These, Luther sei „gegen eine Verkündigung, die auf Drohung durch Angst aus war“, [Claus Schwambach: Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess. Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch. Göttingen 2004 (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 101), S. 149, Anm. 910] gewesen, darf insofern nicht verallgemeinert werden.

2.2 Das futurische Gericht nach den Werken

23

2.2 Das futurische Gericht nach den Werken Ole Modalsli hat bereits 1963⁷⁴ gezeigt, dass Luther zufolge den Werken im Letzten Gericht Bedeutung zukommt.⁷⁵ Wichtig ist die Unterscheidung zwischen „locus iustificationis“⁷⁶ und „locus iudicii operum“⁷⁷ bei Modalsli (gegen Karl Holl, der „Rechtfertigungsurteil und Gericht nach den Werken […] identifiziert“⁷⁸): Die Rechtfertigung ist ein dem Menschen passiv widerfahrendes Geschehen und erfolgt durch den Glauben an Christus.⁷⁹ Da Luther das Rechtfertigungsgeschehen nicht linearzeitlich, sondern zeitlos bzw. zeitübergreifend denkt, gilt auch im Jüngsten Gericht, dass der Glaubende allein durch den Glauben gerechtfertigt ist.⁸⁰ Allerdings stellen „Glaube und Liebeswerke […] eine organische Einheit“⁸¹ dar. „Von der Rechtfertigung durch den Glauben sind alle guten Früchte abhängig“⁸².⁸³ Gute Werke sind für Luther im Anschluss an Röm 14,23 freilich allein solche, die im und aus dem Glauben getan werden⁸⁴ – wer glaubt, tut (überhaupt erst!) gute Werke.⁸⁵ Die Einheit von Glauben und den diesem notwendigerweise folgenden Werken der Liebe beschreibt Modalsli auch als „in den Werken inkarnierten Glauben“⁸⁶. Zudem benötigt lebendiger Glaube den praktischen Vollzug.⁸⁷ Die Werke sind gewissermaßen als Maßstab zweiter Ordnung im Gericht von Bedeutung und werden im Jüngsten Gericht zur Sprache kommen⁸⁸ bzw. gelobt werden. Zwar spricht Luther sogar davon, dass die guten Werke dem Glaubenden dazu dienen

 Viele Lutherforscher nahmen Modalslis Anregungen später auf.Vgl. exemplarisch etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 282 oder Schwambach (s. Anm. 73), S. 150 – 155.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 11.  Ebd., S. 27.  Ebd., S. 55 u. ö.  Ebd., S. 27.  Vgl. ebd., S. 17– 21.  Vgl. ebd., S. 34; 39.  Ebd., S. 19. Zu wichtigen Belegstellen vgl. etwa ebd., S. 18, Anm. 9 und ebd., S. 20, Anm. 23.  Ebd., S. 34.  Vgl. ebd., S. 27– 30; 33 f.  Vgl. ebd., S. 24; 81.Vgl. etwa WA 10/I,2,285,27– 29 (Roths Sommerpostille 1526, Pfingstmontag, Joh 3,16 – 21).  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 41 f.  Ebd., S. 39.  Vgl. dazu ebd., S. 47– 50.  Vgl. dazu auch ebd., S. 54– 56 u. ö.

24

2 Martin Luther

können, sich seines Heils zu vergewissern⁸⁹, doch sollte dies nicht dergestalt missverstanden werden, als könne ein Mensch durch eigene Werke unabhängig vom Glauben im Letzten Gericht bestehen bzw. auf sein sicheres Heil schließen, vielmehr ist es Luther in diesem Kontext darum zu tun, hervorzuheben, dass ein Mensch ohne Liebeswerke im Gericht nicht bestehen kann.⁹⁰ Gleichwohl können die Werke im Letzten Gericht wie „Zeugen“⁹¹ auftreten; ohne die Liebeswerke ist im Gericht kein Heil zu erwarten.⁹² Allerdings kann diese dem Glauben folgende Tätigkeit verschiedene bzw. individuell unterschiedliche Formen annehmen, wie Luthers Auslegung der Perikope vom reichen Mann und dem armen Lazarus zeigt.⁹³ Modalsli weist nach, dass für Luther „nach Joh 3,18 durch den Glauben das in Mt. 25,41 ff. erwähnte verdammende Gericht aufgehoben ist. Solche Worte sind nicht als überspitzte Ausdrücke zu betrachten. Es ist die frohe Gewißheit Luthers“⁹⁴. Zugleich⁹⁵ wahrt Luther die Rede vom Jüngsten Gericht auch als Drohung. Im Jüngsten Gericht steht der Mensch vor Christus – er wird aber auch darauf angesprochen, wie er sich hinsichtlich seiner Mitmenschen verhalten hat.⁹⁶ Der den Menschen in die Verantwortung nehmende An-spruch Gottes behält auch nach dem Tod seine Gültigkeit.⁹⁷ Andererseits ermöglicht es die Rede vom Jüngsten Gericht, den Trost zu wahren, dass der Christ, der in der Welt leidet, im Jüngsten Gericht Gerechtigkeit erfahren wird. So ist das Gericht eine heilvolle Aussicht für leidende, bedrängte Christen.⁹⁸ Luther kann die Relevanz guter Werke im Gerichtskontext den Adressaten durchaus einschärfen.⁹⁹ Ein Beispiel hierfür ist die einzige von Luther erhaltene  Luther spricht in diesem Kontext der Predigt über Mt 25,31– 46 den Adressaten Trost zu und betont die Relevanz guter Werke. Vgl. etwa WA 22,419,20 – 28 (Crucigers Sommerpostille 1544, 26. Sonntag nach Trinitatis, Mt 25,31– 46). Vgl. zu weiteren Aspekten der Bedeutung guter Werke bei Luther auch Modalsli (s. Anm. 24), S. 44– 47.  Vgl. etwa WA 22,419,26 – 35.  Modalsli (s. Anm. 24), S. 50.  Vgl. ebd., S. 50 f. Zu den dem Glauben folgenden guten Werken, welche den Glauben bezeugen, vgl. auch Kunz (s. Anm. 23), S. 18 f.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 83 – 89. Siehe dazu unten Kapitel 2.3.  Modalsli (s. Anm. 24), S. 38. Vgl. auch ebd., S. 88.  Luthers Predigten über 1Joh 4,16 – 21 sind, wie Modalsli zeigt, ebenfalls ein gutes Beispiel dafür, wie in einem Text sowohl um willen der Seelsorge Trost gespendet, als auch den allzu Sicheren mit dem Gericht gedroht wird. Vgl. ebd., S. 11.  Vgl. WA 22,415,26 – 34.  So auch Bayer (s. Anm. 67), S. 299.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 64.  Vgl. etwa ebd., S. 82.

2.2 Das futurische Gericht nach den Werken

25

Predigt zu Mt 25,31– 46.¹⁰⁰ Der Reformator hält in seiner Auslegung dieser Perikope an den Vorstellungen der Auferstehung der Toten, der Zukunft Christi am Jüngsten Tage und des Letzten Gerichts mit doppeltem Ausgang fest.¹⁰¹ Dabei führt Luther den Hörenden die Szene coram Christo am Jüngsten Tag in bildreicher Sprache vor Augen.¹⁰² Eine Besonderheit besteht in der Umkehrung der Reihenfolge von Verdammnis und Erlösung gegenüber der biblischen Vorlage – mit dem Achtergewicht liegt hier die Betonung auf der zu erhoffenden ewigen Erlösung durch Tod und Gericht hindurch.¹⁰³ Weiterhin zeigt sich die besagte Pointe der Auslegung Luthers, dass die Werke insofern den Maßstab des Gerichts darstellen, als sie notwendige Folge des Glaubens sind, welcher allein rechtfertigt und selig macht, jedoch eben ohne Liebeswerke auch nicht rechter Glaube ist.¹⁰⁴ Daher spielen die guten Werke im Gericht durchaus eine Rolle.¹⁰⁵ Die Nichtchristen, die gute Werke nicht aus dem Glauben an Christus heraus tun, werden Luther zufolge verdammt.¹⁰⁶ Das Endgericht dient auch dazu, die Taten der Menschen publik zu machen und diese nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.¹⁰⁷ Zudem bleibt durch das Theologumenon des Letzten Gerichts die Einsicht gewahrt, dass es den Menschen in dieser Welt unmöglich ist, darüber zu richten, wer zu den Seligen gehören wird.¹⁰⁸ Die Rede vom Jüngsten Gericht ist den Gottlosen ein Schrecken, den Glaubenden bedeutet sie Trost;¹⁰⁹ von der tröstlichen Gewissheit her, nicht in das verdammliche Gericht zu kommen, wird der Weg frei zur Mahnung zu konkreten guten Werken. Durch die Verbindung von Anreiz zum Guten und Ab-

 Vgl. ebd., S. 38 f.; 58 – 62. Anders Asendorf, welcher der Meinung ist, Luthers „Behandlung der Perikope Mt 25, 31 ff. [sei] nicht besonders eindrucksvoll“. Asendorf (s. Anm. 25), S. 284. Asendorf zufolge stellt die Rede vom (futurischen) Jüngsten Gericht bei Luther ohnehin nur eine Seltenheit dar. Vgl. ebd.  „[Z]u erst den Tod, dem niemand wird entlauffen, darnach den Tag des Gerichts,Welches sol also zugehen, das Christus wird zusamen bringen (durch die Aufferstehung) alle Menschen, so je auff Erden gelebt, Und zugleich herab komen mit grosser, unaussprechlicher Majestet, auff seinem Richtstuel sitzend und mit jm alles himlisch Heer umb den Richter her schwebend, und wird also erscheinen allen bösen und guten, das wir auch alle werden fur jm offenbarlich stehen, und niemand wird sich verbergen können.“ WA 22,411,34– 412,5.  Vgl. etwa WA 22,415,26 – 34.  Vgl. WA 22,416,35 – 417,12.  Vgl. etwa WA 22,411,13 – 20.  Am Jüngsten Tag werden „wir sehen, wie Christus am Gerichte solchen falschen lügnern und heuchlern unter den Christen wird auffrücken und sie fur allen Creaturn uberweiset verdamnen, das sie der werck keines gethan“. WA 22,416,29 – 31.  Vgl. WA 22,414,8 – 19.  Vgl. WA 22,412,6 – 23.  Die Christenheit ist auf Erden ein corpus permixtum. Vgl. WA 22,412,24– 413,2.  Vgl. etwa WA 22,411,14– 16.

26

2 Martin Luther

schreckung vom Bösen erweist sich die Paränese Luther zufolge als pädagogisch umso geeigneter. Luther nutzt den Anlass bzw. die vom biblischen Text vorgegebene Thematik, seine Adressaten mit Bezug auf das Letzte Gericht zu sittlichem Lebenswandel und Buße aufzufordern. Er prangert etwa Betrug oder Wucher an, die nur der Selbst-Liebe entspringen.¹¹⁰ Es werden gar jene, die die reformatorische Bewegung nicht finanziell unterstützen, scharf kritisiert.¹¹¹ Luther geht mit Bezug auf die Bergpredigt auf die Feindesliebe als besonderes Merkmal des Christen ein; in tätiger Nächstenliebe erfüllt der Christ die Gebote Gottes.¹¹² Texte wie Mt 25,31– 46 stellen Luther zufolge die Aufgabe, das Gesetz konkret zu predigen. Sofern die Werke im Gericht nicht unerwähnt bleiben, haben eben auch die Zehn Gebote bzw. das Doppelgebot der Liebe ihre Relevanz – Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten sind dabei miteinander verbunden.¹¹³ Ein wichtiger Gedanke in der Predigt über Mt 25,31– 46 ist freilich, dass nach Mt 25,40.45 der Dienst am Nächsten als Dienst an Christus verstanden wird.¹¹⁴ Die Gerichtspredigt kann Motivation zu guten Taten¹¹⁵ und Umkehr der Sünder sein¹¹⁶ sowie dazu dienen, falsche Sicherheit, Unglaube, Unterlassung von Gutem aufzudecken und anzuprangern. Die Rede vom Jüngsten Gericht soll überdies auch die Erinnerung an die Opfer – auch von ausbeuterischen Systemen und Zusammenhängen struktureller Gewalt – wachhalten und jene zu Recht kommen lassen, denen zeitlebens Unrecht widerfuhr.¹¹⁷ Die Altgläubigen werden indes als vom Antichrist geführt dargestellt¹¹⁸ und als endzeitliche Gegner gedeutet. Durch ihre falsche Sicherheit, ihren Mangel an Glauben und wahren Werken der Barmherzigkeit drohe ihnen das verdammliche

 Vgl. WA 22,414,29 – 38.  Vgl. WA 22,415,1– 21. Luther argumentiert ad misericordiam und gibt in Form rhetorischer Fragen zu bedenken, frühere Generationen seien freigiebiger gewesen. Auch verweist er auf die geschwisterliche Gütergemeinschaft und Armenfürsorge der ersten Christen und mahnt, Schulen, Krankenversorgungseinrichtungen und Kirchen finanziell zu unterstützen. Vgl. WA 22,416,4– 28; 421,27– 422,13.  Durch die Unterlassung von Hilfe hingegen verstößt der Mensch Luther zufolge gegen das fünfte Gebot. Vgl. WA 22,413,12– 30 u. ö. Vgl. auch Modalsli (s. Anm. 24), S. 58 – 62.  Vgl. dazu ebd., S. 62– 65. Vgl. weiter ebd., S. 19 – 25; 51– 55. Modalsli schreibt etwa: „Der Glaube erfüllt das Gesetz effective“ (ebd., S. 25), „[d]ie Liebe erfüllt das Gesetz formaliter“ (ebd.). Vgl. auch ebd., S. 138 – 142; 155 – 169.  Vgl. auch ebd., S. 60 f.; 62– 65. Siehe dazu auch unten Kapitel 2.3.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 112– 117.  Vgl. ebd., S. 117– 128.  Vgl. etwa WA 22,414,8 – 38; 416,29 – 34.  Vgl. WA 22,417,13 – 25. Vgl. zur Rede Luthers vom Papst als Antichrist etwa Bayer (s. Anm. 67), S. 303.

2.2 Das futurische Gericht nach den Werken

27

Urteil im Gericht.¹¹⁹ In seiner Auslegung von Joh 3,16 – 21 wirft Luther den Altgläubigen vor, sich auf die Drohung mit Gericht und Hölle beschränkt zu haben. Trost hingegen sei den Menschen geradezu vorenthalten worden. Der Reformator hält daran fest, dass der Weg zur Erlösung schmal ist. Gleichwohl sieht er seine Leistung darin, die Glaubenden mit Joh 10,9 auf den einzigen Weg zum Bestehen im Jüngsten Gericht hinzuweisen.¹²⁰ Die Altgläubigen hingegen hätten, so Luther, Christus als schrecklichen Richter gepredigt, wodurch die Menschen zur Flucht vor Christus getrieben worden seien, der doch der Erlöser ist!¹²¹ Daher haben die Altgläubigen sich, so Luther, der ewigen Verdammnis schuldig gemacht.¹²² Modalsli sieht Luthers Verdienst gegenüber einer bestimmten Richtung der altgläubigen Theologie darin, sowohl den Ernst des Gerichts, in dem die Werke nicht vergessen werden, als auch die Stärke des Trosts, durch den Glauben an Christus nicht in das verdammliche Gericht zu kommen, zu wahren.¹²³ Luther gibt also den Gerichtsernst nicht zugunsten der Heilsgewissheit auf.¹²⁴ Von der Befreiung der Rechtfertigung her wird es möglich, die Rede vom Jüngsten Gericht zur Mahnung einzusetzen, „die evangelische Gerichtsparänese gehört zur

 Vgl. WA 22,420,36 – 421,10 u. ö.  „Die hohen schulen wen sie wöllen die leüt frumm machen, ßo halten sie in das gericht vor und machenn die Helle so heyß, damit füren sie das volck in das erschrecknuß unnd lassen sie stecken, schweigen und sagen nicht wie sie wider herauß kummen. Also auch hie helt er yn das gericht fur, lockt und draut, aber saget inn, wie sie herauß wöllen kummen auff die weyß: Es wirt ein gericht sein, dem wirt niemanndt entpfliehenn, denn allein der do glaubet on allen zusatz. Thust du ein zusatz dartzu, so bistu den holtzweg gangen und bist verdorben, dann was nit glaubt das ist schon verloren. Jch bin die aynig pfort, die zum himel geet, der weg ist enge, du must schmal werden, wilt du hyn durch kummen und durch den felß schlieffen.“ WA 10/III,165,9 – 18 (Predigten des Jahres 1522, Pfingstmontag, Joh 3,16 – 21).  „[K]anst du im nit nach lauffen, er laufft dir nach und bildt dir seinen sun also vor, das er sey ein heyland unnd nicht ein Richter, dardurch wechst dir nun dein zuversicht zum vater. Nun haben sie den frummen heylandt gebildt vor einen Richter, darumb ist her kummen der heyligen dinst, das man sich abwendt von Christo und zuflucht hat tzu den heyligen, den wir meinen die heyligen sein uns gnedig unnd genaigter den got selber.“ WA 10/III,163,24– 164,5, vgl. WA 10/ III,163,22– 165,6. An anderer Stelle heißt es: „Dieweyl sie lernen Christum nicht anders ynn sich bilden, denn nur als eynen strengen richter, den sie mit yhren wercken stillen und ßünen sollen, und halten yhn nymmer fur eynen erloßer, wie er sich selb hie nennet und erbeutt, des ym festen glawben tzu wartten sey, das er uns durch lautter gnaden erloße von sunden und allem ubel.“ WA 10/I,2,112,30 – 34 (Adventspostille 1522, 2. Advent, Lk 21,25 – 36). Vgl. WA 10/I,2,112,23 – 27.  Vgl. WA 10/I,2,95,19 – 97,26.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 178 – 185.  Ähnlich auch Modalsli, vgl. ebd., S. 56.Vgl. auch Bayer (s. Anm. 67), S. 301. „[W]ir alle gehen ihm [= dem Jüngsten Gericht] durch Leben und Sterben hindurch entgegen.“ Ebd. Auch Steiger weist darauf hin, dass weder Luther noch die lutherischen Theologen den Gerichtsernst aufgrund der Rechtfertigungslehre aufgeben, vgl. etwa Steiger: Donnerwort (s. Anm. 48), S. 17.

28

2 Martin Luther

Verwirklichung der Verheißung.“¹²⁵ Sofern der Christ noch unter den Bedingungen dieses Äons lebt, ist es geradezu nötig, mit der Rede vom Gericht gemahnt zu werden, um das Fleisch zu bezwingen.¹²⁶ Weitere Funktionen des Gerichts nach den Werken bei Luther bestehen etwa darin,Verbrechen (oder auch Gutes) nicht in Vergessenheit geraten zu lassen¹²⁷, oder in der Zuweisung zu Heil oder Unheil in Abstufungen¹²⁸ von Lohn und Strafe. Anders als Modalsli beschreibt, ist es meines Erachtens nicht die, sondern eine Funktion der Rede vom Jüngsten Gericht, dass sich darin erweist, wer glaubt (bzw. ein guter Mensch ist) und wer nicht glaubt (bzw. ein böser Mensch ist).¹²⁹ Wollte man Modalsli den Vorwurf machen, er gewichte die Werke etwas zu stark¹³⁰, sollte man dies als dem Fokus seiner Studie geschuldet verstehen. Gleichwohl lässt sich die Bedeutung des Leidens und der Gerichtserfahrung Christi bei Luther noch mehr akzentuieren, als Modalsli dies tut.¹³¹ Deutlicher herausstellen könnte man zudem, dass Luther sich mitunter gegen jene wendet, die aus der Lehre von der iustificatio sola fide folgern, es seien überhaupt keine guten Werke mehr vonnöten.¹³² Demgegenüber hält Luther fest, die durch Christus im Christen gewirkten Werke der Nächstenliebe können in jeder (selbst des Teufels) Prüfung und jedem Gericht bestehen.¹³³ Auch die These, gute Werke seien nach Luther im Angesicht des Todes von hoher Bedeutung und spendeten dem Christen im Sterben Trost¹³⁴, muss dahingehend relativiert werden, dass Luther ebenso sagen kann, im Gegensatz zur Sterbebereitung im Leben dürfe man in der Todesstunde keinesfalls über die eigenen Werke nachsinnen, sondern sich einzig auf den Glauben an Christus verlassen.¹³⁵  Modalsli (s. Anm. 24), S. 152. Vgl. auch ebd., S. 152– 155.  Vgl. ebd., S. 169 – 178, bes. S. 176 f.  Zum Gedanken des Gedenkens an die Opfer im Endgericht vgl. etwa WA 22,417,5 f.  ‚Herausragenden‘ Christen wird Luther zufolge ein besonderer Glanz der Herrlichkeit im Jenseits zueigen sein. Vgl. auch Modalsli (s. Anm. 24), S. 89 – 93. Vgl. auch Schwambach (s. Anm. 73), S. 155 f.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 82. Die Werke werden von Luther zudem als ein Maßstab zweiter Ordnung über Heil oder Unheil dargestellt. Vgl. dazu auch ebd., S. 93 – 96.  Vgl. etwa Beißer (s. Anm. 23), S. 70 f.  Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 128 – 137. Siehe dazu unten Kapitel 2.6.3.  Vgl. auch etwa WA 49,440,14– 19 (Predigten des Jahres 1544, Exaudi, 1Kor 15,39 – 44).  Vgl. etwa WA 10/III,167,19 – 168,19 sowie WA 22,418,21– 28 u. ö.  Vgl. etwa Modalsli (s. Anm. 24), S. 20 f.; 46 f.  Luther warnt zudem davor, dass der Mensch im Sterben seine Werke als unzureichend erkennt, sich für einen verdammten Sünder hält, in Furcht gerät und sich so ein verzweifeltes Sterben bereitet. Vgl. WA 10/III,192,29 f.; 193,5 – 16 (Predigten des Jahres 1522, 1. Sonntag nach Trinitatis, Lk 16,19 – 31). Vgl. auch WA 10/III,165,4. Siehe dazu auch unten S. 60 f.

2.3 Werke der Barmherzigkeit als geistlicher Wucher mit Gott

29

2.3 Werke der Barmherzigkeit als geistlicher Wucher mit Gott – Luthers Auslegung von Lk 16,19 – 31 Luther entfaltet in der Auslegung von Joh 3,16 – 21 den Gedanken, um des Christen selbst willen würde der Glaube allein genügen, doch um des Nächsten willen müssten auch die Werke der Barmherzigkeit diesem folgen. Der Mensch ist eben als Mensch ein soziales Wesen. Er wird simul (ganz) durch Glauben allein gerettet und (ganz) dazu bestimmt, sozial dem Nächsten zu dienen.¹³⁶ Christus ist darin das Vorbild. Die tätige Nächstenliebe in Ausrichtung auf den Mitmenschen statt einer egoistischen Bezogenheit auf sich selbst wird gleichsam als Lebenszweck bestimmt, um nicht der Hölle entgegenzugehen.¹³⁷ Auch in der Auslegung von Lk 16,19 – 31 macht Luther deutlich, dass wahrer Glaube und dessen Früchte eine Einheit bilden¹³⁸, ohne welche kein Mensch im Gericht bestehen kann, wie das Beispiel des reichen Jedermanns zeige.¹³⁹ In seinem Unglauben ist der Reiche nur zur Selbstliebe¹⁴⁰ fähig, erkennt das ihm drohende verdammliche Endgericht nicht und unterlässt jede Hilfe zugunsten des armen Lazarus.¹⁴¹ Einen solchen Unglauben, der zu einer Kombination aus eigennütziger lasterhafter Verschwendung und mangelnder Freigebigkeit gegenüber den Armen führt, kann Luther auch geistlichen und weltlichen (vor allem altgläubigen) Amtsträgern vorwerfen.¹⁴² Der Reiche ist hochmütig und selbst-gerecht. Somit repräsentiert er Luther zufolge alle Menschen, die sich auf eigene Werke verlassen¹⁴³ und in Unglauben und Selbstliebe dem Nächsten Hilfe ver-

 „Ja du darffst nichts mer thun das da nott sey zur seligkeyt, zuvergebung der sünd und zuerrettung der gewissen, du hast genugsam an deinem glauben, aber dein nechster hat noch nit gnugsam, dem must du auch helffenn“. WA 10/III,168,19 – 22.  „Alßo Christus het auch gnugsam, es war sein was dy welt het, der het es auch lassen mögen: aber das ist nit ein recht leben, Ja vermaledeyt vnd verflücht sey das leben in die hel hinein, das im allein lebt, den das ist heydnisch und nit Christlich“. WA 10/III,168,24– 169,2.  Vgl. etwa WA 10/III,188,2 f.  Vgl. WA 10/III,177,1– 178,2.  Er liebt also weder Gott noch seinen Nächsten. Vgl. auch etwa WA 10/III,182,22.  Vgl.WA 10/III,178,2– 17; 179,1– 4. Sogar die Hunde aus der biblischen Erzählung zeigen Luther zufolge mehr Mitleid als der Reiche. Vgl. WA 10/III,183,24– 29; 184,6 – 13. Zur Entwicklung dieses Gedankens in der lutherischen Orthodoxie vgl. Johann Anselm Steiger: Das Gebet im Zeitalter der Reformation und des Barock. Ein Beitrag zu Martin Luther und Heinrich Müller sowie zur Bildtradition des armen Lazarus. Neuendettelsau 2013, S. 69 – 72.  Vgl. WA 10/III,179,4– 15. Diese Kritik tritt noch deutlicher in Philipp Melanchthons (1497– 1560) Auslegung des Texts zutage. Ihm zufolge soll die lutherische Obrigkeit auch materiell „Rahmenbedingungen für die rechte Predigt des Evangeliums […] schaffen.“ Steiger (s. Anm. 141), S. 88. Vgl. auch ebd., S. 87 f.  Vgl. WA 10/III,180,14 f.; 181,1– 12; 182,1– 3; 183,1– 4; 184,1 f.

30

2 Martin Luther

sagen, ja die Bedürftigen gar ausbeuten.¹⁴⁴ Der wahre Christ hingegen sorgt als dienstbarer Knecht demütig für den bedürftigen Nächsten und liebt ohne Eigennutz, weil er von Gott aus Gnade geliebt ist – als äußere Folge des inneren Glaubens.¹⁴⁵ Wie der Reiche nicht durch äußeren Wohlstand an sich verdammt wird, so wird auch Lazarus nicht etwa durch sein äußeres Leiden selig, sondern durch den Glauben. Dieser äußert sich nicht in Form von körperlicher Anstrengung zugunsten anderer. Aber er zeigt sich in Demut, Gottesfurcht, Geduld¹⁴⁶ und darin, dass Lazarus den Christen ein geistliches Vorbild ist, den Menschen so geistlich dient.¹⁴⁷ Lazarus wäre zu tätiger Nächstenliebe „willig und bereytt geweßen“¹⁴⁸, wenn seine körperliche Verfassung es zugelassen hätte. Es „wirt seyn gůtter will fur die thatt gerechnet“¹⁴⁹. Der Glaube äußert sich also keineswegs bei allen Menschen in gleicher Weise, sondern auch entsprechend individueller Charakteristika des Glaubenden. So wird Gottes Freiheit gewahrt und der Christ bleibt von einer Beurteilung seines Glaubens durch Mitmenschen befreit. Es zeigt sich auch, dass die Zeit des rechten Handelns begrenzt ist: Was der Reiche zu Lebzeiten versäumt zu tun, kann er in der Hölle, in der er immens leidet und die wahren Maßstäbe Gottes erkennt, nicht mehr nachholen.¹⁵⁰ Luther mahnt, die Möglichkeit zu sozialem Verhalten, die sich täglich bietet, beizeiten zu ergreifen.¹⁵¹ Er kann hier die Bedürftigen, denen sich der Christ zuwenden darf, gar als „schatz“¹⁵² bezeichnen. Lazarus ist also auch ein Beispiel für die Bedürftigen, denen der Christenmensch helfen darf. Diesen Schatz zu heben bezeichnet Luther als geistlichen Wucher. Der geistliche Wucher ist gewissermaßen ein ‚Investment‘ des Barmherzigen und wird sich im Jüngsten Gericht durch die ‚Ausschüttung‘ des Gnadenlohns auszahlen.¹⁵³ Entscheidend ist dafür die Vorausset-

 Vgl. WA 10/III,188,10 – 14; 189,1– 7.  Vgl. WA 10/III,179,15; 180,1– 14; 182,23 – 26; 183,5 – 12.  Vgl. WA 10/III,184,3 – 5; 185,1– 11; 14– 28; 186,14– 17.  Vgl. WA 10/III,186,22; 189,8 – 14; 190,1– 3. Die Erzählung von Lazarus kann den Christen beispielsweise Trost oder Warnung sein: „[D]as er uns mit seynem exempel leret unnd tröstet, wie Gott eyn gefallen an uns habe, wens uns ubel gehet auff erden, ßo wyr glewben, Und uns warnet, wie Gott eyn zorn habe uber uns, wens uns wol gehet ym unglawben, gleych wie Gott an yhm ynn seynem elend gefallen und am reychen man eyn misfallen gehabt hatt.“ WA 10/III,186,26 – 30.  WA 10/III,186,19.  WA 10/III,186,20 f.  Vgl. WA 10/III,188,17– 27.  Vgl. WA 10/III,189,16 – 19.  WA 10/III,189,16.  Dies ist kein Widerspruch zum Gericht nach dem Glauben.Vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 651. Zum Gnadenlohn, welcher auch individuell unterschiedliche Grade annehmen kann, vgl. etwa Kunz (s. Anm. 23), S. 18 f.

2.3 Werke der Barmherzigkeit als geistlicher Wucher mit Gott

31

zung, Mt 25,40 und die Perikope aus Lk 16 miteinander in Beziehung zu setzen: Durch den Dienst am Nächsten, d. h. am täglich begegnenden Lazarus, wird ja Christus selbst gedient!¹⁵⁴ Ein weiterer zentraler Text in diesem Zusammenhang ist Spr 19,17, dem zufolge derjenige Gott leiht und Lohn zu erwarten hat, welcher Armenfürsorge betreibt. Anhand dieses alttestamentlichen Texts entfaltet Luther die Rede vom geistlichen Wucher¹⁵⁵ und verbindet diese wiederum mit Lk 16 und dem Gedanken, dass derjenige, der seinem bedürftigen Nächsten Hilfe verweigere, diesen töte.¹⁵⁶ Das Zusammenspiel der drei biblischen Texte (Lk 16; Mt 25; Spr 19) prägte vielfach noch im barocken Luthertum die Interpretation der Perikope¹⁵⁷, was sich auch an bildlichen Darstellungen bzw. Inschriften im Kirchenraum in dieser Zeit zeigt.¹⁵⁸ In der Denkfigur des geistlichen Wuchers zeigt sich nochmals die hohe Bedeutung, die Luther guten Werken beimisst, sofern sie aus dem Glauben resultieren. Neben dem Appell zur Wohltätigkeit finden sich auch Sozialkritik sowie die Forderung, soziale Verantwortung wahrzunehmen, in Luthers Auslegung.¹⁵⁹ Darin, dass Luther zufolge der Glaubende die guten Werke vollbringt, ohne dafür eine Belohnung zu erhoffen, besteht ein Unterschied zur altgläubigen Sicht der Dinge, wonach das Tun guter Werke eher als Weg, das Heil zu erwerben, erscheint.¹⁶⁰ Gleichwohl kann der durch Werke mit Gott Wuchernde auf Lohn hoffen, der ihm gnädig gewährt wird. Somit existiert eine gewisse Spannung darin, dass gute Werke, die Folge von Glaube und Heiligung sind, belohnt werden.

 Vgl. Steiger (s. Anm. 141), S. 64; 78.  Vgl. WA 51,418,16 – 18; 419,1– 16; 420,11 (An die Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen, Vermahnung 1540). Vgl. dazu auch Steiger (s. Anm. 141), S. 64 f. sowie ebd., S. 64 bzw. S. 108, Anm. 114.  Vgl. ebd., S. 76 f., sowie ebd., S. 77 bzw. S. 119, Anm. 157. Vgl. WA 6,273,6 – 8 (Von den guten Werken 1520) – darauf weist auch Steiger hin, vgl. Steiger (s. Anm. 141), S. 76 sowie ebd., S. 76 bzw. S. 119, Anm. 156.  Vgl. ebd., S. 64– 67 sowie ebd., S. 64 bzw. S. 108, Anm. 114. Steiger weist nach, dass etwa Johann Olearius (1611– 1684) und Sigmund von Birken (1626 – 1681) der Auslegung Luthers folgten. Siehe auch unten S. 106 f.  Weitere biblische Texte, die dabei angeführt werden können, sind etwa Ps 41,2; 112,9. Vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 195 sowie Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 659 – 662. Auch kann in diesem Kontext angemahnt werden, die Waisen zu versorgen, vgl. ebd., S. 650 f.  Vgl. Steiger (s. Anm. 141), S. 77. Zum reichen Jedermann als Identifikationsfigur für Wohlhabende siehe auch unten S. 223 f.  Vgl. Steiger (s. Anm. 141), S. 67. Anders als bei einigen Kirchenvätern entfällt zudem der antijudaistische Zug der Auslegung, den lukanischen Jedermann auf das Volk Israel zu deuten. Vgl. ebd., S. 86.

32

2 Martin Luther

2.4 Der liebe Jüngste Tag Die Ereignisse am Jüngsten Tage sind nach Luthers Auffassung keineswegs harmlos. Er kann die Ereignisse des Letzten Tages durchaus bildreich als eine Entscheidungsschlacht kosmischen Ausmaßes darstellen.¹⁶¹ „Der welt […] wird er [= der Jüngste Tag] eitel schrecken und zittern, tod und gifft und helle marter sein, ob sie es wol nicht gleubet, bis sie es erferet, […] wenn er nu wird herein platzen und alles jnn einen hauffen schmeissen“¹⁶².¹⁶³ Im Gegensatz zu den Nichtchristen jedoch dürfen sich die rechten Christen nicht nur auf die Hoffnung verlassen, am Jüngsten Tag zu bestehen, sondern der Tag wird für sie „eitel zucker werden“¹⁶⁴.¹⁶⁵ Dies ist aber nur möglich, weil der Glaubende kontrafaktisch durch die Schrecken der Endzeitzeichen hindurchblickt, gerade im Gegensatz zu demjenigen, welcher mit den Augen der natürlichen Vernunft das Weltende nur als fürchterlich anzusehen vermag.¹⁶⁶ Die Hoffnungen auf die Wunder der Parusie Christi¹⁶⁷ sind dabei nicht als uneigentliche Redeweise zu verstehen¹⁶⁸.

 Vgl. etwa WA 49,741,32– 39; 742,12– 38; 743,12 f. (Predigten des Jahres 1545, Rogate, 1Kor 15,51– 53), wo zudem davon die Rede ist, dass das Jüngste Gericht von schrecklichem Gewitter eingeleitet werden wird, wobei Luther sich auch auf 2Petr 3,10 bezieht, wo vom Verbrennen der Welt am überraschend eintretenden Jüngsten Tag die Rede ist. Der Glaubende erkennt, dass dieser Tag des göttlichen Zorns in den biblischen Erzählungen von Sintflut oder Zerstörung Sodoms präfiguriert ist, vgl. ebd.  WA 34/II,479,18 – 21 (Predigten des Jahres 1531, 2. Advent, Lk 21,25 – 33).  Hierfür lassen sich zahlreiche weitere Belege anführen. „[D]ie ding, die komen werden ubir die gantze wellt, das ist der iungst tag, das schrecklich gericht, hellische fewr und der ewige todt“. WA 10/I,2,105,20 – 22. Vgl. auch WA 10/I,2,94,21 f.  WA 34/II,478,37.  Vgl. dazu WA 34/II,478,37 f.; 479,15 – 27. Ähnlich äußert sich Luther in einer Predigt über 1Kor 15,51– 53: „Der Jüngste tag wird also komen: Das es ein frölicher Tag sein wird den Gleubigen und rechten Christen, Aber ein schrecklicher Tag den Ungleubigen, Gottlosen, Geitzigen, Wücherern und falschen Christen“. WA 49,732,20 – 22. Vgl. auch WA 49,731,5. Vgl. dazu auch Johannes Schilling: Der liebe Jüngste Tag. Endzeiterwartung um 1500. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 15 – 26, hier S. 23 – 25.  Ähnlich ebd., S. 25. Vgl. dazu auch Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 62 f.  „Jch hoffe, wir wöllen den lieben HERRN auch schier ein mal sehen komen in den Wolcken des Himels, das er seine Stimme hören lasse: Auff, Auff, die jr unter der Erden ligt, Kompt erfür, Stehet auff von den todten, Unser lieber Gott gebe, das ichs noch erleben möge“. WA 49,440,35 – 38.  Dies gilt auch für die Beschreibungen des Weltendes und der Verwandlung der Christen: „Das wird sein das Feldgeschrey und die Taratantara Gottes, das der gantze Himel und alle Lufft

2.4 Der liebe Jüngste Tag

33

Erschien dem jungen Luther der Tag des Gerichts noch als fürchterlich¹⁶⁹, so sehnte er ihn später als lieben Jüngsten Tag herbei.¹⁷⁰ Der wahre Glaubende, der in der Welt leidet, soll und darf sich nach dem Jüngsten Gericht am Jüngsten Tag regelrecht sehnen. So kann Luther predigen, die Vorfreude bringe das Herz zum Tanzen.¹⁷¹ Der Reformator erwartet den Jüngsten Tag auch deshalb freudig, weil er das Ende allen irdischen Übels und Leides bringt sowie den endgültigen Sieg über den Teufel.¹⁷² Das Fragmentarische wird vollkommen. Der Jüngste Tag als Tag des Heils im Lichte von Joh 3,18¹⁷³ ist dem Christen Grund zur Freude und ein lieber, fröhlicher Tag.¹⁷⁴ Luther zufolge bricht der Jüngste Tag plötzlich an. Insofern kommt er gerade den weltlich Gesinnten ungelegen: „[D]u wirst sitzen uberm Tische und essen, Stehen uberm Kasten und die Taler zelen, Jm Bette ligen und schlaffen, An der Zeche sitzen und sauffen“¹⁷⁵, wenn Christus zum Gericht erscheint. Angesichts dessen ist geistliche Wachsamkeit vonnöten. Dies gilt auch für denjenigen, der an

wird gehen Kir, Kir, Pumerle pum. Denn es wird ein grewlich, unerhört Wetter sein, deßgleichen nicht gewesen ist von anbegin der Welt, Und alle Creaturn werden sich dermassen stellen, das das ende da sey. Als denn wird die letzte Posaune Gottes komen, Das ist: der letzte Donnerschlag, welcher Himel und Erden und alles, was drinnen ist, plötzlich in einen Hauffen schlagen wird. Da werden wir auch verwandelt, Das ist: aus diesem sterblichen Wesen in ein unsterblich Wesen verendert werden, wenn Himel und Erden zergehen werden“. WA 49,740,33 – 40; 741,13.  Vgl. etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 349. „Ego serio rem agebam, ut qui diem extremum horribiliter timui, et tamen salvus fieri ex intimis medullis cupiebam.“ WA 54,179,31– 33 (Vorrede zum ersten Band der Gesamtausgaben seiner lateinischen Schriften 1545). Der Hinweis auf diesen Text findet sich auch bei Lohse (s. Anm. 72), S. 349, Anm. 581. Lohse zufolge war die Angst vor dem Gericht auch eines der Motive Luthers, seine Lehre der Rechtfertigung (die sich im Jüngsten Gericht letztgültig bewährt) zu entwickeln. Vgl. ebd., S. 345 f. Lohse konstatiert: „Wie Luther seine Rechtfertigungslehre im Horizont des ewigen Gerichtes entfaltet hatte, so wird nun das Gericht durch das mit der Rechtfertigung anhebende neue Gottesverhältnis umgewandelt.“ Ebd., S. 355.  Vgl. ebd.  „Vorlaß dich nit auff deyn gutt leben, es wirt dyr bald tzu schanden, ßondern denck unnd sterck deynn glawben, das du dißes tags nit erschreckist, mit den vordampten und vorkerten, ßondern seyn begerist als deyner erloßung und des reychs gottis ynn dyr, das, wenn du yhn horist nennen oder dran gedenckist, deyn hertz tantze fur freuden und sehnlich nach yhm vorlange.“ WA 10/I,2,114,29 – 115,1.  „Wenn aber der Jüngste tag kombt, als denn soll er [= der Satan] dafür ewigklich außgestossen werden. Das ist das erste stuck, dafür wir Gott dancken und frölich drüber sein sollen.“ WA 52,186,22– 24 (Hauspostille 1544, Oculi, Lk 2,14– 28). Vgl. auch Bayer (s. Anm. 67), S. 302.  Vgl. dazu auch etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 349.  Vgl. WA 49,441,9 f. Vgl. ferner WA 49,764,23 f. (Predigten des Jahres 1545, Trinitatis, zu 1Kor 15,54– 57) sowie WA 49,766,13 f. Vgl. überdies den Beleg bei Lohse (s. Anm. 72), S. 349, Anm. 582.  WA 49,732,29 f.

34

2 Martin Luther

Christus glaubt, damit nicht „auß disem freuden tag ein ewiger trawertag“¹⁷⁶ werde. Glaube, auf den nicht auch tägliche Zurüstung auf die novissima folgt, ist riskant.¹⁷⁷ Wer sich aber recht bereitet, darf schlechterdings zuversichtlich den Jüngsten Tag erwarten, denn „[w]enn jr solches thůt, so sol es nicht not haben, Es finde euch alsdenn der Jüngste tag uber tisch oder im beth, in der Kirchen oder auff dem Marck, wachend oder schlaffend, so gilt es alles gleich, denn er findet euch in Gottes forcht und schütz.“¹⁷⁸ Der Glaube verleiht den eigentlich schrecklichen Letzten Dingen ein umgekehrtes Vorzeichen. So verliert die Vorstellung, die Parusie Christi ereigne sich während einer alltäglichen Beschäftigung, allen Schrecken. Luther geht es in der Beschäftigung mit dem Jüngsten Tag ferner nicht um ein abstraktes Weltende, sondern die Wiederkehr Christi. Insofern ist jener Tag Luther zufolge einem jeden Glaubenden lieb, weil Christus ihm lieb ist.¹⁷⁹

2.5 Radikale Reformulierung der Lehre vom Jüngsten Gericht? Es wäre voreilig zu meinen, Luther habe die traditionelle Sicht der Lehre von Jüngstem Gericht und Hölle überwinden wollen und sei zu radikalen Neudeutungen gekommen, welche allenfalls von einer mittelalterlichen Schale rückständiger Aussagen befreit werden müssen.¹⁸⁰

 WA 52,22,25 f. (Hauspostille 1544, 2. Advent, Lk 21,25 – 33).  „Denn der Herr sagt, der Jüngste tag werde unversehens herein fallen, Das den leüten eben geschehen soll wie eim waldvögelein, welchs des morgens daher fleuget, ist hungerig und suchet sein narung, hoffet, es wölle die selben finden wie bißher und findets, setzt sich auff den Herd nider, ist frölich und gůter ding, Jn eim schnips, ee es gewar wirdt, fellt das Garen ob jhm zů, wirdt gefangen und gewürget. Solchs nemen die frommen Gotßförchtigen menschen zů hertzen, unnd weyl sie befinden auß täglicher erfarung, wie bald es geschehen ist, das man zů fall kombt, werden sie blöd unnd verzagt drüber, denn sie dencken: wer wayß, wie dich diser tag finden wirdt. Villeycht wirdt er zů der stund kommen, wenn du am ungeschicksten bist unnd sein am wenigsten gewartest, Oder in diser oder andern sünd ligst, so ists dann mit dir geschehen, und wird auß disem freuden tag ein ewiger trawertag. Hie will der Herr uns auch nicht trostloß lassen unnd lehret seine Christen, wie sie diser sorg jnen abhelffen sollen, unnd spricht: ‚Hütet euch, das ewre hertzen mit fressen und sauffen und sorgen der narung nicht beschweret werden, Und diser tag euch unversehens uberfalle, Sonder seid alle zeyt wacker und bettet, das jhr wirdig möcht werden disem allen zů empfliehen, das geschehen soll, und zůstehen für des menschen Son‘.“ WA 52,22,14– 33.  WA 52,23,8 – 11.  Vgl. Bayer (s. Anm. 67), S. 303 f.  Solches klingt etwa bei Asendorf an, vgl. Asendorf (s. Anm. 25), S. 282.

2.5 Radikale Reformulierung der Lehre vom Jüngsten Gericht?

35

Notger Slenczka etwa schreibt in einem einschlägigen Lehrbuch über klassisch-eschatologische bzw. futurisch-eschatologische Themen bei Luther: „Auf diesen […] Aussagen liegt kein Gewicht, und ein eigentliches Interesse an der Apokalyptik als Ausmalung künftiger Schrecken des Weltuntergangs oder der Seligkeit des Paradieses findet sich bei Luther nicht“¹⁸¹. Laut Slenczka übernimmt Luther nur begrifflich den Traditionsbestand, legt jedoch den Schwerpunkt nicht auf „die künftige Vollendung“¹⁸², sondern auf die Gegenwart des Glaubenden.¹⁸³ Das Zukünftige habe seinen Sinn in der Gegenwartsdeutung.¹⁸⁴ Mit der starken Betonung solcher eschatologischen Aussagen Luthers, die sich auf die Gegenwart des Glaubenden beziehen, drohen meines Erachtens das futurische Gericht sowie die Balance von Schon-Jetzt und Noch-Nicht bei Luther unterschätzt zu werden. Auch Aussagen über die (verborgene) Gegenwärtigkeit des Zukünftigen¹⁸⁵ sollte man nicht so verstehen, als gäbe es für Luther kein ‚eschatologisches Plus‘.¹⁸⁶ Freilich richtig und wichtig ist der Hinweis, dass für Luther der Glaubende in der Zeit bereits kontrafaktisch das Heil am Horizont aufscheinen zu sehen und es für sich – mindestens fragmentarisch – zu vergegenwärtigen vermag.¹⁸⁷ Insofern hat natürlich die Hoffnung für Luther Bedeutung für die Gegenwart des Glaubenden¹⁸⁸, jedoch ohne dadurch die Zukunft als Vollendung zu verabschieden. Laut Slenczka ist ferner das hoffende Subjekt „der Ort der Gegenwart der Zukunft“¹⁸⁹. Dies ist eine Zuspitzung auf die Individualeschatologie, welche man jedoch nicht gegen die Universaleschatologie ausspielen sollte. Mit der vom menschlichen Subjekt als Ausgangspunkt her gedachten Reduzierung auf individuelle Eschatologie bei Luther besteht die Gefahr, um willen eigener theologischer Annahmen Luthers vielfältige Aussagen zu verkürzen. Wie bereits gezeigt wurde, wird der Christ durch den Glauben frei zum Dienst am Nächsten. Statt in egoistischen Interessen gefangen zu sein, lebt der Christenmensch (auch in Erwartung des Gerichts) mit den und für die Mitchristen. Auch deshalb erscheint

 Slenczka (s. Anm. 17), S. 442.Vgl. auch Lohse (s. Anm. 72), S. 353. Anders etwa Oswald Bayer, vgl. Bayer (s. Anm. 67), S. 8.  Slenczka (s. Anm. 17), S. 436.  Vgl. ebd., S. 435 f.  Vgl. ebd., S. 442. Hoffnung ist für Luther nach Slenczka auf etwas Zukünftiges gerichtet, nämlich eine Zukunft, die, so Slenczka, „abwesend, aber möglicherweise gegenwärtig ist“. Ebd., S. 435.  Vgl. ebd., S. 438 f.  Vgl. zu einem ‚eschatologischen Plus‘ der ausstehenden Vollendung etwa Bayer (s. Anm. 67), S. 302. Slenczka hingegen betont dies m. E. zu wenig. Vgl. etwa Slenczka (s. Anm. 17), S. 441.  Vgl. etwa ebd., S. 438; 440.  Vgl. ebd., S. 438.  Ebd., S. 440.

36

2 Martin Luther

eine Überbetonung der Individualeschatologie im Hinblick auf das Jüngste Gericht bei Luther in historisch-theologischer Perspektive als höchst fragwürdig.¹⁹⁰ Nach Slenczka besteht überdies eine Innovation Luthers darin, das Gewissen des Individuums als subjektiven Ort von Jüngstem Gericht und Hölle zu definieren.¹⁹¹ Angeführt wird dafür häufig Luthers Auslegung von Lk 16,19 – 31. Doch auch in ihr werden meines Erachtens keinesfalls die Lehren von allgemeiner Auferstehung am Jüngsten Tage oder futurischem Jüngsten Gericht negiert. Es geht um den Zustand der Seele¹⁹² zwischen Tod und Auferstehung des Leibes und den Versuch einer Beschreibung dieses Zustandes. Da er „kan nicht leyplich seyn[,] […] achten wyr, dieße helle sey das böße gewissen, das on glawbe und Gottis wortt ist, ynn wilchem die seele vergraben ist unnd verfasset biß an iungsten tag, da der mensch mit leyb und seele ynn die rechte leypliche helle verstossen wirtt.“¹⁹³ Dies gilt nach Luthers Auffassung für den Reichen aus der Erzählung in Lk 16, im Gegensatz zu den Seligen in Abrahams Schoß. Entscheidend sind für Luther dabei der Glaube bzw. Unglaube und – damit verbunden – Gottes Wort.¹⁹⁴ Wo Gottes Wort nicht ist, da ist die Hölle, „darynnen die unglewbigen durch den unglawben verstossen sind biß an iungsten tag“¹⁹⁵. Der Unglaube ist es, der den Nicht-Glaubenden zu diesem höllischen Zustand gereicht. Nicht das Subjekt an sich, sondern das Geschöpf in Beziehung zum zornigen oder gnädigen Gott erfährt Hölle oder Himmel.¹⁹⁶ Man sollte zudem den Kontext beachten, denn

 Dies gilt auch für die systematisch-theologische Perspektive. In ähnlicher Weise äußert sich auch Bayer. Vgl. Bayer (s. Anm. 67), S. 299 f. Auch Lohse zufolge sind individualeschatologische und universaleschatologische Themen bei Luther eng verbunden. Vgl. Lohse (s. Anm. 72), S. 346.  Vgl. Slenczka (s. Anm. 17), S. 443. Vgl. dazu auch Gerhard Ebeling: Lutherstudien. Bd. 3. Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen. Wirkungsgeschichtliches. Tübingen 1985, S. 110. Gemeint ist m. E., dass der Mensch bereits im Leben, zeitübergreifend, die Höllenqual erleiden kann, was auch als eine Art proleptische Erfahrung dessen, was in Folge des Jüngsten Gerichts ewig droht, verstanden werden mag. Dies bedeutet aber nicht, dass Luther die futurische Eschatologie marginalisiert. Zudem ist das Gewissen für Luther Ebeling zufolge nicht autonom, sondern in Relation zu Gott als Gegenüber zu denken.Vgl. ebd., S. 111 f.; 114. Der Glaubende ist auf Christus angewiesen.Vgl. ebd., S. 117. Der Versuch, Luthers Gewissensbegriff mit einem modernen Gewissensbegriff zu verbinden, ist ahistorisch, vgl. dazu auch ebd., S. 123.  Zur Frage, ob Luther die Lehre der Unsterblichkeit der Seele vertreten hat, vgl. etwa Bayer (s. Anm. 67), S. 298 f., sowie ebd., S. 298, Anm. 7. Anders etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 347. Vgl. zu Luthers Rede vom Schlaf der Seele ebd., S. 346 – 348. Vgl. ferner etwa WA 10/I,2,117,17– 118,9. Hier findet sich auch die Aussage, die Seelen der Glaubenden blieben zwischen Tod und Auferstehung in Gottes Hand.  WA 10/III,192,14– 18.  Vgl. WA 10/III,192,11– 23.  WA 10/III,192,21 f.  Siehe auch oben Anm. 191.

2.5 Radikale Reformulierung der Lehre vom Jüngsten Gericht?

37

schließlich leitet Luther selbst den Gedankengang damit ein, dass es ihm hier nicht um die eschatische Hölle, in der Seele und Leib gequält werden, geht, die er jedoch keineswegs negiert.¹⁹⁷ Luther legt sich im Verlauf der Auslegung nicht fest, ob es zwischen Tod und Jüngstem Tag¹⁹⁸ eine fortwährende Qual der Verdammten gibt.¹⁹⁹ Nach dem Gericht erwartet den Menschen auch mit dem auferstandenen Leib entweder der Himmel oder die Hölle. Es ist Luther hier nicht darum zu tun, das Letzte Gericht vorzuverlegen.²⁰⁰ Laut Slenczka hingegen erweisen sich die „neuzeitlich anmutenden“²⁰¹ subjektiv- bzw. präsentisch-individualeschatologischen Gedanken Luthers über Jüngstes Gericht und Hölle gerade als interessant und eigentlich relevant im Gegensatz zu Aussagen über ein futurisches Universalgericht. Letztere werden so jedoch zu altertümlichen Ausschmückungen, die vernachlässigt werden können. Luthers Aussagen über die Ereignisse am Jüngsten Tag, die Zerstörung der alten Welt, das Jüngste Gericht mit dessen doppeltem Ausgang und dergleichen zu ignorieren oder als Überbleibsel überwundenen Denkens zu sehen, das nun einem aufleuchtenden (um nicht zu sagen: aufklärerischen) neuen Ansatz weicht, wird der oben nachgewiesenen Relevanz des futurischen Gerichts am Jüngsten Tag in Luthers Theologie nicht gerecht. Kritik ist überdies bei der These geboten, Luther würde nie über die novissima in bildreicher Weise sprechen.²⁰² Gerade in seinen Predigten über den Jüngsten Tag und das Weltgericht malt der Reformator die Ereignisse des Weltendes mittels eindrücklicher sprachlicher Bilder aus.²⁰³

 „Alßo widderumb kan die helle an dißem ort nicht sein die rechte helle, die am iungsten tage angehen wirtt.“ WA 10/III,192,11 f. Aussagen Luthers über die Hölle im Leben, im Tod vor der Auferstehung sowie nach der Auferstehung sind zu unterscheiden, aber nicht zu trennen.  „[H]ie muß man die zeytt auß dem synn thun unnd wissen, das ynn yhener wellt nicht zeytt noch stund sind, ßondernn alles eyn ewiger augenblick“. WA 10/III,194,10 – 12. Vgl. dazu auch Lohse (s. Anm. 72), S. 349 sowie ebd., S. 349, Anm. 585. Geht man davon aus, dass die Gerechten des Alten Testaments auch bereits im Glauben an Christus gestorben sind, wird die Annahme eines limbus patrum möglicherweise überflüssig.  Vgl. WA 10/III,194,19. Letztendlich bleibt das Wissen über die novissima in dieser Welt Stückwerk. „Got will uns nichts wissen lassen, wie es mit den todten zů gehe, auff das der glawbe raum behallte durch Gotis wort, der da glewbt, das Gott nach dißem leben die glewbigen selig macht, die unglewbigen verdammet“. WA 10/III,197,19 – 22.  Vgl.WA 10/III,192,11– 23. Isoliert man einzelne Passagen der Schrift, besteht m. E. die Gefahr, den Text misszuverstehen.  Slenczka (s. Anm. 17), S. 443.  So etwa Slenczka, vgl. ebd., S. 442. In ähnlicher Weise äußern sich auch Schwarz und Mühling. Vgl. Schwarz (s. Anm. 13), S. 270 f. u. ö. Vgl. Mühling (s. Anm. 18), S. 203.  So zu Recht auch Modalsli, der dazu besonders auf Luthers Predigt über Mt 25,31– 46 hinweist, in der sich sprachlicher Bildreichtum im Kontext der Rede vom Jüngsten Gericht finden

38

2 Martin Luther

Um mögliche Probleme einer ahistorischen Luther-Lesart weiter zu verdeutlichen, sei im Folgenden ein Aufsatz von Christian Danz zur Thematik des Jüngsten Gerichts herangezogen: Dass sich bei Luther auch klassisch-eschatologische Aussagen zum Endgericht finden, bestreitet Danz nicht. Durchaus zuzustimmen ist ihm darin, dass es eine Luther „auch existentiell umtreibende Frage“²⁰⁴ sei, „wie der Mensch im Letzten Gericht bestehen könne“²⁰⁵. Auf seine Ausführungen über grundsätzliche bzw. aktuelle systematisch-theologische Probleme der Lehre vom Jüngsten Gericht²⁰⁶ kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Entscheidend ist, dass Danz Lösungsansätze für diese Probleme bei Luther sieht, genauer gesagt in der Reformulierung der Lehre von Jüngstem Gericht und Hölle, zu der Luther gelangt sei.²⁰⁷ Laut Danz entwickelte der Reformator ein neues, auch vom glaubenden Subjekt her gedachtes Konzept²⁰⁸ im Gegenüber zur römisch-katholischen Bußtheologie schon im frühesten Schaffen.²⁰⁹ Dies soll nicht grundsätzlich bestritten werden²¹⁰, doch wirkt es auch hier, als sei die Rede von den futurischen Letzten Dingen bei Luther nur ein Überbleibsel, ein Relikt – dagegen eine neue Sicht entscheidend. Die Relevanz tätiger Nächstenliebe im Kontext des Jüngsten Gerichts bei Luther im Sinne der obigen Feststellungen wird hier nicht hervorgehoben.²¹¹ Nach Danz verortet Luther den Prozess der Sündenerkenntnis im Gewissen des (glaubenden) Subjekts.²¹² Das von Gott gegebene „unableitbare Entstehen des Schuldbewusstseins“²¹³ sei für Luther nichts Geringeres als Gottes Zorn und (Jüngstes) Gericht. Auch wenn diese Beschreibung des Sachverhalts gewiss nicht falsch ist, bleibt es wichtig, Luthers Verständnis vom Jüngsten Gericht nicht auf die Vorgänge im Menschen bzw. diesen Kontext zu reduzieren. Die Vorstellungen von zeitlichem und Letztem Gericht bei Luther fallen bei Danz hier meines Erachtens zu sehr in

lässt. Vgl. Modalsli (s. Anm. 24), S. 59. Zu Luthers Schilderungen der novissima vgl. exemplarisch WA 10/I,2,116,15 – 117,16.  Danz (s. Anm. 26), S. 76.  Ebd.  Mit theologischen Problemen sind Danz zufolge auch neuere Ansätze zur Allerlösung verbunden. Vgl. ebd., S. 72 f. Vgl. auch ebd., S. 80 – 86.  Vgl. schon ebd., S. 73, Vgl. auch etwa ebd., S. 86.  Vgl. ebd., S. 73.  Vgl. ebd., S. 73 – 75.  Unstrittig ist etwa, dass nach Luther die Rechtfertigung nicht als eigenes Werk vom Menschen erbracht werden kann und der Mensch selbst unfähig zum Heil, mithin der Gnade Gottes bedürftig ist. Vgl. ebd., S. 75.  Vgl. etwa ebd., S. 76.  Vgl. ebd., S. 77.  Ebd.

2.5 Radikale Reformulierung der Lehre vom Jüngsten Gericht?

39

eins. Wiederum ist daran zu erinnern, dass das Jüngste Gericht (für Luther) einen Mehrwert hat, weil darin über das ewige Geschick des Menschen – was Seele und Leib betrifft – das letzte Urteil gesprochen und alles Fragmentarische vervollkommnet wird. Luthers Innovation besteht laut Danz gegenüber der altgläubigen Lehre darin, jene „Verknüpfung von Sündenbewusstsein und Gericht Gottes“²¹⁴ auch auf seine Lehre vom Jüngsten Gericht bezogen zu haben, da er das (eigentlich futurische) Jüngste Gericht mit einer Gewissensqual gleichsetzt.²¹⁵ Dies ist für diesen Kontext richtig, jedoch reduzierend: Die Innovation soll Luther nicht abgesprochen werden, doch ist es ebenso seine Leistung, zugleich die ausstehende Vollendung des futurischen Gerichts zu wahren. Auf den Verweis bei Danz auf die 95 Thesen (v. a. These 16!) sei lediglich kurz hingewiesen: Luther setze die intrasubjektive Verzweiflung, angehende Verzweiflung oder Gewissheit mit den Begriffen Hölle, Fegefeuer und Himmel gleich.²¹⁶ Meines Erachtens hingegen ist es Luther hier darum zu tun – auch auf der Suche nach einer neuen Deutung des Fegefeuer-Gedankens²¹⁷ – relationale Aussagen machen zu können bzw. eine Struktur von ‚a verhält sich zu b wie y zu z‘ zu formulieren, wobei weder a und y noch b und z identisch sind.²¹⁸  Ebd.  Vgl. ebd. Zur Aussage, im Gewissen erfahre der Mensch das Jüngste Gericht, vgl. ebd. Auch Schwambach schreibt: „Von seinem Wesen her ist das Jüngste Gericht für Luther nichts anderes als das, was dem Menschen in seinem Gewissen in der Begegnung mit dem Wort Gottes widerfährt.“ Schwambach (s. Anm. 73), S. 149. Vgl. auch Modalsli (s. Anm. 24), S. 98.  Vgl. Danz (s. Anm. 26), S. 77 und ebd., S. 77, Anm. 17.  Es zeigt sich eine Entwicklung im Denken Luthers, der anfangs noch um ein Verständnis des Fegefeuers bemüht war, in seinem Widerruf vom Fegefeuer jedoch letztlich die Existenz des Purgatoriums grundsätzlich negiert. Vgl. WA 30/II,367– 390 (Widerruf vom Fegefeuer 1530). Im Bekenntnis von 1528 äußert sich Luther kritisch zur herkömmlichen Fegefeuerlehre: „Wir haben auch nichts ynn der schrifft vom fegfewr, Und ist freylich auch von den Polter geistern auffbracht, Darumb halt ich, das nicht not sey, eins zu gleuben, Wie wol Gott alle ding müglich, auch wol kündte die seelen peinigen lassen nach dem abschied vom leibe. Aber er hats nicht lassen sagen noch schreiben, drumb wil ers auch nicht gegleubt haben, Jch weis aber sonst wol ein fegfewr, Aber davon ist nichts ynn der gemeyn von zu leren noch da widder mit stifften und Vigilien zu handeln.“ WA 26,508,6 – 12. Vgl. dazu auch Asendorf (s. Anm. 25), S. 284 f. Eine Konzeption vom Seelenschlaf (siehe auch oben Anm. 192) könnte diejenige des Fegefeuers ersetzen und wäre zudem als Versuch zu verstehen, nicht mit der Vorstellung eines Partikulargerichts zusätzlich zu der des Jüngsten Gerichts operieren zu müssen.Vgl. auch Beißer (s. Anm. 23), S. 66 – 68.Vgl. weiter Kunz (s. Anm. 23), S. 19 – 22. Zur Lehre des Zwischenzustandes und der Fegefeuerkonzeption im Mittelalter vgl. etwa Angenendt (s. Anm. 23), S. 684– 694; 705 – 711.  Vgl. WA 1,234,7 f. (Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum 1517). Dies mag als eine Etappe in der Entwicklung Luthers in Bezug auf die Überlegungen zum Fegefeuer bezeichnet werden. Die Gedanken stehen im Kontext von Betrachtungen zur Buße. Luther ist es hier nicht

40

2 Martin Luther

Luther trug so, Danz zufolge, dazu bei, ein traditionelles Verständnis von Hölle und Endgericht abzuschaffen, abgesehen von eigentlich obsoleten Formulierungen hier und dort. Durch die prinzipielle Überwindung der Vorstellung eines realen endzeitlichen universalen Gerichts sei der Weg frei geworden, Gericht und Hölle im Menschen zu verorten.²¹⁹ Somit sei Luther gleichsam seiner Zeit voraus gewesen und habe die traditionelle Sicht der novissima hinter sich gelassen, nunmehr „die apokalyptisch-eschatologischen Aussagen als Beschreibungsformen des Gewissens des Einzelnen in seiner Totalitäts- und Unbedingtheitsdimension“²²⁰ deutend. Luther lege, wohlgemerkt, den „Akzent auf ei[n] Verständnis der individualeschatologischen Aussagen als Selbstbeurteilungsformen des frommen Subjekts“²²¹, was wiederum auch für das Jüngste Gericht gelte, das ebenfalls ins Innere des Gläubigen verlegt werde.²²² Luther habe zudem die Auffassung vertreten, Gottes Urteil über den Menschen in puncto Rechtfertigung, in der Folge auch im Bezug auf das Jüngste Gericht, bestätige nur ein zuvor vom Menschen im Gewissen über sich selbst gesprochenes Urteil, wodurch SelbstGericht des Menschen und Jüngstes Gericht praktisch in eins fielen.²²³ Dazu verweist Danz unter anderem auf Luthers Auslegung von Ps 51, doch zeigt gerade diese Psalmexegese, dass der Mensch Luther zufolge Gottes Urteil, dass sein sterbliches Geschöpf sündig ist, zustimmen muss.²²⁴ Gott, welcher den demütigen

darum zu tun, Himmel und Hölle abzuschaffen oder abstrakt neu zu definieren, sondern Kritik an der Ablasspraxis sowie am Fegefeuerkonzept der Altgläubigen zu üben. Über die von ihm kritisierte Ablasspraxis werden, so Luther, die Verantwortlichen einst (im göttlichen Gericht) Rechenschaft ablegen müssen. Die Pein des Fegefeuers kann der reuige Sünder Luther zufolge in der Todesnot erfahren. Überdies warnt Luther hier vor der Gefahr falscher Sicherheit. Vgl. WA 1,233– 238.  Vgl. Danz (s. Anm. 26), S. 78.  Ebd.  Ebd.  Vgl. etwa ebd. Anders etwa Beißer.Vgl. Beißer (s. Anm. 23), S. 19 – 33. Dieser konstatiert, dass Luther zufolge das Gericht zwar im Leben erfahrbar ist – „[d]iese Vergegenwärtigung […] schließt aber seine [= des futurischen Gerichts] reale Zukunft keineswegs aus. […] [S]elbstverständlich erwartet Luther ein jüngstes Gericht“. Ebd., S. 31. Diese Auffassung habe Luther auch nicht nur zeitweise vertreten, vgl. ebd.  Vgl. Danz (s. Anm. 26), S. 78. Vgl. zu dieser Thematik auch Asendorf (s. Anm. 25), S. 53 – 60.  Als Beleg führt Danz u. a. eine Aussage Luthers an, das Urteil Gottes werde nur mehr eine Bestätigung des eigenen Gewissens sein, vgl. Danz (s. Anm. 26), S. 78 und ebd., S. 78, Anm. 18. Doch ist dies m. E. im Kontext der von Danz angeführten Belegstelle vielmehr als eine gegenseitige Zustimmung sowie als Ausdruck des göttlichen Rechts (Recht-Seins, Recht-Habens) zu verstehen – insofern nämlich, als dass der Mensch kein anderes Urteil über sich sprechen kann als jenes, das Gott bereits gesprochen hat. Im Verhältnis, in der Beziehung zu seinem (gnädigen oder zornigen) Gott erfährt das Geschöpf Luther zufolge Himmel oder Hölle. Luthers Auslegung von Ps

2.5 Radikale Reformulierung der Lehre vom Jüngsten Gericht?

41

Sünder, der sich als solcher bekennt, rechtfertigt, mithin ihm seine Sünden nicht imputiert, hat folglich das erste und das letzte Wort.²²⁵ Auch Oswald Bayer weist darauf hin, dass der Mensch in Luthers Sicht gerade davon befreit ist, das letzte Urteil zu sprechen.²²⁶ Nach Danz zeigt sich also – ungeachtet anderslautender Passagen im Oeuvre Luthers – wie der Reformator im Unterschied zu Tradition und Altgläubigen ein Jüngstes Gericht mit thronendem Christus, Engeln, Zusammentreiben der Menschen und dergleichen für unwichtig hält und reformuliert zugunsten eines intrasubjektiven Geschehens. Dabei werde vom menschlichen Subjekt her gedacht und es herrsche ein wenigstens in gewissem Sinne symbolisches Verständnis des Jüngsten Gerichts bei Luther.²²⁷ „Das Letzte Gericht symbolisiert für Luther die vollständige wahre Selbsterkenntnis des Menschen und Gottes Urteil über den Einzelnen ist im Grunde nichts anderes als seine Zustimmung zu dem, was der Mensch selbst erkennt, wenn die innersten Beweggründe seines Handelns ihm offen zutage liegen.“²²⁸ Dies muss im Hinblick auf die oben gemachten Beobachtungen als fraglich gelten, wenngleich ein solches Denkmodell für die heutige theologische Reflexion gewiss Vorzüge hat, da es erlaubt, die Rede vom Jüngsten

51 zeigt, dass die Aussage, dem Reformator zufolge bestätige Gott nur in seinem Gerichtsurteil jenes Urteil, das der Mensch selbst über sich spricht, präzisiert werden muss: Sich als Sünder zu bekennen ist Ausdruck dessen, Gott und seinem Urteil Recht zu geben, statt ihn zum Lügner zu machen, vgl. etwa WA 3,288,11 (Dictata super Psalterium 1513 – 16) und sich selbst rechtfertigen zu wollen.Vgl.WA 3,288,17– 35 u. ö. Zur Denkfigur, Gott Recht zu geben, vgl. auch etwa WA 2,717,6 – 25 (Ein Sermon von dem Sakrament der Buße 1519). Darin ist ebenfalls davon die Rede, dass derjenige Gottes Verheißung nicht vertraut und ihn also zum Lügner macht, welcher sich auf eigene Werke verlässt und Gott als zornig missversteht, vgl. WA 2,718,22– 719,2. Auch heißt es dort (wiederum im Kontext der Bußthematik), den Unbußfertigen könne mit dem göttlichen Gericht gedroht werden, vgl. WA 2,720,4– 14. Vgl. auch Beißer (s. Anm. 23), S. 70. Zu Luthers Forderung nach guten Werken vgl. auch WA 2,720,29 f.  Aufgrund der göttlichen Verheißung kann der Glaubende, der sich bekennt, Sünder zu sein, Luther zufolge Gott geradezu zur non-imputatio der Sünden zwingen: Dabei gilt nach Luther, dass Gott gerade nicht denjenigen verdammt, welcher sich bekennt, Sünder zu sein (also sich selbst verdammt), sondern ihm vergibt, da er Gottes vorhergehendes (!) Urteil über sich (nämlich strafwürdiger Sünder zu sein) anerkennt. Wer sich selbst gerecht spricht, widerspricht Gott und wird nicht gerechtfertigt. Vgl. etwa WA 3,289,1– 20; 289,26 – 38; 290,4– 13. Gott, der Luther zufolge seiner Verheißung treu ist und daher nicht anders kann, behält gleichwohl das letzte Wort, indem er dem bußfertigen Sünder seine Sünden nicht anrechnet. Vgl. WA 3,291,15 – 21.  Vgl. Bayer (s. Anm. 67), S. 9. Der Mensch ist Luther zufolge eben nicht fähig, von sich aus die Seligkeit zu erlangen oder die Flucht aus der Hölle zu bewerkstelligen, vgl. etwa WA 10/III,162,5 f.  Vgl. Danz (s. Anm. 26), S. 78. Vgl. dagegen etwa Friedhelm Krüger: Die letzten Dinge – oder: Hat die Zukunft schon begonnen? In: Horst Georg Pöhlmann, Torleiv Austad und ders.: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften. Gütersloh 1996, S. 186 – 203, hier S. 186.  Danz (s. Anm. 26), S. 78.

42

2 Martin Luther

Gericht nicht aufgeben zu müssen, ohne auf wörtlich genommene Vorstellungen der Parusie zu beharren. Luther hat damit, so Danz, die Theologie der Aufklärung vorweggenommen.²²⁹ Die lutherische Orthodoxie sei hingegen einer solchen Verlegung des Jüngsten Gerichts in das Subjekt bzw. Gewissen nicht gefolgt.²³⁰ Eine direkte Linie von Luther zu Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768 – 1834) oder Immanuel Kant (1724– 1804) zu ziehen, wäre jedoch ahistorisch.²³¹ Man wird fragen dürfen, ob nicht vielmehr die Luther in zeitlicher Nähe folgenden und um sein Erbe bemühten Theologen, bei denen sich eine solche Denkart in der Form nicht findet, der Auffassung des Reformators entsprechende eschatologische Aussagen formuliert haben. Dagegen, dass Luther der Vorstellung des futurischen Endgerichts keine Bedeutung beimesse, spricht ebenfalls, dass der Reformator gegen all jene polemisiert, welche die Lehre vom Jüngsten Tag in Abrede stellen.²³² Es wäre überdies ein Missverständnis, zu meinen, wenn Luther und die lutherischen Theologen vom Endgericht nach den Werken sprechen, läge „ein Rückfall in durch die Reformation überwundene Mentalität“²³³ vor.²³⁴ Danz schlägt schließlich vor, um Luthers Theologie zeitgemäß nutzbar zu machen, einen Kern aus den obigen Beschreibungen des Denkens Luthers aufzunehmen, der jedoch von seiner mittelalterlichen Schale entkleidet werden müsse, da Luthers Rede von den Letzten Dingen von einem „objektiv realistische[n] Rahmen“²³⁵ umgeben sei. Für Luther gilt meines Erachtens nicht, was Danz resümierend formuliert: „Die Bedeutung von Himmel und Hölle liegt nicht in einer Beschreibung einer objektiven Realität, sondern in der Selbstbeschreibung des Glaubens als einem unableitbaren Geschehen des Sich-VerständlichWerdens des Menschen in der Geschichte.“²³⁶ Luther zufolge ist die Hölle sowohl

 Vgl. ebd., S. 80.  Vgl. ebd., S. 79 f.  So auch Beißer, vgl. Beißer (s. Anm. 23), S. 31– 33. Zur Eschatologie bei (dem späten) Schleiermacher vgl. etwa Martin Weeber: Schleiermachers Eschatologie. Eine Untersuchung zum theologischen Spätwerk. Gütersloh 2000 (= Beiträge zur evangelischen Theologie 118).  Nicht zuletzt deswegen, weil Luther zufolge die Hoffnung auf die Vollendung am Jüngsten Tage zentraler Bestandteil des christlichen Glaubens ist. Vgl. Beißer (s. Anm. 23), S. 51; 68. Außerdem ist m. E. zu bedenken: Werden Himmel oder Gericht in den Menschen verlegt, kann nicht mehr von einer Zurechtbringung menschlicher Beziehungen (soziale Dimension des Endgerichts!) und nicht von der Erlösung der übrigen Schöpfung die Rede sein.  Steiger: Donnerwort (s. Anm. 48), S. 17.  Vgl. ebd.  Danz (s. Anm. 26), S. 86.  Ebd., S. 88.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

43

auf Erden als auch in Ewigkeit sehr wohl zugleich subjektiv erlebbar wie auch objektiv real.

2.6 Luthers Jona-Auslegung 2.6.1 Der Hölle entkommen Anhand von Luthers Jonaauslegung von 1526 lässt sich zunächst exemplarisch zeigen, inwiefern Luther die Hölle als innerweltlich erfahrbar denkt und wie er diese Erfahrung zu überwinden rät. Bereits in der Vorrede wird deutlich, dass Luther auch hier das futurisch gedachte Jüngste Gericht keineswegs verabschiedet.²³⁷ Schon zu Beginn der Auslegung hält Luther fest, was er im Verlauf der Exegese näher ausführt: Jona ist dem Reformator zufolge „exemplum fidei“²³⁸ für die Leser, welche sich in die Lage des Propheten hineinversetzen sollen.²³⁹ Zugleich ist er lebendes, personifiziertes exemplum gratiae Dei ²⁴⁰: Im Fisch nämlich erfährt Jona die ewige Hölle²⁴¹, die er nur mithilfe des von Gott geschenkten Glaubens betend überwinden kann.²⁴² Derjenige, der Todesnot und Höllenfurcht erleidet, darf sich Jona zum Vorbild im Glauben nehmen und an der anschließenden Auslegung lernen, die Hölle zu überwinden.²⁴³ Luther stellt zunächst zwei Wege vor, gegen die Gnade Gottes zu sündigen: Erstens die Annahme, für die eigene Sünde gebe es keine Gnade oder Vergebung von Gott. Für denjenigen, der diese Annahme nicht überwindet, trete sie ein.²⁴⁴  Dort zeigt sich Luthers Naherwartung des Jüngsten Tages, an dem die Bösen „durch gotts gericht ja balde zu asschen werden“. WA 19,186,6 (Der Prophet Jona ausgelegt 1526). Dabei sind neben Spiritualisten auch die Altgläubigen im Blick. Vgl. weiter WA 19,185,1– 186,9. Zu Luthers Naherwartung vgl. etwa Bayer (s. Anm. 67), S. 302 f.  Johann Anselm Steiger: Jonas Hölle. Ein auslegungsgeschichtlicher Beitrag zu Luthers Interpretation des Alten Testaments. In: Innovation durch Wissenstransfer in der Frühen Neuzeit. Kultur- und geistesgeschichtliche Studien zu Austauschprozessen in Mitteleuropa. Hrsg. von dems., Sandra Richter und Marc Föcking. Amsterdam u. a. 2010 (= Chloe 41), S. 55 – 77, hier S. 60.  Vgl. ebd.  Vgl. WA 19,199,12– 31.  Auch Wolfgang Sommer weist darauf hin, dass die Hölle Luther zufolge sowohl eine futurische als auch präsentisch erfahrbare Größe ist und dass der Reformator (wie auch die lutherischen Theologen) die Hölle nicht als konkreten Ort unter der Erde denkt.Vgl. Sommer (s. Anm. 4), S. 181.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 66 – 69.  Vgl. auch ebd., S. 60; 66 – 69.  Vgl. etwa WA 19,199,33 – 200,8.

44

2 Martin Luther

Wer hingegen – „[e]s sey die sunde wie gros sie wolle“²⁴⁵ – „fest bleyb[t] ym synn und gewissen, ey sey noch […] vergebunge da, wenn gleich Gotts und aller creatur zorn mich fressen wolte und meyn eygen gewissen dazu selbst saget, die gnade were aus und Gott wolte nicht vergeben“²⁴⁶, der setzt die göttliche Gnade an die höchste Stelle und vermag das göttliche Zorngericht zu überstehen. „[G]nade gilt und mag mehr denn aller zorn, alles urteyl, alles gericht Gottis. Und wer das gleubt, der kan auch damit trotzen widder allen zorn und urteyl Gottes. Wer das nicht kan, bey dem trotzt das gericht widder die gnade und mus die gnade zu nicht werden und das gericht alleyne hirschen zum tod und verdamnis“²⁴⁷. Der zweite, teuflische Irrweg besteht für Luther darin, sich ob seiner Sünden auf eigene Werke und Verdienste um willen der Rechtfertigung zu verlassen, doch wo eigene „Werck […] widder das gericht“²⁴⁸ etwas ausrichten sollen, ist alles verloren. Jona ruft an Bord des Schiffes gerade nicht Gott an, bekennt nicht seine Schuld, sondern verharrt in Verzweiflung und Todesangst.²⁴⁹ Sein Sturz ins Meer ist Jona „eytel tod, tod, tod“²⁵⁰. Sofern Gott nicht dem Menschen schenkt zu sehen, dass seine Existenz nach dem Sterben nicht beendet ist, wird das Leben selbst zur einzigen Gewissheit²⁵¹, der Tod hingegen eine unheimlich unbekannte Zukunft, das wahre Ende, eine Privation von allen Kontakten, Trennung „von allen creaturn“²⁵². Angesichts des Todes erfährt Jona schmerzlichst, übermächtig, den Zorn Gottes²⁵³ und wird von den Verderbensmächten hart bedrängt.²⁵⁴ Doch ist Jona nach Luthers Auffassung gleichwohl nicht endgültig dem Tod verfallen. Zwar gilt, dass ein Mensch, der im Leben in solche Verzweiflung gestürzt wird, auf das ewig-höllische Schicksal nach dem Tode zusteuert, doch Jona wird durch Gott, an den er glaubt, gerettet: Da wird seyne seele an eym seiden faden uber der hellen und ewigem verdamnis gehangen haben. O es ist gros ding ynn dem hertzen begangen durch gotts krafft, das er ist blieben und erhalten. Denn das er ym glauben sey blieben, beweyset seyne erlösunge wol – Gott hilfft keynem gottlosen aus solchem tod und jamer –, so bekennet er selbst, er sey Gotts diener

         

WA 19,200,7 f. WA 19,200,8 – 11. WA 19,200,14– 18. WA 19,201,4. Vgl. WA 19,210,29 – 211,1. WA 19,217,14. Vgl. WA 19,217,20. WA 19,217,24. Vgl. WA 19,217,16 – 36. Vgl. etwa WA 19,218,5.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

45

und gibt sich ynn die straffe, wilcher keyns zuthun vermöchten alle gottlosen, sondern verzweyffelten alle ynn sunden.²⁵⁵

Jona ist Luther zufolge in der Hölle, in der er trotz aller Verzweiflung und Gottverlassenheit an Gott glaubt. Dass er diese Höllenerfahrung überwindet, nennt Luther „eyn glaube, ja eyn kampff und streyt des glaubens. Da ist eyn sieg und triumph unter der grossten schwacheyt verborgen.“²⁵⁶ Darin ist Jona allen Glaubenden Vorbild bzw. Exempel.²⁵⁷ Im Ringen mit den Verderbensmächten erweist sich Jonas Hölle: „[G]leich wie das meer mit aller ungestümickeyt Jona erseuffen wil, dazu der walfisch yhn verschlingt und verzeren wil, also fulet das gewissen eytel ungestüm von gotts zorn und tod und wil die helle und ewiges verdamnis schlecht die seele fressen etc.“²⁵⁸ Durch Beschreibungen wie stetige Dunkelheit in Jonas eigentümlichem Gefährt werden aus Höllenbeschreibungen bekannte Motive aufgerufen.²⁵⁹ Steiger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Luther wie in seinen Auslegungen von Gen 22 die Jona-Erzählung nicht von deren glücklichem Ausgang, nicht von der Rettung her denkt.²⁶⁰ Die Pointe sei, und dies gilt auch hier, dass der glaubende Christ „in der Gegenwart […] der Gottesferne an der Zukunft Gottes und seiner Rettung fest[halte]“²⁶¹. Die oben skizzierte Verzweiflungslage Jonas, welche die Leser nachvollziehen sollen, bezeichnet Steiger mit Recht als „resignatio ad inferos“²⁶² bzw. als „descensus ad inferos“²⁶³. Wurde in der Auslegungsgeschichte vor Luther die Erzählung tendenziell eher vom Ende her interpretiert, und die Walfisch-Episode als Rettung gedeutet, so versteht Luther sie innovativ als äußerste „Höllenerfahrung“²⁶⁴.²⁶⁵ In der Auslegung des zweiten Kapitels werden diese Überlegungen fortgeführt. Jonas Gebet im Walfisch zeigt nach Luther den Propheten in seiner Erfahrung von Todesangst und Ringen mit den Todesmächten.²⁶⁶ Jona ist in dieser Hölle

           

WA 19,218,16 – 22. WA 19,219,2 f. Vgl. WA 19,219,3 – 8. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 238), S. 59 f. WA 19,219,8 – 11. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 238), S. 61. Vgl. WA 19,219,12– 27. Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 58. Ebd. Ebd., S. 59. Ebd., S. 60. Ebd., S. 62. Vgl. ebd., S. 61 f. Vgl. WA 19,221,1– 8.

46

2 Martin Luther

„on unterlas gestorben“²⁶⁷. Diese Formulierung kann als Ausdruck eines zeitlichen ewigen Todes, also der innerzeitlichen antizipierenden Erfahrung des ewigen Todes, verstanden werden. In diesem Zusammenhang weist Steiger darauf hin, dass Jona zwar nicht stirbt, doch dass dieses von Luther beschriebene ständige Sterben ohne doch sterben zu können klassischen Höllenbeschreibungen entspricht.²⁶⁸ Es ist also durchaus sinnvoll, von „Jonas Hölle“²⁶⁹ zu sprechen.²⁷⁰ Ein Mensch in Jonas Lage, der im (leiblichen) Leben Tod und Hölle erleidet, ist Luther zufolge der gewöhnlichen Definition bzw. den Maßstäben der natürlichen Vernunft entsprechend am Leben, in Wahrheit aber lebendig tot. Dabei ist der innerliche, geistliche Mensch in seinem Höllenkampf der Maßstab, nicht die lebende Leiche, der äußere Leib.²⁷¹ Wer also nach dieser Definition in seinem zeitlichen Leben Tod und Hölle fühlt, ist geistlich in Tod und Hölle, wenngleich er als wandelnder Toter schein-lebendig wirkt. Von den zeitlichen Erfahrungen dieser Menschen her kann nach Luther auf Aussagen über die zukünftige Hölle nach der Auferstehung geschlossen werden, hier ist zu lernen, wie es um die Verdammten in der ewigen Hölle steht.²⁷² Wo liegt nun die Pointe der Auslegung an dieser Stelle, wo ist Luther zufolge die Hoffnung für Jona in seiner Höllenerfahrung? Luther unterscheidet zwischen der natürlichen und der geistlichen Omnipräsenz Gottes. Dieser Unterscheidung zufolge können jene, die nichts von Gott wissen (wollen), sofern um sie herum kein Glaube herrscht, kein Wort Gottes gepredigt wird bzw. vorhanden ist, auch außerhalb von Gottes Gegenwart leben – was seine geistliche Gegenwart betrifft. Dahingegen ist Gott nach seiner natürlichen Gegenwart omnipräsent, selbst in der

 WA 19,221,13.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 61. Vgl. dazu auch Krummacher (s. Anm. 43), S. 469 f.  Steiger (s. Anm. 238), S. 67.  „Das er aber sagt ‘ynn dem bauch der hellen’, meynet er den bauch des fissches und nennet yhn ‘der hellen bauch’, nicht das der fissch die helle sey; Sondern der bauch ist yhm eben so viel gewest als die helle, Und Jona seyne helle drynnen hat, […] Denn er redet hie nicht, was der fissch sey, sondern wie yhm zu synn gewest sey ynn dem fissch, nemlich das yhn gedaucht hat, er fure hynuntern ynn die helle, da er dem fisch ynn den bauch fur, und wol mocht also sagen: Aus dem bauch meyner hellen odder aus dem der meyne helle war.“ WA 19,225,2– 5; 7– 11. Vgl. WA 19,224,30 – 225,11.  „Diese wollen wyr fur uns nemen, die nicht so schlaffen und doch tod sind und ym tod den tod und die hellen fulen, wilche wyr noch fur lebendig halten. Aber nach yhrem fulen zu rechnen (darnachs denn auch zu rechen ist und nicht nach unserm ansehen) sind sie tod und ist keyn leben mehr da.“ WA 19,221,28 – 222,1.  Vgl. WA 19,222,1 f.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

47

Hölle.²⁷³ Vor der geistlichen Allgegenwart Gottes versucht Jona zu fliehen, und doch gibt es vor der natürlichen Omnipräsenz kein Entkommen, keinen Ort, selbst die Hölle nicht, wo Gott nicht wäre (vgl. Ps 139,7 f.). Gott ist also sogar in der Hölle anwesend, wo er geistlich, also in Lob, Anrufung, Gottesdienst nicht zugegen ist.²⁷⁴ Dies ist für Jona zunächst eine schreckliche Erfahrung von Gottes Zorn und Gericht.²⁷⁵ Und doch bildet es die Grundlage, die Bedingung der Möglichkeit zur Rettung aus der gottverlassenen Höllensituation. Es erweisen sich die Macht des Glaubens und die Geltung der Verheißung gerade darin, dass Jona, der Betende, mit seinem Gebet die Logik der Hölle, nach der Gott hier eben nicht angerufen oder gar gelobt wird, durchkreuzt, und Gott so auch für sich und spirituell in diese Hölle bringt, sodass sie, per definitionem, nicht mehr Hölle ist.²⁷⁶ Luther rät zum Schreien und Klagen zu Gott. Wenn dies gelinge, so werde Besserung eintreten; Gott kann, so Luther, aus Güte und wegen seiner Verheißung nicht nicht helfen, wenn er angerufen werde²⁷⁷ – weil „auch die helle nicht helle were noch helle bliebe, wo man drynnen rieffe und schrye zu Gott“²⁷⁸. Solange der Mensch wie Jona zunächst in sich, in seiner Verzweiflung verharrt, bleibt er darin gefangen;²⁷⁹ den Fluchttunnel und Ausweg stellt nur das Sich-Wenden an bzw. zu Gott dar, in Form der Anrufung Gottes, mithin Hinwendung weg vom Selbst und der Verzweiflung zu Gott als Gegenüber, als Erlöser.²⁸⁰ Doch im Gegensatz zum Bangen und Verzweifeln fällt jener Schritt zum Anrufen Gottes selbst immens schwer. Dieser Weg aus der Hölle, den der betende Jona beschreitet, ist kein leichter: Luther beschreibt die Wiederhinwendung zu Gott durch dessen Zorn und Strafe hindurch als verletzenden Kampf, eine wahre Tortur.²⁸¹ Ein natürlicher Mensch kann sich nicht aus dieser Verzweiflung befreien, indem er eben zu dem Gott betet, dessen Zorn und Strafe er ja fühlt; nur der Glaubende vermag nach Luther – paradox bzw. kontrafaktisch – zu diesem seinem zornigen, strafenden Gott um Hilfe zu rufen, um der Hölle entkommen zu können. Der natürliche Mensch bzw. Sünder dagegen erträgt einen solchen Gott nicht, will in dieser Situation vielmehr Gott entkommen.²⁸² Dies kann wegen Gottes natürlicher Allgegenwart jedoch nie

         

Vgl. WA 19,197,18 – 30. Vgl. etwa WA 19,197,18 – 30. Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 66 f. Vgl. ebd., S. 67 f. Vgl. auch etwa WA 19,222,3 – 9. Vgl. WA 19,222,9 – 17. WA 19,222,16 f. Vgl. WA 19,228,23 – 31. Vgl. auch WA 19,228,32– 229,16. Vgl. WA 19,222,17– 24. Vgl. WA 19,224,8 – 29. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 238), S. 67. Vgl. etwa WA 19,222,31– 223,7. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 238), S. 67 f.

48

2 Martin Luther

gelingen und so bleiben ihm nur Verzweiflung und Hölle.²⁸³ Entsprechend der oben beschriebenen Methode zieht Luther Rückschlüsse von der irdischen Höllenzwickmühlensituation auf die ewigen Eschata: „[H]ie sihestu der hellen eyn gros stücke, wie es den sundern gehet nach diesem leben, Nemlich, das sie Gotts zorn fliehen und nymer mehr entfliehen und doch nicht zu yhm schreyen noch ruffen.“²⁸⁴ Doch die Christen sind in der Lage, jenen Teufelskreis durch Christus, den sie im Glauben ergreifen, zu überwinden. So wird, laut Steiger, aus der schrecklichen Omnipräsenz Gottes von Zorn und Gericht (omnipraesentia naturalis) eine Gottes(all)gegenwart von Hilfe und Gnade (omnipraesentia spiritualis), wobei das Gebet den Unterschied macht, d. h. von der einen Allgegenwartserfahrung in die andere führt.²⁸⁵ „Luther […] sieht in Jonas Gebet […] den entscheidenden Wendepunkt – den Punkt nämlich, an dem die Flucht des Propheten vor Gott in eine solche zu Gott umschlägt“²⁸⁶, wobei der Wechsel ins Gotteslob nochmals einen wichtigen Schritt im Prozess der Befreiung bedeutet.²⁸⁷ Während Jona zuvor wie gefangen war, beginnt er nun, durch den Glauben die Verzweiflung zu überwinden.²⁸⁸ Jona sieht nach Luther Gott nicht mehr als zornigen Richter, sondern als barmherzigen Vater. Er siegt so in diesem „Kampf des Glaubens gegen Gottes Zorn, Gericht und Strafe“²⁸⁹ im Gebet²⁹⁰. Eindrücklich schildert Luther den Sieg des Glaubens, der doch nicht Jonas eigenes Werk ist²⁹¹, durch den er aber Gott als barmherzig erkennen, befreit beten kann und erhört wird, sodass auch die Verderbensmächte überwunden werden

 Vgl. WA 19,222,3 – 5.  WA 19,223,5 – 7. Weiter heißt es: „Das ist auch der rechten stück eyns von der hellisschen pein, die nach diesem leben uber die gottlosen komen wird. Und sihest hie […] furgemalet, was die sunder nach diesem leben thun, dencken und machen, das da sey eytel tods angst und not, zittern und verzweyffeln ewiglich.“ WA 19,228,15 – 18.Von einer Trennung von Universal- und Individualwie auch präsentischer und futurischer Eschatologie bei Luther kann nicht die Rede sein: Diese sind in seinem Denken notwendig und notwendigerweise aufeinander bezogen.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 67.  Ebd.  Vgl. ebd., S. 67 f.  Vgl. WA 19,229,16 – 26.  Steiger (s. Anm. 238), S. 68.  Der Gedanke, dass der Beter Gott durch dessen Wort bzw.Verheißung ‚zwingen‘ kann, ihn zu erhören und ihm zu helfen (vgl. Mk 11,24), findet sich beispielsweise auch in WA 2,696,20 – 697,4 (Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben 1519).  Vgl. dazu etwa Johann Anselm Steiger: Kontrafaktizität und Kontrarationalität des Glaubens in der Theologie Martin Luthers. In: Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte. Hrsg.von Lutz Danneberg, Carlos Spoerhase und Dirk Werle.Wiesbaden 2009 (= Wolfenbütteler Forschungen 120), S. 223 – 237, hier S. 225.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

49

und Jona der zeitlichen und damit (in der Konsequenz) auch der ewigen Hölle entgeht: Zu erst gibt er gnade und geyst, das hertz auffzurichten, das es an gottes barmhertzickeit gedencke und lasse die gedancken vom zorn faren, wende sich von Gott dem richter zu Gott dem vater. Aber das ist nicht menschen krafft. Denn Jona spricht hie, seine seele habe bey yhm verzagt, zagen sey yhr krafft und werck gewest. Das er aber des herrn gedenckt und beginnet zu gleuben, das ist nicht seyner seelen werck; der geyst und sonst niemand kan an den herrn gedencken. Wenn aber das geschicht, das des herrn gedechtnis yns hertz kompt, da geht ein newe liecht auff, da blickt das leben widder her, da wird das hertz widderumb küne zu ruffen und zu bitten. […] Hie hat nu der tod, zorn, sund, helle und alles verderben ein ende und wird alles uberwunden und verschlungen durch den glauben auff gottes güte gegründet.²⁹²

Es zeigt sich, dass es nicht das fromme Subjekt selbst ist, welches das Gericht für sich entscheidet oder die Hölle überwindet.²⁹³ Jona partizipiert dabei, so Steiger, im Glauben an Gottes Allmacht und überwindet dessen Strafe, dessen Zorn, mithin Tod und Hölle.²⁹⁴ Im Gegensatz zu Hieronymus (347– 420) und anderen, deren Auslegung zufolge Jona durch seine Moralität bzw. eigenes Können „philosophische Reflexionen anzustellen“²⁹⁵ vermag²⁹⁶, ist der fliehende Prophet bei Luther nicht Subjekt des Siegens über die Hölle: „Die Kraft, aus der heraus Jona gegen Gott den Sieg behält, schreibt sich nicht von einer Fähigkeit des religiösen Subjektes als solchem her.“²⁹⁷ Jona kann nur gegen Gott siegen, weil Gott ihn an dessen Macht partizipieren lässt²⁹⁸, Jona spielt lediglich den Trumpf aus, dass Gott

 WA 19,229,29 – 230,2; 4– 6.  Ebeling konstatiert: „Glaube ist darum nicht ein Werk des Menschen an Gott, sondern das Werk Gottes am Menschen, nicht menschliche Tätigkeit, sondern reines Empfangen. Und der Grund dieses Glaubens ist Jesus Christus. Denn er ist das Wort Gottes, die Zusage Gottes in Person. In seiner Hingabe an die Liebe Gottes zur Welt bis hinein in die eigene Gottverlassenheit am Kreuz ist die Situation des Menschen vor Gott offenbar und verändert: daß im Gericht die vergebende Gnade, im Töten das Erwecken zu neuem Leben, im Nein das Ja verborgen erscheint.Von daher ist erst die Bewegung deutlich, die sich im Glauben vollzieht: die Flucht von Gott zu Gott, von der erdrückenden Forderung und dem vernichtenden Urteil des Gesetzes zu der befreienden Stimme des Evangeliums.“ Gerhard Ebeling: Lutherstudien. Bd. 1. Tübingen 1971, S. 305 f.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 68.  Ebd.  Vgl. ebd. sowie ebd., S. 68, Anm. 59.  Ebd., S. 68.  Vgl. ebd.

50

2 Martin Luther

sich in seiner promissio bzw. seinem Wort an die Zusage gebunden hat, zu erretten.²⁹⁹ Im weiteren Verlauf der Auslegung kommt Luther zudem nochmals auf die ewige, jenseitige Hölle nach dem Jüngsten Gericht zu sprechen. Jene werde ein Ort unsagbarer Pein sein, sich von allem Diesseitigen unterscheiden, alle menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Auch hier zeigt sich kein Desinteresse an den novissima, wohl aber Skepsis gegenüber Spekulationen und Höllenphantasien.³⁰⁰

2.6.2 Luthers Jona-Auslegung als Beispiel interkonfessioneller Austauschprozesse Luthers Auslegung des Jonabuchs darf als ein Beispiel für interkonfessionelle Austauschprozesse gelten. Austra Reinis³⁰¹ vertritt die Ansicht, dass der katholische Bischof Michael Helding (1506 – 1561), „vermittelt durch die Predigten von […] Johann Wild“³⁰² (1495 – 1554), in seiner Jona-Auslegung einige Gedanken aus Luthers Exegese des Textes von 1526 übernahm.³⁰³ Wilds Exegese des biblischen Buchs ist laut Reinis direkt von Luthers Auslegung abhängig.³⁰⁴ Helding lehnt eine Rechtfertigung sola fide ab³⁰⁵, charakterisiert aber Jona in ähnlicher Weise wie Luther als Sünder und exemplum fidei. ³⁰⁶ Reinis vermutet daher eine gewisse „continuity between Reformation- and Counter-Reformation exegesis“³⁰⁷. Luthers Auslegung unterscheidet sich, wie bereits gezeigt wurde, in einigen Punkten von derjenigen altkirchlicher Ausleger wie Hieronymus: Jona erlebt Lu Vgl. ebd., S. 68 f. Vgl. dazu auch Steiger (s. Anm. 291), S. 299 – 231. Zur Thematik der Versuchung (und ihrer Überwindung) in Luthers Theologie vgl. auch ders.: Art. Versuchung. III. Kirchengeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 35 (2003), S. 52– 64, hier S. 54– 58.  „Aber am jungsten tage wirds freylich eyn ander ding werden, Da eyn sonderlicher ort die helle seyn wird odder da die sein werden, die ynn der hellen odder ewigen zorn gotts so verdampt sind. Aber davon genug. Es ligt nicht gros dran, ob yemand hallte von der hellen, wie man malet und sagt. Es wird doch so und noch viel erger itzt sein und denne werden, wenn yemand sagen, malen odder dencken kan.“ WA 19,225,34– 226,5.  Vgl. Austra Reinis: „Such defiant, obstinate disobedience“: Martin Luther’s Jonah and Michael Helding’s Recatholization Effort in Merseburg. In: Archiv für Reformationsgeschichte 106 (2015), S. 156 – 183.  Ebd., S. 183. Wild gehörte ebenfalls der katholischen Konfession an. Zum Werdegang der beiden Geistlichen vgl. ebd., S. 158 f.  Vgl. etwa ebd., S. 157.  Vgl. ebd., S. 162 f. Einige Formulierungen sind auffällig ähnlich. Vgl. ebd., S. 167.  Vgl. ebd., S. 168 f.; 177.  Vgl. ebd., S. 157 f.; 169 f.; 183.  Ebd., S. 183.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

51

ther zufolge im großen Fisch nicht seine Rettung, sondern eine höllische Situation voller Verzweiflung und Schrecken. Luther beschreibt Jona als Sünder und sucht nicht nach Entschuldigungen für dessen Flucht vor Gott. Statt Jonas patientia bzw. „magnanimitas“³⁰⁸ zu loben, der im Leib des Wals ein Gebet formuliert, schildert Luther drastisch die Gottverlassenheit des kleinen Propheten im großen Fisch, die erst im Beten überwunden wird. Auch ist Jona in Luthers Exegese exemplum fidei. In diesen Punkten ist Luthers Auslegung innovativ.³⁰⁹ Diese Unterschiede bestehen laut Reinis grundsätzlich ebenfalls zwischen Luthers Exegese und einigen mittelalterlichen Auslegungen.³¹⁰ Während Wild und Helding Luthers Auslegung von Jon 3,10 nicht zu folgen vermögen³¹¹, wird Jona auch bei Helding als Sünder beschrieben, der vor Gott und Gottes Auftrag flieht. Helding ist aber im Gegensatz zu Luther nicht daran interessiert, hier einen Bruch mit der altkirchlichen Auslegung zu konstatieren.³¹² Wild übernimmt von Luther den Gedanken, dass auch ein Heiliger sündigt, was den Christen zu Hoffnung und Trost gereichen soll, wenn sie sündigen.³¹³ Allerdings verbindet Helding die Vergewisserung der Sündenvergebung mit der Aufforderung, sich von Schismatikern abzuwenden und der katholischen Kirche wieder anzuschließen, bzw. dem Trost, dies tun zu können.³¹⁴ Reinis zeigt, dass Wild und Helding gerade in der Auslegung von Jon 1,12 Luther folgen und sowohl Jonas Anfechtung durch Sünde, Tod und Gotteszorn, als auch die Bedeutung seines Glaubens für die Rettung hervorheben.³¹⁵ Allerdings sind Reinisʼ Ausführungen um einige Bemerkungen zu ergänzen. Es zeigt sich, dass Helding von Luther die

 Ebd., S. 166.  Vgl. ebd., S. 165 f.  Auch wenn etwa der Franziskaner Nikolaus von Lyra (ca. 1270 – 1349) Jona ebenfalls durchaus als Sünder charakterisieren kann. Vgl. ebd., S. 166 f.  Vgl. ebd., S. 174 f. Gleichwohl weiß Helding um die Debatte über die Relevanz guter Werke. Mitunter predigt er, erst der Glaube befähige zu guten Werken. Vgl. Michael Helding: IONAS PROPHETA. Etliche Christliche vnd nütze Predige auß dem Propheten Jona. Vnder denen Ein Christlicher Bericht auß Gottes wort/ von guten wercken/ zu disen zeiten nützlich zulesen. […]. Mainz 1558, fol. 75r–75v. Vgl. dazu auch Reinis (s. Anm. 301), S. 175 f. Andererseits hält Helding an den Beschlüssen des Konzils von Trient fest und lehnt nicht ab, dass neben dem Glauben die Werke zur Rechtfertigung notwendig sind. Daher bezeichnet Reinis Helding auch als „mediating theologian“. Ebd., S. 162. Vgl. dazu auch ebd., S. 180 f.  Zu Wilds Interpretation vgl. auch ebd., S. 169 f.  Vgl. ebd., S. 171. Vgl. Helding (s. Anm. 311), fol. 13v–15r. Insofern bereitet Helding m. E. hier bereits seine Exegese von Jon 3 vor, worin er die Relevanz von Bußwerken behandelt, vgl. auch Reinis (s. Anm. 301), S. 175. Vgl. etwa Helding (s. Anm. 311), fol. 72v–74r.  Vgl. Reinis (s. Anm. 301), S. 172. Vgl. etwa Helding (s. Anm. 311), fol. 17r.  Vgl. Reinis (s. Anm. 301), S. 172– 174. Vgl. etwa Helding (s. Anm. 311), fol. 28r–28v; 38r–38v u. ö.

52

2 Martin Luther

Unterscheidung von Gottes natürlicher und geistlicher Allgegenwart zunächst übernimmt.³¹⁶ Andererseits trägt Helding sehr wohl die Entschuldigung vor, Jona habe um das Heil der Israeliten gefürchtet, wenn Gott sich den Völkern zuwende³¹⁷, wenngleich Helding prinzipiell bei der Einschätzung bleibt, Jona sei als Sünder zu sehen. Der katholische Geistliche präsentiert Jona als einen vorbildlichen Büßenden und gibt dabei konkrete Beispiele für gute Taten, die der Beichte folgen, wie etwa Almosen oder Fasten.³¹⁸ Durchaus im Sinne seiner Konfession hält er dabei fest, „Bůßwercke seind den verdiensten Christi nit entgegen.“³¹⁹ Meines Erachtens konserviert Helding zudem anders als Luther den bereits bei Hieronymus begegnenden Gedanken, Jona habe „grosse gedult“³²⁰ an den Tag gelegt, wobei dies zunächst über die Ereignisse an Deck, dann jedoch auch über Jonas Haltung im Fisch ausgesagt wird.³²¹ Auch tendiert Helding mitunter dazu, die Erzählung stärker von deren Ausgang her zu lesen als Luther.³²² Der Wal wird auch bei Helding indes nicht schlicht als rettendes Gefährt verstanden.³²³ Überdies kann Helding Jonas Situation im Leib des Fisches als Erlebnis der Hölle bezeichnen, aus der derjenige, welcher sich nicht wie Jona – den Christen zum Vorbild – an Christus festklammert, auch in Ewigkeit nicht entkommen kann.³²⁴ Helding betont zwar, dass der Glaube an Christus Jona gerettet habe³²⁵, doch findet sich nicht die theologische Spitzenaussage wie bei Luther, der Beter könne Gott in die Hölle zitieren. Helding beschreibt Jona als Vorbild für die Christen, im Unglück zu Gott zu beten.³²⁶ Er gibt durchaus Beschreibungen der Schrecken im Bauch des Fisches, die stark an Luthers Auslegungen erinnern – allerdings entschärft der Katholik dies geradezu dadurch, dass er Ausführungen über Geduld im Leiden, Gottes Macht und Heilswillen folgen lässt.³²⁷

 Vgl. ebd., fol. 15v.  Vgl. ebd., fol. 15v–16r. „Diesen fall besorgt Jonas. Wann sich Gott anfieng vmb die Heiden anzůnemen/ so würde die zeit vorhanden sein/ das Gott seine Jsraeliten straffen vnd verlassen wolt.“ Ebd., fol. 16r. Vgl. auch ebd., fol. 44r.  Vgl. etwa ebd., fol. 40r.  Ebd., fol. 40v, marginal.  Ebd., fol. 41v.  Vgl. ebd., fol. 49r. Zur Zeit der alten Kirche bzw. im Mittelalter sowie im frühneuzeitlichen Katholizismus wurden Tugenden wie Geduld als Weg verstanden, die Anfechtung zu überwinden, vgl. dazu Steiger (s. Anm. 299), S. 52– 54; 59.  Vgl. Helding (s. Anm. 311), fol. 43r.  Vgl. etwa ebd., fol. 45v.  Vgl. etwa ebd., fol. 54v–55v u. ö.  Vgl. etwa ebd., fol. 46r; 48r.  Vgl. etwa ebd., fol. 51r–51v u. ö.  Vgl. etwa ebd., fol. 49v–50r.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

53

Helding rät angesichts des Jüngsten Gerichts, sich nur auf Christus – keinen anderen Mittler – zu verlassen, gleichwohl schildert er ihn als strengen Richter am Jüngsten Tag.³²⁸ Die Relevanz guter Werke werde sich, so der katholische Ausleger, im Letzten Gericht erweisen, wenn Christus diese vergelten oder ihre Abwesenheit strafen werde.³²⁹ Helding sollte Mitte des 16. Jahrhunderts die Gegenreformation bzw. Rekatholisierung in Merseburg³³⁰ vorantreiben. Die Stadt war nicht nur umschlossen von lutherischem Gebiet, es lebten auch zahlreiche Lutheraner darin.³³¹ Möglicherweise sollte eine Luthers Auslegung ähnliche Predigt einen Anknüpfungspunkt für Lutheraner darstellen, um diese für die Lehren des katholischen Geistlichen empfänglicher zu machen.³³² Insofern mag von einer strategischen Übernahme gesprochen werden.³³³ Reinis zufolge war es generell Heldings Absicht, die lutherischen Lehren zu widerlegen – oder aber als eigentlich katholisch darzustellen.³³⁴ Der Versuch der Rekatholisierung der Stadt scheiterte jedoch letztlich.³³⁵ Nichtsdestotrotz hat man es hier mit einem bemerkenswerten interkonfessionellen Austauschprozess zu tun.³³⁶

2.6.3 Der Richter erleidet als Gerichteter das Jüngste Gericht zugunsten der Christen Luthers Exegese des Jonabuchs enthält ferner ein Beispiel dafür, wie Luther den Gedanken entfaltet, dass Christus der an der Sünder statt gerichtete Richter ist,

 „[L]ast vns vor dem tag des Rachs die gnaden ansuchen/ last vns jetzund vnsern Herrn Jesum Christum als ein Mitler/ Fürsprecher vnd Versüner brauchen/ vnd vnsere sachen nit dahin gelangen lassen/ da wir jn als ein Gerechten Richter leiden müssen.“ Ebd., fol. 13v.  Vgl. Reinis (s. Anm. 301), S. 178 f. Vgl. Helding (s. Anm. 311), fol. 92v.  Zur Geschichte der Reformation in Merseburg bis zum Eintreffen Heldings vgl. Reinis (s. Anm. 301), S. 163 f.  Vgl. ebd., S. 156; 183.  Vgl. ebd., S. 156. Reinis spricht hier vom Ziel „to persuade“. Ebd. Zu Heldings Bemühungen, sich in die Denkweise der Lutheraner hineinzuversetzen, vgl. ebd., S. 157; 161.  Es sei dahingestellt, wie groß Heldings Wertschätzung für Luthers Auslegung an sich gewesen sein mag. Gleichwohl zeigt sich, dass nicht einfach von einer positiven Rezeption bzw. positiver Interkonfessionalität die Rede sein kann.  Diese eher subtile Strategie ist Reinis zufolge später von einer aggressiveren abgelöst worden. Vgl. ebd., S. 181.  Vgl. ebd., S. 157; 179 f.  Vgl. ebd., S. 182.

54

2 Martin Luther

der Gottes Jüngstes Gericht bereits erlitt.³³⁷ Im Lichte dieser Einsicht wird vollends verständlich, dass der Jüngste Tag der Parusie Christi Luther so lieb war, und dass er nun die Möglichkeit hatte, frei und heilsgewiss von den Werken im Endgericht zu sprechen. In der Auslegung zum dritten und vierten Kapitel des Jonabuchs finden sich typologische Aussagen Luthers über Jona, mit Hinweis auf Mt 12,39 f., wie bereits in der altkirchlichen Exegese.³³⁸ Die Innovation sieht Steiger in den christologischen Allusionen bzw. Parallelisierungen, zum Beispiel zur Passion Jesu.³³⁹ Jona opfert sich für die Schiffsleute wie Christus, der die fremde Sünde auf sich nimmt, um die Sünder gerecht zu machen.³⁴⁰ Dies stellt in Bezug auf die Fragestellung zur Rede vom Jüngsten Gericht bei Luther einen weiteren Höhepunkt der Jona-Auslegung dar: Jona verweist auf die Mitte der Schrift, Christus, welcher Tod, Gottes Zorn und Abwesenheit sowie die Hölle um willen der Sünde der Menschheit trägt. Christus erleidet am Kreuz nichts Geringeres als das Jüngste Gericht Gottes, transtemporal in die Mitte der Zeit verlegt und so die Mitte der Zeit aus dem Zeitstrahl erhebend. Am Kreuz ereignet sich ein „Zeitenbruch“³⁴¹. Das futurische Endgericht und die ausstehende Vollendung sind vom Kreuzesgeschehen her zu denken.³⁴² Somit hat das Jüngste Gericht bereits stattgefunden, dessen Ausgang ist vorweggenommen. Der Sohn Gottes erleidet es zugunsten der Glaubenden. Die Möglichkeit zu einem zweiten Ausgang des Gerichts, einem Ausgang zum Heil, wurde eröffnet, nämlich durch Christi Passion.³⁴³

 „[S]yntemal sie auff Christum vortrawen, unnd der richter umb yhrer erloßung willen kompt und yhrß teylls ist“. WA 10/I,2,110,32 f. Dieses Verständnis zeigt sich auch, wenn Luther Christus im Anschluss an Jes 63,3 als gekelterten Keltertreter beschreibt. Vgl. hierzu Franziska May: Golgatha – Christus in der Kelter. Zu Entwicklung und Rezeption eines Bildmotives. In: Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen. Berlin u. a. 2010 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 113), S. 129 – 159.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 74 und ebd., S. 74, Anm. 82 und 83. Darin ähnelt auch Heldings Auslegung der Exegese Luthers. Vgl. Helding (s. Anm. 311), fol. 51r. Helding nimmt dabei die Gerichtsthematik (vgl. Mt 12,41 f.) zum Anlass, auf die Notwendigkeit der Buße hinzuweisen. Vgl. auch ebd., fol. 57r–57v; 62v.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 74.  Vgl. ebd., S. 74 f.  Bayer (s. Anm. 67), S. 9.  Vgl. ebd.  Vgl. Steiger (s. Anm. 238), S. 75. Vgl. auch Ebeling (s. Anm. 293), S. 305 f.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

55

Steiger weist hierzu auch auf Luthers Auslegung von Ps 22 hin, „der zufolge Christus am Kreuz, das Jüngste Gericht an der Stelle der Menschen erleidend, den Zorn Gottes in der Seele gefühlt hat“³⁴⁴. Christus erfährt nach Luther am Kreuz völlige Gottverlassenheit.³⁴⁵ Dies erläutert der Reformator näher: Gott ist Leben, Seligkeit, alles Gute.Von Gott verlassen zu sein bedeutet für Christus, Tod, Sünde, Verzweiflung, Verdammnis, jedes Übel zu erfahren.³⁴⁶ Daraus folgert Luther, Christus sei an Karfreitag Sünder, Verlassener, Verdammter gewesen, da er diese Bestimmungen auf sich genommen habe. Die Verdammten auf Erden und im Eschaton vermögen es nicht, Gott zu loben, sie schmähen ihn vielmehr ob ihrer Verlassenheit und Verzweiflung. Den Glaubenden rät Luther, kontrafaktisch in der Verzweiflung Gott zu loben und gerade angesichts der Erfahrung von Gottverlassenheit und Höllenangst fest darauf zu vertrauen, dass Christus das verdammliche Gericht für die Seinen erlitten und entschieden hat.³⁴⁷ Auch in dieser Exegese des 22. Psalms findet sich die Aussage, Christus habe anstelle der und zugunsten der Gläubigen die Erfahrung ewiger Verdammnis im Gericht bereits vorweggenommen „und so die sündigen Menschen aus dem ihnen zugedachten verdammlichen [futurischen] Gericht genommen.“³⁴⁸ Steiger zeigt,  Steiger (s. Anm. 238), S. 76. Auch im Sermon von der Bereitung zum Sterben finden sich der Hinweis auf Mt 27,46 sowie die Aussage, dass Christus die ewige Hölle erlitten und für die Glaubenden diese Hölle besiegt hat. Und dies ist eben kein Vorgang im frommen Subjekt, sondern schlechterdings extra nos, von dem Ganz Anderen bewerkstelligt: „Drumb sich das hymelisch bild Christum an, der umb deynen willen gen hell gefaren und von gott ist vorlassen geweßen, alß eyner der vordampt sey ewiglich, da er sprach am Creutz: Eli, eli, lama asabthani, O meyn gott, o meyn gott, warumb hastu mich vorlassen? Sich, yn dem bild ist ubirwunden deyn helle und deyn ungewiß vorsehung gewiß gemacht, dan ßo du da mit alleyn dich bekummerst und das glaubst fur dich geschehn, ßo wirstu yn dem selben glauben behalten gewißlich. Drumb las dirs nur nit auß den augen nhemen und suche dich nur in Christo und nit yn dir, ßo wirstu dich ewiglich yn yhm finden.“ WA 2,690,17– 25. Hieraus folgert Luther, der Christ dürfe seines Heils gewiss sein (vgl. WA 2,690,10 – 25), sofern er ganz auf Christus vertraut und den Sohn Gottes im Glauben ergreift: „Er ist das hymelisch bild, der vorlassen von gott, alß eyn vordampter, und durch seyn aller mechtigist liebe die hell ubirwunden, bezeugt, das er der liebst sun sey und unß allen dasselb zu eygen geben, ßo wir alßo glauben.“ WA 2,691,18 – 21. Vgl. auch WA 2,691,12– 21.  Vgl. etwa WA 5,601,14– 25 (Operationes in Psalmos 1519 – 1521).Vgl. auch WA 5,605,34– 606,8 u. ö.  „Derelinqui ergo a deo est in morte, tenebris, stultitia, mendacio, peccato, malitia, infirmitate, tristitia, confusione, turbatione, desperatione, damnatione et in omnibus malis esse.“ WA 5,602,16 – 19.  Vgl. WA 5,611,20 – 39. Zu Luthers Erwähnung des göttlichen Gerichts in dieser Psalmauslegung vgl. etwa WA 5,620,37– 621,18.  Johann Anselm Steiger: Christus pictor. Der Gekreuzigte auf Golgatha als Bilder schaffendes Bild. Zur Entzifferung der Kreuzigungserzählung bei Luther und im barocken Luthertum sowie

56

2 Martin Luther

dass bei Luther die Heilstat Christi am Kreuz schlechterdings das „gedankliche Zentrum der Soteriologie“³⁴⁹ darstellt. Und von diesem Zentrum aus wird auch das Gericht über die Glaubenden gedacht.³⁵⁰ Christus trägt in seiner Passion die Sünde aller Sünder.³⁵¹ Anders als reformierte und katholische Theologen betonen Luther und seine Erben dabei das Leiden auch der göttlichen Natur in Christus.³⁵² Dieses Leiden ist die schlechthinnige Erfahrung von göttlichem Zorngericht, Tod und Verdammnis.³⁵³ Dies stellt eine Differenz zwischen den besagten Konfessionen dar.³⁵⁴ Und auch die daraus resultierende Zuversicht und Hoffnung für den Glaubenden, im Letzten Gericht zu den Erlösten gezählt zu werden³⁵⁵, teilen, wie Steiger zeigt, die Katholiken in dieser Form nicht.³⁵⁶ Insofern lässt sich meines Erachtens dieser „sowohl christologisch[e] als auch soteriologisch[e] Dissens“³⁵⁷ zwischen den Konfessionen auch als ein solcher bezeichnen, der hinsichtlich der Heilsgewissheit angesichts des Letzten Gerichts besteht. Gleichwohl lohnt es sich, hier nochmals zu differenzieren. Während nämlich etwa der katholische Theologe Robert Bellarmin (1542– 1621) in seinen dogmatischen Ausführungen diese lutherische Auffassung

deren medientheoretischen Implikationen. In: Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von dems. und Ulrich Heinen. Berlin u. a. 2010 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 113), S. 93 – 127, hier S. 93.  Ebd.  Vgl. ebd., S. 93 f. Dies gilt auch für Luthers Erben.Vgl. dazu etwa Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 59 – 62.  Vgl. etwa WA 5,598,23 – 599,2; 603,4– 22. Christus nimmt die Sünde der Menschen auf sich und imputiert den Sündern (welche Zorngericht und Verdammnis verdient hätten und durch eigene Werke nicht hätten abwenden können) seine Gerechtigkeit. Dabei gilt nach Luther, dass Christus die Sünde der Menschen mit allen Konsequenzen, d. h. auch ihrer letzten Gerichtsstrafe, trug. Vgl. WA 5,608,6 – 22. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 291), S. 229 f.  Vgl. Steiger (s. Anm. 348), S. 94 f. Der Tod eines Menschen hätte nach Luther die Sünde der Welt nicht kompensieren können. Vgl. ebd., S. 96 f. Vgl. WA 5,602,13 – 603,3. Vgl. auch Johann Anselm Steiger: Zorn Gottes, Leiden Christi und die Affekte der Passionsbetrachtung bei Luther und im Luthertum des 17. Jahrhunderts. In: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von dems. Bd. 1. Wiesbaden 2005 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 43), S. 179 – 201, hier S. 190 f. Die lutherische Heilsgewissheit gründet Steiger zufolge aber eben darin, dass auch die göttliche Natur in Christus gelitten hat. Vgl. ebd., S. 191. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 299), S. 54– 59.  Vgl. Steiger (s. Anm. 348), S. 98 – 100. Vgl. etwa WA 5,603,4– 22; 610,24– 28.  Vgl. Steiger (s. Anm. 348), S. 95; 100 f.  „Christum pro nobis factum esse peccatum, quod deserente deo, sine culpa, factus est similis per omnia novissimo peccatori, cui non nisi ira dei in conscientiam irrueret et in desperationem urgeret.“ WA 5,607,31– 33. Vgl. auch WA 5,607,25 – 33.  Vgl. Steiger (s. Anm. 348), S. 97 f.  Ebd., S. 98.

2.6 Luthers Jona-Auslegung

57

ablehnt³⁵⁸, schreibt er in erbaulicher Literatur durchaus, dass dank Christi Erleiden des Gerichts der Glaubende seiner Erlösung gewiss sein darf und Christus in der Passion die Hölle und die Sünden aller Menschen ge- bzw. ertragen hat, wenngleich er sich nicht auf die Sünden, welche nach der Passion erfolgten, bezieht.³⁵⁹ Durch die stärkere Akzentuierung der Heilsgewissheit im Luthertum sowie dadurch, dass Christus dort als derjenige verstanden wird, der das futurische Gericht der Glaubenden bereits erlitten und entschieden hat, wird jedoch keineswegs die Sünde des Einzelnen heruntergespielt. Vielmehr hat auch der Glaubende, wie die lutherischen Theologen betonen, zu erkennen, dass die eigene Sünde Ursache der Kreuzigung Christi ist.³⁶⁰ Während dies wiederum als Unterschied zwischen den Konfessionen bezeichnet werden darf, bleibt es gleichwohl lohnend, Luthers bzw. lutherische Eschatologie auch auf positive Interkonfessionalität hin zu befragen, wie schon Otto Hermann Pesch gezeigt hat.³⁶¹

 Vgl. etwa Steiger (s. Anm. 299), S. 59.  Vgl. Steiger (s. Anm. 352), S. 186 – 188.  Vgl. Steiger (s. Anm. 348), S. 101– 105. Der sündige Mensch will indes die Schuld von sich weisen, sich selbst ent-schuldigen, wie etwa Johann Klaj (1616 – 1656) beklagt, vgl. Steiger (s. Anm. 352), S. 198 – 201.  Vgl. zur besagten Differenz Steiger (s. Anm. 348), S. 101 f. Zugleich liegen hier die „Voraussetzungen dafür, daß der affectus fidei wachsen kann, der nicht nur in der Erkenntnis des Glaubenden besteht, daß Christus um Versöhnung der Menschen willen deren Sünden auf sich genommen hat, sondern sich zudem darin konkretisiert, daß sich der Mensch dieses Ereignis im Sinne des ‚pro me‘ aneignet.“ Ebd., S. 104. Vgl. dazu auch WA 5,606,9 – 28. Otto Hermann Pesch hatte sich nicht nur gegen eine rein konfessionell-abgrenzende Lesart von Luthers Rechtfertigungslehre ausgesprochen, sondern sich auch der Eschatologie Luthers gewidmet, welche, so Pesch, mit der Rechtfertigungslehre verbunden zu denken bzw. zu behandeln ist. Diese vergleicht Pesch mit Thomas‘ Lehren von den novissima. Sofern (neben Unterschieden) Vergleichbarkeit, ja sogar Übereinstimmungen zwischen Luthers und Thomas‘ Denken hinsichtlich Eschatologie (speziell auch der Gerichtsthematik) und Rechtfertigung bestehen, können sich für die römischkatholische und die lutherische Konfession entsprechende transkonfessionelle Perspektiven und positive Interkonfessionalität ergeben.Vgl.v. a. Otto Hermann Pesch: Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs. Mainz 1967 (= Walberberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie 4), bes. S. 354– 365; 823 – 839.Vgl. weiterhin ders.: Martin Luther, Thomas von Aquin und die reformatorische Kritik an der Scholastik. Zur Geschichte und Wirkgeschichte eines Mißverständnisses mit weltgeschichtlichen Folgen. Vorgelegt in der Sitzung vom 1. Juli 1994. In: Berichte aus den Sitzungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V., Hamburg 12 (1994), 3. Göttingen 1994. Sowie: Ders.: Gerechtfertigt aus Glauben. Luthers Frage an die Kirche. Freiburg im Breisgau u. a. 1982 (= Quaestiones Disputatae 97).

58

2 Martin Luther

2.7 Spezielle Anwendungsfälle Bereits bei Luthers Auslegung von Mt 25,31– 46 zeigte sich, dass Luther verschiedene Aspekte der Gerichtsthematik, hauptsächlich Drohung oder Trost, dem Anlass und den Adressaten entsprechend betonen kann. Die Einsicht, dass Christus das verdammliche Gericht für die Glaubenden erlitten hat, eröffnet die Möglichkeit, des Heils gewiss zu sein; aus dieser Heilsgewissheit und Freiheit von der ewigen Verdammnis heraus wird der Christenmensch frei zu Werken der Nächstenliebe. Somit ist es kein Widerspruch, wenn Luther im Gerichtskontext zu tätiger Barmherzigkeit mahnt. Dies zeigte sich etwa bereits in den Predigten über Mt 25 und Lk 16. Auch wenn eine Ausnahmesituation es erfordert, kann Luther sich mit Bezug auf das Jüngste Gericht ähnlich äußern. Der Reformator rät in der Schrift zur Frage, ob man vor dem Sterben fliehen möge, dass derjenige, der im (Extrem‐)Falle einer Epidemie Verantwortung für die erkrankten Mitmenschen wahrnehmen muss, weder das eigene Leben als absolutes höchstes Gut solle erhalten wollen, noch das Leben leichtsinnig und unnötig aufs Spiel setzen dürfe. Zentral sind in dieser Schrift die Mahnungen zu sozialer Verantwortung und zum Dienst am Nächsten.³⁶² Dabei argumentiert Luther unter anderem mit dem Theologumenon des Jüngsten Gerichts und bezieht sich etwa auf Mt 25,43.³⁶³ Jenen, die Hilfe unterlassen oder gar eine Notsituation ausnutzen, droht Luther auf drastische Weise mit der ewigen Verdammnis: So wird auch Christus am Juengsten tage sie verdammen als moerder, da er sprechen wird ‚Ich war kranck und yhr besuchtet mich nicht‘. So aber die sollen so geurteilet werden, die zu den armen und krancken nicht gehen und huelffe anbieten,Wie wils den gehen, die von yhn lauffen und lassen sie liegen wie die hunde und sewe? Ja wie wils denen gehen, die den armen noch dazu nemen was sie haben, und legen yhn alle plage an? Wie ytzt die Tyrannen thun mit den armen leuten, so das Euangelion an nemen, Aber las gehen, sie haben yhre urteil.³⁶⁴

So mahnt der Reformator zu tätiger Nächstenliebe, auch etwa in Form von Spenden.³⁶⁵

 Vgl. WA 23,338 – 379 (Ob man vor dem Sterben fliehen möge 1527).  Vgl. WA 23,345,14– 23.  WA 23,353,22– 29. Vgl. auch WA 23,353,14– 21.  Vgl. WA 23,353,30 – 33; 355,1– 8. Dort weist Luther auch auf das sogenannte Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22,37– 40) hin und betont, dass sich der Glaube auch in Form der Nächstenliebe äußern muss – und in dieser doppelten Gestalt im Jüngsten Gericht bewertet werden wird.

2.7 Spezielle Anwendungsfälle

59

Weiterhin nimmt Luther Bezug auf das Doppelgebot der Liebe und Mt 25,40, um mit der Rede vom Jüngsten Gericht die Dringlichkeit der Nächstenfürsorge einzuschärfen. Wer Christus dienen will, muss, so Luther, sich dessen geringsten Brüdern zuwenden, um im Letzten Gericht nicht zu den Verdammten gezählt zu werden.³⁶⁶ Die Schrift enthält auch Ausführungen über das Begräbnis sowie über Friedhöfe. Diese werden den Adressaten als Orte empfohlen, an denen durch Eindrücke aller Sinne die Letzten Dinge meditiert werden können.³⁶⁷ Luther beschreibt den Friedhof als Ort, darauff man mit andacht gehen und stehen kündte, den tod, das Jüngst gericht und aufferstehung zu betrachten und betten, also das der selbige ort gleich eine ehrliche, ja fast ein heilige stete were, das einer mit furcht und allen ehren drauff kundte wandeln, weil on zweifel etliche heiligen da liegen. Und daselbst umbher an den wenden kund man solche andechtig bilder und gemelde lassen malen.³⁶⁸

Am Ende der Schrift heißt es, der Teufel verbreite in den letzten Tagen dieser Welt „die rechte geistliche Pestilentz“³⁶⁹.³⁷⁰ Gemeint sind Spiritualisten sowie die Altgläubigen.³⁷¹ Hier wird die rechte lutherische Lehre entscheidend für das Bestehen im Jüngsten Gericht.³⁷² Besagte Einsicht, dass die Glaubenden mit Joh 5,24 ihres Heils gewiss sein dürfen, ermöglicht nun zudem, schlechthinnigen Trost zu spenden, wenn es der Anlass nötig macht. Ohne auf eigene Verdienste angewiesen zu sein darf der Glaubende darauf vertrauen, Tod und Jüngstes Gericht nicht fürchten zu müssen.

 Vgl. etwa WA 23,362,9 – 26.  Vgl. etwa WA 23,373,30 – 33; 375,1– 34.  WA 23,375,29 – 34. Der Friedhof stellt eine Art Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits dar und ermöglicht in besonderer Weise die Meditation der Eschata. Hier zeigt sich auch Luthers Wertschätzung des Mediums Bild, da der Reformator nicht nur empfiehlt, auf dem Friedhof das Jüngste Gericht zu imaginieren, sondern auch den Nutzen bildlicher Darstellungen hervorhebt. Zur Verbindung von Friedhof und novissima siehe auch unten Kapitel 6.4.  WA 23,377,21 f.  Vgl. etwa WA 23,377,21– 25.  „Unter dem Bapstum war er [= der Teufel] eitel fleisch, das auch Munch kappen musten heilig sein, nu wil er eitel geist sein, das auch Christus fleisch und wort sol nichts sein“. WA 23,377,26 – 28.  Vgl. etwa WA 23,377,20 – 33; 379,1– 6. Das rechte Verständnis des Abendmahls wird hierbei exemplarisch zum heilsentscheidenden Punkt.

60

2 Martin Luther

Solch ein spezieller Anlass zum Trost ist die Frage nach dem Schicksal der ungetauft verstorbenen Kinder.³⁷³ In einer Gelegenheitsschrift zu dem Thema von 1542 kommt Luther auf totgeborene bzw. gleich nach der Geburt (vor ihrer Taufe) verstorbene Kinder und die trauernden Mütter zu sprechen.³⁷⁴ Die Frage nach der Zukunft jener Kinder berührt die Thematik von Jüngstem Gericht und Hölle. Die christlichen Mütter, die nicht etwa ihr Kind absichtlich umkommen lassen, darf man, so Luther, mit begründeter Hoffnung trösten, dass ihre Kinder zur Seligkeit gelangen, obgleich sie gestorben sind, bevor sie die Taufe empfingen.³⁷⁵ Entscheidend ist der Glaube der Mütter, so Luther. Ihr sehnliches Verlangen nach dem Heil des Kindes sowie die Absicht, es taufen zu lassen, werden von Gott zur Kenntnis genommen, welcher das Kind gewisslich zur ewigen Seligkeit eingehen lässt.³⁷⁶ Die altgläubige Vorstellung eines limbus infantium ³⁷⁷ findet sich hingegen nicht. Der Glaube der Mutter wirkt stellvertretend für das Kind. In Mt 15,28 sieht Luther dies biblisch begründet.³⁷⁸ Zudem nennt er das im Glauben geschehende Beten „ein allmechtig gros ding“³⁷⁹, das Gott nicht überhören kann³⁸⁰ und die Kinder in der jenseitigen Welt selig werden lässt. Die Bedingung hierfür wiederum bildet Gottes promissio, an welche die Mütter sich halten dürfen³⁸¹: „Darumb sol man solche Kindlein, bey und uber welchen solch seufftzen, wündschen, Beten von den Christen oder gleubigen geschicht, nicht […] verdamnen […], Denn er [= Gott] wil sein verheissen und unser Gebet oder seufftzen, darauff gegründet, […] hoch und thewr gehalten haben.“³⁸² Deutlich ist, dass man es bei ungetauft gestorbenen Kindern, für welche Luther Hoffnung aufs Heil formuliert, mit Ausnahmefällen zu tun hat; Luther will keineswegs die Bedeutung der (Kinder‐)Taufe in Abrede stellen, sondern Trost spenden. Im Kontext der Thematik der Sterbebereitung³⁸³ zeigt sich, dass Luther den Ausgang des Gerichts zur Verdammnis nicht leugnet, wohl aber zum Zweck der

 Vgl. WA 53,205 – 208 (Ein Trost den Weibern, welchen es ungerade gegangen ist mit Kindergebären 1542). Vgl. dazu auch Schwambach (s. Anm. 73), S. 157.  Vgl. etwa WA 53,205,2– 24.  Vgl. etwa WA 53,205,2– 206,37.  Vgl. WA 53,206,1– 12. Luther formuliert dies hier als Hoffnung.  Vgl. dazu etwa Beißer (s. Anm. 23), S. 67.  Vgl. WA 53,207,12– 208,7.  WA 53,206,15.  Vgl. WA 53,206,16 – 18; 206,38 – 207,11.  Vgl. bes. WA 53,206,38 – 207,3.  WA 53,207,18 – 20; 22– 24.  Vgl. WA 2,685 – 697. Vgl. zu Luthers Sermon von der Bereitung zum Sterben auch etwa Grosse (s. Anm. 46), S. 303 f.; 312; 314. Vgl. auch Steiger: Donnerwort (s. Anm. 48), S. 9 f. Vgl. zur Thematik des Sterbens bei Luther auch Beißer (s. Anm. 23), S. 60 – 68.

2.7 Spezielle Anwendungsfälle

61

cura animarum die Christenmenschen warnt, sich nicht einer solchen Betrachtung der Letzten Dinge zu befleißigen, die in ständigem Zweifel darüber besteht, welches Urteil im Jüngsten Gericht gesprochen werden wird. Vielmehr rät der Reformator dazu, in der Auseinandersetzung mit Tod, Gericht und Hölle auf die Heilstat Christi und die wirkmächtige Verheißung Gottes zu vertrauen. So wird das ewige Heil dem Glaubenden zur einzigen Perspektive. Luther mahnt zur Auseinandersetzung mit den novissima zur rechten Zeit (antizyklisch³⁸⁴) und ermutigt die Adressaten, angesichts der Letzten Dinge – selbst der Hölle – nicht zu verzweifeln oder in Panik zu geraten.³⁸⁵ Luther warnt zudem mit Bezug auf Gen 3,5, man solle nicht darüber spekulieren, welches Urteil im Jüngsten Gericht gesprochen werde. Dies ist kein Widerspruch zur zuvor beschriebenen Heilsgewissheit für die Glaubenden, sondern ein seelsorgerlicher Ratschlag in der Absicht, dass die Adressaten nicht am Gedanken, ob sie möglicherweise verdammt sein könnten, in ‚höllische Verzweiflung‘ verfallen, mithin einen Zorn gegen Gott entwickeln und folglich verdammt werden mögen. Zwar steht für Luther außer Frage, dass „vil Heyden, Juden, Christen kinder vorloren werden“³⁸⁶, doch rät er dazu, den Blick gerade nicht auf die Möglichkeit der Verdammnis zu fokussieren, sondern allein Christi heilvollen Tod zu betrachten, durch den die Verderbensmächte überwunden und die Hölle für den Glaubenden zur unmöglichen Möglichkeit gemacht wurde, um so in dieser Anfechtung zu bestehen.³⁸⁷ „Wer hie gewinnet, der hat die hel, sund, todt auff einem hauffen ubirwunden.“³⁸⁸ Wer im Glauben bleibt, ist auf der sicheren Seite und wird am Jüngsten Tage zur ewigen Seligkeit eingehen.³⁸⁹ Grund dieses Glaubens ist das feste Vertrauen darauf, dass Christus seine promissio wahr machen kann und wird: „Was were das fur eyn seligmacher odder gott, der unß nit mocht odder wolt vom tod, sund, hell selig machenn? Es muß groß seyn, was der rechte gott zusagt und wirckt.“³⁹⁰ Auch in Leichenpredigten³⁹¹ schließlich ist es Luther in besonderer Weise darum zu tun, die Adressaten zu trösten. In den beiden Leichenpredigten zu

 Im Leben gilt es, sich mit Gericht und Hölle zu befassen und Buße zu tun, im Sterben jedoch ist allein auf Christus zu vertrauen, so Luther.Vgl. dazu auch Grosse (s. Anm. 46), S. 314 und Beißer (s. Anm. 23), S. 62– 64.  Vgl. WA 2,686,31– 687,36.  WA 2,688,16 f.  Vgl. WA 2,688,1– 689,23; 697,14– 30.  WA 2,688,21 f.  Vgl. etwa WA 2,690,26 – 32.  WA 2,693,31– 33.  Zur Gattung der Leichenpredigt vgl. einleitend etwa Rudolf Lenz: Art. Leichenpredigt. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 20 (1990), S. 665 – 669. Der Autor äußert sich m. E. jedoch mitunter zu polemisch und unterschätzt die Kunstfertigkeit der Prediger der Barockzeit.

62

2 Martin Luther

Ehren des verstorbenen Kurfürsten Johann von Sachsen (Johann der Beständige, 1468 – 1532) von 1532³⁹² zeigt sich deutlich, dass der Aspekt des Trosts im Vordergrund steht. Zwar werden die Lebenden angesichts ihrer Sterblichkeit einmal zur Buße aufgerufen, doch droht Luther sogar in diesem Zusammenhang nicht etwa mit den Schrecken der Hölle, sondern motiviert die Adressaten mit dem Anreiz, selig zu sterben wie der Kurfürst.³⁹³ Luther rät den Lebenden, der Trauer in rechtem Maße Raum zu geben.³⁹⁴ Gleichwohl haben, so Luther, die Christen den Heiden einen entscheidenden Trost voraus, nämlich, dass die Glaubenden zum ewigen Leben erweckt werden.³⁹⁵ Christi Tod hat den Tod der Christen zu einem Schlaf gemacht; darum ist es nach Luther entscheidend, den Schritt von der Betrachtung des eigenen Todes oder des Todes eines geliebten Menschen hin zur Betrachtung von Christi Tod, der „alle andere tod gefressen ha[t]“³⁹⁶, zu vollziehen. Angesichts der Letzten Dinge ist es des Christen einzige, aber gewisse Hoffnung, sich an Christi Passion und Auferstehung zu klammern.³⁹⁷ Eine Drohung mit dem Gericht findet sich hier nicht. Der Hinweis auf Menschen, die nicht im Glauben an Christus sterben und nicht zur ewigen Seligkeit gelangen, dient geradezu der Verstärkung des Trostes, indem Luther diese Gruppe von den Adressaten deutlich unterscheidet und die Hoffnung auf das ewige Leben durch die Negation des Gegenteils (zum ewigen Leben, nicht zur Verdammnis) nochmals betont.³⁹⁸ Der Verstorbene ist vor allem darum zu loben, dass er bis zu seinem Tod am Bekenntnis zu Christi Auferstehung festgehalten hat und darin den Glaubenden ein Vorbild ist.³⁹⁹ Mit dem Gedanken eines verdammlichen Jüngsten Gerichts, in dem nur die eigenen Verdienste zählen, versucht der Teufel, so Luther, die Sterbenden in die Verzweiflung zu treiben.⁴⁰⁰ Am Beispiel des Kurfürsten ist zu lernen, in rechtem Vertrauen auf Christus solchen Todeskampf nicht führen zu müssen. Es gilt, sich

 Vgl. WA 36,237– 254 und WA 36,255 – 270 (Zwo Predigten über der Leiche des Kurfürsten Herzog Johann zu Sachsen 1532).  Vgl. WA 36,254,21– 34. Vgl. schon WA 36,237,11– 27.  Vgl. WA 36,237,28 – 32; 238,14– 34; 239,13 – 31.  Vgl. WA 36,240,17– 28; 250,18 – 30; 255,15 – 31; 256,15 f. Als zentralen Text für die Auferstehungshoffnung zieht Luther auch 1Kor 15 heran. Vgl. etwa WA 36,243,12– 27.  WA 36,242,21.  Vgl. WA 36,240,29 – 38; 241,12– 31.  Vgl. WA 36,243,24– 29; 251,26 – 36; 252,12.  Vgl. WA 36,246,11– 27.  Vgl. WA 36,247,21– 28.

2.7 Spezielle Anwendungsfälle

63

an die (fremde) Gerechtigkeit Christi zu halten, um sich nicht auf eigene gute Werke verlassen zu müssen⁴⁰¹: Da lauff ich denn und ergreiff den artikel der vergebung der sunde durch Jhesum Christum, der für meine sunde gestorben und widder aufferstanden ist, Den wil er schlecht nicht jns hertz lassen, Das aber gehet jns hertz, das ich dis gethan und jhenes nicht gethan habe, Hab almosen geben, bin from gewest etc. Wie ich auch sagen kan von unserm lieben Fürsten, das er ein trew from hertz gehabt hat on alle gifft und neid, Aber bey leib hute dich da für, das man dirs am tod bett nicht ein bilde, Denn der teuffel ist nicht weit da von, der kan dir ein kleine sunde für rücken, die solche schöne tugent alle zu nicht macht, das man doch endlich da hin komen und sagen mus: Teuffel, sey so zornig du jmmer wilt, Jch rhüme meine gute werck und tugent gar nichts für unserm Herr Gott, wil auch meiner sunde halben nicht verzweiveln, Sondern tröste mich da mit, das Jhesus Christus gestorben und widder aufferstanden ist⁴⁰².

Auch hier erweist sich die Predigt also als höchst tröstlich. Luther kommt explizit darauf zu sprechen, dass Sünder zu erschrecken und an die Relevanz guter Werke zu erinnern durchaus vonnöten sein kann – allerdings eben gerade nicht in Zeiten, in denen der mit den Letzten Dingen konfrontierte Christenmensch des Trostes bedürftig ist.⁴⁰³ Die Rede vom Jüngsten Gericht muss Adressaten und Anlass entsprechen. Auch in der zweiten Predigt wird den Christen nie mit dem Jüngsten Gericht gedroht, auch hier steht die Absicht zu trösten schlechterdings im Vordergrund. Das Letzte Gericht wird gar zu einer Hoffnung, wenn es beispielsweise heißt, der Teufel, welcher der Christen Tod und Verdammnis erstrebt, werde dafür mit ewigen Höllenstrafen belegt.⁴⁰⁴ Statt ein Gerichtsszenario zu entwerfen, das die verstorbenen Christen erwartet, betont Luther hier ganz die heilvolle Zukunft der Glaubenden⁴⁰⁵, etwa mit 1Thess 4,15 – 18 ihre Auferstehung in Herrlichkeit⁴⁰⁶ und ihr neues Sein zum Lobe Gottes⁴⁰⁷.

 Vgl. etwa WA 36,249,15 – 24. Die sprachlichen Bilder unterstreichen den Trost-Charakter des Textes zusätzlich. In der zweiten Predigt verbindet Luther zudem die Rede von den eigenen Werken mit Polemik gegenüber den Altgläubigen, vgl. WA 36,260,35 – 38; 261,11– 19.  WA 36,251,26 – 36; 252,11 f.  Vgl. etwa WA 36,252,19 – 30. Den Tod beschreibt Luther hier wie einen traumlosen Schlaf.Vgl. WA 36,252,31– 33; 253,13. Siehe dazu auch oben Anm. 192.  Vgl. WA 36,261,25 – 31.  Vgl. WA 36,260,21– 34. Vgl. zu dieser Beschreibung der Seligkeit nach dem Tod auch etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 348.  Vgl. WA 36,261,32– 37; 262,15 f.; 266,36 – 41; 267,10 – 17; 267,17– 37. Dabei bezieht sich Luther auch auf 1Kor 15. Vgl. etwa WA 36,264,13 – 23. Lebende und Auferstandene erleben Christi Parusie Luther zufolge zugleich, nicht nacheinander. Vgl. WA 36,255,22– 35.  Vgl. WA 36,269,18 – 27.

64

2 Martin Luther

Anhand der Erzählung von Kain und Abel erweist Luther, dass Gott sich der Gestorbenen annimmt. Dieses biblische Beispiel eignet sich in besonderer Weise, um zwei Aspekte in Erinnerung zu rufen, die auch im Zusammenhang der Gerichtsthematik wichtig sind: Gott vergisst nach Luther die Toten bzw. die Opfer von Gewalt und Verbrechen (wie Abel!) nicht, sondern gedenkt ihrer; und die Täter werden zur Rechenschaft gezogen.⁴⁰⁸

2.8 Zusammenfassung Die Einsicht, dass Christus am Kreuz die Zeitlogik durchbrechend das Jüngste Gericht für die Sünder stellvertretend bereits erlitten hat, ermöglicht es Luther, den Jüngsten Tag freudig zu ersehnen. Der Verweis auf Christi heilvolle Passion findet sich wie auch Luthers Anleitung zur Überwindung der innerzeitlichen Höllenerfahrung exemplarisch in Luthers Jona-Auslegung, welche zugleich Bezugspunkt interkonfessionellen Austausches ist: Der mit der Rekatholisierung Merseburgs betraute Bischof Michael Helding rezipiert in seiner Exegese des Jonabuchs Teile von Luthers Auslegung – möglicherweise um willen der Kommunikation mit seinen mit Luthers Gedanken vertrauten Adressaten – und stellt darin Jona (wie Luther) als Sünder dar, welcher durch den Glauben an Christus gerettet wird. Gleichwohl folgt Helding Luther nicht in allen Punkten. Der Richter, der zum Endgericht wiederkehrt, ist Luther zufolge der Gerichtete. Während den Ungläubigen und falschen Christen die Parusie Christi ein Tag des Zorns und Schreckens werden wird, dürfen sich die Glaubenden nach ihrem Erlösungstag sehnen und ihres Heils gewiss sein. Gerade in Fällen, in denen die Menschen speziellen Trost benötigen, kann Luther die frohe Zuversicht und Gewissheit der Christen, nicht in das verdammliche Gericht zu kommen, betonen. Diese Zuversicht, resultierend aus dem Glauben an Christi Heilstat, stellt allerdings auch die Bedingung der Möglichkeit dar, die Relevanz guter Werke, die dem Glauben notwendig folgen, im futurischen Gericht, welches Luther keineswegs negiert, hervorzuheben. Der Reformator wahrt den Gerichtsernst und ermahnt mit deutlichen Worten die Christen zu tätiger Nächstenliebe, die sogar die Form finanzieller Unterstützung der Kirche annehmen kann. Durch Werke der Barmherzigkeit wird nach Mt 25,40 nicht nur dem Bedürftigen Gutes getan, sondern auch Christus. In diesem Kontext kann Luther gar von geistlichem Wucher mit Gott sprechen. Derjenige, welcher aus dem Glauben heraus dem Armen hilft, leiht Gott (vgl. Spr 19,17) und darf auf Belohnung hoffen, die Gott ihm gnädig gewähren

 Vgl. WA 36,259,23 – 39; 260,16 – 20.

2.8 Zusammenfassung

65

wird. Luther wahrt das ‚eschatologische Plus‘, das die ausstehende Vollendung bringt, statt es zugunsten einer rein in die Gegenwart verlagerten, nur intrasubjektiven Vorstellung vom Gericht aufzugeben. Ebenso real wie die ewige Hölle ist dabei jene zeitliche, die ohne Errettung durch Gott zur ewigen Verdammnis führt.

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung 3.1 Einleitung Die Aussage, dass Christus zum Gericht über Lebende und Tote zurückkehren wird, darf grundsätzlich als transkonfessionell gelten. Sie findet sich in Bekenntnisschriften der lutherischen sowie der reformierten Kirche und auch die Altgläubigen bzw. die Katholiken teilen diese Auffassung⁴⁰⁹. Luther hatte in seinem in der Abendmahlsschrift von 1528 enthaltenen Glaubensbekenntnis die Lehre verworfen, dass alle Menschen und sogar die Teufel nicht ewiglich verdammt werden, sondern schließlich zur Seligkeit gelangen werden.⁴¹⁰ Die Ablehnung einer solchen sogenannten Allversöhnungslehre findet sich auch im siebzehnten Artikel der Confessio Augustana. Den (sich ausbildenden) Konfessionen ist diese Negation ebenfalls gemeinsam.⁴¹¹ Dass die Reformatoren bzw. Protestanten die Vorstellung einer restlosen Erlösung deutlich zurückwiesen, mag ferner als Versuch verstanden werden, sich von radikal-spiritualistischen Individuen oder Gruppen, die mit einer Allversöhnungslehre in Verbindung gebracht wurden, zu distanzieren. Allversöhnung kann beschrieben werden als theologische Konzeption, der zufolge letztendlich kein verewigter Dualismus von Himmel und Hölle besteht, sondern eine endliche Erlösung aller Menschen und gegebenenfalls auch des Teufels eintreten wird.⁴¹² Im Anschluss an Apg 3,21 wird diese Konzeption auch Apokatastasis panton (Wiederbringung aller Dinge) genannt. Der Kirchenvater Origenes (ca. 185 – 254) wird zur Zeit der Reformation sowie zur Zeit der Konfessionalisierung immer wieder mit einer solchen Allversöhnungslehre in Verbindung gebracht.⁴¹³ Im Jahr 553 erklärte das 2. Konzil zu Konstantinopel dieses

 Vgl. dazu etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 3. Zur Eschatologie der Altgläubigen bis zum Konzil von Trient vgl. etwa ebd., S. 3 – 24. Auf dem tridentinischen Konzil wurde festgehalten, dass „[d]ie guten Werke […] Verdienste (merita) des Menschen [sind], die im Endgericht entscheidend sind“. Merkel (s. Anm. 23), S. 492.  Siehe dazu oben S. 21.  Vgl. Rosenau (s. Anm. 68), Sp. 322.  Allversöhnung, Allerlösung und Apokatastasis (panton) werden hier synonym verwendet. Für einen Überblick über die Entwicklung der Apokatastasis-Lehre vgl. etwa Ortner (s. Anm. 22), S. 295 – 299; 300 – 307; 314– 320; 337– 340 u. ö. Zur sogenannten Misericordialehre vgl. ebd., S. 308 – 310.  Zu Origenes‘ Konzeption (sowie zu Augustins Kritik an Origenes Lehre) vgl. Breuer (s. Anm. 65), S. 419 f. Vgl. auch Ortner (s. Anm. 22), S. 211 f.; 320 – 330.

3.1 Einleitung

67

Theologumenon zur Häresie.⁴¹⁴ Im Mittelalter vertrat Johannes Scotus Eriugena (815 – 877) eine Art Apokatastasis-Lehre.⁴¹⁵ Den Reformatoren galt die Vorstellung einer letztlichen Erlösung aller Menschen und Teufel als Teil der Theologie der Täufer bzw. radikaler Nonkonformisten wie Hans Denck (ca. 1500 – 1527). Generell sind verschiedene Modelle einer Allversöhnungslehre denkbar. So kann etwa die Ewigkeit der Höllenstrafe geleugnet werden. Über den Glauben daran, dass alle Menschen zur Seligkeit gelangen, hinaus kann zudem davon ausgegangen werden, dass selbst der Teufel erlöst würde. Zu unterscheiden von einer Allversöhnungslehre ist zudem die Annahme einer annihilatio der Verdammten, der zufolge die Bösen letztlich vernichtet, also weder selig noch ewig gequält werden. Eine solche Auffassung vertrat etwa der Sozinianer Ernst Soner.⁴¹⁶ Die rationalistischen Einwände der Sozinianer gegen die Vorstellung der Ewigkeit der Hölle wiesen Theologen konfessionsübergreifend scharf zurück. Allversöhnungskonzeptionen sind überdies nicht zu verwechseln mit der Annahme, dass Gottes Heilswille prinzipiell allen Menschen gilt⁴¹⁷, es also etwa keine ewige Erwählung zur Verdammnis gibt, und dass durch Christi Heilstat allen Menschen die Möglichkeit, zur Seligkeit zu gelangen, eröffnet ist, welcher der beständig unbußfertige Sünder jedoch wieder verlustig gehen kann. Weiterhin lässt sich zeigen, dass die (Fremd‐)Beschreibung, die Täufer würden an die endliche Erlösung aller Menschen statt eines doppelten Ausgangs des Letzten Gerichts glauben, verallgemeinert ist. Da die Aussagen Dritter polemische Überspitzungen enthalten können, ist es vonnöten, mögliche Vertreter einer Allversöhnungslehre wie etwa Hans Denck und ihre Schriften differenziert zu betrachten. Offen tritt eine Allversöhnungslehre im späten 17. Jahrhundert etwa bei Johanna Eleonora Petersen zutage, die dem radikalen Pietismus zuzurechnen ist.

 Vgl. zur Allversöhnungslehre (sowie zur sogenannten annihilatio-Konzeption) etwa Reinhard Hempelmann: Stichwort Allversöhnung – doppelter Ausgang des Gerichts – Annihilation. In: Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 78 (2015), 4, S. 155 – 159.  Vgl. Rosenau (s. Anm. 68), Sp. 322. Zu weiteren frühen Vertretern dieser Lehre vgl. etwa Breuer (s. Anm. 65), S. 420.  Vgl. Rosenau (s. Anm. 68), Sp. 322.  Von dieser Hoffnung könnte auch das Epitaph des Breslauer Theologen Lucas Pollio d. Ä. (1536 – 1583) zeugen: Dargestellt ist hier die Auferstehung der Toten am Jüngsten Tage, allerdings finden sich keine Verdammten, sondern es sind lediglich diejenigen zu sehen, welche in den Himmel eingehen dürfen. Vgl. Jan Harasimowicz: Schwärmergeist und Freiheitsdenken. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Matthias Noller und Magdalena Poradzisz-Cincio. Köln u. a. 2010 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 21), S. 221, Abb. 42.

68

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

3.2 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung 3.2.1 Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche Die Bekenntnisbildung⁴¹⁸ ist ein wichtiger Schritt im Prozess von Reformation und konfessioneller Konsolidierung⁴¹⁹. Teil der Bekenntnisse der Anhänger Luthers ist die Zustimmung zum Glaubensartikel der Parusie Christi zum Gericht am Jüngsten Tage. Nicht gegenüber den Altgläubigen, sondern gegenüber Vertretern einer Allversöhnungslehre grenzt man sich scharf ab und hält an der Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen fest. Im Konkordienbuch von 1580⁴²⁰, das die maßgebliche Sammlung lutherischer Bekenntnisse darstellt, sind zunächst die drei zentralen altkirchlichen Symbola (Apostolicum, Nicaenum, Athanasianum) enthalten, welche auch für die Altgläubigen bzw. Katholiken grundlegend sind. Diese gemeinsame Tradition verbindet Reformatoren und Altgläubige bzw. Lutheraner und Katholiken und zeigt „die fundamentale Kontinuität der Reformation mit der Alten Kirche“⁴²¹. Der zweite Artikel des Apostolicums enthält die Aussage, dass Christus wiederkehren und die Lebenden und die Toten richten wird.⁴²² Nähere Ausführun Zum Bekenntnis(begriff) vgl. etwa Horst Georg Pöhlmann: Sinn und Zweck von kirchlichen Bekenntnissen. In: Ders., Torleiv Austad und Friedhelm Krüger: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften. Gütersloh 1996, S. 25 – 30. Vgl. zu den lutherischen Bekenntnisschriften einleitend auch Irene Dingel: Einleitung zu den Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von ders. Göttingen 2014, S. 3 – 5.  Man denke nur an die Herleitung des Begriffs Konfession vom lateinischen Begriff confessio – Bekenntnis. Barbara Stollberg-Rilinger weist darauf hin, dass eine Konfession nur idealtypisch eine homogene Größe darstellt, vgl. Stollberg-Rilinger (s. Anm. 50), S. 197.  Zu den Bekenntnistexten des Konkordienbuchs vgl. etwa Friedhelm Krüger: Aufbau, Ziel und Eigenart der einzelnen Bekenntnisse des Konkordienbuches.Versuch eines Gesamtüberblicks. In: Horst Georg Pöhlmann, Torleiv Austad und ders.: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften. Gütersloh 1996, S. 11– 24.  Ebd., S. 11. Vgl. auch ebd., S. 11 f.; 15. Das Konkordienbuch selbst soll auch dem Zweck dienen, im Jüngsten Gericht von der rechten Lehre Rechenschaft ablegen zu können, vgl. Pöhlmann (s. Anm. 418), S. 25 und Krüger (s. Anm. 227), S. 188.  „[Christus] sedet ad dexteram dei patris omnipotentis, inde venturus est iudicare vivos et mortuos.“ BSELK 42,21– 24 (Apostolicum). Zur Rede von Auferstehung der Toten und ewigem Leben vgl. BSELK 43,1– 5. Auch etwa Irenäus von Lyon (ca. 135–ca. 200) erwähnt (wenngleich deutlich ausführlicher) in seiner sogenannten regula fidei unter anderem „die leibliche Aufnahme des geliebten Christus Jesus, unseres Herrn, in die Himmel und seine Wiederkunft aus den Himmeln in der Herrlichkeit des Vaters, um alles zusammenzufassen und alles Fleisch der gesamten Menschheit auferstehen zu lassen, auf dass vor Christus Jesus, unserm Herrn und Gott, Heiland und König, nach dem Wohlgefallen des unsichtbaren Vaters jedes Knie der himmlischen,

3.2 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung

69

gen, etwa über eine Scheidung der Menschen, ewige Höllenstrafen der Verdammten oder dergleichen, folgen hier nicht. Im Nicäno-Konstantinopolitanum ist ebenfalls davon die Rede, dass Christus zum Richten über Lebende und Tote kommen werde.⁴²³ Zusätzlich enthält es entsprechend Mt 25,31 die Formulierung, der Sohn Gottes werde in seiner zweiten Zukunft (im Gegensatz zur ersten!) „mit Herrlichkeit“⁴²⁴ erscheinen. Das einst Athanasius von Alexandria (ca. 300 – 373) zugeschriebene sogenannte Athanasianum ⁴²⁵ schließlich enthält eine Formulierung mit weiteren Details: Christus „sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Todten, und seiner Zukunft müssen alle Menschen auferstehen mit ihren eigenen Leiben, und müssen Rechenschaft geben, was sie gethan haben. Und welche gutes gethan haben, werden ins ewige Leben gehen; welche aber böses gethan, ins ewige Feur.“⁴²⁶ Die Aussage über die Rechenschaftspflicht jedes Menschen im Gericht geht zurück auf Mt 12,36. Gerichtet wird über den ganzen Menschen mit seinem Leib, nicht nur über die Seele allein. Zu den bekannten Glaubenssätzen zählen weiterhin der sogenannte doppelte Ausgang des Gerichts sowie die himmlische Seligkeit im Gegenüber zur höllischen Verdammnis. Zentral für die genuin lutherischen Bekenntnisse ist der Text der Confessio Augustana (CA), die 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg als Zusammenstellung der reformatorischen Lehren Wittenberger Provenienz präsentiert wurde.⁴²⁷

irdischen und unterirdischen [Mächte] sich beuge und jede Zunge ihn preise und er gerechtes Gericht halte über alle: die Geister der Bosheit und Engel, die [sein Gebot] übertraten, sowie die abtrünnig Gewordenen, Gottlosen und Ungerechten, Gesetzlosen und Gotteslästerer unter den Menschen überantwortet er dem ewigen Feuer; den Gerechten und Frommen hingegen, denen, die seine Gebote hielten und in seiner Liebe verharrten, ob von Anfang an oder seit ihrer Umkehr, schenkt er Leben und Unvergänglichkeit und umfängt sie mit ewiger Herrlichkeit.“ BSELK QuM 1, 10,22– 11,11 (Adversus haereses I,10,1).  Vgl. BSELK 49 f. (Nicäno-Konstantinopolitanum).  BSELK 49,26. In der lateinischen Fassung heißt es hier „in gloria“. BSELK 49,25.  Vgl. dazu einleitend Adolf Martin Ritter: Das Athanasianum. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 51– 56.  BSELK 60,14– 24 (Athanasianum). Die lateinische Fassung lautet: „[Christus] sedet ad dexteram dei patris omnipotentis, inde venturus est iudicare vivos et mortuos. Ad cuius adventum omnes homines resurgere habent cum corporibus suis; et reddituri sunt de factis propriis rationem; et qui bona egerunt, ibunt in vitam aeternam, qui vero mala, in ignem aeternum.“ BSELK 60,13 – 24.  Vgl. einleitend Volker Leppin: Die Confessio Augustana. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel.

70

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

Artikel 3 der Confessio Augustana bestätigt das Bekenntnis zur Parusie Christi gemäß dem Apostolicum. ⁴²⁸ Zudem wird dem Endgericht ein öffentlicher Charakter zugeschrieben.⁴²⁹ In der deutschen Fassung werden überdies die Lehren derer verworfen, die das Theologumenon der Wiederkunft Christi zum Gericht ablehnen.⁴³⁰ In der Apologie der Confessio Augustana ⁴³¹ heißt es zu diesem dritten Artikel, „die widdersacher“⁴³² – gemeint sind die Altgläubigen – fänden an dieser Glaubensaussage keinen Tadel.⁴³³ Dies zeigt, dass das Theologumenon der Parusie Christi zum Gericht grundsätzlich keinen Streitfall zwischen den entstehenden Konfessionen darstellt. Auch in den Schmalkaldischen Artikeln von 1537 wird ausgesagt, in Bezug auf das Bekenntnis zur Parusie Christi zum Gericht bestehe keine Uneinigkeit mit den Altgläubigen.⁴³⁴ Im vierten Artikel der Apologie der Confessio Augustana über die Rechtfertigung wird allerdings unter anderem festgehalten, dass im Gottesgericht niemand ohne den Glauben an Christus bestehen kann.⁴³⁵ Gute Werke sind nicht verzichtbar, aber dem Glauben nachrangig bzw. folgen (aus) dem Glauben⁴³⁶, der das

Göttingen 2014, S. 65 – 83.Vgl. auch Krüger (s. Anm. 420), S. 15 – 17. Zu Aussagen über die novissima in der Confessio Augustana vgl. auch etwa Beißer (s. Anm. 23), S. 77– 80.  Vgl. BSELK 96,20 f.; 98,1 f. (Confessio Augustana 3). Man wird sagen dürfen, dass die Reformatoren Wittenberger Provenienz durch den Bezug auf den altkirchlichen Bekenntnistext auch zeigen wollten, dass sie keineswegs neue (Irr‐)Lehren erdacht haben, sondern in der Tradition der alten Kirche stehen. Vgl. auch Krüger (s. Anm. 420), S. 16.  Vgl. BSELK 96,21; 99,1.  Vgl. BSELK 98,2.  Vgl. dazu einleitend etwa Christian Peters: Die Apologia Confessionis Augustanae. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 229 – 235. Vgl. auch Krüger (s. Anm. 420), S. 17.  BSELK 266,20 (Apologie der Confessio Augustana 3).  Vgl. ebd.  Vgl. BSELK 726,17– 21; 727,17– 20 (Schmalkaldische Artikel 4). In der Vorrede zu den Schmalkaldischen Artikeln thematisiert Luther das Jüngste Gericht, in welchem sich erweisen werde, wer in dieser Welt hinsichtlich der Glaubensdinge irrte. Vgl. BSELK 720,30 – 35; 722,1– 4 (Vorrede Luthers zu den Schmalkaldischen Artikeln). Vgl. weiter BSELK 724,14 f.  „So nu jemands meinet, das er darümb vorgebung der sunde wil erlangen, das er die liebe hat, der schmehet und schendet Christum und wird am letzten ende, wenn er vor Gottes gericht stehen sol, finden, das solch vertrauen vorgeblich ist. Darümb ist es gewis, das allein der glaub gerecht macht.“ BSELK 326,18 – 21 (Apologie der Confessio Augustana 4).  „Und gleich wie wir nicht erlangen vergebung der sunde durch andere gute werck und tügende, als umb gedult willen, umb keuschheit, umb gehorsams willen gegen der Oberkeit, und folgen doch die tügende, wo glaub ist“. BSELK 326,22– 24; vgl. auch BSELK 382,3 – 28, bes. 9 – 22. Im Sterben bzw. angesichts des göttlichen Gerichts bieten die Werke allein keinen Trost, vgl. etwa

3.2 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung

71

Hauptkriterium zum Bestehen im Jüngsten Gericht darstellt. Dies soll etwa auch in der Verteidigung des zwölften Artikels nochmals herausgestellt werden.⁴³⁷ Mit jenem zwölften Artikel der Confessio Augustana wird zudem gegen die altgläubige Ablasspraxis Stellung bezogen, wenn es zur Thematik der Buße etwa heißt, dass jene verworfen werden, die – so die deutsche Fassung – „leren, das Canonice satisfactiones not seien zu bezalung der ewigen peen odder des fegfeuers.“⁴³⁸ Zentral ist der siebzehnte Artikel der Confessio Augustana: Darin geht es um Christi Wiederkunft zum Gericht.⁴³⁹ Dort heißt es, Christus werde am Jüngsten Tag zurückkehren, die Toten erwecken und das Letzte Gericht halten.⁴⁴⁰ Ewiges seliges Leben wird den Guten⁴⁴¹ zuteil werden, „[d]ie Gottlosen menschen aber und die Teuffel“⁴⁴² erwarten dem Text zufolge ewige Höllenstrafen.⁴⁴³ Dies stellt keine Abweichung von der Position der Altgläubigen dar und wurde in der Confutatio auch akzeptiert.⁴⁴⁴ Allerdings mag es wichtig gewesen sein, diesen Konsens zu betonen, da die Altgläubigen auf dem Reichstag zu Augsburg und anderswo nicht immer präzise zwischen den Anhängern Luthers und Spiritualisten oder Täufern, welche im Verdacht standen, eine Allversöhnungslehre zu vertreten, unterschieden.⁴⁴⁵ Somit musste sich Philipp Melanchthon⁴⁴⁶ (1497– 1560) als Verfasser der Confessio Augustana in diesem Punkt von potenziellen ‚Allerlösern‘ abgrenzen und sich deutlich zur Lehre des doppelten Ausgangs des Endgerichts beken-

BSELK 384,15 – 22. Zur strittigen Frage nach dem Verhältnis von Glauben und guten Werken vgl. etwa BSELK 554– 560 (Apologie der Confessio Augustana 20).  Vgl. etwa Krüger (s. Anm. 227), S. 198.  BSELK 106,19 f. (Confessio Augustana 6).Vgl. auch BSELK 440,3 – 32; 442,1– 15 u. ö. (Apologie der Confessio Augustana 12). Johannes Duns Scotus (ca. 1265 – 1308) etwa wird vorgeworfen gelehrt zu haben, dass der Mensch durch gute Werke (zum Beispiel durch Fasten) fähig ist, der ewigen Verdammnis zu entgehen. Vgl. BSELK 494,13 – 15; 495,8 – 10.  Vgl. dazu auch Krüger (s. Anm. 227), S. 187 f. Vgl. auch Beißer (s. Anm. 23), S. 78 – 80.  Vgl. BSELK 112,4 f. (Confessio Augustana 17).  Hier ist die Rede von den „ausserwelten und gerechten“. BSELK 112,5 f. Allerdings ist auf die Textvariante „glaubigen und ausserwelthen“ (BSELK 112, Anm. r–r) hinzuweisen.  BSELK 112,6 f.  Vgl. BSELK 112,5 – 7.  Vgl. dazu auch Krüger (s. Anm. 227), S. 188.  Vgl. BSELK 100, Anm. 52.  Melanchthon war beispielsweise an einem Verhör mutmaßlicher Täufer beteiligt. Auch aufgrund der Ereignisse in Münster befürwortete er die Folterung – und in bestimmten Fällen auch die Exekution – der Täufer. Noch kurz vor seinem Tod bestätigte Melanchthon seine ablehnende Haltung ihnen gegenüber. Vgl. Heinz Scheible: Melanchton. Eine Biographie. München 1997, S. 83 – 85. Zu Melanchthons Eschatologie vgl. einleitend etwa Beißer (s. Anm. 23), S. 77– 88. Zu Melanchthon und der Confessio Augustana vgl. auch Merkel (s. Anm. 23), S. 489 – 491.

72

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

nen.⁴⁴⁷ So sind die Negationen in CA 17 ebenfalls durchaus relevant. Diese sind zunächst gegen die Vertreter einer Allversöhnungslehre gerichtet: „Derhalben werden die widderteuffer verworffen, so leren, das die Teuffel und verdampte menschen nicht ewige pein und qual haben werden.“⁴⁴⁸ Zweitens werden überdies chiliastische Konzeptionen verworfen: „Item: hie werden verworffen etliche Jüdische lere, die sich auch itzund ereigen, das fur der aufferstehung der todten eitel heilige frome ein weltliche reich haben und alle Gottlosen vertilgen werden.“⁴⁴⁹ Die Confessio Augustana richtet sich hier also nicht gegen die Altgläubigen, sondern gegen eine nonkonformistische Position.⁴⁵⁰ Die (pauschale) Formulierung, dass die Täufer lehrten, böse Menschen und selbst die Teufel würde keine ewige Höllenqual treffen, könnte auf den lutherisch gesinnten Justus Menius (1499 – 1558) zurückgehen.⁴⁵¹ Friedhelm Krüger zufolge galten bei der Abfassung von CA 17 etwa der Täufer Hans Denck oder der Chiliast Augustin Bader (ca. 1495 – 1530)⁴⁵² als Vertreter einer Allversöhnungslehre.⁴⁵³ Konzeptionen wie diejenige Baders oder Martin Cellarius‘ (1499 – 1564), denen zufolge Christus vor dem Weltende zurückkehrt und ein tausendjähriges Reich der wahren Christen

 Vgl. auch etwa Krüger (s. Anm. 227), S. 196 f.; 199 – 201.  BSELK 112,8 f.  BSELK 112,9 – 12. Der lateinische Text lautet: „Damnant Anabaptistas, qui sentiunt hominibus damnatis ac diabolis finem poenarum futurum esse. Damnant et alios, qui nunc spargunt Iudaicas opiniones, quod ante resurrectionem mortuorum pii regnum mundi occupaturi sint, ubique oppressis impiis.“ BSELK 113,8 – 11. Im Judentum wurde bzw. wird die Ankunft des Messias, welcher seine Herrschaft in dieser Welt antreten wird, noch erwartet. Vgl. einleitend etwa Benjamin Uffenheimer: Art. Eschatologie. III. Judentum. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 10 (1982), S. 264– 270. Vgl. weiter etwa Irina Wandrey: Art. Messias/Messianismus. III. Judentum. 1. Antike. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 5 (2002), Sp. 1146 – 1148. Vgl. weiterhin Joseph Dan: Art. Messias/Messianismus. III. Judentum. 2. Mittelalter und Neuzeit. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 5 (2002), Sp. 1148 – 1150. Im 17. Jahrhundert sorgte der Fall des Sabbatai Zwi (1626 – 1676), welcher sich als jener Messias verstand bzw. für diesen gehalten wurde, für großes Aufsehen. Vgl. dazu Gershom Scholem: Sabbatai Zwi. Der mystische Messias. Frankfurt am Main 1992.  Vgl. dazu auch Krüger (s. Anm. 420), S. 16.  Vgl. BSELK 112, Anm. 76. Siehe dazu unten S. 81.  Zu Denck vgl. Gockel (s. Anm. 49), S. 129 – 133. Zu Bader vgl. Volker Leppin: Art. Bader, Augustin. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 1 (1998), Sp. 1058.  Vgl. Krüger (s. Anm. 227), S. 199. Leider belegt Krüger diese Aussage nicht anhand von Quellen.

3.2 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung

73

errichtet (Chiliasmus bzw. Millenarismus⁴⁵⁴), mögen bei der Formulierung der Verwerfung chiliastischer Gedanken im Hintergrund gestanden haben.⁴⁵⁵ In der Confutatio pflichten die Altgläubigen der Ablehnung einer nonkonformistischen Allversöhnungslehre sowie der Zurückweisung chiliastischer Überzeugungen bei.⁴⁵⁶ In der Apologie zu CA 17 wird die Übereinstimmung der Gegner mit der eigenen Position zur Wiederkunft Christi sowie der Ewigkeit der Höllenstrafen knapp konstatiert.⁴⁵⁷ Im Text der Confessio Augustana variata (1540) lässt sich an dieser Stelle zum siebzehnten Artikel eine gewisse inhaltliche Umgewichtung beobachten. Zunächst ist auch hier die Rede von Christi künftiger Parusie zum Gericht mit doppeltem Ausgang und der consummatio mundi. ⁴⁵⁸ Folgend werden die als gewaltbereit und anarchistisch dargestellten Millennaristen verdammt. Demgegenüber wird betont, dass die Autorität der Obrigkeit in dieser vorübergehenden Welt zu respektieren ist.⁴⁵⁹ Während dieser Aspekt in der späteren Textfassung also mehr in den Fokus rückt, wirkt die Ablehnung der Allversöhnung am Ende wie ein weniger bedeutsamer Nachtrag.⁴⁶⁰ Dies zeigt die Notwendigkeit, sich von militanten ‚Schwärmern‘ mit chiliastischen Vorstellungen und revolutionären Bestrebungen abzugrenzen. Bei solch chiliastisch-militanten Lehren bzw. Bewe Vgl. dazu etwa George Huntston Williams: The Radical Reformation. 3. Aufl. Kirksville, MO 1992 (= Sixteenth Century Essays and Studies 15), S. 506 f.  Vgl. BSELK 112, Anm. 77. Vgl. zum Millenarismus bei radikalen Täufern bzw. Spiritualisten auch Williams (s. Anm. 454), S. 1283; 1286; 1303 – 1306. Siehe zum Millenarismus auch unten Kapitel 5.  Vgl. dazu BSELK 548, Anm. 849 (Apologie der Confessio Augustana 17). In der Zusammenfassung der Confutatio nach Cochläus heißt es etwa: „Der Siebenzehend.Vom jüngsten gericht, ist auch gantz und gar zugelassen, mit verwerffung der widerteuffer und andrer, so den Teuffeln und verdampt wöllen zuletzt erlösung und selikeit zugeben.“ BSELK QuM 1, 253,27– 29 (Die durch Cochläus überlieferte Zusammenfassung der Confutatio).  „Den xvii. Artikel nemen die widdersacher an“. BSELK 548,11.  „Item docent, quod Christus apparebit in consumatione mundi ad iudicandum et mortuos omnes resuscitabit et hominibus piis dabit vitam aeternam et gaudia perpetua. Impios autem homines et diabolos condemnabit, ut sine fine crucientur.“ BSELK QuM 1, 130,5 – 8 (Confessio Augustana variata secunda 17).  „Damnamus Anabaptistas, qui nunc Iudaicas opiniones spargunt, fingunt ante resurrexionem pios regna mundi occupaturos esse ubique deletis aut oppressis impiis. Scimus enim, quod pii debeant obedire praesentibus magistratibus, non eripere eis imperia, non dissipare politias per seditionem, quia Paulus precipit: Omnis anima magistratui suo subdita sit. [Röm 13,1] Scimus item, quod Ecclesia in hac vita subiecta sit cruci et primum post hanc vitam glorificabitur, Sicut Paulus inquit: Oportet nos similes fieri imaginis filii Dei. [1Kor 2,14] Quare Anabaptistarum amentium et diabolicum furorem prorsus damnamus et execramur.“, BSELK QuM 1, 130,9 – 17.  „Damnamus et Origenistas, qui finxerunt Diabolis et damnatis finem poenarum futurum esse.“ BSELK QuM 1, 130,18 f.

74

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

gungen ist meines Erachtens etwa an Hans Hut (1490 – 1527)⁴⁶¹, Thomas Müntzer (1489 – 1525)⁴⁶² oder das sogenannte Täuferreich von Münster⁴⁶³ zu denken. Auch in weiteren lutherischen Bekenntnistexten werden das Jüngste Gericht sowie Einzelthemen wie die Ablehnung der Vorstellung, Christus könne nicht vor der Parusie zum Letzten Gericht auf der Erde (im Abendmahl) leiblich anwesend sein, oder die Frage nach der menschlichen Natur Christi im Endgericht thematisiert.⁴⁶⁴ In der Vorrede zur Konkordienformel ist die Rede vom Festhalten am Bekenntnis zum protestantischen Glauben angesichts des Letzten Gerichts.⁴⁶⁵ Zudem wird gemahnt, unwissende, rechtschaffene Laien unter den Altgläubi-

 Vgl. Ulrich Asendorf: Art. Eschatologie. VII. Reformations- und Neuzeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 10 (1982), S. 310 – 334, hier S. 316. Vgl. auch Williams (s. Anm. 454), S. 265 – 268; 518; 1283. Zu Huts Rolle im Bauernkrieg von 1524– 1525 vgl. ebd., S. 165 – 168. Vgl. weiterhin ebd., S. 263 – 285.  Vgl. etwa Hans-Jürgen Goertz: Karlstadt, Muntzer and the Reformation of the Commoners, 1521– 1525. In: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521– 1700. Hrsg. von John D. Roth und James M. Stayer. Leiden u. a. 2007 (= Brill’s Companions to the Christian Tradition 6), S. 1– 44, hier S. 22; 29. Müntzer erwartete ein baldiges Strafgericht über alle Ungläubigen, bei dem er und die wahren Erwählten im Zuge der Aufrichtung eines Gottesreiches auf Erden mitwirken würden. Vgl. zu Müntzer etwa Williams (s. Anm. 454), S. 120 – 136; 1283. Vgl. zu Müntzers Beteiligung am Bauernkrieg 1524– 1525 ebd., S. 161– 165.  Zu Ereignissen in Münster 1531– 1535 vgl. etwa ebd., S. 299; 544; 553 – 588. Dabei sollte gleichwohl nicht vergessen werden, dass die überkommenen Darstellungen des sogenannten Täuferreichs auch durch Polemik der Gegner beeinflusst sind. Vgl. dazu etwa Ralf Klötzer: The Melchiorites and Munster. In: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521– 1700. Hrsg.von John D. Roth und James M. Stayer. Leiden u. a. 2007 (= Brill’s Companions to the Christian Tradition 6), S. 217– 256, hier S. 253 f. Zur Lage in Münster vgl. auch ebd., S. 226 – 251. Zur Erforschung des sogenannten Täuferreichs von Münster vgl. auch Ehrenpreis und Lotz-Heumann (s. Anm. 5), S. 59 – 62. Zu Melchior Hofmann vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 387– 393; 521– 523. Zu den Melchioriten vgl. ebd., S. 539 – 551. Wichtig ist m. E. festzuhalten, dass sich mit solchen Konzeptionen keineswegs automatisch die Annahme der Allversöhnung verband.  In der Schwäbisch-Sächsischen Konkordie beispielsweise klingt m. E. unter anderem an, Christus werde im Jüngsten Gericht auch in seiner menschlichen Natur richten. Vgl. etwa BSELK QuM 2, 166,8 – 12 u. ö. (Schwäbisch-Sächsische Konkordie 2). Siehe auch unten S. 101 f. Die Lutheraner lehnten überdies grundsätzlich die Lehre Ulrich Zwinglis (1484– 1531) ab, dass Christus vor dem Endgericht nicht leiblich auf Erden (nämlich im Abendmahl) gegenwärtig sein kann. Vgl. dazu etwa Steiger (s. Anm. 291), S. 224 f. Über Zwinglis Eschatologie informiert einleitend etwa Kunz: Vgl. Kunz (s. Anm. 23), S. 23 – 30. Zur Eschatologie Johannes Calvins (1509 – 1564) vgl. etwa ebd., S. 31– 41. Auch im dreizehnten Schwabacher Artikel wird Christi Parusie zum Jüngsten Gericht thematisiert. Vgl. BSELK QuM 1, 41,14– 17 (Schwabacher Artikel 13).  Vgl. BSELK 1198,14– 22 (Vorrede zur Konkordienformel). Vgl. dazu auch Bayer (s. Anm. 67), S. 301 f.

3.2 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung

75

gen⁴⁶⁶ nicht brutal zu verfolgen, um nicht vom himmlischen Richter im Letzten Gericht gestraft zu werden: Dann wie wir mit denselben aus Christlicher lieb ein besonders mitleiden tragen, Also haben wir an der verfolger wüten ein abscheu und hertzliches misfallen, wöllen uns auch dieses Bluts gantz und gar nicht teilhafftig machen, welches sonder zweiffel von der verfolger henden an dem grossen tag des Herrn vor dem ernsten und gestrengen Richterstuel Gottes wird gefordert, sie auch dafür eine schwere Rechenschafft geben werden müssen.⁴⁶⁷

Deutlich ist insgesamt, dass sich die Lutheraner zur Parusie Christi zum Jüngsten Gericht mit einem doppelten Ausgang bekennen und sich nachdrücklich gegenüber chiliastischen Konzeptionen und Allversöhnungslehren abgrenzen.

3.2.2 Reformierte Bekenntnisse Auch die Reformierten bekennen es als ihren Glauben, dass sich das Letzte Gericht Christi mit doppeltem Ausgang am Jüngsten Tage ereignen wird, wie sich exemplarisch unter anderem an der Confessio Helvetica Posterior, dem Basler Bekenntnis und dem Heidelberger Katechismus zeigen lässt. Blickt man für einen Vergleich mit der sich formierenden reformierten Konfession auf die wichtige reformierte Bekenntnisschrift Confessio Helvetica Posterior (1566)⁴⁶⁸, so findet sich die Verwerfung der Allversöhnungslehre ebenfalls, doch ohne Nennung von Täufern. Für die Thematik des Letzten Gerichts ist vor allem ein Abschnitt im christologischen elften Kapitel relevant⁴⁶⁹: [Vera in coelos Christi ascensio.] In eadem illa carne sua credimus ascendisse Dominum nostrum Iesum Christum, supra omnes coelos aspectabiles, in ipsum coelum supremum, sedem videlicet Dei et beatorum, ad dexteram Dei patris, quae, etsi et gloriae maiestatisque consortium aequale significet, accipitur tamen et pro loco certo […]. Sed et Apostolus Petrus, [Actor. 3(, 21).] Oportet Christum, inquit, coelum accipere, usque ad tempus restitutionis omnium. Ex coelis autem idem ille redibit in iudicium, tum, quando summa erit in mundo consceleratio, [Dan. 11.] et Antichristus corrupta religione vera, superstitione impietateque omnia opplevit, et sanguine atque flamma ecclesiam crudeliter vastavit. Redibit autem Christus asserturus suos, et aboliturus adventu suo Antichristum, iudicaturusque vivos et mortuos. [Acto. 17(, 31).] Resurgent enim mortui, [1. Thess. 4(, 14 ff).] et qui illa die (quae

 Vgl. BSELK 1204,10 – 13.  BSELK 1204,26 – 32.  Vgl. einleitend Emidio Campi: Confessio Helvetica posterior, 1566. Einleitung. In: Reformierte Bekenntnisschriften. Hrsg. von Andreas Mühling und Peter Opitz. Bd. 2/2. 1562– 1569. NeukirchenVluyn 2009, S. 243 – 267.  Campi spricht dabei von einer „dogmatische[n] Eigenart“. Ebd., S. 250.

76

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

omnibus incognita est creaturis) [Marc. 13(, 32).] superstites futuri sunt, mutabuntur in momento oculi, fidelesque omnes una obviam Christo rapientur in aëra, ut inde cum ipso ingrediantur in sedes beatas sine fine victuri. [1. Cor. 15(, 51– 52).] Increduli vero vel impii descendent cum daemonibus ad tartara, [Matth. 25(, 46).] in sempiternum arsuri, atque ex tormentis nunquam liberandi. [Sectae.] Damnamus ergo omnes negantes veram carnis resurrectionem: [2. Tim. 2(, 18).] aut qui cum Ioanne Hierosolymitano, contra quem scripsit Hieronymus, non recte sentiunt de clarificatis corporibus. Damnamus eos qui senserunt et daemonas et impios omnes aliquando servandos, et poenarum finem futurum. Simpliciter enim pronunciavit dominus, [Marc. 9(, 46).] Ignis eorum nunquam extinguitur, et vermis eorum non moritur. Damnamus praeterea Iudaica somnia, quod ante iudicii diem aureum in terris sit futurum seculum, et pii regna mundi occupaturi, oppressis suis hostibus impiis. Nam evangelica veritas Matth[aei] 24. et 25. Luc[ae] item 18. et Apostolica doctrina 2. Thes[salonicenses] 2. et in 2. ad Tim[otheum] 3. et 4. […], longe aliud perhibere inveniuntur.⁴⁷⁰

Die Beschreibungen in diesem Bekenntnistext sind ausführlicher als in CA 17. Die Parusie findet dem Text zufolge am Höhepunkt der endzeitlichen Gräuel statt, wobei Dan 11 verarbeitet wird, und läutet den endgültigen Sieg über den Antichrist ein. Die Datierbarkeit der Wiederkunft Christi wird abgelehnt. Dem Bekenntnis zufolge ist Christus leiblich bis zum Jüngsten Tag im Himmel verortet. In komprimierter Weise werden Auferstehung der Toten,Verwandlung der Lebenden am Jüngsten Tag, Endgericht und dergleichen samt der entsprechenden biblischen loci classici aufgezählt. Deutlich wird auch hier am doppelten Ausgang festgehalten. Diesbezüglich besteht zwischen den sich bildenden Konfessionen Konsens. Die Negationen hingegen erwähnen über CA 17 hinaus auch Leugner der Auferstehung, was sachlich freilich keinen Unterschied zu Altgläubigen oder Lutheranern darstellt. Der Millennarismus wird als jüdisches Phänomen beschrieben und abgelehnt.⁴⁷¹ Die Allversöhnung (selbst der Teufel) bzw. die Endlichkeit der Höllenstrafen werden ebenso klar verworfen wie in CA 17. Allerdings wird diese Lehre nicht explizit einer Gruppe, etwa den Täufern, zugeschrieben, die Formulierung kann ebenso auf historische Positionen wie die des Origenes⁴⁷² bezogen verstanden werden. Ausführlicher ist ebenfalls die Widerlegung, wobei Mk 9,44 (vgl. Mk 9,43 – 48) bzw. Jes 66,24 herangezogen und die ewige Dauer der Höllenstrafen betont wird. Relevant ist auch der siebte Abschnitt des Bekenntnisses, worin die Schöpfung behandelt wird. Darin bekennt man sich zur Unsterblichkeit der Seele (nicht jedoch zum Seelenschlaf) und deren Wiederverei BSRK 2/2, 294,18 – 295,15 (Confessio Helvetica posterior 11). Darauf folgt im Bekenntnistext die Erläuterung der Relevanz der Heilstat Christi als Grund der Rettung aller Glaubenden vor Verdammnis und Hölle. Vgl. BSRK 2/2, 295,16 – 296,35.  Siehe dazu auch oben Anm. 449.  Siehe oben Anm. 413.

3.2 Bekenntnisschriften gegen Allversöhnung

77

nigung mit dem sterblichen, am Jüngsten Tage des Gerichts aufzuerweckenden Körper sowie zum ewigen Leben bzw. zur ewigen Verdammnis (von Leib und Seele).⁴⁷³ In diesem Bekenntnis wird eine „doppelte Prädestination nicht gelehrt“⁴⁷⁴. Im Heidelberger Katechismus (1563), der ebenfalls eine wichtige Bekenntnisschrift der Reformierten Kirchen darstellt⁴⁷⁵, findet sich die Thematik des Jüngsten Gerichts in der zweiundfünfzigsten Frage: [52.] Frag. Was tröstet dich die widerkunfft Christi zu richten die lebendigen und die todten? Antwort. Daß ich in allem trübsal und verfolgung mit auffgerichtem haupt, eben des Richters der sich zuvor dem gericht Gottes für mich dargestelt, und alle vermaledeiung von mir⁴⁷⁶ hinweg genomen hat, aus dem himmel gewertig bin [Luc. 21(, 28) Rom. 8(, 23 – 24) Phil. 3(, 20 – 21) Tit. 2(, 13)], daß er alle seine und meine feinde, in die ewige verdamnuß werffe [2. Thess. 1(, 6 – 10) 1. Tess. 4(, 16 – 17) Mat. 25(, 41– 43)]: mich aber sampt allen außerwelten zu im in die himlische freud und herrligkeit neme [Mat. 25(, 34– 36)].⁴⁷⁷

Aus der Perspektive des Glaubenden ist also, so die Botschaft des Heidelberger Katechismus, der Gedanke an das Jüngste Gericht tröstlich und hoffnungsvoll, da es das Ende irdischen Leidens bedeutet. Im Licht der Erkenntnis, dass der Richter der Heiland ist, welcher an Stelle der Seinen das göttliche Gericht erlitten hat, kann der Christenmensch gewiss sein, nicht verdammt zu werden, sondern zur ewigen Seligkeit einzugehen. Die Verdammnis gilt hingegen den Ungläubigen, die Christus und den Seinen feind sind. Die hier erkennbare Betonung der Gewissheit des Heils ist auch in der vierundfünfzigsten Frage präsent.⁴⁷⁸ Neuser zufolge ist (unter anderem) die zweiundfünfzigste Frage vom Genfer Katechismus beeinflusst bzw. abhängig.⁴⁷⁹ Die Lehre der doppelten Prädestination wurde hier bewusst ausgeklammert.⁴⁸⁰ Auch Luther wahrt unter anderem in seinem überaus populären Kleinen Katechismus (wie auch im Großen Katechismus) einerseits den Gerichtsernst,

 Vgl. BSRK 2/2, 284,14– 22. Der Gedanke des Fegefeuers wird in Abschnitt 26 verworfen. Vgl. BSRK 2/2, 339,16 – 27 (Confessio Helvetica posterior 26).  Campi (s. Anm. 468), S. 250.  Vgl. dazu Wilhelm H. Neuser: Heidelberger Katechismus von 1563. Einleitung. In: Reformierte Bekenntnisschriften. Hrsg. von Andreas Mühling und Peter Opitz. Bd. 2/2. 1562– 1569. Neukirchen-Vluyn 2009, S. 167– 173.  Erratum in Quellenedition: mit  BSRK 2/2, 188,1– 10 (Heidelberger Katechismus 52).  Vgl. Neuser (s. Anm. 475), S. 168 f.  Vgl. ebd., S. 170.  Vgl. Theodor Mahlmann: Art. Prädestination. V. Reformation bis Neuzeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 27 (1997), S. 118 – 156, hier S. 127. Siehe dazu etwa auch unten S. 123 f.

78

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

betont jedoch in Bezug auf die Parusie Christi, dass die Glaubenden gewiss sein dürfen, dass die Rückkehr Christi für sie ein heilvolles Ereignis sein wird, da der Richter ihr Erlöser ist.⁴⁸¹ Im Basler Bekenntnis von 1534 werden die guten Werke als Folge des Glaubens im protestantischen Credo bekannt: Vom jüngsten tag gloubend wir, das ein jüngst gericht, an welichem uffersteung des fleischs sin werde, da ouch ein yeder von Christo, dem richter, empfahen würdet, nach dem er hie im läben sich gehalten, namlich das ewig leben, wann er usz warem glouben mit ungefärbter liebe die frucht des gloubens, das sind die werck der gerechtigkeit, gewürckt, und das ewig feür, wann er on glouben oder mit gedichtem glouben on liebe gůts oder böses begangen hat.⁴⁸²

Die Lehren der Täufer werden hier zwar auch verworfen, doch wird die Allversöhnungslehre diesen nicht explizit zugeschrieben.⁴⁸³ Man denke auch an die Confessio Belgica (1561): Im 37. Artikel findet sich das Bekenntnis zur Auferstehung der Toten sowie dazu, dass Christus sichtbar und in Herrlichkeit zum unentrinnbaren Gericht über alle Lebenden und Toten bzw. Auferstandenen (auch Kinder) zurückkehren wird. Dies werde am Jüngsten Tag, dessen Termin die Menschen nicht wissen können, geschehen. Auch die Bücher aus Apk 20,12 sowie die Berücksichtigung der Werke (und unnützen Worte laut Mt 12,36) des Menschen werden erwähnt. Das Gericht gereiche den Glaubenden zum Trost, zu endgültiger Gerechtigkeit und zu himmlischen Freuden (als Gnadenge-

 Vgl. Krüger (s. Anm. 227), S. 195 – 199, bes. S. 196 – 198. Im Kleinen Katechismus etwa verbindet Luther den zweiten Artikel des Apostolicums, d. h. auch den Passus über die Parusie zum Gericht, ganz mit der heilvollen Perspektive des Christusgeschehens pro me. Die Verdammnis ist ganz und gewiss durch Christus überwunden. Vgl. BSELK 870,19 – 25; 872,1– 10 (Luthers Kleiner Katechismus, zum Apostolicum, 2. Artikel). Im Großen Katechismus heißt es in der Auslegung des zweiten Artikels des Apostolicums: „Das sey nu die summa dieses Artickels, daß das wörtlein Herr auffs einfeltigste so viel heisse als ein Erlöser, […] der uns vom Teuffel zu Gotte, vom Tode zum leben, von sünde zur gerechtigkeit bracht hat und dabey erhelt. Die stücke […] thun nichts anders, denn das sie solche erlösung erkleren […]. Nemlich, das er mensch worden, […] den Tod verschlungen […] und endtlich gen Himel gefaren und das Regiment genomen zur rechten des Vaters, das im Teuffel und alle gewalt muss unterthan sein und zun füssen ligen, so lang biß er uns endtlich am Jüngsten tage gar scheide und sondere von der bösen Welt, Teuffel, Tod, Sünde etc.“ BSELK 1056,18 – 22; 24 f.; 31– 33; 1058,1 f. (Luthers Großer Katechismus, zum Apostolicum, 2. Artikel).Vgl. zum Kleinen Katechismus und zum Großen Katechismus Luthers einleitend Robert Kolb: Der Große und der Kleine Katechismus Martin Luthers. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 841– 850. Vgl. auch Krüger (s. Anm. 420), S. 19 – 21. Siehe auch oben Kapitel 2.6.3.  BSRK 1/1, 582,1– 7 (Das Baseler Bekenntnis, vom Jüngsten Tag). Vgl. auch BSRK 1/1, 582,8 f.  Vgl. BSRK 1/1, 582,1– 10.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

79

schenk Gottes, nicht als Verdienst), den Bösen zu Schrecken und ewiger Strafe (wie sie auch die Teufel zu erwarten haben). So sei der Jüngste Tag dem Bekenntnistext zufolge den Christen wünschenswert.⁴⁸⁴ Knapp erwähnt wird die Parusie zum Gericht auch in den Marburger Artikeln (Artikel 3), welche sowohl von Ulrich Zwingli (1484– 1531) und Martin Bucer (1491– 1551), Luther und Melanchthon als auch Andreas Osiander (1498 – 1552) und Johannes Brenz (1499 – 1570) unterzeichnet sind. Dies zeigt nochmals den grundsätzlichen Konsens in der Frage nach dem Gericht.⁴⁸⁵ Konsens besteht zwischen den drei sich ausbildenden Konfessionen neben dem positiven Bekenntnis zur Parusie Christi zum Gericht am Jüngsten Tage wie sich zeigte ebenfalls hinsichtlich der Verwerfung der Allversöhnungslehre.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern? 3.3.1 Fremdzuschreibungen Häufig wurde den Täufern schon von ihren Zeitgenossen pauschal vorgeworfen, eine Position zu vertreten, der zufolge die bösen Menschen (und sogar der Teufel) nicht ewig in der Hölle gequält, sondern allesamt letztlich selig werden.⁴⁸⁶ Dies muss als eine Verallgemeinerung gelten, denn nicht alle Täufer vertraten diese Ansicht.⁴⁸⁷ In den Schleitheimer Artikeln von 1527 etwa ist das Bekenntnis zur Allversöhnung nicht enthalten.⁴⁸⁸ Die Frage, wer wirklich die Allversöhnung  Vgl. BSRK 2/1, 368,13 – 369,11 (Confessio Belgica 37). Auch weitere reformierte Bekenntnisse thematisieren die (für die Glaubenden als heilvoll beschriebene) Parusie Christi zum Gericht über Lebende und Tote. Zu nennen wäre beispielsweise der Kleine Emder Katechismus: Darin wird unter anderem das Detail erwähnt, Christus werde auf sichtbare Weise zurückkehren, vgl. BSRK 1/ 3, 314,25 – 37 (Der Kleine Emder Katechismus 41 und 42). Vgl. auch BSRK 1/3, 316,7– 15 (Der Kleine Emder Katechismus 49). Auch in der anglikanischen Kirche wurden Chiliasmus und Allversöhnungslehre abgelehnt, vgl. beispielsweise BSRK 1/3, 246,26 – 32 (The Forty-Two Articles 39); 247,6 – 8 (The Forty-Two Articles 41). Vgl. dazu auch Williams (s. Anm. 454), S. 1196.  Vgl. BSRK 1/1, 263,18 (Die Marburger Artikel 3).  Zu Beschreibungen Dritter, denen zufolge die Täufer die Allversöhnung lehrten, vgl. etwa QGTS 2, 3 (Nr. 1: Abschied der Städte Zürich, Bern und St. Gallen wegen der Täufer 1527). Speziell zu Denck vgl. auch QGTS 2, 274 (Nr. 356: Beratung über Hans Denck auf einem Tag der sechs Orte zu Tobel 1525).  Vgl.Williams (s. Anm. 454), S. 277. Man konnte auch von ewiger Höllenstrafe der Verdammten reden, während man das Fegefeuer bestritt, vgl. ebd., S. 280. Melanchthon stellte während eines Verhörs die Auffassungen einiger Täufer fest – die Allversöhnungslehre zählte jedoch nicht dazu. Vgl. Scheible (s. Anm. 446), S. 83 f.  Zum Schleitheimer Bekenntnis vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 289 – 294.

80

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

lehrte (oder erhoffte), ist nicht einfach zu beantworten. Einerseits handelt es sich um eine Fremdzuschreibung. So versucht etwa Justus Menius, ein Anhänger Luthers, die in seiner Darstellung wie eine homogene Gruppe wirkenden Täufer und ihre Ansichten in der Schrift Der Widertauffer lere vnd geheimnis (1530) zu beschreiben.⁴⁸⁹ Dem Werk ist eine Vorrede Luthers vorangestellt, worin der Reformator (wie auch Menius) den Täufern unter anderem vorwirft, die Relevanz guter Werke völlig zu negieren⁴⁹⁰ und nach einem irdischen Gottesreich zu streben⁴⁹¹. Die Täufer beschreibt Menius als heimtückische Ketzer.⁴⁹² Zunächst bestimmt er jene als Chiliasten⁴⁹³: Ihm zufolge lehren die Täufer einerseits ein Jüngstes Gericht, erwarten jedoch ein göttliches Strafgericht am Beginn eines irdischen Reiches vor dem Jüngsten Tag.⁴⁹⁴ Zudem vertreten die Täufer Menius zufolge die Ansicht, im Anschluss an dieses Gericht sollen die auserweleten […] vnter Christo jhrem könig ein selig new leben furen auff erden/ on alle gesetze vnd oberkeit/ da man auch kein ehe stiffte/ nicht freie noch sich freien lasse/ vnd doch gleich wol vntereinander eitel heilige vnd reine frucht zeuge/ on alle sundliche lust/ vnd bosen willen des fleisches/ Da sollen vnd werden alle güter gemein sein/ vnd niemands etwas mangeln/ […] on alle arbeit vnd müheseligkeit/ Ja jnn dem selben leben sollen auch alle Prophecien vnd heilige schrifft gantz auffgehaben vnd vnnötig sein/ als der solche heilige leut […] nicht mehr bedurffen werden.⁴⁹⁵

Dies verbindet Menius mit Kritik an den (ihm zufolge praktizierten) Methoden der Täufer, der ungebildeten und armen Bevölkerung einerseits Angst, andererseits

 Vgl. Justus Menius: Der Widdertauffer lere vnd geheimnis/ aus heiliger schrifft widderlegt/ Mit einer schönen Vorrede/ Martini Luther. […]. Wittenberg 1530. In der Schrift zeigt sich Menius‘ Naherwartung der Parusie Christi. Vgl. etwa ebd., fol. B 1r–C 3v u. ö. Zeichen der letzten Zeit sind Menius zufolge die Existenz der Altgläubigen und der ‚Türken‘, aber auch der Täufer.Vgl. ebd., fol. B 3r–3v; C 4v–D 1r. Auch Melanchthon hatte zuvor eine Schrift gegen die Täufer verfasst, vgl. Scheible (s. Anm. 446), S. 85.  Vgl. Menius (s. Anm. 489), fol. A 4v. Auch Menius wirft den Täufern vor, den guten Werken zu wenig Bedeutung beizumessen, vgl. ebd., fol. H 3r–K 4v.  Vgl. ebd., fol. A 4r.  Vgl. ebd., fol. C 4v–D 1r.  Vgl. etwa ebd., fol. F 1v–2r.  „Auffs erste sagen sie/ das solche straff die zukunfft vnsers Herrn Jhesu Christi/ vnd der welt ende/ aber dennoch der Jungste tag des gerichts nicht sein wird. Denn sie vnterscheiden das ende der welt vnd des Jungsten gerichts tag weit weit von einander/ vnd reden also da von/ Wenn der welt ende komen wird/ so werden alle gotlosen/ das ist/ welche das zeichen des Bundes nicht empfangen haben/ von dem gantzen erdboden ausgereuttet“. Ebd., fol. D 2r.  Ebd., fol. D 2v.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

81

falsche Versprechungen zu machen und sie zum Aufruhr zu bewegen.⁴⁹⁶ Für diejenigen, die überdies einen Termin des Weltendes anzubieten hatten, findet Menius deutliche Worte und stellt angesichts des Nicht-Eintretens solcher Vorhersagen fest, jene seien „(mit vrlaub […] zu reden) scheis Propheten gewesen/ vnd haben gefeilet“⁴⁹⁷. Für diese Irrlehre würden die Täufer in der Hauptsache die Johannesoffenbarung, etwa Apk 20, anführen.⁴⁹⁸ Diese Täufer erhoffen, so Menius, dass diejenigen Menschen, welche nicht zu den wahren Christen zählen, in dem göttlichen Gericht getötet werden.⁴⁹⁹ Zudem zeigt sich die eigentümliche Spannung solcher Beschreibungen, denen zufolge die Täufer (als homogene Gruppe) geschlossen sowohl Chiliasmus und göttliches Strafgericht als auch Allversöhnung lehren. So deutet Menius bereits hier an, unter diesen bzw. den als Kollektiv verstandenen Täufern würde gelehrt, „[d]as alle verdampte sollen selig werden.“⁵⁰⁰ Ausführlicher wird dies im sechsten Abschnitt des Hauptteils behandelt. Dieser betrifft die den Täufern zugeschriebene Lehre, der zufolge „[a]lle verdampten vnd gotlosen/ da zu auch der teuffel selbst/ werden noch endlich selig werden.“⁵⁰¹ Diese Lehre beschreibt Menius als einen teuflischen Trug der Gottlosen. Statt sich an göttliche Warnungen und Mahnungen zu halten, werden die Menschen so bestärkt, im Sündigen fortzufahren.⁵⁰² Wohlgemerkt: Menius beschreibt eine solche Konzeption, der zufolge die Strafe für die Sünde nicht endlos währt, sondern einst abgeleistet sein wird: „Wens gleich verterbet sey vnd auffs ergste geraten/ so sey es dennoch nicht ewig/ sondern zeitlich/ das sie leiden müssen“⁵⁰³. Menius wiederholt die Beschreibung der ihm zufolge von den Täufern vertretenen chiliastischen Vorstellung, dass nach dem tausendjährigen irdischen Freudenreich der Täufer das Jüngste Gericht erfolge. Zu diesem Gericht, so skizziert Menius die mutmaßliche täuferische Lehre, werde Christus in Herrlichkeit zurückkehren und die Menschen in zwei Gruppen aufteilen. Den Täufern als wahren Christen werde dann die ewige Seligkeit zuteilwerden. Zudem lehren jene Nonkonformisten laut Menius, dass Christus „seine auserweleten sampt seinem reich vnd aller herschafft dem Vater widderumb vbergeben vnd heim

 Vgl. etwa ebd., fol. D 1v–3v; E 1r. Andererseits kann Menius auch sagen, die Täufer würden die einfachen Menschen in die Angst vor einem Strafgericht treiben, um sie zu sittlichem Leben zu mahnen, vgl. etwa ebd., fol. E 1v.  Ebd., fol. D 2v.  Vgl. ebd., fol. D 4v.  Vgl. etwa ebd., fol. D 2v–3r.  Ebd., fol. E 1r.  Ebd., fol. X 4r. Diese Wortwahl mag auch auf die Formulierung von CA 17 gewirkt haben.  Vgl. ebd.  Ebd.

82

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

stellen [wird]/ also/ das dar nach alle seine macht ein ende habe/ vnd aus sey/ vnd er fort […] niemand helffen könne“⁵⁰⁴. Dies werde mit 1Kor 15,24 (dort heißt es, Christus wird das Reich Gottvater überantworten) und Mt 25,34, wo davon die Rede ist, dass Christus im Jüngsten Gericht diejenigen zu seiner Rechten als Erben des Himmelsreiches zu sich ruft, begründet.⁵⁰⁵ Den Verdammten (und dem Satan) könne Christus also nicht mehr helfen. Menius beschreibt die Lehre der Täufer weiter: Jene, die im Jüngsten Gericht zur Linken des Richters stehen werden, müssen „zum vater [kommen]/ welcher das ewig feur ist“⁵⁰⁶. Gott mit dem ewigen Feuer zu identifizieren begründen die Täufer Menius zufolge mit Dtn 4,24 bzw. Hebr 12,19, wo Gott als verzehrendes Feuer bezeichnet wird. Der himmlische Vater „kan vnd wird den teuffel vnd euch mit einander selig machen“⁵⁰⁷.⁵⁰⁸ Zudem ergänzen, so Menius, die Täufer dies folgendermaßen: „Wer bey Gott ist/ der ist selig/ Ausser Gott aber kan nichts ewig sein/ darumb müssen alle verdampten vnd teuffel endlich zu Gott komen vnd selig werden“⁵⁰⁹. Diese Lehre weist Menius zurück. Sie verführe die einfachen Menschen zu allerlei Sünden.⁵¹⁰ Menius lässt die Auslegung von Mt 25,41, in der das Feuer auf Gottvater gedeutet wird, nicht gelten. Er entgegnet, Mt 25,46 (dort ist davon die Rede, dass einem Teil der Menschen ewige Leiden bevorstehen) zeige deutlich, dass das Feuer als die ewige Höllenqual zu verstehen ist. Die Auslegung der Gegenseite hingegen lehnt er als beliebig ab.⁵¹¹ Das Argument, wer bei Gott sei, müsse selig werden bzw. sein, meint Menius dadurch ad absurdum zu führen, dass er schreibt, aufgrund von Gottes Omnipräsenz (entsprechend Ps 139,7 f.) ließe sich dann auch sagen, jede Kreatur sei selig, da Gott bei ihnen allen ist.⁵¹² Die Argumentation der Gegner bezeichnet Menius als „eittel vnnütz geschwetz“⁵¹³. Das Sein bei Gott definiert er stattdessen als Vertrauen auf Gottes Güte, Gnade und Schutz⁵¹⁴ sowie als heilsnotwendigen Glauben daran, dass Gott „vns […] ewig selig machen will/ aus gnaden vnd barmhertzigkeit vmb Christus willen/ Wer also bey Gott ist/ der ist recht vnd warhafftig bey jhm/ vnd wird gewislich ewig selig/ Wer aber also nicht

          

Ebd., fol. X 4v. Vgl. ebd., fol. X 4r–4v. Ebd., fol. X 4v. Ebd., fol. X 4v–Y 1r. Vgl. ebd. Ebd., fol. Y 1r. Vgl. ebd. Vgl. ebd., fol. Y 1r–1v. Vgl. ebd., fol. Y 1v. Ebd. Vgl. ebd., fol. Y 1v–2r.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

83

bey jhm ist/ der ist […] ewig verdampt“⁵¹⁵. Auch die Idee eines irdischen Gottesreiches verwirft Menius nochmals als unbiblisch.⁵¹⁶ In diesen Ausführungen nennt Menius jedoch nicht die Namen derjenigen, die ihm zufolge solche Ansichten vertreten. Ein weiteres Beispiel dafür, die Allversöhnungslehre als Charakteristikum täuferischer Theologie zu präsentieren, stellt Heinrich Bullingers (1504– 1575) Schrift Der Widertöufferen Ursprung von 1560 dar.⁵¹⁷ Im fünfzehnten Kapitel des zweiten Buchs wendet sich Bullinger gegen „die grüwenliche irrthumb deren/ die da hieltend der Tüfel vnd alle gottlosen wurdind zů letst ouch sälig/ vnnd das alt Testament verwerffend.“⁵¹⁸ Bullinger fasst die Position bzw. die Argumentation der Gegner, die er im Blick hat, zusammen. Ihm ist bewusst, dass nicht alle Täufer die Allversöhnung lehren⁵¹⁹, doch ordnet er Vertreter dieser Lehre dem Täufertum zu: „AOch sind vnder diser grüwenlichen Töufferen zal überig/ die da hieltend daß sich Gott endtlich/ vnd nach geschächnem gericht/ aller wurde erbarmen. Dann Gott könne vnd möge nit ewig zürnen. So heisse ewig nit immerwärend/ sonder lang. Darumb werdind endtlich alle gottlosen sampt den Tüflen ouch sälig.“⁵²⁰ Auch hier wird also unter anderem darauf hingewiesen, dass die Vertreter einer solchen Lehre die Ewigkeit von Gottes Zorn bzw. der Hölle (nicht das Jüngste Gericht an sich), mithin die Verewigung des Bösen, in Abrede stellen.⁵²¹ Der Hauptkritikpunkt Bullingers lautet, dies habe insofern ethische Konsequenzen, dass sie zu einem liederlichen Lebenswandel führe.⁵²² Solchem zu wehren ist

 Ebd., fol. Y 2r.  Vgl. ebd.  Heinrich Bullinger: Der Widertöufferen vrsprung/ fürgang/ Secten/ wäsen/ fürnemme vnd gemeine jrer leer Artickel/ ouch jre gründ/ vnd warumb sy sich absünderind/ vnnd ein eigne kirchen anrichtind/ mit widerlegung vnd antwort vff alle vnd yede jre gründ vnd artickel/ sampt Christenlichem bericht vnd vermanen daß sy jres irrthumbs vnd absünderens abstandind/ vnd sich mit der kirchen Christi vereinigind […]. Zürich 1560. Zu dieser weit verbreiteten Schrift Bullingers vgl. auch Williams (s. Anm. 454), S. 1292. Bullinger lehnte die Allversöhnung Williams zufolge bereits deutlich früher ab, nämlich schon um das Jahr 1530. Zudem warf er den Täufern beispielsweise auch vor, den Seelenschlaf zu lehren. Vgl. ebd., S. 312. Zu Bullinger vgl. einleitend Peter Opitz: Art. Bullinger, Heinrich. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg.von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 1 (2011), Sp. 396 – 404.  Bullinger (s. Anm. 517), fol. 71v.  Bullinger versucht, Unterschiede innerhalb der Täuferbewegung wahrzunehmen, tendiert in seiner Schrift aber zugleich dazu, das Täufertum als Einheit darzustellen. Vgl. dazu Williams (s. Anm. 454), S. 1292.  Bullinger (s. Anm. 517), fol. 71v.  Vgl. ebd., fol. 71v–72v. Zur Leugnung der Lehre der ewigen Hölle vgl. auch Williams (s. Anm. 454), S. 895.  Vgl. Bullinger (s. Anm. 517), fol. 71v–72r.

84

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

also positiv gesagt ein Nutzen der Rede vom Jüngsten Gericht mit doppeltem Ausgang. Bullinger zufolge existiert die (irrige) Vorstellung einer Apokatastasis panton seit der Alten Kirche.⁵²³ Hans Denck vertrat, so Bullinger, diese Lehre zeitweise, widerrief sie jedoch am Ende seines Lebens.⁵²⁴ Bullingers Meinung ist indes, dass die Gelegenheit zur Buße und mithin Gottes Vergebung nur bis zum Tode für die Menschen besteht. Nach dem Sterben hingegen sei die Möglichkeit nicht länger gegeben. Bullinger betont den Ernst des Letzten Gerichts, die Realität des doppelten Ausgangs sowie die Ewigkeit der Höllenstrafen, welche die unbußfertigen Gottlosen zu erwarten haben.⁵²⁵ Die Allversöhnung zu lehren, bedeutet für Bullinger, „Gott in sin grächt vrteil zů reden vnd das selb zů enderen“ bzw. „felschen vnd nach vnserm verstand trucken.“⁵²⁶ Dagegen verweist er auf die Souveränität Gottes des Richters, gerade bei diesem alles entscheidenden letzten Urteil.⁵²⁷ Weiterhin ist es Bullinger darum zu tun, darzulegen, dass die ewigen Straf(leid)en nicht als (sehr) lange Zeit misszuverstehen, sondern als endlos⁵²⁸ aufzufassen sind, wozu er etwa Mt 25,41 als Beleg heranzieht.⁵²⁹ Den doppelten Ausgang dürfe kein Christ leugnen. Die ewige Strafe für die Verdammten zu lehren entspricht Bullinger zufolge nicht nur der Tradition der rechtgläubigen Kirche, sondern vor allem der Weisung Christi.⁵³⁰ Es ist festzuhalten, dass nicht alle der unter der Bezeichnung ‚Täufer‘ zusammengefassten Individuen⁵³¹ die gewaltsame Durchsetzung eines irdischen Gottesreiches anstrebten oder die Erlösung aller Menschen (und Teufel) verkündigten. Bei einer etwaigen Rekonstruktion der Position der Vertreter einer Allversöhnungskonzeption aus den Texten von Menius, Bullinger und anderen muss bedacht werden, dass es sich um eine Wiedergabe durch die Gegenseite handelt,  Vgl. ebd., fol. 72r.  Vgl. ebd. Für die Gegner der Allversöhnungslehre war Dencks Widerruf vermutlich ein gewisser Prestigeerfolg.  Vgl. ebd., fol. 72r–72v.  Ebd., fol. 72v.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Zudem beruft er sich auf Dan 12,2 f. und Joh 5,28 f. und deutet den Begriff ‚Gericht‘ als den Ausgang des Gerichts zur Strafe. Auch anhand von Jes 66,24 und Mk 9,45 f. versucht Bullinger zu belegen, dass die Schrift von unendlicher statt vorübergehender Feuer-Strafe spricht. Vgl. ebd., fol. 72v–73r.  Vgl. ebd., fol. 73r.  Vgl. etwa Geoffrey Dipple: The Spiritualist Anabaptists. In: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521– 1700. Hrsg. von John D. Roth und James M. Stayer. Leiden u. a. 2007 (= Brill’s Companions to the Christian Tradition 6), S. 257– 297, hier S. 291– 294. Zur Diversität der Nonkonformisten bzw. der radikalen Individuen und Gruppen der Reformation(szeit) vgl. Williams (s. Anm. 454), passim.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

85

die nicht zwingend vollständig oder präzise sein muss.⁵³² Zugleich sei darauf hingewiesen, dass man es bei den sogenannten nonkonformistischen Positionen mit vielschichtigen eschatologisch-theologischen Argumentationen zu tun hat, welche als relevante Beiträge zur Gerichtsthematik zu würdigen sind.

3.3.2 Mögliche Vertreter einer Allversöhnungs-Konzeption Als Nonkonformisten, welche die Erlösung aller Menschen und gar der Teufel lehrten, gelten beispielsweise Clemens Ziegler oder Hans Denck. Auch Jakob Kautz⁵³³ (ca. 1500–ca. 1532) wurde vorgeworfen, die Allversöhnung gelehrt zu haben. Kautz war zwar mit Luthers Gedanken vertraut, schloss sich jedoch den Täufern an und pflegte Kontakt mit Hans Denck und Melchior Rinck (ca. 1493– ca. 1545).⁵³⁴ Der fünfte seiner Syben Artickel, die er 1527 in Worms⁵³⁵ veröffentlichte bzw. präsentierte, wurde jedenfalls sowohl von Anhängern der Lehre Luthers als auch von altgläubiger Seite so verstanden, als habe Kautz darin die Apokatastasis panton vertreten – und entsprechend von beiden Seiten kritisiert.⁵³⁶ Im fünften

 Auch in den sogenannten Nikolsburger Artikeln, die zu Unrecht mit Balthasar Hubmaier (ca. 1485 – 1528) als Verfasser in Verbindung gebracht wurden, ist die Rede von einer endlichen Allversöhnung. Die in verschiedenen Fassungen mit unterschiedlichen Aussagen und variierender Textlänge überkommenen Artikel sind jedoch nicht unkritisch zu betrachten. Auch wenn Teile der darin beschriebenen Auffassungen sicherlich von Individuen oder Gruppen vertreten wurden, muss berücksichtigt werden, dass die Texte von Gegnern verfasst und die Inhalte entsprechend polemisch dargestellt (und möglicherweise verändert) wurden. Eine zentrale Rolle bei der Sammlung dieser (mutmaßlichen) täuferischen Lehren spielte Urbanus Rhegius (1489 – 1541), der vehement gegen die Täufer polemisierte.Vgl. dazu Williams (s. Anm. 454), S. 283 – 285, sowie ebd., S. 283, Anm. 118.Vgl. dazu (sowie zu Hans Huts möglicher Stellung zu den Artikeln) auch Clarence Bauman: Gewaltlosigkeit im Täufertum. Eine Untersuchung zur theologischen Ethik des oberdeutschen Täufertums der Reformationszeit. Leiden 1968 (= Studies in the History of Christian Thought 3), S. 59 bzw. S. 61– 63, Anm. 3. Vgl. auch Gottfried Seebaß: Art. Hut, Hans. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15 (1986), S. 741– 747, hier S. 742. Zu Hubmaier vgl. Christof Windhorst: Art. Hubmaier, Balthasar. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15 (1986), S. 611– 613.  Vgl. zu Kautz etwa Dipple (s. Anm. 531), S. 257; 272 f.  Vgl. Williams (s. Anm. 454), S. 261.  Die Täuferbewegung war zu dieser Zeit in Worms durchaus präsent. Vgl. ebd., S. 261. Zu Dencks Wirken in Strassburg und Worms vgl. auch ebd., S. 260 – 263. Zu Dencks Zeit in Nürnberg und seiner Verbannung aus der Stadt vgl. ebd., S. 248 – 254. Zur Duldung von Täufern bei einigen Herrschern vgl. etwa Brendle (s. Anm. 5), S. 98 f.  Vgl. Jakob Kautz (Verf.), Ulrich Preu (Verf.), Johann Freiherr (Verf.) und Johannes Cochläus (Verf. und Hrsg.): Syben Artickel zu Wormbs von Jacob Kautzen angeschlagen vnnd gepredigt. Verworffen vnd widerlegt mit schrifften vnnd vrsachen […]. [Mainz] 1527. Vgl. zu den Syben Artickeln auch etwa Dipple (s. Anm. 531), S. 267– 269.

86

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

Artikel Kautz‘ heißt es: „Alles das im ersten Adam vndergangen vnd gestorben/ das selbig ist/ vnnd wirdt reichlicher im andern Adam/ das ist in Christo Jesu vnsern herrn vnd fürgenger auffgehn/ vnd lebendig werden nach rechter ordenunge.“⁵³⁷ Kurz nach der Veröffentlichung 1527 übten einige lutherisch gesinnte Wormser Prediger an Kautz‘ Artikeln Kritik.⁵³⁸ In der Widerlegung des fünften Artikels zeigt sich, dass die Verfasser diesen Artikel mit einer Allversöhnungslehre in Verbindung bringen, da sie an dieser Stelle den doppelten Ausgang des Endgerichts betonen: „Wie allein die gesundt sein worden/ die die Eeren schlangen haben angesehen in der wüsten. iiij. Mose im xxj. Also werden auch alleyn dise ewig leben vnd erhalten von Christo/ die an jnen glauben Joan. iij. Vber den vnglaubigen aber bleibt der zorn Gottes/ werden auch endtlich in ewige pein von Christo geurtheylt Matth. xxv.“⁵³⁹ Auf die Artikel Kautz‘ reagierte auch der Altgläubige Johannes Cochläus (1479 – 1552).⁵⁴⁰ In der Vorrede zu seiner Widerlegung der Artikel warnt er den Stadtrat von Worms vor Unruhen und Ketzereien neuer Irrlehrer, nämlich solcher, welche die „Lutherisch[e] lere“⁵⁴¹ verbreiten. Der reformatorischen Bewegung wirft er Uneinigkeit vor. Gruppierungen wie jene um Kautz zählt der Altgläubige grundsätzlich zu den Anhängern Luthers⁵⁴², wenngleich er sie als aus der Lutherbewegung entstandene Sekte klassifiziert.⁵⁴³ Dies zeigt nochmals, dass die scharfe Abgrenzung gegenüber (mutmaßlichen) Vertretern einer Allversöhnungslehre, die sich etwa in der Formulierung von CA 17 von 1530 findet, nötig ist, um von den Altgläubigen nicht mit einer Apokatastasislehre in Verbindung gebracht zu werden. Spätestens im Jüngsten Gericht wird Kautz‘ Lehre auf den Prüfstand Gottes gestellt, so Cochläus.⁵⁴⁴ In seiner Widerlegung des fünften Artikels schreibt der Altgläubige: Jm fünfften Artickel raspelt Kautz herzu/ mit verdeckten worten/ eyn alten yrtumb Origenis[sic]/ das alle menschen zu letzt sollen selig werdenn. Aber Christus spricht/ wer glaubt

 Syben Artickel (s. Anm. 536), fol. a 3r.  Vgl. ebd., fol. a 4r. Namentlich genannt sind Ulrich Preu (ca. 1. Hälfte 16. Jh.) und Johann Freiherr (ca. 1. Hälfte 16. Jh.) sowie weitere anonyme Anhänger der Reformation Luthers. Vgl. ebd. Anhand der Antwort auf den sechsten Artikel etwa wird die antipäpstliche Haltung dieser Autoren deutlich, vgl. ebd., fol. b 1r.  Ebd.  Vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 262 f.  Syben Artickel (s. Anm. 536), fol. b 2v.  Vgl. ebd., fol. b 2r–3v.  Vgl. ebd., fol. b 3r.Vgl. auch ebd., fol. b 3v. Gleichwohl wirft Cochläus den Reformatoren auch Uneinigkeit und Widersprüchlichkeit ihrer Aussagen vor. Vgl. ebd., fol. b 4r.  Vgl. ebd., fol. b 2v.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

87

vnd getaufft wirdt/ der wirdt selig/ wer nicht glaubt/ der ist schon verdampt. Mar. xvi. Vnd wer da sündiget wider den heyligen geyst/ dem wirdt es weder hie noch dort vergeben. Matth. xij. Jtem es ist besser/ du gehst zum leben kranck oder lam/ dann daß du zwu hende oder zwen füß habest vnd würdest geworffen in das ewig fewer etc. wie man aber Paulum vom ersten vnnd andern Adam recht verstehen soll/ leren vnns die heyligen doctores Athanasius/ Ambrosius/ Hieronymus/ Chrisostomus etc. Ro. v. vnd. j. Corint. xv.⁵⁴⁵

In der Sache stimmt Cochläus mit den protestantischen Gegnern Kautz‘ an dieser Stelle (im Unterschied etwa zur Widerlegung des sechsten Artikels⁵⁴⁶) überein. So versteht auch dieser Autor Kautz‘ fünften Artikel als Bekenntnis zur Allversöhnungslehre und widerspricht deutlich, wenngleich unter Heranziehung anderer biblischer loci als die Anhänger Luthers⁵⁴⁷. Auch verweist er anders als diese auf die kirchliche Tradition. Explizit nennt Cochläus Origenes als Urheber der Apokatastasis-Konzeption. Nochmals komplizierter werden die Dinge dadurch, dass 1527 reformatorisch gesinnte Prediger aus Straßburg Dencks Lehren und die Syben Artickel von Kautz

 Ebd., fol. c 2r–2v.  In den Ausführungen zum sechsten Artikel zeigt sich, dass Cochläus sowohl Kautz als auch die Anhänger Luthers kritisiert: „Jm sechsten Artickel seind beyde teyl vppig/ mißuerstendig vnd lügenhafftig/ dann sie beyde beklaffen felschlich vns Christen [= Die Altgläubigen]/ vnnd wöllen sich mit vnsern harn rauffen/ so sie gegen eynander fechten vnd mit vppigen worten stechen. Es ist ye nicht war/ das wir vnd alle welt Christum für eyn Abgott halten/ auch wöllen wir nicht on glauben Christo nach volgen/ denn wir wissen wol/ das on glauben nymandt mag Gott wol gefalen Hebre. xj. So wöllenn wir auch nicht alleyn auff den blossen glauben (wie Luther vnd sein hauff leret) trotzen/ vnd verachten gute werck/ denn wir wissenn/ da der glaub on gute werck todt ist inn yhm selbst Jac. ij. [W]ir begeren Christo nach zu volgen mitt glauben vnd wercken/ als vil vnns sein gnad verleihet/ denn on yhn vermögen wir nichts Johan. xv. Wir glauben aber doch darneben/ das vil getaufften kindlin/ der keyn zal ist/ durch den todt Christi dem sie durch die tauff ein geleibet seind/ selig werden/ vnnd Christuss für sie gelitten hab/ wie wol sie nicht mit wercken hie inn seine fußstapffen tretten. Vnnd were billich disser Artickel auch zu beydem teyl wol inn der feddern bliben.“ Ebd., fol. c 2v–3r.  Cochläus führt Mk 16[,16] und Mt 12[,32]; 18[,8] (sowie Röm 5[,12– 21] und 1Kor 15[,21 f.]) an. Luthers Gefolgsleute berufen sich hier hingegen auf Num 21[,4– 9]; Joh 3[,18] und Mt 25[,41.46], wobei die Bezugnahme auf Mt 25,41.46 – sowie auf Mk 9,45 f. bzw. Jes 66,24 – im Kontext der Verteidigung der Lehre ewiger Höllenstrafen konfessionsübergreifend erfolgt. Auf Mt 12,32 beruft sich später der Lutheraner Meyfart ebenso wie Cochläus hier, vgl. Johann Matthäus Meyfart: Von Dem Hellischen Sodoma/ Auff Historische Weise/ ohn alle Streitsachen/ Aus den inbrünstigsten vnd andächtigsten Contemplationen, So wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. 2. Buch. Coburg 1630, S. 297. Meyfart zieht zudem unter anderem Mt 25,41.46 und Apk 20,10 heran, vgl. ebd., S. 296 f.; 298 f. Bullinger führt überdies Dan 12,2 f. sowie Joh 5,28 f. an, siehe dazu oben Anm 529.

88

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

kritisierten⁵⁴⁸, am fünften Artikel jedoch keinen großen Anstoß nahmen bzw. diesen nicht als Bekenntnis zur Allversöhnungslehre verstanden.⁵⁴⁹ Dies könnte auch ein Indiz dafür sein, dass sich Kautz selbst nicht zur Apokatastasis bekennen wollte. Die besagten Prediger schreiben über den fünften Artikel, sie „sehen […] nicht warinn er wider vns sein solle“⁵⁵⁰ und warnen nur davor, die Nachfolge Christi zu stark als ein notwendiges Werk zu sehen, welches der Mensch aus eigenem Willen erfüllen kann und muss.⁵⁵¹ Gleichwohl halten die Straßburger es für einen Teil der Lehre der Partei um Denck⁵⁵² bzw. der Täufer, dass „alle teuffel vnnd verdampten werden noch selig werden“⁵⁵³ und weisen dies zurück. Die Kritik an einer Allversöhnungslehre wird hier also nicht von der Auseinandersetzung mit den Syben Artickeln her entwickelt, sondern erscheint als Ablehnung einer Position, die grundsätzlich mit Denck und seinen Anhängern in Verbindung gebracht wird. Ein weiterer Vorwurf lautet, diese Täufer würden Versuche anstellen, das Weltende zu datieren.⁵⁵⁴ Auch Hans Denck soll, wie bereits Zeitgenossen berichten, zeitweise⁵⁵⁵ eine Allversöhnungslehre vertreten⁵⁵⁶, die Ewigkeit der Höllenqual geleugnet⁵⁵⁷ und versucht haben, diese Gedanken unter den Täufern zu verbreiten⁵⁵⁸. George Huntston Williams verweist dabei unter anderem auf eine weitere Quelle, in der wiederum Dritte Denck beschuldigen, dieser habe gelehrt, dass „weder hell noch fägkfür [sei], und am jüngsten tag […] die tüfel glich als wol inn himel als die userwelten [kommen]“⁵⁵⁹, was Denck laut Informanten⁵⁶⁰ damit begründet, dass

 Vgl. dazu auch Williams (s. Anm. 454), S. 262 f. Auch Bucer verfasste eine Widerlegung der Artikel Kautz‘, vgl. ebd., S. 263.  Vgl. QGT 7, 91– 115 (Nr. 86: Warnungsschrift der Strassburger Prädikanten gegen die Irrtümer des Jakob Kautz und Hans Denck 1527).  QGT 7, 105.  Vgl. QGT 7, 93; 105. Vgl. dazu auch den sechsten Artikel der Syben Artickel (s. Anm. 536), fol a 3r.  Neben Kautz wird auch Ludwig Hätzer (ca. 1500 – 1529) erwähnt. Vgl. etwa QGT 7, 114.  QGT 7, 113. Vgl. auch QGT 7, 113 f. Ein Vorwurf lautet, es sei inkonsequent, einerseits eine Werkgerechtigkeit zu lehren und andererseits mit der Allversöhnung zu rechnen. Vgl. auch QGT 7, 93.  Vgl. QGT 7, 109.  Vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 254.  Williams zufolge wurde Denck inhaftiert, da er die Auffassung vertrat, „that there is no purgatory and that at the Last Judgment even the devil will be spared.“ Ebd.  Vgl. QGTS 2, 614 (Johannes Keßler. Auszüge aus den Sabbata ca. 1533).  Vgl. Williams (s. Anm. 454), S. 254.  QGTS 2, 274.  Vgl. ebd.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

89

„am letsten ain hirt und ain schaffstail werde sin“⁵⁶¹ (vgl. Joh 10,1– 30). Allerdings ist abermals zu berücksichtigen, dass es sich um Berichte handelt, die nicht von Denck selbst stammen, sondern möglicherweise polemisch gefärbt sind.⁵⁶² Die „angebliche Lehre einer allgemeinen Erlösung“⁵⁶³ mag „Gerüchte“⁵⁶⁴ zum Anlass haben.⁵⁶⁵ Auch ist nicht unumstritten, ob Denck wirklich die Erlösung aller Menschen (und gar des Teufels) verkündete. In seinem Werk Was geredt sey, das die Schrifft sagt etwa zeigt sich seine Zuversicht, dass Gottes Heilswille allen Menschen gilt – ohne dass dies mit einem klaren Bekenntnis zur Allversöhnungslehre verbunden würde.⁵⁶⁶ Einerseits betont Denck hier stark, dass Gott den Ungläubigen ihr Fehlgehen zeigt, ihnen die Möglichkeit zur Bekehrung gibt und keinem Menschen, der Buße tut und umkehrt, die Vergebung verwehrt. Die Umkehr ist ihm zufolge jederzeit noch möglich. Mitunter wird daher die Auffassung vertreten, nach Denck würden all jene, die die Erlösung ablehnen, nach endlichen Leiden am Ende einwilligen und Gottes Heilsangebot annehmen, also ebenfalls erlöst werden.⁵⁶⁷ Andererseits kann Denck in derselben Schrift sagen, jenen, die Christus willentlich zurückweisen, drohe „der nagend wurmb/ den niemandt tödten/ vnnd das ewig feur/ das niemandt löschen kan.“⁵⁶⁸ Auch Matthias Gockel bezweifelt, dass es Dencks Theologie angemessen ist, von einer Allversöhnungslehre zu sprechen.⁵⁶⁹ Gockel hat gezeigt, dass Denck die Möglichkeit der Verdammnis nicht grundsätzlich ablehnte.⁵⁷⁰ Die Möglichkeit anzunehmen bzw. zu hoffen, dass alle Menschen

 Ebd. Möglicherweise wollte Denck unter Bezugnahme auf diese Bibelstelle ein Argument von Gegnern parieren, welche sich auf Mt 25,32 f. beriefen, um anhand der Rede von der Scheidung der Böcke von den Schafen einen biblischen Beleg für den doppelten Ausgang des Gerichts anführen zu können. Zu Dencks (mutmaßlichem) Bezug auf Joh 10 (sowie 1Tim 2,4; Hos 13,14 bzw. 1Kor 15,55) vgl. QGTS 2, 614.  Dencks Gegner behaupteten, dass er lehrt, letztendlich werden alle Menschen und sogar die Teufel selig werden. Vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 256; 258. Zu Dencks Vertreibung aus Nürnberg vgl. ebd., S. 254. Zu seiner Zeit in Augsburg, Strassburg und Worms vgl. ebd., S. 255 – 263.  Werner O. Packull: Art. Denck, Hans. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 8 (1981), S. 488 – 490, hier S. 488.  Ebd.  Vgl. auch Dipple (s. Anm. 531), S. 264.  Vgl. Hans Denck: Was geredt sey/ das die Schrifft sagt/ Gott thue vnd mache guts vnd böses. […]. [Worms] 1527 [11526], fol. B 2v. Vgl. auch ebd., fol. A 5v–7r; A 8r; B 4r–4v; B 6r–6v; B 7v; C 2v. Die Adressaten ermahnt Denck gar, sie dürfen Christus nicht ablehnen, „auff das ir vor seinem Stůl vnd gericht vnsträflich […] mögt bestehenn“. Ebd., fol. C 2r.  Vgl. Packull (s. Anm. 563), S. 489; vgl. auch Gockel (s. Anm. 49), S. 134.  Denck (s. Anm. 566), fol. C 2r.  Vgl. Gockel (s. Anm. 49), S. 145; 147 u. ö.  Vgl. ebd., S. 136; 140 f.

90

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

erlöst werden könnten, ist Gockel zufolge nicht mit einer Apokatastasislehre zu verwechseln.⁵⁷¹ Ewige Strafen der Gottlosen sind Denck zufolge möglich. Dabei weist Gockel auf die (Spitzen‐)Aussage Dencks hin, dass Gott den nicht liebe, der ihn nicht liebt.⁵⁷² Meines Erachtens stimmen die Auffassungen des Nonkonformisten und die der Anhänger Luthers insofern überein, dass der Gedanke abgelehnt wird, nach Gottes Willen wären bestimmte Menschen von der Möglichkeit des Heils ausgeschlossen.⁵⁷³ In seinem Widerruf ⁵⁷⁴ thematisiert Denck den Vorwurf, eine Apokatastasiskonzeption verbreitet zu haben, nicht. Der Eschatologie bzw. dem Jüngsten Gericht ist keiner der zehn Abschnitte explizit gewidmet.⁵⁷⁵ Allerdings lässt sich feststellen, dass Denck sich hier zum doppelten Ausgang des Endgerichts zu bekennen scheint: „GOtt wirt eynem jeglichen geben nach seinen wercken/ dem bösen ewige straaf/ nach seiner gerechtigkeyt/ dem gůtten das ewige leben nach seiner barmhertzigkeyt“⁵⁷⁶. Auch im Oeuvre Hans Huts⁵⁷⁷ zeigt sich, dass dieser wenigstens zeitweise am Bekenntnis zur Parusie Christi zum Gericht festhält⁵⁷⁸ und zwar den wahren Christen das ewige Heil in Aussicht stellt, nicht jedoch allen Menschen oder gar den Teufeln.⁵⁷⁹ Hut trifft zudem die Aussage, dass es die Menschen zu einem liederlichen Lebenswandel ermutigt, wenn Gnade zu jedem Anlass verkündigt wird.⁵⁸⁰

 Vgl. ebd., S. 142.  Vgl. ebd., S. 145 und ebd., S. 145, Anm. 100.  Somit wird der Theorie einer doppelten Prädestination die Grundlage entzogen. Wenngleich die Thematik bereits zuvor aufkam, wurde die Lehre der doppelten Prädestination im Wesentlichen erst ab 1586 konfessioneller Marker und Streitpunkt zwischen Lutheranern und Reformierten, vgl. BSELK 1286 f., Anm. 264 (Die Konkordienformel – Epitome 11).  Vgl. Hans Denck: Wid’ruff. Vff die zehen artikel […]. [Worms] [1528].  Vgl. ebd., fol. a 3r–7v.  Ebd., fol. a 4v. Vgl. auch ebd., fol. a 3r. Im Hinblick auf sein Urteil im Gericht Christi zeigt Denck sich zuversichtlich, vgl. ebd., fol. a 5r.  Zu Hut vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 247 f.; 263 – 285.  Vgl. Hut, Hans (Verf.) und Landtsperger, Johannes (Hrsg.): Ain christliche underrichtung […]. [Augsburg] 1527, fol. B 1r–1v.  Vgl. ebd., fol. B 3r. Die zweite Person der Trinität verbindet Hut mit dem Aspekt der Gerechtigkeit Gottes, während die Barmherzigkeit dem Heiligen Geist zugeordnet wird.Vgl. ebd., fol. A 4r. Zudem beschreibt Hut eine Art Hölle des Unglaubens und führt dabei sowohl die Situation Jonas im Wal als auch Christi Erfahrung der Gottverlassenheit am Kreuz an. Während dies durchaus an Luthers Ausführungen erinnert (siehe oben Kapitel 2.6), legt Hut indes den Akzent stärker auf die Heiligung des Christen und dessen Leiden in der Welt. Vgl. ebd., fol. B 2r–2v.  Vgl. ebd., fol. B 4r.

3.3 Allversöhnung bei den Täufern?

91

Williams schreibt weiterhin, dass neben etwa Denck (und Bader) die Apokatastasis von Clemens Ziegler (geboren um 1480)⁵⁸¹ vertreten wurde. „Ziegler expressly cited Origen in support of his conviction that pagans and devils, even without their knowledge of the earthly work of Christ, would be saved before the Last Judgment.“⁵⁸² Williams bezieht sich hier einerseits auf polemische Aussagen von Dritten⁵⁸³ sowie auf einen Text von Ziegler aus dem Jahr 1524.⁵⁸⁴ Darin erwähnt Ziegler zwar Origenes, rechnet allerdings an dieser Stelle nicht damit, dass alle Menschen oder gar die Teufel zum ewigen Heil gelangen.⁵⁸⁵ Anders liegen die Dinge jedoch in Zieglers Schrift Von der seligkeit aller menschen seelen von 1532.⁵⁸⁶ Ziegler besteht darauf, nicht zu den Wiedertäufern gezählt zu werden.⁵⁸⁷ Man mag ihn als individualistischen Spiritualisten oder Universalisten bezeichnen. Die Grundzüge der eschatologisch-theologischen Aussagen Zieglers lassen sich folgendermaßen nachzeichnen: Als persönliches Glaubenszeugnis⁵⁸⁸ formuliert Ziegler, dass er die Heilstat Christi für derart universal und bedeutsam hält, dass auf das Heil für alle Menschen zu hoffen ist⁵⁸⁹ und ihm der Konflikt zwischen den Altgläubigen und Protestanten sowie selbst die Verwerfung anderer Religionen durch die Christen unbedeutend erscheinen.⁵⁹⁰ Die Idee eines limbus patrum, in welchem die Gerechten des alten Bundes leiden, akzeptiert Ziegler nicht.⁵⁹¹ Weiter schreibt er mit Anspielung auf die Formulierung aus Mt 25,32 f., „[a]lle menschen werden beck sin vnd alle menschen werden schof sin“⁵⁹², d. h. das ‚Böckische‘ bzw. die Sündhaftigkeit, die jedem Menschen in der unvollendeten Welt noch anhaftet, wird ihm zufolge im Jenseits überwunden sein.⁵⁹³ Ziegler betont die

 Zu Ziegler vgl. Ludwig Keller: Art. Ziegler, Clemens. In: Allgemeine Deutsche Biographie 45 (1900), S. 165 f. [Onlinefassung. URL: https://www.deutsche-biographie.de/ gnd119877783.html#adbcontent (zuletzt aufgerufen am 22.08. 2016)].  Williams (s. Anm. 454), S. 1275 f.  Vgl. ebd., S. 1276, Anm. 64. Williams verweist auf folgenden Text: QGT 7, 357 f., hier 358 (Nr. 285: Die Straßburger Prediger bitten den Rat gegen die Verlästerung ihrer Lehre einzuschreiten 1531).  Vgl. QGT 7, 11– 18 (Nr. 8: Ausführungen des Laienpredigers Clemens Ziegler über das Abendmahl und die Taufe 1524).  Vgl. QGT 7, 13.  Vgl. QGT 7, 563 – 574 (Nr. 346: Der Laienprediger Clemens Ziegler in Ruprechtsau vollendet seine Schrift „Von der seligkeit aller menschen seelen.“ 1532).  Vgl. QGT 7, 573 f.  Vgl. etwa QGT 7, 564.  Vgl. QGT 7, 564 f.  Vgl. QGT 7, 570 f.  Vgl. QGT 7, 570.  Ebd.  Vgl. ebd.

92

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

Barmherzigkeit Gottes.⁵⁹⁴ Der Jüngste Tag (des Gerichts) erfolgte laut Ziegler am Tag der Passion Christi.⁵⁹⁵ Keine Verdammnis zu lehren, bedeutet nicht, auch die ewige Seligkeit in Abrede zu stellen, so Ziegler.⁵⁹⁶ Die Nächstenliebe dürfe dennoch nicht vernachlässigt werden.⁵⁹⁷ Gewiss haben auch die Aussagen Dritter über Denck, Kautz und andere einen wahren Kern. Anhand von Aussagen darüber, dass zur Begründung des Glaubens an die Apokatastasis panton beispielsweise Joh 10,16 angeführt oder die vergebende Liebe Gottes betont worden sein sollen, lassen sich möglicherweise gewisse Teile der Argumentation rekonstruieren. Andererseits zeigt sich, dass in der Frage, wer sich zu einer (Art von) Allversöhnungslehre bekannte, differenziert werden sollte. Eine genauere Beschäftigung mit den möglichen Vertretern einer solchen Lehre erweist sich als lohnend.

3.4 Der annihilatio-Gedanke bei Lelio Sozzini, Fausto Sozzini und Ernst Soner Anders als in den bereits vorgestellten Ansätzen führen die in der Frühen Neuzeit etwa in Schlesien präsenten sogenannten Sozinianer⁵⁹⁸ im Anschluss an die Antitrinitarier Lelio (1525 – 1562) und Fausto Sozzini (1539 – 1604) rationalistische Argumente an, um die Ewigkeit der Hölle als absurd zu erweisen. Lelio Sozzini und dessen Neffe Fausto vertreten die Auffassung, es werde zu einer sogenannten annihilatio der Gottlosen kommen, also einer Ver-Nichtung der Bösen, statt der ewigen Höllenqual derselben.⁵⁹⁹ Beide kritisieren die Lehre einer

 Vgl. QGT 7, 567 u. ö.  Vgl. QGT 7, 570.  Vgl. QGT 7, 569.  Vgl. QGT 7, 566; 568.  Vgl. etwa Garber (s. Anm. 42), S. 90; 101. Zur Präsenz von und dem Umgang mit Sozinianern vgl. auch Sascha Salatowsky: Dürfen Sozinianer geduldet werden? Obrigkeitliche und theologische Debatten in Brandenburg und Preußen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur. Hrsg. von Friedrich Vollhardt. Berlin u. a. 2014 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Antitrinitarismus und Sozinianismus in der Frühen Neuzeit 2), S. 223 – 250. Sozinianer gab es zeitweise beispielsweise auch in Nürnberg, Altdorf (vgl. ebd., S. 223), Wittenberg (vgl. ebd., S. 227) und Danzig (vgl. ebd., S. 232). Allerdings konnten sie nicht damit rechnen, geduldet zu werden, sondern wurden häufig vertrieben, vgl. ebd., S. 232– 237; 240.  Vgl. zu Lelio Sozzini Williams (s. Anm. 454), S. 876 – 883; 965 – 972. Lelio Sozzini korrespondierte mit Calvin, doch dessen Antworten befriedigten ihn nicht. Vgl. ebd., S. 881 f. Vgl. zu Fausto Sozzini auch ebd., S. 973 – 990; 1162– 1175.

3.4 Der annihilatio-Gedanke bei Lelio Sozzini, Fausto Sozzini und Ernst Soner

93

ewigen Höllenstrafe und gehen davon aus, dass am Jüngsten Tag lediglich eine Auferstehung der Guten, welche zur ewigen Seligkeit gelangen werden, erfolgen wird – die Bösen bleiben ihnen zufolge im Tod bzw. im Nichts.⁶⁰⁰ Auch Ernst Soner (1572 – 1612) wendet sich in seiner Schrift Demonstratio theologica ⁶⁰¹ am Ende des 16. Jahrhunderts gegen die Vorstellung, dass die Höllenstrafen ewig währen können⁶⁰², da Gott sonst nicht gerecht sei, und rechnet mit einer annihilatio der Bösen.⁶⁰³ Eine ewige Strafe für ein zeitliches Vergehen wäre Soner zufolge unverhältnismäßig, mithin ungerecht⁶⁰⁴ und würde eine Verewigung des Bösen bzw. der Straftaten bedeuten.⁶⁰⁵ Wie viel auf Erden also gesündigt wird, eine ewige Strafe wäre Soner zufolge ungerecht.⁶⁰⁶ Soner sieht, positiv formuliert, auch die Konsequenz der Entwertung der Heilstat Christi im Falle ewiger Verdammnis derer, die Christus erlöst hat.⁶⁰⁷ Eine ewige Strafe stände, so Soner, im Widerspruch zu Gottes Gerechtigkeit – mit diesem Gedanken versucht Soner auch die Argumentation der Gegenseite zu entkräften, da diejenigen Theologen, welche den doppelten Ausgang des Gerichts und endlose Höllenqual lehren, sich dabei ja auf eben jene Gottesgerechtigkeit berufen.⁶⁰⁸ Soner schlägt nun vor, um die Rede von göttlicher Gerechtigkeit wahren und den zweiten Tod neu deuten zu können, mit der annihilatio der Bösen zu rechnen:  Vgl. ebd., S. 882; 966; 1164; 1168 f. Williams zufolge gab es auch Fälle, in denen Nonkonformisten die Vorstellung der Ewigkeit höllischer Strafen ablehnten und die Prädestination zum Heil derart beschrieben, dass auch ein Mensch, der größte Verbrechen begeht, selig wird, weil er unabänderlich zum Heil bestimmt ist. Vgl. ebd., S. 838 f.  Vgl. Ernst Soner: Demonstratio THEOLOGICA & PHILOSOPHICA. Quod aeterna impiorum supplicia non arguant Dei justitiam, sed injustitiam. In: Fausto Sozzini, Lelio Sozzini und ders.: Tractatus aliquot Theologici, nunquam antehac in lucem editi. Eleutheropoli [= Amsterdam] 1654, S. 36 – 69. Vgl. auch Vollhardt (s. Anm. 31), S. 36.  Vgl. etwa Sommer (s. Anm. 4), S. 182.  Vgl. schon Soner (s. Anm. 601), S. 36 f. Hier klingt der annihilatio-Gedanke zunächst nur indirekt in einer negativen Formulierung an. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 161 f.  Vgl. Soner (s. Anm. 601), S. 37 f.; 43; 57. Beispielsweise heißt es: „[U]bi nulla est proportio inter delictum & poenam, ibi nulla elucet judicis justitia, sed potius injustitia: Sed inter aeterna supplicia, quae Deus dicitur impiis irrogare, & inter temporaria ipsorum delicta, nulla est proportio.“ Ebd., S. 37. Vgl. auch ebd., S. 54. Den Vergehen kommt Soner zufolge keine Unendlichkeit zu, vgl. ebd., S. 59.  Vgl. ebd., S. 39 f. Schließlich ist beispielsweise, so Soner, auch die Anzahl der zu ahndenden Vergehen endlich, vgl. ebd., S. 42; 55 – 57. Auch den Gedanken, dass es dieselbe Strafe (nämlich ewige Höllenpein) für alle verschiedenen Vergehen geben wird, zieht Soner in Zweifel. Vgl. etwa ebd., S. 48 f.; 52 f.  Vgl. ebd., S. 59.  Vgl. ebd., S. 45. Vgl. auch ebd., S. 46 und weiter ebd., S. 51 f.  Vgl. ebd., S. 59 f.Vgl. dazu etwa Vollhardt (s. Anm. 31), S. 36 f. Zu weiteren Argumenten Soners vgl. auch ebd., S. 37.

94

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

Privatio autem aeterni boni, & existentiae seu entitatis, quam excercebit in impios, dum eos per mortem secundam (de qui Apocal. 2.11. & 20.14. & 21.8.) in non ens & nihilum rediget eum injustum non facit. I. quia ista annihilatio, aut quod eam sequitur nihilum istud, non est positivum quid, aut cruciatus realis, sed potius non entis, aut non entitas convenit dici⁶⁰⁹.

Den Guten wird dann dank Gottes Allmacht (nicht jedoch weil es Gottes Pflicht, ein Verdienst des Menschen oder dergleichen wäre), so Soner, das ewige Heil zuteil.⁶¹⁰ Endliche Strafen der Gottlosen schließt Soner nicht aus.⁶¹¹ Sie erwartet schließlich jedoch die annihilatio. ⁶¹² Die Erwähnung des Begriffs ‚ewig‘ in etwa Mt 25,41.46 oder Mk 9,44 ist Soner zufolge uneigentlich zu verstehen.⁶¹³ Gemeint sei eine sehr lange Zeit oder eine Betonung der Gewissheit der Strafe.⁶¹⁴ Die Verdammten erwartet keine ewige Strafe, sondern letztendlich das Nichts, das vernichtet-Werden.⁶¹⁵ Als Wunsch formuliert er schließlich lediglich die Hoffnung auf Allversöhnung: „Pater misericordiae liberet nos omnes ab aeterna damnatione per Dominum nostrum Iesum Christum.“⁶¹⁶ Gegen die Sozinianer vorzugehen war ein konfessionsübergreifendes bzw. transkonfessionelles Anliegen.⁶¹⁷ Weniger die Argumentationen von Täufern bzw. Spiritualisten, sondern vielmehr die sozinianischen Auffassungen wurden über Konfessionsgrenzen hinweg als ernsthafte theologische Bedrohung angesehen.⁶¹⁸ Der Lutheraner Johann Matthäus Meyfart⁶¹⁹ etwa betont demgegenüber die Lehre der Ewigkeit der Hölle(nqualen).⁶²⁰ Dabei verweist er auf biblische loci wie Mt 25,41.46⁶²¹ und führt beispielsweise das Argument an, dass die Sünder ewig gesündigt hätten, wenn ihnen dies möglich gewesen wäre, und sie daher ewige

 Soner (s. Anm. 601), S. 60. Vgl. auch etwa ebd., S. 63.  Vgl. ebd., S. 60 – 62.  Vgl. etwa ebd., S. 61.  Vgl. ebd. Vgl. auch Vollhardt (s. Anm. 31), S. 37.  Vgl. Soner (s. Anm. 601), S. 64 f.; 68.  Vgl. ebd., S. 65 f.  Vgl. ebd., S. 67.  Ebd., S. 68.  Salatowsky etwa führt ein Beispiel von Zusammenarbeit zwischen Lutheranern und Reformierten an, vgl. Salatowsky (s. Anm. 598), S. 223 – 232. Auch die Katholiken ergriffen Maßnahmen gegen die Sozinianer, vgl. ebd., S. 232.  So etwa bei Johann Gerhard, vgl. Sommer (s. Anm. 4), S. 187 und Vollhardt (s. Anm. 31), S. 35. Vgl. ferner ebd., S. 36 – 38. Siehe zur Kritik an der Verwerfung der Lehre ewiger Höllenqual auch unten S. 222.  Vgl. zu Meyfart Trunz (s. Anm. 29).  Vgl. Meyfart (s. Anm. 547), S. 294– 327, speziell etwa S. 297. Die Lehre Origenes‘ weist der Lutheraner zurück, vgl. ebd., S. 299. Vgl. auch etwa Vollhardt (s. Anm. 31), S. 35.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 547), S. 296 f.

3.5 Ausblick: Allversöhnung bei Johanna Eleonora Petersen

95

Strafe verdienen.⁶²² Gegen den Einwand der Unverhältnismäßigkeit der Strafe verweist Meyfart auf Beispiele für Verbrechen, welche in kurzer Zeit verübt, doch lange – oder gar endgültig mit dem Tode – bestraft werden.⁶²³ Dabei bezieht sich Meyfart auch positiv-interkonfessionell auf den Dominikaner Ludwig von Granada (1504– 1588), in dem er unabhängig von dessen Konfession einen Gewährsmann für das gemeinsame Plädoyer für die Lehre ewiger Höllenqual sieht.⁶²⁴ In der Theologie der Aufklärung hingegen wurde die Lehre einer ewigen Hölle ebenfalls mit rationalistischen Argumenten in Zweifel gezogen.⁶²⁵

3.5 Ausblick: Allversöhnung bei Johanna Eleonora Petersen Deutlich später ist eine Allversöhnungslehre unter anderem bei der radikalen Pietistin Johanna Eleonora Petersen (sowie bei ihrem Ehemann⁶²⁶) greifbar.⁶²⁷ Johanna Eleonora Petersen entwickelte am Ende des 17. Jahrhunderts eine Apokatastasislehre, nachdem sie noch wenige Jahre zuvor in ihrem Kommentar zur Johannesoffenbarung zwar eine chiliastische Konzeption vertreten, doch am doppelten Ausgang des Jüngsten Gerichts festgehalten hatte.⁶²⁸ Nach und nach entwickelte sie ihre Allversöhnungslehre.⁶²⁹ Entscheidend ist ihre Schrift Das

 Vgl. ebd., S. 301. Zudem setzen die Verdammten ihre Gotteslästerung in der Hölle ewig fort, so Meyfart. Vgl. ebd., S. 304. Die Liste der Argumente ließe sich ergänzen. Vgl. auch etwa Daniel Lüdemann: Jüngstes Gericht. […]. Nürnberg 1650, S. 398 – 414.  Vgl. etwa Meyfart (s. Anm. 547), S. 300.  Vgl. ebd., S. 319 – 321.  Etwa mit der Bemerkung, dass endlose Strafen für ein begrenztes Vergehen unverhältnismäßig wären. Vgl. etwa Sommer (s. Anm. 4), S. 182. Zu den Kontroversen um das Thema im 18. Jahrhundert vgl. auch ebd., S. 195 – 204. Mitunter wurde versucht, die Höllenlehre rational zu verteidigen. Andere wollten diese als widersinnig erweisen. Vgl. ebd.  Zu Johann Wilhelm Petersen (1649 – 1726) vgl. ebd., S. 191– 195.  Vgl. Dietrich Blaufuß: Art. Petersen, Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Freiin von und zu Merlau, verheiratete Petersen. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 26 (1996), S. 248 – 254. Vgl. zu den Petersens auch Johannes Wallmann: Der Pietismus. Göttingen 2005 (= UTB 2598), S. 143 – 151, zur Allversöhnungslehre bes. S. 149 – 151. Auch andere radikale Pietisten befürworteten in gewissem Maße eine Allversöhnungslehre. Vgl. ebd., S. 150. Johanna Eleonora Petersen wurde in ihrem Denken wiederum beeinflusst von Jane Leade (1624– 1704), vgl. ebd., S. 149 f. Vgl. zu Johanna Eleonora Petersen und ihrer Allversöhnungslehre Albrecht (s. Anm. 65), S. 199 – 214. Zu Millenarismus und Allversöhnungslehre im Pietismus vgl. auch Sommer (s. Anm. 4), S. 189 – 195.  Siehe unten Kapitel 5.10. Vgl. auch Albrecht (s. Anm. 65), S. 206.  Vgl. ebd.

96

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

ewige Evangelium der allgemeinen Widerbringung aller Creaturen. ⁶³⁰ Bereits in der Vorrede heißt es, schon Origenes habe erkannt, dass „eine endliche allgemeine Wiederbringung ergehen werde/ in welcher alle Creaturen GOttes (doch nicht absolutè, sondern in ihrer Ordnung nach und nach) werden aus ihrem Verderben gerettet/ und vollkömmlich in den sel. Zustand wieder versetzet […] werden“⁶³¹. Dabei verweist sie etwa auf Apk 14,6 (dort ist die Rede von einem ewigen Evangelium, das ein Engel allen Menschen mitteilen soll) und identifiziert dieses ewige Evangelium mit der Apokatastasislehre.⁶³² Petersen warnt jedoch davor, die frohe Botschaft der Allversöhnung als Legitimation zum Sündigen zu missbrauchen, ein sittlicher Lebenswandel sei dennoch zu pflegen.⁶³³ In ihrer neuen Konzeption ging auch sie von der Endlichkeit der Strafen⁶³⁴ für die Gottlosen aus⁶³⁵ und rechnete mit der Möglichkeit, dass jeder Mensch (nach dem Tode⁶³⁶) letztlich zum ewigen Heil gelangen werde.⁶³⁷ Sie betont die Liebe Gottes.⁶³⁸ Eine Allversöhnungslehre schmälert ihr zufolge nicht die Heilstat Christi, sondern macht mit der universalen Gültigkeit und Macht derselben erst Ernst.⁶³⁹ Dagegen beklagt Petersen, dass transkonfessionell Lutheraner wie Katholiken die Allversöhnung ablehnen.⁶⁴⁰ Nachdem sie zunächst von dessen Verdammnis ausging, lehrte sie später gar die Erlösung des Teufels.⁶⁴¹ Petersen  Vgl. Johanna Eleonora Petersen: Das ewige Evangelium Der Allgemeinen Widerbringung Aller Creaturen/ Wie solche unter andern Jn rechter Erkäntniß Des Mittlern Zustandes der Seelen nach dem Tode tieff gegründet ist/ Und nach Ausführung Der endlichen Gerichte Gottes dermaleins völlig erfolgen wird. […]. o. O. 1698.  Ebd., S. 7 f.  Vgl. ebd., S. 8. Vgl. dazu auch Breuer (s. Anm. 65), S. 416, der darauf hinweist, dass die Petersens bestrebt waren, dieses Evangelium um willen der Bekehrung der Menschen auch zu verkündigen.  Vgl. etwa Petersen (s. Anm. 630), S. 11. Vgl. dazu auch ebd., S. 67– 72.  Befristete Strafen sind ihr zufolge dennoch unter Umständen zu fürchten. Vgl. etwa ebd., S. 13 f.  Vgl. etwa ebd., S. 87– 89.  Vgl. zu den Überlegungen dazu, dass mit dem Tod nicht die Möglichkeit des Sünders endet, zum Heil zu kommen, ebd., S. 55 – 58.  Vgl. Albrecht (s. Anm. 65), S. 207– 211. Die Vorstellung eines Fegefeuers lehnte Petersen indes ab. Vgl. etwa Petersen (s. Anm. 630), S. 27 f. Dennoch befasste sie sich mit der Frage nach einem „Mittelstande“ (ebd., S. 5) zwischen Himmel und Hölle. Vgl. ebd., S. 3 – 7.  Vgl. etwa ebd., S. 15. Vgl. dazu auch Sommer (s. Anm. 4), S. 182.  Vgl. etwa Petersen (s. Anm. 630), S. 16. Vgl. auch ebd., S. 58 – 61.  Vgl. ebd., S. 18 f. Vgl. dazu auch Breuer (s. Anm. 65), S. 417.  Nachdem Petersen zunächst die Vernichtung des Teufels und der Verderbensmächte postuliert hatte, bezog sie später den Teufel in die Erlösung ein. Es war ihr dabei darum zu tun, deutlich zu machen, dass der Teufel Gott unterlegen ist und nicht durch seine Verewigung und seine Persistenz im Bösen das letzte Wort behalten kann. Vgl. Albrecht (s. Anm. 65), S. 202. Daher

3.6 Zusammenfassung

97

beruft sich auf zahlreiche biblische loci, etwa Hos 13,14, wo Gottes Heilswille betont wird.⁶⁴² Es sei nur am Rande erwähnt, dass die Auffassung, dass kein Mensch (möglicherweise nicht einmal der Teufel) vom himmlichen Heil ausgeschlossen bleiben werde, auch im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder vertreten wird – zu nennen ist hier etwa Friedrich Gottlieb Kloppstocks (1724– 1803) Werk Der Messias. ⁶⁴³

3.6 Zusammenfassung Die Anhänger Luthers bzw. die späteren Lutheraner sowie die späteren Reformierten und die Altgläubigen bzw. Katholiken teilen grundsätzlich das Bekenntnis zur Wiederkunft Christi zum Jüngsten Gericht, bei dem ein Teil der Menschen zur ewigen Höllenstrafe verdammt wird, auch wenn etwa über die Frage nach dem Maßstab des Jüngsten Gerichts gestritten werden kann.⁶⁴⁴ Zugleich verurteilt man gemeinsam sowohl chiliastische Strömungen als auch Lehren, welche die Leugnung der Ewigkeit der Höllenqual oder eine Konzeption einer allgemeinen Erlösung jedes Menschen beinhalten. Den Reformatoren ist es mit ihrer deutlichen Abgrenzung gegenüber den Vertretern solcher Allversöhnungslehren auch darum zu tun, als Partei wahrgenommen zu werden, die von jenen Individuen oder Gruppen, welche sich zur Apokatastasis bekennen, zu unterscheiden ist. Gerade in katechetischen Texten von Lutheranern – wie auch im Heidelberger Katechismus – zeigt sich zudem, dass dem Glaubenden vermittelt werden sollte, dem Jüngsten Gericht freudig entgegenzublicken und der Rettung gewiss zu sein, da der Richter identisch mit dem für den Glaubenden gerichteten Erlöser ist. Meines Erachtens zeigt sich ferner, dass die Berücksichtigung der Ansichten von Nonkonformisten bzw. radikalen Kreisen der Reformation für das Verständnis

muss laut Petersen der „Teufel als Teufel vernichtet und […] selig werden.“ Ebd., S. 211.Vgl. zu der Frage auch Petersen (s. Anm. 630), S. 79 – 81; 89 – 93.  Vgl. ebd., S. 108. Zudem beschäftigt sie sich im Anhang intensiv mit Luthers Lehren, vgl. ebd., S. 115 – 144. Der oben im Kontext der Ausführungen Menius‘ beschriebene Bezug auf Dtn 4,24 bzw. Hebr 12,19 (siehe oben Seite 82) findet sich bei Petersen übrigens ebenfalls wieder. Vgl. dazu auch Breuer (s. Anm. 65), S. 416.  Vgl. dazu Vollhardt (s. Anm. 31), S. 38. Trunz nennt auch Schleiermacher, vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 162. Zum Kontakt zwischen Petersens Ehemann und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) sowie der daraus resultierenden lyrischen Vorlage für Kloppstocks Messias vgl. Breuer (s. Anm. 65), S. 421– 423.  Dissens besteht etwa auch mit Blick auf die Heilsgewissheit bzw. die dubitatio perpetua. Siehe dazu auch oben S. 56 f. sowie unten S. 125; 142.

98

3 Bekenntnisse gegen Allversöhnung

der Konfessionen sowie der Konfessionalisierung von Nutzen ist⁶⁴⁵, da die Reformatoren ihre Positionen auch durch die Auseinandersetzung mit nonkonformistischen Lehren entwickelten. Menius und Bullinger sind exemplarisch als Autoren zu nennen, die sich der Beschreibung der (mutmaßlichen) Lehren der mehr oder weniger als homogene Gruppe verstandenen Täufer widmeten. Ihnen zufolge sind sowohl der Chiliasmus als auch die Apokatastasisvorstellung Teile der täuferischen Theologie. Alle Täufer als Anhänger einer Allversöhnungslehre zu bezeichnen, wäre jedoch eine unzutreffende Verallgemeinerung. Gleichwohl haben die Berichte über bestimmte radikale Spiritualisten und Täufer, denen zufolge diese die Erlösung jedes Menschen verkündet haben, gewiss einen wahren Kern. Dennoch enthalten die Fremdbeschreibungen auch Polemik. Jakob Kautz, Hans Denck und andere mögen eine Allversöhnung verkündet haben, doch zeigt sich, dass dies nicht jederzeit der Fall war, Dritte ihre Ansichten überspitzt wiedergegeben oder missverstanden haben könnten. Die Gegner der Allversöhnungslehre argumentieren vor allem mit dem Verweis auf die Heilige Schrift, betonen etwa die Souveränität des Richters und warnen vor einem Sittenverfall, welcher mit der Vorstellung einer Allversöhnung einhergehen könnte. Hier ist stärker zu differenzieren. Anders als die Spiritualisten lehnen Lelio und Fausto Sozzini sowie Ernst Soner die Annahme der Ewigkeit von Höllenstrafen mit dem Verweis darauf, dass eine ewige Strafe für ein endliches Vergehen Gottes Gerechtigkeit widerspräche, ab und vertreten die Annahme, dass eine Vernichtung der Bösen erfolgen werde, während die Seligen das ewige Heil genießen werden. Es wurde konfessionsübergreifend als Notwendigkeit angesehen, die rationalistische sozinianische Kritik an der Lehre der ewigen Hölle zurückzuweisen bzw. zu widerlegen. Die Sozinianer (wie auch alle Leugner des Endgerichts), nicht mehr die Täufer, stellten für die Theologen verschiedener Konfessionen dann eine große theologische Herausforderung dar. Im ausgehenden 17. Jahrhundert entwickelte etwa Johanna Eleonora Petersen den Gedanken einer endlichen Erlösung aller Menschen und gar des Teufels.

 Vgl. dazu auch Williams (s. Anm. 454), S. XXI; 1289 – 1311.

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel der Auslegung von Mt 25,31 – 46 4.1 Einleitung Die Predigt stellt ein wichtiges Medium aller Konfessionen in der Frühen Neuzeit dar.⁶⁴⁶ So „erwies […] sich die Predigt als der entscheidende Ort des Transfers von hochtheologischer Theoriebildung in die Lebenspraxis des einzelnen und der Gemeinde hinein.“⁶⁴⁷ Zugleich darf die Predigt dieser Zeit als Medium konfessioneller Auseinandersetzungen bezeichnet werden.⁶⁴⁸ Die katholischen Predigten zur Zeit der Gegenreformation etwa wiesen als Reaktion auf die durch die Reformatoren gestellte Herausforderung zunehmend „katechetisch-belehrende und kontroverstheologisch-apologetische Züge“⁶⁴⁹ auf. Ein für die Thematik des Jüngsten Gerichts zentraler biblischer Text ist dabei Mt 25,31– 46, in dem Christi Parusie zum Endgericht und die Kriterien für den Vollzug des Gerichts beschrieben werden: Der Menschensohn werde (in Herrlichkeit und begleitet von Engeln) erscheinen, sich setzen und die vor ihm versammelte Menschheit in zwei Gruppen aufteilen (dabei wird das Bild von Böcken, welche von Schafen geschieden werden, gebraucht). Die eine Gruppe werde auf die rechte Seite gestellt werden und in das himmlische Heil eingehen, was damit begründet wird, dass jene den Bedürftigen und damit auch dem Richter selbst Werke der Barmherzigkeit, deren sechs Arten aufgezählt werden, erwiesen haben. Diejenigen, welche solche guten Taten unterließen, werden zur Linken des  Vgl. Albrecht Beutel: Kommunikation des Evangeliums. Die Predigt als zentrales theologisches Vermittlungsmedium in der Frühen Neuzeit. In: Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Irene Dingel und Wolf-Friedrich Schäufele. Mainz 2007 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft 74), S. 3 – 15, hier S. 6. Zur Predigt in der Frühen Neuzeit vgl. einleitend ebd., S. 3 – 15, bes. S. 3 – 11. Zur Predigt im Pietismus vgl. ebd., S. 11 f. Zu Predigten im Zeitalter der Aufklärung vgl. ebd., S. 12– 14. Die Thematik von Predigten im konfessionellen Zeitalter bedarf weiterer Erforschung. Vgl. ebd., S. 11. Zur protestantischen Predigt der Frühen Neuzeit vgl. auch ders.: Art. Predigt. VIII. Evangelische Predigt vom 16. bis 18. Jahrhundert. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 27 (1997), S. 296 – 311, bes. S. 300 – 302. Zur lutherischen Barockpredigt vgl. auch Sabine Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 42– 48. Zur katholischen Predigt der Barockzeit vgl. Herzog (s. Anm. 44), etwa S. 13 – 20. Vgl. zur Gestaltung der katholischen Barockpredigt ebd., S. 191– 314. Für den lutherischen Bereich fehlt bislang ein derartiges einleitendes Standardwerk zur Barockpredigt.  Beutel: Kommunikation (s. Anm. 646), S. 3.  Vgl. Herzog (s. Anm. 44), S. 14.  Beutel: Kommunikation (s. Anm. 646), S. 8. Vgl. zur katholischen Praxis, in deutscher Sprache zu predigen, etwa Herzog (s. Anm. 44), S. 161– 176.

100

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Richters positioniert werden und haben dem Text zufolge das ewige Feuer zu erwarten. Der lutherischen Perikopenreihe entsprechend wird Mt 25,31– 46 in der Regel am 26. Sonntag nach Trinitatis behandelt.⁶⁵⁰ Eine derartige Abfolge von Predigttexten gibt es im reformierten Protestantismus nicht.⁶⁵¹ Gleichwohl lassen sich Predigten über Mt 25,31– 46 bei Autoren aller Konfessionen finden, etwa in sogenannten Predigtpostillen.⁶⁵² Zeigen sich einerseits zahlreiche Gemeinsamkeiten in der Auslegung des Textes, so kann doch die Exegese von Mt 25,31– 46 immer wieder mit interkonfessioneller Polemik verbunden werden, wobei diese bei einem katholischen Theologen zur Zeit der Gegenreformation wie Jakob Feucht deutlich stärker im Zentrum der Auslegungen steht als etwa bei Johann Gerhard. Katholische Prediger werfen in den entsprechenden Predigten Lutheranern vor, die Relevanz guter Werke in Bezug auf das Gericht zu leugnen und so die Heilige Schrift zu verfälschen. Lutheraner und Katholiken lehnen andererseits die calvinistische Vorstellung einer doppelten Prädestination ab. Auch in den Predigten findet sich im Kontext der Gerichtsthematik der Gedanke vom geistlichen Wucher wieder, dem zufolge derjenige, welcher Werke der Nächstenliebe vollbringt, Gott leiht und am Jüngsten Tage auf ‚Gewinnausschüttung‘ hoffen darf.⁶⁵³ Die Gattung der Predigt bietet überdies Raum für kunstvolle Ausgestaltungen der Thematik des Jüngsten Gerichts. Nicht nur in der regulären Predigt am Sonntag können die Adressaten mit der Rede von Jüngstem Gericht und Hölle ermahnt werden, auch in Leichenpredigten lässt sich die Mahnung an die Lebenden, des Letzten Gerichts eingedenk zu sein, nachweisen. Dabei betonen lutherische Prediger auch in Leichenpredigten stärker als katholische Theologen den Aspekt der tröstlichen Heilsgewissheit der Glaubenden, während die römischen Katholiken das Theologumenon des Fegefeuers in diesem Kontext als Teil ihrer Troststrategie verwenden.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46 Die Thematik des Jüngsten Gerichts wurde in Predigten lutherischer Theologen der Frühen Neuzeit nicht selten behandelt. Ein besonderes Interesse am Theologumenon des Endgerichts mag etwa der Hofprediger Daniel Lüdemann (1621– 1677) gehabt haben, von dem eine Predigtsammlung stammt, die aus Zur lutherischen Perikopenreihe vgl. etwa Beutel: Kommunikation (s. Anm. 646), S. 9.  Vgl. ebd., S. 8. Zur reformierten Predigt vgl. auch ebd., S. 10.  Zu den lutherischen Postillen vgl. ebd., S. 9. Zu katholischen Predigtsammlungen vgl. Herzog (s. Anm. 44), S. 201.  Vgl. dazu oben Kapitel 2.3.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

101

schließlich Predigten zum Letzten Gericht enthält.⁶⁵⁴ Lüdemann konstatiert, „[d]ie Lehre vom jüngsten Gericht [ist] ein nohtwendige Kirchen= vnd nützliche Zuchtlehr“⁶⁵⁵. Auch im umfangreichen Oeuvre des prominenten lutherischen Theologen und Predigers Johann Gerhard (1582– 1637) lässt sich eine Predigt zu Mt 25,31– 46 finden.⁶⁵⁶ In einem ersten Schritt nimmt Gerhard in dieser Predigt Bezug auf Dan 7,9 – 14, wo von einer Gerichtsvision Daniels berichtet wird.⁶⁵⁷ Der Prediger bezeichnet diese Schilderungen aus dem Alten Testament als „ein Vorbild des letzten Gerichts“⁶⁵⁸ und deutet den Alten aus V. 9.13 auf Gottvater, welcher Christus, der mit dem Menschensohn identifiziert wird, das Gericht überträgt (vgl. Dan 7,13 f.).⁶⁵⁹ Möglicherweise ist es Gerhard darum zu tun, die Einheit von Gottvater und dem Sohn zu betonen, wenn er im weiteren Verlauf der Predigt Christus mit Attributen des Alten der Tage beschreibt und etwa das schneeweiße Gewand mit Christi schlechterdings gerechtem Richten in Beziehung setzt.⁶⁶⁰ Die Beschreibung des Feuers am Thron aus Dan 7,9 deutet Gerhard auf die consummatio mundi ⁶⁶¹; jenen Feuerstrahl aus V. 10 interpretiert er als das verdammliche Urteil im Jüngsten Gericht.⁶⁶² Überdies stellt Gerhard klar, dass Christus seiner Ansicht nach auch „nach seiner menschlichen Natur […] von seinem himlischen Vater auff den Richterstuel gesetzet [ist]/ die gantze Welt einmal in Gerechtigkeit zu richten“⁶⁶³. Lüdemann sieht in der Frage, ob Christus das Gericht nach seiner menschlichen und göttlichen Natur halten werde, interkonfessionelles Konfliktpotential: Er schreibt, Christus werde auch nach der Menschlichen Natur/ vnd zwar in sichtbarer Gestalt die Welt vollkömmlich richten […]: vollkömmlich/ sage ich/ alldieweil Bellarminus, vnd mit jhme die Reformirten/ Christi Richterambt nur dahin deuten/ als were jhm/ nach der Menschlichen Natur/ nicht

 Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622).  Ebd., S. 17.  Vgl. Johann Gerhard: Postilla: Das ist/ ERklärung der Sontäglichen vnd fürnehmesten Fest=Euangelien/ vber das gantze Jahr. […]. Teil 2. Jena 1613, S. 446 – 472. Zu Gerhard vgl. Johann Anselm Steiger: Art. Gerhard, Johann. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 2 (2012), Sp. 557– 571.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 449 f.  Ebd., S. 449.  Vgl. ebd., S. 450. Als biblische Belege führt Gerhard dort Joh 5,22 und Apg 17,31 an.  Vgl. ebd., S. 451.  Die Auffassungen der lutherischen Theologen über dieses eschatologische Thema unterschieden sich, vgl. dazu etwa Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 165 – 168.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 451 f. Dort heißt es etwa: „Diß Vrtheil Christi wird jhnen ein fewriger Donnerstral seyn/ dadurch sie in die vnterste Helle hinunter verstossen werden.“ Ebd., S. 452.  Ebd., S. 450.

102

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

eine vollkommene/ sondern nur eine solche Macht zu richten gegeben/ welche bestünde in dem/ daß er sichtbarlich werde gesehen werden. O vergebliche Klugheit! Christus wird richten […] als waarer GOtt vnd Mensch.⁶⁶⁴

Im Verlauf der Predigt zieht Gerhard weitere für die Thematik des Endgerichts relevante biblische loci heran und malt den Adressaten ein auch von traditionellen bildlichen Darstellungen bekanntes Szenario des Gerichts vor Augen⁶⁶⁵, bei dem Christus in Entsprechung zu Apk 2,2– 4 auf einem Richterstuhl mit Regenbogen thront und von vierundzwanzig „Beysitzer[n]“⁶⁶⁶ umgeben ist, welche Gerhard zufolge (nur) die Funktion haben, „des Oberrichters [= Christi] Vrtheil [zu] approbieren.“⁶⁶⁷ Diese Beisitzer bestimmt der Prediger näher als „Patriarchen/ Propheten vnd Apostel“⁶⁶⁸ und verweist auf Mt 19,28, wo denjenigen, welche Christus nachfolgten, eine herausragende Stellung – gemeinsam mit Christus – und Richtkompetenz verheißen werden. Ferner geht Gerhard auf die Engelswesen ein, welche Christus am Tage des Gerichts begleitend die Menschen versammeln und scheiden⁶⁶⁹ und weist darauf hin, dass in Apk 20,12 wie in Dan 7,10 davon die Rede ist, dass am Gerichtstag Bücher geöffnet werden.⁶⁷⁰ Begriffe wie „Freude“⁶⁷¹, „Sie[g]“⁶⁷² und „Ehr[e]“⁶⁷³ kennzeichnen die folgende Beschreibung des vollendeten Triumphes der wahren Christen über alle Verderbensmächte am Jüngsten Tag.⁶⁷⁴ Auf die Ähnlichkeiten der Texte verweisend leitet Gerhard zur eigentlichen Auslegung von Mt 25,31– 46 über. Den Abschnitten über die Urteile über Selige und Verdammte stellt der Prediger zunächst einen christologischen Teil mit Ausführungen über den Richter voran.⁶⁷⁵ Der Richter wird als Christus, der Sohn Marias (wahrer Mensch) und Gottes (wahrer Gott), identifiziert. Christus werde, so Gerhard, in Herrlichkeit zurückkehren⁶⁷⁶ und nach seiner menschlichen Natur  Lüdemann (s. Anm. 622), S. 22 f. Siehe dazu auch oben Anm. 464 und unten S. 125.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 450 f.  Ebd., S. 451. Über diese heißt es in Anlehnung an Apk 2,4 weiter: „[S]ie erscheinen in weissen Kleidern/ zur Anzeigung der Reinigkeit vnd Freude/ tragen güldene Kronen/ zur Anzeigung des Sieges vnd der Ehren“. Ebd.  Ebd.  Ebd.  Vgl. dazu auch ebd., S. 457 f.  Vgl. ebd., S. 452 f.  Ebd., S. 451.  Ebd.  Ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 453.  Vgl. auch ebd., S. 455.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

103

allen Menschen unverkennbar als der siegreiche Heiland zu sehen sein – was zuvor nur die Glaubenden sub contrario zu verstehen vermochten.⁶⁷⁷ Weiterhin betont Gerhard, dass der Richter derjenige ist, welcher ans Kreuz geschlagen wurde und dort den Glaubenden das Heil erworben hat.⁶⁷⁸ So werde den Feinden Christi der Jüngste Tag höchsten Schrecken bringen, den Glaubenden aber zu äußerster Freude gereichen.⁶⁷⁹ Aufgrund der göttlichen Ubiquität, die Christus (aufgrund der communicatio idiomatum auch seiner menschlichen Natur) eignet, erscheint er Gerhard zufolge allen Menschen an allen Orten sichtbar zum Gericht. In seiner göttlichen Allwissenheit kennt der Richter alle Taten sowie Gedanken der Menschen und aufgrund der göttlichen Allmacht Christi vermag er als Richter die Urteile nicht nur zu verkünden, sondern auch zu vollstrecken, so der Prediger weiter.⁶⁸⁰ Mit Apk 21,5 spricht Gerhard weiterhin von einer neuen vollendeten Schöpfung im Eschaton.⁶⁸¹ Anschließend diskutiert der Lutheraner Erklärungsmodelle für das Verständnis des Throns des Richters und erwägt, ob es sich dabei etwa um „Wolcken/ […] [oder] Regenbogen“⁶⁸² handeln könne.⁶⁸³ Gerhard zufolge ist Christi Thronen vorrangig zu verstehen als das mächtige Richten desjenigen, der zur Rechten Gottes sitzt⁶⁸⁴, welches am Jüngsten Tag „für aller Welt offenbar werden [wird]/ wann er [= Christus] seine richterliche Gewalt brauchen/ vnnd das Gericht vber alle Menschen zu halten/ sich […] wird setzen.“⁶⁸⁵ Die „Klarheit Christi“⁶⁸⁶ allein werde die Ungläubigen, die vergeblich versuchen werden zu fliehen, erschrecken.⁶⁸⁷ Dabei zeigt sich auch, dass das Endgericht in Gerhards Sicht einen aufklärenden Charakter hat.⁶⁸⁸ Wiederum kommt Gerhard auf die Engel zu sprechen, die Christus am Gerichtstage dienen, die Guten und Bösen sammeln, scheiden⁶⁸⁹ sowie letztlich in Hölle oder Himmel verbringen und die  Vgl. ebd., S. 453 f.  Vgl. ebd., S. 454.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 454 f.  Vgl. ebd., S. 455.  Ebd., S. 456.  Vgl. ebd., S. 455 f. Die vorherige Erwähnung des Regenbogens steht m. E. nicht im Widerspruch zu der nun vorgetragenen differenzierten Betrachtungsweise, sondern wird ergänzt.  Vgl. ebd., S. 456.  Ebd.  Ebd., S. 457.  Vgl. ebd.  „Weil auch der Glantz dieser Herrligkeit alles offenbaren wird/ wie sonsten der Sonnen Liecht alles offenbaret.“ Ebd.  Dafür zieht Gerhard unter anderem Mt 13,24– 30 heran und deutet die darin erwähnte Ernte auf die von Engeln durchgeführte Scheidung der Guten von den Bösen am Jüngsten Tag und das Verbrennen der Unkräuter auf die Höllenstrafe der Verdammten. Vgl. ebd., S. 459 f.

104

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Posaunen bei Christi Parusie blasen werden (wobei die Belagerung Jerichos aus Jos 6 zum Typus des Weltendes wird).⁶⁹⁰ Zudem wird über die Engel ausgesagt, sie würden Christi Richtspruch „approbieren“⁶⁹¹. Auf diesen recht ausführlichen angelologischen Teil folgen Betrachtungen über die zu Richtenden. Alle Menschen, Lebende und Auferstandene, werden Gerhard zufolge in zwei Gruppen aufgeteilt vor dem Richter stehen, niemand kann dem Gericht entgehen.⁶⁹² Diesen basal wirkenden Gedanken erklärt allerdings Daniel Lüdemann in einer Predigt über das Endgericht ausdrücklich zu einem interkonfessionell bzw. interreligiös strittigen Thema: Auch er betont, dass kein Mensch vom Gericht ausgenommen sei⁶⁹³ und schreibt, die Juden hingegen würden die Auffassung vertreten, solche Männer seien vom Endgericht befreit, welche beispielsweise boshafte Frauen haben.⁶⁹⁴ Den Katholiken wirft er vor, Maria vom Endgericht auszuschließen, „weil sie [= Maria]/ jhrem [= der Katholiken] Wahn nach/ ohne Erbsünd geboren.“⁶⁹⁵ Auch ungetauft gestorbene Kinder müssen Lüdemann zufolge im Endgericht erscheinen, werden jedoch nicht verdammt, sondern stellen einen Sonderfall dar. Vor allem jedoch polemisiert der Lutheraner dagegen, dass „die jenigen/ die sich freiwillig zur armut verschweren/ oder ein Gelübd getan“⁶⁹⁶ haben, vom Gericht befreit sein sollen⁶⁹⁷: „Warumb solten die faulen Bettel=Mönche exempt [= ausgenommen] seyn? vmb jhres Verdienstes willen? O der vnnützen Knecht!“⁶⁹⁸ Lüdemann wendet sich damit gegen eine monastische Vorstellung, durch gute Werke und eine ‚bessere Gerechtigkeit‘ das Heil zu verdienen. Meines Erachtens könnte man überdies an die etwa vom Jesuiten Alonso Rodríguez (ca. 1526 – 1616) vertretene Meinung denken, dass ein Mönch durch völligen Gehorsam gegenüber seinem Oberen keine Sünde begehen kann und im Letzten Gericht nicht für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird, solange er die Befehle seiner geistlichen Herren ausgeführt hat.⁶⁹⁹

 Vgl. ebd., S. 457– 460.  Ebd., S. 460.  Vgl. ebd., S. 461 f.  Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 100 f.  Vgl. ebd., S. 102 f.  Ebd., S. 103. Lüdemann zufolge ist Maria hingegen keineswegs sündlos gewesen, vgl. ebd., S. 104 f.  Ebd., S. 104.  Vgl. ebd., S. 103 – 106.  Ebd., S. 106.  Dabei wird die Verantwortung auf den Oberen ‚übertragen‘. „Certè una de maximis, quas nos Religiosi habemus, consolationibus est, quòd secuti certique simus, nos Superioribus jubentibus obsequendo & parendo, rectè procedere. Errare quidem potest Superior, hoc vel illud mandando; tute tamen certus es, te, si quae mandat exequaris, neutiquam errare: quia à te aliud non exiget

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

105

Philipp Schäfer zufolge vertrat etwa Domingo de Soto (1494 – 1560) überdies die Auffassung, dass neben den Aposteln auch „die freiwillig Armen“⁷⁰⁰ eine Sonderstellung im Gericht einnehmen werden.⁷⁰¹ Gerhard greift im Folgenden das biblische Bild von den Schafen und Böcken auf.⁷⁰² Das corpus permixtum aus Guten und Bösen in der Welt bleibt bis zum Jüngsten Tag bestehen. Gerhard hält zudem fest, dass diejenigen, denen auf Erden Unrecht widerfuhr, welches nicht gesühnt wurde, im Jüngsten Gericht letztlich doch noch zu ihrem Recht kommen werden.⁷⁰³ Jene zur Linken erwartet, so der Lutheraner weiter, die ewige Verdammnis, jene zur Rechten hingegen ewiges Heil und himmlische Freude. An dieser Stelle mahnt Gerhard die Adressaten zu einem rechtschaffenen christlichen Lebenswandel, auf dass sie am Tag des Gerichts zu den ‚Schafen‘ zählen mögen: Sehe nur ein jeder zu/ daß er in diesem Leben ein trewes Schäfflein Christi sey/ daß er die Stimme seines Hirten Christi höre vnd derselben folge/ Johan. 10. in Einfalt des Glaubens/ Sanfftmut vnnd Gedult einher gehe/ auch in allen guten Wercken fruchtbar sey/ […] hergegen aber hüte er sich/ daß er nicht ein stossender/ vnfruchtbarer/ geiler vnnd stinckender Bock sey/ daß er ja nicht auff die lincke Seite gestellet werde.⁷⁰⁴

Deus, quàm an, quae jussa sunt, sedulò sis diligenterque executus: & hoc respondendo. sufficienter tuam in Dei tribunali causam justificaveris. Non tibi ratio reddenda est, nec rogaberis, num, quae mandata sunt, bona fuerint, vel quid aliud futurum fuisset melius: hoc quippe ad te non pertinet, nec tuis rationibus accensebitur; soli Superiori de eo erit ratio reddenda. Faciente te ex obedientia quod juberis, è tuo id Deus libro eradit, & Superioris libro adscribit. Unde exclamat S. Hieronymus: O summa libertas & magna obedientiȩ securitas, qua obtenta, vix poßit homo peccare! Quodammodo nos, inquit, obedientia impeccabiles facit. […] 4. Suffragatur his Joannes Climacus, qui inter alia, quae obedientiae consignat epitheta. eam esse ait excusationem apud Deum. Si enim roget, Cur fecisti hoc? dicam, Quia mihi injunctum fuit. Atque haec mihi apud Deum excusatio & purgatio erit instar omnium. […]. Enim verò non parvi, at per magni, faciendum est, alienis brachiis innitendo, & super humeros fortiores reclinando, procellosum mundi hujus pelagus posse trajicere. […] Vnde gravis quidam Doctor ajebat, malle se humi sarmenta jussu alieno colligere, quàm proprio arbitrio aliis operibus insignibus atque illustribus intendere. In eo enim quod ex obedientia faciebat, certus ac securus erat, Dei se voluntatem facere, in aliis verò rebus incertus.“ Alonso Rodríguez: EXERCITIVM PERFECTIONIS, ET VIRTVTVM RELIGIOSARVM […]. Teil 3. Köln 1657 [11622], S. 233; 234; 235.  Schäfer (s. Anm. 3), S. 52.  Vgl. ebd.  Lüdemann etwa stellt überdies den Bezug zu Ez 34 her, vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 131.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 462 f. Dabei verweist Gerhard unter anderem auch auf Mt 13,24– 30. Vgl. ebd., S. 463.  Ebd.

106

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Auf die Relevanz des Glaubens geht Gerhard hier indes nicht näher ein.⁷⁰⁵ Im folgenden zweiten Hauptteil behandelt Gerhard „die freundliche Einladung der Außerwehlten.“⁷⁰⁶ Der Prediger gibt zunächst die biblischen Aussagen über das Urteil Christi über die Erretteten und die Urteilsbegründung (Speisung des hungrigen Christus etc.) wieder.⁷⁰⁷ Die Reihenfolge, zunächst den Erlösten ihr Urteil zukommen zu lassen, erklärt Gerhard mit dem barmherzigen Wesen des Richters, Königs und Hirten Christus, welcher Gnade und Lohn Verdammnis und Strafe vorziehe.⁷⁰⁸ Jene, die Christus am Jüngsten Tage zu sich ruft, folgten schon im Leben mit Glauben und Betragen dem verheißungsvollen Imperativ Jesu, zu ihm zu kommen (Mt 11,28).⁷⁰⁹ Weiterhin wird auf die Formulierung eingegangen, jene zur Rechten ererbten das Reich Gottes. Als „Kinder[n] GOTtes“⁷¹⁰ gebühre den Glaubenden dies, so Gerhard, doch betont der Lutheraner gegenüber jeder Vorstellung einer Werkgerechtigkeit, dass diese Aussage „dahin gemeynet ist/ anzuzeigen/ das ewige Leben sey ein Gnadengeschenck GOTtes/ welches die wahren Gleubigen durch den Glauben an Christum ererben/ nicht durch jhre Werck erwerben/ welches jhnen Gott von Ewigkeit her bereitet/ vnd nicht erst in der Zeit jhm abuerdienet werde.“⁷¹¹ Der Reim „durch […] Glauben […] ererben“⁷¹² und „nicht durch […] Werck erwerben“⁷¹³ hebt die Aussage zusätzlich hervor.⁷¹⁴ Im Jüngsten Gericht werde, so Gerhard weiter, durch die Werke bezeugt werden, dass jene zur Rechten wahrlich glauben. Dieser Glaube spiegele sich also in den Werken der Nächstenliebe, welche zwangsläufig folgen (müssen), wider.⁷¹⁵ Insofern sind die Werke auch im Gericht relevant. Zudem werden sie keineswegs in Vergessenheit geraten, sondern am Letzten Tag öffentlich lobend erwähnt werden.⁷¹⁶ Dass die guten Werke an den bedürftigen Christen laut Mt 25,40 an Christus getan werden, erklärt Gerhard damit, dass zwischen Christus als Haupt der

 Vgl. ebd.  Ebd.  Vgl. ebd., S. 463 f.  Vgl. ebd., S. 464.  Vgl. ebd. Auch etwa Heinrich Müller (1631– 1675) stellt diese Verbindung her und führt zudem Jes 55,1 sowie weitere Bibelstellen an. Vgl. dazu Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 417 f.  Gerhard (s. Anm. 656), S. 465.  Ebd., S. 465 f.  Ebd.  Ebd., S. 466.  Vgl. ebd., S. 465 f.  Vgl. dazu auch etwa Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 159 f. sowie Krummacher (s. Anm. 43), S. 460 f.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 466 f.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

107

Christenheit und den Seinen im Sinne von Kol 1,18 eine Verbindung gleich der zwischen Kopf und restlichem Körper besteht.⁷¹⁷ Zwar ist Gerhard (wie auch Lüdemann⁷¹⁸) die von Luther bekannte Rede vom geistlichen Wucher, der zufolge derjenige, welcher sich sozial dem Nächsten zuwendet, mit Gott wuchert (vgl. Spr 19,17) und Gnadenlohn im Jüngsten Gericht erhoffen darf ⁷¹⁹, vertraut⁷²⁰, doch erwähnt er sie in dieser Predigt nicht. Nochmals betont Gerhard, dass gute Werke nicht um willen eines Lohnes getan werden (sollen), sondern von einem rechten Glaubenden naturgemäß und selbstverständlich zustande gebracht werden⁷²¹, wie auch das ewige Heil nicht durch Werke erkauft werden kann, sondern Geschenk Gottes sola gratia bleibt.⁷²² Im letzten Hauptteil kommt Gerhard auf „das schreckliche Zorngericht“⁷²³ und die ewige Verdammnis jener nicht glaubenden ‚Böcke‘ zu sprechen. Der Prediger schärft den Adressaten den Ernst der Möglichkeit des doppelten Ausgangs des Gerichts ein und stellt antithetisch die tröstliche Ansprache an die Seligen der Verwerfung der übrigen, welche statt zu ewigen Himmelsfreuden zu kommen, in endlose Höllenpein weichen müssen, gegenüber. Wie die verdammten Menschen wird Gerhard zufolge auch der Teufel zur ewigen Qual verurteilt.⁷²⁴ Die höllische Pein bestehe nicht nur in der Abwesenheit von allem Guten – vor allem der Abwesenheit von Gott – sondern zudem in der Anwesenheit endloser Leiden und höllischer Gesellschaft.⁷²⁵ Die Notleidenden werden von Gerhard in einer fiktiven Gerichtsszene als „Zeugen“⁷²⁶ geladen. Dabei wird die unterlassene Hilfeleistung der Bösen letztlich auf ihren nicht vorhandenen Glauben zurückgeführt, „durch welchen sie allein vom Fluch des Gesetzes vnnd vom Zorn GOttes hetten können erlöset werden“.⁷²⁷ Die im biblischen Text meines Erachtens neutral (und parallel zur Frage aus V. 37) gestaltete Rückfrage der

 Vgl. ebd., S. 466.  Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 251 f. Lüdemann betont überdies, dass der Gnadenlohn im Vergleich zum geringen Aufwand des Tuns barmherziger Werke ‚unverhältnismäßig‘ hoch ist. Vgl. ebd., S. 230 f.  Siehe dazu oben Kapitel 2.3.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 81 f. Gerhard verbindet die Rede vom geistlichen Wucher hier auch mit 2Kor 9,6, wo davon die Rede ist, dass derjenige, welcher wenig aussät, nur auf wenig Ernte hoffen darf, während dem, der gesegnet sät, eine gesegnete Ernte verheißen wird.  Vgl. ebd., S. 467.  Vgl. ebd., S. 467 f.  Ebd., S. 468.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 468 f.  Ebd., S. 469.  Ebd.

108

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Verdammten (vgl. Mt 25,44) lässt Gerhard als einen Einwand erscheinen, mit dem die Übeltäter sich selbst rechtfertigen wollen. Der Lutheraner warnt, aus der Hölle führe kein Weg mehr hinaus.⁷²⁸ In diesem Sinne ruft er die Adressaten auf, des Letzten Gerichts mit seinem doppelten Ausgang stets eingedenk zu sein und mahnt zu Buße und Umkehr.⁷²⁹ Nochmals kommt Gerhard auf die strafwürdige unterlassene Nächstenliebe zu sprechen, welche auf das Höchste verdammlich sei. Obgleich hier eigentlich keine Steigerung mehr möglich ist, beschreibt Gerhard aktive böse Taten, die in der biblischen Vorlage nicht explizit erwähnt werden, als noch verwerflicher und beruft sich dabei auf Gregor den Großen (ca. 540 – 604)⁷³⁰: „Sollen die verlohren seyn/ welche nichts Gutes gethan haben/ was können die jenigen für Hoffnung haben/ welche noch hierüber alles Vbels begangen?“⁷³¹ Diesen Gedanken entfaltet Gerhard recht ausführlich in einer Reihe von rhetorischen Fragen und schreibt beispielsweise: „Sol der ins hellische Fewer geworffen werden/ welcher die Hungerigen nicht gespeiset hat/ was werden die jenige zu befürchten haben/ welche durch Vngerechtigkeit dem Nechsten sein Stücklein Brots entwenden?“⁷³² Während die ersten Fragen sich auf Untaten am Nächsten beziehen, verschärft Gerhard (im Sinne einer Climax) in den folgenden Fragen die Anklage gegen die Übeltäter nochmals und hebt dabei auch ihren Unglauben hervor: „[S]ollen die jenigen ins hellische Fewer geworffen werden/ welche Christum in seinen Gliedern nicht gespeiset haben/ was wird denen begegnen/ welche durch Vnglauben Christum selber/ welcher das Brot des Lebens/ so vom Himmel kommen ist/ verstossen haben?“⁷³³ Gerhard warnt die Adressaten vor Unbußfertigkeit und teuflisch-sündhaftem Leben.⁷³⁴ In seiner sehr kunstvoll gestalteten Predigt bietet Gerhard viele theologische Lehrstücke komprimiert dar und entfaltet unter anderem das lutherische Verständnis der Relevanz der als Glaubensfrüchte notwendigen guten Werke im Kontext des Jüngsten Gerichts, während er sich – abgesehen von der Ablehnung jeder Werkgerechtigkeit – interkonfessioneller Polemik enthält. In anderen Predigten verwirft Gerhard die calvinistische Lehre eines „absolutum decretum reprobationis“⁷³⁵ mit Verweis auf Gottes universalen Heilswillen und lehnt die ka-

       

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 469 f. Vgl. ebd., S. 470 f. Vgl. dazu auch Lüdemann (s. Anm. 622), S. 329 – 332. Gerhard (s. Anm. 656), S. 471. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 471 f. Ebd., S. 355. Vgl. auch ebd., S. 147; ebd., S. 179 f. und ebd., S. 354 f.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

109

tholische Vorstellung eines Fegefeuers ab⁷³⁶. Auch findet sich die polemische Aussage, der Antichrist sei auf das römische Papsttum zu deuten.⁷³⁷ In speziellen Rede-Situationen kann Gerhard einerseits zugunsten des Trosts für die Hinterbliebenen bei Beschreibungen des postmortalen Ergehens eines Menschen ganz auf die Ausführungen über die Möglichkeit der Verdammnis verzichten.⁷³⁸ Am Beispiel einer Predigt zu Lk 16,19 – 31 wird andererseits deutlich, dass Gerhard ebenfalls in sehr drastischen sprachlichen Bildern den Adressaten die Schrecken und Qualen (unter anderem auf der Grundlage der Beschreibung irdischer Folterpraktiken) der Hölle eindrücklich und möglicherweise schrecklich vor Augen malen kann⁷³⁹ – wie etwa auch Lüdemann⁷⁴⁰ und andere⁷⁴¹. Es kann nicht davon die Rede sein, dass sich in lutherischen Predigten keine bildhafte Schilderung höllischer Pein findet. Hierbei darf von einem transkonfessionellen Phänomen gesprochen werden. Max Ortner zufolge war etwa der Katholik Martin von Cochem (1630 – 1712) ein „überaus einflussreicher Höllenprediger“⁷⁴², der ein besonderes Interesse daran zeigte, verschiedene Arten von Leiden und Torturen, die ihm zufolge in der Hölle praktiziert werden, zu verkünden.⁷⁴³ Wie Lüdemann konstatiert auch Gerhard bei Beschreibungen der Hölle, dass die ewige Höllenpein nicht allein in (irdischer) Gewissensqual besteht.⁷⁴⁴ In einer anderen Predigt entfaltet Gerhard im Anschluss an Luther den Gedanken, dass Christus am Kreuz das göttliche Zorngericht bereits erlitten und so für die Seinen

 Ein Beispiel für einen Unterschied zwischen protestantischer und katholischer Auslegung stellt etwa die Deutung des biblischen Bildes vom Abzahlen der Schulden bis auf den letzten Heller (vgl. Mt 5,25 f.; 18,34) dar. Dies wird von katholischen Auslegern in der Regel als Beleg für die Existenz des Fegefeuers gedeutet, in dem die Seele solange verbleibt, bis sie gereinigt wurde. Lutheraner und Reformierte deuten die Bibelstellen hingegen auf die Unerfüllbarkeit des Gesetzes sowie die Unmöglichkeit, durch eigene Verdienste im Letzten Gericht bestehen zu können, wie sich bei Gerhard exemplarisch zeigt, vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 117 sowie ebd., S. 383; 389.  Vgl. etwa ebd., S. 438 f. Demgegenüber beschreibt Gerhard die reformatorische Bewegung als ein aufscheinendes Licht in der Endzeit, vgl. ebd., S. 445.  Vgl. ebd., S. 288 f.  Vgl. etwa ebd., S. 26 – 30.  Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 282 f.; 309 – 311. Vgl. auch ebd., S. 373 f.; 380 – 392.  So beschrieb beispielsweise auch Melanchthon die höllischen Strafleiden in drastischer Weise als Folter, vgl. Mühling (s. Anm. 18), S. 203.  Ortner (s. Anm. 22), S. 138.  Ebd. Laut Ortner machte auch etwa Petrus Canisius (1521– 1597) den Christen ‚die Hölle heiß‘. Vgl. ebd., S. 136.  Vgl. Gerhard (s. Anm. 656), S. 26. Bei Lüdemann heißt es: „Dieses alles nun machet vns gewiß der Höllen/ daß dieselbe nicht nur sey das böse Gewissen“. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 295 f. Hier stimmt Lüdemann nach eigener Aussage in Abgrenzung zu Johannes Calvin mit dem Katholiken Bellarmin überein, vgl. ebd., S. 296.

110

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

die Möglichkeit eröffnet hat, einst am Jüngsten Tage in die ewige Seligkeit einzugehen, was die Glaubenden als gewiss erhoffen dürfen.⁷⁴⁵ In anderer Weise als Gerhard gliedert⁷⁴⁶ Valerius Herberger (1562– 1627) eine Predigt zu Mt 25,31– 46 in seiner Evangelischen Hertzpostilla ⁷⁴⁷: Im ersten Hauptteil behandelt Herberger die Frage, ob ein Jüngstes Gericht zu erwarten steht, bevor er im zweiten Hauptteil auf den Richter und schließlich auf den Ablauf des Gerichtsverfahrens eingeht, wie bereits die Dispositio erkennen lässt.⁷⁴⁸ Einerseits droht Herberger drastisch mit der Verdammnis, doch liegt der Akzent darauf, eindringlich die ewige Seligkeit als den Glaubenden einzig mögliches Urteil zu benennen, wofür er christozentrisch die Identität des Gerichteten mit dem Richter als Grund herausstellt. Zu Beginn der Predigt hält Herberger fest, die Rede vom Jüngsten Gericht diene zugleich dem Trost der Frommen sowie der Drohung an die ungläubigen Übeltäter. Der Glaube an Christus stellt auch für Herberger das Maß der Beurteilung im Endgericht dar.⁷⁴⁹ Die Gewissheit der Parusie Christi zum Gericht und der doppelte Ausgang des Gerichts werden den Adressaten von Herberger eingeschärft. Sprachlich verdeutlicht Herberger diesen Punkt mit antithetisch aufgebauten Wortspielen: Den Glaubenden werde der Jüngste Tag ein Sonntag, den  Vgl. Johann Gerhard: Erklährung der Historien des Leidens vnnd Sterbens vnsers HErrn Christi Jesu nach den vier Evangelisten (1611). Kritisch hrsg. und kommentiert von Johann Anselm Steiger. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002 (= Doctrina et Pietas I, 6), S. 84– 107, bes. S. 96 f. Dort spricht Gerhard unter anderem davon, dass Christus das Gericht an Stelle der Sünder erlitten hat. Dabei nimmt der Lutheraner auch Bezug auf die Rede vom Tag des Herrn aus Joel 3 und identifiziert zudem den Garten Gethsemane mit dem Tal Josaphat als Ort des göttlichen Gerichts. Die Glaubenden sollen ihres Heils gewiss sein, so Gerhard weiter. Vgl. ebd., S. 100.  In Gerhards Postilla folgt auf den Predigttext das sogenannte Exordium. Daran wiederum schließt die in mehrere Abschnitte unterteilte Auslegung an. Zwischen Exordium und Hauptteil findet sich die sogenannte Partitio (bzw. Dispositio), die Gliederung des Hauptteils. Der letzte Abschnitt der Auslegung geht fließend in ein nicht eigens gekennzeichnetes Schlussgebet bzw. einen Segen über. Zum (idealtypischen) Aufbau der lutherischen Barockpredigt vgl. auch Elke Axmacher: Die Kunst der Leichenpredigt. Annäherungen an Paul Gerhardt als Prediger. In: Arbeitsstelle Gottesdienst 20 (2006), 2, S. 21– 29, hier S. 24 u. ö. Zu Gestaltungsmerkmalen der katholischen Barockpredigt vgl. auch etwa Herzog (s. Anm. 44), S. 246– 248.  Vgl. Valerius Herberger: Evangelische HertzPostilla […]. Teil 1. Leipzig 1691, S. 658 – 667. Herberger stellt dem Bibeltext eine Einleitung voran und beschließt die Predigt mit einem (Valet‐) Segen. Zu Herberger vgl. einleitend Thomas Illg und Johann Anselm Steiger: Art. Herberger, Valerius. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 3 (2014), Sp. 266 – 278.  Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 660.  Vgl. ebd., S. 658. In einer anderen Predigt schärft Herberger den Adressaten ein, dass Glaube, Liebe und Geduld bzw. Hoffnung nötig sind, um im Jüngsten Gericht bestehen zu können. Vgl. Valerius Herberger: Epistolische HertzPostilla […]. Teil 1. Leipzig 1693, S. 596 u. ö.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

111

übrigen ein „Sumpfftag“⁷⁵⁰ sein, den einen ein „Feyertag“⁷⁵¹, die anderen erwarte „Feue[r]“⁷⁵². Der Predigttext stellt Herberger zufolge gar eine Anleitung zur Lebensführung des Christen in nuce dar. Herberger beklagt, viele Prediger würden diesen unliebsamen Predigttext jedoch auslassen.⁷⁵³ Polemisch berichtet der Prediger den Adressaten eine Anekdote über Papst Leo X. (1513 – 1521), wonach jener es vorzog zu hören, es werde kein Jüngstes Gericht geben.⁷⁵⁴ Den ersten Hauptteil beginnt Herberger mit dem Beispiel einer adligen Dame mit „Kalbs=Gehirn“⁷⁵⁵, welche ebenfalls nicht an einen Jüngsten Tag glauben wollte⁷⁵⁶, und beklagt, dass viele Menschen in unchristlicher Weise der sündigen Vernunft mehr Glauben schenken als den biblischen Verheißungen vom Ende der Welt.⁷⁵⁷ Selbst die sündlich-natürliche Vernunft vermag dem Lutheraner zufolge zu verstehen, dass der Gedanke eines postmortalen Strafgerichts nötig sei angesichts der in diesem Äon oft ungesühnten Ungerechtigkeiten.⁷⁵⁸ Während die Berechnung des Datums des Jüngsten Tages entsprechend Mk 13,32 abgelehnt wird, hält Herberger an der Naherwartung fest⁷⁵⁹ und mahnt (wie Luther) zu geistlicher Wachsamkeit und entsprechender ständiger sittlicher Lebensführung, um am Jüngsten Tage nicht in einer unpassenden Lage angetroffen zu werden.⁷⁶⁰ In den folgenden Ausführungen über Christus, den Richter aller Menschen, schildert Herberger es als schlechterdings heilvoll, dass der für die Glaubenden Gerichtete jener Richter sein werde.⁷⁶¹ Auch der Menschensohntitel ist laut Herberger Ausdruck von Christi Barmherzigkeit und Mit-Menschlichkeit. Dem Glau-

 Herberger (s. Anm. 747), S. 660.  Ebd.  Ebd.  Vgl. dazu auch Herberger (s. Anm. 749), S. 22. Herberger bezeichnet es als wichtige Aufgabe der lutherischen Prediger, das Endgericht zu verkündigen, vgl. ebd. Die Geistlichen wiederum werden, so Herberger, ebenfalls einst zur Rechenschaft gezogen. Vgl. ebd., S. 23.  Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 660.  Ebd., S. 661.  Dieses Beispiel wie auch jenes von Papst Leo X. führt auch Lüdemann unter explizitem Rückgriff auf Herbergers Predigt an. Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 39 – 41.Vgl. dazu auch Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 159 f.  Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 660 f.  Vgl. ebd., S. 661. Dies könnte auch als Kritik an rationalistischen Einwänden gegen die Existenz des Jüngsten Gerichts verstanden werden, siehe dazu auch oben Kapitel 3.4 und unten S. 222.  Herberger nennt ein Beispiel für den Versuch, den Jüngsten Tag auf 1613 zu datieren. Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 661 f. Siehe dazu auch unten Kapitel 5.3.  Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 662.  Vgl. ebd. Diese Denkfigur findet sich mehrfach.

112

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

benden stellt der Lutheraner das ewige Heil als gewiss in Aussicht.⁷⁶² Christus ist Herberger zufolge „unser treuer Hertz=Bruder/ er wird uns nicht verderben“⁷⁶³. Zwar könnten, so der Prediger weiter, Engel theoretisch das Gericht halten, doch lasse Christus es sich nicht nehmen, das Gericht selbst zu vollziehen, um sicherzustellen, dass alle der Seinen gerettet werden.⁷⁶⁴ Diese Aussage zeigt meines Erachtens wiederum, wie ernst es Herberger damit ist, den Christen den Jüngsten Tag als Tag des Heils verständlich zu machen. Das Heil gilt jenen, die Christus glaubend ergreifen, so Herberger. Gleichwohl werde den Übeltätern Christus der schrecklichste Richter sein. Dem aufrichtigen Büßer werde jedoch das Heil nicht verwehrt.⁷⁶⁵ Weiterhin beschreibt Herberger die Herrlichkeit und Königlichkeit Christi bei der Parusie sowie die Engelsbegleiter und erwähnt den endgültigen Sieg über die Verderbensmächte.⁷⁶⁶ Die göttliche Allwissenheit Christi verhindere jeden Betrug im Letzten Gericht.⁷⁶⁷ Den Beisitzern schreibt Herberger keine eigentliche Richt-Kompetenz zu. Das Endgericht erscheint hier als Korrektiv zu irdischem Unrecht und unrecht richtenden Richtern in der Welt. Die restlose Gerechtigkeit im Endgericht lässt die Ungerechtigkeit nicht das letzte Wort behalten. Gleichwohl kann Herberger auch von „dies irae dies illa“⁷⁶⁸ sprechen, dem

 Dieses Anliegen verfolgt Herberger auch in anderen Predigten vielfach. Vgl. etwa Herberger (s. Anm. 749), S. 29. Die Glaubenden haben nämlich Herberger zufolge „dermaleins […] zu gewarten […] alles guts. Denn wenn der grosse Advent=Hertzog JEsus Christus wird seinen letzten Advent halten/ sollen sie es gewiß geniessen: (1.) Der Stein/ der ihr Hertz gedrückt/ wird abgeweltzet werden/ der HErr wirds seyn/ der sie richtet/ und sie an denen/ die sie gedrückt/ rächen. (2.) Jhres Hertzens Treue wird ans Licht kommen/ und (3.) Sie werden ihr Lob und Lohn haben. Solche Ehre werden alle seine Gläubigen haben.“ Ebd. Vgl. weiter ebd., S. 63 f. Es darf als eine Spitzenaussage Herbergers gelten, wenn er schreibt, „daß er [= Christus] alsdenn erscheinen wird/ nicht nur in seiner Krafft und Herrligkeit/ […] sondern auch als unser Heyland/ das Wort durchsüsset abermal alle unsere Gedancken vom Jüngsten Gerichte/ wir dürffen deßwegen nicht erschrecken/ denn er wird kommen zu richten die Lebendigen und die Todten/ ist es doch unser Heyland JEsus Christus/ der sich selbst für uns gegeben/ wie solte uns der die Seeligkeit absprechen/ der um unsrer Seeligkeit willen alle Blutstropffen in seinem Leibe hat dran gewagt? Er wird ja nimmermehr ein Urtheil wider sein Verdienst sprechen.“ Ebd., S. 64. Herberger denkt das Gericht konsequent von der Passion her.  Herberger (s. Anm. 747), S. 662.  „[W]ir haben ihn seine rothe Blut=Gülden gekostet/ darum muß er selber darbey seyn/ und zuschauen/ wo wir bleiben/ daß ihm keiner von seinen Erlöseten verlohren werde.“ Ebd. In einer anderen Predigt kann Herberger gar den Text des Apostolikums variieren und schreiben, dass Christus (statt etwa zu richten) „kommen wird/ uns zu sich zu holen“. Herberger (s. Anm. 749), S. 305.  Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 663.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Ebd.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

113

Jüngsten Tag als Zorngericht über alle ungläubigen Bösen, weshalb er eindringlich zu christlicher Lebensführung mahnt.⁷⁶⁹ Im dritten Hauptteil thematisiert Herberger unter anderem den Regenbogenthron – diesen leitet er aus Apk 4,3 her, schreibt ihn jedoch auch dem präkonfessionellen Traditionsbestand zu und hält es für ratsam, die spekulative Frage, ob es sich etwa um Noahs Regenbogen handele oder nicht, bis zum Jüngsten Tag aufzusparen. Zudem thematisiert er Vorzeichen des Jüngsten Tages sowie die Nähe desselben. Herberger greift den Begriff des Richt-Stuhles in einem Wortspiel auf und stellt jenem Richterstuhl Christi die Sitzgelegenheiten jeden Standes gegenüber: Den „Predigstuhl“⁷⁷⁰ der Prediger, auf welche die Christen, die wiederum auf „Kirchstühlichen“⁷⁷¹ sitzen, hören sollen. Richter und Herrscher auf dem „Regenten=[…]stuhl“⁷⁷² werden angesichts des Endgerichts zu rechtem Richten aufgerufen und Privatleute auf ihrem „Schemel“⁷⁷³ mögen tadellos leben.⁷⁷⁴ Im Jüngsten Gericht müssen alle Menschen jeden Alters, jeden Standes, aus allen Völkern und Religionen Rechenschaft geben, so Herberger.⁷⁷⁵ In anderem Kontext werden auch Ärzte unter Verweis auf das Endgericht zu sorgfältiger Arbeit ermahnt.⁷⁷⁶ Zur Rechten Christi malt Herberger den Adressaten die wahren Glaubenden vor Augen, wobei er auch die aus der Ikonographie bekannte Lilie erwähnt. In der himmlischen communio der Christen gruppiert Herberger die rechtschaffenen Glaubenden entsprechenden biblischen Figuren zu: Maria etwa werde dort „mit keuschen Jungfrauen“⁷⁷⁷ zusammen gesehen werden, Maria Magdalena „mit allen bußfertigen Menschen“⁷⁷⁸, Abraham „mit allen Gläubigen“⁷⁷⁹, Abel mit den Märtyrern etc. Analog ordnet der Prediger die „Mörde[r]“⁷⁸⁰ Kain zu, die „Ehebreche[r]“⁷⁸¹ Lamech und so fort⁷⁸², sodass ein Lasterkatalog

 Vgl. ebd.  Ebd., S. 664.  Ebd.  Ebd.  Ebd.  Vgl. ebd., S. 663 f.  Vgl. ebd., S. 664. Auf das Motiv der Rechenschaftspflicht im Endgericht in lutherischen Gerichtspredigten weist auch Holtz hin, vgl. etwa Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 159 u. ö.  Vgl. Holtz: Unsicherheit (s. Anm. 45), S. 148.  Herberger (s. Anm. 747), S. 664.  Ebd.  Ebd.  Ebd., S. 665.  Ebd.  Diese Gestaltung findet sich auch bei Lüdemann. Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 133 f.

114

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

entsteht, der unter anderem auch Tyrannei, Geiz, Raub und Verrat umfasst, wovon sich die Gemeinde fernhalten und ihr Leben bessern soll. Weiterhin greift Herberger die biblische Redeweise von den Schafen und Böcken auf und ordnet die Schafe, die aufgrund ihrer Beschreibungen als Nutztiere, welche Leid ertragen, mit den Gläubigen identifiziert werden, dem Lamm Christus zu. Dem auch als Bock titulierten Teufel ordnet der Prediger die Böcke zu, welche mit ihren Attributen von Gestank, Kampf(eslust) und dergleichen auf die Sünder gedeutet werden.⁷⁸³ Das verdammliche Urteil über die Übeltäter zeigt Herberger zufolge, dass die Opfer zu ihrem Recht kommen und Sünde, Untaten und Ungerechtigkeit nicht das letzte Wort behalten. Das Kommen zu Jesus (Mt 25,34) stellt Herberger zufolge die Konsequenz aus der Nachfolge der Christen im Leben dar. Das Reich Gottes zu ererben darf laut Herberger nicht als ein Verdienst verstanden werden. Allein der Glaube, so der Lutheraner, rettet im Endgericht, doch sind auch ihm zufolge gute Werke notwendige Folge dieses Glaubens an Christus. Insofern erfolgt die Beurteilung des Glaubenden im Gericht „secundum, non propter opera“⁷⁸⁴. Erhard Kunz weist darauf hin, dass der Nicht-Glaubende „nach seinen Werken gerichtet und auch wegen seiner Werke verdammt wird.“⁷⁸⁵ „Der Gläubige wird […] nach seinen Werken gerichtet, erhält aber nicht wegen seiner Werke die Seligkeit“⁷⁸⁶. In ähnlicher Weise äußert sich auch Daniel Lüdemann⁷⁸⁷ und fährt fort, die Aufzählung der Liebeswerke sei nicht die Begründung, warum diejenigen selig werden, sondern die Beschreibung, welche Eigenschaften die Seligen auszeichnen.⁷⁸⁸ Im Zuge der Ausführungen über die guten Werke konstatiert Herberger unter anderem, den geringsten Brüdern solle nur geholfen werden, wenn es sich um glaubende Christen handelt – mutwillige Sünder zu unterstützen sei kein gutes Werk. Jene Guten charakterisiert Herberger als so demütig, dass sie sich kaum loben lassen wollen. Die Verdammten müssen von Christus weichen, weil sie sich im Leben von ihm fernhielten. In Form einer oratio ficta Christi wird den Lippenbekennern vorgehalten, sie hätten nur geredet, nicht gehandelt und nicht recht geglaubt. Immer wieder betont Herberger, dass ein Zusammenhang von Glaube und Werken auch nach lutherischer Sicht der Dinge besteht, um Religionsvergessenheit und liederlichem Lebenswandel zu wehren. In einer weiteren oratio ficta lässt Herberger die Menschen zur Linken Christi murren:

     

Vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 664 f. Ebd., S. 666. Kunz (s. Anm. 23), S. 61. Ebd. Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 218. Vgl. ebd., S. 215 – 218.

4.2 Lutherische Predigten über Mt 25,31 – 46

115

HErr Christe/ sagen sie/ warum bist du nicht selber auf die Cantzel getreten/ warum bist du nicht selbst im Beichtstuhl gesessen/ warum hast du nicht selber das H. Abendmahl sichtbarer Weise ausgetheilet/ warum hast du nicht selber uns zur Busse vermahnet/ wir wolten dir fürwahr gefolget haben/ warum bist du nicht selbst für unsere Thür kommen/ und hast uns um einen Pfennig oder Bissen Brodt gebeten/ wir hätten dir nichts versaget?⁷⁸⁹

Damit erweitert Herberger die biblische Aufzählung und veranschaulicht den Hörern den Sinn der Aussage des Textes anhand konkreter, überspitzt formulierter Beispiele. An den Christen als Medien Christi wohl zu handeln, heiße, Christus selbst zu dienen.⁷⁹⁰ In einem letzten Abschnitt kommt Herberger unter anderem auf die höllischen Qualen der Verdammten zu sprechen, welche er den Adressaten vor Augen führt. Der Einzug in den Himmel werde den Typus des Exodus aus Ägypten an Freuden weit übersteigen. Nochmals mahnt Herberger in diesem Kontext zudem, man solle sich angesichts des Letzten Gerichts stets eines christlichen Lebenswandels befleißigen und dürfe sich mit der Erwartung der himmlischen Freuden trösten.⁷⁹¹ Insgesamt lässt sich feststellen, dass Herberger mit seiner in lebensnaher und bildreicher Sprache verfassten Predigt eigene Akzente setzt.⁷⁹² Bereits auf der Makroebene des Textes zeigt sich zudem der Zusammenhang zwischen Glauben und guten Werken im Kontext des Jüngsten Gerichts: Nachdem Herberger im zweiten Hauptteil in seinen Ausführungen über Christus, den gerichteten Richter, die Grundlage dafür schafft, dass der Christ sich seines Freispruchs im Endgericht gewiss sein darf, entspricht es der durch den Glauben in lutherischer Sicht eröffneten Fähigkeit, gute Werke zu tun, dass Herberger im dritten Hauptteil moralische Mahnungen zu guten Werken folgen lässt. Der seligmachende Glaube ist für Herberger der lutherische Glaube.⁷⁹³ An anderer Stelle kritisiert Herberger ferner die katholische Fegefeuer-Konzeption sowie Seelenmessen⁷⁹⁴, auch klingt gelegentlich die Ablehnung einer doppelten

 Herberger (s. Anm. 747), S. 666.  Vgl. ebd., S. 665 f.  Vgl. ebd., S. 667.  Zum individuellen Predigtstil lutherischer Prediger wie Herberger vgl. etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 109 f.  Vgl. Herberger (s. Anm. 749), S. 216. Den Anhängern anderer Religionen bzw. Konfessionen droht Herberger zufolge die Hölle. Vgl. ebd., S. 215. Allerdings sollte hier stärker differenziert werden. Johann Gerhard äußert sich etwa bezüglich der Frage, ob den Juden die Verdammnis droht, durchaus anders als Luther in seinen späten Schriften und gibt zu bedenken, dass vielmehr alle Menschen Sünder sind und Buße tun müssen. Vgl. Steiger (s. Anm. 352), S. 181– 186.  Vgl. etwa Herberger (s. Anm. 749), S. 5 sowie ebd., S. 36.

116

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Prädestinationslehre an.⁷⁹⁵ In seiner Zurückweisung von Allversöhnungsvorstellungen bzw. des Vorwurfes, die Lutheraner würden die Notwendigkeit guter Werke gänzlich leugnen, demonstriert Herberger darüber hinaus, wie sich geistlicher Humor mit theologischer Argumentation verbinden lässt: [E]s wird mit der Belohnung nicht so unter einander lauffen/ wie an jenes Polnischen Bischoffs Hoffe. Als den Dienern die Besoldung ward ausgezahlet/ war einer drunter/ der gar nichts gethan hatte. Die andern verriethen ihn/ der Bischoff sagte: Höre/ Gesell/ wie darffstu so unverschämt seyn/ und Lohn fordern? Er sprach: Hab ich doch eben so viel gethan/ als jene. Der Bischoff fragte: Was denn? Er sprach: Jch habe alle Tage etliche mal Euer Gnaden Gesundheit getruncken/ und mich drüber voll gesoffen. Der Bischoff sprach: Habe Danck/ deine Groschen sollen dir auch werden. Aber so wirds nicht gehen am Jüngsten Tage/ der fromme Diener und der volle Bruder werden einander nicht gleich gehen⁷⁹⁶.

Es darf ferner als konfessionsübergreifendes Phänomen bezeichnet werden, dass in den frühneuzeitlichen Predigtsammlungen gelegentlich zusätzlich zum Text der Auslegungen von Mt 25,31– 46 etwa Holzschnitte des Jüngsten Gerichts zu sehen sind. Auch in den Postillen lutherischer Provenienz lassen sich also Darstellungen von Christus als Richter samt Details wie Regenbogenthron, Schwert und Lilie, Deesis-Szene⁷⁹⁷ etc. finden (Abb. 1), auch wenn einzelne Elemente variieren oder entfallen können.⁷⁹⁸

 Vgl. etwa ebd., S. 369 f.  Ebd., S. 442.  Dabei handelt es sich um das Motiv bzw. die Darstellung der Fürbitte (meist) durch Maria und Johannes den Täufer an den Richter Christus, welcher in der Mitte zwischen den beiden positioniert ist. Vgl. für ein weiteres Beispiel in anderem Kontext etwa Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 687. Siehe dazu auch unten Anm. 1582.  Zu den lutherischen Werken vgl. Herberger (s. Anm. 747), S. 659. Vgl. auch Johann Gerhard: Postilla: Das ist: Außlegung vnd Erklärung der Sontäglichen vnd fürnembsten Fest=Evangelien/ vber das gantze Jahr. Auch etlicher schöner Sprüche heiliger Schrifft/ vornemlich dahin gerichtet/ daß wir Gottes Liebe vnd Christi Wolthaten erkennen/ auch am innerlichen Menschen seliglich zunehmen mögen. […]. Jena 1616 [11613], fol. 265v.Vgl. auch Lüdemann (s. Anm. 622), fol. )( 1r. Für den katholischen Bereich sei exemplarisch eine Postille Jakob Feuchts (1540 – 1580) genannt.Vgl. Jakob Feucht: Sommertheil Der Kleinen Catholischen Postill […]. Darinnen kürtzlich vnd Catholisch/ alle Sontägliche Fest vnd Feyrtägliche Euangelien/ vom H. Pfingstfest/ biß auff das H. Aduent/ außgelegt werden. […]. Teil 1. Köln 1576, S. 590. Eben jener Holzschnitt ist auch abgedruckt in einer Sammlung von Leichenpredigten Feuchts. Vgl. ders.: Vierzehen Catholische Leichpredigen/ zum theil/ vber der Besingnuß/ weyland des Hochwirdigen in Gott/ Fürsten vnd Herrn/ Herrn Friderichs/ Bischoffs zu Wirtzburg/ vnd Hertzogs in Francken etc. im Thumbstifft zu Bamberg: Zum theil/ in S. Martins Pfarkyrchen daselbsten/ gehalten. Jn welchen/ Gründtlich vnd außfürlich/ vom Fegfewr/ wort/ ort/ peen/ erlösung etc. desselbigen: Auch/ vom fürbitt der Verstorbenen/ von mitteln/ jnen zu helffen etc. gehandlet wirdt. […]. Köln 1574, S. 1.

4.3 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46

117

Abb. 1: Das Jüngste Gericht, Holzschnitt, in: Valerius Herberger: Evangelische HertzPostilla […]. Teil 1. Leipzig 1691, S. 659.

4.3 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46 Auch wenn im reformierten Protestantismus keine Perikopenordnung vorgab, über Mt 25,31– 46 etwa am 26. Sonntag nach Trinitatis zu predigen, so war es dennoch nicht unüblich, den biblischen Text in Predigten auszulegen. Bereits Heinrich Bullinger hatte in zwei 1555 gedruckten Predigten Mt 25,31– 46 ausgelegt.⁷⁹⁹ In der ersten Predigt (zu Mt 25,31– 40)⁸⁰⁰ mahnt Bullinger zunächst, an das gewisse Kommen des Jüngsten Gerichts zu glauben und den Ernst der nah erwarteten Parusie Christi nicht zu ignorieren (wie offenbar zahlreiche Zeitgenossen es taten). Er weist zudem darauf hin, dass die Lehre vom

 Vgl. Heinrich Bullinger: Das Jüngste Gericht Vnsers Herren Jesu Christi/ wie er das werde halten über alle wält/ am letsten tag/ vß dem heiligen Euangelio Matthei am 25. capit. […]. Zürich 1555. Darin zeigt sich Bullingers Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts.  Vgl. ebd., fol. A 2r–D 4v.

118

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Jüngsten Gericht ein basaler Teil des christlichen Glaubens ist.⁸⁰¹ Das Datum des Jüngsten Tages ist Bullinger zufolge hingegen unberechenbar.⁸⁰² Bullinger hebt hier den Aspekt des (strengen) gerechten Richtens im künftigen Endgericht hervor⁸⁰³ und rät zur geistlichen Wachsamkeit⁸⁰⁴. Es ist deutlich, dass der Reformator mit dem doppelten Ausgang des Gerichts rechnet und den Adressaten diese Lehre zu vermitteln bestrebt ist.⁸⁰⁵ Dass ein solches Gericht zu Erlösung oder Verdammnis erfolgen werde, geht Bullinger zufolge klar aus der Schrift hervor.⁸⁰⁶ Den Zweck der Predigt vom Jüngsten Gericht sieht Bullinger darin, dass die Christenmenschen durch die Konfrontation mit dieser Thematik zur Besserung ihres Lebens angeregt werden.⁸⁰⁷ Christi Wundmale werden, so Bullinger, an jenem Tag noch sichtbar sein.⁸⁰⁸ Während den Bösen der Anblick Christi somit zur Angst gereichen werde, dürfen sich die Glaubenden freuen, „das der richter jr erlöser ist“⁸⁰⁹.⁸¹⁰ Der Reformator hebt Christi Herrlichkeit am Tag der Wiederkunft hervor.⁸¹¹ Das Thronen des Richters (vgl. Mt 25,31) deutet er auf Christi Gerechtigkeit und will nicht etwa eine konkrete Stätte, an welcher der Gottessohn thronen wird, lokalisieren.⁸¹² Eine solche Verortung lehnt auch der Lutheraner Daniel Lüdemann ab, wirft jedoch etwa dem Reformierten Girolamo Zanchi (1516 – 1590) vor, dies zu versuchen.⁸¹³ Weiterhin geht Bullinger kurz auf die Begleiterscheinungen der Parusie (überirdisches Feuer und Engelsschar) ein.⁸¹⁴ Bullinger betont, dass ausnahmslos alle Menschen vor dem himmlischen Richter stehen und Rechenschaft abgeben werden müssen.⁸¹⁵ An den älteren bildlichen Darstellungen vom Letzten Gericht kritisiert Bullinger, dass es dort wirke, als hätten die Teufel, welche die Verdammten in die Hölle treiben, Freude an diesem Ereignis, mithin eine gewisse Souveränität. Darstellungen von Gericht und Hölle, welche „zů la-

 Vgl. ebd., fol. A 3r–5r.  Vgl. ebd., fol. A 4v.  Vgl. ebd., fol. A 5r–5v; C 8v.  Vgl. ebd., fol. A 6r–6v. Dabei geht Bullinger auch auf den Kontext der Perikope im Matthäusevangelium ein, man denke etwa an Mt 25,1– 13, vgl. ebd., fol. A 6r u. ö.  Vgl. etwa ebd., fol. A 6v–7r; B 6v.  Hingewiesen wird unter anderem auf Jes 26; Apk 20 und 2Thess 4. Vgl. ebd., fol. B 6r–7v.  Vgl. ebd., fol. A 7v–B 1r.  Vgl. ebd., fol. B 1r–2v.  Ebd., fol. B 2v.  Vgl. auch ebd., fol. B 2v–3r.  Vgl. ebd., fol. B 3r–3v.  Vgl. ebd., fol. B 3v.  Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 89 f.  Dabei nimmt er etwa Bezug auf 2Petr 3. Vgl. Bullinger (s. Anm. 799), fol. B 4r–4v.  Vgl. ebd., fol. B 5r–5v.

4.3 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46

119

chen anreitz[en]“⁸¹⁶, lehnt er ab. Demgegenüber wiederholt Bullinger, wie ernst die Dinge am Letzten Tag liegen werden und betont, dass auch die Teufel zur ewigen Pein verdammt werden.⁸¹⁷ Am Jüngsten Tag werden, so der Reformator, alle (Straf‐)Taten ans Licht gebracht werden und im letzten Gericht wird sich niemand entschuldigen bzw. herausreden können.⁸¹⁸ Im Zuge der Scheidung der Guten von den Bösen wird sich laut Bullinger erweisen, welche vermeintlichen Christen in Wahrheit keinen Glauben hatten und was andere Religionen (und andere christliche Strömungen) gelten.⁸¹⁹ Es zeigt sich, dass nach Bullingers Auffassung die Glaubensinhalte nicht beliebig sind, wenn es um das Bestehen im Jüngsten Gericht geht⁸²⁰: Diejenigen bezeichnet er als „schädlich irrend/ […] welche sich nit schämennd zesagen/ das ein yetlicher in sinem glouben sälig werde“⁸²¹. Der Glaube wird als zentral bestimmt⁸²², um im Gericht bestehen zu können, doch müssen diesem notwendig Liebeswerke folgen, so Bullinger weiter.⁸²³ Der Reformator betont, dass Glauben und gute Werke nicht in Widerspruch zueinander stehen, sondern eine Einheit bilden.⁸²⁴ So fordert auch der Prediger die Adressaten zu rechtschaffenem Lebenswandel und Demut auf.⁸²⁵ Mit einem gewissen apologetischen Impetus betont Bullinger schließlich, dass gute Werke von den Reformatoren keineswegs abgelehnt werden.⁸²⁶ In der zweiten Predigt geht Bullinger auf Mt 25,41– 46 ein.⁸²⁷ Nochmals kommt er auf den doppelten Ausgang des Gerichts zu sprechen. Dass die Bösen letzten Endes ihre Strafe⁸²⁸ empfangen, zeugt ihm zufolge von Gottes Gerechtigkeit.⁸²⁹ Den Hauptgrund der Verdammnis stellt laut Bullinger der Unglaube dar, insofern werden die bösen Taten sekundär berücksichtigt.⁸³⁰ Auch in dieser Predigt er-

 Ebd., fol. B 8v.  Vgl. ebd., fol. B 8r–8v.  Vgl. ebd., fol. C 1r–1v.  Vgl. ebd., fol. C 1v.  Vgl. ebd., fol. C 2v–4r.  Ebd., fol. C 2v.  Vgl. ebd., etwa fol. C 4v.  Vgl. ebd., fol. C 5v–6v u. ö.  Vgl. ebd., fol. D 2r–2v.  Vgl. ebd., fol. C 8v–D 2r. Gleichwohl solle man sich schlechterdings auf Christi Gnade verlassen.  Vgl. ebd., fol. D 4r.  Vgl. ebd., fol. D 5r–G 3r.  Die Verdammten haben Bullinger zufolge die ewigen Höllenqualen, Gottverlassenheit und die Anwesenheit des Teufels zu erwarten. Vgl. ebd., fol. D 6v–7v.  Vgl. ebd., fol. D 5v–6r.  Vgl. ebd., fol. E 3r–3v u. ö.

120

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

mahnt der Reformator die Christenmenschen, den Bedürftigen zu helfen.⁸³¹ Die Obrigkeit wird aufgefordert, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen.⁸³² Jene aber, die sich einem liederlichen Lebenswandel hingeben, ungerechte Kriege unterstützen und dergleichen, erinnert Bullinger mahnend an ihre Rechenschaftspflicht im Endgericht.⁸³³ Angesichts des nahenden Letzten Gerichts gelte es, dieses mit seinem doppelten Ausgang stets zu bedenken⁸³⁴ und das eigene Leben zu bessern.⁸³⁵ Es wäre ein Missverständnis, anzunehmen, dass die Reformatoren bzw. die Protestanten keine kritische Haltung gegenüber der weltlichen Obrigkeit einnahmen. Das Gegenteil ist der Fall, wie bereits am Beispiel der Predigt Herbergers zu Mt 25,31– 46 deutlich wurde.⁸³⁶ Dies zeigt sich auch in den sogenannten Fürstenspiegeln – zu nennen ist hier beispielsweise das Enchiridion oder Handbüchlein eines christlichen Fürsten des Urbanus Rhegius (1489 – 1541).⁸³⁷ Auf die obrigkeitskritische Funktion der lutherischen Gerichtspredigt hat ebenfalls Wolfgang Sommer hingewiesen.⁸³⁸ So verstanden auch die lutherischen Prediger ihr „Amt im dezidiert kritischen Gegenüber zur weltlichen Obrigkeit […] – nämlich als prophetisches Wächteramt“⁸³⁹. Dabei wird auch die Rede vom Jüngsten Gericht eingesetzt, um die Herrschenden zu Buße und umsichtiger Ausübung ihrer Pflichten zu ermahnen.⁸⁴⁰ Aufschlussreich für die Thematik der Predigt vom Jüngsten Gericht im reformierten Bereich ist weiterhin das Oeuvre Georg Spindlers (ca. 1525 – 1605). Spindler hatte in Wittenberg Theologie studiert und war unter anderem in Schlackenwerth in Böhmen als lutherischer Pfarrer tätig, konvertierte jedoch⁸⁴¹: „Seine Hinwendung zum Calvinismus, die in der Gemeinde auf heftigen Wider Vgl. ebd., fol. E 5r. Vgl. auch ebd., fol. F 5r–5v.  Vgl. ebd., fol. F 2v–3r.  Vgl. etwa ebd., fol. E 8r; F 3v–5r. Mögliche Ausflüchte der Ungerechten, nichts Gutes tun zu können, weist Bullinger zurück. Vgl. ebd., fol. F 7r–G 1v.  Vgl. ebd., fol. G 1v–3r.  Vgl. ebd., fol. F 6v–7r.  Siehe etwa oben S. 113.  Vgl. dazu etwa Johann Anselm Steiger: Jonas Propheta. Zur Auslegungs- und Mediengeschichte des Buches Jona bei Martin Luther und im Luthertum der Barockzeit. Mit einer Edition von Johann Matthäus Meyfarts ‚Tuba Poenitentiae Prophetica‘ (1625). Stuttgart-Bad Cannstatt 2011 (= Doctrina et Pietas II, 5), S. 86 f., vgl. auch ebd., S. 86, Anm. 106.  Vgl. Sommer: Gottesfurcht (s. Anm. 45), etwa S. 315 – 319. Vgl. auch Sommer: Die Stellung (s. Anm. 45), S. 313 – 328 sowie Sommer: Die lutherischen Hofprediger (s. Anm. 45), etwa S. 54– 60; 133; 162 f. u. ö. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 837), S. 86.  Ebd., S. 87.  Vgl. ebd., S. 84 f.; 87 f.  Vgl. zu Spindler einleitend Manfred Knedlik: Art. Spindler, Georg. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 21 (2003), Sp. 1456 – 1458, bes. Sp. 1456.

4.3 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46

121

stand stieß, hatte schließlich 1578 (1580?) seine Entlassung zur Folge.“⁸⁴² Als die erste Fassung seiner Predigtpostille⁸⁴³ entstand, bekannte Spindler sich noch zum Luthertum.⁸⁴⁴ So ist auch die dort enthaltene Predigt zu Mt 25,31– 46 im Sinne der lutherischen Lehre verfasst. Spindler thematisiert darin die Auferstehung am Jüngsten Tage sowie die Parusie Christi in Herrlichkeit zum Letzten Gericht und beschreibt den Nutzen der Predigt vom Jüngsten Gericht als Trost für die Glaubenden und mahnenden Bußruf an die Übeltäter.⁸⁴⁵ Zunächst wird gegenüber den Zweiflern und Leugnern des Gerichts konstatiert, dass Christus bald und plötzlich zurückkehren werde, um über alle Menschen zu richten.⁸⁴⁶ Sodann kommt Spindler auf den Richter – Christus – zu sprechen.⁸⁴⁷ Am Jüngsten Tag werde das auf Erden unlösbare Problem der konfessionellen Streitigkeiten beendet werden.⁸⁴⁸ Zudem thematisiert Spindler hier die Aufhebung aller irdischen Machtstrukturen am Jüngsten Tag sowie die Rechenschaftspflicht jedes Menschen im Endgericht. Dem Glaubenden werden seine Sünden nur deshalb im göttlichen Gericht nicht zugerechnet, weil sie „mit Christi blut getilget vnd abgewaschen [sind]/ [und] […] heimlich vnd verschwiegen bleiben“⁸⁴⁹. Den halsstarrigen Sündern jedoch droht Spindler die ewigen Höllenstrafen an.⁸⁵⁰ Im Kampf gegen die Leugner des Jüngsten Gerichts kann der Protestant auch literarische Bündnisse mit den Katholiken eingehen: „Aber der grosse tag des HErren/ wirdt […] ein tag der finsternis vnd verdamnis sein/ dies irae, tribulationis, angustiae, vindictae […]. Wie die Papisten aus Sophonia [= Zephanja⁸⁵¹] in jhren Vigilien singen.“⁸⁵² Drittens kommt Spindler auf das Gerichtsverfahren sowie die Worte des Richters an die Seligen und die Verdammten zu sprechen.⁸⁵³ Allein aufgrund des Glaubens, so Spindler, dürfen die Christen zur rechten Seite des Richters stehen, doch macht

 Ebd., Sp. 1456.  Vgl. Georg Spindler: Postilla. Außlegung der Sontags vnd fürnemesten Fest Euangelien vber das gantze jahr […]. Leipzig 1576.  Vgl. Knedlik (s. Anm. 841), Sp. 1456.  Vgl. Spindler (s. Anm. 843), fol. Aaaa 4r.  Vgl. ebd., fol. Aaaa 4r–4v.  Vgl. ebd., fol. Aaaa 5r–6r.  Spindler schreibt, dass im Himmel, „alle streitige Religions sachen werden geörtert werden“. Ebd., fol. Aaaa 5v.  Ebd.  Vgl. ebd., fol. Aaaa 5v–6r.  Vgl. Zeph 1,14– 18, besonders V. 15. Der Bezug auf Zeph 1,15 findet sich auch bei Lüdemann. Dieser hält fest, den Bösen werde der Tag des Gerichts zu größtem Schrecken gereichen, vgl. etwa Lüdemann (s. Anm. 622), S. 69. Siehe dazu auch unten Kapitel 6.  Spindler (s. Anm. 843), fol. Aaaa 6r.  Vgl. ebd., fol. Aaaa 6r–Bbbb 1v.

122

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

dieser Glaube an Christus eben auch frei zu tätiger Nächstenliebe.⁸⁵⁴ Insofern behalten auch die guten Werke ihre Relevanz im Endgericht. In diesem Kontext zeigt sich auch durchaus interkonfessionelle Polemik: „Es wird aber der Sententz vnd das vrtel nicht gesprochen werden nach dem Gesetze Gottes/ welches alle Menschen verdampt/ auch nicht nach Weltlichen […] Rechten/ viel weniger nach des Bapsts Decreten/ sondern nach dem Euangelio/ […] Johan. 3.Wer an den Sohn Gottes gleubet/ der wird nicht gericht.“⁸⁵⁵ Andernorts kann Spindler den Katholiken vorwerfen, spitzfindige Debatten über die Eschata zu führen, welche er für nicht zielführend hält.⁸⁵⁶ Wie Luther betont auch Spindler, dass die Verdammten wegen ihres Unglaubens gerichtet werden, welcher sich in eigennütziger SelbstLiebe äußert.⁸⁵⁷ Zudem kritisiert Spindler in diesem Kontext etwa mangelnde finanzielle Freigebigkeit.⁸⁵⁸ Spindler erkennt den Maßstab des Gerichts als interkonfessionellen Streitpunkt und weist die Vorstellung zurück, gute Werke könnten per se genügen, um im Endgericht zu bestehen.⁸⁵⁹ Im letzten Abschnitt befasst sich Spindler mit der Urteilsvollstreckung und schildert den Adressaten die himmlischen Freuden und die Schrecken der Hölle mit sehr konkreten Vorstellungen.⁸⁶⁰ Körperliche Behinderungen etwa werden als im Himmel überwunden dargestellt. Überdies stellt Spindler den Glaubenden ewig-milde Frühlingstem-

 „Kompt her jhr gesegneten meines Vaters/ […] jhr seid die/ die jhr euch auff mein blut vnd verdienst verlassen vnd beruffen habt[.] […] [W]as jhr in der Welt guts gethan habt/ das habt jhr gethan aus hertzlichem glauben vnd liebe gegen mir. Denn ich bin offt hungerig gewesen in meinen gliedmassen/ […] vnd jhr habt mich gespeiset/ […] mich beherberget/ meine verjagte […] Diener […] auffgenommen/ […] mich nacketen bekleidet/ armen Schülerlein ein Röcklein gekaufft“. Ebd., fol. Aaaa 6v.  Ebd.  Vgl. Georg Spindler: Postilla: Außlegung der Euangelien […] jetzt von newem gestelt vnd in druck geben […]. o. O. [= Herborn] 1594 [11576], vgl. S. 215 – 218 (2. Teil).  Siehe auch oben S. 29 f.  Vgl. Spindler (s. Anm. 843), fol. Aaaa 6v–Bbbb 1r.  „Das aber der HErr in dem vrtel/ die werck der barmhertzigkeit so hoch rühmet/ geschicht nicht darumb/ das der HErre die gleubigen vmb dieser werck willen wil für gerecht sprechen/ vnd anzeigen/ das sie das ewige leben damit verdienet hetten/ Denn das ewige leben ist eine gabe Gottes/ drumb kan es niemands verdienen/ vnd niemands kan das Gesetze vollkömlich erfüllen/ vnd derhalben kan auch niemands durch des Gesetzes werck gerecht werden […]. Drumb leren die Papisten vnrecht/ das sie fürgeben/ weil Christus die werck der barmhertzigkeit so hoch rühme/ so machen gute werck selig. Denn Christus spricht nicht/ das jhnen das ewige leben vmb jhrer werck willen gegeben werden/ Sondern er wil anzeigen/ das sie aus gnaden durch glauben seind selig worden.“ Ebd., fol. Bbbb 1v. Nur der Glaubende bringt laut Spindler gute Werke hervor. Somit sind auch vermeintlich gute Werke, welche im Unglauben getan werden, kein Weg zur Erlösung. Vgl. ebd.  Vgl. ebd., fol. Bbbb 2r–2v.

4.3 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46

123

peratur in Aussicht, zudem werden bestimmte Kreaturen wie „Spinne[n]“⁸⁶¹ ihm zufolge nicht mehr existieren. Weiterhin wird die himmlische Gesellschaft mit allen Heiligen beschrieben und mit der tröstlichen Aussicht auf ein Wiedersehen mit verstorbenen Angehörigen verbunden.⁸⁶² Insgesamt zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Spindlers Predigt und etwa derjenigen Gerhards, der Text steht vielmehr im Einklang mit Luthers Lehren. In der zweiten Auflage der Postille, die nach Spindlers Konversion entstand⁸⁶³, findet sich keine Predigt zum 26. Sonntag nach Trinitatis bzw. keine Predigt zu Mt 25,31– 46, wenngleich Spindler in anderen Predigten das Jüngste Gericht, zu dem Christus „den gläubigen nicht komen wirdt als ein richter/ sondern als ein seligmacher“⁸⁶⁴, sowie die Vorzeichen des Jüngsten Tages und dergleichen thematisieren kann.⁸⁶⁵ Mt 25,31– 46 ist jedoch Gegenstand einer Auslegung in Spindlers Evangeliensummarien aus dem Jahr 1600.⁸⁶⁶ Zunächst ähnelt das Summarium inhaltlich der oben genannten Predigt in weiten Teilen. Auch betont Spindler, dass die Glaubenden sola gratia erlöst sind und polemisiert wiederum gegen die Vorstellung, durch gute Werke allein könne der Mensch im Gericht bestehen. Eine solche Auffassung zu vertreten wirft er den römischen Katholiken vor.⁸⁶⁷ Im Unterschied zur oben erwähnten Predigt verzichtet der Konvertierte darauf, von einer zeitlebens bestehenden Möglichkeit zu Umkehr und Buße zu schreiben und widmet den Ausführungen über Glauben als Maßstab des Gerichts nur wenig Raum. Am auffälligsten jedoch ist Spindlers neue Begründung dafür, dass jene ‚Böcke‘ verdammt werden: „So höret jhr auch/ daß er die auff der Lincken seiten verfluchte nennet/ dieweil sie Gott von ewigkeit verstossen vnd verworffen hat“⁸⁶⁸. Auch im Schlussgebet ist von einer doppelten ewigen Erwählung zu Heil und Verdammnis die Rede: „Vatter/ der du vns von

 Ebd., fol. Bbbb 2r.  Vgl. ebd.  In der Zuschrift erwähnt Spindler seine Hinwendung zum reformierten Christentum und seine Verpflichtung gegenüber dem Heidelberger Katechismus. Vgl. Spindler (s. Anm. 856), fol. a 1v.  Ebd., S. 22 (1. Teil).  Vgl. etwa ebd., S. 13 – 17 (1. Teil). Die Zukunft Christi zum Endgericht wird, so heißt es dort, im Gegensatz zu Jesu erstem Advent in Herrlichkeit und Majestät erfolgen. Auch hier benennt Spindler den Glauben als im Gericht entscheidendes Kriterium. Er weist alle Datumsspekulationen zurück und hält daran fest, dass die Parusie sich verzögert, auf dass den Menschen Zeit zu Bekehrung und Buße bleibt. Vgl. ebd., S. 18 – 21 (1. Teil).  Vgl. Georg Spindler: Kurtze Summaria vnd Gebete Vber die Sontäglichen Evangelien vnd Episteln durchs gantze Jahr […]. Amberg 1600, S. 337– 341.  Vgl. ebd., S. 339 – 341.  Ebd., S. 341.

124

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

ewigkeit zu deines Sohns Erbe erwehlet […] hast/ […] gleich wie du dargegen/ die so dir nicht gefallen/ von anbegin verworffen vnd verstossen hast“⁸⁶⁹. Hier zeigt sich die neue reformiert-theologische Ausrichtung Spindlers, der nun die Lehre der doppelten Prädestination⁸⁷⁰ predigt, welche sowohl Lutheraner wie Gerhard oder Herberger als auch Katholiken klar ablehnen. Nach seiner Konversion verfasste Spindler 1597 auch eine Reihe von Predigten über den Heidelberger Katechismus. ⁸⁷¹ Darin kommt Spindler auf das Jüngste Gericht mit doppeltem Ausgang zu sprechen und definiert den Glauben als Maßstab für das Bestehen im Endgericht, wobei dem wahren Glauben notwendigerweise Werke der Nächstenliebe folgen müssen, so der reformierte Theologe.⁸⁷² Spindler wendet sich zudem gegen die Allversöhnungslehre⁸⁷³ bzw. die Vorstellung, jede Religion könne den Weg zum Heil weisen.⁸⁷⁴ Auch andernorts polemisiert er gegen jene, die davon ausgehen, dass jeder nach seiner Fasson selig werden könne⁸⁷⁵: Diß hab ich […] geredet/ auf daß jhr erkennet/ daß gewißlich eine Christliche Gemeine vnd volck Gottes sey/ vnd daß jhr […] wisset/ zu welchen leuten jhr euch halten müsset/ da jhr wöllet selig werden. Denn es seind vil leute/ die geben für/ es sey die gantze welt/ alle menschen/ Gottes volck/ vnd es werde ein jeder in seiner Religion selig: Vnd es gehe zu/ wie man gen Franckfurt auf die Messe zeucht/ da ein hauffe den/ ein ander einen andern weg gehet/ vnd komen doch aber zu Franckfurt zusamen: Also hab einer dise/ ein ander ein ander Religion/ vnd kommen endlich alle in himel.⁸⁷⁶

Der rechte Glaube bzw. die rechte Konfession ist also Spindler zufolge von Belang, wenn am Jüngsten Tag über Seligkeit oder Verdammnis des Menschen geurteilt wird. Obwohl Gott den Menschen die Erlösung anbietet, kommen, so Spindler,

 Ebd.  Vgl. dazu Mahlmann (s. Anm. 480), S. 118 – 156.  Vgl. Georg Spindler: Zwo vnd funfftzig Predigten Vber den Heidelbergischen Catechismum […]. Amberg 1597 [11595]. Spindler kommt in der Vorrede auf seine Hinwendung zum reformierten Protestantismus zu sprechen, vgl. ebd., fol. )( 4r–4v.  Vgl. etwa ebd., S. 79 – 98, bes. S. 79 – 91.  Zur Ablehnung des Gedankens, jeder würde einst in den Himmel gelangen, vgl. Spindler (s. Anm. 856), S. 174 f. (2. Teil). Darin konstatiert Spindler, es sei falsch, „daß alle menschen selig werden“. Ebd., S. 174 (2. Teil).  Dabei verwendet er ebenfalls das Bild der Reise zur Messe nach Frankfurt. Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 81.  Möglicherweise sind Ireniker oder Gegner mit rationalistischen Auffassungen im Blick.  Spindler (s. Anm. 856), S. 156 f. (1. Teil). Im weiteren Verlauf der Predigt werden auch die Freude der Himmlischen und die Pein der Verdammten von Spindler in bildhafter Sprache illustriert. Vgl. ebd., S. 163 (1. Teil).

4.3 Reformierte Predigten über Mt 25,31 – 46

125

viele (erfahrungsgemäß) nicht zum Glauben.⁸⁷⁷ Diesen „verdampten“⁸⁷⁸ gilt ihm zufolge Christi Heilstat nicht.⁸⁷⁹ Während die Glaubenden von Gott zum Heil erwählt sind, hat Gott laut Spindler den restlichen Teil der Menschen zur Verdammnis prädestiniert.⁸⁸⁰ Hier unterscheidet sich Spindlers Auffassung von der Lehre der lutherischen und der katholischen Konfession. Spindler sieht zudem die Aussage in Gefahr, dass dem wahren Glaubenden das himmlische Heil gewiss ist, würde man nur von der Möglichkeit, dass allen Menschen das Heil zugänglich ist, sprechen.⁸⁸¹ Auch sei es mit Gottes Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren, die Erlösung universell zu denken, wenn im Letzten Gericht ein Teil der Erlösten dennoch verdammt würde.⁸⁸² Allerdings wendet sich Spindler auch gegen die etwa bei Thomas von Aquin (1225 – 1274) begegnende Vorstellung einer dubitatio perpetua. ⁸⁸³ Spindler betont hingegen die Heilsgewissheit der wahren Christen.⁸⁸⁴ Andernorts negiert Spindler auch die katholische Vorstellung vom Fegefeuer und lehnt es etwa in der Auslegung von Mt 5,26 (vgl. auch Mt 18,34) ab, das Abzahlen der Schulden bis zum letzten Heller auf das Purgatorium zu deuten.⁸⁸⁵ Anders als nach lutherischem und katholischem Verständnis vertritt Spindler die Auffassung, Christus sei nach seiner menschlichen Natur seit der Himmelfahrt bis zum Jüngsten Gericht nur im Himmel zur Rechten des Vaters präsent.⁸⁸⁶ Zudem schreibt der Reformierte über die Geschehnisse des Jüngsten Tages: „Christus aber […] regirt in Göttlicher vnd Menschlicher gewalt/ […] nach seinen beyden Naturen/ doch daß eine jede Natur thue/ was jhr eignet. […] Wie wir solchs […] sehen werden in seiner zukunfft am end der welt/ da er nach seiner Menschlichen natur das Vrtheil fellen/ vnnd nach seiner Göttlichen natur die execution vnd vollziehung thun wirt.“⁸⁸⁷

 Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 84 f. So soll unter anderem dem Einwand gewehrt werden, Christi Opfer sei nicht wirkmächtig und Gott also nicht allmächtig. Vgl. ebd., S. 89 f.  Ebd., S. 86.  „Er [= Christus] hat aber vmb der verdampten vnd vngläubigen willen den Himmel nicht eingenommen/ noch ist […] er […] vmb jhrer Sünde willen gestorben“. Ebd., S. 86 f.  Vgl. ebd., S. 87; 91.  Vgl. ebd., S. 87.  Vgl. ebd., S. 90 f.  „Drumb ist es vnrecht/ daß die Papisten lehren/ man solle zweiffeln/ ob vns GOtt auß gnaden die Sünde vergeben hab“. Ebd., S. 97. Vgl. zur innerkatholischen Debatte über die (Un‐) Gewissheit des Heils etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 34 f. Siehe auch unten S. 141 f.  Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 208 f.  Vgl. etwa Spindler (s. Anm. 856), S. 288 (2. Teil).  Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 214; 224– 229.  Ebd., S. 236.

126

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Wichtig ist weiterhin jener Abschnitt der neunzehnten Predigt, in welchem die zweiundfünfzigste Frage des Heidelberger Katechismus thematisiert wird. Hierin beschreibt Spindler es als Grund der Heilsgewissheit der in der Welt leidenden Christen, dass der Richter zugleich der für die Glaubenden gerichtete Retter ist.⁸⁸⁸ Diese dialektische Beschreibung des gerichteten Richters wird vom Text des Katechismus vorgegeben und ist für Spindler sonst meines Erachtens nicht typisch. Während den Glaubenden, so fährt der Reformierte fort, das Endgericht die ewige Freude einläutet, werden die Unglaubenden, denen Christi Heilstat nicht zugute kommt, am Jüngsten Tag ihr verdammliches Urteil hören.⁸⁸⁹ Spindler beschreibt die Parusie Christi in Herrlichkeit zum Gericht über alle Menschen entsprechend biblischer Vorlagen⁸⁹⁰ und kommt folgend auf die rasche Ausführung der Gerichtsurteile zu sprechen.⁸⁹¹ Auch geht er kurz auf die consummatio mundi ⁸⁹² sowie die Vollendung der Schöpfung am Jüngsten Tage ein.⁸⁹³ Obschon der Jüngste Tag auch Spindler zufolge nicht datierbar ist, ruft er zu geistlicher Wachsamkeit⁸⁹⁴ sowie sittlichem Lebenswandel angesichts der (überraschenden) Parusie Christi zum Gericht auf.⁸⁹⁵ Weiterhin werden die Auferstehung der Toten und die Scheidung der Menschen, welche ausnahmslos Rechenschaft werden geben müssen, beschrieben.⁸⁹⁶ Die Zerstörung Jerichos (Jos 6) wird zum Typus der consummatio mundi. Zudem stellt Spindler das verdammliche

 Vgl. ebd., S. 249. Daraus leitet Spindler die Aufforderung ab, kontrafaktisch zu glauben, des Heils gewiss zu sein und auf die baldige Zukunft Christi zu hoffen, vgl. ebd., S. 249 f. Siehe auch oben S. 77.  Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 238 f.; 249.  Angeführt werden etwa Jud 14; Jes 66,15; Mal 4,3; Mt 16,27; 25,31; Lk 21,27; Apg 1,11; 10,42; 17,31. Vgl. ebd., S. 243 f. Dabei zählt Spindler unter anderem die Scharen der Engel und das Thronen Christi auf, vgl. auch ebd., S. 247 f.  Vgl. etwa ebd., S. 239.  Vgl. ebd., S. 244 f. Zu den verschiedenen Auffassungen bezüglich der consummatio mundi (Verwandlung bzw. Erneuerung der Welt, Vernichtung der Welt etc.) vgl. auch Kunz (s. Anm. 23), S. 62– 64.  Im neuen Jerusalem (vgl. Apk 21) wird Spindler zufolge die übrige Kreatur vom Menschen nicht länger missbraucht bzw. ausgebeutet, sondern existiert wie die erlösten Christen zum Ziel des Gotteslobes. Dabei betont Spindler die Kontinuität der Identität zwischen der ersten und der zweiten Schöpfung – Letztere ist keine andere, aber eine vollendete, sündlose Schöpfung. Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 245.  Vgl. ebd., S. 245 f. Als biblische Belege werden dort etwa Mk 13,32 f.; Mt 24,36.43 und 1Thess 5,1 angeführt. Spindler lehnt die Vorstellung, dass dem Letzten Tag Vorzeichen vorausgehen, nicht ab. Das Papsttum wird mit dem Antichrist identifiziert. Vgl. ebd., S. 246 f. Siehe dazu auch Kapitel 5.  Vgl. Spindler (s. Anm. 871), S. 247.  Vgl. ebd., S. 247 f.

4.4 Katholische Predigten über Mt 25,31 – 46

127

Urteil im Jüngsten Gericht über die auf Erden mitunter ungestraften Übeltäter als Triumph der (postmortalen) Gerechtigkeit dar.⁸⁹⁷ Die Glaubenden dürfen, so Spindler, den Jüngsten Tag als heilvoll ersehnen. Die Notwendigkeit guter Werke fällt für den Reformierten durchaus nicht weg. Zudem werden die Sünder zu Umkehr und Besserung aufgerufen.⁸⁹⁸ Die Profilierung der eigenen konfessionsspezifischen Lehren steht in dieser Predigt nicht im Vordergrund, während er sich andernorts klar konfessionell positioniert und vor allem katholische Auffassungen zurückweist.

4.4 Katholische Predigten über Mt 25,31 – 46 Obschon in katholischen Predigtsammlungen am 26. Sonntag nach Trinitatis häufig nicht über Mt 25,31– 46 gepredigt wird, lassen sich aufschlussreiche Predigten zu jener Perikope auch bei katholischen Autoren finden, so etwa bei dem Theologen und Weihbischof Jakob Feucht (1540 – 1580). In einer 1576 gedruckten Predigt zu Mt 25,31– 46⁸⁹⁹ verbindet Feucht die Thematik des Jüngsten Gerichts mit scharfer antilutherischer Polemik. Zu Beginn des Textes betont Feucht, es sei dringend nötig, über diese Perikope, mithin die Gerichtsthematik, zu predigen, da die Anhänger des „Gottlose[n] außgesprungene[n] Mönch[s] Lutherus“⁹⁰⁰ dem katholischen Prediger zufolge die gefährliche Irrlehre verbreiten, dass ein Mensch auch ohne gute Werke im Endgericht bestehen könne.⁹⁰¹ Demgegenüber hebt Feucht die Bedeutung der Werke der Nächstenliebe hervor.⁹⁰² Diese guten Werke stellen mit dem katholischen Glauben das Kriterium zum Bestehen im Jüngsten Gericht dar.⁹⁰³ Andernorts kann Feucht noch deutlicher fordern, an die Lehren der römisch-katholischen Kirche zu glauben und nicht den Irrlehrern – seien sie lu-

 Vgl. ebd., S. 248 – 250.  Vgl. ebd., S. 251.  Vgl. Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 589 – 618.  Ebd., S. 592.  „So ist doch […] heutigs Euangelium nit das geringste/ sonder gewißlich vnder vilen das fürnemste/ ja auch außzulegen das notwendigste/ vnd beuorauß diser zeit/ vnd in Teutschland/ diser vrsach: Nit allein seynd vil Vncatholische Predicanten […]/ so für sich selbsten felschlich vermeynen/ lehren vnd glauben/ sonder auch vil einfeltigs Völcklin von jhnen felschlich vnd betrüglich beredet: Es seye die Seligkeit zu erlangen nichts von nöten/ dann nur glauben.“ Ebd. Vgl. ebd., S. 592 f.  Auch auf dem Tridentinischen Konzil war die Relevanz guter Werke in Bezug auf das Endgericht betont worden,vgl. etwa Merkel (s. Anm. 23), S. 492. Die Lehre vom Jüngsten Gericht wurde hingegen nicht explizit bzw. eigens behandelt. Vgl. Schäfer (s. Anm. 3), S. 30.  Vgl. Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 592 f.

128

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

therisch, reformiert oder Nonkonformisten – zu folgen, um im Gericht bestehen zu können.⁹⁰⁴ Im ersten Hauptteil erwähnt Feucht zunächst knapp, dass dem Jüngsten Tag gewisse Vorzeichen vorausgehen werden und beschreibt Details der Parusie Christi zum Gericht, etwa die Ankunft in Herrlichkeit, den Posaunenklang, die Engel, welche Christus begleiten werden und dergleichen. Kein Mensch ist, so Feucht, von der Pflicht entbunden, im Letzten Gericht erscheinen zu müssen und den Urteilsspruch entweder zu ewiger Seligkeit oder ewiger Verdammnis zu empfangen.⁹⁰⁵ Christus werde in beiden Naturen zum Gericht wiederkehren und seine Wundmale bleiben sichtbar, damit „Jüden/ Heyden/ Türcken vnd Abtrünnige Mamelucken“⁹⁰⁶ in Furcht erkennen, dass er der Gekreuzigte ist.⁹⁰⁷ Feucht macht dabei den Gedanken stark, dass Christi Wundmale die Bösen ängstigen, hebt jedoch weniger als die Lutheraner hervor, dass die Glaubenden Christus dadurch zudem (zu ihrem Trost) als den gerichteten Richter identifizieren können. Die Freude aber, Christus auch als Gott zu schauen, bleibt den zukünftigen Himmelsbewohnern vorbehalten.⁹⁰⁸ Feucht lokalisiert den Ort des Endgerichts „im Thal Josaphat/ oder am jenigen ort alda jetzund das Thal ist/ dann zur selbigen zeit werden Berg vnd Thal eben werden.“⁹⁰⁹ Die Auferstehung sowie die Scheidung der Frommen von den Bösen werden von Feucht als rasch beschrieben. Prozess, Anklage und Urteil erfährt „nit eine[r] nach dem andern Mündtlich“⁹¹⁰, sondern zunächst durch eine Art Eingabe ins Gewissen und eine Kennzeichnung an der Stirn, bevor Christus, der Richter, die Gruppen zur Linken und zur Rechten kollektiv anspricht.⁹¹¹ Von Christus wird zudem ausgesagt, dass er derjenige ist, welcher die Bedingung der Möglichkeit, zur ewigen Seligkeit zu gelangen, durch sein Heilswerk eröffnet hat.⁹¹² Diese Ausführungen könnten ebenso von einem

 Die Mitglieder anderer Konfessionen werden Feucht zufolge zur Verdammnis verurteilt. Vgl. ders.: Wintertheil Der Kleinen Catholischen Postill […]. Darinnen kürtzlich vnd Catholisch/ alle Sontägliche Fest vnd Feyertägliche Euangelien/ vom Aduent/ biß auff das H. Pfingstfest […] außgelegt werden. […]. Teil 1. Köln 1579, S. 20 – 22. Es heißt dort etwa: „Wir müssen auch in […] allen Artickeln/ […] so die H. Christlich Catholisch Kyrch glaubt/ lehret vnd helt/ nit neuwe MundtChristen/ weder Caluinisch/ Zwinglisch/ Widertäufferisch noch Lutherisch/ sonder gute alte Catholische Christen erfunden werden“. Ebd., S. 20 f.  Vgl. Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 593 f.; 596.  Ebd., S. 595.  Vgl. ebd., S. 595 f.  Vgl. ebd., S. 596.  Ebd. Siehe dazu auch unten S. 236; oben Anm. 745; unten Anm. 1729 und 1730.  Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 597.  Vgl. ebd., S. 596 f.  Vgl. ebd., S. 597 f.

4.4 Katholische Predigten über Mt 25,31 – 46

129

Lutheraner stammen. Es folgt der Gedanke, dass die (Seelen der) Gerechten des Alten Bundes ohne Leiden, doch auch ohne Freuden im limbus patrum weilen mussten, bis Christus sie aus diesem befreit und in die himmlische Seligkeit geführt hat.⁹¹³ Feucht rechnet mit einem Partikulargericht des Individuums sowie dem Jüngsten Gericht am Letzten Tag. Er erläutert den Adressaten, dass die Seelen aus Himmel oder Hölle am Jüngsten Tag zur Wiedervereinigung mit dem Leib zurückkehren werden. Während im Partikulargericht zunächst nur das Urteil über die Seele gesprochen wird, fällt, so der Katholik, im Jüngsten Gericht die Entscheidung über Körper und Seele, die zu ewiger Verdammnis oder Seligkeit gelangen.⁹¹⁴ Feucht vertritt andernorts zudem die Auffassung, dass die Seele im Partikulargericht auch zum Fegefeuer verurteilt werden kann.⁹¹⁵ Im zweiten Hauptteil ist es Feucht darum zu tun, die (vermeintliche) lutherische Irrlehre bezüglich des Maßstabs des Gerichts zu widerlegen.⁹¹⁶ Feucht spottet, der biblische Text müsse für Lutheraner umgeschrieben werden und lauten: „Kompt her ins Himmelreich/ darumb allein/ weil jhr glaubt habt. Gehet hin jhr vermaledeyten/ darumb allein/ weil jhr nit glaubt habt.“⁹¹⁷ Feucht wirft den Lutheranern so vor, sich nicht an der Schrift zu orientieren bzw. unbiblische Lehren zu vertreten. Als Auffassung der römischen Katholiken bezeichnet Feucht es indes, dass sowohl der Glaube als auch die guten Werke die notwendigen Kriterien sein werden, um im Jüngsten Gericht zu bestehen. Angesichts der in der Perikope genannten sechs Werke der Nächstenliebe, welche im Endgericht Erwähnung finden werden, meint Feucht, die Lutheraner widerlegt zu haben.⁹¹⁸ Als siebtes Werk der Barmherzigkeit nennt der Katholik das Begräbnis der Toten.⁹¹⁹ Anschließend folgen Ausführungen über die einzelnen guten Taten sowie Ratschläge, wie diese praktisch vollzogen werden können.⁹²⁰ Dieser Abschnitt stellt

 Vgl. ebd., S. 598.  Vgl. ebd.  Vgl. Feucht (s. Anm. 904), S. 11 f. Dort wendet sich Feucht zudem gegen Terminspekulationen und mahnt zu geistlicher Wachsamkeit, vgl. ebd., S. 12. Das Fegefeuer führt ihm zufolge letztlich zum Heil. Vgl. auch ebd., S. 28 – 30 u. ö.  Vgl. Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 598 f.  Ebd., S. 599.  Vgl. ebd., S. 599 f.  Vgl. ebd., S. 600. Zu diesem siebten Werk der Barmherzigkeit, dessen Darstellung sich auch in der lutherischen Ikonographie in der Frühen Neuzeit finden lässt, vgl. etwa Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 193; 195.  Hungernde zu speisen sei beispielsweise auch in Form von Almosen möglich. Vgl. etwa Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 600 f. u. ö. Als Exempla vorbildlicher Lebensführung werden Heilige genannt, vgl. ebd., S. 611.

130

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

den längsten Teil der Predigt dar.⁹²¹ Darin finden sich auch sozialkritische Äußerungen: Feucht kritisiert etwa den Überfluss der Wohlhabenden und Adligen (auch in Form der Völlerei) einerseits sowie die mangelnde Armenfürsorge andererseits.⁹²² In ähnlicher Weise äußert sich auch der Lutheraner Daniel Lüdemann.⁹²³ Die Rede vom Jüngsten Gericht dient hier der Forderung nach guten Werken.⁹²⁴ Dabei gestaltet Feucht die Erläuterungen zu den jeweiligen guten Werken so, dass die Anleitung zum rechten Tun sowie mahnende Worte einer entsprechenden verwerflichen Handlung gegenübergestellt werden, etwa übermäßiger Konsum alkoholischer Getränke statt die Dürstenden zu tränken.⁹²⁵ Ferner begegnet der Gedanke, dass Werke und Lohn quantifizierbar sind, also je nach Menge und Wertigkeit guter Taten entsprechende Belohnung folge.⁹²⁶ In einer anderen Predigt schreibt Feucht zudem, dass nach dem Jüngsten Gericht ein größerer Lohn oder eine größere Strafe als nach dem Partikulargericht vergeben werden kann, wenn etwa ein Irrlehrer durch seine Lehren viele Generationen bis zum Jüngsten Tag verdirbt, oder aber jemand durch Stiftungen postmortal weitere gute Werke sammelt.⁹²⁷ Erhard Kunz zufolge waren auch Lutheraner mit dieser Konzeption einer „Wirkungsgeschichte“⁹²⁸ der Taten bis zum Jüngsten Tag vertraut – Kunz spricht sogar von interkonfessioneller Rezeption: „Diesen Gedanken übernimmt J. Gerhard von Bellarmin“⁹²⁹.⁹³⁰ Die Werke an den Armen werden entsprechend der biblischen Vorlage mit guten Taten an Christus gleichgesetzt.⁹³¹ Knapp ergänzt Feucht, die Verdammnis derer zur Linken des Richters sei darin begründet, dass jene die Werke der Barmherzigkeit nicht getan haben, wobei er

 Vgl. ebd., S. 600 – 617.  Dabei nimmt Feucht Bezug auf die Lazarusperikope, vgl. etwa ebd., S. 601 f. Zur Thematik sozialer Verantwortung vgl. auch ebd., S. 604; 614 f.  Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 342– 344.  Vgl. Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 601 f.  Vgl. ebd., S. 603 f.  Vgl. etwa ebd., S. 602 f. Andernorts kommt Feucht ausführlicher auf die ‚Ränge‘ der Christen im Himmel zu sprechen, vgl. etwa ders.: POSTILLA CATHOLICA Euangeliorum de Sanctis totius Anni. Das ist: Catholische Außlegung aller Fest vnd Feyertäglichen Euangelien durch das gantze Jar […]. Teil 2,1. Köln 1597 [11578], S. 255.  Vgl. ebd., S. 321 f.  Kunz (s. Anm. 23), S. 60.  Ebd., S. 60, Anm. 122.  Somit sei es auch notwendig gewesen, ein Jüngstes Gericht nach dem Partikulargericht anzunehmen. Vgl. ebd., S. 60 und auch ebd., S. 60, Anm. 122. Vgl. dazu auch Schäfer (s. Anm. 3), S. 65 u. ö. Ohnehin besteht für die lutherisch-orthodoxen Prediger kein Widerspruch zwischen der Annahme eines Urteils über die Seele des Menschen nach dem Tode und der Lehre des universalen Endgerichts. Vgl. etwa Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 153.  Vgl. etwa Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 607.

4.4 Katholische Predigten über Mt 25,31 – 46

131

abermals gegen die Lutheraner polemisiert und die Notwendigkeit hervorhebt, recht zu handeln, um im Gericht zu bestehen.⁹³² Das Fazit des Predigers lautet, es sei zu „lernen vnd behalten: Daß wir am Jüngsten tag rechnungschafft geben müssen/ vmb alles guts vnd böses. Daß die Lutherische Lehre/ von dem Glauben vnd guten Wercken/ ein verbannte vnd verdampte Ketzerey seye. Daß wir den Armen barmhertzig seyen/ […] auff daß wir am Jüngsten tag auch zur rechten christi stehen/ vnd mit jhme ins Himmelreich eyngehen mögen“⁹³³. Während es durchaus inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den Lutheranern gibt (etwa in Bezug auf die Parusie Christi und den binären Ausgang des Gerichts)⁹³⁴, erklärt der Autor die Predigt von vornherein zu einer konfessionellen Streitschrift. Feucht hält es für die lutherische Position, dass im Jüngsten Gericht die guten Werke keinerlei Beachtung finden und aus dem Glauben auch nicht resultieren.⁹³⁵ Dies mag als interkonfessionelles Missverständnis oder als bewusste Markierung negativer Interkonfessionalität gelten. Gleichwohl hat sich gezeigt, dass auch in lutherischer Sicht die guten Werke als Folge des Glaubens im Endgericht Relevanz besitzen. Unter umgekehrten konfessionellen Vorzeichen gilt für Feucht wie für Spindler, dass nicht alle Konfessionen den Weg zum ewigen Heil bieten, sondern in seinem Fall nur der römische Katholizismus.⁹³⁶ In weiteren Predigten zeigt sich, dass Feucht wie die Lutheraner den Gedanken einer doppelten Prädestination ablehnt⁹³⁷, anders als die lutherischen und reformierten Ausleger hingegen beispielsweise Mt 18,34 auf das Fegefeuer deutet⁹³⁸. Als Grund für die Erstellung seiner deutschen Predigtpostille(n) gibt Feucht an, den zahlreichen Postillen der Lutheraner⁹³⁹ im deutschsprachigen

 Vgl. ebd., S. 617.  Ebd.  Feucht selbst beschreibt die Thematik des Jüngsten Gerichts an sich andernorts als interkonfessionell unproblematisch: „Hieruon [= Vom Letzten Gericht] gedachte ich weitleuffiger zu handeln/ sintemaln aber […] diser Artickel vnsers Christlichen Glaubens nit strittig/ kans füglich biß zur andern zeit auffgeschoben werden.“ Feucht (s. Anm. 926), S. 106.  An anderer Stelle gibt Feucht zu erkennen, dass er durchaus darum weiß, dass die Lutheraner die Werke als dem Glauben notwendig folgend bezeichnen können, wirft ihnen dies jedoch als Inkonsequenz vor. Vgl. ebd., S. 255 f.  Vgl. etwa ebd., S. 32 f. In jener Predigt würdigt Feucht auch Luthers Sermon von der Bereitung zum Sterben als wenigstens in Teilen nützlich. Vgl. ebd., S. 34.  Vgl. etwa Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 39 f. Zudem lehnt Feucht wie die Lutheraner die reformierte Vorstellung ab, Christus sei bis zum Jüngsten Tag nur im Himmel zu verorten (und könne nicht im Abendmahl präsent sein), vgl. etwa Feucht (s. Anm. 926), S. 424.  Vgl. etwa Feucht: Sommertheil (s. Anm. 798), S. 521.  Es ist für Feucht ein großer Missstand, „[d]aß […] mehr Lutherische dann Catholische Postillen gefunden werden“. Feucht (s. Anm. 904), fol. *a 5v.

132

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Raum, welche ihm zufolge eine severe Gefahr darstellen⁹⁴⁰, publizistisch etwas entgegensetzen zu wollen.⁹⁴¹ Dies mag auch als interkonfessionelle Anregung mit Blick auf die Nutzung einer literarischen Gattung bezeichnet werden. In ähnlicher Weise wie Feucht äußert sich ca. fünfzig Jahre später auch der Katholik Hubert Lomessen (?–?). In einer 1624 gedruckten Sammlung seiner Predigten⁹⁴² findet sich eine Auslegung von Mt 25,31– 46 als fünfte Predigt zum 25. Sonntag nach Trinitatis. Lomessen gliedert seinen Text in drei Hauptteile. Nach der Behandlung der Thematik der Parusie Christi zum Gericht geht er auf die Art und den Ablauf des Gerichts sowie auf den zweifachen Urteilsspruch ein.⁹⁴³ Lomessen weist zunächst darauf hin, dass Aussagen über die Eschata als vorläufig zu verstehen, aber dennoch möglich sind, da sie in der Heiligen Schrift thematisiert werden.⁹⁴⁴ Der Gottessohn werde in Wolken (Hinweis auf Mt 24,30) wiederkehren, begleitet von Feuer (Hinweis auf Ps 97,3), Engeln (Hinweis auf Mt 25,31) und Himmelsposaunen (Hinweis auf 1Kor 15,52), durch welche⁹⁴⁵ die Toten erweckt werden.⁹⁴⁶ Dabei geht Lomessen knapp auch auf die Aufgaben der Engel am Jüngsten Tag ein: Diese werden ihm zufolge Christus „zu Ehren vnd Dienst“⁹⁴⁷ begleiten, die Scheidung der Menschen vornehmen, die Gottlosen ängstigen und den Guten beistehen.⁹⁴⁸ Obgleich Christus, so Lomessen weiter, „in einem glorificirten Cörper/ gleich wie er gen Himmel gefahren“⁹⁴⁹ und in beiden Naturen zum Gericht zurückkehren wird, vermögen die Verdammten ihn doch nur als Menschen (der durch seine bleibenden Wundmale als der Gekreuzigte zu erkennen ist) zu sehen. Wie bei Feucht heißt es, die Freude der Gottesschau ist den Seligen

 „Weil in solchen Lotherischen [!] Postillen/ das Gifft vnder dem Hönig/ die Ketzereyen/ jrrthumben vnd falsche Lehren vnder dem Schein des Wort gottes verkaufft werden/ kan nit ein jeglicher bald den Betrug mercken/ fressen jhren vil/ also heimlich/ das Gifft in sich/ […] biß es sich endtlich nit mehr verbergen kan/ vnd mit gewalt außbrechen muß/ dann erst/ do es jetzund zu spat ist/ sihet man wo der Wolff in der Lutherischen Mönchskutten/ vnd der Teufel im Schafskleid verborgen gelegen ist/ desse doch allein der vnfleiß der Bischöffen/ vnd lesung der verfelschten Postillen […] gewesen ist.“ Ebd., fol. *a 5v–6r. Vgl. auch ebd., fol. *b 3v.  Vgl. ebd., fol. *a 5r–6r.  Vgl. Lomessen, Hubert (Verf.), Caster, Hubert von (Hrsg.): Newe außerlesene Lehrreiche Postilla/ Oder Außlegung der Dominical/ auch Fest vnd Feyrtäglicher Euangelien durchs gantze Jahr […]. Nunmehr aber durch den Ehrwürdigen Herrn Hvbertvm à Caster […] in diese ordnung zusammen gebracht […]. Teil 2. Köln 1624.  Vgl. ebd., S. 547 f.  Vgl. ebd., S. 548.  Auch die Stimme Christi wird in diesem Zusammenhang genannt. Vgl. ebd., S. 549.  Vgl. ebd., S. 548.  Ebd.  Vgl. ebd.  Ebd.

4.4 Katholische Predigten über Mt 25,31 – 46

133

vorbehalten.⁹⁵⁰ Das Zeichen des Menschensohnes (vgl. Mt 24,30) interpretiert Lomessen (mit der Tradition) als eine Kreuzeserscheinung am Himmel, welche Christi Triumph über die Verderbensmächte aller Welt publik macht und mithin den Glaubenden zur Freude gereicht, jedoch den Gottlosen, Todsündern und Nicht-Christen einen Grund zum Fürchten darstellt.⁹⁵¹ Möglicherweise, so Lomessen, werden auch die übrigen arma passionis ⁹⁵² am Himmel zu sehen sein und das Kreuzeszeichen auf den Stirnen der wahren Christen erscheinen. Bemerkenswert ist meines Erachtens, dass die Betrachtung einer irdischen Kreuzesdarstellung laut Lomessen dazu anleiten kann, über das Zeichen des Menschensohnes am Jüngsten Tag zu meditieren.⁹⁵³ Lomessen identifiziert sogar das auf Erden sicht- und (auch taktil) erfahrbare Kruzifix mit jenem endzeitlichen Zeichen.⁹⁵⁴ Er mahnt überdies zur kontinuierlichen Beschäftigung mit der Thematik des Jüngsten Gerichts, „auff daß wann d[as]selbe heran kompt/ wir alßdann gefast seyen vnd bestehen mögen/ vor dem strengen Richterstull Christi.“⁹⁵⁵ Zum Abschluss des ersten Hauptteils weist Lomessen auf die Übereinstimmung der Aussagen aus Mt 25,31– 46 mit dem Apostolikum hin.⁹⁵⁶ Zu Beginn des zweiten Hauptteils findet sich die Aussage Lomessens, dass jeder Mensch, der lebt oder einst lebte, ohne Rücksicht auf Besitz, Stand, Alter, Todesart, Herkunft und dergleichen von Christus gerichtet werden wird.⁹⁵⁷ Engel und Apostel werden Lomessen zufolge im Auftrag Christi die Sammlung von Guten und Bösen zügig vornehmen – auch diese endzeitliche Zusammenkunft dürfe ein guter Christ nie vergessen.⁹⁵⁸ Als sehr großen Schrecken beschreibt Lomessen die Scheidung der Seligen von den Verdammten und die ewige Höllenstrafe, „daran wir billich jederzeit gedencken/ ja vns die Haar zu berg stehen solten.“⁹⁵⁹ Drastisch führt der katholische Autor den Adressaten auch vor Augen, wie in dieser letzten Scheidung etwa Familien entzweit werden.⁹⁶⁰ Die Feststel-

 Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 548 f.  Zur konfessionsübergreifenden Hochschätzung der arma passionis siehe unten S. 240.  Über das Kreuz Christi zu meditieren wurde in der Frühen Neuzeit auch von Lutheranern empfohlen, vgl. etwa Steiger (s. Anm. 352), S. 198 f.  „Hieran gedenck O Christen Mensch/ so offt du diß Zeichen deß Menschen Sohns/ die Figur deß H. Creutzes anschawest.“ Lomessen (s. Anm. 942), S. 549.  Ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 549 f.  Ebd., S. 550.  Vgl. ebd. Siehe dazu auch unten S. 241.

134

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

lung, welche Person zu welcher Gruppe gehört, erfolgt ihm zufolge rasch.⁹⁶¹ Auch Lomessen nutzt das Bild der Böcke und Schafe, um bestimmte Eigenschaften der damit verbundenen Gruppen der Verdammten und Seligen aufzuzählen, etwa den Sanftmut und den Gehorsam von Schafen und Christen oder die Bosheit und den Ungehorsam von Böcken und Bösen. Dabei weist er zudem darauf hin, dass Christus nach Joh 1,29.36 auch als Lamm Gottes bezeichnet wird.⁹⁶² Von denjenigen zur Rechten des Richters schreibt Lomessen, dass „sie recht Catholisch geglaubt/ gelebt/ […] [und] gehandtlet“⁹⁶³ haben. Knapp klingt hier an, dass Glaube und Werke nötig sind, um im Letzten Gericht zu bestehen, wobei Lomessen ebenfalls wie Feucht den Glauben näherhin als den katholischen Glauben bestimmt. Den dritten Hauptteil beginnt Lomessen mit der Aussage, dass das Urteil über die Guten einen Trost für die leidenden Gläubigen darstellt⁹⁶⁴: Den Christen, die auf Erden oftmals Verfolgung erfahren, wird in diesem Urteil eröffnet, dass sie in die ewigen himmlischen Freuden eingehen dürfen, so Lomessen.⁹⁶⁵ In der Urteilsbegründung und der Nennung der Liebeswerke sieht Lomessen Belege dafür, dass nicht allein der Glaube (sola fide) im Endgericht entscheidend sein wird – diese Auffassung vertreten ihm zufolge jedoch die Lutheraner.⁹⁶⁶ Daher folgert der Katholik, dass „der HErr König seyn letzt Vrtheil vnd Sententz nicht auff Lutherische/ sondern Catholische Weise fellen“⁹⁶⁷ wird. Falsch ist laut Lomessen ebenfalls, dass andererseits auch nur ihr Unglaube den Menschen zum Verdammungsurteil gereicht. Die Aussagen decken sich mit jenen Feuchts. Lomessen deutet in seiner Kritik an den Lutheranern überdies gar an, die Lehre der Lutheraner ähnele einer Allversöhnungskonzeption.⁹⁶⁸ Insofern bezeichnet er die (vermeintlichen) lutherischen Vorstellungen als „teuffelische Lehr“⁹⁶⁹ und schärft seinen Adressaten den doppelten Ausgang des Gerichts sowie die Relevanz guter Werke ein.⁹⁷⁰ Lomessen wiederholt, dass ein Christenmensch nie die Möglichkeit des furchtbaren Urteils über jene zur Linken des Richters, die zur ewigen Höl-

 Vgl. Lomessen (s. Anm. 942), S. 550.  Vgl. ebd.  Ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 550 f.  Ebd., S. 551.  Er schreibt etwa, „das jeder Christ […] die Seeligkeit nicht könne verlieren/ wann er auch schon wolte“ oder betont, „die Teuffel glauben auch vnnd […] werden darumb nicht seelig.“ Ebd.  Ebd.  Vgl. ebd.

4.5 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten

135

lenqual verdammt werden, aus den Augen verlieren darf.⁹⁷¹ In einer Reihe von Antithesen stellt Lomessen den Adressaten den Kontrast von ewiger Seligkeit und ewiger Verdammnis in der Hölle vor Augen.⁹⁷² Zudem gestaltet er eine fiktive Christusrede zur Urteilsbegründung gegenüber den Verdammten und lässt den Richter darin unter anderem davon sprechen, dass diese Gottlosen alle Wohltaten und Gelegenheiten zum Heil verschmäht haben, sich der Lüge statt der Wahrheit zuwandten und dergleichen.⁹⁷³ Am Ende formuliert Lomessen die Hoffnung, dass seine Adressaten und er zu den Erlösten zählen werden.⁹⁷⁴ Im Vergleich zu Feuchts Predigt über Mt 25,31– 46 wirkt Lomessens Kanzelrede anfänglich eher wie eine Auflistung dogmatischer Daten. Im dritten Hauptteil zeigt sich dann jedoch klar, dass seine Predigt wie jene Feuchts interkonfessionelle Polemik enthält, die gegen die (stereotyp dargestellte) lutherische Lehre gerichtet ist. Während Lomessen nachdrücklich betont, dass kein Mensch ohne gute Werke im Gericht bestehen kann, findet sich etwa die Aussage, dass der Richter mit dem Seligmacher identisch ist, nicht.

4.5 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten Auch in Leichenpredigten⁹⁷⁵ wird keineswegs ausschließlich von himmlischen Freuden des verstorbenen Menschen berichtet, vielmehr kann auch darin das Jüngste Gericht zum Gegenstand der Betrachtung der Lebenden werden. So finden sich in einer Sammlung von vierzehn Leichenpredigten des bereits erwähnten Katholiken Jakob Feucht⁹⁷⁶ zwei Predigten zu Mt 25,31– 46, mit besonderer Berücksichtigung von V. 34.41. Feucht wendet sich bereits in der Vorrede ausführlich gegen die als uneinig beschriebenen Lutheraner.⁹⁷⁷ Da diese Irrlehrer Feucht zufolge die katholische Kirche verlassen haben, werden sie im göttlichen Gericht das verdammliche Urteil zu erwarten haben.⁹⁷⁸

 Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Zur Leichenpredigt vgl. einleitend Rudolf Lenz: Art. Leichenpredigt. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 20 (1990), S. 665 – 669. Zur lutherischen Leichenpredigt vgl. auch Axmacher (s. Anm. 746), S. 21– 29.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798).  Dabei kommt er auch auf die Kontroverse um die Lehre vom Fegefeuer zu sprechen.Vgl. ebd., fol. *a 2v–*b 4v.  Vgl. ebd., fol. *a 3v.

136

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

In den Predigten ist es Feucht durchgehend darum zu tun, den Adressaten die Existenz des Fegefeuers einzuschärfen.⁹⁷⁹ Feucht betont zu Beginn, es sei für den Christenmenschen notwendig,Werke der Nächstenliebe zu tun, um im Endgericht bestehen zu können⁹⁸⁰ und weist auch darauf hin, dass Armenfürsorge einen Dienst an Christus selbst darstellt.⁹⁸¹ Dem Prediger zufolge läuft das lutherische sola fide dem Predigttext zuwider. Spöttisch fragt er: „Wo bleibt jetzund das erdicht Luterisch zettergeschrey/ Allein der Glaub/ allein der glaub/ so doch Gott selbst sagt: Daß diese verdammet seyen/ so nit Werck der barmhertzigkeit/ jme oder den Armen in seinem namen/ bewisen haben.“⁹⁸² Den Nächsten in Form tätiger Zuwendung zu lieben, bezeichnet Feucht als Ausdruck des rechten katholischen Glaubens.⁹⁸³ Die Beziehung, Liebe und Verantwortung eines Christen für den Nächsten enden Feucht zufolge keinesfalls mit dem Tod.⁹⁸⁴ So ist der rechte Christ angehalten, auch den Verstorbenen zu helfen. Feucht unterscheidet dabei jene, die nach dem Partikulargericht bereits in Himmel oder Hölle sind, von jenen im Fegefeuer, die darin ihre lässlichen Sündenstrafen ableisten und durch die Hilfe der Lebenden (etwa in Form von Gebeten und Almosen) ihre Zeit verkürzen können.⁹⁸⁵ Der rechte Glaube, der zum ewigen Heil führt, ist für Feucht allein der katholische.⁹⁸⁶ Neben den Werken wird, so Feucht, im Letzten Gericht auch beurteilt, ob der Christ eben dem katholischen Glauben anhing.⁹⁸⁷ Der Katholik konstatiert, dass die Lutheraner sich auf Mt 25,34.41 berufen, um zeigen zu wollen, dass ein dritter Ausgang des Partikulargerichts nicht schriftgemäß ist und mithin keine Notwendigkeit besteht, Verstorbenen im Fegefeuer die Zeit zu ver-

 Vgl. auch die übrigen Predigten, etwa ebd., S. 58 – 82. Die Reformatoren hatten die FegefeuerKonzeption kritisiert bzw. abgelehnt. Siehe auch oben Anm. 217 und 218.Vgl. weiter etwa Kunz (s. Anm. 23), S. 29; 38 f. Auf dem Konzil von Trient hingegen war die Lehre vom Purgatorium (als zur Seligkeit führendem Läuterungsort) bekräftigt worden.Vgl. zur katholischen Fegefeuerlehre in der Frühen Neuzeit etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 15 – 19; 35 – 40; 59 – 62. Zur Entwicklung der Fegefeuerkonzeption vgl. auch Ortner (s. Anm. 22), S. 198 – 212; 215 – 237. In der frühneuzeitlichen katholischen Ikonographie wird mitunter das Fegefeuer anstelle des Jüngsten Gerichts als eines der vier Letzten Dinge dargestellt bzw. tritt als fünftes hinzu, vgl. etwa Göttler (s. Anm. 4), S. 203 – 209.  Vgl. etwa Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 2 f.  Vgl. ebd., S. 3.  Ebd. S. 4, marginal. Vgl. auch ebd., S. 4 f.  Vgl. ebd., S. 5 – 8. Böser Taten gilt es sich Feucht zufolge zu enthalten.  Vgl. ebd., S. 8.  Vgl. etwa ebd., S. 9 f.; 12 f. Auch im Mittelalter gab es die Vorstellung, den Verstorbenen helfen zu können, vgl. Angenendt (s. Anm. 23), S. 708 f.; 712– 716.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 14.  Vgl. ebd., S. 15.

4.5 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten

137

kürzen.⁹⁸⁸ Feucht erwidert, dass für Heilige, die wahrhaft sündlos starben und so nach dem Tod in den Himmel eingingen, wie auch für in Todsünden Gestorbene, die ewige Höllenstrafen leiden, zu bitten nicht notwendig sei.⁹⁸⁹ Jenen aber, die in „läßlichen Sünden/ oder zeitlichen straffen“⁹⁹⁰ gestorben sind und sich somit im Fegefeuer befinden, können und sollen die Lebenden ihm zufolge helfen.⁹⁹¹ Feucht weist den Vorwurf entschieden zurück, es handele sich hierbei um eine neue Hinzufügung zum christlichen Glauben.⁹⁹² Zudem erwähnt Feucht, dass Luther (zeitweise) den Gedanken des Fegefeuers nicht abgelehnt hat.⁹⁹³ Der Prediger weist weiterhin auf den Unterschied zwischen dem Partikulargericht und dem Jüngsten Gericht hin: „Am jüngsten tag vnd volgents werden vnter den Christen [nur] zwen hauffen seyn“⁹⁹⁴. In Mt 25,31– 46 werde nur das Endgericht beschrieben. Dieses Letzte Gericht hat, so Feucht, einen doppelten Ausgang – die Menschen aus dem Fegefeuer werden bis zum Jüngsten Tag geläutert sein – doch bis dahin gibt es ihm zufolge noch die Möglichkeit, dass der Mensch in lässlichen Sünden stirbt und geläutert werden muss.⁹⁹⁵ Es zeigt sich also, dass in der katholischen Leichenpredigt die konfessionsspezifische Vorstellung vom Fegefeuer insofern zu seelsorgerlichen Zwecken herangezogen wird, dass den Hinterbliebenen in der Erfahrung der Ohnmacht angesichts des Todes eines Mitmenschen der Trost angeboten werden kann, dass es in der Macht der Lebenden steht, den Toten zu helfen (was jedoch zugleich auch zur Aufgabe wird). In der zweiten Predigt thematisiert Feucht vor allem das Argument der von ihm nicht näher differenzierten Protestanten, aus Mt 25,34.41 gehe hervor, dass es nur Himmel und Hölle, kein Drittes (Fegefeuer) gibt.⁹⁹⁶ Feucht entgegnet wiederum, dass auch er glaubt, am Jüngsten Tag werden nur noch Himmel oder Hölle als Möglichkeiten der Menschen bestehen und die Seelen aus dem Fegefeuer gereinigt auf der Seite der Seligen stehen. Einzig vom Endgericht sei im biblischen Text die Rede. Bis zum Jüngsten Tag jedoch rechnet Feucht mit der Existenz des

 Vgl. ebd., S. 16 f.  Vgl. ebd., S. 19 – 21.  Ebd., S. 22.  Vgl. ebd., S. 21– 23. Zu sogenannten lässlichen und sogenannten Todsünden vgl. auch etwa Ortner (s. Anm. 22), S. 222 f.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 23 – 26.  Vgl. ebd., S. 27. Vgl. auch ebd., S. 186 – 207. Dort setzt sich Feucht mit Luthers Entwicklung in der Thematik des Fegefeuers auseinander, was abermals die interkonfessionelle Dimension der Texte Feuchts zeigt.  Ebd., S. 28, marginal.  Vgl. ebd., S. 28 – 33.  Vgl. schon ebd., S. 38.

138

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Fegefeuers als drittem möglichen Ausgang des Partikulargerichts.⁹⁹⁷ Er unterscheidet gar „fünff […] besondere vnd vnderschidliche Wonungen“⁹⁹⁸ für verstorbene Seelen: Zunächst nennt er den Himmel, zu welchem der Zugang erst seit Christi Heilstat⁹⁹⁹ besteht¹⁰⁰⁰ und der den gänzlich Sündlosen gebührt.¹⁰⁰¹ Zweitens zählt der Katholik den limbus patrum auf, in dem sich die Gerechten bzw. Christusgläubigen vor der ersten Parusie Christi befinden und ohne Leiden neutral existieren.¹⁰⁰² Dieser auch als „Vorhell“¹⁰⁰³ bezeichnete limbus wird von Feucht mit dem Schoß Abrahams (Lk 16,22) identifiziert.¹⁰⁰⁴ Drittens kommt der Prediger auf das Fegefeuer zu sprechen und zieht etwa 1Kor 3,15 heran (dort ist die Rede von einem Feuer, welches einen Menschen zwar schädigt, aus dem der Mensch jedoch zum Heil gelangt).¹⁰⁰⁵ Anders als die Lutheraner deutet er auch Mt 5,26 (das Abzahlen der Schulden bis auf den letzten Heller) als Beleg für die Existenz des Purgatoriums.¹⁰⁰⁶ In diesem werden, so Feucht, jene gereinigt, die in lässlichen Sünden sterben. Das Fegefeuer ist jedoch ein Weg zur Seligkeit.¹⁰⁰⁷ Die Lebenden können den Aufenthalt der Seelen im Fegefeuer durch gute Werke wie etwa Gebete verkürzen.¹⁰⁰⁸ Weiter nennt Feucht die ewige Hölle, aus der keine Erlösung möglich ist. Diese haben ihm zufolge die unbußfertigen Gottlosen, die Ungläubigen, die in Todsünde Gestorbenen ebenso wie die Teufel zu erwarten.¹⁰⁰⁹

 Vgl. ebd., S. 38 f.  Ebd., S. 41. Im Mittelalter existierte die auf Augustin zurückgehende Vorstellung, die Verstorbenen seien (vor dem Endgericht) in solche, die selig im Himmel weilen (valde boni), andere, die weder ganz selig noch verdammt sind und Läuterung erfahren bzw. Hilfe nötig haben (non valde boni und non valde mali), sowie schließlich jene, die in der Hölle sind (valde mali), einzuteilen. Vgl. etwa Angenendt (s. Anm. 23), S. 687. Vgl. auch Cagol (s. Anm. 10), S. 115. Vgl. weiter Mareike Hartmann: Höllen-Szenarien. Eine Analyse des Höllenverständnisses verschiedener Epochen anhand von Höllendarstellungen. Münster 2005 (= Ästhetik – Theologie – Liturgik 32), S. 18. Vgl. ferner Ortner (s. Anm. 22), S. 225.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 47 f.  Vgl. ebd., S. 41.  Diese Seelen befinden sich bis zum Jüngsten Tag (und nach der Auferstehung mit ihrem Leib) im Himmel. Vgl. ebd., S. 44 f.  Vgl. ebd., S. 41 f.; 47– 49.  Ebd., S. 48.  Vgl. ebd., S. 48 f.  Vgl. ebd., S. 42.  Vgl. ebd., S. 46.  Vgl. ebd., S. 45 f. Vgl. auch etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 18; 39.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 46 f. Siehe auch etwa oben S. 136 und Anm. 985.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 50 f. Eine Allversöhnungslehre lehnt Feucht ab. Es bedeutet ihm zufolge eine Steigerung des Leidens, wenn die

4.5 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten

139

Schließlich zählt der Katholik noch den limbus infantium bzw. „puerorum“¹⁰¹⁰ der ungetauft gestorbenen Kinder von Christen auf. Ihm zufolge kommen diese Kinder nicht in die Hölle, da sie keine Todsünde begangen haben und sich auch hätten taufen lassen, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten. Zugleich betont Feucht, dass die Kinder ohne die Taufe keineswegs in den Himmel eingehen können.¹⁰¹¹ Deutlich anders gelagert war meines Erachtens der Trost, den Luther den Müttern ungetauft gestorbener Kinder geboten hatte, indem er davon sprach, dass die Kinder aufgrund des Glaubens ihrer christlichen Mütter auch ohne die Taufe empfangen zu haben nicht vom himmlischen Heil ausgeschlossen bleiben müssen.¹⁰¹² Überdies wirft Feucht den Lutheranern vor, die Relevanz guter Werke, welche ihm zufolge von Bedeutung dafür sind, wie bereits im Partikulargericht über den Menschen entschieden wird, völlig außer Acht zu lassen.¹⁰¹³ Auch hier benennt Feucht die Exegese von Mt 25,34.41 als Streitpunkt zwischen den Konfessionen.¹⁰¹⁴ Ein wahrer, d. h. römisch-katholischer Christ müsse die Lehre dieser Abteilungen der Hölle, welche die Lutheraner etwa explizit ablehnten¹⁰¹⁵, beherzigen und sich so von den Protestanten unterscheiden.¹⁰¹⁶ Konkrete Angaben zu einer verstorbenen Person finden sich indes in dieser Predigt nicht. Auch der katholische Prediger Melchior Breitter (gest. 1634) droht in Leichenpredigten den Lebenden mit den Schrecken der Hölle und lässt überdies interkonfessionelle Polemik in die seelsorgerlichen Reden einfließen. So schildert er in einer Leichenpredigt¹⁰¹⁷ die himmlischen Freuden der verstorbenen Dame, welche von den Leiden der Welt befreit ist, nennt jedoch generell neben dem Himmel auch die ewige Hölle als möglichen Aufenthaltsort der toten Christen¹⁰¹⁸ und schildert die Hölle als Ort endlosen Todes und Leides.¹⁰¹⁹ Der wahre ChrisVerdammten nicht allein in Form der Seele, sondern nach dem Letzten Gericht mit Leib und Seele gequält werden.  Ebd., S. 55.  Vgl. ebd., S. 52– 55.  Siehe dazu oben S. 60. Auch Herberger ist es etwa in einer Weihnachtspredigt darum zu tun, die Eltern ungetauft gestorbener Kinder zu trösten, indem er die Hoffnung äußert, dass jene Kinder dennoch erlöst werden. Vgl. Herberger (s. Anm. 749), S. 40.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 42– 44.  Vgl. ebd., S. 35 f.  Vgl. etwa Hütter (s. Anm. 1), S. 615; 617; 619.  Vgl. Feucht: Vierzehen Catholische Leichpredigen (s. Anm. 798), S. 57.  Vgl. Melchior Breitter: Christliche vnd Catholische Leichtpredig/ BEy der hochkläglichen Besingnuß/ weyland der Durchleuchtigsten Fürstin/ vnd Frawen/ Frawen Mariae, Ertzhertzogin zu Oesterreich […]. Ingolstadt [1608].  Die „frommen“ (ebd., S. 11) kommen nach dem Tod in den Himmel, aber die „Gottlosen“ (ebd.) in die Hölle. Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 8 – 10.

140

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

tenmensch, der ins ewige Heil eingehen darf, muss laut Breitter „wie rechten wahren Catholischen Christen gebürt […] die schuldige Werck der Liebe“¹⁰²⁰ tun. In diesem Zusammenhang betont der Katholik den löblichen Lebenswandel der Verstorbenen.¹⁰²¹ Der Tod macht, so Breitter, vor keinem Stand Halt und kein Mensch kann dem Sterben entfliehen.¹⁰²² Wer sich im Leben nicht recht zum Sterben bereitet, dem droht dem Prediger zufolge das ewige Leid. Dies kann Breitter auffällig bedrohlich und ausführlich beschreiben, wobei er unter anderem die biblische Aussage aus Apk 21,4, der zufolge Gott die Tränen der Verstorbenen im Eschaton trocknen werde, umkehrt: „[L]eider […] vil/ ja der meiste theyl sterben/ bey denen nicht anfangt das Leben/ sonder der ewige Todt/ nit auffhören Trawrigkeiten/ vnd Schmertzen/ sonder in alle Ewigkeit sich erstrecken/ da Gott der Herr nit hinweg nimbt die Zähern von jhren Augen/ sondern allererst recht mit ewiger Bitterkeit sie erfüllet“¹⁰²³. Breitter verweist dabei etwa auf die Qual des Reichen aus Lk 16,19 – 31 sowie auf die Ewigkeit der höllischen Pein für die Verdammten (und den Teufel), wofür er Mt 25,41 heranzieht. Den zukünftigen Verdammten wirft Breitter vor, dass diese nach zeitlichen Wertsachen strebten, statt sich Christus liebend zu widmen.¹⁰²⁴ Breitter ermahnt die Adressaten, dass etwa Hochmütige von Gott zur Rechenschaft gezogen werden.¹⁰²⁵ Darauf folgen Beschreibungen der „Belohnung“¹⁰²⁶ in Form des ewigen Friedens und der himmlischen Freuden, die den Seligen zuteilwerden, sodass die rechten Christen die Stunde ihres (zunächst partikularen) Gottesurteils als Übergang von irdischem Leid in den Himmel ersehnen dürfen.¹⁰²⁷ Die Lebensführung der Verstorbenen wird den Lebenden abermals als vorbildlich präsentiert.¹⁰²⁸ Sodann droht der Prediger den Adressaten, dass ihnen die Hölle gewiss sei, sofern sie in sündigem Lebenswandel fortfahren.¹⁰²⁹ Gute Werke sind unverzichtbar, so Breitter, um das ewige Heil zu erlangen.¹⁰³⁰ So beschreibt Breitter im Folgenden das dem Christen nötige Leben in Frömmigkeit,Wohltätigkeit und dergleichen näher.¹⁰³¹ Der Glaube erhält eine zentrale Stellung in der Beschreibung des wahren Christen, wenn-

           

Ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 12. Ebd. Vgl. zu den ausführlichen Schilderungen der Höllenqual ebd., S. 12– 16. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 14 f. Ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 16 – 23. Vgl. ebd., S. 20 f. Vgl. ebd., S. 23 f. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. etwa ebd., S. 24– 27.

4.5 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten

141

gleich dies wie für Feucht und Lomessen auch für Breitter einzig der „wahre/ […] Catholische/ Apostolische/ Römische/ vnnd allein seligmachend[e] Glaub“¹⁰³² ist, ohne den kein Mensch zum ewigen Heil zu gelangen vermag.¹⁰³³ Der grundsätzlich transkonfessionell als unverzichtbar zum Bestehen im Gottesgericht beschriebene Glaube wird meines Erachtens somit gleichzeitig zu einem Element interkonfessioneller Polemik. Dieser römisch-katholische Glaube muss Breitter zufolge notwendigerweise auch bekannt werden¹⁰³⁴ und ihm müssen gute Werke folgen, vor allem die Nächstenliebe, sowie Armenfürsorge, Werke der Barmherzigkeit und Demut.¹⁰³⁵ Den Protestanten¹⁰³⁶ wird hingegen vorgeworfen, gute Werke zu verachten, Maria und die Heiligen zu schmähen und sich der Völlerei hinzugeben.¹⁰³⁷ Ein besonderes Werk der Verstorbenen, welches Breitter würdigt, stellen zudem ihre Beförderung des katholischen Glaubens¹⁰³⁸ sowie ihr Engagement gegen die Protestanten dar.¹⁰³⁹ In einer anderen Leichenpredigt¹⁰⁴⁰ benennt Breitter als Ziel der Kanzelrede, die Lebenden angesichts des Todes zum Wohlleben zu animieren.¹⁰⁴¹ Breitter zufolge steht jeder Mensch vor der Wahl, ein liederliches oder ein rechtschaffenes Leben zu führen und dementsprechend in Verdammnis oder Seligkeit einzugehen und auch am Jüngsten Tag zu denen zur Rechten des Richters zu zählen.¹⁰⁴² Der Prediger ruft die Adressaten zu geistlicher Wachsamkeit¹⁰⁴³ und zur Buße auf, da die Möglichkeit zur Umkehr nicht endlos besteht, und fordert gute Werke wie Gebete oder Almosen.¹⁰⁴⁴ Bemerkenswert ist, dass Breitter die Möglichkeit sieht, der Verstorbene, dessen Lebenswandel durchaus gerühmt wird, könne sich dennoch im Fegefeuer befinden. Daher ruft er die Adressaten zu Gebeten auf, um dem Verschiedenen die Zeit im Purgatorium zu verkürzen. Zwar ist diesem Verstorbenen Breitter zufolge also das Heil letztendlich gewiss, doch zeigt sich ein

 Ebd., S. 28.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 29.  Vgl. ebd., S. 34 f.; 38 – 41. u. ö.  Dort ist die Rede von „allen Lutheranern vnd Ketzern“. Ebd., S. 32.  Vgl. ebd., S. 31 f.  Vgl. ebd., S. 33.  Vgl. ebd., S. 30.  Vgl. ders.: Christliche Catholische Leichtpredig/ BEy der ansehenlichen Leicht vnnd Begräbnuß/ Weylandt deß Edlen vnnd Hochgelehrten Herrn/ Simperti Mörtzens […]. Ingolstadt 1613.  Vgl. ebd., S. 10.  Vgl. ebd., S. 10 f.; 13 f.  Vgl. ebd., S. 35.  Vgl. ebd., S. 20; 23 – 25.

142

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Vorbehalt, ob selbst ein rühmlicher Mensch wie derjenige, dem zu Ehren die Leichenpredigt verfasst wurde, zunächst im Fegefeuer leiden muss, ehe ihm die himmlische Seligkeit zuteilwird.¹⁰⁴⁵ Auch in einer weiteren Leichenpredigt¹⁰⁴⁶ kommt Breitter auf den doppelten Ausgang des Endgerichts sowie das individuelle Partikulargericht zu sprechen.¹⁰⁴⁷ Darin klingt zudem der Gedanke an, dass der Sterbende (im Sinne der dubitatio perpetua) sich dessen nicht gewiss sein kann, welches Urteil der „erschröcklich[e] Richter“¹⁰⁴⁸ über ihn sprechen wird.¹⁰⁴⁹ Die eigene Sterblichkeit zu bedenken motiviert Breitter zufolge den Menschen zu einem sittsamen Leben, doch hält der Prediger die Meditation über das Jüngste Gericht für den besten Anreiz, nicht in einen nur den irdischen Freuden zugewandten Lebensstil zu verfallen.¹⁰⁵⁰ Im Kontext einer Leichenpredigt erwähnt Breitter mahnend die Rechenschaftspflicht jedes Menschen im Letzten Gericht und bezeichnet das Gericht als ein für die Sünder „strenge[s] vnd erschröckliche[s]“¹⁰⁵¹.¹⁰⁵² Breitter schärft den Adressaten den Ernst des Gerichts sowie die Aufdeckung jeder bösen Tat am Jüngsten Tag ein.¹⁰⁵³ Nur in der Welt ist Breitter zufolge noch auf Gottes Gnade zu hoffen, nach dem Tode ist hingegen nur noch die göttliche Gerechtigkeit zu erwarten.¹⁰⁵⁴ Keineswegs steht in diesem Teil der Predigt der Aspekt des Trostes im Vordergrund. Vielmehr ermahnt der Prediger die Adressaten zu rechtschaffenem und christlichem Lebenswandel.¹⁰⁵⁵ Auch hier erscheint der römisch-katholische Glaube als zentrales Kennzeichen des wahren und einst seligen Christen. Breitter betont, dass dieser Glaube jedoch nur dann wahrhaft ist, wenn ihm gute Werke folgen.¹⁰⁵⁶ Ein Unterschied zu den lutherischen Predigten zeigt sich, wenn Breitter um willen der Verstorbenen unter anderem Franziskus von Assisi und Maria um Hilfe „[an]

 Vgl. ebd., S. 37 f.  Vgl. ders.: Christliche/ Catholische Leichtpredig Bey der Volckreichen Leicht vnd Begräbnuß/ weyland der Edlen vnd Tugentreichen Frawen/ Anna Neusesserin […]. Ingolstadt 1608.  Vgl. ebd., S. 7– 11.  Ebd., S. 20.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 22 f.  Ebd., S. 23.  Vgl. ebd., S. 23 f.  Vgl. ebd., S. 24– 26. Lüdemann zufolge meinen einige katholische Theologen, die bösen Werke der Guten werden im Endgericht auch erwähnt werden, wohingegen er nicht dieser Ansicht ist.Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 241– 243.Vgl. dazu etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 52 und Kunz (s. Anm. 23), S. 62.  Vgl. Breitter (s. Anm. 1046), S. 27.  Vgl. etwa ebd., S. 28 – 31.  Vgl. ebd., S. 32.

4.5 Die Gerichtsthematik in Leichenpredigten

143

ruff[t]“¹⁰⁵⁷, der die Fähigkeit, die Verstorbene „zubehüten“¹⁰⁵⁸ zugesprochen wird, womit die Mutter Jesu mit Christus auf eine Stufe gestellt wird.¹⁰⁵⁹ Gegen eine derartige Frömmigkeitspraxis wendet sich etwa der Lutheraner Daniel Lüdemann.¹⁰⁶⁰ Überdies sagt Breitter auch, dass Christus denen gnädig sein wird,welche sich ihrer bedürftigen Nächsten erbarmen. Diese erwartet nicht das verdammliche Gericht, sondern das Heil, so der Katholik.¹⁰⁶¹ Auch in dieser Predigt fordert Breitter die Hörer dazu auf, für die Seelen im Fegefeuer Fürbitte zu leisten.¹⁰⁶² Es zeigte sich im Gegensatz hierzu bereits, dass Luther in seinen beiden Leichenpredigten auf Johann den Beständigen stärker darum bemüht war, den Adressaten Trost zuzusprechen. Im Sterben soll sich der Glaubende Luther zufolge ganz auf Christus verlassen.¹⁰⁶³ Auch der lutherische Theologe Nikolaus Selnecker (1530 – 1592) stellt etwa in einer 1579 gedruckten Leichenpredigt¹⁰⁶⁴ den Aspekt des Trostes in den Vordergrund. Zwar erwähnt Selnecker die Möglichkeit, dass ein Verächter Christi zur Hölle verdammt werden kann, doch kommt er bald darauf zu sprechen, dass der Glaubende zur ewigen Seligkeit eingehen werde. Entscheidend ist Selnecker zufolge, Christus glaubend zu ergreifen, um im Letzten Gericht bestehen zu können.¹⁰⁶⁵ In der Welt begegnen, so der Prediger weiter, dem Christen vielerlei Leiden, zuletzt der Tod.¹⁰⁶⁶ Doch dem Lutheraner ist es um Trost für die Glaubenden zu tun¹⁰⁶⁷: Die Auferstehung und den Ausgang des Gerichts zur Seligkeit erklärt er zur Gewissheit¹⁰⁶⁸ für denjenigen, welcher Christus im Glauben ergreift: „Der HErre Christus hat ein […] allmechtige stimme/ der wird jhn [= den Glaubenden] wol wider auffwecken/ nicht zum verdamnis/ […] sondern zum ewigen leben.“¹⁰⁶⁹ Der Glauben des Verstorbenen wird dabei zum Exempel für die Lebenden.¹⁰⁷⁰

 Ebd., S. 33. Vgl. ebd., S. 33 f.  Ebd., S. 34.  Vgl. ebd.  Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 83 – 85. Lüdemann warnt dort auch davor, statt Christus allein auch Maria als Richterin zu denken.  Vgl. Breitter (s. Anm. 1046), S. 38.  Vgl. ebd., S. 42.  Siehe oben S. 61– 64.  Vgl. Nikolaus Selnecker: Eine Leichpredigt Jn der begrebnis des Gestrengen vnd Edlen Dauids von Ponikaw […]. Leipzig 1579.  Vgl. ebd., fol. A 3r. Vgl. auch ebd., fol. A 4r–4v.  Vgl. ebd., fol. B 1r.  Vgl. ebd., fol. A 3r–3v.  Vgl. ebd., fol. B 3v.  Ebd., fol. A 3v.  Vgl. ebd., fol. B 3v–4r.

144

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

Die Thematik des Jüngsten Gerichts findet sich auch in einer Leichenpredigt des Lutheraners Martin Chemnitz (1522– 1586), die dieser am 2. Oktober 1575 hielt.¹⁰⁷¹ Der Predigttext ist Röm 14,7– 10.¹⁰⁷² Die Vorstellung des Fegefeuers lehnt Chemnitz zu Beginn des Textes ab – nach dem Tod könne die Seele nur in Himmel oder Hölle gelangen – und bezeichnet sie als Erfindung des „finstern Bapsthumb[s]“¹⁰⁷³, wenngleich er die Rede davon, dass den geliebten Toten durch ihre Hinterbliebenen gewisse Hilfe geschehen kann, grundsätzlich als Versuch des Trosts versteht.¹⁰⁷⁴ Die Sterbebereitung ist auch für Chemnitz relevant.¹⁰⁷⁵ Die Auferstehung des Christenmenschen zur ewigen Seligkeit beschreibt der Lutheraner als gewisse Hoffnung der Glaubenden.¹⁰⁷⁶ Der Verstorbene wird den Lesern als besonders frommer, wohltätiger und glaubender bzw. rechtgläubiger (und somit vorbildlicher) Mensch präsentiert.¹⁰⁷⁷ Den Lebenden angesichts des Todes Trost zu spenden, ist Chemnitz ein wichtiges Anliegen.¹⁰⁷⁸ Zudem begegnet der Gedanke, dass der Tod gewiss, die Stunde des Todes hingegen ungewiss ist.¹⁰⁷⁹ Derjenige jedoch, der Christus im Glauben ergreift, darf sich damit trösten, auch im Eschaton bei dem Gottessohn zu sein, so der Lutheraner.¹⁰⁸⁰ Chemnitz nimmt sodann Bezug auf Mt 25,31– 46. Es zeigt sich, dass es ihm zufolge für den Glaubenden keinen Zweifel daran gibt, im Jüngsten Gericht zu den Seligen zu gehören. Am Letzten Tag werden die Glaubenden „zur Rechten seiten dieses vnsers HErrn Christi Stimmen hören werden/ Kompt her jhr gebenedeieten meines Himlischen Vaters etc.“¹⁰⁸¹ Ohne den Glauben, betont Chemnitz, kann kein Mensch im Gericht bestehen¹⁰⁸², doch angesichts des Letzten Gerichts sind durchaus Buße sowie ein christlich-sittsamer Lebenswandel mit Werken der Barmherzigkeit vonnöten. Überdies lässt Chemnitz Kritik an liederlichem Lebenswandel bzw. den Appell zu Wohlleben folgen und verweist mahnend auf die grundsätzliche Möglichkeit der ewigen Verdammnis. Buße und Heiligung sind jedoch untrennbar mit der Aus-

 Vgl. Martin Chemnitz: Leichpredigt […] Vber der Leich des Edlen/ Ehrnuesten/ Erbarn vnd Gestrengen Junghern Cordes von Schweicholt Seligen/ Cordes auch Seligen Son […]. Heinrichstadt [= Wolfenbüttel] 1575.  Vgl. ebd., fol. A 3r–3v.  Ebd., fol. A 3v.  Vgl. ebd., fol. A 3v–4r.  Vgl. ebd., fol. A 4r; B 3r.  Vgl. ebd., fol. A 4r–B 1r.  Vgl. ebd., fol. B 1r–2r.  Vgl. etwa ebd., fol. B 2v u. ö.  Vgl. ebd., fol. B 3r.  Vgl. ebd., fol. B 3r–3v.  Ebd., fol. B 3v.  Vgl. ebd., fol. C 3v–4v.

4.6 Zusammenfassung

145

richtung des Glaubenden auf Christus verbunden und werden durch den Glauben an Christi Heilstat ermöglicht.¹⁰⁸³ Im Angesicht von Tod und Hölle gilt es, so Chemnitz, ganz auf Christus zu vertrauen.¹⁰⁸⁴ So werden die wahren Glaubenden im Endgericht „an Christo einen solchen HErrn haben/ der vns nicht richten wil/ sondern selig machen“¹⁰⁸⁵.¹⁰⁸⁶ Schließlich zeigt sich eine weitere tröstliche Funktion der Rede vom Jüngsten Gericht bei Chemnitz darin, dass er jenen Jüngsten Tag als Augenblick des freudigen Wiedersehens der Lebenden mit dem geliebten Verstorbenen beschreibt.¹⁰⁸⁷ Einerseits wird die Thematik des Jüngsten Gerichts in Leichenpredigten durchaus behandelt, wobei sich eine gewisse Tendenz lutherischer Prediger zeigt, die Gewissheit der ewigen Seligkeit zu betonen, welche den Glaubenden zuteil wird, ohne auf die Ermahnung an die Lebenden zu christlicher Lebensführung ganz zu verzichten.¹⁰⁸⁸ Der Trost, welchen katholische Leichenprediger spenden, ist demgegenüber mitunter mit dem Hinweis auf das Fegefeuer verbunden, aus welchem die Verstorbenen letztendlich geläutert hervorgehen werden, was von den Hinterbliebenen tatkräftig beschleunigt werden kann. Andererseits wird das Jüngste Gericht durchaus nicht in jeder Leichenpredigt (näher) thematisiert.

4.6 Zusammenfassung Es zeigt sich, dass Autoren verschiedener konfessioneller Zugehörigkeit die Rede vom Jüngsten Gericht in frühneuzeitlichen Predigten häufig einsetzen, um die Adressaten einerseits mit dem Hinweis auf das Ende irdischen Leides am Jüngsten Tag zu trösten und andererseits angesichts des Jüngsten Gerichts zu Umkehr, sittlicher Besserung und tätiger Nächstenliebe aufzurufen. Auch die Obrigkeiten werden so ermahnt, gerecht und fürsorglich zu herrschen. Keineswegs unterstützen die lutherischen Prediger ‚blind‘ ihre Regenten, sondern sehen es als ihre Aufgabe an, die Herrschenden unter Verweis auf das Letzte Gericht zu kritisieren und zur Buße aufzurufen. Auch in Predigten von Autoren katholischer Provenienz sind Ermahnungen an die Edelleute zu finden. Konfessionsübergreifend beziehen die Theologen sich zudem auf akonfessionelle gemeinsame Traditionen und

 Vgl. ebd., fol. B 3v–C 1r; C 2r.  Vgl. ebd., fol. C 1v.  Ebd., fol. C 4v.  Vgl. ebd., fol. C 4v–D 1r.  Vgl. ebd., fol. D 1r.  Anders Sabine Holtz, welche die Ermahnungen in den lutherischen Leichenpredigten (im Gegensatz zu den katholischen) stärker betont, vgl. Holtz: Unsicherheit (s. Anm. 45), S. 138 f.

146

4 Predigten über das Jüngste Gericht am Beispiel von Mt 25,31 – 46

führen etwa die altkirchlichen Bekenntnisse als Beleg der Aussage, das Jüngste Gericht werde gewiss stattfinden, an. Dies verbindet sich häufig mit der Abwehr der Ansichten solcher (areligiöser) Menschen, die das Letzte Gericht leugnen und mitunter überdies einen rein auf das weltliche Wohlleben bezogenen Lebenswandel propagieren. Auch der im Zuge der Gerichtspredigt begegnende Aufruf an die Wohlhabenden, sich sozial zu engagieren, darf als transkonfessionell gelten. Die Lutheraner wie Johann Gerhard und Valerius Herberger betonen im Anschluss an Luther, dass dank Christi Heilstat der Glaubende das verdammliche Gericht nicht zu fürchten braucht, sondern des Heils schlechterdings gewiss sein darf. Diese Befreiung durch Christus wiederum ist zugleich Grund der Befähigung des Christen, gute Werke der Barmherzigkeit zu üben, welche die Prediger konfessionsübergreifend auch unter Androhung schrecklicher Höllenszenarien einfordern können. Ebenfalls findet sich wie bei Luther bei seinen Erben die Rede vom geistlichen Wucher. Die Analyse von Predigten über Mt 25,31– 46 erweist sich auch für die Frage nach interkonfessionellen Bezugnahmen als nützlich. Dabei zeigt sich überdies, dass hinsichtlich der Gerichtsthematik durchaus nicht nur Konsens zwischen den Vertretern der verschiedenen Konfessionen herrscht: Dissens besteht etwa mit Blick auf die Frage nach Christi menschlicher Natur im Endgericht und die Frage, wer vom Letzten Gericht ausgenommen sein könnte. Lutheraner und Katholiken lehnen gleichermaßen die reformierte Vorstellung einer doppelten Prädestination, welche sich etwa in den Predigten des Konvertiten Georg Spindler nachweisen lässt, ab. Katholische Prediger werfen den Lutheranern häufig vor, gute Werke auch angesichts des Endgerichts für gänzlich nutzlos zu erklären. Möglicherweise ist der Hinweis der Lutheraner, dass Werke der Barmherzigkeit gerade nicht zu vernachlässigen sind, auch als Reaktion auf die katholischen Missverständnisse bzw. Vorwürfe zu verstehen. Die Relevanz interkonfessioneller Polemik ist für Jakob Feucht, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wirkte, deutlich größer als etwa für Johann Gerhard, wenngleich auch für Herberger – etwa in Form humoristischer Anekdoten – oder Lüdemann konfessionelle Auseinandersetzungen im Kontext der Beschäftigung mit dem Endgericht von Bedeutung sind. Katholische Prediger wie Feucht erkennen den Nutzen der von den Lutheranern genutzten Predigtpostillen und werden zur Verwendung dieser literarischen Gattung angeregt. Die protestantischen Autoren wenden sich vehement gegen eine ihnen von den römischen Katholiken zugeschriebene Werkgerechtigkeit sowie gegen die Lehre von verschiedenen Abteilungen der Hölle und die Vorstellung des Fegefeuers, welches im katholischen System als dritter möglicher Ausgang des Partikulargerichts (bis zum Jüngsten Tag) neben die (ewige) Seligkeit oder Verdammnis tritt.

4.6 Zusammenfassung

147

Eine solche Fegefeuerkonzeption, der zufolge die Seelen purgiert, also gereinigt werden und letztendlich zu den Seligen zählen, dient besonders in katholischen Leichenpredigten dazu, die Hinterbliebenen mit dem Gedanken zu trösten, sie könnten durch bestimmte Werke den Verstorbenen den Weg in den Himmel beschleunigen. Gleichwohl zeigt sich meines Erachtens in den katholischen Leichenpredigten ein bleibender Zweifel daran, welches Schicksal der Verstorbene nach seinem Tod hat, während die lutherischen Prediger (in der Gattung der Leichenpredigt) unter Verweis auf den Glauben hauptsächlich die Heilsgewissheit herausstellen und tendenziell weniger dazu neigen, die Lebenden angesichts des Todes zu ermahnen. Eine formale Gemeinsamkeit zwischen den Konfessionen bei gleichzeitiger inhaltlicher Differenz zeigt sich dort, wo sowohl etwa der Reformierte Spindler wie auch der Katholik Feucht festhalten, dass die anderen Konfessionen keineswegs einen alternativen Weg zum Bestehen im Jüngsten Gericht darstellen. Der anhand einer katholischen Predigt (exemplarisch) dargestellte Gedanke, dass die Nachwirkung irdischer Aktionen postum für das Ergehen nach dem Endgericht von Bedeutung sein kann, ist den Lutheranern ebenfalls bekannt. Transkonfessionell findet sich in Ergänzung zur schriftlichen Auslegung von Mt 25,31– 46 auch die Darstellung des Jüngsten Gerichts im Medium Bild in den frühneuzeitlichen Predigtsammlungen. Anhand der hier exemplarisch beschriebenen verschiedenen Aspekte der frühneuzeitlichen Predigt vom Jüngsten Gericht zeigt sich, dass die Funktion der Gerichtspredigt nicht auf eine (von den Herrschenden erwünschte) ‚Sozialdisziplinierung‘ zu reduzieren ist.¹⁰⁸⁹ Der sozial-ethische Zug der Gerichtspredigt ist gleichwohl bereits vom biblischen Text Mt 25,31– 46 her vorgegeben. Die Forderung, soziale Verantwortung wahrzunehmen, bleibt auch für die Gegenwart relevant. Es mag zudem als tröstlich bezeichnet werden, dass (transkonfessionell) davon die Rede ist, dass soziale Fürsorge bzw. die Werke der Barmherzigkeit im Letzten Gericht gewürdigt werden.

 Vgl. dazu auch Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 375 f. u. ö. Holtz kritisiert die auf Gerhard Oestreich zurückgehende These der ‚Sozialdisziplinierung‘ in diesem Zusammenhang, da „eine einseitig von oben nach unten verlaufende Sozialdisziplinierung das komplexe Phänomen der frühneuzeitlichen Disziplinierung […] nicht ausreichend zu beschreiben vermag.“ Ebd., S. 375. Pohlig vertritt überdies die Auffassung, dass die lutherischen Bußaufrufe, welche mit dem Verweis auf das nahe Weltende verbunden werden, nicht lediglich als eine Maßnahme zur Sozialdisziplinierung zu bezeichnen sind. Vgl. Pohlig (s. Anm. 38), S. 292– 294.

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20 in frühneuzeitlichen Apk-Kommentaren 5.1 Einleitung Die Johannesapokalypse mag als ein Buch bezeichnet werden, das Geschichtsdeutung, Gegenwartsbewältigung und Zukunftsvision verbindet, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft changiert. Sie bot etwa mit ihren romkritischen Inhalten Anknüpfungspunkte für die Polemik der Reformatoren an der Papstkirche.¹⁰⁹⁰ Die Auslegung von Apk 20 ist für die Thematik des Jüngsten Gerichts bedeutsam, bietet dieser Text doch in Ergänzung zu etwa Mt 25,31– 46 weitere biblische Aussagen über jenes Letzte Gericht. Die biblische Grundlage lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Zunächst werden die Bindung des Satans und die tausendjährige Herrschaft der Gerechten mit Christus beschrieben (vgl. Apk 20,1– 6). Im zweiten Abschnitt ist die Rede von einer endzeitlichen Schlacht zwischen teuflischen Kämpfern und den von Gott unterstützten Heiligen im Anschluss an die tausend Jahre (vgl. Apk 20,7– 10). Drittens werden Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht thematisiert, wobei auch die Werke als Maßstab im Blick sind (vgl. Apk 20,11– 15). Katholische wie protestantische Autoren sind in der Frühen Neuzeit gleichermaßen an der Exegese dieses Kapitels interessiert.¹⁰⁹¹ Allerdings ist das Interesse der Ausleger am Jüngsten Gericht an sich (Apk 20,11– 15) unterschiedlich stark ausgeprägt: Während etwa David Chyträus die Auslegung der Verse 11– 15 ins Zentrum seiner Kommentierung des Kapitels stellt, behandelt Daniel Cramer in seinem Apk-Kommentar das Jüngste Gericht eher knapp. Luther erwartete den

 Die Johannesapokalypse wurde von den altkirchlichen Chiliasten wie Irenäus von Lyon geschätzt. Einen griechischsprachigen Kommentar zur Offenbarung des Johannes verfasste etwa Arethas von Caesarea (ca. 850–nach 944). Im Mittelalter gab es einerseits allegorische Auslegungen des Textes und andererseits Versuche, die biblischen Aussagen auf konkrete historische Personen bzw. Daten zu beziehen. Vgl. Backus (s. Anm. 39), S. 5. Backus betont die Relevanz des Kommentars von Joachim von Fiore (ca. 1130 – 1202), „who, while retaining a certain number of spiritual elements, took the book to be prophesying a spiritual age which would take place on earth prior to the Last Judgement and after the defeat of the Antichrist, whom he described as an individual emanating from Rome.“ Ebd.Vgl. weiter Backus (s. Anm. 40), S. xi–xviii. Zur Geschichte der Auslegung der Offenbarung des Johannes in der Frühen Neuzeit vgl. auch etwa Otto Böcher: Die Johannesapokalypse. 4. Aufl. Darmstadt 1998 (= Erträge der Forschung 41), S. 1– 6.  Zu frühneuzeitlichen Apokalypsekommentaren katholischer und protestantischer Provenienz vgl. etwa Backus (s. Anm. 39). In diesem Aufsatz geht Backus auch auf den Aspekt interkonfessioneller Auseinandersetzungen ein. Vgl. weiter Backus (s. Anm. 40).

5.1 Einleitung

149

Jüngsten Tag bereits als nah, lehnte es aber grundsätzlich ab, das genaue Datum des Endgerichts berechnen zu wollen. Seine Schrift supputatio annorum mundi lässt sich als Versuch lesen, Spekulationen über ein irdisches tausendjähriges Reich Einhalt zu gebieten. Während Luther die Apk zunächst kritisch beurteilte, revidierte er dieses Urteil später. Die Illustrationen zur Johannesapokalypse, die für Luthers Neues Testament geschaffen wurden und (teils in modifizierter Weise) in Bibeldrucke bzw. Drucke des Neuen Testaments anderer Konfessionen Eingang fanden, dürfen überdies als Beispiel interkonfessionellen Austausches gelten. Es zeigt sich ferner, dass Spekulationen über den Termin des Weltendes, die in spiritualistischen Kreisen keine Seltenheit sind, zu sozialen Unruhen führen können. Luthers Erben – wie auch die katholischen Theologen – verwahren sich gegen eine genaue Datierbarkeit des Jüngsten Tages und lehnen ebenfalls die Vorstellung ab, das Reich Christi sei vor (oder nach) dem Endgericht auf Erden zu errichten. Ein anderes Bild zeigt sich, betrachtet man die Auslegung der Pietistin Johanna Eleonora Petersen. Diese hält es für möglich, dass das tausendjährige Friedensreich der wahren Christen in naher Zukunft auf Erden anbreche. Ihre Darstellung des Jüngsten Gerichts weicht in einigen Punkten von derjenigen der lutherisch-orthodoxen Ausleger ab. Es unterscheidet die katholischen Ausleger von den lutherischen, dass sie weniger betonen, in der Endzeit zu leben¹⁰⁹², und die Einschätzung nicht teilen, dass der Antichrist bereits offenbart bzw. erschienen ist. Die Ausleger verschiedener Konfessionen stehen jedoch in gemeinsamer Tradition und teilen grundsätzlich den Rückgriff auf altkirchliche Exegese. Gleichwohl wäre es falsch, den Bezug auf die gemeinsame Tradition überzubetonen und alle konfessionelle Polemik zu negieren. Überdies ist Kritik an anderen Konfessionen gewiss nicht Hauptintention der Kommentare zur Apk, wenngleich polemische Aussagen dem Leser gelegentlich darin begegnen. Den Antichrist aus Apk 20 auf den Papst bzw. das Papsttum zu deuten – häufig wird Gregor VII. (1073 – 1085) ‚Hellebrand‘ als der erste antichristliche Papst präsentiert, ist typisch für die frühneuzeitlichen lutherischen und reformierten Ausleger, die damit an Polemik anknüpfen, welche bereits im Mittelalter existierte.

 Vgl. etwa Kaufmann: Konfession und Kultur (s. Anm. 35), S. 41. Vgl. auch Leppin (s. Anm. 36), S. 211 u. ö.

150

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

5.2 Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts: Daniel Cramer und David Chyträus Vergleicht man die Auslegungen von Apk 20 bei den Lutheranern Daniel Cramer (1568 – 1637) und David Chyträus (1530 – 1660), so zeigt sich exemplarisch, dass das Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts in den frühneuzeitlichen Kommentaren durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt sein konnte.¹⁰⁹³ Daniel Cramer gliedert seinen Kommentar¹⁰⁹⁴ entsprechend den Kapiteln der Apk. Bereits die gliedernde Zusammenfassung¹⁰⁹⁵ der Auslegung von Apk 20 lässt die Tendenz erkennen, den Text im Lichte von Reformation und Konfessionalisierung her zu deuten.¹⁰⁹⁶ Wie etwa bei Philipp Nicolai (1556 – 1608)¹⁰⁹⁷ wird die

 Auf intrakonfessionelle Unterschiede zwischen den einzelnen lutherischen Auslegungen der Johannesapokalypse (etwa mit Blick auf die Interpretation des Millenniums) weist auch etwa Matthias Pohlig hin und vertritt die Ansicht, dass es dabei kein Problem darstellte, in Detailfragen voneinander abzuweichen. Vgl. Pohlig (s. Anm. 38), S. 303 – 305; 309; 316 u. ö. Irena Backus hat gezeigt, dass sich auch die Apokalypse-Auslegungen calvinistischer Exegeten in verschiedenen Einzelheiten intrakonfessionell voneinander unterscheiden. Solche Details betreffen etwa die Deutung des Engels aus Apk 20,1, die Beurteilung der ‚Türken‘ etc. Vgl. dazu Backus (s. Anm. 40), S. 65 f.; 75 – 77; 79 f.; 82; 84 f. Backus zufolge zeigt sich ferner im Apk-Kommentar des Nicolas Colladon (1530 – 1586) zwar gelegentlich die Naherwartung des Letzten Gerichts, an anderer Stelle misst Colladon der Thematik des Endgerichts jedoch kaum Bedeutung bei. Vgl. ebd., S. 79; 82. Zu Cramer vgl. Sabine Mödersheim: Art. Cramer, Daniel. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg.von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 2 (2012), Sp. 23 – 30. Zu Chyträus vgl. Otfried Czaika: Art. Chyträus, David. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 1 (2011), Sp. 511– 521.  Vgl. Daniel Cramer: Apocalypsis, Oder Offenbarung S. Johannis/ Sampt einer richtigen Erklerung/ so wol wegen Historischer erfüllung aller vnd jeden hierin enthaltenen Geheimnussen/ wie auch Lehrn/ Besserungen/ Trost vnd Warnungen. […]. Alten Stettin 1618. Darin sind zwei Holzschnitte zu Apk 20 zu sehen. Vgl. ebd., fol. 78v–79r. Zu Daniel Cramers Kommentar vgl. auch Pohlig (s. Anm. 38), S. 298 f. Cramer würdigt positiv-interkonfessionell Kommentare zur Johannesapokalypse von reformierten Auslegern, vgl. ebd., S. 299.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 78r–78v.  „II. Siehet er [= Johannes]/ wie die beständige Bekenner/ so sich dem Bapstumb Ritterlich widersetzet haben/ herrschen vnd richten“. Ebd., fol. 78r.  Zu Nicolai und seiner Beschäftigung mit den Letzten Dingen vgl. Steinmeier-Kleinhempel: Die Einheit Gottes (s. Anm. 32). Interkonfessionelle Polemik findet sich bei Nicolai ebenfalls. Er verwirft etwa die calvinistische Lehre der doppelten Prädestination. Vgl. ebd., S. 207– 218. Vgl. auch Steinmeier-Kleinhempel: Eine Theologie (s. Anm. 32), S. 311– 318. Vgl. zudem SteinmeierKleinhempel: Wo bist Du, Gott? (s. Anm. 32), S. 17– 33.

5.2 Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts

151

Reformation als Teil der Heilsgeschichte am Ende der Zeit verstanden.¹⁰⁹⁸ Im ersten Abschnitt¹⁰⁹⁹ der Kommentierung verwirft Cramer zunächst den „alten Jrrthumb der Chyliasten“¹¹⁰⁰, deren Vertreter er in Kerinth (?–?) oder den Täufern erblickt. Dieser Irrtum besteht Cramer zufolge darin, eine Herrschaft von Auserwählten mit dem leiblich anwesenden Christus in einem tausendjährigen Reich der Glückseligkeit anzunehmen, in dem die Imperfektion der ersten Schöpfung, Sünde und Versuchung sowie alle konfessionellen Spaltungen, d. h. näherhin die Existenz anderer Konfessionen oder Religionen, überwunden sind.¹¹⁰¹ Diejenigen, die Terminspekulationen über das Datum des Jüngsten Tages betreiben, tituliert er als „Cabalistische Phantasten“¹¹⁰² und „Narren“¹¹⁰³.¹¹⁰⁴ Die Rechnungen der Widersacher sind für Cramer haltlos, denn nach Apg 1,7 gelte, dass den Menschen Zeit oder Stunde zu wissen nicht gebührt.¹¹⁰⁵ Die Vorstellung eines tausendjährigen Reiches Christi auf Erden lehnt Cramer unter Verweis auf die altkirchlichen Symbola und etwa 1Kor 13,9 ab.¹¹⁰⁶ Die Parusie Christi zum Letzten Gericht erfolgt laut Cramer am Jüngsten Tag und läutet das Ende der ersten Schöpfung ein, worauf kein zeitlich-irdisches Reich, sondern das ewige Gottesreich folgt. Cramer hält daran fest, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen dieser Welt und der künftigen geben wird. Den Millenaristen wirft Cramer vor, das ausstehende Gottesreich in die Zeit vorzuverlegen und die erlösungsbedürftige Welt mit der vollendeten in eins zu setzen. Die Verheißung eines irdischen Friedensreiches mache ferner Mahnungen zu geistlicher Wachsamkeit und Sittlichkeit obsolet bzw. nutzlos.¹¹⁰⁷ Es gilt, „daß das vnvollkommene bleiben wird biß an den Jüngsten Tag: vnd daß der Babst fallen/ vnd dennoch bleiben muß/ biß an den Jüngsten Tag/ welchen der HERR gentzlich vmbbringen wird/ durch die erschei Vgl. Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 81; 90. Vgl. auch ebd., S. 90, Anm. 63. Die lutherischen Ausleger betonten es Backus zufolge mehr als die Reformierten, dass die Apk Potential zur Deutung der Heilsgeschichte barg, vgl. Backus (s. Anm. 40), S. 137.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 79v–82v.  Ebd., fol. 79v.  Vgl. ebd.  Ebd., fol. 79v–80r.  Ebd., fol. 80r. Zur Zurückweisung der Terminberechnung als kindischer Torheit vgl. auch Lüdemann (s. Anm. 622), fol. )( )( 8r–9r.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 79v–80r. Kritik daran, den Termin des Jüngsten Gerichts berechnen zu wollen, findet sich bereits in vorreformatorischer Zeit. Dies gilt auch für den Aufruf zu geistlicher Wachsamkeit angesichts der Parusie Christi.Vgl. etwa Schilling (s. Anm. 165), S. 20 f.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 81r–81v.  In der lutherischen Auslegung von Apk 20 wird das Millennium in der Regel als Zeitspanne in der Vergangenheit bzw. Zeit der Kirche gedeutet und die Vorstellung eines (zukünftigen) irdischen Friedensreiches verworfen, vgl. etwa Pohlig (s. Anm. 38), S. 303 f.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 80r–80v.

152

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

nung seiner zukunfft/ 2.Thess. 2/8.“¹¹⁰⁸ Cramer zufolge ist seit Luthers Reformation das Gnadenreich Christi aus Apk 20(,4.6) auf geistliche Weise angebrochen¹¹⁰⁹, der Niedergang des Papsttums ist eingeläutet worden und die dem Evangelium entsprechende lutherische Lehre überdauert trotz Anfeindungen.¹¹¹⁰ In seiner amillenaristischen Deutung¹¹¹¹ versteht Cramer die tausend Jahre nicht als genau tausend Jahre, sondern als lange Zeit. Das neue lutherische Christentum währt Cramer zufolge unaufhaltsam bis zum Letzten Tag und selbst die Altgläubigen sehen zunehmend ein, dass der lutherischen Lehre zuzustimmen ist.¹¹¹² Papsttum und ‚Türken‘¹¹¹³ können sogar als Werkzeuge des Teufels dargestellt werden.¹¹¹⁴ Dieser erste Abschnitt nimmt den meisten Raum in Cramers Exegese von Apk 20 ein. Im weiteren Verlauf polemisiert der Lutheraner auch gegen die Calvinisten.¹¹¹⁵ In der Auslegung von V. 4 f. deutet Cramer die erste Auferstehung geistlich als die renovatio des Christen. In der Exegese von V. 4 ist keineswegs die Rede von einem Beisitz der Gerechten im Jüngsten Gericht.¹¹¹⁶ Vielmehr geht es Cramer zufolge darum, in der Welt Zeugnis in Form von Glauben, Bekenntnis und tätiger Nächstenliebe abzulegen.¹¹¹⁷ Der Abschnitt über das Jüngste Gericht (V. 11– 15) ist hingegen auffällig knapp. Cramer beschreibt zunächst Christus als Richter über Lebende und Auferstandene. Wie die alte Erde durch eine creatio ex nihilo geschaffen wurde, so wird sie Cramer zufolge am Jüngsten Tag wiederum ver-nicht-et. Die Prüfung der Bücher aus V. 12 deutet der Exeget in Kombination mit Mt 12,36 auf die Rechenschaftspflicht jedes Menschen vor Gott bezüglich seiner Taten und Worte. Nach Pred 12,14 und Mt 10,26 werde keine Tat unentdeckt bleiben.¹¹¹⁸ Taufe und Glaube werden zunächst als alleinige Maßstäbe des Gerichts definiert. Allerdings betont Cramer

 Ebd., fol. 80v.  Cramer kennt sowohl die Denkart, die tausend Jahre hätten vom Jahr der Abfassung der Johannesapokalypse bis 1173 – Gregor VII. wird dabei als teuflische Gestalt verstanden – gewährt, als auch die Zählung ab der sogenannten Konstantinischen Wende. Vgl. ebd.  „So sollen die Papisten nur nicht jhnen in sinn nehmen/ daß sie diese Lehr werden gantz außrotten noch vertilgen können“. Ebd., fol. 82r.  Damit ist gemeint, dass das Millennium vor der Parusie Christi erwartet und nicht als präzise Zeitangabe verstanden wird.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 82r–82v.  Vgl. zum Motiv der ‚Türken‘ als endzeitlicher Gefahr etwa Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 93.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 81v–82r.  Vgl. ebd., fol. 83r.  Siehe dazu etwa unten S. 243 f.  Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 82v.  Vgl. ebd., fol. 83v–84r.

5.2 Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts

153

auch die Relevanz guter Taten. Dies zeigt wiederum, dass dem Glauben nach Ansicht der Lutheraner notwendigerweise gute Werke folgen, die ebenfalls im Gericht Beachtung finden werden.¹¹¹⁹ Von der Einsicht her, dass allein der Glaube rettet, wird es Cramer dann möglich, die Forderung nach sittlich korrektem Verhalten zu stellen.¹¹²⁰ Apk 20,14 f. thematisiert Cramer indes überhaupt nicht. Anders liegen die Dinge, betrachtet man die Exegese von Apk 20 im Kommentar des Theologen David Chyträus, welche ein weiteres Beispiel für eine lutherische Auslegung des biblischen Textes darstellt.¹¹²¹ Dieser nimmt die Auslegung von Apk 20 zum Anlass, ausführlich und in der Hauptsache über das Jüngste Gericht zu schreiben, das ihm zufolge das Hauptthema des Kapitels sowie der gesamten Apk ist.¹¹²² Die Gründe dafür benennt Chyträus folgendermaßen: ES ist fast kein ding auff erden/ das die menschen/ zu rechter Gottes forcht/ zur buß/ zu besserung des lebens/ vnd aller gottseligkeit/ mehr vnd krefftiger bewegt vnd treibt/ als die betrachtung des gerechten vnnd ernsten Gerichts/ für welchs wir alle nach diesem leben kommen/ vnd daselbst dem gestrengen Richter vnnd hertzkündiger vnserm HERRN Jesu Christo/ für alles vnser leben/ thun vnnd lassen/ ja auch von einem jeglichen vnnützen wort/ werden rechenschafft geben müssen.¹¹²³

Dabei zitiert Chyträus biblische loci classici wie Mt 12,36, ohne diese als Zitate kenntlich zu machen. Einerseits wird also auf individuell-moralischer Ebene die Verantwortung jedes Einzelnen für alle Taten und Worte betont. Eine besondere Stärke der einschlägigen biblischen Texte liegt für Chyträus in der damit verbundenen Möglichkeit zur Betrachtung der Letzten Dinge, mithin darin, durch den Gerichtsernst motiviert (in einem zeitlebens zu bestreitenden Prozess) zur Umkehr, zur Hinwendung zu Gott im Glauben gebracht zu werden. Doch es bleibt dabei, dass das göttliche Gerichts-Wort nicht nur Drohung ist: So gilt andererseits,

 Vgl. ebd., fol. 83v. Cramer bezieht sich hier unter anderem auf Mk 16,16, nennt jedoch Joh 3,18.  Vgl. ebd., fol. 83v–84r.  Vgl. David Chyträus: Auslegung Der Offenbarung Johannis […]. Rostock 1568. Zu Apk 20 vgl. ebd., fol. Ccc 4r–Jjj 1r. Zu Chyträus und seinem Kommentar vgl. Backus (s. Anm. 40), S. 113 – 129.  Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Ddd 1v–2v.  Ebd., fol. Ddd 1v. Krummacher zufolge sind es Motive bzw. Ziele der frühneuzeitlichen Autoren, welche die Rede vom Endgericht einsetzen, „[v]on Sünde abzuschrecken, Schutz gegen alle Laster zu geben, zu Reue, wahrer Buße, poenitentia, zu täglicher Abkehr von der Welt, zur Verachtung alles Irdischen, zu ständiger Vorbereitung auf den Tod zu bewegen, zu rechtem Leben, zu wahrer pietas, vera sapientia, zur Überwindung alles irdischen Leids, zur Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem ewigen Leben und zu einem seligen Sterben zu führen“. Krummacher (s. Anm. 43), S. 481. Vgl. auch ebd., S. 478 – 482.

154

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

das er [= der Verfasser der Apk] vns in allen trübsalen dieses lebens/ vnd zerrüttungen der kirche/ diesen fürnemen vnd grösten trost eröffne[t] vnd bestettige[t]/ nemlich: das alle zerrüttungen vnd trübsaln der kirche/ nit aus zufall/ sondern aus gewissem rath vnd gerechtem vrtheil Gottes/ geschehen/ vnd das gewißlich ein Gericht volgen werde/ in welchem Gott der allmechtig/ alle gottlosen/ sonderlich aber die feinde vnd verfolger seiner kirchen/ mit sampt dem Antichrist/ in die ewige verdamnus stürtzen/ Die kirch aber vnd alle gottselige/ so auff dieser erden/ von den Tyrannen vnd Antichrist verfolgt vnd erwürget/ mit ewigem leben/ ewiger freud vnd herrligkeit zieren vnd begaben werde.¹¹²⁴

Insofern bietet die Rede vom Jüngsten Gericht gerade den Verfolgten Trost, etwa in einer von Spaltungen der Kirche und Auseinandersetzungen geprägten Zeit, die im Wunsch der Überwindung der (weltlichen und überirdischen) Feinde auch die Sehnsucht nach Frieden, Eintracht und Konsens erkennen lässt. Die Ausführungen zur Exegese von Apk 20,1– 10, die denen Cramers meist ähneln, werden bei Chyträus zu Prolegomena. Auch er weist etwa die den Täufern zugeschriebene Meinung, dass ein irdisches Reich Christi vor dem Jüngsten Tag existieren wird (und möglicherweise gewaltsam zu errichten ist), zurück.¹¹²⁵ Die Herrschaft Christi ist Chyträus zufolge eine geistliche, diese Welt ist mit ihren Leiden noch unvollendet.¹¹²⁶ In Apk 20,5 f. ist bekanntlich die Rede von einer ersten Auferstehung. Diese versteht auch dieser Exeget wie Cramer als das zumGlauben-Kommen des Menschen.¹¹²⁷ Der Engel mit dem Schlüssel (V. 1) wird auf den Sohn Gottes gedeutet, dessen Sieg über die Verderbensmächte Chyträus hervorhebt.¹¹²⁸ Im Tier und dessen nicht anzubetendem Bild (Apk 20,4) erblickt der lutherische Theologe „die Römische Keyser vnd Antichristische Bepste“¹¹²⁹. Als besonders antichristlicher Papst wird wiederum Gregor VII. angeführt.¹¹³⁰ Alle folgenden Abschnitte sind dem typisch lutherisch dargestellten Jüngsten Gericht „nach diesem leben vber alle menschen“¹¹³¹ gewidmet.¹¹³² Zunächst

 Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Ddd 1v–2r.  Vgl. ebd. Siehe dazu auch oben Kapitel 3.2.1 und 3.3.1. Die Gerichtskompetenz aus Apk 20,4 wird hier nur (in Entsprechung zum biblischen Text) paraphrasiert, es erfolgt keine weitere Auslegung. Der erste Tod wird als geistlicher Tod des Unglaubens interpretiert. Dabei versteht Chyträus jedoch die Wendung „biß das 1000. jar vollendet worden“ [Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Eee 1r] als „nimmermehr“. Ebd. Vgl. auch ebd., fol. Eee 1r–1v.  Vgl. ebd., fol. Ddd 2v–3v.  Vgl. ebd., fol. Eee 1v.  Vgl. ebd., fol. Ddd 3v–4v.  Ebd., fol. Ddd 4v.  Deutschland wird in diesem Kontext als besonders bedrängt dargestellt. Vgl. ebd., fol. Eee 2r.  Ebd., fol. Eee 4v.  Vgl. ebd., fol. Eee 4v–Jjj 1r.

5.2 Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts

155

wiederholt Chyträus consolatio und Mahnung gegen die falsche securitas vieler Lebender als Funktionen der Rede vom Jüngsten Gericht. Gegenüber jenen, „welche den zorn Gottes/ vnd alles/ was von seinem Gericht gesagt wirdt/ in windt schlagen/ vnd für ein Fabelwerck vnd merlein halten“¹¹³³, betont er, dass dieses Endgericht wahrlich eintreten werde.¹¹³⁴ Loci classici wie Mt 25,31– 46; Röm 2,5 f. oder 2Thess 1,8 werden in Ergänzung zu Apk 20,11– 15 aufgezählt bzw. zitiert.¹¹³⁵ Zudem führt Chyträus im Unterschied zu Cramer auch antik-pagane Orakelworte¹¹³⁶ und „Weissagungen Sibyllae“¹¹³⁷ als außerbiblische Belege an, in denen er die christliche Thematik des Jüngsten Gerichts zu erkennen meint. Chyträus liefert den Lesern eine lyrische Übersetzung des griechischen Textes: Den Himmel ich einwerffen wil/ | Darnach der todten greber vil | Jch öffnen wil/ vnd nachmals all/ | So warn entschlaffen ohne zall/ | Wil ich erwecken/ vnd den todt/ | Mit seim stachel machen zu spot. | Auff das sie alle zu Gericht/ | Kommen für Gottes angesicht/ | Da denn ein jeder wirdt entpfahen | Nach dem er guts oder böß hat than.¹¹³⁸

Namentlich wird Platon (427– 347) als antik-paganer Gewährsmann herangezogen.¹¹³⁹ Es folgen Ausführungen über die Identität des Richters. Auch hier ist eine Christozentrik im Denken Chyträus‘ erkennbar: „[D]as offentlich vnd sichtbarlich gericht wirdt one alle mittel/ durch den Son Gottes/ der alda in menschlicher gestalt sitzen wirdt/ gehalten werden.“¹¹⁴⁰ Christus richtet Chyträus zufolge in bzw. nach seiner menschlichen Natur.¹¹⁴¹ Mit Bezug auf biblische loci classici (wie etwa Mt 24 f.; Dan 7; Apk 1; 2Thess 1; 2Petr 3) hält der Kommentator fest, Christus werde in Herrlichkeit sowie mit Engelsbegleitung am Jüngsten Tag erscheinen, an dem diese Welt im Feuer verbrenne. Chyträus thematisiert hier auch die consummatio mundi, welche ihm zufolge keine absolute annihilatio ist, „sondern […] eine verenderung sein [wird]/ durch welche/ eben die Materi der welt/ so zuuor

 Ebd., fol. Fff 1r.  Vgl. ebd., fol. Eee 4v–Fff 1r.  Vgl. ebd., fol. Fff 1r–2r.  Vgl. etwa ebd., fol. Ddd 4v.  Ebd., fol. Fff 2r.  Ebd. Zu einem weiteren Text vgl. ebd., fol. Fff 2r–2v.  Allerdings gehen Platons Erkenntnisse, so meint Chyträus, auf „Joseph vnd [die] kinder Jsrael“ (ebd., fol. Fff 2v) zurück. Vgl. ebd., fol. Fff 2r–2v.  Ebd., fol. Fff 3r.  Vgl. ebd., fol. Fff 3r–3v.

156

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

gebrechlich vnd der verderbung vnderworffen war/ durch das F[e]wer/ wie das goldt/ wider geleutert vnd ernewert werden [wird]“¹¹⁴². Chyträus behandelt in der Auslegung von Apk 20,11– 15 alle novissima und geht unter Bezugnahme auf 1Kor 15 und 1Thess 4 auf die Auferstehung der Toten ein¹¹⁴³, ehe er auf „[d]ie Assessores […] vnnd Beysitzer am Jüngsten Gericht“¹¹⁴⁴ zu sprechen kommt. Diese „werden sein die lieben Aposteln vnd Heiligen/ die da sitzen auff stülen/ vnnd richten die 12. Geschlecht Jsrael/ das ist/ das gantze menschliche geschlecht nach der Regel der lehr des Sons Gottes/ welche von den Aposteln vnd Heiligen gepredigt vnd geglaubt ist worden“¹¹⁴⁵. Insofern entscheiden die Beisitzer nicht etwa autonom oder anders als Christus.¹¹⁴⁶ Chyträus hebt weiterhin den doppelten Ausgang des Gerichts hervor, verweist auf den Glauben allein als das rettende Element und interpretiert Joh 5,24 dergestalt, dass die Glaubenden im Letzten Gericht „nit verdampt“¹¹⁴⁷ werden. Die Aussage, dass allein der Glaube Maßstab des Gerichts ist, zählt wohlgemerkt zu den christologischen Ausführungen über die Person des Richters. Diesem Passus über den Richter schließt sich logisch konsequent der Unterabschnitt über die zu Richtenden an, worin Chyträus festhält, Menschen jeden Standes, Geschlechts etc. müssten sich dem Jüngsten Gericht stellen, kurz „ALLE Menschen/ die frommen so wol als die Gottlosen müssen/ offenbar werden für dem Richterstul des HERRN Christi/ Auff das ein jeglicher entpfahe/ nach dem er gehandelt hat bey leibes leben/ es sey gut oder böse/ in der andern zun Corinthern am 5.“¹¹⁴⁸ So kombiniert der Lutheraner die Aussagen zum Gericht nach dem Glauben und den im Gericht relevanten Werken. Die Bücher (Apk 20,12) im Gerichtsprozess werden verstanden als solche, die Gedanken, Taten (und Unterlassungen) und dergleichen enthalten. Die Funktion von Zeugen entfällt laut Chyträus somit im Letzten Gericht, jeder vermag aber selbst einzusehen, warum er gestraft wird.¹¹⁴⁹ Im Endgericht kommen

 Ebd., fol. Fff 3v. Zu den unterschiedlichen Auffassungen frühneuzeitlicher Theologen bezüglich der consummatio mundi siehe auch oben Anm. 892.  Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Fff 3v. Vgl. weiter ebd., fol. Fff 4v. Seelen und Leiber der Verstorbenen werden Chyträus zufolge am Jüngsten Tag wieder vereinigt werden. Neben den Auferstandenen werden laut Chyträus auch die an jenem Tag noch Lebenden verwandelt und gerichtet werden. Vgl. ebd.  Ebd., fol. Fff 3v.  Ebd.  Vgl. ebd.  Ebd., fol. Fff 4r.  Ebd.  Chyträus setzt zudem voraus, dass „Gott selbs in die menschlich natur eingepflantzt [hat]/ trawrigkeit/ schmertzen/ vnd hertzleid/ welchs auff die begangene missethat volget/ vnd als hencker/ die laster straffet/ vnnd vom zukünfftigen Gericht Gottes zeuget.“ Ebd., fol. Hhh 3v.

5.2 Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts

157

alle Dinge ans Licht, eine „außflucht“¹¹⁵⁰ ist niemandem möglich. Auch in diesem Zusammenhang betont Chyträus, dass Christus im Jüngsten Gericht „einem jeden geben wirdt nach seinen wercken/ Rom. 2“¹¹⁵¹. Der fünfte Abschnitt ist dem Maßstab des Letzten Gerichts gewidmet. Die Ausführungen des Lutheraners sind auch deshalb sehr aufschlussreich, weil sie sich mit den Beobachtungen zu Luthers Verständnis des Gerichts nach den Werken meines Erachtens decken. Zunächst bestimmt Chyträus allein den Glauben an Christi Heilswerk als Maßstab des Gerichts und setzt den Inhalt des Buchs des Lebens (Apk 20,12.15) mit Joh 3,16.18 (und Joh 5,24) gleich: Wer an Christus glaubt, kommt nicht in das verdammliche Gericht, sondern wird selig.¹¹⁵² Die Unglaubenden hingegen werden verdammt.¹¹⁵³ Chyträus setzt die Kenntnis der Lehre voraus, dass zunächst alle Menschen qua Erbsünde die Verdammnis verdient hätten und jene ohne Glauben nach dem Gesetz bzw. allein nach ihren Werken gerichtet werden und so nicht bestehen können.¹¹⁵⁴ Diejenigen, die bis zu ihrem Tode im Glauben bleiben, dürfen sich nicht auf ihre Werke verlassen, sondern sind „aus lauterer gnad vnd Barmhertzigkeit/ allein vmb Christi willen/ durch den glauben“¹¹⁵⁵ gerecht und können so im Gericht bestehen.¹¹⁵⁶ Der Glaube allerdings, so der Lutheraner weiter, zieht notwendigerweise und naturgemäß Werke der Liebe nach sich, die insofern auch im Endgericht Beachtung finden.¹¹⁵⁷ Chyträus ist bestrebt zu zeigen, dass die lutherische Rechtfertigungslehre und die Lehre des Gerichts nach den Werken einander nicht ausschließen: Mit diesen Heuptsprüchen vnsers Christlichen glaubens [gemeint ist die Lehre der Rechtfertigung sola fide]/ streittet gar nit/ das alhie gesagt wirdt/ das die Todten seindt gericht worden […] ein jeglicher nach seinen wercken. Vnd das Paulus Rom. 2. spricht: Gott werde am Jüngsten Gericht einem jeden geben nach seinen wercken/ Denn das die gottlosen vnd verdampten mit jren wercken vnd vbelthaten ewige straff verdient haben/ vnnd das sie solches jhres gottlosen wesens billichen vnd verdienten lohn entpfangen/ ist wahr vnd lauter.¹¹⁵⁸

 Ebd., fol. Ggg 1r.  Ebd.  Die Glaubenden sind Chyträus zufolge jene, die ins Buch des Lebens eingetragen sind und zur Rechten Christi stehen werden. Vgl. ebd., fol. Ggg 1v–2r.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., fol. Ggg 2r.  Ebd., fol. Ggg 2v.  Vgl. ebd., fol. Ggg 2r–2v.  Vgl. ebd., fol. Ggg 2v.  Ebd., fol. Ggg 2r. Siehe dazu auch oben S. 114.

158

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Anschließend kommt Chyträus auf die temporale und lokale Dimension des Gerichts zu sprechen: Datieren könne man den Jüngsten Tag nicht, so der Exeget unter Berufung auf Mk 13,32, sodass geistliche Wachsamkeit gefordert sei (vgl. auch Mk 13,33). Zugleich weist Chyträus auf das plötzliche Hereinbrechen des Jüngsten Tages hin¹¹⁵⁹, wobei die falsche securitas der Welt in seiner Auslegung zum Antagonisten der christlichen Wachsamkeit wird.¹¹⁶⁰ Gleichwohl zeigt sich Chyträus an möglichen Terminen des Weltendes interessiert. Er nennt etwa die Konzeption, die Welt werde sechstausend Jahre währen, worauf die Ewigkeit anbreche.¹¹⁶¹ Auch stellt der lutherische Theologe weitere Berechnungsmodelle vor, gar mit konkreten Jahreszahlen für das Ende der Welt, etwa 1656 Jahre nach „der Geburt oder Aufferstehung Christi“¹¹⁶². Dem Verdacht auf ein zu großes Interesse an solchen Spekulationen versucht Chyträus entgegenzuwirken, indem er den Textabschnitt über die Berechnungsmodelle mit dem Hinweis auf Mk 13,32, wonach allein Gott über Tag und Stunde des Weltendes Kenntnis hat¹¹⁶³, und der Aussage, „der Son Gottes wil nit haben/ das man so gnaw vnd fürwitziger weise die zeit vnd stunde des letzten tags erforsche/ […] sondern wil/ das wir allezeit gerüstet“¹¹⁶⁴ sein mögen, rahmt.¹¹⁶⁵ Leppin zufolge berief sich Balthasar Herold (1553 – 1628) in seinen Überlegungen zum Jahr des Weltendes zudem darauf, dass es lediglich verboten sei, „Tag und Stunde“¹¹⁶⁶ zu berechnen.¹¹⁶⁷ Was die Lokalisierung des Jüngsten Gerichts betrifft, hält Chyträus zunächst fest, die Glaubenden werden ihre eschatische Existenz „bey […] Christo […] im

 Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Ggg 3r–4r. Erwähnt wird auch das Bild des Diebes in der Nacht aus Mt 24,43 u. ö.  Vgl. ebd., fol. Ggg 2v–3r.  Chyträus beruft sich unter anderem auf einen „spruch Eliae/ welcher steht im Talmut“. Ebd., fol. Ggg 4r. Diese sechstausend Jahre werden wiederum in dreimal zweitausend Jahre gegliedert. Auch Luther bezog sich darauf und übernahm die Kalkulation, die Welt währe (maximal) sechstausend Jahre. Vgl. etwa Schilling (s. Anm. 165), S. 22. Vgl. dazu auch Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 102 f. Vgl. weiter Leppin (s. Anm. 36), S. 63 – 67; 130 – 139.  Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Ggg 4v. Eine andere These lautet, „das von den gezeiten Danielis biß zu der welt ende 2525. Jar vberig werden sein.“ Ebd. Nochmals andere Rechenmodelle führen zu einer Datierung des Weltendes auf 1684 oder 1695.Vgl. ebd., fol. Ggg 4v–Hhh 1r. 1520 ist Chyträus zufolge „der Antichrist […] durch das Euangelion offenbar worden“. Ebd., fol. Hhh 1r. Vgl. auch ebd., fol. Ggg 4r–Hhh 1r.  Vgl. zu dieser Thematik und ihrem interkonfessionellen Konfliktpotential auch Lüdemann (s. Anm. 622), S. 54– 58.  Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Hhh 1r.  Als biblische Belege werden etwa 1Joh 2; Mt 24 und Lk 12 angeführt.Vgl. ebd., fol. Ggg 2v–4r und fol. Hhh 1r–1v.  Leppin (s. Anm. 36), S. 126.  Vgl. ebd. Vgl. auch ebd., S. 127.

5.2 Unterschiedlich starkes Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts

159

Himmel“¹¹⁶⁸ genießen; und vom Himmel her werde der Richter auch kommen. Chyträus stellt zwei Deutungsmöglichkeiten des Tals Josaphat aus Joel 3 nebeneinander, ohne sich für eine derselben zu entscheiden: Einerseits die geistliche Deutung „auff die beruffung der Heiden zu der gemeinschafft des Euangelij“¹¹⁶⁹, andererseits eine Identifikation des (real-lokalen) Schauplatzes des Jüngsten Gerichts mit „dem ort […]/ an welchem er [= Christus] zuuor in gegenwart seiner Jünger gehn Himmel auffgefahen ist/ Nemlich/ am Oelberg/ an welchen das thal Josaphat gegen der Sonnen auffgang stösset“¹¹⁷⁰.¹¹⁷¹ Im letzten Abschnitt zu Apk 20 behandelt Chyträus die ewige Hölle. Diese Stätte ewiger Folter für Körper und Seele wird identifiziert mit dem feurigen Pfuhl aus Apk 20,10.14 f.¹¹⁷² Den zweiten Tod deutet der Kommentator auf die Verdammnis zur Hölle. Das ewige Höllenfeuer ist Chyträus zufolge „leiblich“¹¹⁷³ zu denken.¹¹⁷⁴ Die Hölle beschreibt er weiter als Abwesenheit von Licht, Hoffnung sowie dem Göttlichen¹¹⁷⁵ und als Ort größter Qual.¹¹⁷⁶ Zwar erwähnt Chyträus die Möglichkeit, die Hölle könne unter der Erde zu verorten sein und denkt sie meines Erachtens nicht uneigentlich, doch weist er Spekulationen über die genaue Lokalisierung der Hölle als nicht schriftgemäß zurück.¹¹⁷⁷ Die Höllenqual wird beschrieben als dauerhaftes Sterben, ohne sterben zu können.¹¹⁷⁸ Ebenfalls bezieht sich Chyträus auf die loci classici Jes 66,24 bzw. Mk 9,44.46.48. Den darin enthaltenen Parallelismus membrorum (nicht-umkommender Wurm, nicht-ersterbende Flammen) versteht er als „marter des gewissens/ vnd des leibs“¹¹⁷⁹.¹¹⁸⁰ Bemerkenswert ist überdies, wie Chyträus das Empfinden des göttlichen Zorns als schwerste Strafe der Hölle definiert und dies mit dem Gedanken verbindet, dass  Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Hhh 1v.  Ebd.  Ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. etwa ebd., fol. Hhh 3r.  Ebd., fol. Hhh 2r.  Vgl. ebd.  Siehe auch etwa oben S. 107.  Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Hhh 2r–2v.  „Ob aber diser ort mitten in der erden/ oder an einem andern ort der erden sein werde/ steht vns nit zufragen/ dieweil solchs in der heiligen schrifft nirgends gemeldet wirdt/ […]. Vnd denen so nach solchen dingen fürwitziglich fragen/ sol man antworten/ wie S. Augustinus einem/ der von jm wissen wolt/ was vnser herr Gott für der erschaffung der Welt gemacht hette/ antwortet. Er hette die Helle gemacht/ für die jenigen/ so nach solchen dingen fürwitziglich fragen würden.“ Ebd., fol. Hhh 2v. Vgl. auch ebd., fol. Hhh 4v–Jjj 1r.  Siehe dazu auch oben S. 46.  Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Hhh 3r.  Vgl. ebd., fol. Hhh 2v–3v.

160

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Christus am Kreuz Gottes Zorngericht erlitt: „Dieses fülen des zorns Gotes/ der ewigen verwerffung von Gottes angesicht/ vnnd solche forcht/ angst/ zittern/ vnnd ewige vnruhe des gemüts/ wirdt die höchste vnd gröste straff in der Helle sein/ Wie denn auch im leiden Christi/ das fülen des grimmigen zorns Gottes vber die sünde/ die gröste last vnd Marter gewesen ist.“¹¹⁸¹ Keine raffinierten Foltermethoden, sondern die Torturen von Gotteszorn und Gottverlassenheit peinigen jene in der Hölle am meisten. Auch hier für Chyträus gilt, dass Christus Gottes Zorn-Gericht und die Qualen der Hölle am Kreuz in höchstem Maße erfuhr. Es muss offen bleiben, ob der Lutheraner konkrete Gegner im Blick hat, die eine Allversöhnungslehre vertraten, doch er betont zudem, dass nach Apk 20,10.14 f. und Jes 34,9 f. die Höllenpein für die verdammten Menschen und Teufel ewig währt.¹¹⁸² Ohne dies näher zu erläutern schreibt Chyträus, dass es „vnderschied[e] der straffen“¹¹⁸³ geben werde und verweist dazu auf Mt 11,22.24.¹¹⁸⁴

5.3 Zwischen Naherwartung und Terminspekulationen Im 16. und 17. Jahrhundert gab es auf Seiten der Lutheraner zahlreiche Termine, über die als mögliches Weltende spekuliert wurde.¹¹⁸⁵ So zeigt selbst der besagte orthodoxe Lutheraner David Chyträus ein gewisses Interesse an Vermutungen, ob die Welt 1656, 1684 oder auch 1695 enden könne.¹¹⁸⁶ Doch im Gegensatz zu Chyträus sind vor allem spiritualistische Autoren dabei weniger zurückhaltend. Aufschlussreich ist etwa die anonym veröffentlichte Apocalypsis reserata oder Geöffnete Offenbarung von Martin Gühler (?–?).¹¹⁸⁷ Der spiritualistisch-protestantische Autor, welcher, wie der Text vermuten lässt, in Schlesien wirkte¹¹⁸⁸, teilt die Inhalte der Johannesapokalypse in bereits erfüllte, aktuell in seinen Zeiten in Erfüllung begriffene und noch zu erfüllende Vorhersagen ein. Das Anheben des

 Ebd., fol. Hhh 4r.  Vgl. ebd., fol. Hhh 4v.  Ebd.  Siehe dazu auch unten S. 217.  Vgl. für die Zeit um 1600 etwa Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 80 f. Philipp Nicolai etwa vermutete, der Jüngste Tag breche 1670 an.Vgl. ebd., S. 86. Siehe dazu auch unten Anm. 1212.  Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Ggg 4v–Hhh 1r. Vgl. dazu auch Hofmann (s. Anm. 40), S. 522– 524, bes. S. 524. Vgl. auch Backus (s. Anm. 40), S. 128. Darin unterscheidet sich Chyträus laut Backus von vielen reformierten Auslegern, vgl. ebd., S. 129.  Vgl. [Martin Gühler]: Apocalypsis RESERATA das ist/ Geöffnete Offenbarung Johannis […]. Christianstat [= Elbing] 1653.  Vgl. etwa ebd., fol. E 2v.

5.3 Zwischen Naherwartung und Terminspekulationen

161

Endes dieser Welt datiert der Verfasser auf 1655.¹¹⁸⁹ Dabei denkt er an ein göttliches Gericht, welches das tausendjährige Friedensreich Christi einläutet.¹¹⁹⁰ In diesem Gottesgericht werde die Papstkirche gänzlich gestürzt werden.¹¹⁹¹ Die Darstellungen einer endzeitlichen Schlacht von Katholiken gegen Protestanten mögen unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges entstanden sein.¹¹⁹² Teufel und Papst(tum) werden Gühler zufolge in den feurigen Pfuhl (Apk 20,10.14 f.) geworfen werden.¹¹⁹³ Zum Jüngsten Gericht deutet der Autor zudem an einer Stelle an, eine spezielle, wohl nonkonformistische Position zu vertreten, führt diese jedoch nicht aus.¹¹⁹⁴ Der Lutheraner Johann Georg Seld (1603 – 1671) nahm Notiz von der Geöffneten Offenbarung und verfasste eine Schrift, in der er die Spekulationen des anonymen Autors zu widerlegen versuchte, auf dass niemand „verführet/ verwirret oder verirret werde“¹¹⁹⁵. Seld wirft dem Verfasser bereits in seiner einleitenden Zusammenfassung¹¹⁹⁶ vor, den Beginn eines irdischen Reiches Christi auf das Ende des Jahres 1655 (bzw. auf den Anfang des Folgejahres) datiert zu haben¹¹⁹⁷ und sich so Wissen anzumaßen, das nur Gott zustehe.¹¹⁹⁸ Er hält die politischen Ereignisse seiner Zeit nicht für den Auftakt des Endes der bestehenden Weltordnung und spottet, dass in dieser Hinsicht „der Autor das Maul gar zu voll

 Vgl. ebd.Vgl. auch etwa ebd., fol. B 6r–6v u. ö. Dabei unterteilt der Autor den Text nochmals in Belange politischer und geistlicher Natur, vgl. ebd., fol. A 4v u. ö.  Vgl. etwa ebd., fol. D 8v–E 2v.  Vgl. ebd., fol. E 2v.  Vgl. ebd., fol. C 6r.  Vgl. ebd., fol. C 7r.  Vgl. ebd., fol. C 5v–6r.  Johann Georg Seld: Kurtzer Bericht Von dem Tractätlein/ dessen Titul: APOCALYPSIS RESERATA […]. Danzig 1655 [11654], fol. A 3r.  Vgl. ebd., fol. A 2r–3r.  Vgl. ebd., fol. A 2r.  Vgl. etwa ebd., fol. A 4v–[5]r. Auch Seld zufolge gehen dem Jüngsten Tag gewisse Vorzeichen voraus. Vgl. ebd., fol. A 4r. Dennoch lehnt der Lutheraner die Datierbarkeit des Jüngsten Tages ab. Laut Thomas Kaufmann war es typisch für die lutherische Konfession und mehr als bei den Katholiken und Reformierten der Fall, ausgehend von der Beschäftigung mit den biblischen Texten in der eigenen Gegenwart nach An- bzw.Vorzeichen der Endzeit zu suchen.Vgl. Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 87. Vgl. auch ebd., S. 89 f.; 127. Vgl. weiter Smolinsky (s. Anm. 37), S. 4 f. Vgl. auch Kunz (s. Anm. 23), S. 58. Auf die Thematik der Vorzeichen des Jüngsten Tages sowie entsprechende Debatten (etwa über die Bedeutung von Kometen) kann in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden. Vgl. etwa Leppin (s. Anm. 36), S. 79 – 96 u. ö. Vgl. auch Homeyer (s. Anm. 37), S. 152– 172. In den Zusammenhang der Debatten um die Vorzeichen des Weltendes gehört auch etwa die Frage, ob die Juden vor dem Jüngsten Tag zum Christentum konvertieren werden. Vgl. etwa Kunz (s. Anm. 23), S. 59.

162

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

[…] nimmet“¹¹⁹⁹. Zudem wird kritisiert, dass der Verfasser seine Identität nicht preisgibt.¹²⁰⁰ Die Ausführungen des Autors über ein irdisches Reich Christi werden zurückgewiesen.¹²⁰¹ Seld warnt, dass gerade dadurch, dass eine Terminvorhersage nicht eintritt, die Christenmenschen nicht mehr an die Parusie Christi glauben und in liederlichen Lebenswandel verfallen.¹²⁰² Demgegenüber sei an die Gewissheit der nahen¹²⁰³ Parusie Christi zum Letzten Gericht¹²⁰⁴ bei gleichzeitiger Ungewissheit des genauen Datums zu gemahnen.¹²⁰⁵ Solche spekulativen Vorhersagen konnten die Gemeindeglieder durchaus erschrecken oder Unruhen in der Bevölkerung auslösen. Den Versuch, den Termin des Jüngsten Tages auf die Stunde genau zu errechnen, unternahm bereits beispielsweise der Theologe und Mathematiker Michael Stifel (1487– 1567).¹²⁰⁶ Stifels Ankündigungen führten dazu, dass Menschen vor dem vermeintlichen Weltende all ihren Besitz verschenkten und nach dem Ausbleiben der Parusie Christi mittellos waren. Zudem waren Verunsicherung und Störungen der öffentlichen Ordnung die Folge.¹²⁰⁷ Thomas Kaufmann führt zudem das Beispiel einer von einem unbekannten spiritualistischen Lutheraner¹²⁰⁸ unter Pseudonym verfassten Schrift an, worin der Jüngste Tag bzw. das Jüngste Gericht auf 1599 datiert wurde.¹²⁰⁹ Dieses Schriftstück barg das Potential, die einfachen Christen in Aufruhr zu versetzen. So beklagte der Lutheraner Daniel Schaller (1550/1551– 1630) in diesem Zusammenhang, Menschen würden ihre Arbeit einstellen, ihre Vorräte aufbrauchen und, wenn der Jüngste Tag nicht eintrete, hungern oder stehlen.¹²¹⁰ Daher bemühte sich Schaller, die Ankündigung zu widerlegen, ohne jedoch die Naher-

 Seld (s. Anm. 1195), fol. A 6r.  Vgl. ebd., fol. A 6v.  Vgl. etwa ebd., fol. A [5]r; B 7r–7v u. ö.  Vgl. ebd., fol. A [5]r–5v.  Vgl. etwa ebd., fol. B 7v.  Vgl. etwa ebd., fol. C 5r–5v. Darauf folge die Ewigkeit.  Vgl. etwa ebd., fol. A [5]r–5v.  Vgl. dazu Hofmann (s. Anm. 40), S. 530 – 549. Stifel erfuhr dafür Maßregelungen. Vgl. etwa ebd., S. 541. Der lutherische Prediger Daniel Lüdemann berichtet, Stifel habe „zun Zeiten Lutheri […] außgeschrien/ daß nach Christi Geburt die Welt stehen werde 1533. Jahr/ 10. Monat/ 42. Wochen/ vnd werde am Lucas=Tag/ Montags vmb 8. Vhr/ vntergehn/ aber ist zu Schanden worden.“ Lüdemann (s. Anm. 622), S. 63.  Vgl. Hofmann (s. Anm. 40), S. 539. Zu Stifel vgl. auch Kaufmann: Konfession und Kultur (s. Anm. 35), S. 39.  Sein konfessionelles Selbstverständnis zeigt sich etwa an anticalvinistischer Polemik. Vgl. Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 82, Anm. 34.  Dabei wurde auch der Tag angegeben. Vgl. ebd., S. 84.  Vgl. ebd. Schaller berichtete zudem von nonkonformistischen Wanderpredigern, die das nahende Gericht verkündigten. Vgl. Leppin (s. Anm. 36), S. 275 f.

5.4 Luthers Einschätzung von Apk 20

163

wartung aufzugeben.¹²¹¹ Gleichwohl stellte Schaller seinerseits selbst die Vermutung an, das Weltende könne 1630 eintreten.¹²¹² Dies zeigt, welche Gratwanderung zwischen der gewissen Erwartung der baldigen Parusie Christi¹²¹³ und Berechnungen des Weltende-Termins mancher Lutheraner unternahm. Für die reformierten Ausleger ist die Erwartung der Nähe des Jüngsten Tages meist nicht so zentral wie für die Lutheraner.¹²¹⁴

5.4 Luthers Einschätzung von Apk 20 Luther selbst erwartete den Jüngsten Tag in Bälde, lehnte jedoch genaue Berechnungen des Datums des Jüngsten Gerichts ab.¹²¹⁵ Die Schrift Supputatio annorum mundi darf als Versuch gelten, Spekulationen über ein irdisches tausendjähriges christliches Reich, das in der Gegenwart (oder nahen Zukunft) der Zeitgenossen zu erwarten oder gar zu errichten wäre, Einhalt zu gebieten.¹²¹⁶ So verortet Luther in dieser Schrift das tausendjährige Reich Christi aus Apk 20,1– 7 zeitlich in der Vergangenheit. Das Wirken Gregors VII. stellte Luther zufolge das

 Vgl. Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 81– 84. Vgl. weiter Kaufmann: Konfession und Kultur (s. Anm. 35), S. 36 – 43, bes. S. 38 f. Die radikalen Spekulationen zu widerlegen darf grundsätzlich als konfessionsübergreifendes Anliegen bezeichnet werden. Vgl. dazu ebd., S. 41 f.  Vgl. dazu Lehmann (s. Anm. 34), S. 147– 163. Philipp Nicolai stellt verschiedene Berechnungsmodelle vor, um das Weltende auf das Jahr 1670 zu datieren: Vgl. Philipp Nicolai (Verf.) und Gotthard Arthus (Übers.): Historia deß Reichs Christi: Das ist: Gründtliche Beschreibung der wundersammen Erweitertung/ seltzamen Glücks/ vnd gewisser bestimpter Zeit der Kirchen Christi im Neuwen Testament/ wie dieselbe an allen Orten in der Welt wirdt gepflantzet/ vnd von Jüden/ Heyden/ Türcken/ Papisten/ Caluinisten/ vnd andern Feinden/ grewliche Verfolgung leidet/ Auch jhre gewisse von Gott gesetzte Zeit hat/ wie lange sie wider gemeldte Feinde in dieser Welt kämpffen vnd streitten soll. […] in Latein außgangen/ Jetzt aber verteutschet/ Durch M. Gothardvm Artvs, von Dantzig. Frankfurt am Main 1598, etwa S. 197– 216; 228 – 366; 459 – 463 u. ö. (Teil 2). Die Schrift enthält überdies eine Art Chronologie der Geschehnisse der Jahre 29 bis 1670, vgl. ebd., S. 463 – 486 (Teil 2). Nicolai beschreibt, möglicherweise um dem Vorwurf der Heterodoxie zu wehren, seine Ausführungen über das mögliche Weltende im Jahr 1670 nur als begründete Vermutung und hält fest, dass sich Aussagen über den Termin des Jüngsten Tages nicht mit Gewissheit treffen lassen. Vgl. ebd., S. 488 und ebd., S. 198 f. (Teil 2).  Pohlig vertritt etwa die Auffassung, dass Naherwartung und Endzeitbewusstsein weit bis ins 17. Jahrhundert hinein charakteristisch für das Luthertum sind. Vgl. Pohlig (s. Anm. 38), S. 291 f.; 304; 315.  Vgl. etwa Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 156.  Vgl. etwa Schilling (s. Anm. 165), S. 22 f. Vgl. auch ebd., S. 23 – 25. Vgl. weiter Lohse (s. Anm. 72), S. 354– 356. Vgl. ferner Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 81.  Vgl. etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 354– 356. Vgl. auch Hofmann (s. Anm. 40), S. 369; 451 f.

164

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Ende der tausend Jahre dar.¹²¹⁷ Indem er das Millennium als eine Zeitspanne in der (vergangenen) Geschichte bestimmt, wehrt Luther – ebenso wie Augustin (354– 430)¹²¹⁸ – den Vorstellungen eines gegenwärtigen oder zukünftigen, gar durch Gewalt zu erzwingenden tausendjährigen Reichs der wahren Christen vor oder nach dem Letzten Gericht. Luther zufolge ist die Endzeit angebrochen, der Antichrist ist erschienen bzw. offenbart, doch einen Chiliasmus wie den im Täuferreich zu Münster, bzw. einen futurischen Millenarismus wie etwa bei Melchior Hofmann oder Hans Hut lehnt Luther ab.¹²¹⁹ Die negative Bewertung der Apk, die Luther in der Vorrede zu diesem biblischen Buch 1522 vortrug¹²²⁰ und die

 Vgl. etwa Rochus Leonhardt: Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie. 4. Aufl. Göttingen 2009 (= UTB 2214), S. 404.  Vgl. Lohse (s. Anm. 72), S. 354. Augustin wendet sich ebenfalls gegen die Vorstellung eines irdisch-menschlichen Millenniumsreiches. Er erwägt die Möglichkeit, dass die Welt nach 6000 Jahren endet und bietet überdies jene Interpretation an, die tausend Jahre als symbolische Zahl der Vollkommenheit als Dauer der Zeit der Kirche zu sehen, worin ihm viele Ausleger folgten. Vgl. Hofmann (s. Anm. 40), S. 491 f.  Vgl. ebd., S. 491. Insofern unterscheidet sich Luther hier von Augustin.Vgl. ebd., S. 493 f.Vgl. zu diesem Thema auch Beißer (s. Anm. 23), S. 50 – 53; 57.  „AN diesem buch der offinbarung Johannis, las ich auch yderman seynes synnes walden, will niemant an meyn dunckel odder vrteyl verpunden haben, Jch sage was ich fule, Myr mangellt an disem buch nit eynerley, das ichs wider Apostolisch noch prophetisch hallte, Auffs erst vnnd aller meyst, das die Apostel nicht mit gesichten vmbgehen, sondern mit klaren vnd durren worten weyssagen, wie Petrus, Paulus, Christus ym Euangelio auch thun, denn es auch dem Apostolischen ampt gepurt, klerlich vnd on bild odder gesicht von Christo vnd seynem thun zu reden. Auch, so ist keyn Prophet ym allten testament, schweyg ym newen, der so gar durch vnd durch mit gesichten vnd bilden handell, das ichs fast gleych bey myr achte dem vierden buch Esras, vnd aller dinge nicht spuren kan, das es von dem heyligen geyst gestellet sey. Datzu dunckt mich das alltzu viel seyn, das er so hartt solch seyn eygen buch, mehr denn keyn ander heylige bucher thun, (da viel mehr angelegen ist) befilht, vnnd drewet, wer etwas dauon thue, von dem werde Gott auch thun &c. Widderumb sollen selig seyn, die da halten, was drynnen stehet, so doch niemant weys was es ist, schweyg das ers halten sollt, vnd eben so viel ist, als hetten wyrs nicht, Auch wol viel edler bucher fur handen sind, die zu hallten sind. Es haben auch viel der veter dis buch vortzeyten verworffen, vnnd obs wol Sanct Hieronymus mit hohen wortten furet, vnd spricht, es sey vber alles lob, vnd so viel geheymnis drynnen, als wortter, so er doch des nichts beweysen kan, vnnd wol an mehr ortten seyns lobens zu milde ist. Endlich, hallt dauon yderman, was yhm seyn geyst gibt, meyn geyst kan sich ynn das buch nicht schicken, Vnd ist myr die vrsach gnug, das ich seyn nicht hoch achte, das Christus, drynnen widder geleret noch erkandt wirt, wilchs doch zu thun fur allen dingen eyn Apostel schuldig ist, wie er sagt Act. i. yhr solt meyne zeugen seyn, Darumb bleyb ich bey den buchern, die myr Christum hell vnd reyn dar geben.“ WA DB 7,404,2– 30 (Vorrede auf die Offenbarung S. Johannis 1522). Zu kritischen Äußerungen Luthers über die Johannesapokalypse in dieser Zeit vgl. Hofmann (s. Anm. 40), S. 248 – 299. Zu weiterer Kritik Luthers bis 1527 vgl. ebd., S. 299 – 308.

5.4 Luthers Einschätzung von Apk 20

165

von seinen Erben später kritisiert werden sollte¹²²¹, korrigierte der Reformator in der Vorrede von 1530.¹²²² Einen Nutzen der Apk sah Luther in ihrem antirömischen, mithin antipäpstlichen Potential.¹²²³ Luther zeigt in der Vorrede zur Apk von 1530¹²²⁴ in Bezug auf Apk 20 kein Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts und verweist lediglich knapp auf Dan 7, wenngleich er an anderer Stelle Apk 20 heranziehen kann, um den Sieg über den Antichrist am Tage des Jüngsten Gerichts zu beschreiben.Wichtiger ist ihm die Identifizierung von Gog und Magog, welche er hier nur auf die ‚Türken‘ deutet: Jnn des nu solchs alles gehet, kompt jm xx. Capitel auch her zu […] Gog vnd Magog, der Turcke, die roten Juden, welche der Satan, so vor tausent iaren gefangen gewest ist, vnd nach tausent iaren widder los worden, bringet, Aber sie sollen mit jm auch bald jnn den feurigen pful, Denn wir achten, das dis bilde als ein sonderlichs von den vorigen, vmb der Türcken willen gestellet sey, vnd die Tausent iar anzufahen sind, vmb die zeit, da dis buch geschrieben ist, vnd zur selbigen zeit auch der Teuffel gebunden sey, Doch mus die rechnung nicht so genaw, alle minuten treffen, Auff die Türcken folget nu flugs das jüngste gericht, am ende dieses Capitels, wie Daniel vij. auch zeiget.¹²²⁵

Die antichristlichen Mächte deutet Luther im Kontext der Gog und Magog-Auslegung (Apk 20,7– 10) andernorts auf ‚Türken‘ und Papsttum.¹²²⁶ In dieser Interpretation folgten ihm später viele lutherische Exegeten, wenngleich Gog und Magog auch mit anderen historischen Ereignissen, etwa dem Schmalkaldischen Krieg, in Verbindung gebracht werden konnten.¹²²⁷ Luther kennt sowohl den Gedanken, das Millennium habe mit der Zeit der Abfassung der Apk begonnen, wie das Zitat aus der Vorrede zeigt, als auch die Zählung ab Christi Geburt.¹²²⁸ Die Rede vom zweiten Tod aus Apk 20,14 greift Luther in seinen Schriften gelegentlich

 Vgl. ebd., S. 526. Vgl. auch Backus (s. Anm. 40), S. 137.  Vgl. dazu etwa Hofmann (s. Anm. 40), S. 395 – 470. Positiv ist die Johannesapokalypse Luther zufolge deshalb zu bewerten, weil sie auf Christus und dessen endgültigen Sieg über die Verderbensmächte verweist. Zu Luthers Bewertung der Johannesapokalypse vgl. auch Beißer (s. Anm. 23), S. 30. Vgl. weiter Homeyer (s. Anm. 37), S. 173 – 178.  Vgl. dazu etwa Hofmann (s. Anm. 40), S. 314– 323; 329 – 335.  Vgl. WA DB 7,406 – 420 (Vorrede auf die Offenbarung S. Johannis 1530).  WA DB 7,416,29 – 38.  Zur Zusammenstellung von Papst und ‚Türke‘ bei Luther in diesem Kontext vgl. etwa Hofmann (s. Anm. 40), S. 385; 636 f.; 739. Vgl. weiter ebd., S. 368; 371– 382; 494– 498; 573 – 578.  Vgl. ebd., S. 507– 529. Zur Deutung von Gog und Magog auf den Schmalkaldischen Krieg vgl. ebd., S. 515.  Vgl. ebd., S. 450 – 452.

166

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

auf ¹²²⁹, sowie das Motiv vom Sieg über den Antichrist (nach Apk 20,10) am Tage des Gerichts Christi.¹²³⁰

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen Es darf als bemerkenswertes Zeugnis interkonfessionellen Austausches gelten, dass die Bildmotive bzw. die Holzschnitte zur Apk, die ursprünglich Lucas Cranach der Ältere (1472– 1553) bzw. dessen Werkstatt für Luthers Neues Testament (September 1522) bereitstellte, gewissermaßen ihren Weg in Bibeldrucke anderer Länder und Konfessionen fanden, wie anhand von einigen exemplarischen Ausgaben gezeigt werden soll.¹²³¹ So zieren einundzwanzig Motive zur Apk sowohl Luthers Neues Testament von 1522¹²³², das Neue Testament des Altgläubigen Hieronymus Emser (1477– 1527) von 1527 und in etwas abgewandelter Art die in Leipzig gedruckte Ausgabe von 1528¹²³³ (Emser bietet hier neben dem Bibeltext auch eine kritische bzw. polemisch gefärbte Auseinandersetzung mit Luthers Übersetzung)¹²³⁴, als auch in wiederum etwas anderer Art eine bei Johann Wolf (1564– 1627) gedruckte Bibelausgabe von 1596 aus dem reformierten Zürich¹²³⁵ –

 Auch Apk 20,6 führt Luther mitunter an, vgl. ebd., S. 190; 194. Apk 20,7– 10 setzt Luther auch im Kontext der Polemik gegen Werkgerechtigkeit, die er den Altgläubigen vorwirft, ein. Vgl. ebd., S. 343.  Vgl. ebd., S. 119 f.; 128; 146.  Vgl. dazu ebd., S. 323 – 327. Zu bildlichen Darstellungen der Szenen der biblischen Apk – insbesondere von Albrecht Dürer (1471– 1528) oder eben Lucas Cranach d. Ä. (und dem Verhältnis der Werke Dürers und Cranachs zueinander) – vgl. Homeyer (s. Anm. 37), S. 191– 230. Vgl. auch Lena Pfeiffer: Die Endzeit. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von Tobias Pfeifer-Helke. Berlin u. a. 2015, S. 98 – 113.  Ich beziehe mich auf: [Biblia, Neues Testament 1522:] Das Newe Testament Deůtzsch. [Übers. von Martin Luther]. Wittenberg 1522.  Vgl. [Biblia, Neues Testament 1528:] Das New Testament/ So durch L. Emser säligen verteuscht/ vnd des Durchlewchten Hochgebornen Fursten vnd herren Herren Georgen hertzogen zu Sachssen etc. Regiment vnd priuilegio außgangen ist. Leipzig 1528. Vgl. zu dieser Thematik Hartmann Grisar und Franz Heege: Luthers Kampfbilder. Bd. 2. Der Bilderkampf in der deutschen Bibel (1522 ff.). Freiburg im Breisgau u. a. 1922 (= Luther-Studien 3), S. 37– 39.  Vgl. dazu etwa ebd., S. 37 f. Emsers Ausgabe von 1527 ist diese: [Biblia, Neues Testament 1527:] Das naw testament nach lawt der Christlichen kirchen bewerten text/ corrigirt/ vnd wider umb zu recht gebracht. [Bearb. der Übers. Martin Luthers durch Hieronymus Emser]. Dresden 1527.  Vgl. Biblia: Das ist/ Alle Bücher Alts vnd Newes Testaments: den vrsprünglichen sprachen nach auff das trewlichst verteütschet/ vnnd jetzt von newem wider vbersehen. Darzů ist kommen

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

167

die Motive wurden in diesem Fall über (nochmals modifizierte) Kopien von Hans Holbein dem Jüngeren (1497– 1543) vermittelt.¹²³⁶ Grundsätzlich ähneln die Bilder der hier ausgewählten Ausgaben einander sehr, wie die Darstellung der Menschensohn-Vision aus Apk 1 (verglichen werden exemplarisch hauptsächlich Luthers Neues Testament 1522, Emsers in Leipzig gedrucktes Neues Testament von 1528 sowie der Zürcher Druck) zeigt¹²³⁷, wenngleich sie bei Emser (1528) und Wolf weniger ausführlich gestaltet sind (Abb. 2– 4). Viele der Illustrationen sind nicht konfessionell markiert und können daher problemlos übernommen werden. Doch zeigen sich auch Unterschiede. So wird bei den Reformierten zweimal eine Gottvater-Figur durch das Tetragramm ersetzt; einer der Fälle sei hier präsentiert (Abb. 5 – 7).¹²³⁸ Bei Emser hingegen finden sich Veränderungen an Bildelementen, die in ihrer Vorlage antipäpstlich konnotiert sind: Trägt etwa die Hure Babylon auf dem Tier aus Apk 17 im sogenannten Septembertestament Luthers und in der durch Wolf gedruckten Bibel von 1596 eine Papstkrone (Tiara), so ist diese bei Emser geändert bzw. nicht vorhanden (Abb. 8 – 11).¹²³⁹ Emser hatte sich für sein Neues Testament von 1527 bemüht, ‚entschärfte‘ Motive des sogenannten Dezembertestaments zu verwenden.¹²⁴⁰ ein ordentliche abteilung aller Capiteln in gewisse Versicul/ sampt jedes Capitels außführlichen Summarien […]. Zürich 1596.  Auf diese und weitere Ausgaben weist auch Hofmann hin.Vgl. dazu Hofmann (s. Anm. 40), S. 325 – 327. Vgl. auch ebd., S. 325, Anm. 43 und ebd., S. 326, Anm. 49. Zur Vermittlung der Bilder über die Kopien von Hans Holbein d. J. vgl. ebd., S. 326. Hofmann schreibt: „[D]ie verkleinerten Kopien der 21 Cranachschen Holzschnitte […] waren zunächst bestimmt für das NT, das Thomas Wolf [auch: Wolff] bereits 1523 in Basel hat erscheinen lassen.“ Ebd.  Vgl. Luther (s. Anm. 1232), fol. aa 1v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Hh 5v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Rrr 3v. Dies gilt unter anderem auch etwa für die Darstellungen der Öffnung des fünften Siegels, vgl. Luther (s. Anm. 1232), fol. aa 6v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Ji 5v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Rrr 5v.  Vgl. die Darstellung der sechsten Posaune bei: Luther (s. Anm. 1232), fol. bb 5v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Kk 2v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Rrr 7r. Vgl. ferner die Holzschnitte zu Apk 12: Luther (s. Anm. 1232), fol. cc 2v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Kk 6v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Rrr 8v.  Vgl. Luther (s. Anm. 1232), fol. dd 4r; Emser (s. Anm. 1233), fol. Ll 6r; Emser (s. Anm. 1234), fol. J 3r; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Sss 2v.Vgl. auch Grisar und Heege (s. Anm. 1233), S. 38. Hier lässt sich zudem Kritik am Kaiser ausmachen, welcher auf der Darstellung der Hure huldigt. Vgl. Otto Böcher: Apokalyptische Strukturen in der Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. In: Endzeiten – Wendezeiten? Chiliasmus in Kirche und Theologie = Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte 69 (2000) (= Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 4), S. 1– 18, hier S. 12.Vgl. auch etwa die Darstellung der zwei Zeugen und des Tieres aus Apk 11 bei: Luther (s. Anm. 1232), fol. cc 1v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Kk 5r; Emser (s. Anm. 1234), fol. H 2v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Rrr 8r.  Vgl. Grisar und Heege (s. Anm. 1233), S. 38.

168

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Allerdings wurden (auch in der Ausgabe von 1528) einige Details wie etwa die monastische Kleidung eines der Tiere aus Apk 13 nicht geändert (Abb. 12). Möglicherweise waren Zeit und Geld knapp, oder die Details außer der Tiara wurden nicht als konfessionelle Polemik wahrgenommen.¹²⁴¹ In der Darstellung der Berichte aus Apk 18 sieht man in Luthers Neuem Testament 1522 die Stadt Rom brennen (1534 übrigens vermutlich Worms)¹²⁴², auch dies konnte in Emsers Ausgaben übernommen werden.¹²⁴³ Auch in weiteren im katholischen Milieu genutzten Bibelausgaben, etwa einer solchen von 1550 aus Köln, finden sich die ursprünglich für die Lutherbibel geschaffenen Motive.¹²⁴⁴ Während zu Apk 20 eine Darstellung des Engels mit Schlüssel zum Abgrund und der Bindung des Satans (Abb. 13) existiert¹²⁴⁵ und sich 1534 in der Lutherbibel auch eine Abbildung zu Gog und Magog (Apk 20,7– 10) findet¹²⁴⁶, gibt es in den hier verglichenen Bibelausgaben kein Bild des Jüngsten Gerichts (Apk 20,11– 15). Das Beispiel der Übernahme von Bibelillustrationen zeigt, wie eine Konfession etwas von der anderen in sich aufnimmt. Es kommt dazu, dass die Konfessionen (wenn auch unbeabsichtigt) Inhalte bzw. möglicherweise eine neu entstehende Tradition teilen.

 Vgl. Luther (s. Anm. 1232), fol. cc 4r; Emser (s. Anm. 1233), fol. Kk 8v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Sss 1r. Hier fehlt die Bekleidung jedoch. Vgl. auch Grisar und Heege (s. Anm. 1233), S. 38.  Abweichungen zeigen sich etwa hinsichtlich der Darstellung der Hintergrundlandschaft oder der Bauten, vgl. etwa die Abbildung zu Apk 18 exemplarisch bei: Luther (s. Anm. 1232), fol. ee 1r (hier brennt Rom, erkennbar an der Engelsburg); Emser (s. Anm. 1233), fol. Ll 7v; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Sss 3r.Vgl. weiter die Darstellung des neuen Jerusalems bei: Luther (s. Anm. 1232), fol. ee 4v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Nn 1r; Biblia (s. Anm. 1235), fol. Sss 5r. Vgl. dazu auch Böcher (s. Anm. 1239), S. 12.  Ähnliches gilt für die Darstellung Roms zu Apk 14.Vgl. Luther (s. Anm. 1232), fol. dd 1r; ee 1r; Emser (s. Anm. 1233), fol. Ll 2r; Ll 7v; demgegenüber Biblia (s. Anm. 1235), fol. Sss 1v; Sss 3r. Vgl. dazu auch Grisar und Heege (s. Anm. 1233), S. 38.  Vgl. ebd., S. 39. Die Autoren vermuten, die Anspielung auf Rom sei kein gravierendes Problem gewesen, da auch im katholischen Bereich den Bewohnern der Stadt Rom angesichts ihres lasterhaften Lebenswandels zwecks Besserung mit endzeitlicher Strafe gedroht werden konnte. Vgl. ebd. Vgl. auch Pfeiffer (s. Anm. 1231), S. 101– 103. Vgl. auch Hartmann (s. Anm. 998), S. 50 f.  Vgl. Luther (s. Anm. 1232), fol. ee 3v; Emser (s. Anm. 1233), fol. Mm 3v; Emser (s. Anm. 1234), fol. K 2v; anders Biblia (s. Anm. 1235), fol. Sss 4v.  Diese Bildkomposition enthält zudem Anspielungen auf die Belagerung Wiens durch die ‚Türken‘.Vgl. Böcher (s. Anm. 1239), S. 12.Vgl. zum Bildprogramm der Ausgaben von 1522 und 1534 auch Homeyer (s. Anm. 37), S. 40 – 42; 191– 230.

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

169

Abb. 2: Die Vision des Johannes von den sieben Leuchtern und dem Menschensohn, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1522:] Das Newe Testament Deůtzsch. [Übers. von Martin Luther]. Wittenberg 1522, fol. aa 1v.

170

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Abb. 3: Die Vision des Johannes von den sieben Leuchtern und dem Menschensohn, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1528:] Das New Testament/ So durch L. Emser säligen verteuscht/ vnd des Durchlewchten Hochgebornen Fursten vnd herren Herren Georgen hertzogen zu Sachssen etc. Regiment vnd priuilegio außgangen ist. Leipzig 1528, fol. Hh 5v.

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

171

Abb. 4: Die Vision des Johannes von den sieben Leuchtern und dem Menschensohn, Holzschnitt, in: Biblia: Das ist/ Alle Bücher Alts vnd Newes Testaments: den vrsprünglichen sprachen nach auff das trewlichst verteütschet/ vnnd jetzt von newem wider vbersehen. Darzů ist kommen ein ordentliche abteilung aller Capiteln in gewisse Versicul/ sampt jedes Capitels außführlichen Summarien […]. Zürich 1596, fol. Rrr 3v.

172

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Abb. 5: Die sechste Posaune. Die Würgeengel und Löwenreiter, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1522:] Das Newe Testament Deůtzsch. [Übers. von Martin Luther]. Wittenberg 1522, fol. bb 5v.

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

173

Abb. 6: Die sechste Posaune. Die Würgeengel und Löwenreiter, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1528:] Das New Testament/ So durch L. Emser säligen verteuscht/ vnd des Durchlewchten Hochgebornen Fursten vnd herren Herren Georgen hertzogen zu Sachssen etc. Regiment vnd priuilegio außgangen ist. Leipzig 1528, fol. Kk 2v.

174

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Abb. 7: Die sechste Posaune. Die Würgeengel und Löwenreiter, Holzschnitt, in: Biblia: Das ist/ Alle Bücher Alts vnd Newes Testaments: den vrsprünglichen sprachen nach auff das trewlichst verteütschet/ vnnd jetzt von newem wider vbersehen. Darzů ist kommen ein ordentliche abteilung aller Capiteln in gewisse Versicul/ sampt jedes Capitels außführlichen Summarien […]. Zürich 1596, fol. Rrr 7r.

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

Abb. 8: Die Babylonische Hure, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1522:] Das Newe Testament Deůtzsch. [Übers. von Martin Luther]. Wittenberg 1522, fol. dd 4r.

175

176

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Abb. 9: Die Babylonische Hure, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1527:] Das naw testament nach lawt der Christlichen kirchen bewerten text/ corrigirt/ vnd wider umb zu recht gebracht. [Bearb. der Übers. Martin Luthers durch Hieronymus Emser]. Dresden 1527, fol. J 3r.

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

177

Abb. 10: Die Babylonische Hure, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1528:] Das New Testament/ So durch L. Emser säligen verteuscht/ vnd des Durchlewchten Hochgebornen Fursten vnd herren Herren Georgen hertzogen zu Sachssen etc. Regiment vnd priuilegio außgangen ist. Leipzig 1528, fol. Ll 6r.

178

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Abb. 11: Die Babylonische Hure, Holzschnitt, in: Biblia: Das ist/ Alle Bücher Alts vnd Newes Testaments: den vrsprünglichen sprachen nach auff das trewlichst verteütschet/ vnnd jetzt von newem wider vbersehen. Darzů ist kommen ein ordentliche abteilung aller Capiteln in gewisse Versicul/ sampt jedes Capitels außführlichen Summarien […]. Zürich 1596, fol. Sss 2v.

5.5 Die Illustrationen zur Apk als Beispiel interkonfessioneller Übernahmen

179

Abb. 12: Das Tier aus dem Meer und das Tier aus der Erde, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1528:] Das New Testament/ So durch L. Emser säligen verteuscht/ vnd des Durchlewchten Hochgebornen Fursten vnd herren Herren Georgen hertzogen zu Sachssen etc. Regiment vnd priuilegio außgangen ist. Leipzig 1528, fol. Kk 8v.

180

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Abb. 13: Satan wird auf tausend Jahre gebunden, Holzschnitt, in: [Biblia, Neues Testament 1522:] Das Newe Testament Deůtzsch. [Übers. von Martin Luther]. Wittenberg 1522, fol. ee 3v.

5.6 Ausgewählte Beispiele der Auslegung von Apk 20

181

5.6 Ausgewählte Beispiele der Auslegung von Apk 20 im interkonfessionellen Vergleich Katholische, lutherische und reformierte Ausleger stehen in einer gemeinsamen Tradition und die Bezugnahme auf altkirchliche Exegese stellt grundsätzlich etwas Verbindendes dar. Die Gemeinsamkeiten der katholischen und protestantischen Apk-Exegese, auch in Form der Bezugnahme auf altkirchliche Auslegungstradition, hebt etwa Irena Backus besonders hervor. Backus untersucht in einer Studie zu diesem Thema Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Apk-Kommentaren von Calvinisten und Katholiken im 16. Jahrhundert (zur Zeit der Religionskriege in Frankreich).¹²⁴⁷ Ihre These lautet, dass die durch geteilte Tradition vorgegebenen Gemeinsamkeiten der Auslegungen die konfessionellen Spezifika und konfessionelle Polemik¹²⁴⁸ überwiegen.¹²⁴⁹ Zudem ist sie der Auffassung, dass Kommentarwerke weniger polemische Elemente enthalten als etwa Predigten.¹²⁵⁰ Was die Interpretation von Apk 20 betrifft, so stellt Backus fest, dass alle untersuchten Autoren über Konfessionsgrenzen hinweg darum bemüht sind, nicht als Chiliasten zu erscheinen, keine Terminspekulation zu betreiben und geistliche Deutungen des Reichs Christi anzubieten.¹²⁵¹ Autoren, auf welche frühneuzeitliche Ausleger in der Deutung der Apk zurückgreifen, sind Backus zufolge unter anderem Beda Venerabilis (ca. 672– 735) und Augustin – näherhin ist etwa das siebte Kapitel des zwanzigsten Buches von Augustins Schrift De Civitate Dei zu nennen.¹²⁵² Jedoch zeigt der Umgang der Exegeten verschiedener Konfession mit Augustins Werk De Civitate Dei exemplarisch, dass hierbei stärker differenziert werden sollte. Auffällig häufig beziehen sich etwa die katholischen  Vgl. Backus (s. Anm. 39), S. 5 f. Backus zieht dabei unter anderem auch die Auslegung von Apk 20 heran. Vgl. ebd., S. 8 – 10. Die calvinistischen Kommentare unterscheiden sich von den lutherischen oder von den Nachfolgern Zwinglis verfassten Auslegungen Backus zufolge etwa dadurch, dass weniger der Versuch unternommen wird, die in der Apk beschriebenen Geschehnisse auf historische Ereignisse bzw. Personen zu beziehen. Vgl. ebd., S. 8 sowie ebd., S. 8, Anm. 10.  Die Calvinisten werden beispielsweise von katholischen Autoren als endzeitliche Pseudopropheten bezeichnet, vgl. ebd., S. 6 f.  Vgl. etwa ebd., S. 6; 10 – 16.  Vgl. ebd., S. 7.  Teils werden die tausend Jahre verstanden als die Zeit vom ersten bis zum letzten Advent Christi bzw. bis zur Zukunft des Antichrists. Geistlich wird auch die tausendjährige Mitregentschaft aus Apk 20,4 gedeutet, nämlich als eine Seligkeit der wahren Christen in dieser Welt und (bis) in Ewigkeit. Vgl. ebd., S. 18. Die Dauer der Bindung des Satans wird entweder als die letzten tausend Jahre der Weltzeit oder als die Zeit der ersten tausend Jahre der Evangeliumsverkündigung verstanden, vgl. ebd., S. 18 f.  Vgl. ebd., S. 18.

182

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Ausleger Brás Viegas (1553 – 1599) und Luis de Alcázar (1554 – 1613) in ihren Kommentaren auf Augustins zwanzigstes und einundzwanzigstes Buch des Werks De Civitate Dei, die beide für die Auslegung von Apk 20 bzw. für die Thematik des Jüngsten Gerichts relevant sind – bei Alcázar sind es für Apk 20 neun Male¹²⁵³. Die Wertschätzung, die Chyträus Augustins Auslegung von Apk 20 zweifelsohne entgegenbringt, lässt sich am Schluss seiner Exegese ausmachen, da er den Lesern die Lektüre des zwanzigsten und einundzwanzigsten Buchs von De Civitate Dei empfiehlt.¹²⁵⁴ Allerdings ist dies der einzige explizite Bezug auf dieses Werk Augustins in Chyträus‘ Auslegung von Apk 20. Der Lutheraner führt den Kirchenvater einmal als Gewährsmann dafür an, dass über die novissima nicht zu sehr spekuliert werden solle¹²⁵⁵, und verweist auf Augustin im Kontext der Frage, ob die Hölle ein zu verortender Platz sei¹²⁵⁶ – allerdings ist dabei nicht die Schrift De Civitate Dei im Blick. Implizit gibt es Ähnlichkeiten mit dem siebten Kapitel des zwanzigsten Buchs des Gottesstaates, wenn etwa Cramer, der nicht explizit Bezug auf Augustins Buch nimmt, die tausend Jahre (Apk 20,2– 7) nicht zwangsläufig wörtlich, sondern als sehr lange Zeit versteht.¹²⁵⁷ Augustin selbst stellt zwei Deutungsmöglichkeiten nebeneinander. Zum einen könne man die tausend Jahre als Bezeichnung der verbleibenden Jahre vor dem Weltende verstehen: Die Dauer des Bestehens der Welt vor der Ewigkeit wird mit sechstausend Jahren angegeben. Die tausend Jahre bedeuten dabei die verbleibende Anzahl der Jahre des letzten Jahrtausends der Weltgeschichte. Zum anderen könne die Tausendzahl hier für die Gesamtheit der Zeit stehen.¹²⁵⁸ Es zeigt sich also, dass Kenntnis von und Bezüge auf Augustins Werk nicht zu einer unterschiedslosen Auslegung des biblischen Textes führen. Weiterhin gilt meines Erachtens, dass Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie konfessionelle Abgrenzungen in den Auslegungen einander nicht ausschließen. Zudem wäre es falsch, den Rückgriff auf die gemeinsame Tradition zu sehr hervorzuheben und alle Polemik sowie die bleibenden Unterschiede zwischen den Konfessionen auszublenden. Zwar ist Polemik gegen andere Konfessionen nicht die Hauptintention der Apk-Kommentare, doch zeigen sich polemische Passagen immer wieder. Backus selbst sieht die schärfste konfessionell bedingte Polemik in den von ihr untersuchten Texten in der Kommentierung von Apk 13. Implizit und explizit werden die im biblischen Text erwähnten beiden apokalyptischen Tiere seitens der Protestanten mit Islam und

     

Siehe dazu unten Anm. 1440. Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Jjj 1r. Vgl. ebd., fol. Hhh 2v. Vgl. ebd., fol. Hhh 4v. Vgl. Cramer (s. Anm. 1094), fol. 82r–82v. Siehe oben Anm. 1218.

5.6 Ausgewählte Beispiele der Auslegung von Apk 20

183

Papsttum identifiziert, und die Katholiken bezeichnen die Gegenseite wiederum als Irrlehrer und weisen die protestantische Polemik, Antichrist und Papsttum¹²⁵⁹ zu verbinden, zurück. Anhänger Luthers, Johannes Calvins (1509 – 1564) oder Mohammeds (ca. 570 – 632) werden gleichgesetzt mit jenen, die dem Drachen huldigen.¹²⁶⁰ Konfessionsübergreifend wiederum wird in der Apk-Auslegung der Islam von Katholiken sowie lutherischen und reformierten Protestanten als widerchristliche Macht dargestellt.¹²⁶¹ Auch „[d]ie Erwartung, daß den islamischen Mächten nur eine tausendjährige Herrschaftszeit (Apk 20, 2 f.7) beschieden sei, teilten Protestanten und Katholiken“¹²⁶². Es ist den Protestanten lutherischer und reformierter Provenienz gemeinsam, dass diese in der Auslegung der Apk den Antichrist mit dem Papst(tum) identifizieren¹²⁶³ und eine historische Deutung von Apk 20,1– 10 vertreten.¹²⁶⁴ Diese antipäpstliche Polemik hat ihre Wurzeln jedoch bereits im Mittelalter.¹²⁶⁵ Im 13. Jahrhundert titulierten sich Kaiser und Papst gegenseitig als Antichrist.¹²⁶⁶ Die Franziskaner-Spiritualen wie zum Beispiel Petrus Johannis Olivi (ca. 1247– ca. 1296)¹²⁶⁷ oder Petrus von Fossombrone (auch Angelus Clarenus, ca. 1250 – 1337)¹²⁶⁸ richten sich mit dem Begriff des Antichrists gegen Päpste, die

 Backus vertritt zudem die Auffassung, den Papst mit dem Antichrist zu identifizieren, enteschatologisiere die Vorstellung vom Antichrist allgemein. Vgl. Backus (s. Anm. 39), S. 18. M. E. werden andererseits die konfessionellen Auseinandersetzungen auf diese Weise geradezu eschatologisch aufgeladen.  Vgl. ebd., S. 17 f.  Vgl. ebd., S. 14; 16 f. Zum Topos der ‚Türken‘ als antichristlicher Bedrohung (in der Auslegung apokalyptischer Texte) vgl. auch Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 92 f.  Ebd., S. 95.  Nicolai etwa unterscheidet die großen Antichristen (Mohammed und Papst) von den kleinen Antichristen (allerlei Irrlehrer bzw. Häresien, welche erst am Jüngsten Tag überwunden sein werden). Vgl. etwa Nicolai (s. Anm. 1212), S. 64– 126; 182– 196 (Teil 1). Vgl. dazu auch etwa Kunz (s. Anm. 23), S. 59. Zum Antichrist vgl. auch Leppin (s. Anm. 36), S. 206 – 243. Zu Zwinglis Polemik gegen den Papst mit Verweis auf den Antichrist vgl. überdies etwa Kunz (s. Anm. 23), S. 28. Zu Calvin vgl. ebd., S. 37.  Vgl. etwa Böcher (s. Anm. 1090), S. 1.  Vgl. etwa Lohse (s. Anm. 72), S. 354. Vgl. weiter Leppin (s. Anm. 36), S. 207– 211. Die alte Legende vom Antichrist war im katholischen Milieu ebenfalls bekannt und gelegentlich wurde sogar das Auftreten des Antichrists vorausgesagt, vgl. dazu ebd., S. 211– 214. Zu den mittelalterlichen Antichrist-Vorstellungen vgl. auch Angenendt (s. Anm. 23), S. 717– 719.  Vgl. etwa auch Gustav Adolf Benrath: Art. Antichrist. III. Alte Kirche und Mittelalter. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 3 (1978), S. 24– 28, bes. S. 27.  Vgl. etwa Williams (s. Anm. 454), S. 515 – 517.  Vgl. Böcher (s. Anm. 1239), S. 10 f.

184

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

ihnen kritisch gegenüberstanden, etwa Bonifaz VIII. (1294– 1303).¹²⁶⁹ Der Franziskaner-Spirituale Ubertin von Casale (1259–ca. 1328) polemisiert in seinem Werk arbor vitae gegen Bonifaz VIII. und Benedikt XI. (1303 – 1304) als antichristliche Mächte.¹²⁷⁰ Auch Johannes XXII. (1316 – 1334) wurde als Antichrist geschmäht.¹²⁷¹ Die Reformatoren und ihre Erben übernahmen diese Polemik aus vorreformatorischer Zeit bzw. griffen sie für die Auseinandersetzung mit den Altgläubigen wieder auf.¹²⁷² Die Katholiken bezeichneten die Protestanten hingegen etwa als Vorläufer des Antichrists.¹²⁷³

5.7 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas als Beispiele für katholische Exegese von Apk 20 Polemik gegen die andere Konfession findet sich in der Auslegung von Apk 20 jedoch keineswegs nur bei protestantischen Autoren. Der Jesuit Luis de Alcázar etwa polemisiert in seiner Auslegung von Apk 20 gegen die calvinistischen Ausleger bzw. Auslegungen¹²⁷⁴ und in den Commentaria in Apocalypsin ¹²⁷⁵ des belgischen Jesuiten Cornelius a Lapide (auch van den Steen, 1567– 1637) wird die Auslegung eines gewissen „Anglo-Caluinista“¹²⁷⁶ – gemeint ist vermutlich der

 Vgl. Martin George: Vom Kommen des Antichrist: Endzeitfurcht und Endzeitsehnsucht in 2000 Jahren Christentum. In: Endzeiten – Wendezeiten. Hrsg. von Rupert Moser und Sara Margarita Zwahlen. Bern u. a. 2004 (= Collegium Generale. Universität Bern. Kulturhistorische Vorlesungen 100), S. 27– 64, hier S. 49. Vgl. weiter Backus (s. Anm. 39), S. 5; Vgl. auch ebd., S. 8. Dort findet sich zudem der Hinweis auf die Anknüpfungspunkte für anti-römische Polemik in der Apk. Vgl. weiter Backus (s. Anm. 40), S. xviii.Vgl. überdies Heiko Augustinus Oberman: Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel. Berlin 1982, S. 65 – 69.  Vgl. dazu Jörg Oberste: Dantes Päpste. Die „Commedia“ und der kirchenkritische Diskurs des späteren Mittelalters. In: Die sprachliche Formierung der politischen Moderne. Spätmittelalter und Renaissance in Italien. Hrsg. von Oliver Hidalgo und Kai Nonnenmacher. Wiesbaden 2015 (= Politisches Denken und literarische Form o. Nr.), S. 125 – 154, hier S. 137 und S. 137, Anm. 47.  Vgl. Böcher (s. Anm. 1239), S. 11.  Vgl. Lohse (s. Anm. 72), S. 354. Vgl. einleitend Horst Seebaß: Art. Antichrist. IV. Reformations- und Neuzeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 3 (1978), S. 28 – 43, bes. S. 28 – 36.  Vgl. etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 15. Vgl. auch Smolinsky (s. Anm. 37), S. 31– 33.  Siehe unten S. 201.  Vgl. Cornelius a Lapide: COMMENTARIA IN APOCALYPSIN S. IOHANNIS APOSTOLI. In: Ders.: COMMENTARIA IN ACTA APOSTOLORVM, EPISTOLAS CANONICAS, ET APOCALYPSIN. […]. Antwerpen 1627. Urs Herzog zufolge waren Kommentarwerke wie dieses für katholische Prediger der Barockzeit eine wichtige Quelle zum Erstellen der Predigten, vgl. Herzog (s. Anm. 44), S. 201.  Lapide (s. Anm. 1275), S. 306.

5.7 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas

185

Schotte John Napier (1550 – 1617)¹²⁷⁷ – zurückgewiesen, der zufolge die Papstkirche seit dem Ende des Millenniums vom Antichrist beherrscht wird.¹²⁷⁸ Dabei versucht Lapide unter anderem, die Deutung, der Text von Apk 20 sei auf Personen und Ereignisse der (Vor‐)Reformationszeit zu beziehen, als widersprüchliche Irrlehre zu erweisen.¹²⁷⁹ Luther und Calvin werden zwar genannt, die lutherische Position wird jedoch nicht eigens abgehandelt oder widerlegt. Dem protestantischen Gegner wird zudem vorgeworfen, er lasse in seiner Konzeption tausend Jahre der Herrschaft der wahren, protestantischen Kirche noch einmal auf die bereits vergangenen tausend Jahre folgen, was in dieser Doppelung dem biblischen Text und der rechten katholischen Glaubenslehre völlig widerspräche. Weitere Kritik folgt, etwa an Terminspekulationen des Gegners¹²⁸⁰, wodurch der Protestant zum Falschpropheten wird.¹²⁸¹ Ferner kritisiert und verspottet der Katholik auch die protestantische Naherwartung, verbunden mit dem Ende des Papsttums, wenn er anschließend eine Aussage Luthers als offensichtlich nicht eingetroffen herausstreicht und den Reformator als ‚irrsinnigen‘ Irrlehrer schmäht.¹²⁸²

 Vgl. John Napier: A PLAINE DIScouery of the whole Reuelation of Saint Iohn: set downe in two treatises […]. Edinburgh 1593.  Vgl. Lapide (s. Anm. 1275), S. 306.  Vgl. ebd. Dort heißt es etwa: „Secundò, asserit [gemeint ist der besagte Gegner] resurrectionem primam factam esse à Iohanne Wiclef, & similibus, qui pariter Anglus anno Domini 1300. (sed errat: Wiclef enim coepit anno 1352.) papatui se opposuit, & veram fidem Ecclesiae restituit. Itáne Caluinistae transformant se in Hussitas & Wiclefitas? Prorsus: nescientes enim & inuiti hîc verum dicunt. Nam si conferas articulos Wiclef, quos recitat Prateolus libr. 10. Waldens. & alij, cum articulis Lutheri & Caluini; clarè videbis hos ab illo harerses suas emendicasse, adeoque lutheranismum & caluinismum non esse aliud, quàm antecedentium haeresum, in Conciliis Romano & Constantiensi damnatarum, redulcerationem & restitutionem.“ Ebd.  Solche Polemik findet sich auch bei anderen katholischen Autoren. Vgl. etwa Smolinsky (s. Anm. 37), S. 12– 16; 29 u. ö. Auch ein katholischer Autor konnte laut Smolinsky Überlegungen zum Termin des Weltendes anstellen, vgl. ebd., S. 33. Ferner benennt Smolinsky die Kalenderreform bzw. Einführung des gregorianischen Kalenders als Gegenstand interkonfessioneller Auseinandersetzungen – die Lutheraner lehnten den neuen Kalender, welchen sie als konfessionell (nämlich katholisch) markiert ansahen, zunächst als antichristliches Produkt ab. Vgl. dazu ebd., S. 18 – 27 u. ö.  Vgl. zur gesamten Auseinandersetzung mit diesem Kommentar Lapide (s. Anm. 1275), S. 305 – 307. Mit dem biblischen locus Mt 16,18 soll die Aussage des Bestehens der Papstkirche bis zum Jüngsten Tag gestützt werden. Vgl. ebd., S. 307.  „Nouantes enim vt amantes sibi somnia fingunt, dum pontificatus ruinam, quam adeò optant, imminere augurantur. Didicerunt id à parente suo Luthero, cuius hoc oraculum fuit, aequè ac votum: Pestis eram viuens, moriens ero mors tua Papa. Verùm falsus est, & fefellit impostor. Iam pridem enim mortuus est Lutherus, & tamen viuit, viuetque Papa: sed nimirum eum dementauerat, & cerebro orbauerat amor haeresis & libertatis, indeque consequens odium Papae

186

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Cornelius a Lapide schuf ein prominentes exegetisches Oeuvre, welches auch jenen Kommentar zur Apk enthält. Das Millenniumsreich wird darin nicht als ein zukünftig-irdisches verstanden.¹²⁸³ Die irdische Kirche bleibt ihm zufolge unvollendet bis zum Jüngsten Tag.¹²⁸⁴ Als Problem sieht er zudem die millenaristische Vorstellung, mit dem Ende des Antichrists begännen die tausend Jahre eines irdischen Reiches Christi und der Heiligen (samt erster leiblicher Auferstehung), wie zwar Tertullian (ca. 150–ca. 220) oder Irenäus, doch auch Häretiker wie Kerinth bereits früh fälschlicherweise lehrten.¹²⁸⁵ In seiner Kritik an Kirchenvätern bzw. Tradition ist Lapide meines Erachtens weniger scharf als ein Protestant es wäre und beruft sich auf katholische Konzilien als Autoritäten.¹²⁸⁶ Für den wissenschaftlichen Diskurs bezieht sich Lapide nur auf katholische Exegeten.¹²⁸⁷ Überdies betont Lapide wie die orthodoxen Lutheraner, dass es auf die Fragen nach den Eschata in dieser Welt keine sicheren Antworten geben kann.¹²⁸⁸ Der Jesuit ist vertraut mit dem Denkmodell, dass die Bindung des Satans mit der sogenannten Konstantinischen Wende begonnen haben soll.¹²⁸⁹ Das gerechte Endgericht Christi wird Lapide zufolge einen doppelten Ausgang haben und ein Gericht nach den Werken sein. Als Universalgericht betrifft es jedes Individuum, ohne Ansehen der Person.¹²⁹⁰ Den Engel aus V. 1 deutet er mit Augustin und anderen Auslegern auf Christus¹²⁹¹, die tausend Jahre werden amillenaristisch als sehr lange Zeit bzw. entsprechend Augustins Vorschlag als „numerus perfectus“¹²⁹² verstanden, näherhin als Zeit der streitenden Kirche bis zum endzeitlichen Auftreten des Antichrists, der im Unterschied zu den Protestanten als noch nicht geoffenbart gilt.¹²⁹³ Allenthalben fällt der kundige, minutiöse Gebrauch der Tra-

& papatus.“ Ebd. Zum Luther zugeschriebenen Ausspruch vgl. etwa Kaufmann: Konfession und Kultur (s. Anm. 35), S. 210 f., bes. S. 210, Anm. 10.  Vgl. Lapide (s. Anm. 1275), S. 302. Lapide diskutiert auch Modelle, die tausend Jahre auf andere Weisen zu verstehen, zeigt sich dabei jedoch zurückhaltend. Vgl. ebd., S. 305 f.  Vgl. ebd., S. 309.  Vgl. ebd., S. 304 f.  Vgl. ebd., S. 305.  Vgl. etwa ebd., S. 303 u. ö.  Vgl. ebd., S. 305.  Vgl. ebd., S. 302 f.  „[S]olum ius atque aequitas, vt vnusquisque secundùm propria ipsius opera iudicetur.“ Ebd., S. 315. Vgl. auch ebd.  Vgl. ebd., S. 303.  Ebd.  Vgl. ebd. Vgl. zu diesem Unterschied zwischen den Konfessionen auch Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 96. Vgl. auch Leppin (s. Anm. 36), S. 103 – 107. Das Papsttum als antichristliche Macht zu bezeichnen mag allerdings für die Lutheraner auch eine identitätsstärkende

5.7 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas

187

dition bzw. der Schriften der altkirchlichen Ausleger auf. Apostel und Märtyrer, die „animas decollatorum propter testimonium Iesu, & […] qui non adorauerunt bestiam“¹²⁹⁴ sieht Lapide auch im Gerichtsprozess beteiligt: „Deo quasi assidentes, […] à Deo creati & destinati sunt iudices, vt cum Christo in die iudicij iudicent orbem. Habent ergo nunc potestatem iudiciariam quasi in actu primo, sed eius vsum & actum secundum exercebunt in die iudicij.“¹²⁹⁵ Bemerkenswert ist, wie Lapide die historisch bedingten Motive des Verfassers der Apk in Bezug auf das Gericht zu beschreiben versucht: „Solet enim Iohannes Martyres & fideles in persecutione consolari, refricando eis memoriam & spem iudicij, in quo ipsi qui iniustè hîc iudicati sunt, suos iudices & praesides à quibus damnati sunt, iudicabunt“¹²⁹⁶. Die erste Auferstehung und den ersten Tod interpretiert Lapide geistlich, die zweite Auferstehung oder der zweite Tod führen in ewiges Leben oder ewige Verdammnis.¹²⁹⁷ Hier stimmt der Katholik grundsätzlich mit den orthodoxen Protestanten überein. Wie die Autoren der anderen Konfessionen kennt auch Lapide Denkmodelle, die die Kämpfe gegen die islamische Welt mit dem Text der Apk verbinden.¹²⁹⁸ Als Jesuit hat Lapide die Mission besonders im Blick. So geht er etwa auf die Verkündigung des Evangeliums in China oder Indien ein, welche ihm zufolge dem Endgericht vorausgeht.¹²⁹⁹ Eine gesteigerte Naherwartung herrscht bei Lapide nicht vor¹³⁰⁰, doch präsentiert er diese Mission durchaus als Ereignis der letzten Zeiten: „[V]idemus Euangelium praedicari in China, Iapone, Indiis, […] adeoque totum orbem peruasisse. Ergo finis mundi aduentat.“¹³⁰¹ Man könnte sagen, ein gewisses Endzeitbewusstsein ist konfessionsübergreifend vorhanden¹³⁰², doch wird dies in den katholischen Auslegungen weniger betont und – wie der Bezug

Funktion haben, vgl. dazu etwa Pohlig (s. Anm. 38), S. 292. Vgl. weiter Leppin (s. Anm. 36), S. 229 – 237.  Lapide (s. Anm. 1275), S. 307.  Ebd.  Ebd., S. 309.  Dabei bezieht er sich auf Jes 26,14.19 f. Vgl. ebd. Es folgen andere, historisierende Deutungen, die der Autor nicht teilt.Vgl. ebd., S. 309 f.Vgl. auch ebd., S. 313. Hier nimmt Lapide zudem wieder Bezug auf Augustin.  Vgl. ebd., S. 310.  Vgl. ebd., S. 311.  Vgl. ebd.  Ebd. Er verweist dort auch auf Mt 24,14. Andererseits kann bei den Katholiken die Tatsache, dass noch nicht aller Welt das Evangelium verkündigt wurde, auch als Argument gegen die Nähe des Weltendes herangezogen werden, vgl. Smolinsky (s. Anm. 37), S. 18.  Vgl. zu den Zeichen der Endzeit in Lapides Kommentar etwa Lapide (s. Anm. 1275), S. 312 f.

188

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

auf die (jesuitische) Mission zeigt – in der Beschreibung unterschiedlich akzentuiert. Es mag als ein erwähnenswertes Beispiel von Interkonfessionalität bezeichnet werden, dass Philipp Nicolai im ersten Buch seiner Schrift über das Reich Christi¹³⁰³ die katholische Welt-Mission in gewisser Weise würdigt: Zwar berichtet Nicolai im weiteren Verlauf des Textes über Gräueltaten katholischer Missionare¹³⁰⁴ und beschreibt das Papsttum als antichristliche Macht¹³⁰⁵, doch begrüßt er die Ausbreitung des Christentums in den außereuropäischen Regionen¹³⁰⁶ und vertritt die Ansicht, dass aufgrund der Mission der Katholiken die Grundlagen des Christentums (etwa die Sakramente) zu den Völkern gebracht werden, auch wenn die christliche Lehre äußerlich von katholischer Lehre ‚überdeckt‘ sein mag.¹³⁰⁷ Augustin wird von Lapide als Gewährsmann für die begrenzte und fortgeschrittene Dauer der Weltzeit angeführt.¹³⁰⁸ Lapide spricht gar von einem Konsens über das Christentum hinaus.¹³⁰⁹ Rechnungen, die den Termin des Weltendes erweisen sollen, werden vorgestellt¹³¹⁰, doch als Spekulationen zurückgewiesen. Wie die Protestanten verweist Lapide dafür auf die loci classici Apg 1,7 und Mk 13,32, ergänzt jedoch um den Hinweis, dass auch die katholische Tradition solche Terminberechnungen verbiete.¹³¹¹ Ähnlich der protestantischen Auslegung mahnt Lapide angesichts der Plötzlichkeit des Kommens Christi am Jüngsten Tag zu geistlich-wachsamem Leben sowie Einschränkung der Weltliebe.¹³¹² Das Feuer vom Himmel (V. 9) könne, so Lapide, auch geistlich verstanden werden, doch sind ihm zufolge Vernichtung der widerchristlichen Kräfte am Ende der Welt vor dem

 Vgl. Nicolai (s. Anm. 1212), S. 1– 196 (Teil 1). Vgl. dazu auch Steinmeier-Kleinhempel: Die Einheit Gottes (s. Anm. 32), S. 21 f.  Vgl. etwa Nicolai (s. Anm. 1212), S. 178 (Teil 1).  Vgl. etwa ebd., S. 64– 126 (Teil 1). Vgl. zu Nicolais interkonfessioneller Polemik gegen Katholiken und Reformierte auch ebd., S. 265 (Teil 2) u. ö. sowie ebd., S. 487– 496 (Teil 2) – hier finden sich zudem obrigkeitskritische Äußerungen Nicolais.  Die (inter‐)konfessionellen Streitigkeiten sollen angesichts der globalen Perspektive nicht in den Blick genommen werden. Vgl. ebd., S. 2 f. (Teil 1).  Vgl. ebd., S. 1 f.; 32– 36 (Teil 1). Zu Nicolais Interesse an der weltweiten Mission vgl. auch Willy Hess: Das Missionsdenken bei Philipp Nicolai. Hamburg 1962 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs 5). Das göttliche Angebot des Heils gilt Nicolai zufolge auch allen Heiden, vgl. etwa ebd., S. 85 f.  Vgl. Lapide (s. Anm. 1275), S. 311 f.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 312.  Vgl. ebd.  Dabei verweist er auf 1Joh 2,15; 2Petr 3,8. Vgl. ebd., S. 313. Vgl. zum Kontext auch ebd., S. 310 – 313.

5.7 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas

189

Endgericht und ewige Verdammnis wörtlich gemeint.¹³¹³ Die Höllenqual mit „nox perpetua“¹³¹⁴ wird als ewig beschrieben.¹³¹⁵ Das Fliehen der Erde (V. 11) deutet Lapide mit Viegas und anderen auf die Neuschöpfung.¹³¹⁶ Anders als in den herangezogenen Auslegungen protestantischer Autoren befassen sich die katholischen Exegeten wie Lapide im Kontext der Interpretation von V. 12 mit der Frage nach dem Schicksal von Kindern im Jüngsten Gericht: „Hinc aliqui probant infantes affore in iudicio, ibique iudicandos esse. Verùm […] pusillos, […] id est paruos, tum aetate & statura, vti sunt pueri decem vel quatuordecim annorum“¹³¹⁷. Allerdings teilt Lapide die Einschätzung nicht, die Kleinen (im Gegensatz zu den Großen) aus V. 12 auf Kinder zu deuten, sondern interpretiert das Begriffspaar dahingehend, dass im Endgericht Menschen von geringem und hohem Stand gleichermaßen erscheinen müssen und nach den Werken beurteilt werden.¹³¹⁸ Zum Buch des Lebens und den anderen Büchern (V. 12) stellt der Jesuit einige Deutungen vor. Das eine Buch des Lebens könne so interpretiert werden, dass in diesem die wenigen Seligen verzeichnet sind, während die Listen mit Namen der Verdammten mehrere Bücher füllen, da nach Mt 7,13 viele auf dem Weg zur Verdammnis sind. Lapide präferiert die Auslegung, dass es sich bei den Büchern um Verzeichnisse aller Taten der Menschen handelt. Gott weiß in seiner omniscientia um all diese Aktionen – somit werden auch alle Untaten aufgearbeitet werden.¹³¹⁹ Ohne langwährende Erläuterungen, wie sie menschlicher Rede eignen, wird Lapide zufolge allen ihr Urteil auf übernatürliche Weise gänzlich klar werden, „quomodo […] S. Benedictus spiritu eleuatus, vidit totum mundum quasi in globo in radijs solaribus collectum“¹³²⁰.¹³²¹ Auch die Relevanz von Dan 7 für die Thematik des Jüngsten Gerichts erwähnt Lapide in diesem Kontext.¹³²² Lapide greift auch den Gedanken auf, dass im Zuge des Endgerichts die Heiligen ihren Lohn

 Vgl. ebd., S. 314 f. Vgl. zur Auslegung von Apk 20,9 auch ebd., S. 227 f.  Ebd., S. 315.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Ebd.  Vgl. ebd., S. 315 f.  Vgl. ebd., S. 316. Zum Buch des Lebens schreibt Lapide: „[L]iber vitae est liber praedestinationis Dei, in quo omnes & soli conscripti sunt ij, qui destinati & electi sunt ad vitam aeternam, idque efficaciter, vtpote iam vita peracta, & operibus cuiusque per mortem consummatis.“ Ebd., S. 317. Und „est liber Dei, qui componendus est & coaequandus cum libris apertis singulorum, id est cum conscientijs hominum“. Ebd.  Ebd., S. 316.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.

190

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

erhalten werden.¹³²³ Zum Gericht nach den Werken (V. 12 f.) wird nicht auf die Kontroverse zwischen Protestanten und Katholiken eingegangen.Vielmehr vertritt Lapide hier die Ansicht, dass nur zurechnungsfähige Erwachsene, keine Kinder (insbesondere keine Säuglinge), gemeint sind, da nur die Erwachsenen nach den Werken gerichtet werden würden: „[N]on de paruulis, qui […] mereri vel demereri nequeunt. Paruuli enim mortui cum baptismo, hoc ipso adiudicantur caelo; sine baptismo, inferno, id est limbo.“¹³²⁴ Dabei begegnet die von den Protestanten nicht geteilte Vorstellung eines limbus infantium für ungetauft gestorbene Kinder. Lapide referiert Interpretationen für das Hervorgehen von Toten (V. 13): Arethas, auf den auch der Katholik Bezug nimmt, deute dies etwa auf verschiedene Todesarten (etwa Ertrinken oder Verbrennen). Lapide hebt die Schrecklichkeit des Meeres sowie den Paarcharakter von Tod und Hölle hervor.¹³²⁵ Zudem begegnet der Hinweis, das Meer werde gemäß Apk 21,1 ins Nicht-Sein übergehen, anders als Tod und Infernum. An der Ewigkeit der Höllenqualen hält Lapide fest¹³²⁶ und leitet aus Apk 20,15 den doppelten Ausgang her.¹³²⁷ Darauf folgen Ausführungen über das übernatürliche und grausame Straf-Feuer und den Schwefel der Hölle.¹³²⁸ Zudem kann Lapide auch sagen, „Supplicium enim peccatorum, est genus quoddam expiationis & purgatoris“¹³²⁹.Vom Purgatorium ist indes nicht die Rede, stattdessen verbindet Lapide in geradezu paradoxer Weise den Bildbereich des Opfers mit der Höllenstrafe: „[E]ritque tota illa iniquorum congeries ardens quasi victima Deo, & holocaustum pro peccato: quod sacrificium numquam complebitur, sed semper peragetur coram Domino & omnibus Sanctis; sicut ipsum peccatum semper expiabitur, & numquam erit expiatum.“¹³³⁰ Wiewohl eine Linderung der Höllenqual laut Lapide unmöglich ist, stellt er gewisse Grade des Leids nach Maß der Sünden in Aussicht.¹³³¹ Am Ende wird der christliche Leser direkt und eindringlich angesprochen: „Haec lege, relege, rumina & pondera quotidie ô Christiane.“¹³³² Durch den Eindruck der Höllenschrecken soll der Christ, welchem

 Vgl. ebd., S. 317.  Ebd. Lapide gibt ebenfalls die Möglichkeit zu bedenken, dass die Kinder entweder nach den Verdiensten Christi gerichtet werden könnten, wenn sie getauft waren (so kämen sie in den Himmel), oder nach der verdammlichen Erbsünde, wenn sie ungetauft waren (dann hätten sie die Hölle zu erwarten). Später verweist Lapide auch auf Bellarmin. Vgl. ebd., S. 317 f.  Vgl. ebd., S. 317.  Vgl. ebd., S. 317 f.  Vgl. ebd., S. 318.  Das Grauen wird dabei durchaus erwähnt, vgl. ebd.  Ebd.  Ebd.  Vgl. ebd.  Ebd., S. 319.

5.7 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas

191

empfohlen wird, des Endgerichts stets eingedenk zu sein, zu rechtem Lebenswandel angeleitet werden, um im Jüngsten Gericht, da alles offenbar wird, nicht auf der Seite der Verdammten zu stehen.¹³³³ Dabei verbleibt der Autor nicht in einer neutral-theologischen Exegese der Verse, sondern lässt die Auslegung kulminieren in der ethischen Anwendung, die dem affektiv berührten Leser als „remedium“¹³³⁴ gegen die Schrecken der Hölle präsentiert wird. Auch im Kommentar des portugiesischen Jesuiten Brás Viegas¹³³⁵ wird zu Beginn der Auslegung wie bei Lapide und Chyträus der Engel mit dem Schlüssel (Apk 20,1) auf Christus gedeutet. Ebenso weist Viegas auf Augustins De Civitate Dei, Buch 20, hin und zitiert diesen Kirchenvater häufig, wenngleich er diesem nicht in allen Punkten folgt.¹³³⁶ Das Millennium währt Viegas zufolge von Christi Tod bis zum Auftreten des Antichrists, amillenaristisch gelten die tausend Jahre dabei nicht als feste Zahl, sondern einem der Vorschläge Augustins folgend als „numerus perfectionis“¹³³⁷ und Zeit für die verbleibende Weltzeit bis zu jenem endzeitlichen Erscheinen des Widerchrists.¹³³⁸ Die Chiliasten mit ihrer Lehre eines irdischen tausendjährigen Reichs werden als Häretiker verurteilt. Namentlich herausgehoben wird, wie beim Lutheraner Cramer, Kerinth.Wieder bezieht Viegas sich dabei auf De Civitate Dei 20,7 sowie auf Eusebius (ca. 260–ca. 340).¹³³⁹ Gog und Magog bezieht Viegas mit Kenntnis der altkirchlichen Auslegungen (wiederum auch Augustins) auf eine Gruppe von Menschen, die dem Jesuiten zufolge am Weltabend zum Aggressor wird, wobei diese Völker als „par[s] pro toto“¹³⁴⁰ die Schar der Feinde der Christen am Ende der Welt aus Menschen aller Herren Ländern bezeichnet.¹³⁴¹ Konkrete Identifikationen mit Personen oder Ereignissen im Zusammenhang mit der Reformation finden sich hier indes nicht. Das Feuer (V. 9) hält auch Viegas für keine uneigentliche Redeweise.¹³⁴² Bezugnahmen auf andere Konfessionen fehlen möglicherweise auch deshalb, weil Viegas sich nach

 Vgl. ebd.  Ebd.  Vgl. Brás Viegas: IN APOCALYPSJM JOANNIS APOSTOLI COMMENTARII exegetici. […]. Köln 1603.  Vgl. etwa ebd., S. 790.  Ebd., S. 786.  Die Fähigkeit des Satans, Menschen zu verführen, besteht laut Viegas in Bezug auf die Ungläubigen weiterhin, wofür er wiederum auf Augustin verweist. Vgl. ebd., S. 786 f.  Vgl. ebd., S. 787 f. Die Beschäftigung mit der Frage der Stellung der Kirchenväter Tertullian und Irenäus zum Chiliasmus ist m. E. bei katholischen Auslegern von größerem Interesse als bei den Protestanten.  Ebd., S. 788.  Vgl. auch ebd., S. 796 f.  Vgl. ebd., S. 788 f.

192

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

katholischem Selbstverständnis ohnehin als Teil der einen wahren Kirche versteht.¹³⁴³ Viegas stellt Augustins Einschätzung vor, das Gericht in V. 4 sei nicht das Jüngste Gericht (nach De Civitate Dei 20,9), „sed iudicio, quod nunc exercent in Ecclesia Praelati Ecclesiastici, quibus à Christo datum est iudicium ligandi, atque soluendi“¹³⁴⁴. Die in V. 4 beschriebene Herrschaft wird von Viegas geistlich ausgelegt als eine solche „in caelo cum Christo per visionem beatificam“¹³⁴⁵.¹³⁴⁶ Im Gegensatz zur Interpretation des Kirchenvaters allerdings geht es Viegas zufolge durchaus um das Letzte Gericht.¹³⁴⁷ Die Verdammten, die „in lethali peccato obierunt“¹³⁴⁸, werden zwar an der allgemeinen Auferstehung teilhaben, so Viegas, jedoch zum ewigen Tod mit Leib und Seele verdammt werden, wobei die Nennung der Todsünden spezifisch katholisch ist.¹³⁴⁹ In diesem Kontext findet sich zudem unter Berufung auf Augustin die Aussage, die erste Auferstehung sei geistlich zu verstehen und beziehe sich auf den Ausgang aus der Sünde zum Glauben, wiewohl das Heil der ersten Auferstehung wiederum verspielt werden könne.¹³⁵⁰ Der zweite Tod wird als ewige Hölle interpretiert.¹³⁵¹ Die Flucht von Himmel und Erde (V. 11) deutet Viegas wie Lapide auf die Neuschöpfung der Welt und verweist auch auf Apk 21 (f). In seiner Deutung der Bücher aus Apk 20,12 nimmt Viegas auch Bezug auf Thomas von Aquin.¹³⁵² Im Kontext von V. 13 thematisiert Viegas mit Bezug auf Augustins vierzehntes Kapitel des zwanzigsten Buchs der Schrift De Civitate Dei die allgemeine Auferstehung, in welcher, so der Jesuit, alle Toten erweckt werden, gleich durch welche Ursache sie gestorben sind. Hier beruft sich Viegas auf Augustins 15. Kapitel von De Civitate Dei Buch 20, dessen Bedeutung für diesen Ausleger meines Erachtens kaum überschätzt werden kann.¹³⁵³ Die Bücher aus V. 12 nutzt Viegas auch als Bild dafür, dass kein Recht oder Unrecht in Vergessenheit gerät, weil es aufgehoben ist in Gottes Gedächtnis und Gott allen Tuns und Unterlassens gedenkt. Gott werde endlich für Gerechtigkeit sorgen, so Viegas. Den

 Vgl. ebd., S. 789.  Ebd., S. 790.  Ebd., S. 791. Vgl. zum Kontext ebd., S. 790 f.  Viegas diskutiert verschiedene Modelle kritisch. Vgl. auch ebd., S. 792– 794. Die Dauer der Regentschaft mit Christus währt ihm zufolge nicht nur von Christi Passion bis zum Weltende, sondern bis in Ewigkeit.  Viegas verweist auch auf Mt 28,20; Kol 3,1 und Phil 3,20. Vgl. ebd., S. 791 f.  Ebd., S. 795.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 795 f.  Vgl. ebd., S. 797.  Vgl. ebd., S. 798.

5.7 Die Kommentare von Cornelius a Lapide und Brás Viegas

193

Guten stellt Viegas auch eine Art Lohn bzw. Ruhm in Aussicht.¹³⁵⁴ Neben Gottes Gerechtigkeit wird von Viegas die göttliche Allmacht betont. Weiterhin lässt Viegas eine Christus-Typologie von den Männern mit Waffen und dem Mann mit Schreibutensilien aus Ez 9,2 – dies wird so mit dem Bibelwort der Bücher aus Apk 20 in ein Gespräch gebracht – folgen. Christus mit Leinengewand und Schreibwerkzeug, qui tanquam supremus iudex apparuit sex illis viris habentibus secures, aliave occidendi instrumenta tanquam iustitiae administris stipatus, gerebatque atramentarium scriptoris ad ea, quae in ciuitate gerebantur, conscribenda, & in librum memorialem referenda. Eam enim scribendi curam noluit alteri committere, sed sibi propriam assumere: quia ne minimum quidem volebat à veritare in scribendo discedere: id enim munus non tutò alijs committi posse existimauit.¹³⁵⁵

Dies ist sozusagen Teil von Christi Richteramt und Sortierung von Seligen und Verdammten.¹³⁵⁶ Sodann wird Sach 5,1– 4 herangezogen¹³⁵⁷, womit ein weiterer biblischer Text (über die Vision einer fliegenden Fluch-Schriftrolle) mit den vorigen in Beziehung gesetzt wird. Die Sünden der Menschen seien – im Sinne biblischer Anthropologie – sehr zahlreich (mit Hos 4,2; Ps 39,13), gute Werke hingegen eine Rarität, so Viegas unter Bezugnahme auf Jes 64,5.¹³⁵⁸ Durchaus kritisch bewertet Viegas die Werkgerechtigkeit, wenn er etwa die eigenen Verdienste als unzureichendes Kleidungsstück beschreibt.¹³⁵⁹ Andererseits beschließt Viegas die Auslegung damit, dass er die Mehrzahl der Bücher aus Apk 20 auf die Vielzahl von Sündern und Sünden im Gegenüber zu einer kleinen Zahl von Erwählten bzw. Gerechten und guten Taten sieht.¹³⁶⁰ Während der Rückgriff auf altkirchliche Auslegungen wie Augustins De Civitate Dei nicht unterschiedslos ausfällt, zeigen sich im Vergleich lutherischer und katholischer Kommentare also neben Unterschieden durchaus auch Gemeinsamkeiten.

 Vgl. ebd., S. 799 f.  Ebd., S. 800.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 801.  „Sanctitas nostra [est] vestimentum lacerum.“ Ebd., S. 801, marginal. Vgl. zum Kontext auch ebd., S. 801 f.  Vgl. ebd., S. 802.

194

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

5.8 Die Auslegung von Apk 20 bei Heinrich Bullinger Einen Sonderfall von konfessionell gefärbter Polemik stellt meines Erachtens die Kritik an päpstlichen Macht- bzw. Expansionsbestrebungen im Kontext der Kreuzzüge dar. Entsprechende polemische Aussagen verbinden beispielsweise den Lutheraner Chyträus und den Reformator Heinrich Bullinger. Deutliche Kritik an der päpstlichen Machtpolitik findet sich etwa in Chyträus‘ Auslegung von Apk 20,7– 10.¹³⁶¹ Dabei kommt Chyträus, anders als Cramer, aber ähnlich der Auslegung Bullingers, auch auf die Thematik der Kreuzzüge zu sprechen und sieht in diesen kriegerischen Unternehmungen ein großes Übel: Baldt hernach hat man den zug in Asiam vnd Palaestinam fürgenommen/ auß anreitzung des Bapsts/ welcher/ ob er wol mit worten fürgab/ als wolt er die kirchen in Orient beschützen/ So meinet er doch in der warheit nichts anders damit/ denn das er sein Primat vnd Reich vber die Asiatischen kirchen auch gern erstreckt hette. Jn welchem zug vnzelich viel Christen von den Saracenen vnd Türcken seindt erschlagen worden¹³⁶².

In der Auslegung von Apk 20,7– 10 werden bei Bullinger historische Geschehnisse zu Vorausdeutungen der endzeitlichen letzten Kämpfe zwischen christlichen und widerchristlichen Mächten.¹³⁶³ Als gravierendsten, die Kirche bedrohenden Krieg in endzeitlicher Perspektive versteht Bullinger „den krieg so man das heilig land zůeroberen gfürt hat“¹³⁶⁴, wobei auch die Saat des Krieges mit den islamischen Völkern weiterhin gesät worden sei.¹³⁶⁵ Zudem schreibt Bullinger Papst Gregor VII. bestimmte Übel wie Angriffe der ‚Türken‘ zu.¹³⁶⁶ Urban II. (1088 – 1099) verspottet er im Kontext weiterer Beschreibungen von Kreuzzügen als „Turbanu[s]“¹³⁶⁷. Gregor IX. (1227– 1241) sei dem Kaiser in den Rücken gefallen.¹³⁶⁸ Das Papsttum werde im Endgericht beendet werden.¹³⁶⁹ Auch andernorts finden sich in Bullingers Auslegung von Apk 20 negativ-interkonfessionelle (sowie negativ-inter-

 Vgl. Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Eee 2r–2v.  Ebd., fol. Eee 2r.  Vgl. Heinrich Bullinger (Verf.) und Ludwig Lavater (Übers.): Die Offenbarung Jesu Christi Anfangs durch den heiligen Engel Gottes/ Joanni dem säligen Apostel vnd Euangelisten geoffenbaret […]. Erstlich in Latin außgangen/ neüwlich aber durch Ludwig Lauater auff das einfaltigist in Teütsch vertolmetschet. […]. Mülhausen 1558, fol. 206r–206v.  Ebd., fol. 206v, marginal.  Vgl. ebd., fol. 206v.  Vgl. ebd., fol. 206v–207r.  Ebd., fol. 207r.  Vgl. ebd., fol. 207r–208r.  Vgl. ebd., fol. 208r–209r.

5.8 Die Auslegung von Apk 20 bei Heinrich Bullinger

195

religiöse) Bezüge. Theodor Bibliander (1506 – 1564) äußerte solche Kritik an den Kreuzzügen ebenfalls.¹³⁷⁰ Bullinger legte zwar eine von Luther generell unabhängige Auslegung vor¹³⁷¹, gleichwohl gibt es einige Ähnlichkeiten mit Luther¹³⁷² – oder auch mit Chyträus¹³⁷³, wie sich anhand der Polemik gegen die Kreuzzüge bereits zeigte. Bullinger teilt mit Luther seine kirchengeschichtliche Deutung des Millenniums und die Papstkritik.¹³⁷⁴ Diese Gemeinsamkeit gilt für Reformierte und Lutheraner in der Regel generell.¹³⁷⁵ Der Theologe Bullinger stellt zu Beginn seiner Auslegung nicht nur heraus, dass der Autor der Apk den Lesern die novissima bildlich vor Augen malt¹³⁷⁶ (obgleich Bullinger sich gegenüber Bilderverehrung auch kritisch äußern kann¹³⁷⁷), sondern betont wie Chyträus auch die Relevanz der Thematik des Jüngsten Gerichts in Apk 20: Dieweyl grosses vnd träffenliches an der waaren erkanntnuß vnd rechtem verstand des Jüngsten gerichts gelägen ist/ welchs ich offt vnd vil anzeigen: so redt yetz der h. Joannes mit grosser frucht/ so gar fleyssig vnd eigentlich vom letsten gericht. Vnd seinem Brauch nach/ damit alles dester klärer were daß er fürstellt/ so erzellt er die sachen nitt allein mit worten/ sonder stellt es mit gsichten für/ daß man es also zereden sähe: vnd zwar die glöubigen. Dann den vnglöubigen sind dise ding allesamen/ wiewol sy gar heilig sind/ lauter narrenwerck¹³⁷⁸.

Die Christen sind die einzigen, die das Heil zu erhoffen haben; nicht aber jene, die „weder dem Endchristen anhangennd/ noch recht Christen sind“¹³⁷⁹, also auch Schwärmer, Heiden und „Türcken“¹³⁸⁰.¹³⁸¹ Gottes Urteil (zu Verdammnis oder  Bibliander zeigt Backus zufolge zudem kein großes Interesse an einer Deutung der ersten Auferstehung sowie des Millenniums. Vgl. Backus (s. Anm. 40), S. 99. Vgl. auch ebd., S. 100 – 102. Die Thematik des Jüngsten Gerichts ist laut Backus für Bibliander im Kontext der Apk-Auslegung nur wenig relevant. Vgl. ebd., S. 111.  Vgl. Hofmann (s. Anm. 40), S. 518.  Vgl. ebd., S. 522.  Vgl. etwa Chyträus (s. Anm. 1121), fol. Ddd 4v. Vgl. dazu auch Hofmann (s. Anm. 40), S. 524.  Vgl. ebd., S. 518; 521. Bullinger kritisierte die erste Vorrede Luthers zur Johannesapokalypse wegen der negativen Bewertung des biblischen Buchs. Vgl. ebd., S. 519 f.  Vgl. ebd., S. 528.  Das biblische Buch ist Bullinger zufolge geschrieben, „als ob es gemaalet wäre […] damit e[s] vnnseren gemüteren dester tieffer eyngebildet werde.“ Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 209v.  Vgl. ebd., fol. 201r; 201v–202r.  Ebd., fol. 198v. Zu Bullingers Interesse an der Gerichtsthematik vgl. auch Backus (s. Anm. 40), S. 136 f. Vgl. weiter ebd., S. 102– 112.  Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 198v.  Ebd.  Vgl. dazu auch ebd., fol. 198v–199r. Vgl. weiter ebd., fol. 209r.

196

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Seligkeit) ist Bullinger zufolge gerecht, nicht willkürlich und alle Menschen haben im Leben die Möglichkeit zur Bekehrung.¹³⁸² Das Millennium wird von Bullinger wie von reformierten Theologen innerhalb der Zeitgeschichte verortet und nicht zukünftig erwartet.¹³⁸³ Dass der Teufel verschlossen wird (vgl. Apk 20,2 f.) versteht Bullinger als (schon geschehenen) Triumph Christi über die Verderbensmächte.¹³⁸⁴ Scharfe Polemik gegenüber den Millenaristen findet sich bei Bullinger indes nicht¹³⁸⁵, wiewohl er die Vorstellung eines irdischen Reiches Christi verwirft¹³⁸⁶ und er der Meinung ist, dass die tausend Jahre jene sind, „die sich an ein anderen von den zeyten Christi/ biß zů der letsten zerstörung der Euangelischen predig vnd der kirchen Christi/ verlauffend habend.“¹³⁸⁷ Bei der Ansetzung der Zählung stellt Bullinger verschiedene Möglichkeiten vor. Im Modell der Zählung ab dem Jahr 34 n.Chr. wird Papst Benedikt IX. (erstes Pontifikat 1032– 1044) als mit dem Teufel im Bunde dargestellt und gemeinprotestantisch die Papstkirche dämonisiert¹³⁸⁸, nach anderer Zählung enden die tausend Jahre mit Papst Gregor VII. („Hellbrand“¹³⁸⁹).¹³⁹⁰ Bullinger zufolge müssen die Rechnungen nicht mathematisch korrekt sein, um dennoch Wahrheit enthalten zu können.¹³⁹¹ Bemerkenswert bei Bullinger ist die Bewertung der Vorläufer der reformatorischen Bewegung, also der gelegentlich sogenannten Vorreformatoren: Dem (letzten) Wüten des Teufels haben sich, so Bullinger, bereits vor Luther oder Zwingli Widersacher entgegengestellt, namentlich etwa Jan Hus (ca. 1370 – 1415), John Wyclif (ca. 1330 – 1384) oder auch „die Waldenser/ die gar dappfer vnd standhafftigklich den Bapst vnd alls Gott loß läben widerfochten“¹³⁹². Bullinger mahnt, sich geist-

 Vgl. ebd., fol. 199r.  Vgl. ebd., fol. 198v. Johannes Coccejus (1603 – 1669) etwa vertrat die Auffassung, das Millennium habe in der Vergangenheit mit der Konstantinischen Wende angefangen. Vgl. Böcher (s. Anm. 1090), S. 4.  Vgl. Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 199v.  „Jch wil ander leüten meinung nit widerfächten/ welches auch zů lang seyn wirt vnnd zůuil arbeit nemmen/ vnd nit sondere frucht vnd nutz bringen“. Ebd., fol. 200r. Vgl. dazu auch Backus (s. Anm. 40), S. 127 f.  Vgl. etwa Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 202v–204v.  Ebd., fol. 200r.  Vgl. ebd., fol. 200r–200v.  Ebd., fol. 200v. Dies ist eine Anspielung auf den Namen, welchen Gregor trug, ehe er Papst wurde.  Vgl. auch Backus (s. Anm. 40), S. 108 f.  Vgl. Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 200r. Hier begegnet wie bei den Lutheranern eine amillenaristische Konzeption. Vgl. ebd., fol. 200r–200v.  Ebd., fol. 202v.

5.8 Die Auslegung von Apk 20 bei Heinrich Bullinger

197

lich für die Letzten Dinge zu rüsten.¹³⁹³ Der Autor verweist zur Thematik des Jüngsten Gerichts ebenfalls auf allgemeine christliche Glaubensbekenntnisse. Christus allein nimmt Bullinger zufolge im Jüngsten Gericht die Funktion des Richters ein.¹³⁹⁴ Die glaubenden Christen müssen das verdammliche Gericht nicht fürchten, doch die Leugnung der Hölle weist Bullinger deutlich zurück: Dannenhär wir auch in artickelnn des glaubens bekennend/ ein ewig läben/ vnd nicht den ewigen tod oder verdammnuß. Dann die glöubigen habend kein hell/ oder jnen ist kein hell/ den Gottlosen ist sy bereitet. Dann Christus hat die hell brochen vnnd zerstört/ aber seinen glöubigen: den vnglöubigen ist alles das in der hell ist/ oder zů der hell gehört/ gar starck vnd mächtig/ vnd dieselbigen habend ein hell.¹³⁹⁵

In der Auslegung von Apk 20,4– 6 wendet sich Bullinger unter anderem gegen die Vorstellung vom Seelenschlaf.¹³⁹⁶ Bis zum Jüngsten Gericht sind die Seelen der Glaubenden in himmlischen Freuden, aber „nit schlaaffind“¹³⁹⁷. Auch Bullinger kann in diesem Abschnitt seiner Auslegung von einem geistlichen Tod sprechen, aus dem die Christen durch den Glauben in der ersten Auferstehung (vor der Auferweckung des Leibes am Jüngsten Tag) gerettet werden.¹³⁹⁸ Im Zuge der Exegese von Apk 20,7– 10 deutet Bullinger unter anderem die Versuchungen und Gräuel der Endzeit auf die ‚Türken‘ und in der Hauptsache auf das Papsttum, wobei er konkrete Themen wie die Transsubstantiationslehre, Bilderverehrung, Pilgerfahrten oder Mönchsorden benennt, zudem auch allgemeine Laster wie

 Vgl. ebd., fol. 209v–210r.  Vgl. ebd., fol. 203v–204r.  Ebd., fol. 201r–201v.  Vgl. ebd., fol. 203r.  Ebd., fol. 203v. Weiter heißt es: „Darumb soltend sich die schämen/ die auff den heüttigen tag/ da das Euangelium so heiter vnd klaar geprediget wirt/ den irrthumb der nun kein reimen hat/ widerumb auff die ban bringend/ vnd außgebend daß die seelen so ein mal von den cörplen abgscheiden sind/ neyßwan in einem schlaaffhauß weiß nit wo/ schlaaffind/ vnd gar kein empfindtnuß habind/ biß daß sy am Jüngstern gericht widerumb zum leyb kommind/ vnd also auferstandind.“ Ebd., fol. 204r. Bullinger bringt eine solche (überwundene) Lehre historisch mit Johannes XXII. in Verbindung.Vgl. ebd., fol. 203v–204r. Hier geht es um die „Frage, ob die Seelen der Erwählten schon vor dem Jüngsten Gericht in den Genuss der vollkommenen Seligkeit ([…] visio dei beatifica) gelangen, oder ob sie ihre Seligkeit erst nach der Auferstehung der Leiber in vollem Ausmaß genießen werden. Papst Johannes XXII. (Pontifikat: 1316 – 1334) hatte zunächst eine solche Differenz behauptet; sein direkter Nachfolger Benedikt XII. (Pontifikat: 1334– 1342) hat dagegen in der Konstitution ‚Benedictus Deus‘ (1336) die Identität der Gottesschau (und der Höllenqualen) im Zwischenzustand und nach dem Jüngsten Gericht als verbindliche kirchliche Lehre festgehalten.“ Leonhardt (s. Anm. 1217), S. 395 f.Vgl. dazu ausführlicher Ortner (s. Anm. 22), S. 60 – 74; 198; 233 – 237 u. ö.  Vgl. Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 204r–204v.

198

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Unzucht, in welchen die Altgläubigen sich ihm zufolge mehr als die Heiden ergangen haben.¹³⁹⁹ Schließlich legt Bullinger V. 11– 15 aus und behandelt die Thematik des Jüngsten Gerichts.¹⁴⁰⁰ Christus als zweite trinitarische Person führt das Gericht in seiner Herrlichkeit durch und sein Richten ist gerecht. Auf Dan 7 wird ebenfalls Bezug genommen.¹⁴⁰¹ Das Fliehen der Welt (Apk 20,11) wird von Bullinger auf die Furcht der Geschöpfe vor dem strengen Urteil gedeutet – „wiewol […] mit denen worten [= Hos 10,8] die würckung einer verzweyfleten gwüßne [= Gewissen] beschriben wirt/ die auß falscher leer kumpt“¹⁴⁰², nämlich wohl der Lehre der Altgläubigen.¹⁴⁰³ Die Erwähnung der falschen Schreckenslehren, die den Altgläubigen zugeschrieben werden, findet sich in den untersuchten ApkAuslegungen nur hier. Den Ungläubigen gereicht das Jüngste Gericht Bullinger zufolge zu „vnsäglicher angst vnnd peyn“¹⁴⁰⁴.¹⁴⁰⁵ Objekt des Jüngsten Gerichts sind, so der Ausleger, alle Menschen jeden Standes, Lebende und die auferstandenen Toten (in ihrem eigenen Leib). Die Ungläubigen werden öffentlich ihrer Taten überführt und verurteilt, die Gläubigen werden nur dank der Zurechnung der fremden Gerechtigkeit Christi gerettet.¹⁴⁰⁶ Der Prozess wird als rasch beschrieben, die Bücher auf das Gewissen der Menschen gedeutet¹⁴⁰⁷, sowie als Metapher verstanden für die Taten, Unterlassungen, Äußerungen, deren Gott gedenkt. Das Buch des Lebens identifiziert Bullinger mit der reformatorischen Lehre, dass (nur) wer an Christus glaubt, selig wird.¹⁴⁰⁸ Sogleich präzisiert Bullinger in protestantischer Weise, dass „sich aber der glaub durch die werck erzeigt“¹⁴⁰⁹. Die Werke folgen dem Glauben also und werden insofern auch Maßstab des Gerichts sein, wenngleich sekundär im Gegenüber zum Primat des Glaubens.¹⁴¹⁰ Es gilt: Diejenigen, die nicht glauben (gleich welcher Religion, ob moralisch oder nicht), werden verdammt werden (jene, deren Namen nicht im Buch des Lebens stehen).¹⁴¹¹ Entschuldigungen nützen im Letzten Gericht nichts, so

        211r.     

Vgl. ebd., fol. 205v–206r. Vgl. ebd., fol. 209v–212v. Vgl. ebd., fol. 210r. Ebd., fol. 210v. Vgl. ebd., fol. 210r–210v. Ebd., fol. 210v. Vgl. ebd. Inwiefern die Glaubenden über die Ungläubigen richten, bleibt unklar. Vgl. ebd., fol. 210v– Vgl. ebd., fol. 211r. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd., fol. 211r–211v. Vgl. ebd., fol. 212v.

5.9 Exkurs: Einflüsse von Luis de Alcázar auf Hugo Grotius

199

Bullinger weiter. Die Glaubenden, nicht aber die Verdammten, sind ihm zufolge von Ewigkeit „vorgesähenn“¹⁴¹². Die Auslegung Bullingers stellt ein Beispiel dafür dar, Islam und ‚Türken‘ (wie auch Luther) als apokalyptische Bedrohung zu beschreiben.¹⁴¹³ Andere Religionen bzw. ihre Medien werden von Bullinger als Wege zur Seligkeit und Bestehen im Gericht nicht akzeptiert: So stehe es „mit der Juden/ vnnd Christenn die allein den nammen tragen/ item mit der Türcken schädlichen Bücheren/ mit dem Talmuth/ […] vnd dem Alchoran. Dise werdend am letsten gericht gantz vnnd gar nichts gelten.“¹⁴¹⁴ Bullinger hält am universalen Gericht über Leib und Seele nach Glauben und Werken fest.¹⁴¹⁵ Den Wurf in den Pfuhl (V. 14) versteht er dergestalt, dass die geistlich Toten und die in der Hölle befindlichen Seelen ewig den zweiten Tod (die ewige Hölle) erleiden, samt den widerchristlichen Teufeln.¹⁴¹⁶ Mehrfach nimmt Bullinger in seinem Kommentar Bezug auf Arethas von Caesarea.¹⁴¹⁷

5.9 Exkurs: Einflüsse von Luis de Alcázar auf Hugo Grotius in der Auslegung von Apk 20 Otto Böcher vertritt die Auffassung, dass der aus dem reformierten Milieu stammende niederländische Theologe, Philosoph und Jurist Hugo Grotius (1583 – 1645) wiederum in seiner Apk-Auslegung vom Kommentar des Katholiken Luis de Alcázar beeinflusst ist.¹⁴¹⁸ Beide eint das Interesse an der Frage, welche historischen Ereignisse zur Zeit der Abfassung der Apk hinter den im biblischen Text beschriebenen Szenarien stehen könnten, so Böcher.¹⁴¹⁹ Zu kritisieren ist jedoch Böchers Versuch, Alcázar und Grotius damit als Wegbereiter der historisch-kritischen Exegese, welche die früheren (lutherischen¹⁴²⁰) Auslegungen übertrifft,

 Ebd., fol. 211v.  Vgl. ebd., fol. 201v–202r. Vgl. auch Kaufmann: Deutungen (s. Anm. 35), S. 92 f.  Bullinger (s. Anm. 1363), fol. 211v.  Vgl. ebd., fol. 212r.  Nach einer alternativen Deutung könne überdies gelten, „daß die heiligenn nach dem gericht nicht mer werdind zur erdenn bestattet/ noch sterben.“ Ebd., fol. 212r. Vgl. auch ebd., fol. 212r–212v.  Vgl. ebd., fol. 210v.  Vgl. Böcher (s. Anm. 1090), S. 1 f.  Vgl. ebd., S. 2. Pohlig zufolge waren die lutherischen Ausleger der Johannesapokalypse daran mitunter ebenfalls interessiert. Vgl. Pohlig (s. Anm. 38), S. 297 f.  Böcher zufolge lässt sich der Einfluss der jesuitischen Ausleger auf aufgeklärte Exegeten auch im 18. Jahrhundert erkennen. Vgl. Böcher (s. Anm. 1090), S. 1.

200

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

darzustellen.¹⁴²¹ Dies ist zu teleologisch gedacht und unterschätzt die exegetischen Kompetenzen der frühneuzeitlichen Ausleger sowie die Auslegungswissenschaft dieser Zeit¹⁴²². Vergleicht man die Auslegungen Grotius‘ und Alcázars von Apk 20, so stellt sich allerdings ein komplexeres Bild dar.¹⁴²³ Einerseits sind auch in der Exegese dieses Kapitels beide Autoren an historischen Begebenheiten zur Zeit des Johannes von Patmos interessiert.¹⁴²⁴ Bei Grotius zeigt sich aber beispielsweise auch die Auseinandersetzung mit rabbinischen Auslegungen bzw. der jüdischen Tradition.¹⁴²⁵ Die sogenannte Konstantinische Wende wird bei beiden Exegeten als Sieg über die heidnischen, teuflischen Mächte gewertet, die etwa in Form von Verfolgungen das Christentum zuvor existentiell bedrohten; der Beginn der tausend Jahre wird daher mit der Konstantinischen Wende verbunden.¹⁴²⁶ Die tausend Jahre der Ruhe¹⁴²⁷ werden also zunächst in der Vergangenheit verortet; allerdings sind für Grotius die tausend Jahre bereits zum Ende gekommen¹⁴²⁸, während Alcázar die Zahl als uneigentliche Angabe von Jahren auffasst und mit der Zeit der Kirche bis zum Jüngsten Gericht gleichsetzt.¹⁴²⁹ Scharf weist Alcázar millenaristische Interpretationen zurück, denen zufolge ein tausendjähriges Reich der Christen noch ausstehe.¹⁴³⁰ In diesem Kontext wendet sich Grotius wie die Katholiken Viegas und Lapide oder der Lutheraner Cramer knapp gegen die nicht näher

 Vgl. ebd., S. 2. Ähnlich m. E. auch Pohlig (s. Anm. 38), S. 316.  Man denke etwa an Salomon Glassius: PHILOLOGIA SACRA, QUA TOTIUS SS. VETERIS ET NOVI TESTAMENTI SCRIPTURAE TUM STYLUS ET LITERATURA, TUM SENSUS ET GENUINAE INTERPRETATIONIS RATIO ET DOCTRINA LIBRIS QUINQUE expenditur ac traditur […]. Leipzig 1713 [11623 – 1636].  Vgl. Hugo Grotius: ANNOTATIONVM IN NOVVM TESTAMENTVM […]. Teil 3. Paris 1650, S. 264– 270 sowie Luis de Alcázar: VESTIGATIO ARCANI SENSVS IN APOCALYPSI. […]. Antwerpen 1614, S. 867– 912.  Vgl. etwa ebd., S. 887 f.; 890; 896 u. ö. Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 264 f; 268.  Vgl. etwa ebd., S. 265 f.  Vgl. etwa Alcázar (s. Anm. 1423), S. 871; 874. Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 264; 266. Beide Autoren gehen dort auch auf den antik-römischen ‚Götzendienst‘ ein. Es gibt weitere Ähnlichkeiten der Auslegungen, etwa mit Blick auf den Bezug auf 1Kor 15 in der Exegese von Apk 20,13. Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 911. Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 270.  Anders als Grotius sieht Alcázar in Jes 24,21 f. eine Anspielung auf die Bindung des Satans. Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 882– 884.  Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 264; 267. Bei Grotius spielen im Zusammenhang des Endes der tausend Jahre die ‚Türken‘ (vgl. ebd., S. 267) eine Rolle. Alcázar kennt diesen Gedanken allerdings auch, vgl. etwa Alcázar (s. Anm. 1423), S. 875.  Vgl. etwa ebd., S. 872.  Vgl. etwa ebd., S. 875; 877 f.; 887 u. ö.

5.9 Exkurs: Einflüsse von Luis de Alcázar auf Hugo Grotius

201

dargestellte Lehre Kerinths.¹⁴³¹ Weiterhin liegt bei Alcázar stets die Betonung darauf, dass die eine wahre Kirche eben die römische, katholische Kirche sei.¹⁴³² Während sich bei Grotius kein Interesse an konfessionell gefärbter Polemik erkennen lässt, wendet sich Alcázar exkursartig gegen die von ihm als calvinistisch bezeichnete Lehre, der zufolge der Kampf gegen Gog und Magog (Apk 20,7– 10) auf den Sieg der Protestanten über das Papsttum zu deuten sei.¹⁴³³ Zwar nennt Alcázar Calvin und Luther als Vordenker dieser Häretiker¹⁴³⁴, bezeichnet jedoch die Gegenseite, auf die er sich bezieht, durchgehend als Calvinisten.¹⁴³⁵ Die falsche Lehre bzw. die unbiblischen Irrtümer jener als neuer Religion gescholtenen Sekte¹⁴³⁶ zu widerlegen, bemühten sich jedoch bereits speziell die Jesuiten¹⁴³⁷, und so würden die Protestanten letzten Endes zugrunde gehen, so Alcázar zuversichtlich.¹⁴³⁸ Positiv-wissenschaftliche Auseinandersetzung erfolgt bei Alcázar – wie bei Viegas – nur mit vorkonfessionellen oder katholischen Autoren.¹⁴³⁹ Im Gegensatz zu Grotius nimmt Alcázar häufig Bezug auf das zwanzigste Kapitel von Augustins De Civitate Dei und zitiert hieraus, obschon er Augustins Deutungen auch ergänzen kann.¹⁴⁴⁰

 Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 265.Vgl. auch Viegas (s. Anm. 1335), S. 786 f.Vgl. weiter Cramer (s. Anm. 1094), fol. 79v. Vgl. Lapide (s. Anm. 1275), S. 304 f.  Vgl. etwa Alcázar (s. Anm. 1423), S. 871 f.; 874. Anders als bei Grotius oder anderen protestantischen Auslegern weist Alcázar auf die in Brautmetaphorik ausgedrückte Verbindung zwischen Christus und der wahren katholischen Kirche hin, vgl. etwa ebd., S. 870 f.; 874. Zur Erwähnung der Autorität des Papstes vgl. etwa ebd., S. 885.  Vgl. ebd., S. 898 – 900. Vgl. zudem ebd., S. 896. Zu Alcázars Überlegungen, wie Gog und Magog zu verstehen seien, vgl. auch etwa ebd., S. 895 f.; 900 – 903. Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 266. Den Hinweis auf Ez 38 f. bieten sowohl protestantische als auch katholische Ausleger. Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 897. Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 267 f.  Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 900.  Vgl. ebd., S. 898 – 900.  Vgl. ebd., S. 899.  „Alii ex nostra Societate sunt nec pauci, nec ignobiles: qui magno cum haerecticorum furore pariter ac dolore hanc scribendi rationem adeò grauiter, copiosè & luculenter susceperunt; vt omnibus euidenter probarint, Caluini sectam daemonis ipsius instinctu fuisse confictam, vt miseri homines sese laxis habenis in effraenatas atque intemperantes voluptates darent.“ Ebd.  Vgl. ebd., S. 900. Vgl. zu katholischer Kritik am Calvinismus im Kontext der Apk-Auslegung sowie Gemeinsamkeiten der Auslegungen auch Backus (s. Anm. 40), S. 83 – 85.  Man denke etwa an die Debatte, wer diejenigen auf den Stühlen (V. 4) seien, vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 885.  In der Auslegung von V. 1– 3 verweist er auf De Civitate Dei 20,7. Vgl. ebd., S. 872 f. Zum achten Kapitel des zwanzigsten Buchs vgl. ebd., S. 873. In der Auslegung von V. 4 wird ebenfalls auf Augustins De Civitate Dei Bezug genommen, vgl. ebd., S. 885. Zudem findet sich der Verweis auf De Civitate Dei 20,9 und 20,13 in der Exegese von V. 4 f., vgl. ebd., S. 887; 890. De Civitate Dei 20,11 führt Alcázar in seiner Auslegung von V. 7 an, vgl. ebd., S. 896; 901. Zu Apk 20,9 f. verweist Alcázar auf De Civitate Dei 20,12. In der Exegese von V. 11 nimmt er Bezug auf De Civitate Dei 20,14.

202

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Auf Arethas von Caesarea können sich nicht allein protestantische Exegeten berufen, auch Alcázar nimmt etwa im Kontext der Auslegung von V. 13 auf ihn Bezug.¹⁴⁴¹ Anders als Grotius erwähnt Alcázar den Gedanken, die Zeit, in der der Satan nach seiner Freilassung wütet, werde dreieinhalb Jahre dauern.¹⁴⁴² Grotius weist andererseits stärker als Alcázar auf die Parallelen zwischen Apk 20 und Mt 25,31– 46 hin.¹⁴⁴³ Die Flucht von Himmel und Erde (Apk 20,11) deutet Alcázar nicht nur (wie Grotius¹⁴⁴⁴ und andere) auf die Neuschöpfung, sondern betont in diesem Zusammenhang den schrecklichen Aspekt des Letzten Gerichts, sowie die Notwendigkeit guter Werke, um im Letzten Gericht, dem niemand entkommen kann, zu bestehen.¹⁴⁴⁵ Dabei geht er explizit auf die Unterscheidung von Partikular- und Universalgericht ein.¹⁴⁴⁶ Der Termin des Jüngsten Gerichts ist auch Alcázar zufolge nicht berechenbar¹⁴⁴⁷, gleichwohl versteht er es als zukünftiges Ereignis.¹⁴⁴⁸ Gemeinsam ist Alcázar und Grotius der Gedanke, dass derjenige, dessen Name im Buch des Lebens geschrieben steht, diese Gnade Gottes wieder verlieren kann.¹⁴⁴⁹ In weiteren Detailfragen weichen die beiden Auslegungen allerdings voneinander ab.¹⁴⁵⁰

Vgl. ebd., S. 907 f. Zur Auslegung von Apk 20,13 zieht Alcázar De Civitate Dei 20,15 heran. Grotius zitiert im Kontext der Ausführungen über die Seelen vor der allgemeinen Auferstehung beispielsweise Tertullian, vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 266.  Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 910.  Vgl. ebd., S. 874. Vgl. zu der Zählung von dreieinhalb Jahren etwa Hofmann (s. Anm. 40), S. 492.  Vgl. etwa Grotius (s. Anm. 1423), S. 268.  Vgl. ebd., S. 269.  Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 907 f.; 909.  Vgl. ebd., S. 907.  Vgl. etwa ebd., S. 872 f.  Dies gilt, wenn es etwa um den endgültigen Sieg über die widerchristlichen Mächte und ihre Verdammung zur ewigen Hölle geht. Das Jüngste Gericht liegt Alcázar zufolge in der Zukunft. Historische Interpretation und eschatologische Ausführungen werden dabei nicht gegeneinander ausgespielt. Vgl. etwa ebd., S. 905 – 907; 911 f.  Vgl. ebd., S. 909; 912 (zu V. 12 und 14). Vgl. Grotius (s. Anm. 1423), S. 270 (zu V. 14).  Die Überlegungen zur Art des Feuers aus Apk 20,9 etwa finden sich so bei Grotius nicht.Vgl. Alcázar (s. Anm. 1423), S. 904.

5.10 Die Auslegung von Apk 20 bei Johanna Eleonora Petersen

203

5.10 Die Auslegung von Apk 20 bei Johanna Eleonora Petersen Generell war im späten 17. Jahrhundert das Interesse der katholischen Theologen an Berechnungen und Spekulationen über das Weltende gering.¹⁴⁵¹ Zudem zeigte sich bereits, dass die orthodox-lutherischen und katholischen Exegeten die Denkweise verwerfen, vor oder nach dem Jüngsten Gericht müsse bzw. könne ein irdisches Reich Christi von Menschen aufgerichtet werden. Anders liegen die Dinge später in der Auslegung von Apk 20 der Johanna Eleonora Petersen (1644 – 1724)¹⁴⁵² von 1696. Wie andere radikale Pietisten um 1700, etwa Johann Conrad Dippel¹⁴⁵³, rechnet Petersen in ihrer Auslegung von Apk 20 damit, dass das tausendjährige Friedensreich der wahren Christen in naher Zukunft auf Erden anbreche.¹⁴⁵⁴ Da Petersens Ehemann Johann Wilhelm „in Lüneburg den Chiliasmus auf die Kanzel brachte, führte das zu einem Konflikt mit der orthodoxen Pfarrerschaft, die ihn beim Konsistorium in Celle verklagte.“¹⁴⁵⁵ Auch der reformierte Theologe Campegius Vitringa der Ältere (1659 – 1722) versteht das tausendjährige Reich als ein zukünftiges – darin wie in seiner „am Wortsinn orientierte[n] Exegese“¹⁴⁵⁶ ähnelt seine Auslegung derjenigen Petersens.¹⁴⁵⁷ Petersens Darstellung des Jüngsten Gerichts unterscheidet sich ebenfalls in einigen Punkten von derjenigen der orthodox-lutherischen Ausleger. Petersen verfasste einen

 Vgl. dazu Andreas Holzem: Zeit – Zeitenwende – Endzeit? Anfangsbeobachtungen zum deutschen katholischen Schrifttum um 1700. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 213 – 232, hier S. 220 u. ö.  Zu Petersen siehe auch oben Kapitel 3.5. Vgl. auch Hans Schneider: Die unerfüllte Zukunft. Apokalyptische Erwartungen im radikalen Pietismus um 1700. In: Jahrhundertwenden. Endzeitund Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred JakubowskiTiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 187– 212, hier S. 193 f.  Vgl. dazu ebd., S. 187 f.; 191 f.; 194– 196. Zu Petersen vgl. auch ebd., S. 193 f.; 199. Als mögliche Gründe für die endzeitliche Stimmung vermutet der Autor etwa den sogenannten Großen Türkenkrieg oder konfessionsbedingte Verfolgungen. Vgl. ebd., S. 203 – 205. Er zeigt zudem, dass der Pietist Henrich Horch (1652– 1729) sich in seiner Auslegung der Johannesapokalypse auf reformierte Autoren bezieht und eine Naherwartung des Millenniums vertrat, die sich mit radikaler Sozialkritik verband, was mit seiner Entlassung aus dem Dienst der Universität Herborn in Beziehung stehen mag. Vgl. ebd., S. 196.  Vgl. ebd. Zur Auslegung der Johannesapokalypse im Pietismus vgl. auch Böcher (s. Anm. 1090), S. 4 f.  Wallmann (s. Anm. 627), S. 147. Vgl. zu ihm auch ebd., S. 147– 149 u. ö.  Böcher (s. Anm. 1090), S. 4.  Vgl. ebd.

204

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

Kommentar zur Offenbarung¹⁴⁵⁸ mit prämillenaristischer Konzeption¹⁴⁵⁹. Ihr zufolge gibt es ein tausendjähriges zukünftiges Reich der Glückseligkeit auf Erden sowie ein ewiges Gottesreich danach. So schreibt Petersen etwa im 24. Abschnitt ihrer Auslegung zur allgemeinen Auferstehung, diese werde nach dem tausendjährigen Reich, in dem die „erstgebohrnen Gerechten“¹⁴⁶⁰ mit Christus herrschen, erfolgen. Jenes irdische Millenniums-Reich unter der Herrschaft Christi beschreibt Petersen als herrlich und ohne alle Übel, unter denen die Christen zuvor noch leiden.¹⁴⁶¹ Historische Identifizierungen der tausendjährigen Friedenszeit werden abgelehnt und die künftigen Auferstehungen (V. 4– 6 und V. 12 f.) – zeitlich getrennt durch das Millennium – sind nicht geistlich verstanden: In der Auslegung von V. 5 und 12 f. spricht sich Petersen explizit gegen eine geistliche Deutung aus. Die tausend Jahre liegen ihr zufolge in der Zukunft und werden nicht als Zeitspanne der vergangenen Geschichte verstanden (wie etwa bei Cramer).¹⁴⁶² Neben jenen Gerechten zählt sie die „erstgebohrnen Gottlosen“¹⁴⁶³ zu denen, die zu Beginn des Reiches auferstehen – dann jedoch in den ewigen Todespfuhl geworfen werden.¹⁴⁶⁴ Der Rest der Menschen werde dann in der zweiten Auferstehung nach den tausend Jahren auferstehen¹⁴⁶⁵ und in das Letzte Gericht kommen.¹⁴⁶⁶ Diejenigen, die als erste auferstehen, haben Petersen zufolge kein Gericht zu erwarten, sondern erlangen direkt das ewige Leben. Von den nach tausend Jahren Auferstandenen indes werden nicht alle verdammt, doch droht ihnen allen Furcht und Gericht, auch jenen, die im Buch des Lebens verzeichnet stehen.¹⁴⁶⁷ Wer nach der zweiten Auferstehung gerettet wird, verdankt dies laut Petersen nur (dem Glauben an) Christus. Gleichwohl leitet die Pietistin aus der „Erfahrung“¹⁴⁶⁸ ab, dass es gradus von Christgläubigkeit bzw. christlicher Vollkommenheit gibt, und die Besten, für die Gott „besondere Liebe“¹⁴⁶⁹ hegt, in der ersten Auferstehung erstehen und selig werden, die übrigen in der zweiten, durch gewisses Leid

 Vgl. Johanna Eleonora Petersen: Anleitung zu gründlicher Verständniß der Heiligen Offenbahrung Jesu Christi/ welche Er seinem Knecht und Apostel Johanni Durch seinen Engel gesandt und gedeutet hat […]. Frankfurt u. a. 1696.  Das bedeutet, das (irdische) Millenniumsreich wird nach der Parusie Christi erwartet.  Petersen (s. Anm. 1458), S. 328.  Vgl. ebd., S. 341.  Sie führt 1Kor 3,13 – 15 an. Vgl. ebd., S. 333 f.  Ebd., S. 328.  Vgl. ebd., S. 328 f.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 329.  Vgl. ebd.  Ebd., S. 330.  Ebd., S. 331.

5.10 Die Auslegung von Apk 20 bei Johanna Eleonora Petersen

205

und durch das Gericht hindurch zur Seligkeit gelangen. Dazu zieht sie 1Kor 3,11– 15 als biblische Grundlage heran.¹⁴⁷⁰ Die Hürde, zu den Seligen zu zählen, wird bei Petersen möglichst tief gesetzt¹⁴⁷¹: Sie formuliert die Hoffnung noch für jenen, der „dem Triebe Gutes zuthun nur in etwas bey sich Platz lässet“¹⁴⁷². Gleichwohl betont sie anschließend, dass wahrlich Gottlose die ewige Hölle zu erwarten haben.¹⁴⁷³ Während Petersen in diesem Kommentarwerk noch mit dem doppelten Ausgang des Gerichts rechnet¹⁴⁷⁴, vertrat sie nur zwei Jahre später offen eine Allversöhnungslehre.¹⁴⁷⁵ Nochmals komplexer wird das Gesamtkonzept dadurch, dass Petersen annimmt, einige der ersten Auferstandenen würden das tausendjährige Reich überleben und danach einer Wandlung unterzogen werden, andere aber währenddessen sterben und in einer ‚zweiten ersten Auferstehung‘ vor dem Letzten Gericht wieder zum Leben kommen, die jedoch „als […] Art der ersten Aufferstehung von der letzten allgemeinen unterschieden“¹⁴⁷⁶ werden müsse.¹⁴⁷⁷ Jüngstes Gericht und zweite Auferstehung finden laut Petersen nach dem Millennium statt, am Ende der Zeit.¹⁴⁷⁸ Davon unterscheidet sie ein erstes Gericht vor den tausend Jahren, das jedoch nicht dem Konzept eines individuellen Partikulargerichts entspricht. Ausführlich geht Petersen auf die Unterschiede zwischen den beiden Gerichten ein: Das erste Gericht ist der „jüngst[e] Tag […] dieser sündlichen Welt“¹⁴⁷⁹, das zweite der „jüngst[e] Tag […] dieser erschaffenen Welt durchs Feuer […] 2Petr. 3/ v. 10/11/12/ Hebr. 12/ v.26/27.“¹⁴⁸⁰ Haupt-Verantwortlicher des ersten Gerichts ist laut Petersen Christus¹⁴⁸¹, Gott-Vater hält ihr zufolge das Jüngste Gericht ab. Hierin unterscheidet sich ihre Auslegung beispielsweise von derjenigen der lutherischen Orthodoxie. Nach dem ersten Gericht nimmt, so Petersen, der Sohn das Reich ein bzw. richtet es auf, nach dem End Eine Fegefeuer-Konzeption ist nicht im Blick. Vgl. ebd., S. 329 f.  Vgl. ebd., S. 331.  Ebd.  Vgl. ebd., S. 332.  Vgl. etwa ebd., S. 342.  Siehe dazu auch oben Kapitel 3.5. Manche Aussagen im Text ließen sich möglicherweise auf ihre Hinwendung zur Allerlösungslehre, die 1698 vollends greifbar ist, deuten, vgl. Petersen (s. Anm. 1458), S. 330. Petersen selbst gibt jedoch zu erkennen, noch unschlüssig zu sein, vgl. ebd., S. 331.  Ebd., S. 332.  Vgl. ebd.  Vgl. etwa ebd., S. 337.  Ebd., S. 334. Belege sind hier Ps 21,9 – 11 u. a.  Ebd.  Dabei wird auf Ps 2,12; 110,5 f.; Apk 19,13 – 15 u. a. verwiesen. Christus, eigentlich Fürsprecher der Menschen bei Gott, könnte m. E. in dieser Konzeption zum Feind und zornigen Richter werden. Vgl. ebd., S. 335 f.

206

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

gericht wird es an den Vater übergeben.¹⁴⁸² Zuerst werde über die Ersterstandenen – hierbei werden einige sofort zu den Seligen gezählt werden, andere können aber auch sofort verdammt werden – gerichtet, am Ende der Zeit über die Zweiterstandenen. Am ersten Gericht sind im Gegensatz zum zweiten die Heiligen als Beisitzer beteiligt, so Petersen.¹⁴⁸³ Die Pietistin hält zwar daran fest, dass es nur zwei Parusien Christi gibt, doch sind diese für sie die menschliche Geburt und die Parusie zum ersten Gericht vor dem Millennium. Eine Parusie zum Jüngsten Gericht entfällt in ihrer Konzeption, da dieses die erste trinitarische Person hält.¹⁴⁸⁴ Meines Erachtens ist das Jüngste Gericht in Petersens Konzeption insofern nicht als universales zu bezeichnen, als dass nur die Zweiterstandenen erscheinen müssen, die Ersterstandenen empfangen Petersen zufolge ja bereits im ersten Gericht ihr Urteil.¹⁴⁸⁵ Die Interpretation zum Gericht nach den Werken in V. 12 deutet die Pietistin hingegen ähnlich wie die bisher vorgestellten Ausleger.¹⁴⁸⁶ Das Buch des Lebens andererseits enthält ihr zufolge die Namen derer, die in Maßen gut waren und letzten Endes erlöst werden, während ein Nicht-Eintrag bedeute, der Mensch sei restlos gottlos gewesen und werde der ewigen Verdammnis überantwortet werden.¹⁴⁸⁷ Der Abgrund aus V. 1.3 ist nach Petersen nicht identisch mit dem feurigen Pfuhl (V. 10.14 f.).¹⁴⁸⁸ Dazu, dass laut V. 14 auch Tod und Hölle endlich überwunden und in jenen Pfuhl geworfen werden, macht sie nur knappe Bemerkungen; ihre Andeutungen mögen dergestalt verstanden werden, dass sie diese biblische Aussage als ein Mysterium auffasst, das menschlicher Erkenntnis noch entzogen ist.¹⁴⁸⁹ Wenngleich auch die etwa mit der Betonung der Liebe Gottes verbundene Hoffnung auf eine Allversöhnung bis in die Gegenwart im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Zustimmung fand, zeigt sich, dass in der radikal-pietistischen (wie auch in der spiritualistischen) Auslegung jene

 Dabei bezieht sie sich etwa auf 1Kor 15,24– 28. Vgl. ebd., S. 334 f.  Vgl. ebd., S. 336.  Dabei wird etwa auf Apk 20,12 f. verwiesen. Vgl. ebd., S. 337.  Zudem gehe es in Apk 20,12 nur um Tote. Angeführt werden u. a. Dan 7,13 f. und Apk 19,20 als biblische Belege. Vgl. ebd., S. 337 f.  Vgl. ebd., S. 338.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., S. 339.  „Davon noch Vieles zu sagen wäre/ sowol was der Tod und die Hölle sey/ als auch/ warumb sie in den feurigen Pfuhl geworffen werden: Aber/ weil die Decke Mosis noch so gar sehr über den Hertzen der heutigen Christen hänget/ daß sie GOttes Geheimnisse nicht sehen und ertragen mögen; so will ich der Hand des HErrn wahrnehmen/ durch was vor Weege es Jhm sonst gefallen wird/ die Decke wegzuheben/ und durch den Geist der Freyheit der Wahrheit klares Angesichte an das Liecht zu bringen.“ Ebd.

5.11 Zusammenfassung

207

Kontinuität der Auslegung abbricht, welche trotz aller Polemik die orthodox-lutherischen, reformierten und katholischen Exegeten verbindet.

5.11 Zusammenfassung Das Interesse an der Thematik des Jüngsten Gerichts ist in den Auslegungen von Apk 20 auch bei Auslegern derselben Konfession unterschiedlich stark ausgeprägt. Während der Lutheraner Daniel Cramer etwa der Auslegung von Apk 20,11– 15 in seinem Kommentar eher wenig Bedeutung beimisst, halten der Reformator Heinrich Bullinger und vor allem der lutherische Theologe David Chyträus die Rede vom Letzten Gericht für den wichtigsten Aspekt von Apk 20. Luther, der vor allem in jüngeren Jahren der Johannesoffenbarung skeptisch gegenüberstand, fokussiert in einer Vorrede zu diesem biblischen Buch in Bezug auf Apk 20 ebenfalls nicht auf die Gerichtsthematik, sondern nutzt die Verse unter anderem für antipäpstliche Polemik. Die für Luthers Neues Testament geschaffenen Illustrationen zur Apk wurden (teils in modifizierter Form) sowohl in reformierte als auch katholische Bibelausgaben bzw. Drucke des Neuen Testaments übernommen. Wenngleich ein gewisses Interesse an Berechnungen eines möglichen Datums des Jüngsten Tages die Ausleger eint, so verwerfen doch katholische wie auch orthodox-protestantische Exegeten Terminspekulationen von Spiritualisten, die meinen, das Weltende auf Tag und Stunde genau bestimmen zu können und damit die soziale Ordnung gefährden. Eine Naherwartung der Parusie Christi zum Jüngsten Gericht zeigt sich bei den lutherischen Autoren vielfach. Mit konfessionsspezifischer Akzentsetzung kann der Katholik Cornelius a Lapide hingegen etwa die Jesuitenmission in fernen Ländern als Zeichen der Endzeit interpretieren. Der Lutheraner Philipp Nicolai, welcher ebenfalls ein Interesse an der Thematik der (Welt‐)Mission hatte, kritisiert die katholische Mission nicht nur, sondern kann diese durchaus würdigen, sofern sie die Ausbreitung des Reiches Christi befördert. Polemik und Abgrenzung gegenüber der jeweils anderen Konfession findet sich in den Auslegungen katholischer und protestantischer Provenienz, doch existieren in den Kommentaren zu Apk 20 auch Gemeinsamkeiten, die sich jedoch nicht einfach als Rückgriff auf gemeinsame Tradition zusammenfassen lassen. Exegeten jeder Konfession bezeichnen die ‚Türken‘ als endzeitlich-antichristliche Bedrohung. Konfessionsübergreifend ist beispielsweise auch die Rede vom Jüngsten Gericht als eines gerechten Gerichts Christi, dank dessen kein Unrecht in Vergessenheit gerät. Lutherische und reformierte Theologen können das Papsttum mit dem Antichrist identifizieren. Den Lutheraner Chyträus und Bullinger eint etwa die Kritik an den Kreuzzügen. Orthodox-protestantische und ka-

208

5 Ausgewählte Aspekte der Auslegung von Apk 20

tholische Exegeten weisen die Lehren Kerinths bzw. der Chiliasten sowie die Vorstellung zurück, das tausendjährige Friedensreich Christi werde ein irdisches sein, das mit der Parusie des Sohnes Gottes beginnt und mit einem zweiten Endgericht in das ewige Gottesreich übergeht. Eine derartige Konzeption findet sich hingegen im Apk-Kommentar der Johanna Eleonora Petersen, welche später sogar eine Allerlösungslehre vertrat. Allerdings zeigen sich auch konfessionelle Spezifika und Unterschiede in bzw. zwischen den jeweiligen Interpretationen. So thematisieren die katholischen Ausleger im Unterschied zu den protestantischen etwa im Kontext von Apk 20,11– 15 die Frage nach dem Schicksal ungetauft gestorbener Kinder und können dabei den limbus infantium erwähnen. Zudem betonen die katholischen Exegeten die Tradition sowie die Autorität der Kirche. Zugleich lassen sich auch intrakonfessionelle Unterschiede in bzw. zwischen den Auslegungen feststellen. Die Analyse der Auslegung von Apk 20 erweist sich somit als relevante Ergänzung zu derjenigen von Mt 25,31– 46.

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit: Wie sich frühneuzeitliche Poeten in geistlicher Lyrik einen Reim auf die Lehre vom Jüngsten Gericht machen 6.1 Einleitung Die Thematik des Jüngsten Gerichts lassen auch die geistlichen Dichter der Frühen Neuzeit keineswegs aus. Vielmehr ist das Endgericht Gegenstand zahlreicher lyrischer Texte von Autoren lutherischer und katholischer Provenienz. Dabei gilt auch für die Lutheraner, welche darum bemüht sind, Aussagen über die Eschata mit biblischen Belegen zu stützen, dass die Dichter mitunter in drastischer Weise über die Hölle schreiben. Dies trifft jedoch nicht für jeden in Reimform verfassten Text gleichermaßen zu. Während geistliche Lieder der Erbauung des Glaubenden dienen sollen und dementsprechend der Akzent hier auch auf den Trost gelegt werden kann, ver-dichten sich Aussagen über das Jüngste Gericht¹⁴⁹⁰ in lehrhaften Poemen, wobei auch der Aspekt der Drohung nicht ausgespart wird. In ausführlichen Schilderungen der Hölle tritt die warnende bzw. moralische Funktion noch stärker zutage – so malt etwa der Lutheraner Bartholomäus Ringwaldt (1532– 1599/1600) den Lesern ein farbenfrohes Unterwelts-Szenario vor Augen. Dabei ist die Wirkabsicht des Textes dennoch nie auf die reine Unterhaltung der Adressaten beschränkt: Vielmehr verbindet sich darin aufregende Unterhaltung, welche auf die Affekte einwirkt (movere) – die Hölle etwa kann durchaus auch fascinosum sein¹⁴⁹¹ – mit komprimierten theologischen Lehrinhalten, die so den Adressaten vermittelt werden (docere).¹⁴⁹² Die sprachlichen Bilder der geistlichen Dichtungen¹⁴⁹³ ähneln auch der zeitgenössischen Ikonographie. Da den lutheri-

 Vgl. dazu etwa Krummacher (s. Anm. 43), S. 484– 487.  Vgl. etwa Vollhardt (s. Anm. 31), S. 29.  Vgl. auch etwa Grosse (s. Anm. 46), S. 306 f.  Eine Dichtkunst, welche sich bestimmter Sprachbilder bedient, um Aussagen über die Eschata zu machen, ist keineswegs simpel, undurchdacht oder durch rationale Erklärungen zu ersetzen. Die Bibel gibt den Poeten solche Bilder vor. Vgl. dazu Johann Anselm Steiger: Simon Dachs geistliche Dichtung und die Poiesis des himmlischen Jerusalem. In: Simon Dach (1605 – 1659). Werk und Nachwirken. Hrsg. von Axel E. Walter. Tübingen 2008 (= Frühe Neuzeit 126), S. 363 – 395, hier S. 378 – 380; 382 f.; 385.

210

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

schen Theologen zufolge die Dichtung als Sprache des Himmels bezeichnet werden darf, leuchtet es ein, wenn andersherum auch über die novissima gedichtet wird.¹⁴⁹⁴ So lassen die geistlichen Poeten die Adressaten proleptisch Anteil an den Letzten Dingen haben.¹⁴⁹⁵ Es ist zudem zu erkennen, dass die Autoren als poetae docti mit den theologischen Lehren sehr wohl vertraut sind und ihrerseits in der Gattung der Dichtung Theologie treiben. Im Unterschied zu den Predigten zeichnet gerade die geistlichen Lieder aus, dass diejenigen, welche sich singend, betend oder meditierend (möglicherweise auch hörend) den Text zu eigen machen, die Inhalte auf einer persönlichen bzw. individuellen Ebene mitvollziehen, neue Worte angesichts möglicher eigener Sprachlosigkeit zur Verfügung haben und sich die Aussagen aufgrund der durch Reime leicht zu memorierenden Gestaltung einprägen können.¹⁴⁹⁶ Bernhard Jahn vertritt überdies die Ansicht, „daß es im konfessionellen Zeitalter vor allem die Künste sind, die interkonfessionelle Räume zur Verfügung stellen und dies ungeachtet der Tatsache, daß die Künste gleichzeitig auch Medien der Konfessionalisierung darstellen.“¹⁴⁹⁷ Sowohl katholische als auch lutherische Dichter lassen sich ferner neben dem Text Mt 25,31– 46 unter anderem auch von der biblischen Rede vom Tag des Zornes Gottes (vgl. Zeph 1,(14.)15(.16 – 18); Apk 6,17 u. ö.) inspirieren¹⁴⁹⁸, welche sich auch zu Beginn der berühmten mittelalterlichen Dies Irae-Sequenz findet.

 Vgl. dazu ebd., S. 366 f. Zur Behandlung der novissima speziell in lyrischen Texten vgl. auch Krummacher (s. Anm. 43), S. 483 f.  Vgl. Steiger (s. Anm. 1493), S. 368 f.; 371.  Vgl. dazu auch Smets (s. Anm. 22), S. 215 – 226; 381– 383. Zum Vorteil der Gestaltung in Reimen vgl. auch Franz Wegner: Die „Christliche Warnung des Treuen Eckarts“ des Bartholomäus Ringwaldt. Breslau 1909 (= Germanistische Abhandlungen 33), S. 59. Vgl. auch Jörg Jochen Berns: Höllenmeditation. Zur meditativen Funktion und mnemotechnischen Struktur barocker Höllenpoesie. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (= Formen der Erinnerung 2), S. 141– 173. Dieser legt dar, dass die seit altkirchlicher Zeit praktizierte Meditation der Hölle auch im frühneuzeitlichen Protestantismus existierte und richtet den Fokus dabei insbesondere auf Dichtungen, welche die Höllenthematik enthalten und amplifizierend entfalten, zur meditatio derselben animieren und mnemotechnischen Nutzen haben. Dabei weist er zudem auf gewisse Nähen zu katholischen Werken hin.  Jahn (s. Anm. 46), S. 177.  Siehe dazu auch oben S. 121.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

211

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren 6.2.1 Bartholomäus Ringwaldt Der in Frankfurt an der Oder geborene lutherische Theologe und Dichter Bartholomäus Ringwaldt¹⁴⁹⁹ „hatte auf ein wohl um 1565 entstandenes Lied eines unbekannten Verfassers zurückgegriffen, das auf der Sequenz Dies irae, dies illae beruht“¹⁵⁰⁰, als er sein geistliches Lied Es ist gewißlich an der Zeit ¹⁵⁰¹, welches sich noch heute im Evangelischen Gesangbuch findet¹⁵⁰², gestaltete.¹⁵⁰³ Heike Wennemuth zufolge unterscheidet sich Ringwaldts Lied (bereits in der Vorlage, doch mehr noch durch Ringwaldts eigene Leistung) inhaltlich vom Text der Dies Irae-Sequenz durch die Betonung der Heilsgewissheit.¹⁵⁰⁴ Die sieben Strophen des Liedes umfassen je sieben Verse. Als Versmaß ist ein vierhebiger Jambus gewählt. In überzeugter Erwartung des nahen Jüngsten Tages stellt das lyrische Ich zu Beginn der ersten Strophe fest, dass es „gewißlich an der Zeit“¹⁵⁰⁵ ist für die Parusie Christi zum Gericht.¹⁵⁰⁶ Zudem erinnert die Erwähnung der „Herrlichkeit“¹⁵⁰⁷ den lesenden oder singenden Gläubigen daran, dass Jesu

 Vgl. zu Ringwaldt etwa Bernhard Jahn: Art. Ringwaldt, Bartholomäus. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 5 (2016), Sp. 310 – 315. Vgl. auch Smets (s. Anm. 22), S. 312 f.  Heike Wennemuth: [Kommentar zu] 149. Es ist gewisslich an der Zeit. In: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Heft 11. Hrsg. von Gerhard Hahn und Jürgen Henkys. Göttingen 2005 (= Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), S. 92– 95, hier S. 93. Vgl. zum Rückgriff auf ein älteres Lied auch ebd., S. 92.  Hier zitiert nach: Bartholomäus Ringwaldt: Geistliche Lieder. Hrsg. von Hermann Wendebourg. Halle 1858 (= Geistliche Sänger der christlichen Kirche deutscher Nation 11), S. 44– 46.Vgl. dazu auch Smets (s. Anm. 22), S. 312– 323.  Vgl. zu Ringwaldts Lied einleitend Wennemuth (s. Anm. 1500), S. 92– 95.Vgl. weiter Daniela Wissemann-Garbe: [Kommentar zu] 149. Es ist gewisslich an der Zeit. In: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Heft 11. Hrsg. von Gerhard Hahn und Jürgen Henkys. Göttingen 2005 (= Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), S. 95 f.  Zu einigen Ähnlichkeiten zwischen dem Dies Irae und Ringwaldts Dichtung vgl. etwa Smets (s. Anm. 22), S. 314– 317.  Vgl. Wennemuth (s. Anm. 1500), S. 93. Vgl. zur Dies Irae-Sequenz sowie den Unterschieden zwischen derselben und Ringwaldts Lied auch Smets (s. Anm. 22), S. 313 f. u. ö. Diese weist dort auch darauf hin, dass biblische Texte wie Mt 25,31– 46 als Vorlagen des Textes Ringwaldts gedient haben mögen.  Ringwaldt (s. Anm. 1501), S. 44, Str. 1, V. 1.  Vgl. ebd., V. 1– 4.  Ebd., V. 3.

212

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

erste Zukunft in Niedrigkeit geschah, während er auf triumphale Weise zurückkehren wird. Die Nennung von „Bös[en] und Frommen“¹⁵⁰⁸ weist bereits zu Beginn des Textes auf den doppelten Ausgang des Gerichts voraus. Mit explizitem Verweis auf „Petrus“¹⁵⁰⁹, näherhin auf 2Petr 3,7.10¹⁵¹⁰, verbindet Ringwaldt die Thematik der consummatio mundi ¹⁵¹¹ durch überirdisches Feuer mit der Warnung vor den ernst zu nehmenden Schrecken des Letzten Tages: „Wenn alles wird vergehn im Feur“¹⁵¹², werde den Ungläubigen „das Lachen“¹⁵¹³ vergehen. Indem Ringwaldt auf den biblischen Ursprung der Aussage hinweist, versucht er möglicherweise zu verdeutlichen, dass es sich bei der Rede vom Weltende um keine Phantasie oder menschliche Spekulation handelt.¹⁵¹⁴ Die zweite Strophe ist eine Nachdichtung von 1Kor 15,52 (dort ist die Rede von der Auferstehung der Gestorbenen und der Verwandlung der Lebenden) und thematisiert unter anderem die leibliche Auferstehung der Toten zum Gericht.¹⁵¹⁵ In der dritten Strophe wird als Detail des Endgerichtsprozesses beschrieben, es werde „[e]in Buch [verlesen], darin geschrieben, | Was alle Menschen, jung und alt, | Auf Erden han getrieben“¹⁵¹⁶. Hier alludiert Ringwaldt Apk 20,12. Zwar verzichtet er darauf, von einem Gericht nach den Werken zu schreiben, betont jedoch, dass im Jüngsten Gericht auch die geheimsten Taten ans Licht kommen werden. Diese Taten können Übeltaten sein – so spricht das lyrische Ich in der folgenden Strophe das Wehe über jene, welche nicht auf himmlische, sondern irdische Schätze bedacht sind¹⁵¹⁷, was umgekehrt als Appell zu verstehen sein könnte, sich im Leben auf Gott auszurichten. Diese weltlich Gesinnten müssen – Mt 25,41 entsprechend – von Christus weichen und die ewige Verdammnis erleiden. Dies gilt auch jenen, die „[d]es HErren Wort verachte[n]“¹⁵¹⁸. Dabei ist meines Erachtens vom Autor bewusst der Raum für die

 Ebd., V. 4.  Ebd., V. 7. Zu einer Textvariante vgl. Smets (s. Anm. 22), S. 314, Anm. 283.  Vgl. dazu auch ebd., S. 314.  Zu den unterschiedlichen Auffassungen frühneuzeitlicher Theologen bezüglich der consummatio mundi siehe oben Anm. 892.  Ringwaldt (s. Anm. 1501), S. 44, Str. 1, V. 6. Hierzu existiert eine Textvariante, der zufolge „Spötter“ [Smets (s. Anm. 22), S. 321] das Gericht erleiden werden – diese könnte zum Zweck der Abwehr rationalistischer Einwände gegen die Existenz des Endgerichts geschaffen worden sein. Zu den Textvarianten vgl. ebd., S. 319 – 322; 379 – 381.  Ringwaldt (s. Anm. 1501), S. 44, Str. 1, V. 5.  So auch Wennemuth (s. Anm. 1500), S. 93 f.  Zu den ersten beiden Versen der Strophe vgl. auch Mt 24,31. Darauf weist auch Smets hin. Vgl. Smets (s. Anm. 22), S. 314.  Ringwaldt (s. Anm. 1501), S. 44 f., Str. 3, V. 2– 4.  Vgl. ebd., S. 45, Str. 4, V. 1; 3 f.  Ebd., V. 2.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

213

Mehrdeutigkeit geschaffen, dieses Wort Gottes etwa als das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe oder als Christus selbst zu verstehen. Auffällig ist, dass der Abschnitt über das verdammliche Urteil der Bösen nicht wie in Mt 25,31– 46 auf eine Ansprache an die Guten folgt, sondern den (negativen) Höhepunkt der bedrohlichen Schilderungen aus den Strophen 1– 4 darstellt. Der Wendepunkt ist der Übergang zwischen den Strophen 4 und 5. Während der glaubende Beter sich nach dem Ende dieser vierten Strophe (im Sinne von Ps 121,2) fragen mag, woher ihm Hilfe kommt, erhält er die Antwort zu Beginn der fünften Strophe. Hier wird Christus gebeten: „O Jesu, hilf zur selben Zeit“¹⁵¹⁹. Auch der antithetisch gestaltete Beginn der Strophen 4 und 5 „O weh“¹⁵²⁰ und „O Jesu“¹⁵²¹ spricht dafür, dass hier ein solcher Wendepunkt in der Komposition vorliegt. Es könnte die Ansicht des Dichters sein, dass es in der größten Höllenangst und angesichts des Jüngsten Gerichts der Hinwendung zu und Anrufung von Christus bedarf.¹⁵²² Das geistliche Lied erweist seinen seelsorgerlich-tröstlichen Zweck. Das lyrische Ich weiß überdies eine Begründung zu nennen, weshalb der Richter sich als Helfer erweisen sollte: „O Jesu, hilf zur selben Zeit | Von wegen deiner Wunden“¹⁵²³. Damit ist die heilvolle Passion Christi gemeint, durch welche der Gottessohn den Glaubenden die Möglichkeit zur Erlösung eröffnet hat. Auf diese Heilstat (nicht etwa auf eigene Werke) beruft sich der Beter, ergreift Christus glaubend und lässt sein festes Vertrauen an die Gewissheit der Erlösung, welche um seiner Versöhnung willen geschehen ist, erkennen: „Daran ich denn auch zweifle nicht, | Denn du hast ja den Feind gericht | Und meine Schuld bezahlet.“¹⁵²⁴ Zudem bezieht sich der Dichter mit dem Bild der Bücher im Letzten Gericht (vgl. Apk 20,12.15) einerseits auf Strophe 3 zurück, erwähnt hier jedoch andererseits erstmals das Buch des Lebens, in welches das lyrische Ich hofft, eingetragen zu sein.¹⁵²⁵ Dieser Gedanke begegnet auch in der folgenden Strophe¹⁵²⁶, worin zudem Christus, der wiederkehrende Richter, im modus sperandi als „Fürsprecher“¹⁵²⁷ angesprochen wird. Im Gegensatz zu den Verdammten, welche von Christus weichen müssen (Strophe 4), dürfen die Christen darauf vertrauen, „in den Himmel ein[zugehen], |

        

Ebd., Str. 5, V. 1. Ebd., Str. 4, V. 1. Ebd., Str. 5, V. 1. Ähnlich äußert sich auch Smets. Vgl. Smets (s. Anm. 22), S. 322 f.; 378 f. Ringwaldt (s. Anm. 1501), S. 45, Str. 5, V. 1 f. Ebd., V. 5 – 7. Vgl. ebd., V. 3 f. Vgl. ebd., Str. 6, V. 3 f. Ebd., V. 1.

214

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Den du [= Christus] […] hast erworben.“¹⁵²⁸ In der vom bisherigen Text eröffneten heilvollen Perspektive des Glaubens wird das lyrische Ich in der letzten Strophe fähig, den Tag des Gerichts zu ersehnen und (im Sinne von Apk 22,20, kombiniert mit Mt 6,13) den auch im ersten Vers nochmals angesprochenen Gottessohn¹⁵²⁹ zu bitten: „Komm doch, o komm, du Richter groß, | Und mach uns in der Gnaden los | Von allem Uebel.“¹⁵³⁰ Hier zeigt sich abermals die Dialektik, dass im Glauben nach dem Kommen des Richters als des gnädigen Retters verlangt werden kann. Angesichts der „Plage[n]“¹⁵³¹ der Welt kann der Glaubende die noch verzögerte Parusie Christi (schmerzlich) herbeisehnen.¹⁵³² Hier mag man jedoch auch einen Rückverweis auf den Beginn des Gedichts sehen, wo es der Sorge vor einer lange ausbleibenden Parusie Christi zum Trotz heißt: „Es ist gewißlich an der Zeit, | Daß Gottes Sohn wird kommen“¹⁵³³. Hölle und Verdammnis (Strophe 4) behalten gerade nicht das letzte Wort, vielmehr wird den Glaubenden in den drei folgenden Strophen das durch den Glauben an Christus mögliche ewige Heil in Aussicht gestellt. Ringwaldts Interesse an eschatologischen Themen (verbunden mit einer Naherwartung des Jüngsten Tages¹⁵³⁴) zeigt sich auch in weiteren Werken. Die Christliche Warnung des Trewen Eckarts ¹⁵³⁵ stellt ein aufschlussreiches Beispiel für einen Text dar, in welchem ein protestantischer Autor unter Verwendung vieler sprachlicher Bilder über die novissima, näherhin das Jüngste Gericht und vor allem Himmel und Hölle dichtet.¹⁵³⁶ Es handelt sich um die populäre¹⁵³⁷, in Versform verfasste Erzählung über einen Menschen (bzw. aus der Sicht eines Menschen) namens Eckart, welcher die Gelegenheit erhält, Himmel und Hölle zu bereisen und danach auf die Erde zurückkehrt (er wird auf seiner eigenen Beer-

 Ebd., V. 6 f.  Vgl. ebd., Str. 7, V. 1.  Ebd., S. 46, Str. 7, V. 5 – 7.  Ebd., V. 4.  Vgl. ebd., S. 45 f., Str. 7, V. 1– 7. Anders etwa Smets (s. Anm. 22), S. 318.  Ringwaldt (s. Anm. 1501), S. 44, Str. 1, V. 1 f.  Ringwaldt war auch der Ermittlung der Jahreszahl des Weltendes nicht abgeneigt.Vgl. dazu Wennemuth (s. Anm. 1500), S. 93. Vgl. weiter Smets (s. Anm. 22), S. 319.  Vgl. Bartholomäus Ringwaldt: Christliche Warnung des Trewen Eckarts. Darinnen die gelegenheit des Himmels vnd der Hellen/ sampt dem zustande aller Gottseligen vnd verdampten begriffen/ allen frommen Christen zum Trost/ den verstockten Sündern aber zur vorwarnung/ in feine Reim gefasset […]. Frankfurt an der Oder 1590 [11588]. Ringwaldt hatte bereits 1582 ein ähnliches, kürzeres Werk verfasst, auf dessen Grundlage er die Christliche Warnung schuf. Vgl. dazu Wegner (s. Anm. 1496), S. 5 – 24.  Vgl. auch ebd., S. 17 f.  Vgl. ebd., S. 59.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

215

digung von Gott wieder auferweckt¹⁵³⁸), um den Lebenden zu Trost und Warnung von seinen Erlebnissen zu berichten.¹⁵³⁹ Franz Wegner hat gezeigt, dass Ringwaldt nicht nur biblische Stoffe¹⁵⁴⁰ und patristische Traditionen¹⁵⁴¹ aufnahm, sondern sich bei der Abfassung seiner Christlichen Warnung auch an älteren Werken lutherischer Autoren wie etwa Christoph Irenäus (ca. 1522–ca. 1595) orientiert haben könnte¹⁵⁴². Zu den Höllenszenen etwa verweist Wegner auf mittelalterliche Dramen bzw. geistliche Spiele mit apokalyptischen Inhalten.¹⁵⁴³ Solche Dramen, welche Jüngstes Gericht oder Hölle zum Gegenstand haben, erfreuten sich auch nach der Reformation sowohl im katholischen als auch im lutherischen Milieu einiger Beliebtheit.¹⁵⁴⁴ Bereits in der Vorrede kommt Ringwaldt darauf zu sprechen, dass gerade jene, welche zwar die christliche Botschaft kennen, aber gleichwohl in falscher Sicherheit ihr Leben führen, das nur auf weltliche Genüsse ausgerichtet ist, und über die Letzten Dinge spotten, die Höllenstrafe (und zwar in höherem Maße als jene, die von Christus nichts wissen, im Sinne von Mt 11,22– 24) zu erwarten haben: „Wehe aber/ vnd aber wehe/ vnd wehe in alle ewigkeit/ vber alle vnbußfertige vnnd verstockte Hertzen/ welche wissentlich die angebotene gnade im wort verachten/ vnd sich mutwilliglich der ewigen Seligkeit/ (vns in Christo erworben)/ berauben“¹⁵⁴⁵. Die Auffassung, dass gerade eschatologische Aussagen in der unvollkommenen Welt stets Stückwerk bleiben, wird in der Frühen Neuzeit

 Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. B 5r–5v.  So bereits in der Vorrede, vgl. etwa ebd., fol. A 7r–7v; B 5v.Vgl. auch weiter etwa ebd., fol. B 3r; J 8v–K 1r.  Vgl. Wegner (s. Anm. 1496), S. 67 f.  Vgl. ebd., S. 68 – 76.  Vgl. ebd., S. 60 – 64. Zu möglichen Übernahmen von Texten anderer lutherischer Autoren vgl. ebd., S. 64– 67. Überdies vertritt Wegner die Ansicht, spätere lutherische Autoren seien von Ringwaldts Christlicher Warnung beeinflusst worden. Vgl. ebd., S. 102– 111.  Vgl. ebd., S. 76 – 86.  Man denke etwa an das sogenannte Luzerner Antichrist- und Weltgerichtsspiel von 1549, welches zudem negativ-interkonfessionelle Züge trägt. Vgl. dazu Johanna Thali: Schauspiel als Bekenntnis. Das geistliche Spiel als Medium im Glaubensstreit am Beispiel des Luzerner Antichrist- und Weltgerichtsspiels von 1549. In: Das Geistliche Spiel des europäischen Spätmittelalters. Hrsg. von Wernfried Hofmeister und Cora Dietl. Wiesbaden 2015 (= Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 20), S. 440 – 461. Exemplarisch sei ferner auf ein Weltgerichtsspiel des Hans Sachs (1494– 1576) hingewiesen. Dieses erwähnt etwa Dorothea Klein: Bildung und Belehrung. Untersuchungen zum Dramenwerk des Hans Sachs. Stuttgart 1988 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 197), S. 114– 116. Für den Hinweis auf diese geistlichen Spiele danke ich Christian Schmidt (Göttingen).  Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. A 6v. Vgl. auch ebd., fol. A 4v–7r.

216

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

immer wieder vertreten, wie das Beispiel von Ringwaldt zeigt.¹⁵⁴⁶ Gleichwohl bedeutet dies für Ringwaldt nicht, von den Eschata schweigen zu müssen. Vielmehr verfasst er das Folgende gerade im Bewusstsein der Grenzen menschlichen Wissens über die novissima und fährt fort, indem er schreibt, dass die Freuden des Himmels und die Qualen der Hölle jede menschliche Vorstellung übersteigen werden.¹⁵⁴⁷ Zunächst wird von Eckarts Erlebnissen im Himmel erzählt. Am Anfang seiner Vision bereist Eckart den Himmelspalast und schildert – gelegentlich auch über biblische Angaben hinaus – den Irdischen seine wunderbaren Eindrücke dort¹⁵⁴⁸ sowie die Aussicht auf völlige Freude¹⁵⁴⁹, Gemeinschaft mit Gott und Christus¹⁵⁵⁰ in einem perfektionierten Leib.¹⁵⁵¹ Ringwaldt lässt seinen Eckart die prächtigen Gewächse der himmlischen Landschaft beschreiben, zahlreiche Vogelarten, welche er im Himmel ausmachen kann, aufzählen und neue Spezies entdecken, welche sich von „Lufft“¹⁵⁵² ernähren.¹⁵⁵³ Auch fügt Ringwaldt mitunter Anklänge an dogmatische Lehrstücke etwa über christologische Themen ein, wie beispielsweise die Zweinaturenlehre.¹⁵⁵⁴ Anhänger der Lehren der „Türcken“¹⁵⁵⁵ sowie Übeltäter werden dem lyrischen Ich zufolge nicht in den Himmel eingehen, sondern nur jene, die sich ganz auf Christus ausrichten.¹⁵⁵⁶ Ringwaldt verweist auf Gal 5,19 – 21 und zählt einige der dort beschriebenen Vergehen auf, ergänzt diese jedoch – möglicherweise von 1Kor 6,10 her, wie sich auch der katholische Dichter Laurentius von Schnüffis (1633 – 1702) in ähnlichem Kontext auf diese Bibelstelle beruft¹⁵⁵⁷ – etwa um die avaritia. ¹⁵⁵⁸ Diesen Gedanken wiederholt Ringwaldt im

 Vgl. etwa ebd., fol. A 7v–8r; B 7r–7v; C 2v; C 4v. Ähnliches gilt auch etwa für Meyfart. Vgl. Vollhardt (s. Anm. 31), S. 34.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. A 7v–8r.  Vgl. ebd., schon fol. B 6r–8v. Eckart vermag zu fliegen und stellt fest: „Vnd wenn ich wolte was berürn/ | So möcht ich kein entpfindung spürn/ | Greiff in die reine Lufft hinnein/ | Vnd fülte weder stock noch stein.“ Ebd., fol. B 6v.  Vgl. etwa ebd., fol. C 8r–8v.  Vgl. etwa ebd., fol. C 4r.  Vgl. etwa ebd., fol. C 1v–2r; E 1r–1v. Zur himmlischen Musik und Heiterkeit vgl. etwa ebd., fol. C 7r–7v.  Ebd., fol. E 4r.  Vgl. ebd., fol. E 3v–4r.  Vgl. etwa ebd., fol. C 6v–7r.  Ebd., fol. D 1r.  Vgl. ebd., fol. D 1r–1v.  Vgl. Laurentius von Schnüffis: Futer über die Mirantische Maul=Trummel […]. Konstanz 1699 [11698], S. 249 (13. Elegie).  Dort ist die Rede von „[V]ollseufferey/ Geitz/ wucher/ hoffart/ hurerey/ Gottslestrung/ zanck“. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. D 1v.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

217

weiteren Verlauf nochmals und fordert die irdischen Christen auf, nach den himmlischen (statt irdischen) Gütern zu streben¹⁵⁵⁹, die sogenannte goldene Regel (Mt 7,12) zu befolgen und sich der sieben Laster „pracht/ gottslestrung/ neid/ | Zorn/ vnzucht/ wucher/ trunckenheit“¹⁵⁶⁰ zu enthalten¹⁵⁶¹, um im Jüngsten Gericht nicht verdammt zu werden. Ringwaldt spricht ferner von einer Unterscheidbarkeit der Christen im Himmel hinsichtlich ihrer Zierde. Bestimmte auf Erden (im Glauben) getane Werke werden somit belohnt werden.¹⁵⁶² An dieser Stelle geht es weniger darum, zu benennen, was für den Eingang in den Himmel erforderlich ist, als vielmehr darum, dass herausragende Christen gewissermaßen (aus Gnade) mit ‚Boni‘ vergütet werden. Die Auffassung, dass es graduelle bzw. „akzidentell[e]“¹⁵⁶³ Unterschiede zwischen den Seligen im Himmel mit Blick auf ihre himmlische Zierde geben wird, findet sich grundsätzlich sowohl bei lutherischen als auch bei reformierten Theologen.¹⁵⁶⁴ Luther etwa wird von Ringwaldts Eckart im Himmel als herausragender Kirchenlehrer gesehen.¹⁵⁶⁵ Andererseits lässt er Eckart betonen, auch wenn ein Christ „gleich het ein grössern schein | […] als der ander […]/ | […] seind all gleiche Brüdr […] [.] | Der gröst acht sich dem kleinsten gleich/ | […] Den Schecher […] | Sah ich bey S. Johanne stehn“¹⁵⁶⁶. Der Autor zählt prominente Himmelsbewohner – etwa christliche Herrscher – auf.¹⁵⁶⁷ Indem berichtet wird, dass diese seligen Regenten sich zudem um die Förderung von „Kirch vnd Schul“¹⁵⁶⁸ verdient gemacht haben, sollen die lebenden Herrschenden mit der Aussicht auf himmlischen Gnadenlohn dazu motiviert werden, es den himmlischen Vorbildern gleich zu tun: Ringwaldt setzt die Rede von den Letzten Dingen also unter anderem ein, um die Obrigkeit zu

 Vgl. ebd., fol. E 7r–7v.  Ebd., fol. E 7v. Zur Ablehnung des Müßigganges vgl. etwa ebd., fol. H 8v.  Vgl. ebd., fol. E 7v.  Vgl. ebd., fol. D 2v–3r.  Kunz (s. Anm. 23), S. 66.  Vgl. etwa ebd., S. 60 – 62; 66. Vgl. weiter etwa Johann Matthäus Meyfart: Von dem Himlischen Jerusalem/ Auff Historische weise/ ohn alle Streitsachen/ Auß den holdseligsten vnd frölichsten Contemplationen, so wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. 2. Buch. Nürnberg 1633 [11627], S. 168 – 170.Vgl. auch Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 161– 163.Vgl. dazu auch Trunz (s. Anm. 29), S. 121. Der Gedanke findet sich auch bei Luther, vgl. etwa Schwambach (s. Anm. 73), S. 155 f. Siehe dazu oben Anm. 128. Calvin teilt diese Einschätzung bezüglich der graduellen Unterschiede der Seligen prinzipiell ebenfalls, vgl. Beißer (s. Anm. 23), S. 114.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. D 3v.  Ebd., fol. D 7r.  Vgl. ebd., fol. D 3v–4r.  Ebd., fol. D 3v.

218

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

finanzieller Unterstützung der lutherischen Kirche zu bewegen.¹⁵⁶⁹ Bemerkenswert ist ferner die Schilderung der Aussöhnung zwischen Christen, welche zu Lebzeiten selbst schwerste Verbrechen aneinander verübt hatten und im Himmel zu Vergebung und Eintracht fähig sind, da sie zur Versöhnung befreit sind durch die Versöhnungstat Gottes in Christus.¹⁵⁷⁰ Im zweiten Hauptteil reist das lyrische Ich in die Hölle und berichtet über die fürchterlichen Eindrücke, welche es dort sammelt¹⁵⁷¹, etwa die ewige Dunkelheit und die allumfassende Angst der vielen hässlichen¹⁵⁷² und versehrten Gepeinigten, wobei in Ringwaldts Hölle ebenfalls Unterschiede zwischen den Verdammten bestehen – abhängig vom Ausmaß der zuvor begangenen Übeltaten.¹⁵⁷³ Auch in der Höllenbeschreibung geht Ringwaldt über das hinaus, was in biblischen Texten zu finden ist, wenn er etwa den Eingang der Hölle als wie ein Drachenmaul aussehend beschreibt¹⁵⁷⁴ und auf giftige Tiere zu sprechen kommt¹⁵⁷⁵. Den Hölleneingang als Maul eines Ungeheuers zu schildern hat auch Entsprechungen in den bildenden Künsten in der Frühen Neuzeit¹⁵⁷⁶, so entstand etwa in Italien eine enstprechende überdimensionale Skulptur, welche einen Höllenrachen darstellt.¹⁵⁷⁷ Fantasievoll beschreibt Ringwaldt ferner groteske teuflische Wesen in der Hölle, welche die Verdammten peinigen.¹⁵⁷⁸ Einige der Charakteristika dieser Teufel sind scharfe Klauen, lange schwarze Zungen, Stachel, Schweineborsten sowie feurige Augen.¹⁵⁷⁹ Auch hier ist die Berücksichtigung der zeitgenössischen Ikonographie aufschlussreich¹⁵⁸⁰: Man denke etwa an die Bilder des Hieronymus

 Siehe dazu auch oben S. 26 sowie Anm. 111 u. ö.  Hier werden Paulus und jene Christen, für deren Verfolgung und Tod er verantwortlich war, genannt. Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. D 7v.  Vgl. ebd., fol. E 8v–F 1r.  Zur Darstellung der Verdammten als hässlich vgl. auch etwa Hartmann (s. Anm. 998), S. 67.  Vgl. etwa Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. F 1r–2v.  Vgl. ebd., fol. F 1r. Dieses Motiv findet sich auch bei anderen lutherischen Autoren, etwa bei Meyfart. Vgl. Vollhardt (s. Anm. 31), S. 34.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. F 1v.  Vgl. etwa Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 687, Abb. 2.  Vgl. Göttler (s. Anm. 4), S. 135– 141. Die damit möglicherweise verbundene Auffassung, die Hölle sei ein bestimmter (gar lokalisierbarer) Ort unter der Erde, wurde etwa von den Reformierten als Irrglaube der Katholiken kritisiert bzw. verspottet, vgl. dazu ebd., S. 142– 151. Vgl. zur Lokalisierung der Hölle unter der Erde auch Hartmann (s. Anm. 998), S. 21; 62 f. Auch die Lutheraner lehnen die Lokalisierung der Hölle grundsätzlich ab, vgl. etwa Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 161.  Vgl. bereits Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. J 5r.  Vgl. ebd., fol. J 5v.  Lyrische Texte und Gemälde etc. über die novissima wurden zudem häufig kombiniert, vgl. etwa Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 216. Auch ein Text wie Dante Alighieris

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

219

Bosch (1450 – 1516).¹⁵⁸¹ Gemälde und andere Artefakte, welche das Jüngste Gericht darstellen, fanden sich auch in lutherischen Kirchen in der Frühen Neuzeit häufig, wie etwa (freilich mit eigenen Akzenten) eine Gerichtsszene auf der Mitteltafel eines Epitaphs in der Marienkirche zu Flensburg (Abb. 14), in welcher sich an der Decke über dem Altar noch eine weitere Weltgerichtsdarstellung findet, exemplarisch veranschaulichen mag.¹⁵⁸² In fiktiven Schuldzuweisungen an sich selbst und andere geben in Ringwaldts Text einzelne Höllenbewohner die Gründe ihrer Verdammnis (etwa Trunksucht) zu erkennen; häufig begegnet auch das Motiv, die eigene Geburt zu verfluchen.¹⁵⁸³ Eine der (Identifikations‐)Figuren kommt zu dem Schluss, sie hätte im Leben von Sünden ablassen und Buße tun sollen.¹⁵⁸⁴ Auch mit einem Menschen, der in einer oratio ficta vorgibt, Lutheraner gewesen zu sein und nun erkennen muss, dass er aufgrund seiner Missetaten schwerer zu leiden hat als jene, die die christliche Botschaft nicht kennen, sollen sich die Adressaten identifizieren.¹⁵⁸⁵ An seinem Beispiel können sie lernen, Egoismus und dergleichen zu meiden und sich viel-

(1265 – 1321) Göttliche Komödie wurde für Höllenschilderungen als Vorlage genutzt, vgl. etwa Vollhardt (s. Anm. 31), S. 29 f.; 33.  Zu Weltgerichtsdarstellungen und (schrecklichen) Höllenszenarien bei Bosch, Hans Memling (ca. 1433 – 1494) und anderen vgl. Cagol (s. Anm. 10), S. 114– 131, bes. S. 114; 120 – 125.Vgl. auch Tobias Pfeifer-Helke: Die posthumen Phantasien des Hieronymus Bosch. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von dems. Berlin u. a. 2015, S. 9 – 13. Vgl. auch Vollhardt (s. Anm. 31), S. 30 – 32; 34.  Vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 158, Abb. 1; 159.Vgl. weiter etwa ebd., S. 61, Abb. 11; 63; 79; 114, Abb. 2; 115; 186, Abb. 3; 187; 193 f.; 195, Abb. 3; 197, Abb. 5; 214– 216. Vgl. weiter Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 507; 545 – 547; 595; 597; 687– 689; 745; 827; 830 u. ö. Es fällt auf, dass sich die Darstellungen durchaus in Details voneinander unterscheiden: So kann etwa im hier dargebotenen Fall (Abb. 14) statt des Erzengels Michael mit einer Waage in der Hand ein Engel bei der Tätigkeit, den Auferstandenen zu helfen, präsentiert werden. Vgl. auch Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 159. Im Gegensatz zu anderen Gemälden fehlen hier Schwert und Lilie, vgl. aber etwa ebd., S. 197, Abb. 5. Das Jüngste Gericht wurde gelegentlich sogar ohne Christus dargestellt. Vgl. ebd., S. 215 f.; 216, Abb. 4. Überdies können nur die Seligen in der Gerichtsszene dargestellt werden (siehe oben Anm. 417) oder nur die Verdammten, vgl. Cagol (s. Anm. 10), S. 114 f. Häufig findet sich ebenfalls eine sogenannte Deesis-Szene. Siehe dazu oben Anm. 797. Zur Darstellung von Schwert (als Symbol für die Verdammung) und Lilie (als Symbol der Gnade) vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 687 f. Luther hatte dieses Bildmotiv einerseits abgelehnt, andererseits gefordert, den richtenden Christus konsequenterweise mit dem Schwert und ohne die Lilie darzustellen. Gleichwohl wurde das Bildmotiv im Luthertum weiterhin verwendet. Vgl. dazu ebd., S. 688 f.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. F 4v–5r. Vgl. auch ebd., fol. F 3r. Dazu, dass die Verdammten auch ihre Geburt verfluchen, vgl. etwa ebd., fol. G 3v; H 1v; H 6v–7r; F 8v.  Vgl. ebd., fol. F 5r.  Vgl. ebd., fol. F 5r–5v.

220

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Abb. 14: Gemälde des Jüngsten Gerichts auf der Mitteltafel des Epitaphs für Gerdt von Mehrfeldt, 1597, Marienkirche, Flensburg.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

221

mehr barmherzig dem Nächsten zuzuwenden.¹⁵⁸⁶ Weitere Sünder treten auf, um den Adressaten vor Augen zu führen, wie grausam sie gefoltert werden – etwa dafür, geizig und ausbeuterisch gewesen zu sein.¹⁵⁸⁷ Der Aufruf zu Spenden für wohltätige Zwecke wird hier mit der Androhung der Höllenstrafen verbunden. Eigens kommen neben anderen ein ungerechter Herrscher, ein Pfarrer, welcher dem sündhaften Treiben keinen Einhalt bot und der gottlosen Obrigkeit nach dem Munde redete, sowie ein das Recht brechender Jurist zu Wort und mahnen ihresgleichen auf Erden, der Hölle zu entgehen, indem sie etwa für Recht sorgen und die lutherische Lehre befördern sollen.¹⁵⁸⁸ Durchaus von einer gewissen Komik geprägt ist der fiktive Monolog „eines verdampten Dorffpredigers.“¹⁵⁸⁹ Der Pastor wird auf ewig gepeinigt, weil er seinen Amtspflichten in seinem Dorf nicht nachkam, die Schrift nicht studierte, sondern „[v]iel lieber in dem Kruge saß/ | […] Tranck/ spielet/ vnd die Kegel scheib.“¹⁵⁹⁰ Der auf derbe Weise redende Geistliche berichtet, wie die von ihm in der Schenke beleidigten Bauern sich mit ihm prügelten.¹⁵⁹¹ Über eine Ansprache an ein Brautpaar muss er zugeben: „Was ich gered/ das weis jch nicht.“¹⁵⁹² Einen weiteren Höhepunkt der auch als abschreckendes Beispiel erdachten Rede¹⁵⁹³ stellt die Beschreibung dar, wie der betrunkene Pfarrer versucht, eine Taufe durchzuführen (auch die Paten sind übrigens alkoholisiert), wobei das Kind ins Taufbecken fällt und fast ertrinkt¹⁵⁹⁴ – an dieser Stelle könnte meines Erachtens möglicherweise auch eine Anspielung auf eine Persiflierung des eigentlichen Taufgeschehens als Ertränken des alten Adams vorliegen.¹⁵⁹⁵ Ein weiterer Verdammter bekennt seinen Unglauben und gesteht, das Endgericht für reine Fiktion gehalten zu haben.¹⁵⁹⁶ Ringwaldt kombiniert in seiner Höllenbeschreibung allerlei Laster und Unsitten mit der Auflistung von Menschen verschiedener Stände, Geschlechter, Altersgruppen etc. Keineswegs sind nur Menschen hohen Standes im Blick. So tritt auch ein einfacher Bauer auf und beklagt seine mangelnde Gottes- und Nächstenliebe, Unbußfertigkeit sowie seinen Ungehorsam gegenüber seinem Pfarrer und der Obrigkeit – seine Fehler

 Vgl. ebd., fol. F 6r–6v.  Vgl. ebd., fol. F 6v–8r.  Vgl. ebd., fol. G 3r–5r; G 8r–H 3v.  Ebd., fol. H 3v.  Ebd.  Vgl. ebd., fol. H 4r.  Ebd., fol. H 4v.  Wegner zufolge gab es jedoch für den Pfarrer an sich ein konkretes historisches Vorbild.Vgl. Wegner (s. Anm. 1496), S. 97 f.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. H 4r.  Vgl. ebd., fol. H 3v–5v.  Vgl. ebd., fol. H 5v.

222

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

sollen die irdischen Bauern nicht begehen, so die Mahnung.¹⁵⁹⁷ Eltern werden überdies ermahnt, streng bei der Erziehung der Kinder vorzugehen und ihnen Sittsamkeit beizubringen.¹⁵⁹⁸ Einer der Verdammten beklagt, dass Christus ihn im Jüngsten Gericht zu ewiger Strafe und endlosem Tod verurteilt hat, während ein zeitliches Gericht den Menschen für seine Verbrechen höchstens mit einer endlichen Strafe bzw. dem einmaligen Todesurteil belegen kann.¹⁵⁹⁹ Dies könnte eine Anspielung auf solche Menschen sein, die mit rationalistischen Einwänden – etwa jenem, dass es unverhältnismäßig wäre, wenn Gott ewig strafen würde, da selbst ein irdisches Gericht nur befristete Strafen verhängt – gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen argumentieren.¹⁶⁰⁰ Indem Ringwaldt diese Aussage einem Menschen in den Mund legt, welcher sich bereits in der Hölle befindet, erscheint sie als widerlegt und als Anlass zur Verdammnis. Die Ewigkeit der Hölle steht für Ringwaldt außer Frage. Dafür spricht auch, dass Ringwaldt subtil auf den bei den rationalistischen Kritikern (wie Fausto und Lelio Sozzini) begegnenden Gedanken der annihilatio der Bösen¹⁶⁰¹ anspielt, diesen jedoch ebenfalls konterkariert, indem in seiner Hölle allein die Hoffnung der Verdammten, nicht sie selbst, „zu nicht“¹⁶⁰² gemacht wird. Ringwaldt ergänzt: Wer den Ernst der Hölle leugne, spotte damit über Christi Leiden, durch welche der Gottessohn den Zorn Gottes auf sich nehmend den Glaubenden die Möglichkeit eröffnete, der Verdammnis zu entgehen.¹⁶⁰³ Am Schluss der Erzählung ruft das lyrische Ich seine Zeitgenossen zur Buße auf und ermahnt sie eindringlich, das Heil bei Christus zu suchen und sich ganz auf diesen glaubend auszurichten. Von der tröstlichen Botschaft der Rechtfertigung aus wird in einem zweiten Schritt die Konsequenz des christlichrechtschaffenen Lebenswandels gefordert. Ohne den Glauben gibt es keine guten Werke, doch ohne gute Werke (der Gottes- und Nächstenliebe sowie Buße) wäre der Glaube unvollständig.¹⁶⁰⁴ Es zeigt sich, dass es ein Missverständnis wäre, anzunehmen, dass in Folge der Reformation im Luthertum bildreiche Darstellungen des Jüngsten Gerichts

 Vgl. ebd., fol. J 2r–5r.  Vgl. etwa ebd., fol. J 1r–1v.  Vgl. ebd., fol. J 7r–7v.  Siehe dazu auch oben Kapitel 3.4.  Siehe dazu ebd.  Dies ist Teil der Rede des Verdammten, welcher zu folgendem Schluss kommt: „Sondern wir müssen on vorscheidn | Ein Ewiges gericht erleidn/ | Vnd jmmer auff dem Henckers plan/ | Vns ohne Todt/ erwürgen lan. | Ach Ewig/ du bist ein gesang/ | Der leider weret all zulang/ | Vnd vnser Hoffnung/ vom gericht [= Urteil bzw. Urteilsvollstreckung der Höllenstrafe] | Noch los zu werden/ macht zu nicht.“ Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. J 7v.  Vgl. ebd., fol. K 1r–1v.  Vgl. ebd., fol. K 2r–2v.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

223

oder der Hölle generell verschwinden. Ein großes Interesse an eschatologischen Themen hatte beispielsweise auch der Lutheraner Johann Matthäus Meyfart, welcher unter anderem je zwei Bücher über das Jüngste Gericht, das Höllische Sodoma und das Himmlische Jerusalem verfasste.¹⁶⁰⁵ Darin finden sich Ausführungen, welche Ringwaldts Schrift in vielen Details (man denke etwa an die schönen Tiere und die vollendeten Leiber der Seligen im neuen Jerusalem sowie die Qualen der Hölle und die gegenseitigen Beschuldigungen der Verdammten) ähneln.¹⁶⁰⁶ Meyfart wandte sich überdies, wie bereits festgestellt wurde, gegen alle, die das Jüngste Gericht leugneten, etwa die gebildeten Sozinianer. Ohnehin waren Meyfart zufolge besonders die Gebildeten gefährdet bzw. empfänglich für Theorien, denen zufolge keine Hölle existiert.¹⁶⁰⁷ In einem Anhang zu Ringwaldts Dichtung über Eckarts Bericht folgt (ebenso in Reimen abgefasst) zunächst ein Dialog zwischen einem wohlhabenden gottlosen und lasterhaften Menschen und dem personifizierten Tod, welcher ihn nicht verschont, sondern ihm das Endgericht vor Augen führt¹⁶⁰⁸, ihm die Hölle androht und ihn zu holen kommt.¹⁶⁰⁹ Anhand eines zweiten Dialogs des Todes und eines wohlhabenden maßvollen gerechten Christen, welcher dem Sterben zuversichtlich entgegen sehen darf ¹⁶¹⁰, wird zudem gezeigt, dass rechter Umgang mit Besitz und Macht möglich und Reichtum nicht per se verdammungswürdig ist. Somit haben vermögende Adressaten ein negatives und ein positives Beispiel, um vollständig zu sehen, wie sie ihr Leben – auch angesichts der überraschend eintretenden Parusie Christi zum Gericht – christlich gestalten sollen.¹⁶¹¹ Dass ein christlicher Umgang mit dem Vermögen für wohlhabende Christen durchaus nicht  Zu Meyfart und seinem Oeuvre vgl. Trunz (s. Anm. 29), zur sogenannten „eschatologische[n] Trilogie“ (ebd., S. 113) vgl. ebd., S. 113 – 162. Zu Meyfarts Interesse an der Thematik des Endgerichts vgl. etwa ebd., S. 142 u. ö. Vgl. auch Sommer (s. Anm. 4), S. 183 – 188. Zu Meyfarts Höllischem Sodoma vgl. auch Vollhardt (s. Anm. 31), S. 32– 35. Siehe zu Meyfart weiterhin unten Kapitel 7.3.  Vgl. beispielsweise Meyfart (s. Anm. 547), S. 146 – 237.Vgl. weiter ders.: Von dem Himlischen Jerusalem/ Auff Historische weise/ ohn alle Streitsachen/ Auß den holdseligsten vnd frölichsten Contemplationen, so wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. 1. Buch. Nürnberg 1633 [11627], etwa S. 308 – 311. Vgl. auch Meyfart (s. Anm. 1564), etwa S. 98 – 116; 125 – 197. Zur Drastik und Grausamkeit der Höllenbeschreibungen Meyfarts vgl. auch Vollhardt (s. Anm. 31), S. 34.  Vgl. etwa ebd., S. 34 f. Siehe auch oben S. 94 f.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. K 7v.  Vgl. ebd., fol. K 4v–8r. Hier und anderswo in Ringwaldts Werk mag auch das TotentanzMotiv im Hintergrund stehen. Vgl. dazu Wegner (s. Anm. 1496), S. 20. Zum Bildmotiv des Totentanzes vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 878 – 880.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. K 8v–L 6r.  Vgl. ebd., fol. L 6r–O 2r.

224

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

nur ein leidiges Thema in moralischen Schriften war, sondern auch Grund zu ernsthafter privater Auseinandersetzung mit der Thematik, zeigt etwa das Beispiel eines aufwändig gestalteten Kamins eines Hamburger Bürgers in der Frühen Neuzeit (Abb. 15).¹⁶¹² An diesem Kamin findet sich die Darstellung des armen Lazarus und des reichen, zur Hölle verdammten Jedermanns, welcher sich Lazarus‘ nicht erbarmt (vgl. Lk 16,19 – 31).¹⁶¹³ Der Besitzer vergegenwärtigte sich in seinem Haus so der Letzten Dinge und rief sich seine soziale Verantwortung angesichts des Endgerichts in Erinnerung. Steiger fasst diesen aus der Betrachtung des Kamins resultierenden (Selbst‐)Appell folgendermaßen zusammen: „Wer wohlhabend ist, möge, behaglich vor dem Kamin sitzend, der Armen nicht vergessen, um zu vermeiden, dass er dereinst nicht mehr vor dem Feuer, sondern in ihm zu sitzen kommt.“¹⁶¹⁴

Abb. 15: Kamin mit der Darstellung des Gleichnisses vom reichen Mann und armen Lazarus (aus dem Haus Gröningerstr. 23), um 1630, heller Sandstein, Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg.

 Vgl. dazu Steiger (s. Anm. 141), S. 79 – 81.  Vgl. ebd., S. 79.  Ebd., S. 81.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

225

Auf diese Ausführungen Ringwaldts folgt der Abschnitt über das Letzte Gericht. Der Lutheraner verarbeitet hier Themen wie etwa die Parusie Christi, die consummatio mundi und das Gericht an sich. Zunächst geht er auf die Zerstörung der alten Welt und die Neuschöpfung am Jüngsten Tag ein: „Wenn Christus nach des Vaters sprechn | Wird kommen diese Welt zubrechn/ | Vnd sie widrumb zur Herrligkeit/ | Vornewen zu der Ewigkeit.“¹⁶¹⁵ Schon in dieser kurzen, aber dichten Formulierung zeigt sich, wie nah Ringwaldt zufolge die Schrecken des Letzten Tages für die Bösen, welche die Hölle zu erwarten haben, und die ewigen Freuden der Guten, welchen letztendlich Gerechtigkeit widerfahren wird, beieinander liegen.¹⁶¹⁶ Der Lutheraner Ringwaldt führt den Adressaten auch den Regenbogenthron Christi vor Augen¹⁶¹⁷ und lokalisiert die Parusie Christi am Ölberg¹⁶¹⁸. Ringwaldt betont, dass der Richter der Gekreuzigte ist, dichtet Mt 19,28 nach und kommt eher knapp auf die Beisitzer im Gericht zu sprechen.¹⁶¹⁹ Nach der Schilderung der Erweckung der Toten mittels der endzeitlichen Posaunen¹⁶²⁰ geht Ringwaldt auf die Verwandlung der Lebenden sowie den Maßstab des Gerichts ein, welches der Glaube ist, dem zwangsläufig gute Werke folgen¹⁶²¹, wobei der Lutheraner genau zwei mögliche Ausgänge des Gerichts kennt und dabei buchstäblich schwarz-weiß malt: „Der eine schwartz/ der ander weiß/ | Darnach er auff dem Erdenkreiß/ | Die Frucht des glaubens in der that/ | An jederman bewiesen hat.“¹⁶²² Christus, welcher als Richter und Hirte beschrieben wird, scheidet in Entsprechung zu Mt 25,32 f. die bösen Böcke von „seine[n] Schaff“¹⁶²³, welche erhöht und zu „halbe[n] Schepffen“¹⁶²⁴ gemacht werden. Ringwaldt paraphrasiert Apk 20,12(.15) und schreibt, dass die Sünden der Glaubenden im Jüngsten Gericht nicht thematisiert und diesen nicht zugerechnet werden, während die Bösen nach dem Gesetz bzw. einzig nach ihren Werken gerichtet werden und so vor Gott nicht

 Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. L 8r–8v. Zur consummatio mundi und der Neuschöpfung vgl. auch ebd., fol. L 8v–M 1r.  Vgl. ebd., fol. L 8v. Am Tage der Parusie Christi werden überdies alle Übel der Welt sowie die Verderbensmächte vollends überwunden werden, vgl. ebd., fol. N 8r.  Vgl. ebd., fol. M 1r.  Vgl. ebd.  Vgl. ebd., fol. M 1r–1v.  Vgl. ebd., fol. M 1v.  Die Darstellung des Zusammenhangs zwischen den Werken der Nächstenliebe als Folge des Glaubens und dem Urteil im Jüngsten Gericht lässt sich auch in der zeitgenössischen Ikonographie im frühneuzeitlichen Luthertum finden, vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 115 f.; 193 – 197; Siehe dazu auch oben Kapitel 2.3.  Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. M 1v.  Ebd., fol. M 2r.  Ebd.

226

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

bestehen können.¹⁶²⁵ Ringwaldt dichtet auch Mt 25,34 nach, ändert jedoch die Urteilsbegründung in auffälliger Weise.¹⁶²⁶ Während in der biblischen Vorlage die Werke der Barmherzigkeit aufgezählt werden, gibt der Richter Vertrauen (fiducia) und Glauben (fides) als Gründe für die Erlösung an: „Denn jr habt meinem wort vertraut/ | Jn ewrem hertzen drauff gebawt/ | Vnd fest gegleubet/ das ich het/ | Jm Abendessen war geredt.“¹⁶²⁷ Dass darauf auch die guten Taten der Glaubenden folgten, ergänzt der Dichter eher am Rande.¹⁶²⁸ Auch den Urteilsspruch an die Verdammten ändert Ringwaldt gegenüber der biblischen Vorlage ab¹⁶²⁹ und lässt Christus unter anderem erklären, ihr Vergehen habe darin bestanden, seine „reine Lehr/ | Gelestert vnd verfolget sehr“¹⁶³⁰ zu haben, was möglicherweise als subtile antikatholische Polemik zu verstehen sein könnte. Den Schluss des Abschnitts bildet eine Nachdichtung von Mt 25,46, wobei der Lutheraner die Höllenpein als „heisse[s] Fewr vnd Wasser kalt“¹⁶³¹ beschreibt. Es wäre meines Erachtens eine Verkürzung der Tatsachen, die Funktion des Textes nur in sozialer Disziplinierung zu sehen. Ringwaldt droht zwar mit den Schrecken der Hölle, doch stellt er den Leidenden auch himmlische Freuden in Aussicht. Zudem zeigt sich, dass Ringwaldt die Adressaten mit humoristischen Ausführungen (etwa jene über den betrunkenen Dorfpfarrer) oder den Schilderungen faszinierender Details von Himmel und Hölle auch unterhalten will, wobei diese Unterhaltung jedoch nicht Selbstzweck ist¹⁶³², sondern zur Vermittlung geistlicher Inhalte dient.

6.2.2 Johann Rist Ringwaldts geistliches Lied Es ist gewißlich an der Zeit war durchaus populär, häufig lassen sich Bezugnahmen und Zitate bei anderen lutherischen Autoren der Frühen Neuzeit finden.¹⁶³³ So auch am Beginn eines Gedichts des Wedeler Pastors

 Vgl. ebd., fol. M 2r–2v.  Vgl. ebd., fol. M 3r–3v.  Ebd., fol. M 3r.  Vgl. ebd., fol. M 3v.  Vgl. ebd.  Ebd.  Ebd., fol. M 4r.  Diesen unnötigen Unterschied zwischen kunstvoller Dichtung und theologischen Lehren – auch in Bezug auf die Gerichtsthematik – macht etwa Wegner, vgl. Wegner (s. Anm. 1496), S. 20 f.  Vgl. Wissemann-Garbe (s. Anm. 1502), S. 95. Vgl. beispielsweise Herberger (s. Anm. 747), S. 662 f. Vgl. auch etwa Lüdemann (s. Anm. 622), fol. )( )( 10r–12r.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

227

Johann Rist (1607– 1667)¹⁶³⁴ über den Parusie-Artikel des Apostolikums.¹⁶³⁵ Zwar kann auch Rist an anderer Stelle schreiben, der Jüngste Tag werde das Weltende mit apokalyptischem Feuer einläuten¹⁶³⁶, beginnt dieses Gedicht jedoch anders. Das geistliche Lied umfasst zwölf Strophen mit je sieben Versen. Rist kontrastiert zu Beginn der Dichtung die erste Zukunft Christi in Niedrigkeit mit der Parusie zum Letzten Gericht¹⁶³⁷, was der Dichter durch ein adversatives „aber“¹⁶³⁸ anzeigt. Während Christus – voller Barmherzigkeit – „[s]ich | [d]er Sünder angenommen“¹⁶³⁹ hat, erscheint der Gottessohn am Jüngsten Tage den Bösen als gerechter Richter. Es ist ein Anliegen des lutherischen Dichters, zu zeigen, dass die Zeit, sich zum Seligmacher Christus zu bekehren, vorhanden ist – jedoch nicht ewig währt, sondern am Jüngsten Tag, an welchem für die Unbußfertigen nicht Gnade vor Recht ergehen kann, vorüber sein wird. Wie Luther, Meyfart und andere ruft Rist die Sünder also dazu auf, im Leben das Endgericht zu bedenken und Buße zu tun, statt „zu prokrastinieren“¹⁶⁴⁰, die Besserung also aufzuschieben, bis es möglicherweise zu spät ist. „Die Warnung, daß alles darauf ankommt, sich rechtzeitig im Glauben und in wahrer Buße Gott zuzuwenden, bildet das notwendige Gegengewicht zur Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben.“¹⁶⁴¹ Mehrfach hebt Rist ferner hervor, dass alle ausnahmslos vor dem himmlischen Richter Rechenschaft werden ablegen müssen. So heißt es etwa in der vierten Strophe: „Kein Mensch wird hie befreiet sein/ | Den/ die man hat gefunden | Von Adams Zeiten groß’ und Klein’ | An Kranken und Gesunden/ | An Reichen/ Armen/ hoch und schlecht/ | Die müssen allzumahl fürs Recht/ | Nichts bleibt hievon entbunden.“¹⁶⁴² Es wird deutlich, dass die Rede vom Jüngsten Gericht dem  Zu Rist vgl. etwa Johann Anselm Steiger und Bernhard Jahn: Einleitung. In: Johann Rist (1607– 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von dens. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 13 – 21.  Vgl. Johann Rist: Neüe Musikalische Katechismus Andachten/ Bestehende Jn Lehr= Trost= Vermanung und Warnungs=reichen Liederen über den gantzen heiligen Katechismum […]. Lüneburg 1656, S. 112 (19. Katechismus-Lied).  Vgl. etwa ders. (Verf.) und Christian Flor (Komp.): Neues Musikalisches Seelenparadis/ Jn sich begreiffend Die allerfürtreflichste Sprüche der heiligen Schrifft/ Alten Testaments/ Jn gantz Lehr= und Trostreichen Liederen und HertzensAndachten […]. Lüneburg 1660, S. 159 (26. Andacht, Str. 9 f.). Zum Theologumenon der consummatio mundi sowie der Rede von der Zerstörung der alten Welt durch Feuer vgl. auch Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 56.  Vgl. Rist (s. Anm. 1635), S. 112, Str. 1 f.  Ebd., Str. 2, V. 1.  Ebd., Str. 1, V. 6 f.  Steiger: Donnerwort (s. Anm. 48), S. 9. Vgl. dazu auch ebd., S. 12 f.  Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 126.  Rist (s. Anm. 1635), S. 113, Str. 4.Vgl. auch ebd., S. 112, Str. 2,V. 3 – 5; Str. 3,V. 1 f.; S. 113, Str. 5, V. 6 f.

228

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Lutheraner zufolge Personen jeden Standes, Geschlechts, Alters etc. angeht und dass nicht nur in ihrer Sterblichkeit alle Menschen gleich sind¹⁶⁴³, sondern auch darin, einst vor dem höchsten Richter stehen zu müssen. Nachdem in der dritten Strophe knapp die Auferstehung der Toten¹⁶⁴⁴ sowie die Verwandlung der Lebenden als dem Gericht vorausgehende Ereignisse erwähnt werden¹⁶⁴⁵, kommt Rist auf die Ankunft Christi zum Gericht und die Scheidung der Bösen von den Frommen sowie deren Verdammnis bzw. Freispruch zu sprechen.¹⁶⁴⁶ Dabei alludiert bzw. verarbeitet er in den Strophen 5 und 6 (unter anderem) Auszüge aus Mt 25,31– 34.41.46, wie sich bereits an der an Mt 25,31 orientierten Formulierung in Strophe 5 zeigt: „Es wird in Seiner Herligkeit | Des Menschen Sohn für Allen | Sich schauen lassen weit und breit“¹⁶⁴⁷. Den doppelten Ausgang des Gerichts beschreibt Rist folgendermaßen: „Den Schaffen bleibt das ewig’ Heil/ | Den Bökken aber wird zu theil/ | Ein unaufhörlichs Brennen.“¹⁶⁴⁸ Die von Rist als „Spötter“¹⁶⁴⁹ bezeichneten Menschen, welche den christlichen Lehren über Jüngstes Gericht und Hölle weder Gehör noch Glauben schenken¹⁶⁵⁰, fordert der Lutheraner nach den Ausführungen über den doppelten Ausgang des Gerichts auf: „Bedenkt dis wol Jhr Frechen!“¹⁶⁵¹ und begründet seine Gewissheit, dass das Jüngste Gericht bald „nahet“¹⁶⁵², mit dem Verweis darauf, dass Gott bzw. der Heilige Geist nicht lügen kann.¹⁶⁵³ Die folgenden Strophen sind der Beschreibung solcher Anzeichen – etwa der Vielzahl kriegerischer Auseinandersetzungen und dem Mangel an Glauben (in Anlehnung an Mt 24,12) – gewidmet, von denen Rist darauf schließt, dass die Parusie Christi sich in naher Zukunft ereignen wird.¹⁶⁵⁴ Den glaubenden Christen rät er jedoch demgegenüber, sie sollten „begehren | Zu schauen bald den letsten Tag/ | Woran der grosse Richter mag | Uns Fried’ und Ruh beschehren.“¹⁶⁵⁵

 Vgl. etwa Rist (s. Anm. 1636), S. 146 f. (24. Andacht, Str. 8).  Vgl. zur Thematik der Auferstehung am Jüngsten Tage beispielsweise auch Rist (s. Anm. 1635), S. 136 – 141 (23. Katechismus-Lied).  Vgl. ebd., S. 113, Str. 3, V. 3 – 7.  Vgl. ebd., S. 113 f., Str. 5 f.  Ebd., S. 113, Str. 5, V. 1– 3.  Ebd., S. 113 f., Str. 6, V. 5 – 7.  Ebd., S. 114, Str. 7, V. 1.  Vgl. ebd., V. 1– 4.  Ebd., V. 7.  Ebd., Str. 8, V. 3. Vgl. auch ebd., V. 1– 7. Im Sinne von Mk 13,32 f. ist jedoch das Wissen über den genauen Termin der Parusie Christi den Menschen unverfügbar. Vgl. etwa Rist (s. Anm. 1636), S. 445 (72. Andacht, Str. 10).  Vgl. Rist (s. Anm. 1635), S. 114, Str. 7, V. 5 f.  Vgl. ebd., S. 114 f., Str. 8 – 10.  Ebd., S. 115, Str. 11, V. 4– 7.

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

229

Andernorts spricht Rist auch von Christi „Wiederkunft zur Freüden“¹⁶⁵⁶ (statt zum Gericht) und verlangt nach dem Ende der irdischen Leiden der Christen, das der Jüngste Tag bringen wird.¹⁶⁵⁷ Wer das geistliche Lied singt, stimmt ein in die an Apk 22,20 angelehnte Bitte: „So komm’/ O libster Jesu/ komm’“¹⁶⁵⁸. Dies kann der Beter jedoch nur, da er mit den Augen des Glaubens den Letzten Tag kontrafaktisch als heilvoll zu erkennen vermag und sich vertrauensvoll auf Christus verlässt. Dabei weiß sich der Glaubende zudem abhängig von der gnadenvollen Gabe des Glaubens durch Gott und vermeint nicht, aus eigener Macht oder Kraft zur Seligkeit gelangen zu können, wie sich an der ebenfalls in der letzten Strophe formulierten Bitte an Christus „Ach aber/ mach uns erstlich fromm“¹⁶⁵⁹ meines Erachtens nochmals zeigt.¹⁶⁶⁰ Jene oben erwähnten Leugner des Endgerichts sind auch die Adressaten zu Beginn einer Dichtung über das Jüngste Gericht auf der biblischen Basis von Mal 4,1– 3.¹⁶⁶¹ Rist erweitert die Perspektive auf alle Sünder und befiehlt angesichts des nahenden Gerichts Christi¹⁶⁶² eindringlich: „[V]ergiß ja nicht | O Sündenknecht/ der Höllen/ | Samt der Verdamten Angst und Pein“¹⁶⁶³. Durch den Gebrauch des Imperativs sowie der Interjektion ‚O‘ wird der Singende persönlich angesprochen. Auch in der dritten Strophe erklärt Rist es zu einer gewissen Tatsache, dass Christus zum Gericht erscheinen und diejenigen, welche den Sohn Gottes „nicht wolten kennen“¹⁶⁶⁴, zur Höllenstrafe verdammen wird.¹⁶⁶⁵ Weiter zählt der Dichter einige der verdammungswürdigen Gruppen auf, etwa Irrlehrer,

 Ebd., S. 139, Str. 7, V. 10.  Vgl. ebd., S. 194 f. (32. Katechismus-Lied, Str. 16). Vgl. auch etwa Rist (s. Anm. 1636), S. 254 (41. Andacht, Str. 10 f.). Vgl. ebd., S. 322 (52. Andacht, Str. 9).  Rist (s. Anm. 1635), S. 115, Str. 12, V. 1.  Ebd., V. 3.  Vgl. auch Rist (s. Anm. 1636), S. 154 (25. Andacht, Str. 9). Rist lässt in anderem Kontext den Beter in einem Gedicht über Ps 119,176 (71. Andacht) geistlich zum Schaf mutieren, welches zunächst Gott in Anspielung auf Lk 15,3 – 7 bittet, es als Hirte zu suchen. Dabei äußert der Dichter kunstvoll komprimiert die Meinung, dass Gottes Initiative die Bedingung der Möglichkeit des Sünders ist, zum Glauben zu gelangen und im Glauben zu Gott zu kommen: „Steh’ auff/ mein Hirt’/ und suche mich/ | Und suchst du mich/ so find’ ich dich“. Ebd., S. 439, Str. 7, V. 7 f. Im Laufe des Gedichts eröffnet Rist (über den ‚gemeinsamen Nenner‘ des Schafes) die eschatologische Perspektive und spielt auf Mt 25,31– 46 an, wenn das ‚betende Schaf‘ bittet: „Laß mich zu deiner Rechten stehn/ | Wenn wir dich in den Wolken sehn/ | Und führe mich alsden zugleich | O treuer Hirt/ ins Freudenreich“. Ebd., S. 440, Str. 9, V. 7 f.  Vgl. ebd., S. 478 – 482 (78. Andacht), hier bes. S. 479, Str. 1.  Vgl. ebd., S. 479, Str. 2.  Ebd., V. 6 – 8.  Ebd., S. 480, Str. 3, V. 10.  Vgl. ebd., S. 479 f., Str. 3.

230

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Unzüchtige etc.¹⁶⁶⁶ Mehrfach fasst Rist die Schrecken der Hölle und der teuflischen Qualen in Reime, wobei er diese meist mit Begriffen aus dem Wortfeld Feuer beschreibt und biblische Verse wie etwa Mt 25,41 alludiert bzw. zur Vorlage nimmt: „Nur fohrt zum Feur und Strafgericht’ | Jhr Kleine samt den Grossen/ | Jhr seid von Gottes Angesicht’ | Jn Ewigkeit verstossen/ | Lauft zu den schwartzen Geistern hinn/ | Die sollen euch sich zum Gewinn’ | Ohn End’ und Labung quählen/ | Es ist fürbei die Gnadenzeit | Jtz kan die Pein der Ewigkeit | Kein Menschenkind erzehlen.“¹⁶⁶⁷ Wiederum wird deutlich, dass Rist zufolge die Möglichkeit, sich zu Christus als dem barmherzigen Retter zu flüchten, befristet ist. Im ersten Vers der siebten Strophe jedoch findet sich der Wendepunkt des Textes. Nun richtet Rist den Blick auf die guten Christen, welche am Jüngsten Tag in die himmlischen Freuden eingehen dürfen¹⁶⁶⁸, und lässt das lyrische Ich diese in der 2. Person Plural ansprechen, was eine Nähe und Vertrautheit erzeugt und eine deutliche Abgrenzung gegenüber den zuvor genannten Sündern darstellt: „Euch aber/ welcher kindlichs Hertz | Des Herren Namen libet/ | Euch sol nicht plagen Angst noch Schmertz“¹⁶⁶⁹. Ähnlich wie in Ringwaldts Es ist gewißlich an der Zeit wird hier bei Rist der Blick weg von den Höllenschrecken der Verdammten hin zur Heilsverheißung an die Glaubenden gerichtet und am Ende äußert auch hier das lyrische Ich den Wunsch, dass die angesichts der Leiden der Christen in der Welt intensiv ersehnte Parusie Christi recht bald erfolgen möge.¹⁶⁷⁰ Auch für Rist ist klar, dass es einen rechten Glaubenden ausmacht (und nur dieser wahrhaft fähig ist¹⁶⁷¹), tätige Nächstenliebe zu üben, was Christus „zur letsten Zeit | Hoch rühmen“¹⁶⁷² wird.¹⁶⁷³ Der Lohn des ewigen Lebens wird gnädig gewährt, nicht verdient – Rist gebraucht an dieser Stelle den Terminus „Gnadenlohn“¹⁶⁷⁴. Auch in einer Dichtung über Mi 6,8 zählt der Lutheraner Rist Werke der Nächstenliebe auf ¹⁶⁷⁵, welche der Christenmensch tun soll und fordert die Adressaten mit einem Imperativ eindringlich auf, sich Christi Rede aus Mt 25,34– 36.40 als Anleitung zu rechtem christlichen Lebenswandel einzuprägen,

 Vgl. ebd., S. 480, Str. 4.  Ebd., Str. 5.  Vgl. ebd., S. 481, Str. 7.  Ebd., V. 1– 3.  Vgl. ebd., S. 482, Str. 9 f.  Vgl. Rist (s. Anm. 1635), S. 135 (22. Katechismus-Lied, Str. 12, V. 5 f.).  Ebd., S. 53 f. (9. Katechismus-Lied, Str. 8, V. 3 f.)  Vgl. ebd., Str. 7 f.  Ebd., S. 53, Str. 8, V. 2.  „Wen man den Negsten libt als sich/ | Und schenkt den Armen mildiglich/ | Gibt Kleider den Verjagten/ | Führt die/ so sonst vertrieben sind | Zur Wohnung mit sich hin geschwind’/ | Erbarmt sich der Geplagten.“ Rist (s. Anm. 1636), S. 388 (63. Andacht, Str. 6, V. 5 – 10).

6.2 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen lutherischer Autoren

231

wobei er in der Gestaltung seiner fiktiven Christusrede die Verbindung von guten Taten am Nächsten und guten Taten an Christus (vgl. Mt 25,34– 40) bereits vollzogen hat: Ach hört/ was Christus Selber spricht: | Komt ihr Gebenedeiten/ | Jhr habt gedacht an eure Pflicht/ | Steht mir zur rechten Seiten/ | Ererbt das Reich/ das euch beschehrt/ | Jhr seid mir hertzlich lib und wehrt/ | Jhr habt Mich aufgenommen/ | Jhr seids/ die Mich gespeist/ getränkt/ | Mit Geld’ und Kleidern Mich beschenkt/ | Jn Schwachheit zu Mir kommen.¹⁶⁷⁶

Gleichwohl warnt Rist auch hier vor dem Missverständnis, ohne Glauben könne ein gutes Werk vollbracht und automatisch das Heil verdient werden.¹⁶⁷⁷ Zudem setzt er die Rede von der Hölle ein, um die Menschen aufzufordern, von bestimmten von ihm als schwerwiegend erachteten Vergehen Abstand zu nehmen.¹⁶⁷⁸ An anderer Stelle kritisiert Rist mit Verweis auf das Jüngste Gericht die grundsätzliche Ablehnung irenischer Bemühungen, zwischen verschiedenen protestantischen Positionen (intrakonfessionell, aber möglicherweise auch mit Blick auf die Beziehungen zwischen Lutheranern und Reformierten) zu vermitteln: Aber/ wer darf sich nur einmahl recht erkühnen/ von solcher Christlichen und gründlichen Versöhnung unter den Christen/ einen Vorschlag zu thun? Da würde es bald heissen: Sehet/ da haben wir abermahl ein neuen Syncretisten/ hinweg mit dem Syncretismo (sagte jenner/ aus einem/ vileicht gahr zu unzeitigem Eyfer) Syncretisten die böse Christen/ sind weder kalt noch warm/ sondern lau/ darumb wird sie auch Gott der HErr aus seinem Munde speien. Aber/ höret doch/ ihr Zänker und Stänker/ meinet ihr den/ das man durch eine solche gahr zu grosse Hitzigkeit/ und unzeitigem Eyfer gegen dem armen NebenChristen/ den Himmel könne innehmen? Versichert euch/ das an jennem grossen GerichtsTage/ für dem Angesichte Gottes/ und der gantzen Welt wird kund und offenbahr werden/ daß nicht die/ welche in ihrem heftigen disputiren und bitteren ZankReden/ viel tausend mahl/ Herr/ Herr/ haben geruffen und geschrien/ zu der Rechten Hand des Richters/ der Lebendigen und der Todten werden gestellet/ und zu der Herligkeit der Kinder Gottes erhaben werden: Ach nein! Es sollen nur die jenige/ welche in wahrem Glauben als rechte LibeChristen/ den Willen des Himlischen Vatters vollenbracht haben/ dort ewig erquikket/ und mit unaussprächlicher Ehre/ Freude und Herrligkeit aus Gnaden belohnet werden.¹⁶⁷⁹

 Ebd., S. 389, Str. 7.  Vgl. ebd., S. 389 f., Str. 9.  So warnt er etwa: „Das ärgst’ heist Sodomiterei/ | An welche sonder Furcht und Scheü | Kein Christlichs Hertz gedenket/ | Wer solches tuht/ zwingt auch mit Noht | Ein Weib/ der wird als geistlich tod | Zur Höllenpein versenket.“ Rist (s. Anm. 1635), S. 49 (8. Katechismus-Lied, Str. 13). Vgl. auch etwa Rist (s. Anm. 1636), S. 86 (14. Andacht, Str. 3 f. u. ö.).  Ebd., fol. b 6r.

232

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Allerdings beklagt Rist (im Sinne einer intrakonfessionellen Problemanzeige) hier auch, es stelle ein größeres Problem dar, dass viele Zeitgenossen nicht der einen oder der anderen Lehrmeinung anhängen, sondern überhaupt nicht des Endgerichts und der übrigen novissima gedenken bzw. diese leugnen, vielmehr nur an irdischen Genüssen interessiert sind, in falscher securitas leben und sich zur Legitimation ihrer Ausschweifungen gelegentlich gar auf den Glauben (ohne Werke) berufen.¹⁶⁸⁰ Solche an geistlichen Dingen nicht interessierten, areligiösen Menschen, welche das diesseitige Leben genießen wollen und keine jenseitigen Höllenstrafen erwarten, bezeichnen die lutherischen Theologen (wie auch Luther¹⁶⁸¹) häufig als Epikureer, womit jedoch nicht gemeint ist, dass diese Zeitgenossen mit der antiken Philosophie vertraut gewesen wären (ohnehin hat man es hier nicht etwa mit theologisch argumentierenden Gegnern der Lehre der Ewigkeit der Hölle oder dergleichen zu tun), sondern dass sie die Existenz nach dem Tode in Abrede stellen und daher leben als gäbe es kein Morgen. Scharf polemisieren die orthodoxen Lutheraner gegen den ‚Angriff der Gleichgültigkeit‘ dieser als diffus wahrgenommenen Gruppe¹⁶⁸² und halten gegenüber solchen Ignoranten der Letzten Dinge an den Lehren des Jüngsten Gerichts und der Ewigkeit der Höllenstrafen fest. Das Theologumenon des Letzten Gerichts findet sich aber keineswegs nur in Texten lutherischer Dichter der Frühen Neuzeit.

 Vgl. ebd., fol. b 6r–6v. Vgl. weiter ebd., fol. b 7v–c 1v. Rist kommt dort auch auf die besondere Rechenschaftspflicht der Prediger im göttlichen Gericht zu sprechen, in welchem beurteilt werden wird, ob die Geistlichen ihren Aufgaben nachkommen, die Christenmenschen recht zu belehren, zu ermahnen etc. Zu Rists scharfer Ablehnung der sogenannten Epikureer, seiner Kritik an denen, die das Letzte Gericht und die ewige Höllenpein leugnen, sowie seiner Warnung vor falscher securitas vgl. auch Grosse (s. Anm. 46), S. 318 – 320. Diese Ablehnung ist typisch für die lutherische Orthodoxie.  Vgl. dazu etwa Beißer (s. Anm. 23), S. 51.  Vgl. etwa Sommer (s. Anm. 4), S. 187. Vgl. auch Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 158. Trunz vermutet, dass diese Gleichgültigkeit bzw. die Ausrichtung auf irdische Genüsse möglicherweise durch die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges verstärkt wurde, vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 139. Vgl. auch etwa Lüdemann (s. Anm. 622), S. 459.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

233

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren 6.3.1 Johannes Khuen Die biblische Rede vom Tag des Zorns inspirierte auch den katholischen Barockdichter Johannes Khuen (1606 – 1675). Von ihm stammt die Geistliche Schäfferey ¹⁶⁸³, eine Sammlung geistlicher Lieder von 1650. Im dritten Teil des Buchs findet sich als zwölfter und letzter Text ein Gedicht über das Jüngste Gericht.¹⁶⁸⁴ Das geistliche Lied besteht aus zwölf Strophen mit jeweils acht Versen. Khuen beginnt die Dichtung mit der Zitation von Apk 6,16 f. („Verberget vns vor dem Angesicht dessen der auff dem Richterstuel sitzt/ vnd vor dem Zorn deß Lambleins/ dann der grosse Tag deß Zorens ist kommen.“¹⁶⁸⁵)¹⁶⁸⁶ und stellt das Folgende so unter das Vorzeichen des „dies magnus irae“¹⁶⁸⁷. In der ersten Strophe thematisiert der Dichter die consummatio mundi. ¹⁶⁸⁸ In V. 1 imaginiert das lyrische Ich das Eintreffen des Jüngsten Tages, wodurch möglicherweise die trügerische Sicherheit derer, welche jenen Tag als ferne und daher unbedeutende Zukunft wähnen, als gefährlich erwiesen werden soll.¹⁶⁸⁹ Dies wird in V. 7 f. wieder aufgegriffen: Das lyrische Ich spricht das Wehe über jene, „sie sich nit allhie | Vorher/ zu GOtt bekehrten.“¹⁶⁹⁰ Beginn und Ende der Strophe stellen dabei eine Rahmung dar. Durch den Gebrauch des Präteritums wird die Dringlichkeit, sich rasch zu bessern, ehe die Parusie Christi stattfindet, betont. In der zweiten Strophe geht es darum, dass jede Straftat im Letzten Gericht zur Sprache gebracht¹⁶⁹¹ und gestraft werden wird.¹⁶⁹² Sodann wird geschildert, dass am Tag des Jüngsten Gerichts die irdischen Machtverhältnisse enden, „Tyrannen/ vnd Regenten“¹⁶⁹³ werden ihre

 Vgl. Johannes Khuen: Tabernacula PASTORVM Die Geistliche Schäfferey/ Mit villerley Newen Gesänglein. […]. München 1650. Zu Khuen vgl. Franz Günter Sieveke: Art. Khuen, Johannes. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 6 (2009), S. 397 f.  Vgl. Khuen (s. Anm. 1683), S. 173 – 178 (Gesang zu Apk 6,16 f., von dem Jüngsten Gericht).  Ebd., S. 174.  Vgl. ebd., S. 173 f.  Ebd., S. 173.  Vgl. ebd., S. 174, Str. 1.  Vgl. ebd., V. 1.  Ebd., V. 7 f.  „Was lange Jahr verschwigen war/ | Das bleibt nit mehr verschwigen“. Ebd., Str. 2, V. 5 f.  Vgl. ebd., V. 1– 8.  Ebd., S. 175, Str. 3, V. 2.

234

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

„Macht“¹⁶⁹⁴ verlieren und von dem höchsten Richter gerichtet werden.¹⁶⁹⁵ „Mördter[n]“¹⁶⁹⁶ und anderen Missetätern wird in der vierten Strophe angedroht, sie hätten in der Hölle Folter durch „Gluet/ Zangen/ Rad/ vnd Galgen“¹⁶⁹⁷ zu erwarten – diese Aufzählung findet sich im letzten Vers der Strophe, sodass die Schrecken dem Leser am Ende umso nachdrücklicher vor Augen stehen. In den folgenden Strophen wird in ähnlicher Weise verschiedenen Übeltätern, etwa dem „Gleisner“¹⁶⁹⁸, der versucht, sich zu rechtfertigen, die „Flamm der Höllen“¹⁶⁹⁹ in Aussicht gestellt.¹⁷⁰⁰ Wer keine guten Werke vorzuweisen hat, wird zu den Verdammten zählen, während „[d]ie Tugent bloß därff schröcken loß | Sich offentlich darstellen“¹⁷⁰¹. In Strophe 7 verwendet der Dichter zudem das Bild der Waage, welche die Übeltäter der Schuld überführt.¹⁷⁰² Nicht näher identifizierten „Fabel Dichter[n]“¹⁷⁰³ wird vorgeworfen, den Gerichtsernst zu leugnen und durch diese nur vermeintlich „süsse Lehr“¹⁷⁰⁴ sündhaftes Leben befördert zu haben¹⁷⁰⁵: „Den strengen Gott/ habt jhr zum spott/ | Der Welt/ ein Lamb verkündigt“¹⁷⁰⁶. Dabei dürften meines Erachtens generell jene im Blick sein, die die Existenz des Jüngsten Gerichts bzw. den doppelten Ausgang des Gerichts in Zweifel ziehen. Kunstvoll und theologisch verdichtet nimmt Khuen den Begriff ‚Lamb‘ aus V. 4 in V. 5 in anderem Kontext wieder auf: War in V. 4 zunächst eine Verharmlosung und Nivellierung der konsequenten Gerechtigkeit Gottes bzw. des letzten Richters gemeint, so führt der Poet seine Argumentation dergestalt fort, dass er den Begriff des Lammes einsetzt, um Christi erste Parusie im status exinanitionis zu beschreiben und diese am Ende der Strophe dem Stand der Erhöhung gegenüberzustellen, in welchem Christus das Gericht halten werde, wozu er das Gegensatzpaar Lamm und Löwe verwendet: „Gott als ein Lamb/ zwar erstlich kam/ | Den Sündern vnderthänig: | Kombt als ein Löw jetzt“¹⁷⁰⁷ zum Gericht. Damit verweist der Autor wie auch Rist auf den Unterschied zwischen der Zeit des Gnadenan-

             

Ebd., V. 3. Vgl. ebd., V. 1– 8. Ebd., Str. 4, V. 2. Ebd., V. 8. Ebd., S. 176, Str. 6, V. 1. Ebd., V. 8. Vgl. ebd., S. 175 – 177, Str. 5 – 8. Ebd., S. 176, Str. 6, V. 5 f. Näheres dazu bleibt unklar. Vgl. ebd., Str. 7, V. 5. Ebd., Str. 8, V. 2. Ebd., S. 177, Str. 9, V. 1. Vgl. auch ebd., Str. 10, V. 5. Vgl. ebd., Str. 9, V. 2. Ebd., V. 3 f. Ebd., V. 5 – 7.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

235

gebots, in welcher die Umkehr möglich, die Gnade jedoch nicht billig zu erlangen ist, und dem Letzten Tag, an welchem die Zeit zur Besserung verstrichen sein wird. In der zehnten Strophe deutet sich an, dass die Vorwürfe speziell auch gegen Irrlehrer, möglicherweise Protestanten, gerichtet sein können, was sich an Formulierungen wie „Jhr habt zerstrewt mein Christenheit“¹⁷⁰⁸ oder „Mit mancher Sect mein Volck befleckt“¹⁷⁰⁹ sehen lässt. In Strophe 11 werden unter anderem in Anspielung auf Mt 25,32 f. bestimmte Verdammte als „gaile Böck“¹⁷¹⁰ tituliert. Khuen lässt den Sohn Gottes über die verstockten Sünder in einer oratio ficta sagen, jene „hette[n] schier kaum glaubet mir | Wann ich wär selbst ankommen“¹⁷¹¹. Die letzte Strophe ist eine Nachdichtung des Urteils Christi über die ‚Böcke‘ zu seiner Linken aus Mt 25,41.¹⁷¹² Es zeigt sich, dass Khuen zufolge auch die Anhänger aller nicht-christlichen Religionen ewig verloren sein werden.¹⁷¹³ Meines Erachtens ist dabei durchaus bemerkenswert, dass der letzte Vers keineswegs eine hoffnungs- bzw. heilvolle Perspektive eröffnet, sondern das verdammliche Urteil das letzte Wort darstellt: „Bleibt auß/ vermaledeyet“¹⁷¹⁴! Auch in Khuens fünf Jahre später gedruckter Sammlung geistlicher Lieder mit dem Titel Gaudia pastorum ¹⁷¹⁵ findet sich eine Dichtung, in welcher die Thematik des Jüngsten Gerichts aufgegriffen wird.¹⁷¹⁶ Khuen stellt diesem Gedicht den Text von Mt 25,33 voran.¹⁷¹⁷ In der zweiten Strophe stellt der Dichter den doppelten Ausgang des Endgerichts, im Zuge dessen der himmlische Richter „[e]im jeden den verdienten Lohn“¹⁷¹⁸ bzw. die verdiente Strafe zukommen lassen werde, als Resultat der göttlichen „Gerechtigkeit“¹⁷¹⁹ dar.¹⁷²⁰ In der ersten Strophe hatte zuvor das lyrische Ich beklagt, die Güte sei von den Menschen nicht „[e]rkennt“¹⁷²¹ worden¹⁷²², womit meines Erachtens sowohl die Güte Gottes bzw. das Heilsan Ebd., Str. 10, V. 1.  Ebd., V. 3.  Ebd., Str. 11, V. 1.  Ebd., S. 178, Str. 11, V. 3 f.  Vgl. ebd., Str. 12. Die Formulierung „Es hat mein Stal auch schon sein Zahl/ | Die mich allain erfrewet“ (ebd., V. 5 f.) ist m. E. eine Anspielung auf Mt 25,34.  Vgl. ebd., V. 4.  Ebd., V. 8.  Vgl. ders.: GAVDIA PASTORVM, SchäfferFrewd/ Oder Triumph der Geistlichen Schäfferey/ Von vilerley Newen Gesänglein. […]. München 1655.  Vgl. ebd., S. 188 – 192 (Gesang zu Mt 25,33, von dem Jüngsten Gericht).  Vgl. ebd., S. 188.  Ebd., S. 189, Str. 2, V. 5.  Ebd., V. 1.  Vgl. ebd., V. 1– 8.  Ebd., Str. 1, V. 8.  Vgl. ebd., V. 5 – 8.

236

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

gebot bis zum Jüngsten Tag als auch der Zusammenhang von göttlicher Güte gegenüber dem Menschen und der daher eröffneten gütigen Zuwendung zum Mitmenschen gemeint sein könnte. In der Beschreibung der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tage spielt Khuen auf die Erweckung der Totengebeine in Ez 37 an.¹⁷²³ Nicht die himmlischen Posaunen sind es, welche die Toten erwecken, sondern die göttlich legitimierte Aufforderung des Propheten Ezechiel entsprechend der biblischen Vorlage aus Ez 37,4: „Wolan/ so rueff Ezechiel | Die Bainer dürr begraben“¹⁷²⁴. Zudem kombiniert der Dichter Ez 37,11 mit Mt 19,28, wonach am Jüngsten Tag über die 12 Stämme Israels gerichtet werden wird.¹⁷²⁵ Das Thema der Auferstehung bildet auch die Überleitung zur nächsten Strophe. Das lyrische Ich befiehlt den Toten nochmals, sich wieder zu erheben, um vor dem letzten Richter Rechenschaft abzulegen.¹⁷²⁶ Die Formulierung „Vrtel Thal“¹⁷²⁷ geht auf Joel 4,14 zurück. Dort ist auch vom Tal Josaphat die Rede (Joel 4,2.12). An einer Lokalisierung des Tals des Gerichts, wie sie in den exegetischen Texten bzw. Predigten katholischer Autoren mitunter thematisiert wird¹⁷²⁸, ist der Dichter nicht interessiert. Eine solche Verortung des Endgerichts im Tal Josaphat wurde etwa von Daniel Lüdemann als typisch katholisch wahrgenommen und abgelehnt.¹⁷²⁹ Allerdings findet sie sich mitunter ebenfalls bei Lutheranern¹⁷³⁰ – und auch die Auffassungen der Altgläubigen unterscheiden sich in diesem Punkt.¹⁷³¹ In den Strophen 4 und 5 werden „kalte Christen“¹⁷³² (die sich nicht durch eine rechtschaffene Lebensführung auszeichnen), Juden und Heiden als jene benannt, die im Gericht das verdammliche Urteil zu erwarten haben.¹⁷³³ An die Juden wird dabei der Vorwurf gerichtet, für Christi Tod verantwortlich gewesen zu sein.¹⁷³⁴ Bei

 Vgl. ebd., Str. 3. Dieser biblische locus findet sich auch etwa in lutherischen ikonographischen Darstellungen der Auferstehung. Vgl. Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 62, Abb. 14; 63. Vgl. auch Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 520 – 522.  Khuen (s. Anm. 1715), S. 189, Str. 3, V. 1 f.  Vgl. ebd., V. 3 f.  Vgl. ebd., Str. 4, V. 1.  Ebd., V. 2.  Siehe dazu etwa oben S. 128.  Lüdemann wirft katholischen Auslegern wie Cornelius a Lapide (siehe zu ihm auch oben S. 184– 191) vor, das Tal Josaphat als Ort des Jüngsten Gerichts zu benennen. Vgl. Lüdemann (s. Anm. 622), S. 188 – 194.  Siehe etwa oben S. 158 f.; 225. Gerhard verortet das göttliche Gericht, welches Christus in der Passion erlitten hat, im Tal Josaphat. Siehe dazu Anm. 745.  Vgl. etwa Schäfer (s. Anm. 3), S. 22.  Khuen (s. Anm. 1715), S. 190, Str. 5, V. 6.  Vgl. ebd., Str. 4, V. 3–Str. 5, V. 8.  Vgl. ebd., Str. 4, V. 5 – 8.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

237

den Heiden denkt Khuen auch an jene, die „nie deß Liechts genossen“¹⁷³⁵, also nicht die Gelegenheit hatten, die christliche Botschaft zu hören. Dabei hat der Dichter jedoch meines Erachtens nicht die Frage im Blick, ob es theoretisch Hoffnung für Völker in fernen Ländern geben könnte – vielmehr soll den christlichen Adressaten verdeutlicht werden, dass es ein Privileg darstellt, das göttliche Heilsangebot zu kennen. Dieses Angebot anzunehmen erfordert der Auffassung des Autors zufolge einen christlichen Lebenswandel. So folgt in der sechsten Strophe die Aussage, dass alle Sünden am Tage des Gerichts aufgedeckt werden.¹⁷³⁶ In den folgenden Strophen wird beklagt, dass die unbußfertigen Übeltäter sich durch keine menschlichen Mahnreden, göttlichen Strafmaßnahmen oder Prodigien zur Besserung bewegen ließen.¹⁷³⁷ In Strophe 11 spielt Khuen wohl auf Zerstörungen während des Dreißigjährigen Krieges an, welche im Kontext der Gerichtsthematik zu Zeichen der nahen Endzeit werden: „Die Nachbawrschafft allhie zu Land | Erfuhr deß Himmels Waffen. | Den fewrig wilden SchwebelBrand/ | Den Wollust abzustraffen: | Darvon fünff angezündte Stätt/ | Geredt/ wann sie geschwigen/ | Daß doch die Welt ein Spiegel hett | Am dampff/ der auffgestigen.“¹⁷³⁸ Die niedergebrannten Ortschaften werden dem Christen in eschatologischer Perspektive zu einem geistlichen Spiegel, in welchem der Sünder sein eigenes potenzielles Endgerichtsurteil erblicken und Buße tun kann. Eindrücklich unterstreicht Khuen diese Aussage rhetorisch auch mit dem Stilmittel des Oxymorons der zum Schweigen gekommenen warnenden Städte. Überdies macht er deutlich, dass Gott der Urheber der als Strafen für unsittliches Leben verstandenen kriegerischen Zerstörungen ist. Sofern jedoch, so schließt Khuen, auch durch derlei Endzeitzeichen die sündhaften Menschen zu keiner Umkehr bewegt werden können, „[s]o sey ein Fewr jetzt angezündt/ | Damit es dich [= den Unbußfertigen] außreute/ | Das Ewig/ Ewig/ Ewig/ brinnt“¹⁷³⁹. Durch die asyndetische Wiederholung des Begriffs ‚ewig‘ wird die Ewigkeit im Text gewissermaßen abgebildet und es soll betont werden, dass die Höllenqualen ohne Ende und ohne Ausweg sein werden. In seinen Dramen etwa deutet auch der Lutheraner Rist den Krieg als göttliche Strafe und ruft die Angehörigen der eigenen Konfession zur Umkehr auf.¹⁷⁴⁰

 Ebd., Str. 5, V. 2.  Vgl. ebd., Str. 6.  Vgl. ebd., S. 190 – 192, Str. 7– 12.  Ebd., S. 192, Str. 11.  Ebd., Str. 12, V. 5 – 7.  Dabei gelten Rists Mahnungen allen Menschen, auch der Obrigkeit und dem Lehrstand.Vgl. dazu Jahn (s. Anm. 46), S. 178 – 180.

238

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Obgleich Khuen andernorts in seiner Dichtung über die Thematik des Jüngsten Tages mit einer heilvollen Verheißung (er kombiniert über den Imperativ ‚Kommt‘ Mt 25,34 mit Mt 11,28) an die Christen schließen kann¹⁷⁴¹, endet auch dieses geistliche Lied in inhaltlicher Übereinstimmung mit dem zuerst betrachteten Gedicht mit der Mt 25,41 entsprechenden Formulierung „Geht hin/ Vermaledeyte.“¹⁷⁴²

6.3.2 Johannes Scheffler (Angelus Silesius) Das Ende der Welt steht auch am Anfang des geistlichen Lehrgedichts zum Jüngsten Gericht aus der Sinnlichen Beschreibung der letzten 4 Dinge ¹⁷⁴³ des zum Katholizismus konvertierten Theologen und Poeten Johannes Scheffler (auch Angelus Silesius, 1624– 1677). Der ersten Strophe ist als einleitender Bibelvers der Text 2Petr 3,10 vorangestellt. Anders etwa als in Ringwaldts christozentrischem und zur Erbauung dienendem Lied Es ist gewißlich an der Zeit wird hier die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit betont, durch gute Werke der Verdammnis zu entgehen. Dieser Abschnitt der Dichtung folgt auf eine erste Passage über die Todesthematik, welche zwanzig Strophen umfasst und den Menschen aller Stände, Altersstufen etc. ihre Sterblichkeit und die Schrecken des Todes der Sünder vor Augen führen soll¹⁷⁴⁴, womit eine gewisse Ähnlichkeit zu Ringwaldts Christlicher Warnung nicht zu verkennen ist. Die erste von sechzig Strophen des Abschnitts über das Endgericht beginnt mit einer Anspielung auf das Dies Irae ¹⁷⁴⁵ und den schrecklichen Gerichtstag Gottes: „Herbei, herbei, der Tag bricht an, | Der Tag voll Furcht und Schrecken, | Der Tag, der alles auf die Bahn | Wird bringen und entdecken. | Der Tag des Grimms, der Tag des Zorns, | Der Tag der ernsten Rache“¹⁷⁴⁶. Die durch die Verdoppelung verstärkte Aufforderung „herbei“¹⁷⁴⁷ gilt möglicherweise nicht nur den

 Vgl. Khuen (s. Anm. 1715), S. 321 (Gesang zu 1Thess 4,16, Himmlische Legation […], Str. 12).  Ebd., S. 192, Str. 12, V. 8.  Vgl. Johannes Scheffler: Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge. In: Ders.: Sämtliche Poetische Werke. Bd. 3. Cherubinischer Wandersmann. Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge. Hrsg. von Hans Ludwig Held. München 3. Aufl. 1949, S. 229 – 246. Zu Scheffler (Angelus Silesius) vgl. Marian Szyrocki und Wilhelm Kühlmann: Art. Angelus Silesius. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 1 (2008), S. 164– 167.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 223 – 228.  Siehe auch etwa oben S. 211.  Scheffler (s. Anm. 1743), S. 229, Str. 1, V. 1– 6.  Ebd., V. 1.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

239

in der zweiten Strophe erwähnten weltlichen und geistlichen Herrschern, welche dem Gericht auch um ihrer irdischen Macht willen keineswegs entgehen können und eine wichtige Zielgruppe der Drohungen darstellen¹⁷⁴⁸, sondern den Adressaten, welche sich durch die Lektüre meditativ in die künftigen Geschehnisse hineinversetzen sollen.Weiter heißt es, dass der Richter im Zuge dessen „alles […] | [w]ird […] entdecken“¹⁷⁴⁹. Dies erinnert wiederum an die Dies-Irae-Sequenz und die Vorstellung, dass weder Gedanken noch Taten dem himmlischen Richter verborgen bzw. ohne Konsequenz bleiben können. Es folgen Beschreibungen der Erdbeben und Unwetter, des Zusammenbruchs der kosmischen Ordnung der Himmelskörper sowie des Sterbens und der Verwirrung verschiedener Tiere.¹⁷⁵⁰ Dabei nimmt Scheffler wie auch an anderen Stellen die jesuanische Endzeitrede auf (vgl. Mt 24,29). Auch die Auferstehung der Toten wird vorbereitet: „Es werden alle Grüft erböhrt“¹⁷⁵¹. Der Jüngste Tag bringt auch das Ende jeder irdischen, mithin vergänglichen, Pracht: „All Anmut, alle Zier der Zeit | Ist hin und ist zerschlissen.“¹⁷⁵² Strophe 7 schildert in Anlehnung an 2Petr 3,10 das überirdische Feuer, welches die alte Erde verbrennen wird; auch dies wird in seiner fürchterlichen Dimension geschildert¹⁷⁵³, daher „wünscht sich alls Geschöpf den Tod | In Ansehn solcher Plagen.“¹⁷⁵⁴ Weiter heißt es, die himmlische Posaune werde die Toten zum Gericht erwecken. Den Missetätern wird dabei das Engelsinstrument zur „Trauerflöte“¹⁷⁵⁵ ihrer nahenden Verdammnis.¹⁷⁵⁶ Apk 20,12 f. nachdichtend¹⁷⁵⁷ und in plastischer Weise beschreibt der Dichter die Auferstehung aller Toten. Hier heißt es etwa: „Da fängt sich ein Gekrappel an | In allen Totenhäusern, | Ein jedes macht sich auf die Bahn, | Kein Bein kann sich entäußern. | Die Knochen hängen sich an Rump | Und fangen an zu leben | Und das Geripp wird umb und umb | Mit seinem Fleisch umgeben.“¹⁷⁵⁸ Dabei führt Scheffler auch aus, dass die Seelen, welche im Partikulargericht¹⁷⁵⁹ bereits in Himmel oder Hölle eingingen, am

 Vgl. ebd., Str. 2, V. 1– 6.  Ebd., Str. 1, V. 3 f.  Vgl. ebd., S. 229 f., Str. 3 – 6.  Ebd., S. 230, Str. 4, V. 3.  Ebd., Str. 6, V. 7 f.  Vgl. ebd., S. 230 f., Str. 7.  Ebd., S. 231., Str. 7, V. 7 f.  Ebd., Str. 8, V. 4.  Vgl. ebd., Str. 8.  Vgl. ebd., S. 231 f., Str. 10 f.  Ebd., S. 231, Str. 9.  Die Annahme eines Partikulargerichts und eines universalen Weltgerichts am Jüngsten Tage darf grundsätzlich als transkonfessionell gelten. Vgl. etwa Krummacher (s. Anm. 43), S. 457– 460.

240

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Jüngsten Tage zurückkehren, um sich mit dem Körper zu vereinigen.¹⁷⁶⁰ Folgend malt Scheffler den Lesern vor Augen, wie am Jüngsten Tage nicht allein das Kreuz als Zeichen des Menschensohnes nach Mt 24,30, sondern auch die übrigen arma passionis als Himmelserscheinung zu sehen sein werden.¹⁷⁶¹ Dabei beschreibt der Autor gründlich die Leiden Christi¹⁷⁶² und verbindet die Verse über das Kreuz und die übrigen Passionswerkzeuge mit der Glaubensaussage über die Heilsdimension des Todes Christi für die Christen: „Das Kreuz [wird gesehen], an dem sich Gottes Sohn | Für uns zu Tod geschwitzet.“¹⁷⁶³ Eine derartige Beschäftigung mit den arma passionis findet sich jedoch durchaus auch im Luthertum, etwa in einer Predigtsammlung Michael Walthers (1593 – 1662) über die Passionswerkzeuge¹⁷⁶⁴, in welcher der lutherische Autor unter anderem auch auf das Kreuz als Zeichen des Menschensohns am Jüngsten Tage zu sprechen kommt.¹⁷⁶⁵ Das Motiv, dass Christi Wunden am Jüngsten Tage allen Menschen sichtbar sein werden, variiert Scheffler hier und sagt über die arma passionis aus, sie „sind noch alle rot vom Blut, | Als wär es erst geschehen; | […] Ein jeder kann es sehen.“¹⁷⁶⁶ Den Bösen gereicht dieser Anblick zu Schrecken.¹⁷⁶⁷ Diese große Furcht der Menschen, die wie in Ringwaldts Christlicher Warnung ¹⁷⁶⁸ vergeblich versuchen, sich zu verstecken oder wünschen, nie geboren zu sein, wird in den folgenden Strophen unter Verarbeitung biblischer Texte – zum Beispiel Hi 3,11 – ausführlicher beschrieben.¹⁷⁶⁹ Wie auf einem Gemälde wird der auf einem Regenbogen thronende Richter beschrieben, der die Lilie als Zeichen der Gnade in der rechten Hand hält und das „Schwert […] [als] Zornes Zeug“¹⁷⁷⁰ in der anderen.¹⁷⁷¹ Es folgen weitere Beschreibungen der Parusie Christi, welche die Bösen ängstigt und die Guten erfreut, sowie der Engel, welche von Christus den Auftrag erhalten, „[d]em Herren  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 232, Str. 11.  Vgl. ebd., S. 232 f., Str. 12– 14.  Es heißt etwa: „Man sieht die Geißeln und den Draht, | Mit dem man ihn geschmissen, | Den Draht, mit welchem man ihm hat | Den zarten Leib zerrissen.“ Ebd., S. 232, Str. 12, V. 5 – 8.  Ebd., V. 3 f. Vgl. auch etwa ebd., S. 232 f., Str. 14. Siehe dazu auch oben S. 133.  Vgl. Michael Walther: NOVEM BEATITUDINES ORGANORUM PASSIONALIUM, Oder Schrifftmässige vnnd Außführliche Erläuterung aller deren JNSTRVMENTEN/ welche zu dem Bitterschmertzlichen Leiden vnd Blutsawren CreutzesTod vnsers einigen HERRN vnd ERLOSERS JESV CHRJSTJ angewendet worden sind. […]. Ulm 1645. Vgl. auch etwa Steiger: Gedächtnisorte Bd. 1 (s. Anm. 20), S. 158, Abb. 1; 159.  Vgl. Walther (s. Anm. 1764), S. 533 f.  Scheffler (s. Anm. 1743), S. 232, Str. 13, V. 5 f.; 8.  Vgl. ebd., S. 233, Str. 14, V. 8.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. G 3v; H 1v; H 6v–7r; F 8v.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 233, Str. 15 f.  Ebd., Str. 17, V. 5.  Vgl. ebd., Str. 17. Siehe dazu auch oben Anm. 1582.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

241

seine Herde“¹⁷⁷² zu sammeln und die Bösen von den Guten zu scheiden¹⁷⁷³, wobei Scheffler entsprechend Mt 25,32 f. Begriffe aus dem Wortfeld der Schäferei verwendet.¹⁷⁷⁴ In zwei Strophen führt der Dichter den Adressaten vor Augen, dass am Jüngsten Tag durch das Urteil des himmlischen Richters Familien entzweit und Geliebte verloren werden können¹⁷⁷⁵, was meines Erachtens als eine Strategie zu verstehen ist, die Christenmenschen zu sittlichem Leben zu bringen und zu motivieren sowie auch ihre Familienmitglieder zu disziplinieren, sofern sie den ewigen Verlust ihrer Angehörigen fürchten müssten: „Da wird manch Weib von ihrem Mann, | Manch Mann vom Weib gerissen, | Da nimmet man den Vater an | Und stößt den Sohn mit Füßen.“¹⁷⁷⁶ Durch den chiastischen Aufbau der Verse 1 f. (vgl. auch V. 3 – 8) wird betont, dass das verdammliche Urteil und mithin der Verlust alle treffen kann. Es ist bemerkenswert, dass in Texten über das Jüngste Gericht auch der umgekehrte Fall betont und das freudige Wiedersehen der Glaubenden im Himmel beschrieben werden kann.¹⁷⁷⁷ Durchaus bewegend ist etwa die von Meyfart geäußerte Hoffnung, im Himmel unter anderem seinen verstorbenen Sohn wiedersehen zu dürfen.¹⁷⁷⁸ Im Unterschied etwa zum oben betrachteten geistlichen Lied Ringwaldts behält der katholische Dichter Scheffler die Reihenfolge von Mt 25,31– 46 bei und thematisiert zunächst die freundliche Ansprache des Richters an jene zu seiner Rechten. Die Strophen 23 – 25 sind eine Nachdichtung von Mt 25,34– 40, wobei Scheffler sehr nah am biblischen Text bleibt und nur die Rückfragen der Guten an den Richter kürzt.¹⁷⁷⁹ Statt jedoch unmittelbar dem weiteren Text von Mt 25 zu folgen fügt Scheffler eine Zwischenepisode über die Beteiligung der Heiligen am Jüngsten Gericht ein: „Es werden Stühle hingestellt, | Darauf die Heilgen sitzen, |

 Scheffler (s. Anm. 1743), S. 234, Str. 20, V. 4.  Vgl. ebd., Str. 18 – 20.  Vgl. ebd., Str. 20.  Vgl. ebd., S. 234 f., Str. 21 f.  Ebd., S. 234, Str. 21, V. 1– 4.  Vgl. etwa Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. A 3v–4v.Vgl. dazu auch Holtz: Theologie und Alltag (s. Anm. 45), S. 161 f. Bei Rist etwa findet sich auch der Zuspruch an die Hinterbliebenen, dass der Verstorbene bereits die himmlischen Freuden genießen kann und vom irdischen Leid frei geworden ist. Vgl. Inge Mager: Johann Rists Lob-, Trauer- und Klag-Gedicht auf Martin Opitz samt anderen seiner anlässlich von Trauerfällen verfassten Dichtungen. In: Johann Rist (1607– 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und Bernhard Jahn. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 49 – 69, hier S. 58; 60 f. Vgl. auch ebd., S. 60, Anm. 53. Zu Rists lyrischer ars moriendi vgl. auch Grosse (s. Anm. 46), S. 301– 320.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1606), S. 308 – 311. Vgl. dazu auch Trunz (s. Anm. 29), S. 115; 118; 143 f. 1635 starben Meyfarts Frau und mehrere seiner Kinder an der Pest. Vgl. ebd., S. 65.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 235 f., Str. 23 – 25.

242

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Die Heiligen, die in der Welt | Mit Christo mußten schwitzen. | Sie hatten hier den Bösewicht, | Die Welt und sich bezwungen, | Drum sitzen sie jetzt zum Gericht. | Dieweil sie durchgedrungen.“¹⁷⁸⁰ Die folgenden Strophen beschreiben die leidvolle Einsicht der Verdammten – hier sind ungerechte Richter und Herrscher im Blick –, dass die Machtverhältnisse am Jüngsten Tag umgekehrt werden und jene heiligen Christen, denen die mit antiken „Tyrann[en]“¹⁷⁸¹ auf eine Stufe gestellten ungerechten Machthaber (diese werden auch bei Ringwaldt kritisiert¹⁷⁸²) auf Erden die Hilfe versagt oder sie gar verfolgt haben, nun auf dem Richterstuhl sitzen.¹⁷⁸³ Hier hat man es also mit der Kritik an Obrigkeiten zu tun, welche den ihnen zum Schutz anbefohlenen Untertanen finanzielle Hilfe und Rechtsansprüche versagen und grausam und willkürlich herrschen.¹⁷⁸⁴ Die Aussicht, über diese ungerechten Richter einst zu Gericht zu sitzen, mag zudem ein Trost für jene sein, welche auf Erden unter dem Unrecht der Mächtigen leiden. Weiter kommt Scheffler auf die Aufdeckung jeder Sünde im Jüngsten Gericht zu sprechen¹⁷⁸⁵, was er beispielsweise durch die Antithese „Wie blutrot wird da manche Dirn, | Die hier für Jungfer gangen“¹⁷⁸⁶ stilistisch kunstvoll unterstreicht und mittels des Begriffs „blutrot“¹⁷⁸⁷ im peinlichen Erröten ob der zu Tage getretenen Missetaten die Strafe des ewigen Todes mit anklingen lässt.¹⁷⁸⁸ Abzulassen gilt es laut Scheffler von „Hoffart“¹⁷⁸⁹ – darunter fällt ihm zufolge auch die „Kleiderpracht“¹⁷⁹⁰, „Geldbegier“¹⁷⁹¹, „Zorn“¹⁷⁹² (welcher laut Scheffler auch Gottesläste-

 Ebd., S. 236, Str. 26.  Ebd., S. 237, Str. 28, V. 5. Genannt wird etwa „Nero“. Ebd., S. 236, Str. 28, V. 2.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. F 2r.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 236 f., Str. 27– 31.  Es heißt in der fiktiven Rede der ungerechten Herrscher etwa: „Der ists, spricht jener […] | Der bettelte vor meiner Tür, | Dem trat ich auf den Rucken. | Den hab ich einst ans Rad gebracht, | Den aus der Stadt verjaget, | Den hab ich weidlich ausgelacht | Und jenem ’s Recht versaget.“ Ebd., S. 237, Str. 30, V. 1; 3 – 8.  Vgl. ebd., S. 238, Str. 32.  Ebd., Str. 33, V. 1 f.  Ebd., V. 1.  Vgl. ebd., Str. 33.  Ebd., Str. 35, V. 2.  Ebd., V. 3. Die Ablehnung der neuesten Mode findet sich auch häufig bei lutherischen Autoren. Vgl. etwa Johann Matthäus Meyfart: Das Jüngste Gericht in zweyen Büchern/ Auff Historische weise auß den inbrünstigsten vnd andächtigsten Contemplationen, so wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. Nürnberg 1632, fol. a 2r–7r. Vgl. auch etwa Lehmann (s. Anm. 34), S. 156.  Scheffler (s. Anm. 1743), S. 239, Str. 36, V. 1.  Ebd., Str. 38, V. 3.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

243

rung hervorbringt¹⁷⁹³), Völlerei bzw. Trunksucht etc.¹⁷⁹⁴ – also von den sieben sogenannten Todsünden¹⁷⁹⁵ bzw. Hauptlastern, welche er in der Reihenfolge superbia, avaritia, invidia, ira, gula, luxuria und acedia aufzählt. Dies darf grundsätzlich als konfessionsübergreifend gelten. Auch bei Ringwaldt fand sich die Verwerfung all dieser Laster, wenngleich nicht in dieser Art der Aufzählung bzw. Zusammenstellung.¹⁷⁹⁶ Die Wurzel allen Übels führt Scheffler auf das Fehlen der Trias Glaube, Hoffnung und Liebe (vgl. 1Kor 13,13) zurück: „In Summa, es war keine Lieb | In ihrer Brust zu finden, | Noch Hoffnung, die deins [= Gottes] Geistes Trieb | Im Herzen pflegt zu gründen. | Bei vielen war der Glaub allein | Und doch nur in dem Munde“¹⁷⁹⁷. Glaube und Liebe werden als notwendige Einheit gedacht, welche bei Abwesenheit zu sündhaftem Lebenswandel führt. Dies kann von einem Lutheraner ebenso ausgesagt werden. Auch ist es im lutherischen Milieu nicht unüblich zu beklagen, dass der vermeintliche Glaube von vielen allein mit den Lippen bekannt wird, ohne dass er sich in tätiger Nächstenliebe erwiese. So könnte die Formulierung des katholischen Dichters zwar einerseits insofern als antiprotestantische Spitze verstanden werden, dass „der Glaub allein[!]“ (dabei klingt auch die Formel sola fide an) im Sinne von ‚ohne folgende Liebeswerke‘ eben nicht genügt, andererseits ist dieses Anliegen des Konvertiten objektiv gesehen transkonfessionell. Denn Scheffler führt den Gedanken weiter aus und beschreibt es ähnlich wie Rist als paradox, dass die Sünder, die sich lediglich Christen nennen und von den irdischen Gelüsten nicht ablassen, gleichwohl ihre ewige Seligkeit erwarten und sich dabei auf Christi Heilstat berufen.¹⁷⁹⁸ Scheffler schildert weiter, wie die Übeltäter infolge ihrer Untaten nicht fähig sind, Einspruch zu erheben.¹⁷⁹⁹ Anschließend lässt der katholische Dichter die Heiligen bzw. Märtyrer, welche mit Christus das Gericht halten, ihren Urteilsvorschlag bezüglich der Angeklagten abgeben¹⁸⁰⁰: „Die Heilgen biegen ihre Knie | Und falln aufs Angesichte | Mit Lob und danken, daß er sie | Gewürdigt zum Gerichte. | Sie sprechen all einhellig:

 Vgl. ebd., V. 7 f.  Vgl. ebd., S. 238 – 240, Str. 34– 41.  Siehe dazu auch oben Anm. 991.  Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. D 1v; H 8v. Zu den Ähnlichkeiten zwischen Ringwaldt und dem Katholiken von Schnüffis siehe oben S. 216 f. Hieronymus Bosch etwa setzte in vorreformatorischer Zeit in einer Bildkomposition die sogenannten Todsünden und die novissima miteinander in Beziehung.Vgl. dazu Pfeiffer (s. Anm. 1231), S. 103 – 105.Vgl. weiter Cagol (s. Anm. 10), S. 120. Vgl. auch Göttler (s. Anm. 4), S. 169 – 172.  Scheffler (s. Anm. 1743), S. 240 f., Str. 42, V. 1– 6.  Vgl. ebd., S. 241, Str. 43 f.  Vgl. ebd., Str. 45.  Vgl. ebd., S. 242, Str. 46.

244

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Nein, | Was die an dir verbrochen, | Das muß mit ewger Schmach und Pein | An ihnen sein gerochen [= gerächt].“¹⁸⁰¹ Die Aussage, dass Christus im Gericht Beisitzer haben wird, begegnet zwar auch in protestantischen Texten, wie sich zuvor bereits zeigte.¹⁸⁰² Allerdings lässt sich hier meines Erachtens eine eigene Akzentsetzung Schefflers erkennen. Statt Christi Urteil im Nachhinein zuzustimmen, wirken die Märtyrer hier eher autonom und schlagen dem Richter wie ein Ankläger das verdammliche Urteil vor, wozu Scheffler ihnen überdies eine Begründung in den Mund legt: Wir lebten auch im Fleisch und Blut, | Im Zunderzeug der Sünden, | Wir mußten auch in unserm Mut | Des Satans Pfeil empfinden. | Wir waren Menschen gleich wie sie, | Wir hatten auch die Sinnen, | Wir wurden aber spät und früh | des Schlangenstachels innen. | […] Wir sind zum Leben durch den Tod | Gewaltsam eingedrungen | Und haben unser Herz zu Gott | Vom Bösen abgezwungen.¹⁸⁰³

Scheffler betont hier die Relevanz der Werke als Maßstab im Letzten Gericht – der oben nur knapp erwähnte Glaube tritt als Kriterium der Beurteilung deutlich hinter den Taten zurück – sowie die Freiheit des Willens in geistlichen Dingen.¹⁸⁰⁴ Jeder Mensch hätte mit Gottes Hilfe¹⁸⁰⁵ fähig werden können, den Sünden der Welt zu widerstehen, so die Heiligen weiter.¹⁸⁰⁶ Die Erlösten freuen sich nicht der unverdienten Gnade, sondern befinden, dass ihr hart erkämpfter Lohn ebenso von allen anderen hätte erworben werden können. Darin klingt meines Erachtens auch das Argument an, dass es Gottes Gerechtigkeit entsprechen muss, angesichts derselben Möglichkeit, schmerzvoll zur Erlösung durchzudringen, die Bösen anders als die Guten zu behandeln. Statt dass die Beisitzer das Urteil des himmlischen Richters approbieren, „billigt [Christus] ihre Stimme“¹⁸⁰⁷ und verdammt jene zur Linken in die ewige Hölle.¹⁸⁰⁸ Dabei dichtet Scheffler Mt 25,41– 46 nach.¹⁸⁰⁹ Dieser Abschnitt umfasst neun Strophen, was zeigt, dass der Dichter dem Urteilsspruch samt Urteilsbegründung viel Bedeutung zumisst. Zwar fügt Scheffler keine zusätzlichen Übeltaten ein, doch die Beschreibungen der unter-

 Ebd., Str. 47.  Vgl. etwa Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. M 1r–1v.  Scheffler (s. Anm. 1743), S. 242, Str. 48; S. 243, Str. 49, V. 5 – 8.  Vgl. auch ders.: Geistreiche Sinn vnd Schlussrime.Wien 1657, S. 152 (Teil 5, Nr. 27); 155 (Teil 5, Nr. 57); 186 (Teil 5, Nr. 323).  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 242, Str. 49, V. 1.  Vgl. ebd., S. 243, Str. 50.  Ebd., Str. 51, V. 2.  Vgl. ebd., Str. 51.  Vgl. ebd., S. 243 – 246, Str. 52– 60.

6.3 Die Thematik des Jüngsten Gerichts in Dichtungen katholischer Autoren

245

lassenen Hilfeleistungen zielen oft darauf ab, die Leser affektiv zu bewegen. So heißt es in der verdichteten Rede des Gottessohnes etwa: „Ich lag im Kerker, ich war krank, | Ich winselte vor Schmerzen, | Es war mir Zeit und Weile lang, | Ich hatte Pein im Herzen. | Ihr habt mich nicht einmal besucht, | Ihr seid nie zu mir gangen, | Ich habe niemals […] | […] Trost von euch empfangen.“¹⁸¹⁰ Die Dichtung endet mit der Beschreibung des doppelten Ausgangs: „Da fallen sie mit großem Schrein, | Mit Prasseln und mit Krachen | Wie Klötze in den Schlund hinein | Und in der Höllen Rachen. | Die Frommen aber gehn bereit | In ihres Herren Freude, | Ins Schloß der ewgen Seligkeit | Zur wahren Seelenweide.“¹⁸¹¹ Ausführlich werden nach der Beschreibung des Jüngsten Gerichts die Zustände in der Hölle geschildert.¹⁸¹² Der Beginn mit den Versen „O Ewigkeit, o Peinlichkeit, | O Wort voll Donnerkeile! | O Wort voll Tods und Ängstlichkeit“¹⁸¹³ erinnert an den Beginn des geistlichen Liedes O Ewigkeit Du Donnerwort des Lutheraners Rist.¹⁸¹⁴ Teile der Höllenbeschreibung ähneln jener bei Ringwaldt, übersteigen diese jedoch noch mit Blick auf die ‚Ausschmückungen‘ der Schilderungen.¹⁸¹⁵ Auch Scheffler beschreibt ausführlich den Artenreichtum der Fauna in der Hölle sowie vor allem die Strafen und Folterungen, welche die Verdammten erleiden.¹⁸¹⁶ Er nimmt dabei Anleihen bei irdischen Folterpraktiken¹⁸¹⁷ sowie etwa der antik-paganen Erzählung über die Strafe des Prometheus und zählt überaus brutale Strafleiden auf.¹⁸¹⁸ Gerade die expliziten Schilderungen von Folterungen sowie die Kreativität im Erfinden bzw. Aufzählen derselben übertreffen die Beschreibungen Ringwaldts.¹⁸¹⁹ Auf diesen Abschnitt folgt eine Beschreibung der himmlischen Freuden der Erlösten in 157 Strophen.¹⁸²⁰ Die sehr ausführlichen  Ebd., S. 245, Str. 57.  Ebd., S. 246, Str. 60.  Vgl. ebd., S. 247– 267.  Ebd., S. 247, Str. 1, V. 1– 3.  Rist griff bei der Abfassung dieses Gedichts auf einen Prätext des Martin Opitz (1597– 1639) zurück, der wiederum von einem Text des katholischen Autors Jeremias Drexel (1581– 1638) beeinflusst war. Vgl. dazu Steiger (s. Anm. 48), S. 11– 16 u. ö.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), etwa S. 260 – 263; 264, Str. 49 – 58; 60. Zu Ringwaldt siehe oben Kapitel 6.2.1. Vgl. zu dieser Thematik auch etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 160 f.  Vgl. etwa Scheffler (s. Anm. 1743), S. 248, Str. 6 f.; 11– 17.  Vgl. etwa ebd., S. 255, Str. 29.Vgl. dazu auch etwa Hartmann (s. Anm. 998), S. 55. Siehe auch etwa unten S. 277.  Vgl. etwa Scheffler (s. Anm. 1743), S. 253 f.; 258 – 260, Str. 22– 27; 39 – 47.  Scheffler schreibt über die Verdammten beispielsweise: „Wenn ihnen Satan gütlich will, | So füllt er ihren Rachen | Mit Hüttenrauch, Kot und Gespül | Von grauerlichen Sachen. | Drauf schöpft er ihnen einen Trank | Aus der vergiften Quelle | Und füllt sie an mit Mordgestank | Aus seines Unflats Kelle.“ Ebd., S. 254, Str. 25.  Vgl. ebd., S. 268 – 312.

246

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

Schilderungen (mehrere Strophen dienen beispielsweise allein der Beschreibung der Blumenpracht im himmlischen Jerusalem¹⁸²¹) des Himmels und seiner Bewohner gleichen mitunter wiederum jenen Ringwaldts, etwa die Aufzählung verschiedener als angenehm empfundener Vögel, welche den Himmel bevölkern und zieren.¹⁸²² Allerdings fällt die zentrale Stellung auf, welche der Katholik Maria im Himmel zuschreibt.¹⁸²³ Auch Scheffler entwirft eine Art himmlische Hierarchie.¹⁸²⁴ In diesem Teil muten die Beschreibungen ebenfalls insgesamt freier und in höherem Maße auf die Affekte abzielend an als bei Ringwaldt, wenngleich sich gezeigt hat, dass viele transkonfessionelle Gemeinsamkeiten zwischen den Texten der beiden Autoren bestehen. Zweifellos sollen die mit fantasievollen Details ausgeschmückten Beschreibungen der Höllenpein einerseits sowie der Himmelsfreuden andererseits die Adressaten (negativ und positiv) motivieren, sich so zu verhalten, dass sie die Hölle nie leiden müssen, sondern den Himmel erlangen. In einem Anhang zu seinem letzten Teil der Geistreichen Sinn und Schlussrime von 1657¹⁸²⁵ finden sich ebenfalls einige Sonette, in denen Scheffler das Jüngste Gericht thematisiert. In diesen früheren Schriften ergänzt Scheffler die Texte der Bibel, welche ihm als Vorlagen für die Aussagen über das Endgericht dienen, weniger durch Zufügungen.¹⁸²⁶ In einem Text kombiniert Scheffler Mt 25,34 mit 2Tim 4,7 f., variiert diesen biblischen Text jedoch, möglicherweise um dem Vorwurf einer Werkgerechtigkeit zu wehren, folgendermaßen: „Kombt jhr gesegneten/ embfahet eure Kronen | Die jhr erworben habt durch meinen [= Christi] Lauf und Tod“¹⁸²⁷. Auch die Beschreibungen der Hölle sind zwar beispielsweise durch die Aufzählung von Höllenbewohnern¹⁸²⁸ und die Schilderung bestimmter Qualen über biblische Erzählungen hinaus anschaulich gestaltet¹⁸²⁹, enthalten jedoch deutlich weniger ‚Ausschmückungen‘¹⁸³⁰ und Gewaltdarstellungen als der spätere Text der Sinnlichen Beschreibung. Überdies zeigt sich in diesem Werk, dass auch

 Vgl. ebd., S. 271 f., Str. 14 f.  Vgl. zu den Himmelstieren ebd., S. 275, Str. 25 – 27 u. ö. Vgl. Ringwaldt (s. Anm. 1535), fol. E 3v–4r.Vgl. zur Beschreibung der vollendeten Himmelsbewohner bei Ringwaldt etwa ebd., fol. C 1v.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1743), S. 288, Str. 73.  Vgl. etwa ebd., S. 297, Str. 102– 104 u. ö.  Vgl. Scheffler (s. Anm. 1804).  Vgl. ebd., S. 195 (Sonett Nr. 5).  Ebd., S. 196 (Sonett Nr. 8, V. 1 f.).  „Man sieht den Basilischt mit Kröten/ Schlangen/ Drachen/ | Und tausend ungeheur“. Ebd., S. 195 (Sonett Nr. 6, V. 5 f.).  Vgl. ebd., S. 195 f.  Dies gilt ebenfalls für ein weiteres Sonett über die himmlischen Freuden der Seligen. Vgl. ebd., S. 197 (Sonett Nr. 9).

6.4 Exkurs: Die Rede von den Letzten Dingen in Gryphius‘ Kirchhofgedanken

247

der Konvertit Scheffler von einem geistlichen Wucher¹⁸³¹ sprechen kann: „Es muß Gewuchert seyn. Knecht wuchre daß du hast: denn wann der Herr wird kommen: | So wird vom jhm allein der Wuchrer angenommen.“¹⁸³² Gleichwohl erwähnt Scheffler, der den lutherischen Gedanken aus der Zeit vor seiner Konversion gekannt haben mag, Spr 19,17 dort nicht. Meines Erachtens steht bei Scheffler eher Mt 25,14– 30 – möglicherweise in Verbindung mit Mt 13,12 – im Hintergrund.

6.4 Exkurs: Die Rede von den Letzten Dingen in Gryphius‘ Kirchhofgedanken In seinen Kirchhofgedanken ¹⁸³³ reflektiert der Barockdichter Andreas Gryphius (1616 – 1664) ebenfalls umfänglich über die Geschehnisse des Jüngsten Tages¹⁸³⁴ und bereitet die Thematik zur geistlichen Unterweisung auf. Dabei greift Gryphius positiv-interkonfessionell auf die Vorlage des katholischen Schriftstellers Jacob Balde (1604 – 1668) zurück, wenngleich die lutherische Provenienz des Autors deutlich wird. Zu Beginn der Kirchhofgedanken verortet sich das lyrische Ich auf dem Friedhof, dem Ort vermeintlich-ewiger Ruhe¹⁸³⁵, den es allem Irdischen vorzieht.¹⁸³⁶ Grund dafür ist die Möglichkeit, von und an diesem Ort wie in einer „Schul“¹⁸³⁷ die ars moriendi zu erlernen.¹⁸³⁸ Nicht die eremitische Kontemplation

 Bei Luther und seinen Erben findet sich die Rede vom ‚geistlichen Wucher‘ im Anschluss an Spr 19,17 im Kontext der Auslegung der Lazarus-Perikope: Derjenige, welcher Gott in Form von Nächstenliebe ‚leiht‘, darf auf Gnadenlohn im Jüngsten Gericht hoffen. Siehe dazu oben Kapitel 2.3.  Scheffler (s. Anm. 1804), S. 83 (Teil 2, Nr. 222).  Vgl. Andreas Gryphius: Gedancken/ Vber den Kirchoff vnd Ruhestädte der Verstorbenen. In: Ders.: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd. 3. Vermischte Gedichte. Hrsg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1964 (= Neudrucke deutscher Literaturwerke. Neue Folge 11), S. 5 – 18. Zur Interpretation der Kirchhofgedanken vgl. auch Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 28 – 66, bes. S. 56 – 66.  Zu Ver-dichtung der novissima in den lyrischen Texten Gryphius‘ vgl. auch Krummacher (s. Anm. 43), S. 439 – 499, bes. S. 455 – 477. Zu Gryphius vgl. Eberhard Mannack: Art. Gryphius, Andreas. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 4 (2009), S. 483 – 490.  Vgl. Gryphius (s. Anm. 1833), S. 5, Str. 1, V. 3 f.  Vgl. ebd., Str. 1– 3.  Ebd., S. 6, Str. 4, V. 1 u. ö. Das Wortfeld ‚Schule und Lernen‘ prägt die Strophen 4– 8, vgl. ebd., S. 6 f.  Vgl. ebd., S. 6, Str. 4, V. 1 f.

248

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

des Subjekts ist es, die klug macht¹⁸³⁹, sondern die folgende Auferstehungsvision¹⁸⁴⁰. Die vermeintliche Hoffnung weltlich gesinnter Menschen, sich durch das Sterben ewig schlafen zu legen, wird jäh zunichte gemacht.¹⁸⁴¹ Ab Strophe 15 beginnt die eigentliche Beschreibung der Erscheinung der aufgeschreckten Toten und immer wieder zeigt sich eine von Affektschilderungen bestimmte Sprache: „Hilff Gott! die Särge springen auff! | Jch schau die Cörper sich bewegen/ | Der längst erblasten Völcker Hauff/ | Beginnt der Glieder Rest zu regen! | Jch finde plötzlich mich vmringt | Mit/ durch den Tod/ entwehrten Heeren/ | O Schauspiel! das mir heisse Zehren | Auß den erstarten Augen dringt!“¹⁸⁴² Der in der folgenden Strophe nochmals wiederholte Ausruf „O Schauspiel!“¹⁸⁴³ transzendiert dabei die Gattung des Textes und erklärt die bildgewaltige Dichtung zu einem Schauspiel vor dem inneren Auge des Betrachters. Danach beschreibt Gryphius eine Art Totentanz: Gute und Böse, Arme und Reiche, Mächtige und Machtlose, welche das lyrische Ich auferstehen sieht, starben zuvor allesamt.¹⁸⁴⁴ Mit großer Sorgfalt schildert Gryphius die anatomischen Details der Totengebeine – der Tod egalisiert Wohlhabende und Bettler, Schöne und Hässliche.¹⁸⁴⁵ In einem weiteren Schritt werden mit ebenso drastischen Beschreibungen die kürzlich Verstorbenen beschrieben, die noch in einem früheren Stadium der Verwesung befindlich sind.¹⁸⁴⁶ So heißt es beispielsweise „Der Därmer Wust reist durch die Haut/ | So von den Maden gantz durch bissen; | Jch schau die Därmer (ach mir graut! | Jn Eiter/ Blutt vnd Wasser fliessen!“¹⁸⁴⁷ Dabei sollen die Adressaten gleichwohl nicht allein durch den Reiz des Grauens unterhalten werden, sondern lernen ihre Sterblichkeit und die Vergänglichkeit irdischer Dinge zu bedenken, um sich auf die himmlischen Güter auszurichten. In diesem Sinne zieht das lyrische Ich eine erste Bilanz aus diesen lehrreichen Eindrücken¹⁸⁴⁸ und bekundet, sich zum Sterben bereiten und sich ganz auf Gott verlassen zu wollen.¹⁸⁴⁹ Ab Strophe 37 kommt die Sprache auf

 „Wiel hier die Einsamkeit allein | Diß angenehme Werck verrichten? | […] O nein! O nein!“ Ebd., S. 7, Str. 8, V. 5 f.; 8.  Vgl. ebd., S. 7– 14, Str. 9 – 36.  „O letztes/ doch nicht festes Haus! | O Burg/ darinn wir vns verkrichen! | […] Palast/ den einig vns die Welt | Auff immer zu besitzen bauet“. S. 7 f., Str. 11, V. 1 f.; 5 f.  Ebd., S. 8 f., Str. 15.  Ebd., S. 9, Str. 16, V. 1.  Vgl. ebd., S. 9 f., Str. 16 – 20.  Vgl. ebd., S. 10 f., Str. 22– 26.  Vgl. ebd., S. 11– 13, Str. 26 – 31.  Ebd., S. 13, Str. 31, V. 1– 4.  „Ach Todten! ach was lern ich hier! | Was bin ich/ vnd was werd ich werden!“ Ebd., S. 14, Str. 34, V. 1 f.  Vgl. ebd., Str. 35.

6.4 Exkurs: Die Rede von den Letzten Dingen in Gryphius‘ Kirchhofgedanken

249

den Jüngsten Tag der naherwarteten Parusie Christi „mit Blitzen vnd Trompeten“¹⁸⁵⁰, an welchem die Toten überall hinaus kommen müssen¹⁸⁵¹, um „[z]u sehen/ wie deß Höchsten Sohn | Jn höchster Herrligkeit beschemen | Werdʼ alle Feind/ vnd nun einnehmen | Den ihm gesetzen Richters=Thron“¹⁸⁵², womit das Jüngste Gericht selbst in den Blick genommen wird. Christus, der über alle Menschen zu Gericht sitzen wird, ist, dies weiß das lyrische Ich auszusagen, derjenige, welcher „gerichtet ward vor mich/ | Vmb mich nicht richtend zu beschweren“¹⁸⁵³. Hier ist an die lutherische Glaubensaussage zu denken, dass jener, der Christus glaubend ergreift und darauf vertraut, dass der Richter der pro me Gerichtete ist, welcher das Zorngericht Gottes für die Glaubenden erlitten und den Weg des Heils eröffnet hat, das Endgericht nicht zu fürchten braucht, sondern der ewigen Seligkeit gewiss sein darf.¹⁸⁵⁴ Dieser Gedanke findet sich in den erbaulichen Schriften lutherischer Provenienz immer wieder¹⁸⁵⁵, war bereits bei Luther begegnet¹⁸⁵⁶ und wird auch in der geistlichen Lyrik lutherischer Herkunft oft thematisiert, um „den Kern des Glaubens in poetisch-kunstfertiger Weise zur affektiven Aneignung zu bringen.“¹⁸⁵⁷ Darin, dass Christus das Letzte Gericht bereits erlitten und entschieden hat, sieht Steiger ein Spezifikum lutherischer Frömmigkeitsliteratur bzw. einen Unterschied zur mittelalterlichen sowie zur „zeitgenössischen jesuitischen Predigt- und Erbauungsliteratur“¹⁸⁵⁸.¹⁸⁵⁹ Gleichwohl ist auch für Gryphius klar, dass das Jüngste Gericht einen doppelten Ausgang nehmen wird. Dieser Tatsache trägt er dichterisch Rechnung, indem er etwa in zahlreichen antithetischen bzw. parallelismusartigen Formulierungen die Glückseligkeit der Glaubenden am Jüngsten Tag angesichts ihrer Rettung den Schrecken der Verdammten gegenüberstellt und durch die abwechselnde Zusammenstellung darüber hinaus darauf verweist, dass Gute und Böse bis zur Scheidung durch den himmlischen Richter – das lyrische Ich vermag hier „nicht […] zu vnterscheiden“¹⁸⁶⁰ – im Sinne des corpus

 Ebd., S. 15, Str. 38, V. 2.  Vgl. ebd., S. 14– 16, Str. 37– 41.  Ebd., S. 16, Str. 41, V. 5 – 8.  Ebd., Str. 42, V. 3 f.  Vgl. dazu auch Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 59 – 62.  So auch etwa bei Rist.Vgl. Rist (s. Anm. 1635), S. 96 f. (16. Katechismus-Lied, etwa Str. 6); 133 (Str. 10 f.).  Siehe oben Kapitel 2.6.3.  Steiger (s. Anm. 352), S. 198. Vgl. auch ebd., S. 197– 199.  Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 60.  Vgl. dazu auch Steiger (s. Anm. 352), S. 179 f.; 187 f.; 188 – 190; 197– 199.  Gryphius (s. Anm. 1833), S. 16, Str. 43, V. 2.

250

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

permixtum koexistieren.¹⁸⁶¹ Die kunstvoll gestalteten Ausführungen haben ihren Grund in der lutherischen Dogmatik.¹⁸⁶² Das Jüngste Gericht, so das lyrische Ich, werde auch die Wahrheit darüber enthüllen, wer von den auf Erden für einen guten Christen gehaltenen Menschen wirklich zu den Seligen zählt.¹⁸⁶³ Weiterhin werden die Beschreibungen der perfekten, schönen Seligen denen der grausig anzusehenden Verdammten gegenübergestellt.¹⁸⁶⁴ Am Ende der Dichtung werden die Adressaten nochmals ihrer Sterblichkeit erinnert, wobei das lyrische Ich abermals Bezug nimmt auf die in diesen Belangen lehrreiche Situation auf dem Friedhof.¹⁸⁶⁵ Bereits Luther hatte den Friedhof als geeigneten Ort der Meditation der Letzten Dinge beschrieben.¹⁸⁶⁶ Der Lutheraner Sigmund von Birken (1626 – 1681), welcher auf einem Nürnberger Friedhof begraben liegt, gestaltete und besuchte sein eigenes Grab zum Zwecke der Sterbebereitung schon zu Lebzeiten.¹⁸⁶⁷ Gryphius greift in seinem Text auf die lateinische Dichtung (zwei Enthusiasmen) des Jesuiten Jacob Balde zurück.¹⁸⁶⁸ Steiger zufolge ähneln sich die Endzeitszenarien der beiden Dichter in der ausführlichen Beschreibung der Toten¹⁸⁶⁹ sowie den Schilderungen der Ereignisse des Jüngsten Tages und beispielsweise in

 Vgl. ebd., S. 16 f., Str. 43 f. Zum kunstvollen Aufbau vgl. auch Steiger (s. Anm. 48), S. 63 f. Auch im Tode sind zunächst Gute und Böse vereint. Dieser Gedanke findet sich bereits bei Balde. Vgl. ebd., S. 45.  Vgl. ebd., S. 64. Vgl. weiter ebd., S. 58.  Vgl. Gryphius (s. Anm. 1833), S. 17, Str. 47.  Vgl. ebd., Str. 45 f.  Vgl. ebd., S. 17 f., Str. 48; 50.  Siehe dazu oben S. 59.  Vgl. Johann Anselm Steiger: fractio et transitus. Antimortale Ikonografie auf Grabmälern der Frühen Neuzeit. In: Bild und Tod. Grundfragen der Bildanthropologie. Hrsg. von Philipp Stoellger und Jens Wolff. Bd 1. Tübingen 2016 (= Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 68), S. 145 – 173, hier S. 151– 157. Ein Bewunderer des lutherischen Dichters Sigmund von Birken war (immerhin zeitweise) der 1651 geborene und 1689 hingerichtete Poet und Chiliast Quirinus Kuhlmann, dessen Leben und Werk für die Thematik der Eschatologie – in eigentümlicher Weise – als bedeutsam gelten dürfen. Dieser wandte sich, u. a. von Jacob Böhme (1575 – 1624) beeinflusst, vom Luthertum ab und entwickelte eine von Millenarismus, Synkretismus und Missionsbestrebungen geprägte nonkonformistische Lehre, die auch mit einem Kult um seine Person verbunden war. Vgl. zu Kuhlmann und seinem Oeuvre, v. a. seinem sogenannten Kühlpsalter, etwa Walter Dietze: Quirinus Kuhlmann. Ketzer und Poet. Versuch einer monographischen Darstellung von Leben und Werk. Berlin 1963 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft 17).  Vgl. zu Balde Wilhelm Kühlmann: Art. Balde, Jacob. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von dems. u. a. Bd. 1 (2008), S. 314– 317. Vgl. zur Rezeption Steiger: Schule (s. Anm. 48), S. 9 und S. 9 bzw. 67, Anm. 4. Vgl. weiter ebd., S. 44 f.  Vgl. ebd., S. 48 f.

6.5 Zusammenfassung

251

der Aufnahme von Ez 37¹⁸⁷⁰, unterscheiden sich jedoch darin, dass laut Gryphius das Jüngste Gericht sehr kurz bevorsteht und zudem „proleptisch in visionärpoetischer Weise“¹⁸⁷¹ erfahren wird, während Balde das Endgericht mit größerem zeitlichen Abstand betrachtet (die Verstorbenen dürfen bei ihm noch weiterschlafen).¹⁸⁷² Überdies sieht Steiger die zentrale Differenz zwischen Balde und Gryphius darin, dass sich der Verweis auf den für die und anstelle der Sünder gerichteten Richter – Christus, welcher in der Passion das Gericht Gottes selbst erlitten hat – bei dem Jesuiten nicht findet.¹⁸⁷³ „Dies ist, wenn man seine römischkatholisch-theologischen Vorgaben mitbedenkt, nur konsequent, da ihnen zufolge Christus am Kreuz nicht alle Sündenstrafen erlitten und gebüßt hat, sondern lediglich die Vergebung der Erbsünde und der Aktualsünden der bisherigen Generationen, nicht aber der künftigen erworben hat, um deren Nachlaß sich die Menschen selbst zu kümmern haben.“¹⁸⁷⁴ Wie Steiger gezeigt hat, sind Dichtungen wie die Kirchhofgedanken also dazu geeignet, die Adressaten geistlich zu belehren.¹⁸⁷⁵ Schefflers Lehrstück aus der Sinnlichen Beschreibung dient ebenfalls diesem Zweck. Und auch Rist bestellt in einem Gedicht seines Neuen Musikalischen Seelenparadieses über das Alte Testament die Seele des Christen in die geistliche Schule ein¹⁸⁷⁶ und lehrt, des Jüngsten Gerichts eingedenk zu sein, um von Übeltaten abzulassen und nicht ins verdammliche Gericht bzw. die schreckliche Hölle zu gelangen.¹⁸⁷⁷

6.5 Zusammenfassung Es zeigte sich, dass das Jüngste Gericht transkonfessionell Gegenstand geistlicher Dichtung in der Frühen Neuzeit ist. Durch die Gattung der Dichtung können theologische Sachverhalte noch komprimierter als etwa in Predigt oder exegeti-

 Vgl. ebd., S. 42.  Ebd., S. 58.  Vgl. ebd., S. 57 f.; 61.  Vgl. ebd., S. 61.  Ebd.  Vgl. etwa ebd., S. 28.  Vgl. Rist (s. Anm. 1636), S. 91 (15. Andacht), Str. 1, V. 1.  Vgl. etwa ebd., S. 92 f., Str. 5; 7 f. Solch dringliche Aufforderungen an den Glaubenden, der Letzten Dinge eingedenk zu sein, haben ihre Entsprechungen auch auf frühneuzeitlichen Gemälden. Christine Göttler hat etwa auf Darstellungen von personifizierten Seelen, welche mit einem Fernglas die Letzten Dinge bzw. Tod und Gericht in den Blick nehmen, hingewiesen. Vgl. Göttler (s. Anm. 4), S. 5 – 30 u. ö. Krummacher weist auf die Relevanz von Sir 7,40 in diesem Zusammenhang hin. Vgl. Krummacher (s. Anm. 43), S. 452; 499.

252

6 Geistliche Dichtungen über das Jüngste Gericht in der Frühen Neuzeit

schem Kommentar dargestellt werden. Als poetae docti sind die Autoren dabei mit den theologischen Inhalten bestens vertraut und lassen die Adressaten in den Genuss geistlicher Schulungen kommen. In der Anwendung der geistlichen Lyrik vermag der Glaubende sich mit den erbaulichen Inhalten zu identifizieren. Katholische und lutherische Poeten dichten um willen der amplificatio durchaus in bildgewaltiger Sprache über das Letzte Gericht und die Hölle, wie sich in Werken von Scheffler, Gryphius, welcher interkonfessionell lateinische Dichtungen des Jesuiten Balde rezipiert, und Ringwaldt zeigt. Das Motiv vom Tag des Zorns kann (implizit transkonfessionell) gelegentlich in Gedichten über das Endgericht gefunden werden. Ringwaldt lässt sich für sein Lied Es ist gewißlich an der Zeit von der präkonfessionellen Dies-Irae-Sequenz inspirieren, verknüpft jedoch in seiner populären geistlichen Dichtung in Übereinstimmung mit Luther die Rechtfertigungslehre mit der Eschatologie und hebt schlechterdings den Trost der Glaubenden, dank Christus das verdammliche Urteil nicht fürchten zu müssen, hervor. Die Beschreibungen der Letzten Dinge in Ringwaldts Christlicher Warnung ähneln gelegentlich jenen bei Scheffler, wenngleich der katholische Dichter beispielsweise die Funktion der Beisitzer im Gericht bzw. die Möglichkeit, eigenverantwortlich zum Heil zu gelangen, stärker akzentuiert. Durchaus kann auch in geistlichen Liedern mit dem Jüngsten Gericht gedroht werden, wie etwa die Beispiele Rists, Khuens und Schefflers zeigten. Diese Drohung wird eingesetzt, um die Menschen von zahlreichen Lastern abzuhalten, wobei diese (Tod‐)Sünden transkonfessionell sowohl bei Scheffler bzw. von Schnüffis und Ringwaldt als verwerflich beschrieben werden. So finden sich auch bei den Lutheranern also konkrete Mahnungen, von bestimmten Lastern abzulassen, wenngleich der Glaube (dem gute Werke folgen) das entscheidende Kriterium zum Bestehen im Letzten Gericht darstellt. Die Drohungen richten sich auch in der Gattung der geistlichen Lyrik ferner gegen die den Vertretern der verschiedenen Konfessionen (etwa Rist und Scheffler) gemeinsamen Gegner, nämlich die Sozinianer und die sogenannten ‚Epikureer‘, die Jüngstes Gericht und Hölle grundsätzlich in Abrede stellen und sich ausschließlich den irdischen Genüssen zuzuwenden bestrebt sind. Konfessionsübergreifend werden die Sünder davor gewarnt, ihre Buße und Besserung aufzuschieben, bis es zu spät ist. Indem über fiktive Hölleninsassen und ihre Sünden erzählt wird, können die Adressaten überdies auch am Beispiel eines ‚Dritten‘ lernen, wie ein christlicher Lebenswandel geführt werden soll. Die entgegengesetzten Aussagen, dass Familien am Jüngsten Tage sowohl entzweit als auch vereint werden, stellen meines Erachtens ein gutes Beispiel dafür dar, dass die Thematik vom Jüngsten Gericht auch in diesem Zusammenhang situativ verschieden eingesetzt wird, in diesem Fall zur Warnung oder zum Trost. Überdies ist deutlich geworden, dass Tod und Jüngstes Gericht den Autoren zufolge alle

6.5 Zusammenfassung

253

Menschen jeden Standes angehen, wobei jedoch etwa Wohlhabende sowie weltliche und kirchliche Obrigkeiten in besonderer Weise ihrer Pflichten gemahnt werden. Hans-Henrik Krummacher konstatiert: „In allen möglichen Formen geistlicher Prosa […] und in vielerlei poetischen Formen behandelt, sind die vier Letzten Dinge ein zentrales Thema der geistlichen Literatur […] und noch in der gesamten frühen Neuzeit nicht nur ein Gegenstand gelehrter Dogmatik, sondern in Übereinstimmung mit ihr ein Herzstück der Frömmigkeitsgeschichte.“¹⁸⁷⁸ Dem ist mit Blick auf die hier dargestellten Beobachtungen zu den Dichtungen über das Jüngste Gericht völlig zuzustimmen, wenn man etwa bedenkt, dass die Produktion geistlicher Lieder (wie etwa dasjenige Ringwaldts) durchaus auf die praxis pietatis abzielt, welche innerhalb der lutherischen Orthodoxie als zentral angesehen wurde. Die Sprachbilder der geistlichen Dichtungen bieten den Adressaten einen Vorgeschmack auf Himmel oder Hölle und haben Entsprechungen in der zeitgenössischen Ikonographie. Himmel und Hölle werden bei den Protestanten nicht räumlich gedacht, wohl aber eröffnen gerade lyrische Texte himmlische und höllische Sprach-Räume.

 Krummacher (s. Anm. 43), S. 453. Vgl. dazu auch etwa Steiger (s. Anm. 48), S. 17. Vgl. auch Steiger (s. Anm. 1493), S. 370. Vgl. zu den praktisch-theologischen Bestrebungen eines Johann Matthäus Meyfart etwa Sommer (s. Anm. 4), S. 185.

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument gegen Hexenverfolgungen in der Frühen Neuzeit 7.1 Einleitung Die Verfolgung von Menschen als Zauberer oder Hexen¹⁸⁷⁹ ist eines der dunkelsten Kapitel der Kirchengeschichte.¹⁸⁸⁰ Dies gilt sowohl für katholische als auch protestantische Gebiete.¹⁸⁸¹ Im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit fanden im deutschsprachigen Raum¹⁸⁸² – in einigen Verfolgungswellen, etwa von den 1560er Jahren bis mindestens 1630¹⁸⁸³ – nicht wenige Beschuldigungen, Nachstellungen, Inhaftierungen, Folterungen und Hinrichtungen solcher Männer und vor allem Frauen¹⁸⁸⁴ statt, welche in Verruf geraten waren oder selbst

 Vgl. einleitend Gerhard Schormann: Art. Hexen. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15 (1986), S. 297– 304. Vgl. weiter auch Walter Rummel und Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2008 (= Geschichte kompakt o. Nr.), S. 3 – 6; 14– 17 u. ö.  Zur Beschuldigung, Inhaftierung und Folter mutmaßlicher Hexer bzw. Hexen sowie zu Protokollen der Verhöre und Folterungen vgl. exemplarisch etwa Adolf Kettel: Kleriker im Hexenprozeß. Beispiele aus den Manderscheider Territorien und dem Trierer Land. In: Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung. Hrsg. von Gunther Franz und Franz Irsigler. Trier 1998 (= Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen 4), S. 169 – 191. Vgl. auch Annemarie Hartmann: Der Hexenwahn im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern im 16. und 17. Jahrhundert. In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von Georg Schwaiger. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 103 – 127. Zu einer Befragung im Zuge eines Hexenverfahrens vgl. ebd., S. 124– 127.  Vgl. etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 215. Zur Hexenverfolgung als transkonfessionellem Phänomen in protestantischen und katholischen Territorien vgl. weiter etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 113 – 119; 125.  Vgl. zu den Hexenverfolgungen zwischen 1400 – 1700 einleitend etwa Franz Irsigler: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert. Eine Einführung. In: Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung. Hrsg. von Gunther Franz und dems. Trier 1998 (= Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen 4), S. 3 – 20. Vgl. auch Sabine Alfing: Hexenjagd und Zaubereiprozesse in Münster. Vom Umgang mit Sündenböcken in den Krisenzeiten des 16. und 17. Jahrhunderts. Münster u. a. 1991, S. 1– 20.  Vgl. Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 80 – 83, bes. S. 81.  Vgl. etwa ebd., S. 27 f.; 71– 73; 79 f. Vgl. auch Malcolm Gaskill: Hexen und Hexenverfolgung. Eine kurze Kulturgeschichte. Stuttgart 2013, S. 83.

7.1 Einleitung

255

glaubten, auf bestimmte Weise zaubern, hellsehen, Umgang mit dem Teufel pflegen zu können, oder sich abergläubischer Praktiken bedienten.¹⁸⁸⁵ Einerseits ist an selbsternannte Heiler oder betrügerische Wahrsager zu denken. Diese konnten sich durchaus als gefährlich für die Allgemeinheit erweisen. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, was der Wedeler Pastor Johann Rist im Vorbericht seiner Neuen Hochheiligen Passionsandachten (1664) beklagt: O des erschreklichen Greuels! Es hat der gerechte GOtt ein scharffes Gesetz wider solche Wahrsager und Zeichendeuter gegeben/ […] wir Christen aber halten ihnen nicht allein Schutz und Schirm; sondern schätzen und rühmen sie noch bisweilen für solche Leute/ derer man schwerlich in der Gemeine könne entbähren. Jch kenne unter andern vielen/ auch eine alte/ heßliche Wahrsagerinn/ oder vielmehr Lügensagerinn/ welche auff dem Lande […] schier gantze Flekken und Dörffer in ihrer Contribution hat gehabt/ vieleicht auch noch hat/ welches also zugehet: Sie hat aus einem jetweden Hause jährlich/ (wie ich glaubwürdig bin berichte[t]) ihr gewisses Jnkommen/ an Gelde/ Korn/ oder derogleichen Sachen: Dafür ist sie verpflichtet/ wen in solcher Häuser einem/ Menschen oder Viehe mit Krankheiten werden beleget oder angegriffen/ daß sie diselben mit ihrem Rahten/ Segenen/ etwas in die Erde vergraben/ Messer/ Eisen/ Stein kochen/ und anderen mehr dergleichen abergläubischen Mittelen/ muß curiren oder heilen und wider zu rechte bringen/ da sie den die Leute flugs zu anfange beredet/ es sei ihre oder ihres Viehes Krankheit nicht natürlich/ sondern werde ihnen von disem oder jennem/ am meisten aber von ihren Nachbahren angethan (welche falsche Beschüldigungen aber offt grosses Unglük veruhrsachen) dannenhero müssen sie auch auff eine sonderbahre Ahrt und Weise widrum zu rechte gebracht werden. […] Hiebenebenst läst sie sich auch als eine Wahrsagerinn […] gebrauchen¹⁸⁸⁶.

Rist schildert weitere Details, verspottet die Wahrsagerin und berichtet zudem von einer Auseinandersetzung mit ihr.¹⁸⁸⁷ Rist warnt nochmals vor dem Gefahrenpo Sehr drastisch schildert etwa Trunz die Inhaftierungen, Folterungen und Demütigungen. Vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 211– 213 u. ö.  Johann Rist (Verf.) und Martin Coler (Komp.): Neue Hoch=heilige Paßions=Andachten Jn Lehr= und Trostreichen Liedern/ (welche von dem weitberühmten Musico/ […] Herrn Martino Colero, mit sehr anmutigen und beweglichen Sangweisen sind außgezieret) […]. Hamburg 1664, fol. c 7r–7v.  „[A]ls besagtem Weibe unlängst ein solches fürgehalten ward/ sie sich nur hiemit entschüldigte: Es kehmen zwahr wol oft Leute zu ihr/ welche Nachricht ihrer verlohrnen Sachen halber von ihr begehreten/ sie pflege ihnen aber selber/ oder für ihre Person […] hierinnen nicht leicht zu wilfahren/ sondern sie gebe ihnen ein Brieflein oder Zettel/ damit verwiese sie die Leute an eine andere kluge Frau oder Wahrsagerinn/ welche auf jenner Seiten des Baches wohnete/ und die könte den das verlohrne wider zu rechte bringen/ und den jenigen/ welche in ihrer Betrübnisse zu ihr kehmen/ schleunigste Hülffe erweisen. Jch muste diser schönen Entschüldigung heimlich/ bei mir selber lachen zumahlen dises bei derselben in acht zu nehmen/ daß jennes/ gegen den Mittag wohnendes Weib/ viel einen stärkeren Geist oder Teufel müste haben/ als dise/

256

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

tential solcher Hochstapler und rät der weltlichen Obrigkeit zu hohen Geldstrafen: Jmmittelst gedenke doch nur ein gewissenhaffter Mensch/ wie viel tausend einfältige Hertzen/ durch solche Wahrsager/ Nachweiser und abergläubische Zeichendeuter/ von dem kindlichen Vertrauen/ daß sie zu ihrem lieben GOtt und Vatter haben solten/ ab= und dem listigen Seelenmörder dem Teufel zugeführet werden/ da es den recht und billig were/ daß nicht allein solche Wahrsager und verführische Leute ernstlich gestraffet/ sondern auch alle die jenige/ welche sich sothaner Personen Raht und Hülffe gebrauchet/ mit einer starken Geld=Buhsse angesehen würden¹⁸⁸⁸.

Am Beispiel Rists zeigt sich auch bereits, dass es den frühneuzeitlichen Theologen ein Anliegen war, gegen Aberglauben vorzugehen.¹⁸⁸⁹ Wie in Rists Fall können welche den benöhtigten nur Forderungs=Schreiben an jenne mit gab/ wiewol doch genugsahm bewust/ daß/ so wol dise/ als jenne/ mit dem nachweisen sich behulffen […]. Jtzt fält mir inn/ was mir selber für etlichen Jahren ist widerfahren/ da mir von meines eigenen Dieners treulosen Eltern/ fünf hundert Reichsthaler wurden gestohlen/ da zwahr der Dieb in gefängliche Haft ward gebracht/ sich aber jedes mahl durch Außbrechen widrum frei machete/ und unterdessen ein Geschrei ließ erschallen/ daß er das gestohlene Geld im Felde von sich geworffen/ welches hernach von einem anderen were gefunden/ durch welches Geschrei etliche unbesonnene Leute/ ohn alles mein Wissen und Willen zu der erstbemeldeten/ alten Wahrsagerinn oder Nachweiserinn/ (wie man sie ins gemein nennet) sich verfügten und von ihr zu wissen begehrten: Wo doch/ und bei weme meine fünfhundert Reichsthaler müchten sein zu finden? Da sie den sol geantwohrtet haben; daß sie ihnen zwahr davon guhte Nachricht könte geben/ wüste wol/ wo das gestohlene Geld were hinn kommen/ sie wolte es aber für dises mahl eben darum nicht thun/ diweil ich ihr weinig guhtes gönnete/ auch von ihrer Wissenschafft nichts hielte/ welches daher erhellete/ daß ich sie und ihre Kunst offentlich angegriffen und meine Zuhöhrer dafür gewarnet hette/ wie den sothane ihre schöne Erklährung erst zwei Jahr hernach von einem/ der dazumahl selber mit und dabei gewesen/ mir ist […] erzehlet worden/ worüber ich/ daß sie nemlich den Teufel üm Raht gefraget/ heftig erzürnet und bestürtzet ward“. Ebd., fol. c 7v–8v.  Ebd., fol. c 8v. Rist möchte „einen solchen Raht geben/ vermittelst welches die Rentkammeren mit guhtem Gewissen/ so wol der Herrschaft/ als ihrer Rähte und Diener widrum können erfüllet werden. Erstlich setze man eine/ nur nicht schlechte Geldstraffe auff die jenige/ welche den wahren GOtt verlassen/ und dargegen bei des Satans Werkzeugen/ als da sind die Zauberer/ Wikker/ Wahrsager/ Nachweiser und Zeichendeuter/ Hülffe und Raht suchen/ welches Laster heute zu Tage so gemein ist/ daß es nicht allein für keine Sünde mehr geschätzet/ sondern noch als recht und wolgethan/ von etlichen wird verthädiget.“ Ebd., fol. c 6v–7r. Vgl. dazu auch etwa Miriam Rieger: Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2011 (= Friedenstein-Forschungen 9), S. 149 – 152. An anderer Stelle kritisiert Rist jedoch auch ungerechte, sündhafte Richter, welche zudem Bußpredigten und Höllendrohungen nicht ernst nehmen, vgl. Rist (s. Anm. 1636), fol. c 5r–5v.  Rieger zeigt zudem, dass die lutherischen Theologen abergläubische bzw. in der katholischen Kirche praktizierte Handlungen zur Austreibung von Dämonen ablehnten. Vgl. Rieger (s. Anm. 1888), S. 15; 34 u. ö. Dies mit interkonfessioneller Polemik verbindend bestritten die Lu-

7.1 Einleitung

257

persönliche Erlebnisse die Meinung zum Umgang mit vermeintlichen Zauberern beeinflussen. Andererseits jedoch ist bei den Opfern von Hexenverfolgungen auch an denunzierte Unschuldige oder psychisch Kranke¹⁸⁹⁰ zu denken. Vermutlich wurden während der Verfolgungen im 16. und 17. Jahrhundert insgesamt zehntausende Menschen getötet.¹⁸⁹¹ Konfessionsübergreifend bzw. transkonfessionell wurde die Hexenverfolgung von zahlreichen Theologen befürwortet¹⁸⁹²: Erich Trunz zählt hier etwa Peter Binsfeld (ca. 1545 – 1598)¹⁸⁹³ und Martin Anton Delrio (1551– 1608)¹⁸⁹⁴ seitens der Katholiken sowie den Lutheraner Friedrich Balduin (1575 – 1627)¹⁸⁹⁵ auf.¹⁸⁹⁶ Die Befürworter der Hexenprozesse nahmen in ihren Schriften interkonfessionell aufeinander Bezug.¹⁸⁹⁷ Das Ende von Hexenverfolgungen und Hexenprozessen wurde erst in der Epoche der Aufklärung eingeläutet. Einen in diesem Zusammenhang wichtigen Text stellte Christian Thomasius‘ (1655 – 1728) Schrift De crimine magiae von 1701 dar.¹⁸⁹⁸ Thomasius übte Kritik an den Hexenverfolgungen und zog die Existenz von Hexerei grundsätzlich in Zweifel. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gab es nur noch vereinzelte Fälle, die Praxis der Hexenprozesse wurde allmählich überwunden.¹⁸⁹⁹ Dennoch wäre es ein Missverständnis, anzunehmen, vor dem Zeitalter der Aufklärung sei kein theraner ferner, dass es sich bei Geistererscheinungen (welche sie auf das Wirken des Teufels zurückführten) um Seelen Verstorbener handelt, welche im Fegefeuer purgiert werden und die Lebenden um Fürbitte bitten, vgl. ebd., S. 10 – 21 u. ö.  Vgl. dazu etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 216 f.  Gaskill zufolge starben vor allem während der großen Verfolgungen am Ende des 16. Jahrhunderts sowie um 1630 und um 1660 ca. 20.000 Menschen in Deutschland.Vgl. Gaskill (s. Anm. 1884), S. 100 – 109; 117. Zu den (schwer zu ermittelnden) Zahlen der Getöteten der Verfolgungen in der Frühen Neuzeit vgl. Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 74– 79. Diese rechnen mit ca. 50.000 – 60.000 getöteten Menschen in Europa und ca. 25.000 in den deutschsprachigen Gebieten. Schormann rät bei der Schätzung von Zahlen Getöteter sowie der Bedeutung von durch Folter erwirkten Beschuldigungen Dritter zu Zurückhaltung. Vgl. Schormann (s. Anm. 1879), S. 297– 304.  Vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 220 – 222.  Vgl. ebd., S. 218. Weiterhin nennt er dort etwa Jean Bodin (1520 – 1596).  Vgl. ebd., S. 221 f. Trunz zufolge fand dieser Autor auch im lutherischen Milieu einige Beachtung, vgl. ebd., S. 222.  Vgl. ebd.  Zu weiteren Beispielen vgl. ebd., S. 222– 225.  Vgl. Hugh R. Trevor-Roper: Der europäische Hexenwahn des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Die Hexen der Neuzeit. Studien zur Sozialgeschichte eines kulturellen Deutungsmusters. Hrsg. von Claudia Honegger. Frankfurt am Main 1978 (= Edition Suhrkamp 743), S. 188 – 234, hier S. 204.  Vgl. etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 225.  Vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 7. Vgl. auch Gaskill (s. Anm. 1884), S. 145. Vgl. weiter Trunz (s. Anm. 29), S. 215.

258

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Einspruch gegen Hexenverfolgungen erhoben worden.¹⁹⁰⁰ Richtig ist vielmehr, dass zur Zeit der lutherischen Orthodoxie (und früher) sowohl mit Vernunftargumenten, als auch theologisch begründet Unrecht in Hexenprozessen kritisiert wurde. So gab es bereits deutlich früher, vor Thomasius, Stimmen, die sich – mehr oder weniger deutlich – etwa gegen die Annahmen aussprachen, Menschen seien fähig zu fliegen, sich zu verwandeln, bestimmte Wetterphänomene hervorzurufen, oder Umgang mit dem Teufel zu pflegen.¹⁹⁰¹ In den Reihen derjenigen, welche solche Auffassungen ablehnten, waren neben Medizinern und Juristen auch Theologen verschiedener Konfession¹⁹⁰², beispielsweise der Lutheraner Johannes Brenz (1499 – 1570).¹⁹⁰³ Die Liste solcher Kritiker aus dem 16., aber auch schon aus dem 15. Jahrhundert ließe sich erweitern. Auch etwa Johann Weyer (1515 – 1588) wäre zu erwähnen.¹⁹⁰⁴ Es lässt sich darüber hinaus zeigen, dass Theologen lutherischer, reformierter und katholischer Provenienz gegen die Hexenverfolgungen samt Folterungen und Tötungen Unschuldiger Kritik geübt und die Verantwortlichen politisch zum Umdenken aufgerufen haben, wenngleich sie gegenüber den Befürwortern der Hexenprozesse in der Minderheit waren¹⁹⁰⁵. Die Rede vom Jüngsten Gericht erweist sich in diesem Zusammenhang als wichtiges konfessionsübergreifendes Argument gegen die ungerechte Verfolgung sogenannter Hexen. Die Aufforderung an Ratsherren, Richter und andere Verantwortliche zu gerechtem Urteilen unter Bezugnahme auf das Letzte Gericht ist in der Frühen

 So etwa Trevor-Roper, der die Ansicht vertritt, an den grausamen Wellen der Verfolgungen zwischen ca. 1550 – 1650 seien konfessionsübergreifend die unvernünftigen Kirchen Schuld, in deren Reihen sich nur wenige Kritiker fanden, welche sich zudem nicht durchsetzen konnten. Ferner ergänzt er, es habe im 17. Jahrhundert keine wirksame Kritik an den Hexenverfolgungen gegeben. Als vernünftigen Kritiker führt er etwa Thomasius an. Vgl. Trevor-Roper (s. Anm. 1897), S. 207– 212.Vgl. auch Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 7.Vgl. zu dieser Thematik auch Georg Schwaiger: Das Ende der Hexenprozesse im Zeitalter der Aufklärung. In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von dems. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 150 – 179. Vgl. zu Thomasius ebd., S. 156 – 160. Schwaiger zeichnet ein differenzierteres Bild.  Vgl. Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 58 – 60.  Vgl. dazu etwa Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht: Motive und Argumente von Gegnern der Hexenverfolgung von Weyer bis Spee. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von dens. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 1– 14. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 226 – 228.  Zur gemäßigten Position Brenz‘ vgl. etwa Jörg Haustein: Martin Luthers Stellung zum Zauber- und Hexenwesen. Stuttgart u. a. 1990 (= Münchener Kirchenhistorische Studien 2), S. 172 f. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 220.  Vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 61 f. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 217; 219.  Vgl. ebd., S. 233.

7.1 Einleitung

259

Neuzeit keine Seltenheit. So befanden sich etwa in Rathäusern häufig Inschriften¹⁹⁰⁶ – 2Chron 19,6 f. (dort geht es um eine Ermahnung an die Richter, welche bedenken sollen, dass sie sich vor Gott zu verantworten haben, von ihm beurteilt bzw. gerichtet werden und darum verfahren sollen wie Gott, welcher gerecht und unbestechlich ist) stellt hierbei einen zentralen biblischen Text dar, welcher beispielsweise „im Saal des Hamburger Niedergerichts“¹⁹⁰⁷ zu lesen war – oder bildliche Darstellungen des Jüngsten Gerichts, um die Verantwortlichen zu umsichtiger Urteilsfindung zu ermahnen. Exemplarisch sei hierzu eine der Weltgerichtsdarstellungen im Lüneburger Rathaus bzw. in der dortigen „Niedergerichtslaube“¹⁹⁰⁸ erwähnt (Abb. 16).¹⁹⁰⁹ So schreibt auch etwa der lutherische Prediger Valerius Herberger über die Darstellungen des Letzten Gerichts in Gerichtssälen: Das ist […] die Ursache/ warum die lieben Alten gemeiniglich haben das Jüngste Gerichte in ihren Raths= und Gerichts=Stuben mahlen lassen/ zur Erinnerung beydes den Gerichts=Personen/ und auch die vor Gerichte zu thun/ und etwas fürzubringen haben/ es sey noch ein ander Gericht dahinten/ da alle Sachen solten für die Hand genommen/ und alle Gottlosen gestrafft werden von dem gerechten Richter JEsu Christo.¹⁹¹⁰

Als drei herausragende Kritiker von Hexenwahn und -verfolgung dürfen Friedrich Spee von Langenfeld, Johann Matthäus Meyfart und Anton Praetorius gelten.¹⁹¹¹

 Vgl. etwa Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 809.  Ebd.  Ebd. Vgl. auch ebd., S. 811, Abb. 3.  Vgl. dazu etwa Klaus Koch: Die Gemälde in der Großen Ratsstube des Lüneburger Rathauses. Zur Rezeption der Daniel-Apokalyptik in der Reformationszeit. In: Jerusalem, du Schöne. Vorstellungen und Bilder einer heiligen Stadt. Hrsg. von Bruno Reudenbach. Bern u. a. 2008 (= Vestigia Bibliae 28), S. 131– 166. Vgl. dazu weiterhin Ann-Kathrin Hubrich: Rezeptionsprozesse im Rechtsraum am Beispiel des Lüneburger Niedergerichts. In: Visual Past 2 (2015), 1, S. 669 – 715 [EJournal. URL: www.visualpast.de/archive/pdf/vp2015_0669.pdf (zuletzt aufgerufen am 27.06. 2018)]. Hubrich nennt dort die Daten (Künstler, Datierung etc.) zu der hier als Abb. 16 präsentierten Darstellung des Jüngsten Gerichts. Vgl. ebd., S. 706, Abb. 3. Auch zu nennen sind Artefakte etwa in Rostock und Tallinn. Vgl. dazu Steiger: Gedächtnisorte Bd. 2 (s. Anm. 20), S. 809 – 811.  Herberger (s. Anm. 749), S. 598.  So auch etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 228.

260

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Abb. 16: Daniel Frese, Das Jüngste Gericht, 1603 – 1607, Öl auf Holz, Niedergerichtslaube des Lüneburger Rathauses, Lüneburg.

7.2 Friedrich Spee Der deutsche Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591– 1635)¹⁹¹² erlebte möglicherweise Hexenprozesse mit und kritisierte derartige Verfahren in der Schrift Cautio Criminalis von 1631 bzw. in zweiter Auflage 1632.¹⁹¹³ Eine deutsche Übersetzung des Texts, auf die im Folgenden Bezug genommen wird, erschien 1649.¹⁹¹⁴ Die zunächst anonym publizierte und ohne Erlaubnis des Ordens gedruckte

 Zu Spee vgl. etwa Hellmut Zschoch: Art. Spee von Langenfeld, Friedrich. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 31 (2000), S. 635 – 641.  Das 1632 in zweiter Auflage erschienene Werk ist dieses: Friedrich Spee von Langenfeld: CAVTIO CRIMINALIS, Seu DE PROCESSIBVS CONTRA SAGAS LIBER. […] EDITIO SECUNDA. Frankfurt [= Köln] 1632 [11631]. Vgl. zur Thematik etwa Alexander Loichinger: Friedrich von Spee und seine „Cautio criminalis“. In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von Georg Schwaiger. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 128 – 149. Dieser zeigt, dass es Spee auch ein persönliches und von eigenen Erfahrungen motiviertes Anliegen war, sich gegen ungerechte Hexenprozesse einzusetzen. Dies gilt Trunz zufolge auch für Meyfart, vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 136; 234 f.; 237. Zu Spees Cautio Criminalis vgl. auch ebd., S. 231 f.  Vgl. Friedrich Spee von Langenfeld (Verf.) und Hermann Schmidt (Übers.): CAUTIO CRIMINALIS. SEU DE PROCESSIBUS CONTRA SAGAS LIBER. Das ist/ Peinliche Warschawung von Anstell: vnd Führung deß Processes gegen die angegebene Zauberer/ Hexen vnd Vnholden […]. Frankfurt am Main 1649.Vgl. zu einer unvollständigen deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1647 etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 224; 232.

7.2 Friedrich Spee

261

Cautio Criminalis wurde innerhalb der Societas Jesu mit Skepsis gesehen.¹⁹¹⁵ Gleichwohl blieb Spee Jesuit. Nicht wenige katholische Zeitgenossen Spees waren Befürworter von Hexenverfolgungen. Für einen strikten Umgang mit möglichen Hexen plädierte etwa Peter Binsfeld.¹⁹¹⁶ Ulrich Molitoris (1442– 1507) sprach sich deutlich für die Todesstrafe für alle Zauberer aus.¹⁹¹⁷ Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, innerhalb der katholischen Kirche sei es schwieriger gewesen, Kritik an den Hexenverfolgungen zu äußern als im protestantischen Raum.¹⁹¹⁸ Dennoch ist Spee, neben etwa Adam Tanner (1572– 1632), als Kritiker der Hexenprozesse bekannt geworden.¹⁹¹⁹ Seine Schrift gegen die Hexenprozesse stellt ein wichtiges Zeugnis des Einsatzes frühneuzeitlicher Theologen gegen Unrecht und Folter in den Hexenprozessen dar.¹⁹²⁰ Die Schrift ist unter anderem gegen Werke von Befürwortern der Hexenverfolgungen gerichtet.¹⁹²¹ Bereits in der Vorrede wird die Obrigkeit adressiert und um Achtsamkeit in Bezug auf die Hexenprozesse gebeten. Weiter heißt es dort, im Gericht als Ort des Rechts werde dabei zu oft Gerechtigkeit zu Ungerechtigkeit pervertiert.¹⁹²² Viele Menschen mussten, so Spee, bei jener Hexenjagd unschuldig ihr Leben lassen.¹⁹²³ Die Autorität der Obrigkeit und ihre Verantwortung, gegen Hexerei vorzugehen (mit Verweis auf Ex 22,17) sowie die Pflicht, die Öffentlichkeit zu schützen, werden nicht grundsätzlich infrage gestellt.¹⁹²⁴ Zauberei ist Spee zufolge eine severe

 Zschoch spricht von „Konflikten mit seinen Ordensvorgesetzten“. Zschoch (s. Anm. 1912), S. 636. Vgl. dazu ebd.  Vgl. Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 62. Siehe auch oben S. 257.  Vgl. Haustein (s. Anm. 1903), S. 173 f.  Vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 63. Vgl. dazu auch Trunz (s. Anm. 29), S. 231 f. Der katholische Theologe Cornelius Loos (1546 – 1595) wurde für seine Kritik an den Hexenverfolgungen gemaßregelt. Vgl. ebd., S. 227.  Vgl. Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 66; 67– 69.Vgl. weiter Trunz (s. Anm. 29), S. 228.  Vgl. auch etwa Zschoch (s. Anm. 1912), S. 637 f.  Vgl. beispielsweise Spee (s. Anm. 1914), S. 82; 116 – 118; 160 – 163; [2]10. Mitunter wurden Spee zufolge Leibesvisitationen mutmaßlicher Hexen durchgeführt und dergleichen. Solches kritisiert er scharf. Zum sogenannten Hexenhammer (Malleus malleficarum), zur sogenannten Hexenbulle sowie zur Rechtslage zur Zeit der Abfassung der Cautio Criminalis und der sogenannten Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (1500 – 1558) vgl. etwa Schormann (s. Anm. 1879), S. 297– 304. Vgl. auch Hans-Jörg Nesner: „Hexenbulle“ (1484) und „Hexenhammer“ (1487). In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg.von Georg Schwaiger. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 85 – 102.Vgl. weiter Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 31– 33; 36 – 57. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 213 – 215; 217.  Vgl. Spee (s. Anm. 1914), fol. ¶¶ 2v.  Vgl. ebd., S. 4.  Vgl. ebd., S. 6 f.; 129 – 132.

262

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Straftat¹⁹²⁵, die unter die außerordentlichen („excepta“¹⁹²⁶) Verbrechen gezählt wird.¹⁹²⁷ Allerdings verneint Spee die Frage, „[o]bs dann zugelassen sey/ gegen diese extraordinari Laster/ den Process nach belieben anzustellen.“¹⁹²⁸ Willkürliche Prozessführung oder Folter dürfe es nicht geben.¹⁹²⁹ Die Frage, ob Hexen überhaupt existieren, verneint Spee ebenfalls nicht grundsätzlich, wenngleich er gewisse Zweifel äußert. Durch ausufernde Verfolgung und Tötung von Hexen würden das Ansehen deutschsprachiger Gebiete geschmälert¹⁹³⁰ und die katholische Kirche beschädigt.¹⁹³¹ Spee gibt zu bedenken, dass mitunter Unschuldige als Hexen verleumdet werden. Nicht alle, die man dessen bezichtigt, seien wirklich Hexen. Daher warnt er vor übereiltem, unvernünftigem Einsatz gegen vermeintliche Zauberer.¹⁹³² Spezielle Wetterphänomene müssen laut Spee auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden. Die Vorstellung, dass Menschen etwa ein Gewitter entstehen lassen könnten, zeuge von Ignoranz und Aberglauben, welchen Spee scharf kritisiert.¹⁹³³ Er warnt davor, Pseudo-Kausalitäten zu konstruieren und Unbeteiligte verantwortlich zu machen. Missgunst und Neid benennt Spee als mögliche Gründe dafür, dass Unschuldige denunziert werden.¹⁹³⁴ Er wendet sich sowohl gegen Geistliche, die unbescholtene Menschen der Zauberei beschuldigen, als auch gegen die weltliche Obrigkeit, sofern sie dem keinen Einhalt gebietet.¹⁹³⁵ Die zahlreichen Verbrennungen von Menschen hält Spee für grausam und zugleich ineffektiv. Gerade weil der Vorwurf der Hexerei so schwerwiegende Folgen habe, sollen die Obrigkeiten mit besonderer Vorsicht und Sorgfalt vorgehen, damit nicht neben wenigen Schuldigen auch zahlreiche Unschuldige zu Unrecht verurteilt und getötet werden.¹⁹³⁶ In diesem Kontext verweist Spee auch auf das Jüngste Gericht, in welchem sich Herrscher und Richter vor Gott

 Vgl. ebd., S. 4.  Ebd. Zu den crimina excepta vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 28 – 30; 34. Vgl. weiterhin Trunz (s. Anm. 29), S. 211– 215.  Vgl. Spee (s. Anm. 1914), S. 4 f.  Ebd., S. 5.  Vgl. ebd., S. 5 f.; 11.  Vgl. ebd., S. 3; 49.  Vgl. ebd., S. 9; 29. Von den Verantwortlichen oder den Verleumdern werde eine intensive praxis pietatis der (katholischen) Christen mitunter gar als Versuch aufgefasst, von heimlicher Zauberei abzulenken, sodass ein hohes Maß an Frömmigkeit absurderweise verdächtig sei, ein weniger frommes Leben hingegen erwünscht. Vgl. ebd., S. 9 f. Siehe dazu auch unten S. 273.  Vgl. Spee (s. Anm. 1914), S. 1 f.  Vgl. etwa ebd., S. 2; 11; 36 f.  Vgl. etwa ebd., S. 3; 36 f.  Vgl. etwa ebd., S. 3 u. ö.  Vgl. ebd., S. 8 f.; 21– 26.

7.2 Friedrich Spee

263

für ihre irdischen Urteile über Leben und Tod werden verantworten müssen.¹⁹³⁷ Der Zweck, möglicherweise die wahren Hexen samt den Schuldlosen zu exekutieren, heiligt Spee zufolge nicht die Mittel. Es sei besser, um willen der Schuldlosen eine Hexe zu verschonen als einen Unschuldigen zu töten: „Mögen demnach Richter wohl zu sehen/ waß sie zuthun haben/ dann sie jhres thuns halben/ nicht allein jhren weltlichen Obrigkeiten/ sondern auch dermahls eins GOtt dem Allmächtigen/ werden Rechenschafft thun müssen: Mögen sie demnach wohl bedencken/ obs nicht besser wehre zwantzig schuldige loß lassen/ alß einen vnschuldigen verdammen vnnd hinrichten?“¹⁹³⁸ Mehrfach argumentiert Spee zudem mit Jesu Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24– 30) und stellt (v. a. mit V. 30¹⁹³⁹) somit die letzte Entscheidung darüber, wer zu den Hexen zählt und wer in dieser Frage unschuldig ist, Gott anheim, der im Jüngsten Gericht das Urteil spricht.¹⁹⁴⁰ Es gebühre nur Gott, am Tag der letzten Ernte das Unkraut vom Weizen zu scheiden.¹⁹⁴¹ Alle Herrscher und weltlichen Richter sollten bedenken, dass Christus der höchste und letzte Richter ist und als solcher am Jüngsten Tage in Erscheinung treten wird.¹⁹⁴² Ihm werde das ungerechte Richten der weltlichen Richter, welche er im Jüngsten Gericht zur Verantwortung zieht¹⁹⁴³, nicht verborgen bleiben.¹⁹⁴⁴ Keinesfalls sind „Fürsten vnd Herren […] in jhrem gewissen genugsamb entschuldigt […]/ wann sie sich vmb diese Sache [= die Hexenprozesse] selbst eygener Person nicht fiel [sic] bekümmern/ sondern dieselbe jhren Räthen vnd Beampten anbefehlen“¹⁹⁴⁵. Zudem bedürfen die Obrigkeiten Spee zufolge der Hilfe Gottes für ihre Entscheidungen.¹⁹⁴⁶ Doch auch der geistliche Stand sollte angesichts des Jesus-Wortes Mt 13,30 mit Forderungen von Folter und Tötung mut-

 Vgl. ebd., S. 13 – 15.  Ebd., S. 152.  „Lasset beydes wachsen biß zur Ernde/ alßdann werden die Engel kommen/ vnd werden das Vnkraut vom Weitzen scheiden/ vnd das Vnkraut in den Fewroffen werffen.“ Ebd., S. 32.  Vgl. ebd., S. 29 f.; 30 f.; 33; 37 f.; 120 – 122; [2]05–[2]07. Dies ist auch bei anderen Autoren konfessionsübergreifend ein zentrales theologisches Argument.Vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 60 f.  Vgl. etwa Spee (s. Anm. 1914), S. [2]02.  Vgl. ebd., S. 34; 54; 128 u. ö.  So heißt es etwa: „Es lauffen in warheit darbey viel Sachen vor/ darvon die vnfleissige fahrlässige Richter/ vor dem Richter alles fleisches/ schwere Antwort werden geben müssen.“ Ebd., S. 158.  Vgl. ebd., S. 44 f.  Ebd., S. 13.  Die Obrigkeit soll Spee zufolge zudem auf das Personal achten, Willkür verhindern, Haftbedingungen und die Intensität der Folter überprüfen. Vgl. ebd., S. 15 f.; 39 f.

264

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

maßlicher Hexen zurückhaltender sein, so der Jesuit.¹⁹⁴⁷ Die konfessionelle Identität des Autors zeigt sich durchaus und er verweist auf katholische Autoritäten (etwa Päpste).¹⁹⁴⁸ Dennoch kritisiert er die katholischen Geistlichen mit deutlichen Worten.¹⁹⁴⁹ Von den Orden werde mitunter ungeeignetes Personal zur Betreuung der mutmaßlichen Hexen bestellt. Auch würden Priester gelegentlich grausame Folter unterstützen oder falsche Geständnisse erzwingen, indem sie drohten, das Beicht- und das Abendmahlssakrament vor dem Sterben zu verwehren, wodurch sie das ewige Heil der Menschen gefährdeten.¹⁹⁵⁰ Auch in diesem Zusammenhang gemahnt Spee mit Bezugnahme auf Mt 12,36 daran, dass die Verantwortlichen im Jüngsten Gericht zur Rechenschaft gezogen werden: Vnd in Wahrheit ich kann mich nicht gnugsamb verwundern/ wie doch einer der auff den Nahmen Christi getaufft ist/ eine solche Vnmenschliche That […] entschuldigen wolle? wann er anders ein ewiges Leben glaubet/ vnd weiß daß er vor einem solchen Richter werde erscheinen vnd Rechenschafft geben müssen/ welcher auch von einem eintzigen vnnützen Wort Rechnung erfordern wird. Vielmehr aber verwundere ich mich/ daß die Geistlichen so blind/ vnd darbey so still vnd sicher seind/ vnd sich vor GOttes Zorn so wenig schewen.¹⁹⁵¹

Mit der Rede vom Jüngsten Gericht und der Betonung der strengen Beurteilung darin versucht Spee, das unsinnige Quälen und Morden zu beenden. Mit der Thematik der Folter befasst sich Spee ausführlich. Er weiß darum, dass durch Folter erzwungene Geständnisse nicht der Wahrheit entsprechen müssen. Die Gefolterten, so Spee, bekennen sich zu allerlei Unwahrheiten oder beschuldigen unbescholtene Dritte, um die Schmerzen zu beenden.¹⁹⁵² Andererseits werde mitunter auch unter Folter kein Geständnis erzielt, obwohl die Tat

 Vgl. ebd., S. 35 f. Er kritisiert auch jene, die ihren Aufgaben als Seelsorger der Inhaftierten nicht nachkommen, sich ihnen gegenüber ungerecht und unbarmherzig verhalten oder gar Unschuldige der Hexerei bezichtigen, vgl. etwa ebd., S. 55 f.  Vgl. etwa ebd., S. 48 f.; 49 – 55; 118; 168; 188; [2]10. Vgl. ferner ebd., S. 62; 96 f. Dort werden Todsünden erwähnt. Entgegen anderslautender Meinungen ist das Lügen unter Folter Spee zufolge keine Todsünde und gereicht nicht zur höllischen Verdammnis. Vgl. dazu ebd., S. 96 – 101. Gläubige Katholiken werden Spee zufolge von Beichtvätern zum Meineid gezwungen. Vgl. ebd., S. 96 f. Vgl. zu den Beichtvätern weiter ebd., S. 103 – 116. Vgl. überdies ebd., S. 64 und 82 f. Dort ist etwa die Rede von einem Versuch des Papstes Paul III. (1534– 1549), die Folter einzudämmen.  Vgl. etwa ebd., S. 111; 145 f.  Vgl. ebd., S. 56 – 60. Vgl. auch ebd., S. 103 – 116 u. ö.  Ebd., S. 145. Ähnlich äußert sich Spee bereits zuvor: „GOtt siehets/ der wirds auch dermahl eins fordern/ nicht allein an denen Priestern selbst alleine/ sondern auch an den jenigen/ welche dieselbe zu diesem gefährlichen Handel bestellet/ oder auch darzu abgefertigt haben.“ Ebd., S. 58.  Vgl. ebd., S. 11; 40 f.; 93 – 96 u. ö.

7.2 Friedrich Spee

265

verübt wurde. Zudem beschreibt und kritisiert Spee die grausamen Folterpraktiken, die auch Unschuldige erleiden¹⁹⁵³ und lehnt die sogenannte „Wasserprobe“¹⁹⁵⁴ ab.¹⁹⁵⁵ Auch in diesem Kontext verweist Spee auf Mt 13,24– 30¹⁹⁵⁶ und droht ignoranten Herrschern mit dem Jüngsten Gericht und der Verurteilung zu ewiger Pein.¹⁹⁵⁷ Diesen Gedanken schärft Spee immer wieder ein; so schreibt er beispielsweise: „Jch sorge in warheit/ daß alle die jenige dermahleins an jhrem Endt ein vnbarmhertzig Vrtheil vber sich erfahren werden/ welche so Vnbarmhertzig grimmig vnd Grausamb seind/ daß sie einem Menschen eine solche Pein anthun lassen/ welche sie wann sie dieselbe nur daß geringste in jhrem Verstand begreiffen könten/ keinem vnvernunfftigen beest/ ohne mitleyden würden anthun können“¹⁹⁵⁸. Spee kommt zu dem Ergebnis, dass es nötig ist, sicherzustellen, dass niemand schuldlos gefoltert wird, oder die Folter nicht mehr einzusetzen. Auch in seinem Fazit nutzt er den Ausblick auf das Jüngste Gericht (unter Einbeziehung von Mt 12,36, vgl. auch 2Kor 5,10 bzw. Röm 14,10): [D]er Schluß [ist] […] ohnwiedertreiblich/ daß man nemblich die Folter entweder gar abschaffen/ oder aber dieselbige ohne Gefahr der vnschuldigen gebrauchen vnd vben solle: […] darumb mögen sie wohl zu sehen/ was sie thun. Es bedencks nur ein jedweder gar wohl/ daß wir allesampt für dem Richterstul des ewigen Gottes erscheinen werden/ daselbst wir dann von einem jeden vnnützen worte genawe Rechenschafft geben müssen/ was wird dann wohl werden/ wann wir Rechenschafft geben sollen/ von Menschen Blut¹⁹⁵⁹.

 Vgl. etwa ebd., S. 60 – 62 u. ö. Bestimmte Foltermethoden werden anschaulich beschrieben, um für eine Beendigung der unmenschlichen Praktiken zu werben. Vgl. etwa ebd., S. 62 f. Vgl. weiter etwa ebd., S. 64 f.; 82.  Ebd., S. 27. Bei der Wasserprobe (mit kaltem Wasser) wurde eine Person zum Beispiel mit Gewichten beschwert oder gefesselt in ein Gewässer geworfen bzw. herabgelassen. Würde die Person nicht untergehen, so wäre sie als Zauberer bzw. Hexe überführt. Dabei kamen Menschen auch zu Schaden, wenn sie beispielsweise nicht rechtzeitig aus dem Wasser gezogen wurden. Zu dieser Praxis vgl. etwa Gaskill (s. Anm. 1884), S. 84– 86. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 218.  Vgl. Spee (s. Anm. 1914), S. 27.  Vgl. ebd., S. 102 f.  So heißt es etwa: „[V]nd [ich] zweiffel nicht wann die Obrigkeit micht hierüber hören solten/ daß sie solche Frevel Richter tapffer straffen würden. Jch besorge aber daß die Obrigkeiten/ weil sie dieses/ vnnd dergleichen Sachen mehr nicht wissen/ dermahl einst von Gott werden gestrafft werden.“ Ebd., S. 91.  Ebd., S. 75.  Ebd., S. 103. Weiter heißt es: „Vnd mögen Fürsten vnnd Herren es sicherlich darvor halten/ daß dieses ein solche Sache von Gewissen seye/ daß wann sie/ oder auch jhre Commissarij vnd Beichtvätter hierbey durch die Finger sehen/ vnnd alles mit stillschweigen vorbey gehen lassen/ sie dermahl eins vor dem höchsten Richter/ schwere Rechenschafft darvor werden geben müssen.“ Ebd., S. 102.

266

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Spee wendet in dieser Schrift noch zahlreiche weitere theologische Argumentationsstrategien an. Exemplarisch zeigt sich dies etwa, wenn er Gen 4,10 (dort ist davon die Rede, dass des von Kain getöteten Abels Blut zu Gott schreit) alludiert, wobei meines Erachtens auch der Gedanke eines Letzten Gerichts, in dem Gerechtigkeit für die Opfer von Unrecht verwirklicht wird, anklingt.¹⁹⁶⁰ In diesem Sinne schreibt Spee in dem Zusammenhang über ungerechte Obrigkeiten und Richter: „Gott hat ohne zweyffel/ die Zahl derselben wohl auffgemerckt vnd versiegelt/ vnd wird sie zu seiner Zeit ans Gericht bringen“¹⁹⁶¹, was als Hinweis auf die Vergeltung durch Gott im Jüngsten Gericht verstanden werden mag. Mit einem Wortspiel wird den Verantwortlichen gedroht, dass sie für das Unrecht in den Hexenprozessen mit der Hölle gestraft werden können: „Es mögen Obrigkeiten wohl zusehen/ daß sie sich nicht/ durch den Justitz eyffer in dieser welt/ also anzünden lassen/ daß sie in jenem Leben/ davon brennen müssen.“¹⁹⁶² Spee kann ferner mit dem (in Mt 25,31– 46 ebenfalls relevanten) Gebot der Nächstenliebe argumentieren.¹⁹⁶³ Auch auf Abrahams Fürbitte für Sodom (vgl. Gen 18,22– 32) nimmt er Bezug¹⁹⁶⁴ und folgert: „[E]s ist besser dreyssig schuldigen loß zulassen/ alß einen vnschuldigen zu verdammen“¹⁹⁶⁵, wenngleich ein unzweifelhaft der Zauberei überführter Mensch dennoch von weltlicher Justiz dafür verurteilt werden solle.¹⁹⁶⁶ In bemerkenswerter Weise setzt Spee die Rede vom Jüngsten Gericht überdies ein, um den irdischen Prozessen mit allem Unrecht und allen Unklarheiten eine göttliche, vollkommene Gerichtsverhandlung gegenüberzustellen. In jenem letzten Prozess gebe es weder Zweifelsfälle¹⁹⁶⁷ noch Fehlurteile. Spee selbst inszeniert sich in dieser Imagination als Zeuge, der durch seine Aussage vor dem höchsten Gericht den auf Erden begonnenen Einsatz gegen die Hexenverfolgungen fortsetzt: „Jch weiß daß ich die warheit rede/ vnnd wills an jenem grossen GerichtsTage welcher den lebendigen vnd den Todten/ zu erwarten steht/ […] auch sagen.“¹⁹⁶⁸ Die Thematik des Jüngsten Gerichts findet sich schließlich auch in Spees Resümee am Ende der Cautio Criminalis wieder. Diejenigen, die für die Durch-

        

Vgl. ebd., S. 43 – 45. Ebd., S. 49. Ebd. Vgl. auch ebd., S. 46 – 49; 53; 78. Vgl. etwa ebd., S. 12 f.; 48; 55 f. Vgl. ebd., S. 30. Ebd., S. 31. Vgl. ebd., S. 32. Vgl. etwa ebd., S. [2]17. Ebd., S. 71. Vgl. auch ebd., S. [2]01.

7.2 Friedrich Spee

267

führung der Hexenprozesse verantwortlich sind, werden nochmals als Adressaten genannt. Sie zu ermahnen und zu einem Umdenken in dieser Sache zu bewegen, ist Anliegen und Ziel der Schrift. Die Drohung mit dem Jüngsten Gericht soll das Inhaftieren, Foltern und Töten zahlreicher unschuldiger Männer und Frauen beenden helfen¹⁹⁶⁹: Dieses will ich endlich alle vnd jede Gelärthe/ Gottsfürchtige verständige vnnd billigmässige Vrtheiler vnd Richter (dann nach den andern frage ich nicht viel) vmb deß Jüngsten Gerichts willen gebetten haben/ daß sie dieses was in diesem Tractatu geschrieben ist/ mit sonderbarem fleiß lesen/ […] vnnd wohl erwegen wollen; Jn Warheit alle Obrigkeiten Fürsten vnd Herren/ stehen in grosser Gefahr jhrer seeligkeit/ wofern sie nicht sehr fleissige Auffsicht bey diesem Handel anwenden; Sie wollen sich auch nicht verwundern/ wann ich […] mich bißweilen der Kühnheit gebraucht sie zuwarnen […][.] Sie mögen nun wohl acht haben auff sich vnd jhre Herde/ welche GOtt der Allmächtige dermahleins von jhrer Hand wieder fordern wird.¹⁹⁷⁰

Spee rät zur Suche nach Alternativen im Umgang mit vermeintlichen Hexen¹⁹⁷¹, wozu es gerechter Richter¹⁹⁷² und geeigneten Personals bedarf.¹⁹⁷³ Statt durch Folter solle man mittels Predigten von der Gnade Gottes Buße und wahre Geständnisse erreichen.¹⁹⁷⁴ Insgesamt zeigt sich also, dass Spee sehr durchdacht ungerechte Richter, achtlose Obrigkeiten sowie ungeeignetes Personal anprangert und rät, die Folter abzuschaffen. Auch die Behandlung der Häftlinge, Prozessführung, Foltermethoden und dergleichen werden scharf kritisiert. Spee argumentiert theologisch, wirft auch Seelsorgern vor, die Beschuldigten zusätzlich zu quälen statt ihnen zu helfen. Vielfach argumentiert er überdies juristisch¹⁹⁷⁵, zieht Vernunftgründe heran¹⁹⁷⁶ und veranschaulicht seine Ausführungen mit Beispielen aus der Praxis. Andere Konfessionen beschuldigt Spee nicht, bei Hexenverfolgungen unmenschlicher als die Katholiken vorzugehen. Sein Interesse gilt nicht interkonfessioneller Polemik, sondern der Kritik an weltlicher Rechtsprechung und intrakonfessioneller Bemängelung kirchlicher Missstände. Redundant wird die

 Vgl. ebd., S. [2]07–[2]14.  Ebd., S. [2]14. In diesem Kontext alludiert Spee auch Jes 56,10.  Vgl. ebd., S. 7 f.  Vgl. ebd., S. 39 f. Auch etwa auf 1Kor 6,3 wird im Kontext der Ermahnung der weltlichen Richter zu rechtem Richten hingewiesen. Vgl. ebd., S. 114.  Vgl. etwa ebd., S. 153.  Vgl. etwa ebd., S. 103 – 107.  Vgl. etwa ebd., S. 6; 11 f., 20 f.; 132– 136. Zum Bezug auf die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. vgl. etwa ebd., S. 97– 101; 163 f. Siehe dazu oben Anm. 1921.  Vgl. etwa Spee (s. Anm. 1914), S. 73 – 79.

268

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Rede vom Jüngsten Gericht eingesetzt: Häufig und bereits früh innerhalb der Schrift findet sich der biblische Gedanke vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24– 30), wonach erst Gott einst im Jüngsten Gericht die Menschen scheiden und in Glaubensdingen beurteilen darf, auch weil die Gefahr, Unschuldige zu töten, zu groß sei. Zudem droht Spee Richtern und Obrigkeit mit dem Endgericht und verbindet dies gelegentlich mit biblischen loci wie Mt 12,36 und der Aussage, alle Menschen würden sich im Jüngsten Gericht vor Gott verantworten müssen. Den Opfern von Denunziation und Justizirrtümern verheißt die Rede vom Jüngsten Gericht darüber hinaus, dass sie endlich zu ihrem Recht kommen werden und es vollkommene Aufklärung ihrer Fälle geben werde.

7.3 Johann Matthäus Meyfart Der lutherische Theologe Johann Matthäus Meyfart¹⁹⁷⁷ schaltete sich mit seiner Schrift Christliche Erinnerung/ An Gewaltige Regenten/ vnd Gewissenhaffte Praedicanten/ wie das abschewliche Laster der Hexerey mit Ernst außzurotten/ aber in Verfolgung desselbigen auff Cantzeln vnd in Gerichtsheusern sehr bescheidentlich zu handeln sey ebenfalls in die Debatte um Hexenverfolgung und -prozesse ein.¹⁹⁷⁸ Für Meyfart ist die Rede vom Letzten Gericht ein Hauptargument dafür, dass die Verantwortlichen kein Unrecht zulassen dürfen.¹⁹⁷⁹ Die Adressaten der Schrift Meyfarts sind weltliche Obrigkeiten und Prediger. Spees Cautio Criminalis war ihm bekannt.¹⁹⁸⁰ Im Aufbau unterscheidet sich Meyfarts Abhandlung von dieser: Meyfarts Werk ist in Kapitel unterteilt, nicht in einem Frage-Antwort-Schema aufgebaut. Die Prediger haben Meyfart zufolge die Aufgabe wahr- und ernstzunehmen, die Menschen aller Stände zur Buße zu rufen und ihnen ihre Sünden und Vergehen vorzuhalten, folglich auch den weltlichen Herren und Richtern.¹⁹⁸¹ Gleichwohl sollen die Prediger, die einst im Letzten Gericht vor Gott stehen wer-

 Vgl. zu Meyfart Trunz (s. Anm. 29). Siehe zu Meyfart etwa auch oben S. 94 f.; 223.  Vgl. Johann Matthäus Meyfart: Christliche Erinnerung/ An Gewaltige Regenten/ vnd Gewissenhaffte Praedicanten/ wie das abschewliche Laster der Hexerey mit Ernst außzurotten/ aber in Verfolgung desselbigen auff Cantzeln vnd in Gerichtsheusern sehr bescheidentlich zu handeln sey […]. Erfurt u. a. 1636 [11635]. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 233 – 244. Zu weiterer Kritik Meyfarts an der Tötung vermeintlicher Zauberer an anderer Stelle vgl. etwa ebd., S. 234 f.  So auch Hartmut Lehmann. Vgl. Lehmann (s. Anm. 30), S. 223 – 229.  Vgl. auch ebd., S. 224.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 3 f. Dort findet sich ein Zitat aus Jes 56,10, welches auch Spee anführt. Vgl. Spee (s. Anm. 1914), S. [2]14.

7.3 Johann Matthäus Meyfart

269

den, empathisch und bedächtig vorgehen.¹⁹⁸² Auch die Herrschenden, die von Gott die Aufgabe erhalten haben, gegen Straftaten vorzugehen, sollen dabei maßvoll agieren. Dies ähnelt Spees Aussagen, wie auch Meyfarts Rat zur sorgfältigen Prüfung aller Bezichtigungen vermeintlicher Zauberer.¹⁹⁸³ Die irdischen Richter und Machthaber sollen gerecht, vernünftig und unbestechlich richten, falschen Beschuldigungen keinen Glauben schenken und nicht nach dem Ansehen der Person urteilen. Dabei wird unter anderem Ex 18,19 – 24 zitiert.¹⁹⁸⁴ Das letzte Richten (in Glaubensdingen) gebühre allein Gott.¹⁹⁸⁵ Falsches Eifern, das Gottes Wort und christlicher Nächstenliebe zuwider läuft, wird kritisiert.¹⁹⁸⁶ Meyfart rät, die Sachlage erst reiflich zu prüfen, ehe Gewalt eingesetzt wird. Des Letzten Gerichts zu gedenken soll dabei helfen, nicht ungerecht, grausam oder unbesonnen zu entscheiden: „Derenthalben ermahne ich […] alle Regenten vnd Praedicanten […] durch das erschreckliche Gericht Jesu vber das gantze menschliche Geschlecht/ die erzehlten Eygenschafften [= umsichtig und selbstkritisch zu sein, nicht unverhältnismäßig zu handeln etc.] bey Tag vnd Nacht zu erwegen.“¹⁹⁸⁷ Weiter mahnt Meyfart zu maßvollem Einsatz der richterlichen, herrschaftlichen und geistlichen Gewalt. Wer dem Wort Christi zuwider handele (mit Mt 7,24– 27), werde dies in der Sterbestunde erfahren und habe somit die Höllenstrafe zu fürchten.¹⁹⁸⁸ Anders als die vorbildlichen Regenten alter Zeiten werde nun, so beklagt Meyfart, mitunter von gewissen Herrschern großes Unrecht getan. Diese dürften sich jedoch keineswegs in Sicherheit wähnen, denn „[b]ey dem jüngsten Gericht wird man sehen/ was ein jeder Regent auff seinen schwachen Leib vnd arme Seele geladen.“¹⁹⁸⁹ Der Eifer zur Bekehrung der Sünder wird  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 4– 6. Dort heißt es etwa: „Paulus vnterrichtet seinen Schüler Timotheum gar deutlich/ in was Schrancken er sich zubehalten […]. Allhier redet der Apostel zu […] Timotheus […] als einer/ der sich zum Todt fertig gemacht/ […] vnd die Tyrannische Marter zu vberstehen/ vnnd bezeuget fast an seinem letzten Ende vor Gott vnd dem HErrn JEsu Christo/ der da zukünfftig ist zu richten die Lebendigen vnd die Todten […]. […] Timotheus sol predigen das Wort/ anhalten/ es sey zur zeit oder zur vnzeit/ straffen/ drewen/ ermahnen/ doch mit aller Gedult vnd Lehre. [2Tim 4,1 f.]“ Ebd., S. 5.  Vgl. etwa ebd., S. 12 f.  Vgl. ebd., S. 7 f. Im biblischen Text ist unter anderem davon die Rede, dass Mose von seinem Schwiegervater aufgetragen wird, nach rechtschaffenen frommen Menschen zu suchen und sie zu Richtern zu machen.  Vgl. ebd., S. 7– 9.  Vgl. etwa ebd., S. 9 – 12; 15. Die wahnhaft Eifernden verstoßen Meyfart zufolge unter anderem gegen das erste und das fünfte Gebot.Vgl. ebd., S. 52 f. Diese Argumentation findet sich bei Spee so nicht.  Ebd., S. 16.  Vgl. ebd., S. 17 f.  Ebd., S. 19.

270

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

sodann gelobt. Solches Eifern wird gar als Verhalten beschrieben, das im Jüngsten Gericht belohnt werden wird.¹⁹⁹⁰ Anerkennung werde am Jüngsten Tag auch derjenige Richter finden, welcher im Hexenprozess gerecht urteilt.¹⁹⁹¹ Neben die abschreckende Drohung tritt als Argument also der Anreiz zum Guten in Form der Aussicht auf das ewige Heil. Wahre Zauberei zu strafen, ist Meyfart zufolge Aufgabe der weltlichen Obrigkeit¹⁹⁹², doch ungerechte Verfolgung Unschuldiger, welche die Regierenden ja gerade schützen sollen¹⁹⁹³, wird scharf kritisiert.¹⁹⁹⁴ Meyfart wendet sich gegen tyrannische Herrscher, die Gottes Schöpfungsordnung pervertieren, indem sie ihr Amt, die Untertanen während der Dauer der unvollendeten Welt zu schützen, nicht wahrnehmen.¹⁹⁹⁵ Wie bei Spee wird dabei vor willkürlichen Urteilen gewarnt.¹⁹⁹⁶ Die Verantwortlichen sind Meyfart zufolge zudem nicht genügend an der Findung der Wahrheit interessiert¹⁹⁹⁷ und verharren oftmals in falscher Sicherheit (securitas).¹⁹⁹⁸ Wie Spee gesteht Meyfart den Herrschenden nicht zu, ihre Verantwortung, die sie endlich dem Letzten Richter gegenüber tragen, an Untergebene zu delegieren.¹⁹⁹⁹ Um rechte Entscheidungen treffen zu können, solle man sich an Gottes gnädiger Barmherzigkeit orientieren, demütig der eigenen Schwächen gedenken und sich in christlichem Lebenswandel und praxis pietatis üben.²⁰⁰⁰ An die christlichen Regenten wird appelliert, Unschuldige zu verschonen. Dies zu unterlassen könne den gnadenlosen Regenten im Letzten Gericht zum Verhängnis werden.²⁰⁰¹ Wie in Spees Argumentation heißt es, der Verdächtige sei nicht zu töten, wenn die Schuld nicht völlig erwiesen wurde. Der irdische Richter mag irren, so Meyfart. Es sei besser, Schuldige im Zweifelsfall zu verschonen, als Schuldlose hinzurichten.²⁰⁰² Dazu wird, wie häufiger noch bei Spee, Mt 13,24– 30 angeführt.²⁰⁰³ Der himmlische

 Vgl. ebd., S. 30.  Vgl. etwa ebd., S. 118.  Vgl. etwa ebd., S. 83 – 85.  Vgl. ebd., S. 99 f.  Vgl. ebd., S. 67.  Vgl. ebd., S. 46 f. Auch ihnen droht Meyfart mit der Hölle. Vgl. ebd., S. 47 f.  Vgl. ebd., S. 67 f.  Vgl. ebd., S. 79 f.  Vgl. ebd., S. 75 f.  Vgl. ebd., S. 80 – 82. Zu weiteren Übereinstimmungen zwischen Meyfart und Spee vgl. etwa auch Trunz (s. Anm. 29), S. 238.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 24– 26.  Vgl. ebd., S. 131 f.  Vgl. ebd., S. 126 f.  Vgl. auch ebd., S. 133.

7.3 Johann Matthäus Meyfart

271

Richter werde am Tage der „Erndte“²⁰⁰⁴ die wahren Hexen erkennen und strafen, statt Gerechte mit Ungerechten zusammen zu töten.²⁰⁰⁵ Dabei verweist Meyfart auf einen namentlich nicht genannten katholischen Autor, der seine Position teilt.²⁰⁰⁶ Wie bei Spee wird die Existenz von Hexerei nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Tatsächlich hält Meyfart magische Praktiken, die den Menschen schaden können, für durchaus reale Bedrohungen, gegen die vorzugehen sei.²⁰⁰⁷ Ebenfalls wie Spee zählt Meyfart Hexerei zu den sogenannten „crimina exc[ep]ta“²⁰⁰⁸. Meyfart hält folglich eine gewisse Vorsicht vor Zauberern für geboten und bestimmte Maßnahmen gegen schädliche Hexerei für nötig.²⁰⁰⁹ Allerdings komme es häufig dazu, dass Herrscher, Geistliche oder einfache Menschen in den Gemeinden auf unrechte Weise und mit übertriebenem Eifer gegen vermeintliche Hexen vorgehen.²⁰¹⁰ Wie Spee beklagt Meyfart, zahlreiche tadellose, auch dem Vaterland verbundene Christinnen und Christen seien ungerechtfertigter Weise verfolgt und wegen vermeintlicher Hexerei zu Unrecht getötet worden.²⁰¹¹ Aberglauben der Bevölkerung etwa, aus Missgunst vorgebrachte Beschuldigungen, oder der Einsatz übertrieben eifernder Prediger führen Meyfart zufolge zu solcher Verfolgung Unschuldiger.²⁰¹² Diese Gedanken finden sich bei Spee ebenfalls. An die Abergläubischen und Missgünstigen richtet Meyfart deutliche Worte: „Wann aber Christus in den Wolcken erscheinen wird/ was wird er zu solchen Belialiten [= Anhänger des Bösen bzw. des Teufels, vgl. 2Kor 6,15] sagen?“²⁰¹³ Als Antwort auf die rhetorische Frage zitiert er Mt 25,41– 43, wo davon die Rede ist, dass Christus die Übeltäter am Jüngsten Tage verdammen wird.²⁰¹⁴ Auch Meyfart rät daher den weltlichen Herrschern und Geistlichen zu vorsichtigem, bedächtigem und gründlichem Vorgehen sowie Prüfung der möglicherweise arglistigen und falschen Beschuldigungen, um nicht Unschuldige für

 Ebd., S. 129.  Vgl. ebd., S. 128 – 130.  Vgl. etwa ebd., S. 124. Auch auf Thomas von Aquin wird positiv Bezug genommen.Vgl. ebd., S. 130.  Vgl. ebd., S. 55 f.  Ebd., S. 55. Allerdings erinnert Meyfart ähnlich wie Spee auch daran, dass andere Straftaten zu verfolgen nicht aufgrund der intensiven Beschäftigung mit (vermeintlichen) Zaubereidelikten in Vergessenheit geraten dürfe.  Vgl. etwa ebd., S. 57 f.  Vgl. ebd., S. 54.  Vgl. ebd., S. 54 f.  Vgl. ebd., S. 40 f.; 56 – 58.  Ebd., S. 41.  Vgl. ebd. Andernorts zitiert Meyfart Mt 25,34– 36; auch dort findet sich ein direkter Bezug auf das Jüngste Gericht. Vgl. ebd., S. 180 – 184.

272

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Zauberei, welche ohnehin nur schwer nachzuweisen sei, zu verurteilen.²⁰¹⁵ In dieser ernsten Sache, wenn in den weltlichen Gerichten über Leben und Tod vieler Menschen entschieden werde, gebühre es nur Gott, das letzte Urteil zu sprechen, der einst der Richter aller Richter sein wird.²⁰¹⁶ Auch hierin stimmen Meyfart und Spee sachlich überein. Dass die Befürworter der Hexenverfolgungen sich auf Ex 22,17 berufen und so massive Verfolgungen biblisch legitimiert sehen, lässt Meyfart nicht gelten und pariert die Bezugnahme auf die Bibel unter Anspielung auf Mt 4,5 – 7, wo davon die Rede ist, dass auch der Teufel sich auf die Schrift berufen kann.²⁰¹⁷ Bemerkenswert ist zudem die Feststellung, einige vermeintliche Hexen seien psychisch erkrankt, d. h. auch unzurechnungsfähig, und daher nicht zu strafen.²⁰¹⁸ Meyfart hält eine Strafmilderung für angemessen, wenn ein magischer Akt keinen Schaden angerichtet habe.²⁰¹⁹ Als Vorbilder für einen moderaten, maßvollen und sachlichen Umgang mit Zaubereidelikten werden unter anderem Melanchthon und Brenz bezeichnet.²⁰²⁰ Meyfart zieht überdies den lutherischen Superintendenten Hermann Samson (1579 – 1643)²⁰²¹ aus Riga als Gewährsmann heran und lobt seine durchdachten Predigten zur Hexenfrage.²⁰²² Die gemeinsame Ablehnung unbesonnener Hexenverfolgungen verbindet die beiden Theologen über regionale Grenzen hinaus. Theoretisches Wissen der lutherischen Lehre allein genüge jedoch nicht und sei zu wenig, um in der Praxis gerecht mit den der Zauberei Beschuldigten umzugehen, so Meyfart.²⁰²³

 Vgl. ebd., S. 58 f.  Vgl. ebd., S. 59.  Vgl. ebd., S. 60 f.  Vgl. ebd., S. 60 f.; 70; 162.  Vgl. ebd., S. 61 f.  Vgl. ebd., S. 47; 63. In anderem Kontext wird auch Luther gelobt, der Meyfart zufolge „den gantzen Handel [sc. der Hexenverfolgung] vor eine Verblendung des Teuffels helt“. Ebd., S. 230. Man wird dies eine Interpretation Meyfarts nennen dürfen.Vgl. zu Luthers Position in der Debatte um Hexerei etwa Haustein (s. Anm. 1903), S. 105 f.; 171 f.; 181 f. Haustein plädiert für eine differenzierte Wahrnehmung von Luthers Haltung. Obschon Luther harte Strafen für Hexen eher befürwortete, habe er wahnhafte Panik vor Zauberei hingegen bekämpfen wollen. Vgl. weiter ders.: Martin Luther als Gegner des Hexenwahns. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 35 – 51.  Zu Samson vgl. Johannes Wallmann: Art. Samson, Hermann. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 7 (2004), Sp. 823.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 179 f.  Vgl. ebd., S. 259 f. Hier wird Hütters Compendium (siehe oben Anm. 1) als Beispiel eines lutherischen Lehrbuchs angeführt.

7.3 Johann Matthäus Meyfart

273

In der Christlichen Erinnerung lässt sich konfessionell gefärbte Polemik erkennen.²⁰²⁴ Als historisches Exempel für allzu eifrige Verfolgungen von Hexen führt Meyfart etwa das Vorgehen der Dominikaner an und polemisiert gegen sie.²⁰²⁵ Die Mitglieder der „Kirch[e] der Augspurgischen Confession“²⁰²⁶ indes werden von Meyfart als umsichtiger dargestellt.²⁰²⁷ Vergleichbare negativ-interkonfessionelle Bezüge finden sich bei Spee nicht. Mahnende Ratschläge eines lutherischen Theologen finden bei katholischen Herrschern, so Meyfart, kein Gehör.²⁰²⁸ Der Lutheraner warnt die protestantischen Landesherren ferner davor, Methoden der (katholischen) spanischen Inquisition zu übernehmen.²⁰²⁹ Meyfart nimmt überdies explizit auf die römisch-katholische Konfession Bezug, wenn er jenen paradoxen Missstand beschreibt, dass gerade jene Katholiken, welche ihre Frömmigkeit intensiv praktizieren, verdächtigt werden, abergläubischen Praktiken nachzugehen. Den meisten Katholiken sei eine rege Ausübung des Glaubens also zuwider bzw. suspekt. Während Spee dies als intrakonfessionelles Problem beklagt (und an einer Lösung interessiert ist), zeigt sich bei Meyfart auch der Aspekt interkonfessioneller Polemik.²⁰³⁰ Allerdings lassen sich auch Beispiele für positiv-interkonfessionelle Bezüge in dieser Schrift Meyfarts nennen. So bezieht sich Meyfart etwa im Kontext der Beschreibung von Leiden unschuldig Gefangener nach eigener Aussage auf Schilderungen eines von ihm nicht namentlich genannten Katholiken.²⁰³¹ Auch die Kritik eines römisch-katholischen Theologen an Hexenprozessen und Folter kann gewürdigt werden.²⁰³² Der Einsatz gegen die Verfolgung Unschuldiger als Hexen verbindet Theologen im 17. Jahrhundert über

 Das katholische Paris wird beispielsweise als Ort beschrieben, an dem es den Menschen an rechtem Glauben fehle und an Frömmigkeit mangele. Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 28. Andererseits schreibt Meyfart, dass katholische Herrscher in der Jugend eine bessere Bildung erhalten als lutherische Herrschende.Vgl. ebd., S. 82 f. Dies ist jedoch m. E. weniger als Lob der Katholiken zu verstehen, als eher als Kritik an den Angehörigen der eigenen Konfession.  Vgl. ebd., S. 64.  Ebd., S. 65.  Vgl. ebd., S. 64 f.  So schreibt er etwa: „Jch erinnere mich/ daß die Römischen Catolischen Religion Verwande vnleidlich auffnehmen/ wenn man jhnen dergleichen vnter Augen saget/ geben vor/ sie wissen es ohne das/ vnd bedürffen keines Lutheraners“. Ebd., S. 79.  Vgl. ebd., S. 259. Zur Rolle der spanischen (und römischen) Inquisition in den Hexenverfolgungen vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 122 – 124.  Vgl. dazu etwa Meyfart (s. Anm. 1978), S. 191. Zu Spee siehe oben Anm. 1931. Mitunter werfen die frühneuzeitlichen Autoren Vertretern anderer Konfessionen vor, Hexen zu begünstigen – oder aber ungerechte Verfolgungen anzustellen.Vgl. Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 64 f.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 85.  Vgl. ebd., S. 156 f. Auch andernorts nimmt Meyfart Bezug auf katholische Quellen, vgl. etwa ebd., S. 174.

274

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Konfessionsgrenzen hinaus.²⁰³³ So heißt es in einer Detailfrage weiter, die Folter sei als Methode zur Wahrheitsfindung nie als verlässlich angesehen worden, weder von Lutheranern noch Katholiken, sofern sie wahrhaft gelehrte und umsichtige Christen sind.²⁰³⁴ Meyfart weiß, dass auch katholische Gelehrte sich mit Fragen von Recht und Unrecht in Hexenprozessen befassen und erkennt in den Verfolgungen vermeintlicher Hexen ein konfessionsübergreifendes Problem.²⁰³⁵ Auch bei Meyfart wird die Folter kritisiert, zumal wenn sie übereilt Einsatz findet und unnötig brutal vollzogen wird.²⁰³⁶ Aussagen, die unter Folter erfolgen, müssen durchaus nicht wahr sein.²⁰³⁷ Den für die Inhaftierung und Folterung Unschuldiger Verantwortlichen wird die Höllenstrafe angedroht.²⁰³⁸ Auf die Umstände und Abläufe von Verhandlungen, Folter und Haft sowie die Auswahl von geeigneten Richtern und Geistlichen solle achtgegeben werden.²⁰³⁹ Durchaus können Meyfart zufolge schuldlose Menschen inhaftiert, gefoltert oder getötet werden, ohne dass Gott dies verhindere – allerdings gilt das nur für die diesseitige Welt, im Jüngsten Gericht werde alles Unrecht gesühnt werden.²⁰⁴⁰ Erst im Eschaton werden alle Verfolgungen und Leiden der Gerechten ein Ende haben.²⁰⁴¹ In der Debatte werden konfessionelle Grenzen partiell überwunden und zugleich deutlich markiert: Meyfart wendet sich dabei etwa gegen den Katholiken Peter Binsfeld, welcher die Meinung vertreten hatte, Gott ließe nicht zu, dass Unschuldige getötet werden. Zugleich aber lobt Meyfart den „hochgelehrte[n] vnd erfahrne[n] Jesuiter Adam Tanner“²⁰⁴² für dessen Kritik an dieser Auffassung

 Vgl. auch etwa ebd., S. 186.  Vgl. ebd., S. 232 f.  Vgl. ebd., fol. A 3r–3v.  Vgl. etwa ebd., S. 72. Die Henker beschreibt Meyfart als blutrünstig, die Hexenrichter als ungerecht.Vgl. ebd., S. 75. Zu Meyfarts Äußerungen über die Schrecken der Folter vgl. weiter ebd., S. 134– 144. Meyfart argumentiert dabei u. a. schöpfungstheologisch und wendet sich gegen bestimmte Foltermethoden, die er detailliert beschreibt. Er gibt an, Folterungen selbst miterlebt zu haben. Aufgrund von Folter werden ihm zufolge auch unbeteiligte Dritte beschuldigt. Vgl. auch ebd., S. 145 – 153. Meyfart erklärt die Folter „[j]n andern Stücken“ (ebd., S. 158) nicht grundsätzlich für unzulässig. Vgl. ebd., S. 158 f. Er kommt im Kontext der Folterthematik auch auf Wahnvorstellungen und kuriose Geständnisse zu sprechen. Vgl. ebd., S. 160 – 165. Gegen unchristliche, ungerechte Folter wird unter anderem auch das Jüngste Gericht als Argument angeführt.Vgl. ebd., S. 169.  Vgl. ebd., S. 71. Vgl. dazu auch ebd., S. 73 f.  Vgl. ebd., S. 88 f.  Vgl. ebd., S. 90 f.  Vgl. etwa ebd., S. 100 – 102.  Vgl. ebd., S. 105.  Ebd., S. 103. Meyfart zitiert Tanner dort. Auch an den Ansichten des Jesuiten Delrio übt Meyfart Kritik, vgl. ebd. Vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 233.

7.3 Johann Matthäus Meyfart

275

Binsfelds.²⁰⁴³ Wichtiger als die Konfessionszugehörigkeit ist hier die transkonfessionelle Position, die bezüglich der möglichen Tötung Unschuldiger vertreten wird. Meyfart bezieht sich auf dieselben Autoren wie Spee und kann einen katholischen Autor, der inhaltlich mit ihm übereinstimmt, ebenso loben wie die Angehörigen seiner eigenen Konfession zuvor. Explizit positiv nimmt Meyfart hier auch Bezug auf die Cautio Criminalis. ²⁰⁴⁴ Ihr Autor (den Meyfart nicht namentlich nennt) habe, so der Lutheraner, Fälle von inhaftierten mutmaßlichen Zauberinnen geprüft und jene als unschuldig erwiesen.²⁰⁴⁵ Zwar geht Meyfart nicht soweit zu fordern, die Folter generell abzuschaffen²⁰⁴⁶ – Spees Argumentation gegen Folterungen in Hexenprozessen unter Berufung auf Mt 13,24– 30 stimmt er aber grundsätzlich zu.²⁰⁴⁷ Ähnlich wie Spee, doch ohne autobiographische Anspielungen wie in der Cautio Criminalis, kritisiert Meyfart die Befürworter der Hexenverfolgungen auch dafür, ihre Gegner durch Rufmord und dergleichen zu verunglimpfen. Rhetorisch geschickt bezieht Meyfart Apk 21,8 und 22,15, welche von der Gegenseite herangezogen werden, um das Vorgehen gegen Zauberei zu rechtfertigen, nun gerade auf jene Verfechter eines gewaltsamen Vorgehens gegen alle potenziellen Hexen und droht seinen Gegnern mit dem feurigen Pfuhl der Hölle.²⁰⁴⁸ Dem ungerechten Richten auf Erden wird das gerechte Gericht Gottes gegenübergestellt.²⁰⁴⁹ Dabei findet sich der Gedanke, dass der (in Bälde erwartete²⁰⁵⁰) Jüngste Tag die Wahrheit darüber, wer schuldlos getötet wurde und wer Unschuldige zum Tode verurteilt hat, ans Licht bringen werde. Am Tage des Letzten Gerichts werden Meyfart zufolge alle verborgenen, zweifelhaften Fälle aufgeklärt werden.²⁰⁵¹ Christus, der Richter im Jüngsten Gericht, werde dann die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und den Opfern zu ihrem Recht ver-

 Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 103. Vgl. dazu auch Trunz (s. Anm. 29), S. 233.  Vgl. etwa Meyfart (s. Anm. 1978), S. 201 f. Vgl. weiter ebd., S. 236 f.  Vgl. ebd., S. 110. Vgl. auch ebd., S. 150 f.  Vgl. ebd., S. 171.  Vgl. ebd., S. 170 f. Dort heißt es etwa: „Von der Tortur […] ist nunmehr weltkündig/ daß sie neben dem Vnkraut auch den guten Weitzen außreuffet vnd rottet. Darvmb sol man die Tortur in denen Sachen/ darin sie solches vor sich thut/ vnd auff was Weise sie solches vor sich thut/ abschaffen.“ Ebd., S. 171.  Vgl. ebd., S. 49 f. Einerseits werden in der Aufzählung der Verdammten im biblischen Text Zauberer genannt, andererseits jedoch auch Lügner – diesen Begriff bezieht Meyfart auf seine Gegner, die Befürworter der Verfolgungen.  Vgl. ebd., S. 78.  Vgl. ebd., S. 106 f. Zur Naherwartung des Jüngsten Gerichts bei Meyfart vgl. auch Lehmann (s. Anm. 30), S. 223 f.  Vgl. etwa Meyfart (s. Anm. 1978), S. 111 f.; 154.

276

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

helfen. Die Rede vom Letzten Gericht ist damit Trost für die Opfer und Drohung für ungerechte Richter, Obrigkeiten, Henker und Geistliche.²⁰⁵² Wie Spee tadelt auch Meyfart Geistliche, die schnelle und harte Urteile fordern und Inhaftierte in Angst und Schrecken versetzen, statt ihnen Trost zu spenden.²⁰⁵³ Wer die Unschuldigen so um ihren Glauben bringe, habe zu verantworten, dass jene möglicherweise die Hölle erleiden müssen.²⁰⁵⁴ Häufig betont Meyfart wie Spee unter Bezugnahme auf Mt 12,36, wo davon die Rede ist, dass sich die Menschen im Endgericht sogar für ihre unbedachten Äußerungen werden verantworten müssen, dass der himmlische Richter die Zuständigen selbst für kleinste Vergehen zur Rechenschaft ziehen werde. Dabei werden alle Beteiligten adressiert, neben Herrschern und Richtern auch Inquisitoren, Folterknechte, Gerichtsbeisitzer und weitere. Diese müssen, so Meyfart, im Letzten Gericht Rechenschaft darüber ablegen, dass sie die vermeintlichen Hexen verspottet, geängstigt, gequält oder getötet haben.²⁰⁵⁵ Auch falschen Zeugen wird mit Jüngstem Gericht und Hölle gedroht.²⁰⁵⁶ Angesichts des eigenen Todes und des Letzten Gerichts sollen die Verantwortlichen ihr Tun überdenken, um nicht das göttliche Urteil darüber fürchten zu müssen, Unschuldige gefoltert und in Todesangst versetzt zu haben²⁰⁵⁷: „Jch verwundere mich/ daß Richter/ die Menschen seyen/ dem trawrigen vnd abschewlichen Spectackel so lang ohne Erbarmung beywohnen können/ […] [und] des Jüngsten/ absonderlichen Gerichtes/ ja des Jüngsten allgemeinen Gerichtes sich nicht besinnen!“²⁰⁵⁸ Dieser Gedanke ist zentral und wird redundant eingeschärft: Meyfart wiederholt diese Formulierung in jeweils leicht variierter Form mehrmals. Außer den Richtern werden dabei „Hencker/ […] Prediger“²⁰⁵⁹ sowie „Regenten“²⁰⁶⁰ angesprochen. Sofern man Meyfarts Erwähnungen von Partikular- und Universalgericht²⁰⁶¹ nicht als eine Art Parallelismus membrorum versteht, mag die Unterscheidung auf die individuelle Verantwortung vor Gott einerseits sowie den öffentlichen Cha-

 Vgl. ebd., S. 77; 106 f.; 154. Neben Richtern oder Herrschenden wirft Meyfart auch anderen an den Prozessen im weitesten Sinne beteiligten Personen (etwa den Seelsorgern oder dem Inquisitor) verschiedene Unsitten und Ungerechtigkeiten vor. Vgl. etwa ebd., S. 112 f.  Vgl. ebd., S. 108 – 110. Vgl. weiter ebd., S. 147 f.  Vgl. ebd., S. 239 – 245.  Vgl. ebd., S. 172.  Vgl. etwa ebd., S. 250.  Vgl. ebd., S. 147.  Ebd., S. 148 f.  Ebd., S. 149. Die Prediger werden überdies spezifiziert als Franziskaner, Dominikaner und Augustiner. Vgl. ebd.  Ebd.  Vgl. dazu etwa Lehmann (s. Anm. 30), S. 229.

7.3 Johann Matthäus Meyfart

277

rakter bzw. die gemeinschaftliche Dimension des allgemeinen Jüngsten Gerichts andererseits hinweisen. Im Endgericht werden, so könnte man sagen, auch die Ausübung sozialer Fürsorge und die Beziehungen zum Nächsten Beachtung finden. Im Kontext der Beschreibungen von Haftbedingungen und Folterwerkzeugen stellt Meyfart explizit die Verbindung zwischen der Kenntnis über irdische Folter und den Vorstellungen höllischer Qual her: Beschreibungen der Hölle wie jene, die sich in seinen eschatologisch-theologischen zwei Büchern vom Höllischen Sodoma ²⁰⁶² finden, seien beeinflusst von seinem Wissen über irdische Haftbedingungen und Foltermethoden.²⁰⁶³ Im letzten Kapitel der Schrift Meyfarts gegen die Hexenverfolgungen wird den politisch Verantwortlichen nochmals ausführlich²⁰⁶⁴ und in bemerkenswerter Weise mit dem göttlichen Gericht gedroht, um diese dazu zu bewegen, keine Schuldlosen zu inhaftieren, zu foltern und zu töten.²⁰⁶⁵ Wie Spee stilisiert sich Meyfart rhetorisch als Zeuge im Endgericht, der gegen die ungerechten Richter, nachlässigen Herrscher und falschen Zeugen auftreten und aussagen könne.²⁰⁶⁶ Der Ernst des Letzten Gerichts, in welchem Meyfart zufolge die Worte und Werke beurteilt werden, ist unverkennbar. Christus, der Richter, weiß um alles geschehene Unrecht und wird die Untaten strafen.²⁰⁶⁷ Der ausstehende Jüngste Tag werde den ungerechten Verantwortlichen tiefste Nacht sein.²⁰⁶⁸ Im Kontext der Beschreibungen der Höllenstrafen, welche jenen drohen, verweist Meyfart unter anderem auf sein Werk vom Höllischen Sodoma. ²⁰⁶⁹ Der Lutheraner rät (ähnlich wie Spee) allen Menschen zu Buße, Umkehr sowie Nächstenliebe und christlichem Lebenswandel, um der Hexerei den Nährboden zu entziehen. Zugleich warnt er vor abergläubischen Praktiken sowie vor allerlei Lastern (etwa Trunksucht, Hochmut, Unzucht) und mahnt, es sei besser, dafür

 Siehe dazu auch oben S. 223. Laut Trunz ist es überdies aufschlussreich, dass in den Büchern vom Höllischen Sodoma und vom Jüngsten Gericht keine Hexen als Insassen der Hölle erwähnt werden, vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 241. Vgl. zu Meyfarts obrigkeitskritischer eschatologischer Ausrichtung auch ebd., S. 242.  Vgl. Meyfart (s. Anm. 1978), S. 145 f.; 163.  Auffällig ausführlich wird den Verantwortlichen etwa gedroht, dass sie in ihrer Sterbestunde wegen all der Schrecken, welche Unschuldige ihretwegen in den Folterkammern erleiden mussten, in höllische Verzweiflung geraten werden. Vgl. ebd., S. 265 – 267.  Vgl. ebd., S. 263 – 268.  Vgl. ebd., S. 263.  Vgl. ebd., S. 264.  Vgl. ebd., S. 264 f.  Vgl. ebd., S. 268.

278

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Sorge zu tragen, solche Sünden zu meiden, als den Nächsten der Hexerei zu bezichtigen.²⁰⁷⁰ Es zeigt sich insgesamt, dass Meyfart, obwohl er die Existenz von Hexen nicht explizit leugnet und Strafen für wahre Zauberer für angemessen hält, sich scharf gegen alle Ungerechtigkeiten der Hexenprozesse wendet, die Tötung Unschuldiger anprangert und die Praxis der Folter kritisiert. Mit zahlreichen Bezügen auf andere Gelehrte und einer Fülle von biblischen Belegen²⁰⁷¹ sucht Meyfart seine Position in der Hexendebatte abzusichern. Dabei kann er sich auf Lutheraner ebenso berufen wie auf Katholiken. Dies zeigt sich auch an Verweisen auf Inhalte der Cautio Criminalis. Wie Spee ist es Meyfart darum zu tun, Unschuldigen die Qualen eines Hexenprozesses zu ersparen und die Verantwortlichen zu besonnenem Urteilen bzw. Handeln zu ermahnen. Gleichwohl übernimmt Meyfart nicht einfach Spees Thesen, sondern prüft diese kritisch.²⁰⁷² In Detailfragen weicht er von Spee ab, auch wenn er etwa die Ansicht, laut Mt 13,24– 30 dürften nicht die Unschuldigen mit den Schuldigen getötet werden, grundsätzlich teilt. Auch bei Meyfart wird also die Rede vom Jüngsten Gericht häufig eingesetzt, um allen Verantwortlichen (d. h. Obrigkeiten, Richtern, Geistlichen, Zeugen etc.) zu drohen, sowie sie zu gerechtem Tun aufzufordern. Der Gedanke, man habe sich vor dem Richter im Endgericht zu verantworten, findet sich auch bei Meyfart. Tröstlich ist das Letzte Gericht als perfekter Prozess indes für diejenigen, die zu Unrecht als Hexen verfolgt werden. Wie Spee argumentiert Meyfart ferner auch juristisch²⁰⁷³, doch die Rede von Jüngstem Gericht und Hölle ist in ihren verschiedenen Varianten integraler Bestandteil der Gesamtkonzeption. Meyfart betont, möglicherweise um die individuelle Verantwortung hervorzuheben, neben dem allgemeinen Gericht auch das Partikulargericht. Nicht die Konfession, sondern die Position gegen Unrecht in Hexenprozessen trennt oder verbindet hierbei die an der Diskussion Beteiligten. Ein Katholik kann für Meyfart ebenso Gewährsmann sein wie ein Lutheraner aus Riga. Jedoch findet sich neben positiven Bezügen auf Lutheraner auch interkonfessionelle Polemik. Darin unterscheidet sich Meyfarts Schrift von Spees Cautio Criminalis.

 Vgl. etwa ebd., S. 247 f.  Vgl. etwa ebd., S. 9 f.; 12 f.; 21– 24; 64 f. u. ö. Meyfart führt unter anderem Jes 45,23 als biblischen Beleg für die Rechenschaftspflicht an und beruft sich weiterhin auf 2Chron 19,6 f. Vgl. ebd., S. 252– 256.  So auch Lehmann (s. Anm. 30), S. 224. Vgl. dazu auch etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 240 f.  Vgl. etwa Meyfart (s. Anm. 1978), S. 60 f.; 142 f. Vgl. auch ebd., S. 176 f.

7.4 Anton Praetorius

279

7.4 Anton Praetorius Ein bemerkenswertes Zeugnis für eine relativ früh vorgetragene Kritik an Hexenprozessen und der Verfolgung Unschuldiger als vermeintlicher Zauberer stellt schließlich Anton Praetorius‘ Gründlicher Bericht von Zauberey vnd Zauberern bzw. Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht dar. In diesem Werk finden sich zudem interkonfessionelle Bezugnahmen. Der reformierte Theologe Praetorius (ca. 1560 – 1613, eigentlich Anton Schulze, Pseudonym Johann Scultetus)²⁰⁷⁴ verfasste 1598 unter dem Eindruck eines grausamen Hexenprozesses in Birstein im Jahre 1597, bei dem drei Frauen in Folge der Folterung starben und eine vierte auf Drängen Praetorius‘ freigelassen wurde²⁰⁷⁵, die erste Fassung seines Gründlichen Berichts, worin er sich mit der Problematik der Hexenprozesse befasst. Er schrieb zunächst unter einem Pseudonym, ab der zweiten Auflage unter dem eigenen Namen.²⁰⁷⁶ Der Text entstand also Jahrzehnte vor Meyfarts Christlicher Erinnerung und Spees Cautio Criminalis. Von interkonfessionellem Austausch zeugt es, dass lutherische Nürnberger Theologen ein Gutachten zu den strittigen Fragen verfassten, welches dem Werk Praetorius‘ ab der dritten Auflage von 1613²⁰⁷⁷ hinzugefügt wurde. 1629 erschien zudem eine vierte Auflage²⁰⁷⁸, was durchaus für eine hohe Nachfrage auf dem Buchmarkt spricht. An Detailfragen zeigt sich, dass Praetorius teilweise andere Themen behandelt als Meyfart oder Spee, etwa die Frage, ob das Zaubern eine Kunst oder eine Tätigkeit sei.²⁰⁷⁹ Auch ist seine Schrift formal anders aufgebaut, so folgen bei Zu Praetorius vgl. etwa Markus Wriedt: Art. Scultetus, Johann. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 7 (2004), Sp. 1084. Vgl. weiter Lène Dresen-Coenders: Antonius Prätorius. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 129 – 137. Zu Praetorius und seinem Buch vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), S. 228 – 230.  Auch diese starb jedoch bald darauf an den durch die Folter hervorgerufenen Verletzungen. Vgl. Anton Praetorius: Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht. Darinn der grawsamen Menschen thöriges/ feindseliges/ schändliches vornemmen: Vnd wie Christliche Oberkeit in rechter Amptspflege jhnen begegnen/ jhr Werck straffen/ auffheben/ vnd hinderen solle/ vnd könne. […]. Hiezu ist gesetzet Der Theologen zu Nürnberg gantz Christlich Bedencken/ vnd Warhafftig Vrtheil von Zauberey vnd Hexenwerck. Heidelberg 1613 [11598], fol. )( )( 2v–3v.Vgl. auch Dresen-Coenders (s. Anm. 2074), S. 129 f.  Vgl. auch etwa Trunz (s. Anm. 29), S. 229 f.  Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075). Dieser Text ist Grundlage der folgenden Ausführungen.  Diese allerdings „ist ein Neudruck der Fassung von 1602, d. h. der kürzeren und weniger persönlichen Fassung.“ Trunz (s. Anm. 29), S. 230.  Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075), S. 2.

280

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

spielsweise auf theoretische Teile weitere Abschnitte, welche appellativen Charakter haben bzw. auf die praxis pietatis abzielen. Gerichtet ist der Gründliche Bericht an Menschen aller Stände als Warnung vor Aberglauben. An die Herrschenden wird appelliert, keine Ungerechtigkeit in Hexenprozessen zu dulden.²⁰⁸⁰ Die Existenz von Hexerei leugnet auch Praetorius nicht grundsätzlich. Wahre überführte Zauberer sind ihm zufolge durchaus zu strafen. Bereits in der Vorrede berichtet der Reformierte jedoch von Inhaftierungen, Folterungen und Tötungen Unschuldiger sowie von unzumutbaren Haftbedingungen und Fehlurteilen der Justiz.²⁰⁸¹ Praetorius fordert die für die Hexenprozesse Verantwortlichen auf, nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu streben und führt Autoren verschiedener Konfessionen an, welche sich vor ihm mit der Hexenthematik beschäftigten.²⁰⁸² Dies zeigt meines Erachtens auch, dass Praetorius die Debatte um die Hexenverfolgungen als eine konfessionsübergreifende Angelegenheit begreift. Entschieden lehnt Praetorius abergläubische Vorstellungen ab.²⁰⁸³ Ein Ziel, das er mit Spee und Meyfart teilt, ist, die Herrschenden und Richter in Bezug auf die Hexenverfolgungen und -prozesse zu besonnenem Handeln und gerechtem Richten zu ermahnen.²⁰⁸⁴ Allerdings hofft er, durch sein Werk auch Menschen, die magischen Praktiken zugeneigt sind, von ihrem Tun abzubringen und sie zum Christentum zurück zu führen.²⁰⁸⁵ Wer sich zu Gott bekehrt und von solcher Magie ablässt, durch die keinem Menschen Schaden zugefügt wird, darf Praetorius zufolge auf Vergebung und ewige Erlösung hoffen.²⁰⁸⁶ Wie Spee beklagt auch Praetorius, wegen seines Engagements für die vermeintlichen Hexen unter den Verdacht zu geraten, selbst der Magie zugetan zu sein.²⁰⁸⁷ Insgesamt wird den Christen eingeschärft, sich von allen Dingen der Hexerei fernzuhalten²⁰⁸⁸, doch Praetorius macht deutlich, dass viele Arten von (Liebes‐) Zaubern, Wahrsagerei und dergleichen schlicht Erfindungen von Hochstaplern sind.²⁰⁸⁹ Den menschlichen Handlungen per se gesteht Praetorius bei magischen

 )( 1v.         

Vgl. etwa ebd., fol. )( 6r. Der Schrift ist ein Zitat aus Klgl 3,37– 40 vorangestellt, vgl. ebd., fol. Vgl. ebd., fol. )( 2v–)( )( )( 2r. Vgl. etwa ebd., fol. )( 4r–5r. Vgl. schon ebd., fol. )( 6v–7r u. ö. Vgl. ebd., fol. )( 7v. Vgl. ebd., fol. )( )( 4r. Vgl. ebd., S. 133 f. Vgl. etwa ebd., fol. )( )( 4v. Vgl. ebd., S. 13. Vgl. etwa ebd., S. 11– 14.

7.4 Anton Praetorius

281

Akten keine Macht zu.²⁰⁹⁰ Die Konsumenten von magischen Dienstleistungen werden scharf kritisiert.²⁰⁹¹ Denen, die Hilfe bei teuflischen Orakeln suchen und sich nicht bekehren, wird mit der ewigen Verdammnis gedroht.²⁰⁹² Und auch die wahren bzw. unbußfertigen Zauberer erwartet, so Praetorius, die Hölle. Die Scheidung der Schuldigen von den Unschuldigen obliegt dem Reformierten zufolge dem göttlichen Richter im Letzten Gericht²⁰⁹³, wobei Praetorius wie Meyfart und Spee Mt 13,24– 30 heranzieht: „Es wird solch vnkraut vnder dem Weitzen bleiben/ biß an Jüngsten tag/ da es der Herr außfegen/ vnd verbrennen wird: vnder deß sollen wir vnsere Seelen mit Gedult fassen/ wachen vnd beten/ damit wir nicht auch in versuchung fallen.“²⁰⁹⁴ Wie Spee warnt Praetorius auch die ungebildeten Christen entschieden davor, falsche Kausalitäten zwischen bestimmten Übeln und menschlichen Machenschaften herzustellen. Zudem wendet er sich gegen die Verfolgung vermeintlicher Hexen.²⁰⁹⁵ Die Ungläubigen sollten Praetorius zufolge nicht voreilig den Tod von Zauberern fordern²⁰⁹⁶, auch ihnen drohe schließlich die Höllenstrafe. Dabei bezieht sich Praetorius neben Mt 25,46²⁰⁹⁷, wo vom doppelten Ausgang des Gerichts die Rede ist, auch wie Meyfart auf Apk 21,8 (dort werden neben den Hexern auch bestimmte Sünder und Menschen ohne Glauben aufgezählt, welchen dem Text zufolge das Höllenfeuer droht) sowie Apk 22,15, wo sich eine ähnliche Aussage findet.²⁰⁹⁸ Deutlicher als Meyfart und Spee führt Praetorius²⁰⁹⁹ solche Vorstellungen ad absurdum, denen zufolge Menschen zu fliegen, die Gestalt zu wandeln oder das Wetter zu ändern vermögen. Dabei argumentiert Praetorius zwar einerseits mit der Vernunft, andererseits stets auch mit biblisch-theologischen Begründungen. Wie Meyfart rechnet Praetorius damit, dass viele Vorstellungen, zu Magie fähig zu sein, auf mentale Krankheiten zurückzuführen sind.²¹⁰⁰ Unglauben und mangelnde Kenntnis der Heiligen Schrift werden als Ursachen für solchen Aberglauben benannt. Als gravierendes Verbrechen, das von Menschen, die sich als Hexen

 Vgl. etwa ebd., S. 24– 27.  Vgl. etwa ebd., S. 28 f.  Vgl. ebd., S. 32; 129 f.  Vgl. ebd., S. 46; 243.  Ebd., S. 46.  Vgl. ebd., S. 94– 127.  Vgl. ebd., S. 47– 64.  Vgl. ebd., S. 128 f.  Vgl. ebd., S. 55 f.; 116.  Praetorius ist gelegentlich als konsequenter als viele andere Kritiker bezeichnet worden. Vgl. etwa Rummel und Voltmer (s. Anm. 1879), S. 64.  Vgl. etwa Praetorius (s. Anm. 2075), S. 73 f.

282

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

verstehen, begangen werden kann, nennt Praetorius den Giftmord.²¹⁰¹ Die Obrigkeit habe dagegen vorzugehen²¹⁰²: Nur klare Fälle von Giftmorden und dergleichen sollen gestraft werden. Fantasiert jemand hingegen beispielsweise, er habe sich in ein Tier verwandelt, entspringe dies nur einem Wahn und sei nicht zu strafen.²¹⁰³ Immer wieder schildert Praetorius auch autobiographische Erlebnisse wie den besagten Prozess in Birstein. Bereits in seiner Jugend habe er erlebt, dass vermeintliche Hexen für unmögliche Taten getötet wurden.²¹⁰⁴ Aufschlussreich ist auch ein autobiographischer Bericht über ein Ereignis in Praetorius‘ Gemeinde im Jahr 1608. Die Eltern eines erkrankten Kindes versuchten, dieses mithilfe eines magischen Aktes einer Zauberin heilen zu lassen. Dabei werden die Motive der Eltern durchaus differenziert geschildert. Allerdings berichtet der Autor auch, wie unbeteiligte Dorfbewohner durch diese Ereignisse sehr verängstigt wurden. Aus diesem Grund, so Praetorius weiter, setzte er daraufhin in einer Art Strafpredigt vor den versammelten Dorfbewohnern die Rede von Jüngstem Gericht und Hölle in drastischer Weise ein, um die Menschen dringend zu warnen, sich aller magischen Praktiken zu enthalten und sich zu Gott zu bekehren. Zugleich schärft er die Wirkungslosigkeit des beschriebenen Zaubers ein. Wie bei einer alttestamentlichen Zeichenhandlung habe er das vermeintliche Medium der Magie in einem performativen Akt vor den Augen der gesamten Gemeinde verbrannt.²¹⁰⁵ Hier wird nochmals deutlich, dass auch wirkungslose abergläubische Praktiken den frühneuzeitlichen Theologen zufolge zu beenden sind, da sie unter Umständen zu Angst und Schrecken führen können²¹⁰⁶, wie das oben angeführte Beispiel aus der Feder Johann Rists ebenfalls erkennen ließ.²¹⁰⁷ Die Rede vom Gericht erweist sich hier als in zweifacher Weise nützlich: Einerseits im Einsatz gegen ungerechte Verfolgungen, andererseits als rechtes Mittel der Drohung, durch das der Aberglaube überwunden werden kann. Auch Praetorius kritisiert, dass durch Folter unbescholtene Menschen zu unwahren Aussagen gebracht werden und sich zur Hexerei bekennen oder  Diesem Gedanken widmet Praetorius viel Raum. Vgl. ebd., S. 64– 93 u. ö.  Vgl. etwa ebd., S. 2.  Vgl. ebd., S. 189 – 196.  Vgl. ebd., fol. )( 7v–8r.  Vgl. ebd., S. 111– 113.  Gegen solchen Aberglauben wandte sich auch Meyfart, vgl. Trunz (s. Anm. 29), S. 235 f. Die lutherischen Pfarrer etwa wurden in der Frühen Neuzeit auch mit Fällen von ‚Spuk‘ konfrontiert und mussten einerseits Seelsorge leisten, andererseits dem Einsatz abergläubischer (sowie römisch-katholischer) ‚Gegenmittel‘ wehren.Vgl. dazu Rieger (s. Anm. 1888), etwa S. 39 – 42; 44– 46; 70 – 73 u. ö.  Siehe oben S. 255 – 257.

7.4 Anton Praetorius

283

fälschlich die Schuld Dritter behaupten.²¹⁰⁸ Wie Spee und Meyfart setzt sich der Reformierte gegen brutale Folterungen²¹⁰⁹ und für menschenwürdige Haftbedingungen sowie für geeignetes Personal ein.²¹¹⁰ Ähnlich wie Spee und Meyfart wendet sich Praetorius zudem gegen die als teuflisch bezeichnete entwürdigende Gewalt von Folterknechten oder Wärtern speziell gegenüber weiblichen Verdächtigen.²¹¹¹ Im Kontext der Kritik an der sogenannten Wasserprobe droht der Reformierte ungerechten Richtern, welche mutwillig Unschuldige töten lassen, die dereinstige Strafe Gottes an.²¹¹² Die Wahrheit müsse auf entschiedene, aber christliche Weise ohne Folter gefunden werden.²¹¹³ Herrscher und Richter ruft Praetorius zu Buße und Gerechtigkeit auf. Im Jüngsten Gericht würden sie vor dem himmlischen Richter stehen, sich verantworten und Rechenschaft ablegen müssen.²¹¹⁴ Wie Spee und Meyfart befindet auch Praetorius, es sei besser, Schuldige nicht zu foltern oder zu töten, als Unschuldige samt der Schuldigen zu quälen und umzubringen. Praetorius begründet dies hier jedoch nicht mit dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen. Gleichwohl verweist er auf das Richten Gottes im Jüngsten Gericht, in dem jede irdische Ungerechtigkeit überwunden werden wird.²¹¹⁵ Generell sieht Praetorius es als Aufgabe der Obrigkeiten und Gerichte an, in der unvollkommenen Welt die göttliche Ordnung (im Sinne von Röm 13) zu erhalten, Untertanen vor Verbrechern zu schützen und daher allerlei Straftaten zu begegnen, auch der schädlichen Hexerei.²¹¹⁶ Der Autor betont jedoch, dass es nicht dem Menschen gebühre, das letzte Urteil über andere Menschen in geistlichen Belangen zu fällen. Dies liege allein in der Kompetenz des gerechten göttlichen Richters Christus²¹¹⁷, welcher am Jüngsten Tag im Letzten Gericht alles offenbaren und entscheiden werde: Wer hat euch aber lieben Herrn/ hie zu Richtern gesetzt? wer hat euch ein solch streng gericht befohlen zu fällen? Hat nit Gott Christum seinen Sohn verordnet zum Richter/ vnd beschlossen durch jhn an bestimtem Tag die Welt zu richten? Wer seyd jhr/ daß jhr frembde

 Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075), fol. )( 8r–8v.  Es gebührt Praetorius zufolge den Menschen überdies nicht, endlose (d. h. auch unverhältnismäßig lange) Folter anzustellen – dies wird laut Praetorius vielmehr in der Hölle geschehen, sofern Gott es für angemessen hält. Vgl. ebd., S. 228.  Vgl. etwa ebd., S. 174– 183.  Vgl. ebd., S. 223. Vgl. dazu auch Trunz (s. Anm. 29), S. 237.  Vgl. etwa Praetorius (s. Anm. 2075), S. 207; 210.  Vgl. ebd., S. 183 – 185.  Vgl. ebd., S. 64. Dort wird auch Weish 16,15 herangezogen.  Vgl. ebd., S. 233 f.  Vgl. ebd., S. 131– 133.  Vgl. ebd., S. 276.

284

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Knecht vnd Mägde richtet? stehen oder fallen sie nicht jhren Herrn/ vnd mögen sie nit wider auffgerichtet werden? Kan sie Gott nicht auffrichten?²¹¹⁸

Dabei wird also an der Hoffnung auf Rettung festgehalten. Die Barmherzigkeit und der Heilswille Christi dürfen Praetorius zufolge nicht unterschätzt werden.²¹¹⁹ Stärker als dies bei Spee oder Meyfart der Fall ist, legt Praetorius den Akzent auf die Möglichkeit, durch Buße und Umkehr Vergebung zu erlangen.²¹²⁰ Man solle ferner versuchen, durch Gebet, Lehre und Mahnung die Zauberer und Hexen zu bekehren und dabei auf Gottes Gnadenangebot und Barmherzigkeit vertrauen. Gottes gnädige Vergebung haben, so Praetorius, alle Christen nötig, und so dürfe sie niemandem abgesprochen werden.²¹²¹ In besonderer Weise hält Praetorius mit der Betonung der Möglichkeit zur Buße als Weg zurück zum ewigen Heil an einer Hoffnung auf die mögliche eschatische Erlösung vieler fest.²¹²² Er verweist dabei unter anderem auf Joh 3,16 – 18, wo davon die Rede ist, dass der Glaubende nicht in das verdammliche Gericht kommt.²¹²³ Am Ende der Schrift wird die Pflicht zur Rechenschaft vor dem endzeitlichen Richter nochmals eingeschärft, um die Verantwortlichen vor Ungerechtigkeit und Tyrannei zu warnen und Unschuldige zu schützen.²¹²⁴ Gott, der in seinem Gericht keiner Zeugen bedarf ²¹²⁵, wird bei Praetorius als vollkommen gerechter Richter im Endgericht zum Vorbild irdischer Juristen.²¹²⁶ Ob ein Mensch glaubt oder nicht, kann, so Praetorius, nur Gott beurteilen.²¹²⁷ Dieser ist der letzte und oberste Richter, welcher „selbst […] im Gericht/ vnd wo sie Gerichtlich handeln/ zugegen“²¹²⁸ ist. In jedem irdischen Gerichtsprozess wird Praetorius zufolge der Richtende wiederum selbst vom himmlischen Richter, welcher einst das Endgericht halten wird, geprüft und beurteilt.²¹²⁹ Dies ist ein in

 Ebd., S. 139.Vgl. auch ebd., S. 139 – 141. Der Kontext ist dabei ein anderer als bei Meyfart und Spee.  Vgl. auch ebd., S. 156 – 160. Dies jedoch als Legitimation zum Sündigen zu missbrauchen, werde in der Hölle gestraft, so Praetorius. Vgl. ebd., S. 165.  Vgl. ebd., S. 277.  Vgl. etwa ebd., S. 146 – 148.  Vgl. etwa ebd., S. 151.  Vgl. dazu ebd., S. 156 – 160.  Vgl. ebd., S. 173.  Vgl. ebd., S. 169.  Vgl. ebd., S. 171 f.  Vgl. etwa ebd., S. 258 – 260.  Ebd., S. 185.  Vgl. ebd.

7.4 Anton Praetorius

285

der Frühen Neuzeit weit verbreiteter Topos.²¹³⁰ Praetorius rät den Richtenden, sich vor ihren Prozessen und Urteilsfindungen im Gebet an Gott zu wenden. Dazu schlägt der Autor ein Gebet vor, worin er Gott nicht nur als allmächtig und gnädig beschreibt, sondern eben auch als den gerechten Weltenrichter apostrophiert und dergestalt auf Gottes Allwissen eingeht, dass dieser im Vergleich zu menschlicher Justiz am Jüngsten Tag alle Unklarheiten aufdecken werde.²¹³¹ Darin zeigt sich wie bei Spee und Meyfart der tröstliche Gedanke, dass alle Opfer von Unrecht und ungerechter Verfolgung einst Gerechtigkeit erfahren.²¹³² Zugleich wehrt Praetorius jeder Hybris menschlicher Juristen. Auch insofern sollen sich die weltlichen Richter den Weltenrichter zum Vorbild für gerechtes und weises Urteilen nehmen.²¹³³ Praetorius erläutert, wie dies konkret in Bezug auf gerechtfertigte Anklagen und die Prüfung von Beschuldigungen geschehen soll.²¹³⁴ Urteile und Strafmaßnahmen müssen Praetorius zufolge maßvoll und verhältnismäßig sein. Er schlägt weiterhin (wie Meyfart) Differenzierungen im Strafmaß vor: Die Todesstrafe ist Praetorius zufolge etwa bei Giftmördern anzuwenden. Liegt ein geringes Vergehen vor und zeigt die Person Reue, hält er zum Beispiel Geldstrafen für sinnvoll.²¹³⁵ Um der Hexerei Einhalt zu gebieten, befürwortet Praetorius neben angemessenen Strafen und dem Aufruf zur Buße weitere Präventionsmaßnahmen. Wichtig sind laut Praetorius christliche Mahnung, Abschreckung und Belehrung (potenzieller) Täter bei minder schweren Fällen. Dafür trage auch die Obrigkeit Verantwortung.²¹³⁶ Laster, Sünden und Unglauben sieht Praetorius als Nährböden der Hexerei an. Liederliche Menschen gilt es zu meiden, Reinlichkeit und Sittlichkeit zu wahren. Nötig sind Umkehr zu Gott, praxis pietatis und ein gläubig-sittliches

 Siehe dazu auch etwa oben S. 259.  Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075), S. 216.  Vgl. etwa ebd., S. 218.  Vgl. ebd., S. 185 f.; 241 f.; 270. Den Beschuldigten müsse beispielsweise das Recht zugestanden werden, sich im Prozess zu äußern bzw. zu verteidigen, da selbst Christus, der allwissende Richter, den Verdammten immerhin zugestehe, sich zu erklären (obschon dies nichts an seinem Urteil ändert): „Also wirdt auch Christus/ der letzte Richter/ an dem allgemeinen Gerichtstage/ den vberzeugten offentlichen vbelthätern jhre verantwortung/ wiewol sie vnerheblich vnd vergeblich seyn wirdt/ dannoch nicht abschlagen vnnd verbieten/ sondern anhören/ vnnd darauß sie für allen Engeln vnd Menschen vnwidersprechlich vberweisen/ daß er ein billiches Vrtheil felle.“ Ebd., S. 242. Praetorius bezieht sich dabei auf den in Mt 25,41– 45 beschriebenen Dialog zwischen den Bösen und Christus und betont hier den Aspekt der Möglichkeit des Einspruchs stärker als dies in zahlreichen anderen bisher vorgestellten Texten der Fall ist.  Vgl. dazu ebd., S. 165 – 239, bes. etwa S. 165 – 169.  Vgl. ebd., S. 246– 249, bes. S. 249.  Vgl. etwa ebd., S. 310 f. Vgl. weiter ebd., S. 279 – 313.

286

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Leben.²¹³⁷ Christlicher Lebenswandel, Nächstenliebe und Gerechtigkeit sind dem Reformierten zufolge als die geistlichen Waffen zu befördern, mit denen gewaltlos der Sieg über die Hexerei erreicht werden kann.²¹³⁸ Dieser Gedanke klingt bei Meyfart zwar an, wird von dem Lutheraner jedoch weniger stark profiliert. Im Anhang zu Praetorius‘ Schrift findet sich ein Gutachten lutherischer Theologen aus Nürnberg.²¹³⁹ Diese verfassten es als Antwort auf eine Anfrage des Rates von Weißenburg, was man von Hexerei zu halten habe. Es deckt sich inhaltlich in weiten Teilen mit der Schrift Praetorius‘, wenngleich in diesem vergleichsweise kurzen Gutachten nicht alle Themen, die Praetorius behandelt, vorkommen. Den Verfassern ist es darum zu tun, dass die Schuldigen gestraft werden, doch die Unschuldigen verschont bleiben.²¹⁴⁰ Zunächst wird die Zauberei an sich als widergöttlich und strafwürdig beschrieben.²¹⁴¹ Im zweiten Abschnitt heißt es, Menschen seien nicht fähig, das Wetter zu beeinflussen oder dergleichen. Den Gutachtern zufolge werden diejenigen, welche sich mit dem Teufel einlassen, von diesem getäuscht und belogen. Zugleich wird betont, dass Gott mächtiger ist als der Teufel und allenfalls zulässt, dass dieser als Werkzeug göttlicher Strafe einen Schaden anrichtet.²¹⁴² Allerdings kommen auch die Gutachter zu dem Schluss, dass selbsternannte Hexen Menschen etwa durch Gift ermorden können.²¹⁴³ Ferner wird von den Gutachtern die Ansicht vertreten, die Obrigkeit habe die Aufgabe, Zauberer zu strafen, wobei jedoch mit psychisch Kranken, welche an harmlosen Wahnvorstellungen leiden, nachsichtig zu verfahren sei.²¹⁴⁴ Insgesamt sollen mit Sorgfalt und Bedacht alle Beschuldigungen und Zeugenaussagen geprüft und ordentliche Verfahren durchgeführt werden. Überdies sei zwischen den jeweiligen Taten hinsichtlich

 Vgl. ebd., S. 94– 127.  Vgl. etwa ebd., S. 19 f.; 136 – 138.  Vgl. Mauritius Helnig u. a.: Gründtlicher Bericht/ was von der Zauberey vnd Hexenwerck zu halten sey: Einhellige Antwort der Hochgelehrten Theologen vnnd Predicanten zu Nürnberg […]. In: Anton Praetorius: Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht. Darinn der grawsamen Menschen thöriges/ feindseliges/ schändliches vornemmen: Vnd wie Christliche Oberkeit in rechter Amptspflege jhnen begegnen/ jhr Werck straffen/ auffheben/ vnd hinderen solle/ vnd könne. […]. Hiezu ist gesetzet Der Theologen zu Nürnberg gantz Christlich Bedencken/ vnd Warhafftig Vrtheil von Zauberey vnd Hexenwerck. Heidelberg 1613 [11603], S. [315]–334, hier S. [315]; 334. Vgl. dazu auch Trunz (s. Anm. 29), S. 230.  Vgl. Gutachten (s. Anm. 2139), S. 317.  Vgl. ebd., S. 317– 319.  Vgl. ebd., S. 320 – 322.  Vgl. ebd., S. 322– 326.  Vgl. ebd., S. 327 f.

7.4 Anton Praetorius

287

ihrer Art und Schwere individuell zu differenzieren.²¹⁴⁵ In Bezug auf minder schwere Fälle von Zauberei geben die Verfasser den Rat, die beteiligten Personen durch Mahnen und Drohen zu Umkehr und Buße zu bewegen. Darauf, dass den reumütigen Sündern von Gott vergeben wird, sei angesichts der göttlichen Barmherzigkeit zu hoffen – diesen Gedanken macht Praetorius besonders stark.²¹⁴⁶ Als Mittel im Kampf gegen Teufel und Hexerei werden von den Nürnberger Theologen die praxis pietatis und vor allem der Glaube benannt.²¹⁴⁷ In dem Gutachten geht es um weltliche Strafen in der Zeit, nicht um das Jüngste Gericht.²¹⁴⁸ Im Gegensatz zu Praetorius‘ Schrift wird letzteres hier nicht explizit thematisiert.²¹⁴⁹ Kritik an der Obrigkeit bzw. den Richtern findet sich ebenfalls nicht. Es bestehen also durchaus auch Unterschiede zwischen den beiden Texten. Gleichwohl stellt es ein bemerkenswertes Beispiel von Interkonfessionalität dar, dass dieses Gutachten in Praetorius‘ Schrift integriert wurde, sowohl auf der Ebene des inhaltlichen Austausches und der gegenseitigen Wahrnehmung, als auch auf der Ebene des gedruckten Zeugnisses und Endprodukts dieser positivinterkonfessionellen Prozesse. Der Reformierte lobt die Zusammenarbeit und die inhaltliche Übereinstimmung mit den lutherischen Nürnberger Theologen in ihrem Gutachten von 1603.²¹⁵⁰ Er weiß um die Notwendigkeit, sich in dieser Sache mit Gleichgesinnten über Grenzen von Regionen und Konfessionen hinaus zu verbünden.²¹⁵¹ Dabei gibt es für ihn nur eine christliche – auch als katholisch im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnete – Kirche, in der Gott gedient wird, auch wenn dies der Mehrheitsmeinung der Menschen zuwider läuft.²¹⁵² Gegenüber der katholischen Konfession überwiegen jedoch polemische Äußerungen.

 Vgl. ebd., S. 328 – 330.  Vgl. ebd., S. 330 f.  Vgl. ebd., S. 331 f.  Die Höllenstrafe wird nur kurz angedeutet. Vgl. ebd., S. 328.  Allerdings klingt die Auffassung an, dass man sich in der Endzeit dieser Welt befindet. Vgl. ebd., S. 332 f.  Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075), fol. )( )( 5r–6v. Praetorius kann sich hier auch positiv auf Melanchthon beziehen. Vgl. auch ebd., S. 59; 72. Überdies werden Luther und Calvin gleichermaßen als Gewährsmänner herangezogen. Vgl. etwa ebd., S. 60 – 62. Praetorius kennt die von seiner Position abweichenden Haltungen Luthers und Calvins; wie Meyfart versucht er jedoch, die Überlegungen der Reformatoren weiterzudenken. Zu Luther siehe auch oben Anm. 2020. Auch auf Brenz nimmt der Reformierte positiv Bezug. Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075), S. 169 – 171.  Vgl. etwa ebd., fol. )( )( 7r–7v. Zu Praetorius‘ positiv-interkonfessionellem Bezug auf Lutheraner vgl. auch Trunz (s. Anm. 29), 229.  Vgl. Praetorius (s. Anm. 2075), fol. )( )( )( 1r; S. 219. Diesen ‚wahren‘ Christen, die den Hexenprozessen kritisch gegenüber stehen, verheißt Praetorius den Himmel.Vgl. ebd., fol. )( )( )( 1v– 2r.

288

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

Praetorius bezeichnet unter anderem einige römische Päpste als magieaffin.²¹⁵³ Im Katholizismus häufen sich, so der Reformierte polemisch, Fälle von Aberglauben und Zauberei²¹⁵⁴, wenngleich einige wenige katholische Gelehrte das Problem erkannt hätten.²¹⁵⁵ Auch bestimmte linksreformatorisch-spiritualistische Gruppen (etwa nicht näher bestimmte Täufer) werden als Traumdeuter diffamiert.²¹⁵⁶ Negativ-interkonfessionell grenzt sich Praetorius also sowohl vom Katholizismus als auch von Spiritualisten ab, während er sich den Lutheranern gegenüber offen zeigt. Abschließend lässt sich sagen, dass Praetorius in diesem verhältnismäßig früh entstandenen Werk häufig die Rede vom Jüngsten Gericht gegen Unrecht im Bereich der Hexenverfolgungen einsetzt. Scharf kritisiert er Foltermethoden, ungerechte Richter und nachlässige Obrigkeiten sowie alle Ungläubigen und Abergläubischen. Stärker als Meyfart und Spee betont er die Notwendigkeit christlicher Lehre, Werte und Lebensführung für die Prävention von Zauberei. Während Praetorius‘ Ausführungen und auch die Schrift als solche (ab der dritten Auflage) von einem Austausch mit den Lutheranern zeugen und Praetorius sich positiv ebenso auf Melanchthon wie auf Calvin beziehen kann, bleibt die römisch-katholische Konfession, die er als abergläubisch tadelt, weitgehend ein Feindbild des Reformierten. Konsequent lehnt Praetorius die Vorstellungen, dass Menschen sich bestimmter Zauber bedienen und sich etwa in ein Tier verwandeln können, ab. Vor allem Giftmörder gelten ihm noch als wahre Hexer, und auch nur solchen gilt ihm zufolge die weltliche Todesstrafe. Je ungefährlicher und absurder die Phantasien von Menschen, welche angeben, zaubern zu können, seien, desto weniger seien sie durch menschliche Gerichte zu strafen. Gottes Strafe jedoch haben Praetorius zufolge diejenigen zu fürchten, die nicht von ihrer Wahrsagerei und dergleichem ablassen, oder solche Zauberdienste in Anspruch nehmen. Die Wurzel des Übels ist der Unglaube. Auch Praetorius zieht Mt 13,24– 30 in verschiedenen Kontexten heran. Während er den wahren mörderischen Zauberern und Unbußfertigen die Hölle androht, betont Praetorius stets die Möglichkeit zu Buße, Vergebung und Gottes Erbarmen. An diesem Erbarmen wie an Christi, des Letzten Richters Gerechtigkeit solle sich auch menschliche Justiz orientieren, welche zugleich stets unter göttlicher Beobachtung steht. So droht Praetorius den ungerechten Richtern und Obrigkeiten ebenfalls (wie Meyfart und Spee) mit Jüngstem Gericht und Hölle, und erinnert sie auch ihrer Verantwortung gegenüber  Vgl. ebd., S. 44.  Praetorius verwendet unter anderem die Bezeichnung „Pabstgötzenthumb“. Ebd., S. 48.  Vgl. ebd., S. 262. Praetorius kritisiert an dieser Stelle etwa Fastnachtsbräuche als Aberglauben.  Vgl. ebd., S 47 f.

7.5 Ausblick: Christian Thomasius

289

Gott sowie der Pflicht, vor dem höchsten Richter am Jüngsten Tag Rechenschaft ablegen zu müssen. Abgesehen von den weltlichen Rechten ist es neben der Vernunft vor allem die Heilige Schrift, auf die er sich beruft. Anhand einer autobiographischen Passage wird ferner deutlich, wie Praetorius die Rede vom Letzten Gericht als Drohung an eine Dorfgemeinde einsetzt, um ängstliche Bewohner zu trösten und den Konsumenten der vermeintlichen Magie die dringende Notwendigkeit der Bekehrung vor Augen zu führen. Letzteres ist zugleich grundsätzlich die Aufgabe der Obrigkeit, wie auch die Gewährleistung von christlich-sittlichem Zusammenleben, da Praetorius in Unglaube, Unkenntnis des Wortes Gottes und lasterhaftem Leben die Nährböden von Zauberei und allem Übel sieht. Der Glaube andererseits ist neben dem Gotteswort das Mittel zur Überwindung des Übels. Durch den Glauben können selbst diejenigen, welche vor ihrer Abkehr von diesem Wege der (schadlosen) Zauberei zugeneigt waren, gerettet werden. In der Beschreibung des Jüngsten Gerichts als eines (Gerichts‐) Prozesses, die sich bei Meyfart und Spee auch findet, erklärt Praetorius den himmlischen Richter zum Vorbild irdischer gerechter Prozessführung. Die Unterscheidung von Universalgericht und Partikulargericht thematisiert Praetorius nicht explizit, wenngleich auch der Auffassung des Reformierten zufolge jeder einzelne wie auch die Gemeinschaft Verantwortung gegenüber dem letzten Richter wird geben müssen. Für die Opfer ungerechter Gerichtsurteile ist die Rede vom Jüngsten Gericht ein Trost. Deutlich zeigt sich zudem die protestantische Hoffnung, dass sich (wenn nicht alle, so doch) viele letztlich bekehren und im Jüngsten Gericht bestehen werden.

7.5 Ausblick: Christian Thomasius Anders liegen die Dinge, blickt man für einen Vergleich in Christian Thomasius‘ Schrift De Crimine Magiae ²¹⁵⁷ bzw. die deutsche Übersetzung Kurtze Lehr=Sätze von dem Laster der Zauberey ²¹⁵⁸. Thomasius zieht die Rede vom Jüngsten Gericht nicht als Argument heran. Dagegen hat die ratio für ihn einen hohen Stellenwert.²¹⁵⁹ Thomasius stellt diese der „unverständige[n] Frömmigkeit“²¹⁶⁰ gegenüber. Er referiert zunächst die Ansichten anderer Autoren, die sich mit der The-

 Vgl. Christian Thomasius: Theses Inavgvrales, de CRIMINE MAGIAE […]. Halle 1701.  Vgl. ders. (Verf.) und Anonymus (Übers.): Kurtze Lehr=Sätze Von dem Laster der Zauberery Aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzet/ Und Mit des Autoris Vertheidigung vermehret. o. O. 1703 [11702]. Diese Übersetzung wird im Folgenden zugrunde gelegt.  Vgl. etwa ebd., fol. A 2r u. ö.  Ebd., fol. C 3v.

290

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

matik der Hexenverfolgungen befasst haben²¹⁶¹ und lobt beispielsweise den ihm nicht namentlich bekannten Verfasser der Cautio Criminalis ²¹⁶², konstatiert jedoch bereits zu Beginn in Bezug auf viele der Schriften über Zauberei, „daß [er] hin und wieder fast nichts als ein unnützes Geschwätze und Fabeln/ nirgends aber was gründliches/ denn und wenn aber nur einigen Schatten der Warheit angetroffen“²¹⁶³ hat. Die Ansicht, Menschen könnten einen Pakt mit dem Teufel schließen oder dergleichen, lehnt Thomasius ab.²¹⁶⁴ Häufig verwendet er den Begriff des Aberglaubens.²¹⁶⁵ Besonders die Katholiken haben Thomasius zufolge die Menschen in Bezug auf die Existenz bzw. Fähigkeiten von Hexen „belogen/ oder höfflicher zu reden/ hinters Licht geführet“²¹⁶⁶. Doch auch protestantische Autoren werden in diesem Kontext kritisiert.²¹⁶⁷ Die Wurzeln des Hexen-Aberglaubens vermutet Thomasius in „Heyden= und Jüdenthum“²¹⁶⁸. Thomasius fasst dies zusammen: [I]ch […] statuire/ daß zwar ein Teuffel/ doch ausser dem Menschen sey/ und daß derselbe in den Gottlosen und unsichtbahrer Weise/ doch gleichergestalt nur von aussen sein Werck treibe; doch lasse ich hinwiederum/ daß nicht nur Hexen/ sondern auch gewisse Verträge mit dem Satan seyn sollen/ keinesweges zu/ und bin vielmehr versichert/ daß alles/ was dißfalls geglaubt wird/ nicht anders als eine Fabel sey/ so aus dem Jüden= Heyden= und Pabstthum zusammen gelesen/ durch höchstunbillige Gerichts=Urtheile aber/ die so gar auch bey den Protestanten zeithero gebräuchlich gewesen/ bestätigt worden.²¹⁶⁹

Positiv bezieht Thomasius sich etwa auf den Mennoniten Anton van Dale (1638 – 1708), welcher unter anderem die Hexenverfolgungen bzw. den Hexenglauben ebenfalls kritisierte.²¹⁷⁰ Hexentanz und -flug, Teufelspakt, Wetter-Zauber etc.²¹⁷¹ lehnt Thomasius ab. Dies sind für ihn „alte Weiber=Lehren und abergläubische Mährgen“²¹⁷². Dazu will er zunächst die Argumente der Gegenseite

 Vgl. etwa ebd., fol. A 1r–7r u. ö.  Vgl. ebd., fol. A 4v–7r. Thomasius kann jedoch nicht glauben, dass der Autor ein Katholik gewesen ist, vgl. ebd., fol. A 6r–7r.  Ebd., fol. A 1r.  Vgl. ebd., fol. A 1v u. ö.  Vgl. ebd., fol. A 1r u. ö.  Ebd., fol. A 2r.  Vgl. etwa ebd., fol. A 2v–3r.  Ebd., fol. A 2r.Vgl. weiter ebd., fol. A 2r–2v.Vgl. zu seinen Ausführungen über die Geschichte der Auffassungen über Zauberei auch etwa ebd., fol. D 1r–E 4v.  Ebd., fol. A 7r–7v.  Vgl. ebd., fol. A 4r–4v u. ö.  Vgl. ebd., fol. B 3r–3v u. ö.  Ebd., fol. C 4v.

7.6 Abschluss

291

widerlegen²¹⁷³ und stellt dabei etwa in Abrede, dass Menschen einen Teufelspakt eingehen können. Den vermeintlichen Zauber erklärt Thomasius etwa zum (menschlichen) „Betrug“²¹⁷⁴. Dass etwa auf die biblische Erzählung Sauls bei der Hexe von Endor verwiesen wird, pariert Thomasius beispielsweise folgendermaßen: Das Weib war eine aus der Zahl derer/ die durch den Bauch reden können/ und also betrog sie den ohnedem furchtsamen Saul/ welches auch mit dem Texte/ 1. Sam. 28. gantz wohl überein zu kommen scheinet. Saul nemlich sahe nichts/ er hörte aber nur eine Stimme und bloß das Weib sagte/ daß sie etwas sähe/ da es doch ebenfalls eine Unwarheit war.²¹⁷⁵

In Thomasius‘ rationalistischer Interpretation wird also die Hexe zur betrügerischen Bauchrednerin und die Zauber-Erfahrung wird zur Einbildung. Solcher Betrug ist Thomasius zufolge zu ahnden, jedoch nicht als Hexerei.²¹⁷⁶ Auch seien mutmaßliche Zaubereien möglicherweise auf Naturphänomene zurückzuführen.²¹⁷⁷ Thomasius stellt eigene Thesen auf ²¹⁷⁸, etwa, dass der Satan keinen „Leib […] an sich nehmen“²¹⁷⁹ kann, wobei er unter anderem vermutet, die Erzählung von Christi Versuchung könne als eine Art Vision Christi verstanden werden.²¹⁸⁰ Abschließend kommt Thomasius auf die politisch Verantwortlichen zu sprechen, appelliert an diese, keine Hexenverfolgungen bzw. -prozesse anzustellen²¹⁸¹ und konstatiert nochmals, dass er „das gantze Laster der Zauberey vor eine Fabel [hält]“²¹⁸².

7.6 Abschluss Kritik an Folter, Hexenprozessen und der damit verbundenen Tötung Unschuldiger erweist sich als nicht erst in der Epoche der Aufklärung durch rationale Gründe (wie bei Thomasius) entstandenes Datum der Frühen Neuzeit im

 Vgl. dazu etwa ebd., fol. B 3v–C 6v.  Ebd., fol. B 4r. Das Argument, Zauberer seien Hochstapler, findet er bei van Dale vor bzw. bestätigt. Vgl. ebd., fol. B 6v–7r.  Ebd., fol. B 7r–7v.  Vgl. ebd., fol. E 8r–8v.  Vgl. etwa ebd., fol. B 5r.  Vgl. ebd., fol. C 6v–8v.  Ebd., fol. C 6v.  Vgl. ebd.  Näherhin geht es um Magie im Sinne eines Bundes mit dem Teufel. Vgl. ebd., fol. F 3v.  Ebd., fol. F 3r–3v.

292

7 Das Jüngste Gericht als transkonfessionelles theologisches Argument

deutschsprachigen Raum. Beispiele hierfür lassen sich in Schriften von Autoren lutherischer, reformierter und katholischer Provenienz finden. Dabei wird auch die Rede vom Jüngsten Gericht konfessionsübergreifend eingesetzt: Einerseits werden Wahrsagerei und dergleichen, durch welche Menschen durchaus erschreckt oder (finanziell) geschädigt werden können, verworfen. Abergläubische und an Zauberei Interessierte sollen davon abgeschreckt werden. Die Autoren sehen teilweise in der Drohung mit dem Letzten Gericht eine Möglichkeit, Hexerei ohne Blutvergießen zu überwinden. Obrigkeiten, Geistliche, Richter sowie alle an den Prozessen Beteiligten werden (im Sinne eines in der Frühen Neuzeit gängigen Topos) angesichts der Pflicht zur Rechenschaft vor dem letzten Richter Christus, welcher im Endgericht über sie urteilen und allen Unschuldigen zu ihrem Recht verhelfen wird, zu maßvollem Handeln, sorgfältiger Prüfung der Fälle, Unterlassung von Folter und Verschonung der Unschuldigen ermahnt. Die Grenzen dieser theologisch argumentierenden Texte mögen dort liegen, wo die Existenz von Zauberern sowie die Notwendigkeit, diese zu töten, nicht radikal genug abgelehnt werden. Gleichwohl gilt, dass je mehr später mit reiner Vernunft argumentiert wird, diese theologische Strategie, auf das Jüngste Gericht zu verweisen, nicht mehr angewendet wird. Vergleicht man die Schriften Meyfarts, Spees und Praetorius‘ mit Thomasius‘ Text, so zeigt sich eine Verschiebung der Argumentationsebene. Thomasius führt rationalistische Gründe gegen die Existenz von Zauberern an und erklärt Hexen beispielsweise zu betrügerischen Hochstaplerinnen. Die Drohung mit dem Endgericht findet sich bei Thomasius indes nicht. Bei Spee, Meyfart und Praetorius hingegen wird die Rede von Jüngstem Gericht und Hölle in verschiedenen Varianten um willen der Kritik an den Hexenprozessen durchaus häufig eingesetzt. Vorfälle und auch Vorwürfe im persönlichen Erleben der Autoren fließen zudem in die Texte ein. Transkonfessionell werden etwa der Bezug auf Mt 13,24– 30 oder der Hinweis auf die unausweichliche Ablegung von Rechenschaft vor dem letzten Richter, teils verbunden mit Mt 12,36, von diesen hier untersuchten Autoren gebraucht, wenngleich mitunter unterschiedlich akzentuiert wird, etwa wenn Praetorius die Möglichkeit zur Bekehrung besonders hervorhebt oder Spee und Meyfart ihre Aussagen als Zeugen im Jüngsten Gericht imaginieren. Gelegentlich begegnen bzw. dominieren bestimmte Aspekte nur bei einem Autor. Irdische Folterqual kann zum Vorbild von Beschreibungen der Hölle werden, wie sich in der Schrift Meyfarts zeigt. Während Spee an konfessioneller Polemik kein Interesse zeigt und eher das Ziel intrakonfessioneller Besserung verfolgt, begegnet sowohl bei Praetorius als auch bei Meyfart gelegentlich konfessionell gefärbte Polemik. Der positiv-interkonfessionelle Prozess des Austausches zwischen dem Reformierten Praetorius und den Nürnberger Lutheranern schlägt sich greifbar nieder in der dritten Auflage des Gründlichen Berichts. Daneben finden sich bei Praetorius negativ-interkonfes-

7.6 Abschluss

293

sionelle Bezüge auf die katholische Konfession. Bei Meyfart zeigt sich ein differenziertes Bild mit sowohl positiven, positiv-kritischen als auch polemisch-negativen interkonfessionellen Bezügen auf die katholische Konfession. Über die Konfessionsgrenzen hinaus fanden sich zahlreiche Befürworter der Hexenverfolgung, welche einander interkonfessionell rezipierten. Gleichwohl ist es ebenfalls ein (implizit und explizit) transkonfessionelles Anliegen, der Verfolgung und Tötung Unschuldiger als vermeintlicher Hexen entgegenzuwirken. Die Frontlinie verläuft in diesem Fall nicht entsprechend der konfessionellen Identitäten, sondern entsprechend der Position in der Hexenfrage, was Bündnisse und Kooperationen bzw. Bezüge über Konfessionsgrenzen hinweg ermöglicht.

8 Zusammenfassung 1. Das Theologumenon des Jüngsten Gerichts wird sowohl bei Reformatoren und Altgläubigen als auch bei Vertretern der lutherischen, reformierten und römisch-katholischen Konfession in verschiedenen Textgattungen häufig thematisiert. Die Zusammenhänge, in denen dies erfolgt, erweisen sich oftmals als relevant für die Erforschung inter- bzw. transkonfessioneller Phänomene. Zwar gilt, dass die Parusie Christi zum Gericht keine interkonfessionell umstrittene Thematik darstellt, doch zeigt sich rasch, dass in den sich anschließenden Fragen – etwa nach dem Maßstab des Gerichts – neben Gemeinsamkeiten auch zahlreiche strittige Themen vorhanden sind und der Anlass der Rede vom Endgericht selbst zu interkonfessioneller Polemik genutzt werden kann. 2. Martin Luther rechnet mit einem futurischen Endgericht am Jüngsten Tage, welches einen doppelten Ausgang nehmen wird. Dies stellt für ihn eine objektive Realität dar. Die Passagen im Oeuvre Luthers, in welchen er vom Jüngsten Gericht spricht, sind nicht als zu vernachlässigende Überbleibsel mittelalterlichen Denkens zu bewerten. Wie es Luther zufolge real ist, dass der Mensch im Leben das göttliche Gericht und die Hölle erfahren kann, so real und ernst ist für ihn auch das kommende Endgericht. Der Jüngste Tag und das künftige Leben sowie die futurische Eschatologie sind für Luther nicht überflüssig. Im Gegenteil stellen ausstehende Vollendung, Auferstehung zum Gericht und ewiges Leben für Luther nicht aufgebbare Bestandteile christlichen Glaubens dar. Dies gilt auch für die lutherische Orthodoxie. 3. In Luthers Jona-Exegesen ist davon die Rede, dass ein Mensch göttliches Gericht bzw. Hölle (und zwar wahrlich Hölle) zu Lebzeiten erfahren kann. Nicht aus sich bzw. eigenem Vermögen heraus gelingt dem Menschen vermittels des Glaubens die Flucht aus dieser Hölle, insofern der Glaube Gottesgabe ist. Indem der Sünder sich glaubend wie ein Ertrinkender an Christus klammert und sich im Gebet auf Gottes Verheißung beruft, hat er teil an Gottes Macht und kann so Verzweiflung und Hölle überwinden. 4. Luthers Jona-Auslegungen werden in Form eines Übernahmeprozesses durch einen Altgläubigen rezipiert: Michael Helding ist es darum zu tun, die Gegenreformation lokal voranzutreiben. Dazu akkommodiert er sich den von der lutherischen Reformation geprägten Adressaten, indem er Luthers Schriften rezipiert und Teile daraus übernimmt. Gleichwohl existieren durchaus Unterschiede zwischen Heldings und Luthers Interpretationen, unter anderem mit Blick auf die Charakterisierung Jonas: Anders als bei Luther begegnet bei Helding etwa der Gedanke, Jona habe seine Höllenerfahrung geduldig ertragen und sich hierdurch moralisch bewährt.

8 Zusammenfassung

295

5. Die guten Werke finden Luther zufolge im Jüngsten Gericht Beachtung. Vor dem göttlichen Gericht bestehen kann nur, wer im Glauben Christus ergreift und aufgrund der imputatio der fremden Gerechtigkeit Christi nicht verdammt wird. Wahre gute Werke werden erst durch den Glauben möglich und folgen diesem notwendigerweise. Insofern sind die Werke im Gericht von Bedeutung; sie bezeugen den Glauben und werden nicht in Vergessenheit geraten. Somit ist das Gericht nach dem Glauben auch ein Gericht nach den Werken. In der lutherischen Orthodoxie bürgert sich in diesem Zusammenhang der Konsens ein, Christus richte secundum, non propter opera. Wer ohne Glauben nach den eigenen Werken gerichtet wird, kann indes nicht bestehen. Lutherische Rechtfertigungslehre und Gerichtsthematik sind insofern untrennbar miteinander verbunden. 6. Ein weiterer Beleg für die Hochschätzung der guten Werke im Hinblick auf das Endgericht ist, dass Luther – und seine frühneuzeitlichen Erben – im Zusammenhang der Mt 25,40 zufolge Christus selbst erwiesenen Wohltaten am Nächsten von göttlichem Lohn und im Anschluss an Spr 19,17 in Verbindung mit Lk 16,19 – 31 von einem geistlichen ‚Wucher‘ der Menschen mit Gott sprechen. Die Zusammenstellung von Lazarus-Perikope,Weltgericht und der Forderung sozialen Handelns hat ihre Entsprechungen auch in der zeitgenössischen Ikonographie. 7. Den Altgläubigen wirft Luther vor, einseitig den bedrohlichen Charakter des Weltgerichts hervorgehoben zu haben und betont demgegenüber den trostvollen Gedanken, dass der Richter zugleich der Versöhner und Erlöser der Glaubenden ist. Dies stellt für Luther und seine Erben eine zentrale Einsicht dar: In seiner Passion hat Christus das ewige Zorngericht Gottes zugunsten der Glaubenden bereits getragen. Der Richter ist also zugleich der Gerichtete. Wer dies glaubt, darf des Freispruchs im Endgericht versichert sein.Von dieser Heilsgewissheit her wird der Glaubende fähig zu Werken der Barmherzigkeit (im Rahmen der individuellen Möglichkeiten), welche sodann auch gefordert werden können: Luther ruft unter Verweis auf das Endgericht zu sittlichem Leben auf und geht sogar so weit, die finanzielle Unterstützung der reformatorischen Bewegung einzufordern. Auch die frühneuzeitlich-lutherischen Theologen fordern die Verantwortlichen in Form von Mahnung und Anreiz (Verheißungen himmlischen Lohns) im Kontext der Rede vom Endgericht auf, die lutherischen Geistlichen, Schulen und dergleichen finanziell zu fördern. 8. In Bezug auf die Heilsgewissheit besteht grundsätzlich Dissens zwischen altgläubigen bzw. römisch-katholischen Theologen, Lutheranern und Reformierten. In Teilen des Katholizismus ist die Denkfigur der dubitatio perpetua verbreitet. Die Reformierten betonen, dass der Glaubende seines Heils gewiss sein darf (wie etwa die 52. Frage des Heidelberger Katechismus zeigt). Allerdings teilen die reformierten Theologen nicht die lutherische Ansicht, dass Christus auch seiner göttlichen Natur nach das verdammliche Gericht anstelle der Sünder erlit-

296

8 Zusammenfassung

ten hat, was Luther zufolge gerade die Voraussetzung dafür darstellt, des Heils gewiss sein zu können. Grundsätzlich lehnen auch die Katholiken diese lutherische Lehre ab. So verwirft sie etwa der Katholik Robert Bellarmin in seinen dogmatischen Schriften, kommt jedoch im Kontext der erbaulichen Literatur ebenfalls darauf zu sprechen, dass die Gläubigen ihres Heils dank Christi Heilstat gewiss sein dürfen. 9. Für die Bereitung zum Sterben jedoch gilt nach Luther, dass man sich in der Sterbestunde nicht darauf konzentrieren darf, ob ausreichend Werke der Nächstenliebe vollbracht wurden, vielmehr müsse man sich ganz auf Christus verlassen. Die rechte Zeit für die Ausübung tätiger Nächstenliebe ist nicht die Stunde des Todes, sondern das Leben. Wenn es um die Ermahnung geht, kann die Rede vom Jüngsten Gericht auf die Drohung mit Appellfunktion reduziert werden; soll jedoch anlässlich eines Todesfalls Trost gespendet werden, kann der Aspekt der ewigen Verdammnis in den Hintergrund treten bzw. unerwähnt bleiben. In Bezug auf ungetauft gestorbene Kinder formuliert Luther die Hoffnung, dass diese aufgrund des Glaubens ihrer Mütter gerettet werden. 10. Wie sich Luthers Denken bezüglich des Fegefeuers wandelte, so änderte sich auch seine Einschätzung des Weltendes: Der junge Luther fürchtete den Jüngsten Tag. Wenngleich Luther später den Ernst der Schrecken dieses Letzten Tages keineswegs negiert, zu geistlicher Wachsamkeit aufruft und gerade den Sündern den Tag des Zorns vor Augen stellt, gewinnt der Reformator den Jüngsten Tag doch lieb: Mit dem Blick des Glaubens vermag der Christ Luther zufolge den Jüngsten Tag kontrafaktisch als Tag der Wiederkunft des geliebten Heilsbringers Christus zu erkennen. Für die in der Welt leidenden Christen bedeutet der Tag des Gerichts Heil und Erlösung. Die Spannung zwischen dem Tag des Zorns und dem (im Glauben erkannten) lieben Jüngsten Tag bleibt dabei jedoch bestehen. Diese Hochschätzung des Jüngsten Tages lässt sich auch später bei den Lutheranern immer wieder beobachten. 11. Lutherische, reformierte und römisch-katholische Theologen sind grundsätzlich transkonfessionell der Auffassung, dass Christus zum Weltgericht am Jüngsten Tag wiederkehren wird. Dies schlägt sich auch in den Bekenntnisschriften der Lutheraner und Reformierten nieder. Beispielhaft wird der Teilkonsens erkennbar an der entsprechenden Bestätigung der Lehre in der Confutatio sowie der Apologie der Confessio Augustana. Die präkonfessionellen altkirchlichen Symbola bilden dabei eine gemeinsame Grundlage. 12. Bezüglich der Ablehnung von nonkonformistischen Auffassungen wie Millenarismus sowie Apokatastasislehre und in Bezug auf das Festhalten am doppelten Ausgang des Gerichts besteht grundsätzlich ebenfalls Konsens zwischen Reformierten, Lutheranern und Katholiken. Allerdings lässt sich zeigen, dass dennoch gelegentlich von altgläubiger bzw. katholischer Seite der Vorwurf

8 Zusammenfassung

297

an die Reformatoren und ihre Anhänger erhoben wird, sich für die Allversöhnungslehre auszusprechen. 13. Da die Lutheraner und Reformierten ihre konfessionelle Identität auch von der Abgrenzung zu den Heterodoxen her entwickeln, erweist sich die Berücksichtigung der nonkonformistischen Standpunkte als für die Entwicklung der Positionen der Konfessionskirchen als relevant. 14. Justus Menius wie auch Heinrich Bullinger halten den Chiliasmus sowie die Lehre der Apokatastasis panton für Elemente täuferischer Theologie. Indem die Täufer als einheitliche Gruppe beschrieben werden sollen, verbinden ihre Kritiker mitunter spannungsvoll eigentlich einander zuwiderlaufende Einzelaussagen in der Gesamtdarstellung. 15. Nicht alle Täufer lehren die Allversöhnung. Bei anderslautenden polemisch-theologischen Argumentationen seitens ihrer Gegner ist zu bedenken, dass man es mit oft verallgemeinernden und auch in sich widersprüchlichen Fremdzuschreibungen zu tun hat. Hans Denck etwa vertrat keineswegs durchgehend eine Allversöhnungslehre, was sich nicht nur daran zeigt, dass er sich an seinem Lebensende von dieser distanzierte, sondern sich auch bereits in seinen Schriften nachweisen lässt. Gleichwohl zogen bestimmte Nonkonformisten wie Clemens Ziegler zumindest zeitweise die Möglichkeit einer solchen Apokatastasis in Betracht. In Argumentationen mutmaßlicher Allversöhner wird auf Gottes Barmherzigkeit und vergebende Liebe sowie die Heilstat Christi verwiesen oder betont, dass das Böse nicht verewigt werden dürfe. Die Allversöhnungslehre rückt ab dem späten 17. Jahrhundert in radikal-pietistischen Kreisen wieder in den Blick, wie am Beispiel der Apokatastasis-Konzeption Johanna Eleonora Petersens sichtbar wird. 16. Ein gewichtiges Problem der Allversöhnungslehre, welches zugleich das Beharren auf der Lösung vom doppelten Ausgang nötig macht, sehen Theologen konfessionsübergreifend in der Gefahr des Sittenverfalls, den diese als nicht schriftgemäß kritisierte Lehre nach sich ziehen könnte. 17. Die Sozinianer werden transkonfessionell als ernsthafte theologische Herausforderung empfunden. Anders als die Täufer argumentieren etwa Fausto Sozzini und Lelio Sozzini sowie Ernst Soner stärker rationalistisch, lehnen aber ebenfalls die Lehre von der Ewigkeit der Hölle ab: Soner behauptet, die Annahme einer ewigen Höllenstrafe laufe dem Postulat der Gerechtigkeit Gottes zuwider, und löst das Problem, indem er mit einer annihilatio der Bösen nach ihrem Tode rechnet. Meyfart und andere lutherische Theologen sind demgegenüber der Ansicht, dass die Sünder ewig gesündigt hätten, wenn sie gekonnt hätten – und daher ewig zu strafen sind; oder dass durch eine Negation der Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafe Christi Heilstat entwertet würde. Nicht nur in theologischen Streitschriften, sondern auch in Predigten, Erbauungsschriften, geistli-

298

8 Zusammenfassung

cher Lyrik und exegetischen Kommentaren lässt sich die Ablehnung einer Infragestellung der Ewigkeit der Hölle breit nachweisen. 18. Die frühneuzeitliche Predigt stellt ein Medium (inter)konfessioneller Auseinandersetzungen dar. Dies zeigt sich auch anhand der Untersuchung von Predigten lutherischer, reformierter und römisch-katholischer Verfasser über Mt 25,31– 46. Ausgehend von dieser Perikope (und weiteren) wird die Thematik des Jüngsten Gerichts von Vertretern der drei Konfessionen nicht selten behandelt. 19. Neben individuellen Unterschieden im Predigtstil der einzelnen Prediger lassen sich auch Charakteristika der verschiedenen Konfessionen ausmachen. Als konfessionelle Spezifika der römischen Katholiken dürfen die Lehren von Fegefeuer und limbus infantium gelten. Die Lutheraner polemisieren gegen eine solche Lehre verschiedener Abteilungen der Hölle sowie gegen Werkgerechtigkeit, predigen aber im Anschluss an Luther, dass gute Werke – welche am bedürftigen Mitchristen zugleich an Christus selbst getan sind – als Folge und Zeugen des Glaubens, welcher die conditio sine qua non darstellt, im Gericht zu bestehen, im Endgericht durchaus wertgeschätzt werden und Beachtung finden werden. 20. Gericht und Hölle spielen sich den lutherischen Predigern zufolge nicht (allein) im Gewissen des Glaubenden ab. 21. Wie Luther halten seine Erben daran fest, dass Christus das göttliche Gericht bereits erlitten, mithin die Erlösung erworben hat und dass die Glaubenden dieses Heils gewiss sein dürfen und sollen. Deutlich heben die Lutheraner und häufig auch die Reformierten die Identität des Richters mit dem gerichteten Heiland hervor und betonen, dass der Jüngste Tag den Christen (allem Anschein zum Trotz, denn konfessionsübergreifend ist auch von den Schrecken des Weltendes für die Ungläubigen die Rede) ein Freudentag werden wird. Von dieser befreienden Einsicht her wird es möglich, die Adressaten auch mit bedrohlichen Gerichts- und Höllenschilderungen ihrer sozialen Verantwortung zu erinnern. 22. Lutheraner und Reformierte betonen im Zuge der Gerichtspredigt den Zusammenhang von Glauben und Taten der Barmherzigkeit und mahnen die Notwendigkeit des Tuns solcher Liebeswerke auch intrakonfessionell an. 23. Es bestehen Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen den Interpretationen von Mt 25,31– 46 bzw. bezüglich der Behandlung der Gerichtsthematik, zum Beispiel in Bezug auf Christi Parusie, den doppelten Ausgang des Letzten Gerichts, den Aufruf zu Buße und Sittlichkeit, die grundsätzliche Zurückweisung der Leugner des Endgerichts, die Notwendigkeit der Wiedervereinigung der Seelen mit den Körpern vor dem Endgericht nach dem Gericht über den Einzelnen etc. Nicht nur die Katholiken, sondern auch die Protestanten rufen im Kontext der Rede vom Jüngsten Gericht dazu auf, konkret genannte (Haupt‐) Laster (sogenannte Todsünden) wie Geiz, Hochmut, Zorn etc. zu meiden und weisen darauf hin, dass erst der himmlische Richter das corpus permixtum der

8 Zusammenfassung

299

irdischen Kirche sortieren wird. Konfessionsübergreifend werden Auffassungen abgelehnt, welchen zufolge jede Konfession bzw. Religion zur ewigen Seligkeit führt. 24. Die Gerichtspredigt kann sehr wohl auch mit interkonfessioneller Polemik verbunden werden. Insofern erweist sich ihr Zweck als moralisch-korrektiv und interkonfessionell-polemisch bzw. kontroverstheologisch. Bei dem Reformierten Georg Spindler und dem Lutheraner Valerius Herberger beispielsweise zeigen sich negativ-interkonfessionelle Bezüge (etwa die für Protestanten typischen Vorwürfe an die Katholiken, zu spekulativ über die novissima zu schreiben). Noch deutlicher wird dies bei dem Katholiken Jakob Feucht, welcher (gewissermaßen als gegenreformatorische Strategie) die Gerichtspredigt explizit zur antiprotestantischen Polemik erklärt. Ihm zufolge zeigt die Auslegung der Perikope Mt 25,31– 46, dass die Lutheraner, welchen er vorwirft zu lehren, ein Christ könne ohne gute Werke im Gericht bestehen und habe keinerlei Liebeswerke nötig, unbiblische und unmoralische neue Irrlehren vertreten. Feucht betont demgegenüber die Notwendigkeit des Tuns guter Werke, womit er subjektiv gegen die Lutheraner polemisiert, objektiv betrachtet grundsätzlich aber mit ihnen übereinstimmt, und erklärt allein und speziell den katholischen Glauben zum Weg des Heils. Mitunter wird die lutherische Lehre im Kontext der Gerichtspredigt von katholischen Predigern gar wie eine Allversöhnungslehre beschrieben. 25. Weitere interkonfessionelle Streitfälle im Kontext der Gerichtsthematik betreffen etwa die Fragen, ob einzelne Individuen oder Gruppen vom Gericht ausgenommen sind oder ob Christus auch seiner menschlichen Natur nach das Gericht vollziehen werde. 26. In den Gerichtspredigten zeigen sich exemplarisch auch grundsätzliche Übereinstimmungen zwischen zwei der drei Konfessionen. Katholiken und Lutheraner lehnen die Lehre einer doppelten Prädestination ab, wenngleich die Katholiken dabei die Möglichkeit der Mitwirkung des Christen an seiner Seligkeit stärker hervorheben als die Lutheraner. Zudem verwerfen die Protestanten gemeinsam die Fegefeuerkonzeption sowie die Vorstellung, man könne sich unabhängig vom Glauben den Freispruch im Jüngsten Gericht durch gute Werke erwerben. Auch in den Predigten findet sich bei Lutheranern und Reformierten (jedoch auch einzelnen Katholiken) keine Vorstellung einer dubitatio perpetua. Allerdings kann bei den Reformierten im Kontext der Gerichtspredigt der Trost der Heilsgewissheit für die wahren Glaubenden anders als bei den Lutheranern mit der Lehre der doppelten Prädestination verbunden werden – wenngleich diese zu vertreten nicht bedeutet, dass Aufrufe zu Buße und Sittlichkeit entfallen. 27. Es ist ein Beispiel von negativer Interkonfessionalität, dass der Gegenreformator Feucht als ein Motiv zur Produktion seiner Predigtpostillen angibt, ka-

300

8 Zusammenfassung

tholische Predigtsammlungen in Umlauf zu bringen, damit die Leserschaft nicht auf lutherische Postillen zurückgreifen möge. 28. In lutherischen und katholischen Leichenpredigten wird gelegentlich das Letzte Gericht thematisiert. Die Lebenden werden im Kontext von Tod und Gericht zu christlich-sittlichem Lebenswandel aufgerufen. Lutherische Leichenprediger betonen demgegenüber jedoch eher als katholische die Heilsgewissheit, dass der Glaubende nicht das verdammliche Urteil im Endgericht zu fürchten braucht, und spenden so den Hörern Trost. Mitunter wird von den Lutheranern die Möglichkeit der Verdammnis in den Ausführungen schlicht unerwähnt gelassen. Eine mögliche und konfessionsspezifische Troststrategie der römisch-katholischen Prediger besteht darin, auf das Fegefeuer zu verweisen, welches letztendlich ebenfalls einen Weg zur Seligkeit darstelle und den Hinterbliebenen die Möglichkeit biete, den verstorbenen Angehörigen zu helfen, indem durch entsprechende Praktiken die Zeit der Seele im Purgatorium zu verkürzen sei. Dabei wird mitunter auch die Hilfe von Heiligen thematisiert. Generell darf es als konfessionsübergreifendes Anliegen bezeichnet werden, die Christen auf die Letzten Dinge vorzubereiten. Gleichwohl findet sich selbst in Leichenpredigten mitunter interkonfessionelle Polemik. 29. In Gattungen wie Predigt und geistlicher Dichtung zeigen sich kunstvolle Ausgestaltungen der Gerichtsthematik nicht nur bei römisch-katholischen Autoren. Bereits Luther verwendete sprachlich bildreiche Beschreibungen, um die Geschehnisse des Jüngsten Tages in Aussicht zu stellen. Collagen biblischer Texte, orationes fictae, Höllenschilderungen etc. kommen konfessionsübergreifend zum Einsatz. Auch von Gemälden bekannte Details wie den Regenbogenthron Christi erwähnen die Autoren. Mitunter äußern die Reformatoren bzw. Protestanten jedoch Kritik an unbiblischen Details bildhafter Darstellungen. 30. Nicht allein die Katholiken, sondern ebenfalls die Reformatoren bzw. die Protestanten richten ihre Mahnungen im Kontext der Rede vom Jüngsten Gericht auch an die Obrigkeiten. Somit zeigt sich, dass etwa die Lutheraner keineswegs stets stillschweigend den Herrschenden treu zu Diensten standen, sondern sich auch in der Pflicht sahen, Kritik an der Obrigkeit zu äußern, etwa mit Blick auf moralische Missstände und die Vernachlässigung der finanziellen Unterstützung der Kirche. Die Herrscher werden ferner sowohl von katholischen als auch lutherischen Theologen mitunter danach beurteilt, ob sie sich für die rechte Konfession eingesetzt haben. Allerdings betonen die Theologen der drei Konfessionen zugleich, dass sich Menschen jeden Standes, Geschlechts, jeder Herkunft etc. vor dem himmlischen Richter werden verantworten müssen. 31. Die frühneuzeitlichen Exegeten protestantischer und katholischer Konfession thematisieren in den Kommentaren über Apk 20,11– 15 das Jüngste Gericht, zeigen jedoch über die Konfessionsgrenzen hinweg unterschiedlich viel

8 Zusammenfassung

301

Interesse an diesem Textabschnitt. Während etwa David Chyträus die Gerichtsthematik ins Zentrum stellt und als Hauptthema des Kapitels benennt, tendieren andere Ausleger dazu, sich vor allem den enigmatischen Versen zuvor zu widmen und das Jüngste Gericht nur knapp zu behandeln. Mitunter wird die reformatorische Bewegung in den lutherischen und reformierten Apk-Kommentaren als Teil der Heilsgeschichte am Ende der Weltzeit beschrieben. Auch in den exegetischen Kommentaren sollen die Leugner des Endgerichts als im Irrtum befindlich gezeigt werden – so beginnen die Auslegungen zum Endgericht wie auch die Predigten oft mit dem Erweis bzw. der Feststellung, es werde gewiss ein Jüngstes Gericht geben. 32. Bestimmte Detailfragen der Auslegung bedürfen keiner eindeutigen Entscheidung bzw. werden auch intrakonfessionell unterschiedlich beantwortet. Die katholischen Ausleger tendieren beispielsweise im Gegensatz zu den Lutheranern eher dazu, den Ort des Gerichts konkret im Tal Josaphat zu lokalisieren (die Lokalisierung der Hölle lehnen Lutheraner und Reformierte in der Regel ab), doch auch dies trifft nicht auf alle Ausleger zu und kann (wenngleich seltener) auch von Lutheranern erwogen werden. Auch die im Gerichtsprozess zur Verwendung kommenden Bücher werden unterschiedlich gedeutet. In solchen Fällen können die Ausleger auch mehrere Varianten nebeneinander stellen bzw. diskutieren. Sich im Kontext der Auslegung von Apk 20,12 mit der Frage nach dem Verbleib ungetauft gestorbener Kinder zu befassen, scheint ein eher katholisches Phänomen zu sein, wobei die Frage nicht einheitlich beantwortet wird. 33. Gerade im Luthertum herrscht eine Naherwartung des Jüngsten Tages vor. Gleichwohl besteht eine gewisse Spannung: Den lutherischen Theologen ist durchaus bewusst, dass heterodoxe, spiritualistische Individuen oder Gruppen, welche das Weltende auf Tag und Stunde genau berechnen und zugleich die Bevölkerung aufrufen, angesichts dessen ihre sozialen Gefüge zu verlassen und ihren Besitz aufzugeben, eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der finanziellen Absicherung der Menschen darstellen. Daher polemisieren die orthodoxen Lutheraner gegen derartige (auch von den Katholiken abgelehnte) nonkonformistische Unternehmungen und kritisieren die Berechnung des genauen Tages des Weltgerichts unter Berufung auf loci classici wie Mk 13,32. Gleichwohl halten sie an der Naherwartung der Parusie Christi fest (wie prinzipiell auch die Reformierten) und befassen sich gelegentlich mit Überlegungen bezüglich des Jahres des Weltendes. 34. Die Ablehnung der genauen Terminierbarkeit des Jüngsten Gerichts stellt dennoch grundsätzlich eine transkonfessionelle Gemeinsamkeit zwischen den drei Konfessionen dar, wenngleich gerade im katholischen Bereich die Naherwartung nicht in dem Maße präsent ist wie bei den lutherischen Autoren und die Katholiken den Lutheranern Terminspekulationen als genuin protestantischen Fehler vorwerfen.

302

8 Zusammenfassung

35. Konfessionsübergreifend wird darauf hingewiesen, dass der Jüngste Tag an einem unbekannten (aber möglicherweise nahen) Tag und plötzlich anbricht. Dies lässt sich auch als Teil einer rhetorischen Strategie verstehen: Da zur Besserung des Lebens angesichts des Weltendes aufgerufen wird, der Termin allerdings nicht bekannt ist, werden Nähe und Plötzlichkeit des Eintreffens des Letzten Gerichts betont und geistliche Wachsamkeit angemahnt. Dies soll verhindern, dass die Adressaten die von den drei Konfessionen betonte Möglichkeit, ihr Leben noch bessern zu können, in der Weise missverstehen, als könne man sich bis zu einer später in Angriff zu nehmenden Besserung des Lebens weltlich-sündhaften Genüssen hingeben. Einerseits kann also je nach Kontext die Möglichkeit, sich noch immer büßend zu Gott hinwenden zu dürfen, im Vordergrund stehen, andererseits schärfen die Autoren transkonfessionell den Adressaten auch die zeitliche Begrenzung dieser Möglichkeit ein. 36. Wenngleich im katholischen Bereich insgesamt weniger Endzeitstimmung zu konstatieren sein mag, so ist doch beispielsweise mit der Interpretation der internationalen Mission der Jesuiten als eines konfessionell aufgeladenen Endzeitvorzeichens (das Evangelium wird an allen Enden der Erde verbreitet werden) auch ein ausgeprägtes Bewusstsein der Endzeit zu konstatieren. Den biblischen Vorlagen wie Mt 24 entsprechend kann auch etwa ein kriegerisches Geschehen als Zeichen der Endzeit gewertet werden. Die Lutheraner zeigen ohnehin ein großes Interesse an Phänomenen, welche zeichenhaft auf das baldige Ende der Welt gedeutet werden. 37. Die katholische Weltmission würdigt etwa der Lutheraner Philipp Nicolai, sofern sie dazu dient, das Reich Christi global zu etablieren. Zugleich kritisiert er dabei jedoch die katholischen Lehren und Praktiken im Speziellen. 38. Transkonfessionell wird von Katholiken und Protestanten im Kontext der Auslegung von Apk 20 der Millenarismus zurückgewiesen. Erwartungen eines irdischen Reichs der Christen lassen sich nicht nur bei (teils militanten) Nonkonformisten, sondern auch später bei radikalen Pietisten um das Jahr 1700 nachweisen und können mit der Annahme eines vom Endgericht zu unterscheidenden göttlichen Gerichts zu Beginn des Millenniums-Reiches verbunden werden. Dabei tendieren die Millenaristen dazu, Apk 20 buchstäblich zu verstehen. Transkonfessionell zeigen sich hingegen häufig geistliche Deutungen, wenn es etwa um die Interpretation der ersten Auferstehung geht. Das Millennium wird hierbei meist als abgeschlossene oder andauernde geschichtliche Zeitspanne angesehen. 39. Bereits Luther hatte das Weltende in Bälde erwartet, dessen genaue Berechnung jedoch abgelehnt. Auch seine Schrift supputatio annorum mundi ist kein Beleg für sein Interesse an der genauen Bestimmung des Datums des Letzten Tages, sondern wehrt durch eine konsequente Historisierung des Millenniums

8 Zusammenfassung

303

den Spekulationen über ein hereinbrechendes irdisches Christenreich. In der Vorrede zur Apk kommt der Reformator nicht auf das Jüngste Gericht zu sprechen, wohl aber thematisiert er im Zusammenhang mit der Apk Papsttum und ‚Türken‘ als Endzeitzeichen. Sein zunächst ablehnendes Urteil über die Johannesoffenbarung revidierte Luther 1530. 40. Bereits in Luthers Septembertestament von 1522 finden sich Holzschnitte zum Buch der Offenbarung. Diese Motive wurden auch in Bibeldrucke bzw. Ausgaben des Neuen Testaments sowohl der werdenden katholischen als auch der reformierten Konfession aufgenommen, wobei einige Modifikationen erfolgten, um die Darstellungen für die jeweiligen Adressaten akzeptabel zu machen. Das Heranziehen von Bildmedien erwies sich hierbei als für die Fragestellung lohnend, um die interkonfessionellen Phänomene im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit Apk 20 vollständiger in den Blick zu nehmen. 41. Transkonfessionell greifen die Exegeten in ihren Auslegungen von Apk 20 auf präkonfessionelle Texte – etwa Augustins – zurück, wenngleich sich in den hier untersuchten Schriften katholischer Autoren deutlich häufiger explizite Bezugnahmen auf Augustins zwanzigstes Buch der Schrift De Civitate Dei zeigen. 42. Interkonfessionelle Polemik ist zwar nicht das Hauptanliegen der ApkKommentare, findet sich allerdings immer wieder bei Autoren der drei Konfessionen. Konfessionell gefärbte Polemik in Apk-Kommentierungen zeigt sich unter anderem in Form der Kritik an päpstlichem Machtstreben im Zusammenhang der Kreuzzugsthematik. Die katholische Kontroverstheologie kann beispielsweise sowohl in der Zurückweisung der protestantischen Vorwürfe als auch in Kritik an protestantischer Naherwartung und Verortungen der reformatorischen Bewegung innerhalb der Heilsgeschichte sowie in persönlicher Schmähung von Reformatoren bestehen. 43. In der Auslegung von Apk 20 polemisieren Lutheraner und Reformierte transkonfessionell gegen den als offenbarten Antichrist verstandenen Papst. Das Motiv der Antichristpolemik in Verbindung mit dem Papsttum muss jedoch als präkonfessionell gelten und findet sich bereits etwa in Texten von FranziskanerSpiritualen im Mittelalter. Die Protestanten der Frühen Neuzeit können im neuen Kontext seit der Reformationszeit daran anknüpfen. Den römischen Katholiken, welche die protestantische Identifikation von Papst und Antichrist scharf zurückweisen, gilt der Widerchrist in der Regel als noch nicht offenbart. So wird zumeist nicht etwa ein bestimmter Reformator mit dem endzeitlichen Christenfeind gleichgesetzt, sondern die Protestanten als Vorläufer desselben bezeichnet. 44. Transkonfessionell wird im Zuge der Auslegungen von Apk 20 auch die Angst vor der Bedrohung durch die Osmanen deutlich. 45. Die frühneuzeitlichen Apk-Kommentare sind keineswegs als ‚vormodern‘unwissenschaftliche ‚Vorläufer‘ moderner historisch-kritischer Exegese anzuse-

304

8 Zusammenfassung

hen; vielmehr sind sie Ausdruck der gelehrten Bibelforschung ihrer Zeit und zeugen – wie auch beispielsweise Salomon Glassius‘ Philologia sacra – von hermeneutisch-wissenschaftlicher Ausrichtung und ausgeprägter philologischer Kompetenz der Autoren. 46. Die Thematik des Endgerichts lässt sich auch in lyrischen Texten geistlicher Dichter verschiedener konfessioneller Provenienz nachweisen. Hierbei werden auch im Medium der Lyrik gelehrte Beiträge zur Exegese der Heiligen Schrift geleistet. Die lutherischen Schriftsteller orientieren sich dabei konsequent an der Heiligen Schrift und den einschlägigen Auslegungstraditionen, schildern in diesem Kontext jedoch um willen der amplificatio auch bildreiche Szenarien der novissima und machen (wie auch in Predigten) den Adressaten mitunter ‚die Hölle heiß‘. Wiederum erweist sich Mt 25,31– 46 als zentraler Text im Zusammenhang der Dichtung zur Gerichtsthematik; zudem werden die geistlichen Dichter etwa von Apk 20,11– 15 sowie der Rede vom Tag des Zorns inspiriert. 47. Hölle und Himmel werden von den protestantischen Autoren in der Regel nicht als räumlich lokalisierbar gedacht, gleichwohl eröffnen sich besonders in lyrischen Texten höllische und himmlische Sprach-Räume. 48. Die frühneuzeitlichen Dichter erweisen sich als poetae docti, welche nicht nur bestens mit der Lehre vom Jüngsten Gericht vertraut sind, sondern diese auch lyrisch zuspitzen und ver-dichten. 49. Auch in lyrischen Texten zeigen sich unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten der Gerichtsthematik: In geistlichen Liedern, welche der Erbauung der Glaubenden dienen sollen, zeigt sich beispielsweise, dass ganz der Trostaspekt dominieren kann. 50. Der Lutheraner Bartholomäus Ringwaldt etwa stellt in seinem berühmten Lied Es ist gewißlich an der Zeit in Übereinstimmung mit Luther heraus, dass die Überwindung der Hölle (auf Erden und in Ewigkeit) nur durch das Ergreifen Christi im Glauben möglich ist und dass dem Glaubenden das Weltgericht kontrafaktisch kein Tag des Zorns, sondern der Freude sein wird. Auch die Aussagen über Christus als den gerichteten Richter und die Beachtung der Werke im Gericht bei den Lutheranern decken sich weitgehend mit Luthers Ansichten. 51. Es lassen sich auch Spezifika geistlicher Dichtung katholischer Provenienz ausmachen: Die Beisitzer im Gericht beispielsweise werden in der Regel dergestalt beschrieben, dass sie keine eigene Richtkompetenz besitzen, da es allein Christus gebührt, das Urteil zu fällen. Gleichwohl spricht etwa der Katholik Scheffler in diesem Zusammenhang davon, dass Christus das Urteil der Beisitzer, deren Verdienste er hervorhebt, bestätigen werde. Es sind die Katholiken, die sich (auch in Predigten) bei der Beschreibung des Jüngsten Gerichts eher an die biblische Vorlage von Mt 25,31– 46 halten, während die Lutheraner beispielsweise die Reihenfolge der Verse des biblischen Textes in ihren Ausführungen ändern.

8 Zusammenfassung

305

52. Die eindringlichen Beschreibungen der Letzten Dinge, welche mitunter (wie im Fall von Ringwaldts Christlicher Warnung) auch mit humoristischen Elementen angereichert werden können, faszinieren nicht nur durch eine Ästhetik des Schreckens, sondern transportieren, auf die Affekte einwirkend (movere), theologische Einsichten und können geistlich belehren (docere). Den Glaubenden wird zudem die meditative Vertiefung in die Thematik des Letzten Gerichts ermöglicht. Die fortwährende Beschäftigung mit der Thematik des Endgerichts, aus der ein christlicher Lebenswandel auf Erden resultiert, darf grundsätzlich als transkonfessionelles Anliegen bezeichnet werden. 53. Am Beispiel geistlicher Dichtung zeigt sich, dass mit der Rede vom Endgericht verbundene Strategien, welche auf Buße abzielen, nicht auf direkte appellierende Anrede an den Adressaten beschränkt sind, sondern etwa auch darin bestehen können, am Beispiel fiktiver Dritter ‚höllische Fehler‘ vermeiden zu lernen. 54. Neben tröstlichen Worten kann bei Lutheranern wie Katholiken das Moment der Drohung in den Vordergrund treten. Auch in Predigten, Erbauungsliteratur sowie lyrischen Texten findet sich Polemik sowohl gegenüber rationalistischen Kritikern der Lehre der ewigen Höllenstrafen als auch gegenüber einer oft als Epikureer bezeichneten, auf irdische Lüste ausgerichteten und an Glaubensinhalten bzw. Frömmigkeit nicht interessierten diffusen Gruppe bzw. Klasse von Menschen. Diese leugneten, ohne eine systematisierte Kritik vorzutragen, die Existenz des Jüngsten Gerichts durch ihren Lebensstil und Spott und beriefen sich dafür möglicherweise auf das Heilswerk Christi. 55. Wenngleich für sie nur ewiges Heil und ewige Verdammnis mögliche Ausgänge des Endgerichts darstellen, kennen nicht nur Katholiken, sondern auch Lutheraner den Gedanken, dass es graduelle Unterschiede der (bleibend individuell je einzigartigen) Auferstandenen geben werde, was etwa das Maß an himmlischem Glanz angeht, wobei die lutherischen Autoren umso mehr darauf bedacht sind, nicht von einem Verdienst, sondern von einem Gnadenlohn zu sprechen. 56. Die bildgewaltigen Schilderungen von Auferstehung, Gericht und Hölle, welche sowohl bei Katholiken als auch bei Lutheranern begegnen, sind mitunter inspiriert von Artefakten aus dem Bereich der bildenden Künste sowie von Texten anderer Autoren – der Lutheraner Andreas Gryphius rezipiert beispielsweise interkonfessionell Gedichte des Jesuiten Jacob Balde. Auch in den exegetischen Kommentaren und Predigtpostillen finden sich mitunter Druckgraphiken, welche das Jüngste Gericht – auch in protestantischen Drucken mit Elementen wie Regenbogenthron, Lilie und Schwert, Deesis etc. – darstellen. Selbst frühneuzeitliche Kaminverzierungen konnten die Besitzer ihrer sozialen Verantwortung und der Letzten Dinge erinnern.

306

8 Zusammenfassung

57. Die lyrischen Sprachbilder bieten den frühneuzeitlichen Dichtern zufolge einen Vorgeschmack auf Himmel und Hölle. 58. Gerade in lyrischen und erbaulichen Texten zeigt sich, dass die Seligen im Himmel als schön, die Verdammten als hässlich – im Sinne von ästhetischen Kategorien – beschrieben werden, unabhängig von der Konfession der Autoren. 59. Das Jüngste Gericht hat den Theologen der drei Konfessionen zufolge sowohl individuelle als auch kollektive bzw. relationale Dimensionen, wie sich daran zeigt, dass mitunter das Schicksal verstorbener Angehöriger etc. thematisiert wird. Vor allem der Himmel wird als nicht durch Erfahrung individuellen Glücks, sondern seliger Gemeinschaft gekennzeichnet beschrieben. 60. Einerseits darf es als konfessionsübergreifendes Phänomen gelten, dass Theologen in der Frühen Neuzeit Hexenverfolgungen, -prozesse sowie Folterungen und Hinrichtungen mutmaßlicher Zauberinnen und Zauberer befürworteten und theologisch zu begründen suchten. Andererseits zeigt sich, dass fundamentale Kritik an Hexenprozessen von Theologen römisch-katholischer, reformierter und lutherischer Konfession bereits vor der Aufklärung (und zwar auf der Grundlage theologischer Argumente) geübt wurde und in dieser Angelegenheit die Trennlinien nicht entlang von Konfessionsgrenzen verlaufen. Zentral sind hierbei Schriften Friedrich Spees von Langenfeld, des Reformierten Anton Praetorius und des Lutheraners Johann Matthäus Meyfart, dessen ohnehin großes Interesse an der Thematik des Letzten Gerichts sich auch in diesem Zusammenhang konkret politisch und alltagsbezogen niederschlägt. 61. Das Theologumenon des Jüngsten Gerichts wird für die Kritik an den Hexenverfolgungen eingesetzt und stellt einen zentralen Ausgangspunkt für die transkonfessionellen Argumentationen dar:Vor dem himmlischen Richter werden sich alle Herrscher und Richter (aber auch Seelsorger, Theologen etc.) verantworten müssen und sind daher aufgefordert, die Fälle sorgfältig zu prüfen, gerecht zu entscheiden und von Folterungen abzusehen. Dafür kann auch Mt 12,36 herangezogen werden. Den unschuldig verurteilten Opfern werde – was auch als Trost für diese zu verstehen ist – das Jüngste Gericht endlich zu Gerechtigkeit verhelfen. Unter Verweis auf Mt 13,24– 30 (gelegentlich auch Gen 18,22– 32) lautet ein weiteres Argument, es sei im Zweifelsfall besser, Schuldige zu verschonen als Unschuldige samt der Schuldigen hinzurichten; aufzudecken, wer wirklich der Zauberei schuldig gewesen sein mag, sowie die (letzte) Strafe auszuführen, gebühre in diesen Belangen allein Gott im Endgericht. 62. Die Drohung mit Partikular- und Universalgericht (so etwa bei Meyfart) dient dazu, einerseits die individuelle Rechenschaftspflicht, andererseits die Dimension der sozialen Verantwortung des Menschen zu betonen. 63. Die mit der Gerichtsdrohung verbundene Kritik gilt konfessionsunabhängig Theologen und Geistlichen, die Aberglauben nicht Einhalt gebieten, Fol-

8 Zusammenfassung

307

terungen befürworten, Regenten und Richter nicht ermahnen oder selbst Gräueltaten an den Inhaftierten verüben. Auch wird jenen, die Unschuldige aus niederen Beweggründen denunzieren, sowie allen an Prozessen, Haft, Folter etc. Beteiligten mit dem Letzten Gericht gedroht. In besonderer Weise zeigt sich hier überdies auch die obrigkeitskritische Funktion theologischer Rede vom Jüngsten Gericht. Die Autoren drängen darauf, dass sich die verantwortlichen Herrscher ein Bild davon machen, wie die Prozesse vonstatten gehen, achtsam vorgehen und Sachverhalte gründlich prüfen (lassen). Dies entspreche der Aufgabe der weltlichen Obrigkeit, wobei über die rechte Wahrnehmung dieser Verantwortung im Endgericht entschieden werde. 64. Es ist kein Zufall, dass in frühneuzeitlichen Gerichtsstätten häufig bildliche Darstellungen des Jüngsten Gerichts zu finden waren. So wurden nicht nur die Beklagten und die Zeugen, sondern auch die Richter an ihre Verantwortung vor Gott erinnert. Im Gegenüber zur vollkommenen Gerechtigkeit und Allwissenheit des himmlischen Richters sollen die menschlichen Richter erkennen, dass sie nicht unfehlbar sind. Zugleich wird das schlechthin gerechte göttliche Gericht zum Vorbild für irdische Justiz, von der Gerechtigkeit, Unbestechlichkeit und Verzicht auf Ansehen der Person gefordert wird. 65. Tatsächlich stellten betrügerische Wahrsager, Scharlatane etc. eine gewisse Bedrohung für die Menschen dar, sofern sie sie mit ihren abergläubischen Praktiken in Angst versetzten und ihres Geldes beraubten – weswegen diesen Hochstaplern (sowie den Konsumenten abergläubischer Praktiken) auch von den Kritikern der Hexenprozesse mit dem Letzten Gericht und der Hölle gedroht wurde. 66. Interkonfessionelle Polemik findet sich in diesen hexenprozesskritischen Schriften auch, doch in eher geringem Maße. Stärkeres Augenmerk wird auf die Überwindung intrakonfessioneller Missstände gerichtet. Es zeigen sich intra- und interkonfessionelle Bezugnahmen positiver Art wie auch Interaktionen zwischen Gegnern der Hexenprozesse, der Reformierte Praetorius etwa integriert den Text eines Gutachtens gleichgesinnter lutherischer Theologen über die Frage der Hexerei(prozesse) in sein Buch gegen die Hexenverfolgungen. So können um willen des gemeinsamen (als Ausdruck rechten gemeinchristlichen Glaubens verstandenen) Einsatzes gegen die Missstände konfessionelle Grenzen in den Hintergrund treten. 67. Nicht nur in Hexenschriften, sondern auch in Predigten und geistlicher Lyrik lässt sich das konfessionsübergreifende Vorgehen erkennen, die Leiden der Hölle unter Rückgriff auf irdische Foltermethoden zu schildern. 68. In Christian Thomasius‘ Argumentation gegen die Hexenverfolgungen tritt insofern eine deutliche Zäsur zutage, als er 1701 die Annahme von Zauberei als

308

8 Zusammenfassung

unvernünftigen Aberglauben radikal ablehnte und ohne den Verweis auf das Jüngste Gericht für die Abschaffung der Hexenprozesse plädierte. 69. Es trifft nicht zu, dass die Rede vom Jüngsten Gericht in der Frühen Neuzeit ausschließlich oder vorrangig der Sozialdisziplinierung diente bzw. dienen sollte. 70. Es zeigen sich vielmehr (auch konfessionsunabhängig) vielfältige, häufig begegnende und situativ bedingte Einsatzmöglichkeiten der Rede vom Letzten Gericht. Tröstlich sind etwa der Zuspruch an die Verfolgten bzw. in der Welt Leidenden, dass sie am Tage des Gerichts in die himmlischen Freuden eingehen werden, sowie der Hinweis auf ein Wiedersehen mit Angehörigen am Jüngsten Tag bzw. im Himmel. Dabei mag auch von einer Strategie der Trauerbewältigung gesprochen werden. 71. Im Zuge der Rede vom Endgericht wird auch konfessionsübergreifend häufig akzentuiert, dass jene, welche im Leben keine Gerechtigkeit erfuhren oder von Fehlurteilen betroffen waren, letztlich doch zu ihrem Recht kommen. Betont wird zudem, dass keine Taten und Äußerungen in Vergessenheit geraten und sämtliche Verbrechen aufgeklärt werden. Es mag auch als Troststrategie bezeichnet werden, wenn die Autoren den Adressaten in Aussicht stellen, im Endgericht über die Unterdrücker oder (konfessionellen) Gegner zu triumphieren. 72. Die Rede vom Jüngsten Gericht dient unter anderem dazu, menschlicher Selbstjustiz in geistlichen Fragen zu wehren und Gottes Souveränität zu wahren; keinem Menschen steht in geistlichen Dingen das letzte Urteil zu und wer kontrafaktisch Sünder oder Gerechter war, wird sich erst im Endgericht erweisen. 73. Die Rede vom Letzten Gericht wird dazu genutzt, diverse Lehrstücke der Theologie – etwa aus dem Bereich der Christologie – in eschatologischer Zuspitzung darzubieten. 74. Den frühneuzeitlichen Theologen zufolge wird (erst) der Jüngste Tag die ausstehende Vollendung bringen. Angesichts der bleibenden Unvollkommenheit dieser Welt bleibt die (ermunternde, lehrhafte, warnende, drohende) Gerichtspredigt bis zum Jüngsten Tag vonnöten. Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, im Letzten Gericht werde die Klärung aller theologischen Streitfragen zwischen den Konfessionen erfolgen. 75. Die Rede vom Jüngsten Gericht dient den Autoren zufolge überdies dem Zweck, falsche securitas zu überwinden und die Adressaten zu Besserung und Wohlleben zu animieren. Dafür wird meist (als didaktisches Mittel) ewige Strafe angedroht und zugleich ewiges Heil als Anreiz in Aussicht gestellt. Solche Drohungen können als Bestandteil der Fortschreibung der Fürstenspiegeltradition auch gegen Regenten gerichtet werden. Überdies werden Prediger (auch intrakonfessionell) aufgefordert, von den Letzten Dingen nicht zu schweigen und ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber dem himmlischen Richter zu gedenken.

8 Zusammenfassung

309

76. Im Zuge der Behandlung der Gerichtsthematik begegnen auch Drohungen, dass jene, die nicht der rechten Konfession bzw. Religion angehören, verdammt werden. Zudem findet sich die Rede vom Endgericht auch im Kontext konfessioneller Abgrenzung und Identitätsfindung. Andererseits können Aufrufe zu intrakonfessioneller Einheit und Irenik mit der Gerichtsthematik verbunden werden. 77. Die Beschäftigung mit der frühneuzeitlichen Rede vom Jüngsten Gericht hat bleibende Relevanz für die heutige Theologie und hilft, gegenwärtig möglicherweise in Vergessenheit geratene Aspekte der Gerichtsthematik wiederzuentdecken. Die in der Frühen Neuzeit wohldurchdachten Ausführungen zur Thematik des Endgerichts bieten die Chance, eschatologisch-theologisch sprachfähig zu bleiben. In einer Dichtung Ringwaldts beispielsweise zeigt sich in bemerkenswerter Weise die Vorstellung einer Versöhnung im Eschaton zwischen selbst solchen Glaubenden, welche einander schwerste Gewaltverbrechen angetan haben. Dieses Hoffnungsszenario birgt Potential auch im Hinblick auf die aktuelle theologische Beschäftigung mit der Rede vom Jüngsten Gericht. Die Beachtung von Gemeinsamkeiten und Eigenheiten der jeweiligen Konfessionen könnte darüber hinaus für heutige interkonfessionelle Dialoge von Nutzen sein. 78. Die Rede vom Jüngsten Gericht stellt auch heute Theologen vor die Aufgabe, über Versöhnung, aber auch über soziale Verantwortung zu reflektieren. Entgegen dem Trend, die Thematik von Letztem Gericht und Hölle in Theologie und Predigt zu marginalisieren, lohnt auch nach dem Reformationsjubiläum eine Vergegenwärtigung dessen, was die Reformatoren und die frühneuzeitlichen Theologen, deren Erbe wir antreten, in Bezug auf das Jüngste Gericht zu sagen wussten. 79. Die künftige Erforschung der frühneuzeitlichen Rede vom Jüngsten Gericht in inter- bzw. transkonfessioneller Perspektive könnte verstärkt auf lokale Phänomene oder Volksfrömmigkeit eingehen; sie sollte zudem den Blick auf die multimediale Präsenz der Gerichtsthematik sowie die intermedialen Zusammenhänge richten, da sich neben der Literatur auch das geistliche Spiel, Druckgraphiken sowie Gemälde und andere Artefakte, etwa Grabmäler, Musik etc. als der Untersuchung lohnend erwiesen haben.

Literaturverzeichnis 1 Quellen und Quellensammlungen Alcázar, Luis de: VESTIGATIO ARCANI SENSVS IN APOCALYPSI. […]. Antwerpen 1614. Angelus Silesius siehe Scheffler, Johannes. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014 (zit. BSELK). Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien. 2 Bde. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014 (zit. BSELK QuM). Biblia: Das ist/ Alle Bücher Alts vnd Newes Testaments: den vrsprünglichen sprachen nach auff das trewlichst verteütschet/ vnnd jetzt von newem wider vbersehen. Darzů ist kommen ein ordentliche abteilung aller Capiteln in gewisse Versicul/ sampt jedes Capitels außführlichen Summarien […]. Zürich 1596. [Biblia, Neues Testament 1522:] Das Newe Testament Deůtzsch. [Übers. von Martin Luther]. Wittenberg 1522. [Biblia, Neues Testament 1527:] Das naw testament nach lawt der Christlichen kirchen bewerten text/ corrigirt/ vnd wider umb zu recht gebracht. [Bearb. der Übers. Martin Luthers durch Hieronymus Emser]. Dresden 1527. [Biblia, Neues Testament 1528:] Das New Testament/ So durch L. Emser säligen verteuscht/ vnd des Durchlewchten Hochgebornen Fursten vnd herren Herren Georgen hertzogen zu Sachssen etc. Regiment vnd priuilegio außgangen ist. Leipzig 1528. Breitter, Melchior: Christliche Catholische Leichtpredig/ BEy der ansehenlichen Leicht vnnd Begräbnuß/ Weylandt deß Edlen vnnd Hochgelehrten Herrn/ Simperti Mörtzens […]. Ingolstadt 1613. Breitter, Melchior: Christliche/ Catholische Leichtpredig Bey der Volckreichen Leicht vnd Begräbnuß/ weyland der Edlen vnd Tugentreichen Frawen/ Anna Neusesserin […]. Ingolstadt 1608. Breitter, Melchior: Christliche vnd Catholische Leichtpredig/ BEy der hochkläglichen Besingnuß/ weyland der Durchleuchtigsten Fürstin/ vnd Frawen/ Frawen Mariae, Ertzhertzogin zu Oesterreich […]. Ingolstadt [1608]. Bullinger, Heinrich: Das Jüngste Gericht Vnsers Herren Jesu Christi/ wie er das werde halten über alle wält/ am letsten tag/ vß dem heiligen Euangelio Matthei am 25. capit. […]. Zürich 1555. Bullinger, Heinrich: Der Widertöufferen vrsprung/ fürgang/ Secten/ wäsen/ fürnemme vnd gemeine jrer leer Artickel/ ouch jre gründ/ vnd warumb sy sich absünderind/ vnnd ein eigne kirchen anrichtind/ mit widerlegung vnd antwort vff alle vnd yede jre gründ vnd artickel/ sampt Christenlichem bericht vnd vermanen daß sy jres irrthumbs vnd absünderens abstandind/ vnd sich mit der kirchen Christi vereinigind […]. Zürich 1560. Bullinger, Heinrich (Verf.) und Lavater, Ludwig (Übers.): Die Offenbarung Jesu Christi Anfangs durch den heiligen Engel Gottes/ Joanni dem säligen Apostel vnd Euangelisten geoffenbaret […]. Erstlich in Latin außgangen/ neüwlich aber durch Ludwig Lauater auff das einfaltigist in Teütsch vertolmetschet. […]. Mülhausen 1558. Chemnitz, Martin: Leichpredigt […] Vber der Leich des Edlen/ Ehrnuesten/ Erbarn vnd Gestrengen Junghern Cordes von Schweicholt Seligen/ Cordes auch Seligen Son […]. Heinrichstadt [= Wolfenbüttel] 1575. https://doi.org/10.1515/9783110617313-003

1 Quellen und Quellensammlungen

311

Chyträus, David: Auslegung Der Offenbarung Johannis […]. Rostock 1568. Cramer, Daniel: Apocalypsis, Oder Offenbarung S. Johannis/ Sampt einer richtigen Erklerung/ so wol wegen Historischer erfüllung aller vnd jeden hierin enthaltenen Geheimnussen/ wie auch Lehrn/ Besserungen/ Trost vnd Warnungen. […]. Alten Stettin 1618. Denck, Hans: Was geredt sey/ das die Schrifft sagt/ Gott thue vnd mache guts vnd böses. […]. [Worms] 1527 [11526]. Denck, Hans: Wid’ruff Vff die zehen artikel […]. [Worms] [1528]. Feucht, Jakob: POSTILLA CATHOLICA Euangeliorum de Sanctis totius Anni. Das ist: Catholische Außlegung aller Fest vnd Feyertäglichen Euangelien durch das gantze Jar […]. Teil 2,1. Köln 1597 [11578]. Feucht, Jakob: Sommertheil Der Kleinen Catholischen Postill […]. Darinnen kürtzlich vnd Catholisch/ alle Sontägliche Fest vnd Feyrtägliche Euangelien/ vom H. Pfingstfest/ biß auff das H. Aduent/ außgelegt werden. […]. Teil 1. Köln 1576. Feucht, Jakob: Vierzehen Catholische Leichpredigen/ zum theil/ vber der Besingnuß/ weyland des Hochwirdigen in Gott/ Fürsten vnd Herrn/ Herrn Friderichs/ Bischoffs zu Wirtzburg/ vnd Hertzogs in Francken etc. im Thumbstifft zu Bamberg: Zum theil/ in S. Martins Pfarkyrchen daselbsten/ gehalten. Jn welchen/ Gründtlich vnd außfürlich/ vom Fegfewr/ wort/ ort/ peen/ erlösung etc. desselbigen: Auch/ vom fürbitt der Verstorbenen/ von mitteln/ jnen zu helffen etc. gehandlet wirdt. […]. Köln 1574. Feucht, Jakob: Wintertheil Der Kleinen Catholischen Postill […]. Darinnen kürtzlich vnd Catholisch/ alle Sontägliche Fest vnd Feyertägliche Euangelien/ vom Aduent/ biß auff das H. Pfingstfest […] außgelegt werden. […]. Teil 1. Köln 1579. Gerhard, Johann: Erklährung der Historien des Leidens vnnd Sterbens vnsers HErrn Christi Jesu nach den vier Evangelisten (1611). Kritisch hrsg. und kommentiert von Johann Anselm Steiger. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002 (= Doctrina et Pietas I, 6). Gerhard, Johann: Loci Theologici […]. Hrsg. von Eduard Preuß. 9 Bde. und Registerbd. Berlin bzw. Leipzig 1863 – 1875. Gerhard, Johann: Postilla: Das ist: Außlegung vnd Erklärung der Sontäglichen vnd fürnembsten Fest=Evangelien/ vber das gantze Jahr. Auch etlicher schöner Sprüche heiliger Schrifft/ vornemlich dahin gerichtet/ daß wir Gottes Liebe vnd Christi Wolthaten erkennen/ auch am innerlichen Menschen seliglich zunehmen mögen. […]. Jena 1616 [11613]. Gerhard, Johann: Postilla: Das ist/ ERklärung der Sontäglichen vnd fürnehmesten Fest=Euangelien/ vber das gantze Jahr. […]. Teil 2. Jena 1613. Glassius, Salomon: PHILOLOGIA SACRA, QUA TOTIUS SS. VETERIS ET NOVI TESTAMENTI SCRIPTURAE TUM STYLUS ET LITERATURA, TUM SENSUS ET GENUINAE INTERPRETATIONIS RATIO ET DOCTRINA LIBRIS QUINQUE expenditur ac traditur […]. Leipzig 1713 [11623 – 1636]. Grotius, Hugo: ANNOTATIONVM IN NOVVM TESTAMENTVM […]. Teil 3. Paris 1650. Gryphius, Andreas: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd. 3. Vermischte Gedichte. Hrsg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1964 (= Neudrucke deutscher Literaturwerke. Neue Folge 11). [Gühler, Martin]: Apocalypsis RESERATA das ist/ Geöffnete Offenbarung Johannis […]. Christianstat [= Elbing] 1653. Helding, Michael: IONAS PROPHETA. Etliche Christliche vnd nütze Predige auß dem Propheten Jona. Vnder denen Ein Christlicher Bericht auß Gottes wort/ von guten wercken/ zu disen zeiten nützlich zulesen. […]. Mainz 1558.

312

Literaturverzeichnis

Helnig, Mauritius u. a.: Gründtlicher Bericht/ was von der Zauberey vnd Hexenwerck zu halten sey: Einhellige Antwort der Hochgelehrten Theologen vnnd Predicanten zu Nürnberg […]. In: Anton Praetorius: Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht. Darinn der grawsamen Menschen thöriges/ feindseliges/ schändliches vornemmen: Vnd wie Christliche Oberkeit in rechter Amptspflege jhnen begegnen/ jhr Werck straffen/ auffheben/ vnd hinderen solle/ vnd könne. […]. Hiezu ist gesetzet Der Theologen zu Nürnberg gantz Christlich Bedencken/ vnd Warhafftig Vrtheil von Zauberey vnd Hexenwerck. Heidelberg 1613 [11603], S. [315]–334. Herberger, Valerius: Epistolische HertzPostilla […]. Teil 1. Leipzig 1693. Herberger, Valerius: Evangelische HertzPostilla […]. Teil 1. Leipzig 1691. Hütter, Leonhard: Compendium locorum theologicorum ex Scripturis Sacris et Libro Concordiae. Lateinisch – deutsch – englisch. Kritisch hrsg., kommentiert und mit einem Nachwort sowie einer Bibliographie sämtlicher Drucke des Compendium versehen von Johann Anselm Steiger. 2 Teilbde. Stuttgart-Bad Cannstatt 2006 (= Doctrina et Pietas II, 3). Hut, Hans (Verf.) und Landtsperger, Johannes (Hrsg.): Ain christliche underrichtung […]. [Augsburg] 1527. Kautz, Jakob (Verf.), Preu, Ulrich (Verf.), Freiherr, Johann (Verf.) und Cochläus, Johannes (Verf. und Hrsg.): Syben Artickel zu Wormbs von Jacob Kautzen angeschlagen vnnd gepredigt. Verworffen vnd widerlegt mit schrifften vnnd vrsachen […]. [Mainz] 1527. Khuen, Johannes: GAVDIA PASTORVM, SchäfferFrewd/ Oder Triumph der Geistlichen Schäfferey/ Von vilerley Newen Gesänglein. […]. München 1655. Khuen, Johannes: Tabernacula PASTORVM Die Geistliche Schäfferey/ Mit villerley Newen Gesänglein. […]. München 1650. Lapide, Cornelius a: COMMENTARIA IN APOCALYPSIN S. IOHANNIS APOSTOLI. In: Ders.: COMMENTARIA IN ACTA APOSTOLORVM, EPISTOLAS CANONICAS, ET APOCALYPSIN. […]. Antwerpen 1627. Lomessen, Hubert (Verf.), Caster, Hubert von (Hrsg.): Newe außerlesene Lehrreiche Postilla/ Oder Außlegung der Dominical/ auch Fest vnd Feyrtäglicher Euangelien durchs gantze Jahr […]. Nunmehr aber durch den Ehrwürdigen Herrn Hvbertvm à Caster […] in diese ordnung zusammen gebracht […]. Teil 2. Köln 1624. Lüdemann, Daniel: Jüngstes Gericht. […]. Nürnberg 1650. Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe. 73 Bde. Weimar 1883 – 2009 (zit. WA). Luther, Martin: Die Deutsche Bibel. 12 Bde. Weimar 1906 – 1961 (zit. WA DB). Menius, Justus: Der Widdertauffer lere vnd geheimnis/ aus heiliger schrifft widderlegt/ Mit einer schönen Vorrede/ Martini Luther. […]. Wittenberg 1530. Meyfart, Johann Matthäus: Christliche Erinnerung/ An Gewaltige Regenten/ vnd Gewissenhaffte Praedicanten/ wie das abschewliche Laster der Hexerey mit Ernst außzurotten/ aber in Verfolgung desselbigen auff Cantzeln vnd in Gerichtsheusern sehr bescheidentlich zu handeln sey […]. Erfurt u. a. 1636 [11635]. Meyfart, Johann Matthäus: Das Jüngste Gericht in zweyen Büchern/ Auff Historische weise auß den inbrünstigsten vnd andächtigsten Contemplationen, so wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. Nürnberg 1632. Meyfart, Johann Matthäus: Von Dem Hellischen Sodoma/ Auff Historische Weise/ ohn alle Streitsachen/ Aus den inbrünstigsten vnd andächtigsten Contemplationen, So wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. 2. Buch. Coburg 1630.

1 Quellen und Quellensammlungen

313

Meyfart, Johann Matthäus: Von dem Himlischen Jerusalem/ Auff Historische weise/ ohn alle Streitsachen/ Auß den holdseligsten vnd frölichsten Contemplationen, so wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. 1. Buch. Nürnberg 1633 [11627]. Meyfart, Johann Matthäus: Von dem Himlischen Jerusalem/ Auff Historische weise/ ohn alle Streitsachen/ Auß den holdseligsten vnd frölichsten Contemplationen, so wol Alter als Newer/ doch gelehrter Vätter vnd Männer beschrieben […]. 2. Buch. Nürnberg 1633 [11627]. Napier, John: A PLAINE DIScouery of the whole Reuelation of Saint Iohn: set downe in two treatises […]. Edinburgh 1593. Nicolai, Philipp (Verf.) und Arthus, Gotthard (Übers.): Historia deß Reichs Christi: Das ist: Gründtliche Beschreibung der wundersammen Erweitertung/ seltzamen Glücks/ vnd gewisser bestimpter Zeit der Kirchen Christi im Neuwen Testament/ wie dieselbe an allen Orten in der Welt wirdt gepflantzet/ vnd von Jüden/ Heyden/ Türcken/ Papisten/ Caluinisten/ vnd andern Feinden/ grewliche Verfolgung leidet/ Auch jhre gewisse von Gott gesetzte Zeit hat/ wie lange sie wider gemeldte Feinde in dieser Welt kämpffen vnd streitten soll. […] in Latein außgangen/ Jetzt aber verteutschet/ Durch M. Gothardvm Artvs, von Dantzig. Frankfurt am Main 1598. Petersen, Johanna Eleonora: Anleitung zu gründlicher Verständniß der Heiligen Offenbahrung Jesu Christi/ welche Er seinem Knecht und Apostel Johanni Durch seinen Engel gesandt und gedeutet hat […]. Frankfurt und Leipzig [= Magdeburg] 1696. Petersen, Johanna Eleonora: Das ewige Evangelium Der Allgemeinen Widerbringung Aller Creaturen/ Wie solche unter andern Jn rechter Erkäntniß Des Mittlern Zustandes der Seelen nach dem Tode tieff gegründet ist/ Und nach Ausführung Der endlichen Gerichte Gottes dermaleins völlig erfolgen wird. […]. o. O. 1698. Praetorius, Anton: Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht. Darinn der grawsamen Menschen thöriges/ feindseliges/ schändliches vornemmen: Vnd wie Christliche Oberkeit in rechter Amptspflege jhnen begegnen/ jhr Werck straffen/ auffheben/ vnd hinderen solle/ vnd könne. […]. Hiezu ist gesetzet Der Theologen zu Nürnberg gantz Christlich Bedencken/ vnd Warhafftig Vrtheil von Zauberey vnd Hexenwerck. Heidelberg 1613 [11598]. Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. 7. Elsaß, 1. Teil. Stadt Straßburg 1522 – 1532. Hrsg. nicht genannt. Gütersloh 1959 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 26, zit. QGT). Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 2. Ostschweiz. Hrsg. von Heinold Fast. Zürich 1973 (zit. QGTS). Reformierte Bekenntnisschriften. Bd. 1/1. 1523 – 1534. Hrsg. von Heiner Faulenbach und Eberhard Busch. Neukirchen-Vluyn 2002 (zit. BSRK). Reformierte Bekenntnisschriften. Bd. 1/3. 1550 – 1558. Hrsg. von Heiner Faulenbach und Eberhard Busch. Neukirchen-Vluyn 2007 (zit. BSRK). Reformierte Bekenntnisschriften. Bd. 2/1. 1559 – 1563. Hrsg. von Andreas Mühling und Peter Opitz. Neukirchen-Vluyn 2009 (zit. BSRK). Reformierte Bekenntnisschriften. Bd. 2/2. 1562 – 1569. Hrsg. von Andreas Mühling und Peter Opitz. Neukirchen-Vluyn 2009 (zit. BSRK). Ringwaldt, Bartholomäus: Christliche Warnung des Trewen Eckarts. Darinnen die gelegenheit des Himmels vnd der Hellen/ sampt dem zustande aller Gottseligen vnd verdampten

314

Literaturverzeichnis

begriffen/ allen frommen Christen zum Trost/ den verstockten Sündern aber zur vorwarnung/ in feine Reim gefasset […]. Frankfurt an der Oder 1590 [11588]. Ringwaldt, Bartholomäus: Geistliche Lieder. Hrsg. von Hermann Wendebourg. Halle 1858 (= Geistliche Sänger der christlichen Kirche deutscher Nation 11). Rist, Johann (Verf.) und Coler, Martin (Komp.): Neue Hoch=heilige Paßions=Andachten Jn Lehr= und Trostreichen Liedern/ (welche von dem weitberühmten Musico/ […] Herrn Martino Colero, mit sehr anmutigen und beweglichen Sangweisen sind außgezieret) […]. Hamburg 1664. Rist, Johann: Neüe Musikalische Katechismus Andachten/ Bestehende Jn Lehr= Trost= Vermanung und Warnungs=reichen Liederen über den gantzen heiligen Katechismum […]. Lüneburg 1656. Rist, Johann (Verf.) und Flor, Christian (Komp.): Neues Musikalisches Seelenparadis/ Jn sich begreiffend Die allerfürtreflichste Sprüche der heiligen Schrifft/ Alten Testaments/ Jn gantz Lehr= und Trostreichen Liederen und HertzensAndachten […]. Lüneburg 1660. Rodríguez, Alonso: EXERCITIVM PERFECTIONIS, ET VIRTVTVM RELIGIOSARVM […]. Teil 3. Köln 1657 [11622]. Schnüffis, Laurentius von: Futer über die Mirantische Maul=Trummel […]. Konstanz 1699 [11698]. Seld, Johann Georg: Kurtzer Bericht Von dem Tractätlein/ dessen Titul: APOCALYPSIS RESERATA […]. Danzig 1655 [11654]. Selnecker, Nikolaus: Eine Leichpredigt Jn der begrebnis des Gestrengen vnd Edlen Dauids von Ponikaw […]. Leipzig 1579. Scheffler, Johannes: Geistreiche Sinn vnd Schlussrime. Wien 1657. Scheffler, Johannes: Sämtliche Poetische Werke. Bd. 3. Cherubinischer Wandersmann. Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge. Hrsg. von Hans Ludwig Held. 3. Aufl. München 1949. Soner, Ernst: Demonstratio THEOLOGICA & PHILOSOPHICA. Quod aeterna impiorum supplicia non arguant Dei justitiam, sed injustitiam. In: Fausto Sozzini, Lelio Sozzini und ders.: Tractatus aliquot Theologici, nunquam antehac in lucem editi. Eleutheropoli [= Amsterdam] 1654, S. 36 – 69. Spee von Langenfeld, Friedrich (Verf.) und Schmidt, Hermann (Übers.): CAUTIO CRIMINALIS. SEU DE PROCESSIBUS CONTRA SAGAS LIBER. Das ist/ Peinliche Warschawung von Anstell: vnd Führung deß Processes gegen die angegebene Zauberer/ Hexen vnd Vnholden […]. Frankfurt am Main 1649. Spee von Langenfeld, Friedrich: CAVTIO CRIMINALIS, Seu DE PROCESSIBVS CONTRA SAGAS LIBER. […] EDITIO SECUNDA. Frankfurt [= Köln] 1632 [11631]. Spindler, Georg: Kurtze Summaria vnd Gebete Vber die Sontäglichen Evangelien vnd Episteln durchs gantze Jahr […]. Amberg 1600. Spindler, Georg: Postilla: Außlegung der Euangelien […] jetzt von newem gestelt vnd in druck geben […]. o. O. [= Herborn] 1594 [11576]. Spindler, Georg: Postilla. Außlegung der Sontags vnd fürnemesten Fest Euangelien vber das gantze jahr […]. Leipzig 1576. Spindler, Georg: Zwo vnd funfftzig Predigten Vber den Heidelbergischen Catechismum […]. Amberg 1597 [11595].

2 Sekundärliteratur

315

Thomasius, Christian (Verf.) und Anonymus (Übers.): Kurtze Lehr=Sätze Von dem Laster der Zauberery Aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzet/ Und Mit des Autoris Vertheidigung vermehret. o. O. 1703 [11702]. Thomasius, Christian: Theses Inavgvrales, de CRIMINE MAGIAE […]. Halle 1701. Viegas, Brás: IN APOCALYPSJM JOANNIS APOSTOLI COMMENTARII exegetici. […]. Köln 1603. Walther, Michael: NOVEM BEATITUDINES ORGANORUM PASSIONALIUM, Oder Schrifftmässige vnnd Außführliche Erläuterung aller deren JNSTRVMENTEN/ welche zu dem Bitterschmertzlichen Leiden vnd Blutsawren CreutzesTod vnsers einigen HERRN vnd ERLOSERS JESV CHRJSTJ angewendet worden sind. […]. Ulm 1645.

2 Sekundärliteratur Albrecht, Ruth: Die Apokatastasis-Konzeption bei Johanna Eleonora Petersen. In: Alles in allem. Eschatologische Anstöße. J. Christine Janowski zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Ruth Heß und Martin Leiner. Neukirchen-Vluyn 2005, S. 199 – 214. Alfing, Sabine: Hexenjagd und Zaubereiprozesse in Münster. Vom Umgang mit Sündenböcken in den Krisenzeiten des 16. und 17. Jahrhunderts. Münster u. a. 1991. Angenendt, Arnold: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. 4. Aufl. Darmstadt 2005. Asendorf, Ulrich: Art. Eschatologie. VII. Reformations- und Neuzeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 10 (1982), S. 310 – 334. Asendorf, Ulrich: Eschatologie bei Luther. Göttingen 1967. Axmacher, Elke: Die Kunst der Leichenpredigt. Annäherungen an Paul Gerhardt als Prediger. In: Arbeitsstelle Gottesdienst 20 (2006), 2, S. 21 – 29. Backus, Irena: French Calvinist and Catholic Commentaries on the Apocalypse of John, 1539 – 1589. Common Ground and Confessional Tensions. In: Der Kommentar in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Ralph Häfner und Markus Völkel. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit 115), S. 5 – 20. Backus, Irena: Reformation readings of the Apocalypse. Geneva, Zurich, and Wittenberg. Oxford u. a. 2000 (= Oxford Studies in Historical Theology o. Nr.). Bauman, Clarence: Gewaltlosigkeit im Täufertum. Eine Untersuchung zur theologischen Ethik des oberdeutschen Täufertums der Reformationszeit. Leiden 1968 (= Studies in the History of Christian Thought 3). Bayer, Oswald: Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung. Tübingen 2003. Beißer, Friedrich: Hoffnung und Vollendung. Gütersloh 1993 (= Handbuch Systematischer Theologie 15). Benrath, Gustav Adolf: Art. Antichrist. III. Alte Kirche und Mittelalter. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 3 (1978), S. 24 – 28. Berns, Jörg Jochen: Höllenmeditation. Zur meditativen Funktion und mnemotechnischen Struktur barocker Höllenpoesie. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (= Formen der Erinnerung 2), S. 141 – 173. Beutel, Albrecht: Kommunikation des Evangeliums. Die Predigt als zentrales theologisches Vermittlungsmedium in der Frühen Neuzeit. In: Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Irene Dingel und Wolf-Friedrich Schäufele. Mainz 2007 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft 74), S. 3 – 15.

316

Literaturverzeichnis

Beutel, Albrecht: Art. Predigt. VIII. Evangelische Predigt vom 16. bis 18. Jahrhundert. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 27 (1997), S. 296 – 311. Blaufuß, Dietrich: Art. Petersen, Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Freiin von und zu Merlau, verheiratete Petersen. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 26 (1996), S. 248 – 254. Böcher, Otto: Apokalyptische Strukturen in der Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. In: Endzeiten – Wendezeiten? Chiliasmus in Kirche und Theologie = Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte 69 (2000) (= Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 4), S. 1 – 18. Böcher, Otto: Die Johannesapokalypse. 4. Aufl. Darmstadt 1998 (= Erträge der Forschung 41). Brendle, Franz: Das Konfessionelle Zeitalter. 2. Aufl. Berlin u. a. 2015 (= Akademie Studienbücher – Geschichte o. Nr.). Breuer, Dieter: Der Bekräfftigte Origenes – Das Ehepaar Petersen und die Leugnung der Ewigkeit der Höllenstrafen. In: Heterodoxie in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Hartmut Laufhütte und Michael Titzmann. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit 117), S. 413 – 424. Cagol, Eleonora: Das Jüngste Gericht. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von Tobias Pfeifer-Helke. Berlin u. a. 2015, S. 114 – 137. Campi, Emidio: Confessio Helvetica posterior, 1566. Einleitung. In: Reformierte Bekenntnisschriften. Hrsg. von Andreas Mühling und Peter Opitz. Bd. 2/2. 1562 – 1569. Neukirchen-Vluyn 2009, S. 243 – 267. Czaika, Otfried: Art. Chyträus, David. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 1 (2011), Sp. 511 – 521. Dan, Joseph: Art. Messias/Messianismus. III. Judentum. 2. Mittelalter und Neuzeit. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 5 (2002), Sp. 1148 – 1150. Danz, Christian: „Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben“ (Mt 25,46). Überlegungen zur Funktion und Bedeutung des Letzten Gerichts in der protestantischen Theologie. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 53 (2011), 1, S. 71 – 89. Dietze, Walter: Quirinus Kuhlmann. Ketzer und Poet. Versuch einer monographischen Darstellung von Leben und Werk. Berlin 1963 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft 17). Dingel, Irene: Einleitung zu den Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von ders. Göttingen 2014, S. 3 – 5. Dipple, Geoffrey: The Spiritualist Anabaptists. In: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521 – 1700. Hrsg. von John D. Roth und James M. Stayer. Leiden u. a. 2007 (= Brill’s Companions to the Christian Tradition 6), S. 257 – 297. Dresen-Coenders, Lène: Antonius Prätorius. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 129 – 137. Duchhardt, Heinz: Barock und Aufklärung. 4. Aufl. des Bandes „Das Zeitalter des Absolutismus“. München 2007 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte 11). Ebeling, Gerhard: Lutherstudien. Bd. 1. Tübingen 1971. Ebeling, Gerhard: Lutherstudien. Bd. 3. Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen. Wirkungsgeschichtliches. Tübingen 1985.

2 Sekundärliteratur

317

Ehrenpreis, Stefan und Lotz-Heumann, Ute: Reformation und konfessionelles Zeitalter. Darmstadt 2002 (= Kontroversen um die Geschichte o. Nr.). Emich, Birgit: Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche. In: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), 1, S. 31 – 56. Freist, Dagmar: Einleitung. In: Religion und Erinnerung. Konfessionelle Mobilisierung und Konflikte im Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von ders. und Matthias Weber. München 2015 (= Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 23), S. 9 – 20. Fried, Johannes: Dies irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs. München 2016. Fuchs, Ottmar: Das Jüngste Gericht. Hoffnung über den Tod hinaus. Regensburg 2018. Garber, Klaus: Religionsfrieden und praktizierte Toleranz um 1600. Eine irenische Stiftungsurkunde im Zeichen des ‚vhraltten Catholischen Christlichen Glaubens‘ aus dem Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder. In: Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Friedrich Vollhardt. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 198), S. 87 – 132. Gaskill, Malcolm: Hexen und Hexenverfolgung. Eine kurze Kulturgeschichte. Stuttgart 2013. George, Martin: Vom Kommen des Antichrist: Endzeitfurcht und Endzeitsehnsucht in 2000 Jahren Christentum. In: Endzeiten – Wendezeiten. Hrsg. von Rupert Moser und Sara Margarita Zwahlen. Bern u. a. 2004 (= Collegium Generale. Universität Bern. Kulturhistorische Vorlesungen 100), S. 27 – 64. Gockel, Matthias: A Reformer’s Dissent from Lutheranism: Reconsidering the Theology of Hans Denck (ca. 1500 – 1527). In: Archiv für Reformationsgeschichte 91 (2000), S. 127 – 148. Goertz, Hans-Jürgen: Karlstadt, Muntzer and the Reformation of the Commoners, 1521 – 1525. In: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521 – 1700. Hrsg. von John D. Roth und James M. Stayer. Leiden u. a. 2007 (= Brill’s Companions to the Christian Tradition 6), S. 1 – 44. Göttler, Christine: Last Things. Art and the Religious Imagination in the Age of Reform. Turnhout 2010 (= Proteus: Studies in Early Modern Identity Formation 2). Grisar, Hartmann und Heege, Franz: Luthers Kampfbilder. Bd. 2. Der Bilderkampf in der deutschen Bibel (1522 ff.). Freiburg im Breisgau u. a. 1922 (= Luther-Studien 3). Grochowina, Nicole: Grenzen der Konfessionalisierung – Dissidententum und konfessionelle Indifferenz im Ostfriesland des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 48 – 72. Grosse, Sven: Sterbens-Kunst. Eine Anleitung aus den Himmlischen Liedern des Johann Rist. In: Johann Rist (1607 – 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und Bernhard Jahn. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 301 – 320. Harasimowicz, Jan: Schwärmergeist und Freiheitsdenken. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Matthias Noller und Magdalena Poradzisz-Cincio. Köln u. a. 2010 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 21). Hartmann, Annemarie: Der Hexenwahn im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern im 16. und 17. Jahrhundert. In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von Georg Schwaiger. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 103 – 127.

318

Literaturverzeichnis

Hartmann, Mareike: Höllen-Szenarien. Eine Analyse des Höllenverständnisses verschiedener Epochen anhand von Höllendarstellungen. Münster 2005 (= Ästhetik – Theologie – Liturgik 32). Haustein, Jörg: Martin Luther als Gegner des Hexenwahns. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von Hartmut Lehmann und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 35 – 51. Haustein, Jörg: Martin Luthers Stellung zum Zauber- und Hexenwesen. Stuttgart u. a. 1990 (= Münchener Kirchenhistorische Studien 2). Hempelmann, Reinhard: Stichwort Allversöhnung – doppelter Ausgang des Gerichts – Annihilation. In: Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 78 (2015), 4, S. 155 – 159. Herzog, Urs: Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt. München 1991. Hess, Willy: Das Missionsdenken bei Philipp Nicolai. Hamburg 1962 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs 5). Hofmann, Hans-Ulrich: Luther und die Johannes-Apokalypse. Dargestellt im Rahmen der Auslegungsgeschichte des letzten Buches der Bibel und im Zusammenhang der theologischen Entwicklung des Reformators. Tübingen 1982 (= Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese 24). Holtz, Sabine: Die Unsicherheit des Lebens. Zum Verständnis von Krankheit und Tod in den Predigten der lutherischen Orthodoxie. In: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Hartmut Lehmann und Anne-Charlott Trepp. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 152), S. 135 – 157. Holtz, Sabine: Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550 – 1750. Tübingen 1993 (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 3). Holzem, Andreas: Zeit – Zeitenwende – Endzeit? Anfangsbeobachtungen zum deutschen katholischen Schrifttum um 1700. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 213 – 232. Homeyer, Susanne: ‚…das ende mus verhanden sein!…‘. Studien zur eschatologischen Bildlichkeit auf illustrierten Flugblättern der Frühen Neuzeit. Magdeburg 2002. [Elektronische Ressource. URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:101:1-201010124028 (zuletzt aufgerufen am 05. 08. 2016)]. Hubrich, Ann-Kathrin: Rezeptionsprozesse im Rechtsraum am Beispiel des Lüneburger Niedergerichts. In: Visual Past 2 (2015), 1, S. 669 – 715 [E-Journal. URL: www.visualpast.de/archive/pdf/vp2015_0669.pdf (zuletzt aufgerufen am 27. 06. 2018)]. Illg, Thomas und Steiger, Johann Anselm: Art. Herberger, Valerius. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 3 (2014), Sp. 266 – 278. Irsigler, Franz: Hexenverfolgungen vom 15. bis 17. Jahrhundert. Eine Einführung. In: Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung. Hrsg. von Gunther Franz und dems. Trier 1998 (= Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen 4), S. 3 – 20. Jahn, Bernhard: Johann Rists grenzüberschreitendes Theater. Gattungsexperimente und Interkonfessionalität. In: Johann Rist (1607 – 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors,

2 Sekundärliteratur

319

Dichters und Gelehrten. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und dems. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 163 – 183. Jahn, Bernhard: Art. Ringwaldt, Bartholomäus. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 5 (2016), Sp. 310 – 315. Kaufmann, Thomas: 1600 – Deutungen der Jahrhundertwende im deutschen Luthertum. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 73 – 128. Kaufmann, Thomas: Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität – Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 9 – 15. Kaufmann, Thomas: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts. Tübingen 2006 (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 29). Kaufmann, Thomas: Art. Konfessionalisierung. In: Enzyklopädie der Neuzeit 6 (2007), Sp. 1053 – 1070. Kaufmann, Thomas: Nahe Fremde – Aspekte der Wahrnehmung der „Schwärmer“ im frühneuzeitlichen Luthertum. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 179 – 241. Keller, Ludwig: Art. Ziegler, Clemens. In: Allgemeine Deutsche Biographie 45 (1900), S. 165 f. [Onlinefassung. URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd119877783. html#adbcontent (zuletzt aufgerufen am 22. 08. 2016)]. Kettel, Adolf: Kleriker im Hexenprozeß. Beispiele aus den Manderscheider Territorien und dem Trierer Land. In: Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung. Hrsg. von Gunther Franz und Franz Irsigler. Trier 1998 (= Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen 4), S. 169 – 191. Klein, Dorothea: Bildung und Belehrung. Untersuchungen zum Dramenwerk des Hans Sachs. Stuttgart 1988 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 197). Klötzer, Ralf: The Melchiorites and Munster. In: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521 – 1700. Hrsg. von John D. Roth und James M. Stayer. Leiden u. a. 2007 (= Brill’s Companions to the Christian Tradition 6), S. 217 – 256. Knedlik, Manfred: Art. Spindler, Georg. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 21 (2003), Sp. 1456 – 1458. Koch, Klaus: Die Gemälde in der Großen Ratsstube des Lüneburger Rathauses. Zur Rezeption der Daniel-Apokalyptik in der Reformationszeit. In: Jerusalem, du Schöne. Vorstellungen und Bilder einer heiligen Stadt. Hrsg. von Bruno Reudenbach. Bern u. a. 2008 (= Vestigia Bibliae 28), S. 131 – 166. Kolb, Robert: Der Große und der Kleine Katechismus Martin Luthers. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 841 – 850.

320

Literaturverzeichnis

Krüger, Friedhelm: Aufbau, Ziel und Eigenart der einzelnen Bekenntnisse des Konkordienbuches. Versuch eines Gesamtüberblicks. In: Horst Georg Pöhlmann, Torleiv Austad und ders.: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften. Gütersloh 1996, S. 11 – 24. Krüger, Friedhelm: Die letzten Dinge – oder: Hat die Zukunft schon begonnen? In: Horst Georg Pöhlmann, Torleiv Austad und ders.: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften. Gütersloh 1996, S. 186 – 203. Krummacher, Hans-Henrik: „De quatuor novissimis“. Über ein traditionelles theologisches Thema bei Andreas Gryphius. In: Ders.: Lyra. Studien zur Theorie und Geschichte der Lyrik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Berlin u. a. 2013, S. 439 – 499. Kühlmann, Wilhelm: Art. Balde, Jacob. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von dems. u. a. Bd. 1 (2008), S. 314 – 317. Kunz, Erhard: Protestantische Eschatologie. Von der Reformation bis zur Aufklärung. Freiburg im Breisgau u. a. 1980 (= Handbuch der Dogmengeschichte IV, 7c, 1). Kurzmann, Frank: „Hölle ist, was Ihr draus macht.“ Überlegungen zur Rede von Jüngstem Gericht und Hölle in ausgewählten Schriften Martin Luthers. In: Begegnungsräume der Konfessionen. Glaubensvielfalt in Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Sarah Lehmann, Sarah Stützinger und Christoph Ketterer. Leiden u. a. 2017 (= Daphnis 45), S. 201 – 223. Lehmann, Hartmut: Grenzen der Erklärungskraft der Konfessionalisierungsthese. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 242 – 249. Lehmann, Hartmut: Johann Matthäus Meyfart warnt hexenverfolgende Obrigkeiten vor dem Jüngsten Gericht. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von dems. und Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 223 – 229. Lehmann, Hartmut: Weltende 1630: Daniel Schallers Vorhersage von 1595. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 147 – 163. Lehmann, Hartmut und Ulbricht, Otto: Motive und Argumente von Gegnern der Hexenverfolgung von Weyer bis Spee. In: Vom Unfug des Hexen-Processes. Gegner der Hexenverfolgungen von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Hrsg. von dens. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 1 – 14. Lehmann, Sarah, Stützinger, Sarah und Ketterer, Christoph: Einleitung. Die Medien der Frühen Neuzeit als Begegnungsräume der Konfessionen. In: Begegnungsräume der Konfessionen. Glaubensvielfalt in Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von dens. Leiden u. a. 2017 (= Daphnis 45), S. 3 – 12. Lenz, Rudolf: Art. Leichenpredigt. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 20 (1990), S. 665 – 669. Leonhardt, Rochus: Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie. 4. Aufl. Göttingen 2009 (= UTB 2214). Leppin, Volker: Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548 – 1618. Gütersloh 1999 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 69).

2 Sekundärliteratur

321

Leppin, Volker: Art. Bader, Augustin. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 1 (1998), Sp. 1058. Leppin, Volker: Die Confessio Augustana. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 65 – 83. Leppin, Volker und Schneider-Ludorff, Gury (Hrsg.): Das Luther-Lexikon. 2. Aufl. Regensburg 2015. Lohse, Bernhard: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang. Göttingen 1995. Loichinger, Alexander: Friedrich von Spee und seine „Cautio criminalis“. In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von Georg Schwaiger. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 128 – 149. Mager, Inge: Johann Rists Lob-, Trauer- und Klag-Gedicht auf Martin Opitz samt anderen seiner anlässlich von Trauerfällen verfassten Dichtungen. In: Johann Rist (1607 – 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und Bernhard Jahn. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 49 – 69. Mahlmann, Theodor: Art. Prädestination. V. Reformation bis Neuzeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 27 (1997), S. 118 – 156. Mannack, Eberhard: Art. Gryphius, Andreas. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 4 (2009), S. 483 – 490. May, Franziska: Golgatha – Christus in der Kelter. Zu Entwicklung und Rezeption eines Bildmotives. In: Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen. Berlin u. a. 2010 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 113), S. 129 – 159. Merkel, Helmut: Art. Gericht Gottes. IV. Alte Kirche bis Reformationszeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 12 (1984), S. 483 – 492. Modalsli, Ole: Das Gericht nach den Werken. Ein Beitrag zu Luthers Lehre vom Gesetz. Göttingen 1963 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 13). Mödersheim, Sabine: Art. Cramer, Daniel. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 2 (2012), Sp. 23 – 30. Mühling, Markus: Art. Eschatologie. In: Das Luther-Lexikon. Hrsg. von Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff. 2. Aufl. (2015), S. 199 – 204. Nesner, Hans-Jörg: „Hexenbulle“ (1484) und „Hexenhammer“ (1487). In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von Georg Schwaiger. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 85 – 102. Neuser, Wilhelm H.: Heidelberger Katechismus von 1563. Einleitung. In: Reformierte Bekenntnisschriften. Hrsg. von Andreas Mühling und Peter Opitz. Bd. 2/2. 1562 – 1569. Neukirchen-Vluyn 2009, S. 167 – 173. Oberman, Heiko Augustinus: Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel. Berlin 1982. Oberste, Jörg: Dantes Päpste. Die „Commedia“ und der kirchenkritische Diskurs des späteren Mittelalters. In: Die sprachliche Formierung der politischen Moderne. Spätmittelalter und Renaissance in Italien. Hrsg. von Oliver Hidalgo und Kai Nonnenmacher. Wiesbaden 2015 (= Politisches Denken und literarische Form o. Nr.), S. 125 – 154.

322

Literaturverzeichnis

Opitz, Peter: Art. Bullinger, Heinrich. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 1 (2011), Sp. 396 – 404. Ortner, Max: Apokatastasis panton und Fegefeuer. Ost-westliche Kontroversen im Lichte von Dogmen- und Lehrentwicklung. Hamburg 2015 (= Schriften zur Ideen- und Wissenschaftsgeschichte 14). Packull, Werner O.: Art. Denck, Hans. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 8 (1981), S. 488 – 490. Pesch, Otto Hermann: Gerechtfertigt aus Glauben. Luthers Frage an die Kirche. Freiburg im Breisgau u. a. 1982 (= Quaestiones Disputatae 97). Pesch, Otto Hermann: Martin Luther, Thomas von Aquin und die reformatorische Kritik an der Scholastik. Zur Geschichte und Wirkgeschichte eines Mißverständnisses mit weltgeschichtlichen Folgen. Vorgelegt in der Sitzung vom 1. Juli 1994. In: Berichte aus den Sitzungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V., Hamburg 12 (1994), 3. Göttingen 1994. Pesch, Otto Hermann: Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs. Mainz 1967 (= Walberberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie 4). Peters, Christian: Die Apologia Confessionis Augustanae. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 229 – 235. Pfeifer-Helke, Tobias: Die posthumen Phantasien des Hieronymus Bosch. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von dems. Berlin u. a. 2015, S. 9 – 13. Pfeiffer, Lena: Die Endzeit. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von Tobias Pfeifer-Helke. Berlin u. a. 2015, S. 98 – 113. Pöhlmann, Horst Georg: Sinn und Zweck von kirchlichen Bekenntnissen. In: Ders., Torleiv Austad und Friedhelm Krüger: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften. Gütersloh 1996, S. 25 – 30. Pohlig, Matthias: Exegese und Historiographie. Lutherische Apokalypsekommentare als Kirchengeschichtsschreibung (1530 – 1618). In: Frühneuzeitliche Konfessionskulturen. Hrsg. von Thomas Kaufmann, Anselm Schubert und Kaspar von Greyerz. Gütersloh 2008 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 207), S. 289 – 317. Reinis, Austra: „Such defiant, obstinate disobedience“: Martin Luther’s Jonah and Michael Helding’s Recatholization Effort in Merseburg. In: Archiv für Reformationsgeschichte 106 (2015), S. 156 – 183. Rieger, Miriam: Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2011 (= Friedenstein-Forschungen 9). Ritter, Adolf Martin: Das Athanasianum. Einleitung. In: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition. Hrsg. von Irene Dingel. Göttingen 2014, S. 51 – 56. Rölver, Olaf: Christliche Existenz zwischen den Gerichten Gottes. Untersuchungen zur Eschatologie des Matthäusevangeliums. Göttingen 2010 (= Bonner Biblische Beiträge 163). Rosenau, Hartmut: Art. Allversöhnung. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 1 (1998), Sp. 322 f.

2 Sekundärliteratur

323

Rummel, Walter und Voltmer, Rita: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2008 (= Geschichte kompakt o. Nr.). Salatowsky, Sascha: Dürfen Sozinianer geduldet werden? Obrigkeitliche und theologische Debatten in Brandenburg und Preußen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur. Hrsg. von Friedrich Vollhardt. Berlin u. a. 2014 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Antitrinitarismus und Sozinianismus in der Frühen Neuzeit 2), S. 223 – 250. Sauter, Gerhard: Art. Eschatologie. IV. Dogmengeschichtlich. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 2 (1999), Sp. 1561 – 1567. Schäfer, Philipp: Eschatologie. Trient und Gegenreformation. Freiburg im Breisgau u. a. 1984 (= Handbuch der Dogmengeschichte IV, 7c, 2). Scheible, Heinz: Melanchton. Eine Biographie. München 1997. Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620. In: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1 – 45. Schilling, Johannes: Der liebe Jüngste Tag. Endzeiterwartung um 1500. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 15 – 26. Schindling, Anton: Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650. Bd. 7. Bilanz – Forschungsperspektiven – Register. Hrsg. von dems. und Walter Ziegler. Münster 1997 (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), S. 9 – 44. Schneider, Hans: Die unerfüllte Zukunft. Apokalyptische Erwartungen im radikalen Pietismus um 1700. In: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. Göttingen 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 187 – 212. Schneyer, Johann Baptist: Geschichte der katholischen Predigt. Freiburg im Breisgau 1969. Scholem, Gershom: Sabbatai Zwi. Der mystische Messias. Frankfurt am Main 1992. Schormann, Gerhard: Art. Hexen. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15 (1986), S. 297 – 304. Schwaiger, Georg: Das Ende der Hexenprozesse im Zeitalter der Aufklärung. In: Teufelsglaube und Hexenprozesse. Hrsg. von dems. 4. Aufl. München 1999 (= Beck’sche Reihe 337), S. 150 – 179. Schwambach, Claus: Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess. Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch. Göttingen 2004 (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 101). Schwarz, Reinhard: Martin Luther. Lehrer der christlichen Religion. Tübingen 2015. Schwarz, Reinhard: Art. Luther, Martin. II. Theologie. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 5 (2002), Sp. 573 – 588. Seebaß, Gottfried: Art. Antichrist. IV. Reformations- und Neuzeit. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 3 (1978), S. 28 – 43. Seebaß, Gottfried: Art. Hut, Hans. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15 (1986), S. 741 – 747.

324

Literaturverzeichnis

Sieveke, Franz Günter: Art. Khuen, Johannes. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 6 (2009), S. 397 f. Slenczka, Notger: Christliche Hoffnung. In: Luther Handbuch. Hrsg. von Albrecht Beutel. 2. Aufl. Tübingen 2010, S. 435 – 443. Smets, Anne: Das Endgericht in der Endzeitrede Mt 24 – 25 und im Evangelischen Gesangbuch. Tübingen 2015 (= Mainzer Hymnologische Studien 27). Smolinsky, Heribert: Deutungen der Zeit im Streit der Konfessionen. Kontroverstheologie, Apokalyptik und Astrologie im 16. Jahrhundert. Vorgetragen am 21. Juli 2000. Heidelberg 2000 (= Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 20). Sommer, Wolfgang: Der Untergang der Hölle. Zu den Wandlungen des theologischen Höllenbildes in der lutherischen Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze von Wolfgang Sommer. Hrsg. von dems. Göttingen 1999 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 74), S. 177 – 205. Sommer, Wolfgang: Die lutherischen Hofprediger in Dresden. Grundzüge ihrer Geschichte und Verkündigung im Kurfürstentum Sachsen. Stuttgart 2006. Sommer, Wolfgang: Die Stellung lutherischer Hofprediger im Herausbildungsprozeß frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 106 (1995), S. 311 – 328. Sommer, Wolfgang: Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Studien zum Obrigkeitsverständnis Johann Arndts und lutherischer Hofprediger zur Zeit der altprotestantischen Orthodoxie. Göttingen 1988 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 41). Steiger, Johann Anselm: Christus pictor. Der Gekreuzigte auf Golgatha als Bilder schaffendes Bild. Zur Entzifferung der Kreuzigungserzählung bei Luther und im barocken Luthertum sowie deren medientheoretischen Implikationen. In: Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Hrsg. von dems. und Ulrich Heinen. Berlin u. a. 2010 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 113), S. 93 – 127. Steiger, Johann Anselm: Das Gebet im Zeitalter der Reformation und des Barock. Ein Beitrag zu Martin Luther und Heinrich Müller sowie zur Bildtradition des armen Lazarus. Neuendettelsau 2013. Steiger, Johann Anselm: Diß Donnerwort heißt Ewigkeit. Lyrisch-eschatologische Strategien gegen die Prokrastination bei Martin Opitz und Johann Rist und deren interkonfessionelle Tragweite. Drucklegung in Vorbereitung. Steiger, Johann Anselm: fractio et transitus. Antimortale Ikonografie auf Grabmälern der Frühen Neuzeit. In: Bild und Tod. Grundfragen der Bildanthropologie. Hrsg. von Philipp Stoellger und Jens Wolff. 2 Bde. Tübingen 2016 (= Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 68), S. 145 – 173. Steiger, Johann Anselm: Gedächtnisorte der Reformation. Sakrale Kunst im Norden (16.– 18. Jahrhundert). 2 Bde. Regensburg 2016. Steiger, Johann Anselm: Art. Gerhard, Johann. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 – 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 2 (2012), Sp. 557 – 571. Steiger, Johann Anselm: Interkonfessionalität im Schwank. Bemerkungen zu Johann Peter Hebels Kalendergeschichten. In: Ordentliche Unordnung. Metamorphosen des Schwanks

2 Sekundärliteratur

325

vom Mittelalter bis zur Moderne. Festschrift für Michael Schilling. Hrsg. von Bernhard Jahn, Dirk Rose und Thorsten Unger. Heidelberg 2014 (= Euphorion 79), S. 251 – 264. Steiger, Johann Anselm: Jonas Hölle. Ein auslegungsgeschichtlicher Beitrag zu Luthers Interpretation des Alten Testaments. In: Innovation durch Wissenstransfer in der Frühen Neuzeit. Kultur- und geistesgeschichtliche Studien zu Austauschprozessen in Mitteleuropa. Hrsg. von dems., Sandra Richter und Marc Föcking. Amsterdam u. a. 2010 (= Chloe 41), S. 55 – 77. Steiger, Johann Anselm: Jonas Propheta. Zur Auslegungs- und Mediengeschichte des Buches Jona bei Martin Luther und im Luthertum der Barockzeit. Mit einer Edition von Johann Matthäus Meyfarts ‚Tuba Poenitentiae Prophetica‘ (1625). Stuttgart-Bad Cannstatt 2011 (= Doctrina et Pietas II, 5). Steiger, Johann Anselm: Kontrafaktizität und Kontrarationalität des Glaubens in der Theologie Martin Luthers. In: Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte. Hrsg. von Lutz Danneberg, Carlos Spoerhase und Dirk Werle. Wiesbaden 2009 (= Wolfenbütteler Forschungen 120), S. 223 – 237. Steiger, Johann Anselm: Schule des Sterbens. Die ›Kirchhofgedanken‹ des Andreas Gryphius (1616 – 1664) als poetologische Theologie im Vollzug. Heidelberg 2000. Steiger, Johann Anselm: Simon Dachs geistliche Dichtung und die Poiesis des himmlischen Jerusalem. In: Simon Dach (1605 – 1659). Werk und Nachwirken. Hrsg. von Axel E. Walter. Tübingen 2008 (= Frühe Neuzeit 126), S. 363 – 395. Steiger, Johann Anselm: Art. Versuchung. III. Kirchengeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 35 (2003), S. 52 – 64. Steiger, Johann Anselm: Zorn Gottes, Leiden Christi und die Affekte der Passionsbetrachtung bei Luther und im Luthertum des 17. Jahrhunderts. In: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von dems. 2 Bde. Wiesbaden 2005 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 43), S. 179 – 201. Steiger, Johann Anselm und Jahn, Bernhard: Einleitung. In: Johann Rist (1607 – 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten. Hrsg. von dens. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 195), S. 13 – 21. Steinmeier-Kleinhempel, Anne M.: Philipp Nicolai. Eine Theologie des Lebens im Sterben der Pest. In: Hamburgische Kirchengeschichte in Aufsätzen. Teil 2. Reformation und konfessionelles Zeitalter. Hamburg 2004 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs 22), S. 311 – 318. Steinmeier-Kleinhempel, Anne M.: „Von Gott kompt mir ein Frewdenschein“. Die Einheit Gottes und des Menschen in Philipp Nicolais „FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens“. Frankfurt am Main u. a. 1991 (= Europäische Hochschulschriften XXIII, 430). Steinmeier-Kleinhempel, Anne M.: Wo bist Du, Gott? Wer bin ich Mensch? Eine Theologie der Seelsorge im Sterben der Pest. Philipp Nicolai (1556 – 1608). In: 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg. Hrsg. von Johann Anselm Steiger. Berlin u. a. 2005 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte 95), S. 17 – 33. Stollberg-Rilinger, Barbara: Unversöhnte Verschiedenheit. Schlusskommentar. In: Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Paulmann, Matthias Schnettger und Thomas

326

Literaturverzeichnis

Weller. Göttingen u. a. 2016 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universalgeschichte 108), S. 197 – 203. Szyrocki, Marian und Kühlmann, Wilhelm: Art. Angelus Silesius. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollständig überarbeitete Aufl. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Bd. 1 (2008), S. 164 – 167. Thali, Johanna: Schauspiel als Bekenntnis. Das geistliche Spiel als Medium im Glaubensstreit am Beispiel des Luzerner Antichrist- und Weltgerichtsspiels von 1549. In: Das Geistliche Spiel des europäischen Spätmittelalters. Hrsg. von Wernfried Hofmeister und Cora Dietl. Wiesbaden 2015 (= Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 20), S. 440 – 461. Trevor-Roper, Hugh R.: Der europäische Hexenwahn des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Die Hexen der Neuzeit. Studien zur Sozialgeschichte eines kulturellen Deutungsmusters. Hrsg. von Claudia Honegger. Frankfurt am Main 1978 (= Edition Suhrkamp 743), S. 188 – 234. Trunz, Erich: Johann Matthäus Meyfart. Theologe und Schriftsteller in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. München 1987. Uffenheimer, Benjamin: Art. Eschatologie. III. Judentum. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 10 (1982), S. 264 – 270. Volkhart, Frauke: Konfession, Konversion und soziales Drama. Ein Plädoyer für die Ablösung des Paradigmas der ›konfessionellen Identität‹. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hrsg. von Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 91 – 104. Vollhardt, Friedrich: Ausblicke ins Jenseits. Imaginationen der Hölle und ihre Revisionen in der Literatur der Frühen Neuzeit. In: Hieronymus Boschs Erbe (Ausst.-Kat. Dresden 2015). Hrsg. von Tobias Pfeifer-Helke. Berlin u. a. 2015, S. 29 – 39. Vollhardt, Friedrich (Hrsg.): Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit. Berlin u. a. 2015 (= Frühe Neuzeit 198). Vorgrimler, Herbert: Geschichte der Hölle. 2., verbesserte Aufl. München 1994. Wallmann, Johannes: Der Pietismus. Göttingen 2005 (= UTB 2598). Wallmann, Johannes: Art. Samson, Hermann. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 7 (2004), Sp. 823. Wandrey, Irina: Art. Messias/Messianismus. III. Judentum. 1. Antike. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 5 (2002), Sp. 1146 – 1148. Weeber, Martin: Schleiermachers Eschatologie. Eine Untersuchung zum theologischen Spätwerk. Gütersloh 2000 (= Beiträge zur evangelischen Theologie 118). Wegner, Franz: Die „Christliche Warnung des Treuen Eckarts“ des Bartholomäus Ringwaldt. Breslau 1909 (= Germanistische Abhandlungen 33). Wennemuth, Heike: [Kommentar zu] 149. Es ist gewisslich an der Zeit. In: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Heft 11. Hrsg. von Gerhard Hahn und Jürgen Henkys. Göttingen 2005 (= Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), S. 92 – 95. Williams, George Huntston: The Radical Reformation. 3. Aufl. Kirksville, MO 1992 (= Sixteenth Century Essays and Studies 15). Windhorst, Christof: Art. Hubmaier, Balthasar. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 15 (1986), S. 611 – 613.

2 Sekundärliteratur

327

Wissemann-Garbe, Daniela: [Kommentar zu] 149. Es ist gewisslich an der Zeit. In: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Heft 11. Hrsg. von Gerhard Hahn und Jürgen Henkys. Göttingen 2005 (= Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), S. 95 f. Wriedt, Markus: Art. Scultetus, Johann. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Bd. 7 (2004), Sp. 1084. Zschoch, Hellmut: Art. Spee von Langenfeld, Friedrich. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 31 (2000), S. 635 – 641.

Bibelstellenregister Altes Testament Gen 3,5 4,10 18,22 – 32 22 Ex 18,19 – 24 22,17

139,7 f. 61 266 266, 306 45

269 261, 272

Num 21 21,4 – 9

86 87

Dtn 4,24

82, 97

Jos 6

104, 126

1Sam 28

291

2Chron 19,6 f.

259, 278

Hi 3,11

240

Ps 2,12 21,9 – 11 22 39,13 41,2 51 97,3 110,5 f. 112,9 119,176 121,2

205 205 55 193 31 40 f. 132 205 31 229 213

https://doi.org/10.1515/9783110617313-004

47, 82

Spr 19 19,17

31 31, 64, 107, 247, 295

Pred 12,14

152

Jes 24,21 f. 26 26,14.19 f. 34,9 f. 45,23 55,1 56,10 63,3 64,5 66,15 66,24

200 118 187 160 278 106 267 f. 54 193 126 76, 84, 87, 159

Klgl 3,37 – 40

280

Ez 9,2 34 37 37,4 37,11 38 f.

193 105 236, 251 236 236 201

Dan 7 7,9 7,9.13 7,9 – 14 7,10 7,13 f. 11 12,2 f.

3, 155, 165, 189, 198 101 101 101 101 f. 101, 206 75 f. 84, 87

330

Bibelstellenregister

Hos 4,2 10,8 13,14

193 198 89, 97

Joel 3 4,2.12 4,14

110, 159 236 236

Jon 1,12 2 3 3,10

3 f.

54

Mi 6,8

230

Zeph 1,14 – 18 1,15

121, 210 121

Sach 5,1 – 4

193

51 45 51 51

Mal 4,1 – 3 4,3

229 126

283

Sir 7,40

251

Apokryphen Weish 16,15

Neues Testament Mk 9,43 – 48 9,44 9,44.46.48 9,45 f. 9,46 11,24 13,32 13,32 f. 13,33 16 16,16

76 76, 94 159 84, 87 76 48 76, 111, 158, 188, 301 126, 228 158 87 87, 153

Mt 4,5 – 7 5,25 f. 5,26 6,13 7,12 7,13 7,24 – 27 10,26 11,22.24

272 109 125, 138 214 217 189 269 152 160

11,22 – 24 11,28 12 12,32 12,36 12,39 f. 12,41 f. 13,12 13,24 – 30

13,30 15,28 16,18 16,27 18,8 18,34 19,28 22,37 – 40 24 24,12 24,14 24,29

215 106, 238 87 87 3, 69, 78, 152 f., 264 f., 268, 276, 292, 306 54 54 247 103, 105, 263, 265, 268, 270, 275, 278, 281, 288, 292, 306 263 60 185 126 87 109, 125, 131 102, 225, 236 58 158, 302 228 187 239

Bibelstellenregister

24,30 24,31 24,36.43 24,43 24 f. 25 25,1 – 13 25,14 – 30 25,31 25,31 – 40 25,31 – 34.41.46 25,31 – 46

25,32 f. 25,33 25,34 25,34 – 36 25,34 – 36.40 25,34 – 40 25,34.41 25,37 25,40 25,40.45 25,41 25,41 – 43 25,41 – 45 25,41.46 25,41 – 46 25,43 25,44 25,46 27,46 28,20 Lk 2,14 – 28 12 15,3 – 7 16 16,19 – 31

132 f., 240 212 126 158 6, 76, 155 31, 58, 86, 241 118 247 69, 118, 126, 132, 228 117 228 3 f., 10, 18, 24 – 26, 37, 58, 99 – 102, 110, 116 f., 120 f., 123, 127, 132 f., 135, 137, 144, 146 – 148, 155, 202, 208, 210 f., 213, 229, 241, 266, 298 f., 304 89, 91, 225, 235, 241 235 82, 114, 226, 235, 238, 246 77, 271 230 231, 241 135 – 137, 139 107 31, 59, 64, 106, 295 26 82, 84, 140, 212, 230, 235, 238 77, 271 285 87, 94 24, 119, 244 58 108 76, 82, 226, 281 55 192

33 158 229 31, 36, 58 28 f., 36, 109, 140, 224, 295

16,22 18 21,25 – 33 21,25 – 36 21,27 21,28

138 76 32, 34 27 126 77

Joh 1,29.36 3 3,16.18 3,16 – 18 3,16 – 21 3,18 5,22 5,24 5,28 f. 10 10,1 – 30 10,9 10,16 15

134 86, 122 157 284 23, 27, 29 24, 33, 87, 153 101 59, 156 f. 84, 87 89, 105 89 27 92 87

Apg 1 1,7 1,11 3,21 10,42 17,31

164 151, 188 126 66, 75 126 75, 101, 126

Röm 2 2,5 f. 5 5,12 – 21 8,23 f. 13 13,1 14,7 – 10 14,10 14,23

157 155 87 87 77 283 73 144 265 23

1Kor 2,14 3,11 – 15 3,13 – 15

73 205 204

331

332

3,15 6,3 6,10 13,9 13,13 15 15,21 f. 15,24 15,24 – 28 15,39 – 44 15,51 f. 15,51 – 53 15,52 15,54 – 57 15,55 2Kor 5 5,10 6,15 9,6

Bibelstellenregister

138 267 216 151 243 62 f., 87, 156, 200 87 82 206 28 76 32 132, 212 33 89

156 3, 265 271 107

Gal 5,19 – 21

216

Phil 3,20 3,20 f.

192 77

Kol 1,18 3,1

107 192

1Thess 4 4,14 – 16 4,15 – 18 4,16 4,16 f. 5,1

156 75 63 238 77 126

2Thess 1 1,6 – 10 1,8 2 2,8

155 77 155 76 152

4

118

1Tim 2,4

89

2Tim 2,18 3 f. 4,1 f. 4,7 f.

76 76 269 246

Tit 2,13

77

2Petr 3 3,7.10 3,8 3,10 3,10 – 12

118, 155 212 188 32, 238 f. 205

1Joh 2 2,15 4,16 – 21

158 188 24

Hebr 11 12,19 12,26 f.

87 82, 97 205

Jak 2

87

Jud 14

126

Apk 1 2,2 – 4 2,4 2,11 4,3 6,16 f. 6,17 11 12

155, 167 102 102 94 113 233 210 167 10, 167

Bibelstellenregister

13 14 14,6 17 18 19,13 – 15 19,20 20

20,1 20,1.3 20,1 – 3 20,1 – 6 20,1 – 7 20,1 – 10 20,2 f. 20,2 f.7 20,2 – 7 20,4 20,4 f. 20,4.6 20,4 – 6 20,5 20,5 f. 20,6

168, 182 168 96 167 168 205 206 10, 18 f., 81, 118, 148 – 153, 159, 163, 165, 168, 181 f., 184 f., 193 – 195, 199 f., 202 f., 207 f., 302 f. 150, 154, 186, 191 206 201 148 163 154, 183 196 183 182 152, 154, 181, 192, 201 152, 201 152 197, 204 204 154 166

20,7 20,7 – 10 20,9 20,9 f. 20,10 20,10.14 f. 20,11 20,11 – 15 20,12 20,12 f. 20,12.15 20,13 20,14 20,14 f. 20,15 21 21,1 21,4 21,5 21,8 21 f. 22,15 22,20

333

201 148, 165 f., 168, 194, 197, 201 188 f., 191, 202 201 87, 166 159 – 161, 206 189, 192, 198, 201 f. 3, 10, 148, 152, 155 f., 168, 198, 207 f., 300, 304 78, 102, 152, 156, 189, 192, 202, 206, 212, 301 190, 204, 206, 239 157, 213, 225 190, 192, 200, 202 94, 165, 199, 202, 206 153 190 126 190 140 103 94, 275, 281 192 275, 281 214, 229

Personenregister Abel 64, 113, 266 Abraham 36, 113, 138, 266 Adam 86 f., 221, 227 Albrecht, Ruth 18 Alcázar, Luis de 182, 184, 199 – 202 Ambrosius von Mailand 87 Angelus Clarenus siehe Petrus von Fossombrone Angelus Silesius siehe Scheffler, Johannes Arethas von Caesarea 148, 190, 199, 202 Asendorf, Ulrich 7, 25, 34 Athanasius von Alexandria 69, 87 Augustinus von Hippo 66, 138, 159, 164, 181 f., 186 – 188, 191 – 193, 201, 303 Backus, Irena 10, 148, 150 f., 160, 181 – 183, 195 Bader, Augustin 72, 91 Balde, Jacob 247, 250 – 252, 305 Balduin, Friedrich 257 Bayer, Oswald 35 f., 41 Beda Venerabilis 181 Beißer, Friedrich 7, 40, 42 Bellarmin, Robert 56, 101, 109, 130, 190, 296 Benedikt IX. (Papst) 196 Benedikt XI. (Papst) 184 Benedikt XII. (Papst) 197 Benedikt von Nursia 189 Bibliander, Theodor 195 Binsfeld, Peter 257, 261, 274 f. Birken, Sigmund von 31, 250 Bodin, Jean 257 Böcher, Otto 199 Böhme, Jacob 250 Bonifaz VIII. (Papst) 184 Bosch, Hieronymus 218 f., 243 Breitter, Melchior 139 – 143 Brenz, Johannes 79, 258, 272, 287 Bucer, Martin 79, 88 Bullinger, Heinrich 18 f., 83 f., 87, 98, 117 – 120, 194 – 199, 207, 297

https://doi.org/10.1515/9783110617313-005

Calvin, Johannes 74, 92, 109, 183, 185, 201, 217, 287 f. Campi, Emidio 75 Canisius, Petrus 109 Cellarius, Martin 72 Chemnitz, Martin 144 f. Chyträus, David 148, 150, 153 – 160, 182, 191, 194 f., 207, 301 Coccejus, Johannes 196 Cochem, Martin von 109 Cochläus, Johannes 73, 86 f. Colladon, Nicolas 150 Cramer, Daniel 18, 148, 150 – 155, 182, 191, 194, 200, 204, 207 Cranach, Lucas der Ältere 166 f. Dale, Anton van 290 f. Daniel 101, 158 Dante Alighieri 218 Danz, Christian 7, 38 – 42 Delrio, Martin Anton 257, 274 Denck, Hans 67, 72, 79, 84 f., 87 – 92, 98, 297 Dippel, Johann Conrad 203 Drexel, Jeremias 245 Dürer, Albrecht 166 Ebeling, Gerhard 36, 49 Eckart 214, 216 f., 223 Elia 158 Emser, Hieronymus 166 – 168 Eusebius von Caesarea 191 Ezechiel 236 Feucht, Jakob 18, 100, 116, 127 – 132, 134 – 139, 141, 146 f., 299 Franziskus von Assisi 142 Freiherr, Johann 85 f. Fried, Johannes 6 Gaskill, Malcolm 257 Gerhard, Johann 1, 11, 18, 94, 100 – 110, 115, 123 f., 130, 146, 236

Personenregister

Glassius, Salomon 304 Gockel, Matthias 89 f. Göttler, Christine 2 f., 251 Gregor VII. (Papst) 149, 152, 154, 163, 194, 196 Gregor IX. (Papst) 194 Gregor der Große 108 Grochowina, Nicole 13 Grosse, Sven 12 Grotius, Hugo 199 – 202 Gryphius, Andreas 12, 247 – 252, 305 Gühler, Martin 160 f. Hätzer, Ludwig 88 Haustein, Jörg 272 Helding, Michael 50 – 54, 64, 294 Herberger, Valerius 110 – 116, 120, 124, 139, 146, 259, 299 Herold, Balthasar 158 Herzog, Urs 11, 184 Hieronymus Stridonensis 49 f., 52, 76, 87, 105, 164 Hofmann, Hans-Ulrich 167 Hofmann, Melchior 74, 164 Holbein, Hans der Jüngere 167 Holl, Karl 23 Holtz, Sabine 11, 113, 145, 147 Horch, Henrich 203 Hubmaier, Balthasar 85 Hubrich, Ann-Kathrin 259 Hütter, Leonhard 1, 272 Hus, Jan 196 Hut, Hans 74, 85, 90, 164 Irenäus, Christoph 215 Irenäus von Lyon 68, 148, 186, 191 Jahn, Bernhard 210 Jesus Christus passim Joachim von Fiore 148 Johann der Beständige 62, 143 Johannes II. (von Jerusalem) 76 Johannes XXII. (Papst) 184, 197 Johannes Chrysostomos 87 Johannes Duns Scotus 71 Johannes Klimakos 105 Johannes von Patmos 169 – 171, 195, 200

335

Johannes Scotus Eriugena 67 Johannes der Täufer 116, 217 Jona 43 – 52, 54, 64, 90, 294 Joseph (Patriarch)

155

Kain 64, 113, 266 Kant, Immanuel 42 Karl V. (Kaiser) 261, 267 Kaufmann, Thomas 8, 14 f., 161 f. Kautz, Jakob 85 – 88, 92, 98 Kerinth 151, 186, 191, 201, 208 Khuen, Johannes 19, 233 – 238, 252 Klaj, Johann 57 Kloppstock, Friedrich Gottlieb 97 Krüger, Friedhelm 72 Krummacher, Hans-Henrik 11 f., 153, 251, 253 Kuhlmann, Quirinus 250 Kunz, Erhard 74, 114, 130 Lamech 113 Lapide, Cornelius a 18 f., 184 – 192, 200, 207, 236 Lazarus 24, 29 – 31, 130, 224, 247, 295 Leade, Jane 95 Lehmann, Hartmut 7, 268 Leibniz, Gottfried Wilhelm 97 Leo X. (Papst) 111 Leppin, Volker 9, 158 Lohse, Bernhard 22 f., 33, 36 Lomessen, Hubert 132 – 135, 141 Loos, Cornelius 261 Ludwig von Granada 95 Lüdemann, Daniel 100 f., 104 f., 107, 109, 111, 113 f., 118, 121, 130, 142 f., 146, 162, 236 Luther, Martin 3 – 7, 10, 17, 19, 21 – 66, 68, 70 f., 77 – 80, 85 – 87, 90, 97, 107, 109, 111, 115, 122 f., 127, 131, 137, 139, 143, 146, 148 f., 152, 157 f., 162 – 168, 183, 185 f., 195 f., 199, 201, 207, 217, 219, 227, 232, 247, 249 f., 252, 272, 287, 294 – 296, 298, 300, 302 – 304 Maria Magdalena 113 Maria (Mutter Jesu) 102, 104, 113, 116, 141 – 143, 246

336

Personenregister

Matthäus 6 Mehrfeldt, Gerdt von 220 Melanchthon, Philipp 29, 71, 79 f., 109, 272, 287 f. Memling, Hans 219 Menius, Justus 18, 72, 80 – 84, 97 f., 297 Meyfart, Johann Matthäus 7 f., 20, 87, 94 f., 216, 218, 223, 227, 241, 253, 259 f., 268 – 289, 292 f., 297, 306 Michael (Erzengel) 219 Modalsli, Ole 7, 23 f., 26 – 28, 37 Mohammed 183 Molitoris, Ulrich 261 Mose 206, 269 Mühling, Markus 5, 37 Müller, Heinrich 106 Müntzer, Thomas 74 Napier, John 185 Nero 242 Neuser, Wilhelm H. 77 Nicolai, Philipp 8, 150, 160, 163, 183, 188, 207, 302 Nikolaus von Lyra 51 Noah 113 Oestreich, Gerhard 147 Olearius, Johann 31 Opitz, Martin 12, 245 Origenes 66, 76, 86 f., 91, 94, 96 Ortner, Max 6, 109 Osiander, Andreas 79 Paul III. (Papst) 264 Paulus 73, 87, 157, 164, 218, 269 Pesch, Otto Hermann 57 Petersen, Johann Wilhelm 95 – 97, 203 Petersen, Johanna Eleonora 18, 67, 95 – 98, 149, 203 – 206, 208, 297 Petrus 75, 164, 212 Petrus von Fossombrone (Angelus Clarenus) 183 Petrus Johannis Olivi 183 Platon 155 Pohlig, Matthias 9, 147, 150, 163, 199 Pollio, Lucas der Ältere 67

Praetorius, Anton (Anton Schulze, Pseudonym Johann Scultetus) 20, 259, 279 – 289, 292, 306 f. Preu, Ulrich 85 f. Prometheus 245 Reinhard, Wolfgang 14 Reinis, Austra 50 f., 53 Rhegius, Urbanus 85, 120 Rieger, Miriam 256 Rinck, Melchior 85 Ringwaldt, Bartholomäus 19, 209, 211 f., 214 – 219, 221 – 223, 225 f., 230, 238, 240 – 243, 245 f., 252 f., 304 f., 309 Rist, Johann 11 f., 19, 226 – 232, 234, 237, 241, 243, 245, 249, 251 f., 255 f., 282 Rodríguez, Alonso 104 Rölver, Olaf 5 Sachs, Hans 215 Salatowsky, Sascha 94 Samson, Hermann 272 Saul 291 Schäfer, Philipp 105 Schaller, Daniel 162 f. Scheffler, Johannes (Angelus Silesius) 19, 238 – 247, 251 f., 304 Schilling, Heinz 14 Schindling, Anton 14 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 42, 97 Schmidt, Christian 215 Schnüffis, Laurentius von 216, 243, 252 Schormann, Gerhard 257 Schulze, Anton siehe Praetorius, Anton Schwaiger, Georg 258 Schwambach, Claus 39 Schwarz, Reinhard 4 f., 37 Scultetus, Johann siehe Praetorius, Anton Seld, Johann Georg 161 f. Selnecker, Nikolaus 143 Slenczka, Notger 35 – 37 Smets, Anne 6, 212 f. Smolinsky, Heribert 9, 185 Sommer, Wolfgang 1 f., 8, 11, 43, 120 Soner, Ernst 7, 18, 67, 92 – 94, 98, 297 Soto, Domingo de 105

Personenregister

Sozzini, Fausto 92, 98, 222, 297 Sozzini, Lelio 92, 98, 222, 297 Spee von Langenfeld, Friedrich 20, 259 – 273, 275 – 281, 283 – 285, 288 f., 292, 306 Spindler, Georg 18, 120 – 127, 131, 146 f., 299 Steiger, Johann Anselm 5, 12, 27, 31, 45 f., 48 f., 54 – 56, 224, 249 – 251 Steinmeier-Kleinhempel, Anne M. 8 Stifel, Michael 162 Stollberg-Rilinger, Barbara 68 Tanner, Adam 261, 274 Tertullian 186, 191, 202 Thomas von Aquin 57, 125, 192, 271 Thomasius, Christian 20, 257 f., 289 – 292, 307 Timotheus 269 Trevor-Roper, Hugh R. 258 Trunz, Erich 7, 97, 232, 255, 257, 260, 277 Ubertin von Casale 184 Urban II. (Papst) 194

337

Viegas, Brás 182, 184, 189, 191 – 193, 200 f. Vitringa, Campegius der Ältere 203 Vollhardt, Friedrich 7 Vorgrimler, Herbert 5 f. Walther, Michael 240 Wegner, Franz 215, 221, 226 Wennemuth, Heike 211 Weyer, Johann 258 Wild, Johann 50 f. Williams, George Huntston 83, 88, 91, 93 Wolf, Johann 166 f. Wolff, Thomas 167 Wyclif, John 185, 196 Zanchi, Girolamo 118 Zeeden, Ernst Walter 15 Ziegler, Clemens 85, 91 f., 297 Zschoch, Hellmut 261 Zwi, Sabbatai 72 Zwingli, Ulrich 74, 79, 181, 183, 196