Vergleichendes Sehen in den Konfessionen der Frühen Neuzeit: Die Niederlande als liminaler Raum [1 ed.] 9783737012829, 9783847112822

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Vergleichendes Sehen in den Konfessionen der Frühen Neuzeit: Die Niederlande als liminaler Raum [1 ed.]
 9783737012829, 9783847112822

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The Early Modern World Texts and Studies

Band 5

Herausgegeben von Markus Friedrich, Jürgen Sarnowsky und Johann Anselm Steiger

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Janne Lenhart

Vergleichendes Sehen in den Konfessionen der Frühen Neuzeit Die Niederlande als liminaler Raum

Mit 129 Abbildungen

V&R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – GRK 2008 – 242138915. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung und Frontispiz: Hendrick Hondius: Afbeeldinghe vande roomsche kercke (…), ca. 1600, Kupferstich, 319 x 221 mm, Rotterdams Historisch Museum, Stichting Atlas van Stolk, Inventarnr. 5913 u. 5896 bzw. AVS 341 u. 324. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2626-3718 ISBN 978-3-7370-1282-9

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen? – Eine methodische Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Geführtes Sehen – Blickregie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Historische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 »ware catholieke kerk«. Wahrnehmung von eigener und fremder Konfession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Toleranz, Umgangsökumene oder konfessionelle Aushandlungsprozesse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Reformierte Kunst? – Künstler und Adaption . . . . . . . . . . . 1.7 Vergleichendes Sehen als Praxis der Einübung konfessioneller Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Die Kirche im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Neue Stadträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Willemstad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Stadtgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Befestigung Willemstads . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Innere Struktur und Landschaftliche Einbettung 2.2.4 Willemstad als reformierte Idealstadt . . . . . . 2.3 Scherpenheuvel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Stadtgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Stadtstruktur und Fortifikation . . . . . . . . . . 2.3.3 Scherpenheuvel als religiöse Landmarke . . . . . 2.3.4 Maria in der Landschaft . . . . . . . . . . . . . 2.4 Vergleichendes Sehen der neuen Städte . . . . . . . . 2.4.1 Willemstad und Scherpenheuvel im Vergleich . 2.4.2 Vergleichendes Sehen . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

3 Neue Kirchenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Neue Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Umnutzung von Kirchenräumen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Erste ephemere protestantische Kirchen in den Niederlanden 3.3 Koepelkerk in Willemstad als älteste reformierte Kirche der Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Nachgotik als Konzept der reformierten Kirchen . . . . . . . 3.4 Wallfahrtskirche Scherpenheuvel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Ausstattung der Wallfahrtskirche . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Konzeption Mariens in der Wallfahrtskirche . . . . . . . . . 3.4.4 Wallfahrtskirche als Lokalisierung der universalitas . . . . . . 3.5 Das Neue Jerusalem als überkonfessionelle Bezugsgröße . . . . . . 3.6 Aneignung, Umcodierung, Überbietung . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Vorwort

Vorliegende Studie wurde im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkolleg 2008 Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit erarbeitet und im Sommersemester 2019 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg als Dissertation im Fach Kunstgeschichte angenommen. Für die Publikation wurde der Text leicht überarbeitet. Dass dieses Buch nun erscheint, macht mich stolz und sehr dankbar. An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Margit Kern und Prof. Dr. Christine Büchner, die die Arbeit betreut und mit großem Enthusiasmus begleitet haben. Sie haben die Gutachten zur Dissertation verfasst. Weiterhin gilt mein Dank dem Hamburger Graduiertenkolleg Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit und hier insbesondere Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, Dr. Luisa Coscarelli-Larkin, Maria Schaller, Dr. Daniel Fliege, Dr. Frank Kurzmann und Mareike Angres. Für wertvolle Hinweise und Unterstützung danke ich außerdem Prof. Dr. Seraina Plotke (†), Anja Brug, Michael Hanne, Dr. Yannis Hadjinicolaou, Prof. Dr. Ulrich Heinen, Elena Tolstichin und Şirin Datlı. Ein besonderer Dank gebührt Prof. Dr. Valeska von Rosen und Prof. Dr. Ulrich Rehm sowie Svenja Neupert. Außerdem danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, auch für die finanzielle Unterstützung sowie der Geschwister-Dr.-Meyer Stiftung. Auch danke ich herzlich den Herausgebern der Reihe The Early Modern World. Texts and Studies für die Aufnahme der Arbeit. Für ihre Nachsicht, Zuversicht und ihren Rückhalt danke ich Lisa Marie, Norbert, Martina, Elke und vor allem Raymond.

Einleitung

Abb. 1: Johannes Wierix (nach Maarten van Heemskerck), Unser tägliches Brot gib uns heute, ca. 1571, Kupferstich, 20,7 x 25,3 cm, Amsterdam, Rijksmuseum Rijksprentenkabinet.

Wir blicken in einen Kirchenraum (Abb. 1). Im rechten Vordergrund steht ein Priester auf einer Kanzel und predigt zur Gemeinde, die sich links vor ihm versammelt hat.1 Im Hintergrund ist der Chor der Kirche zu sehen. Hier steht ein geöffneter Flügelaltar, vor dem ein Priester die heilige katholische Kommunion feiert.2 Ganz rechts im Bild ist ein Mann in einer Seitennische zu sehen, der ein Dankesgebet für das Brot ausspricht, um das es in der Darstellung geht. Bei der Darstellung handelt es sich um eine Illustration des Verses »unser tägliches Brot 1 Johannes Wierix (nach Maarten van Heemskerck), Unser tägliches Brot gib uns heute, ca. 1571, Kupferstich, 20,7 x 25,3 cm, Amsterdam, Rijksmuseum Rijksprentenkabinet; vgl. Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts ca. 1450–1700. Bd. 63, The Wierix Family Part 5. Hg. von Jan van der Stock, Marjolein Leesberg. Rotterdam 2004, Nr. 1040, S. 136. 2 Bei dem Flügelaltar handelt es sich zum Entstehungszeitpunkt eigentlich um ein ›veraltetes‹ Medium, dass im 16. Jahrhundert Einzelaltarbildern wich. Hierdurch mag ein Hinweis auf die Kontinuität der katholischen Kirche gegeben sein, die auch eine Korrespondenz in der altertümlichen Kleidung der Figuren im Kirchenraum hat. Auf der Mitteltafel des Triptychons findet sich eine Kreuzigungsszene, auf dem linken Flügel die Opferung Isaaks, der auf dem rechten Flügel die Aufrichtung der ehernen Schlange gegenübergestellt ist. Das Bildprogramm zeichnet sich folglich durch eine klar christozentrische Ikonografie aus.

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gib uns heute« (»panem nostrum quotidianum danobis hodie«) des Vaterunsers, die im Jahr 1571 von Johannes Wierix nach einer Vorlage von Maarten van Heemskerck gestochen wurde.3 Etwa siebzig Jahre später wurde die Grafik durch den Amsterdamer Kupferstecher und Verleger Claes Jansz. Visscher erneut gedruckt, nun allerdings für einen reformierten Adressatenkreis (Abb. 2).⁴ Um die ursprünglich katholische Darstellung für ein reformiertes Publikum anzupassen, scheinen nur wenige Änderungen nötig gewesen zu sein: Lediglich der Altar samt Triptychon und Leuchtern verschwindet, an seiner Stelle findet sich nun ein Abendmahlstisch, an dem das Sakrament von einem Pfarrer verteilt wird. Ferner sind die Heiligenfiguren, die in der katholischen Fassung an den Säulen entlang des Mittelschiffs angebracht waren, getilgt worden. Betrachtet man beide Stiche parallel, wie etwa Ilja Veldmans Besprechung der Objekte vorsieht (Abb. 3), scheinen sich die Unterschiede zwischen katholischem und reformiertem Bekenntnis räumlich nur marginal zu äußern.⁵ Der Kirchenraum und die Gemeinde sind die gleichen und die Liturgie, bestehend aus Abendmahlsfeier und Predigt von der Kanzel, scheint übereinzustimmen. Gilt also die einfache Formel, dass Katholiken ihre Kirchen mit Bildern ausstatteten, während die Reformierten dies ablehnten? Die konfrontative Gegenüberstellung der beiden Grafiken lädt dazu ein, katholische und reformierte Kirche, deren Ausstattung und die Liturgie im Vergleich zueinander zu betrachten. Durch dieses Verfahren wird eine visuelle Evidenz erzeugt, der man sich nur schwer entziehen kann. Im Vergleichen beider Stiche lässt sich allem Anschein nach die jeweilige konfessionelle Identität feststellen, die sich lediglich in der Ausstattung der Kirchen zeigt.⁶ Beide Stiche lassen zwar auf das jeweilige Bekenntnis der Kirchendarstellungen schließen, konfessionelle Polemik findet indes nicht statt. Die niederländische Kunsthistorikerin Ilja Veldman hat diese konfessionsübergreifende Verwendung als »multifunctional Imagery« beschrieben: »Often we see that one and the same Bible quotation or same pictoral motif was used by the adherents of different denominations.«⁷ Dies wird am vorliegenden Beispiel der Vaterunser-Illustration von Maarten van Heemskerck noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass das Sujet wohl zunächst im deutschsprachigen Raum zur Bebilderung reforma3 Zur Zeichnung von van Heemskerck, 20,3 x 25,5 cm, im Statens Museum for Kunst Kopenhagen, siehe Jan Garff: Tegninger af Maerten van Heemskerck. Illustreret katalog. Kopenhagen 1971, Kat.-Nr. 110–117. 4 Johannes Wierix (nach Maarten van Heemskerck), von Claes Jansz. Visscher, Unser tägliches Brot gib uns heute, (2. späterer Zustand), 1643, Kupferstich, 20,9 x 25,0 cm, Amsterdam Rijksmuseum Rijksprentenkabinet, vgl. Hollstein Bd. 63, 2004 (Anm. 1), S. 134–138. Bei seiner Neuauflage der Serie für sein Theatrum Biblicum (1643) ersetzte Visscher außerdem die figürlichen Darstellungen Gottvaters durch das Tetragramm. 5 Ilja Veldman: Images for the eye and soul. Function and meaning in netherlandish prints 1450– 1650. Leiden 2006, S. 113f. 6 Für dieses Beispiel vgl. etwa Margaret Aston: Public Worship and Iconoclasm. In: The Archeaology of Reformation 1480–1580. Hg. von David Gaimster. Leeds 2003, S. 9–28, hier S. 12. 7 Veldman 2006 (Anm. 5), S. 108.

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Abb. 2: Johannes Wierix (nach Maarten van Heemskerck), hrsg. von Claes Jansz. Visscher, Unser tägliches Brot gib uns heute, (2. späterer Zustand), 1643, Kupferstich, 20,9 x 25,0 cm, Amsterdam Rijksmuseum Rijksprentenkabinet.

torischer Vaterunser-Drucke, etwa von Lucas Cranach d. Ä. oder Hans Holbein d. J., verbreitet wurde, bis es van Heemskerck in den Niederlanden in einen dezidiert katholischen Kontext übertrug.⁸ Doch können wir die beiden Fassungen des Sujets überhaupt nebeneinander stellen und damit ein vergleichendes Sehen aktivieren, das in der Differenz – vermeintliche – konfessionelle Identitätsmarker ausfindig macht?⁹ Die Zusammenstellung der beiden Stiche suggeriert in deren grundsätzlichen Gleichheit eine große Schnittmenge konfessionell geteilter Praktiken, gerade hinsichtlich der Nutzung des Kirchenraums. So überzeugend das Beispiel veranschaulichen mag, dass es Sujets gab, die überkonfessionell eingesetzt werden konnten, so sehr stellt das Nebeneinanderstellen beider eine spezifische Form des Vergleichens dar, die den Zeitgenossen fremd gewesen sein dürfte.1⁰ Es erscheint 8 Z. B. durch eine Ausgabe einer Vaterunser-Auslegung von Erasmus von Rotterdam: Een wtlegginghe des Pater Noster op die seven dagen vander weken. Amsterdam s.a., s.p. 9 Diese bildliche Zusammenstellung in Publikationen als Form des Vergleichs hat bereits Thürlemann problematisiert, vgl. Felix Thürlemann: Bild gegen Bild. Für eine Theorie des vergleichenden Sehens. In: Pendant Plus. Praktiken der Bildkombinatorik. Hg. von Gerd Blum u. a. Berlin 2012 (Reimer Bild+Bild 2), S. 391–401, bes. S. 396. 10 Gegenüberstellungen der »Guten und der Schlechten Kirche« waren etwa im deutschsprachigen

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Abb. 3: Veldman 2006, S. 113f.

unwahrscheinlich, dass im 17. Jahrhundert jemand Visschers Druck neben Wierix’ Fassung gelegt hätte, um dann festzustellen, dass die Konfessionen eigentlich nur anhand ihrer Duldung von Bildern in Kirchenräumen zu unterscheiden seien. Unwahrscheinlich deshalb, weil die Stiche in den Kontext illustrierter Vaterunser-Drucke eingebunden waren und im Kontext dieses Mediums rezipiert wurden.11 Die zeitliche und räumliche Distanz der Ausgaben stützen dieses Argument. Wie aber lassen sich Vergleiche über das Verhältnis der frühneuzeitlichen konfessionsspezifischen religiösen Praxis anstellen, die der Perspektive der Akteure gerecht werden? Kann es solche Vergleiche überhaupt geben? Mit der vorliegenden Arbeit soll eine Perspektive aufgezeigt werden, vergleichendes Sehen als Heuristik zu nutzen, indem solche Objekte analysiert werden, die selbst mit visuellen Vergleichen operieren (vgl. Abb. 4 und 5). Grenzübergreifend Kunstgeschichte

Gleichwohl veranschaulicht das Beispiel, dass es sich lohnt, die konfessionelle Bildwelt der Reformationszeit grenz- und konfessionsübergreifend zu untersuchen. Wierix’ erste Fassung des Bildes entstand 1571 im katholischen Antwerpen; Claes Jansz. Visschers gab seinen überarbeiteten Druck 1643 in Amsterdam, also in der sich zur reformierten Kirche bekennenden Republik der VerRaum zwar durchaus verbreitet (vgl. Kat. Ausstell. Luther und die Folgen für die Kunst. Hamburger Kunsthalle. Hg. von Werner Hofmann. München 1983, S. 188), wurden aber in der Regel innerhalb einer Komposition kontrastiert; vgl. etwa ebd., Kat.-Nr. 67–71. 11 Wierix veröffentlichte die achtteilige Serie 1571 bei Philips Galle in Antwerpen; Visscher publizierte die bearbeiteten Grafiken von Wierix zusammen mit vielen weiteren in seinem Theatrum Biblicum. Amsterdam 1643; Hollstein 63, 2004 (Anm. 1), S. 134.

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einigten Provinzen, heraus. Das forscherliche Interesse für solche überregionalen Adaptionsprozesse in den Niederlanden ist ein junges Phänomen. Wie aufschlussreich die Untersuchung transkultureller Verflechtungen für die Kunstgeschichte der frühneuzeitlichen Niederlande sind, ist jüngst von Karolin de Clippel hervorgehoben worden. Unter dem Titel »Towards a single art history?« regt die Autorin dazu an, niederländische Kunst nicht gemessen an heutigen Ländergrenzen, sondern am damaligen Kulturraum zu untersuchen.12 Sie spricht sich dezidiert gegen eine Unterscheidung in Dutch Art und Flemish Art aus, weil diese Einteilung nicht der Sichtweise und Praxis der frühneuzeitlichen Akteure entspreche. Dem hinzuzufügen ist, dass diese Dichotomie in der Regel auch mit der Vorstellung konfessioneller Entitäten einhergeht, die bislang vorwiegend binnenkonfessionell erforscht wurden.13 Mit der Forderung nach kunsthistorischen Untersuchungen, die den gesamten niederländischen Raum und die Mobilität von Künstlern und Artefakten berücksichtigen, berührt de Clippel einen wichtigen Punkt niederländischer Geschichtsschreibung, deren Ursprünge die Autorin in der zeitlichen Nähe von Nationalismus und sich etablierender kunsthistorischer Disziplin sieht.1⁴ Konzise zeichnet sie nach, wie in den verschiedenen kunsthistorischen Arbeitsbereichen universitäre Forschung und Lehre, Museum und Ausstellungswesen sowie Forschungseinrichtungen wie dem RKD Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis etwa seit der Jahrtausendwende ein Paradigmenwechsel festzustellen ist.1⁵ Dieser besteht aus dem Bewusstsein, dass die tradierte Niederlandeforschung an modernen nationalen Ländergrenzen orientiert war, die für die Frühe Neuzeit nicht haltbar sind. Ein überregionaler Zugriff kann dagegen der Tatsache Rechnung tragen, dass die Zeitgenossen die Trennung in Spanische Niederlande und Niederländische Republik in zahlreichen Kontexten selbst nicht vorgenommen haben. So fassten etwa die frühneuzeitlichen Biografen wie Karel van Mander 1604, aber auch später Arnold Houbraken und Cornelis de Bie in ihren Künstlerbiografien alle niederländischen Künstler zusammen und folgten weder einer geografischen noch politischen Unterscheidung in Nord und Süd oder katholisch und reformiert, sondern listeten alle Künstler als Niederländer auf.1⁶ Mit dem modernen nationalen Zugriff ist die Schwierigkeit verbunden, dass er zu einer Überbewertung des Trennenden und zur Marginalisierung von Ver12 Karolin de Clippel: Dutch Art in Relation to Seventeenth-Century Flemish Art. In: The Ashgate Research Companion to Dutch Art of the Seventeenth Century. Hg. von Wayne Franits. London, New York 2016, S. 390–405. 13 Zumindest von kunstgeschichtlicher Seite ist dies wenig erforscht. Die historische Forschung hat hierzu bereits wichtige Beiträge geleistet, siehe auch Kap. 1.5. 14 Und in der Tat ist es ja bezeichnend, dass der Beitrag in der Sektion »Topics of Recent Research« ausgerechnet im Dutch Companion (sic) erschien. 15 Vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: An Independent Dutch Art? A View from Central Europe. In: De seventiende eeuw 13 (1997), S. 359–366 und bereits kurz zuvor Albert Blankert: Review of ›Dawn of the Golden Age‹. In: The Art Bulletin 77 (1995), S. 145–148. 16 Vgl. Pieter Groenendijk: Beknopt biografisch lexicon van Zuid- en Noord-Nederlandse schilders, graveurs, glasschilders, tapijtwevers et cetera van ca. 1350 tot ca. 1720. Utrecht 2008.

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bindendem verleitet. Es besteht die Gefahr, Überregionales erst gar nicht wahrzunehmen, wenn Kunstwerke und Artefakte in räumlich nur begrenzten Rahmen untersucht werden. Dies zeigt sich insbesondere, wenn es um konfessionelle Identitäten geht. Welche Überzeugungen, Praktiken und Bilder die Zeitgenossen selbst als konfessionell identitätsstiftend aufgefasst haben, wird nur im transkonfessionellen Kontext sichtbar. Auch wirkt ein nationaler Zugriff oft isolierend, weil er zu einer Hervorhebung der Leistungen oder künstlerischer Fähigkeiten der ›eigenen‹ Kunst und Künstler und einer Vernachlässigung ähnlicher Phänomene in anderen Kontexten führen kann.1⁷ Wie also lassen sich Figuren des Dazwischen situieren? Seit der Jahrtausendwende gibt es ein Interesse daran, einen Zugang zu wählen, der stärker an der Verflochtenheit von Räumen interessiert ist. Es sind erste Ansätze zu beobachten, die eine grenzübergreifende Untersuchung als Ausgangspunkt der eigenen Forschung setzen.1⁸ Noch abzuwarten bleibt, ob die Forderung, Transferprozesse zwischen den nördlichen und südlichen Niederlanden stärker in den Fokus zu rücken, nicht ausgerechnet dazu führt, eine polare Sichtweise beizubehalten, weil die Konzentration auf die Überschreitung von Grenzen gerade diese präsent hält und somit die ›Zwei-heit‹ betont. Formierung konfessioneller Identitäten im liminalen Raum

Das Interesse der vorliegenden Arbeit ist es, die Genese konfessioneller Identitäten und deren prozesshafte Formierung sichtbar zu machen, bevor ausgebildete Konfessionskulturen bestanden.1⁹ Hierzu werden Objekte analysiert, die die gegenseitige Wahrnehmung der Reformierten und Katholiken sichtbar werden lassen. Den Auftakt der Untersuchung bilden zwei Kupferstiche von Hendrick 17 Lange Zeit interessierten sich niederländische KunsthistorikerInnen vorwiegend für niederländische Kunst, belgische KunsthistorikerInnen vorwiegend für flämische. Auch de Clippel honoriert, dass es der niederländischen Kunstgeschichte gelungen sei, eine transkulturelle Geschichtsschreibung voranzutreiben, betont dabei aber, dass dies umgekehrt noch wünschenswert sei (S. 398), womit sie einen konkurrierenden Vergleich – wenn auch mit einem Shift – aufrechterhält. 18 Siehe etwa das Gerson Projekt des RKD Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis: Gerson digital: https://rkd.nl/nl/projecten-en-publicaties/projecten/621-gerson-digital (06.10.2020) sowie das Projekt von Konrad Ottenheym, Krista De Jonge (Hg.): Unity and Discontinuity. Architectural Relations between the Southern and the Northern Low Countries 1530–1700. Turnhout 2007 (Architectura moderna 5). 19 Ein Überblick über die bestehende Forschung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden, für die Niederlande vgl. den historischen Überblick in Kap. 1.3. Insbesondere die sich seit den 1980er Jahren etablierende Konfessionalisierungsthese von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard hat die Vorstellung sich ständig auseinander entwickelnder Konfessionen verstetigt; vgl. den Überblick von Thomas Kaufmann: Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft – Sammelbericht über eine Forschungsdebatte. In: Theologische Literaturzeitung 121 (1996), Sp. 1008–1025 und Sp. 1112–1121. Kritische Reflexionen zum Konfessionalisierungsparadigma finden sich u. a. bei C. Scott Dixon, Dagmar Freist, Mark Greengrass (Hg.): Living with religious diversity in early modern Europe. Farnham 2009 (St. Andrews studies in Reformation history); Kaspar von Greyerz u. a. (Hg.): Interkonfessionalität, Transkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Gütersloh 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201).

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Hondius (Abb. 4 und 5), die die katholische und reformierte Kirche als allegorische Bauten miteinander konfrontieren. Sie sind ein Beispiel dafür, dass der Ausbildung von Konfessionskulturen zunächst eine Klärung darüber vorausgeht, was den einzelnen Bekenntnissen jeweils eigen ist und was sie voneinander unterscheidet.2⁰ Anhand der Druckgrafiken wird sichtbar, wie sehr die Ausbildung und Festigung der eigenen konfessionellen Überzeugung immer auch von dem Blick auf die anderen bestimmt wird. Wie zeigt sich konfessionelle Zugehörigkeit in Artefakten? Wie wird sie im Kirchenraum sichtbar gemacht? Wenn Identität nicht eo ipso entsteht, sondern durch einen kontinuierlichen Prozess des Überprüfens von Überzeugungen und der Anerkennung des Eigenen in der Abgrenzung zu Fremdem, welches sind die Parameter anhand derer die Zeitgenossen Konfession ›erkannt‹ haben? Wenn die Frage darüber, was die Bekenntnisse konkret zum Ausdruck bringt, noch zur Verhandlung stand, heißt dies für die Bildung und Festigung konfessioneller Identitäten, dass die Zuschreibungen katholisch und reformiert nicht als dichotom essenzialistisches Begriffspaar dienlich sind. Vielmehr lohnt es sich, gerade die gegenseitige Bezogenheit der sich bildenden Gruppen aufeinander näher zu untersuchen, um nachzuvollziehen, mittels welcher Argumentationsmuster die Zeitgenossen selbst Identität und Differenz erfahren haben.21 Dieser Zugang erscheint insbesondere für das erste Konfessionsjahrhundert wichtig, in dem die Akteure ihre konfessionelle Identität praktisch einübten. Die Betonung der Praxis dieses Einübens verdeutlicht, wie wichtig die Handlungen der Akteure waren, um diese Identität zu erfahren. Außerdem kann die Aufmerksamkeit auf die Praxis der Handelnden besonders gut veranschaulichen, wie prozesshaft die Konstruktion des Selbst und eines Anderen sind. Beachtenswert ist, dass dies nicht nur für die Anhänger der ›neuen‹ Konfessionen galt, sondern ebenso für Katholiken. Dies hängt zum einen mit den innerkatholischen Reformbewegungen zusammen, die nicht erst durch die Reformation hervorgerufen wurden; 20 Dass es dabei auch zur positiven Bekräftigung konfessionell geteilter Vorstellungen, Praktiken und Überzeugungen kommen konnte, haben jüngere Studien zu Phänomenen der »Interkonfessionalität« gezeigt, vgl. etwa Thomas Max Safley (Hg.): A Companion to Multiconfessionalism in the Early Modern World. Leidem 2011 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 28); Luisa Coscarelli-Larkin: Der lutherische Rosenkranz und seine multisensorische Erfahrbarkeit. Konfessionelle und medizinische Aspekte von Gebetszählgeräten in Porträts der Frühen Neuzeit. Bern u. a. 2020 (Vestigia Bibliae); Frank Kurzmann: Die Rede vom Jüngsten Gericht in den Konfessionen der Frühen Neuzeit. Berlin u. a. 2019 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 141); Thomas Throckmorton: Das Bekenntnis des Hofmanns. Lutheraner und Reformierte am Hof Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Berlin, Boston 2019; Johann Anselm Steiger (Hg.): Reformation und Medien. Zu den intermedialen Wirkungen der Reformation. Leipzig 2018 (Reformation heute 4); Luisa Coscarelli, Rogier Gerrits, Thomas Throckmorton (Hg.): Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit. Kontexte und Konkretionen. Frankfurt a. M. u. a. 2018 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 59) sowie Bernhard Jahn, Claudia Schindler (Hg.): Maria in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Berlin, Boston 2020 (Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 234). 21 Vgl. Margit Kern: Was ist lutherisch? Konfessionelle Aushandlungsprozesse in religiösen Bildprogrammen der Frühen Neuzeit. In: Kat. Ausstell. Luther und die Deutschen. Begleitband zur Nationalen Sonderausstellung. Petersberg 2017, S. 339–344.

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zum anderen veranlassten die Präsenz des Luthertums und der Reformierten durchaus Selbstdefinitions- und Selbstvergewisserungsprozesse, sodass die Frage nach dem eigenen Konfessionsverständnis für alle Konfessionen gleichermaßen relevant war. Der zur Beschreibung dieser Entwicklungen gewählte Begriff der Aushandlungen zeigt an, dass es sich um Kommunikationsprozesse handelt, die aus gegenseitiger Aufeinananderbezogenheit resultieren.22 Dieses mutual positioning nachzuzeichnen erlaubt es, mehrere Perspektivwechsel entlang des verhandelten Raumes einzunehmen: wie wurde jeweils die konfessionell andere Seite wahrgenommen, wie wurde Position zu ihr bezogen, wie wurde auf gesetzte Grenzmarkierungen reagiert und ›nachverhandelt‹? Der liminale Raum der Niederlande

Deutlich wird, dass in der Geschichtsschreibung der Niederlande der Frühen Neuzeit zwei Themenkomplexe zusammenkommen: Die Konstitution zweier politischer Territorien – die südlichen Niederlande, die von den Spaniern regiert wurden, sowie die Republik der Vereinigten Provinzen im Norden – und die Reformation, die Spaltung der katholischen Kirche in verschiedene Konfessionen. Beide Ereignisse sind in den Niederlanden eng miteinander verknüpft, sodass am Ende des Achtzigjährigen Krieges 1648 zumindest schematisch von zwei Räumen zu sprechen ist; den spanischen Niederlanden, die sich zur katholischen Kirche bekannten und den nördlichen Provinzen, in der die Reformierten die Publieke Kerk bildeten. Im Folgenden soll konkret gerade die Region in den Blick genommen werden, die während des Achtzigjährigen Krieges die Trennung zwischen den Territorien und den Konfessionen bildete. Weil es sich für den Untersuchungszeitraum um 1600 weniger um eine feststehende Grenze, als vielmehr ein Gebiet handelte, in dem Hoheiten kontinuierlich neu ausgehandelt wurden, wird vorgeschlagen, die Region als liminalen Raum zu verstehen.23 Der Begriff ›liminal‹ eignet sich, weil er einen Möglichkeitsraum kennzeichnet, der offen für Zuordnungen und Festlegungen ist. Er ermöglicht es, gegenseitige Bezogenheiten, Gemeinsamkeiten und auch Phänomene der Abgrenzung in den Blick zu nehmen.2⁴ Der Begriff der Liminalität hat sich in den letzten Jahren in den Kulturwissenschaften etabliert und wurde auch für die Kunstgeschichte fruchtbar gemacht.2⁵ Ursprünglich von 22 Zum Begriff der ›konfessionellen Aushandlungen‹ siehe Kap. 1.5. 23 Während des Achtzigjährigen Krieges wechselte die Hoheit über zahlreiche Städte wie Antwerpen, Ostende und ’s-Hertogenbosch teilweise mehrfach. Hinzu kommt, dass die südlichen Provinzen zwar formal zu der Vereinigten Republik gehörten, jedoch als sogenannte Generalitätslande verwaltet wurden. 24 Vgl. den Sammelband von Agnes Horvath, Bjorn Thomassen, Harald Wydra (Hg.): Breaking boundaries. Varieties of liminality. New York, Oxford 2015. 25 Vgl. etwa Margit Kern: Liminalität. In: Kunst – Begriffe der Gegenwart. Von Allegorie bis Zip. Hg. von Jörn Schafaff, Nina Schallenberg, Tobias Vogt. Köln 2013 (Kunstwissenschaftliche Bibliothek 50), S. 147–151. Z. B. wurden Bilderrahmen als liminaler Raum aufgefasst, vgl. Lynn F. Jacobs: Thresholds and boundaries. Liminality in Netherlandish art, 1385–1530. London, New

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Victor Turner im Anschluss an Arnold van Gennep geprägt, beschreibt Liminalität einen Schwellenzustand, in dem sich Individuen befinden, die ein Initiationsritual durchlaufen.2⁶ Im Schwellenzustand gehören sie weder dem vorherigen noch dem kommenden Zustand an, sodass ein kreatives Potential freigegeben wird, das sich entfalten kann, weil handlungsstrukturierende Rahmen entfallen. Der Begriff der Liminalität vermag es insbesondere Qualitäten und Phänomene des Übergangs auszumachen, die bei teleologisch angelegten Studien – die sich nur auf Kontinuitäten, nicht aber auf Brüche und ›lose Enden‹ konzentrieren – nicht in den Blick genommen werden. These ist, dass das Begreifen der Niederlande als liminaler Raum ungemein geeignet ist, um Phänomene konfessioneller Identitätsfindung zu untersuchen, weil hierdurch deutlich wird, dass Raum prozesshaft überhaupt erst angeeignet und, so die These, konfessionell markiert wurde. In der vorliegenden Arbeit wird künstlerischen beziehungsweise ästhetischen Formularen nachgegangen, die ein Interesse an der Vereindeutigung des liminalen Raumes hatten, und untersucht, wie gebaute Räume und Raum-Bilder als Mittel eingesetzt wurden, sowohl um über konfessionelle Positionen zu verhandeln als sie überhaupt erst sichtbar zu machen. Aufbau der Arbeit

Immer den Ausgang des Achtzigjährigen Krieges vor Augen habend, fehlen kunsthistorische Untersuchungen, welche die Ausbildung und die Dynamik konfessioneller Identitäten analysieren. Die vorliegende Arbeit setzt hier an und versteht sich als einen Beitrag zur Verflechtungsgeschichte. Das Interesse ist es, Formierungsprozesse konfessioneller Identitäten im niederländischen Raum zu analysieren. Hierbei wird es nicht darum gehen, ›Einflüsse‹ der Dutch art auf die Flemish art beziehungsweise vice versa nachzuzeichnen, im Sinne einer genetischen Ableitung oder Herkunft von Kunstwerken, wie das eingangs formulierte Beispiel vor Augen führen mag.2⁷ Stattdessen soll die Verflechtung des Raumes ernst genommen werden, indem nachgezeichnet wird, wie der Raum überhaupt erst angeeignet und markiert wurde. Somit wird der Raum nicht als Rahmen konfessioneller Identitätsbildung aufgefasst, sondern als Gegenstand verstanden, in dem und über den verschiedene Parteien über konfessionelle ZugehöYork 2018 (Visual culture in early modernity); das Litoral wurde als liminaler Raum neu akzentuiert, vgl. Hannah Baader, Gerhard Wolf: A sea-to-shore perspective. Littoral and liminal spaces of the medieval and early modern Mediterranean. In: Litoral and liminal spaces. The early modern Mediterranean and beyond. Florenz 2014 (Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 56), S. 3–15; und auch Wallfahrten wurden als liminale Handlung verstanden, vgl. Elissa Auerbach: Pilgrimage and the Liminal Landscape in Early Modern Netherlandish Art. In: Formations of Identity. Society, Politics and Landscape. Hg. von Floyd Martin, Eileen Yanoviak. Newcastle upon Tyne 2016, S. 19–46. 26 Victor Turner: The forest of symbols. Aspects of Ndembu ritual. Ithaca 1967, S. 93–111; vgl. auch Tobias Benzing: Ritual und Sakrament. Liminalität bei Victor Turner. Frankfurt a. M. 2007 (Würzburger Studien zur Fundamentaltheologie 36), bes. S. 77–92. 27 Vgl. Valeska von Rosen: Interpikturalität. In: Metzler Lexikon der Kunstwissenschaft. Ideen – Methoden – Begriffe. Hg. von Ulrich Pfisterer. Stuttgart 2011, S. 208–211.

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rigkeit verhandelten und erprobten, mit welchen räumlichen Gestaltungsmitteln das jeweilige Bekenntnis zum Ausdruck gebracht werden konnte. Eine leitende These der Arbeit lautet, dass die Formierungen konfessioneller Zugehörigkeiten nur im Zusammenspiel der beteiligten Gruppen untersucht werden können. Die Geschichte der niederländischen Reformation ist von der historischen Forschung gut erschlossen und insbesondere in den letzten Jahren auch sehr differenziert dargestellt worden.2⁸ Es wurde gezeigt, dass sich die Prozesse der Konfessionalisierung wesentlich vielfältiger darstellten, als in den europäischen Nachbargebieten, und die Republik der Vereinigten Provinzen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wohl die »am stärksten multi-konfessionell geprägte Gesellschaft im frühneuzeitlichen Europa« war.2⁹ Diese Feststellung führte zu einem Vokabular, das die Niederlande als eine Republik der »Toleranz«3⁰ und der »Umgangsökumene«31 beschreibt. Von kunsthistorischer Seite sind diese Begriffe kaum hinterfragt worden und nur wenige Studien widmeten sich Phänomenen visueller Aushandlungsprozesse konfessioneller Identitäten.32 In der vorliegenden Studie wird daher die historische Terminologie auf ihre Anwendbarkeit für kunstgeschichtliche Untersuchungen überprüft.33 Zwei Kupferstiche des vorwiegend in Den Haag tätigen Künstlers Hendrick Hondius stellen das Ausgangsbeispiel dar (Abb. 4 und 5). Die Grafiken sind der Forschung zwar bekannt, wurden bislang aber fast ausschließlich zu illustrativen Zwecken zitiert und sind noch nicht eingehend besprochen worden.3⁴ Die Analyse der allegorischen Darstellung zweier Kirchenräume ermöglicht es, die Sichtweise der Zeitgenossen auf das Verhältnis von katholischer und reformierter Kirche zu erschließen. Wie erfolgte die Wahrnehmung und bildliche Inszenierung des konfessionell Eigenen, wie wurde ein konfessionell Anderes dazu in Beziehung gesetzt? Wurden Gemeinsamkeiten oder Unterschiede akzentuiert? Die leitende These für das erste Kapitel lautet, dass noch viel stärker als das 28 Siehe Kap. 1.3 und 1.5 mit Literaturhinweisen. 29 Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation. München 2016, S. 254. 30 Benjamin Kaplan: Divided by Faith. Religious Conflict and the Practice of Toleration in Early Modern Europe. Cambridge 2007. 31 Willem Frijhoff, Marijke Spies: Nederlandse cultuur in Europese context. Bd. 1: 1650, Bevochten Eendracht. Den Haag 1999. 32 Vgl. die jüngeren gut durchdachten Studien von Almut Pollmer-Schmidt: Kirchenbilder. Der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650. Weimar 2017; Valeska von Rosen: Verhandlungen in Utrecht. Ter Brugghen und die religiöse Bildsprache in den Niederlanden. Göttingen 2015 (Figura. Ästhetik, Geschichte, Literatur 3); Miriam Volmert: Grenzzeichen und Erinnerungsräume. Holländische Identität in Landschaftsbildern des 15.–17. Jahrhunderts. Berlin 2013 (Ars et scientia 4) sowie Karsten Müller: Grenzmarkierungen. Argumentationsstrategien und Identitätskonstruktionen in der politischen Druckgraphik der Niederlande zwischen 1570 und 1625. Hamburg 2003 (unv. Diss.). 33 Siehe Kap. 1.5. 34 Etwa bei Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 244 und James R. Tanis: Netherlandish Reformed Traditions in the Graphic Arts 1550–1630. In: Seeing beyond the word. Visual arts and the Calvinist tradition. Hg. von Paul Corby Finney. Grand Rapids u. a. 1999, S. 369–396, hier S. 383f.

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Sujet und die Ikonografie, die Bildstrategie des visuellen Vergleichs relevant ist, um konfessionelle Positionierungen visuell zu vermitteln. Deshalb wird neben einer Bildanalyse intensiv der Darstellungsweise, also gewissermaßen der Kommunikationsstrategie, nachgegangen und diese anhand von möglichen Vorbildern systematisch erschlossen. Auf diesen historischen, methodischen und kommunikations-analytischen ersten Teil aufbauend, werden im zweiten Kapitel Aushandlungsprozesse im und über den liminalen Raum das Thema sein. Die Hypothese lautet hier, dass der liminale Raum durch ästhetische Räume und Raummarkierungen angeeignet und konfessionell codiert wurde. Anhand von zwei Stadtgründungen wird analysiert, wie gebaute Räume zur Ausstellung konfessioneller Identitäten genutzt wurden. Im ersten Teil wird es um Willemstad in den nördlichen Provinzen, im zweiten Teil um den katholischen Wallfahrtsort Scherpenheuvel in den südlichen Niederlanden gehen. Ausgehend von der Gründungsgeschichte der Orte, die beide während des Achtzigjährigen Krieges entstanden, wird anhand von kartografischen Darstellungen untersucht, wie die jeweilige Konfession im Stadtbild zum Ausdruck gebracht wurde. Die beiden Städte stellen deshalb wichtige Beispiele dar, weil in Willemstad die erste reformierte Kirche errichtet wurde, während man in Scherpenheuvel kurze Zeit später die größte Wallfahrtskirche der Niederlande baute. Wie wurden die geografische Lage, der Grundriss der Stadt und die Befestigungsanlagen inszeniert und wo wurde Konfessionsspezifisches räumlich erfahrbar gemacht? Wie wurde durch die jeweils spezifische räumliche Ästhetik eine ›Deliminalisierung‹ des liminalen Raumes erzielt? Im dritten Teil des Kapitels wird schließlich ausführlich dargelegt, warum es aufschlussreich ist, beide Städte in einer vergleichenden Untersuchung zu besprechen.3⁵ Stehen im zweiten Kapitel die Stadträume von Willemstad und Scherpenheuvel im Fokus, wird das Thema des dritten Kapitels die Gestaltung von ›Raum im Raum‹ sein. Beide Stadtgründungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihr räumlicher Mittelpunkt durch einen sakralen Neubau gebildet wird. Anhand beider Bauten lässt sich die Bauaufgabe konfessionsspezifische Sakralarchitektur in besonderer Weise nachvollziehen, weil es sich zum einen im Fall von Willemstad um die erste reformierte Kirche der Niederlande überhaupt handelte und damit unweigerlich die Frage nach einem eigenen Bautypus aufgeworfen war, und zum anderen die Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel als prestigeträchtiges Bauprojekt in der Grenzregion daran gemessen wurde.3⁶ Wie werden städtischer Raum und Kirchenraum zueinander ins Verhältnis gesetzt? Welchen Anteil an der konfessionellen Markierung der Räume trägt die Innenausstattung der Kirchen? Mit der Wahl der Fallbeispiele Scherpenheuvel und Willemstad sind zwei Objekte gewählt, die der Forschung einerseits gut bekannt sind, die jedoch beide 35 Zum Themenkomplex des Vergleich und Vergleichens siehe ausführlich Kap. 1.7. 36 Abgesehen von den eher als ephemer zu bezeichnenden Bauten der 1560er Jahre in Antwerpen, siehe Kap. 3.2.

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sowohl hinsichtlich der Stadtstruktur als auch der Kirchenbauten noch viel Potenzial für Forschung bieten.3⁷ Gerade das sich in situ befindliche Ausstattungsprogramm der Wallfahrtskirche verdient besondere Aufmerksamkeit. Denn es handelt sich um ein komplexes, gattungsübergreifendes, einheitlich geplantes Konzept, das eine hohe künstlerische Qualität aufweist, die sich auch im Umstand der besonders hohen Bezahlung der Künstler zeigt.3⁸ Somit werden zwei Objekte besprochen, die beide im liminalen Raum der Niederlande lagen und zwei einander entgegenstehende konfessionelle Interessen repräsentieren. Ihre Einbettung in die Topografie und ihre Beziehung zueinander verdienen daher eine eingehende Beschäftigung, die deutlich macht, wie das Interesse an einer Klärung des liminalen Grenzraumes auf reformierter und katholischer Seite praktisch umgesetzt wurde.

37 Bislang liegt praktisch keine kunsthistorische Publikation zu Scherpenheuvel vor, das allein von der belgischen Forschung bearbeitet wurde und dem nicht die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die es verdient. Der Umstand, dass die einzige jüngere Publikation nur auf niederländisch vorliegt (ältere auch auf französisch), erschwerte wohl bislang eine überregionale Beschäftigung (für einen Überblick über die Literatur vgl. Kap 2.2.1). Neuerdings widmet sich ein DFG-Projekt unter der Leitung von Anke Naujokat in Aachen der historischen Baugeschichte von Wallfahrtsort und Kirche. 38 Theodoor van Loon, der als Maler engagiert war, erhielt pro Gemälde 1000 Gulden; vgl. Victor Brughmans: Les peintures de Theodore van Loon a Montaigu. Löwen 1936, S. 5. Auch an dem bislang eher unbekannten Künstler wächst allmählich das Interesse. Zwar liegt noch immer kein Werkverzeichnis vor, doch eine im Winter 2018/19 von Sabine van Sprang kuratierte monografische Ausstellung in Brüssel und Luxemburg zeugt von einer wachsenden Aufmerksamkeit für den Maler; siehe dazu auch den Ausstellungskatalog: Theodoor van Loon. Een Caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von Sabine van Sprang, Bozar Brüssel. Brüssel 2018.

1 Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen? – Eine methodische Bestimmung

1.1 Einleitung Um 1600 fertigte der aus dem brabantischen Duffel stammende Verleger Hendrick Hondius zwei Kupferstiche, die als Pendants angelegt sind und augenscheinlich auf eine konfessionelle Polemisierung zielen (Abb. 4 und Abb. 5).3⁹ Gezeigt werden zwei Kirchenräume, die als allegorische Bauten die katholische und die reformierte Kirche repräsentieren. In der ersten Darstellung werden die katholische Kirche und das Papsttum diffamiert, während der zweite Stich die reformierte Kirche als rechtgläubig charakterisiert. Das Reizvolle an diesen Druckgrafiken – aus einer Fülle frühneuzeitlicher polemischer Konfessionsdarstellungen – ist, dass sie ihre Argumentation und visuelle Überzeugung aus ihrer Doppelanlage beziehen.⁴⁰ Mit der künstlerischen Entscheidung, katholische und reformierte Kirche in ein Spannungsverhältnis zueinander zu setzen und diese Konfrontation durch zwei einzelne Blätter zu gestalten, regt der Künstler die Rezipierenden dazu an, selbst die beiden Kirchen in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Im Kontext der niederländischen Flugblattpublizistik der Zeit mag es überraschen, dass Hondius’ Sujet das konfessionelle Gegeneinander fokussiert und 39 319 x 221 mm, 1597–1601, Rotterdams Historisch Museum, Stichting Atlas van Stolk, Inventarnr. 5913 u. 5896 beziehungsweise AVS 341 u. 324. Siehe auch das Exemplar in Amsterdam https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/RP-P-OB-78.835 (06.10.2020). Die Blätter wurden bislang nicht eingehend kunsthistorisch untersucht; vgl. Nadine Orenstein: Hendrick Hondius. Rosendaal 1994 (The new Hollstein Dutch & Flemish etchings, engravings and woodcuts 3), S. 49, Nr. 39–40 sowie Kat. Ausstell. Protestants Kerkinterieur 16.–19 eeuw. Rijksmuseum Het Catharijneconvent. Hg. von Robert Zijp. Utrecht 1986, S. 12. Zu Hondius siehe unten Kap. 1.6. 40 Für die Niederlande vgl. Veldman 2006 (Anm. 5); Martina Dlugaiczyk: Der Waffenstillstand (1609–1621) als Medienereignis. Politische Bildpropaganda in den Niederlanden. Münster 2005; Müller 2003a (Anm. 32); Karsten Müller: Politische Bildräume. Stadt – Land – Nation in der niederländischen Druckgraphik um 1600. In: Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit. Hg. von Cornelia Jöchner. Berlin 2003 (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 2), S. 23–44; Daniel Horst: De opstand in zwart-wit. Propagandaprenten uit de Nederlandse Opstand 1566–1584. Zutphen 2003; Kat. Ausstell. Wort und Bild. Buchkunst und Druckgraphik in den Niederlanden im 16. und 17. Jahrhundert. Belgisches Haus Köln. Hg. von Hans-Joachim Raupp. Köln 1981.

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Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen?

Abb. 4: Hendrick Hondius, Afbeeldinghe vande roomsche kercke (...), ca. 1600, Kupferstich, 319 x 221 mm, Rotterdams Historisch Museum, Stichting Atlas van Stolk, Inventarnr. 5913 bzw. AVS 341.

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Abb. 5: Hendrick Hondius, Afbeeldinghe vande roomsche kercke (...), ca. 1600, Kupferstich, 319 x 221 mm, Rotterdams Historisch Museum, Stichting Atlas van Stolk, Inventarnr. 5896 bzw. AVS 324.

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Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen?

territorial-politische Interessen offenbar außer Acht lässt. Die meisten polemischen Druckgrafiken um 1600 waren dem Interesse der niederländischen Unabhängigkeit von Spanien gewidmet; christliche Ikonografien wurden hier als Mittel eingesetzt um territoriale Ziele zu artikulieren.⁴1 Hondius scheint es hingegen genuin um ein konfessionelles Anliegen zu gehen. Doch worin genau liegt dieses Interesse? Mit der selbsterhobenen Erklärung der Unabhängigkeit der nördlichen Provinzen von der Spanischen Krone 1588 war eine Aufspaltung der Niederlande – so scheint der wissenschaftliche Konsens – in die weiterhin von Spanien regierten südlichen katholischen Gebiete und den nun unabhängigen reformierten Norden der Vereinigten Provinzen vollzogen worden. An wen richtete sich Hondius mit seiner polemischen Druckgrafik, wenn konfessionelle Identitäten ca. achtzig Jahre nach Beginn der Reformation doch eigentlich geklärt sein müssten? Die Untersuchung der polemischen Konfrontation der beiden Kirchen wirft die Frage auf, ab wann man eigentlich von feststehenden Konfessionen sprechen kann. Ab wann gibt es die reformierte Konfession, ab wann die katholische; und was ist es, das die jeweilige Identität definiert? Die beiden Kupferstiche regen durch eine ebenso Gleichheits- wie Ungleichheitsbehauptung dazu an, das jeweils Konfessionsspezifische durch den Abgleich mit der anderen Partei herauszukristallisieren. Die grundsätzliche Ähnlichkeit der beiden Darstellungen erlaubt es, die Unterschiede präzise zutage treten zu lassen. Das visuelle Argument ist stets der Vergleich: Die eigene Position wird im Kontrast zu der Gegenposition konturiert und geschärft. Welches sind die Parameter, die diesen Vergleich definieren, welchen Anteil hat der visuelle Vergleich an der Formierung konfessioneller Identitäten? Es ist der Besonderheit nachzugehen, wie die Kupferstiche einerseits eine spezifische konfessionelle Situation dokumentieren und wie sie diese darüberhinaus produktiv mitgestalteten. Bilden die Druckgrafiken die reformierte Sicht auf die katholische Kirche ab oder erzeugen sie überhaupt erst ein bestimmtes Spannungsverhältnis? Und wie trägt der Vergleich als visuelles Argumentationsmuster zu einer Reflexion über das Verhältnis der Kirchen bei? Die Untersuchung von Hondius’ vergleichender Gegenüberstellung eröffnet die Möglichkeit, die Genese konfessioneller Identitäten in den Niederlanden um 1600 in den Blick zu nehmen. Ausgehend von dem Beispiel lässt sich die Praxis der sich formierenden Konfessionskulturen analysieren. Das der Forschung gut bekannte, doch bislang nicht eingehend untersuchte Kupferstich-Paar von Hondius soll hier erstmals ausführlich analysiert werden. Eine leitende Hypothese lautet, dass sich nicht nur aus Sujet und Ikonografie der Druckgrafiken, sondern insbesondere aus ihrer Meta-Erzählstruktur – dem visuellen Vergleich – wesentliche Erkenntnisse zu Prozessen der konfessionellen Identitätsbildung ziehen lassen. Hondius’ offenbar polemisierende Druckgrafik gibt darüber hinaus Anlass zu diskutieren, ob die sogenannte »Toleranzpolitik« oder »Umgangsökumene«, 41 Veldman 2006 (Anm. 5), S. 117.

Geführtes Sehen – Blickregie

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welche die überwiegend geschichtswissenschaftliche Konfessionsforschung für die Niederlande konstatiert hat,⁴2 auch für kunsthistorische Untersuchungen haltbar sind beziehungsweise beansprucht werden können.

1.2 Geführtes Sehen – Blickregie Die grundsätzlich parallele Gestaltung der Darstellungen dürfte einem Rezipienten oder einer Rezipientin zuerst auffallen. Die Druckgrafiken präsentieren zwei Kirchenbauten, die vergleichend nebeneinander gestellt sind. Beide Blätter sind analog aufgebaut: Die Betrachtenden sehen sich einem geöffneten Kirchenbau gegenübergestellt, der als Hallenkirche mit abschließender Apsis präsentiert wird. Beim ersten Betrachten fällt zunächst die frappierende Ähnlichkeit beider Kupferstiche auf; die Unterschiede der beiden Kirchenräume werden erst sukzessive erschlossen. Der Umraum der Bauten ist nicht weiter definiert, einzig eine rund um die Bauten verlaufende niedrige Mauer rahmt die Gebäude. Diese Dekontextualisierung regt dazu an, eine parallele ›Lektüre‹ der Blätter vorzunehmen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifiziert. Die zentralperspektivische Anlage der Bilder steuert den betrachtenden Blick über einen gekachelten Boden ins Zentrum der Kirchen, wodurch ein Spannungsverhältnis in der Betrachtung entsteht. Einerseits wird der Blick in die Tiefe des Zentrums gelenkt, andererseits fordert der Bildvordergrund die volle Aufmerksamkeit der Betrachtenden: Zahlreiche Inschriften, die der bildlichen Darstellung beigefügt sind, weisen in ihrer Bildraum-einnehmenden Präsenz darauf hin, dass sich das argumentative Gefüge der Kupferstiche nur aus der kombinierten Rezeption von Bild und Schrift verstehen lässt. Darüber hinaus ist mit der räumlichen Uneingebundenheit beider Bauten ein Hinweis darauf gegeben, dass es sich nicht jeweils um konkrete Kirchen handelt, sondern, dass ein als ›typisch‹ ausgewiesener katholischer beziehungsweise reformierter Kirchenraum gezeigt wird. Es handelt sich also nicht etwa um Architekturporträts, sondern um die Darstellung allegorischer Kirchen, die der Veranschaulichung der Kirche als ecclesia dienen.⁴3 Im Fluchtpunkt und somit im perspektivischen Zentrum der beiden Blätter befindet sich jeweils der theologische beziehungsweise liturgische Mittelpunkt der Kirchenbauten. Auf der ersten Abbildung ist dies ein Altar mit einem Triptychon. Ein vor der Mitteltafel aufragender Christus am Kreuz ist perspektivisch so ambivalent ins Bild gesetzt, dass offen bleibt, ob es sich um eine gemalte Darstellung des Gekreuzigten handelt oder ob ein Kruzifix auf dem Altar steht. Der reformierte Kirchenraum hingegen entbehrt des Altars. An dessen Stelle ist eine Kanzel getreten, die im Fußboden verankert ist. Der sechsseitige Kanzel42 Kaplan 2007 (Anm. 30); Frijhoff und Spies 1999 (Anm. 31). 43 Vgl. Arie Jan Gelderblom: Text, Body, Stone. A few Considerations on Literature, Architecture and the human Body. In: Die sichtbare Welt. Visualität in der niederländischen Literatur und Kunst des 17. Jahrhunderts. Hg. von Maria-Theresia Leuker. Münster 2012, S. 123–130. Hondius’ Vergleich der beiden Kirchen ist offensichtlich auch angelehnt an Johannes Calvin: Institutio christianae religionis. Genf 1559, Kapitel IV.2 (»Comparatio falsae ecclesiae Ecclesia cum vera«).

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Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen?

korb ist über einen seitlichen Aufgang zugänglich und wird von einem massiven Schalldeckel bekrönt. Die offensichtlichste Differenz in der Nutzung der Kirchenräume ist eine sichtbare Rekonfiguration des liturgischen Zentrums: Das Bild weicht dem Wort. Aufgrund der zentralperspektivischen Konstruktion der Blätter ergibt sich, dass das anscheinend liturgisch wichtigste – weil auch im visuellen Mittelpunkt stehende – Distinktionsmerkmal gleichzeitig das kleinste innerhalb der Darstellung ist. Von einer ersten Lenkung des Blicks ins Zentrum der Darstellung wird das Auge der Betrachtenden unweigerlich zurückgeführt zu dem umgebenden Raum. Beide Kirchenräume werden durch eine Säulenstellung, auf der ein schweres Gebälk ruht, definiert. Dieses trägt ein kassettiertes Tonnengewölbe. Am Ende des Langhauses schließt sich jeweils ein Chorraum an. Die katholische Kirche ist jedoch baulich nicht intakt; die Mauern des Chores sind von tiefen Rissen zerfurcht, das Dach ist stark beschädigt und ruinös, die Seitenwände der Kirche fehlen völlig. Die auf dem Gebäude wachsenden Gräser zeigen an, dass dieses nicht gerade erst zerstört wurde, sondern ein längerer Verfallsprozess der Kirche im Gang ist. Durch diese zeitliche Dimension wird suggeriert, dass der Niedergang voranschreiten und das Gebäude einstürzen wird. Die zwei Figuren, inschriftlich als Mönch und Jesuit gekennzeichnet, versuchen folglich vergebens die eingestürzten Mauern wieder aufzurichten. Die reformierte Kirche befindet sich hingegen in bestem baulichen Zustand. Sechs (statt im katholischen Pendant nur vier) Säulen tragen das schmuckvolle Tonnengewölbe, das auf einem breiten zweistufigen Gebälk lastet. Die Seitenwände des Baus sind intakt und durch deren hohe Fenster wird der Innenraum von Licht durchflutet. Durch zwei Occuli im Gewölbe, einmal über der Kanzel im Chor, einmal in mittlerer Höhe des Langhauses, fällt zusätzlich Licht ins Kircheninnere. Dieses durch feine Striche als Strahlen dargestellte Licht scheint ein göttliches zu sein, was ein Wolken-ähnliches Gebilde gleich oberhalb des Gewölbes, das von einem Strahlenkranz umfangen ist, zeigt. All diese Aspekte verweisen auf eine polemische Auseinandersetzung mit der katholischen Konfession. Diesen Charakter erhalten die Blätter jedoch vor allem durch die Figuren, die im Kircheninneren platziert sind. Auf der ersten Abbildung ist dies im mittleren Vordergrund der Papst auf einem Thron, gekennzeichnet mit Tiara und Doppelkreuzstab und mit »D’ANTECHRIST« überschrieben. Links von ihm liegt ein Schwert, rechts ein Sack voll Geld. Seine nach links ausgestreckte rechte Hand mit Zeigegestus ist an die Figur vor ihm adressiert. Zu Füßen des katholischen Kirchenoberhauptes kniet ein weltlicher Herrscher in tiefster Verbeugung, sodass er den Betrachtenden des Blattes sein Hinterteil und seine Fußsohlen entgegenstreckt. Zwei inschriftliche Bezeichnungen richten einen direkten Vorwurf an die beiden Würdenträger; so wird dem Papst Ehrgeiz (»Ambitie«), dem Herrscher »blintheyt« vorgeworfen. Da die Figur des Papstes auf der Mittelachse nah an die Betrachtenden herangerückt ist, fällt das Auge immer wieder auf seine Fi-

Geführtes Sehen – Blickregie

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gur zurück. Die durch die perspektivische Verkürzung ohnehin klein geratene Figur Christi läuft aufgrund der massigen Figur des Papstes Gefahr, vom Blick marginalisiert zu werden. Die zweite Abbildung führt einen offensichtlichen ›Ausweg‹ aus diesem Dilemma vor. So ist der Vordergrund freigelassen und der Blick führt unweigerlich über Abendmahlstisch und Taufbecken zur Kanzel in der Bildmitte. Der Kirchenraum beherbergt anstelle eines Machtinhabers eine Gruppe von Gläubigen, die, in eine Gruppe von Frauen und eine von Männern gegliedert, sich auf dem Boden kniend betend (»GEBEDEN«) und lobsingend (»LOFSANGEN«) gen Himmel richten. Zwischen der Gemeinde im Langhaus und der Kanzel in der Apsis befinden sich ein gedeckter Abendmahlstisch und ein Taufbecken. Die beiden Sakramente der reformierten Konfession – Abendmahl und Taufe – werden so bildlich mit der Predigt in einer Linie aneinandergereiht. Beide Druckgrafiken sind durch zahlreiche Inschriften angereichert. Diese erscheinen teilweise als Schrift der Druckgrafik, also auf die Bildfläche appliziert, teilweise verschmelzen sie durch eine perspektivische Einbettung mit dem Bildinhalt, als seien sie Teil der innerbildlichen Realität. Wie diffizil die Ikonizität der Schrift organisiert ist, wird an späterer Stelle noch genauer zu untersuchen sein.⁴⁴ Grundsätzlich dienen beide Typen von Inschriften der konfessionellen Unterscheidung der Kirchen; generell wird das Katholische als fehlgeleitet und das Reformierte als rechtgläubig kategorisiert. Durch eine bildhafte Präsentation gewinnen die Inschriften eine körperliche Qualität. Der Bildkontext führt zu einer gesteigerten Erfahrbarkeit, wenn Bezeichnendes und Bezeichnetes zusammenfallen, wie auf dem zweiten Blatt, wo es dezidiert heißt »T’Fundament deser Kercke is Christus«, gerade am Fundament der dargestellten Kirche. Christus, der in reformierter Perspektive nicht aus einer Darstellung erfahrbar wird, sondern als Wort, wird wortwörtlich hier als Fundament der Kirche gesetzt, was wiederum bildlich zur Anschauung gebracht wird. Als erster Befund lässt sich festhalten, dass die beiden Stiche offenbar als Pendants angelegt sind. Die reformierte Kirche wird gegenüber der katholischen abgegrenzt und positiv als rechtgläubig definiert. Die reformierte Konfession kommt also gerade deshalb als die ›richtige‹ Konfession zur Geltung, weil das konstatiert ›Falsche‹ der katholischen Konfession im direkten Vergleich gezeigt ist. Gerade durch die konstitutiv visuelle Annäherung der beiden Blätter können die Unterschiede besonders pointiert zur Anschauung gebracht werden. Denn ohne die katholische ›Negativ-Folie‹ würde die Bilderlosigkeit des reformierten Kirchenraumes vielleicht gar nicht bemerkt. Im Folgenden wird dieser vorläu44 Zur Schrift auf den Stichen siehe Kap. 1.4. Zur Ikonizität von Schrift in Bildern vgl. Brigitte Bedos-Rezak und Jeffrey F. Hamburger (Hg.): Sign and Design. Script as image in cross-cultural perspective (300–1600 CE). Washington 2016; Jeffrey F. Hamburger: Script as Image. Paris u. a. 2014 (Corpus van verluchte handschriften 21); Sybille Krämer, Eva Cancik-Kirschbaum, Rainer Totzke (Hg.): Schriftbildlichkeit. Wahrnehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen. Berlin 2012 (Schriftbildlichkeit 1) sowie Karin Gludovatz: Fährten legen – Spuren lesen. Die Künstlersignatur als poietische Referenz. München 2011.

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fige Befund zu prüfen sein. Ein erster Hinweis, dass die druckgrafischen Blätter nicht in dieser Dichotomie aufgehen, sondern den konfessionalisierenden Blick ihrer BetrachterInnen mehrfach herausfordern, zeigt sich im Hinblick auf die Datierung der Bilder. Welche Rückschlüsse lassen sich hieraus auf den historischen Kontext ziehen, in dem die Druckgrafiken entstanden sind? Datierung

Hondius’ »Afbeeldinghe« (»Abbildungen«) der römischen und der reformierten Kirche werden in der Forschung auf ›um 1600‹ datiert.⁴⁵ Dies korrespondiert sowohl mit den Lebensdaten des Künstlers (1573–1650) sowie mit dessen Verlagstätigkeit in Den Haag seit 1597.⁴⁶ Spezifiziert wurde die Datierung insofern, als die Stiche auf eine vermutete Vorlage aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zurückgeführt wurden.⁴⁷ Man kennt Kupferstiche, die Hondius’ Darstellungen als Vorlage nutzten, die sie variierten und sie für eine lutherische Rezeption adaptierten.⁴⁸ Eine Vorlage, auf die Hondius sich selbst bezogen haben soll, konnte bislang nicht identifiziert werden.⁴⁹ Auch fehlt eine Signatur beziehungsweise ein ›invenit‹ oder ›sculpsit‹, was eindeutig auf eine Vorlage schließen lässt. Woher aber rührt dann die Annahme, die Kupferstiche seien keine genuine Bilderfindung Hondius’, sondern eine Wiederholung beziehungsweise Adaption eines Sujets aus der Mitte des 16. Jahrhunderts? Da Hondius generell eigene Motive entwickelte, scheint die Vermutung einer Vorlage nicht zwingend zu sein, sondern vielmehr auf historischen Überlegungen zu beruhen. Aus der Annahme einer konfessionellen Spaltung der Niederlande mit dem Einsetzen der Bilderstürme 1566 und dem Ausbruch des Achtzigjährigen Krieges mag in der Forschung bislang offenbar ein historischer Beleg erkannt worden sein, der eine Datierung auf ›um 1600‹ ohne eine existierende Vorlage unwahrscheinlich erscheinen lässt. Da, so eine häufige Annahme, die konfessionelle Spaltung der Niederlande in die nördlichen reformierten Provinzen und die katholischen, von den spanischen Habsburgern regierten südlichen Niederlande ab 1581 weitgehend vollzogen war, mussten die Kupferstiche auf eine Bilderfindung zurückgehen, die aus einer Zeit der konfessionellen Spannungen stammte und somit Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelt worden sein. Hier soll dagegen argumentiert werden: Solange für Hondius’ Kupferstiche keine Vorlage identifiziert werden kann, darf angenommen werden, dass er selbst der Erfinder der Gegenüberstellung der Kirchen war. Sollte er eine mögliche ältere Vorlage wiederholt haben, bleibt die Frage im Raum, warum Hondius das Sujet um 1600 erneut gestochen hat. Als konfessioneller Befund ergibt sich folglich, dass es zu diesem Zeitpunkt offensichtlich einen Anlass beziehungswei45 46 47 48 49

Orenstein 1994 (Anm. 39), S. 49. Zu Hendrick Hondius siehe unten Kap. 1.6. So im Verzeichnis des Atlas van Stolck und des Rijksmuseum Amsterdam, siehe Anm. 39. Vgl. Kap. 1.6. Zu einem bislang unbekannten Vorbild siehe Kap. 1.7.

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se ein Interesse für eine solch konfessionspolitische Darstellung gab. Daher sind der Grafik wichtige Indizien zu entnehmen, wie die konfessionelle Konfrontation, die in den Blättern thematisiert wird, tatsächlich um 1600 aussah. Gerade die Tatsache, dass es in der Druckgrafik diese konfessionspolemischen Darstellung gab, zeigt an, dass die Auffassung einer konfessionell geklärten Politik für die Nördlichen Niederlande um 1600 zu kurz greift. Obwohl die Reformation in den Niederlanden zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihren Ausgangspunkt nahm, waren konfessionelle Positionen um 1600 offenbar nicht fixiert; die Druckgrafik nutzt kein konfessionelles Argument, um das politische Ziel der Unabhängigkeit von Spanien zu erstreiten, sondern thematisiert einen dezidiert religiösen Konflikt.

1.3 Historische Ausgangslage Zunächst sollen daher die konfessionellen Entwicklungen der Niederlande im 16. Jahrhundert nachgezeichnet werden, um deren besondere Gesellschaftsstruktur zu dieser Zeit verstehen zu können. Ein Überblick ist gerade deshalb aufschlussreich, da die konfessionspolitische Situation der Niederlande im frühneuzeitlichen Europa einzigartig war. Die Geschichte der Gründung der niederländischen Republik ist intensiv erforscht und vielfach erzählt worden.⁵⁰ Ziel ist es, ein Augenmerk auf diejenigen Unbestimmtheiten und Pluralitäten zu richten, die zwar seitens der historischen Forschung bestens erschlossen und differenziert dargestellt worden sind, in einem Gros der kunsthistorischen Untersuchungen jedoch bislang weniger nuanciert berücksichtigt wurden. Die Aufgabe, einen historischen Überblick zu geben, wirft die Frage auf, welches Ereignis man an den Anfang stellt. Zwar behandelt vorliegende Untersu50 Ein umfassender Überblick über den Stand der Forschung zur Entstehung der niederländischen Republik kann an dieser Stelle aufgrund der nahezu unüberschaubaren Fülle an Publikationen nicht geleistet werden. Für eine profunde Annäherung an den Themenkomplex ist nach wie vor grundsätzlich auf die Darstellungen von Horst Lademacher und Michael North zu verweisen; Horst Lademacher: Geschichte der Niederlande. Politik, Verfassung, Wirtschaft. Darmstadt 1993; Michael North: Geschichte der Niederlande. München ⁴2013; außerdem Jonathan Israel: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477–1806. Oxford 1995 (Oxford history of early modern Europe); James Kennedy: A concise history of the Netherlands. Cambridge u. a. 2017 (Cambridge concise histories); Friso Wielenga: Geschichte der Niederlande. Stuttgart 22016; James Tracy: The Founding of the Dutch Republic. War, Finance, and Politics in Holland 1572– 1588. Oxford 2008; Geoffrey Parker: Der Aufstand der Niederlande. Von der Herrschaft der Spanier zur Gründung der Niederländischen Republik 1549–1609. München 1979; mit konfessionellem Schwerpunkt neuerdings auch Jesse Spohnholz: Confessional Coexistance in the Early Modern Low Countries. In: A Companion to Multiconfessionalism in the Early Modern World. Hg. von Thomas Max Safley. Leiden 2011 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 28), S. 47–73; Judith Pollmann: Catholic Identity and the Revolt of the Netherlands, 1520–1635. Oxford 2011 (The past & present book series); Benjamin Kaplan: »In Equality and Enjoying the same favour«. Biconfessionalism in the Low Countries. In: A Companion to Multiconfessionalism in the Early Modern World. Hg. von Thomas Max Safley. Leiden 2011 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 28), S. 99–128; Alastair Duke: Dissident Identities in the Early Modern Low Countries. Hg. von Judith Pollmann, Andrew Spicer. Farnham 2009; sowie Kaplan 2007 (Anm. 30).

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chung kunsthistorische Fallbeispiele vom Ende des 16. beziehungsweise dem Beginn des 17. Jahrhunderts, da ein Fokus jedoch auf konfessionelle Aushandlungsprozesse gelegt ist, sollte die Reformation in den Niederlanden den Ausgangspunkt bilden. Im Folgenden werden daher die wichtigsten Ereignisse zwischen dem Beginn der Protestantenverfolgung im Jahr 1522 und dem Kriegsende mit dem Westfälischen Frieden 1648 in den Blick genommen. Karl V. und zwei Märtyrer: 1522–1555

Im Jahr 1522 wurden die Augustiner-Mönche Hendrik Voes und Johann van Esschen wegen »lutherischer Häresie«⁵1 in Brüssel verhaftet und im Juli 1523 als die beiden ersten ›Märtyrer‹ der Reformation in den Niederlanden öffentlich hingerichtet.⁵2 Für ihre Vergehen wurden sie angeklagt und auf dem Brüsseler Groote Markt verbrannt.⁵3 Die Statthalterin Margarethe von Österreich hatte das Antwerpener Augustiner-Kloster, dem die beiden angehörten, nach der Verhaftung aufheben und im Januar 1523 zerstören lassen. Die Hinrichtung der beiden Luther-Anhänger Voes und van Esschen ist das erste greifbare Ereignis der Niederlande im unmittelbaren Zusammenhang mit der Reformation. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gebiete des heutigen Belgiens, der heutigen Niederlande und des heutigen Luxemburgs ein zusammengehörender Teil des Heiligen Römischen Reiches und Herrschaftsgebiet der spanischen Habsburger und standen somit unter der Herrschaft Karls V.⁵⁴ Die Einheit der niederländischen Territorien speiste sich aus dem gemeinsamen burgundischen Erbe, das Karl V. 1506 zunächst formal als Herzog der Burgundischen Niederlande und dann de facto mit seiner Krönung zum Kaiser 1520 antrat. Bis zum Zeitpunkt seines Abdankens 1555, als die Gebiete auch formal an die spanische Krone fielen, werden die Gebiete als Burgundische Niederlande oder seltener bereits zu diesem Zeitpunkt auch als Spanische Niederlande bezeichnet. Die Ausdehnung dieses Gebietes veränderte sich unter Karl V.; er konnte 1521 Doornik, 1524 Friesland und 1528 dann Overijssel und die Utrechter Stiftslande gewinnen. Es folgten 1536 die Provinzen Groningen mit Drenthe und den Ommelanden und 1538 auch Gelderland und Zutphen.⁵⁵ So gelang es, die siebzehn niederländischen Provinzen schließlich am 26. Juni 1548 durch den sogenannten Burgundischen Vertrag beziehungsweise den Vertrag von Augsburg (Transactie van Augsburg) offiziell zu vereinigen und ihren Zusammenschluss 51 Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae. Verzameling van stukken betreffende de pauselijke en bisschoppelijke inquisitie in de Nederlanden. Bd. 4. Hg. von Paul Fredericq. Gent, Den Haag 1900, S. 192. 52 North 2013 (Anm. 50), S. 26. 53 Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae. Verzameling van stukken betreffende de pauselijke en bisschoppelijke inquisitie in de Nederlanden. Bd. 4. Hg. von Paul Fredericq. Gent, Den Haag 1900, S. 191–214. 54 Bei dem Beschluss in Worms 1521 beziehungsweise Brüssel 1522 erfolgte die Trennung der beiden Habsburger Linien in Österreichisch und Spanisch. 55 North 2013 (Anm. 50), S. 21.

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als Burgundischen Reichskreis innerhalb des Römischen Reiches neu zu positionieren.⁵⁶ Mit einer Pragmatischen Sanktion erklärte Karl V. 1549 die Restrukturierung und weitestgehende Unabhängigkeit der siebzehn Provinzen, die fortan jeweils von einem Fürsten regiert werden sollten. Somit waren die Provinzen Brabant, Limburg, Luxemburg, Gelderland, Flandern, Artois, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur, Zutphen, Ost- und Westfriesland, Mechelen, Utrecht, Overijssel und Groningen vorläufig vereinigt. Bereits zuvor, unter dem Burgundischen Herzog Philipp dem Guten (1396–1467), wurde eine Zentralisierung der Justiz und des Finanzwesens in den niederländischen Territorien institutionalisiert, außerdem hatte Philipp der Gute den Großen Rat (Groote Raad) eingesetzt. Auch hatte er der regelmäßigen Zusammenkunft der einzelnen Gebiete einen festen Platz eingeräumt und eine Institution gegründet, die ab 1478 als Generalstände (Staten-Generaal) bekannt ist.⁵⁷ Spanische Niederlande und Kriegsausbruch: 1555–1568

Nach Abdanken Karls V. übernahm sein Sohn Philipp II. die Regierung der erst seit kurzer Zeit in dieser Form zusammengeschlossenen siebzehn Provinzen. Karl V. hatte eine strenge Inquisition unter anderem zur Verfolgung von Protestanten eingesetzt, angefangen mit den Brüsseler Märtyrern. Philipp II. führte diese Politik entschieden weiter. In der Zwischenzeit hatten sich die konfessionellen Verhältnisse in den niederländischen Territorien jedoch stark verändert. Waren in den 1520er Jahren noch die Luther-Anhänger die einzig nennenswerte nicht-katholische Gruppe, wandelte sich dies in den 1530er und 1540er Jahren, als zunächst die Täufer und später die Mennoniten die größten protestantischen Gruppen bildeten.⁵⁸ Die Voraussetzung für die Möglichkeit der raschen Verbreitung des Täufertums wird gemeinhin in der Devotio Moderna gesehen.⁵⁹ Die Laienbewegung, die im ausgehenden 14. Jahrhundert in den Niederlanden entstand, war im 15. Jahrhundert nicht nur dort weit verbreitet, sondern ebenso in Nordwestdeutschland. Die zentralen Gebiete bildeten Städte im Osten der Niederlande wie Deventer, Kampen und Zwolle. Die Bewegung knüpfte an mittelalterliche Mystik an; war doch das Ziel eine neue innerliche Frömmigkeit, die das Individuum zu erreichen suchte. Mit einer Orientierung an mönchischen Idealen lebten Laien in Bruderhäusern zusammen, den Zusters van het gemene Leven und 56 Horst Rabe: Reichsbund und Interim. Die Verfassungs- und Religionspolitik Karls V. und der Reichstag von Augsburg 1547/48. Köln 1971. 57 Lademacher 1993 (Anm. 50), S. 40–44. 58 Vgl. Alastair Duke: Reformation and Revolt in the Low Countries. London u. a. 2003 sowie ders.: Moulded by Repression. The Early Netherlands Reformation 1520–55. In: ders.: Dissident Identities in the Early Modern Low Countries. Hg. von Judith Pollmann, Andrew Spicer. Farnham 2009, S. 77–97. 59 John van Engen: Sisters and Brothers of the Common Life. The Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages. Philadelphia 2008.

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den Broeders van het gemene Leven.⁶⁰ In der Deventer Latein-Schule der Brüder vom gemeinsamen Leben studierte der junge Erasmus von Rotterdam von 1478–1485 und dürfte so mit den Idealen der Brüder vertraut geworden sein, die sich in seinen Schriften widerspiegeln.⁶1 Der Humanist Erasmus gilt heute als einer der Wegbereiter der Reformation, auch wenn er sich selbst nicht gegen die katholische Kirche stellte.⁶2 Seine Bestrebungen zur Reform der Kirche als Institution und seine Bemühungen um eine Wiederherstellung der Moral der Christen, etwa in Encomium moriae (1509) und in seiner frühen Schrift Enchiridion militis christiani (1503), wurden in Europa in der Frühen Neuzeit weit rezipiert.⁶3 Im Jahr 1525 stellte Erasmus fest, dass die Mehrheit der Holländer, Zeeländer und Flamen mit den Lehren Luthers vertraut seien.⁶⁴ Feste protestantische Gemeinden gab es in den Niederlanden indes nicht, das Luthertum war in den zwanziger Jahren eine klandestine Konfession.⁶⁵ Die kaiserliche Repressionspolitik Karls V. setzte auf Bücherverbrennung und auf eine harte Inquisition; insgesamt forderte die Verfolgung der Protestanten ca. 6000 Opfer.⁶⁶ Durch den aus Straßburg zurückgekehrten Melchior Hofmann (ca. 1495– 1543) und dessen Predigten in der Grenzstadt Emden organisierten sich im Norden und Nordosten der Niederlande zahlreiche Täufergemeinden mit eschatologischer Ausrichtung.⁶⁷ Auch in Amsterdam predigte Hofmann, und 1533 übernahm Jan Matthijs (um 1500–1534) die Amsterdamer Gemeinde.⁶⁸ Matthijs siedelte 1534 nach Münster und war dort maßgeblich für den Aufbau des sog. Täuferreichs von Münster verantwortlich, das nach seiner Hinrichtung durch Jan van Leiden zunächst weiter radikalisiert, im Juni 1535 jedoch blutig niedergeschlagen wurde.⁶⁹ Kurz darauf trat der ehemals katholische Gemeindepriester Menno Simons (1496–1561) zum Täufertum über und verbreitete die Konfession in weiten Teilen der Niederlande, sodass die Angehörigen nun als Mennoniten bezeichnet wurden.⁷⁰ Da indes die Verfolgungspolitik von Karl V. und später Philipp II. weiter anhielt, flüchteten viele Nicht-Katholiken nach England und nach Deutsch60 Ebd., S. 19–28. 61 Guido Marnef: Erasmus of Rotterdam and His Influence on the Development of the Protestant Reformation in the Southern Netherlands. In: Erasmus Studies 36 (2016), S. 35–52. 62 Siehe Christine Christ von Wedel: Erasmus von Rotterdam. Ein Porträt. Basel 2017; Johan Huizinga: Erasmus und Luther. Europäischer Humanismus und Reformation. Hg. von Hartmut Sommer, Kevelaer 2016 (1928); Wilhelm Ribhegge: Erasmus von Rotterdam. Darmstadt 2010. 63 James Tracy: Erasmus of the Low Countries. Berkeley u. a. 1996, S. 32–51. 64 North 2013 (Anm. 50), S. 26. 65 Zum ›lutherischen Erbe‹ des Calvinismus siehe: Herman Selderhuis, Marius Lange van Ravenswaay (Hg.): Luther and Calvinism. Image and Reception of Martin Luther in the History and Theology of Calvinism. Göttingen 2017 (Refo500 Academic Studies 42). 66 Duke 2009 (Anm. 50), S. 100–102. 67 Ebd., S. 89–95. 68 Ebd., S. 89f. 69 Ebd. 70 George Huntston Williams: The Radical Reformation. Kirksville 32000 (Sixteenth century essays and studies 15). Simons schrieb seine Lehren im sogenannten Fondament-Boeck nieder; Menno Simons: Dat fundament des christelyken leers. 1539.

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land. Größere Exil-Gemeinden entstanden in London, Emden, Wesel, Duisburg, Frankfurt am Main und Frankenthal.⁷1 Durch die dort bereits etablierten Reformierten wurden auch die niederländischen Exilgemeinden mit den Lehren Zwinglis und Calvins vertraut. Michael North formuliert für die 1550er Jahre pointiert, dass »diese Städte die Einfallstore des Calvinismus in die Niederlanden waren«.⁷2 Zu diesem Zeitpunkt war es in der Schweiz bereits mit dem Consensus Tigurinus (1549) zu einer Einigung zwischen den Anhängern Zwinglis und Calvins gekommen und Johannes Calvin steuerte von Genf aus ab 1559 gezielt die Etablierung des reformierten Bekenntnisses auch in den Niederlanden.⁷3 Bis dato gab es lediglich kleinere, freilich nicht öffentliche reformierte Gemeinden, vor allem in den südlichen Niederlanden; so in Tournai, Valencienne, Ville und Antwerpen. Ab 1560 wurden auch Untergrundkirchen unter anderem in Gent, Ostende, Brügge, Brüssel, Mechelen, Breda, Middelburg und Vlissingen gegründet. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass sich damals Gruppen von Reformierten in Amsterdam, Enkhuizen und Alkmaar etablierten.⁷⁴ Von hier aus entwickelte sich in den 1560er Jahren der Calvinismus zur dominierenden protestantischen Position. Hierzu trug etwa die Verbreitung der von Guy de Brès (1522–1567) verfassten Confessio Belgica (1561) maßgeblich bei.⁷⁵ Ursprünglich richtete sich de Brès mit der Confessio Belgica an Philipp II., um sich gegenüber der Gruppe der Täufer abzugrenzen und die friedlichen Absichten der Reformierten in den Niederlanden zu betonen. Gleichzeitig wurde die Schrift zeitnah auch auf Niederländisch herausgegeben und trug wesentlich zur Verbreitung und Etablierung der calvinistischen Lehre bei. Philipp II. zeigte sich unberührt von der Bittschrift und die Verfolgung der Reformierten wurde uneingeschränkt fortgesetzt. Doch neu geschaffene Organisationsstrukturen wie die Vermehrung reformierter Konsistorien und das Abhalten von Synoden förderten die Verbreitung der Glaubensrichtung. Hinzu kam, dass in Frankreich Caterina de’ Medici mit dem Edikt von Saint-German-en-Laye am 17. Januar 1562 dem hugenottischen Adel eine umfassende Glaubensfreiheit eingeräumt

71 Vgl. Johannes Müller: Exile Memories and the Dutch Revolt. The Narrated Diaspora, 1550–1750. Leiden 2016 (Studies in medieval and Reformation traditions 199). 72 North 2013 (Anm. 50), S. 28. 73 Zu Calvin vgl. Alister McGrath: A life of John Calvin. A study in the Shaping of Western Culture. Cambridge 1990; Irene Backus und Philip Benedict (Hg.): Calvin and his Influence, 1509–2009. Oxford u. a. 2011. 74 Andrew Spicer: Calvinist churches in early modern Europe. Manchester 2007 (Studies in early modern European history), S. 106–133. 75 Diese war grundsätzlich an Calvins Institutio Christianae Religionis orientiert und entstand dem Vorbild der Confessio Gallicana von 1559. Die Confessio Belgica wurde im fortlaufenden Jahrhundert noch von Franciscus Junius (1545–1602) überarbeitet und von Théodore de Bèze ins Lateinische übertragen, auf drei Synoden bestätigt und bildet noch heute zusammen mit dem Heidelberger Katechismus und den Lehrregeln von Dordrecht die Drei Formeln der Einigkeit der Reformierten Kirche (Drie Formulieren van Enigheid); siehe Nicolaas Hendrik Gootjes: The Belgic Confession. Its history and sources. Grand Rapids 2007 (Texts and studies in Reformation and post-Reformation thought).

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hatte.⁷⁶ Der niederländische Adel unterstützte daraufhin die Ketzerverfolgungspolitik Philipps II. nicht länger. Bilderstürme 1566

Im April 1566 forderte der niederländische Adel aufgrund der Entwicklungen seit 1562 in einer Petition die Einstellung der Glaubensverfolgung und eine Neuregelung der Religionsfrage.⁷⁷ Margarethe von Parma (1522–1586) war ab 1559 von Philipp II. als Statthalterin für die meisten Provinzen in den Niederlanden eingesetzt worden. Einzig für Holland, Zeeland und Utrecht war Wilhelm von Oranien (1533–1584) zuständig. Margarethe bezog eine eher gemäßigte katholische Position und versprach Nachsicht gegenüber den Protestanten. Wilhelm hingegen war zwar offiziell katholisch, heiratete jedoch 1561 Anna von Sachsen, die Tochter des Kurfürsten Moritz von Sachsen. Die kulturgeschichtliche Bedeutung seiner Person, der heute als der ›Staatsgründer der Niederlande‹ gilt, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar; in einem späteren Kapitel wird noch intensiver darauf zurückzukommen sein.⁷⁸ Die Statthalter standen somit im Konflikt: sie sollten einerseits die spanische harte Linie vertreten, waren andererseits eher am friedlichen Ausgleich der konfessionellen Parteien interessiert. Eine entscheidende Beschleunigung der politischen Prozesse trat durch die sogenannten Heckenpredigten (Hagenpreek) ein, die es ab 1566 überall im Land gab: Öffentliche reformierte Predigten unter freiem Himmel, denen tausende Menschen beiwohnten.⁷⁹ Im August und September des Jahres kam es dann von Steenvoorde (heute im äußersten Norden Frankreichs) aus in vielen Städten zu Bilderstürmen, bei denen Bilder und Bildwerke aus den katholischen Kirchen gewaltsam zerstört oder entfernt, teilweise auch den Bilderstürmern zuvorkommend bereits vorher ausgeräumt wurden.⁸⁰ Anfang August betraf dies die Städte des sogenannten Westhoek: Veurne, Ypern und Bourbourg. Ende des Mo76 Keith P. Luria: France. An Overview. In: A Companion to Multiconfessionalism in the Early Modern World. Hg. von Thomas Max Safley. Leiden 2011 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 28), S. 209–238, S. 214. 77 Guido Marnef: Multiconfessionalism in a Commercial Metropolis. The Case of 16th-Century Antwerp. In: A Companion to Multiconfessionalism in the Early Modern World. Hg. von Thomas Max Safley. Leiden 2011 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 28), S. 76–97, S. 76. 78 Siehe Kap. 2.2.1. 79 Vgl. etwa Andrew Pettegree, Alastair Duke, Gilian Lewis (Hg.): Calvinism in Europe. 1540–1620. Cambridge 1994, S. 143–147. 80 Alastair Duke: Calvinists and ›Papist Idolatry‹. The Mentality of the Image-breakers in 1566. In: ders.: Dissident Identities in the Early Modern Low Countries. Hg. von Judith Pollmann, Andrew Spicer. Farnham 2009, S. 179–197. Helmut Feld: Der Ikonoklasmus des Westens. Leiden 1990 (Studies in the history of Christian thought 41); Norbert Schnitzler: Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts. München 1996; Phyllis Mack Crew: Calvinist Preaching and Iconoclasm in the Netherlands 1544–1569. Cambridge 2008 (1978) (Cambridge studies in early modern history); David Freedberg: Iconoclasm and Painting in the Revolt of the Netherlands 1566–1609. New York u. a. 1988 (Outstanding theses in the fine arts from British universities); Peter Arnade: Beggars, Iconoclasts, and Civic Patriots. The Political Culture of the Dutch Revolt. Ithaca u. a. 2008.

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Abb. 6: Ausbreitung der Bilderstürme in den Niederlanden 1566.

nats waren es die größeren Städte nahe der Schelde: Antwerpen, Gent, Breda, Amsterdam, Utrecht, Delft, Middelburg und ’s-Hertogenbosch. Im September und Oktober wurden auch in Städten im Norden und Osten des Landes die Kirchenräume ›gesäubert‹, so in Maastricht und Venlo (Abb. 6).⁸1 Die Bilderstürme betrafen also den gesamten niederländischen Raum und nicht nur die Gebiete, die später offiziell reformiert waren. Margarethe von Parma ließ daher den katholischen Gottesdienst als Deeskalationsmaßnahme einstellen und tolerierte zunächst die reformierten Predigten; doch 1567 entsandte Philipp II. den Herzog von Alba, Fernando Álvarez de Toledo (1507–1582), mit seiner Armee, um die Aufstände niederzuschlagen. Nachdem dieser die Grafen von Egmont und Hoorn hatte hinrichten lassen, fiel die Unterstützung Wilhelm von Oraniens. Wilhelm sagte nun den Adligen zu, an ihrer Seite gegen den Herzog von Alba zu kämpfen und mit der Schlacht von Heiligerlee brach 1568 der Achtzigjährige Krieg aus. 81 Lademacher 1993 (Anm. 50), S. 94–96.

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Synode von Atrecht (heute Arras) / Synode von Utrecht: 1579

Unter Wilhelm von Oranien nahmen die niederländischen Provinzen in den folgenden Jahren mehrere Anläufe, um eine Einheit der Provinzen wieder herzustellen und Unabhängigkeit von Spanien zu erlangen. So fand 1576 die Genter Pazifikation statt, bei der sich Holland, Zeeland, Hennegau, Flandern, Brabant und Artois zusammenschlossen und eigenmächtig Wilhelm als ihren Statthalter bestimmten. Mit der Union van Brüssel (9. Januar 1577 und 10. Dezember 1577) wurde dem Statthalter Don Juan der Abzug der spanischen Truppen abgerungen und Religionsfreiheit für Reformierte und Katholiken vereinbart. Die Übereinkunft hielt jedoch nur bis zur Union von Arras (Unie van Atrecht), gut ein Jahr später. Am 6. Januar 1579 verständigten sich die südlich gelegenen Provinzen Artois, Hennegau, Luxemburg, Limburg sowie Teile Flanderns darauf, sich zum katholischen Glauben zu bekennen und der spanischen Krone zu folgen. Im Gegenzug einigten sich die übrigen Provinzen in der darauffolgenden Utrechter Union am 23. Januar 1579 auf ein eigenes Bündnis.⁸2 Hierbei wurde die Nederduitsche Gereformeerde Kerk als publieke kerk festgesetzt. Dies bedeutete, dass die Reformierte Kirche die öffentliche, nicht aber die Staatskirche wurde. Die Utrechter Union gilt oft als Gründung der Niederländischen Republik, tatsächlich handelt es sich bei dieser Forschungsmeinung um eine verkürzte Darstellung. Auch wenn sich hier bereits die späteren Provinzen zusammengefunden hatten, waren sie zu diesem Zeitpunkt keine Republik und eine solche war auch noch nicht absehbar. Ausdruck des Bestrebens nach einer konsequenten Loslösung von der spanischen Herrschaft findet sich in der Erklärung der eigenen Unabhängigkeit der Nördlichen Provinzen mit dem Plakkaat van Verlatinghe 1581. Dieses wurde am 26. Juli 1581 in Den Haag unterzeichnet, Wilhelm von Oranien wurde daraufhin zum Statthalter der nördlichen Provinzen ernannt. Nach dessen Ermordung 1584 in Delft folgte sein Sohn Moritz von Oranien. Indes waren die Gebiete Flandern und Brabant, also die Grenzgebiete, noch immer umkämpft. Bis 1585 gelang es Alessandro Farnese (1545–1592, dem Sohn von Margarethe von Parma), Gent, Ypern, Brügge, Brüssel und vor allem Antwerpen wieder zu erobern. Gründung der Niederländischen Republik

Als Republik gelten die Vereinigten Nördlichen Provinzen ab 1588. Nach mehreren fehlgeschlagenen Anläufen einen fürstlichen Souverän zu finden, fiel schließlich die Entscheidung zugunsten einer Republik, deren höchstes Organ die Staten-Generaal sowie der ernannte Statthalter waren. International aner82 Beziehungsweise zunächst die Provinzen Holland, Zeeland, Utrecht und die Groninge Ommelanden, im Laufe der folgenden Monate traten Overijssel, Friesland, Groningen, Drente und die Städte Brügge, Antwerpen, Gent, Breda, Ypern und Lier hinzu, siehe Arie Theodorus van Deursen: Between Unity and Independece. The Application of the Union as a fundamental law. In: Low Countries Historical Yearbook 14 (1981), S. 50–64.

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kannt wurde dieser selbst beanspruchte Status jedoch erst mit dem Westfälischen Frieden 1648; erst dann wurden die Ländergrenzen fixiert. Wie prekär der Status der nördlichen und südlichen Provinzen als jeweils unabhängige Gebiete in diesem Zeitraum war, wird am erneuten Kriegsausbruch nach einem vereinbarten Waffenstillstand (1609–1621) deutlich. Mit Ausbruch des 30jährigen Krieges kam es auch in den Niederlanden erneut zu Schlachten, etwa um ’s-Hertogenbosch (1629), Maastricht (1632) und Breda (1634/35). Der Interpretation, der Achtzigjährige Krieg der Niederlande sei in erster Linie ein von konfessionellen Interessen motivierter Krieg gewesen, sind in den vergangenen Jahren in der Forschung zusätzliche Erklärungsmodelle gegenübergestellt worden.⁸3 Als ein weiteres Motiv wurde etwa der Freiheitswille und das Streben nach Unabhängigkeit der Niederländer von der spanischen Krone angeführt.⁸⁴ Daneben gibt es soziologische Modelle, die den Fokus auf eine soziale Revolution gesetzt sehen wollen. Demnach war ein ökonomisch potentes, aufstrebendes Bürgertum gewillt, ein zuvor herrschendes Feudalsystem zu beenden.⁸⁵ Mit Sicherheit dürfte erst das Zusammenkommen dieser Faktoren zur Gründung der niederländischen Republik und damit einhergehend zur Trennung von den südlichen Territorien geführt haben. Obwohl den konfessionellen Aushandlungen zurecht ein großer Anteil an diesen Prozessen eingeräumt wurde, sollte berücksichtigt werden, dass eine einfache Unterscheidung in nördliche calvinistische Niederlande und südliche katholische Niederlande nicht haltbar ist. Eine konfessionelle Aufspaltung in Luthertum, Täufertum und später Calvinismus trat in allen Provinzen der Niederlande auf; es sei daran erinnert, dass die ersten Märtyrer aus Antwerpen stammten und in Brüssel hingerichtet wurden. Und auch die Bilderstürme der Calvinisten 1566 fanden keinesfalls ausschließlich im Norden statt (Abb. 6). Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass die Bilderstürme von einer relativ geringen Anzahl von Einzelpersonen durchgeführt wurden, und nicht etwa ein Massenphänomen waren, sodass sich aus den Orten der Bilderstürme nicht zwangsläufig auf eine reformierte Landschaft schließen lässt.⁸⁶ Schließlich ist zu beachten, dass insbesondere der einflussreiche Adel reformiert war, und dass durch ihn politische Prozesse gezielt gesteuert werden konnten. In den folgenden Kapiteln wird darauf zurückzukommen sein, wie sich die konfessionelle Verteilung innerhalb der Gesamtbevölkerung darstellte. Denn dass eine Provinz sich öffentlich zum Calvinismus bekannte, bedeutete bei weitem nicht, dass die Mehrheit der Einwohner tatsächlich auch Mitglied der refor83 84 85 86

North 2013 (Anm. 50), S. 28f. Israel 1995 (Anm. 50). Lademacher 1993 (Anm. 50), S. 77f. u. S. 95–102. Darüberhinaus konnte inzwischen gezeigt werden, dass es sich bei den Ikonoklasten um Bürger aller Bevölkerungsschichten handelte und es sich nicht um ein vorwiegend soziales Phänomen zu handeln scheint, vgl. Judith Pollmann: Iconoclasts Anonymous. Why did it take Historians so long to identify the Image-breakers of 1566?. In: BMGN – Low Countries Historical Review 1.131 (2016), S. 155–176.

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mierten Kirche war. Anhand des historischen Überblicks wird deutlich, dass sich die konfessionellen Aushandlungsprozesse in den Niederlanden vielgestaltig abzeichneten. Bemerkenswert ist vor allem, dass neben Katholiken und Reformierten auch diverse andere konfessionelle Gruppen, je nach Region und nach Jahrzehnt, breiten Zulauf fanden. Rein konfessionelle Polemik?

Betrachten wir nach diesem historischen Überblick erneut die beiden Kupferstiche der katholischen und der reformierten Kirche. Die Gegenüberstellung zweier Kirchenräume erscheint grundsätzlich als ein theologisch-konfessionell argumentierendes Bild, erst bei genauerem Hinsehen eröffnen sich auch hegemonialpolitische Dimensionen. Der weltliche Herrscher, der vor dem Papst niederkniet und der Blindheit bezichtigt wird, musste unmissverständlich als der Kaiser beim Fußkuss, den er bei seiner Krönung zu leisten hatte, aufgefasst werden. Der letzte, der dieser Tradition folgte, war Karl V. 1530 in Bologna. Ob tatsächlich Karl V. gemeint war, scheint für den grundsätzlich erhobenen Vorwurf nicht von weiterer Relevanz. Schließlich sind die Figuren so schematisch dargestellt, dass in der Grafik wohl nicht ein konkretes politisches Ereignis Darstellung fand, sondern vielmehr grundsätzlich das Niederknien des weltlichen Herrschers vor dem Papst als verwerflich kritisiert wird. Bildorganisatorisch fällt auf, dass der Kaiser in Hondius’ Kupferstich mit ausgestrecktem Gesäß und Fußsohlen den Betrachtenden in denkbar unwürdigster Weise vorgeführt wird. In einer anderen Grafik wurde die Zusammenstellung aus dem Motiv des Fußkusses des Papstes mit der Überschrift »Antichrist« bereits zuvor erprobt (Abb. 7). Lucas Cranach d. Ä. illustrierte das Passional Christi und Antichristi Martin Luthers, das 1521 in Wittenberg von Johann Gronenberg verlegt wurde.⁸⁷ Auf der dritten Doppelseite des Druckes findet sich eine kommentierte gegenüberstellende Abbildung der Fußwaschung, die Jesus am Gründonnerstag seinen Jüngern angedeihen ließ, und des Fußkusses, den der Papst als Herrscher entgegennahm. Dem Aufbau der Druckauflage folgend sind auch diese mit der Überschrift »Christ« und »Antichrist« versehen. Cranach d. Ä. konfrontiert die humilitas des die Füße seiner Apostel waschenden Christus mit dessen ›Umkehrung‹. Während Christus die Tugend Demut vor Augen führt, ist der Papst in dieser Darstellung als Beispiel für die superbia gezeigt: Der weltliche Herrscher hat in der katholischen Kirche vor dem Apostelnachfolger zu knien und ihm die Füße zu küssen. In Cranachs d. Ä. Darstellung ist eine seitliche Ansicht gewählt, bei der Papst und Kaiser im Profil gezeigt werden. Hondius hat den Bildaufbau um neunzig Grad gedreht. Auf beiden Darstellungen ist der Papst auf einem zweistufig erhöhten Thron sitzend und die rechte Hand zum Segensgestus ausstreckend gezeigt, während der Kaiser vor ihm niederkniet. Ob Hondius Cranachs d. Ä. Darstellung bekannt war, kann nicht abschließend geklärt werden; 87 Martin Luther: Passional Christi vnd // Antichristi. Wittenberg 1521.

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Abb. 7: Lucas Cranach d. Ä., Illustration im Passional Christ und Antichrist, 1521, Wittenberg, s. p.

aufgrund der vielen Auflagen des Passional Christi und der weiten Verbreitung erscheint eine Kenntnis jedoch sehr wahrscheinlich. Sichtbar wird durch diesen interpikturalen Verweis in jedem Fall, dass das Bildelement einer verbreiteten antipäpstlichen Polemik entspricht, die gleichzeitig die Problematik von regnum und sacerdotium thematisiert.⁸⁸ Neben dieser Kritik an der Religionspolitik findet sich in der Abbildung der römischen Kirche noch eine Inschrift mit klar formulierter politischer Aussage. Im mittleren Schriftfeld des ersten Blattes heißt es: »Diese Kirche ist noch zum Teil gedeckt mit der Autorität des Kaisers des Römischen Reiches, dem Spanischen Tyrannen und ihrem Anhang«.⁸⁹ Wer der »Spaensen tirant« ist, ist nicht 88 Vgl. Ursula Nilgen: Bilder im Wettstreit zwischen Regnum und Sacerdotium. In: Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp. Hg. von Karl Möseneder. Berlin 1997, S. 27–47. 89 »Dese Kercke Is noch eensdeels gedeckt met d’autiriteyt vanden Keyser van tRoomsche Ryck den

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eindeutig zu klären. Infrage kommt vor allem Philipp II., der im Oktober 1555 von Karl V. die Herrschaft über die Niederlande übertragen bekommen hatte und sich für eine harte Inquisition einsetzte. Möglich wäre aber auch, dass der Herzog von Alba hiermit adressiert ist, der als Statthalter der Niederlande von 1567–1573 für den Tod von über tausend Protestanten verantwortlich war. Schließlich könnte auch Alessandro Farnese gemeint sein, der ab 1579 die südlichen Provinzen zugunsten der spanischen Krone zurückeroberte und 1585 für den Fall Antwerpens verantwortlich war. Letztlich ist es für die Bildlektüre aber nicht entscheidend, den »spanischen Tyrann« in einer Person zu identifizieren. Wesentlich aussagekräftiger ist, dass die spanische Herrschaft an sich kritisiert wird. Das vorrangige Anliegen der Druckgrafiken ist jedoch, die Rezipierenden mittels eines Vergleichs vor Augen zu führen, worin die Verfehlungen der katholischen Kirche liegen. Das visuelle Argument wird durch Inschriften unterstützt. Die Analyse dieser Inschriften verdeutlicht die politischen Streitpunkte, anhand derer zwei konfessionelle Oppositionen festgemacht werden.

1.4 »ware catholieke kerk«. Wahrnehmung von eigener und fremder Konfession Hondius’ Druckgrafiken pointieren konfessionelle Differenzen mittels einer bildlichen Gestaltung, die durch eingebettete Schrift ergänzt wird.⁹⁰ Zunächst fällt bei der Gestaltung der Beziehung von Schrift und Bild auf, dass die Inschriften mittels Anordnung und perspektivischer Verkürzung teilweise derart in die Bildebene eingebunden sind, dass sie Teil der innerbildlichen Ordnung werden. Sie erscheinen nicht als Textblock neben oder unter dem Bildfeld, was bei Flugblättern durchaus üblich war. An manchen Stellen bleibt die Schrift zwar außerhalb der bildlichen Elemente, etwa in der Überschrift auf der ersten Abbildung, doch auch hier folgt sie dem Dargestellten, denn sie fügt sich in die Freiflächen ohne Figuren ein und ist nicht über die Darstellung appliziert. Hier fungiert die Schrift kommentierend, indem die Säulen der ersten Darstellung durchnummeriert sind und beigefügte Schrift-Kolumnen die Ziffern wie eine Legende aufnehmen und ihnen Bedeutung zuweisen. Die Ikonizität der Schrift wird noch dadurch gesteigert, dass eine Schrift-Bild-Verflechtung nicht allein durch das Arrangement der Grafik erzielt wird, sondern außerdem eine architektonische Metaphorik im Text zum tragen kommt. So, wenn von den Säulen der Kirche die Rede ist (»Pilaer«) oder von dem »Fundament«, auf dem sie gebaut sei.⁹1 Der allegorische Gehalt der gezeigten Kirchenräume als Bilder für die ecclesia wird durch eine bildliche Sprache ergänzt, die die Kirchen auch als BauSpaensen tirant en heuren aenhanck«. (Das besitzanzeigende Fürwort »heuren« steht im Plural, folglich sind Kaiser und Spanischer Tyrann als zwei verschiedene Personen adressiert). 90 Alle Übersetzungen stammen von der Autorin der vorliegenden Arbeit. 91 Der niederländische (vor allem frühneuzeitliche) Sprachgebrauch unterscheidet nicht eindeutig zwischen Säule und Pfeiler. Pilaar, zuil oder kolom werden oft synonym gebraucht und entsprechen nicht der Eindeutigkeit der jeweiligen Vokabeln im Deutschen. Siehe in der niederländi-

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werke ernst nimmt.⁹2 Die Inschriften dienen dazu, die Defizite der hier geschilderten katholischen Kirche hervorzuheben. Diese seien Partikularität, Neuheit und die päpstliche Sukzession. Inschriften auf dem Bildträger

Die in Majuskeln gestaltete Überschrift des ersten Blattes verweist darauf, dass es sich um eine »Afbeeldinghe vande roomsche kercke« (»Abbildung von der römischen Kirche«) handelt, wobei der bestimmte Artikel »de« im Gegensatz zum unbestimmten Artikel »een« anzeigt, dass es nicht um einen beliebigen römischen Kirchenbau geht, sondern dass die katholische Kirche gemeint ist. Die Bezeichnung »roomsche« fungiert in der Grafik zum Ausdruck des Partikularismus der katholischen Kirche und dient als polemische Bezeichnung um darauf hinzuweisen, dass der Universalitätsanspruch der katholischen Kirche nicht erfüllt würde. Unter der Überschrift finden sich rechts und links neben der Architektur in großen Lettern die Angaben zweier Himmelsrichtungen. »Noortsyde« und »Zuytsyde« zeigen an, dass der sich dazwischen befindliche Bau nach Osten ausgerichtet ist. Über der Schrift entspringt jeweils eine spiralförmig geschwungene Linie.⁹3 In der Mitte der ersten Abbildung befinden sich fünf Texteinheiten. Die mittlere von ihnen ist im Freiraum zwischen dem letzten Gurtbogen des Kirchenschiffs und dem dahinterliegenden Halbrund der Apsis, der ein schützendes Gewölbe fehlt, platziert. Die Inschrift kommentiert das in der bildlichen Ordnung darüberliegende Tonnengewölbe: »Diese Kirche ist noch zum Teil bedeckt mit der Autorität des Kaisers des Römischen Reiches, dem spanischen Tyrannen und ihrem Anhang«.⁹⁴ Der Text spielt hier mit einer Mehrdeutigkeit des Niederländischen, da »bedekken« sowohl für ›das Dach decken‹ stehen kann, als auch dafür ›etwas zu verhüllen, überdecken‹, sodass der Vorwurf erhoben wird, die katholische Kirche agiere ›unter dem Deckmantel der Heimlichkeit‹. Das beherzte Aufschen etymologischen Datenbank: Nicoline van der Sijs: »Pilaar«, in: http://etymologiebank.nl/, 2010 (06.10.2020). 92 Zu allegorischen Deutungen von kirchlicher Architektur und deren Ursprüngen im Mittelalter vgl. Johannes Grave: Architekturen des Sehens. Bauten in Bildern des Quattrocento. Paderborn 2015, bes. S. 101–121; Johannes Grave: Allegorisierung durch Ikonisierung? Architekturen bei Jacopo und Giovanni Bellini. In: Die Oberfläche der Zeichen. Zur Hermeneutik visueller Strukturen in der frühen Neuzeit. Hg. von Ulrike Tarnow. Paderborn 2014, S. 77–95; siehe außerdem Christiania Whitehead: Castles of the mind. A study of Medieval Architectural Allegory. Cardiff 2003, bes. S. 49–60 und Bruno Reudenbach: Säule und Apostel. Überlegungen zum Verhältnis von Architektur und architekturexegetischer Literatur im Mittelalter. In: Frühmittelalterliche Studien 14 (1980), S. 310–351. 93 Die kalligrafische Gestaltung dieser Schrift mag ein Hinweis auf Hondius’ Kenntnis und Interesse der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit der Schönschreibkunst sein; nur kurze Zeit später veröffentliche Jan van de Velde seinen Spieghel der Schrijfkonste. Rotterdam 1605, mit zahlreichen kalligrafischen Vorlagen; vgl. dazu auch Walter S. Melion: Memory and the kinship of writing and picturing in the early seventeenth-century Netherlands. In: Word & Image 8 (1992), S. 48–70. 94 »Dese Kercke Is noch eensdeels gedeckt met d’autiriteyt vanden Keyser van tRoomsche Ryck den Spaensen tirant en heuren aenhanck«.

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bauen der Kirchenmauern durch die zwei Figuren im ersten Blatt, die dort als Mönch und Jesuit bezeichnet werden, sollen somit nicht nur als Versuch gelesen werden, einen maroden Bau zu restituieren, sondern auch als das Bestreben danach, die Kirche wieder vor Blicken von außen abzuschirmen. Zu erwägen wäre an dieser Stelle, ob hiermit auch auf die claritas der niederländisch-sprachigen Schrift gegenüber der in der katholischen Kirche verwendeten lateinischen Sprache, die als obscuritas gedeutet wurde, angespielt wird. Denn ein protestantischer Vorwurf lautete, dass hierdurch die Bedeutung des Wortes verschleiert würde und nicht allgemein zugänglich wäre, so wie im Bild versucht wird, die Kirche uneinsehbar zu machen. Inschriften als Bildlegende

Die vier seitlich angegliederten Textfelder fungieren als Legende der mit Ziffern versehenen vier Säulen. Deren Gliederung unterläuft die abendländische Lesart von links nach rechts, denn sie ist von rechts hinten, nach rechts vorne, links hinten und links vorne organisiert. Es ergibt sich somit folgende Lese-Ordnung: »1. Säule, genannt katholisch, aber zu Unrecht. Denn die Römische [Kirche] ist von apostolischen Zeiten an eine partikuläre Kirche gewesen«.⁹⁵ Katholisch, so wird in diesem Zusammenhang konstatiert, ist kein konfessionelles Bekenntnis, sondern der Anspruch des Christentums auf eine Allgemeingültigkeit beziehungsweise universalitas und Gesamtheit im Sinne des Begriffs der Katholizität.⁹⁶ Die römische Kirche jedoch sei schon immer eine Kirche für nur einen Teil (»particuliere«) der Gläubigen gewesen und dürfe sich daher nicht katholisch nennen. Die Bezeichnung »katholisch« wird in der Logik des Kupferstichs auf ihren etymologischen Ursprung zurückgeführt, καθoλικoς, katholikós (das Ganze betreffend, allgemein) und als Katholizität im Sinne von Universalität interpretiert.⁹⁷ Da die römische Kirche diesem Anspruch durch die päpstliche Sukzession nicht gerecht werde, sei katholisch keine treffende konfessionelle Eigenbezeichnung. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass die Reformierten diesen Begriff für sich beanspruchen. Das als zweites bezifferte Textfeld rechts außen erhebt darüber hinaus den Vorwurf, der Mensch beanspruche eine Autorität, die ihm nicht zustehe: »2. Säule, genannt die Autorität aber vergebens. Denn Gottes Wort, mitgeteilt in der Heiligen Schrift, ist die Saat der Kirche mit Früchten der Erkenntnis und der Autorität durch den Heiligen Geist in der (all-)gemeinen christlichen Kirche«.⁹⁸ 95 »I Pilaer Genaempt Catholyc maer t’onrecht. Want de Roomsche van Apostelen tyden aff een particuliere kercke ghe:weest Is«. 96 Peter Steinacker: »Katholizität«. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 18. Berlin, New York 1989, S. 72–80. 97 Ebd., S. 72. 98 »2 Pilaer Genaempt D’authoriteyt maer te vergeefs Want Godes woort verratet inde H:Schrifture is tsaet der kercke met kennisse vrucht ende authoriteyt deur den H. Geest inde gemeene Christelyc: ke kercke«.

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In dieser Textstelle wird erneut darauf verwiesen, dass die Kirche vor allem eine »gemeene christelycke kercke« sein sollte; der Vorwurf, den Begriff katholisch falsch zu gebrauchen, wird somit erneut geäußert und behauptet, dass es keine weltliche Autorität geben könne. Hierdurch wird die Frage aufgeworfen, welche konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen der katholischen und der reformierten Anhänger zum Entstehungszeitpunkt des Blattes eigentlich gebräuchlich waren.⁹⁹ Um 1600 verstanden sich beide Konfessionen als die wahre christliche Kirche und betrachteten die andere Konfession als Abweichung hiervon.1⁰⁰ Daher konnte es nur polemische und keine neutralen Fremdbezeichnungen geben. Im Abschnitt zur dritten Säule wird dies noch stärker pointiert, wenn es heißt »3. Säule, genannt: der alte Gebrauch menschlicher Traditionen. Diese streiten gegen Gottes Wort und dies wurde in der wahren katholischen Kirche allzeit verworfen«.1⁰1 Abzulehnen an der katholischen Kirche sind aus reformierter Sicht folglich die »menschlichen Traditionen«, da sie die Kirche von einem konstatierten frühchristlichen ›Urzustand‹ weggeführt haben sollen. Auf diese menschlichen Traditionen rekurriert auch die Legende der vierten Säule: »4. Säule. Genannt päpstliche Sukzession.«1⁰2, gleich darunter folgt: »Gegen die Apostolische [Kirche], [die] auf Christi Lehre und Leben und Wort befunden in der aufrechten apostolischen katholischen Kirche«.1⁰3 Sichtbar wird, wie der Begriff der apostolischen Kirche von den Reformierten beansprucht wird und auch »katholisch« als Charakterisierung der reformierten Konfession dient. Katholisch steht hier für den Universälitätsanspruch und dient nicht einer konfessionsneutralen Benennung, weil es diese eben noch nicht gab. Es zeigt sich, dass die Begriffe »römisch« und »katholisch« als Kampfbegriffe eingesetzt wurden. Beide Konfessionen beanspruchten, universal zu sein und verstanden sich selbst als ›das Christentum‹. Der Vorwurf des Partikularismus, der etwa durch die Bezeichnung römisch ausgedrückt wird, dient der polemischen Abgrenzung.

99 Für den deutschsprachigen Raum hat Bent Jörgensen dies intensiv erforscht, vgl. ders.: Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen. Zur Terminologie der Religionsparteien im 16. Jahrhundert. Berlin 2014 (Colloquia Augustana 32). Für Frankreich vgl. die Forschung von Yves Krumenacker, etwa: Comment désigner l’autre? Une étude du vocabulaire des synodes réformés. In: Enoncer/dénoncer l’autre. Discours et représentations du différend confessionnel à l’époque moderne. Hg. von Chrystel Bernat, Hubert Bost. Turnhout 2012 (Bibliothèque de l’École des Hautes Études, Section des Sciences Religieuses 151), S. 243–250. 100 Margit Kern hat dies bereits für den lutherischen Kontext gezeigt, vgl. Margit Kern: Tugend versus Gnade. Protestantische Bildprogramme in Nürnberg, Pirna, Regensburg und Ulm. Berlin 2002. (Berliner Schriften zur Kunst 16), S. 151. 101 »3 Pilaer Genaempt out gebruyc an smenschen traditen. Strydende tegens Godes woort en sulex inde ware Catholycke kercke altyts verworpen«. 102 »4 Pilaer Genaempt Pauslycke Successie«. 103 »Tegens d’Apostolycke gehfon:deeert, op Christi leere ende leuen ende wort beunden inde op:rechte Apostolycke Catholycke kercke«.

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Gegenständliche Inschriften

Das Blatt beansprucht außerdem, dass diese Unrechtmäßigkeiten enttarnt seien: »Diese römische Kirche ist rundum geöffnet und befleckt durch die Kenntniss der Wahrheit, wie das der Antichrist-Abgötterei, die allesamt offenbart sind«, prangt auf dem Boden vor der Kirche in der unteren Mitte des Blattes.1⁰⁴ Eine letzte Inschrift findet sich rund um den Kirchenbau entlang der halbhohen Mauer. Die Schrift ist in Richtung des Kirchenbaus orientiert, sodass ein Betrachter oder eine Betrachterin das Blatt drehen muss, um dem Verlauf der Schrift zu folgen und sie zu lesen. Die Schrift ist perspektivisch auf Mönch und Jesuit ausgerichtet, doch gerade sie ›lesen‹ sie nicht, sondern haben ihre Blicke auf den Papst und die Kirchenmauer gerichtet. »Mönch und Jesuit sind beschäftigt, diese Kirche an allen Seiten wieder dicht zu machen, damit die Sonne der Gerechtigkeit da drinnen nicht so sehr scheine«, ist hier zu lesen.1⁰⁵ Es wird also sowohl das abgebildete Personal als auch deren Handeln erklärt. Hierfür rekurriert der Text auf den antiken Topos des sol iustitiae. In dem Blatt fungiert das Bild der ›Sonne der Gerechtigkeit‹ als Allegorie für Christus, vor dessen Blicken das Innere der Kirche abgeschirmt werden soll. Die Allegorie des sol iustitiae, im 16. Jahrhundert ohnehin überkonfessionell rezipiert und christologisch gedeutet, wurde auch von Johannes Calvin aufgegriffen. An gleich drei Stellen nutzte er in seiner Institutio dieses Bild zur Charakterisierung Christi.1⁰⁶ Obwohl eine theologische Auslegung der Frage von Gerechtigkeit und Rechtfertigung im Zusammenhang mit sol iustitiae möglich wäre, scheint das vorliegende Blatt einzig die metaphorische Ebene – Sonne der Gerechtigkeit als Bild Christi – zu rezipieren.1⁰⁷ Denn, so der Vorwurf, die römische Kirche ziehe Mauern hoch und halte Christus von der Kirche fern, entziehe sich also dessen Gerechtigkeit. Licht der Wahrheit

Diese Allegorie der Sonne der Gerechtigkeit leitet über zum zweiten Blatt, wo eine weitere Licht-Metapher eingesetzt wird und nun für die eigenen konfessionellen Auffassungen als Positiv-Folie dienen kann. Das zweite Kirchengebäude ist mit »dese kercke« überschrieben, wird jedoch nicht wie die römische Kirche des ersten Blattes näher definiert, da der Anspruch der Reformierten ist, das Christentum zu sein. Stattdessen folgen zwei Textfelder im linken und rechten oberen Bereich des Blattes, die die gezeigte Kirche beschreiben. »In die104 »Dese Roomsche Kercke Is rontsomme geopent en gebloot deur de kennisse derwaer, heyt, sulcx dat des Antechristsafgoderye, alomme geopenbaert is«. 105 »Munnincken en Jesuiten syn doende om dese kercke aen allen syden weder dicht te maecken op dat de Sonne des gerechticheyts daer Inne niet soo seer en schyne«. 106 Johannes Calvin: Institutio Christianae Religionis. Nach der letzten Ausgabe von 1559 übersetzt und bearbeitet von Otto Weber. Neu hg. von Matthias Freudenberg. Neukirchen-Vluyn 2008, II.10.20; III.25.1 sowie IV.8.7. 107 Vgl. Kern 2002 (Anm. 100). S. 126–137.

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ser [all-]gemeinen wahren apostolischen Kirche ist Gottes Wort das Licht der Wahrheit. Freude, Friede, Einigkeit, Freiheit und Überwindung vom Vater in Jesu Christo durch den Heiligen Geist zur Seligkeit« und weiter »diese Kirche wurde in der Düsternis von Gottes Feinden sehr angefochten, gelästert, verfolgt, gehetzt und unterdrückt, mit aller Grausamkeit und Tyrannei zum Verdammnis.«1⁰⁸ Dezidiert wird hier das Wort Gottes als das »Licht der Wahrheit« bezeichnet und so eine Verbindung zum ersten Blatt gegeben, in dem die Sonne der Gerechtigkeit als Bild Gottes fungiert. Dass die reformierte Kirche vor dieser gerechten Sonne nichts zu verbergen, und daher auch nichts zu befürchten hat, zeigen die Öffnungen des Kirchenbaus. Durch hohe Fenster entlang des Langhauses und rund um die Apsis wird der Raum illuminiert. Die zwei Okkuli im Gewölbe lassen zusätzlich Licht in die Kirche gelangen. Inschriften als tragende Bauelemente

Die sechs Säulen, die den reformierten Kirchenraum tragen, dienen im metaphorischen Sinn dazu, die Grundüberzeugungen des eigenen Bekenntnisses zu stützen. Von links nach rechts heißt es: »Gnade und Barmherzigkeit Gottes«, »Wahrheit der Heiligen Schrift«, »Bund und Verheißung Gottes«, »Die Liebe und die Weisheit des Vaters«, »Die Gerechtigkeit in Jesu Christo« und »Die Erleuchtung und der Trost des Heiligen Geistes«.1⁰⁹ Ferner sind Predigt und die beiden Sakramente, die auf einer Linie hintereinander gestaffelt sind, mit Inschriften erläutert. Die Kanzel ist eingefasst von der »Predigt des heiligen Evangeliums« und neben der Taufschale steht: »tauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«. Besonders relevant erscheint die angegebene Funktion des Abendmahlstisches: »Zum Gedächtnis und der Gemeinschaft von dem Leiden und dem Tod unseres Herrn, Jesu Christi, am Kreuze«.11⁰ Ein zentraler Streitpunkt zwischen katholischer und reformierter Kirche ist hiermit eindeutig markiert, um Missverständnissen bezüglich des Abendmahls entgegenzuwirken. Da es ausdrücklich heißt »zum Gedächtnis«, ist klar artikuliert, dass die Transsubstantiationslehre seitens der Reformierten abgelehnt wird und auch die Realpräsenz Christi nicht anerkannt wird.111 Die begleitende Inschrift betont den memorialen Charakter des reformierten Abendmahls. Im 108 »In dese Ge: meene ware Apostolycke kercke. Is Godes woort tlicht der waerheyt Blyschap vrede eenic: heyt, vryheyt ende ouerwinninge van Vaeder in Iesu Christo deur den H. geest tot Salicheyt. Dese Kercke wort inder duysternisse van Godes vyanden seer aengeuochten ghelastert, veruolcht, gehaet, ende verdruckt, met aller wreetheyt ende tirannye tot verdoemenisse.« 109 »genade ende bermerticheyt godes / warheyt der heylige schrifture / verbond ende belofte godes / De liefde ende wyshey des vaders / De gerechticheyt in Jesu Christo / De verlichtinghe en troost des H: geest«. 110 »De gedachtenisse ende gemeenschap van tlyden ende den doot ons Heeren, Jesu Christi aen cruyce«. 111 Raymond A. Mentzer: Reformed Liturgical Practices. In: A Companion to the Eucharist in the Reformation. Hg. von Lee Palmer Wandel. Leiden 2014 (Brill’s Companions to the Christian tradition 46), S. 231–250.

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Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen?

Gegensatz zur katholischen Liturgie wurde kein Altar genutzt, sondern nur an Abendmahlgottesdiensten ein Tisch in der Kirche aufgestellt. Vor dem Sockel der Kirche der zweiten Abbildung ist schließlich ein letzter Schriftzug angebracht. Wieder macht sich der Künstler die Kirche als Metapher zu eigen, wenn er direkt vor deren Fundament schreibt: »das Fundament dieser Kirche ist Christus«.112 Der theologische Gehalt dieser Inschrift offenbart sich erst in der Gegenüberstellung mit dem ersten Blatt, denn dieser Kirche fehlt ein Fundament. Stattdessen geht alle Organisation vom Papst aus, der nicht nur die zentrale, sondern auch die größte Figur des Blattes ist. Angespielt wird hier auf eine reformierte Auslegung von Mt 16,18. Calvin kommentiert hierzu in der Imstitutio Christianae Religionis: Für den Augenblick möchte ich nur dies feststellen: Wenn unsere Gegner allein aus dem Namen des Petrus (der mit ›Fels‹ in Zusammenhang gebracht ist) dessen Herrschaft über die gesamte Kirche aufrichten wollen, so ist das eine gar zu oberflächliche Beweisführung. Denn jene alten Albernheiten, mit denen sie anfangs den Menschen etwas vorzumachen versuchten, sind keiner Widerlegung, ja, auch keiner Erwähnung wert. Sie sagten da, auf Petrus sei die Kirche gegründet, weil es doch hieße: ›Auf diesen felsen...‹ […] Ja, wozu streiten wir denn um den Sinn dieser Worte, als ob er dunkel oder zweideutig wäre, wo doch gar nichts Klareres und Gewisseres hätte gesagt werden können? Petrus hatte in seinem und der Brüder Namen bekannt, daß Christus der Sohn Gottes sei (Matth. 16,16). Auf diesen Felsen baut Christus seine Kirche, weil er, wie Paulus sagt, das einige Fundament ist, außer dem kein anderes gelegt werden kann (1. Kor. 3,11).113

Calvin moniert hier die Rolle des Papstes als vicarius Petri und die Macht, die ihm hierdurch eingeräumt wird. Während Calvin im Absatz zuvor bereits die übermäßige »Gewalt«, die der Papst innehat, kritisiert, argumentiert er hier exegetisch, dass die katholische Kirche die betreffende Bibelstelle falsch ausgelegt und den Papst zu Unrecht als das Fundament der Kirche gesetzt habe, denn dieses könne allein Christus sein.11⁴ Auch fällt auf, dass in der katholischen Kirche weder ein Priester noch anderes kirchliches Personal oder gar eine Gemeinde dargestellt ist; die abgebildeten Figuren, die die katholische Kirche ausmachen, sind allein Papst und weltlicher Herrscher, gestützt durch Mönch und Jesuit. Die reformierte Kirche hingegen ist mit Gemeindemitgliedern gefüllt und wird ohne eine kirchliche Autorität gezeigt. Im zweiten Blatt bezeichnet sich die reformierte Kirche als die wahre apostolische Kirche. In der Inschrift wird eine Kontinuität der reformierten Konfession generiert, die diese in die direkte Nachfolge Christi stellt. Diese Referenz auf das Frühchristentum wird auch visuell umgesetzt; so erinnert die Architektur des Kirchenbaus auf dem Blatt an frühchristliche Hallenkirchen. Die Kirche im Bild steht nicht nur für den Kirchenraum, sondern auch für die Gemeinschaft der Glaubenden (»gemeenschap«). 112 »T’FVNDAMENT DER KERCKE IS CHRISTVS.« 113 Calvin Institutio IV. 6.6 (Anm. 43). 114 Calvin Institutio IV. 6.5 (Anm. 43).

»ware catholieke kerk«. Wahrnehmung von eigener und fremder Konfession

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In dieser Druckgrafik werden durch die Gegenüberstellung der katholischen Kirche mit der reformierten die Unterschiede in Bezug auf die Ekklesiologie und die Sakramentenlehre in komparatistischer Weise zur Anschauung gebracht. Vor allem die perspektivische Einfügung der Schrift auf den Säulen lässt die reformierten Glaubensgrundsätze zur Stütze der Kirche werden. Die Säulen eignen sich hier auch gerade deshalb, weil sie oft als Motiv für Standhaftigkeit genutzt wurden.11⁵ Demgegenüber sind in dem katholischen Bau die Bezeichnungen der Säulen neben diese gerückt, um in der Differenz der Bauten sichtbar zu machen, dass die katholischen Praktiken nicht als Träger des Christentums dienen könnten. Die Kanzel als konfessioneller Marker?

Hondius’ Darstellungen der katholischen und der reformierten Kirche sind nicht als Architekturporträts angelegt. Die Bauten sollen als allegorische Bilder der Kirche verstanden werden. In der Ausstattung der gezeigten Räume finden sich aber auch ein Wirklichkeitsbezug zur liturgischen Nutzung der Bauten und konfessionsspezifischen Differenzen, denn der Druck von Hondius korrespondiert mit der tatsächlichen Nutzung von Kanzeln in reformierten Kirchen. Durch diese spezifische Aneignung erscheint sie im reformierten Kontext als ein konfessioneller Marker, obwohl sie von allen Konfessionen weiterhin genutzt wurde und daher eher als vorkonfessionell oder transkonfessionell zu bezeichnen ist.11⁶ Der Ursprung der Kanzel entscheidet offensichtlich nicht über ihre Rezeption in einem anderen konfessionellen Kontext.11⁷ In Hondius’ Stich wird ersichtlich, dass für die Interpretation eines konfessionellen Markers nicht der Produktionskontext, sondern der sinnstiftende Akt der Rezeption entscheidend war. In der reflektierenden Anschauung wird der Kanzel Bedeutung zugeschrieben. Zwei Beispiele mögen veranschaulichen, wie unterschiedlich der Umgang mit bestehenden Kanzeln nach der Reformation in den Niederlanden sein konnte. Mit der reformierten ›Säuberung‹ der katholischen Kirchen von jeglichem Bildwerk in den 1560er Jahren wurden auch Kanzeln aus Kirchenräumen entfernt beziehungsweise deren figurale Gestaltung, so auch in der ehemaligen Grote 115 Vgl. etwa Philips Galles Darstellung der Constantia, 15,2 x 8,7 cm, in: Prosopographia, sive virtutum, animi, corporis, bonorum externorum, vitiorum, et affectuum variorum delineatio, Antwerpen 1585, Rijksmuseum Amsterdam. 116 Zur Geschichte der Kanzel vgl. Peter Poscharsky: »Kanzel«. In: Theologische Realenzyklöpadie. Bd. 17. Berlin, New York 1988, S. 599–604; ausführlicher ders. bereits zuvor: Peter Poscharsky: Die Kanzel. Erscheinungsformen im Protestantismus bis zum Ende des Barock. Gütersloh 1963 (Schriftenreihe des Institutes für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart 1); vgl. außerdem grundsätzlich zur Kanzel Hartmut Mai: Der evangelische Kanzelaltar. Geschichte und Bedeutung. Halle an der Saale 1969 (Arbeiten zur Kirchengeschichte und Religionswissenschaft 1). 117 Margit Kern hat anschaulich darauf aufmerksam gemacht, wie einzelne religiöse Zeichen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich mit Sinn aufgeladen werden konnten; vgl. Kern 2017b (Anm. 21) sowie dies.: Lutherisch? Wie Bilder sich bekennen. In: Kat. Ausstell. Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt. Berlin 2017, S. 30–38.

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Wie über die konfessionellen Aushandlungen in den Niederlanden sprechen?

Abb. 8: Anonym, koloriertes Holzrelief/Rückseite: Schriftpaneel (Teil eines Kanzelkorbes, ursprünglich Groote Kerk, Hoorn), Hoorn, Westfries Museum.

Kerk Hoorn in Nordholland.11⁸ Teil des Kanzelkorbs des dortigen Preekstoels war ein Holzpaneel, das erhalten ist und eine Abendmahlsdarstellung in Form eines kolorierten Holzreliefs zeigt (Abb. 8).11⁹ Nach den Bilderstürmen wurde das Paneel kurzerhand umgedreht und die Rückseite mit Schrifttafeln mit den Zehn Geboten versehen.12⁰ Durch das Umdrehen des Holzpaneels blieb die Kanzel in der Grote Kerk erhalten, das Bild mit der Abendmahlsdarstellung aber wurde getilgt. Es war vermutlich sowohl problematisch, weil Christus darauf abgebildet ist, als auch, weil reformierte und katholische Abendmahlsvorstellungen weit auseinanderliegen.121 Auch wenn es durchaus bemerkenswert ist, wie pragmatisch die konfessionell motivierte Umgestaltung einer bebilderten Kanzel umgesetzt wurde (schließlich blieben die Bilder ja doch im Kirchenraum und dürften für den Predikanten weiter sichtbar gewesen sein), so zeigt sich doch, wie konsequent mit Bildern im reformiert genutzten Kirchenraum verfahren wurde. In 118 Die mittelalterliche Kirche (ein Vorgängerbau der heutigen Grote Kerk), aus der das Paneel stammt, war 1838 niedergebrannt. 119 Im niederländischen Sprachgebrauch gibt es zwar auch die Bezeichnung Kansel. Die Benennung des Artefakts nach seinem Nutzungskontext – Preekstoel (Predigtstuhl) – ist jedoch die geläufigere. 120 Cornelis Albertus van Swigchem, Teunis Brouwer, W. van Os: Een huis voor het woord. Het Protestantse kerkinterieur in Nederland tot 1900. Den Haag 1984, S. 30f. 121 Nach Calvins Verständnis sollten Gottvater und Christus nicht bildlich dargestellt werden; vgl. Margarete Stirm: Die Bilderfrage in der Reformation. Gütersloh 1977 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 45), S. 161. Zur Frage, wie das Abendmahl zu Feiern sei, bezog Calvin sich dezidiert auf das letzte Abendmahl, um über konfessionelle Differenzen zu streiten; vgl. Calvin Institutio IV.17–18 (Anm. 43).

»ware catholieke kerk«. Wahrnehmung von eigener und fremder Konfession

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Abb. 9: Kanzel der Oude Kerk Delft, 1548, in situ.

Hoorn wurde der vormals katholisch errichtete Bau nach der Reformation für den reformierten Gottesdienst genutzt, ebenso wie die Oosterkerk und die Noorderkerk. Eine andere Möglichkeit nutzte man in der Oude Kerk in Delft, in der die von 1548 und somit aus katholischer Zeit stammende Kanzel auch nach der Reformation weiter genutzt wurde, und das, obwohl sie mit geschnitzten Bildern geschmückt ist (Abb. 9). Die gut erhaltene Kanzel befindet sich noch immer in situ. Der sechsseitige Kanzelkorb ist mit Reliefs gestaltet. Das mittlere Paneel zeigt Johannes den Täufer, die Schnitzereien der übrigen Paneele zeigen die vier Evangelisten. Dass die Kanzel auch nach der Reformation in der Oude Kerk blieb und die bildliche Gestaltung des Kanzelkorbs sichtbar war, ist dank zahlreicher Gemälde des 17. Jahrhunderts bestens belegt,122 etwa von Gerard Houckgeest, Hendrick van Vliet und Emanuel de Witte (Abb. 10).123 122 Ein besonders bemerkenswertes Gemälde ist eine Ansicht der Den Haager Jacobskerk von Gerard Houckgeest, in die der Maler die Kanzel der Delfter Oude Kerk ›importiert‹ hat (Abb. 11). Die Kanzel ist prominent an einer Säule in der Bildmitte befestigt und die Schnitzarbeiten des Kanzelkorbs werden eindrucksvoll inszeniert. Der Kirchenraum ist derweil mit gekalkten Wänden und Wappenschilden eindeutig als ein reformiert genutzter präsentiert; Gerard Houckgeest: Jacobskerk in Den Haag mit Kanzel der Oude Kerk Delft, 1651, Holz, 53 x 43,5 cm, Düsseldorf, Museum Kunstpalast (vermisst seit 1946); zu dem Bild siehe Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 256–260. 123 Gerard Houckgeest: Oude Kerk in Delft, 1654, Holz, 49 x 41 cm, Amsterdam Rijksmuseum; Hendrick van Vliet: Oude Kerk in Delft mit Kanzel, Leinwand, 108,3 x 87,9 cm, Boston, Museum of Fine Arts; Emanuel de Witte: Oude Kerk in Delft während einer Predigt, 1651, Holz, 60,5 x 44 cm, London, The Wallace Collection.

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Auch wenn in einigen Gemälden die Problematik einer bebilderten Kanzel dadurch sichtbar wird, dass sie in diesen bildlos erscheint – d. h. dieser decorums-Verstoß korrigiert wurde – so scheint es grundsätzlich nicht zwangsläufig anstößig gewesen zu sein, ein Ausstattungsstück katholischer Provenienz auch nach der Reformation weiter zu nutzen, selbst wenn dieses figürliche Szenen aufwies. Der Vergleich der beiden Beispiele für den Umgang mit ›katholischen‹ Kanzeln nach der Reformation zeigt, dass es offensichtlich keine Patentlösung gab, wann ein solches Ausstattungsstück übernommen werden konnte und wann nicht. Im Fall von Hoorn scheint die bildliche Darstellung zumindest so problematisch gewesen zu sein, dass man sich für eine Umgestaltung des Objektes entschied, während in Delft die Bilder aus katholischer Zeit weiterhin sichtbar blieben. Wie also mit der Kanzel im neuen Kirchenraum umzugehen war, scheint grundsätzlich eine Einzelentscheidung gewesen zu sein. Auch dürfte eine Rolle gespielt haben, welche Sujets jeweils abgebildet waren. Für beide Fälle ist jedoch festzuhalten, dass Ausstattungsstücke wie die Kanzel auch im konfessionell neu genutzten Kirchenraum in den Niederlanden weiter verwendet wurden. Möglich war dies, weil die Kanzeln keine katholisch geweihten Artefakte waren. Zwischenfazit

Anhand der Analyse der Kupferstiche zeigt sich, dass in den Niederlanden um 1600 konfessionelle Identitäten zur Disposition standen und in Kupferstichen eine klare polemische Sprache gewählt wurde. Die Grafiken bezeugen, wie unmissverständlich Position bezogen wurde, um Eigenheiten der Konfessionen zur Anschauung zu bringen und deutliche Abgrenzung zu markieren. Hondius’ Darstellung zielt gerade durch ein polemisch zugespitztes Bild auf die Verunglimpfung der katholischen Kirche und nutzt dieses, um in Abgrenzung dazu ein positives Selbstbild der reformierten Kirche zu entwerfen. Auf der rein visuellen Rezeptionsebene eröffnet die vergleichende Ansicht der Kirchenräume einen konfessionellen Aushandlungsprozess, in dem katholische und reformierte Kirche die Verhandlungsgegenstände bilden. Eine zweite Rezeptionsebene wird durch die integrierte Schrift erzielt. Sie kommentiert und ergänzt das Dargestellte. Gleichzeitig macht erst die bildliche Darstellung die Inschrift motivisch verständlich. Der inhaltliche Vergleich operiert auf zwei Ebenen. Zum einen repräsentiert die Kirche die ecclesia, somit ist die Institution Kirche angesprochen. Der Hauptvorwurf, der in den Inschriften der Stiche formuliert und ausdifferenziert wird, ist das Abweichen der Kirche von einem konstatierten Zustand des Urchristentums. In der Wahrnehmung der reformierten Kirche hat die katholische Kirche sich von diesem ursprünglichen Christentum vor allem durch »menschliche Traditionen« entfernt. Während in der katholischen Kirche der Vorwurf an Reformierte (und Lutheraner) lautete, eine ›neue‹ Konfession zu sein, wurde der

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Abb. 10: Emanuel de Witte, Oude Kerk in Delft während einer Predigt, 1651, Holz, 60,5 x 44 cm, London, The Wallace Collection.

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Abb. 11: Gerard Houckgeest, Jacobskerk in Den Haag mit Kanzel der Oude Kerk Delft, 1651, Holz, 53 x 43,5 cm, Düsseldorf, Museum Kunstpalast (vermisst seit 1946).

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gleiche Vorwurf auch umgekehrt formuliert. Beide Parteien bezichtigten sich der ›Neuheit‹ der Kirche und sahen sich selbst in legitimer Nachfolge des Urchristentums.12⁴ Zum anderen ist der konkrete Kirchenraum und damit verbunden die katholische Liturgie angesprochen. Im Text wird dies durch zahlreiche architektonische Metaphern aufgegriffen, wie die »Säulen« oder das »Abdichten« des Kirchenbaus durch das Aufbauen von Mauern. Eine weitere visuelle Strategie ist der Einsatz der Zentralperspektive. Durch die Gestaltung des gerasterten Bodens wird sie explizit betont. Durch die zentralperspektivische Konstruktion wird die Frage nach dem Zentrum der Kirche für die Konfessionen der Frühen Neuzeit relevant.12⁵

1.5 Toleranz, Umgangsökumene oder konfessionelle Aushandlungsprozesse? Die Konfrontation der katholischen und der reformierten Kirche in Hondius’ Druckgrafik eröffnet die Frage, wie die konfessionellen gesellschaftlichen Verhältnisse der nördlichen und südlichen Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert terminologisch gefasst werden können. Oben wurde bereits ausgeführt, dass die konfessionelle Situation in den nördlichen Niederlanden zu dieser Zeit in Europa singulär war. Obwohl der Calvinismus die Publieke Kerk war, war die Gesellschaft konfessionell äußerst heterogen strukturiert.12⁶ Neben Reformierten gab es nach wie vor Katholiken, Lutheraner und Täufer; in größeren Städten wie Amsterdam gab es auch jüdische Gemeinden.12⁷ Und auch die Gruppe der Reformierten war nicht homogen. Denn das frühe 17. Jahrhundert war dominiert 124 Hans-Georg Hofacker: »Vom alten und nüen Gott, Glauben und Ler«. Untersuchungen zum Geschichtsverständnis und Epochenbewusstsein einer anonymen reformatorischen Flugschrift. In: Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Hg. von Josef Nolte, Hella Tompert, Christof Windhorst. Stuttgart 1978 (Spätmittelalter und frühe Neuzeit: Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung 2), S. 145–177, bes. S. 145–156. 125 Zudem hatte sich Hondius in seiner Karriere intensiv mit Architekturdarstellung und Perspektivkonstruktion auseinander gesetzt, wie aus seinen Publikationen mit Jan Vredeman de Vries (Perspectiva. 2 Bd. Leiden 1604–1605; Architectura. Leiden 1606–1607) und Samuel Marolois (Opera Mathematica. Den Haag 1614–1616; Geometrie, Den Haag 1616; Perspective contenant la theorie, et practique, d’icelle. Den Haag 1614; Fortification ou architecture militaire tant offensive que defensive. Den Haag 1615) sowie zwei eigenen Publikationen hervorgeht (Institutio Artis Perspectivae. Den Haag 1622; Korte beschrijvinge, ende af-beeldinge van de generale regelen der fortificatie. Den Haag 1624); vgl. Nadine Orenstein: Hendrick Hondius and the Business of Prints in Seventeenth-Century Holland. Rotterdam 1996 (Studies in prints and printmaking 1), S. 106–119; Kat.-Nr. 629–635. 126 Vgl. Spohnholz 2011 (Anm. 50); Benjamin Kaplan 2011 (Anm. 50); Alastair Duke 2009 (Anm. 50); Benjamin Kaplan 2007 (Anm. 30). 127 Siehe hierzu Peter van Rooden: Jews and religious toleration in the Dutch Republic. In: Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age. Hg. von Ronnie Po-Chia Hsia, Henk van Nierop. Cambridge 2002, S. 132–147; Daniel Swetschinski: Reluctant Cosmopolitans. The Portuguese Jews of Seventeenth-Century. Amsterdam, London 2000; Jonathan Israel: European Jewry in the Age of Mercantilism 1550–1750. London 31998 sowie Miriam Bodian: Hebrews of

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vom Streit zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten, der erst mit der Dordrechter Synode entschieden wurde.12⁸ Wie also lässt sich das Miteinander der Konfessionen beschreiben? Vor allem in der Geschichtswissenschaft, aber auch in kunstgeschichtlichen Untersuchungen sind hierzu in den letzten Jahren verschiedene Begriffe erprobt worden. Durchsetzen konnten sich Toleranz und Umgangsökumene, neuerdings wurde auch der Begriff der Multi- beziehungsweise Interkonfessionalität eingeführt.12⁹ Im Folgenden ist zu reflektieren, wie über konfessionelle Zugehörigkeiten, konfessionelle Gruppen, deren Interaktion miteinander und Positionierung zueinander adäquat gesprochen werden kann. Vor diesem Hintergrund kann die Frage gestellt werden, welcher Stellenwert künstlerischen Artefakten wie der vorliegenden Druckgrafik in diesen Prozessen zukommt. Hondius’ Darstellung ist offensichtlich polemisch angelegt; welchen Ort aber hat Polemik in einer als »tolerant« bezeichneten Gesellschaft? Eine These der Arbeit lautet, dass künstlerische Produktion konfessionelle Entwicklungen nicht lediglich abbildet oder dokumentiert, sondern aktiv in diese Prozesse eingreift. Zu fragen ist, welchen Stellenwert die polemische Druckgrafik in diesen Identitätsfindungsprozessen hatte. Wird ein negatives Bild des Anderen benötigt, um das Selbst zu stabilisieren? Klare Verhältnisse?

Die Einführung der unterschiedlichen Begriffe Toleranz und Umgangsökumene zeigt an, dass diesen divergierenden Auffassungen eines konfessionellen Mitund Gegeneinanders inhärent sind. Zu berücksichtigen ist jeweils, ob mit einem Konzept die institutionelle politische Haltung der Republik beschrieben werden soll oder die de facto praktizierte Alltagsrealität. Die besondere Leistung beider Begriffe liegt darin, dass sie in der Betonung der Multikonfessionalität den zuvor herrschenden Mythos einer genuin reformierten Republik ablösten und dadurch die Wahrnehmung der Niederlande nachhaltig veränderten.13⁰ Die jüngere Forschung konnte zeigen, wie dieser Mythos als Selbsterzählung bereits seit der Frühen Neuzeit reproduziert worden ist und insbesondere im 19. Jahrhunthe Portuguese Nation. Conversos and Community in Early Modern Amsterdam. Bloomington 1997. 128 Israel 1995 (Anm. 50), S. 450–477; Aza Goudriaan, Fred van Lieburg (Hg.): Revisiting the Synod of Dordt (1618–1619). Leiden 2011 (Brill’s series in church history and religious culture 49). 129 Einen profunden Überblick über die verschiedenen Zugriffe der Geschichtswissenschaft bietet Willem Frijhoff: How Plural were the Religious Worlds in Early-Modern Europe? Critical Reflections from the Netherlandic Experience. In: Living with Religious Diversity in Early-Modern Europe. Hg. von C. Scott Dixon, Dagmar Freist, Mark Greengrass. Farnham 2009 (St. Andrews studies in Reformation history), S. 21–51. 130 Diese Erzählung wurde insbesondere durch Huizinga und Schama populär; siehe Johan Huizinga: Holländische Kultur des 17. Jahrhunderts. Ihre sozialen Grundlagen und nationale Eigenart. Jena 1932 (Schriften des Deutsch-Niederländischen Instituts Köln 1) sowie Simon Schama: The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age. New York 1987.

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dert durch das moderne Konzept des Nationalstaates noch weiter tradiert und gefestigt wurde, der konfessionellen Realität der Niederländischen Republik jedoch so nie entsprochen hat.131 Zutreffend ist, dass die nördlichen Niederlande ab dem Plakaat van Verlatinghe 1581 offiziell reformiert waren, und der Calvinismus zur Publieke Kerk erklärt wurde. Eine bei der Utrechter Union zuvor diskutierte Gewissensfreiheit oder religievrede fand keinen Konsens.132 Gleichzeitig wurde die juristische Handhabung, ob und wie fremdkonfessionelle Praktiken zu regulieren waren, den einzelnen Provinzen beziehungsweise einzelnen Städten übertragen, sodass die Kontrolle oder Einhaltung einer prinzipiell mono-konfessionellen Gesellschaft innerhalb der Republik stark variieren konnte.133 Die spanisch regierten südlichen Gebiete waren hingegen durch die Statthalter-Politik der Habsburger katholisch. Eine konfessionelle Eindeutigkeit kann für die Republik auf institutioneller Ebene konstatiert werden: Wer das Amt des Bürgermeisters, Provinzhalters, Richters oder andere öffentliche Ämter im Norden bekleidete, hatte in der Regel Mitglied der Publieke Kerk zu sein.13⁴ Doch diese konfessionelle Verpflichtung galt nur für bestimmte gesellschaftliche Positionen. Denn das Prinzip des Alten Reiches cuius regio, eius religio galt in den Niederlanden nicht. Schon weil es keine Fürstentümer gab, sondern sich die Nördlichen Provinzen 1588 auf die Regierungsform der Republik in Form der Staten-General geeinigt hatten, bestand grundsätzlich je nach Region eine relative Religionsfreiheit. Ein Blick auf sozialgeschichtliche Untersuchungen zeigt außerdem, dass die Angehörigen der reformierten Publieke Kerk mitnichten die Mehrheit der Bevölkerung darstellten. Leider liegen bis heute keine systematischen Daten für die gesamten nördlichen Niederlande über einen längeren Zeitraum vor. Einzelne sozialgeschichtliche Erhebungen zeigen jedoch eindeutige Tendenzen auf: Um 1620, also ca. 50 Jahre nach Entstehen der Publieke Kerk, zählte der Anteil der Reformierten schätzungsweise ein Fünftel bis ein Drittel; noch 1650 lag in einigen Provinzen wie Overijssel, Utrecht, Nord-Holland und Gelderland der Anteil der Katholiken und Dissidenten bei über 50 Prozent.13⁵ Zu berücksichtigen ist, dass diese Zahlen für Großstädte der damaligen Zeit gelten. PollmerSchmidt hat abermals darauf hingewiesen, dass das Bekenntnis zum Calvinis131 Xander van Eck: Introduction. In: ders., Ruud Priem (Hg.): Traits of tolerance. Religious tolerance in the Golden Age. Zwolle 2013, S. 9. Für die spanischen Niederlande beziehungsweise Belgien siehe exemplarisch Ulrich Heinen: Kunstgeschichte als Funktion populistischer Ideologie. Max Rooses (1839–1914) – Kunsthistoriker und »Führer im Flämischen Lager«. In: Die Tiefe der Oberfläche. Populäre Kunstgeschichte als Problem. Hg. Joseph Imorde, Sybille EbertSchifferer. Marburg 2009 (Kritische Berichte 1), S. 55–94. 132 Kaplan 2011 (Anm. 50), S. 108. 133 Ebd. 134 Eine Ausnahme konnte sein, zwar nicht Mitglied der reformierten Kirche zu sein, sondern sich als Sympathisant zählen zu lassen; Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 37. 135 Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 38. Sowie Hans Knippenberg: De religieuze kaart van Nederland. Omvang en geografische spreiding van de godsdienstige gezindten vanaf de Reformatie tot heden. Assen 1992.

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mus in ländlichen Gebieten noch deutlich geringer gewesen sein dürfte. Diese Verteilung veränderte sich erst Mitte des 17. Jahrhunderts; ab nun lag der Anteil der Reformierten in vielen Städten bei über 50 Prozent. Aus diesen punktuell vorliegenden Daten ein Gesamtbild für die Niederlande zu entwerfen ist nicht möglich. Da keine umfassenden Auswertungen konfessioneller Zugehörigkeiten für die gesamte Republik vorliegen, lassen sich bestenfalls Tendenzen feststellen. Gesichert ist in jedem Fall, dass die nördlichen Niederlande erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts zu einer de facto mehrheitlich reformierten Republik wurden. Binnenkonfessionelle Dynamiken

Dass die Niederlande als mehrheitlich reformierte Republik bezeichnet werden können, trifft also erst für die Zeit ab etwa 80 Jahren nach der Unabhängigkeitserklärung zu. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass auch innerhalb des reformierten Lagers lange Zeit keine Einheit herrschte, sondern verschiedene Strömungen um konfessionelle Positionen stritten. Die größte Uneinigkeit dürfte die Auseinandersetzung der Remonstranten (Arminianer) und Kontraremonstranten (Gomaristen) gewesen sein, bei der es im wesentlichen um divergierende Vorstellungen der Prädestinationslehre ging.13⁶ Erst bei der Dordrechter Synode von 1619 wurde eine einheitliche Kirchenordnung verbindlich. Auch wurde erst hier der Beschluss gefasst, eine einheitliche Bibelübersetzung für die niederländisch-sprachigen Gebiete herauszugeben.13⁷ Die sogenannte Statenvertaling oder Statenbijbel ist die erste verbindliche niederländische Bibelübersetzung, die direkt aus dem Hebräischen und Griechischen stammte.13⁸ Der Name Statenvertaling, zu deutsch Staatsübersetzung, lässt erkennen, dass die Generalstaaten diese Ausgabe finanzierten. Hieran wird deutlich, wie eng die Publieke Kerk und die Generalstaaten aneinander geknüpft waren. Erst im Jahr 1637 erschien diese Einheitsbibel. Zuvor wurden regional verschiedene Bibelübersetzung genutzt, so die Luther-Bibel, die Delfter Bibel (1477), die Liesveldtbibel (1526, nach der Luther-Bibel) oder die Deux-Aes-Bibel (1562).13⁹ Die Kritik hieran war jedoch, dass diese zum einen zu ›lutherisch‹ übersetzt und zum anderen durch den ›Umweg‹ über das Deutsche zu weit vom Originaltext entfernt waren. Die Entscheidung zur Statenvertaling bei der Dordrechter Synode vereinheitlichte somit die Bibellektüre in den Vereinigten Pro136 Johannes Pieter van Dooren: »Dordrechter Synode«. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Bd. 9. Berlin, New York 1982, S. 140–147. 137 Ebd. 138 Wie die Titelseite der ersten Ausgabe beansprucht »Uyt de Oorspronckelijcke talen in onse Nederlandtsche tale getrouwelijck over-geset« (»Aus den ursprünglichen Sprachen in unsere niederländische Sprache getreu übersetzt«); Biblia, Dat is: De gantsche H. Schrifture […]. Leiden 1637. 139 Bible in duytsche [sog. Delftse Bijbel]. Delft 1477; Jacob van Liesvelt: Dat oude ende dat nieuwe testament […]. Antwerpen 1526; Biblia dat is, de gantsche Heylighe Schrift, grondelick ende trouvvelick verduydtschet […]. Emden 1562.

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vinzen; es dauerte jedoch bis 1637, bis die erste Ausgabe erschien und sich alle reformierten Kirchen auf den gleichen Text bezogen. Das Fehlen einer gemeinsamen reformierten Bibel dürfte mit dazu beigetragen haben, dass eine Einheitlichkeit der reformierten Kirche in den Niederlanden sich erst im 17. Jahrhundert entwickelte und durchsetzte. Toleranz und Umgangsökumene

Mit der Auswertung der prozentualen konfessionellen Verteilung und der Erkenntnis, dass die Reformierten im frühen 17. Jahrhundert bei weitem nicht die größte konfessionelle Gruppe darstellten, wurden in der historischen Forschung die Begriffe der Toleranz und Umgangsökumene eingeführt, um der Vielfalt möglicher religiöser und konfessioneller Bekenntnisse gerecht zu werden. Das Bestreben war es, auch terminologisch deutlich zu machen, dass die Niederlande um 1600 also noch lange nicht die reformierte Republik waren, als die sie heute gemeinhin gelten, sondern eigentlich die »am stärksten multi-konfessionell geprägte Gesellschaft im frühneuzeitlichen Europa«.1⁴⁰ Hier setzt das Konzept von Toleranz an, das eine konfessionell plurale Gesellschaft beschreibt, in der verschiedene konfessionelle Gruppen friedlich zusammenleben konnten.1⁴1 Für die historische Forschung hat der Kunsthistoriker Xander van Eck wichtige Impulse geliefert, indem er sich intensiv mit der Sichtbarkeit des konfessionellen Miteinanders in den frühneuzeitlichen nördlichen Niederlanden auseinandergesetzt hat.1⁴2 Dezidiert beschäftigt ihn die Frage, ob das Self-fashioning als ›tolerante Niederlande‹ ein über die Jahrhunderte gewachsenes Ideal darstellt oder ob dies tatsächlich kongruent zum konfessionellen Umgang in der Frühen Neuzeit ist.1⁴3 Entscheidend ist hierbei, dass van Eck sensibel zwischen einer heutigen und der historischen Definition von Toleranz differenziert. Er betont, dass das moderne Verständnis von Toleranz, das auf einer Anerkennung der Gleichheit aller Religionen und Konfessionen beruht, ein Resultat der Aufklärung sei und für den Umgang der Konfessionen in den frühneuzeitlichen Niederlanden nicht gegolten habe. Hier handelte es sich vielmehr um einen modus vivendi, der nicht konfliktfrei verlief.1⁴⁴ 140 Kaufmann 2016 (Anm. 29), S. 254. 141 Kaplan 2007 (Anm. 30); Ronnie Po-Chia Hsia, Henk van Nierop (Hg.): Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age. Cambridge 2002 sowie Ole Peter Grell, Bob Scribner (Hg.): Tolerance and Intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996 sowie die Studie von Jesse Spohnholz: The tactics of toleration. A Refugee community in the age of Religious Wars. Newark 2011 und Judith Pollmann: From Freedom of Conscience to Confessional Segregation? Religious Choice and Toleration in the Dutch Republic. In: Persecution and pluralism. Calvinists and religious minorities in early modern Europe, 1550–1700. Hg. von Richard Bonney. Oxford, Bern 2006 (Studies in the history of religious and political pluralism 2), S. 123–148. 142 Xander van Eck: Clandestine Splendor. Paintings for the Catholic Churches in the Dutch Republik. Zwolle 2008 (Studies in Netherlandish art and cultural history 9). 143 Xander van Eck: Intruduction, in: ders., Ruud Priem (Hg.): Traits of tolerance. Religious tolerance in the Golden Age. Zwolle 2013, S. 9–14. 144 Ebd.

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Neben dem Begriff der Toleranz hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch der der Umgangsökumene (omgangsoecumene) durchgesetzt.1⁴⁵ Mit diesem fassen Willem Frijhoff und Marijke Spies zusammen, dass verschiedene konfessionelle Gruppen nebeneinander in der gleichen Stadt lebten; und wenn auch nicht-reformierte Positionen öffentlich nicht vollzogen werden durften, die entsprechenden Anhänger dennoch nicht verfolgt wurden beziehungsweise deren Gottesdienste in Privathaushalten juristisch nicht unterbunden wurden.1⁴⁶ Umgangsökumene stellt gegenüber dem Konzept von Toleranz eine Bedeutungsverschiebung dar. Denn hierdurch kann konkreter gefasst werden, dass die verschiedenen konfessionellen Gruppen keinesfalls gleiche Rechte genossen und andere konfessionelle Positionen auch nicht ›tolerierten‹, sondern dass sich ein gesellschaftlicher Umgang miteinander in Form einer friedlichen Koexistenz etablierte. So zutreffend die Beschreibung dieser realpolitischen Praxis war, scheint der Begriff der »Ökumene« nicht präzise zu sein.1⁴⁷ Greifbar ist der Begriff der Ökumene bereits im 5. Jahrhundert v. Chr., wo mit ihm der bewohnte Teil der Erde bezeichnet wurde.1⁴⁸ In der Spätantike wurde der Begriff zunehmend christlich konnotiert im Sinne einer christlich-kirchlichen Allgemeingültigkeit, verlor aber rasch wieder seine politische Bedeutung.1⁴⁹ Erst im 19. Jahrhundert stellte sich ein begriffliches Verständnis von Ökumene ein, das neue Akzente setzte. Dieses führte zu der gegenwärtigen Auffassung von Ökumene als Einheitsbemühungen der ChristInnen, im interkulturellen als auch im interkonfessionellen Sinn.1⁵⁰ Insgesamt ist der Begriff der Ökumene so stark mit diesen Einheitsbewegungen der Moderne verbunden, dass es problematisch erscheint, ihn für frühneuzeitliche Phänomene fruchtbar machen zu wollen. Denn das moderne Verständnis von Ökumene setzt die Absicht auf ein gewisses Maß an Einheit voraus. Diese Absicht beziehungsweise dieses Interesse an einer verbindenden Einheit lässt sich hingegen für die frühneuzeitliche Situation der Niederlande nicht feststellen. Die Ergänzung des Begriffs Ökumene zu »Umgangsökomene« kann diese fehlende Absicht an einem positiven theologischen Austausch der Konfessionen nicht ausgleichen. Auch ist zu fragen, ob das Modell der friedlichen Umgangsökumene – ei-

145 Willem Frijhoff und Marijke Spies forcierten den Begriff für die Frühe Neuzeit in den Niederlanden, siehe Frijhoff und Spies 1999 (Anm. 31). 146 Auch wenn Frijhoff und Spies das Jahr 1650 als Ausgangspunkt ihrer Publikation setzen, referieren sie doch über einen Zeitraum, der nahezu das gesamte 17. Jahrhundert umfasst und daher auch den für diese Arbeite relevanten Zeitraum für die Zeit um 1600. 147 Vgl. Willem Frijhoff selbst: The threshold of toleration. Interconfessional conviviality in Holland during the early modern period. In: Embodied belief. Ten essays on religious culture in dutch history. Hg. von dems. Hilversum 2002 (Religionis et libertatis causa 1), S.39–66, bes. S. 45–47. 148 Reinhard Frieling: »Ökumene«. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 25. Berlin, New York 1995, S. 46–77, hier S. 47. 149 Ebd. 150 Ebd.

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nem weitgehenden Nebeneinander der Konfessionen – nicht zu stark vom Verzuilingsmodell des 19. Jahrhunderts abgeleitet und somit ahistorisch ist.1⁵1 Grenzen der Toleranz

Der Historiker Horst Lademacher hat bereits darauf hingewiesen, dass die konfessionelle und religiöse Vielfalt nicht als Toleranzpolitik fehlinterpretiert werden dürfe.1⁵2 So wurden die katholischen Kirchen enteignet und blieben dies auch. Anderskonfessionelle waren von öffentlichen und politischen Ämtern ausgeschlossen. Überdies gab es immer wieder Phasen, je nach Stadt und politischem Oberhaupt, in denen radikal gegen Andersgläubige vorgegangen wurde. Dennoch blieb für Lutheraner, Katholiken und Juden oft die Möglichkeit bestehen, die eigene Konfession weiterhin zu leben. Exemplarisch hierfür mag Utrecht stehen. Dort haben sich bis heute zahlreiche sogenannte huiskerken oder schuilkerken erhalten.1⁵3 Diese klandestinen Kirchen haben in den vergangenen Jahren zunehmend Aufmerksamkeit von der Forschung erfahren. Insbesondere Xander van Eck hat deren Funktionsweise und Ausstattungen erforscht und rekonstruiert.1⁵⁴ Demnach handelt es sich um kleinere Kirchen, die in Wohnhäusern realisiert wurden oder sich in Innenhöfen von Wohnhäusern befanden. Was nach außen als klassisches zweigeschossiges Wohnhaus anmutete, konnte im Inneren durchaus eine dreischiffige Kirche samt prunkvoller Innenausstattung beherbergen.1⁵⁵ Die äußere zweigeschossige Fassade stimmte somit nicht mit dem inneren Raum überein, der sich über beide Geschosse erstrecken konnte. In einigen Ausnahmefällen war es nicht nötig, solch geheime Kirchenräume zu errichten. Amsterdam etwa fuhr von Anfang an eine relativ offene Religionspolitik. Dort wurde z. B. die Oude Lutherse Kerk zwischen 1632 und 1633 gebaut und ersetzte eine zuvor genutzte Huiskerk.1⁵⁶ Auch dem Bau einer großen Syn-

151 Verzeuiling ist ein feststehender Begriff für den im 19. und 20. Jh. in den Niederlanden bestehenden Partikularismus, der neben Konfession auch Politik und sozio-kulturelle Bereiche umfasste; vgl. Arie L. Molendijk: Versäulung in den Niederlanden: Begriff, Theorie, lieu de mémoire. In: Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert. Hg. von Friedrich Wilhelm Graf, Klaus Große Kracht. Köln u. a. 2007 (Industrielle Welt 73), S. 307–327. 152 Lademacher 1983, S. 229–239. 153 So die Gertrudiskapel (zunächst katholisch, später alt-katholisch), Maria Minor (katholisch, später alt-katholisch), Luther-Kerk und eine Mennonitenkirche; vgl. van Eck 2008 (Anm. 142). 154 Van Eck 2008 (Anm. 142); Van Eck 2013 (Anm. 131); Xander van Eck: The artist’s religion. Paintings commissioned for clandestine Catholic churches in the northern Netherlands 1600–1800. In: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art 27 (1999), S. 70–94 sowie Xander van Eck: From doubt to conviction. Clandestine Catholic churches as patrons of Dutch caravaggesque painting. In: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art 22 (1994), S. 217–234 sowie Xander van Eck: Kunst, twist en devotie. Goudse katholieke schuilkerken 1572–1795. Delft 1994; siehe außerdem von Rosen 2015 (Anm. 32). 155 Vgl. etwa die ehemals geheime Kirche im heutigen Museum Ons’ Lieve Heer op Solder in Amsterdam. 156 Siehe die Seite des niederländischen Denkmalschutzes: cultureelerfgoed.nl/monumenten/5241 (30.05.2018).

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agoge (1675) wurde stattgegeben, nachdem bereits im frühen 17. Jahrhundert kleinere öffentliche Synagogen errichtet worden waren.1⁵⁷ Grundsätzlich war es für Katholiken oder Lutheraner jedoch nur im Verborgenen möglich, ihren Gottesdienst zu feiern und ihren Glauben zu leben. Toleranz scheint in dieser Hinsicht ein irreführender Begriff zu sein, wenn er impliziert, dass die Glaubensausübung in die Unsichtbarkeit verlagert werden musste. Somit ist in Frage zu stellen, inwieweit der Toleranzbegriff grundsätzlich adäquat zur Beschreibung der hier zu betrachtenden Gesellschaft ist. Offensichtlich gab es Handlungsräume, in denen Konfessionelles außen vor gelassen werden konnte, etwa im ökonomischen Sektor oder unter Gelehrten. Die Beispiele der Kirchen zeigen jedoch an, wo Grenzen des toleranten Umgangs lagen: offenbar in allem ›konfessionell Sichtbaren‹. Die klandestinen Räume veranschaulichen, dass öffentliche Sichtbarkeit eine Herausforderung darstellte und dass für ein multikonfessionelles Miteinander visueller Entzug nötig war. Andere Konfessionen konnten nur so weit ausgeübt werden, so lange dies nicht zu einer öffentlichen Wahrnehmung führte. Dies dürfte Anlass genug sein, um zu prüfen, inwieweit der Toleranzbegriff aus kunsthistorischer Perspektive haltbar ist. Kunsthistorische Zugänge

Xander van Eck hat mit seinen Forschungen zu katholischer Kunst in den Nördlichen Niederlanden als einer der ersten dezidiert einen Fokus darauf gelegt, inwieweit die seitens der historischen Forschung konstatierte Toleranz oder Umgangsökumene auch für künstlerische Produktion, Austausch, Artefakte und Kunstrezeption haltbar ist.1⁵⁸ Erst in der jüngsten Forschung wurden Fragen nach dem Zusammenhang von konfessionellen Aushandlungsprozessen und Kunstproduktion sowie -rezeption in der kunstgeschichtlichen Forschung für diesen Kulturraum gestellt.1⁵⁹ So hat sich etwa Valeska von Rosen in ihrer Untersuchung zu den sogenannten Utrechter Caravaggisten erstmalig intensiv mit der religiösen Bildproduktion der Maler im Umfeld von Hendrick ter Brugghen beschäftigt.1⁶⁰ Die vorausgegangene Forschung zu den Malern, die Anfang des 17. Jahrhunderts in und um Utrecht aktiv waren und die Malerei Caravaggios mittels transkultureller Adap157 Siehe Swetschinski 2000 (Anm. 127). 158 Vgl. Anm. 154. Bemerkenswerter Weise findet zuvor kaum eine Auseinandersetzung mit konfessionellen Fragen statt. Insbesondere das vielzitierte kommentierte Quellenwerk Ad Fontes widmet sich dieser Frage in keinem Kapitel; siehe Claudia Fritzsche, Karin Leonhard, Gregor J. M. Weber (Hg.): Ad Fontes. Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen. Petersberg 2013. 159 Bislang liegen verhältnismäßig wenige Einzeluntersuchungen vor. Es scheint, als sei der ›konfessionelle Boom‹ der historischen Forschung der 2000er Jahre in der Kunstgeschichte noch nicht entsprechend aufgenommen worden. Noch abzuwarten bleibt, ob die Tagungsakten der einzigen Konferenz der letzten Jahre (»Kunst und Katholizismus in der Niederländischen Republik«, Frankfurt a. M. Februar 2017), die sich diesem Thema gewidmet hat, publiziert werden. 160 Von Rosen 2015 (Anm. 32).

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tionen (auch) für die nördlichen Niederlande aneigneten und transformierten, hatte bis dahin den Fokus einzig auf stilistische Aspekte gesetzt und sich fast ausschließlich auf profane Sujets konzentriert und somit konfessionelle Interessen ignoriert. Von Rosen konnte nun zeigen, dass die interpikturale Auseinandersetzung der niederländischen Maler mit der zeitgenössischen römischen Malerei einen bildlichen Diskurs entfaltete, der gerade in den konfessionell variantenreichen Niederlanden auf fruchtbaren Boden fiel. Von Rosen zufolge lässt sich ein Code konstatieren, mittels dessen die »Bildsprache Caravaggios« für die Niederlande rezipiert, adaptiert und bildlich fruchtbar gemacht wurde.1⁶1 Dieser Code wurde von den jeweiligen Künstlern unterschiedlich bedient; er konnte auf stilistischer, formaler oder ikonografischer Ebene ansetzen. Entscheidend für die Feststellung von Rosens ist, dass diesen divergierenden interpikturalen Bezugnahmen immer auch bildtheologische Diskurse inhärent waren. Das bedeutet, dass die Übernahme als caravaggesk zu bezeichnender Bildelemente bildintern theologische Debatten eröffnete und diese nicht bloß abbildete. Das anschaulichste Beispiel in dieser Untersuchung dürften zwei Verkündigungsdarstellungen Hendrick ter Brugghens sein. Während die jüngere der beiden Fassungen in einer klassischen, das Decorum wahrenden Manier ausgearbeitet ist (1629, Diest Stedelijk Museum de Hofstad, Abb. 12) wird in der anderen (1624, Kunsthalle Zürich, Abb. 13) erprobt, ob Maria, die im Neuen Testament als niedrige Magd beschrieben wird, nicht auch bildlich als solche gezeigt werden sollte. Denn in der Züricher Fassung des Sujets erscheint sie bäuerlich, mit grobschlächtigen Händen und Gesichtszügen, unfrisiertem fettigen Haar und deutlicher Modellabhängigkeit.1⁶2 Dass Maria in der Züricher Verkündigung in ihrer Nichtigkeit erscheint, indem sie absichtsvoll unansehnlich dargestellt ist, steht im Gegensatz zur katholischen Darstellungstradition, in der Maria grundsätzlich als schöne junge Frau präsentiert wurde. Das Gemälde stellt die Rezipierenden durch die ungewöhnliche Lösung des Sujets vor die Aufgabe, einen theologischen Grund für die Darstellung zu diskutieren. Von Rosens Untersuchung ist damit ein Beispiel, das veranschaulicht, wie Bilder aktiv konfessionelle Debatten mitgestalten konnten. Auch konnte Valeska von Rosen anhand des Beispiels der Caravaggisten plausibilisieren, dass das persönliche Bekenntnis des Malers weder mit den Sujets seiner Werke noch mit der Konfession seiner Auftraggeber oder Käufer kongruent sein musste. Vielmehr sei der frühneuzeitliche Künstler eher als an ökonomischen Interessen orientierter Akteur zu verstehen, der in der Regel in seiner Malerei nicht seine persönlichen politischen, konfessionellen oder moralischen Standpunkte zum Ausdruck brachte. Dieser Forschungsrichtung lässt sich auch die bereits zuvor erschienene Publikation von Esther Meier zuordnen. Anhand der Werke von Joachim von San161 Ebd. 162 Ebd., S. 13–28 und 175–224.

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Abb. 12: Hendrick ter Brugghen, Verkündigung an Maria, 1629, Leinwand, 216,5 x 176,5 cm. © stadsmuseum De Hofstadt Diest.

Abb. 13: Hendrick ter Brugghen, Verkündigung an Maria, 1624, Leinwand, 103,8 x 84,3 cm, Zürich, Kunsthalle.

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drart führte die Autorin vor, wie weit persönliches Bekenntnis eines Malers und sein künstlerisches Schaffen auseinander liegen konnten und korrigierte hierdurch zuvor bestehende vereinfachende Gleichsetzungen von konfessionellem Produktions- und Rezeptionskontext.1⁶3 Miriam Volmert hat sich aus einer anderen Perspektive mit konfessionellen Fragestellungen in der niederländischen Kunst auseinandergesetzt. In ihrer Dissertation hat sie zahlreiche Landschaftsdarstellungen – vorwiegend Druckgrafiken, aber auch Gemälde – aus der Zeit um 1600 analysiert und präzise herausgearbeitet, wie diese in der Provinz Holland als Katalysatoren fungierten und zur Herausbildung eines ›nationalen‹ Identitätsbewusstseins, das an die Landschaft gebunden war, beitrugen.1⁶⁴ Vor allem Dünenbilder, die eine Bildrhetorik zeitgenössischer Widerstands-Druckgrafiken aufgriffen, variierten und gezielt für ein anderes Medium übersetzten, konnten von Volmert für das Verständnis der Amalgamierung von landschaftlicher, konfessioneller und nationaler Identität fruchtbar gemacht werden. Ebenfalls der konfessionellen Identitätsfindung in der Provinz Holland ist eine Untersuchung von Almut Pollmer-Schmidt gewidmet. Am Fallbeispiel der Delfter Maler Houckgeest, de Witte und van Vliet hat Pollmer-Schmidt untersucht, wie in gemalten Kircheninterieurs um 1650 eine Rezeptionskultur sichtbar wird, deren Thema das »Einüben konfessioneller Unterschiede« ist.1⁶⁵ Pollmer-Schmidt bindet dieses Einüben konfessioneller Unterschiede an die vergleichende Betrachtung gemalter Kircheninterieurs. Ausgehend von einem Familienbildniss von Emanuel de Witte (Abb. 14) kann die Autorin zeigen, dass die Gemälde der Delfter Oude und Nieuwe Kerk nicht nur auf eine Darstellung der Räume im Sinne eines Architekturporträts zielten, sondern die Bilder vielmehr einen Rahmen darstellten, um für konfessionell Eigenes und Fremdes bildliche Darstellungsformen zu finden, die nicht auf Polemisierung zielen, sondern diskursorientiert operieren, indem sie der Auslegung der Betrachtenden bedürfen.1⁶⁶ Da beide Delfter Kirchen ursprünglich als katholische Kirchen errichtet und nach der Reformation dann für den reformierten Gottesdienst genutzt wurden, vermögen die gemalten Interieurs aus der Mitte des 17. Jahrhunderts sowohl Vereinendes wie Trennendes der Konfessionen zu akzentuieren. Hinzu kommt, dass die Sichtung von Kunstsammlungen und Inventaren zeigt, dass »die in den Bildern zum Ausdruck gebrachte Konfession [...] oft, aber keineswegs immer mit dem Bekenntnis ihrer Eigentümer überein[stimmte]«.1⁶⁷ Erst im Rezeptionsakt benennt er oder sie, in welchem konfessionellen Nutzungs-

163 Esther Meier: Joachim von Sandrart. Ein Calvinist im Spannungsfeld von Kunst und Konfession. Regensburg 2012. 164 Volmert 2013 (Anm. 32). 165 Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 49–55. 166 Emanuel de Witte, Familienbildnis, 1678, Leinwand, 68,5 x 86,5 cm, München, Alte Pinakothek; siehe Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 11–25. 167 Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 55.

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Abb. 14: Emanuel de Witte, Familienbildnis, 1678, Leinwand, 68,5 x 86,5 cm, München, Alte Pinakothek.

kontext die gezeigten – ursprünglich als katholische Bauten errichteten – Kirchen zu verorten sind. Präzise führt Pollmer-Schmidt zudem vor Augen, wie in den Delfter Gemälden eine Überblendung von Konfessionellem und Nationalen durch die Darstellungen des Grabmals von Wilhelm von Oranien in der Nieuwe Kerk inszeniert wurde.1⁶⁸ Besonders überzeugend an der Untersuchung ist, dass die Prozesshaftigkeit konfessioneller Identitätsfindungen betont hervorgehoben wird: Indem Pollmer-Schmidt das Jahr 1650 als Drehpunkt ihrer Untersuchung ansetzt, kann sie sichtbar machen, dass die Reformation in den Niederlanden im 16. Jahrhundert keinesfalls zu eindeutigen konfessionellen Verhältnissen führte, sondern dass diese in der Mitte des 17. Jahrhunderts noch zur Diskussion standen.1⁶⁹ Konfessionelle Aushandlungsprozesse

Wurden in der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren die Begriffe Toleranz und Umgangsökumene genutzt, um die konfessionell plurale Kultur der frühneuzeitlichen nördlichen Niederlande zu beschreiben,1⁷⁰ sind aus kunsthistorischer Perspektive Korrekturen an diesen begrifflichen Festlegungen vorzu168 Dieses wurde von seiner Witwe in Auftrag gegeben, von Hendrik de Keyser und dessen Sohn realisiert und 1623 in der Nieuwe Kerk in Delft im Chorraum aufgestellt; siehe Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 67–122. 169 Zu bedauern ist, dass Pollmer-Schmidt dennoch verkürzend am Begriff einer »friedlichen Koexistenz« festhält, vgl. Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 40. 170 Wenngleich die Begriffe auch innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Debatte selbst relativiert wurden, vgl. etwa Benjamin Kaplan: ›Dutch‹ religious tolerance. Celebration and revision. In: Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age. Hg. von Ronnie Po-Chia Hsia, Henk van Nierop. Cambridge 2002, S. 8–26.

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schlagen. Die oben zitierten Untersuchungen veranschaulichen, dass die durch die Geschichtswissenschaft eingeführten Begriffe die in der kunstgeschichtlichen Forschung zentralen neueren Erkenntnisse nicht adäquat abbilden können. Als ein Beispiel dafür, dass künstlerische Artefakte sich gerade dadurch auszeichnen, Stellung zu beziehen und nicht konfessionell ausgleichend angelegt sind, kann die auf Konfrontation angelegte Druckgrafik von Hondius dienen (Abb. 4 und 5). Die Kupferstiche sind ein Zeugnis dafür, wie künstlerische Artefakte konfessionelle Prozesse der Identitätsstiftung mitgestalteten. Die auf eine spezifische Komparatistik angelegte Komposition regt die Rezipierenden dazu an, das Verhältnis mehrerer Konfessionen zueinander zu bestimmen. Durch die Rezeption von Hondius’ Druckgrafiken partizipieren die BetrachterInnen an einem Prozess, in dem ein konfessionell Eigenes und ein konfessionell Fremdes kontinuierlich im wechselseitigen Bezug definiert werden. »Toleranz« oder »Umgangsökumene« bilden diesen Identitätsstiftungs- und Identitätsbildungsprozess nur unzureichend ab, weil die Prozesshaftigkeit und gegenseitige Bezogenheit aufeinander hierin nicht zum Ausdruck kommen. Daher wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der konfessionellen Aushandlungsprozesse fruchtbar gemacht, der viel stärker die Dynamik künstlerischer Produktion zum Ausdruck bringt. Eingeführt wurde der Begriff der konfessionellen Aushandlungsprozesse 2017 durch Margit Kern, die ihn nutzte, um sich der Frage zu nähern, woran sich konfessionelle Zugehörigkeiten von Bildern festmachen lassen.1⁷1 Anhand sich wandelnder kultureller Codierungen zeigt Kern auf, dass »was als protestantisch oder als katholisch wahrgenommen wurde, sich erst langsam entwickeln musste. Unmittelbar nach der Reformation war dies noch längst nicht klar, sondern man kann im Gegenteil davon ausgehen, dass in der gesamten Frühen Neuzeit Prozesse stattfanden, die hier als ›konfessionelle Aushandlungsprozesse‹ bezeichnet werden.«1⁷2 An anderer Stelle ergänzt sie, dass »die wiedererkennbare Übernahme von formalen Strukturprinzipien nicht nur konfessionelle Differenz unterstreichen kann, sondern auch die gemeinsame Fundierung der verschiedenen Konfessionen in der biblischen Lehre« und folglich »der Raum konfessioneller Aushandlungsprozesse so immer wieder neu konturiert und vermessen – Ähnlichkeiten und Unterschiede in relationalen Bildgefügen erzeugt« werden.1⁷3 In dieser Definition fungiert der Terminus konfessioneller Aushandlungsprozess als struktureller Begriff, der dazu geeignet ist, komplexe Identitätsstiftungs, -findungs und -aneignungsmechanismen in ihrer diskursiven Dynamik abzubil171 Bereits kurz zuvor führt von Rosen den Begriff der Verhandlung ein, mit dem sie ähnliche Phänomene fasst und dies für den spezifisch niederländischen Kontext; vgl. von Rosen 2015 (Anm. 32). Auch Bettina Braun operiert mit dem Begriff deutlich früher, jedoch ohne explizite Definition, vgl. Bettina Braun, Johannes Wischmeyer: Vom Umgang mit konfessionellen Grenzen. Aushandlungsprozesse und rechtliche Festlegungen. In: Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung. Hg. von Christine Roll, Frank Pohle, Matthias Myrczek. Köln u. a. 2010 (Frühneuzeit-Impulse 1), S. 163–169. 172 Kern 2017a (Anm. 117), S. 36f. 173 Kern 2017b (Anm. 21), S. 344.

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den. Die Grundannahme besteht darin, dass künstlerische Artefakte nicht per se konfessionell eindeutig zuordenbar sind, sondern die konfessionelle Zugehörigkeit im Prozess der Aneignung geschaffen wird. Da an diesen Prozessen mehrere Gruppen von Akteuren mit teilweise konfligierenden Interessen beteiligt gewesen sein können, lohnt es, diesen Prozess als Aushandlung zu begreifen. Mit diesem Terminus ist gemeint, dass das kulturell ›Eigene‹ nur im Bezug auf ein konstatiert ›Anderes‹ und immer in Relation zu diesem konfiguriert und kontinuierlich geprüft und aktualisiert wird. Infolgedessen wird »Ähnlichkeit im Aushandlungsraum ebenso erzeugt wie Differenz, weil beides auf ein Anderes bezogen ist und nicht für sich steht«.1⁷⁴ Der Begriff der Aushandlung (auch Verhandlung beziehungsweise Negotiation) wurde in den vergangenen Jahren bereits umfassend als Fachterminus sowohl in den Kulturwissenschaften als auch angrenzenden Geisteswissenschaften wie der Kunstgeschichte etabliert. Die Fassung komplexer Prozesse der Identitätsstiftung unter dem Begriff der Aushandlung trägt unter anderem dem Vorwurf Rechnung, dass in zuvor bestehenden Kulturkonzepten Machtkonstellationen und Asymmetrien nur unzureichend abgebildet werden konnten.1⁷⁵ Die Verwendung des Begriffs der Aushandlung ermöglicht es gerade in durchmachteten Räumen, den Aktionsradius der beteiligten Akteure feiner zu skalieren und nachzuzeichnen, wie marginalisierte Gruppen in ihren spezifischen Handlungsoptionen einbezogen werden können. Der Vorteil liegt daher in der Betonung der Vielzahl der Wirkmächte der beteiligten Akteure. Die Bezeichnung ›interkulturell‹ setzt nämlich beispielsweise implizit voraus, dass zwei Parteien miteinander interagieren würden, zwischen denen zum einen eine fixe Grenze verliefe – womit die Gruppen als jeweils homogen konstruiert werden – und zum anderen, dass zwischen ihnen ein gleichberechtigter Austausch in einem neutralen Zwischenraum stattfinden würde. Der Begriff der Aushandlung, der »seinen Anwendungsbereich in der letzten Generation ausgeweitet hat und sich über die Welten von Handel und Diplomatie hinaus auf den Ideenaustausch und die daraus folgende Modifikation von Bedeutungen bezieht«, wie Peter Burke zusammenfasst, bietet hingegen die Möglichkeit, zunächst die Gesamtheit heterogener konfessioneller Aneignungen in den Blick zu nehmen.1⁷⁶ Konfessionelle Aushandlung ist daher als soziologisch-kulturwissenschaftlicher und nicht als militärisch-politischer Begriff zu verstehen. Er eignet sich insbesondere zur Fassung länger andauernder Kommunikationsprozesse, wo174 Margit Kern: Transkulturelle Imaginationen des Opfers in der Frühen Neuzeit. Übersetzungsprozesse zwischen Mexiko und Europa. Berlin 2013, S. 50. 175 Wolfgang Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität? In: Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität. Hg. von Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg, Claudia Machold. Bielefeld 2009, S. 39–66. 176 Peter Burke: Übersetzungskulturen im frühneuzeitlichen Europa. In: Übersetzungen. Hg. von Birgit Wagner, Christina Lutter, Helmut Lethen. Bielefeld 2012 (Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2), S. 17–49, hier S. 19.

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mit eine Forschungsperspektive eingenommen wird, die über das Einzelereignis oder das Individuum hinausgeht. Der Mehrwert gegenüber dem vor allem in der deutschsprachigen Forschung gängigen Begriff Konfessionalisierung liegt beim Aushandlungsbegriff in einer Ergebnisoffenheit der Entwicklung konfessioneller Identitäten.1⁷⁷ Konfessionalisierung impliziert hingegen eine teleologische Sichtweise, die von einem Auseinanderdriften der Konfessionen ausgeht. Indem hier vorrangig das Ergebnis konfessioneller Identitätsbildungen fokussiert wird, gerät das ihnen inhärente Prozesshafte aus dem Blick. Stellt man also Hondius’ Kupferstiche in einen methodischen Kontext, der von konfessionellen Aushandlungsprozessen und nicht von Konfessionalisierung ausgeht, eröffnet dies die Möglichkeit, nicht nur wahrzunehmen, was die Konfessionen aus reformierter Sicht unterscheidet, sondern darüber hinaus die entscheidenden Punkte zu identifizieren, an welchen um 1600 Gemeinsames und Trennendes noch zur Diskussion standen. Denn die Druckgrafik hat keinen ›dokumentarischen‹ Charakter. Stattdessen ist sie diskursiv angelegt, da sie eines Rezipienten bedarf, der das ins Bild gesetzte verbalisiert, es auf ihm bekannte Phänomene überträgt und in diesem Prozess Wertungen vornimmt. Die Wirkmacht der Grafik liegt in der Fähigkeit, das hervorzubringen, was sie zeigt. Sie liegt daher im Spannungsfeld von Wirklichkeitsinterpretation und Wirklichkeitskonstruktion.1⁷⁸ Die Kupferstiche verdeutlichen, wie erst in der Gegenüberstellung das Konfessionseigene aus der Differenz zu Konfessionsfremdem generiert wird. Eine entscheidende Dimension von konfessionellen Aushandlungsprozessen besteht darin, bestehende Machtkonstellationen abbilden zu können. An Aushandlungsprozessen können prinzipiell alle Akteure in einer Gesellschaft beteiligt sein, während dem Begriff der Konfessionalisierung zurecht der Vorwurf eines Top-down Verständnisses gemacht wurde.1⁷⁹

1.6 Reformierte Kunst? – Künstler und Adaption Was eigentlich ist es genau, das es ermöglicht, die Grafik von Hondius klar konfessionell zuzuordnen, was macht die Blätter zu ›reformierten‹? Ist es die Polemik gegen das Papsttum, sind es die Inschriften? Diese Frage nach dem Bekenntnis eines Bildes stellt sich nicht nur für die vorliegenden Kupferstiche, sondern für

177 Für einen Überblick zur Konfessionalisierungsthese vgl. Kaufmann 1996 (Anm. 19), Sp. 1008– 1025. Kritische Reflexionen zum Konfessionalisierungsparadigma finden sich u. a. bei Dixon, Freist und Greengrass 2009 (Anm. 129); und von Greyerz 2003 (Anm. 19). 178 Anschließend an Reinhart Koselleck: Erfahrungsraum und Erwartungshorizont – zwei historische Kategorien. In: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Hg. von dems. Frankfurt a. M. 1979, S. 349–375. 179 Vgl. Thomas Kaufmann: Einleitung. In: Interkonfessionalität, Transkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hg. von Kaspar von Greyers. Gütersloh 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 9–15.

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Werke der bildenden Kunst ganz allgemein. Was macht ein Werk zu einem katholischen, lutherischen oder reformierten? Um sich dieser Bestimmung anzunähern hat die kunsthistorische Forschung verschiedene Wege entwickelt.1⁸⁰ Der erste führt über den Künstler und dessen Autorintention, einem Bild eine konfessionelle Identität zuzuweisen. Ein zweiter Zugang wäre dagegen, den Auftraggeber in den Blick zu nehmen. Demnach ließe sich ein Bild als reformiert zuweisen, wenn dies der Konfession seines Auftraggebers entspräche. Unabhängig von dem ›externen Kontext‹ könnte aber auch auf der Ebene des Bildes selbst angesetzt werden. Lässt sich also drittens ein Stil identifizieren, der ›typisch reformiert‹ oder ›typisch katholisch‹ ist? Oder lassen sich Sujets beziehungsweise bestimmte Marker (Objekte, Personen) im Bild finden, die als konfessionell eindeutig gelten?1⁸1 Darüber hinaus ist viertens nach dem Gebrauch eines Bildes und seiner Rezeption zu fragen. Im Gegensatz zu Fragen nach dem ›konfessionellen Ursprung‹ eines Bildes kann hierbei auch berücksichtigt werden, wie sich möglicherweise die Wahrnehmung eines Bildes oder Bildthemas im Laufe der Zeit verändern konnte. Im Folgenden werden zwei der aufgezeigten Zugangsmöglichkeiten für die Grafiken exemplarisch durchgespielt, um zu erproben, welches Potenzial und welche Grenzen die jeweiligen konfessionellen Lektüren haben. Da ein Auftraggeber nicht klar zu bestimmen ist, lassen sich wenig Anhaltspunkte für den Entstehungskontext festmachen. Deshalb soll zunächst die Rolle des konfessionellen Bekenntnisses des Künstlers Hondius für die Genese des Sujets beleuchtet werden.1⁸2 In einem zweiten Schritt wird der Gebrauch der Druckgrafik in den Blick genommen. Eine deutschsprachige Adaption von Hondius’ Kupferstich, die ca. 30 Jahre später entstanden ist, ermöglicht es, zeitgenössische Rezeptionsprozesse zu rekonstruieren. Hendrick Hondius als reformierter Künstler

Hendrick Hondius wurde als Hendrick de Hondt am 9. Juni 1573 in Duffel (span. Niederlande) nahe Antwerpen geboren. Cornelis de Bie weiß in seinem Het Gulden Kabinet vande Edel Vry Schilder-Const ausführlich über Hondius zu berichten.1⁸3 Der junge Hondius sei mit seinen Eltern des Krieges wegen nach Meche180 Siehe Kern 2017a (Anm. 117) sowie Kern 2017b (Anm. 21). 181 Vgl. auch Valeska von Rosen: Gibt es »Das reformatorische Bild«? Zur Revision essentialistischer und dichotomer Medienvorstellungen in der deutschen und niederländischen Reformation. In: Reformation heute. Bd. 4: Reformation und Medien. Zu den intermedialen Wirkungen der Reformation. Hg. von Johann Anselm Steiger. Leipzig 2018, S. 9–34. 182 Die einzige Monografie zu Hondius legte Nadine Orenstein vor, in Form eines Bandes des New Hollstein, der als Katalog alle Drucke listet, die von Hendrick Hondius selbst entworfen wurden sowie eines Buchs, das sein Leben genauer in den Blick nimmt und einen Katalog über sämtliche durch ihn gedruckte (aber nicht entworfene) Blätter verzeichnet; siehe Orenstein 1994 (Anm. 39) und Orenstein 1996 (Anm. 125). Zur Biografie vgl. außerdem Gero Seelig: Hendrick Hondius. In: Allgemeines Künstler-Lexikon, http://www.degruyter.com/view/AKL/_00143286 (06.10.2020). 183 Cornelis de Bie: Kabinet vande Edel Vry Schilder-Const. Antwerpen 1662, S. 486–488.

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len gegangen, und nach dem Tod des Vaters Guiliam Hondius, weiter nach Antwerpen umgezogen. Dort habe Hondius bei dem Goldschmied des Herzogs von Parma, Godefrey van Gelder, gelernt; außerdem habe er Zeichenunterricht bei Johannes Wierix genommen. Als 24-jähriger habe er in Den Haag eine aus Breda stammende Frau geheiratet. Noch vor 1597, als er sich in Den Haag niederließ und sich in die Lucas-Gilde einschrieb, dürfte Hondius einige Reisen unternommen haben, so nach Köln, Antwerpen, London und Paris. Danach scheint er länger in Den Haag ansässig gewesen zu sein, immerhin erhielt er bereits 1597 das erste Druckrecht der General-Staaten der Vereinigten Provinzen. Bereits in diesem Jahr fertige er ein Porträt von Statthalter Moritz von Oranien, dem Sohn und Nachfolger von Wilhelm von Oranien. Im Jahr 1603 zog er mit seiner Frau und ihren drei Kindern nach Amsterdam, die Gründe hierfür mögen ein größeres Klientel gewesen sein; Den Haag war um 1600 im Vergleich zu Amsterdam ein kleines Dorf, doch schon im Folgejahr zog die Familie weiter nach Leiden.1⁸⁴ Hier gab er das zweibändige Werk zur Perspektive von Vredeman de Vries zwischen 1604–1605 in Latein, Französisch und Deutsch heraus.1⁸⁵ Wohl ab Mitte 1605 lebte er wieder in Den Haag. Dort war er als Drucker und Verleger bis zu seinem Tod im Oktober 1650 tätig. In seinem Œuvre gibt es neben der »Abbildung der römischen Kirche« und dem Pendant-Bild weitere Arbeiten, die ein politisch-konfessionelles Anliegen haben. Im Jahr 1599 stach Hondius eine Serie »gefeierter Reformer und Männer der Religion«.1⁸⁶ Die Serie besteht aus zwei Titelblättern und 50 Porträts bedeutender Anhänger der Reformation lutherischen und reformierten Lagers sowie mit der Reformation assoziierter Männer. Drei Jahre später veröffentlichte er die Porträts erneut in einer anderen Publikation. Zusammen mit dem Gelehrten Jacobus Verheiden, der die Stiche durch Texte, biografische Informationen und Schriftenverzeichnisse der abgebildeten Personen ergänzte, publizierte er 1602 die »Praestantium aliquot theologorum qui Rom. Antichristum praecipue oppugnarunt, effigies«. Eine niederländische Übersetzung erschien 1603.1⁸⁷ Bemerkenswert ist, dass es sich um eine Kompilation sowohl reformierter als auch lutherischer und humanistischer Gelehrter handelt, die in einer Reihe gezeigt werden.1⁸⁸ Die Einheitlichkeit, in der sie mittels der formalisierten Darstel184 Orenstein 1996 (Anm. 125), S. 29. 185 Jan Vredemann de Vries, Hendrick Hondius: Perspectiva. Den Haag 1604–1605; vgl. Orenstein 1996 (Anm. 125), Kat.-Nr. 629. 186 Hendrick Hondius: Icones virorum nostra patriumque memoria illustrium, quorum opera cum literarum studia tumvera religio fuit restaurata. Den Haag 1599. 187 Jacob Verheiden, Hendrick Hondius: Afbeeldingen van sommighe in Godts Woort ervarene Mannen, die bestreden hebben den Roomschen Antichrist (übersetzt v. Pauwels de Kempenare). Den Haag 1603; siehe Stefan Kiedron: Bildungseliten zwischen Schlesien und den Niederlanden in der Frühen Neuzeit und ihre Biographien. Ein Einzelfall – Johannes a Lasco. In: Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa. Wirkung – Interaktion – Rezeption. Hg. von Tobias Weger. Frankfurt a. M. 2009 (Mitteleuropa – Osteuropa 11), S. 223–232. 188 Gebundene Kopien der ersten Edition finden sich in der Universitätsbibliothek Amsterdam, der Königlichen Bibliothek Den Haag und Wolfenbüttel. Die drei Bände sind jedoch verschieden sortiert und erhalten nicht alle die gleichen Abbildungen, vgl. Orenstein 1994 (Anm. 39), S. 122.

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lungsweise erscheinen, erweckt den Eindruck einer homogenen zusammengehörigen Gruppe. So sind neben Zwingli, Calvin und de Beze auch Martin Luther, John Knox, Martin Chemnitz und Erasmus von Rotterdam und sogar Savonarola abgebildet. Die porträtierten Männer werden als eine konstruierte Einheit zusammengefasst, deren Zusammengehörigkeit sich nicht aus einer gemeinsamen konfessionellen Überzeugung speist, sondern aus dem ›gemeinsamen Feind‹ der katholischen Kirche.1⁸⁹ Die, wenn auch rein visuelle und nicht annähernd haltbare, Behauptung einer einheitlich agierenden Gruppe von Reformatoren richtet sich als Gegenargument an die katholische Kirche, die den Vorwurf der Uneinigkeit (discordia) gegen Reformierte und Lutheraner erhoben hatte.1⁹⁰ Anhand dieses Beispiels wird sichtbar, wie Kunst über die Möglichkeit verfügt, homogenisierend zu wirken indem durch die Differenzbehauptung gegenüber Katholiken ein Einheitsnarrativ erzeugt wird. Neben diesen konfessionspolitischen Drucken existiert auch ein weiteres antikatholisches Flugblatt von Hondius, die »Papistische Pyramide«.1⁹1 Orenstein führt Hondius’ spezifisch antikatholische Haltung auf seine Bekanntschaft mit Paulus de Kempenaer, einem anti-katholischen Theologen zurück, der für Hondius auch als Übersetzer tätig war.1⁹2 Diese anti-katholischen Werke bekräftigen zwar einerseits eine Abgrenzung gegenüber Katholiken durch ein nach außen erzeugtes Einheitsnarrativ, doch binnenkonfessionell wird dieses nicht eingelöst. Die ›innere Heterogenität‹ zeigt sich etwa an der Arminisch-Gomarischen Auseinandersetzung, an der Hondius großes Interesse hatte. Als dem Kontraremonstranten Hendrick Rosaeus durch Johan van Oldenbarnevelt verboten wurde in Den Haag zu predigen, zog dieser mit seiner Gemeinde nach Rijswijk und wählte einen eigenen Kirchenrat, und Hondius war einer von ihnen.1⁹3 In seiner Funktion als Ältester unterzeichnete Hondius den Separations-Akt der KontraRemonstranten am 25. Januar 1617, und auch nach den Ereignissen von 1617 blieb Hondius Kirchenältester bis 1646, vier Jahre vor seinem Tod.1⁹⁴ Adaption im lutherischen Kontext

Es erscheint zunächst plausibel, dass das Sujet, das einen zentralperspektivisch angelegten Kirchenraum zeigt und dabei die katholische Papst-Kirche anprangert und sie mit einem calvinistischen Auffassungen entsprechenden Kirchenraum konfrontiert, konsequent reformierten Glaubensvorstellungen gerecht wird und diesem Kontext folglich entstammt. Ein Fund, der sich heute in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt befindet, belegt jedoch, dass 189 Siehe Orenstein 1994 (Anm. 39), Nr. 156–208, S. 122–146. 190 Siehe die Druckgrafik von Richard Verstegen, Kap. 1.7. 191 Kupferstich, 1599, 33,2 x 18,3 cm, Wolfenbüttel u. a.; siehe Orenstein 1994 (Anm. 39), Nr. 38 S. 46–48 sowie Nadine Orenstein: Prints and the Politics of the Publisher: The Case of Hendrick Hondius. In: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art 23 (1995), S. 240–250. 192 Orenstein 1996 (Anm. 125), S. 34. 193 Ebd., S. 35. 194 Ebd., S. 36.

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Abb. 15: Anonym, Abbildung der Römischen Kirchen, 1633, Kupferstich, 285 x 309 mm (ohne Textteil), Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek.

diese vermeintliche konfessionelle Eindeutigkeit keinesfalls der zeitgenössischen Rezeption entsprach (Abb. 15). Bei der Quelle, einem einseitigen Kupferstich, handelt es sich um eine direkte Adaption beziehungsweise Teilkopie der Druckgrafik von Hondius.1⁹⁵ Der Kupferstich ist in zwei Hälften gegliedert. Im unteren Teil des Blattes ist ein Text in drei Kolumnen abgedruckt. Über zweieinhalb Spalten ist ein Schmähgedicht über die katholische Kirche zu lesen. Danach folgt eine »Erklärung der Buchstaben / so in diesem Kupfer zu finden«, also eine Legende, die die in der Druckgrafik eingefügten Majuskeln erläutert. Darunter findet sich eine Ausführung über »Die vier Säulen / darauff die päpstische Kirche gebawet ist«. Überschrieben ist das Blatt mittig mit »Abbildung der Römischen Kirchen. Auff welche die NordOstischen oder Mitternächtigen Sturmwinde dermassen stossen / 195 Kupferstich, 28,5 x 30,9 cm (ergänzt um Textteil), 1633. Vgl. hierzu Wolfgang Harms: Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Bd. 4. Tübingen 1987, Nr. 239, S. 308f; John R. Paas: The German Political Broadsheet 1600–1700. Bd. 7. Wiesbaden 2002, Nr. PA-306 sowie Orenstein 1994 (Anm. 39), S. 50f. und Michael Niemetz: Antijesuitische Bildpublizistik in der Frühen Neuzeit. Geschichte, Ikonographie und Ikonologie. Regensburg 2008 (Jesuitica 13), S. 388.

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also daß sie von allen ihren geistlichen und weltlichen Dienern / wie hefftig sie sich auch bemühen / nicht zur gnüge kan beschüzet und erhalten werden.« Die obere Hälfte des Blattes bildet eine druckgrafische Ansicht, die der Darstellung von Hondius Roomsche Kercke direkt entlehnt, jedoch um eine figurenreiche Ikonografie und das Thema der Apokalypse ergänzt ist.1⁹⁶ Im Zentrum des Blattes wird eine Kirchenarchitektur in zentralperspektivischer Ansicht gezeigt. Vier Säulen tragen einen breiten Architrav, auf dem ein Tonnengewölbe lastet. An den Raum schließt sich hinten eine Apsis an, die durch Rundbogenfenster gegliedert ist. Über der Apsis fehlt eine abschließende Kuppel und auch das Tonnengewölbe ist über der linken Hälfte eingestürzt; mit zarten Linien angedeutete Pflänzchen, die hier sprießen, erwecken den Eindruck eines ruinösen Bauzustands. Risse in den Säulen verstärken diesen Eindruck. Im Chorraum ist im Fluchtpunkt ein geöffneter Flügelaltar platziert, dessen Mitteltafel eine nicht näher zu identifizierende Heiligenfigur, erkennbar an einem Kreuzstab, repräsentiert. Im zentralen Vordergrund des Blattes ist analog zur Darstellung von Hondius der Papst auf einem Thron sitzend gezeigt mit einem weltlichen Herrscher, der sich zu seinen Füßen verbeugt. Dadurch, dass ein kleinerer Bildausschnitt im Darmstädter Blatt gewählt wurde, bilden Füße und Gesäß des Kaisers die untere Bildgrenze. Im Gegensatz zur niederländischen Vorlage versuchen zahlreiche Mönche und anderes kirchliches Personal, darunter Jesuiten, im linken Bildvordergrund das Gebäude wieder aufzubauen. Der deutsche Künstler verzichtete in seiner Darstellung auf eine Rasterung des Bodens und auch auf die runde, den Kirchenbau einfassende Mauer. Der abstrakte, geometrisch-konstruierte Raum in Hondius’ Blatt wird in dieser Grafik in einen szenisch angelegten Bildraum übersetzt, der die Apokalypse thematisiert. Zur linken Seite ist ein Gewässer zu sehen, aus dessen hohen Wellen im Bildmittelgrund die Hure Babylon neben einer siebenköpfiger Bestie entsteigt. Gleich neben ihr, am Ufer zwischen Felsengestein stehend, wird sie vom apokalyptischen Lamm flankiert. Im linken Mittelgrund ist zwischen den beiden Säulen außerdem eine Gruppe von Männern zu sehen, die eng zusammenstehen und deren Handlung nicht eindeutig zu identifizieren ist. Ihre dicht gedrängte, leicht vornüber gebeugte Haltung und ihre nach oben gerichteten Blicke lassen sie wie Flüchtende und Verängstigte erscheinen. In der rechten Bildhälfte erfüllt sich die Apokalypse, die in der linken Bildhälfte angekündigt wird. Im rechten Vordergrund ist eine Gruppe von Soldaten dem Kirchenpersonal komplementär gegenübergestellt. Sie bemühen sich ebenfalls, die Kirche noch abzustützen. Im Hintergrund ist die Erfüllung der Präfiguration der Hure Babylons der linken Seite zu sehen. Gezeigt ist der Erlöser; er trägt eine Krone und aus seinem Mund erwächst ein Schwert. Begleitet wird er von einer himmlischen Streitmacht auf Wolkenkissen. Direkt unter ihnen ist ein Höllenschlund mit einem Flammenmeer weit geöffnet, worin abermals die 196 Siehe auch Robert Scribner: For the Sake of the Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. Cambridge 1981 (Cambridge studies in oral and literate culture 2), S. 148–189.

Reformierte Kunst? – Künstler und Adaption

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Bestie erkennbar wird. Die figurenreiche Darstellung der Apokalypse stellt eine Variation gegenüber der Vorlage von Hondius dar. Die lutherische Umsetzung des Sujets greift die Bezeichnung des Papstes als Antichrist auf, setzt diese Interpretation aber durch die Endzeitmotivik szenisch konsequent um. Den oberen Abschluss des Blattes bilden eine Personifikation des Windes, in der linken oberen Ecke und eine mit Gesichtszügen versehene Sonne in der rechten oberen Bildecke. Der Wind bläst so kräftig, dass die seinem Mund entstammenden Winde die linke Seite des Kirchenschiffes treffen und für dessen Einsturz verantwortlich zu sein scheinen. Die zerstörerische Kraft des Windes hat im vorliegenden Stich eine spezifische Semantik, die in der Inschrift aufgegriffen wird. Der mittig abgedruckte Titel suggeriert eine politische Brisanz der Darstellung. Denn die »Nordostischen oder Mitternächtigen Sturmwinde« konnten unschwer als das Eingreifen des schwedischen Königs Gustav Adolf (1594–1632) in den Dreißigjährigen Krieg übersetzt werden, der zu Lebzeiten als »Leu aus Mitternacht« gefeiert wurde.1⁹⁷ In der vorliegenden Adaption der Druckgrafik von Hondius findet durch die nahsichtige Vergrößerung und durch die Auslassung von Inschriften innerhalb der bildlichen Darstellung sowohl eine Fokussierung und Konzentration statt, als auch gleichzeitig eine Steigerung der Komplexität der Anlage durch die endzeitliche Historie, um die das Blatt ergänzt wurde. Übernahmen und Transformationen

Im Vergleich von reformiertem Kupferstich und seiner lutherischen Adaption zeigt sich, dass Hondius’ Bilderfindung keinesfalls rein reformiert gelesen werden musste. Lutheraner und Reformierte teilten offensichtlich wesentliche Positionen und die reformierte ›Herkunft‹ des Kupferstichs störte anscheinend nicht. Um sie für eine lutherische Lesart fruchtbar zu machen, bedurfte es allerdings kleiner semantischer Verschiebungen: So war zwar die Ablehnung der Papst-Kirche eine geteilte konfessionelle Überzeugung. Die Gegenüberstellung mit der eindeutig als reformiert gekennzeichneten Kirche konnte allerdings so von Lutheranern nicht geteilt werden, weshalb das Pendant-Bild kurzerhand getilgt wurde. Im Zuge dessen wandert dann auch die Sonne der Gerechtigkeit, als Personifikation Christi, nun in dieses Bild herüber. In Hondius’ Konfrontation schien diese nur über der reformierten Kirche. Da in der deutschen Fassung kein zweites Bild vorhanden ist, wurde sie nun in den hier gezeigten Kirchenbau integriert. Hinsichtlich der Schrift in der lutherischen Adaption fällt zweierlei auf. So sind erläuternde Inschriften nun nicht mehr in die bildliche Darstellung eingebunden, sondern werden in einer Legende im beigefügten Textblock erklärt. 197 Vgl. Wolfgang Harms: Gustav Adolf als christlicher Alexander und Judas Makkabeus. Zu Formen des Wertens von Zeitgeschichte in Flugschrift und illustriertem Flugblatt um 1632. In: Das illustrierte Flugblatt der Frühen Neuzeit. Traditionen, Wirkungen, Kontexte. Hg. von dems., Michael Schilling. Stuttgart 2008, S. 289–304.

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Merkwürdig erscheint es, dass in der Übertragung die Ziffern von Hondius Blatt übernommen wurden, jedoch seitenverkehrt auftauchen, ebenso, wie die zusätzlich eingefügten Großbuchstaben. Dieser Umstand ist nicht auf das druckgrafische Verfahren zurückzuführen. Das Bild ›funktioniert‹ nur in diesem LinksRechts-Gefüge, bei dem die babylonische Hure auf der linken und Christus als Erlöser auf der rechten Seite auftritt. Eine mögliche Überlegung wäre, dass die Seitenverkehrtheit bewusst angelegt ist, um darauf zu verweisen, dass die Grafik auf eine ältere Vorlage zurückgeht. Zum zweiten ist bei der näheren Analyse der Inschriften eine semantische Verschiebung zu beobachten. An entscheidender Stelle findet sich ein – bewusster oder unbewusster – Übersetzungsfehler. Grundsätzlich sind die Textstellen, die die lutherische Fassung von der reformierten übernimmt, weitgehend wörtlich übertragen. An entscheidender Stelle begegnet man einer Abweichung. Eine zu erwartende Kritik an der katholischen Kirche seitens der Reformierten wäre die Verurteilung des Altargebrauchs. Dieses Argument wird in Hondius’ Stich zwar visuell entfaltet, inschriftlich jedoch nicht aufgegriffen und ausgekostet. Die lutherischen Übertragung setzt jedoch genau dies um: Die zweite Säule von links, die in Hondius Grafik mit »3 Pilaer Genaempt out gebruyc an smenschen traditen« wird übersetzt mit »II. Säule, genand AltarGebrauch von der tratition der Menschensazung«. Das mittelniederländische »out« (= alt) wird zu »Altar« übertragen. Dass es sich um einen unbewussten Übersetzungsfehler handelt, ist sichtbar unwahrscheinlich. »Out« und »Altar« liegen sprachlich eigentlich zu weit auseinander, um die Passage falsch zu interpretieren. Eine andere Erklärung erscheint hier wahrscheinlicher: Die protestantische Kritik am Bildgebrauch am Altar wird in Hondius’ Grafik vor allem visuell formuliert. Die Ablehnung des Altars als Zentrum der Liturgie zeigt sich an der Zentralität der Kanzel, die für das Wort steht und die nun in die Mitte rückt. Insofern findet eine rein visuelle Kritik mittels eines visuellen Arguments statt. Die lutherische Adaption verzichtet hingegen auf das positive Gegenbild und bedarf daher des inschriftlichen Hinweises, um die katholische Bildpraxis am Altar zu kritisieren.1⁹⁸ Der Vergleich von Hondius’ Kupferstichen mit der lutherischen Adaption zeugt von konfessionell geteilten Vorstellungen, die es erlauben, Druckgrafiken zu kopieren und gleiche Sujets zu verwenden. Im vorliegenden Fall besteht das konfessionsverbindende Element jedoch nicht in geteilten Glaubensauffassungen, sondern in dem gemeinsamen konfessionellen Feindbild, der katholischen Kirche. Anlässe für konfessionspolemische Darstellungen mögen vielfältig vorhanden gewesen sein. Die Biografie des reformierten Hondius macht darauf aufmerksam, dass die Kritik an der katholischen Kirche für ihn auch ein persön198 Hier zeigt sich ein Widerspruch zwischen der lutherischen Praxis, im Kirchenraum durchaus Altarbilder zu verwenden, aber in der Druckgrafik gerade die Abwesenheit des Bildes am Altar als typisch lutherisches Distinktionsmerkmal gegenüber den Katholiken zu inszenieren; vgl. hierzu Ricarda Höfflers Forschungsprojekt »Das Bild des Altars in deutschen illustrierten Flugblättern. Aushandlungen konfessioneller Identitäten im 16. und 17. Jahrhundert«.

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liches Anliegen war. Nichtsdestotrotz war seine Druckgrafik im lutherischen Kontext rezipierbar, indem man die zweite Abbildung tilgte.

1.7 Vergleichendes Sehen als Praxis der Einübung konfessioneller Identitäten Das offensichtliche visuelle Argument von Hondius’ Kupferstichen ist der Vergleich (Abb. 4 und 5). Im Abgleich der katholischen mit der reformierten Kirche zeigen sich anscheinend die jeweiligen konfessionellen Spezifika und dieser Prozess schult den Blick der Betrachtenden. Der grundsätzlich analoge Bildaufbau ermöglicht es dabei, Gemeinsames und Trennendes leicht zu benennen. Der Kirchenbau erscheint als verbindendes Element, die liturgische Nutzung desselben offenbart Differenzen. Die beiden Bauten sind grundsätzlich als allegorische Räume zu verstehen. Dennoch macht die Tatsache, dass sie in ihrer inneren Ausstattung den jeweils konfessionellen liturgischen Abläufen entsprechen, darauf aufmerksam, das es einen Nexus zum realen Raum gibt. Hieraus resultiert die Frage, wie sich tatsächlich katholischer und reformierter Kirchenbau und dessen liturgische Nutzung um 1600 zueinander verhielten. In der Praxis, eine katholische mit einer reformierten Kirche zu vergleichen, berührt der Kupferstich daher eine wesentliche Fragestellung der vorliegenden Arbeit. Die Blätter behaupten, dass sich im Vergleich der Kirchenräume und der Nutzung dieser Räume konfessionelle Identitäten festmachen lassen. An dieses Argument knüpft auch die vorliegende Untersuchung an. So wird im dritten Kapitel nachvollzogen, wie das vergleichende Sehen als ein wichtiger Faktor bei der Entstehung neuer Kirchenbauten nach der Reformation in den Niederlanden verstanden werden muss. Es handelt sich hierbei um prominente Bauten, die zeitlich nahe an dem Herstellungskontext der Kupferstiche liegen; die reformierte Koepelkerk in Willemstad wurde 1607 fertiggestellt, im gleichen Jahr wurde der Bau der katholischen Kirche in Scherpenheuvel in Auftrag gegeben.1⁹⁹ Die Annahme ist, dass eine Untersuchung der beiden Bauten Aufschluss darüber geben kann, wie konfessionelle Identitäten auf Basis eines Vergleichs erprobt wurden, wie er auch bei Hondius eingesetzt wird. Das Verhältnis von konfessionalisierten Räumen und konfessionellen Identitäten ist dabei ein wechselseitiges: Einerseits veranschaulicht der Raum die Genese konfessioneller Zugehörigkeiten, gleichzeitig trägt er diese und hat Teil an deren weiterer Ausbildung. An dieser Stelle gilt es zunächst, sich die Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichens bewusst zu machen.2⁰⁰ Hierzu ist zunächst eine grundsätzliche Klä199 Ausführlich hierzu Kap. 3. 200 Das Vergleichen hat in den vergangenen Jahren in den Geisteswissenschaften eine lebhafte Debatte erfahren und wurde von verschiedenen Disziplinen kritisch diskutiert. Grundsätzlich hierzu Angelika Epple, Walter Erhart (Hg.): Die Welt beobachten. Praktiken des Vergleichens. Frankfurt a. M. 2015; darin bes. Johannes Grave: Vergleichen als Praxis. Vorüberlegungen zu einer praxistheoretisch orientierten Untersuchung von Vergleichen, S. 135–159; Joachim Rees: Vergleichende Verfahren – verfahrene Vergleiche. Kunstgeschichte als komparative Kunstwissenschaft

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rung nötig, da ein Vergleich auf mehreren Ebenen ansetzen kann. So gibt es den historischen Vergleich als Methode der Geschichtswissenschaft, der dazu dient, zwei historische Konstellationen oder Ereignisse vergleichend in den Blick zu nehmen, um das jeweils Spezifische besonders herausstellen zu können. In der Kunstgeschichte hat sich das vergleichende Sehen als Methode des Erkenntnisgewinns etabliert und auch in vielen anderen Disziplinen hat Vergleichen Konjunktur.2⁰1 Die Tatsache, dass es Vergleiche in allen Epochen gegeben hat, gerät durch die Methoden des historischen Vergleichs und des vergleichenden Sehens der Kunstgeschichte leicht aus dem Blick. An diesem Punkt hakt die vorliegende Arbeit ein, indem das Vergleichen als Praxis der Frühen Neuzeit analysiert wird. Die Druckgrafik führt eindrücklich vor Augen, dass ein Vergleich zweier Ansichten eben nicht erst eine Methode gegenwärtiger Geschichtswissenschaft ist, sondern eine Entsprechung in der visuellen Argumentations- und Rezeptionsgewohnheit der Frühen Neuzeit hat. Die Argumentationsstruktur des Kupferstichs, zwei Kirchenräume miteinander zu konfrontieren, um konfessionelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Anschauung zu bringen und die Diskussion darüber anzuregen, zeugt davon, dass die Zeitgenossen mit einer solchen Darstellung umzugehen und sie im Rezeptionsprozess auszuschöpfen wussten. Unmissverständlich führt das Blatt vor Augen, dass ein vergleichendes Sehen einem Wahrnehmungsmodell der Frühen Neuzeit entsprochen haben muss.2⁰2 Um sich über die Implikationen der verschiedenen Möglichkeiten des Vergleichens Klarheit zu verschaffen, bietet sich eine Skizze der jeweiligen Zugriffe an. Der historische Vergleich als Methode

Der historische Vergleich ist seit den 1970er Jahren als Methode in der Geschichtswissenschaft etabliert.2⁰3 Nach Hartmut Kaelble versteht man hierunter »die systematische Gegenüberstellung zweier oder mehrerer historischer Einheiten (von Orten, Regionen, Nationen oder Zivilisationen, auch historische Persönlichkeiten), um Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Annäherungen und Auseinanderentwicklungen zu erforschen.«2⁰⁴ Die Vielzahl möglicher historischer Vergleiche verschließt sich einer fixen Typologisierung; grundsätzlich erscheint der Vergleich besonders ähnlicher historischer Konstellationen – eine Problemskizze. In: Universalität der Kunstgeschichte? Hg. v. Matthias Bruhn, Monica Juneja, Elke Anna Werner. Marburg 2012 (Kritische Berichte 2), S. 32–47 sowie Christiane SolteGresser u. a. (Hg.): Zwischen Transfer und Vergleich. Theorien und Methoden der Literatur- und Kulturbeziehungen aus deutsch-französischer Perspektive. Stuttgart 2013 (Vice versa. Deutschfranzösische Kulturstudien 5). 201 Dies gilt insbesondere für die Komparatistik und Literaturwissenschaft, aber auch andere geisteswissenschaftliche Disziplinen wie etwa die Religionswissenschaft und Kulturwissenschaft. Vgl. auch den interdisziplinären Zugang von Matthias Bruhn, Gerhard Scholtz (Hg.): Der vergleichende Blick. Formanalyse in Natur- und Kulturwissenschaften. Berlin 2017. 202 Vgl. auch Johannes Grave, der sich für die Konzentration auf die Praxis des Vergleichens ausspricht: Grave 2015b (Anm. 200), S. 139. 203 Vgl. Hartmut Kaelble: »Historischer Vergleich«. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 14.12.2012. 204 Ebd.

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ebenso attraktiv wie der Vergleich gerade sehr divergierender Fälle, der Aufschlüsse über Grundbedingungen historischer Ereignisse oder Entwicklungen liefern mag. Besonders anschlussfähig war der historische Vergleich für die jüngeren Forschungsrichtungen der Transfer- und Verflechtungsgeschichte. Diese ›Öffnung‹ des Vergleichs ermöglicht es, zwei Vergleichsgegenstände nicht nur komparativ nebeneinanderzustellen um deren spezifische Eigenheiten herauszupräparieren, sondern vermag darüber hinaus deren möglicherweise vorhandene Beziehung zueinander in ihrer Vielschichtigkeit darzulegen. Kaelble stellt die These auf, dass sich hiermit »Bilder des Eigenen und des Anderen« ebenso adäquat herauskristallisieren lassen als auch »wie stark sie miteinander verflochten waren und wie die Zeitgenossen die Unterschiede oder Ähnlichkeiten zwischen den Vergleichsfällen sahen«.2⁰⁵ Denn seit den 1990er Jahren wurde der historische Vergleich in der Geschichtswissenschaft verstärkt auch kritisch diskutiert.2⁰⁶ Ein Hauptvorwurf lautete, dass der historische Vergleich zwei Vergleichsfälle erst konstruiere und dass diese Konstruktion eine Homogenisierung produziere, die zum einen oft an nationalstaatlichen Grenzen orientiert und zum anderen nicht in der Lage sei, Asymmetrien angemessen abbilden zu können, was hingegen die entangled history zu leisten vermöge; auch setze der historische Vergleich grundsätzlich an struktureller Ebene an und ignoriere damit die Mikroperspektive der Einzelnen.2⁰⁷ Problematisch beim historischen Vergleich ist auch, dass bereits die Wahl des tertium comparationis über hegemoniale Asymmetrien im Vorfeld entscheidet. Eine Integration von historischem Vergleich und neueren Methoden kann der Ansatz der histoire croisée oder Verflechtungsgeschichte leisten.2⁰⁸ Hierunter wird eine transnationale Geschichtsschreibung verstanden, die Transfers fokussiert und anstrebt, die an diesen beteiligten Akteursgruppen gleichwertig zu berücksichtigen. Vergleiche, die unter dieser methodischen Perspektive angestellt wer205 Kaelble 2012 (Anm. 203). 206 Heinz-Gerhard Haupt: European History as Comparative History. In: Ab Imperio 1 (2004), S. 111–126; Miroslav Hroch: Comparative Studies in Modern European History. Nation, Nationalism, Social Change. Aldershot 2007 (Variorum collected studies series 886); Jürgen Kocka: Comparison and Beyond. In: History and Theory 42 (2003), S. 39–44; Jürgen Kocka: The uses of comparative history. In: Societies made up of history. Essays in Historiography, Intellectual History, Professionalisation, Historical Social Theory, and Proto-Industrialisation. Hg. von Ragnar Björk, Karl Molin. Edsbruk 1996, S. 198–209; Hartmut Kaelble: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u. a. 1999; Cécile Vigour: La Comparaison dans les sciences sociales. Pratiques et méthodes. Paris 2005. 207 Sebastian Conrad, Shalini Randeria, Regina Römhild (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M. 2002, darin besonders dies.: Einleitung, S. 9–49; Michel Espagne: Les transferts culturels francoallemands. Paris 1999 sowie Shalini Randeria: Geteilte Geschichte und verwobene Moderne. Berlin 1999 (Sozialanthropologische Arbeitspapiere 83). 208 Michael Werner, Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636.

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den, streben dezidiert an, einen singulären Betrachtungspunkt zugunsten wechselseitiger Perspektiven aufzugeben. Viel stärker soll hier das Prozesshafte und die gegenseitige Eingebundenheit herausgearbeitet werden; die Verflechtungsgeschichte bietet daher die Möglichkeit von Perspektivwechseln.2⁰⁹ Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur Verflechtungsgeschichte, indem der visuelle Vergleich als Kommunikations- und Erfahrungskategorie der Frühen Neuzeit aufgefasst wird. Das Anliegen ist es zu zeigen, dass visuelle Vergleiche von unterschiedlichen Perspektiven aus angestellt wurden, um sich in Beziehung beziehungsweise insbesondere in Abgrenzung zu einem Anderen zu setzen. In Abgrenzung zum klassischen historischen Vergleich sollen nicht etwa zwei Räume komparatistisch nebeneinandergestellt werden, sondern gerade deren gegenseitige Bezogenheit zueinander analysiert werden. Der Einwand, dass mittels des Vergleichs eines südniederländischen und eines nordniederländischen Fallbeispiels eine teleologische nationale Geschichtsschreibung betrieben wird, kann ausgeräumt werden, indem aufgezeigt wird, wie die beiden Vergleichswerte bereits in ihrem Entstehungskontext auch für eine nationalkulturelle Differenzmarkierung vereinnahmt wurden. Ziel ist es also, eine nationale Geschichtsschreibung nicht zu umgehen, sondern diese explizit zu thematisieren, indem ihre Entstehung nachgezeichnet wird. Vergleichendes Sehen

Der Begriff des Vergleichenden Sehens hat seit dem frühen 20. Jahrhundert einen festen Platz in der Kunstgeschichte. Unter Vergleichendem Sehen versteht man ein Analyseinstrument der Kunstgeschichte, das es erlaubt, mittels der vergleichenden Bildbetrachtung kunsthistorische Ordnungssysteme zu entwickeln. Heinrich Wölfflin etablierte diese Methode, zwei formal ähnliche Bilder nebeneinander zu stellen, um in deren Kontrast das jeweils Bildspezifische pointierter herausstellen zu können.21⁰ Wölfflins Anliegen war es, mittels stilistischer Oppositionspaare (linear/malerisch, einheitlich/vielfältig, flächenhaft/tiefenhaft, etc.) Ordnungen zu erstellen, mit denen er auf eine begrifflich fundierte Stilgeschichte zielte.211 Diese Methode des Vergleichenden Sehens hat in der Kunstgeschichte eine breite Rezeption erfahren und wurde weiterentwickelt. Im Laufe des 20. 209 Werner und Zimmermann präzisieren, dass die Verflechtungsgeschichte bestehende Verflechtungen als Untersuchungsgegenstand fokussiert, während die Histoire croisée darüber hinausgehe und spezifische Verflechtungen von Verbindungen (nämlich die von Beobachterpositionen, Blickwinkeln und Objekten) erst kreiere um aus dieser Verbindung neue Erkenntnisse zu gewinnen, vgl. ebd., S. 609. 210 Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst. München 1915. Siehe dazu Hans Christian Hönes: Bloß zufällig. Kritik und Selbstkritik des Bildvergleichs bei Wölfflin. In: Der vergleichende Blick. Formanalyse in Naturund Kulturwissenschaften. Hg. von Matthias Bruhn, Gerhard Scholtz. Berlin 2017, S. 55–68 sowie im gleichen Band: Marco Brusotti, Sabine Mainberger: Kunst des Vergleichens. Warburg, Wittgenstein und die Serendipity morphologischer Reihen, S. 209–238. 211 Thürlemann 2012b (Anm. 218).

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Jahrhunderts wurde sie aus der Stilgeschichte gelöst und konnte auch für neuere Forschungszugänge fruchtbar gemacht werden; in den vergangenen Jahren ist das Vergleichende Sehen jedoch auch wiederholt in Frage gestellt und korrigiert worden; etwa wegen der Beliebigkeit der ausgewählten Objekte und Vergleichswerte oder der Frage nach der historischen Haltbarkeit der Vergleichskategorien.212 Vergleichendes Sehen als Praxis

Das vergleichende Sehen als historische Praxis ist hiergegen deutlich abzugrenzen. Dieser Begriff versteht vergleichendes Sehen als einen spezifischen Modus von Kunstrezeption in der Vorgeschichte der akademischen Kunstgeschichte. Eine solche »noch zu rekonstruierende Bildgeschichte vergleichenden Sehens« würde laut Lena Bader bei »Paragone, Kunstkammern, Querelle des anciens et modernes und kennerschaftlichen Kunstbetrachtungen im 18. und 19. Jahrhundert« ansetzen.213 Unerwähnt bleibt bei Bader, dass gerade Religions- und Konfessionsgeschichte bei einer solch vorgeschlagenen Untersuchung ergänzt werden sollten. Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, sich einer Bildgeschichte des vergleichenden Sehens anzunähern. Wenn auch bis dato keine Gesamtuntersuchung vorliegt, sind in den letzten Jahren einige wichtige Arbeiten erschienen, die vor Augen führen, dass ein vergleichendes Sehen als eine zentrale Wahrnehmungskategorie der Frühen Neuzeit verstanden werden kann. Vergleichendes Sehen kann demnach als ›Period Eye‹ im Sinne Baxandalls aufgefasst werden.21⁴ Typisch hierfür ist, dass der Vergleich nicht in der bloßen Konfrontation zweier Darstellungen aufgeht, sondern das er die Rezipierenden dazu anregt, ein Beziehungsgefüge der Vergleichsgrößen herzustellen. Sowohl die Vergleichsobjekte als auch die tertia comparationis sind somit von den Zeitgenossen gewählt. Ihre Perspektive nachzuvollziehen ermöglicht es, dass sich ein vergleichendes Sehen nicht dem Vorwurf einer beliebigen Konstellation von Vergleichsgrößen ausgesetzt sehen muss.21⁵ Von grundlegender Relevanz für die Einübung einer vergleichenden Sehpraxis dürfte die Kontinuität typologischer Bildzyklen von Mittelalter zu Früher Neuzeit sein, mit denen sich jüngst Alexander Linke intensiv beschäftigt hat.21⁶ Linke konnte zeigen, dass ein typologisches, auf Vergleich angelegtes Sehen kei212 Vgl. die Aufsätze im Band von Lena Bader, Martin Gaier, Falk Wolf (Hg.): Vergleichendes Sehen. München 2010. Vgl. außerdem Epple, Erhart 2015. 213 Lena Bader: Bricolage mit Bildern. Motive und Motivationen vergleichenden Sehens. In: Vergleichendes Sehen. Hg. von ders., Martin Gaier, Falk Wolf. München 2010, S. 19–42, hier S. 19. 214 Entsprechend Baxandalls Konzept des »Period Eye«, vgl. Michael Baxandall: Painting and Experience in 15th century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style. Oxford 1972. 215 Ein präziser Überblick über die historische Entwicklung und die methodischen Herausforderungen vergleichend angelegter Studien findet sich bei Rees 2012 (Anm. 200). 216 Alexander Linke: Typologie in der Frühen Neuzeit. Genese und Semantik heilsgeschichtlicher Bildprogramme von der Cappella Sistina (1480) bis San Giovanni in Laterano (1650). Berlin

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nesfalls, wie zuvor in der Forschung angenommen, ein Modus ausschließlich mittelalterlicher bildlicher Darstellungen war. Linke zufolge wurde der typologisierende Blick in der Frühen Neuzeit aktualisiert, indem er für prominente Bildzyklen fruchtbar gemacht wurde.21⁷ In der Zusammenschau von Typus und Antitypus erarbeiteten die Rezipierenden ein Beziehungsgeflecht zwischen den Bildern, das über die Anschauung des Einzelbildes hinausgeht.21⁸ Schon zuvor hatte Konrad Hoffmann darauf hingewiesen, dass typologisch vergleichendes Denken bereits im 16. Jahrhundert eine Transformation erfahren hatte, indem es etwa auf das Medium der konfessionellen Bildsatire übertragen wurde: »In Wort und Bild arbeitete man meist mit expliziten Kontrastierungen. Es ist bezeichnend […], dass es daneben auch die implizite ›Typologie‹, d.h. Anspielungen gibt, Fälle also, in denen ohne eine textliche Verdichtung allein die formale Angleichung als ikonographisches Zitat eingesetzt wird. […] Es entsteht ein Publikum, das auch in metaphernhafter Verkürzung zitierte typologische Vergleiche und Anspielungen verstand«.21⁹ Eine wichtige Unterscheidung ist jedoch zwischen Bildern, die mit typologischen Gegenüberstellungen arbeiten und jenen, die mit einem vergleichenden Sehen operieren, vorzunehmen: Typologien basieren immer auf fixen Paaren, während beim vergleichenden Sehen die Paa2014 (Reimer Bild+Bild 3); vgl. außerdem Werner Telesko: In Bildern denken. Die Typologie in der bildenden Kunst der Vormoderne. Wien u. a. 2016. 217 Linke führt dies nicht nur für die italienischen Zyklen der römischen Capella Sistina, des Sala Superiore der Scuola Grande di San Rocco und von St. Giovanni in Laterano vor, sondern kann analoge Phänomene auch für nordalpine prestigeträchtige Bildprogramme nachweisen. Hier untersuchte er neben der Galerie de cerf des herzöglichen Palastes in Nancy auch die von Peter Paul Rubens gestalteten Deckengemälde der zu Beginn des 17. Jahrhunderts neu errichteten Jesuitenkirche in Antwerpen und konnte hierdurch den Modus des vergleichenden Sehens als frühneuzeitliches Sehmodell, das der zeitgenössischen Geschichtsschreibung dient, plausibilisieren. 218 Einen Augenmerk auf die Bildpraxis des vergleichenden Sehens findet sich auch in den anderen Publikationen der Buchreihe Bild+Bild, in der Linkes Buch erschienen ist: David Ganz, Felix Thürlemann (Hg.): Das Bild im Plural. Mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart. Berlin 2010 (Reimer Bild+Bild 1), darin vor allem dies.: Zur Einführung. Singular und Plural der Bilder, S. 7–38 sowie Gerd Blum u. a. (Hg.): Pendant Plus. Praktiken der Bildkombinatorik. Berlin 2012 (Reimer Bild+Bild 2), insbes. hierin: Felix Thürlemann: Bild gegen Bild. Für eine Theorie des vergleichenden Sehens, S. 391–401. Hierin sind auch erste Ansätze zu finden, vergleichendes Sehen als Wahrnehmungsmodell der Frühen Neuzeit fruchtbar zu machen: Etwa Marius Rimmele: Triptychonflügel als Pendants? Vergleichendes Sehen und andächtiges Schauen in Rubens’ Rockox-Epitaph, S. 243–262 oder Felix Thürlemann: Vom Einzelbild zum hyperimage. Eine neue Herausforderung für die kunstgeschichtliche Hermeneutik, S. 23–44. 219 Konrad Hoffmann: Typologie, Exemplarik und reformatorische Bildsatire. In: Kontinuität und Umbruch. Theologie und Frömmigkeit in Flugschriften und Kleinliteratur an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Hg. von Josef Nolte, Hella Tompert, Christof Windhorst. Stuttgart 1978 (Spätmittelalter und frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung 2), S. 189–210, hier S. 194. Siehe hierzu auch Michael Schilling: Allegorie und Satire auf illustrierten Flugblättern des Barock. In: Das illustrierte Flugblatt der Frühen Neuzeit. Traditionen, Wirkungen, Kontexte. Hg. von dems., Wolfgang Harms. Stuttgart 2008, S. 319–335 sowie Joke Spaans: Graphic Satire and Religious Change. The Dutch Republic 1676–1707. Leiden 2011. Der Begriff der ›Satire‹ beziehungsweise nl. häufig ›spotprenten‹ trifft jedoch vielleicht nicht den Kern der Stiche von Hondius, da der Aspekt des Lächerlichmachens kaum gegen ist.

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re erst geschaffen werden. Bereits die Konstellation eines verglichenen Paares ist daher besonders aufschlussreich.22⁰ Dass diese genannten metaphernhaften Verkürzungen, Vergleiche und Anspielungen von den RezipientInnen als solche erkannt und gelesen wurden, setzt ein Publikum voraus, dessen Sehgewohnheiten mit solch typologisch und allegorisch operierenden Bildkombinatoriken vertraut war. Wie grundlegend allegorisches Denken im 16. Jahrhundert verankert war, und wie es als Weltdeutungskategorie diente, hat Michel Foucault in seinem Werk Die Ordnung der Dinge herausgestellt. Die darin entwickelte Theorie zur Epistemologie legte einen wichtigen Grundstein für das Verständnis frühneuzeitlicher Welterkenntnis.221 Vergleich, Allegorie und Analogie

Foucaults Forschungsinteresse in Die Ordnung der Dinge widmete sich der Frage, wie Wissen zu verschiedenen Zeiten generiert und organisiert wurde. Foucault konzentrierte sich in seinen einleitenden Kapiteln auf das 16. und beginnende 17. Jahrhundert und konstatierte es als ein Zeitalter des Ähnlichkeitsdenkens.222 Er veranschlagte insbesondere, dass sich das Wissen zu dieser Zeit aus Ähnlichkeiten speiste. Ähnlichkeiten ließen die Ordnung der Welt und das Verhältnis von Mikrokosmos und Makrokosmos zueinander erkennen. Foucault führt vier Arten von Ähnlichkeiten an, die den Zusammenhang allen Wissens anzeigen konnten. Dies sind die räumliche Ähnlichkeit (convenientia), Ähnlichkeit der Spiegelung (aemulatio), Ähnlichkeit der Proportionen (Analogie) und Ähnlichkeit in Form von Sympathie und Antipathie.223 Um diese Ähnlichkeiten der Dinge zu erkennen, musste man ihre Signaturen – äußere Zeichen, die 220 Neben typologischem Denken ist auch das frühneuzeitliche Verständnis von aemulatio eng verwandt mit vergleichendem Sehen. Auch hier geht es um eine eine Paarbildung, die dem Grundgedanke des Wetteiferns und Übertreffens unterliegt. Im Unterschied zum vergleichenden Sehen, wo die Vergleichsobjekte als Gegensatzpaar beziehungsweise als zwei Pole konstruiert werden, geht die Paarbildung bei der aemulatio immer mit einer Wertschätzung des Anderen einher; zum Begriff und Konzept der aemulatio vgl. Eric Achermann: Unähnliche Gleichungen. Aemulatio, imitatio und die Politik der Nachahmung. In: Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild (1450–1620). Hg. von Jan Dirk Müller u. a. Berlin 2011 (Pluralisierung & Autorität 27), S. 35–73. 221 Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M. 1971 (Les mots et les choses. Paris 1966) sowie dazu Philippe Descola: Jenseits von Natur und Kultur. Berlin 2011. 222 Ebd., S. 46. 223 Als convenientia wird Ähnlichkeit verstanden, die aus räumlicher Nachbarschaft hervorgeht; Dinge, die räumlich nah beieinander liegen, müssen über Gemeinsamkeiten verfügen, weil sich nur daraus ihre Nachbarschaft erklären lässt. Aemulatio sei dagegen eine Art »Spiegelung« von Dingen, die weit auseinander entfernt liegen, aber kosmisch miteinander verbunden sind; Foucault führt das Beispiel von Walnuss und Gehirn an, die miteinander verbunden sein müssen, weil ihre Erscheinung eine ähnliche ist. Die Analogie lässt sich als Ähnlichkeit von Proportionen verstehen, unabhängig von der Substanz der Dinge. Die vierte Form der Ähnlichkeit wird von dem Spannungsverhältnis aus Sympathie und Antipathie beschrieben, das die Verschmelzung und das Auseinanderdriften reziproker Entitäten kontrolliert; vgl. ebd., S. 46–56.

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auf ihre Wesenhaftigkeit verweisen – vergleichen und konnte auf diese Weise Beziehungen der Dinge entschlüsseln. Vergleichen wurde so zu einer zentralen Praxis, um Wissen zu generieren. Die vier Ähnlichkeiten, die Foucault konstatiert, können als Formen der Allegorie verstanden werden, die folglich als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie des 16. Jahrhunderts steht. Die Untersuchung der Dinge der Welt fand im Vergleich statt; die verschiedenen Formen der Ähnlichkeiten zu identifizieren und zu deuten hieß Erkenntnis zu erlangen. Erkennbar waren die Ähnlichkeiten, so Foucault, anhand der Signaturen, die die Dinge selbst tragen: Äußere Zeichen, die auf das Wesen rekurieren. Der Ausgangspunkt des Vergleichs war somit grundsätzlich visueller Natur. Die Doppelanlage der beiden Kupferstiche zielt auf ein dieser Bildpraxis folgendes vergleichendes Sehen allegorischer Darstellungen. Foucaults Deutung der Frühen Neuzeit als ein Zeitalter des Ähnlichkeitsdenkens hilft dabei, das visuelle Argumentationsmuster der Druckgrafiken zu begreifen. Denn es veranschaulicht, wie stark Weltdeutung an eine Praxis des Vergleichens geknüpft war. Das gleiche Format, die grundsätzlich simultane Bildstruktur und die Tatsache, dass die Blätter lose vorliegen, verweisen auf eine Rezeptionspraxis, die nicht im einzelnen Stich aufgeht, sondern der visuellen Doppelstruktur bedarf. Die Grafiken fordern die RezipientInnen dazu auf, Verbindendes und Trennendes zu identifizieren und zu benennen. Ein Vergleich zwischen der katholischen und der reformierten Kirche kann dabei über zwei Zugänge vorgenommen werden: Der erste liegt in der starken allegorischen Verweisfunktion der Darstellungen. Eingangs wurde bereits erläutert, dass die Visualisierungen der Kirchenräume nicht dazu angelegt sind, zwei tatsächliche Kirchenbauten zu repräsentieren. Stattdessen handelt es sich um idealtypische Räume, die stellvertretend für die beiden Konfessionen stehen. In der Darstellung ist die Kirche als Ort des Gottesdienstes und somit auch in ihrer allegorischen Vorstellung als ecclesia angesprochen. Auf einer zweiten Ebene des Vergleichs wird der Raum der Kirche angesprochen. Die Kupferstiche zielen darauf, die konfessionsspezifischen liturgischen Merkmale herauszupräparieren und hierbei Wertungen vorzunehmen, von denen einige erst in der kontrastierenden Darstellung sichtbar werden. Etwa wird der freie Raum im vorderen Zentrum des reformierten Baus erst dann zum Signum, wenn er als das Fehlen beziehungsweise das Beseitigen des Papstes der katholischen Kirche rezipiert wird. Die christozentrische Ausrichtung der reformierten Kirche bedarf des visuellen Kontrastes, um anzuzeigen, dass die päpstliche Sukzession hier nicht anerkannt wird. Ecclesia und Synagoge

Hondius’ Kupferstiche lassen sich als allegorische Darstellung der ecclesia auffassen. Die auf einen Vergleich angelegte Struktur eröffnet eine Bezugnahme zu

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Abb. 16: Ecclesia und Synagoge, Straßburger Münster, heute im Musée de l’Œuvre Notre-Dame de Strasbourg; Foto Musées de Strasbourg, M. Bertola.

mittelalterlichen Darstellungen von Ecclesia und Synagoge. Bei diesen, in der Regel skulptural ausgeführten Frauendarstellungen, handelt es sich um allegorische Figuren der jüdischen und christlichen Kirche. Beide sind zumeist als junge Frauen gezeigt. Ecclesia ist häufig bekrönt und hält einen Kelch als Verweis auf die Eucharistie, den Opfertod Jesu Christi und den Neuen Bund. Die Figur der Synagoge bringt dagegen den Alten Bund zum Ausdruck, indem sie etwa einen Ziegenkopf als Zeichen des Opferritus des Judentums unter dem Arm trägt. Ihre Augen sind verbunden oder zumindest zu Boden gesenkt, um anzuzeigen, dass das Judentum ›blind‹ sei, weil es Christus nicht als Messias erkannt habe. Die bekanntesten Darstellungen dieser weiblichen Allegorien finden sich an mittelalterlichen Portalen am Bamberger Dom, Straßburger Münster (Abb. 16) und Notre-Dame in Paris. Typisch war ihr Auftreten jedoch auch als Kleinskulpturen, etwa als Begleitfiguren bei Kreuzigungsszenen. Darstellungen von Ecclesia und Synagoge lassen sich darüber hinaus auch in der Buchmalerei, der Goldschmiedekunst und Elfenbeinschnitzerei finden und waren somit weit verbreitet.22⁴ Nina Rowe hat das Motiv der Ecclesia und Synagoge intensiv erforscht.22⁵ Anhand von drei exemplarischen Fallstudien zeigt sie auf, wie das Figurenpaar als Narrativ ein dichotomisierendes Verständnis von Judentum und Christentum förderte. Diese oppositionelle Struktur führt Rowe auf spätantike Vorbilder zu224 Adolf Weis: »Ekklesia und Synagoge«. In: RKD Labor, http://www.rdklabor.de/wiki/Ekklesia_ und_Synagoge (06.10.2020). 225 Nina Rowe: The Jew, the Cathedral, and the Medieval City. Synogoga and Ecclesia in the Thirteenth Century. Cambridge 2011.

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rück, die im 13. Jahrhundert aufgrund politischer Spannungen zwischen Christen und größeren jüdischen Gemeinden vermehrt im öffentlichen Raum installiert wurden. Die Doppelstruktur von Ecclesia und Synagoge stellte demnach einen Abgrenzungsmechanismus dar, in dem gegen das Judentum polemisiert wurde. In der mittelalterlichen (und auch frühneuzeitlichen) Sicht wurde das Christentum nicht grundsätzlich als Religion verstanden, die aus dem Judentum hervorgegangen ist. Das visuelle Nebeneinander veranschaulicht, dass die Religionen als konkurrierend und oppositionell zueinander aufgefasst wurden. Die konkurrierende Darstellung von Ecclesia und Synagoge entspricht einem synchronen und keinem diachronen Religionsbild. Die Arbeitshypothese der vorliegenden Untersuchung lautet daher, dass in den allegorischen Figuren Ecclesia und Synagoge seit dem Mittelalter ein vergleichendes Sehen angelegt war. Diese vergleichende Struktur wird in Hondius’ Druckgrafik aufgegriffen und von einer interreligiösen zu einer interkonfessionellen Rhetorik verschoben. So, wie Ecclesia und Synagoge formal grundsätzlich eine starke Ähnlichkeit zueinander aufweisen – schöne junge Frauen – so sind auch die allegorischen Darstellungen der katholischen und der reformierten Kirche in dem niederländischen Kupferstich einander visuell angenähert. Hat sich Hondius also gezielt dieses bereits vorhandenen Bildformulars von Ecclesia und Synagoge bedient und es für seine Zwecke angeeignet und übersetzt? Ein erster Hinweis, dass er an diese Figuren anknüpfte ist der Vorwurf der Blindheit, der in der ersten Abbildung gegen die katholische Kirche formuliert wird. Der Epistemologie Foucaults folgend, ließe sich eine Analogie erkennen: Dem mittelalterlichen Verhältnis von Ecclesia zu Synagoge entspräche in der Frühen Neuzeit das Verhältnis von wahrer Kirche zu häretischer Kirche. Tatsächlich lässt sich ein Kupferstich identifizieren, der die Verbindung zwischen mittelalterlichen Ecclesia und Synagoge-Darstellungen und Hondius’ Konfrontation der katholischen Kirche und der reformierten Kirche bildet. Es handelt sich um einen Stich des englisch-niederländischen Kupferstechers und Dichters Richard Rowlands beziehungsweise Richard Verstegen (auch Verstegan), wie er sich später nannte, welcher 1585 als lose Druckgrafik in Paris publiziert wurde.22⁶ Der Druck wurde bislang nicht mit Hondius’ Kirchendarstellung in Verbindung gebracht. Ziel ist es daher, aufzuzeigen, dass es sich bei Verstegens Blättern um die Vorlage für Hondius’ Kupferstiche handelt, die dieser rezipierte, variierte und für die konfessionelle Gegenposition umcodierte. Im Folgenden wird zunächst der Stich Richard Verstegens im Fokus stehen, im Anschluss wird der Konnex zu Hondius’ Bildern analysiert. 226 Richard Verstegen: Typus Ecclesiae Catholicae et Typus Haeretica Synagogae, 1585, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes et Photographie, Volume QB-4 (1)-FT 4, P69197 und P69199. Zu Verstegen siehe: Romana Zacchi, Massimiliano Morini (Hg.): Richard Rowlands Verstegan. A Versatile Man in an Age of Turmoil. Turnhout 2013; Paul Arblaster: Antwerp & the World. Richard Verstegan and the International Culture of Catholic Reformation. Löwen 2004 (Avisos de Flandes 9).

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Typus Ecclesiae Catholicae

Verstegens Kupferstichpaar des Typus Ecclesiae Catholicae und des Typus Haereticae Synagogae (Abb. 17) ist geprägt durch seine Pendant-Konzeption.22⁷ Die oberen zwei Drittel des querformatigen Blattes sind der Abbildung zweier komplexer Bildprogramme vorbehalten. Darunter finden sich jeweils vier Textfelder, die als Kommentar zu den Bildern zu lesen sind. Alle Inschriften sind auf Latein verfasst. Ergänzt werden die Beschreibungen durch einen mittig platzierten Widmungstext, der Aufschluss über den Adressaten des Stichs liefert: Der Druck ist ein Geschenk an Heinrich II. von Lothringen (1563–1624), der gerade erst 22-jährig war. Der fünfzehn Jahre ältere Verstegen richtet sich in pädagogischer Haltung an Heinrich, indem er ihn an die Verdienste seiner Familie erinnert und für das Wohlergehen sowohl der katholischen Kirche, als auch für sein eigenes, wirbt.22⁸ Zwei annähernd quadratische Bildeinheiten sind nebeneinander abgedruckt. Aufgeteilt in jeweils vier gleich große Bildfelder werden sie von einem Schmuckrahmen umgeben. Die mittlere Vertikale jeder Bildeinheit wird durch einen breiten dunklen Streifen betont. Darauf arrangiert findet sich oben eine Kartusche, die das Sujet angibt, darunter ein verziertes Medaillon, das eine allegorische Figur einfasst. Hierunter ist eine Plakette zu sehen, die die Initialen des Künstlers und das Jahr der Fertigung des Stichs angibt. Zuunterst ist in einer weiteren Kartusche eine Legende zu finden, die die vier Bildfelder kommentiert. Die Überschrift der ersten Abbildung weist diese als »Typus Ecclesiae Catholicae et signa quibus ea cognoscitur« (»das Bild der katholischen Kirche und den Zeichen, an denen sie erkannt wird«) aus. Das Bild des Medaillons zeigt eine Allegorie der Ecclesia. Eine weibliche Figur, mit Tiara bekrönt, ist auf einem Thron sitzend frontal dargestellt. Ihre rechte Hand ruht auf einem Buch, das auf ihrem Schoß liegt, ihre linke hält die Schlüssel Petri vor ihrer Brust.22⁹ Über ihr schwebt mit ausgebreiteten Flügeln die Heilig-Geist-Taube, die von Sonnenstrahlen umgeben ist. Die Anlage der Figur stellt eine Variation der mittelalterlichen Ecclesia dar; durch die päpstlichen Insignien wird ihre Figur mit dem katholischen Kirchenhaupt amalgamiert. Die vier Bildfelder zeigen der Überschrift nach die katholischen Zeichen beziehungsweise Merkmale. Die Darstellung links oben zeigt die Spende des ka227 Siehe auch Émile Doumergue: Iconographie Calvinienne. Ouvrage dédié à Université de Genève. Lausanne 1909, S. 165f.; André Blum: L’Estampe Satirique en France Pendant les Guerres de Religions. Paris 1917, S. 227f.; Walter Goetz: Propyläen-Weltgeschichte. Bd. 5. Berlin 1930, S. 272–273 sowie John Baptiste Knipping: De Iconografie van de Contra-Reformatie in de Nederlanden. Bd. 2. Hilversum 1940, S.156 sowie Kat. Ausstell. Luther und die Folgen für die Kunst. Hamburger Kunsthalle. Hg. von Werner Hofmann. München 1983, Kat.-Nr. 74a, S. 200. 228 Bislang lagen weder der originale Text noch eine Übersetzung vor, da das Blatt nicht im Katalog der Bibliothèque nationale de France verzeichnet ist. Daher freue ich mich, dass die Archivarin Caroline Vrand das Blatt für mich ausfindig machen konnte. 229 In der Frühen Neuzeit wurde die Darstellung der Ecclesia mit den Papstattributen Tiara und Schlüssel üblich, vgl. Artikel »Ekklesia und Synagoge«. In: RKD Labor, http://www.rdklabor.de/ wiki/Ekklesia_und_Synagoge (06.10.2020).

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Abb. 17: Richard Verstegen, Typus Ecclesiae Catholicae et Typus Haeretica Synagogae, 1585, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes et Photographie, Volume QB-4 (1)-FT 4, P69197 und P69199.

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tholischen Abendmahls. Fünf Figuren sind in kniender und betender Haltung in einem Innenraum dargestellt. Ein Priester steht in ihrer Mitte und wendet sich mit dem Abendmahlskelch in der linken Hand an sie. Flankiert wird er von einem jungen Ministranten, der auf den hinter der Gruppe positionierten Altar blickt. Hierauf befinden sich ein aufgeschlagenes Buch und zwei brennende Kerzenleuchter, dahinter ist ein aufgespanntes Tuch mit dem Gekreuzigten gezeigt. Die Legende legt diese Szene als »Antiquitas« fest und bekräftigt die Tradition der katholischen Konfession.23⁰ Die zweite Bildeinheit, als »Successio« bezeichnet, führt die legitime Genealogie der Päpste vor Augen. Zwei nach links und rechts aufgespannte Vorhänge geben den Blick frei auf eine Reihe hintereinander gestaffelter Päpste, die anscheinend ›unendlich‹ zurückreicht. Bemerkenswert ist die Kongruenz der Figur des Papstes mit der Allegorie in der Bildmitte. Die formale Annäherung der beiden Figuren fungiert in der Grafik als bildliches Argument der unmittelbaren Zusammengehörigkeit von Papsttum und Kirche. Unterstützt wird diese Implikation durch das wiederholte Auftreten des Sonnenbildes. Hier ist es mit Christus überschrieben und dient so als allegorische Darstellung Christi als Sol Iustitiae. Die Spitze der ›Papstpyramide‹ wird gerade von den Strahlen der Sonne berührt und das Hervorgehen des Papstes aus Christus bildargumentativ gestützt.231 Das dritte Bildfeld, links unten, argumentiert mittels einer Simultandarstellung für den umfassenden Geltungsanspruch, die universalitas der katholischen Kirche. Parallel wird ein durch einen Rundbogen geführter Einblick in einen Kirchenraum gewährt, in dem ein Priester auf einer Kanzel predigt, sowie eine Landschaft gezeigt wird. Über kleine Hügel wird eine weit nach hinten verlaufende Landschaft präsentiert, die christliche Markierungen aufweist. Hinter einer kleinen Mauer an der vorderen Bildgrenze ragen aufgestellte Kreuze eines Friedhofs auf; im Mittelgrund tritt die Gemeinde in eine kleine Pfarrkirche ein und auch im Bildhintergrund ragt eine Kirchenspitze über den letzten Bergkamm sichtbar nach oben. Die ganze sichtbare Welt wird durch die Kirche geprägt, wie es scheint. Das vierte Bild soll die Einheit der Kirche – »Concordia«– veranschaulichen. Ein geöffneter Vorhang zeigt einen Raum, in dem eine kirchliche Zusammenkunft stattfindet, bei der der Papst den Vorsitz hält. Die kreisförmige Sitzordnung der Geistlichen evoziert das Bild einer geschlossenen Gemeinschaft und der Eintracht. Die abermals vom Bild der Sonne eingefasste Heilig-Geist-Taube schwebt über dem Geschehen und legitimiert die synodale Versammlung.232

230 Die Erläuterung im unteren Textfeld bezieht sich dementsprechend erwartbar auf die Realpräsens Christi in der katholischen Abendmahlslehre. 231 Die schriftliche Anmerkung bekräftigt dabei vor allem die Funktion des Papstes als vicarius Petri. 232 Auch der hierauf Bezug nehmende Text betont, dass »Obwohl es natürlich zahllose sind, die die hohe Tiara, die die Priesterbinde kleidet und die Zierde der roten Haube, haben die Zahllosen trotzdem ein und denselben Willen, und keine Risiken einer vielfältigen Sekte stehen dagegen«, dass also Papst, Priester, Bischöfe und Mönche gemeinsam agieren.

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Typus Haereticae Synagogae

Das Pendantbild ist als sehr spezifische Umkehrung des positiven Beispiels der katholischen Lehre in ein negatives Beispiel konzipiert. Die Überschrift in der oberen Kartusche weist die Tafel als »Typus Haereticae Synagogae« aus.233 Schnell wird jedoch deutlich, dass es sich nicht um eine allegorische Darstellung des Judentums handelt, sondern dass eine VerAnderung stattfindet:23⁴ Gemeint sind hier nämlich die lutherische und reformierte Kirche, die als Synagoge betitelt und damit als irrgläubig stigmatisiert werden.23⁵ Aus dem mittelalterlichen Bildpaar Ecclesia und Synagoge wird ein interkonfessionelles Bildpaar. So ist dann auch die allegorische Figur in dem Medaillon entgegen der Überschrift gar nicht als Synagoge konzipiert. Bei der weiblichen Figur handelt es sich stattdessen um eine allegorische Darstellung der Häresie, wie sie etwa wenig später in Cesare Ripas Iconologia abgebildet war (Abb. 18).23⁶ Eine weibliche Figur ist in Frontalansicht vor einer Höhle sitzend dargestellt. Ihr Oberkörper ist entblößt und offenbart ihre spitz nach unten hängenden Brüste, die offensichtlich keine Milch mehr spenden können. Ihren rechten Arm seitlich angewinkelt, hält sie in der Hand ein Flammenbündel. Der Blick der Figur ist hingegen nach links gewendet und in der linken Hand hält sie eine Maske. Das Haar der Frau steht wild von ihrem Kopf ab und kennzeichnet sie in Verbindung mit einem wirren Blick als hexenartige Gestalt. Die vier Bildfelder korrespondieren mit denen des Typus Ecclesiae. Analog zur dortigen Abendmahlsdarstellung im ersten Bild, ist hier eine Zecherei in einem Wirtshaus abgebildet. Das reformierte Abendmahl, das an einem transportablen hölzernen Abendmahlstisch gefeiert wird, wird verunglimpft, um es mit dem katholischen Ritus am Altar zu kontrastieren. Das Schriftfeld klagt auch das lutherische Abendmahl an.23⁷ Der Bezeichnung der Antiquitas der ersten Abbildung ist hier die Inschrift »Novitas« beigegeben und damit der Vorwurf der Neuheit der reformierten Konfession ausgesprochen. Hieran knüpft die zweite Bildeinheit an. Die RezipientInnen blicken auf eine Weidelandschaft, in der ein rundes Gehege errichtet ist.23⁸ Mit dem darin sitzenden Bischof, der eine Herde Schafe um sich versammelt hält, versinnbild233 »Typus Haereticae Synagogae et eiusdem proprietates«. 234 Im Sinne, wie Julia Reuter den Begriff der VerAnderung fasst, vgl. Julia Reuter: Ordnungen des Anderen. Zum Problem des Eigenen in der Soziologie des Fremden. Bielefeld 2002, S. 143–157. 235 Den Hinweis, dass sich der Stich gegen Reformierte und Lutheraner richtet, ergibt sich hauptsächlich durch den beigefügten Text. Die Betrachtung der bildlichen Darstellung ohne Kenntnis des Lateinischen – dem sicherlich nicht alle Betrachtenden mächtig waren – zielt eher auf die Diffamierung der Reformierten, etwa, weil das Abendmahl an einem Tisch gefeiert wird und nicht am Altar (im Gegensatz zu Katholiken und Lutheranern). 236 Cesare Ripa: Iconologia overo Descrittione Dell’imagini Universali cavate dall’Antichità. Rom 1603, S. 217. Ripas ikonografisches Wörterbuch erschien einige Jahre nach Verstegens Kupferstich; es wird ersichtlich, wie eindeutig die allegorische Figur als Häresie gelesen wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass Ripas Häresie auf Verstegen zurückgeht. 237 »Parte alia, Lector, specta furiale Lutheri concilium […]«. 238 Dieses schließt an die Ikonografie des Nederlandse Tuin an, siehe dazu weiter unten.

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Abb. 18: Haeresia, in: Cesare Ripa: Iconologia overo Descrittione Dell’imagini Universali cavate dall’Antichità, Rom 1603, S. 217.

licht das Gehege die Gemeinde. Einige Wölfe, im Schafspelz verkleidet, springen nun über die Umzäunung und reißen die Schafe. Diese polemische Darstellung entstammt Mt 7,15; einer Rede Jesu, der warnt »Hütet euch aber vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe«. Diese »Intrusio«, also das »Eindringen« der Reformierten und Reformatoren, betont konsequent den Neuheitsvorwurf an Reformierte und Lutheraner, rekurriert jedoch auf eine ursprünglich im lutherischen Kontext bildlich eingesetzte Polemik, wie ein um 1521 entstandenes Flugblatt dokumentiert.23⁹ Die ›irrgläubige Konfession‹ als Wolf im Schafspelz zu diffamieren ist damit eine typisch frühneuzeitliche Polemik, die sich von allen drei Konfessionen als Vorwurf an die jeweils anderen formuliert findet. Der umfassende Geltungsanspruch der katholischen Kirche, mit der Inschrift »Universalitas« bezeichnet, wird im dritten Feld der zweiten Tafel in die »Particularitas« übersetzt und ihm entgegengestellt. Die zuvor als christlich aufgefasste Landschaft zeichnet sich in diesem Kupferstich durch die Abwesenheit christlicher Zeichen aus. Im Hintergrund ist eine kleine Scheune zu erkennen, die zwei Figuren als Ort des Gottesdienstes dient. Da der Raum der Kirche in reformierter Sicht nicht heilig ist, ist der klare Vorwurf von katholischer Seite, dass mit der reformierten Konfession die Kirchen verschwinden würden und die Gemeinde dadurch zerstreut würde. Im Vordergrund sitzt eine einsame Eule in einem Baumstumpf. Sie mag als Anspielung auf Jesaja 13,21 verstanden werden, wo das Gericht für Babel angekündigt wird. Daneben galt die Eule als nachtaktives Tier als lichtblind und erschien in vielen Darstellungen als Sinnbild der Blindheit des Judentums gegenüber der christlichen Erlösung.2⁴⁰ 239 Siehe hierzu Kat. Ausstell. Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Hg. von Gerhard Bott. Frankfurt a. M. 1983, Kat.-Nr. 310, S. 246 sowie Kat. Ausstell. Luther und die Folgen für die Kunst 1983 (Anm. 227), Kat.-Nr. 108, S. 234 und Scribner 1981 (Anm. 196), S. 27. 240 Zur komplexen Ikonografie der Eule siehe Heinrich Schwarz und Volker Plagemann: »Eule«. In: RDK Labor, http://www.rdklabor.de/wiki/Eule (06.10.2020).

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Führt das vierte Bildfeld in der ersten Darstellung die Eintracht der Kirche vor Augen, steht das Gegenstück für die Zwietracht der Protestanten, wie die Inschrift »Discordia« festhält. In einem Innenraum, der dezidiert als Wohnraum oder Wirtshaus präsentiert wird, findet sich eine Gruppe von Menschen, die im Disput stehen. Gezückte Schwerter, präsentierte Schriften und ausladende Sprechgesten verweisen auf die Dissonanzen der Gesprächspartner. Eine autoritäre Figur, wie die des Papstes fehlt, was augenscheinlich ein wildes Durcheinander zur Folge hat.2⁴1 Transformation

Verstegens Kupferstich nimmt eine semantische Umcodierung vor. Das bekannte mittelalterliche Pendant Ecclesia und Synagoge wird in der Druckgrafik aktualisiert und die Synagoge mit der reformierten und der lutherischen Kirche gleichgesetzt. Das heisst, die Überschriften Ecclesia und Synagoge beziehen sich noch auf das mittelalterliche Bildformular dieser beiden allegorischen Figuren, jedoch wird eine Transformation des Sujets vollzogen. Zwar wird in der Betitelung als »häretische Synagoge« das Judentum präsent gehalten; doch eigentlich geht es um Lutheraner und Reformierte. Dies zeigt sich bereits in den allegorischen Figuren in den Medaillons in Verstegens Stichen. Denn die Ecclesia trägt hier die päpstlichen Insignien und stellt daher bereits eine Variation mittelalterlicher Darstellung dar. Die zweite Figur ist noch radikaler transformiert: Anstelle einer allegorischen Darstellung der Synagoge ist eine Variation der Häresie gezeigt. Aus dem Paar Ecclesia und Synagoge kreierte Verstegen das Doppel Ecclesia Catholica und Haeresia. Diese Häresie dient als allegorisches Sinnbild, um die reformierte und die lutherische Kirche als Opposition der Ecclesia einzuführen, wie in den vier umgebenden Bildfeldern visuell argumentiert wird. Die Synagoge und die reformierte Kirche werden in diesem Bild als deckungsgleich behandelt. Dadurch wird zwar strukturell ein Judaismus-Vorwurf an die reformierte Kirche ausgesprochen; die bildlich entfalteten Argumente beziehen sich jedoch konkret auf ›reformierte beziehungsweise reformatorische Häresien‹, die nicht aus anti-jüdischen Vorwürfen abgeleitet sind.2⁴2 In der Reaktivierung der bildlichen Struktur von Ecclesia und Synagoge für eine konfessionelle Abgrenzung nimmt die Komplexität des vergleichenden Sehens zu. Erst im vergleichenden Sehen der beiden Blätter wird Sinn erzeugt. Beispielsweise würde die erste Szene der zweiten Abbildung (reformiertes Abend241 Der begleitende Text parallelisiert dies als »ein Bild von Babylon«. 242 Der Vorwurf des ›Judaismus‹ wurde in der Frühen Neuzeit von allen Konfessionen an die jeweils anderen Konfessionen auch explizit ausgesprochen. Der darin immanente Antijudaismus und Antisemitismus stellt eine Grundkonstante christlicher frühneuzeitlicher Identität dar, weshalb die Aussage ›zu sein wie die Juden‹ als unmissverständliche Polemik überkonfessionell gebräuchlich war; vgl. Norbert Schnitzler: Der Vorwurf des »Judaisierens« in den Bilderkontroversen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. In: Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte. Hg. von Peter Blickle, André Holenstein. München 2002, S. 333–358.

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mahl) wohl schlicht als Genre-Darstellung rezipiert werden, wäre das katholische Abendmal nicht als Positivfolie gegenübergestellt. Das Bildfeld für sich betrachtet zeigt eine Szene in einem Wirtshaus, durch die Kontrastierung mit dem katholischen Abendmahl auf dem gegenüberliegenden Blatt wird deutlich, dass es sich um eine polemische Darstellung des reformierten Sakraments handelt. Gleichzeitig erhält die katholische Seite erst durch die Benennung konfessionellen ›Fehlverhaltens‹ eine klare eigene konfessionelle Identität. Erst aufgrund der Differenzen zu den Reformierten tritt das ›Katholische‹, das hier mit christlich identifiziert wird, zutage. Die auf den Vergleich angelegten Kupferstiche verdeutlichen, dass konfessionelle Identitäten im ausgehenden 16. Jahrhundert in einem Aushandlungsprozess generiert wurden, dessen Komplexität auf Polemik zielt, die der Selbststabilisierung dient. Die Reziprozität der beiden Kupferstiche von Verstegen veranschaulicht, dass in der Zusammenschau beider Bildeinheiten ein Sinngehalt erschlossen werden kann, der die Summe der Einzelpositionen übersteigt. Im Aufeinandertreffen findet eine Stabilisierung des einen und Destabilisierung des anderen statt. Nur die vergleichende Betrachtung ermöglicht es, die Beziehung zu decodieren. Wie wirksam bildliche Darstellungen für konfessionellen Polemik angeeignet und für die eigenen Zwecke jeweils umcodiert werden konnten, lässt sich anschaulich auch an Einzelszenen des Blattes von Verstegen aufzeigen. Die Szene rechts oben in der zweiten Abbildung (Abb. 17) etwa führt den Einfall der Wölfe in das Schafgehege vor Augen, der ja mit dem ›Einfall der Reformierten‹ (»Intrusio«) gleichgesetzt wird. Prägnant am Modus der Darstellung ist, dass Verstegen auf ein bestehendes Sujet zurückgreift, das er modifiziert. Denn offensichtlich rekurriert die Szene auf den verbreiteten Typus zeitgenössischer niederländischer Widerstandsdruckgrafiken, die die Ikonografie des Nederlandse Tuin, des Niederländischen Gartens, (auch: Hollands Tuin) entwickelt hatten.2⁴3 Im Laufe des ausgehenden 16. Jahrhunderts fungierten Bilder des Tuins in der Druckgrafik als allegorische Abbildungen sich bildender Territorialgrenzen.2⁴⁴ Dargestellt wurde der Tuin typischerweise als Garten in einer Landschaft, der von einem geflochtenen Zaun mit einem Tor umgeben war. Die älteste erhaltene Darstellung des Tuin-Typs findet sich auf einem Dordrechter Pfennig von 1573 mit der Unterschrift »Libertas Patriae« (Abb. 19), also eindeutig politischer Konnotation.2⁴⁵ Zu sehen ist eine weibliche Personifikation, die in einem runden eingezäunten Garten sitzt. Sie hat ein Schwert erhoben, begleitet wird sie von einem Löwen als 243 Zur synonymen Verwendung der Begriffe Nederlandse Tuin und Hollandse Tuin siehe P. J. van Winter: De Hollandse Tuin. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 8 (1957), S. 29–121. 244 Müller 2003b (Anm. 40), S. 23–44 mit weiterführender Literatur; grundlegend bleibt jedoch van Winter 1957 (Anm. 243). Zur bildlichen Reflexion über die neuen Territorialgrenzen siehe Volmert 2013 (Anm. 32). 245 Silber, 28,9 mm, 1573, in Dordrecht geschlagen, Teylers Museum Haarlem, Objekt-Nr. TMNK 04304. Die Rückseite zeigt Wilhelm von Oranien als Hirte, der einen Wolf vertreibt, welcher am Euter einer Ziege saugt (Abb. 19). Zu dem Pfennig siehe auch Tanja Michalsky: Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Diskurs von Geographie und Malerei. München 2011, S. 47.

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Abb. 19: Dordrechter Pfennig, 1573, Silber, 28,9 mm, Haarlem, Teyler’s Museum.

Wappentier, der das Tor des Gartens bewacht.2⁴⁶ Nach diesem Zeitpunkt wird das Bild des Tuins mannigfaltig in der Druckgrafik zur anti-spanischen Propaganda verwendet. Eine Variation stellen Tuin-Bilder dar, die statt der weiblichen Personifikation den Niederländischen Löwen in das Zentrum des Gartens setzen, der die spanischen Feinde vom Einfall in die Niederlande abhält. Eine der frühesten Darstellungen dieser Tuin-Drucke stammt aus den 1570er Jahren (Abb. 20).2⁴⁷ Der Niederländische Löwe ist inmitten des Tuin auf seinen Hinterläufen aufgerichtet gezeigt, wie er sein Territorium, markiert durch 246 Michalsky hat den Löwen auf das Wappen Brabants zurückgeführt und verweist außerdem auf den kurze Zeit später berühmt gewordenen Leo Belgicus von Frans Hogenberg; ebd., S. 48. Martina Dlugaiczyk identifiziert die Personifikation als hollandse Maagd, vgl. Dlugaiczyk 2005 (Anm. 40), S. 102. 247 Anonym: Der Kampf des holländischen Löwen gegen die Spanischen Schweine, um 1572, 235 x 293 mm, Kupferstich, Amsterdam, Rijksmuseum Rijksprentenkabinet.

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Abb. 20: Anonym, Der Kampf des holländischen Löwen gegen die Spanischen Schweine, um 1572, 235 x 293 mm, Kupferstich, Amsterdam, Rijksmuseum Rijksprentenkabinet.

zahlreiche Flaggen niederländischer Städte, gegen die einfallenden ›spanischen‹ Schweine verteidigt. Karsten Müller hat anschaulich nachgezeichnet, wie dieses Motiv ab den 1570er Jahren bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts in den Nördlichen Niederlanden florierte und auf unterschiedlichsten druckgrafischen Erzeugnissen als Allegorie für den Kampf gegen die spanische Krone eingesetzt wurde, sowohl in Flugschriften als auch auf Titelblättern (so etwa das Titelblatt eines 1617 erschienen Pamphlets, siehe Abb. 21).2⁴⁸ Er fasst zusammen: »So blieb der tuin über Jahrzehnte hinweg das visuelle Äquivalent für vaderland und ein Modell der Selbst-Behauptung durch Differenzmarkierung, das eine eminente Bedeutung für die Konstruktion einer nationalen Identität besaß«.2⁴⁹ Was in Verstegens Stich geschieht, ist eine Aneignung dieses sich etablierenden Bildformulars mit einer geänderten, nun konfessionalisierten Stoßrichtung. Dazu werden zwei tradierte Darstellungsmotive der Tuin-Ikonografie miteinander kombiniert: Die in den niederländischen Tuin einfallenden spanischen Schweine werden bei Verstegen durch die Wölfe im Schafspelz ersetzt und der 248 Müller 2003a (Anm. 32), S. 97–174. Der Stich ist das Titelblatt des Pamphlets Maechts antwoort tegen, op, en aen, de aenspraeck van een courtisaen / Die haer als een valsch gedrocht, tong-erg te verleijen socht (1617, Kupferstich, 19,2 x 15,2 cm, Amsterdam Rijksmuseum, Rijksprentenkabinet; siehe hierzu Volmert 2013 (Anm. 32), S. 1–6. 249 Müller 2003b (Anm. 40), S. 27, vgl. auch Volmert 2013 (Anm. 32), S. 70–80.

Vergleichendes Sehen als Praxis der Einübung konfessioneller Identitäten

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Abb. 21: Titelblatt des Pamphlets Maechts antwoort tegen, op, en aen, de aenspraeck van een courtisaen / Die haer als een valsch gedrocht, tong-erg te verleijen socht, 1617, Kupferstich, 192 x 152 mm, Amsterdam, Rijksmuseum Rijksprentenkabinet.

Löwe ist durch die Figur des Papstes ausgetauscht. Dieser wiederum weist durch seine sitzende Haltung in weiten Tüchern eine visuelle Ähnlichkeit mit der weiblichen Personifikation aus, die zuvor im Tuin saß (Abb. 19 und 21). Zum Zeitpunkt der Entstehung von Verstegens Bildpaar muss die Tuin-Ikonografie bereits so weit etabliert gewesen sein, dass der Kupferstecher sie nicht nur unkommentiert nutzen und in einen komplexeren Bildzusammenhang einflechten konnte, sondern darüber hinaus auch die inhaltliche Aussage hinsichtlich der politischen Richtung variieren konnte. Die sich aus dieser semantischen Umcodierung ergebende Behauptung lautet: Nicht die spanischen Schweine fallen in den niederländischen Garten ein, sondern die Reformierten als Wölfe im Schafspelz sind die eigentliche Gefahr. Durch die christliche Aufladung der Tuin-Darstellung mittels der Allegorie der Wölfe aus Mt 7,15 gelang es, das vorhandene Bild zu transformieren und für konfessionelle Identitätsmarkierungen fruchtbar zu machen. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie eine politische Ikonografie für konfessionelle Interessen angeeignet werden konnte. Blickwechsel

Mit der Erschließung der Druckgrafiken von Verstegen kann ein erneuter Blick auf Hondius’ ca. 15 Jahre später entstandene Kirchendarstellungen gerichtet

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werden (Abb. 4 und 5). Mit der Kenntnis des katholischen Stichs bestätigt sich die These, dass Hondius’ auf ein vergleichendes Sehen angelegte Kirchen auf die Gegenüberstellung von Ecclesia und Synagoge rekurrieren. Während in Verstegens Stich die katholische Kirche sich als Ecclesia identifiziert und damit als die christliche Kirche ausstellt, werden die Reformierten als häretische Synagoge gezeigt. Diese Zuschreibung wird in Hondius’ Grafik neu verhandelt. Die Parallelisierung der Darstellung erlaubt es, die reformierten Blätter als direkte Reaktion auf die katholischen Blätter zu verstehen. Sowohl in visueller als auch in argumentativer Hinsicht bilden die Grafiken von Hondius eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Kupferstich Verstegens.2⁵⁰ Hatte Verstegen das Paar Ecclesia und Synagoge zu einem konfessionellen Paar Ecclesia und Haeresia transformiert, nehmen Hondius’ Grafiken nun eine Inversion vor, indem die reformierte Kirche die Position der Ecclesia einnimmt und die katholische Kirche mit der häretischen Synagoge gleichgesetzt wird. Es lohnt sich, die Bezüge der Stiche präzise zu analysieren: Die vier Säulen der katholischen Kirche bei Hondius spiegeln die vier »Zeichen, an denen die katholische Kirche erkannt wird« bei Verstegen. Die Säule 1 begegnet dem Vorwurf des Partikularismus, bei Verstegen im dritten Bildfeld, und richtet ihn gegen die römische Kirche: sie sei von Anfang an eine partikulare Kirche gewesen. Auch die Überschrift »Typus Ecclesiae Catholicae« wird dadurch kritisiert; da die römische Kirche nicht allumfassend sei, dürfe sie sich nicht ›katholisch‹ nennen. Die mit »2« bezifferte Säule richtet sich gegen das vierte Bildfeld bei Verstegen: Die Autorität, die die katholische Kirche für sich beanspruche (bei Verstegen visualisiert durch den Vorsitz des Papstes), sei vergebens, denn wahre Autorität sei nur durch den Heiligen Geist gegeben. Die dritte Säule prangert das erste Bildfeld und den Ritus des Abendmahls an: Die Inschrift kritisiert die »menschlichen Traditionen« der römischen Kirche, die gegen »Gottes Wort streiten«. Bildlich wird dies umgesetzt durch die Gegenüberstellung von Altar und Kanzel in den Fluchtpunkten der Kirche. Denn nach reformierter Auffassung sollte das Wort Gottes im Zentrum der Liturgie stehen, visualisiert durch die Kanzel, wogegen in der katholischen Kirche das Abendmahl am Altar zentral gesetzt wird. Die vierte Säule schließlich rekurriert auf das zweite Bildfeld von Verstegens Stich: Die päpstliche Sukzession wird angeprangert und unrechtmäßig genannt. Weitere Abgrenzungsmomente der Konfessionen werden bei Hondius neu verhandelt. Der Vorwurf der Neuheit wird auch im rechten Textfeld neben der reformierten Kirche dekonstruiert. Hier inszeniert sich die reformierte Kirche als »in der Düsternis von Gottes Feinden angefochten, verfolgt, gehetzt und unterdrückt« und stellt dadurch eine Kontinuitätsbehauptung auf; sie sei also nicht 250 Wo und wie Hondius Kenntnis von dem Kupferstich von Verstegen erhielt, ist nicht eindeutig zu klären. Mindestens von 1585 bis 1597 lebten jedoch beide in Antwerpen und waren dort tätig; Verstegen publizierte hier in mehreren Auflagen ab 1587 sein Theatrum Crudelitatum haereticorum nostri temporis; Hondius befand sich zur gleichen Zeit bei Johannes Wierix in der Ausbildung.

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neu, sondern nur lange Zeit unterdrückt worden. Neben diesen eher inschriftlich operierenden Argumenten wird außerdem eine Vielzahl bildlicher Bezugnahmen eingesetzt, um die reformierte Kirche als Ecclesia zu inszenieren. Besonders prägnant ist die Christus-Allegorie der Sonne der Gerechtigkeit, die in Verstegens Stich gleich dreimal repräsentiert ist. Auch das kirchliche Personal aus Verstegens Bild der Ecclesia wird in Hondius Kupferstich umgewertet. Die Bischöfe, Priester und Mönche, die im vierten Bildfeld der Ecclesia Catholica für die »Concordia« stehen, sind bei Hondius zu Handwerkern des Papstes umgedeutet, die als Handlanger dazu dienen, die Kirche nach außen zu verschließen, indem sie eingestürzte Mauern aufbauen. Eine wichtige Verschiebung im Umcodierungsprozess von Verstegens Darstellungen zu Hondius Kupferstichen liegt im jeweiligen Bildaufbau. Während bei Verstegen Einzelszenen nebeneinander gegeben sind, die durch die allegorische Figur im Bildzentrum vermittelt werden, ist die Bildanlage bei Hondius zu einer allegorischen Einzelszene verschmolzen; hinzu kommt die Integration verschiedener Inschriften. Diese komplexen Darstellungen entfalten sukzessiv eine Argumentationsstruktur, die aus der wechselseitigen Fokussierung von bildlicher und schriftlicher Evidenz erwächst. Das szenenartige Nebeneinander in Verstegens Grafiken ist in eine komplexe Einzeldarstellung transformiert worden. Aus dem allegorischen Figurenpaar Ecclesia und Haeresia ist das allegorische »Raum-Paar« Ecclesia und Haeresia geworden. Hier wird die Auffassung der synchronen Religionsbeziehung sichtbar, die im Mittelalter entwickelt und in der Frühen Neuzeit aktualisiert wurde. Vergleichendes Sehen als Praxis der Einübung konfessioneller Identitäten

Es wird deutlich, wozu dieses vergleichende Sehen dient: Im Sinne der Identitätsstiftung fungiert die Gegenüberstellung des Eigenen und des Fremden oder Anderen, beziehungsweise des als ›fremd‹ oder ›anders‹ empfundenen, als Othering im Sinne etwa soziologischer Theorien der Abgrenzung.2⁵1 Der vergleichende Blick markiert zunächst grundsätzlich, dass es etwas Eigenes gibt, dem gegenüber ein oppositionelles Anderes entworfen wird, um das Eigene zu stabilisieren. Zur Bildung und Stärkung des Eigenen, wird nun das Andere als ›falsch‹ oder ›irrtümlich‹ markiert. Daraus folgt, dass der vergleichende Blick immer auch ein wertender Blick ist.2⁵2 Insofern sind Werke, die mit diesem vergleichenden Blick operieren, erfolgreich, wenn erstens das Eigene gegenüber dem Fremden als solches erkannt und abgegrenzt werden kann und wenn zweitens das Eigene in dieser Gegenüberstellung als ›wahr‹ erscheint. Zu untersuchen ist jeweils, wie dieser wertende Vergleich sinnvoll gestiftet werden kann. Die These lautet nun, dass Differenzen dann besonders deutlich zutage treten, wenn die Vergleichsgegenstände eine 251 Vgl. Reuter 2002 (Anm. 234). 252 Vgl. Epple, Erhart 2015 (Anm. 200).

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gewisse Schnittmenge an Gemeinsamkeiten aufweisen. Kleinere Abweichungen grundsätzlich geteilter Überzeugungen treten dann umso deutlicher hervor.2⁵3 In seltensten Fällen erscheint es attraktiv, zwei grundverschiedene Dinge miteinander in eine wertende Beziehung zueinander zu setzen, da es zum einen herausfordernd sein dürfte, geeignete tertia comparationis zu finden, zum anderen aber viel grundsätzlicher der Anlass des Vergleichs nicht evident würde. So ergibt sich, dass Werke, die einen vergleichenden Blick der Rezipierenden voraussetzen, über eine grundsätzliche unangefochtene Schnittmenge verfügen müssen. Damit hierin die inhaltlichen Differenzen erfahrbar werden, ist davon auszugehen, dass auch visuell eine ungefähre Annäherung aneinander bildlich gegeben sein muss, um das vergleichende Sehen anzuregen. Hondius’ Kupferstiche als Antwort auf Verstegens Druckgrafiken führen eindrücklich vor Augen, dass um das Jahr 1600 in den Niederlanden die konfessionellen Zugehörigkeiten noch nicht eindeutig feststanden, sondern dass mit dem vergleichenden Sehen eine Praxis der Stabilisierung konfessioneller Identitäten durch Abgrenzung und Gegenentwürfe existierte. Diese Rhetorik richtet sich sowohl nach innen wie nach außen. Daher erscheinen weder Toleranz, Umgangsökumene oder konfessionelle Polemik als Termini geeignet, um diese performativen Aneignungs- und Abgrenzungsmechanismen abzubilden. Anhand des Beispiels wird deutlich, dass die Genese konfessioneller Identitäten aus einem Wechselspiel von Übernahme und Ablehnung erfolgt, das prozesshaft ist. Aus dem allegorischen Figurenpaar Ecclesia und Synagoge wurde das Konfessionspaar Ecclesia und Haeretica abgeleitet, das dann von verschiedenen konfessionellen Positionen aus unterschiedlich besetzt werden konnte. Kennzeichnend ist, dass die jeweiligen Darstellungen des Eigenen und Anschuldigungen des konfessionell Anderen mit den gleichen Argumenten operierten. Beide Kirchen bezichtigten sich der Neuheit und sahen sich selbst in der Tradition des Urchristentums; beide beschuldigten sich des falschen Abendmahlritus; beide sahen sich beschützt durch Christus in Form der Allegorie des sol iustitiae. Deutlich wird: Konfessionelle Identitäten entstanden nicht binnenkonfessionell ›aus sich heraus‹, sondern aus der Konstruktion eines konfessionell Anderen. Im Prozess der eigenen Identitätsgenese wird das Eigene immer wieder mit dem Fremden verglichen, um Abgrenzungsmomente zu markieren. Dies geht auch mit einem gewissen Maß an Gemeinsamkeiten einher. Dies ist einerseits damit begründet, dass alle Konfessionen auf ein ›vorkonfessionelles Reservoir‹ zurückgriffen, aber auch damit, dass gewisse konfessionelle Positionen, Ästhetiken und Alleinstellungsmerkmale noch zur Disposition standen. Prägnant ist, dass sowohl katholische wie reformierte Konfessionen sich gegenseitig derselben ›Häresien‹ beschuldigten. Vorwürfe, wie die Neuheit der Konfession oder die Judaisierung attestierten sich die Konfessionen gegenseitig mit verschiedenen Argumenten. Hieran zeigt sich, dass es nicht die eine katholische Identität gab und sich dann eine reformierte Identität bildete, sondern dass durch die 253 Margit Kern hat dies als »visuelle Konkurrenz« gefasst; vgl. Kern 2017b (Anm. 21), S. 342.

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Reformationen alle Konfessionen vor der Aufgabe standen, das jeweils eigene Konfessionsspezifische zu entwickeln beziehungsweise zu benennen und sich dadurch einerseits von den anderen Konfessionen abzugrenzen und gleichzeitig ein ›konfessionelles Profil‹ zu entwickeln, das mit sich kohärent war. Die Beispiele von Verstegen und Hondius führen eindrücklich vor Augen, dass ein vergleichendes Sehen in der Frühen Neuzeit als Praxis etabliert war.2⁵⁴ Der Rückgriff auf das Oppositionspaar Ecclesia und Synagoge, das beiden Bildpaaren argumentativ zugrunde liegt, verdeutlicht, dass das vergleichende Sehen kein Novum der Reformationszeit war, sondern an mittelalterliche Vorläufer anknüpfte und diese als bekanntes Wissen voraussetzte, um von diesem visuellen Repertoire ausgehend nun konfessionelle Positionen zu verhandeln. Es schließt in seiner visuellen Argumentationsstrategie an ein typologisches Sehen an, dessen asymmetrische Überbietungsstrategien im Mittelalter entwickelt und in der Frühen Neuzeit variiert wurden.

1.8 Die Kirche im Raum Thematisiert Hendrick Hondius mit den beiden Kirchenbildern den Raum der Kirche, spricht er gleichzeitig auch die Frage nach dem Raum an, in dem die Kirche steht. Bezeichnend ist an den Grafiken, dass sowohl die katholische wie auch die reformierte Kirche landschaftlich nicht verortet werden. Sie werden vielmehr als Teil eines perspektivisch-konstruierten Raums präsentiert. Eine Hilfestellung bei dieser Raumkonstruktion leistet die runde Kirchenmauer. Innerhalb der Komposition der Kupferstiche wirkt sie als kompositorische Vermittlung zwischen dem nach hinten fluchtenden Kirchenbau und der umgebenden Landschaft. Gleichzeitig lokalisiert das Oval die Kirche im Raum und grenzt sie von einer sich unendlich erstreckenden Weite ab. Ein Blick auf die Kupferstiche, auf die Hondius sich bei der Gestaltung der beiden Druckgrafiken bezogen hat, erlaubt es, dieser Kirchenummauerung weitere konkrete Funktionen zuzusprechen. In der Abbildung der häretischen Synagoge Verstegens (Abb. 17) fungierte im Bildfeld rechts oben ein ebensolches Oval in Form eines Zauns als Markierung des Nederlandse Tuin. Verstegen hatte sich, wie oben gezeigt, auf eine in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandene Ikonografie bezogen, die einen rund eingefassten Garten als ›die Niederlande‹ identifizierte. Aufgrund der weiten Verbreitung dieses Sujets war auch Hondius mit diesem Bild des niederländischen Gartens vertraut. In der Kenntnis von Druckgrafiken, die den Nederlandse Tuin verbildlichen (Abb. 20), dürfte einem frühneuzeitlichen Betrachter oder einer Betrachterin eine Assoziation zwischen der oval-runden Kirchenmauer und 254 Dieses Beispiel bestätigt eindrücklich Graves These: »Praktiken des Vergleiches dürften daher nicht unwesentlich an der Herausbildung von sozialen und kulturellen Entitäten beteiligt sein«, Grave 2015b (Anm. 200), S. 143; wobei nach dem hier erarbeiteten Befund zu differenzieren ist, dass es sich weniger um fixe Entitäten, als vielmehr um zwei entgegengesetzte Pole handelt, die aufgespannt und kontinuierlich neu austariert werden.

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der oval-runden Form des Tuin nahe gelegen haben.2⁵⁵ Dass die Kirchenmauer als Reminiszenz auf den Niederländischen Garten rezipiert wurde und damit die gesamte Darstellung auf einen lokal-niederländischen Kontext abzielt, wird deutlich, wenn man die deutsche anonyme Kopie des Kupferstichs hinzuzieht (Abb. 15). Denn in der etwa 30 Jahre später entstandenen deutschsprachigen Variation der Abbildung der römischen Kirche ist die oval-runde Mauer durch eine längsrechteckige ersetzt. Dass das Bild des runden Gartens in der Adaption, die für einen deutschsprachigen Kontext entstanden ist, entfiel, spricht deutlich dafür, dass es sich um ein spezifisch niederländisches Sujet mit lokal-politischer Relevanz handelte. Im deutschsprachigen Raum konnte dieses Symbol nicht ›gelesen‹ werden, sodass es in der deutschen Adaption getilgt wurde. Mit diesem Bildwissen wird die Kirchenmauer in Hondius’ Abbildung der katholischen und der reformierten Kirche mit dem Zaun des niederländischen Gartens gleichgesetzt. Die beiden Kirchenräume stehen damit nicht in einer beliebigen Landschaft, sondern werden in den Niederlanden räumlich fixiert. Das Nebeneinander beider Kupferstiche visualisiert vor diesem Hintergrund, dass nur für eine Kirche Platz im Niederländischen Garten ist: für die reformierte. Die räumliche Verankerung in den Niederlanden wird schließlich durch die niederländisch-sprachigen Inschriften bekräftigt. Hieraus geht hervor, dass die Kupferstiche eindeutig für einen lokal-niederländischen Kontext konzipiert waren und eine weitere räumliche Verbreitung nicht intendiert war. Gerade die Wahl des Niederländischen – und nicht der am Hof gängigen Sprache Französisch – forciert eine lokal-kulturelle Rezeption.2⁵⁶ Fazit

Die von Hondius gezeigten Kirchenräume sind in erster Linie als allegorische Bauten zu verstehen, die der Enftfaltung des Arguments der wahren und der falschen Kirche dienen. Dennoch lässt der Künstler es nicht aus, auch auf tatsächliche Kirchenräume und deren konfessionell verschiedene Nutzung zu verweisen, denn er stattet die Räume unterschiedlich aus. Auf diese Weise thematisiert der Kupferstecher in den vergleichenden Bildern zwei Arten von Raum; zum einen geht es um den Raum, in dem die Kirche steht und der als nederlandse tuin klassifiziert wird, zum anderen geht es um die Frage nach der Bedeutung des Kirchenraums für die beiden Konfessionen. Wie kann ein reformierter Kirchenraum aussehen, wenn Calvin dem Kirchenraum jegliche Bedeutung absprach?2⁵⁷ Wie verhalten sich die Architektur der Kirche und die jeweilige Ekklesiologie zueinander? Die These lautet, dass die Bauform als Semantik verstanden wurde, die sowohl den liturgischen und räumlichen Anforderungen der jeweili255 Martina Dlugaiczyk hat das Erkennen des nederlandse tuin trotz stark reduzierter Form für einen anderen Stich von Hondius festgestellt, vgl. Dlugaiczyk 2005 (Anm. 40), S. 105. 256 Die Wahl des Niederländischen fällt besonders im Abgleich mit der Vorlage Verstegens ins Auge, der sich für lateinische Inschriften entschieden hatte. 257 Vgl. Spicer 2007 (Anm. 74), S. 2.

Die Kirche im Raum

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gen Konfessionen entsprechen musste, als auch eine räumliche architektonische Übertragung der eigenen Vorstellung der wahren Kirche. Denn die Reformation provozierte eine Identitätsgenese sowohl für die Reformierten, die hinsichtlich der Frage einer reformierten Bautypologie eine eigene Sprache zu finden hatten, als auch für die Altgläubigen, die in der ›Herausforderung‹ durch die anderen Konfessionen das konfessionell Eigene nun reflektieren und neu definieren mussten. Die hiermit einhergehende Neu-Erfindung des Kirchenraums soll an den gleichzeitig frühesten wie prominenten Beispielen analysiert werden: der ältesten reformierten Kirche der Niederlande in Willemstad sowie des ersten Großprojektes einer katholischen Kirche nach der Reformation der Niederlande, die Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel. Da in beiden Fällen Kirchenraum und Stadtraum eng miteinander verzahnt sind, werden im nächsten Kapitel zunächst die beiden Stadträume, innerhalb derer die Kirchen lokalisiert sind, eingehend untersucht. Dies ist auch sinnvoll, um die doppelte Gerichtetheit der Bauten begreifen zu können. Denn die Kirchen müssen als Markierungen im Raum verstanden werden, die sowohl nach Innen, wie nach Außen beziehungsweise ins Außen wirken. Umschließt die Kirche nach innen den Raum für den Gottesdienst und das Haus der Gemeinde und steht in unmittelbarer Wechselwirkung mit der funktionalen Nutzung, ist sie nach außen eine religiöse Markierung in der Landschaft. Die neuen nachreformatorischen Bauten lassen sich daher nicht nur als funktionale Räume verstehen, sondern auch als Architekturen, die einen Hoheitsanspruch markieren, der als solcher gelesen werden muss. Die städtisch-räumlichen Konfigurationen, in denen diese Bauten stehen, betonen diese Souveränitätsbehauptung. Indem sowohl in Willemstad wie in Scherpenheuvel Stadtraumarchitektur und Kirchenraum aufeinander Bezug nehmen und die baulich ästhetische Wechselbeziehung bei beiden gezieltes Kalkül ist, bildet die Analyse der beiden Stadträume den Ausgangspunkt für die darauf folgende Untersuchung der Kirchenbauten.

2 Neue Stadträume

2.1 Einleitung Aus der Mitte des 17. Jahrhunderts liegen zwei Pläne neuer niederländischer Stadtgründungen vor, die markante Ähnlichkeiten aufweisen (Abb. 22 und 23).2⁵⁸ Beide Karten zeigen einen räumlich relativ isolierten Stadtgrundriss. Dieser zeichnet sich durch eine jeweils prägnante siebenzackige Form aus. Beide Städte sind befestigt und von einem Wassergraben umgeben, zudem scheint ihre Ausdehnung in etwa kongruent zu sein. Gesteigert wird die Ähnlichkeit der Stadtbilder durch einen polygonalen Zentralbau, der jeweils das Zentrum der Orte definiert. Überraschend ist die Ähnlichkeit, weil sie sich zwar geografisch mit ihrer Lage im Grenzgebiet der Niederlande relativ nah beieinander befinden, politisch jedoch zwei widerstreitenden Parteien zuzuordnen sind. So liegt das Mitte des 16. Jahrhunderts gegründete Willemstad in Nordbrabant und gehört daher politisch zu den Nördlichen Niederländischen Provinzen. Stadt und Kirche sind reformiert und der Name der Stadt nimmt konkreten Bezug zum Nationalhelden Wilhelm von Oranien. Scherpenheuvel liegt hingegen in Brabant und ist als Pilgerort mit Wallfahrtskirche zu Beginn des 17. Jahrhunderts errichtet worden. Als Wallfahrtsort mit einer Maria geweihten Kirche liegt Scherpenheuvel nicht bloß in katholisch verwaltetem Gebiet, sondern ist vielmehr Inbegriff einer katholischen Idealstadt.2⁵⁹ Mithilfe der Methode des Vergleichenden Sehens, wie Heinrich Wölfflin sie 258 Die Karte von Willemstad ist das erste Mal publiziert bei Marcus Zuerius Boxhorn: Theatrum sive Hollandiæ comitatus et vrbium nova descriptio. Amsterdam 1632, S. 308 und stammt von Hendrik Hondius II (1597–1651), der als Kartograf und Verleger in Amsterdam tätig war (es besteht keine Korrelation mit dem oben behandelten Hendrick Hondius I). Boxhorns Publikation erschien 1634 auch in niederländischer Übersetzung, hier fehlt die Ansicht Willemstads. Diese erschien dafür einige Jahre später erneut in: Joan Blaeu: Toonneel der Steden van de vereenighde Nederlanden met hare Beschrijvingen. Amsterdam ca. 1649, S. 420. Die Ausgabe von Blaeu erfuhr eine wesentlich stärkere Rezeption, weshalb im Folgenden dessen Druckfassung mit seinem Anmerkungstext herangezogen wird. Der Plan von Scherpenheuvel stammt von Quirijn Boel, 1660, Kupferstich, 43,6 x 51,6 cm, Museum Plantin Moretus Antwerpen, Objekt-Nr. PK.OP.18087. 259 Zum Begriff der Idealstadt als gebaute Utopie vgl. Wolfgang Neuber: Sichtbare Unterwerfung. Zu den herrschaftsstrategischen Raumvorstellungen in frühneuzeitlichen Idealstadtentwürfen und Utopien. In: Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit. Hg. von Cornelia Jöchner. Berlin 2003 (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 2), S. 1–22, hier S. 3.

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Neue Stadträume

Abb. 22: Hendrick Hondius II, Willemstad, in: Marcus Zuerius Boxhorn: Theatrum sive Hollandiæ comitatus et vrbium nova descriptio, Amsterdam 1632, S. 308; später erneut publiziert in: Joan Blaeu: Toonneel der Steden van de vereenighde Nederlanden met hare Beschrijvingen, Amsterdam ca. 1649, S. 420.

etabliert hatte und wie sie in der Kunstgeschichte weiterentwickelt und modifiziert worden ist, lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Stadtbilder identifizieren. Durch eine vergleichende simultane Analyse des Städtebaus, des Befestigungssystems, der Architektur, deren Ausstattung und schließlich deren Repräsentation – etwa im kartografischen Medium – lassen sich Rückschlüsse auf formale, ikonografische und stilistische Charakteristika ziehen. Markante Differenzen könnten Aufschluss über politische und konfessionelle Interessen und wie sich diese stilistisch ausdrücken, geben. Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits diskutiert, dass ein solcher vorgenommener Vergleich jedoch die tertia comparationis von außen an die Objekte heranträgt. Wie sollten bei einem solchen Vorgehen die Vergleichskategorien gewählt werden, um den Objekten in ihrem spezifischen Anliegen, ihrer Wirkmacht gerecht zu werden? Wie lassen sich Bewertungen ausschließen, die die eine Stadt als die ›bessere‹ oder ›gelungenere‹ festlegen? Um diesen wertenden Blick zu vermeiden, lohnt es sich, das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Stadtbauten anhand der Vergleichskategorien, die die Objekte selbst anbieten, zu analysieren. Es soll argumentiert werden, dass es sich tatsächlich um einen verflochtenen Raum handelt, d. h., dass kein historischer Vergleich vorgenommen wird, sondern die Praxis des Vergleichens in der Zeit im Mittelpunkt steht. Der Vergleich der Städte wird also nicht ex post mittels des Zugriffs von außen überhaupt erst geschaffen. Vielmehr soll die in der Genese der Objekte angelegte gegenseiti-

Einleitung

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Abb. 23: Quirijn Boel, Plan von Scherpenheuvel, 1660, Kupferstich, 43,6 x 51,6 cm, Antwerpen, Museum Plantin Moretus.

ge Bezogenheit nachvollzogen werden. Hierdurch lässt sich erkennen, anhand welcher Kriterien die Zeitgenossen die beiden konfessionellen Pole aufspannten. Diese Kriterien können als Indikator dienen, um nachzuvollziehen, anhand welcher städtebaulichen Merkmale konfessionelle Identitäten markiert und festgestellt wurden. Die These lautet, dass Willemstad als Ort der ersten reformierten Kirche und Scherpenheuvel als erster großer Wallfahrtsort nach der Reformation aufeinander rekurrieren und dass ihre besondere Bedeutung im historischen Kontext nur in ihrem Beziehungsgefüge verständlich wird.2⁶⁰ Das Beziehungsgeflecht kann auf zwei Ebenen analysiert werden, nämlich zum einen die Architektur der Stadt selbst und zum anderen die Darstellung derselben in bildlichen Ansichten. Die Untersuchung zeitgenössischer kartografischer Darstellungen erlaubt 260 Dass mit Willemstad und Scherpenheuvel zwei Beispiele gewählt sind, die in einer Beziehung zueinander stehen und nicht etwa zwei beliebige Städte, die zufällig eine strukturelle Ähnlichkeit aufweisen, zeigt sich im lokalkulturellen Kontext. Denn während des Achtzigjährigen Krieges wurden zwar zahlreiche niederländische Städte (neu) befestigt, doch Willemstad und Scherpenheuvel sind die ersten beiden Städte, deren Grundriss sich durch die prägnante siebenzackige Form auszeichnen.

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Neue Stadträume

Abb. 24: Coenraad Lauwers, Plan von Scherpenheuvel, in: Antonius Sanderus: Chorographia sacra Brabantiae, Brüssel 1659 oder 1661.

es, Repräsentationsinteressen und rezeptionsästhetische Aspekte in die Untersuchung mit einzubeziehen. Die Städte entstanden zu einer Zeit, als gleichzeitig das neue Medium beziehungsweise die neue Gattung der Stadtdarstellungen aufkam und florierte.2⁶1 Insofern ist anzunehmen, dass die zentriert-geordnete Anlage im Bewusstsein bildlicher Stadtdarstellungen entstanden ist und dieses Bewusstsein zu der spezifischen architektonischen und städtebaulichen Erscheinung mit beigetragen hat.2⁶2 Besonders vielversprechend ist es daher, die Städte in ihrem jeweiligen medialen Repräsentationskontext zu analysieren, also sowohl die 261 Vgl. Tanja Michalsky, die sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt hat: Tanja Michalsky: Karten unter sich. Überlegungen zur Intentionalität geographischer Karten. In: Fürstliche Koordinaten. Landesvermessung und Herrschaftsvisualisierung um 1600. Hg. von Ingrid Baumgärtner. Leipzig 2014 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 46), S. 321–339; Tanja Michalsky: Medien der Beschreibung. Zum Verhältnis von Kartographie, Topographie und Landschaftsmalerei in der Frühen Neuzeit. In: Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne. Hg. von Jürg Glauser, Christian Kiening. Freiburg im Breisgau 2007, S. 319–349. 262 Zur engen Verwandtschaft von Kartografie und Landschaftsmalerei vgl. Tanja Michalsky: Das Wissen der Kunst. Ein Plädoyer für den visuellen Diskurs in der Landschaftsmalerei und Karto-

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Abb. 25: Detail der Karte von Quirijn Boel (Abb. 23).

räumlichen und architektonischen Erscheinungsformen als auch gleichzeitig die Art und Weise, wie diese in künstlerischen Medien wirksam wurden.2⁶3 Anhand der beiden Karten von Willemstad und Scherpenheuvel lassen sich verschiedene Bereiche der jeweils repräsentierten Stadt festhalten, die das frühneuzeitliche Stadtbild bestimmt haben. Die drei Bereiche Landschaftliche Lage, Städtische Grenze und binnenstrukturelle Hierarchie werden im Folgenden zunächst für Willemstad und im zweiten Teil des Kapitels für Scherpenheuvel untersucht. Im dritten Teil werden die Erkenntnisse zusammengeführt um die gegenseitige Bezugnahme der Städte aufeinander zu veranschaulichen und deren Anteil an der Genese der Stadtbilder zu verdeutlichen. Die besondere Lage der beiden Städte im Grenzgebiet der frühneuzeitlichen Niederlande lassen den Vergleich besonders attraktiv erscheinen; kann hier doch nachvollzogen werden, wie bestehende territoriale Grenzen aufgehoben beziehungsweise neu markiert wurden.2⁶⁴

graphie. In: Die Entdeckung der Ferne. Natur und Wissenschaft in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Hg. von Ulrike Gehring. Paderborn 2014, S. 17–39. 263 Wolfgang Schäffner hat anschaulich dargelegt, wie »das topographische Prinzip, das sich um 1600 in den Niederlanden herausbildet, als paradigmatischer Repräsentationsraum verstanden werden kann«; wenn Schäffner in diesem Sinne für eine Durchdringung topografisch geprägten Denkens in jegliche Wissensbereiche plädiert, setzt dies eine besondere Sensibilität für neue Raumgestaltungen voraus; vgl. ders.: Operationale Topographie. Repräsentationsräume in den Niederlanden um 1600. In: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Hg. von Bettina Wahrig-Schmidt, Michael Hagner, Hans-Jörg Rheinberger. Berlin 1997, S. 63–90, hier S. 63. 264 Zum Begriff des Territoriums als »eine räumliche Formation, die in sozialen Praktiken und mit gestalterischen Valenzen geschaffen wird […] und stets mit der Ausübung von Autorität und Macht verbunden ist« siehe Cornelia Jöchner, Alessandro Nova: Einführung. In: Platz und Territorium. Urbane Struktur gestaltet politische Räume. Hg. von dens. Berlin u. a. 2010 (I Mandorli 11), S. 7–18, hier S. 12.

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2.2 Willemstad 2.2.1 Stadtgründung Karte von Blaeu

Um 1649 veröffentlichte der Amsterdamer Kartograf Joan Blaeu mit seinem Toonneel der Steden eine umfangreiche Publikation mit kartografischen Darstellungen und kurzen Beschreibungen der niederländischen Städte.2⁶⁵ In zwei Bände gegliedert, widmet sich das Werk sowohl den Spanischen Niederlanden (Bd. 1) als auch den Nördlichen Provinzen (Bd. 2). Am Ende des zweiten Bandes findet sich eine Auflistung der »Steden onder ’t gebiedt van de H.M.H. Staten Generael der Vereenighde Nederlanden, gelegen buyten en op de grensen der selve Landschappen« (»Städte unter dem Gebiet der Generalstaaten der vereinigten Niederlande, die außerhalb oder auf der Grenze derer Landschaft liegen«).2⁶⁶ Unter diesen Grenzstädten findet sich eine Darstellung von »Willem-Stadt«, der ein kurzer Text beigegeben ist (Abb. 22).2⁶⁷ Laut diesem sei Willemstad »von Prinz Willem gebaut worden, um das Ausbreiten der Feinde zu verhindern« und noch heute würden »seine Nachkommen den Titel Herren von Willemstad tragen«. Eine Jahreszahl der Stadtgründung findet sich zwar nicht, allerdings ist mit dem Ableben Wilhelms am 10. Juli 1584 ein terminus ante quem gegeben. 265 Bereits kurz zuvor erschien das Werk als lateinische Ausgabe: Novum ac Magnum Theatrum Urbium Belgica Libera ac Foederata und Novum ac Magnum Theatrum Urbium Belgica Regiae. Amsterdam 1649. Auch wenn die Ansicht Willemstads bereits zuvor durch Boxhorn publiziert wurde, soll hier die Fassung bei Blaeu besprochen werden, dessen Kommentar zur Stadt ausführlicher ist, in der Volkssprache publiziert wurde und eine höhere Auflage erzielte. 266 Der aus Alkmaar stammende Kartograf und Verleger Joan Blaeu (1598/99–1673, auch Johannes Willemsz. Blaeu) ist heute vor allem für seinen Atlas Maior bekannt; vgl. auch Uta Römer: Blaeu, Johannes Willemszoon. In: Allgemeines Künstler-Lexikon, http://www.degruyter.com/ view/AKL/_10127744 (06.10.2020). 267 »Willem-Stadt leght aen de Roovaert, omtrent het Hollandsdiep, in een landeken den Ruygenhil genoemt, dat in ’t jaer 1564 bedijckt is. Prins Willem van Oranje heeft dese stadt, om ’t uytloopen der vyanden te beletten, gebouwt, en met sijn naem verciert. Hy had oock ’tgebied over de selve, tot erkentenis van sijne groote weldaden, die hy aen den Staet der vereenighde Nederlanden betoont heeft; ’t welck sijne nakomelingen noch hebben, die in hunne tijtelen Heeren van Willem-Stadt genoemt worden. Sy is gesterckt met seven bolwercken, een ravelijn, en een kat, meest alle met geschut voorsien. Oock is hier een Kerck, Raethuys, Marckt, wapen-huys, een huys voor den Prince, en een bequame haven. De locht is hier swaer, en, om de nabyheydt de zee, niet seer gesont; ’t welck voor eenige jaren sommige burgers van Leyden ondervonden hebben, die daer door hunne gesontheydt verloren.« Zu deutsch: »Willemstadt liegt am Roovaert, in der Nähe des Hollands Diep, auf einem Landstück das Ruygenhil genannt wird und das im Jahr 1564 eingedeicht wurde. Prinz Willem von Oranje hat diese Stadt gebaut, um das Ausbreiten der Feinde zu verhindern und mit seinem Namen verziert. Ihm gehörte auch dasselbe Gebiet, zur Anerkennung seiner großen Wohltaten, die er an den Staat der Vereinigten Niederlande gezeigt hat; und welche seine Nachkommen noch haben, die in ihren Titeln Herren von Willemstadt genannt werden. Sie [die Stadt] ist mit sieben Bollwerken verstärkt, einem Ravelin, einer Katze, fast alle mit Geschützen versehen. Auch ist hier eine Kirche, ein Rathaus, ein Markt, ein Waffenhaus und ein Haus für den Prinzen und ein Hafen. Die Luft ist hier schwer und, wegen der Nähe zum Meer, nicht sehr gesund. Das haben vor einigen Jahren einige Bürger von Leiden erfahren, die dadurch ihre Gesundheit verloren haben.« (Übersetzung der Autorin).

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Durch die Widmung an den Statthalter, der seit der Unabhängigkeitserklärung der nördlichen Provinzen zum Nationalhelden stilisiert wurde, erscheint Willemstad in dieser Darstellung als quasi nationaler Identitätsmarker.2⁶⁸ Die über dem Text präsentierte bildliche Darstellung der Stadt nimmt circa ein Viertel der Druckseite ein (Abb. 22). In einem querrechteckigen Bildfeld ist eine zeitgenössische Ansicht der Hafenstadt in sogenannter Militärperspektive abgebildet, d. h. eine Draufsicht, bei der einzelne Gebäude wie Kirche und Mühle und andere Elemente wie die in den Hafen einfahrenden Schiffe in perspektivischer Verkürzung gezeigt sind, wodurch der projizierte Charakter zugunsten einer dreidimensionalen Wiedergabe aufgebrochen wird. Die Karte ist geostet. Willemstad wird als befestigte Einheit präsentiert, deren Grundriss durch einen gleichmäßigen siebenzackigen Stern definiert ist. Ein breiter Wassergraben umläuft die gesamte Stadt, Zugänge zu ihr bieten ein Landport über einen Ravelin im Osten sowie eine baulich verstärkte Hafeneinfahrt im Norden. Die äußere sternförmige Struktur korrespondiert mit der siebenseitigen Anlage der Stadt. An jeder Ecke findet sich eine Bastion, die durch Wachposten und Geschütze gesichert ist. Die innere Stadtstruktur zeichnet sich durch ein rechtwinkelig angelegtes Straßennetz aus. Markant sind zwei Plätze, die auf der mittleren horizontalen Achse lokalisiert sind. Auf dem linken findet sich eine Kirche als polygonaler Zentralbau, beim rechten handelt es sich um den Marktplatz vor einem Rathaus. Drei Elemente kontextualisieren die Stadtdarstellung. Ein heller Hintergrund, der sich über die linken zwei Drittel der Bildfläche erstreckt, deutet eine flache Landschaft an; eine Wasserfläche, die von Schiffen befahren ist, wird durch eine waagerechte Strichelung im rechten Bilddrittel angedeutet. In der linken Ecke der Darstellung befindet sich das Stadtwappen Willemstads, eine Wappenkartusche mit drei W-Initialien, umgeben von einem Lorbeerkranz. Gleich hierunter geben die »pedes geometrici« den Maßstab der Karte an. In der linken unteren Bildecke ist eine gerahmte Tafel platziert, die als Legende fungiert und die in die städtische Darstellung integrierten Kürzel aufschlüsselt. Diese sind hierarchisch gegliedert und beginnen mit der Kirche, dem Rathaus und dem Prinzenhof und schließen mit dem Kriegsgericht und dem Ravelin. Der grundsätzliche Eindruck, den die kartografische Darstellung in Blaeus Toonneel generiert, ist der einer befestigten Planstadt. Hierzu tragen sowohl die Festungselemente, wie die Bastionen und der Wassergraben bei, wesentlich 268 Zur Verklärung Wilhelm von Oraniens als ›Vater der Republik‹ bereits im 16. Jahrhundert siehe Olaf Mörke: Wilhelm von Oranien (1533–1584). Fürst und »Vater« der Republik. Stuttgart 2007, S. 253–268; die ahistorische Verwendung des Begriffs national ist entlehnt von Tanja Michalsky: Die Natur der Nation. Überlegungen zur »Landschaft« als Ausdruck nationaler Identität. In: Europa im 17. Jahrhundert. Ein Mythos und seine Bilder. Hg. von Klaus Bußmann, Elke Anna Werner. Stuttgart 2004, S. 333–354. Zu diesem sehr umfassenden Themenkomplex siehe auch Alastair Duke: The Elusive Netherlands. The question of National Identity in the Early Modern Low Countries on the Eve of the Revolt. In: Dissident Identities in the Early Modern Low Countries. Hg. von Judith Pollmann, Andrew Spicer. Farnham 2009, S. 9–56.

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Abb. 26: Klundert, in: Joan Blaeu: Toonneel der Steden van de vereenighde Nederlanden met hare Beschrijvingen, Amsterdam ca. 1649.

aber die symmetrische Gesamterscheinung des Stadtbildes. Der nahezu perfekte gleichförmige siebenzackige Stern-Grundriss sowie die geometrisch geordnete Binnenstruktur der Stadt muten als präzise geplant und nicht organisch gewachsen an. Auch durch die Auflistung Willemstads innerhalb der Gruppe der Grenzstädte in Blaeus Band, die durch Beschreibungen der »Belagerungen und Forte« ergänzt ist, suggeriert die Ansicht, Willemstad sei eine von vielen Fortifikationen, die planvoll von Wilhelm von Oranien und seinen Nachfolgern während des Achtzigjährigen Krieges erbaut worden sind. In der Durchsicht der Bände des Toonneel der Steden erscheint sie aufgrund des visuellen Eindrucks vergleichbar mit anderen Städten wie Klundert, Damme und Coevorden (Abb. 26–28).2⁶⁹ Ob, und wenn ja inwieweit, Blaeu mit der Geschichte Willemstads tatsächlich vertraut war, lässt sich nicht rekonstruieren.2⁷⁰ Anhand der Darstellung im Toonneel wird jedoch ersichtlich, dass Willemstad Mitte des 17. Jahrhunderts als eine von vielen typischen geplanten Fortifikationsstädten rezipiert wurde; beziehungsweise diese Rezeption durch das Toonneel forciert wurde. Tatsächlich handelt es sich bei Willemstad jedoch nicht per se um eine solche befestigte Plan- oder Idealstadt. Willemstad war auch nicht, wie der Begleittext suggeriert, von Wilhelm von Oranien gebaut worden. Der in den 1560er Jahren zunächst als ›katholisch‹ angelegte Ort erlangte seine Identität als »Willems Stadt« erst im Laufe des Jahrhunderts. Im Folgenden soll daher die Genese und bauliche sowie historische Entwicklung der Prinzenstadt nachgezeichnet werden, um zu analysieren, wie eine zunächst katholische Stadtgründung zu diesem Identitätsmarker der nördlichen Provinzen avancieren konnte.2⁷1 269 Klundert, das nahe bei Willemstad liegt, war zeitgleich im Auftrag Wilhelm von Oraniens befestigt worden; Moritz ließ Coevorden 1605 zur Festungsstadt ausbauen und Damme ist eine spanische Befestigung nahe Antwerpen, die ab 1622 gebaut wurde. 270 Die von Hondius II. angefertigte Karte Willemstads reproduzierte er aus Boxhorns Theatrum sive Hollandiæ, sein Kommentar zur Stadt aber ist ausführlicher. 271 Willemstad hat seitens der kunsthistorischen Forschung bislang keine Aufmerksamkeit erfahren

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Abb. 27: Damme, in: Joan Blaeu: Toonneel der Steden van s’konings Nederlanden, met hare Beschrijvingen, Amsterdam 1649.

Abb. 28: Coevorden, in: Joan Blaeu: Toonneel der Steden van de vereenighde Nederlanden, met hare Beschrijvingen, Amsterdam ca. 1649.

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Stadtgründung

Willemstad wurde im 16. Jahrhundert ursprünglich unter einem anderen Namen gegründet. Im Zuge der fortschreitenden Landgewinnung in den Niederlanden wurde 1561 durch Jan IV. Glymes Markgraf von Bergen beschlossen, das an die Schelde grenzende Dünengebiet im Fürstentum Bergen op Zoom einzupoldern und zu besiedeln.2⁷2 Poldern bezeichnet dabei das Aufschütten von Deichen und das Ausheben von Grachten und Kanälen, wodurch das Land trocken gelegt und fruchtbar gemacht wurde. Diese Technik erlaubt es auch Land zu besiedeln, das unter dem Meeresspiegel liegt.2⁷3 Die seit dem Mittelalter bekannte Technologie des Polderns wurde insbesondere seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden massiv verstärkt und auch wissenschaftlich erforscht und etabliert, dies bezeugt etwa Andries Vierlinghs (ca. 1507–1579) weit rezipiertes Traktat van Dyckagie, das 1579 erschien.2⁷⁴ Neue Technologien, wie etwa große Windmühlen, die bei jeder Windrichtung betrieben werden konnten, ermöglichten die verstärkte Landgewinnung zu dieser Zeit.2⁷⁵ Im Jahr 1564 begann man an der Schelde die sogenannten Gorzingen, ein dem Meer abgewonnenes Sandgebiet, einzupoldern und zu parzellieren; der Bau einer Stadt wurde beschlossen und im Folgejahr fand die Grundstücksvergabe statt.2⁷⁶ Eine Karte des Landmessers Jan Symonsz von 1570 zeigt die Ausdehnung des (abgesehen von der sich dort befindlichen Kirche, siehe dazu Kap. 3). Mit der Stadtgeschichte hat sich vor allem die dortige Regionalforschung beschäftigt: C. van Mastrigt: Willemstad prinsheerlijk. Een vestingstad in roerige en minder roerige tijden. Willemstad 2009; Constantinus Aloijsius Ignatius Leo van Nispen: De vesting Willemstad. Willemstad in Tachtigjarige Oorlog. Willemstad 1983 sowie K. Dane: Willemstad. Historisch overzicht van stad en polder. Klundert 1950. Erwähnenswert sind zudem die Bemühungen des Gemeindepfarrers G. C. A. Juten, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige Quellen zur Geschichte Willemstads transkribierte und im Selbstverlag herausgab; siehe Taxandria. Tijdschrift voor Noorbrabantsche Geschiedenis en Volkskunde. Bd. 29 (1922), S. 11–37; Bd. 36 (1929), S. 213–215; Bd. 39 (1932), S. 23–32; Bd. 43 (1936), S. 36–40 und Bd. 48 (1941), S. 16–23. Das Fehlen jeglicher Angaben zum Ort der Archivalien erlaubt es zur Zeit allerdings nicht, sich darauf zu stützen. Erhaltene Archivalien befinden sich im West-Brabants-Archief in Bergen op Zoom sowie im Nationaal-Archief Den Haag. Zu bedauern ist, dass der Großteil des kirchlichen Archivs mit dem Brand der Kirche in den 1950er Jahren zerstört wurde. 272 Van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 18–21. 273 Ein großer Teil des niederländischen Gebietes wurde auf diese Weise erschlossen, im Gebiet der heutigen Niederlande liegen mittlerweile etwa 20% der Landfläche unter Normaal Amsterdams Peil, also Normalnull. 274 Andries Vierlingh: Tractaet van Dyckagie. Hg. von Johannes de Hullu, A. G. Verhoeven. Den Haag 1920 (1579). Vierlingh war auch an der Einpolderung des Deiches bei Willemstad beteiligt, vgl. Audrey Munro Lambert: The making of the Dutch landscape. An historical geography of the Netherlands. London 1971, S. 213 u. 227. 275 Jan de Vries: The dutch Rural Economy and the Landscapes 1590–1650. In: Kat. Ausstell. Dutch Landscapes. The early years, Haarlem and Amsterdam 1590–1650. National Gallery London. Hg. von Christopher Brown. London 1986, S. 79–86. 276 Van Mastigt 2009, S. 21. Demnach stammte die Hälfte der Eigentümer aus Zeeland, ein Viertel aus Nord-Brabant und ein Viertel aus Holland; aus den südlichen Niederlanden (Antwerpen und Lüttich) stammten zwei der 44 Eigentümer. Über die konfessionelle Zugehörigkeit der Käufer kann nur spekuliert werden.

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neu errichteten Ortes (Abb. 29).2⁷⁷ Der aus kaum mehr als einer Hauptstraße mit zwei Häuserblöcken und angeschlossenem Kirchplatz bestehende Ort wurde zunächst als katholische Gründung errichtet und trug wie die Inschrift der Zeichnung offenbart, den Namen Ruigenhil. Bei der Benennung des Ortes, Ruigenhil, handelt es sich um einen topo-phonetischen Namen, d. h., dass sich die landschaftlichen Merkmale in der Namensgebung niederschlagen. Gelegentlich findet sich in Dokumenten auch die Zusammenstellung gorsigen Ruigenhil, was Bezug nimmt auf das Gebiet Gorzingen und sich in etwa übersetzen lässt mit verlandete Schilfrohr-Düne.2⁷⁸ Ruigenhil, gerade erst gegründet und besiedelt, lag genau in dem Grenzgebiet, von wo aus die als Geuzen bezeichneten revoltierenden Reformierten ab 1568 die Gebiete eroberten und gegen die spanischen Streitkräfte in den Krieg zogen.2⁷⁹ Wohl aufgrund der exponierten Lage an der Schelde wurde Ruigenhil in den kommenden Jahren immer wieder von den Geuzen überfallen und geplündert. Während sich die umliegenden Gebiete Holland und Zeeland schon zu Beginn der 1570er Jahre auf die Seite der Reformierten schlugen, traten die Provinzen Utrecht, Gelderland und Groningen und auch die nordbrabantsche Markgrafschaft Bergen op Zoom mit der Utrechter Union 1579 zum Bündnis hinzu; 1582 wurde dann auch Ruigenhil von den Generalstaaten konfisziert und an Wilhelm von Oranien als Kompensation für zahlreiche Kriegsverluste übergeben; nach dessen Tod ging die Markgrafschaft an seinen Sohn Moritz über.2⁸⁰ Die Überfälle und Plünderungen der Stadt hielten derweil an; über Bergen op Zoom und Willemstad nahmen die Spanier mehrere Versuche in Angriff, die revoltierenden Staaten zurückzuerobern.2⁸1 Waren es vormals die reformierten Geuzen, mussten sich die Bewohner von Willemstad nun gegen die katholischen Truppen der Spanier behaupten. 277 West-Brabants-Archief Bergen op Zoom, Sammlung Kaarten Raad en Rekenkamer Bergen op Zoom, Nr. ARR - D 379. Die Inschrift lautet: » Item dese caerte is gemaeckt op den cleynen voet naer dye gelegentheit van den neyeuwen bedyckten polder van den Ruygenhill. Bedijckt int jaer 1564 mette afbrekende gorzinghen over wedersijden van den damme ende hoot gelijck als hyer gefigureert staet. Welcke gorzingen reet afgebroken zyn binnen vijf jaren twintich roede. Gedaen ten versoecke van meester Jaspar van der Meijen als gecommiteerde ten Raide des huijs ende marquizaetschap van Bergen. Oirconde mijns hantelijckens hijer onder gesteld desen vijfthienden Martii anno 1570 naer Luijck. Jan Symons Land meter.« zu deutsch: »Diese Karte ist angefertigt (Maßstab: kleiner Fuß) zum Anlass des neu eingedeichten Polders Ruigenhil. Eingedeicht im Jahr 1564 durch das Abbauen der Sandbänke an der Gegenseite des Deiches; 20 Ruten wurden in fünf Jahren abgebaut. Ausgeführt auf Geheiß des Meisters Jaspar van der Meijen als Beauftragter des Hauses und der Markgrafschaft von Bergen. Die Urkunde wird durch meine Unterschrift bestätigt. Am 15. März 1570 in Lüttich, Jan Symons, Landvermesser.« 278 Der Begriff gorzingen oder gorsingen ist das etymologische Äquivalent zum heutigen niederländischen Begriff hors (pl. horzen), was mit Sandbank übersetzt wird; vgl. Nicoline van der Sijs: »hors«. In: http://etymologiebank.nl/, (06.10.2020). Zur Etymologie Ruigenhils siehe auch »Ruigenhil«. In: Aardrijkskundig woordenboek. Bd. 9. Hg. von Abraham Jacob van der Aa. Zaltbommel 1979 (Gorinchem 1847), S. 752f. 279 Van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 32f. 280 Ebd., S. 35. 281 Ebd., S. 38f.

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Abb. 29: Jan Symonsz, Karte von Ruigenhil, 1570, Bergen op Zoom, West-Brabants-Archief.

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Abb. 30: Pläne zur Befestigung von Willemstad, Federzeichnung auf Papier, Den Haag, NationaalArchief, Inventar-Nr. 1.08.11-13016.

Insbesondere, weil es sich bei der exponierten Lage von Ruigenhil um eine politisch-militärisch wichtige Gelenkstelle handelte, gab Wilhelm am 30. Juli 1583 den Auftrag, den Ort zu einer Fortifikation ausbauen zu lassen; er hatte hierzu den Ingenieur Abraham Andries mit dem Entwurf einer Festungsanlage beauftragt.2⁸2 Etwa zur selben Zeit wurde der Ort in Willemstad umbenannt.2⁸3 Die Herrschaft des Ortes und mit ihr das konfessionelle Bekenntnis hatten also nun gewechselt und dieser Wechsel wurde auch im Stadtnamen markiert.2⁸⁴ Anhand zweier erhaltener Skizzen lässt sich nachvollziehen, wie der zunächst funktional polygonal gestaltete Entwurf doch zugunsten eines symmetrischen siebenzackigen sternförmigen Grundrisses aufgegeben wurde (Abb. 30 und 31).2⁸⁵ Den jeweiligen Bezugspunkt beider Entwürfe bildete das als Kirchplatz vorgesehene Areal, das zu diesem Zeitpunkt allerdings noch unbebaut war. Anhand des Abgleichs der Karten bei Joan Blaeu und von Jan Symonsz wird deutlich, dass es sich bei Willemstad um eine historisch bedingte Stadtanlage handelt. Bei ihrer Gründung entsprach ihre Konfiguration anderer in den Niederlanden üblicher Stadtanlagen: eine lange Hauptstraße, die senkrecht zur Küs282 Van Nispen 1983 (Anm. 271), S. 25f., Anm. 6 (sic! fehlt). 283 Der offizielle Namenswechsel ist nicht dokumentiert; allerdings berichtet ein Brief aus dem Oktober 1585 »dat het dorp van de Ruigenhille, die nu genaempt wort Wilmstad soude worde ghefortificeert...«, zitiert nach van Mastigt 2009, S. 42. 284 Über die konfessionelle Zugehörigkeit der Grundstückseigentümer lässt sich nur spekulieren. Van Mastrigt führt aus, dass zuerst katholische Gottesdienste, seit den 1580er Jahren dann reformierte gehalten wurden. Zunächst fanden diese in einer Gaststube statt, ab 1585 soll es ein eigenes Gebäude gegeben haben, vgl. van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 69. 285 Nationaal-Archief Den Haag, Inventar-Nr. 1.08.11-13016.

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Abb. 31: Pläne zur Befestigung von Willemstad, Federzeichnung auf Papier, Den Haag, NationaalArchief, Inventar-Nr. 1.08.11-13016.

tenlinie verläuft, mündet in einen Kirchplatz. Hierzu verlaufen Querstraßen, die parallel ausgerichtet sind.2⁸⁶ Die siebeneckige Gestalt, die der Grundriss in Blaeus Toonneel bildet, war nicht, wie dort suggeriert, Resultat einer planvoll angelegten Idealstadt, sondern Teil eines historischen Entwicklungsprozesses. Im Folgenden soll die Befestigung und die damit einhergehende Ästhetisierung des Grundrisses untersucht werden. Die Skizzen von Andries zur Fortifikation des Ortes erlauben es, die sukzessive Planung nachzuzeichnen. Zuvor lohnt es sich, sich über den Stand des Festungsbau im 16. Jahrhundert zu informieren, um die Quellen angemessen bewerten zu können. 2.2.2 Befestigung Willemstads Anforderungen an eine Befestigung

Die Untersuchung der Befestigung von Willemstad ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich.2⁸⁷ Zunächst aufgrund ihrer rahmenden Funktion, die dergestalt 286 Der Grundriss stellt eine Kombination aus zwei typischen niederländischen Stadtgründungen dar: Dem Typus des Voorstraatsdorp (bezeichnet einen Ort, der durch eine quer zur Wasserlinie angelegten Hauptstrasse gebildet wird, an deren Ende üblicherweise eine Kirche steht) und dem Typus des Ringdorp (also eines um eine Kirche ringförmig herum angelegten Ortes). In Willemstad ist die Anlage des Rings zugunsten einer quadratischen Anlage modifiziert. 287 Die Beschäftigung mit der Befestigung von Willemstad berührt grundsätzlich zwei Forschungsschwerpunkte. Zum einen die Untersuchungen von Festungsanlagen und daneben deren Repräsentation in kartografischen Medien. Beiden Zugängen ist grundsätzlich zueigen, dass es sich um genuin transdisziplinäre Themen handelt. Sowohl Befestigungskunst wie Kartografie werden von verschiedenen Disziplinen behandelt, deren Forschungsergebnisse aus divergierenden

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organisiert ist, dass einer bereits bestehenden städtischen Struktur eine äußere Grenze verliehen wurde, die die vorhandenen Straßenläufe, Plätze, Gebäude und weiteres nach Innen wie nach Außen fixierte. Zeugt die Karte von Symonsz von stadtähnlichen Konfigurationen, die prinzipiell räumlich unendlich erweitert gedacht werden konnten, bildet eine Stadtmauer oder Fortifikation eine Grenze, die alles sich innerhalb der Mauern befindende als Einheit festlegt. Die Bauaufgabe, einen bestehenden Ort zu befestigen, stellt daher besondere Anforderungen. Zunächst muss die eingefasste Stadt all diejenigen Einrichtungen, Flächen, Orte, Gebäude und Anlagen umfassen, die die Funktion der Stadt sichern. Hierzu zählen neben Wohngebäuden und Verwaltungsgebäuden wie einem Rathaus auch ein Marktplatz, eine Kirche, Flächen für Landwirtschaft sowie Lagergebäude und Magazine. Diese Sicherstellung einer hinlänglichen Autarkie war für den Städtebau gerade im 16. Jahrhundert besonders relevant geworden. Mit dem Einsatz neuer Kriegswaffen wie den Weitgeschossen etwa ab 1500, veränderte sich die Kriegsführung grundsätzlich.2⁸⁸ Gefechte im Schützengraben wurden nun zugunsten lang andauernder Stellungskriege aufgegeben. Hierbei wurden Städte oft wochenlang belagert, was einen immensen Druck auf die städtische Selbstversorgung ausübte. Nur eine autark funktionierende Stadt war in der Lage, eine längere Abgeschlossenheit zu überleben.2⁸⁹ Die zweite bedeutende Herausforderung betraf die Planung und Gestaltung der Befestigungsanlage, deren Ziel eine optimale militärische Verteidigung war. Stellte im Mittelalter die hoch aufragende Stadtmauer grundsätzlich das beste Mittel zur Verteidigung einer Stadt dar, veränderte sich dies etwa ab dem Jahr 1500, ebenfalls bedingt durch den Einsatz neuer Kriegswaffen.2⁹⁰ Eine hohe Stadtmauer war nicht in der Lage, Wurfgeschosse und Kanonenkugelbeschuss abzuwehren. Ganz im Gegenteil: Galt im Mittelalter die Gleichung, je höher die Zugängen und Fragestellungen resultieren. Für beide Themenfelder liegen daher historische, kunsthistorische, archäologische als auch geografisch orientierte Studien vor. Vorliegende Untersuchung stellt eine Kombination aus tendenziell eher positivistischen Ergebnissen der Geschichtswissenschaft und einem kunsthistorischen Zugang mit einem rezeptionsästhetischen Fokus dar. Wurden Befestigungsanlagen in der älteren historischen Forschung vor allem hinsichtlich ihrer baulichen militärischen Potenz untersucht, öffnen sich jüngere Zugänge auch für diskursivere und systematischere Fragestellungen, vor allem Bettina Marten, Ulrich Reinisch, Michael Korey (Hg.): Festungsbau. Geometrie – Technologie – Sublimierung. Berlin 2012; Martha Pollak: Cities at war in early modern Europe. Cambridge 2010; Marion Hilliges: The city at war and the semantic armament of Renaissance architecture. In: Renaissance and baroque architecture. Hg. von Harry Francis Mallgrave, Alina Payne. Chichester 2017 (The companions to the history of architecture 1), S. 282–308. 288 Christof Baier, Ulrich Reinisch: Schußlinie, Sehstrahl und Augenlust. Zur Herrschaftskultur des Blickens in den Festungen und Gärten des 16. bis 18. Jahrhunderts. In: Visuelle Argumentationen. Die Mysterien der Repräsentation und die Berechenbarkeit der Welt. Hg. von Horst Bredekamp. München 2006, S. 35–59, hier S. 35. 289 Zur Entwicklung des Festungsbaus vgl. auch den konzisen Überblick bei Ulrich Schütte: Wandlungen in der Stadtbefestigungstechnik seit dem frühen 16. Jahrhundert. In: »Stadt – Burg – Festung«. Stadtbefestigung von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Innsbruck 1994, S. 167–201. 290 Baier, Reinisch 2006 (Anm. 288), S. 37–39.

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Stadtmauer, desto besser der Schutz, waren die hohen Stadtmauern unter Kanonenbeschuss besonders gefährdet, weil die Statik leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen war.2⁹1 Stattdessen setzte sich, von Italien ausgehend, allmählich das System polygonaler Grundrisse durch, die durch Bastionen verstärkt wurden. Die Planung, Konstruktion und Berechnung optimaler Stadtpläne florierte auch deshalb, weil mathematisches und geometrisches Wissen zunehmend an Bedeutung gewannen. Insbesondere die Rezeption von Euklid ermöglichte es, Grundrisse zu entwickeln, die mittels maßstäblicher Übersetzung unmittelbar ins Gelände übertragen werden konnten.2⁹2 Sowohl in Italien, wie auch in den Niederlanden entstand infolge dessen die Gattung der Traktatliteratur zum Festungsbau, die sich sowohl theoretisch wie mathematisch mit optimalen Fortifikationssystemen beschäftigte und diese auch visuell zur Anschauung brachte.2⁹3 Durch die illustrierte Traktatliteratur entstand eine Möglichkeit, die ästhetische Gesamtstruktur einer Stadt zu erfassen und mit anderen Städten zu vergleichen.2⁹⁴ Dieser Modus der visuellen Rezeption von Städten, der mittels einer Draufsicht erfahren wird, zeigte sich besonders im Medium der Kartografie, weil vor allem hier Grundrisse deutlich miteinander vergleichbar waren. Im Unterschied dazu ist der Traktatliteratur eigen, dass hier der Vergleich idealtypischer Grundrisse gegeben war. Boten Karten zunächst meist Einzelansichten, erlaubten neue Kleinformate, wie der Band von Blaeu die vergleichende Betrachtung von Städten. Eine wesentliche Eigenart, sowohl von Karten wie von Stadtdarstellungen in Traktaten, ist die Darstellung mittels der Draufsicht, also die Fokussierung auf den Grundriss im Gegensatz zu Ansichtsdarstellungen in anderen Medien wie Druckgrafik und Malerei.2⁹⁵ Darüber hinaus ist in den Traktaten die Form des Grundrisses – also seine ästhetische Erscheinung – eng verknüpft mit seiner militärischen Funktion: »Durch die Codierung des Festungsgrundrisses als modernes Herrschaftszeichen erfuhr der Grundriss eine repräsentative Aufwertung, und so beginnt nach 1500 der Stadtgrundriss die Darstellung von Stadt zu dominieren«, wie Marion Hilliges resümiert.2⁹⁶ Durch dieses Medi291 Gisela Leisse: Praktische Geometrie im Städtebau der Frühen Neuzeit. In: Aufsicht – Ansicht – Einsicht. Neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit. Hg. von Tanja Michalsky, Felicitas Schmieder, Gisela Engel. Berlin 2009, S. 369–385, hier S. 369. 292 Wolfgang Schäffner: Diagramme der Macht. Festungsbau im 16. und 17. Jahrhundert. In: Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit. Hg. von Cornelia Jöchner. Berlin 2003, S. 133– 144. 293 Nach Dürer, der sich wohl als erster schriftlich mit Befestigungsanlagen beschäftigt hatte, wurden im 16. Jahrhundert insbesondere der Italiener Francesco di Marchi und der in Straßburg geborene Daniel Specklin als führend in der Entwicklung neuer Befestigungssysteme bekannt. An der Grenze zum 17. Jahrhundert veröffentlichte auch der Niederländer Simon Stevin zur architectura militaris; kurz nach 1600 nahm schließlich die Fülle publizierter Traktate enorm zu. 294 Siehe zu vergleichendem Sehen im Zusammenhang mit kartografischen Darstellungen die Dissertation von Amrei Buchholz: »Alexander von Humboldts Modell der Erdkruste. Vergleichendes und verknüpfendes Sehen im ›Atlas du Nouveau Continent‹« (im Druck), jedoch für das 18. Jahrhundert. 295 Leisse 2009 (Anm. 291), S. 377. 296 Marion Hilliges: Der Stadtgrundriss als Repräsentationsmedium in der Frühen Neuzeit. In: Auf-

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um entstand somit im Laufe des 16. Jahrhunderts eine Koppelung des visuellen geometrischen Erscheinungsbildes einer Stadt und ihrer funktionalen Befestigung.2⁹⁷ Eine dritte Anforderung an die Befestigung einer Stadt betraf daher die möglichst perfekt symmetrische Grundrissgestaltung. Je gleichmäßiger der Grundriss gestaltet war und je mehr sich seine polygonale Form in die Grundform des Kreises einfügen ließ, desto besser sei die Stadt zu verteidigen, so die Annahme.2⁹⁸ Eine auf mathematischen Berechnungen beruhende Konstruktion der Befestigung erzielte folglich eine sichere Fortifikation der Stadt, die sich in einem ästhetisch ausgeglichenen Grundriss widerspiegelte. Wenn in den Stadtdarstellungen der Zeit, wie Blaeus Toonneel der Steden, nun eine Vielzahl an Stadtgrundrissen neben- und nacheinander präsentiert wurden, war die tatsächliche mathematische Berechnung jedoch kaum mehr relevant, um aus dem Vergleich des ästhetischen Erscheinungsbildes der Gesamtheit der Städte auf deren militärische Potenz zu schließen. In dem Wissen um die Verbreitung von Stadtgrundrissen in der Druckgrafik musste es deshalb ein Anliegen sein, die Befestigung einer Stadt auf eine solche Art und Weise zu gestalten, dass das ästhetische Erscheinungsbild bereits den Eindruck einer sicheren Stadt evozierte. Symmetrie wurde mit Sicherheit gleichgesetzt.2⁹⁹ Aufbau einer Festungsanlage

Der frühneuzeitliche Festungsbau in Europa ist grundsätzlich gut erforscht, was es ermöglicht, die Befestigung von Willemstad im zeitgenössischen Kontext präzise zu verorten und typische sowie spezifische Charakteristika zu identifizieren.3⁰⁰ Der grundsätzliche Aufbau einer fortifikatorischen Anlage lässt sich ansicht – Ansicht – Einsicht. Neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit. Hg. von Tanja Michalsky, Felicitas Schmieder, Gisela Engel. Berlin 2009, S. 351–367, hier S. 352. 297 Siehe bereits zuvor: John R. Hale: Renaissance Fortification. Art or Engineering (= Walter Neurath memorial lectures, Bd. 8), London 1977 sowie Stefan Bürger: Architectura militaris. Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm. Berlin 2013 (Kunstwissenschaftliche Studien 176), S. 189–191. 298 Leisse 2009 (Anm. 291). 299 Stefano Saracino hat anhand der Analyse von Machiavellis Traktaten bereits zeigen können, dass Befestigungsanlagen als Akt symbolischer Kommunikation verstanden werden können und dass die ›Beweisführung‹ sicherer Fortifikationen, wie sie in frühneuzeitlichen Traktaten visuell und argumentativ inszeniert wurden, nicht mit der militärischen Praxis übereinstimmen musste; siehe Stefano Saracino: Symbolische Kommunikation über Festungen. Machiavelli und der Fortifikationsdiskurs im 16. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung 42 (2015), S. 1–36; siehe zu diesem Aspekt außerdem Ulrich Reinisch: Angst, Rationalisierung und Sublimierung. Die Konstruktion der bastionierten regulären Festung als Abwehr von Angstzuständen. In: Festungsbau. Geometrie – Technologie – Sublimierung. Hg. von dems., Bettina Marten, Michael Korey. Berlin 2012, S. 269–313. 300 Hervorragende jüngere Überblickswerke finden sich von Tobias Büchi: Die Fortifikationsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts. Traktate deutscher Sprache im internationalen Kontext. Basel 2015; Bürger 2013 (Anm. 297) sowie nach wie vor Hartwig Neumann: Festungsbaukunst und

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hand eines Grundrisses und eines Querschnitts rasch erschließen. Die Kenntnis einiger zentraler Merkmale ermöglicht es, zwischen einer regional und zeitlich variierenden Manier – was in der Festungsbaukunst ein feststehender Begriff ist, der den Stil beschreibt, nach dem befestigt wurde – zu differenzieren.3⁰1 Eine Befestigungsanlage besteht aus einem komplexen System landschaftlicher und architektonischer Gestaltung. Der Geländequerschnitt (Abb. 32) veranschaulicht, dass die Befestigung einer Stadt nicht lediglich durch eine Stadtmauer gebildet wird, sondern ein gestaffeltes System verschiedener Ebenen umfasst, das weit in das Gebiet außerhalb der Stadt ausgreifen konnte. Durch das Anlegen von Gräben, die trocken bleiben oder Wasser führen konnten (sogenannte nasse Gräben), wurden mit dem Aushub gleichzeitig Wälle errichtet. Diese sind häufig mit einem gedeckten Weg, also einem Laufgang versehen, der dank der etwas niedrigeren Höhe hinter einem zusätzlichen Wall oder Glacis vor feindlichem Beschuss schützte. Durch die Anlage mehrerer Wälle hintereinander war es möglich, den Feind zu sehen, ohne selbst unter Beschuss zu stehen. Gleichzeitig versperrten die Wälle die Sicht des Gegners, sodass Angriffe nur jeweils etappenweise ausgeführt werden konnten.3⁰2 Nasse Gräben waren in der Regel so angelegt, dass sie nicht zu Fuß durchquerbar waren; insbesondere in den Niederlanden wurden solche nassen Gräben angelegt, da die landschaftlichen Bedingungen hierfür günstig waren. Der Grundriss einer frühneuzeitlichen Befestigungsanlage zeichnet sich dadurch aus, dass die Stadt von einem polygonalen Bastionärsystem eingefasst ist (Abb. 32). Man unterscheidet zwischen regulären und irregulären Anlagen; also solchen mit symmetrischem Grundriss und solchen mit einem unregelmäßigen. Vorzuziehen waren reguläre Systeme, die sich jedoch aufgrund von geografischen oder städtebaulichen Umständen nicht immer umsetzen ließen. Eine verteidigungstechnische Idealstadt folgte in jedem Fall dem regulären System. Eine technische Errungenschaft der frühneuzeitlichen Festungsbaumeister war das Bastionärsystem. Unter Bastion (auch Bollwerk) versteht man einen aus dem Hauptwall hervorspringenden Baukörper, mittels dessen die Flanken bestrichen werden können, d. h., dass die seitlich der Bastion gelegenen Flächen durch Schüsse erreichbar sind.3⁰3 Die besondere Leistung der bastionären Befestigungen bestand darin, die Flanken – zumindest prinzipiell – vollständig bestreichen zu können. Die Darstellung aus einem Fortifikationstraktat des Niederländers Simon Stevin veranschaulicht dies (Abb. 33): Anhand eingezeichneter Schussstrahlen führt Stevin die toten Winkel vor Augen.3⁰⁴ Wenn eine StadtFestungsbautechnik. Deutsche Wehrbauarchitektur vom XV. bis XX. Jahrhundert. Koblenz 1988 (Architectura militaris 1). 301 Zum Begriff der Manier vgl. Bürger 2013 (Anm. 297), S. 203–208. 302 Vgl. ebd., S. 89–92. Lambert hat darauf hingewiesen, dass diese gestaffelten Systeme als ein Ausgreifen in die Landschaft und damit eine Formung derselben zu verstehen sind, vgl. Lambert 1971 (Anm. 274). 303 Ausführlich hierzu siehe ebd., S. 146–163. 304 Simon Stevin: De Sterctenbouwing. Leiden 1594, S. 36f.

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Abb. 32: Aufbau einer Festungsanlage.

mauer durch quadratische Türme verstärkt war, so waren zwar die Flanken geschützt, jedoch blieb die Vorderseite der Türme ungeschützt (siehe das Dreieck EKH). Auch von den im Mittelalter üblichen Rondellen an Stadtmauern war es nicht möglich, jeden auf der Flanke liegenden Punkt mittels eines Schusses zu erreichen, sodass die Verteidigung des Hauptwalls nicht umfassend gegeben war (Abb. 34). Erst der Bau keilförmiger Bastionen ermöglichte laut Stevin die umfassende Bestreichung (Abb. 35).3⁰⁵ Er stimmt darin mit allen Festungsbaumeistern seiner Zeit überein, weshalb alle neu errichteten Anlagen über keilförmige Bastionen verfügten. Darüber, welcher inneren Gliederung eine befestigte Stadt folgen sollte, bestand hingegen kein Konsens. Sowohl ein Radialsystem, bei dem die Straßenläufe auf einen städtischen mittleren Punkt oder Platz ausgerichtet waren, als gelegentlich auch ein orthogonales Straßennetz (auch Schachbrett genannt) wurde favorisiert. Einigkeit herrschte jedoch bezüglich Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit und Symmetrie. 305 Reinisch 2012 (Anm. 299), bes. S. 274f.

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Manieren und Ingenieure: Entwicklungen des Festungsbaus

Besonders interessant ist auch die auf den Skizzen erkennbar werdende Manier, in der die Befestigung Willemstads angelegt ist. Sie entspricht dem zeitgenössischen wissenschaftlichen Kenntnisstand und war speziell für die Niederlande entwickelt worden.3⁰⁶ Die sogenannte altniederländische Manier stellt eine Variation der neu-italienischen Manier dar. Diese war Ende des 15. Jahrhunderts entwickelt worden und trug mit einer Reduzierung der Höhe der Stadtmauer und der Ausbildung von Bastionen der neuen militärischen Bedrohung des Kanonenbeschusses Rechnung. Bei der altniederländischen Manier wurde dieses Schema grundsätzlich übernommen und durch Variationen, die eine Anpassung an die geografische Situation nördlich der Alpen darstellte und zudem wesentlich kostengünstiger war, leicht abgewandelt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Wälle nicht aus Stein gemauert waren, sondern Erdwälle aufgeschüttet wurden. Damit ging einher, dass diese nicht länger kasemattiert werden konnten. Um dennoch eine optimale Bestreichung zu erlangen, wurden die Kurtinen (gerader Wall zwischen zwei Bastionen) deutlich verkürzt, sodass sich die Abstände zwischen den Bastionen verringerten. Hierdurch war eine vollständige Absicherung der Kurtinen gegeben, weil jeder Punkt durch Schussstrahlen von den polygonalen Bastionen aus erreichbar war. Simon Stevin hat in seinem Traktat diese Veränderung zeichnerisch dargestellt, um die militärischen Vorteile vor Augen zu stellen (Abb. 33–35). Die ›Erfindung‹ der altniederländischen Manier kann heute nicht mit einer Einzelperson identifiziert werden. Vielmehr scheint es, als habe sich diese Manier sukzessive im 16. Jahrhundert in den Niederlanden durchgesetzt.3⁰⁷ Für die populäre Verbreitung wird im wesentlichen der Mathematiker, Ingenieur und auch Generalquartiermeister Simon Stevin (1548–1620) verantwortlich gemacht, sowie Adriaen Anthonisz (ca. 1541–1620), der sowohl Bürgermeister von Alkmaar wie Kartograph und Festungsingenieur war. Stevin, der aus Brügge stammte und ab den 1580er Jahren in Leiden und Den Haag lebte, wurde vor allem als Mathematiker berühmt. Er beschäftigte sich darüber hinaus mit der Festungsbaukunde, Stadtarchitektur, Musiklehre und der Weiterentwicklung der niederländischen Sprache.3⁰⁸ 306 Vgl. Bettina Marten: Sixteenth and Seventeenth-Century Fortifications in the Iberian Peninsula and the Netherlands. In: Kat. Ausstell. Mapping Spaces. Networks of Knowledge in 17th Century Landscape Painting. ZKM Karlsruhe. Hg. von Ulrike Gehring, Peter Weibel. München 2014, S. 278–287. 307 Die Nähe der italienischen und der niederländischen Befestigungsmanier lässt sich auf italienische Ingenieure zurückführen, die im 16. Jahrhundert in den Niederlanden tätig waren; darüberhinaus lagen auch zahlreiche italienische Traktate zum Festungsbau in den Niederlanden vor; vgl. Charles van den Heuvel: De verspreiding van de Italiaanse vestingbouwkunde in de Nederlanden in de tweede helft van de zestiende eeuw. In: Vesting. Vier eeuwen vestingbouw in Nederland. Hg. von der Stichting Menno van Coehoorn. Den Haag 1982, S. 8–17. 308 Die Neuedition und englische Übersetzung des vollständigen Werkes Stevins Mitte des 20. Jahrhunderts hat eine umfassende wissenschaftliche Beschäftigung mit Stevin ausgelöst. Simon Stevin: The Principle works. 5 Bde. Hg. von Ernst Crone u. a. Amsterdam 1955–1966. Grundle-

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Abb. 33: Illustrationen in: Simon Stevin: De Sterctenbouwing, Leiden 1594, S. 36.

Abb. 34: Illustrationen in: Simon Stevin: De Sterctenbouwing, Leiden 1594, S. 37.

Abb. 35: Illustrationen in: Simon Stevin: De Sterctenbouwing, Leiden 1594, S. 37.

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Abb. 36: Illustrationen in: Simon Stevin: De Sterctenbouwing, Leiden 1594, S. 18.

Als Experte für Festungsanlagen ist er dank seiner theoretischen Schriften bekannt. Sein De Sterkentenbouwing (»Die Konstruktion von Festungen«) erschien 1594 in Leiden und war eine Zusammenstellung und Erweiterung des bekannten Wissens über Methoden der Stadtbefestigung. Stevin orientierte sich an italienisch- und französischsprachigen Traktaten sowie an Daniel Specklins kurz zuvor publiziertem Architectura: Von Vestungen (1589). Seine erste Idealdarstellung einer Festungsanlage zeigt einen symmetrischen sternförmigen sechseckigen Grundriss (Abb. 36). Die Zeichnung vermittelt durch eingezeichnete Schussstrahlen eindrücklich, dass Symmetrie für Sicherheit stand. Wenngleich Stevin heute als der berühmteste Festungsingenieur der Niederlande des 16. Jahrhunderts gilt, hat er vermutlich nie praktisch an der Errichtung der zahlreichen im Achtzigjährigen Krieg entstandenen Festungsanlagen mitgewirkt. Seine Popularität dürfte zum einen auf sein Sterktenbouwing zurückzuführen sein, das vielfach wiederaufgelegt wurde und insbesondere dank der niederländischen Sprache eine breite Rezeption erfahren hatte; zum anderen dürfgend für die Forschung war der frühe Beitrag von Eduard Jan Dijksterhuis: Simon Stevin. Den Haag 1943. Neue Forschung bietet der Ausstellungskatalog: Simon Stevin. De geboorte van de nieuwe wetenschap. Hg. von der Koninklijke Bibliotheek van Belgie. Turnhout 2004; siehe außerdem Dirk Jan Struik: The Land of Stevin and Huygens. A Sketch of Science and Technology in the Dutch Republic during the Golden Age. Dordrecht 1981, S. 52–60 sowie Heidi de Mare: Huiselijke taferelen. De veranderende rol van het beeld in de Gouden Eeuw. Nijmegen 2012, S. 65–68 und 253–331.

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te der intensive Kontakt zu Moritz seine Bekanntheit zusätzlich gesteigert haben.3⁰⁹ Ausführender Ingenieur für die Anlagen der niederländischen Manier war häufig Adriaen Anthonisz, der auch bei der Befestigung von Willemstad mitgewirkt haben soll.31⁰ Anthonisz war an zahlreichen weiteren Festungsbauten im ausgehenden 16. Jahrhundert in den Niederlanden beteiligt, etwa Alkmaar, Utrecht, Amsterdam und Woudrichem.311 Am eindrucksvollsten dürfte jedoch Anthonisz’ Planung für Coevorden sein, die er 1580 erstellte und die mit ihrem siebenseitigen perfekt-symmetrischen Grundriss eine Weiterentwicklung der Befestigung Willemstads darstellte.312 Diese wurde jedoch zunächst nicht ausgeführt; als die Spanier Coevorden im selben Jahr eroberten, entschieden sie sich für eine fünfseitige Befestigungsanlage, vergleichbar mit der Antwerpener Zitadelle. Erst nachdem die nördlichen Provinzen 1592 die Stadt erobert hatten, die hierbei stark zerstört worden war, wurde auf Anthonisz’ Plan zurückgegriffen und Coevorden mit siebenzackigem Grundriss neu aufgebaut.313 Die altniederländische Manier, die eine moderne Alternative zu italienischen Festungsanlagen darstellte, wurde aber auch außerhalb der Niederlande rezipiert. In der Regel wurden niederländische Festungsbauingenieure verpflichtet, um nordalpine Städte entsprechend dieser Manier zu verstärken. Etwa wurde Johan van Valckenburgh (ca. 1575–1625), der 1606 im Dienst Moritz von Oranien gestanden hatte, mit der Ausweitung der Hamburger Befestigung (1616–1628) beauftragt.31⁴ Barthel Janson wurde kurz nach 1600 von Kurfürst Friedrich IV. mit der Befestigung des reformierten Mannheims betraut und auch die Neustadt Hanaus, die als Exilstadt für reformierte Flüchtlinge gegründet wurde, wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach altniederländischer Manier durch Nicolas Gillet befestigt.31⁵ Abgelöst wurde die altniederländische Manier durch die sogenannte niederländische Manier, die der friesische General und Festungsbaumeister Menno van Coehoorn (1641–1704) als Weiterentwicklung einführte.31⁶ 309 Stevin war als Privatdozent für Moritz tätig; in seiner Schrift Wisconstighe Ghedachtenissen. Leiden 1608, fasste er das vermittelte Wissen zusammen und widmete das Buch an Moritz. 310 Elwin Alexander Koster: Stadsmorfologie. een proeve van vormgericht onderzoek ten behoeve van stedenbouwhistorisch onderzoek. Groningen 2001 (unver. Diss.), S. 217f. Andriaen Anthonisz ist der Vater des wesentlich berühmteren Mathematikers und Landmessers Adriaan Metius (1571–1635), der ebenso Traktate zum Festungsbau publizierte, vgl. Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek. Bd. 1. Hg. von Philipp Christiaan Molhuysen u. a. Leiden 1911, Sp. 156– 159 sowie Sp. 1325–1327. 311 Noortje de Roy van Zuydewijn: Adriaan Anthonisz. De man van de praktijk. In: Vesting. Vier eeuwen vestingbouw in Nederland. Hg. von der Stichting Menno van Coehoorn. Den Haag 1982, S. 18–22. 312 Koster 2001 (Anm. 310), S. 217. 313 Ebd. 314 Auch für andere Städte in Norddeutschland war er als Festungsingenieur tätig, so für Lüneburg, Bremen, Lübeck, Rostock und Emden; vgl. Karl-Klaus Weber: Johan van Valckenburgh. Das Wirken des niederländischen Festungsbaumeisters in Deutschland 1609–1625. Köln u. a. 1995. 315 Heinrich Bott: Die Gründung der Neustadt Hanau, 1596–1620. Bd. 1. Marburg 1970, S. 128. 316 Coehoorn war ein Zeitgenosse des berühmten Sébastien Le Prestre de Vauban, der sich für zahlreiche Festungsbauten in Frankreich verantwortlich zeigte. Zu Coehoorn vgl. die umfangreichen Publikationen der niederländischen Stiftung Stichting Menno van Coehoorn (coehoorn.nl).

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Festzuhalten ist, dass durch die Begrifflichkeiten der niederländischen Manieren die Befestigungssysteme mit der niederländischen Republik assoziiert wurden, obwohl diese auch beispielsweise in deutschsprachigen Gebieten umgesetzt wurden und schließlich maßgeblich durch den Straßburger Daniel Specklin und den ursprünglich aus Polen stammenden Adam Freitag angestoßen worden waren. Befestigung Willemstads: Zwei Skizzen

Wie viele Befestigungsanlagen in den Niederlanden, die während des Achtzigjährigen Krieges errichtet wurden, wurde auch die Anlage in Willemstad im Laufe des 17. Jahrhunderts auf der Basis neuerer technischer Erkenntnisse angepasst und erweitert.31⁷ Während der französischen Besatzung im 18. Jahrhundert veränderte man die Anlagen erneut und an der Wende zum 20. Jahrhundert wurden viele Befestigungen gänzlich geschliffen. Auch in Willemstad wurden während der letzten vier Jahrhunderte zahlreiche Veränderungen vorgenommen, wenngleich sich die grundsätzliche Struktur der Anlage erhalten hat und zumindest die Ausdehnung der Befestigung mit der frühneuzeitlichen korrespondiert. Im Gemeindearchiv Domein Nassau sind zwei Skizzen erhalten, die den Prozess der Planung zur Befestigung Willemstads dokumentieren.31⁸ Sie müssen vor Juli 1583 entstanden sein, da Wilhelm von Oranien sich auf diese Entwürfe bezog, als er den Festungsingenieur Abraham Andries zu diesem Zeitpunkt beauftragte, »sich bei erster Gelegenheit nach Ruigenhil zu begeben und damit zu beginnen, das Fort abzustecken, wie es hier entworfen ist«.31⁹ Die erste Zeichnung (Abb. 30) zeigt einen Plan, der sich durch eine strikt symmetrische Konstruktion auszeichnet. Die Skizze ist östlich orientiert, sodass die Wasserlinie rechts im Bild liegt. Die Befestigungsanlage zeichnet sich durch eine Polygonalform aus, die vom Kreis entwickelt ist. Mit dem Kirchplatz als Mittelpunkt ist eine annähernd runde Befestigung aufgerissen, die durch acht Bastionen gesichert ist.32⁰ Diese liegen innerhalb des Deiches und werden durch zwei Festungsbauwerke im Hafenbereich ergänzt. Die Skizze lässt gut erkennen, dass die Bastionen des Hauptwalls durch Kurtinen miteinander verbunden sind. Vorgelagert findet sich ein Wassergraben, der entlang der Bastionen sternförmig verläuft und von einem Glacis umschlossen wird. Die Fortifikation Willemstads ist so geplant, 317 Zur Befestigung von Willemstad siehe auch: W. A. van Ham: De stelling of positie van Willemstad. In: Atlas van historische vestingwerken in Nederland. Bd. Noord-Brabant. Hg. von der Stichting Menno van Coehoorn. Zutphen 1996, S. 89–96 sowie Toon Lauwen: De Vesting Willemstad als rationeel stadsontwerp. In: Nederland als kunstwerk. Vijf eeuwen bouwen door ingenieurs. Hg. von dems. Rotterdam 1995, S. 25–26, 29–30, 33–34. 318 National-Archiv Den Haag, Inventar-Nr. 1.08.11-13016. 319 »zich vertrouwende in de vernunftheyd van Abraham Andries ingeniaire dezelve gecommitteert (…) ter ierster gelegentheyt sich te bevinden in den Ruygenhil ende aldaer de hant te slaen aan het beginnen ende affsteken van dit jegenwoordich fort soe tselve alhier beworpen is.« Zitiert nach van Nispen 1983 (Anm. 271), S. 25–27. 320 Eine Anmerkung auf der Skizze lautet: »daer souden hebben geweest acht bolwercken binnen ’s dycx«.

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dass eine Erweiterung der vorhandenen Stadt landeinwärts angedacht ist, um den bestehenden Ort in ein städtebauliches Schema einzufassen, das sich durch einen symmetrischen Grundriss auszeichnet. Die Grundanlage bezieht sich auf den quadratischen Kirchplatz als Stadtmittelpunkt, wodurch in einer kartografischen Ansicht der Eindruck einer Planstadt forciert werden konnte. Hierzu trägt auch der gleichmäßige Abschluss nach außen mittels des sternförmigen Grabens bei. Eine zweite Skizze zeigt die nächste Planungsstufe der Fortifikation (Abb. 31). Im ersten Entwurf hatte sich der Umriss der Stadtviertel an eine Rundform angenähert; bei der zweiten Skizze ist stattdessen ein rechteckiger Block in Stadtraum eingezogen. Zudem wird eine äußerst markante Umrisslinie erreicht, die sich betont von italienischen rund konzipierten Idealstädten und Stadtentwürfen abgrenzt.321 Infolgedessen wurde nicht nur die Anzahl der innerhalb des Deichs liegenden Bastionen von acht auf fünf reduziert, auch die Gesamtausdehnung scheint gegenüber dem ersten Plan zurückgenommen zu sein. Der Zweck der Skizze war insgesamt offenbar vor allem die genaue Bemessung der Maße und Kosten der Fortifikation. Zahlreiche Annotationen entlang der Außenlinien und lose auf dem Blatt verteilte Berechnungen zeugen von der genauen Kalkulation, die am Entwurf vorgenommen wurde. Mit der Entscheidung für einen siebenzackigen sternförmigen Grundriss und gegen eine am Kreisrund orientierte Polygonalstruktur wurde mit Willemstad ein Novum im Städtebau realisiert. Der benachbarte Ort Klundert (Abb. 26), der wenige Jahre zuvor bereits befestigt worden war, zeichnet sich durch eine ähnliche Art der Fortifikation aus, liegt aber in der ästhetischen Gesamterscheinung des Grundrisses, der sich in kartografischen Darstellungen offenbart, weit zurück. Eine vergleichende Ansicht der kurz zuvor befestigten Stadt mit Willemstad verdeutlicht, dass der Anspruch hier gewesen sein musste, nicht nur eine optimale Verteidigung zu erzielen, sondern darüberhinaus eine Stadtstruktur zu entwickeln, die sich von bestehenden Befestigungen abhebt und mittels ihrer symmetrischen Anlage einen Wiedererkennungswert schafft. Ein Interesse daran, Willemstad gegenüber anderen Fortifikationen auch in seiner ästhetischen Erscheinung hervorzuheben, dürfte mit dessen Bedeutung für den Statthalter Wilhelm von Oranien begründet sein. Gerade der prägnante Grundriss führte zu einer Sichtbarkeit im Medium der Kartografie, deren Bedeutung gestiegen war. Zudem war der Ort nicht nur wegen seiner strategisch günstigen Lage an der Schelde militärisch relevant, sondern Wilhelm und seiner Familie persönlich als Besitz zugesprochen worden. Diese persönliche Beziehung hatte sich bereits in der Umbenennung von Ruigenhil in Willemstad gezeigt. Die Assoziation an Wilhelm im Stadtnamen zeugt von einem gesteigerten Interesse an der Entwicklung einer auch symbolisch wirksamen Festungsstadt. Mit dem Wissen um die im 16. Jahrhundert ubiquitäre Verbreitung kartografischer Stadtdarstellungen 321 Wie etwa dem 1593 gegründeten Palmanova, vgl. Pollak 2010 (Anm. 287), S. 156–163.

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muss es Wilhelm ein besonderes Interesse gewesen sein, der Stadt, die seinen Namen trägt, eine unverwechselbare Grundrissstruktur zu verleihen. Auf der Karte, die Blaeu 1649 publizierte, wird sichtbar, wie die geplante Befestigung in den darauffolgenden Jahren modifiziert und noch symmetrischer wurde. Alle Wälle und Bastionen waren zunächst aus Erde aufgebaut worden, mit Ausnahme der beiden aus Stein errichteten Werke am Hafen. Diese wurden zwischen 1602 und 1603 durch zwei große Bastionen ersetzt, wobei man den Festungsgraben hier durchzog und weiterführte; ab diesem Zeitpunkt erscheint Willemstad deutlich als siebenzackiger Stern im Grundriss.322 Entworfen wurden die zwei neuen Bastionen von Johan van Rijswijk, wodurch der Hafen den Charakter eines Binnenhafens erhielt.323 Entgegen den bestehenden Bastionen, die über zurückgezogene Flanken verfügten und dadurch Orillons ausbildeten, wurden diese neuen mit geraden Flanken errichtet. Dass die Karte Willemstads, die 1649 bei Blaeu abgedruckt ist (Abb. 22), alle Bastionen mit geraden Flanken zeigt, ist daher verwunderlich (die übrigen Bastionen wurden erst im 19. Jahrhundert angepasst).32⁴ Es lässt sich vermuten, dass die zurückgezogenen Flanken in der Grafik entweder aus Unkenntnis getilgt wurden, oder aber, weil die Anlage dadurch insgesamt stimmiger und vor allem ›niederländischer‹ aussah, waren doch die Orillons eigentlich Merkmal einer italienischen Manier. Zwischen 1624–1627 legte man außerdem vor dem Landport an der Ostseite einen Ravelin an und um die gesamte Festung eine Enveloppe mit Außengracht. Zudem wurden die Bastionen im Laufe des 17. Jahrhunderts nach den niederländischen Provinzen benannt, womit der Festungsanlage Willemstad den Charakter eines pars pro toto für die Niederländische Republik erhielt. 2.2.3 Innere Struktur und Landschaftliche Einbettung

Die beiden raschen Skizzen zur Fortifikation Willemstads veranschaulichen, dass eine Befestigung in altniederländischer Manier vorgesehen war und der zunächst am Kreisrund orientierte Grundriss der neuen Stadtanlage zugunsten eines siebenseitigen sternförmigen Plans modifiziert wurde. Die faktische Umsetzung dieser Idealanlage wird in einer kartografischen Darstellung inszeniert, die der Landmesser Simon Damass van Dueren 1586 anfertige. Die 90x76 cm große Karte ist im Querformat angelegt und das Pergament ist mit brauner, grüner, roter und blauer Farbe laviert (Abb. 37).32⁵ Der Stadtplan gibt Willemstad frühneuzeitlichen Konventionen entsprechend in geosteter Perspektive wieder, wie ein Kompass in der rechten unteren Bildecke anzeigt. Oben in der Mitte des Blattes beurkundet der Landmesser seine Karte als Dokument (Abb. 46a): »Gront caerte van Willems_stadt / gheleghen inden ruyghen hil met haer ryvier 322 Lauwen 1995 (Anm. 317), S. 33. 323 Van Nispen 1983 (Anm. 271), S. 57–59. 324 Ebd., S. 76f. 325 Simon Damass van Dueren, Grundriss von Willemstad, 1586, farbige Zeichnung auf Pergament, 90 x 76 cm, Den Bosch, Brabants Historisch Informatie Centrum (BHIC).

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ende hauen straten grachten / boltewercken ende catten alsulcx die in haer platte forme geleghen is. / aldus gedaen deur comissie vanden tresaurier van synder genaden Graeff / Mauritz van Naßauwen. By myn Symon Damaß van dueren ghesworen / landmeter. Actum den 6 Janewario 1586 stilo novo.«32⁶ Die mathematische Korrektheit der Darstellung wird durch einen Zirkel links unten im Bild markiert: »Dese passer staet op 50 roeden van stip tot stip een roede«.32⁷ Die Karte von Damass besticht durch ihre Größe und Detailgenauigkeit. Durch einen relativ geringen Bildausschnitt gelingt es, den Blick der Betrachtenden nah an die in Militärperspektive wiedergegebene Stadtansicht zu ›zoomen‹. Das in rechten Winkeln gerasterte Straßennetz ist an einer breiteren Hauptstraße orientiert, die vom Hafen aus quer bis zum Ende des Ortes läuft. Rechts und links hiervon führen Querstraßen ab, sodass längsrechteckige Grundstücke ausgebildet werden. Einige dieser Grundstücke sind rot eingefärbt, andere sind mit den Namen der Besitzer inschriftlich kenntlich gemacht. Entlang der Hauptstraße, und an einigen weiteren, sind kleine Häuser in die Darstellung integriert. Vom Hafen kommend, führt die Hauptstraße zu einem quadratischen Platz, der in vier gleich große begrünte Flächen gegliedert ist und in dessen Mitte ein imposanter Sakralbau steht. Was es mit dessen Darstellung auf sich hat, wird an späterer Stelle noch zu diskutieren sein. Vorerst kann festgehalten werden, dass es sich bei dem Kirchenbau um eine Invention des Zeichners handelt. Als der Stadtplan angefertigt wurde, existierte an dieser Stelle noch keine Kirche.32⁸ Einige Grundstücke im Osten sind offensichtlich noch nicht vergeben. Im Westen schließen sich begrünte Flächen an, die möglicherweise für landwirtschaftliche Zwecke oder aber für eine spätere Bebauung vorgesehen sind. Umgeben ist das Straßengitter von einem Netz aus Wasserstraßen, Grachten, die Süßwasser führen und die Verlandung der Düne stabilisieren. Ein besonderes Augenmerk der kartografischen Darstellung liegt in der minutiösen Wiedergabe der Befestigungsanlage. Die Wälle und Mauern, die sowohl die Stadt schützen als auch Wasser und Land voneinander scheiden, sind detailliert in perspektivischer Verkürzung gezeigt. Handschriftliche Annotationen benennen die einzelnen Bauelemente wie die Bollwerke, Schleuse, den Ausguck, den Houwer (das Wasserrückhaltebecken am Hafen), die Palisaden und die Landbrücke. Trotz dieser zeichnerischen Aufmerksamkeit für die fortifikatorischen Elemente, erweckt die Karte nicht den Eindruck einer militärischen, sondern einer lebendigen Stadt. Neben der Darstellung des imposanten Sakralbaus tragen eine ganze Reihe kleiner Details zu diesem Eindruck bei. Aus nahezu allen Schornsteinen der Häuser steigen kleine Rauchwolken aus, auf der Hauptstraße befinden sich 326 »Stadtplan von Willems-stadt, im Ruigenhil gelegen mit seiner Ausdehnung und dem Hafen, den Straßen und Grachten, Verteidigungswerken und Katten so wie sie in dem Grundriss liegen. So umgesetzt durch die Kommission des Schatzmeisters von gnädigem Graf Mauritz van Nassau. Von mir, Simon Damass van Dueren, vereidigter Landmesser, 6. Januar 1586 stilo novo [gregorianischer Kalender; J.L.]«. 327 »Dieser Zirkel steht auf 50 Ruten von Punkt zu Punkt eine Rute«. 328 Erst zehn Jahr später wurde hier mit dem Bau einer Kirche begonnen, siehe Kap. 3.

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mehrere Figuren, die um zwei Tische herum gruppiert sind und einige Schiffe, die sich dem Hafen nähern, feuern bei ihrer Ankunft Salven ab. Landschaft/Topografie

Die Karte von Damass zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwischen verschiedenen Bildtypen changiert.32⁹ Es handelt sich weder um ein Historiengemälde oder eine Landschaftsdarstellung noch um eine typische kartografische Darstellung oder ein juristisches Dokument. Gegen ein Gemälde sprechen sowohl der Farbauftrag als auch der Charakter eines Dokuments, der etwa durch die Annotation des Verfassers evoziert wird. Für ein juristisches Dokument ist die Karte hingegen partiell zu malerisch bei gleichzeitiger Vernachlässigung notarieller Angaben. Am ehesten handelt es sich um eine kartografische Darstellung, obwohl kaum ein topografischer Kontext kreiert wurde, innerhalb dessen Willemstad landschaftlich eingebettet ist. Die Stadt steht vielmehr für sich und wird nicht als Teil eines größeren politischen Raumes vorgestellt, ihre Lage innerhalb der Niederlande bleibt weitestgehend unklar.33⁰ Signifikant ist nun, wie es in der Darstellung gelingt, Willemstad trotzdem konkrete landschaftliche Merkmale zuzuordnen, die in ihrer Gesamtheit die Assoziation einer spezifisch nordniederländischen Stadt erwecken. Die folgende Analyse konzentriert sich auf den Grund, auf dem Willemstad gebaut ist und den Bildhintergrund, vor dem der Ort auf der Karte erscheint. Das Besondere an der Stadt ist, dass sie genau an der Scheide zwischen Land und Wasser liegt und gewissermaßen aus beidem hervorgegangen ist. Denn erst die Einpolderung der Düne an der Schelde hatte es möglich gemacht, hier fruchtbares und bebaubares Land zu erhalten und die beiden Elemente, auf deren Existenz Willemstad gründet – Wasser und Land – sind ebenfalls konstitutiv für das Erscheinungsbild der Karte. Das zurückgedrängte Wasser nimmt als blau lavierte Fläche das linke Drittel des Bildes ein. Der Darstellung des Wassers ist auf der Karte ebenso viel Platz vorbehalten wie der Stadtdarstellung; durch dieses Gleichgewicht kommt die unmittelbare Verbundenheit des Ortes mit der See zum Ausdruck. Zudem liegt die Stadt nicht nur am Wasser, es umschließt sie auch vollständig und kleine wasserführende Grachten durchziehen sie. Das komplexe System aus Gräben, Grachten, Schleusen und Tideausgleichsbecken führt vor Augen, wie Willemstad eine Beziehung mit der See eingegangen ist. Wasser und Stadt stehen sich nicht einander gegenüber, sie durchdringen sich gegenseitig. So wie die Gräben in die Stadt hineinragen, so reichen die Hafenbauten in die Wasserfläche hinaus. Dass in dieser Zusammenkunft das Wasser nicht als Bedrohung, sondern als beherrschbarer beziehungsweise beherrschter Lebensraum erscheint, sichert 329 Vgl. Hilliges 2009 (Anm. 296) sowie Leisse 2009 (Anm. 291). 330 Mit Ausnahme der Formulierung »gheleghen inden ruyghen hil« in der Annotation von Damass, die jedoch die Kenntnis des Gebietes Ruigenhil voraussetzt.

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Abb. 37: Simon Damass van Dueren, Grundriss von Willemstad, 1586, farbige Zeichnung auf Pergament, 90 x 76 cm, Den Bosch, Brabants Historisch Informatie Centrum (BHIC).

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ein komplexes System von Wasserbauten ab. Und selbst dort, wo das Wasser der Stadt gegenübersteht, erscheint es nicht als unbezähmbare Naturgewalt, wie die Vielzahl größerer und kleinerer Segler unter Beweis stellt. Der blauen großen Wasserfläche steht auf der anderen Seite der Karte ein erstaunliches Nichts gegenüber. Der Wassergraben, der die Stadt nach oben, unten und zur rechten Bildseite umfasst, wird von einem Wall mit vorgelagertem Kanal begrenzt und dieser stößt an die leere Bildfläche. Hier finden sich noch die Bildinschrift von Damass und ein Kompass, und daneben eine große Leere. Interessanterweise wirkt die unbemalte Bildfläche jedoch gar nicht als sei sie offen oder unbestimmt. Durch ihr Zusammentreffen mit der Wasserfläche gewinnt sie an bildlicher Qualität, weil sie in gewissem Sinne das verkörpert, was der durch sie repräsentierte Landschaftsraum tatsächlich war: Eine unbestimmte Freifläche, ein Potential, ein ›Nullland‹, das gerade erst geschaffen war, indem es als Polder quasi aus dem Nichts entstanden und noch völlig undeterminiert war. Von diesem Nichts hebt sich Willemstad nun ab, als sei es gerade erst aus ihm hervorgegangen. Die Freifläche lässt sich daher leicht mit einer sandigen Düne übersetzen, mit deren Farbigkeit sie konvergiert. Dass Willemstad auf ehemals sandigen Dünengebieten errichtet wurde, war eine stolze Eroberung eines neuen Lebensraumes, was mit Hilfe der Darstellung vor Augen geführt wird. Durch die Fortschritte der niederländischen Ingenieurstechniken im Poldern konnten neue Lebensräume besetzt werden. Dieses Beherrschen von sandigen Dünengebieten kommt in Damass’ Karte klar zur Anschauung: zum einen durch die Nennung im Textfeld, gorzigen Ruigenhil, also verlandete Schilf-Düne, noch wesentlicher aber durch die detaillierte Darstellung des Wassers im linken Drittel des Blattes und seiner Beherrschbarkeit durch Schiff und besonders durch bauliche Maßnahmen. Durch die ausgehobenen Grachten und die Tidebecken wurde das wilde Meer beherrschbar gemacht. Dass die Dünenlandschaften in bildlichen Medien der Frühen Neuzeit für die Niederländer identifikationsstiftend wirksam wurden, hat Tanja Michalsky anhand von Landschaftsbildern der Zeit dargelegt. So analysierte sie, wie etwa die Grafiken Claes Jansz. Visschers oder die Gemälde Jan van Goyens die Düne zum Identitätsgenerator der niederländischen Identität erhoben:331 Michalsky hebt hervor, dass nicht das bloße Vorhandensein von Dünen diese Landschaften zu niederländischen Landschaften machen. Vielmehr ist es die visualisierte aktive Nutzung, das in-Beziehung-treten zu den natürlichen Besonderheiten und schließlich das ostentative Erfreuen daran.332 Sie pointiert: Mein Argument geht dahin, daß ein Bildvokabular […] zugunsten einer Verbindung von Land und holländischer Nation umgedeutet werden konnte, und daß dabei die ästhetische Involvierung der Betrachter eine maßgebliche Funktion übernahm. Nicht die Beschreibung 331 Jan Claesz. Visscher: Plaijsante plaets aede duy kant, Radierung, ca. 1610, 10,3 x 15,7 cm, London, British Museum sowie Jan van Goyen: Dünenlandschaft, Öl/Holz, 1632, 32,5 x 54,5 cm, Leiden, Stedelijk Museum De Lakenhal; Vgl. Michalsky 2011 (Anm. 245). 332 Michalsky 2004 (Anm. 268), S. 349.

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des Landes war der ausschlaggebende Faktor, sondern die Teilhabe an seiner Formierung – die Teilhabe an seinem Bild.333

Noch einen Schritt weiter geht Miriam Volmert. Sie hat eingehend untersucht, wie die Düne im Kollektivgedächtnis der frühneuzeitlichen Niederlande neben einer kulturell identitätsstiftenden auch eine politische Bedeutung gewann.33⁴ Volmert stützt sich in ihrer Analyse auf die breit rezipierten kulturwissenschaftlichen Studien von Simon Schama und Ann Jensen Adams zu niederländischen Landschaftsbildern.33⁵ Deren grundsätzliche These lautete, dass die tonalen farbreduzierten Gemälde keine neutrale Abbildung des Landes darstellen, sondern dieses vielmehr ideell mitbildeten. Adams hatte Schamas These dahingehend erweitert, dass sie betonte, dass die eingepolderten Landschaften in den Gemälden selbst gar nicht gezeigt und hierdurch die künstlich gewonnene Landschaft naturalisiert würde und als freie Projektionsfläche für alle gesellschaftlichen Schichten dienen konnte; auch jenen, die am wirtschaftlichen Gewinn durch die Einpolderung nicht beteiligt waren.33⁶ Die daraus resultierende These fasst Volmert zusammen: Sie zeigen ausgedehnte, sandige Ebenen mit wenigen Bäumen, alten Häusern oder Zäunen und vereinzelten Menschen, die zusammenstehen und auf das Land schauen oder sich auf weiten Strecken fortbewegen. Gerade diese neuartige Nähe des »Unspektakulären«, die Schama als »plotless place« bezeichnet, erzeuge die Projektion eines eigenen Landes, einer Einheit von Land und Mensch. Diese Einheit sieht Schama als Schnittfläche eines Diskurses um »Landgewinnung«: Die politische Landgewinnung – durch die Unabhängigkeit von Spanien – und die wirtschaftlich-geographische Landgewinnung – durch umfangreiche Entwässerungsmaßnahmen – gehen seiner These zufolge in der »künstlerischen Landgewinnung« der Malerei in einer sinnstiftenden Verbindung auf.33⁷

Volmert greift nun dieses Modell der geschichteten Niederlande auf und präzisiert die Rolle, die der Düne als genuin niederländischem Landschaftselement dabei zukommt. In der ausgedehnten Sandigkeit der Düne sei die Idee des eigenen Landes verkörpert.33⁸ Die Düne bildete das Fundament, auf welchem das Land aufgeschichtet wurde; sie fungierte als patriotisch überhöhte Grenze, die 333 Ebd. 334 Volmert 2013 (Anm. 32). 335 Miriam Volmert: Garten und Grenze. Konstruktionen holländischer Identität in Dünenlandschaften des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Im Dienst der Nation. Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst. Hg. von Matthias Krüger, Isabella Woldt. Berlin 2011(Mnemosyne 2), S. 325–344 mit Bezug auf Simon Schama: Dutch Culture as Foreground. In: Kat. Ausstell. Masters of 17th-century Dutch Landscape Painting. Amsterdam Rijksmuseum. Hg. von Peter C. Sutton. Boston u. a. 1987, S. 64–83 und Ann Jensen Adams: Competing Communities in the ›Great Bog of Europe‹. Identity and Seventeenth-Century Dutch Landscape. In: Landscape and Power. Hg. von William John Thomas Mitchell. Chicago u. a. 1994, S. 35–76. 336 Ebd., S. 51. 337 Volmert 2011. (Anm. 335), S. 328. 338 Ebd.

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gleichzeitig Ausblick über das Land bot und ein Teil davon war.33⁹ Die vorliegende nordbrabantische Karte lässt sich hier unmittelbar einreihen. Der identitätsstiftende Mechanismus der Landgewinnung wird in der Karte sichtbar. Das Bezwingen des Wassers und das Erobern und Beherrschen dieses neuen Lebensraums kann als konstitutiv für die niederländische reformierte Identitätskonstruktion festgehalten werden. Ist die Düne ohnehin schon immer grundlegend für das niederländische Selbstverständnis gewesen, wurde sie es nun umso mehr, als sie auch befestigt und landwirtschaftlich nutzbar gemacht werden konnte. Ästhetische Binnenstruktur

Willemstad ist keine organisch gewachsene, ›chaotische‹ Stadt, sondern die Straßenzüge sind in einer Gitterstruktur angeordnet und die Wasserwege sind kanalisiert. Die Gliederung einer Stadt in dieses orthogonale Straßennetz wird auch Schachbrettmuster genannt und findet sich neben dem Radialschema, bei dem die Straßenläufe um einen Stadtmittelpunkt radial angeordnet sind, als ein in den Städtebautraktaten empfohlenes Arrangement.3⁴⁰ In orthogonal angelegten Straßenläufen wie in Willemstad befindet sich häufig im Stadtzentrum ein Platz. Dieser kann verschiedene Funktionen erfüllen; in Willemstad wurde an der von vornherein festgelegten Nutzung als Kirchenplatz festgehalten (vgl. Abb. 29– 31 und 37). 3⁴1 Wie aus der Karte von Jan Symonsz (Abb. 29) hervorgeht, ist das Schachbrettmuster eine Konsequenz aus dem zuvor angelegten Voorstraatdorp beziehungsweise Ringdorp und nicht Bestandteil einer Idealstadtplanung. Dennoch erhält der Grundriss der Stadt gerade diesen Charakter durch die Befestigungsmauer, weil er nun mit solchen idealen Stadtgrundrissen korreliert. Die Bevorzugung, eine Stadt im Schachbrettmuster oder im Radialschema zu planen, lässt sich auf keine bestimmte Typologie zurückführen; im 15. und 16. Jahrhundert bevorzugten die Verfasser der Festungsbautraktate aus verschiedenen Gründen das eine oder andere System.3⁴2 Ergibt sich also aus der Kunstliteratur für die Anlage von Willemstad keine eindeutige semantische Konnotation der ästhetischen städtebaulichen Erscheinung, so verhält es sich anders bezüglich dessen Rezeption, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Die Karte bei Blaeu (Abb. 22) hatte einen ersten Hinweis darauf gegeben, dass Willemstad 339 Ebd., S. 338. 340 Bürger 2013 (Anm. 297), S. 191–194. 341 Zur Funktion des mittleren Platzes in einer Festungsanlage siehe Judith Schlereth: Von der place d’armes zur Place Royale. In: Festungsbau. Geometrie, Technologie, Sublimierung. Hg. von Bettina Marten, Ulrich Reinisch, Michael Korey. Berlin 2012, S. 314–325; einen präzisen Überblick über Fragen der Platzforschung bietet Cornelia Jöchner: Plätze als städtische Räume. Die kunsthistorische Forschungsliteratur. Florenz 2008, online-Ressource http://archiv.ub. uni-heidelberg.de/artdok/409/1/Joechner_Piazza_2008.pdf (06.10.2020). 342 Pietro Cataneo (1510–1574) etwa sprach sich früh für ein orthogonales Schema aus, Daniel Specklin (1536–1589) hingegen präferierte ein radiales System. Eine regionale oder zeitliche Präferenz für das ein oder andere lässt sich nicht konstatieren, vgl. Bürger 2013 (Anm. 297), S. 191–194.

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Abb. 38: Simon Stevin, Illustration in: Materiae Politicae, Burgherlicke Stoffen, hrsg. von Hendrick Stevin, Leiden 1649.

im 17. Jahrhundert als planvoll angelegte Idealstadt angesehen wurde. Mit dazu beigetragen haben dürfte eine konsequente Aufwertung der städtebaulichen Schachbrettanlage durch Simon Stevin. Der oben bereits als Festungsingenieur vorgestellte Stevin befasste sich in einer anderen Schrift intensiv mit der Ordnung einer Stadt und ihrer idealen Anlage. Stellte sein Traktat Stercktenbouwing vor allem ein Lehrbuch zur Stadtbefestigung und deren konkrete Berechnung und Umsetzung dar, ging es ihm in seinem Ordeningh der Steden (ca. 1600) um seine grundsätzliche Idealvorstellung einer Stadt.3⁴3 Eine hierin eingefügte Zeichnung veranschaulicht seine Ausführungen (Abb. 38).3⁴⁴ Stevin sah – entgegen der gängigen Lehrmeinung eines polygonalen Grundrisses – einen rechteckigen Stadtplan vor, der durch Bastionen verteidigt wird. Die rechteckige Anlage resultierte aus Stevins Vorstellung einer idealen Binnengliederung. Diese Überlegung ist entscheidend. Laut Stevin folgt die Form der Stadt ihrer inneren logischen Struktur und diese zeichnet sich durch eine starke Symmetrie aus. Im Gegensatz zu Idealstädten der Renaissance und den von Alberti empfohlenen gebogenen Straßenläufen, wird hier eine städtebauliche Ästhetik bevorzugt, die ein orthogonales Straßennetz vorsieht.3⁴⁵ Die Stadt wird horizontal durch drei parallel verlaufende Grachten gegliedert, zwischen denen jeweils drei Häuserblöcke liegen. Die Grachten sollen dazu dienen, die Abwässer aus der Stadt zu transportieren sowie neue Güter in sie hinein343 Diese Schrift wurde jedoch erst 1649 posthum in Materiae Politicae, Burgherlicke Stoffen durch seinen Sohn Hendrick in Leiden publiziert. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist für vorliegende Untersuchung jedoch zu vernachlässigen, da Stevin in seinen Schriften ohnehin wenig neue Impulse bot und stattdessen den wissenschaftlichen Kenntnisstand seiner Zeit auf den Punkt brachte. 344 Ebd., sine pagina. 345 Neuber 2003 (Anm. 259), S. 5f.

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zuführen. Somit stellt das Netz aus Kanälen für Stevin ein Ordnungssystem dar, das einen kontrollierten Übergang zwischen Innen und Außen garantiert. Einerseits fungieren die Wasserstraßen als inneres Ordnungssystem, das die Stadt in vier gleich breite Bereiche scheidet, gleichzeitig sind sie mit dem die Stadt umgebenden und begrenzenden Wassergraben verbunden. Eine vertikale Achse bildet ein zweites symmetrisches Gliederungselement. Auf der mittleren Achse befinden sich an den Außenseiten der Fürstliche Hof sowie die Hochschule und ein Armenhaus; zur Mitte sind zwei Plätze angelegt, die das Stadtzentrum markieren. Der eine dient als Marktplatz, der andere als Börse. Hier stehen außerdem die Hauptkirche und das Rathaus sowie weitere Einrichtungen. Insgesamt wird die Gliederung der Grachten und Straßen durch eine mathematische Grundeinheit getragen, die den Ausgangspunkt jeglicher Planung darstellt: Der Häuserblock. Stevins Idealstadt wird durch 12 mal 20 Häuserblöcke strukturiert, die die Vorgabe auch für die Größe des Hofes (12 Blöcke), des Marktes (2 Blöcke) oder der Kirche (ebenfalls 2 Blöcke) vorgeben. Ein Blick auf die Gestaltung des Umlandes der Stadt zeigt, dass diese Grundeinheit Stevin auch zur Gliederung der außer-städtischen Gebiete dient. Die Durchstrukturierung seiner gesamten städtebaulichen Idealanlage nach diesem mathematischen Prinzip der konstanten Grundeinheit veranschaulicht Stevins genuines Interesse an ordnender Struktur und mathematischer Berechnung. Wie Heidi de Mare herausgestellt hat, ging es Stevin entgegen dem Denken von Mittelalter und Renaissance in seiner städtebaulichen Konstruktion nicht um die weltliche Widerspiegelung einer kosmologischen Ordnung, sondern um die mathematische Interpretation der sichtbaren Welt.3⁴⁶ Dies resultierte bei ihm auch aus einem pragmatischen Grund. Immer wieder hatte ihn die Frage beschäftigt, wie man die Niederlande vor Hochwasser schützen und feste kontrollierbare Grenzen zwischen Wasser und Land gewährleisten konnte.3⁴⁷ Sein städtebaulicher Idealplan ist die Konsequenz aus diesem Interesse, verdeutlicht er doch durch das orthogonale Straßennetz und das kanalisierte Wassersystem die menschliche Beherrschbarkeit der weltlichen Ordnung mittels ingenieurs-technischer Leistung und mathematischer Berechnung. Ein Blick zurück auf den Grundriss Willemstads veranschaulicht, wie sehr die Stadt Stevins Idealtypus entsprochen haben dürfte. Die Stadt ist nach außen mit Bastionen fortifiziert und wird von einem Wassergraben umgeben. Ein Schleusensystem reguliert das einströmende und ausströmende Wasser und versorgt ein Grachtensystem, das die Stadt durchzieht. Die mathematische Ordnung der Straßensysteme mit Grachten, wie Stevin sie vorgesehen hatte, war gerade in den Gebieten der nördlichen Niederlande von besonderer Bedeutung. Denn sie 346 Heidi de Mare: Räumliche Markierungen holländischer Identität. Das grenzenlose Interesse von Simon Stevin (1548–1620) und Jacob Cats (1577–1660) an Grenzen und Grenzübergängen. In: Die Grenze. Begriff und Inszenierung. Hg. von Markus Bauer, Thomas Rahn. Berlin 1997, S. 103– 129, S. 119. 347 So auch die Schrift zu neuen Schleusensystem: Simon Stevin: Nievvve maniere van stectebov door spilsluysen. Rotterdam 1617.

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waren ja durch Einpolderung dem Wasser abgerungen. Fortwährend bestand die Gefahr der Überflutung, nur mittels technischer Eingriffe konnte die natürliche Grenze zwischen Land und Wasser physisch befestigt und verschoben werden. Das gerasterte Straßennetz Willemstads wurde also, gestützt durch die Schriften von Simon Stevin, zum ästhetischen Symbol der Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit neuer Lebensräume. Die Niederländer expandierten ins Meer und dies drückt sich im Grundriss von Willemstad deutlich aus.3⁴⁸ Neben der strikten Regulation der Wasserwege weist Willemstad zudem die von Stevin geforderten zueinander orthogonal verlaufenden Straßen auf, die einen quadratischen Platz ausbilden und damit das Zentrum markieren. Da Stevin sein Ordeningh der Steden erst einige Jahre nach der Errichtung und Befestigung von Willemstad verfasste, ist auszuschließen, dass seine Ideale beim Bau der Stadt berücksichtigt wurden. Entscheidend ist jedoch vielmehr, dass seine Ausführungen die Rezeption des Stadtbildes von Willemstad geprägt haben dürfte. Quasi ex post erklärt Stevin ein System als ideal, nach dem Willemstad gebaut worden war. In der Lesart des 17. Jahrhunderts, etwa eines Betrachters oder einer Betrachterin der Karte bei Blaeu (Abb. 22), zeigt sich mit der Kenntnis von Stevins Werk, weshalb Willemstad ihm oder ihr als Idealstadt erscheinen musste: es erfüllt die von Stevin aufgestellten Bedingungen einer solchen. Diese Rezeptionshaltung wird insbesondere im Vergleich mit anderen Stadtgründungen der Zeit plausibel. Die historische Forschung hat sich bislang damit schwer getan, einen ›konfessionellen Städtebau-Typus‹ zu identifizieren.3⁴⁹ Es ist aber doch bemerkenswert, dass kurz nach 1600 verschiedene befestigte Städte genau nach dem Typus von Willemstad beziehungsweise entsprechend Stevins Idealstadt gebaut worden sind und sich somit doch ein konfessionsspezifisches Städtebaumodell festmachen lässt. Zwei Beispiele mögen veranschaulichen, dass das niederländische Befestigungssystem und der ideale Städtebau nach Stevin außerhalb der niederländischen Republik gerade bei reformierten Stadtbauten Anwendung fand. Zu nennen ist etwa die Neustadt Hanaus bei Frankfurt a. M., die ab 1597 durch das Einwirken Philipp Ludwig II. zum Fluchtort niederländischer Reformierter und französischer Hugenotten wurde.3⁵⁰ Ein Kupferstich Merians von 1636, der die Belagerung Hanaus zeigt, führt den Kontrast von bestehender Altstadt und

348 Der Zusammenhang einer ›niederländischen Mentalität‹ und dem besonderen Umgang der Niederländer mit ihrem Grund und Boden ist vielfach herausgestellt worden und speist sich insbesondere daraus, dass in den Niederlanden durch den systematischen massiven Eingriff in die Bodenbeschaffenheit und die Gewässer grundsätzlich von einer Kulturlandschaft zu sprechen ist, vgl. de Mare 1997 (Anm. 346), S. 118; Lambert 1971 (Anm. 274) sowie Sonja Barends (Hg.): Het Nederlandse landschap. Een historisch-geografische benadering. Utrecht 1986; außerdem Brown 1986 (Anm. 275) und Schama 1987 (Anm. 335). 349 Für die nördlichen und südlichen Niederlande vgl. Piet Lombaerde: Continuiteit, vernieuwingen en verschillen. Het concept van de stad in de Noordelijke en Zuidelijke Nederlanden rond 1600. In: Bulletin Koninklijke Nederlandse Oudheidkundige Bond (KNOB) 5/6 (1999), S. 237–248. 350 Für eine eingehende Beschäftigung der Stadtgeschichte siehe Bott 1970 (Anm. 315).

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Abb. 39: Matthäus Merian d. Ä., Belagerungsplan der Stadt Hanau, in: Theatrum Europaeum III, Frankfurt a. M. 1639.

errichteter Neustadt vor Augen (Abb. 39).3⁵1 Merian zeigt im Kupferstich eine Ansicht Hanaus in Militärperspektive. Der Eindruck des Stadtbildes wird dominiert durch eine strikte Zweiteilung. Den oberen Teil des Plans bildet die Altstadt mit den gebogenen Straßenläufen und einem unregelmäßigen Grundriss, eine innere Struktur oder ein Stadtzentrum ist nicht auszumachen. Dem gegenüber steht die reformierte Neustadt, deren gerastertes Straßennetz durch den Kontrast mit der Altstadt noch zusätzlich betont wird. Die Neustadt präsentiert sich als polygonal angelegte reguläre Befestigung. Würde sie nicht im oberen Viertel an die Altstadt grenzen, beschriebe sie den gleichen siebenzackigen Grundriss wie Willemstad. Ebenfalls umgibt sie ein rundum laufender Wassergraben und die Befestigung ist in altniederländischer Manier ausgeführt worden. Bis auf die Peripherie wird die innere Struktur durch ein Häuserblock-System gegliedert, wie Stevin es zeitgleich empfahl. Zusätzliche Ordnung erhielt die Neustadt durch einen zentral angelegten Platz. Auch das reformierte Mannheim, das ab 1606 durch den holländischen Ingenieur Janson als Planstadt errichtet wurde, weist eben diese gerasterte Struktur 351 Matthäus Merian d. Ä.: Theatrum Europaeum III. Frankfurt a. M. 1639.

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auf, wie ein weiterer Stich Merians veranschaulicht (Abb. 40).3⁵2 Mannheim beschreibt einen polygonalen Grundriss, der als befestigte Stadt nach altniederländischer Manier mit nassem Graben angelegt ist.3⁵3 Die Binnenstruktur ist über orthogonal angelegte Straßenläufe organisiert, die einen Platz im Zentrum aussparen. Im oberen Bereich ist die Stadt zusätzlich durch eine siebenzackige Zitadelle gesichert.3⁵⁴ Sowohl das in der Kur-Pfalz liegende Mannheim als auch das in der Grafschaft Hanau-Münzberg liegende Hanau entsprachen damit in ästhetischer Hinsicht sowohl der Anlage von Willemstad, wie auch den Empfehlungen Simon Stevins zum Festungsbau und zum Städtebau. Diese Übereinstimmung war nicht zufällig, hatte man doch niederländische Festungsingenieure mit der Errichtung der Anlagen beauftragt, was sowohl auf deren gründliche Ausbildung zurückzuführen sein dürfte – auch in anderen Gebieten des Alten Reiches vertraute man auf die niederländische Ingenieurskunst – als auch auf die engen Verbindungen mit dem reformierten Partner.3⁵⁵ Die aus den Niederlanden stammenden Ingenieure wiederum waren mit Sicherheit mit Stevins Werk vertraut, ebenso wie mit den neuesten Festungsanlagen ihrer Zeit, zu denen das 1586 fertiggestellte Willemstad zählte. Mit der Errichtung der Festungsanlagen in Mannheim und der Neustadt Hanaus nach niederländischem Vorbild, mit regulärem polygonalen Grundriss, nassen Gräben, niederländischen Wallanlagen und gerastertem Straßennetz ist daher anzunehmen, dass sich ein reformierter Typus des befestigten Stadtgrundrisses auch außerhalb der niederländischen Republik etablierte. 2.2.4 Willemstad als reformierte Idealstadt

Hatte die Darstellung in Joan Blaeus Toonneel der Steden Willemstad als reformierte ideale Planstadt erscheinen lassen (Abb. 22), wird anhand der Analyse älterer Karten und der historischen Rekonstruktion der Stadtgeschichte deutlich, dass diese Wahrnehmung nicht der städtebaulichen Chronologie entsprach, sondern auf dem ästhetischen Erscheinungsbild der Stadt auf späteren kartografischen Ansichten beruht. Die Rezeption als Idealstadt zeigt sich auch in anderen reformierten Stadtgründungen, die kurz nach Willemstad gebaut wurden und dessen Schema entsprachen. Offensichtlich brachte Willemstad als eine Art Quintessenz die reformierte Konfession auf eine stadträumliche Formel: Die Stadt trug den Namen des Anführers der Widerstandsbewegung, sie war nach einer spezifisch niederländischen Befestigungsmanier verstärkt, wie sie den 352 Matthäus Merian d. Ä.: Topographia Palatinatus Rheni. Frankfurt a. M. 1645. Der Stich stammt von 1645, zeigt jedoch den Zustand der Stadt im Jahr 1622. 353 Zur Befestigung Mannheims vgl. Ulrich Nieß: Vom Dorf zur Doppelsternanlage. Die Stadt- und Festungsbegründung. In: Geschichte der Stadt Mannheim. Bd. 1. Hg. von dems., Michael Caroli. Heidelberg u. a. 2007, S. 1–55. 354 Deren radial angelegter Plan folgt der militärischen Notwendigkeit kurzer Laufwege. 355 So etwa der Holländer Johan van Valckenburgh (um 1575–1625), der zunächst im Dienst Moritz von Oraniens stand, und dann in Norddeutschland als Festungsbaumeister tätig war, so in Hamburg, Emden, Lübeck, Rostock und Bremen, vgl. Weber 1995 (Anm. 314).

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Abb. 40: Matthäus Merian d. Ä., Mannheim im Jahr 1622, in: Topographia Palatinatus Rheni, Frankfurt a. M. 1645.

Empfehlungen Simon Stevins entsprach und bildete dadurch einen Gegenentwurf zu italienischen Festungsbauten. Darüber hinaus lag sie an einer wichtigen politischen Scharnierstelle; das Gebiet an der Schelde bildete den umkämpften Grenzbereich. Mit der Beanspruchung des Gebietes durch die Verstärkung der hier liegenden Städte – neben Willemstad auch das benachbarte Klundert – war eine Markierung der Verschiebung dieser Grenze vorgenommen worden. Gerade Willemstad kam dabei ein lokalkulturell identitätsstiftendes Potenzial zu. Denn über die namentliche Assoziation mit dem ›Vater des Vaterlandes‹ Wilhelm von Oraniens und der Stadtbefestigung in altniederländischer Manier hinaus, handelte es sich um eine Stadt, die überhaupt erst durch die besondere lokale Ingenieursleistung der Einpolderung und Landgewinnung entstehen konnte. Dieses Fundament, auf dem Willemstad steht, wird nicht nur durch die besondere Präsenz der wasserregulierenden Bauten wie Grachten, Houwer und Schleusen auf der Karte von Damass sichtbar, sondern wird darüber hinaus im Anmerkungstext durch die Benennung des Ruygenhil präsent gehalten. Entscheidend für die Verschmelzung der verschiedenen städtebaulichen, landschaftlichen und fortifikatorischen Elemente hin zu einer reformierten niederländischen Idealstadt dürfte jedoch vor allem ein weiterer Faktor gewesen sein. Denn zu einer spezifisch konfessionell codierten Stadt wurde Willemstad erst durch den Bau einer reformierten Kirche. Das Besondere war, dass es sich hierbei um den ersten Bau einer solchen in den Niederlanden überhaupt han-

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delte und dass sie wortwörtlich an die Stelle der katholischen Kirche trat. Denn der sich nun im Stadtzentrum befindende Platz war von vornherein als Kerckhof vorgesehen gewesen (Abb. 29). Auch Simon Damass hatte in seiner Darstellung an diesen Ort eine Kirche gesetzt – wenngleich es sich um eine Phantasiekirche handelte, da zum Zeitpunkt, an dem er den Plan anfertigte, noch keine Kirche dort stand. Doch Ende des 16. Jahrhunderts wurde schließlich an genau dieser Stelle mit dem Bau begonnen und spätestens 1607 war eine reformierte Kirche als Zentralbau auf achtseitigem Grundriss fertiggestellt. Dass man sich gerade hier, in der Grenzregion, für die Errichtung der ersten reformierten Kirche entschied, zeugt von der Symbolkraft, die Willemstad hatte, beziehungsweise die man sich erhoffte. Gerade durch die reformierte Kirche, die das Zentrum dominiert, erhält Willemstad den Charakter einer Planstadt. Es zeigt sich, wie die zunächst historisch bedingte Stadtanlage peu à peu zu einer Gesamtform verschmolzen ist, die ihre Chronologie verschweigt. Die kartografischen Darstellungen bezeugen immer das Ergebnis, nicht aber die Prozesshaftigkeit, der die allmähliche Ästhetisierung des Stadtbildes unterlag. Im Ergebnis stellte Willemstad 1607 eine reformierte Idealstadt mit einer spezifischen räumlichen Ästhetik der niederländischen Republik dar. Die These lautet nun, dass diese räumlich-landschaftliche Markierung im Grenzgebiet gewissermaßen einen Aufschlag darstellte, der eine konfessionelle Antwort provozierte. Zudem hatte der Statthalter der Niederlande und Nachfolger Wilhelms, Moritz, kurz nach dem Tod seines Vaters den Auftrag zum Bau der Kirche in Willemstad gegeben. Dass er sich auch kurz darauf einen Landsitz in Willemstad errichten ließ, zeugt vom persönlichen Interesse der niederländischen Regierung an der in der Peripherie der Republik liegenden Stadt.

2.3 Scherpenheuvel Der Karte von Willemstad in Joan Blaeus Toonneel der Steden von 1649 (Abb. 22) lässt sich ein städtebauliches Pendant gegenüberstellen. Quirin Boel (1620– 1668) fertigte wenige Jahre später eine kartografische Darstellung des Ortes Scherpenheuvel in Brabant an, die eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit mit der Ansicht von Willemstad aufweist (Abb. 23).3⁵⁶ Bei beiden handelt es sich nicht nur um Städte mit regulärem Befestigungssystem, sie beschreiben auch beide einen siebenseitigen Grundriss. Außerdem befindet sich im Zentrum beider Städte eine Kirche als Zentralbau auf polygonalem Grundriss. In annähernd quadratischem Format wird der Ort Scherpenheuvel in geosteter Militärperspektive 356 Über Boel ist ebenso wenig bekannt, vgl. Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts ca. 1450–1700. Bd. 3. Hg. von Friedrich Wilhelm Heinrich Hollstein. Amsterdam 1950, S. 9–14, wie über den Anlass und Auftrag der Karte. Es existiert eine zweite Fassung der Karte, die mit marginalen Änderungen bei Antonius Sanderus: Chorographia sacra Brabantiae. Brüssel 1659 abgedruckt wurde (Abb. 24). Allerdings weist diese selbst 1661 als Datum aus; womit Boels Karte mit 1660 die ältere Fassung wäre. Es ist bislang ungeklärt, welches Datum stimmt und welche Karte die ältere Fassung darstellt.

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bildfüllend dargestellt. Das Auffälligste an der Karte ist die starke Symmetrie, die der Ort aufweist. Die Stadt beschreibt einen regulären siebeneckigen Grundriss und ist durch eine Festungsanlage mit Bastionärsystem und Wassergraben verstärkt. Die Binnenanlage ist über ein Radialschema organisiert, sodass alle Straßen zu einer Ringstraße führen, die einen großen zentralen Platz umschließt. Korrespondierend mit der siebenseitigen Stadtanlage besitzt dieser ebenfalls einen siebenseitigen regulären Grundriss. Der Platz ist als sternförmiger Garten angelegt, in dessen Zentrum sich ein barocker Kirchenbau befindet.3⁵⁷ Dessen perspektivische Wiedergabe lässt ihn gegenüber allen anderen Gebäuden hoch aus dem Bild herausragen. Durch die Abfolge von polygonalem Stadtgrundriss, dazu parallel angelegten Straßenläufe und mehreren Mauern bis zum polygonalen Kirchenbau wird der Eindruck einer symmetrisch angelegten Planstadt forciert. Ein zweiter Blick auf Boels Plan erschließt die Binnenstruktur der Stadt und die umgebende Landschaft. Im Süden, Westen und Norden umfasst die Stadt gleichmäßig angelegte bebaute Grundstücke; im Osten sind Felder, ein Wäldchen und ein kleinerer Klosterkomplex lokalisiert. Der Zugang zur Stadt ist über drei Seiten möglich. Im Süden, Westen und Norden ist der Wassergraben überbrückt und die Kurtinen sind durch Stadttore unterbrochen. Diese Zugänglichkeit wird in der Druckgrafik visuell noch dadurch verstärkt, dass hier eine Reihe von Figuren gezeigt werden, die gerade im Begriff sind, die Tore zu passieren. Umgeben ist die Stadt von vage angedeuteten Feldern und Wiesen, zuunterst sind zudem eine kleine Siedlung und eine Windmühle auszumachen. Aufschluss über die Identität und Lage der Stadt liefern verschiedene Inschriften. Die Überschrift betitelt den Ort als »Neapolis Montis-Acuti sive Aspricolensis« und gibt dessen Lage »in Brabantia« an sowie die regionale Bezeichnung »Scerpenhevvel« und das Jahr des Stichs mit 1660. Der Name der gezeigten Stadt rührt offensichtlich von ihrer geografischen Besonderheit. In den grundsätzlich sehr flachen Niederlanden stellt Scherpenheuvel (nl.scherp=scharf, heuvel=Hügel) eine landschaftliche Besonderheit dar, die namensgebend war.3⁵⁸ Rechts und links der Ortsbezeichnung finden sich zwei Wappen. Das in der linken oberen Ecke zeigt das königliche Wappen der Spanischen Niederlande, das in der rechten eine Marienfigur mit Christuskind auf einem stilisierten spitzen Berg. Zahlreiche im Bild verteilte Majuskeln werden in einer Legende am unteren Bildrand aufgeschlüsselt und erklären die Funktionen der örtlichen Gegebenheiten. Vom Bildzentrum zu den Bildrändern angeordnet, bilden sie die hier357 Vgl. zur Verquickung von Garten und Festungsanlage in Scherpenheuvel und regionaler Rezeption Christof Baier: Buchsbaumbastionen. Architectura Militaris in der Gartenkunst des 17. und 18. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel des Gartens in Enghien und der gartentheoretischen Schriften von Stephen Switzer. In: Festungsbau. Geometrie, Technologie, Sublimierung. Hg. von Bettina Marten, Ulrich Reinisch, Michael Korey. Berlin 2012, S. 341–364. 358 Zu weiteren Deutungen des Stadtnamens vgl. A. Lantin: Scherpenheuvel. Oord van vrede. Ontstaan van de bedevaartplaats, beschrijving van koepelkerk en kunstschatten. Retie 1971, S. 220– 224.

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archische Ordnung nach, die durch den Bildaufbau beziehungsweise die Stadtanlage bereits zuvor sichtbar wird, beginnend mit dem »Porticus ante aedem B. Virginis« und endend mit dem »Hortus Oratorij«. Insgesamt vermittelt Boels Karte den Eindruck einer planvoll angelegten Idealstadt (symmetrischer Grundriss), die als Wallfahrtsort fungiert (via processionis) und ein Marienpatrozinium war (porticus ante aedem B. Virginis). Die Stadt liege außerdem in Brabant und sei Teil der Spanischen Niederlande (das Wappen links oben). Dass Scherpenheuvel diese Erwartung tatsächlich erfüllt, und es sich im Gegensatz zu Willemstad nicht um eine historisch bedingte Stadtanlage handelt, sondern um eine Idealstadtplanung, die als Gesamtkonzept vorlag, soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Es ist von Interesse, ausgehend von der Stadtgründung zu rekonstruieren, wie der landschaftliche Grenzraum durch den Bau der Stadt durchmessen und markiert wurde. Dies bietet die Möglichkeit zu erschließen, in welchem Beziehungsgeflecht Willemstad und Scherpenheuvel zueinander stehen. 2.3.1 Stadtgründung

Bei Scherpenheuvel handelt es sich um eine Idealstadtanlage, die als Gesamtsystem zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Wallfahrtsort geplant und umgesetzt wurde. Sie umfasst den Stadtgrundriss samt radialem Straßenschema, die Stadtbefestigung und außerdem die zentrale Kuppelkirche, sowie deren Ausstattungsprogramm. Die Anlage ist seitdem nur unwesentlich verändert beziehungsweise ergänzt worden und wird noch heute als Wallfahrtsort aktiv genutzt. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass eine kunsthistorische Auswertung der Gesamtanlage und vor allem der Kirchenausstattung bis heute aussteht.3⁵⁹ Die weitestgehend positivistische Forschung hat sich daher bislang vor allem um eine Bestandsaufnahme des Materials bemüht.3⁶⁰ Jüngst legte Anke Naujokat einen kurzen Beitrag vor, der das kunsthistorisch relevante Material listet und die äl359 Aufschluss über die architektonische Anlage ist von der historischen Bauforschung zu erwarten; Anke Naujokat hat jüngst ein Projekt zur Erschließung der Baumaterie begonnen. 360 Die umfassendste Publikation haben die Historiker Luc Duerloo und Marc Wingens vorgelegt; der Verzicht auf einen Anmerkungsteil erschwert die Arbeitsweise jedoch erheblich. Vgl. Luc Duerloo, Marc Wingens: Scherpenheuvel. Het Jeruzalem van de Lage Landen. Leuven 2002. Weder eine neuere Monografie noch ein Ausstellungskatalog liegen vor, Forschungsansätze bieten: Piet Lombaerde: Utopie in der ›verlassenen Landschaft‹. Die neue Stadt Scherpenheuvel als ›neues Jerusalem‹ in den spanisch-habsburgischen Niederlanden. In: Heilige Landschaft – Heilige Berge. Achter internationaler Barocksommerkurs 2007. Hg. von der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin. Zürich 2014, S. 190–201 (im Wesentlichen eine Zusammenfassung der These von Duerloo und Wingens 2002); Cordula Van Wyhe: Reformulating the Cult of Our Lady of Scherpenheuvel. Marie de’ Médicis and the Regina Pacis Statue in Cologne (1635–1645). In: The Seventeenth Century 22.1 (2007), S. 42–75; Pieter Martens, Joris Snaet: De Mariale bedevaartskerk van Scherpenheuvel. Een onderzoek naar dynastieke relaties en de verspreiding van ontwerpen en denkbeelden over architectuur. In: Bulletin Koninklijke Nederlandse Oudheidkundige Bond (KNOB) 5/6 (1999), S. 214–225; Armand Boni: Scherpenheuvel. Basiliek en gemente in het kader van de vaderlandse geschiedenis. Antwerpen u. a. 1953.

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tere Forschung zusammenfasst.3⁶1 Für eine Analyse bietet eine Chronologie der Stadtgründung den Ausgangspunkt. Noch in der Mitte des 16. Jh. gehörte Zichem, der Ort, an den Scherpenheuvel bei seiner Errichtung angegliedert werden sollte, zum Baronat Diest und stand somit unter der Verwaltung von Wilhelm von Oranien. Im Jahr 1578 wurde Zichem dann durch Alessandro Farnese erobert; im Jahr 1580 fiel der Ort zurück an die nördlichen Niederlande, bevor er drei Jahre später wieder zum spanisch regierten Süden gehörte. Das Areal, auf dem Scherpenheuvel kurz nach 1600 gegründet wurde, lag während des Achtzigjährigen Krieges im konfessionellen Grenzengebiet. Seit Mitte des 16. Jh. gab es eine Marienverehrung auf dem Hügel bei Zichem, als dort an einer Eiche eine kleine geschnitzte Marienstatue angebracht war, der eine wundersame Wirkung zugesprochen wurde.3⁶2 Im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen wurde diese Statue zu Beginn der 1580er Jahren zerstört und 1587 dann durch eine neue ersetzt. Vor allem die spanischen Truppen, die in den südlichen Niederlanden zur Sicherung der Grenzen eingesetzt wurden, trugen dazu bei, dass der Kult und der Glaube an die wundersame und heilende Wirkung der Marienfigur immer stärker zunahm, als sie sich dem Brauch der lokalen Bevölkerung anschlossen und für die Heilung ihrer Kriegsverletzungen beteten.3⁶3 Sie sorgten dafür, dass der Kult um die Marien in Scherpenheuvel über Lothringen und Franche-Comté bis nach Nordspanien bekannt wurde (Abb. 41 und 42). Von dem Kult um die Marienfigur zeugt Philip Numan (ca. 1550–1627) mit seiner Abhandlung Geschichte der Wunder, die unlängst in großer Zahl durch die Intercessio und die Fürbitten der heiligen Magd Maria geschehen sind am Ort der Scherpenheuvel genannt wird bei der Stadt Zichem in Brabant, die 1604 publiziert und auch ins Französische und Spanische übersetzt wurde.3⁶⁴ Zur gleichen Zeit veröffentlichte außerdem Jan Moretus einen Lobgesang von Justus Lipsius; diese Veröffentlichung wurde durch die Erzherzöge Albrecht und Isabella finanziert ebenso wie die spanische Übersetzung von Numans Abhandlung.3⁶⁵ Bereits 1606 erschien diese Übersetzung in der zweiten Auflage, der niederländische Text in der dritten Auflage und es wurde eine englische Übersetzung angefertigt. Die Publikationen waren gleichzeitig Zeugnis und Antrieb eines steigenden Interesses an einer Wallfahrt nach Scherpenheuvel. Dort errichtete man zunächst 1602 361 Anke Naujokat: Ein sternförmiger hortus conclusus. Überlegungen zu Gestalt und Programmatik des erzherzoglichen Initialprojektes für den Marienwallfahrtsort Scherpenheuvel. In: INSITU. Zeitschrift für Architekturgeschichte 2 (2017), S. 229–246. 362 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 23–28. Die Verehrung galt ursprünglich einem Baumheiligtum, wurde jedoch Mitte des 16. Jahrhunderts auf eine dort angebrachte Marienfigur überführt, vgl. Boni 1953 (Anm. 360), S. 17–30. 363 Ebd. 364 »Historie vande miraculen die onlancx in grooten getale ghebeurt zyn door de intercessie ende voorbidden van die Heylighe Maget Maria op een plaetse genoemt Scherpenheuvel bij die stadt Sichem in Brabant«. Brüssel 1604. 365 Justus Lipsius: Diva Sichemiensis siue Aspricollis: Noua ejus Beneficia & Admiranda. Antwerpen 1605.

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Abb. 41: Marienfigur, Scherpenheuvel, Wallfahrtskirche. © KIK-IRPA, Brussels.

eine kleine Holzkapelle, die sich jedoch schnell als zu klein erwies, sodass sie bereits 1603 durch eine steinerne ersetzt wurde.3⁶⁶ Zu diesem Zeitpunkt soll das Wallfahrtsgelände in Form eines Siebenecks abgesteckt worden sein, aufgrund dessen Form später der Grundriss der Kirche entwickelt wurde.3⁶⁷ Im Jahr 1603 unternahmen der Statthalter der spanischen Niederlande, Erzherzog Albrecht VII. von Österreich und seine Frau Isabella eine erste Wallfahrt nach Scherpenheuvel und im Jahr 1607 eine zweite. 1609, in dem Jahr als die Habsburger mit den Vereinigten Provinzen einen Waffenstillstand vereinbarten, gaben sie bekannt, den Ort zu einem vollwertigen Wallfahrtsort ausbauen zu lassen. Die Grundsteinlegung erfolgte im gleichen Jahr.3⁶⁸ Für die Ausführung der architektonischen Anlage beauftragten die Statthalter den Architekten Wenceslas Coebergher (1557/60–1634).3⁶⁹ Coebergher stammte aus Antwerpen und war bereits vor dem Auftrag für Scherpenheuvel für die Erzherzöge tätig gewesen. Nach einer Lehre bei Maerten de Vos ging er zunächst auf Reisen nach Paris, Neapel und ab 1597 nach Rom; zu dieser Zeit war er vor allem als Maler tätig. Ab 1601 lebte er wieder in den südlichen Niederlanden 366 Boni 1953 (Anm. 360), S. 37–41. 367 Philip Numan berichtet 1604 von einem Erzherzöglichen Initialplan für Scherpenheuvel, den Albrecht höchstpersönlich entwickelt haben soll. Eine Quelle, die diese Behauptung stützt liegt nicht vor; vgl. hierzu ausführlicher Naujokat 2017 (Anm. 361). 368 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 89. 369 Tine Meganck: De kerkelijke architectuur van Wensel Cobergher (1557/61–1634) in het licht van zijn verblijf te Rome. Brüssel 1998.

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Abb. 42: Marienfigur, Scherpenheuvel, Wallfahrtskirche. © KIK-IRPA, Brussels.

und wurde 1605 als Architekt und Ingenieur von den Erzherzögen angestellt. Er zeichnete sich hier verantwortlich für Bauten am Brüsseler Palast sowie dem Kastell in Tervuren; ein erster Großauftrag stellten das Brüsseler Kloster und die Kirche der Unbeschuhten Karmeliter (1607–1611) dar.3⁷⁰ Noch umfassender war jedoch das Projekt in Scherpenheuvel, für das Coebergher das Gesamtkonzept entwickelte. Neben der Stadtanlage und der Errichtung einer großen Wallfahrtskirche war Coebergher auch für deren Ausstattung zuständig. Er griff hierbei auf zwei bekannte Künstler zurück, mit denen er bereits zuvor zusammen gearbeitet hatte: den Maler Theodoor van Loon und den Bildhauer und Bildschnitzer Robrecht Nole.3⁷1 Teil des Großprojektes Scherpenheuvel war es, abermals eine neue Wallfahrtskirche zu bauen. Die 1603 errichtete steinerne Kapelle wurde daher nach gerade mal zehn Jahren zugunsten Coeberghers Entwurf wieder abgerissen. Einzelne Ausstattungsstücke wurden dabei in den Neubau überführt, doch offensichtlich war es im wesentlichen an Coebergher, ein einheitliches Gesamtkonzept zu entwickeln, weswegen er von van Loon sieben neue Altargemälde und von Nole 370 Sabine van Sprang: van Loon, Theodoor. In: Allgemeines Künstler-Lexikon, http://www. degruyter.com/view/AKL/_00117550T (06.10.2020). 371 Zu Theodoor van Loon liegen weder eine Monografie noch ein Werkverzeichnis vor, den aktuellsten Überblick biete daher Kat. Ausstell. Theodoor van Loon. Een caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von Sabine van Sprang. Bozar – Paleis voor Schone Kunsten. Brüssel 2018. Zu Robrecht Nole siehe Géraldine Patigny: Robrecht Nole. In: Allgemeines Künstler-Lexikon, http://www.degruyter.com/view/AKL/_00144844T8 (06.10.2020).

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sämtliche bildhauerische Arbeiten ausführen ließ; ein Skulpturenprogramm ergänzte das Ensemble.3⁷2 Die konsequente Umsetzung einer modernen Barockarchitektur zeichnet seinen Entwurf aus und harmoniert stilistisch mit der Innenausstattung; die Kirche wurde 1627 geweiht.3⁷3 Die Wallfahrtskirche korrespondiert passgenau mit der Gesamtanlage des Ortes, indem sie einen siebenseitigen Grundriss beschreibt und dadurch die Sternform abermals aufgreift (Abb. 43). Als Zentralbau umgesetzt, erscheint sie trotz einer Westfassade und einem im Osten errichteten Glockenturm nicht konsequent als gerichteter Bau; insbesondere die große Rundkuppel ermöglicht eine formale Öffnung der Kirche zu allen Seiten. Mit der Weihe der Kirche war die Anlage des Wallfahrtsortes 1627 weitestgehend fertiggestellt. Stadtrechte waren Scherpenheuvel bereits 1605 verliehen worden.3⁷⁴ Bis zur Entstehung der Karte von Boel im Jahr 1660 und der öffentlichen weitläufigen Verbreitung der Darstellung durch die Publikation dieser Stadtansicht, die mit Coenrad Lauwers’ Stadtplan in Sanderus Chorographia sacra Brabantiae aus dem selben Jahr übereinstimmt, war die Anlage schließlich noch um den im Osten lokalisierten Klosterkomplex ergänzt worden.3⁷⁵ Die Erscheinung Scherpenheuvels auf den Karten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts evoziert daher den Charakter einer geplanten Idealstadt, der mit der historisch belegten Stadtgründung übereinstimmt. 2.3.2 Stadtstruktur und Fortifikation

Auf wen die siebenzackige gestaffelte Anlage Scherpenheuvels zurückgeht, lässt sich nicht eindeutig klären; auch erweist es sich als schwierig, eine hinter der Siebenzahl liegende Bedeutung oder Symbolik, wie sie die ältere Forschung vermutet hat, abschließend zuzuordnen, da sich eine Fülle an Interpretationsmöglichkeiten anbietet.3⁷⁶ Der älteste Plan, der Scherpenheuvel in der bekannten siebenseitigen Stadtstruktur dokumentiert, liegt in Form einer Karte von Jacques Francquart vor.3⁷⁷ Es handelt sich offenbar um eine beglaubigte Kopie ei372 Claudia Banz: Pax – Liberalitas – Pietas. Anmerkungen zum Ausstattungsprogramm der Marienwallfahrtskirche in Scherpenheuvel. In: Kat. Ausstell. Albert & Isabella 1598–1621. Essays. Hg. von Werner Thomas, Luc Duerloo. Turnhout 1998, S. 161–171. 373 Boni 1953 (Anm. 360), S. 87–91. 374 Claudia Banz: Höfisches Mäzenatentum in Brüssel. Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle (1517–1586) und die Erzherzöge Albrecht (1559–1621) und Isabella (1566–1633). Berlin 2000 (Berliner Schriften zur Kunst 12), S. 98. 375 Von diesem stehen heute lediglich noch Ruinen, siehe dazu Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. Lantin 1971 (Anm. 358), S. 74f. 376 Vgl. Naujokat 2017 (Anm. 361), die von einer besonderen Sternkonstellation zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgeht. 377 Zeichnung auf Papier, 50 x 55 cm. Jacob Francquart war der Schwager des Architekten Wenceslas Coebergher und seit 1601 auch dessen Schüler. Sie kannten sich, da Wenceslas Coebergher seinen Vater Francquart d. Ä. 1591 in Neapel kennenlernte und dort mit ihm zusammen arbeitete. Er ging schließlich um 1594 ebenso wie die Familie Francquart nach Rom und setzte die Zusammenarbeit fort, bis er 1604 in die Niederlande zurückkehrte. Francquart folgte ihm

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Abb. 43: Wenceslas Coebergher, Wallfahrtskirche, Scherpenheuvel, Grundsteinlegung 1609, Weihe der Kirche 1627.

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nes Plans des Architekten Coebergher mit handschriftlichen Anmerkungen, der als Urbanisierungsplan fungierte.3⁷⁸ Boels Karte präsentiert Scherpenheuvel als befestigte Idealstadt, die in der heptagonalen Anlage eine starke Ähnlichkeit zu Willemstad aufweist. Tatsächlich ist die Detailgenauigkeit der Karte so hoch, dass sie zusammen mit der Legende als authentifizierend wirksamem Addendum den Eindruck erweckt, dass es sich um eine exakte Wiedergabe der tatsächlichen baulichen und architektonischen Beschaffenheit handelt. Durch den Einzug der Pilgernden durch die Stadttore wird suggeriert, dass nicht bloß eine geplante Idealstadt dargestellt ist, sondern eine bereits gebaute. In Idealstadtentwürfen der Zeit finden sich solche Hinzufügungen grundsätzlich nicht, sodass die Art und Weise der Darstellung der Karte den Rezipierenden eindeutig vermittelt, dass hier eine baulich bereits umgesetzte Idealstadt verbildlicht ist. Trotz der hohen Authentizitätssuggestion ist die Stadtdarstellung im Kupferstich dennoch absichtsvoll idealisiert und nicht alle Gegebenheiten sind exakt. Ein Beispiel hierfür ist der Turm der Kirche, der bei Boel (und auch auf der Sanderuskarte) als fertiggestellt gezeigt wird, was de facto nicht dem Bauzustand um 1660 entsprach. Denn der Turm wurde nur zu zwei Drittel hochgezogen.3⁷⁹ Das Giebeldach mit Laterne wurde bis heute nicht umgesetzt. Eine Idealisierung des Stadtplans liegt auch in der Wiedergabe der Befestigung Scherpenheuvels. Boels Karte präsentiert eine die gesamte Anlage umgebende Stadtmauer mit einem vorgelagerten Wassergraben. An Stellen, an denen die Mauer nahe an Wohnhäusern liegt, wie etwa beim westlichen Stadttor (Abb. 25), lässt sich durch deren Höhe auch die Höhe und Breite der Stadtmauer ableiten. Aus der Darstellung lässt sich schließen, dass diese relativ steil verlaufen und nur leicht geböscht gewesen sein soll. Ein Glacis, ein gedeckter Weg oder zumindest ein Wallgang fehlen jedoch vollständig. Dies ist bereits ein bildlicher Hinweis darauf, dass die bei Boel gezeigte Befestigung nicht mit der baulichen

um 1608–1611, 1613 wird er zum Hofmaler von Albrecht und Isabella ernannt und 1622 zum Architekten-Ingenieur des Königs von Spanien. Nicht verwunderlich also, dass von ihm also der älteste erhaltene Plan von Scherpenheuvel stammt; vgl. Wenceslas Cobergher. In: Allgemeines Künstlerlexikon http://www.degruyter.com/view/AKL/_10166782 (06.10.2020) sowie Jacques Francquart. In: Allgemeines Künstlerlexikon, http://www.degruyter.com/view/AKL/_00069457 (06.10.2020). 378 Vgl. Boni 1953 (Anm. 360), Kap. 4 Anm. 24. Demzufolge lag bereits 1605 die siebenseitige Form der Stadt inklusive Festungselementen fest. Im Zentrum ist ein siebenzackiges Gebiet freigelassen, dass den ›hortus conclusus‹ bildete, innerhalb dessen die Kirche errichtet wurde; siehe hierzu Naujokat 2017 (Anm. 361), die die ältere Forschung zusammenfasst. Ob die sternförmige Anlage tatsächlich originär auf Albrecht zurückzuführen ist, wie Philip Numan behauptet, lässt sich nicht belegen. 379 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 102.

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Befestigung Scherpenheuvels kongruent ist.3⁸⁰ Geplant war die Befestigung der Anlage ursprünglich durchaus.3⁸1 Bereits 1605 hatte der angestellte Ingenieur Sylvain Boulan damit begonnen, das Gelände abzustecken.3⁸2 Zwischen 1620 und 1627 wurden durch die Ingenieure Frederik Kierurt und Jacques Francquart neue Pläne zur Erweiterung dieser Anlage erstellt, was bereits darauf schließen lässt, dass die erste Befestigung keine vollständige Fortifikationsanlage darstellte. Diese sahen zwei Alternativen vor: Entweder einen Erdwall (was der altniederländischen Manier entsprochen hätte) oder einen steinernen Wall (also eher eine italienische Manier). Ein Vorschlag von Don Luis de Velasco, einem General der spanischen Armee, sah vor, den Ort zu einer Garnisionsstadt umzugestalten, um das Grenzgebiet zu sichern. Dass Isabella sich gegen alle Entwürfe entschied und stattdessen 1630 sogar eine Sicherheitsgarantie für den Ort aussprach, dürfte sowohl von einer anzunehmenden Sicherheit rühren, als auch ihrem Anliegen, Scherpenheuvel in seiner ursprünglichen Anlage beizubehalten und keine allzu militärische Erscheinung zu verleihen.3⁸3 Denn eine bauliche Begrenzung des Ortes war auch deshalb nötig, weil Anwohner beliebige Grundstücke beanspruchten und Häuser errichteten, die nicht in das heptagonale Schema eingegliedert waren und dadurch die sternförmige Anlage verschwinden ließen.3⁸⁴ Wahrscheinlich ist, dass eine Zwischenlösung gewählt wurde, bei der der Wall aus Erde aufgehäuft und mit Holzpalisaden gesichert wurde; lediglich die Bastionen waren demnach aus Stein gefertigt.3⁸⁵ Dass eine solche Lösung militärisch wirksam gewesen sein könnte, ist fraglich. Sie scheint eher einen symbolischen Charakter erfüllt zu haben; einerseits um die siebenseitige Anlage der Stadt vor einer Urbanisierung zu schützen – die Befestigung verhinderte ungeordnete Bebauung – und gleichzeitig zur Demonstration, dass eine tatsächliche Absicherung der Stadt nicht nötig sei, um herauszustellen, wie sicher man sich des Gebietsanspruchs war. Es lassen sich weitere Argumente anführen, die gegen eine ›echte‹ Stadtbefestigung sprechen. Die drei Stadttore, die auf Boels Plan abgebildet sind und im Norden, Westen und Süden der Stadt liegen, bilden noch heute die Zufahrtsstra380 Aus archäologischer Perspektive liegen hierzu noch keine Ergebnisse vor. Heue ist keine Stadtmauer vorhanden. Eine etwa am östlichen Stadtrand noch vorhandene Einmuldung lässt das Vorhandenseins eines Wassergrabens allenfalls vermuten. Dieser dürfte jedoch demnach zwei Meter Breite nicht überstiegen haben und somit rein symbolisch, nicht aber militärisch wirksam gewesen sein. 381 Piet Lombaerde: Dominating Space and Landscape. Ostend and Scherpenheuvel. In: Kat. Ausstell. Albert & Isabella 1598–1621. Essays. Hg. von Werner Thomas, Luc Duerloo. Turnhout 1998, S. 173–183, S. 180. 382 Boni 1953 (Anm. 360), S. 44. 383 Lombaerde 1998 (Anm. 381), S. 180 zitiert Isabella: »voulant ladite ville estre exemptée et réservée de toutes levées et logements de passage de gents de guerre, et gardée contre toutes sorte d’insolences, fautes, dégats et exactions, par quoy nous vous d’y loger ou laisser loger aulcuns soldats (...)«. 384 Boni 1953 (Anm. 360), S. 79. 385 Ebd., S. 75–80.

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ßen zum Ort. Im 17. Jahrhundert bildeten sie die Zugänge zur Stadt aus Richtung Löwen, Diest und Zichem, wie in der Legende der Karte beschrieben wird. Normalerweise hätte die Öffnung einer Stadt über gleich drei Tore ein Sicherheitsrisiko dargestellt; üblicherweise diente ein Stadttor dem geregelten Zugang zu einer Stadt.3⁸⁶ In dem Wallfahrtsort Scherpenheuvel scheinen die Stadttore jedoch eher als Öffnung der Stadt, denn als Schließung verstanden werden zu müssen. Schließlich war gerade der Sinn, eine große Anzahl von Pilgern in die Stadt zu bringen. Zudem kann die Nennung der anderen Städte als Hinweis darauf dienen, dass Scherpenheuvel in der Ästhetik der Karte nicht als abgeschlossenes System verstanden wurde, sondern als ein zwar klar konturierter Raum, der sich aber innerhalb eines größeren zusammenhängenden räumlichen Gefüges befand und mit diesem verwoben war. Die Anlage von Scherpenheuvel zeugt nicht von einer Grenzstadt, sondern betont die Verknüpfung zu allen Seiten. Die symbolische Wirkung der suggerierten Befestigungsanlage ist für den Wallfahrtsort indes nicht zu unterschätzen. Sie konturiert den städtischen Raum, legt dessen Grenzen fest und sichert auf diese Art und Weise das prägnante Erscheinungsbild Scherpenheuvels. Wird in der druckgrafischen Ansicht deutlich kommuniziert, wie sehr der Wallfahrtsort in seiner topografischen Anlage mit zeitgenössischen Idealstadtkonzepten übereinstimmt, so trägt das moderne Befestigungssystem maßgeblich zu diesem Eindruck bei, da es als elementarer Bestandteil galt. 2.3.3 Scherpenheuvel als religiöse Landmarke

Neben der Konzeption als Idealstadt und einer damit einhergehenden symbolischen Aufladung des städtischen Raumes, ist auch die Analyse des landschaftlichen Raumes und der Eingebundenheit Scherpenheuvels in diesen aufschlussreich. In Boels Karte wird dieser landschaftliche Raum auf mehrere Arten thematisiert. Durch die Überschrift ist die geografische und auch politische Lage »in Brabantia« zugewiesen. Das Wappen der spanischen Niederlande, gleich links neben der Überschrift schreibt die territoriale Herrschaft in diesen landschaftlichen Raum ein.3⁸⁷ Eine andere Form der räumlichen Bestimmung ergibt sich aus dem Ortsnamen selbst: Scherpenheuvel bedeutet spitzer Hügel, was sich aus dem Umstand ergibt, dass die Stadt auf einer der wenigen landschaftlichen Erhöhungen der Region liegt. Die Benennung eines Ortes aufgrund seiner regio386 Abgesehen von sogenannten Ausfallpforten. In den Traktaten wurde empfohlen, dass das Stadttor nur über einen Ravelin zugänglich sein sollte (wie er ja in Willemstad gebaut worden war); vgl. Bürger 2013 (Anm. 297), S. 163–167. 387 Beachtenswert ist, dass der sogenannte Sanderusplan, der 1661 als Entstehungsdatum angibt (siehe Anm. 356, Abb. 24), neben dem Wappen der spanischen Niederlande in der linken Ecke, das Wappen Wilhelm I., dem einstigen Statthalter der nördlichen Niederlande in der rechten Bildecke abdruckt. Die Grenzlage Scherpenheuvels wird hierdurch abermals betont, beziehungsweise könnte sich hierdurch auch der Anspruch der Reichweite der Scherpenheuveler Marienverehrung ausdrücken. Auf Boels Karte ist das Wappen von Oranien-Nassau zumindest nicht mit abgebildet.

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nalen Lage an einem Fluss, einer Brücke oder ähnlichem war durchaus gängig; dennoch zeigt sich, wie identitätsstiftend wirksam die Lage in diesem Fall gewesen sein musste. Denn in allen Übersetzungen des Stadtnamens wurde auf die Lage auf dem Hügel weiter verwiesen. Etwa wurde Scherpenheuvel im Französischen zu Montaigu und im Lateinischen zu Aspricollensis. Mit der Betonung des spitzen Hügels sichert die Karte auch in den Übertragungen ab, dass trotz der perspektivischen Draufsicht erkannt wird, dass der Ort landschaftlich unverkennbar ist und die Kirche im Zentrum dessen höchsten Punkt bildet. Eine dritte räumliche Markierung wird in Boels Karte durch die Figuren vorgenommen, die sich durch die Landschaft auf Scherpenheuvel hin bewegen. Die Straßen, über die sie sich bewegen, spannen die geografische Lage der Stadt – zwischen Löwen, Diest und Zichem – präziser auf. Durch die Pilgernden wird eine Vernetzung der Orte evoziert. Scherpenheuvel ist damit keine ›Insel‹ in Brabant, sondern Teil eines städtischen Geflechts in einem zusammengehörigen größeren landschaftlichen Raum. Durch die sich durch den Raum bewegenden Menschen mit dem Ziel des Marien-Wallfahrtortes, wird dieser zusammenhängende landschaftliche Raum katholisch spezifiziert. Die Interpretation, Scherpenheuvel als katholische Markierung des landschaftlichen Raumes zu verstehen, greift Johanna Thalis Begriff und These der konfessionellen Topografie auf, die sie exemplarisch an der nachreformatorischen Eidgenossenschaft der Schweiz entwickelte.3⁸⁸ Die bisherigen Forschungsansätze haben sich insbesondere auf die symbolische Bedeutung von Scherpenheuvel bezogen. Weniger wurde hingegen verfolgt, welche Tragweite dem Wallfahrtsort hinsichtlich seiner räumlichen Lage und landschaftlichen Bedeutung beigemessen werden muss.3⁸⁹ Gerade die topografische Verortung im Grenzgebiet der südlichen Niederlande gibt doch Anlass zur Frage, weshalb hier, an der Peripherie der spanischen Niederlande, ein kostspieliges Großprojekt umgesetzt wurde, schließlich liegt Scherpenheuvel fernab jeglicher Großstädte und Reiserouten. Im Folgenden soll daher ein Augenmerk auf die Rolle konfessioneller Raumbildung im Grenzgebiet gelegt werden. Hierzu soll nun das Konzept der konfessionellen Topografie fruchtbar gemacht werden.3⁹⁰ Als konfessionelle Topografie definiert Thali religiöse Landmarken, die zu einer Sichtbarkeit der Konfession in der Landschaft führen.3⁹1 Thalis These zeichnet sich dadurch aus, dass sie unter religiösen Landmarken sowohl Gebäude, 388 Johanna Thali: »catholisch« – »uncatholisch«. Die Ausbildung konfessioneller Identitäten in der nachreformatorischen Eidgenossenschaft. In: Archäologie der Reformation. Studien zu den Auswirkungen des Konfessionswechsels auf die materielle Kultur. Hg. von Carola Jäggi, Jörn Staecker. Berlin 2007 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 104), S. 284–319. 389 Lediglich den Hinweis, dass dies untersuchenswert sei, liefern Piet Lombaerde 1998 (Anm. 381), S. 173–183 und Naujokat 2017 (Anm. 361), S. 35. 390 Einen ähnlichen Zugang hat Daniel Sidler für seine Untersuchung von Schweizer Wallfahrtsorten gewählt; überzeugend begreift er Wallfahrt als einen konfessionellen Aushandlungsprozess von Heiligkeit, vgl. Daniel Sidler: Heiligkeit aushandeln. Katholische Reform und lokale Glaubenspraxis in der Eidgenossenschaft (1560–1790). Frankfurt am Main 2017. 391 Thali 2007 (Anm. 388), S. 287.

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Kunstwerke und Artefakte fasst, aber daneben auch Handlungen einschließt, die topografisch wirksam werden können. Als Ergebnis ihrer Untersuchung formuliert sie, dass »auf beiden Seiten der Konfessionsgrenzen das Bekenntnis gezielt sichtbar gemacht werde«, und weiter, dass »reformierte und katholische Herrschaftsbereiche dementsprechend zeichenhaft markiert würden« und schließlich, dass »eine konfessionell differenzierte sakrale Landschaft bewusst als solche gestaltet und wahrgenommen wird«.3⁹2 Dies könne sowohl durch materielle Objekte als auch durch Handlungen geschehen. Um Scherpenheuvel nach dieser Definition als konfessionelle Landmarke zu verstehen, wären somit drei Faktoren zu berücksichtigen: Erstens, ob das Konfessionsbekenntnis gezielt sichtbar gemacht wird; zweitens ob der katholische Herrschaftsbereich zeichenhaft markiert wird; und drittens, ob eine bewusste sakrale Raumvorstellung und -formung damit einhergeht.3⁹3 Wie die Karte von Boel veranschaulicht, stellt die gewählte Lage zur Errichtung eines Wallfahrtskomplexes die optimale Lösung dar, um das katholische Bekenntnis in die Landschaft einzuschreiben. Mit dieser symbolischen Aufladung der Landschaft geht einher, dass die Grenzregion zu einem allseitig ausstrahlenden Zentrum erklärt wurde. Eingebunden in den Festungskomplex liegt die Wallfahrtskirche auf dem höchsten landschaftlichen Punkt der Region und ist so auf weite Entfernung sichtbar. Die Sternform der Anlage unterstützt die Suggestion eines nach allen Seiten unendlich weit reichenden Herrschaftsanspruchs. De facto wurde dieser erst in den 1580er Jahren errungen. Die Großregion Brabant war während des Achtzigjährigen Krieges abwechselnd von beiden politischen Seiten beansprucht und besetzt worden. Mit der Errichtung einer politischen und konfessionellen Tatsache zu Beginn des 17. Jahrhunderts bringt Scherpenheuvel daher viel eher einen Machtanspruch zum Ausdruck, als eine bereits bestehende Vorherrschaftsstellung. Dass dieser Anspruch zu der Zeit nicht als gesichert galt, zeigt sich an der Angst vor der Zerstörung der Anlage durch die Reformierten und damit einhergehenden Plänen zur Erweiterung der Stadtbefestigung. Durch die Verwendung einer symbolischen Festungsarchitektur werden ein militärisch-politischer und ein konfessioneller Machtanspruch aneinander gekoppelt. Die landschaftlich hervorgehobene Anlage einer Fortifikation mit einer Kirche als räumlichem Mittelpunkt, auf den hin die gesamte topografische Gestaltung des Ortes ausgerichtet ist, übersetzt die konfessionelle Vorstellung von ecclesia militans und ecclesia triumphans in eine klare 392 Ebd., S. 287 sowie S. 310. 393 Thali operiert hier mit einem Raum-Begriff, der im Sinne des Spatial Turns nicht von einem vorgegebenen Raums ausgeht, sondern Raum und Räumlichkeit als dynamisches Gebilde versteht, das mit sozialen Handlungen verquickt ist. Besonders früh entwickelt wurde diese Auffassung von Raum von Henri Lefebvre: Die Produktion des Raums (1974). In: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Hg. von Jörg Dünne. Frankfurt a. M. 2006, S. 330–342. Vgl. außerdem Jörg Döring, Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008 sowie Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Hamburg 2006, S. 284–328.

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Abb. 44: Martino Longhi der Ältere, Santa Maria in Vallicella, Rom, 1575–1606.

architektonische Sprache: Mit der Hügellage ist eine weite Sichtbarkeit eines katholischen Baus gewährleistet, dessen Konstruktion als befestigte Idealstadt eine militärische Potenz symbolisch kommuniziert.3⁹⁴ Durch die erhöhte Lage steht die Scherpenheuveler Kirche buchstäblich über allem anderen; sie stellt sicher, von allen Seiten gesehen zu werden und evoziert gleichzeitig, alles im Blick zu haben. Als eine zweite Eigenschaft einer konfessionellen Landmarke führt Thali die zeichenhafte Markierung von Herrschaftsbereichen an. Neben der symbolischen Konzeption als befestigte Idealstadt lassen sich zwei weitere Bezugssysteme identifizieren, die als gezielte Herrschaftsmarkierungen bei der Konzeption der Anlage berücksichtigt wurden. Dies ist zum einen die Identifikation Scherpenheuvels als »Jerusalem van de Lage Landen«, wie Luc Duerloo und Marc Wingens dargelegt haben.3⁹⁵ In Rom lässt sich eine weitere Bezugseinheit erkennen, die vor allem über die Architektur der Kirche vermittelt wird. Die klare barocke Formensprache, mit der Coebergher die Wallfahrtskirche geplant hat, eröffnet einen eindeutigen Bezug zur zeitgenössischen römischen Architektur. Versuche der älteren Forschung, eine bestimmte Kirche in Rom als Vorbild zu identifizieren, können nicht überzeugen, nichtsdestotrotz ist die grundsätzliche Beobachtung richtig.3⁹⁶ Dazu tragen insbesondere die Riesenvoluten und die 394 Auch Banz 2000 (Anm. 374), S. 101 versteht die Kirche als Ausdruck der ecclesia militans. 395 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360) sowie daran anschließend Piet Lombaerde 2014 (Anm. 360); vgl. Kap. 3.5. 396 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 120 nennen als wenig überzeugende Referenz Santa Maria di Loreto.

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Wahl von Sandstein als Baumaterial bei. Ein größeres Maß an Übereinstimmung lässt sich an der Gestaltung der Fassaden römischer Kirchen wie Il Gesù (1568– 1584) und Santa Maria in Vallicella (1575–1606, Abb. 44), die auf den Typus des Turiner Doms (Meo del Caprina, 1492–1498) zurückgehen, erkennen. Die Fassaden sind jeweils dreizonig und zweigeschossig gestaltet. Die Mittelachse ist durch ein Dachgiebel betont und die Obergeschosse fallen schmaler als die Untergeschoss aus. Die Geschosse werden durch seitliche Voluten miteinander verbunden. Die Fassaden sind durch Doppelpilaster rhythmisiert und bilden Figurennischen aus. Das Aufgreifen zeitgenössischer Bauten Roms zeigt an, dass es von Interesse war, stilistisch auf das aktuelle Rom Bezug zu nehmen. Während seiner mehrjährigen Italienaufenthalte hatte sich Coebergher nicht nur intensiv mit der Malerei auseinandergesetzt, sondern auch mit dem zeichnerischen Studium der dortigen Architektur und Skulptur, daher überrascht die authentische Umsetzung keineswegs.3⁹⁷ Scherpenheuvel dürfte für die Pilgernden auf diese Art und Weise eine visuelle Präsenz Roms in der niederländischen Landschaft evoziert haben. Dieser stilistische Rom-Bezug stellt einen klaren konfessionellen Marker dar. Über die optische Bezugnahme hinaus führt auch die Anbetung eines wundersamen Kultbildes zu einer Überlagerung der Scherpenheuveler und einiger römischer Kirchen. So beinhaltet etwa die Chiesa Nuova ein mirakulöses Kultbild, das seit 1608 Bestandteil eines Gemäldes von Peter Paul Rubens war (Abb. 45) und auch in Santa Maria del Popolo wurde zeitgleich ein Marienbild verehrt.3⁹⁸ Mit der Verehrung des Marienbildes in Scherpenheuvel, dem ebenfalls eine Wunder bringende Wirkung zugeschrieben wurde, in einer römisch anmutenden Architektur, war somit eine Codierung geschaffen worden, die Scherpenheuvel und Rom direkt miteinander assoziierte. Auf diese Weise stellte man sich in die Tradition der Verehrung wundertätiger Kultbilder und stellte eine Kontinuität über die Reformation hinweg aus. Als dritten Aspekt konfessioneller Topografie lassen sich symbolträchtige Handlungen der Akteure im landschaftlichen Raum fassen, die initial sind für eine bewusste sakrale Raumvorstellung und -formung. Gerade die Untersuchung der Handlungen der Akteure, vor allem der Pilgerinnen und Pilger müssen als Beitrag Scherpenheuvels zur Bildung einer konfessionellen Topografie im Grenzraum verstanden werden. Thali schlägt vor, symbolträchtige Raummarkierungen sowohl durch Akteure als auch durch Artefakte hervorgerufen zu begreifen. Hiermit liegt sie nah an Martina Löws Konzeption eines reziproken Verhältnisses von räumlicher Praxis und materiellem Raum, mit dem diese praxeologische Analysen für die Raumforschung fruchtbar gemacht hat.3⁹⁹ Löw konstatiert ein dialektisches Verhältnis zwischen der räumlichen Praxis der 397 Zur Biografie Coeberghers vgl. Meganck 1998 (Anm. 369). 398 Zu dem Bild siehe Nils Büttner: Pietro Pauolo Rubens. Eine Biographie. Regensburg 2015 (Regensburger Studien zur Kunstgeschichte 25), S. 48–55. 399 Martina Löw: Raumsoziologie. Frankfurt a. M. 2001.

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Abb. 45: Peter Paul Rubens, Gnadenbild der Madonna Vallicella, 1608, Öl/Schiefer, 425 x 250 cm, Rom, Santa Maria in Vallicella.

Akteure und dem gebauten oder landschaftlichen Raum. Eine räumliche Praxis wirkt sich demnach auf die Erzeugung eines materiellen Raumes aus, andersherum provoziert und figuriert der erzeugte Raum ein spezifisches räumliches Handeln darin.⁴⁰⁰ Die kontinuierliche Wechselwirkung dieser beiden Komponenten erklärt sowohl die Ausbildung als auch die Weiterentwicklung räumlich strukturierten Handelns mittels eines Verstärkungs- und Verstetigungsprozesses, der sich aus der gegenseitigen Wechselwirkung ergibt. Das dialektische Modell von Löw wurde durch Renate Dürr noch um eine materielle Komponente ergänzt: Diese vermag einzufangen, wie materielle Artefakte, beispielsweise Bilder im Kirchenraum ebenfalls handlungsgenerierend und raumkonstituierend wirksam sind.⁴⁰1 Dürr führt aus, dass konstitutiv für die katholische Konfession die Vorstellung ist, dass der geweihte Raum in die materielle Struktur eingeschrieben ist. Bei der Weihe der Kirche wird nicht nur der Kirchenraum heilig, sondern auch seine materielle Manifestation und alle Artefakte, die sich im Raum befinden.⁴⁰2 Der Akt der Weihe schreibt sich also beispielsweise in das 400 Ebd., besonders S. 191–198. 401 Renate Dürr: Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadtund Landgemeinden, 1550–1750. Gütersloh 2006 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 77), S. 16–22. 402 Vgl. Dürr, die darlegt, dass es in dieser Hinsicht große Gemeinsamkeiten zwischen Katholiken

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Gemälde ein, dieses selbst veranlasst einen Wallfahrer oder eine Wallfahrerin zu einer religiösen Handlung, wie dem Sprechen eines Gebetes oder dem Anzünden einer Kerze, was als Initiation weiterer religiöser Handlungen für andere gelten kann. Die religiöse Handlung kann darüber hinaus auch auf den materiellen Raum zurückwirken und seine bauliche Äußerung gestalten. Ein Beispiel hierfür wäre ein Deambulatorium, das gerade in Pilgerkirchen eingerichtet wurde und als bauliche Reaktion auf eine räumliche Handlungspraxis antwortete. Scherpenheuvel lässt sich als Paradebeispiel für Löws und Dürrs praxeologische Raumvorstellung anführen: Der zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstehende Kult um eine kleine Marienstatue (also ein materielles Artefakt dem eine Sakralität innewohnt) provozierte eine räumliche Praxis: Pilger bewegten sich zu dem Ort, an dem das Religiöse erfahrbar wurde. Diese gerichtete Bewegung führte zur einem ersten sakralen Bau in Form einer kleinen Holzkapelle. Die räumliche Praxis erzeugte also einen gebauten Raum. Dieser gebaute Raum befeuerte die räumliche Handlung und die Anzahl der Pilgernden nahm zu, woraufhin der gebaute Raum wieder verändert und eine Steinkapelle errichtet wurde. Dass diese zehn Jahre später bereits wieder abgerissen und durch den heutigen wesentlich größeren Zentralbau ersetzt wurde, bezeugt einen symbolischen Bedeutungszuwachs des Raumes innerhalb kürzester Zeit. Eine religiöse räumliche Aufladung äußerte sich aber nicht nur in dem architektonischen oder städtischen Raum, sondern gerade in dem landschaftlichen Raum, in dem Scherpenheuvel liegt. Die Wallfahrt ist unmittelbar mit der räumlichen Bewegung verknüpft, sodass auch der durchschrittene Raum symbolisch aufgeladen wurde.⁴⁰3 Diese räumliche Praxis erzeugte ein sinnstiftendes Symbolsystem, da die konfessionelle Aufladung der materiellen Wege durch die Wiederholung der Handlung erfolgte. Die nun symbolische Bedeutung der Pilgerstraße wirkte auf Rezipierende zurück, wodurch eine Verfestigung und Verstetigung dieser Bedeutung sichtbar wurde. Durch das Durchschreiten des Raumes wurde dieser nun als ein topografisch zusammenhängender Raum verstanden.⁴⁰⁴ Das Durchschreiten der Landschaft auf ein Ziel hin lässt sich als religiöse und Lutheranern geben konnte, die sich von reformierten Positionen deutlich unterschieden; Renate Dürr: Zur politischen Kultur im lutherischen Kirchenraum. Dimension eines ambivalenten Sakralitätskonzeptes. In: Kirchen, Märkte und Tavernen. Erfahrungs- und Handlungsräume in der Frühen Neuzeit. Hg. von ders., Gerd Schwerhoff. Frankfurt a. M. 2005 (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 9), S. 497–526 sowie darin Renate Dürr: Kirchenräume. Eine Einführung, S. 451–458. 403 Zum raumbildenden Aspekt von Wallfahrten siehe Christoph Duhamelle: Raum, Grenzerfahrung und konfessionelle Identität im Heiligen Römischen Reich im Barockzeitalter. In: Die Erschließung des Raumes. Konstruktion, Imagination und Darstellung von Räumen und Grenzen im Barockzeitalter. Hg. von Karin Friedrich. Wiesbaden 2014, S. 23–46, besonders S. 37–39. 404 Dieser Gedanke findet sich ähnlich bei Elissa Auerbachs, die den Akt des Pilgerns als das Durchqueren eines liminalen Raumes gefasst hat; siehe Auerbach 2016 (Anm. 25), S. 19–46. Nicolaj van der Meulen beschreibt ähnliche raumpraktische Aspekte von Wallfahrten als Chronotopos; vgl. ders.: Der parergonale Raum. Zum Verhältnis von Bild, Raum und Performanz in der spätbarocken Benediktinerabtei Zwiefalten. Wien u. a. 2016, S. 70f.

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Raumpraxis verstehen, die eine konfessionelle Topografie ausbildete. Anschaulich wird dies an Büchern, die auf diese räumliche Praxis reagierten und im späteren Verlauf des Jahrhunderts erschienen. Als Beispiel hierfür lässt sich Augustinus Wichmans Brabantia Mariana tripartita anführen, das 1632 erschien und gleich einem Reiseführer für Pilgernde mit ausführlichen Beschreibungen alle in den südlichen Niederlanden befindlichen Kirchen listet, die Maria gewidmet sind.⁴⁰⁵ Eine ähnliche Wirkung kann man auch Antonius Sanderus’ Chorographia sacra Brabantiae zusprechen. Gerade dessen bildliche Wiedergabe einer ganzen Liste von Kirchen, Klöstern und Abteien erzeugte auch die visuelle Evidenz einer katholischen brabantischen Landschaft.⁴⁰⁶ Man kann daher im Sinne Thalis von einer konfessionellen Landmarke und auch von der Ausbildung einer konfessionellen Topografie sprechen, weil Scherpenheuvel im 17. Jahrhundert in die umgebende Landschaft ausstrahlte und diese als eine spezifisch katholische Landschaft definierte. Maßgeblich trugen hierzu neben den Pilgernden, die durch ihre Wallfahrt und Bewegung in der Landschaft die Bedeutung des Raumes veränderten, auch diverse materielle Objekte bei. Wie Artefakte und Objekte am Prozess der konfessionellen Topografie beteiligt waren, soll detaillierter analysiert werden. 2.3.4 Maria in der Landschaft

Begreift man Scherpenheuvel als religiöse Landmarke, ist es aufschlussreich auf verschiedenen Ebenen nachzuzeichnen, welchen Effekt diese klare konfessionelle Markierung in der Grenzlandschaft auf die Ausbildung einer konfessionellen Topografie hatte. Im Anschluss an Thali, Löw und Dürr lautet die These nun, dass Artefakte, die im Zusammenhang mit Scherpenheuvel stehen, als raumbildende Akteure verstanden werden können, weil sie ein wirksames Medium waren, um einen Marienkult zu kommunizieren, der als unmittelbar in die brabantische Landschaft eingeschrieben verstanden wurde. Die Historiker Luc Duerloo und Marc Wingens haben gezeigt, wie weit verbreitet die Wallfahrt nach Scherpenheuvel im frühen 17. Jahrhundert war; bis zu 20.000 Pilgernde sollen am Tag in die Grenzregion nach Scherpenheuvel gekommen sein und diese in Prozessionen durchschritten haben.⁴⁰⁷ Dieser performative Akt führte zu einer qualitativen Veränderung der Topografie: Aus Straßen wurden Prozessions- und Pilgerwege. Dabei führten die Pilgernden diverse materielle Güter mit, die sie entweder zum Wallfahrtsort hinbrachten oder aber von diesem mitnahmen und den Kult um das Marienbild von Scherpenheuvel in die lokale Religionspraxis zu überführen. In diesem Zusammenhang lassen sich drei Gruppen von Objekten klassifizieren, die auf verschiedene Art und Weise eine konfessionelle To405 Augustinus Wichmans: Brabantia Mariana tripartita. Antwerpen 1632. Zu Scherpenheuvel darin Buch II, S. 503–509. 406 Für diesen kulturgeschichtlichen Landschaftsbegriff vgl. William John Thomas Mitchell: Imperial Landscape. In: Landscape and power. Hg. von dems. Chicago u. a. 1994, S. 5–34. 407 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 56.

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Abb. 46: Beeld van Onze-Lieve-Vrouw van Scherpenheuvel, erste Hälfte 17. Jh., Eichenholz, Waterloo, Kloster Berlaymont.

pografie begünstigten: Erstens Artefakte, die durch eine materielle Verbindung unmittelbar mit dem Scherpenheuveler Marienbild identifiziert wurden; zweitens Pilgersouvenirs, die als Massenware Verbreitung fanden und drittens die Scherpenheuveler Marienfigur selbst. Die erste Gruppe bilden Artefakte, denen selbst eine Heiligkeit zugeschrieben wurde und die materialiter mit dem Scherpenheuveler Kultbild verbunden sind. Es handelt sich nicht um Repliken der Figur, sondern um genealogisch verwandte Figuren. Etwa befindet sich ein Hausaltar im Kloster Berlaymont in Waterloo (vormals in Brüssel), der eine Marienfigur beherbergt (Abb. 46), die aus Scherpenheuvel kommen soll und die ein Geschenk Isabellas an die Gräfin von Berlaymont war.⁴⁰⁸ Eine weitere Figur gleicher Provenienz wurde in die SintCarolus-Borromäus-Kirche in Antwerpen überführt (Abb. 47); beide Figuren stammen von Pilgerfahrten nach Scherpenheuvel.⁴⁰⁹ Sie beide sollen aus dem Holz der Eiche geschnitzt sein, an dem das Kultbild vormals verehrt wurde. Die Scherpenheuveler Eiche wurde 1603 gefällt, um das Holz vor Souvenirjägern zu bewahren. Stattdessen war zunächst die Kapelle und später die Wallfahrtskirche an jenem Ort errichtet worden. Die Eiche wurde in drei Stücke gehauen, wovon zwei dem Zichemer Pastor zur Verwahrung gegeben wurden und eins an 408 Erste Hälfte 17. Jahrhundert, heute im Kloster Berlymont in Waterloo, vgl. Openbaar Kunstbezit in Vlaanderen (OKV) 1 (2005), S. 23. 409 Sarah Joan Moran: Bringing the Counter-Reformation home. The domestic use of artworks at the Antwerp Beguinage in the seventeenth century. In: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art 38 (2016), S. 144–158.

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Abb. 47: Beeld van Onze-Lieve-Vrouw van Scherpenheuvel, vor 1606, Eichenholz, Antwerpen, SintCarolus Borromaeuskerk.

die Erzherzöge geschenkt wurde.⁴1⁰ Da die Figuren im Kloster Berlaymont und in der Antwerpener Borromäus-Kirche aus diesem Stück Holz geschnitzt sind, sind sie praktisch ›Nachkommen‹ der Scherpenheuveler Maria und ihnen wurden gleiche wunderwirkende Kräfte zugeschrieben.⁴11 Durch diese Vervielfältigung des Marienbildes, bei dem eine materielle Verbindung zum Ursprungsobjekt bestehen bleibt, wurde die Reichweite des verehrten Objektes erhöht: Auch in Brüssel und in Antwerpen wirkte die Scherpenheuveler Marienfigur. Die materielle Verbundenheit dieser Objekte untereinander verband damit auch die Städte der spanischen Niederlanden enger miteinander.⁴12 Annick Delfosse hat sich intensiv mit Politisierungsstrategien mittels Marienfiguren in den frühneuzeitlichen südlichen Niederlanden beschäftigt.⁴13 Sie konnte nachzeichnen, dass nach der Einnahme Antwerpens 1585 lokale Marienkulte für eine politisch erwünschte Marienverehrung nutzbar gemacht wurden, bei der die Figur Mariens semantisch variiert wurde, indem sie nunmehr verstärkt als Beschützerin der Niederlande interpretiert wurde. Dies traf auch für die Scherpenheuveler Marienfigur zu, die bis 1702 als Beschützerin der nördlichen und südlichen Niederlande ausgewiesen und somit auch politisch nutzbar gemacht wurde. Delfosse nennt das Beispiel des Geographen Heinrich Scherer, der 1702 sein Atlas Marianus veröffentlichte.⁴1⁴ Dieser enthält eine Karte der Niederlande, die um die 410 OKV 1, 2005 (Anm. 408), S. 23. 411 Vgl. Moran 2016 (Anm. 409). 412 Cordula van Wyhe hat darüber hinaus gezeigt, wie der spezielle Scherpenheuveler Kult-Typus bis nach Köln ausstrahle und dort eine lokale Aneignung erfuhr; vgl. van Wyhe 2007 (Anm. 360). 413 Annick Delfosse: La »Protectrice du Païs-Bas«. Stratégies politiques et figures de la Vierge dans les Pays-Bas espagnols. Turnhout 2009 (Église, liturgie et société dans l’Europe moderne 2). 414 Ebd., S. 41.

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Abb. 48: Consolatrix Afflictorum, Lindenholz, 73 cm hoch, Luxemburg, Kathedral Notre-Dame.

Darstellung einer Marienfigur ergänzt ist, welche dem Scherpenheuveler Typus entspricht.⁴1⁵ An diesem Beispiel wird sichtbar, wie Scherpenheuvel eine neue religiöse Landmarke darstellte, in die umgebende Landschaft ausstrahlte und initial für die Ausbildung einer konfessionellen Topografie war. Dieses neu gebaute Zentrum, am Rand der spanischen Niederlande, stellt eine damit einhergehende Behauptung der Entgrenzung des Machtbereichs dar. Ein ganz ähnlicher Mechanismus kann auch für neue Marienkulte konstatiert werden, die beanspruchen, unmittelbar von dem Scherpenheuveler Marienbild hervorgerufen worden zu sein. Dies betrifft etwa die Verehrung der sogenannten Consolatrix Afflictorum, einer Marienfigur (heute in der Luxemburger Kathedrale), die seit 1624 verehrt und für die eine Kapelle auf dem Glacis der Stadt errichtet wurde (Abb. 48). Auch sie wurde im 17. Jahrhundert zur Schutzpatronin der Stadt benannt. Eine Verbindung zu Scherpenheuvel besteht nicht nur in der Figur selbst, die aus dem Holz der Scherpenheuveler Eiche stammen soll, sondern zeigt sich auch in einem Kupferstich von 1640 (Abb. 49). Die hochformatige Grafik präsentiert bildfüllend eine Marienfigur mit dem Christuskind auf ihrem linken Arm. Sie ist den Betrachtenden frontal zugewendet und reich geschmückt. Sie trägt ein besticktes Schmuckkleid und ist mit einer sternbesetzten Krone bekrönt, ihr rechter Arm hält ein Szepter. Der hinter ihr aufgespannte Mantel führt ihre Schutzfunktion vor Augen. Eine Kartusche am unteren Bild-

415 Heinrich Scherer: Atlas Marianus. München 1702. S. 96v–97r.

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Abb. 49: Gnadenbild der Luxemburger Consolatrix Afflictorum / Gnadenbild Kevelaer, 1640, Kupferstich.

rand sowie ein Spruchband oberhalb der Figur sind mit Inschriften versehen.⁴1⁶ Im Hintergrund ist eine hügelige Landschaft auszumachen, vor der zur linken Seite die namentlich benannte Stadt Luxemburg mit hohen Kirchtürmen aufragt, während im rechten Bildhintergrund ein überkuppelter polygonaler Zentralkirchenbau verortet ist, dem ein Eingangsbereich vorgeschaltet ist. Zahlreiche kleine Figuren, die sich auf diesen zubewegen, verweisen auf dessen Funktion als Pilgerort; eine auf der Kuppel der Kirche aufragende und mit Strahlenkranz versehene Skulptur unterstützt diesen Eindruck. Durch die Benennung Luxemburgs sowohl in der bildlichen Darstellung als auch im Textfeld der Kartusche wird eine lokale Verortung des Kultbildes festgeschrieben; der bildliche Aufbau erzeugt jedoch in formaler Hinsicht eine Verbundenheit mit dem Marienkult in Scherpenheuvel und betont damit die flämische Herkunft der Luxemburger Madonna und setzt sich räumlich mit ihr in Bezug. Diese Bezugnahme wird besonders deutlich, stellt man dem Bild der Consolatrix Afflictorum einen Scherpenheuveler Kupferstich gegenüber (Abb. 50).⁴1⁷ Die 1659 entstandene Druckgrafik korrespondiert mit der Komposition des Lu416 »Consolatrix afflictorum ora pronobis« und »Vera Effigis Matris IESU Consolatricis afflictorum in agro suburbane Luxemburgi Miraculis et Hominum Visitatione celebris Anno 1640«. (Trösterin der Betrübten, bete für uns. Wahres Bild der Mutter Jesu, Trösterin der Betrübten auf einem Feld in der Vorstadt in Luxemburg, berühmt für ihre Wunder und (Kranken-)besuche bei den Menschen), Übersetzung der Autorin. 417 Kupferstich aus Sanderus 1659 (Anm. 356).

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Abb. 50: Onze-Lieve-Vrouw van Scherpenheuvel, Kupferstich, in: Antonius Sanderus: Choreografia sacra Brabantia, Brüssel 1659.

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Abb. 51: Nostre Dame du boys au mons aigu prez Sichem, 1602, Scherpenheuvel, Archiv der Kirche.

Abb. 52: Onze-Lieve-Vrouw van Scherpenheuvel, Kupferstich, in: Het belt met een cort verhael van onse lieve Vrouwe ten Scherpenheuvel, 1604, Brüssel, Koninklijke Bibliotheek van Begië.

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Abb. 53: Johann Bussemacher, Onze-Lieve-Vrouw van Scherpenheuvel, 1607.

Abb. 54: S. Maria ad collem acutum prope Sichen, in: Philip Numan: Historie van de miraculen, Brüssel 1604.

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Abb. 55: Onse Lieve Vrouwe ten Scherpenheuvel by Sichen, nach 1604, Scherpenheuvel, Archiv der Kirche.

xemburger Stichs, erweitert jedoch den Bildausschnitt. Im Vordergrund ist die Madonna mit dem Kind in brokatbesticktem Gewand mit Krone und Szepter als Attributen der Regina Coeli präsentiert.⁴1⁸ Ihr zur Seite geneigtes Antlitz und der gesenkte Blick lassen sie als handelnde Figur erscheinen, wodurch die verbildlichte wundersame Heilung des behinderten Hans Clemens und der ›teufelsbesessenen‹ Catharine du Bus an Authentizität gewinnt.⁴1⁹ Gemeinsam ist den beiden Grafiken die frontale Präsentation der Marienfigur und deren Verlebendigung in der Darstellung. Überzeugend wird die Verbundenheit der Objekte vor allem durch die Gestaltung des Hintergrundes; in beiden Fällen bildet diesen eine hügelige Landschaft, links mit einer Stadt und rechts einem freistehenden überkuppelten Zentralbau mit vorgesetzter Fassade. Das Durchschrei-

418 Zur Ikonografie der Maria als Himmelskönigin vgl. Lexikon christliche Ikonographie. Bd. 3. Hg. von Engelbert Kirschbaum. Freiburg im Breisgau 1971, S. 158. 419 Sowohl das Bild der Luxemburger Consolatrix (Abb. 49) als auch die Scherpenheuveler Druckgrafik (Abb. 50) scheinen auf einen älteren Darstellungstypus zurückzugehen, der kurz nach 1600 entwickelt wurde. Das älteste Beispiel stammt von 1602 (Abb. 51), weitere Fassungen zeigen stets den gleichen Bildaufbau: die Marienfigur an einem Baum, eingefasst in einen Strahlenkranz, befindet sich im Zentrum des Blattes, Pilger knien vor ihr nieder und im Hintergrund ist eine Landschaft mit den beiden ersten Kapellenbauten zu sehen (Abb. 52–55). Zur Ikonographie der Scherpenheuveler Marienfigur in Druckgrafiken siehe auch Hans Geybels: Our lady of Scherpenheuvel in image and imagination. Four centuries of iconography. In: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten 2012, S. 93–130.

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Abb. 56: Gnadenkapelle Kevelaer, 1654.

ten der Landschaft durch Pilger- und Prozessionszüge sichert schließlich in beiden Fällen die Identifikation als Wallfahrtsort. Die Wirkmacht, die der Kupferstich eines Marienbildes erlangen konnte, zeigt sich am Beispiel der Luxemburger Consolatrix Afflictorum. Ein Exemplar der Druckgrafik von 1640 (Abb. 49) gelangte durch stationierte Soldaten 1642 nach Kevelaer und wurde dort selbst zu einem öffentlich verehrten Kultbild. Der Kaufmann Hendrick Busman und seine Frau Mechel Schrouse hatten nächtliche Visionen, woraufhin sie den Soldaten ein Bild der Luxemburger Madonna abkauften.⁴2⁰ Für dieses errichteten sie einen Bildstock. Eine architektonische Fassung erfolgte durch den Bau einer Gnadenkapelle für das Bild im Jahr 1654. Diese wurde als überkuppelter Zentralbau auf sechseckigem Grundriss errichtet (Abb. 56). Mit der Kombination von einer Fassade aus Sandstein und Ziegeln und der Form als überkuppelter polygonaler Zentralbau erinnert die Kevelaer Gnadenkapelle in ihrem architektonischen Gesamteindruck an die Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel, auch wenn sie freilich ungleich kleiner ist. Die Kevelaer Wallfahrt steht durch das Kultbild mit der Luxemburger und der Scherpenheuveler Wallfahrt in Verbindung, weil sie auf dem gleichen Kult – der wundersamen Marienfigur in Scherpenheuvel – gründet. Und auch dem Kevelaer Marienbild wurden wunderwirkende Kräfte zugesprochen. So sollen in den Jahren 1642–1643 der gelähmte Peter von Volbroek und die unheilbar erkrankte Eerutge Dircks geheilt worden sein, nachdem sie eine Pilgerreise nach Kevelaer unternahmen; bei der Venloer Synode 1647 wurden diese und sechs weitere Wunder offiziell durch die katholische Kirche anerkannt.⁴21 Anhand der Ver420 Robert Plötz: Die Ursprünge der Wallfahrt zur »Consolatrix Afflictorum« in Kevelaer. In: 350 Jahre Kevelaer-Wallfahrt 1642–1992. Bd. 1 Consolatrix afflictorum. Das Marienbild zu Kevelaer. Botschaft, Geschichte, Gegenwart. Hg. von Josef Heckens, Richard Schulte Staade. Kevelaer 1992, S. 206–225, hier S. 216. 421 Das Protokoll der Venloer Synode ist publiziert in: Josef Heckens, Richard Schulte Staade (Hg.):

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Abb. 57: Jan Jeghers, Wallfahrtsfahne Scherpenheuvel, Mitte 17. Jh., Brüssel, Koninklijke Bibiotheek van België.

wandtschaft der Scherpenheuveler Madonna, der Luxemburger Figur und dem in Kevelaer verehrten Marienbild wird zudem deutlich, wie der Grenzraum der südlichen Niederlande durch die Omnipräsenz genau dieses Marienbildtypus in der Landschaft als zusammengehörender Raum aufgefasst wurde. Die verschiedenen Marienkulte sind gleicher Provenienz und ihre Zusammengehörigkeit wird in Bildmedien mittels visueller Referenzen inszeniert. Eine zweite Objektgruppe bilden Wallfahrtssouvenirs. Etwa trugen Wallfahrtsfahnen zur Verbreitung und Festigung des Glaubens an das Kultbild bei (Abb. 57 und 58).⁴22 Sie waren eine Art Erinnerungsstück und dienten dem Memorieren der Wallfahrt. Außerdem erlaubte die narrative Darstellung auf der Fahne auch jenen, die die Wallfahrt nicht selbst machten, sondern denen nur die Fahnen hiervon berichteten, Anteil am Glauben zu haben. Die erhaltene Fahne von Jan Jeghers aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts weist eine Überraschung auf. Denn sie zeigt nicht etwa die verehrte Marienfigur, sondern stattdessen auf beiden Seiten eine Landschaftsdarstellung Scherpenheuvels. Mittels einer bilingualen Legende am unteren Bildrand werden die einzelnen Bildbereiche erläutert. Beide Seiten zeigen Simultandarstellungen, die die Chronologie des Wallfahrtsortes vor Augen führen. Die eine Seite der Fahne (Abb. 57) zeigt eine leicht hügelige Landschaft, die von Pilgern durchschritten wird. Diese nä350 Jahre Kevelaer-Wallfahrt 1642–1992. Bd. 1 Consolatrix afflictorum. Das Marienbild zu Kevelaer. Botschaft, Geschichte, Gegenwart. Kevelaer 1992, S. XVII–XIX. 422 Brüssel, Koninklijke Bibliotheek van Belgie, 254 x 164 mm, Inventarnr. S.III 115034; siehe dazu auch Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 67f.

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Abb. 58: Jan Jeghers, Wallfahrtsfahne Scherpenheuvel, Mitte 17. Jh., Brüssel, Koninklijke Bibiotheek van België.

hern sich von links der Wallfahrtskirche und werden dabei zuerst die Holzkapelle mit der daneben stehenden Eiche mit dem Marienbild passieren, dann an der steinernen Kapelle vorbei schreiten, um sich dann dem Barockbau zu nähern, der in seitlicher Ansicht gezeigt ist und dessen Rahmung durch den siebenzackigen Garten und zwei Mauern besonders prominent herausgestellt wird. Vier namentlich benannte Figuren finden sich zudem in der Landschaft wieder, die laut der Legende »geheilt« sind.⁴23 Die Rückseite der Fahne zeigt die Wallfahrtskirche noch größer und prominenter (Abb. 58). Der Bau ist im Querschnitt gezeigt, sodass ein Blick auf den zentralen Innenraum samt Hauptaltar sowie die seitlichen Kapellen mit weiteren Altären möglich ist. Die detailgetreue Darstellung ermöglicht eine Zuordnung der Sujets der Altargemälde als Verkündigung, Himmelfahrt und Tempelgang Mariens vorzunehmen. Rechts davon verbildlicht ein Hirte mit seiner Herde Schafe, der vor einem Marienbild an einem Baum betet, den historischen Ursprung der Marienverehrung. Ganz rechts im Bild ist der Ort Zichem zu sehen. Durch dessen Darstellung ist die landschaftliche Lage Scherpenheuvels auf einem Hügel abermals betont. Anstatt das verehrte Marienbild auf der Wallfahrtsfahne wiederzugeben, ist die bildliche Komposition viel stärker auf die räumliche Eingebundenheit der Marienverehrung fokussiert, tatsächlich ist Maria auf der Fahne weder namentlich genannt noch erkennbar dargestellt. Prägnant hingegen ist die Präsenz, die der Wallfahrtskirche und ihrer Lage in einer hügeligen Landschaft eingeräumt 423 »Ian Clemens ghenesen, 1604. Catharina de Bus verlost van den duyvel, 1604. Jan Blom ghenesen, 1611. Simon Blom ghenesen 1623. Pieter Guidon ghenesen 1627.«

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Abb. 59: Jan Caspar Philips, Plegtige Ommegang ter Scherpenheuvel, 1737, Radierung, 17,9 x 29,5 cm, Amsterdam, Rijksmuseum.

wird. Durch den monumentalen und charakteristischen Kirchenbau erhält die ohnehin als spezifisch ausgewiesene Landschaft eine einzigartige Signatur. Diese identitätsstiftende Funktion von Wallfahrtssouvenirs pointiert Elissa Auerbach in ihrer Untersuchung zur Wallfahrt in Heiloo, einer katholischen Wallfahrt in den nördlichen Niederlanden, die auch nach der Reformation noch durchgeführt wurde: »Viewers must be able to identify a pilgramage site through the aid of text or recognizable landmarks so that they can engage with the holy relics or images associated with the particular place.«⁴2⁴ Das Souvenir bietet daher eine Verknüpfung dreier entscheidender Elemente: das Kultbild, die wiedererkennbaren Landmarke in Form der heptagonalen Anlage mit der Kirche und die unverwechselbare Landschaft als Hügel bei Zichem. Die Signifikanz einer spezifischen landschaftlichen Markierung, die zu einer semantischen Codierung des Territoriums führte, wird auch in weiteren druckgrafischen Medien evident. Eine Radierung von Jan Caspar Philips (Abb. 59) zeigt eine Feierliche Prozession zu Scherpenheuvel (Plegtige Ommegang).⁴2⁵ Die Druckgrafik weist eine anspruchsvolle Komposition auf. Inmitten einer hügeligen Landschaft ist eine kleine befestigte Stadt gezeigt. In ihrer Mitte – und damit auch im Mittelpunkt der Druckgrafik – ragt die Scherpenheuveler Wallfahrtskirche hoch auf. Von ihr kommend schlängelt sich ein Prozessionszug quer 424 Auerbach 2016 (Anm. 25), S. 22. 425 1737, 17,9 x 29,5 cm, Amsterdam, Rijksmuseum. Die Grafik geht vermutlich auf eine ältere Vorlage zurück; dafür spricht zum Beispiel, dass die Kirche idealisiert gezeigt ist, weil man zu Beginn des 17. Jahrhunderts von einer Fertigstellung des Turms ausging.

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durch die Landschaft bis in den vorderen Bildmittelgrund. Die Menschengruppe ist heterogen zusammengesetzt; neben Frauen und Männern sind auch Kinder auszumachen. Angeführt werden sie von einigen Geistlichen, die eine Marienfahne und ein Kruzifix tragen und demonstrativ mit Rosenkränzen ausgestattet sind, die im Zusammenhang der Darstellung auf das marianische Gebet, das mit Hilfe der Gebetsketten vollzogen wurde, verweisen. Rechts im Vordergrund ist der Ursprung der Marienverehrung in Scherpenheuvel illustriert. An einem aufgrund der detailgetreuen Wiedergabe der Blätter dezidiert als Eiche identifizierbaren Baum ragt ein großes Marienbild auf. Hierunter findet sich eine Kartusche mit der Inschrift »Ego diligentes me diligo«, (ich liebe die mich liebenden) aus Sp 8,17. Dieser Ausspruch der Weisheit wird nun mariologisch gedeutet und auf die Ecclesia bezogen.⁴2⁶ Davor knien vier junge Männer, die die Marienfigur bestaunen und anbeten. Durch hölzerne Gehhilfen, die ihnen beigegeben sind, werden sie als behindert charakterisiert, wodurch ein Verweis auf die dem Marienbild zugeschriebenen wundersamen Heilungen ins Bild gesetzt wird. Beide Bildbereiche werden durch den Weg, den die Prozession beschreitet, zusammengeführt, da die jungen Männer auf eben jenem niederknien. Der bildliche Eindruck ist daher, dass der Prozessionszug im nächsten Augenblick zu der Eiche mit dem Marienbild gelangen wird. Tatsächlich handelt es sich um eine Simultandarstellung, da die Eiche, an der das Marienbild hing, bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts gefällt und das Marienbild in die Kirche überführt worden war. In der Betrachtung der Radierung wird nun suggeriert, dass Maria weiterhin mit dieser spezifischen Landschaft verbunden, ja in sie eingeschrieben war. Die rezeptionsästhetische Absicherung, dass der gezeigte Landschaftsausschnitt in den Niederlanden liegt – und nicht etwa in Italien, wie der Stil der Kirchenarchitektur vermuten lassen könnte –, ist durch die Inschrift »Scherpenheuvel« gegeben, wird aber eben gerade auch bildlich, durch die am linken Bildrand lokalisierte hölzerne Windmühle, inszeniert. Die Windmühle ist im 17. Jahrhundert ein eindeutiger identitätsstiftender Marker im Bild, der unmissverständlich das Geschehnis in den Niederlanden verortet.⁴2⁷ Und so wie sich die Figuren durch diese niederländische Landschaft bewegen, so schlängelt sich auch der Blick der BetrachterInnen durch das Bild, wobei die Kirche für beide den Ausgangspunkt, die Marienfigur den Endpunkt darstellt. Die Druckgrafik lässt visuell nachvollziehen, dass im Zentrum der Scherpenheuveler Marienwallfahrt das Durchschreiten der Landschaft steht und dass Maria mit dieser fest verwurzelt ist. Eine dritte Form der Einschreibung Mariens in die niederländische Landschaft ist auf einem Bild zu finden, das an die Ikonografie des Hortus Conclusus beziehungsweise den Niederländischen Garten anschließt. Im ersten Kapi426 Das Zitat findet sich als Inschrift über dem Hauptaltar der Kirche; Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 133. 427 Zur Windmühle als Identitätsmarker in den Niederlanden vgl. Alison McNeil Kettering: Landscape with sails. The windmill in Netherlandish Prints. In: Simiolus. Netherlands quarterly for the history of art 33 (2008), S. 67–80.

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tel wurde bereits ausgeführt, dass in den Nördlichen Niederlanden ab Mitte der 1570er Jahre die Ikonografie des nederlandse tuin florierte. Die symbolische Darstellung des Gartens als ein rund eingezäuntes Gehege fungierte als politische Markierung mit territorialem Anspruch: Der Garten stand stellvertretend für die Niederländische Republik. Mit der Figur der niederländischen Magd in dessen Mitte knüpfte die Ikonografie an Darstellungen des Typus Maria im hortus conclusus an, verlieh ihnen jedoch eine neue, profanierte Bedeutung. Das Sujet des nederlandse tuin erfuhr bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts eine ubiquitäre Verbreitung in den gesamten Niederlanden und wurde sowohl von reformierter als auch von katholischer Seite beansprucht und nun wiederum für konfessionspolitische Interessen fruchtbar gemacht, wie anhand der Druckgrafiken von Verstegen und Hondius gezeigt werden konnte (Abb. 4, 5 und 17). Mit dieser Ikonografie operiert auch ein Gemälde, das die Marienverehrung in Scherpenheuvel vor Augen führt (Abb. 60).⁴2⁸ Bei dem hochformatigen Bild handelt es sich um eine in Öl ausgeführte Kopie einer Radierung von Johannes Baptist Vrints I. von 1610, die den Vorgängerbau der barocken Wallfahrtskirche zeigt (Abb. 61).⁴2⁹ Das Gemälde zeigt inmitten einer hügeligen, locker bewaldeten Landschaft einen einschiffigen Kirchenbau im Zentrum des Bildes. Es handelt sich um einen Longitudinalbau, der aus roten Ziegeln errichtet ist. Die Betrachtenden erblicken die Giebelseite des Gebäudes, die vollständig geöffnet ist, wodurch der Blick ins Kircheninnere gewährt wird. Der Innenraum wird durch hohe rundbogige Zwillingsfenster mit Maßwerk illuminiert und schließt nach oben mit einem Kreuzgewölbe ab. Links wie rechts der Architektur bewegen sich einige durch Krücken sowie Verbände als körperlich eingeschränkt charakterisierte Personen auf die Kirche zu, was als Hinweis auf die Scherpenheuveler Mirakel zu verstehen ist. Ferner ist ein kleines Holzkapellchen links neben dem Sakralbau auszumachen, das den Vorgängerbau der Kirche darstellt. Eingefasst wird der Kirchenbau durch einen oval-runden geflochtenen Zaun, der an der vorderen Bildgrenze geöffnet ist und mittels eines Drehkreuzes Zugang zum Garten gewährt. Die geöffnete Architektur lenkt den Blick der BetrachterInnen durch den Raum hin zum Altar an der Stirnseite des Gebäudes. Im Eingangsbereich sind fünf Figuren zu Boden kniend mit zum Gebet erhobenen zusammengelegten Händen gezeigt, neben ihnen finden sich entzündete Votivkerzen. Auf mittlerer Höhe sind zwei Seitenaltäre aufgestellt, auf denen ebenso wie am Hauptaltar dahinter zwei brennende Leuchter platziert sind. Das Gemälde des linken Seitenaltars zeigt eine Verkündigung an Maria, das des rechten eine Aufnahme Mariens in den Himmel. Vor dem Hauptaltar knien zwei Figuren nieder; die linke ohne Beine, die rechte mit erhobenen Armen und zur Figur Mariens nach oben gerichtetem Blick über dem Altar. Zwischen ihren 428 Anonym, Öl/Holz, ca. 1610, 34 x 26 cm, Scherpenheuvel. 429 Die Radierung ist bezeichnet mit »Ion. Baptista Vrints excud.«, was darauf schließen lässt, dass er die Grafik lediglich ausführte. Von wem der Entwurf stammt ist ungeklärt. Zu der Radierung siehe Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450–1700. Bd. 49. Hg. von D. De Hoop Scheffer. Rotterdam 1998, S. 75.

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Abb. 60: Anonym, Oude Kerk Scherpenheuvel, Öl/Holz, ca. 1610, 34 x 26 cm, Scherpenheuvel, Archiv der Kirche.

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Abb. 61: Johannes Baptist Vrints, Nostre Dame de Montaigu, ca. 1603, Radierung, 21,7 x 15,5 cm, Paris, Bibliothèque Nationale de France, Département des estampes at de la photographie.

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erhobenen Armen ist eine schwarze kleine Figur auszumachen. Diese soll den Teufel darstellen, der den Körper der Frau wieder verlässt.⁴3⁰ Die weibliche Figur ist daher als die vom Teufel besessene Catharine du Bus zu verstehen, die 1604 durch das Kultbild erlöst worden sein soll. Die Art und Weise, wie Maria hier im Bild inszeniert wird, ist betont ambig. An der Stirnseite der Kirche findet sich über dem Altar eine rundbogige Fläche. Vor weißem Hintergrund ist Maria mit dem Kind abgebildet. Sie wird von einer Strahlenglorie hinterfangen und ist mit Krone und Szepter als Himmelskönigin ausgezeichnet. Sie steht auf einem grasbewachsenen Hügel und über ihr ragen einige belaubte Äste auf, wodurch die Identifikation als Kultbild an der Scherpenheuveler Eiche abgesichert ist. Unbestimmt bleibt jedoch, wie dieses rundbogige Feld im Gefüge des Gemäldes zu verstehen ist. In Analogie zu den beiden Bildern der Seitenaltäre wäre es als Altarbild zwar durchaus denkbar, jedoch wäre es immens überproportioniert, da es die gesamte Breite des Kirchenschiffes einnehmen würde. Eine zweite Möglichkeit wäre die Evokation einer tatsächlichen Präsenz Mariens in der Kirche. Rezeptionsästhetisch wird eine Verquickung der Figur Mariens vor der Eiche mit der landschaftlichen Gestaltung des Gemäldehintergrunds erzielt, indem dessen hügelige Gestaltung mit Bäumen eine Wiederholung findet. Für ein Fenster oder eine Öffnung in der Architektur ist das Rundbogenfeld zu groß. In der Betrachtung des Gemäldes ist deshalb eine Festlegung nicht möglich. Daher scheint es ein gezieltes Konzept der Komposition zu sein, die Präsenz Mariens nicht bildlogisch erklären zu können. Dass das Sujet aber in jedem Fall im Kontext der nederlandse tuin Ikonografie rezipiert wurde, kann aufgrund dessen Omnipräsenz in den Niederlanden nach 1600 als gesichert angenommen werden. Die bildliche Formel aus einem oval-runden Zaun, der zur vorderen Seite geöffnet ist und eine weibliche Figur beherbergt, war unmissverständlich. Bereits mehrfach wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass Scherpenheuvel als gebauter Hortus Conclusus angelegt wurde.⁴31 Das Gemälde zielt somit auf eine solche Rezeption und ist damit gleichzeitig eine Antwort auf die nordniederländische Garten-Konzeption, die es auf seine ikonografische Genese aus dem Hortus Conclusus zurückführt.⁴32 Das rund eingezäunte Gärtchen war insbesondere in der Druckgrafik im ausgehenden 16. Jahrhundert zum Sinnbild für das niederländische Territorium geworden. Betrachtet man das Gemälde in diesem Bewusstsein, drückt sich hierin auch ein konfessions-politischer territorialer Anspruch aus: Die niederländische Landschaft sei unmittelbar mit Maria verbunden. Im Gemälde ist diese visuelle Referenz zu älteren tuin-Darstellungen gegenüber der druckgrafischen Vorla430 Die Entschlüsselung der Ikonografie ergibt sich aus der Darstellung auf der Wallfahrtsfahne (Abb. 57), auf der die gleiche Szene gezeigt und inschriftlich erläutert ist. 431 Boni 1953 (Anm. 360), S. 88; Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360) und Naujokat 2017 (Anm. 361). 432 Die Überlegung, Scherpenheuvel sei eine Antwort auf die Nederlands-Tuin Ikonografie, findet sich auch bei Naujokat 2017 (Anm. 361), S. 241f.; merkwürdigerweise argumentiert sie ohne visuelle Referenzen und bezieht gerade das vorliegende Gemälde nicht in ihre Überlegung ein.

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ge (Abb. 61) noch stärker fokussiert. Dessen Urheber, der Kupferstecher und Verleger Johannes Baptist Vrints I., war Ende des 16. Jahrhunderts nachweislich in Antwerpen tätig, etwa als Verleger von Johannes Wierix und Maerten de Vos und war daher mit der zeitgenössischen Druckgrafik bestens vertraut.⁴33 Die gewählte Form der Präsentation der Scherpenheuveler Kirche, die als geöffneter einschiffiger Langbau inmitten eines Niederländischen Gartens angelegt ist, lässt daher vermuten, dass Vrints auch Kenntnis der beiden Stiche von Hondius (Abb. 4 und 5) hatte.⁴3⁴ In der vergleichenden Betrachtung seiner Radierung der Scherpenheuveler Kirche und der Kirchenbilder von Hondius fällt zunächst die übereinstimmende formale Konstruktion der Darstellungen auf, die in beiden Fällen aus einem geöffneten Kirchenraum in einem niederländischen Garten besteht, wobei die Apsis im Fluchtpunkt der Bilder liegt. Hatte Hondius seine Druckgrafiken als visuelle Antwort auf einen Kupferstich Verstegens konzipiert (Abb. 17), so zeugt Vrints’ Radierung von einer wiederum katholischen bildlichen Reaktion auf die reformierten Blätter. Aufschlussreich an dem bildlichen ›Schlagabtausch‹ ist der jeweilige Fokus, der in den reagierenden Werken gesetzt wird. So konzentriert sich Hondius besonders auf die bildvergleichende Anlage der ›wahren‹ und der ›häretischen‹ Kirche von Verstegen, wodurch die Kirchenbauten in seinen Kupferstichen eine allegorische Lesart als Ekklesia nahelegen. Das Scherpenheuveler Gemälde nach der Radierung von Vrints forciert hingegen eine Rezeption, die die Architektur, liturgische Ausstattung und räumliche Ausgestaltung des gezeigten Kirchenraumes fokussiert.⁴3⁵ Es ist nicht bekannt, dass von Vrints auch ein Gegenbild eines reformierten Kirchenraumes existierte. Die Tatsache, dass sich das Scherpenheuveler Bild jedoch dadurch auszeichnet, nicht nur einen realen Kirchenraum zu zeigen (im Gegensatz zu einer allegorischen Darstellung) sondern außerdem einen bestimmten Kirchenraum vor Augen führt, veranschaulicht ein Interesse daran, richtig zu stellen, wie der katholische Kirchenraum strukturiert war. Das Gemälde scheint gerade anhand einer konkreten Kirche betonen zu wollen, dass es keine Debatten darum geben kann, ob dieser Kirchenraum auch anders gestaltet und strukturiert werden könnte. Diese Diskussion war durch Hondius’ vergleichende Anlage in seinen Kupferstichen aufgeworfen worden. Die visuelle 433 Zu Vrints vgl. Hollstein 49, 1998 (Anm. 429), S. 71–152. Auch von Wierix existiert eine Variation des Sujets (Abb. 62), die jedoch deutlich reduziert ist und auf den Innraum der Kapelle konzentriert ist. 434 Auch zeitlich ist dies stimmig; Hondius Stiche sind von 1600 und damit zehn Jahre älter als Vrints Entwurf. Dass die Referenz auf Hondius’ Kirchenräume im Gemälde deutlicher als in der Grafik von Vrints ist, lässt vermuten, dass der Urheber des Gemäldes auch mit den beiden Druckgrafiken von Hondius vertraut war. 435 Die konfessionelle Polemik bleibt auch bei Vrints präsent: Die Inschrift bekräftigt den »katholischen Glauben gegen die Häresien«. (»Representation du lieu, Image, et Chapelle miraculeuses de nostre Dame de Mont Aigu, dict Scerpen Heuvel, pres la ville Sichen en Brabant, la ou qu’il à plaist a nostre Seigneur, par l’interceßion de la B. Vierge Marie, principalement depuis na guerres faire plusieurs tresillustres miracles pour la consolation de affligez, confirmation de la foye Catholique, et confusio de heresies«).

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Abb. 62: Johann Wierix, Nostre Dame du Boys Montaigu, ca. 1605, Brüssel, Koninklijke Bibliotheek van Begië.

Behauptung der Blätter lautete implizit, dass katholischer und reformierter Kirchenraum durchaus von gleicher Architektur sein können, wohingegen konfessionsspezifische Differenzen sich durch die liturgische Nutzung und hinsichtlich der Ausstattung zeigten. Hondius’ Stich griff damit die um 1600 gängige Praxis in der Niederländischen Republik auf, die vormals katholischen Kirchen nun für den reformierten Gottesdienst zu nutzen. Vor diesem Hintergrund betont das Gemälde in Scherpenheuvel, dass ein katholischer Raum mit einer spezifischen Liturgie und Ausstattung verbunden war, die nicht zur Verhandlung stand und nutzt dafür die ungreifbare Präsenz Mariens im gemalten Kirchenraum, um dieses Argument zu untermauern. Im Kontext der Einschreibung Mariens in die niederländische Landschaft liefert das Scherpenheuveler Gemälde mit dem Rekurs auf die nederlandse tuinIkonografie und der Rückführung auf deren Ursprung, der in der Maria im Hortus Conclusus Ikonografie liegt, eine Gegenposition zu der niederländischen Magd. Das Gemälde ist in der Strategie eines vergleichenden Sehens angelegt, das die profanierten tuin-Darstellungen mit einer katholischen Gegenposition konfrontiert, um in diesem Spannungsverhältnis deutlich zu machen, dass der Garten, der für das Territorium der Niederlande steht, unmittelbar mit der Person Mariens verbunden ist. Diese Argumentation entfaltet sich in dem Gemälde gerade deshalb so wirkungsvoll, weil es nicht nur allgemein um die katholische

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Kirche geht, sondern ein spezifischer Kult mit einem dezidierten Ort assoziiert wird. Zwischenfazit

Zusammenfassend zeigt sich, dass durch ein hohes Maß an politischer, territorialer und konfessioneller Unbestimmtheit bis 1648 die Grenzgebiete der Niederlande als liminaler Raum zu verstehen sind. Von Interesse war es offensichtlich, diesen konfessionell und politisch unsicheren Status einerseits zu klären und andererseits diese Klärung auch visuell zu inszenieren. Dies gilt sowohl für Eingriffe in die Landschaft selbst als auch für die mediale Verbreitung derselben. Scherpenheuvel kann in dieser Konfiguration als religiöse Landmarke verstanden werden. Es wird deutlich, dass die städtebauliche Umsetzung des Ortes als Fortifikation einen politisch-militärischen mit einem konfessionellen Herrschaftsanspruch kombiniert. In diesem Zusammenhang erzeugen architektonische Rekurse auf Rom in Verbindung mit symbolischen Verweisen auf die Anbetung von Kultbildern in der umgebenden Landschaft ein materielles katholisches Bezugsystem. Ferner ist evident, dass die räumliche Praxis der PilgerInnen zu einer strukturell qualitativen Veränderung der landschaftlichen Topografie führte.⁴3⁶ Das sich vormals im Landschaftsraum befindliche Marienbild wurde in einen architektonischen Raum überführt beziehungsweise wurde um die Figur herum ein Kirchenraum errichtet. Die Stimmigkeit des Gesamtkomplexes des Wallfahrtsortes als gebaute Idealstadt verdeutlicht, dass Scherpenheuvel nicht nur als Repräsentationsraum, sondern auch als Raumrepräsentation zu verstehen ist.⁴3⁷ Indem territorialer Raum, landschaftlicher Raum, städtischer Raum und schließlich auch kirchlicher Raum aufeinander abgestimmt und symbolisch aufgeladen sind, und diese Verquickung in Bildmedien visuell kommuniziert wurde, stellt Scherpenheuvel eine gebaute Repräsentationsform für eine spezifische Auffassung von Raum dar.

436 Vgl. hierzu auch Hartmut Böhmes Ausführungen zu Kulturellen Topografien, demzufolge »Topographien räumliche Ordnungsverfahren sind, die durch Räume handlungsrelevant markiert werden« und der weiter ausführt: »Topographien sind Darstellungen, im Doppelsinn von ›darstellen‹, sie sind Darstellung von etwas, das ist, und das als solches in der Darstellung erst hervorgebracht wird. Darin liegt sowohl die repräsentierende wie performative Dimension aller Topographie.« Siehe Hartmut Böhme: Raum – Bewegung – Grenzzustände der Sinne. In: Möglichkeitsräume. Zur Performativität von sensorischer Wahrnehmung. Hg. von Christina Lechtermann, Kirsten Wagner, Horst Wenzel. Berlin 2007 (Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften 10), S. 53–72, hier S. 62. 437 Vgl. Lefebvre 1974 (Anm. 393).

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2.4 Vergleichendes Sehen der neuen Städte 2.4.1 Willemstad und Scherpenheuvel im Vergleich

Die vergleichende Ansicht der kartografischen Darstellungen von Joan Blaeu und Quirin Boel der Städte Willemstad und Scherpenheuvel aus der Mitte des 17. Jahrhunderts offenbart eine große Schnittmenge in der ästhetischen Erscheinung im Repräsentationsmedium (Abb. 22 und 23). In den ersten beiden Teilen des Kapitels wurde die Genese der Städte und die historische Bedingtheit ihrer Entstehung analysiert. Stellt man die Befunde einander systematisch gegenüber, werden Gemeinsamkeiten und Differenzen pointiert sichtbar. Diese Übernahmen und Verschiebungen können als Indikator nutzbar gemacht werden um nachzuvollziehen, wie konfessionelle Identität in Städten und Stadtbildern zum Ausdruck gebracht werden konnte. Die Gemeinsamkeiten und Differenzen liefern Aufschluss darüber, anhand welcher Merkmale die beiden Konfessionen für die Zeitgenossen im Stadtraum sichtbar wurden. Es werden drei Elemente der Stadträume greifbar, anhand derer sich Scherpenheuvel in eine Beziehung zu Willemstad setzt, um dann gezielte Änderungen vorzunehmen, die als Identitätsmarkierung verstanden werden müssen. Dies ist erstens die geografische Lage und die räumliche Einbindung der Stadt in sie. Wie sind Willemstad und Scherpenheuvel territorial zu lokalisieren und wie reagieren die Stadtanlagen auf ihre spezifische Lage? Wie treten sie in eine Beziehung zu dem sie umgebenden Raum und wie markieren sie ästhetisch diese Verflechtung? Wie wird hierbei Gemeinsamkeit und Differenz artikuliert? Der zweite Bereich ist die Binnenorganisation der Stadträume. Die Übereinstimmung des siebenseitigen Stadtgrundrisses eröffnet die Frage, welche Semantik diesem verliehen wurde, um Identität zum Ausdruck zu bringen. Ebenso relevant scheint die Organisation der innerstädtischen Struktur zu sein, weil hierdurch Hierarchisierungen des Raumes zu tage treten. Die Analyse kann verdeutlichen, wie in den Städten jeweils das Verhältnis von Repräsentationsraum und Raumrepräsentation wirksam wird. Drittens ist der jeweilige Übergangsraum – also die Unterscheidung zwischen einem Innen und einem Außen – näher zu untersuchen. In beiden Fällen wird er durch eine Befestigungsanlage gebildet. Wenn Luc Duerloo und Marc Wingens Scherpenheuvel als »Mariale Festung« charakterisieren, ist in der Gegenüberstellung mit Willemstad und dessen Befestigungsanlage zu klären, ob dieser Befund einer konfessionell markierten Stadtbefestigung haltbar ist.⁴3⁸

438 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 95–105.

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Willemstad und Scherpenheuvel im Verhältnis zu der sie umgebenden Landschaft

Ein tertium comparationis liegt in einer jeweils als besonders ausgewiesenen geografischen Lage. Willemstad befand sich in einer Randzone der Niederländischen Republik und besaß eine militär-strategisch bedeutende Position. Durch die Lage an der Schelde stellte es sowohl für spanische Truppen als auch für die Geusen ein eroberungswertes Ziel dar, von dem aus sich der Meereszugang kontrollieren ließ. Scherpenheuvel lag in einem anderen wichtigen Grenzgebiet des Achtzigjährigen Krieges, gut 100 Kilometer entfernt weiter süd-östlich. Auch Scherpenheuvel war in der ersten Phase des Krieges von beiden streitenden Parteien wechselweise erobert worden und lag in einem Raum, dessen Eroberung in den 1580er Jahren einen wichtigen strategischen Gewinn für die spanischen Truppen darstellte. Beide Städte lagen somit im niederländischniederländischen Grenzgebiet und bildeten wichtige Standorte zur Sicherung der Vormachtstellung. Dass hier in die ›Ränder‹ der beiden Staaten investiert und symbolträchtige Stadtanlagen errichtet wurden, bestätigt neuere Thesen der Raumforschung, der zufolge die Randzonen als Verhandlungsräume genutzt wurden, um die Zentren zu stärken.⁴3⁹ Dies zeigt sich auch daran, dass die jeweiligen Herrscher ein direktes Interesse an und direkten Einfluss auf die Errichtung der Stadtanlagen hatten: Willemstad trägt bereits den Namen des Statthalters der Nördlichen Provinzen; dessen Sohn Moritz gab den Auftrag für die siebenseitige Befestigungsanlage und ließ sich schließlich ein Landhaus in der Stadt bauen.⁴⁴⁰ Dass Scherpenheuvel zum Wallfahrtsort ausgebaut wurde, ist dagegen auf die direkte Initiative von Albrecht und Isabella zurückzuführen; sie unternahmen nicht nur selbst mehrere Wallfahrten hierher, sondern finanzierten das Projekt und nahmen Einfluss auf die bauliche Gestaltung. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in einer konzeptuellen Bezugnahme der jeweiligen städtischen Struktur auf die sie umgebende Landschaft. Für Willemstad ist dies, wie im ersten Teil des Kapitels ausführlich dargestellt, der Umstand, dass die Stadt Resultat der durch Einpolderung vorangetriebenen Landgewinnung war. Diese Eroberung eines neuen Lebensraumes durch Ingenieurskunst ist für die Frühe Neuzeit als spezifisch niederländische Kulturtechnik zu verstehen, die identitätsgenerierend wirksam war. Entsprechend findet sich in den zeitgenössischen kartografischen Darstellungen eine Betonung nicht nur der Seelage, sondern gerade der Errichtung der Stadt aus dem Wasser. Die bildlich inszenierte Beherrschung des Wassers durch Kulturtechniken wie Kanalisierung und Schleusensysteme ließ Willemstad in Repräsentationsmedien als

439 Ulrike Gleixner, Ulrike Strasser: Einleitung zur vierten Sektion. Liminale und übersetzte Räume. In: Die Erschließung des Raumes. Konstruktion, Imagination und Darstellung von Räumen und Grenzen im Barockzeitalter. Hg. von Karin Friedrich. Wiesbaden 2014, S. 635–639. 440 Van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 74f. Das Mauritshuis in Willemstad wurde 1615 geplant und 1623–1625 gebaut.

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typisch niederländisch und vor allem als typisch von Niederländern gemacht erscheinen. Dem gegenüber zeigt Scherpenheuvel, dass Wasserbeherrschung und Einpolderung hier zwar keinerlei Relevanz besaßen, der Bezug zu dem umgebenden ländlichen Raum für die städtische Identität jedoch strukturelle Ähnlichkeiten aufweist. War es in Willemstad die Flachheit des Landes, das beinah ins Wasser überzugehen scheint, ist es in Scherpenheuvel die hügelige Lage, die als Identitätsmarker fungiert. Die auf allen druckgrafischen Repräsentationen von Scherpenheuvel inszenierte Lage innerhalb einer hügeligen Landschaft stellt eine Zuspitzung der tatsächlichen geografischen Gegebenheiten dar, die de facto wesentlich flacher ausfallen. Der Stadtname des ›spitzen Hügels‹ fokussiert und überzeichnet gerade dieses räumliche Alleinstellungsmerkmal. Interessant ist nun, dass Scherpenheuvel nicht nur durch grafische Darstellungen rezipiert wurde, sondern eine räumliche Erfahrung ganz zentral war. Während Willemstad den meisten Zeitgenossen nur aus kartografischen Bildern bekannt gewesen sein dürfte, kamen tausende Menschen nach Scherpenheuvel und erfuhren den städtischen Raum leiblich. Weil es sich eben um einen gebauten Raum handelt, wurde die Aushandlung von Raum durch eine visuelle Erfahrbarkeit im Medium von Karten und Kupferstichen jetzt auch auf einer materiellen, körperlichen Ebene der Erfahrung virulent. Die Rezeption bildlich dargestellter Räume wie Boels Karte (Abb. 23) oder dem Gemälde nach Vrints (Abb. 60) erlaubt durchaus ein visuelles Sich-Hineinbegeben der BetrachterInnen, die mit ihren Blicken über das Bild gleichsam einen Raum ›abtasten‹ und ›betreten‹ können. Doch die Medialität einer Druckgrafik bricht kontinuierlich die antizipierte Raumerfahrung, etwa durch die Flächenhaftigkeit der Linie und das kleine Format. Die körperliche Erfahrung der materiell gebauten Räume bietet hingegen eine ganz andere Wahrnehmung räumlicher Ästhetiken. Durch das Durchschreiten des Raumes wird dieser sukzessiv rezipiert. Die Unendlichkeit möglicher Bewegungsabläufe durch gebaute Räume führt zu einem singulären Eindruck der sich in der Bewegung kontinuierlich neu generiert und stückweise zusammensetzt.⁴⁴1 Dieser horizontale Zugang eröffnet eine Vielzahl innerräumlicher Blickachsen und hierdurch erzeugter Sinnbeziehungen, verschließt sich jedoch vor einer das Gros erfassenden Gesamtschau. Diese kann nur durch bildliche Repräsentationsmedien generiert werden. In diesem Zusammenhang erschließt sich, weshalb etwa die Scherpenheuveler Wallfahrtsfahnen (Abb. 57 und 58) nicht das verehrte Kultbild abbilden, sondern die raumästhetische Gesamtstruktur demonstrieren. Die Bilder auf den Pilgersouvenirs stellen eine bildliche Ergänzung zur körperlich erfahrenen Raumwahrnehmung dar. Sie stellen eine HegemonieBehauptung auf, indem eine Kontinuität des Scherpenheuveler Kultes durch die 441 Vgl. Michel de Certeau: Kunst des Handelns. Berlin 1988, S. 179–240 sowie dazu David Ganz, Stefan Neuner: Peripatisches Sehen in den Bildkulturen der Vormoderne. Zur Einführung. In: Mobile Eyes. Peripatisches Sehen in der Vormoderne. Hg. von dens. Paderborn 2013, S. 9–59.

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Simultandarstellung der drei aufeinanderfolgenden Kirchenbauten visualisiert wird. Das räumliche Gesamtbild von Wallfahrtsort und Kirche innerhalb einer wiedererkennbaren Landschaft auf diesen Bildmedien fusioniert in der Rezeption der PilgerInnen mit dem sukzessiv erschlossenen kognitiven Bild des durchschrittenen Raumes, der dann durch die mediale Kombination als zusammenhängender ästhetischer und konfessionell codierter Raum erschlossen werden kann. Diese körperliche und visuelle Erfahrung der Landschaft als einer bestimmten Landschaft ermöglicht die Identifikation mit dem Marienkult und mit der katholischen Kirche. Die spezifischen geografischen Gegebenheiten verankern die Marienverehrung in der brabantischen Landschaft. Die klare räumliche Zuordnung, bei der der Raum und der Marienkult durch die Raumerfahrung aneinander gekoppelt werden, führt zu einer ›Naturalisierung‹ der Marienverehrung in Scherpenheuvel. Das bedeutet, dass das entworfene Zeichensystem derart eng an den räumlichen Gegebenheiten orientiert ist, dass in der Erfahrung beides miteinander assoziiert wird. So steht Scherpenheuvel nicht für einen hortus conclusus – vielmehr ist es ein hortus conclusus. Willemstad und Scherpenheuvel – Strukturen der Stadträume

Ein zweites Vergleichsfeld wird im Bezug auf die Grundrisse der Städte und die binnenstädtische Raumorganisation eröffnet. Sowohl Willemstad als auch Scherpenheuvel erscheinen in der druckgrafischen Darstellung als Idealstadt und somit als gebaute Utopie.⁴⁴2 Das reguläre Befestigungssystem, das einen symmetrischen Grundriss verlangt, entspricht mit der siebenzackigen Form einem verteidigungs-technischen Ideal, wie es in der frühneuzeitlichen Traktatliteratur zum Festungsbau immer wieder gefordert wurde. So gleichen sich die Städte im Grundriss als heptagonale Anlage, unterscheiden sich jedoch in der Bedeutung, die zeitgenössisch mit dieser Form assoziiert wurde. Der Befund der Quellen ist für Willemstad, dass mit der siebenseitigen Anlage zwar eine klare Entscheidung für eine reguläre Befestigung getroffen wurde, diese jedoch nicht mit einer speziellen Symbolik identifiziert wurde. In Scherpenheuvel hingegen wurde der Siebenzahl eine umfassende Semantik verliehen, die entsprechend der Errichtung als Wallfahrtsstadt eine klare konfessionelle Konnotation aufweist, wie die sieben Freuden und Schmerzen Mariens und die sieben marianischen Feste im Kalenderjahr.⁴⁴3 Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts wurden dann auch die siebeneckige Struktur Willemstads symbolisch überhöht und die sieben Bastionen, die zuvor nach ihrer Ausrichtung zur Himmelsrichtung benannt waren, erhielten nun die Namen der sieben Provinzen der Niederländischen Republik. Mit dieser Umbenennung wurde Willemstad zum pars pro toto, zu einer Symbolstadt der Niederländischen Provinzen. Hierdurch wird implizit die Aufforderung formuliert, alle Bereiche der Stadt als nord-niederländisches 442 Zur Entsprechung der Idealstadt als gebaute Utopie vgl. Neuber 2003 (Anm. 259), S. 3. 443 Naujokat 2017 (Anm. 361), S. 235–240.

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Ideal zu lesen. Wenn die Bastionen die Namen der Provinzen tragen, scheinen nun auch das orthogonale Straßennetz, die Lage auf dem Polder und die kanalisierten Wasserwege als typischer Ausweis einer Stadt der Nördlichen Provinzen. Im Vergleich wird deutlich, dass sich die gleiche Grundform zweier relativ nah beieinander liegender Städte von den beiden streitenden Parteien als jeweils identitätsstiftend beanspruchen ließ. Dass die ästhetische Nähe im Grundriss nicht nur nicht vermieden wurde, sondern sogar gesucht und forciert wurde, wird auch daran sichtbar, dass die Anlage von Willemstad in den späteren Druckgrafiken bei Blaeu sogar noch hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit zu Scherpenheuvel zugespitzt wurde. Und auch die jeweilige symmetrische Binnenstruktur entspricht einem solchen Ideal, wenngleich es sich um zwei gegensätzliche Lösungen handelt. Es ist bezeichnend, dass dem egalitären Schachbrett-Straßenlauf von Willemstad, der mit Idealstadtkonzeptionen von Stevin korrespondiert – wenngleich dieser das erst später so formuliert hat – ein Radialsystem in Scherpenheuvel entgegengesetzt wurde. Beide Straßensysteme waren in Traktaten zum Städtebau als innere Organisationsmöglichkeit von Städten empfohlen worden. Dass in Scherpenheuvel das Radialsystem gewählt wurde, bringt zweierlei mit sich. Zum einen stellt es den Gegenentwurf zum Schachbrettmuster dar und setzt sich dadurch nicht nur von Willemstad, sondern auch von anderen reformierten Städten, die diesem Bautypus entsprechen, wie Klundert oder auch der Neugründung Hanaus, ab. Das Radialsystem hingegen betont die Lage des Ortes auf einem Hügel. Für die Raumerfahrung bedeutet diese Raumorganisation einen stufenweisen Anstieg, der das Zentrum fokussiert und räumliche Hierarchisierungen forciert. Auf den druckgrafischen Karten wird im Vergleich sichtbar, dass hier der gesamte Stadtraum durch das Zentrum definiert wird. In Willemstad entsteht durch die ex-zentrische Lage der Kirche in Kombination mit dem orthogonalen Straßennetz eher der Eindruck, der Platz für die Kirche sei der Stadtstruktur untergeordnet. Scherpenheuvel ist hingegen so strukturiert, dass sowohl in der Raumerfahrung vor Ort wie in der Rezeption kartografischer Darstellungen die Wallfahrtskirche als Raumvorgabe erfahren wird. Gesteigert wird dieser Eindruck durch das siebenzackig angelegte Boskett. Die sternförmig um die Kirche umgesetzte Bepflanzung vermittelt formal zwischen der siebenseitigen Grenze der Stadt und dem siebenseitigen Zentralbau. Dabei ist nicht die eigentliche Bepflanzung sternförmig, sondern sie ist dergestalt angelegt, dass eine sternförmige Freifläche entsteht, in dessen Zentrum die Kirche steht. Wenn Wolfgang Neuber dafür plädiert, dass die Organisation von Herrschaft in frühneuzeitlichen Idealstädten mittels symbolischer Topologien und räumlicher Zentrierungsmodelle erfolgte und sich durch die Absenz des herrschaftsstrategischen Blickes von oben auszeichnete, so stimmt dies für Scherpenheuvel nur bedingt.⁴⁴⁴ Denn ›oben‹ findet sich in der Tat kein Souverän, dessen herrschaftlicher Blick die Landschaft bestreicht, jedoch ist auf den höchsten Punkt 444 Neuber 2003 (Anm. 259), S. 2.

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des Hügels die Wallfahrtskirche platziert, die diesen Blick substituiert. Durch die Raumzentrierung entsteht der Eindruck, auch der umliegende Raum werde durch den Blick von oben mitregiert. Ein von der Kirche ausgehender herrschaftlicher Blick über die Landschaft korrespondiert mit der Sichtbarkeit der Kirche in der Landschaft. Durch goldene Sterne, mit denen die Kuppel der Wallfahrtskiche bestückt ist, leuchtet der Bau weit in die Landschaft und kennzeichnet sich als religiöse Landmarke. Damit beansprucht die Kirche die Herrschaft auch über das umliegende Land. Das ist gerade deshalb bedeutsam, weil es sich gerade hier de facto um noch nicht sicher gewonnenes Gebiet handelte. Im direkten Vergleich der innerstädtischen Organisation durch Straßenläufe und Platzanlagen erscheint Scherpenheuvel als eine bauliche Antwort auf Willemstad, bei der Korrekturen in der Raumorganisation vorgenommen wurden, um eine stärkere Verzahnung von der regulären Grundform und der Binnengliederung zu erzielen. Willemstad und Scherpenheuvel – Räume der Grenze, Grenze der Räume

Ein drittes Vergleichsfeld bietet der jeweilige Raum der Grenze, der die Stadtanlagen einfasst und die Unterscheidung zwischen einem Innen und einem Außen trifft. Wie gezeigt wurde, handelt es sich bei der Manier, nach der Willemstad befestigt wurde, weitestgehend um die sogenannte altniederländische Manier, die auf der italienischen Manier aufbaute, jedoch sichtbare Unterschiede aufweist. Dank der Vielzahl niederländischer Ingenieure war sie rasch bekannt und als niederländische Technik identifiziert worden, weshalb sie etwa auch im deutschsprachigen Raum als niederländische Manier bekannt war und für deren Umsetzung gezielt Ingenieure aus den Nördlichen Provinzen engagiert wurden. Im Vergleich mit Willemstad wird für Scherpenheuvel deutlich, wie wenig militärisch wirksam die dortige Befestigungsanlage gewesen sein durfte. So war bereits der Wassergraben nicht breit genug angelegt, um seine eigentliche Funktion zu erfüllen. Im Kupferstich von Boel wird zudem der Eindruck erweckt, dass die einzelnen Bastionen nicht militärisch ausgestattet waren – im Gegensatz zu Willemstad, dessen Bastionen bei Blaeu mit Kanonen und Wachhäusern bestückt sind. Bei Boel sind die Bollwerke stattdessen sogar bepflanzt zu sehen, was ihre Präsenz ad absurdum führt, weil sie ihrer Funktion so nicht nachkommen können. Schließlich führen die drei großen Stadttore eindrücklich vor Augen, dass die Stadtanlage gar nicht konzipiert wurde, tatsächlich als Befestigung zu fungieren: Scherpenheuvel verschließt sich nicht nach außen sondern betont vielmehr seine Eingebundenheit in die Brabantische Landschaft, wie die Straßennamen – Leuven, Diest und Zichem – bekräftigen. Die augenscheinliche Nähe der Stadtbefestigung von Scherpenheuvel zu der von Willemstad, die in den kartografischen Ansichten bei Boel und Blaeu suggeriert wird, löste sich demnach baulich nicht ein. Willemstad wurde tatsächlich aufgrund seiner militärisch kritischen Grenzlage befestigt und Soldaten wurden

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stationiert. In Scherpenheuvel wurde stattdessen eine symbolische Befestigung errichtet, die einerseits die Ästhetik einer Befestigungsstadt aufweist und deren Vokabular übernimmt, dieses andererseits nur im verkleinerten Maßstab umsetzt. So ergibt sich die Ambivalenz, dass Scherpenheuvel als katholische Festung erscheint, ohne dies tatsächlich einlösen zu können. Doch gerade diese bauliche Uneinlösbarkeit scheint die Ausstrahlung als »Mariale Citadel«, wie Duerloo und Wingens es formuliert haben, zu forcieren. Paradoxerweise strahlt Scherpenheuvel gerade deshalb so viel Sicherheit aus, weil es behauptet, sich nicht verteidigen zu müssen. Es ist damit eine Übertragung der Befestigung von einer Stadt wie Willemstad nach Brabant mit einer betonten Aufgabe der funktionalen Aspekte. 2.4.2 Vergleichendes Sehen

Durch die Untersuchung der Geschichte der beiden Stadtgründungen Willemstad und Scherpenheuvel wird deutlich, dass zwei völlig unterschiedliche Voraussetzungen zu einer ähnlichen städtebaulichen Erscheinungsform führen können. Im Fall von Willemstad handelt es sich um eine als Voorstraatdorp gegründete Ortschaft auf einem eingepolderten Gebiet, die zu Beginn des Achtzigjährigen Krieges aufgrund ihrer militärisch strategisch wichtigen Lage befestigt wurde und Stadtrechte verliehen bekam. Durch die Benennung in Willems-Stad wurde sie mit dem Statthalter der nördlichen Provinzen assoziiert. In Kombination mit einer siebenseitigen regulären Befestigung in niederländischer Manier erschien sie auf kartografischen Darstellungen als niederländische Planstadt. Scherpenheuvel hingegen, dessen Grundriss die gleiche markante Form aufweist, ist tatsächlich Resultat einer planvoll angelegten Idealstadt. Die Ähnlichkeit der nur kurz nacheinander gegründeten Städte ist der Frühneuzeitforschung zwar nicht gänzlich entgangen, blieb allerdings bislang eine Randnotiz.⁴⁴⁵ Eine eingehende Analyse dagegen, die die beiden Städte in Beziehung zueinander setzt und die Strategien zur Ästhetisierung des Raums darlegt, ist indes zu vermissen. Dies mag wohl dadurch begründet sein, dass Willemstad von der niederländischen Forschung behandelt wurde und Scherpenheuvel von der belgischen. Gelegentlich wurde die Perspektive eines Zusammenhangs der beiden Städte aufgezeigt. Konrad Ottenheym bemerkte zuletzt »From a distance, the planning of Scherpenheuvel may be interpreted as a counter-reformative reaction against protestant Willemstad, strengthened by the rivalry between both Nassau-Orange Brothers« und Georg Mörsch meinte, »aufgrund dieser Ähnlichkeit muß man folgern, daß die später entstandene Anlage von Scherpenheuvel in irgendeinem Sinne als ›Kontrawillemstad‹ gedacht ist«.⁴⁴⁶ 445 Vgl. Lombaerde 1999 (Anm. 349) und Konrad Ottenheym: The Catholic Nassaus in Brussels and their Buildings. In: Kat. Ausstell. Albert & Isabella 1598–1621. Essays. Hg. von Werner Thomas, Luc Duerloo. Turnhout 1998, S. 185–189, S. 185f. 446 Ebd., S. 185f. und Georg Mörsch: Der Zentralbaugedanke im belgischen Kirchenbau des

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Ottenheym argumentiert ausschließlich auf Grundlage der Biografien der Nachkommen Wilhelm von Oraniens. Dessen ältester Sohn Philipp Wilhelm (1554–1618) war 1568 im Kindesalter aus Leuven nach Spanien entführt worden. Dort wuchs er unter der Aufsicht Philipps II. katholisch auf. Der jüngere Halbbruder Moritz (1567–1625) hingegen studierte in Leiden und trat nach dem Tod des Vaters dessen Nachfolge an. Philipp Wilhelm wurde erst 1595, als er 41 Jahre alt war, wieder freigelassen und vom König zu Albrecht und Isabella gesandt. Kurz darauf erreichte er Brüssel, von wo aus ihm der Zutritt zu den nördlichen Provinzen allerdings verwehrt wurde. Erst nach zwölf Jahren – zum Zeitpunkt des zwölfjährigen Waffenstillstands – erhielt er die Erlaubnis zur Einreise in die Republik. Philipp Wilhelm war Albrecht und Isabella gegenüber vollkommen loyal und blieb katholisch. Mit dem Wallfahrtsort Scherpenheuvel war er so gut vertraut, dass er das Bild für den Hauptaltar des Vorgängerbaus der Wallfahrtskirche spendete.⁴⁴⁷ Inwieweit und zu welchem Zeitpunkt Philipp Wilhelm in die Planung für Scherpenheuvel involviert war, und ob er Kenntnis vom Stadtprojekt Willemstad seines jüngeren Halbbruders hatte, ist unklar. Ottenheyms Hinweis jedoch, Bezugspunkte für südniederländische Bauprojekte auch in den nördlichen Niederlanden auszumachen, erweist sich als wertvoll. Denn was Ottenheym hier ganz im Sinne der Konfessionalisierungsforschung begrifflich zwar als »contra-reformative reaction« fasst, impliziert gleichzeitig eine gegenseitige Bezogenheit einer reformierten und einer katholischen Position zueinander, die zudem eine geteilte ästhetische Schnittmenge aufweist. Dass Piet Lombaerde diesen Zugriff entschieden zurückweist, zeigt auf, wie sensibel die ältere Konfessionsforschung gegenüber der These konfessionell geteilter Ästhetiken, Vorstellungen und Praktiken ist.⁴⁴⁸ Hier wird stattdessen der Hinweis Ottenheyms aufgegriffen und für eine weiterführende Analyse fruchtbar gemacht. Hinsichtlich der formalen Ähnlichkeiten der beiden Städte auf kartografischen Darstellungen wird in der Betrachtung ein Rezeptionsmodus aktiviert, der weiter oben als vergleichendes Sehen begrifflich gefasst wurde. Es wurde aufgezeigt, dass das vergleichende Sehen als Praxis der Einübung kultureller (hier konfessioneller) Identitäten zu verstehen ist. Diese Praxis stellt einen performativen Prozess dar, welcher mittels der Anerkennung von Gemeinsamem und der Identifizierung von Fremdem kontinuierlich austariert, wie Identität visuell greifbar werden kann. Während in den Druckgrafiken von Hondius und Verstegen das vergleichende Sehen innerhalb eines Werkes angelegt war, verhält es sich bei der Gegenüberstellung des refor17. Jahrhunderts. Hochschulschrift Bonn 1965, S. 57f., bezieht sich auf die Stadtanlage, jedoch ohne das Beziehungsgefüge präzise zu erläutern und die Kirchenbauten zu berücksichtigen. 447 Hendrick de Clerck, Anbetung der Hirten, 1606, Öl/Leinwand,193 x 145 cm, heute in der Sakristei der Wallfahrtskirche. 448 Vgl. Lombaerde 1999 (Anm. 349), S. 245. Lombaerde sucht stattdessen lieber andere Festungsstädte, die sich an Willemstad orientiert haben könnten. Diese stattdessen als Reaktion auf Scherpenheuvel zu sehen, was eine Reaktion auf Willemstad war, wäre eine äußerst schlüssige These, die Lombaerde offenbar nicht sieht.

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mierten Willemstads und des katholischen Scherpenheuvels etwas komplexer. Denn hier schafft und erzeugt die Stadtanlage von Scherpenheuvel überhaupt erst den Vergleich. Durch den Bau der Wallfahrtsanlage und das stimmige Gesamtkonzept entstand insbesondere in der kartografischen Darstellung erst die Möglichkeit des visuellen Vergleichs mit anderen Städten in der Landschaft. Indem Scherpenheuvel die gleiche Grundstruktur wie Willemstad aufweist, stellt es sich augenblicklich in eine Beziehung zu diesem. Durch die symmetrische siebenseitig befestigte Anlage, deren Mittelpunkt durch einen Kirchenbau markiert wird, provoziert die katholische Stadt ein vergleichendes Sehen mit dem reformierten Pendant. Die These lautet nun, dass diese ästhetische Nähe gezielt gesucht wurde, um ein vergleichendes Sehen zu aktivieren, das im Vergleich Zuordnungen und Wertigkeiten herstellt. Durch den Vorteil, auf eine bestehende städtische Struktur zu antworten, die bereits fixiert und wenig anpassungs- beziehungsweise reaktionsfähig war – schlicht, weil eine Stadt eben keine Druckgrafik ist – konnte die Anlage von Scherpenheuvel so konzipiert werden, dass der ästhetische Vergleich ›gewonnen‹ wurde. Gewonnen deshalb, weil die siebenseitige Stadtanlage hinsichtlich der Symmetrie perfektioniert und zudem symbolisch aufgeladen wurde. Indem Befestigungsanlage, Stadtstruktur und die Wallfahrtskirche präzise aufeinander abgestimmt und katholisch codiert sind, entstand der Eindruck eines unumstößlich katholischen Erfahrungsraums. Dieses Ergebnis konnte für die Rezeption auch deshalb so wirkungsvoll erzielt werden, weil die historische Bedingtheit und die zeitlichen Abhängigkeiten in der visuellen Rezeption durch kartografische Darstellungen weitestgehend unsichtbar bleiben. Die städtebaulich prägnante Ästhetik Willemstads wird so in kartografischen Darstellungen durch Scherpenheuvel übertrumpft, indem hier grundlegende Strukturen übernommen, jedoch hinsichtlich bedeutungsgeladener Einzelaspekte modifiziert wurden. Im Ergebnis kann das Erscheinungsbild Scherpenheuvels verhindern, dass ein spezifisch reformierter Typus im Städtebau, für den Willemstad das Vorbild hätte werden können, entstand. Durch die Aneignung der räumlichen Anlage für die als Wallfahrtsort klar katholisch indizierte Stadt, unterband Scherpenheuvel die Möglichkeit einer reformiert-ikonischen Aufladung Willemstads. Dies geschah gerade nicht nur durch die Übernahme des raumästhetischen Arrangements, sondern insbesondere durch eine symbolische Umcodierung eingesetzter städtebaulicher Mittel. Willemstad wurde offensichtlich als Einheit wahrgenommen, auf die man nur als Einheit antworten konnte. Ganz im Sinne des vergleichenden Sehens wurde dabei eine Nähe gesucht, die den Vergleich eröffnete, um bestehende Differenzen dann pointierter herausstellen zu können. Bei der kunsthistorischen Methode des Vergleichenden Sehens ist die Wahl des Felds, auf dem der Vergleich zweier Objekte erfolgt, entscheidend dafür, ob eine vergleichende Analyse überzeugt oder nicht.⁴⁴⁹ Ein prägnanter Unterschied zum 449 Rees 2012 (Anm. 200), S. 42.

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vergleichenden Sehen in der Frühen Neuzeit, das in der vorliegenden Arbeit als Praxis der Einübung kultureller Identitäten vorgestellt wird, liegt darin, dass hier das tertium comparationis nicht von außen an die Objekte herangetragen wird, sondern von diesen selbst definiert wird. In den druckgrafischen Werken von Verstegen (Abb. 17) und Hondius (Abb. 4 und 5), die mittels des vergleichenden Sehens argumentieren, stellte das Feld die Frage nach der wahren und der häretischen Kirche dar, die in Rückbezug auf mittelalterliche Gegenüberstellungen von Ecclesia und Synagoga gestellt wurde. Die polemisierende Darstellung des konfessionell Anderen erzeugte in der Gegenüberstellung ein positives Selbstbild, das durch den ständigen Vergleich stabilisiert wurde. Im Prinzip ist dies auch die Grundverhandlung, die Scherpenheuvel gegenüber Willemstad eröffnet, die nun jedoch durch Raumrepräsentation geführt wurde. Durch das singuläre ästhetische Erscheinungsbild einer reformierten Stadt, die nicht nur im Grenzgebiet lag und den Namen der Identitätsfigur der niederländischen Republik trug, sondern in der darüber hinaus gerade die erste reformierte Kirche in den Niederlanden überhaupt gebaut wurde, geriet die Debatte konfessionell markierter räumlicher Ästhetiken auf ein neues Tableau. Wie im Vorangegangenen gezeigt wurde, war diese Auseinandersetzung zuvor bereits im Medium von Druckgrafiken geführt worden. Insbesondere die jeweilige Aneignung des Motivs des Niederländischen Gartens – mal von katholischer Seite wie bei Verstegen, mal von reformierter Seite wie bei Hondius – war eine visuelle Verhandlung über die konfessionelle und politische Vormachtstellung im niederländischen Territorium. Auch konfessionsspezifische Raumerfahrungen und Raumgestaltungen waren in diesen Kupferstichen bereits ein Thema; bei Hondius wurden sie über den architektonischen Raum zweier Kirchen geführt. Durch den Bau von Scherpenheuvel und das dadurch erzeugte konzeptionelle Spannungsverhältnis zu Willemstad, das durch die ästhetische Nähe hervorgebracht wurde, wurde die Frage konfessionell zuordenbarer Raumgestaltungen nun jedoch auf das Feld der Raumerfahrung erweitert.

3 Neue Kirchenräume

3.1 Einleitung Wie wird konfessionelle Identität im Kirchenraum sichtbar und wie stiften Kirchenraum und Ausstattung wiederum Zugehörigkeit? Diese Frage stellt sich gerade deshalb für die beiden Kirchenbauten, die in Willemstad und Scherpenheuvel errichtet wurden, weil es sich um die erste reformierte Kirche und die größte katholische Kirche nach der Reformation in den Niederlanden handelt. Im vorangegangenen Kapitel wurde die These aufgestellt, dass in beiden Fällen Stadtraum und Kirchenraum eng miteinander verzahnt sind, weil die beiden Zentralbauten jeweils im Zentrum der Stadt lokalisiert sind und durch ihre polygonalen Grundrisse mit der Fortifikation der Stadtanlagen korrespondieren. Dass diese Kongruenz jeweils unterschiedlich historisch bedingt ist – im Fall von Willemstad wurde erst die siebenseitige Stadtanlage gebaut und dann die Kirche errichtet, während es sich in Scherpenheuvel andersherum verhält – ist seit Mitte des 17. Jahrhunderts nach Abschluss der Bauarbeiten nicht mehr sichtbar. Wenn für beide Konfessionen die Bauaufgabe durch einen polygonalen Zentralbau gelöst wurde, stellt sich die Frage, mittels welcher Gestaltungsmerkmale das jeweils konfessionell Eigene in Architektur und Ausstattung erfahrbar wird. Schließlich stellte sich bei beiden Bauten eine ähnliche Herausforderung: Es musste ein Kirchenraum geschaffen werden, der den eigenen liturgischen Ansprüchen und der Funktion der Bauten gerecht wurde, wobei für die architektonische Umsetzung die Abgrenzung und Bezugnahme zu älteren Kirchenbauten ein zentrales Thema war. Für die reformierte Kirche galt es, einen Bautypus zu entwickeln, der sich sichtlich von den bestehenden katholischen Kirchen der Niederlande unterschied und dennoch eine Architekturform und einen Stil ausstellte, der nicht etwa neu wirkte, sondern mit dem man sich in die Tradition des ›eigentlichen‹ Christentums stellen konnte. Schließlich verstanden sich die Reformierten nicht als neue Konfession, sondern als »verfolgte und unterdrückte Kirche«, wie Hondius es in seiner Druckgrafik formuliert hatte (Abb. 5), und dieses Anknüpfen an das ›wahre Christentum‹ musste zum Ausdruck kommen. Für den Bau der Wallfahrtskirche dürften ähnliche Abwägungen relevant gewesen sein. Der Kupferstich von Verstegen (Abb. 17) führt vor Augen, dass Altertum (»antiquitas«) und die Einigkeit im universellen Anspruch (»universalitas«) aus katholischer Perspektive zwei wesentliche Distinktionsmerkmale ge-

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genüber den reformierten Kirchen darstellten. Eine Vorgabe für die Entwicklung der Architektur für die Scherpenheuveler Kirche musste sein, diese Ansprüche visuell greifbar und räumlich erfahrbar zu machen. Um zu verstehen, in welchem Kontext eine Bautypologie für den reformierten Gottesdienst entstand, ist es sinnvoll, nicht erst bei der Koepelkerk in Willemstad anzusetzen, sondern nachzuzeichnen, wie und wo die Reformierten bis zum Bau eigener Kirchen ihren Gottesdienst feierten.

3.2 Neue Räume 3.2.1 Umnutzung von Kirchenräumen

Ein erneuter Blick auf die vergleichenden Kupferstiche von Hondius (Abb. 4 und 5) verdeutlicht die Herausforderung der Bauaufgabe ›konfessionsspezifischer Bau‹. Die konfrontative Darstellung von katholischer und reformierter Kirche führt zu einer Grenzziehung zwischen den Konfessionen mittels eines vergleichenden Sehens, das Unterschiede und Gemeinsamkeiten pointiert herausstellt, wobei der grundsätzlich gleiche Bildaufbau dazu führt, dass das jeweils Konfessionsspezifische deutlich hervortritt. Eine der Gemeinsamkeiten in Hondius’ Kupferstichen ist der architektonisch gleich erscheinende Kirchenraum. Differiert zwar die Überzeugung davon, was im Zentrum des Gottesdienstes stehen soll – nämlich Altar oder Kanzel – ist die Architektur der Bauten als einschiffige Hallenkirchen mit abschließendem Chor dennoch gleich. Die Kupferstiche rekurrieren auf die tatsächliche Nutzung sakraler Räume um 1600. Nach den Bilderstürmen und der Ernennung des Reformiertentums zur Publieke Kerk wurden die vormals katholischen Kirchen nun für den reformierten Gottesdienst genutzt.⁴⁵⁰ Für diesen waren die Bauten allerdings ja gar nicht errichtet worden, sodass es unweigerlich zu Herausforderungen in der liturgischen Nutzung kommen musste. Einige Motive der zweiten Darstellung (Abb. 5) verweisen auf ein damit einhergehendes ›Problem‹. Die formal größte Schrift auf den beiden Darstellungen ist die Angabe der Himmelsrichtungen Nord und Süd im ersten Blatt (Abb. 4). Hiermit ist die Ostung und auch die Gerichtetheit des katholischen Baus angezeigt, die als verbindlich angesehen wurde. Da im Pendant-Blatt eine solche Angabe fehlt, ist implizit ein Hinweis darauf gegeben, dass die östliche Orientierung nicht länger als verbindlich angesehen wurde. Gerichtet bleibt der reformierte Kirchenraum durch die Bauform des Longitudinalbaus dennoch. In der Grafik weicht der Altar einer Kanzel, wodurch der liturgischen Veränderung der katholischen Eucharistiezentriertheit gegenüber 450 Vgl. Justin E. A. Kroesen: Accomodating Calvinism. The Appropriation of Medieval Chuch Interiors for Protestant Worship in the Netherlands after the Reformation. In: Protestantischer Kirchenbau in der Frühen Neuzeit in Europa. Grundlagen und Forschungskonzepte. Hg. von Jan Harasimowicz. Regensburg 2015, S. 81–98 sowie van Swigchem, Brouwer und van Os 1984 (Anm. 120).

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einem reformierten Wortgottesdienst Rechnung getragen wird. Durch den Aufstellungsort im Chorraum verweist sie implizit zwangsläufig auf den Altar, der zuvor an dieser Stelle gestanden hatte. Dass diese Gerichtetheit des Baus für die reformierte Liturgie nicht länger Gültigkeit besaß, zeigen die Figuren im Bild der reformierten Kirche durch ihre Position im Raum selbst an: Sie sind nicht nach Osten gewendet, sondern zur Mittelachse des Kirchenschiffs. Somit entsteht eine Spannung aus einem vorhandenen gerichteten Kirchenbau, dessen Ausrichtung aber nun keine Bedeutung zugesprochen werden soll. Hondius’ Bild thematisiert diese Rekonfiguration nur implizit. Weil bei ihm die Kirchen als allegorische Bauten fungieren, wird ihre Architektur nicht dazu genutzt, eine Debatte darüber zu führen, wie ein genuin reformierter Kirchenraum gestaltet sein könnte. Doch durch die unterschiedliche Ausstattung der gezeigten Kirchen ergibt sich zumindest ein Verweis auf die verschiedenen Liturgien.⁴⁵1 Wie also konnten Reformierte den eigenen Gottesdienst in den katholischen Kirchenbauten feiern? Wie musste der Raum verändert und angeeignet werden, um für den reformierten Gottesdienst optimal genutzt werden zu können? Wie muss sich die Gemeinde im Raum verhalten? In Konsequenz stellt sich schließlich die noch viel grundsätzlichere Frage: Wie kann und soll ein reformierter Kirchenbau aussehen? Als Hendrick Hondius die Kupferstiche anfertigte, gab es keinen einzigen Kirchenbau in den Nördlichen Provinzen, der eigens für den reformierten Gottesdienst gebaut worden war. In seiner Darstellung scheint es offensichtlich möglich, einen vormals katholischen Bau nun für einen reformierten Gottesdienst zu nutzen. Denn: Hondius setzt dem katholischen Bau kein radikal Anderes gegenüber, sondern hält an der grundsätzlichen architektonischen Struktur fest. Lediglich die Raumnutzung, nicht aber der Raum selbst, werden in seiner Darstellung als problematisch thematisiert.⁴⁵2 Ein erster Aneignungsprozess waren die Bilderstürme von 1566, bei denen aus einer Vielzahl katholischer Bauten jegliche Bildwerke entfernt wurden. Ein gut dokumentiertes Beispiel stellt die Utrechter Domkirche dar. Der mittelalterliche gotische Bau wurde während der ersten Bilderstürme 1566 zwar verschont, doch kurz nachdem in Utrecht 1579 die Utrechter Union geschlossen wurde – bei der 451 Der reformierte Gottesdienst ist ein Wortgottesdienst, sodass die Kanzel das Zentrum bildet. Das Abendmahl wird nicht am Altar gefeiert, sondern an einem Abendmahlstisch, der in der Regel mobil und zumeist aus Holz gestaltet ist. Abendmahlsgottesdienste fanden zumeist nur wenige Male im Jahr statt. Zum reformierten Gottesdienst vgl. Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 33– 38 und Spicer 2007, S. 4–12. 452 Der Konfessionalisierung von Kirchenräumen durch eine gezielte geänderte Raumpraxis bei Beibehaltung der architektonischen Grundvorraussetzung widmet sich neuerdings auch Cornelia Jöchner, vgl. das Symposium »Sakralbauten erforschen. Aktuelle Tendenzen in der Kunstgeschichte / Exploring sacred architecture. Current trends in Art History«, dessen Akten noch veröffentlicht werden. Zur katholischen Raumpraxis nach dem Tridentinum vgl. David Ganz, Georg Henkel: Kritik und Modernisierung. Der katholische Bildkult des konfessionellen Zeitalters. In: Handbuch der Bildtheologie. Bd. 1 Bild-Konflike. Hg. von François Boesflug, Reinhard Hoeps. Paderborn 2007, S. 262–285.

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Abb. 63: Anonym, Schriftbild, Hebräer 12,14-24, 1580-1581, Öl/Holz, Utrecht, Jacobikerk.

ja eigentlich Gewissensfreiheit garantiert wurde – griffen die Reformierten in die Ausstattung der Kirche ein.⁴⁵3 Noch gegenwärtig sichtbar wird dieser Akt an einem durch Restaurierungsarbeiten im 20. Jahrhundert freigelegten Altar, bei dem den Heiligenfiguren grobschlächtig die Köpfe abgeschlagen wurden.⁴⁵⁴ Ein weiteres Beispiel ist aus der Jacobikerk in Utrecht überliefert. Die Darstellung einer großformatigen Gregorsmesse wurde in der Zeit der Konfessionalisierung zunächst weiß übermalt und dann mit Schrift versehen (Abb. 63 und 64). Wortwörtlich trat in diesem Beispiel »die Schrift über das Bild«, wie Corinne van Dijk konstatierte.⁴⁵⁵ Wurde die Utrechter Jacobikerk während der 1570er Jahre noch bikonfessionell genutzt, änderte sich dies mit der Utrechter Union 1579 und alle katholisch assoziierten Ausstattungsstücke wurden aus der Kirche entfernt.⁴⁵⁶ Dass die Gregorsmesse nicht zerstört und aus der Kirche entfernt, sondern stattdessen übermalt und mit Text versehen wurde, zeugt von einem starken Interesse an konfessionellen Markierungen. Die Übermalung des Bildes ist gleichzeitig eine Bezugnahme auf die katholische Konfession wie eine Abgrenzung hierzu. Das Durchschimmern des alten Gemäldes unter der Oberfläche des Textpaneels, das mit bloßem Auge sichtbar ist, betont dies zusätzlich. Wie das Utrechter Beispiel veranschaulicht, wurden die Kirchen der bildlich453 Caspar Staal: Aspects of Iconoclasm in Utrecht. In: Iconoclasm and Iconoclash. Struggle for religious identity. Hg. von Willem van Asselt u. a. Leiden, Boston 2007, S. 313–330, hier S. 318. 454 Ob diese Dekapitation ursächlich symbolisch motiviert war, ist indes unklar. Da der Altar schließlich zugemauert wurde, ist es ebenso denkbar, dass die herausragenden Köpfe der Figuren schlicht eine Zumauerung nicht ermöglicht hätten und daher abgeschlagen wurden. 455 Corinne van Dijk: Word over Image. A Protestant text panel with a Catholic altarpiece under the surface. In: Traits of Tolerance. Religious Tolerance in the Golden Age. Hg. von Xander van Eck, Ruud Priem. Zwolle 2013, S. 27–32. 456 Ebd., S. 28.

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Abb. 64: Anonym, Gregorsmesse, ca. 1480, Öl/Holz, Utrecht, Jacobikerk. Infrared reflectogram (Ige Verslype).

figuralen Ausstattung üblicherweise entleert und die Wände gekalkt, stattdessen wurden Wappenschilde, Texttafeln und Schriftgemälde installiert. Mia Mochizuki hat sich intensiv mit neuen Formen von Bildlichkeit in reformiert genutzten Kirchenräumen der Niederländischen Republik beschäftigt.⁴⁵⁷ Anhand der Grote Kerk in Haarlem konnte sie zeigen, wie in Kirchen figurale Gemälde durch Schriftgemälde ersetzt wurden, die eine neue eigene Form von Bildlichkeit darstellten. Ihr medialer Charakter differiert schon aufgrund des Großformats in Öl auf Leinwand gegenüber dem einfacher Schrifttafeln. Dieser mediale Umbau veranschaulicht Mochizuki zufolge ein kreatives Potential, das erst durch den Ikonoklasmus freigesetzt wurde. Justin Kroesen hat zuletzt darauf aufmerksam gemacht, dass auch figürliche Bilder in reformierten Kirchenräumen im 16. und 17. Jahrhundert zu finden waren; sei es, dass es sich um übernommene Ausstattungstücke wie geschnitzte Kanzeln aus vorreformatorischer Zeit handelte, sei es, dass neues Mobiliar reformierter Provenienz installiert wurde.⁴⁵⁸ Die vormals katholischen Kirchengebäude blieben somit erhalten und konnten nun für den reformierten Gottesdienst genutzt werden. Der Besitz der Kirchen ging an den Staat über, was bedeutete, dass die Bauten zwar den Reformierten für den Gottesdienst zur Verfügung standen, nicht aber, dass sie frei darüber verfügen konnten. Dies hatte zur Folge, dass die Gebäude nun für je457 Vgl. Mia Mochizuki: The Netherlandish Image after Iconoclasm 1566–1672. Material Religion in the Dutch Golden Age. Aldershot 2008. Bemerkenswert ist der heftige Widerstand, den die ältere Forschung Mochizukis Ergebnissen gegenüber äußerte. Die noch immer verbreitete Vorstellung eines ikonophoben Calvinismus verkennt die Leistungen der Publikation; vgl. etwa die Rezension von Simon Watney. In: The Burlington magazine 1283.152 (2010), S. 103–104. 458 Vgl. Kroesen 2015 (Anm. 450).

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den jederzeit, auch während der Gottesdienste, öffentlich zugänglich waren.⁴⁵⁹ War dies auf der einen Seite für die Publieke Kerk durchaus attraktiv, weil hierdurch implizit Werbung für Konversion betrieben werden konnte, bedeutete es gleichzeitig eine ständige Störung des geregelten kirchlichen Ablaufes, da sich der Gottesdienst auf konkrete Räume innerhalb der Kirchenbauten konzentrierte, während um diese Bereiche herum jedem der Zugang zur Kirche möglich war. Speziell eingestellte Hundeschläger (Hondeslagers) zeugen davon, dass es mitunter recht lebhaft zugehen konnte und ein ruhiger Gottesdienstablauf nicht garantiert war.⁴⁶⁰ Hinzu kommt, dass die Bauform des Longitudinalbaus der Altgläubigen für einen reformierten Gottesdienst eine ungünstige Raumkonfiguration darstellte. Hätte man die östliche Orientierung des vormals katholischen Raumes beibehalten, hätte das Fehlen des Altars eine Leerstelle gebildet, sodass dieser, aufgrund des kulturellen Gedächtnisses der Kirchgänger, weiterhin gedanklich aufgerufen worden wäre. Dies wurde umgangen, indem nur spezielle Bereiche innerhalb des Kirchenraumes für den Gottesdienst gewählt wurden, was eine Umorientierung im Raum zur Folge hatte. Bert van Swigchem hat mit zwei Kollegen anschaulich zusammengefasst, wie etwa der Raum der Grote of Sint-Bavokerk in Haarlem nach der Reformation umgenutzt wurde (vgl. deren Rekonstruktionsskizze, Abb. 65).⁴⁶1 Demzufolge lässt sich die Kirche in Preekkerk und Wandelkerk aufgeteilt verstehen: Der Begriff Preekkerk bezeichnet zwei Räume innerhalb des Kirchengebäudes; der eine ist ein annähernd quadratischer Raum im westlichen Mittelschiff, dessen reformierte Nutzung durch die Anbringung der Kanzel am mittleren südlichen Pfeiler markiert wurde. Denn hierdurch wandte sich die Gemeinde in Richtung des südlichen Seitenschiffes und somit weg vom Chorraum. Dieser auch als Dooptuin oder Doophuis (ndl. für Taufgarten beziehungsweise Taufhaus) bezeichnete Bereich wurde für Predigt und Taufe genutzt.⁴⁶2 Sichtbar werden diese reformiert-liturgisch genutzten Räume innerhalb des vormals katholischen Kirchenbaus in zahlreichen Kirchenbildern des 17. Jahrhunderts. Ein Gemälde des aus Tournai stammenden Anthonie de Lorme (1610–1673) zeigt etwa, wie die rund um die Kanzel errichtete Magistraatsbank den Bereich des Wortgottesdienstes markierte (Abb. 66).⁴⁶3 Ein zweiter Raum lässt sich im Mittelschiff des Chores im Osten ausmachen, dieser war für Trauungen und Abendmahl vorge459 Vgl. Pollmer-Schmidt 2017 (Anm. 32), S. 36f. 460 So etwa in der Grote of Sint-Bavokerk in Haarlem, an dessen nördlichen Seitenschiff sich noch heute die sogenannte Hondenslagerskapel befindet. 461 van Swigchem, Brouwer und van Os 1984 (Anm. 120). Ein weiteres Beispiel wäre die Laurenskerk in Rotterdam, bei der bis 1685 ebenso verfahren wurde, vgl. ebd., S. 63; siehe auch PollmerSchmidt 2017 (Anm. 32), S. 33–38. 462 van Swigchem, Brouwer und van Os 1984 (Anm. 120), S. 194f., Poscharsky 1963 (Anm. 116), S. 60–64 und S. 74–82. 463 Anthonie de Lorme, Interieur der Laurenskerk in Rotterdam, 1655, Leinwand, 136 x 114 cm, Museum Rotterdam, Inventar-Nr. 11003-A-B; siehe Paul Rem: Het interieur van de Grote Kerk van Dordrecht en van de Laurenskerk van Rotterdam van 1572 tot omstreeks 1625. 2 Bd. Amster-

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Abb. 65: Rekonstruktion der reformierten Nutzung der Haarlemer St. Bavokerk, in: van Swigchem, Brouwer und van Os 1984 (Anm. 120), S. 2.

sehen.⁴⁶⁴ Die übrigen Räume der Kirche – Seitenschiffe, Querhaus und Chorumgang – können hingegen als Wandelkerk (ndl. wandelen: umhergehen, flanieren) verstanden werden. Dies bedeutet, dass es sich um Bereiche der Kirche handelte, die jederzeit frei zugänglich waren. Es liegt daher auf der Hand, dass die nach der Reformation neu errichteten reformierten Kirchenbauten diesen räumlichen und liturgischen Ansprüchen Rechnung zu tragen hatten. Wie sollte er also aussehen, der reformierte Kirchenbau? Die ältere kunstgeschichtliche Forschung hatte diese Frage eher rückblickend gestellt. Aufgrund der heute vorhandenen Bauten wurde die Entwicklung eines reformierten Bautypus der Niederlande rekonstruiert, wobei die Koepelkerk in Willemstad (1607) zumeist den Auftakt bildete, um anhand der Untersuchung von Grundrissgestaltungen und stilistischen Merkmalen für die Bauten des 17. Jahrhunderts eine Kontinuität- und Fortschrittsgeschichte zu schreiben.⁴⁶⁵ Unabhängig von der Problematik einer solchen teleologischen

dam 1998 (unv. Diss.), Kat.-Nr. De Lorme R3, S. 199; Walter Liedtke: Architectural painting in Delft. Doornspijk 1982 (Aetas aurea 3), S. 69–71. 464 van Swigchem, Brouwer und van Os 1984 (Anm. 120), S. 4–5. 465 Murk Daniel Ozinga: De protestantsche kerkenbouw in Nederland. Van hervorming tot Franschen tijd. Amsterdam 1929; sowie Spicer 2007 (Anm. 74).

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Abb. 66: Anthonie de Lorme, Interieur der Laurenskerk in Rotterdam, 1655, Leinwand, 136 x 114 cm, Stadsmuseum Rotterdam.

Geschichtsschreibung blieb die Frage nach möglichen Vorbildern und Bezugspunkten gerade für die ersten Bauten jedoch lange ungestellt. Die Kupferstiche von Hondius umgehen indes die Frage nach einer spezifisch reformierten Bauform. Hondius hat es in Kauf genommen, die Frage nach einer konfessionellen Bautypologie außen vor zu lassen, um institutionelle und liturgische Positionen pointierter diskutieren zu können. Das in der Gegenüberstellung der beiden Kirchen eröffnete Argument der wahren und der falschen Kirche entfaltet sich über die Raumnutzung und nicht über dessen grundsätzliche Disposition. Wird der Bildaltar als liturgisches Zentrum entfernt und die päpstliche Autorität aufgegeben, so kann laut den Druckgrafiken ein reformierter Gottesdienst in einem vormals katholischen Bau stattfinden. In der Praxis war die Nutzung jedoch komplizierter als es Hondius’ Darstellung suggeriert. De facto war die Frage nach einer spezifisch reformierten Bautypologie längst gestellt worden. Während Hondius um 1600 in Den Haag die Kupferstiche ausarbeitete, waren in Willemstad zeitgleich die Grundsteine für die erste reformierte Kirche in den Niederlanden bereits gelegt worden. Und ganz im Gegensatz zu Hondius’ Darstellung wurde hier eine deutliche architektonische Distanz zu katholischen Bauten angestrebt. Die Form des Zentralbaus stellte eine Lösung für das Problem der Gerichtetheit von Longitudinalbauten dar, die auch funktional

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sinnvoll war. Wenn die Predigt zum wichtigsten Bestandteil des Gottesdienstes wurde, ermöglichte ein Zentralbau, dass diese auch überall gehört werden konnte. Es scheint, als sei die reformierte Nutzung der vormals katholischen Kirche eine Raumvorgabe für den Bau genuin reformierter Kirchen gewesen. 3.2.2 Erste ephemere protestantische Kirchen in den Niederlanden

Die Koepelkerk in Willemstad gilt zwar als ältester reformierter Kirchenbau in den nördlichen Niederlanden, es dürfte sich jedoch mitnichten um die erste gebaute reformierte Kirche der Niederlande handeln.⁴⁶⁶ Joris Snaet hat sich dezidiert der Frage nach Vorbildern für die ersten reformierten Kirchenbauten in den nördlichen Niederlanden zugewendet und konnte ephemere Bauten rekonstruieren, die als mögliche Bezugspunkte für reformierte Kirchen wie die Koepelkerk in Betracht gezogen werden könnten.⁴⁶⁷ Zwar bieten Snaets Untersuchungen nur einen kleinen Einblick in die Vielfalt früher protestantischer Bauten, und eine systematische Untersuchung etwa der zeitgenössischen Stadtchroniken steht bis dato noch aus, dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten der ersten reformierten Kirchen ausmachen. Während in Deutschland bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreiche protestantische Kirchen errichtet wurden und Louis Hautecoeur für das Jahr 1598, als das Edikt von Nantes erlassen wurde, in Frankreich ca. 700 protestantische Kirchen vermutet, wurden in den Niederlanden die ersten Kirchen ab 1566 gebaut.⁴⁶⁸ Es handelte sich hierbei um kleine Bauten aus einfachen Baumaterialien, die zudem im öffentlichen Stadtbild nicht sichtbar waren. Etwa lagen die Antwerpener Kirchen, wie einer Stadtansicht Georg Hoefnagels von 1574 zu entnehmen ist, allesamt auf Arealen, die von den Rückseiten umliegender Wohnhäuser gesäumt wurden.⁴⁶⁹ Zudem bestanden sie allesamt weniger als zwei Jahre, bis sie von wallonischen Truppen zerstört wurden. Snaet konnte für Antwerpen drei protestantische Kirchen innerhalb der Stadtmauern nachweisen (lutherische Kirche auf dem Gebiet de Lijmhof, 1566; reformierte Kirche 466 Ein Überblick zum reformierten Kirchenbau in europäischer Perspektive auch bei Klaus Merten: Der Kirchenbau der Reformierten. In: Kat. Ausst. Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Hg. von Ansgar Reiss, Sabine Witt. Deutsches Historisches Museum Berlin. Dresden 2009, S. 296–303. 467 Joris Snaet: De eerste protestantse tempels in de Nederlanden. Een onderzoek naar vorm en perceptie. In: Bulletin KNOB 98 (1999), S. 45–58. Ein kurzer Abriss findet sich auch in dem zeitgleich mit Snaet erschienen Überblick von Andrew Spicer, siehe Spicer 2007 (Anm. 74), S. 106–116. Siehe außerdem Joris Snaet: For the Greater Glory of God. Religious Architecture in the Low Countries 1560–1700. In: Unity and Discontinuity. Architectural Relations between the Southern and the Northern Low Countries 1530–1700. Hg. von Krista de Jonge, Konrad Ottenheym. Turnhout 2007 (Architectura moderna 5), S. 251–297. Snaets Dissertation blieb leider unpubliziert: Reformatie versus Contrareformatie. De religieuze architectuur in de Noordelijke en Zuidelijke Nederlanden gedurende de 16de en 17de eeuw. Leuven 2008 (unv. Diss.). 468 Louis Hautecoeur: Histoire de l’Architecture classique en France. Bd. 1,3. La reconstruction de la France. L’architecture religieuse. Paris 1966, S. 598–604. 469 Georg Hoefnagel, Antverpia, 1574, 45x78 cm, Antwerpen, Stadtarchiv; vgl. Snaet 1999 (Anm. 467), S. 47.

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Abb. 67: Joris Snaet, Rekonstruktion des protestantischen Tempels Gent, in: Snaet 1999, S. 48.

am Wapper hinter dem Kolveniershof 1566; reformierte Kirche de lange Tempel in den Gasthuysbemden, 1566), für Gent und Oudenaarde reformierte Kirchen kurz außerhalb der Stadtmauern und weitere reformierte Bauten in Haarlem, Gorcum und Leiden.⁴⁷⁰ Sie alle waren auf einem achteckigen oder ovalen Grundriss hochgezogen und entweder im unteren Geschoss aus Sandstein gefertigt und darüber aus Holz aufgerissen oder gleich gänzlich aus Holz gefertigt. Die Dächer waren mit Stroh oder Schindeln gedeckt, zudem handelte es sich wohl um Satteldächer und nicht etwa um Kuppeln (Abb. 67).⁴⁷1 Eine direkte Linie zwischen diesen ersten protestantischen Bauten in den Niederlanden und der Koepelkerk in Willemstad zu konstruieren erweist sich als müßig. So liegen zwischen diesen Bauten, die allesamt 1566 innerhalb nur kurzer Zeit errichtet wurden und keine zwei Jahre Bestand hatten, und den ersten Entwürfen für die Koepelkerk eine Zeitspanne von 25 Jahren. Zudem waren die ersten Kirchen praktisch selbstorganisiert errichtet worden, im Fall der reformierten Kirche am Wapper in Antwerpen z. B. von immigrierten Hugenotten. Bei Willemstad handelt es sich hingegen um ein offizielles Projekt, unterstützt durch den Statthalter Moritz. Erst in der Nachfolge Wilhelm von Oraniens durch seinen Sohn Moritz 1584 beziehungsweise 1585, gab es den offiziellen Beschluss des Statthalters, politisch und finanziell den Bau reformierter Kirchen zu forcieren. Formale Übereinstimmungen zwischen den Bauten von 1566 und der Koepelkerk sind daher nicht direkt voneinander abzuleiten. Gleichwohl ist zu vermuten, dass in diesen 25 Jahren weitere kleine Kirchen errichtet worden waren, die als Zentralbauten angelegt gewesen sein könnten. Dies erscheint auch im Hinblick auf das benachbarte Frankreich wahrscheinlich; bereits die 1563 in Lyon errichtete Kirche Le Paradis, deren Gestaltung durch Jean Perresin überliefert ist, wurde auf einem runden Grundriss errichtet und die weiteren Kirchen, die nach dem Edikt von Nantes gebaut wurden, wie die in La Rochelle, Rouen, Caen, Dippe und Montauban entsprachen diesem Vorbild.⁴⁷2 Snaet vermutet daher einen 470 Snaet 1999 (Anm. 467); für Gent vgl. Pettegree, Duke, Lewis 1997, S. 153–155. 471 Snaet 1999 (Anm. 467) sowie Snaet 2007 (Anm. 467), S. 251–254. Die Abbildung zeigt eine Rekonstruktionsskizze der Genter Kirche von Joris Snaet. 472 Snaet 1999 (Anm. 467), S. 50. Für reformierte Kirchen in Frankreich siehe auch Randal Carter

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»Urtyp« reformierter Kirchen, der vor 1563 in Frankreich entstand und auf den sich alle frühen reformierten Kirchen in Frankreich und in den Niederlanden zurückführen lassen; schließlich war die erste reformierte Kirche in Antwerpen durch französische Flüchtlinge errichtet worden.⁴⁷3 Gleichzeitig verweist Snaet auf die Architekturtraktate Serlios, welche einen Zentralbau favorisieren und in den Niederlanden Mitte des 16. Jahrhunderts sehr verbreitet waren.⁴⁷⁴

3.3 Koepelkerk in Willemstad als älteste reformierte Kirche der Niederlande 3.3.1 Architektur Lage

Die von Joan Blaeu publizierte Karte (Abb. 22) zeigt, dass auf dem für eine Kirche vorgesehenen annähernd quadratischen Areal am Kreuzungspunkt der beiden Hauptstraßen ein Sakralbau realisiert wurde. Der Abgleich mit der Karte von Simon Damass van Dueren von 1586 (Abb. 37) offenbart einige städtebauliche Änderungen im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. So ist die Bebauung der Stadt wesentlich vorangeschritten und auch die im Süden gelegenen Grundstücke sind parzelliert und Wohnhäuser wurden errichtet. Am Beginn der Hauptstraße wurde ein Marktplatz geschaffen, dort wurde auch das neue Rathaus gebaut. Im Südwesten findet sich der als »t’ Prince Huÿs« inschriftlich bezeichnete Landsitz von Moritz, das heutige Mauritshuis. Durch eine Legende am linken Rand der Druckgrafik werden die einzelnen Elemente der befestigten Stadt erläutert. Diese folgen einer hierarchischen Ordnung: An erster Stelle ist der Kirchenbau genannt, dann das Rathaus, Mauritshuis, Munitionsmagazin und Marktplatz, zuletzt werden die fortifikatorischen Elemente benannt. Auch die Befestigung der Stadt wurde innerhalb dieses Zeitraums weiter ausgebaut. Die Hafenzufahrt wurde baulich verengt und durch neue Bastionen verstärkt und auch der Zugang über den Landport wurde weiter abgesichert, indem man diesem einen Ravelin vorschaltete. Am deutlichsten fällt jedoch die architektonische Gestaltung der Kirche in der Darstellung von Blaeu auf, die mit dem heutigen Zustand der Kirche in Willemstad in weiten Teilen kongruent ist, gegenüber der Darstellung eines Kirchenbaus auf der Karte von Simon Damass jedoch deutlich abweicht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass zu dem Zeitpunkt, als Damass seine Karte erstellte Working: The Visual Theology of the Huguenots. Towards an Architectural Iconology of Early Modern French Protestantism 1535 to 1623. Eugene 2016 sowie David Thomson: Protestant temples in France c. 1566–1623. A pilot study. In: L’église dans l’architecture de la Renaissance. Actes du colloque tenu a Tours du 28 au 31 mai 1990. Hg. von Jean Guillaume. Paris 1995, S. 245– 256. 473 Snaet 1999 (Anm. 467), S. 50. 474 Ebd., S. 49f.

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(1586), zwar der Bau einer Kirche vorgesehen war, jedoch noch keine konkreten Entwürfe vorlagen. Womöglich stand zu diesem Zeitpunkt schon der Entschluss fest, den bereits zu katholischen Zeiten ohnehin als Areal für eine Kirche vorgesehenen Platz auch für einen reformierten Bau zu nutzen. Es sei daran erinnert, dass Willemstad bei seiner Gründung 1564 – damals noch unter dem Namen Ruigenhil – eine katholische Stadtgründung war. Die Karte von Jan Symonsz von 1570, die die erste städtebauliche Anlage dokumentiert hat, präsentiert Ruigenhil als klassisches Voorstraatdorp, bei dem eine lange Hauptstraße, orthogonal zum Wasser verlaufend, zu einer Querstraße führt, an der sich ein Platz mit einer Kirche befindet. Dass der an der Hauptstraße angelegte Platz von Anfang an als Areal für eine Kirche vorgesehen war, dokumentiert die Karte von Symonsz, die den Platz inschriftlich als ›TKERCKHOF‹ definiert (Abb. 29). Die Entscheidung, die Kirche für Willemstad an diesem zentralen Platz im städtebaulichen Gefüge zu errichten, darf daher nicht als eine dezidiert reformierte städtebauliche Lösung verstanden werden. Gleichwohl hätte man sich auch anders entscheiden können, um sich bewusst von einer katholischen Stadtanlage abzugrenzen. In jedem Fall scheint die gewählte Lage aus einem ästhetischen Blickwinkel eine optimale Lösung zu sein. Sie liegt an der Schnittstelle der beiden zentralen Achsen der Stadt und der große quadratische Platz, auf dem sie errichtet wurde, erlaubt eine Vielzahl möglicher Bauformen. Baugeschichte

Als der älteste Sohn Wilhelm von Oraniens aus dessen zweiter Ehe mit der lutherischen Anna von Sachsen, Moritz von Oranien (1567–1625), 1584 das Erbe Wilhelms antrat, gab er kurze Zeit später den Auftrag zum Bau einer Kirche für die reformierte Konfession.⁴⁷⁵ Obwohl Moritz bereits im Jahr 1586 die Summe von 600 Gulden Unterstützung für den Bau einer Kirche bereitstellte, dauerte es acht Jahre, bis erste Entwürfe in Auftrag gegeben wurden.⁴⁷⁶ Bis zur Fertigstellung der Kirche fand der Gottesdienst daher zunächst in einem Wirtshaus, später im ebenfalls von Moritz gestifteten Rathaus statt.⁴⁷⁷ Fraglich ist, warum es verhältnismäßig lange dauerte, bis in den Niederlanden der erste reformierte Sakralbau errichtet wurde; der Baubeginn war erst 1596 und die Kirche wurde 1607 475 Van Nispen 1983 (Anm. 271), S. 45. Zur Koepelkerk in Willemstad vgl. außerdem Ozinga 1929 (Anm. 465), S. 12–19. Ab 1575 war der Anteil der Reformierten in Willemstad wohl so groß, dass man einen reformierten Pfarrer einsetzte; siehe dazu Dane 1950 (Anm. 271), S. 111–116. 476 Der Stadtrat in Willemstad plädierte dafür, zunächst ein Rathaus zu errichten, in dem auch der Gottesdienst stattfinden konnte, die Übernahme der Baukosten über 3000 Gulden wurde 1587 von Maurtis zugesagt. Durch den Bau des Rathauses verschob sich die Errichtung der Kirche; vgl. van Nispen 1983 (Anm. 271), S. 45f. 477 Dies erklärt auch die Paragraphen einer der ersten Stadtverordnungen von Willemstad, in der unter anderem dezidiert untersagt ist, sich während des Gottesdienstes zu betrinken, publiziert in: Gerardus Cornelis Adrianus Juten: Bouwstoffen voor de geschiedenis van Willemstad. In: Taxandria. Tijdschrift voor Noorbrabantsche Geschiedenis en Volkskunde 39 (1932), S. 23–31, hier S. 27–30.

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fertiggestellt.⁴⁷⁸ Eine Erklärung mag sowohl darin liegen, dass die Reformierten im 16. Jahrhundert nicht die Mehrheit der Einwohner der Niederlande bildeten, als auch, dass bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden völlig ungeklärt war, wie der passende Bautypus für die Kirchen der reformierten Konfession auszusehen hatte.⁴⁷⁹ So lange in vielen Städten die vormals katholischen Kirchen genutzt werden konnten, schienen kirchliche Neubauten keine Dringlichkeit darzustellen. Wie wichtig das Stadtprojekt Willemstad mit dem Bau einer reformierten Kirche für den Kapitän-General der Land- und Seestreitkräfte der Vereinigten Provinzen, Moritz, war, erschließt sich nicht nur daraus, dass er schließlich den Großteil der Baukosten von 50.000 Gulden übernahm, sondern auch daraus, dass er ebenfalls entschied, ein Landhaus in eben dieser Stadt zu errichten.⁴⁸⁰ Wie Joris Snaet und auch Andrew Spicer dargelegt haben, scheint es zuvor zwar Hüttenkirchen oder Holzkirchen gegeben zu haben, die Koepelkerk hingegen ist die erste in Stein ausgeführte reformierte Kirche in den Niederlanden.⁴⁸1 Die Frage, welche Architektur für den reformierten Gottesdienst geeignet erscheint, wird bereits in dem ersten Entwurf für die Kirche in Willemstad sichtbar, der sich auf dem 1586 gefertigten Stadtplan von Simon Damass befindet (Abb. 37). Als der Landmesser kurz nach der Befestigung der Stadt seinen Plan anfertigte, fügte er auf dem mittig gelegenen Grundstück einen imaginären Kirchenbau ein. Der dort gezeigte Bau ist zwar kein tatsächlicher Entwurf für die zu bauende Kirche, sondern dient wohl eher der Idealisierung des Stadtplans; dennoch stellte sich ja auch für Simon Damass die Frage, wie der imaginierte Bau, den er hier integrierte, aussehen könnte. Der Bau der Kirche war zwar bereits im Jahr der Anfertigung des Stadtplans beschlossen, erste Entwürfe wurden jedoch wohl erst 1594 diskutiert.⁴⁸2 Damass’ Stadtplan sieht einen einschiffigen Longitudinalbau vor, der in der Flucht der Hauptstraße liegt. An der Westseite des Kirchenschiffs sind zwei seitliche Kapellen angegliedert, zwischen denen sich ein viergeschossiger Turm erhebt. Die Kirche ist aus roten Ziegeln errichtet, Gesimse und Turm sind aus grauem Stein gefertigt. Die Fassade wird durch rundbogige Fenster geöffnet und der Turm ist durch eine Rundbogenstellung auf Balustraden nach außen geöffnet, wodurch ein renaissancehafter Eindruck entsteht. Eine Kirche, die als Vorbild für Damass’ imaginären Bau fungiert hat, lässt sich nicht identifizieren. Eine erhaltene handschriftliche Notiz von Moritz offenbart, dass zumindest er eine klare Vorstellung davon hatte, wie die Kirche 478 Dane 1950 (Anm. 271), S. 120. 479 Für Willemstad liegen keine konkreten Zahlen vor, zu welcher Konfession sich die Bewohner in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bekannten. 480 Dieses als Mauritshuis bekannte Gebäude wurde 1623 von Willem Arentsen van Saalen errichtet und ist freilich nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls als Mauritshuis bekannten Bau in Den Haag, der 1633–1644 von Jacob van Campen und Pieter Post für Prinz Johann Maurits van Nassau, den Großneffen von Moritz von Oranien errichtet worden ist. Zum Mauritshuis in Willemstad siehe Dane 1950 (Anm. 271), S. 69f. 481 Spicer 2007 (Anm. 74); Snaet 2007 (Anm. 467) sowie Snaet 1999 (Anm. 467). 482 Dane 1950 (Anm. 271), S. 116f.

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der neuen Stadt auszusehen habe: »dat de kercke in Willemstadt in eene ronde ofte achtkantige forme zal ende behoort gemaeckt teworden«.⁴⁸3 Für die Kirche wurde kein prominenter Architekt engagiert, stattdessen wurden lokale Baumeister und Handwerker mit dem Bau beauftragt. Den Wünschen Moritz’ entsprechend, wurde die Koepelkerk auf einem achtseitigen Grundriss schließlich von Coenraad III. van Neurenberg gebaut.⁴⁸⁴ Coenraad III. (1548– 1603) war von Haus aus weder Architekt noch Baumeister, sondern wie sein Vater und Großvater zuvor Steinlieferant. Seine Kindheit verbrachte er vermutlich in Maastricht, 1568 wurde er dann Bürger in Namur.⁴⁸⁵ Von dort aus sind zahlreiche Aktivitäten als Lieferant für sogenannten Naamse Steen nachgewiesen, etwa für Befestigungsanlagen, Schleusen und Brücken.⁴⁸⁶ Ab etwa 1585 lebte van Neurenberg mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in Dordrecht und lieferte nun vor allem Steine nach Holland.⁴⁸⁷ Dordrecht, das nach der Einnahme der Geuzen am 25. Juni 1572 und der einen Monat später folgenden Anerkennung von Wilhelm als Führer des Unabhängigkeitskampfes ein Inbegriff der niederländischen reformierten Unabhängigkeit wurde, liegt nur wenige Kilometer von Willemstad entfernt. Zunächst war Coenraad III. eigentlich für die neu zu errichtende Kirche als Steinlieferant vorgesehen. Doch nachdem ein erster Entwurf für eine Kirche, der beim Middelburger Zimmermann Adriaan de Muyr 1594 in Auftrag gegeben wurde, nicht überzeugte, scheint sich van Neurenberg in die Baugestaltung mit eingemischt zu haben.⁴⁸⁸ So legte er im Juli 1595 ein zweites, verändertes Modell für die Kirche vor, das das vorherige um einen Turm ergänzte.⁴⁸⁹ Coenraad III. war daneben weiterhin als Steinlieferant und auch als Maurermeister für die Koepelkerk verantwortlich. Die Leitung über den Bau hatte indes der Ingenieur Andries de Roy inne.⁴⁹⁰ Baubeginn war im Oktober 1596 durch Zimmermann Pieter Cornelissen, der das Gelände vermaß und den Bau absteckte.⁴⁹1 Den Vertrag zum Bau der Kirche unterzeichneten im November 1597 in Den Haag schließlich neben van Neurenberg auch Cornelis Verhoeven, Maurer aus Rotterdam, und Jan Jansz. Orguel, Steinmetz aus Delft.⁴⁹2 Das Dach fertigte der Zimmermann Adriaen Dirksz. ab 483 Zitiert nach Dane 1950 (Anm. 271), S. 118. (»dass die Kirche in Willemstad eine runde oder achtseitige Form haben soll und gebaut werden soll«, Übersetzung der Autorin). 484 Hierzu Gabri van Tussenbroek: The architectural network of the Van Neurenberg family in the Low Countries (1480–1640). Turnhout 2006, bes. S. 123–132. 485 Ebd., S. 109. 486 Ebd., S. 109f. 487 Ebd., S. 110. 488 Dane 1950 (Anm. 271), S. 116. 489 Tussenbroek 2006 (Anm. 484), S. 126. 490 Auch de Roy hatte 1596 noch einen Entwurf eingereicht, für den er 50 Gulden Bezahlung erhielt, sodass nicht abschließend zu klären ist, auf wen der ausgeführte Bau zurückgeht; Dane 1950 (Anm. 271), S. 117. 491 Tussenbroek 2006 (Anm. 484), S. 127. 492 Zu diesem Zeitpunkt sicherte auch Moritz eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 7000 Gulden für den Bau der Kirche zu, während sich die Gesamtkosten auf über 50.000 Gulden summierten; Dane 1950 (Anm. 271), S. 118 u. 120.

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Abb. 68: Coenraad III. van Neurenberg III, Koepelkerk, Willemstad, 1596–1607.

April 1605; Claes Jansz., Schmied aus Delft gestaltete ein Kreuz, das auf der kleinen Kuppel des Dachs angebracht war.⁴⁹3 Aert Thonisz., Kupferschmied aus Delft, fertigte den Wetterhahn an. Wynant Jansz. aus Amsterdam lieferte die Glocke für 472 Gulden.⁴⁹⁴ Jacob Olivier aus Delft entwarf die Kanzel und die Magistratsbank, gebaut wurden diese von Joost Hendricksz. aus Dordrecht und Joris Adriaensz. aus Den Haag.⁴⁹⁵ Die Übersicht über die Baugeschichte der Koepelkerk macht deutlich, dass ein einzelner Architekt oder Bauleiter nicht mehr zu identifizieren ist. Die erhaltenen Quellen lassen zwar darauf schließen, dass Coenraad III. van Neurenberg wesentlich für das endgültige Erscheinungsbild der Kirche mitverantwortlich gewesen sein dürfte, doch bleibt unklar, welche Personen seitens der städtischen Verwaltung und seitens der Kirche sich für die Umsetzung der Kirche verantwortlich zeigten. Baubeschreibung

Dem ausdrücklichen Wunsch Moritz die Kirche als Zentralbau zu errichten wurde entsprochen und die Kirche wurde als achtseitiger polygonaler Zentral-

493 Tussenbroek 2006 (Anm. 484), S. 129. 494 Dane 1950, S. 120. 495 Ebd.

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Abb. 69: Koepelkerk nach dem Brand von 1950, Fotografie von 1951.

bau errichtet (Abb. 68).⁴⁹⁶ Das originäre Erscheinungsbild der Kirche und insbesondere die Gestaltung des Innenraums lässt sich nicht exakt rekonstruieren. Grund hierfür sind zum einen kleinere Restaurierungsmaßnahmen im 18. Jahrhundert sowie mindestens ein dokumentierter Brand der Kirche bei weiteren Restaurierungsarbeiten im Jahr 1950 (Abb. 69).⁴⁹⁷ Der Abgleich des heutigen Baus mit Fotografien vor dem Brand sowie Druckgrafiken des 17. Jahrhunderts ergibt jedoch, dass zumindest das äußere Erscheinungsbild seitdem nur unwesentlich verändert worden sein kann. Die Kirche ist als eingeschossiger Zentralbau auf oktogonalem Grundriss errichtet worden (Abb. 70). Im Südwesten schließt sich ein massiver Turm auf quadratischem Grundriss an, der jedoch nicht fertiggestellt wurde, sodass der Turm auf halber Höhe des Dachs der Kirche endet. Dieser Umstand trägt ebenso wie die verhältnismäßig große Grundfläche des Turmes dazu bei, dass die Architektur ein unausgewogenes Erscheinungsbild aufweist. Etwas unstimmig wirken die vorgeblendeten gestuften Pfeiler, die wohl Kirchenbau und Glockenturm optisch zusammenschließen sollen. Diese Lösung wirkt jedoch aufgrund der geringen Höhe des Turmes unproportional und unabgeschlossen (Abb. 71). Warum der Turm unvollendet geblieben ist, konnte bislang nicht geklärt werden. Mögliche Gründe wären, dass ent496 Der sich an der Südostseite des Baus anschließende Raum wurde erst 1657 ergänzt; van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 71. Es handelt sich um eine sogenannte consistoriekamer, also einen Raum, in dem das Konsistorium tagt, was in etwa dem deutschen Kirchengemeinderat entspricht. Der Anbau war zunächst aus Holz errichtet und wurde 1694 in Stein ausgeführt. 497 Die Kirche war 1791 restauriert worden, nahm jedoch Schaden bei dem Beschuss durch die Franzosen 1793, sodass die Kirche erneut restauriert werden musste; Dane 1950, S. 125 und Ozinga 1929 (Anm. 465), S. 18. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie 1944 erneut beschädigt; bei den Restaurierungsarbeiten 1950 geriet die Kirche in Brand. Bedauerlicherweise ging dabei auch das Kirchenarchiv verloren; vgl. van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 282f.

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Abb. 70: Grundriss der Koepelkerk, aus: Ozinga 1929, S. 15.

weder der Baugrund nachträglich für ungeeignet befunden wurde, den Turm zu tragen, oder dass er möglicherweise aus Kostengründen nicht fertiggestellt wurde.⁴⁹⁸ Der erste Eindruck der Kirche ist maßgeblich von dem verwendeten Material geprägt. Die planen Wandflächen sind aus rotem Ziegel geklinkert und den Bau umlaufende Gesimse sowie die Fenstereinfassungen sind in hellem Sandstein dagegen abgesetzt. Durch den Einsatz des sonst im 17. Jahrhundert typischerweise beim Bau von Wohnhäusern verwendeten Materials, den roten Ziegeln, fügt sich der Bau trotz seiner topografischen Hervorhebung, freistehend auf einem von Wasser umgebenen Platz, innerhalb des städtebaulichen Kontextes optisch und materialästhetisch in die umgebende Architektur der Häuser ein. Er evoziert dadurch einen eher bescheidenen und wenig opulenten Anspruch hinsichtlich seiner baulichen Erscheinung. Die Wandflächen sind glatt und schmucklos errichtet und werden lediglich durch drei umlaufende verkröpfte Gesimse horizontal gegliedert. Durch hohe dreigeteilte Rundbogenfenster wird das Mauerwerk zu jeder Seite geöffnet. Die dekorative Gestaltung einer Fassade ist nicht vorgesehen, der Eingang wird durch einen einfachen Rundbogen gestaltet (Abb. 72). An den äußeren Ecken, an denen die Wandflächen aufeinandertreffen, sind Pfeiler vorgeblendet, die sich in vier Stufen nach oben hin verjüngen. Das achtteilige Zeltdach ruht auf einem gestuften Gebälk mit Mutuli, das aus Sandstein gefertigt ist. Es ist naheliegend, dass es sich hierbei um eine Ergänzung der Restaurierungsarbeiten des späten 18. Jahrhunderts handelt, die beim Wiederaufbau der Kirche im 20. Jahrhundert beibehalten wurde (Abb. 68 und 73).⁴⁹⁹ Die von Blaeu publizierte Druckgrafik von Boxhorn (Abb. 22) des 17. Jahrhunderts legt nahe, dass die – heute neu ge498 Van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 70; Ozinga 1929 (Anm. 465), S. 16. 499 Die Restaurierung ist durch eine Inschrift auf einem Steinblock über dem Portal dokumentiert, vgl. Abb. 72.

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Abb. 71: Koepelkerk von Süden, Fotografie von 1963.

deckte – Holzkuppel auch ursprünglich mit einer Laterne und einem Wetterhahn versehen war. Interessant an dieser Abbildung der Koepelkerk ist insbesondere, dass der Turm nicht in die Darstellung aufgenommen wurde. Ob Boxhorn persönlich Willemstad bereist hatte, oder mit der städtischen Topografie selbst nur über Beschreibungen oder Druckgrafiken vertraut war, ist unerheblich für seine offenkundige Entscheidung, die Kirche ohne den Turm darzustellen und somit den Eindruck des symmetrischen Zentralbaus prägnanter zu betonen. Auch die für den Bau namensgebende Kuppel wirkt in der Druckgrafik wesentlich runder, als sich das Dach ursprünglich dargestellt haben dürfte. Raumerfahrung

Aus älteren Fotografien und Beschreibungen des Interieurs der Koepelkerk geht hervor, dass diese nach der Zerstörung 1950 so weit wie möglich wieder in den vorherigen Zustand gebracht wurde. Da keine Beschreibung des Innenraums aus der Zeit vor den 1920er Jahren vorliegt, lässt sich der Originalzustand nicht rekonstruieren; gleichwohl lässt sich aus den Rechnungen der Restaurierungsarbeiten des späten 18. Jahrhunderts ableiten, dass diese wohl ausschließlich die

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Abb. 72: Portal der Koepelkerk, Fotografie von 1928.

Bausubstanz betrafen und im Innenraum keine Veränderungen vorgenommen wurden.⁵⁰⁰ Der polygonale Grundriss lässt zunächst annehmen, dass der Innenraum des Zentralbaus um eine mittig platzierte Kanzel organisiert ist, da diese den zentralen Mittelpunkt des reformierten Gottesdienstes darstellt. Bei anderen reformierten Kirchen in den Niederlanden, wie der Marekerk in Leiden (1649), der Oostkerk in Middelburg (1656), die ebenfalls auf oktogonalem Grundriss errichtet worden sind oder der ovalen Nieuwe Kerk in Den Haag (1656) war dies auch tatsächlich der Fall.⁵⁰1 In Willemstad findet sich hingegen eine andere Gestaltung der Raumsituation. Der eingeschossige hohe Raum ist weiß gekalkt und 500 Vgl. Ozinga 1929 (Anm. 465), S. 18, Anm. 3. Zahlungen wurden ausgeführt an einen Zimmermann, Schmied, Maurer und Steinlieferanten; jedoch nicht für Mobiliar oder Ähnliches. Ozinga geht davon aus, dass die Gesimse, das Gebälk und die Balustrade auf dem Dach der Kuppel in dieser Zeit hinzugefügt wurden. 501 Wenngleich die Kanzeln nie im direkten Zentrum standen, so waren sie zumindest nicht an einer Seitenwand angebracht; Konrad Ottenheym: The attractive Flavour of the Past. Combining new Concepts for Ecclesiastical Buildings with References to Tradition in Seventeenth-Century Holland. In: Protestantischer Kirchenbau in der Frühen Neuzeit in Europa. Grundlagen und Forschungskonzepte. Hg. von Jan Harasimowicz. Regensburg 2015, S. 99–114, S. 105.

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Abb. 73: Koepelkerk von Süden, Fotografie von 1926.

wird durch hohe Fenster auf jeder Wand illuminiert. Zwischen den Wandflächen finden sich in Entsprechung zu den Pfeilern am Außenbau halbrunde toskanische Säulen, die darauf ruhenden Kapitelle tragen die Konstruktion der Kuppel, welche aus Holz gefertigt ist (Abb. 74). Ursprünglich hingen an den Wänden noch Familienwappen und sogenannte rouwborden, Totenschilde, die im Jahr 1798 abgenommen wurden.⁵⁰2 Der Eingang der Kirche liegt an der Ostseite, gegenüber befindet sich der Turm der Kirche; an dieser Wand wurde im 18. Jahrhundert eine Orgel angebracht. Die Kanzel hingegen befindet sich an der Südseite, sodass sie beim Betreten links liegt. Sie wird durch eine niedrige hölzerne Balustrade umgeben. Links und rechts neben der Kanzel hängen zwei Zehn-Gebote-Tafeln. Hinter dieser Wand befindet sich die consitoratiekamer. An den beiden Wänden rechts und links der Kanzel sind die Magistraatsbank und die Officiersbank aufgestellt gewesen, eine Form fester Bestuhlung mit Rückenlehne, von denen die Magistraatsbank reich verziert gewesen sein muss.⁵⁰3 An der Nord- und Ostseite be502 Dane 1950 (Anm. 271), S. 124. 503 Vgl. die Beschreibung bei Dane 1950 (Anm. 271), S. 123, der den Zustand der Kirche vor dem

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Abb. 74: Interieur der Koepelkerk mit Kanzel, Zehn-Gebote-Tafeln, Magistraatsbank, Kirchenbänken und Empore, Fotografie von 1928.

fanden sich seit 1661 beziehungsweise 1664 Emporen mit zusätzlichen Sitzplätzen. Während die Magistraatsbank und die Officiersbank fest verankert gewesen sein dürften, dienten ansonsten wohl mobile Bänke als Sitzplatz. Der Umstand, dass im 17. und 18. Jahrhundert auch Gläubige in der Kirche beerdigt wurden, legt diese mobile Lösung nahe.⁵⁰⁴ Nach der weitreichenden Zerstörung der Kirche bemühte man sich um eine möglichst authentische Neuausstattung und bestückte die Kirche mit einer Kanzel und Kirchenbänken aus dem 17. Jahrhundert (Abb. 75).⁵⁰⁵ Letzte Restaurierungsarbeiten fanden 1996/97 statt, bei denen das Mauerwerk und das Dach ausgebessert wurden. Die Kanzel scheint von Beginn an an der südlichen Wand der Kirche angebracht gewesen zu sein. Im Fall der Koepelkerk ist diese Lösung durchaus sinnBrand beschreibt. Zu Bänken in reformierten niederländischen Kirchen vgl. auch Kroesen 2015 (Anm. 450). 504 Vgl. Dane 1950 (Anm. 271), S. 126–132, der bei Restaurierungsarbeiten die Grabinschriften transkribiert hat. 505 Die Kanzel ist von 1659 und kommt aus der reformierten Kirche Hoogvliet, Bänke aus der Kirche in Graft. Die große Glocke war beschädigt worden und wurde neu gegossen, die kleine Glocke ins Rathaus überführt, siehe van Mastrigt 2009 (Anm. 271), S. 283.

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Abb. 75: Interieur der Koepelkerk, Fotografie von 2009.

voll, weil es sich um einen relativ kleinen Raum handelt, bei dem die Predigt trotz der exzentrischen Position der Kanzel gut gehört werden kann, vielleicht sogar besser, als wenn sie frei im Raum stünde und man dahinter sitzen würde. Durch die auf diese Weise geschaffene Ordnung ist der Raum der Kirche beim Betreten sofort erfahrbar. Er zeichnet sich durch Übersichtlichkeit aus, die dazu führt, dass der Raum nicht in der Bewegung erfahren werden muss, sondern unmittelbar visuell erschlossen werden kann. 3.3.2 Nachgotik als Konzept der reformierten Kirchen

Murk Daniel Ozinga wunderte sich 1929 in seiner berühmten Studie bei seiner Beschreibung der Koepelkerk in Willemstad über den Turm, der an den oktogonalen Bau angegliedert wurde, sei er doch ein »merkwürdiges Fortleben der Tradition« und vergleicht die Koepelkerk mit der Wallfahrtskirche in Scherpen-

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heuvel, wo »man sich nicht von dem traditionellen Turm losreißen konnte«.⁵⁰⁶ Für Ozinga schien es widersprüchlich, einen modernen Sakralbau – der sich aufgrund seines polygonalen Grundrisses von den bisherigen langschiffigen Bauten unterschied – mit einem in seiner Perspektive veralteten Element, wie dem angeschlossenen Turm zu kombinieren. Zumal in Willemstad ein Glockenturm nicht zwingend notwenig gewesen wäre, da bereits das kurz zuvor errichtete Rathaus mit einem eben solchen ausgestattet worden war. In der Tat muten auch die hochgestreckten, gegliederten Rundbogenfenster auf den ersten Blick wie ein Residuum an, das im Widerspruch zu dem Interesse einer eigenen Bauform für die reformierte Konfession steht (Abb. 68). Wählt man jedoch keinen stilgeschichtlichen Zugang – bei dem man davon ausgeht, dass sich epochale Unterscheidungen durch genetisch aufeinander folgende Stile feststellen lassen – sondern versteht die einzelnen Bauglieder als ein »genormtes Substrat semantischer Elemente«⁵⁰⁷ die bewusst zum Einsatz kommen, lässt sich das Erscheinungsbild der Kirche in Willemstad am ehesten mit dem Begriff der Nachgotik fassen, den Hermann Hipp für nordalpine Sakralbauten des 16. und 17. Jahrhunderts entwickelt hat: »Nachgotik ist dann gegeben, wenn irgendwo an Bauwerken formale oder struktive Merkmale, die normalerweise als charakteristisch für die ›Gotik‹ erachtet werden, zu einer Zeit begegnen, in der sie eigentlich durch stilgeschichtlich fortschrittlichere ersetzt sein müßten«.⁵⁰⁸ Weiter führt Hipp aus, dass die Nachgotik kein Stil sei und ohne Stil im verallgemeinerten Sinne auskomme.⁵⁰⁹ Obwohl sich Hipp vorrangig für Sakralbauten in Deutschland interessiert, scheinen seine Ausführungen gerade für die Kirche in Willemstad eine angemessene Beschreibungsform zu sein, auch deshalb, weil Hipp auf einfache Dorfkirchen und handwerkliche Praktiken und Traditionen abhebt, die ja auch in Willemstad gegeben waren. Joris Snaet hat in Bezug auf die Koepelkerk die Frage gestellt, ob Moritz’ Wahl für einen Zentralbau auf dessen Kenntnis der ephemeren protestantischen Kirchen in Antwerpen und Gent zurückzuführen ist, und die Koepelkerk als Weiterführung dieser Bauten verstanden werden muss oder ob der polygonale Grundriss eher auf ein Interesse an »Renaissance-Ideen idealer Architektur« zurückzuführen sei.⁵1⁰ Gewinnbringender, als die Absichten des Statthalters zu rekonstruieren, erscheint es zu überlegen, welche rezeptionsästhetischen Konsequenzen die bauliche Umsetzung hatte. Der polygonale Grundriss korrespondiert mit der polygonalen Stadtanlage, dessen Zentrum er bildet; die Kirche und Stadtanlage nehmen in dieser Weise Bezug aufeinander und suggerieren gerade auf kar506 Ozinga 1929 (Anm. 465), S. 14 und S. 15, Anm. 1. 507 Hermann Hipp: Die ›Nachgotik‹ in Deutschland. Kein Stil und ohne Stil. In: Stil als Bedeutung in der nordalpinen Renaissance. Wiederentdeckung einer methodischen Nachbarschaft. Hg. von Stephan Hoppe, Matthias Müller, Norbert Nußbaum. Regensburg 2008, S. 14–46, hier S. 31. 508 Hermann Hipp: Studien zur Nachgotik des 16. und 17. Jahrhunderts in Deutschland, Böhmen, Österreich und der Schweiz. Bd. 1. Tübingen 1979, S. 4 sowie Hipp 2008 (Anm. 507). 509 Hipp 2008 (Anm. 507), S. 31. 510 Snaet 1999, S. 52.

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tografischen Darstellungen eine Idealstadtanlage, die ihre historische Bedingtheit verbirgt (Abb. 22). Durch die Materialästhetik des roten Ziegelmauerwerks wird der Eindruck einer Korrespondenz von profaner Architektur und Kirchenbau unterstützt; wenngleich die hohen Fenster als Indikator verstanden werden können, der die sakrale Funktion des Baus in der Architektur ausstellt.⁵11 Die Kombination von Elementen, die die lokale Tradition betonen, wie dem hohen Turm, den Rundbogenfenstern und dem Wetterhahn, stellt eine bewusste Entscheidung für das Tradierte dar, mit dem sich die reformierte Kirche identifizierte. Dem im 16. Jahrhundert von allen Konfessionen gegenseitig erhobenen Vorwurf, eine ›neue Konfession‹ zu sein, wird begegnet, indem man die Kirche eben nicht unter dem Gesichtspunkt eines innovativen Baus errichtete, sondern sich gerade lokal-traditionelles bewusst aneignete. Zuletzt hat Konrad Ottenheym betont, dass diese Kombination aus Altem und Neuem als »a conscious choice and not the result of any kind of ignorance« verstanden werden müsse.⁵12 Dieser Umgang mit architektonischen Elementen, die eine Kontinuitätsbehauptung stützen, lässt sich auch an den weiteren reformierten Kirchen, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden gebaut wurden, erkennen. Das Grundformular der Koepelkerk in Willemstad kann dabei als Typus verstanden werden, an dem man sich auch bei anderen sakralen Neubauten orientierte. Hierbei variierte, ob es sich um einen Zentralbau auf polygonalem, quadratischem oder auf einen Grundriss in Form eines griechischen Kreuzes handelte.⁵13 Gemeinsam war aber, dass die Grundform des Longitudinalbaus aufgegeben wurde und stattdessen Zentralbauten entstanden, häufig auch überkuppelt und mit anschließendem Glockenturm.⁵1⁴ Auch die Gestaltung der Außenwandflächen erfolgte ähnlich wie in Willemstad. Oft handelte es sich um geklinkerte Ziegelflächen mit gotisch gestalteten Fenstern; die Bauten wirken durch die Geschlossenheit der Wandflächen kompakt, zumeist bescheiden und wehrhaft.⁵1⁵ Die Zusammenstellung mit einem Glockenturm auf quadratischem Grundriss ist beispielsweise auch in Haarlem beim Bau der Nieuwe Kerk zu sehen (Jacob van Campen, 1649, Abb. 76). Hierbei handelt es sich um die Übernahme eines bereits vorhandenen Turmes, der in die neue Architektur integriert wurde.⁵1⁶ Für viele weitere reformierte Kirchenbauten der Niederlande lässt sich die integrative Verbindung gotischer Elemente und antikisierender Ideale einhergehend mit einer Betonung der Zentralität des Baus feststellen.⁵1⁷ Zuletzt haben Konrad Otten511 Hipp 2008 (Anm. 507), S. 21 bezeichnet dies als »kirchisch«. 512 Ottenheym 2015 (Anm. 501), S. 99. 513 Vgl. Ottenheym 2015 (Anm. 501); Snaet 2007 (Anm. 467); Spicer 2007 (Anm. 74). 514 Eine Ausnahme bilden die Zuiderkerk (1603–1614) und die Westerkerk (1620–1638) von Hendrick de Keyser in Amsterdam; Ottenheym 2015 (Anm. 501), S. 105. 515 Vgl. die reformierte Kirche in Renswoude (Abb. 77) und in Hooge Zwaluwe (Abb. 78) oder die Oostkerk in Middelburg und die reformierte Kirche in Woubrugge. 516 Vgl. Konrad Ottenheym: Architectuur. In: Jacob van Campen. Het klassieke ideaal in de Gouden Eeuw. Hg. von Jacobine Huisken. Amsterdam 1995, S. 155–199. 517 Vgl. Ottenheym 2015 (Anm. 501) und Snaet 2007 (Anm. 467). Wichtige Beispiele sind die Nieuwe Kerk in Haarlem (1649, Jacob van Campen), die reformierte Kirche in Woubrugge (1652,

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Abb. 76: Jacob van Campen, Nieuwe Kerk, Haarlem, 1649 (mit dem Turm von Lieven de Key, 1613), Blick aus Westen.

heym und Krista De Jonge in ihrer grenzübergreifenden Studie herausgestellt, dass der Einsatz antikisierender Elemente, der durchaus ein Distinktionsmerkmal der niederländischen reformierten Kirchen des 17. Jahrhunderts darstellt, nicht aus einem ›reformierten Geist‹ entsprungen ist und die Architekten dieser Kirchen, etwa Jacob van Campen (Nieuwe Kerk Haarlem), durchaus selbst katholisch waren.⁵1⁸ Insgesamt zeigt sich, dass, wenngleich kein konkreter Zusammenhang herPieter Post), die Niuewe Kerk in Den Haag (1649–1656, Pieter Noorwits) sowie die Marekerk in Leiden (1639–1649, Arent van ’s-Gravesande) und die Oostkerk in Middelburg (1648–1667, Pieter Post und Arent van ’s-Gravesande). 518 Konrad Ottenheym, Krista De Jonge: Conclusion. Continuity and Change in the Architectural Relations between the Southern and Northern Low Countries 1530–1700. In: Unity and Discontinuity. Architectural Relationships between the Southern and Northern Low Countries 1530– 1700. Hg. von dens. Turnhout 2007 (Architectura moderna 5), S. 331–337.

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Abb. 77: Jacob van Campen, Koepelkerk, Renswoude, 1641.

Abb. 78: Jacob van Campen, reformierte Kirche, Hooge Zwaluwe, 1641.

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Wallfahrtskirche Scherpenheuvel

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gestellt werden kann, die Koepelkerk in Willemstad viele Übereinstimmungen mit den ersten ephemeren protestantischen Kirchen der 1560er Jahre der Niederlande aufweist. Zentrale Gestaltungsmerkmale reformierter Kirchen des 17. Jahrhunderts, wie ein zentraler Grundriss und der kombinierte Einsatz antikisierender Elemente und Nachgotik, finden sich auch bei der Kirche in Willemstad. Der Einsatz dieser Formensprache stellte für den reformierten Bautypus eine Kontinuitätsbehauptung auf, die hervorhob, dass man sich nicht als neue Konfession sondern als Fortführung der wahren christlichen Kirche verstand.

3.4 Wallfahrtskirche Scherpenheuvel Einleitung

Versteht man Scherpenheuvel als einen auf die Koepelkerk in Willemstad antwortenden Bau, dürfte ein zentrales Unterscheidungsmerkmal die reichhaltige Ausstattung der Wallfahrtskirche sein. Der reformierte Bau weist wenig dekorative Elemente auf und besticht vor allem durch seine räumliche Leere, wohingegen die Wallfahrtskirche sowohl hinsichtlich der Architektur mit der riesigen Kuppel und der aufwendig gestalteten Fassade als auch bezüglich ihres üppigen gattungsübergreifenden Ausstattungsprogramms als typisch ›gegenreformatorisch‹ anmutet. Doch wie sinnvoll ist der Vergleich der Fülle an Ausstattung, um das Verhältnis der beiden Gebäude zueinander zu beschreiben? Im vorherigen Kapitel wurde die These aufgestellt, dass die ästhetische Struktur von Scherpenheuvel als Reaktion auf die Raumrepräsentation von Willemstad zu verstehen ist. Denn ausgewählte Gestaltungsmittel wurden zunächst rezipiert, dann neu codiert um schließlich eine Überbietung der katholischen Kirche auszustellen. Im folgenden soll die Architektur und das Ausstattungsprogramm der Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel analysiert werden. Das leitende Interesse ist nicht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren, um diese dann als konfessionelle Spezifika auszuweisen, sondern vielmehr nachzuvollziehen, wie anhand von Architektur und Ausstattung ein Verweissystem generiert wurde, das sich selbst als genuin katholisch ausweist und eine Überhöhung gegenüber der Koepelkerk in Willemstad darstellt. Dass die Wallfahrtskirche ein Gesamtkonzept darstellt, bei dem Architektur und Ausstattung von Beginn an zusammenhängend und aufeinander Bezugnehmend geplant wurden, zeigt die Analyse. 3.4.1 Architektur

Die Wallfahrtskirche wurde als geosteter barocker Zentralbau mit einem sich im Osten anschließenden Glockenturm errichtet.⁵1⁹ Nachdem in Scherpenheu519 Eine eingehende Rekonstruktion der verschiedenen Bauphasen in Scherpenheuvel steht gegenwärtig noch aus (vgl. das Forschungsprojekt von A. Naujokat). Für die Erschließung des Originalzustands der Kirche ist vor allem hinderlich, dass Umbauten und Restaurierungsarbeiten bis Ende des 20. Jahrhunderts nicht nachvollziehbar dokumentiert wurden.

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Abb. 79: Theodoor van Loon (und/oder Werkstatt), Porträt des Pfarrers Joost Bouckaert, 1620, Öl/Lw., 103 x 82 cm, Belgien, Privatbesitz.

vel zunächst ein kleines Holzkapellchen und ein weiterer kleiner Vorgängerbau errichtet worden waren, fand 1609 die Grundsteinlegung für die Wallfahrtskirche statt. Ob zu diesem Zeitpunkt das heutige Erscheinungsbild der Kirche und das Ausstattungsprogramm bereits beschlossen waren oder erst im Laufe der nächsten Jahre stufenweise entwickelt wurden, ist noch unklar.⁵2⁰ Es ist in jedem Fall anzunehmen, dass ein überkuppelter siebenseitiger Zentralbau den Kern des Bauprojektes darstellte (Abb. 43).⁵21 Der Grundriss beschreibt ein Heptagon, das durch einen siebenseitigen Zentralraum und sechs Radialkapellen sowie einer kleinen Vorhalle gebildet wird, an die zwei Annexräume gegliedert sind (Abb. 80). Die Kapellen sind zum Hauptraum jeweils durch Arkaden geöffnet, gleichzeitig sind sie miteinander durch 520 Der Auftrag für die Skulpturen, die von Robrecht Nolde ausgeführt wurden, wurde erst 1622 vergeben, vgl. Banz 2000 (Anm. 374), S. 106f. Aus der Auftragsvergabe lässt sich dennoch nicht schließen, ob das Programm nicht doch bereits früher geplant war. 521 Dass der heutige Zustand der Kirche noch in weiten Teilen der Planung des frühen 17. Jahrhunderts entspricht, zeigt sich z. B. an einem Porträt des ersten Pfarrers Joost Bouckaert, das Theodoor van Loon (oder Werkstatt) 1620 fertigte, bei dem im Hintergrund die sich im Bau befindliche Kirche zu sehen ist (Abb. 79); vgl. zu diesem Bild Kat. Ausstell. Theodoor van Loon 2018 (Anm. 371), Nr. 14, S. 138.

Wallfahrtskirche Scherpenheuvel

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Abb. 80: Grundriss der Wallfahrtskirche, aus: Duerloo/Wingens 2002, S. 121.

schmale Wanddurchbrüche verbunden, sodass das Betreten der einzelnen Kapellen jeweils vom zentralen Raum aus oder sukzessive nacheinander möglich ist. Der Hauptraum wird von einem Klostergewölbe überkuppelt. Er wird durch sieben Rundbogenfenster in der Tambourzone beleuchtet. Die Kapellen werden durch Spiegelgewölbe nach oben abgeschlossenen und sind durch ein Rundbogenfenster an der Außenwand illuminiert. Die vorgesetzte Fassade ist dreiachsig und zweigeschossig aufgebaut. Im unteren Geschoss wird die mittlere Achse heute durch eine Serliana gegliedert, die als Portal fungiert (Abb. 43).⁵22 Auf den äußeren Achsen tragen Doppelpilaster dorischer Ordnung, die auf einer hohen Sockelzone sitzen, einen mit Metopen und 522 Die Eingangssituation wurde mehrfach verändert. Aus dem Porträt des Pastors Boeckaert geht hervor, dass wohl auch ursprünglich eine Serliana als Portal diente (Abb. 79). Diese wurde 1660 durch ein neues Portal ersetzt, eine Fotografie veranschaulicht diesen Zustand (Abb. 81). Aufgrund eines Autounfalls wurde dieses 1962 beschädigt und 1968 wurde die Eingangssituation erneuert; vgl. Lantin 1971 (Anm. 358), S. 22.

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Abb. 81: Portal der Kirche zwischen 1660 und 1968. © KIK-IRPA, Brussels.

Triglyphen gestalteten Fries, auf dem ein ausladendes Gesims ruht. Zwischen jeweils zwei Doppelpilastern befinden sich figurenbesetzte Nischen.⁵23 Im oberen Geschoss der Fassade entfallen die seitlichen Achsen. Die mittlere Achse des oberen Geschosses der Fassade ist analog zum unteren Geschoss durch Doppelpilaster gegliedert, die einen nach unten gesprengten Dreiecksgiebel stützen. Die Wandflächen zwischen den Doppelpilastern sind jeweils mit Kartuschen dekoriert. Ein hochrechteckiges Fenster in der Mitte der oberen Zone wird von einer Girlande umgeben und von einem gesprengten Giebel überfangen. Eine Marienskulptur bekrönt die Fassade. Sie ist in Anlehnung an die Scherpenheuveler Marienfigur ausgearbeitet.⁵2⁴ In der Tambourzone stützen voluminöse Voluten die Kuppel jeweils über den Eckpunkten der Kapellen (Abb. 82). Die Tambour ist durch hochrechteckige Fenster gegliedert, die oben mit einem Segmentbogen abschließen. Dieses Geschoss wird zur Kuppel durch ein Konsolgesims begrenzt. In der Attikazone befinden sich hoch aufgesockelte skulpturale Leuchter. Die siebenteilige Kuppel ist gleichmäßig mit insgesamt 298 vergoldeten, siebenzackigen aufgesetzten Sternen verziert. Sie wird durch eine ebenfalls siebenseitige überkuppelte Laterne bekrönt. Im Osten schließt sich unmittelbar an den Bau ein Glockenturm mit quadratischem Grundriss an (Abb. 83). Erst im späteren Verlauf des 17. Jahrhunderts scheint dieser Bauabschnitt aus Sandstein fertiggestellt worden zu sein.⁵2⁵ 523 Es handelt sich um einen Gabriel und einen Michael, siehe dazu Banz 1998 (Anm. 372), S. 161f., die hierin eine Friedensikonografie liest. 524 Laut Lantin 1971 (Anm. 358), S. 93, wurde diese 1953 angefertigt und ersetzte eine vorherige Skulptur, die 1798 zerstört worden war. 525 Und war offensichtlich ursprünglich noch höher geplant, vgl. Abb. 23. Der Turm beherbergt im Erdgeschoss die Sakristei.

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Abb. 82: Kirche in Scherpenheuvel, Blick aus Südwesten.

Die Gestaltung des Glockenturms erfolgte dabei analog zum Fenstergeschoss des Kirchenbaus, so sind die vier Geschosse jeweils durch ein verkröpftes Gesims voneinander geschieden, in der Abfolge dorischer, ionischer und korinthischer Ordnung. Die Wandflächen sind plan und werden durch hochrechteckige Fenster gegliedert. Die Wallfahrtskirche erinnert an eine römische Kirche. Dieser Eindruck wird sowohl durch die Wahl des Baumaterials Sandstein suggeriert, als auch durch die Anlage als Zentralbau und das Formenvokabular. Der Architekt Coebergher lebte 20 Jahre lang in Italien und war daher mit zeitgenössischen Entwicklungen in der römischen Architektur bestens vertraut. Der Vergleich der Scherpenheuveler Architektur mit kurz zuvor entstandenen Kirchen in Rom zeigt deutlich an, wie Coebergher Grundstrukturen der italienischen Bauweise adaptierte und sie für die südlichen Niederlande modifizierte. Orientierungspunkte mögen Il Gesu (1568–1584) oder Santa Maria in Vallicella (1575–1606) gewesen sein, die auf den Typus des Turiner Doms zurückgehen und eine ähnliche Gestaltung der Fassade aufweisen.⁵2⁶ Coebergher modifizierte diese italienischen Vorbilder, in526 Zu weiteren italienischen Vorbildern vgl. auch Martens, Snaet 1999 (Anm. 360), die das Santuario di Vicoforte in Mondovi anführen.

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Abb. 83: Turm der Kirche in Scherpenheuvel.

dem er die Longitudinalbauten in die Form des Zentralbaus übersetzte, dabei aber den zweizonigen Aufriss der Fassaden mit Doppelpilastern, Figurennischen und Dreiecksgiebel sowie die polygonale Kuppelform beibehielt. Diese augenfälligen Allusionen an die zeitgenössische römische Architektur können als visuelle Präsenz Roms verstanden werden, die sich den Pilgernden im 17. Jahrhundert darbot. Die ausladende Fassade und der Glockenturm der Kirche führen dazu, dass der Eindruck eines Zentralbaus im Außenbau etwas abgeschwächt wird, weil die West-Ost-Achse betont wird. Beim Betreten des Innenraums verflüchtigt sich dieser Eindruck durch die gleichmäßige Rhythmisierung des Zentralraums auf heptagonalem Grundriss, der sich zu allen Seiten öffnet. Gegliedert wird der Innenraum im Wesentlichen durch die Rundbogendurchgänge zu den radialen Kapellen, die mit hölzernen Chorschranken bestückt sind (Abb. 84).⁵2⁷ Die 527 Chorabschluss aus Eiche, Marmor und Kupfer, entworfen von Frederik Kierurt, ausgeführt von Robrecht Nole, 1624–1627, siehe http://balat.kikirpa.be/object/23486 (06.10.2020).

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Rundbögen liegen jeweils auf den Achsen unterhalb der Fenster in der Tambourzone und rhythmisieren den vertikalen Aufriss. Sie werden dabei rechts und links von ionischen Pilastern flankiert, die Wandflächen zwischen diesen sind mit Nischen ausgestattet, die mit Skulpturen geschmückt sind.⁵2⁸ In der oberen Zone sind diese Wandflächen durch Putzspiegel und Kassettierungen gestaltet. Unterhalb der Fenster befinden sich Tondi und Blattwerk als dekorative Elemente. Die horizontale Gliederung des Innenraums erfolgt über ein mehrstufiges verkröpftes Gesims mit ornamental geschmückter Frieszone, das zwischen unterem und oberem Geschoss vermittelt. Die Wände sind heute weiß gestrichen, einzelne architektonische Elemente, wie die Kapitelle der Pilaster werden durch eine Vergoldung besonders nobilitiert (Abb. 85).⁵2⁹ Illuminiert wird der Innenraum durch die Fenster in der oberen Zone des zentralen Raumes sowie durch die Fenster der Kapellen, deren großzügige Öffnung zum Innenraum hin einen indirekten Lichteinfall erlauben. Die rund um den Zentralraum gelegenen Kapellen können von diesem aus einzeln betreten werden; sind jedoch auch untereinander durch niedrige Durchgänge verbunden, sodass sie sukzessive gleich einem Deambulatorium abgeschritten werden können (Abb. 80 und 86). Die Durchgänge liegen auf den Schmalseiten der Kapellen; die Längsseiten sind an der Wand nach außen durch ein hohes Fenster geöffnet, das auf der Wand zum Innenraum hin durch den Rundbogen eine Entsprechung findet, sodass der Hauptraum durch das in die Seitenkapellen einfallende Licht indirekt beleuchtet wird. In jeder Kapelle findet sich ein Altar mit je einem Bild eines Marienzyklus’. Die Altäre in den Seitenkapellen sind jeweils an der Schmalseite der Kapelle angebracht, sodass sie, ebenso wie der Hauptaltar, nach Osten ausgerichtet sind (Abb. 80). Die glatt verputzten und weiß gestrichenen Wände der Kapellen sind bis auf ca. 1,70 m Höhe mit einer Holzvertäfelung und Marmorinkrustationen verkleidet, wodurch eine dekorative Anbindung an die Holzschranke und die Altäre der Kapellen gegeben ist. Die Vertäfelung endet dabei auf Höhe der Kapellendurchgänge beziehungsweise der Altarbilder und der unteren Kante des Fensters, wodurch die Räume horizontal gegliedert werden. Eine weitere horizontale Strukturierung des Raumes erfolgt über die aus dem Hauptraum übernommene Verkröpfung des Gesimses, die in den Kapellen beidseitig bis zum Fenster fortgeführt wird. Bei den Beichtstühlen der Kapellen handelt es sich um Ergänzungen des 19. Jahrhunderts.⁵3⁰ Der aufwendige, aus Marmor gestaltete Fußboden ersetzt seit 1825 einen Boden aus roten Steinfliesen.⁵31

528 Siehe hierzu weiter unten Kap. 3.4.2. 529 Auf Fotografien des 20. Jahrhunderts lässt sich erkennen, dass die Wände und Pilaster des zentralen Raums zeitweise bemalt waren und vor einigen Jahren weiß überstrichen wurden; vgl. http://balat.kikirpa.be/object/21986 (06.10.2020). 530 Vgl. in der Datenbank für belgisches Kulturerbe balat.kikirpa.be, Objektnr. 22325–22331 sowie 25612, 25632, 25634, 25635. 531 Lantin 1971 (Anm. 358), S. 97.

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Abb. 84: Interieur der Wallfahrtskirche Scherpenheuvel, Blick aus einer Seitenkapelle in:den zentralen Raum.

3.4.2 Ausstattung der Wallfahrtskirche

Die Kirche wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit einem umfangreichen Ausstattungsprogramm versehen. Wie verflochten Wallfahrtsort, Kirche und Innenausstattung sind, zeigt sich dadurch, dass ›Scherpenheuvel‹ in der Forschung immer für das Gesamtensemble steht. Umso überraschender ist es daher, dass dieses Ausstattungsprogramm bislang nicht eingehender untersucht worden ist. Es handelt sich um drei Gruppen von Artefakten verschiedener Gattungen, die jeweils kreisförmig um das Gnadenbild gruppiert sind.⁵32 Rund um den Außen532 Naujokat 2017 (Anm. 361), S. 236 weist darauf hin, dass diese in ihrer Beziehung untereinander, zum Gnadenbild und zum Bau bislang nicht berücksichtigt worden sind. Sie will die Beziehung der Artefakte zueinander näher untersuchen. Ich selbst habe mich in meiner Masterarbeit mit dem Bildzyklus von Theodoor van Loon beschäftigt; ein Teil der Ergebnisse ist in grundlegend überarbeiteter Form in die vorliegende Studie miteingeflossen.

Wallfahrtskirche Scherpenheuvel

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Abb. 85: Interieur der Wallfahrtskirche Scherpenheuvel, Blick vom Zentralraum auf die nördlichen Seitenkapellen.

bau sind in die Nischen zwischen den Radialkapellen Außenaltäre eingefügt, die mit Reliefs bestückt sind. Sie zeigen die Anbetung der Hirten, die Anbetung der Könige, die Flucht nach Ägypten, Jesus bei den Schriftgelehrten, Christus erscheint Maria, das Pfingstwunder sowie die Krönung Mariens (Abb. 91–97). Die rundbogigen Reliefs sind aus Stein gemeißelt und messen ca. 200 x 150 cm. Bislang ist noch ungeklärt, welcher Künstler die Reliefs erarbeitete und auch eine genaue Datierung steht noch aus.⁵33 Zum Ausstattungsprogramm gehören ferner sechs Skulpturen (Abb. 101–106). Im Innenraum der Kirche befinden sich in den Wandflächen zwischen den Öffnungen zu den Kapellen Nischen, in die großformatige Skulpturen eingefügt wurden. Die Figuren aus Marmor sind ca. 200 cm hoch und wurden von Robrecht Nole gefertigt. Die Propheten Daniel, Ezechiel, Jeremia, Jesaja sowie David und Mose sind etwa lebensgroß auf einem Sockel stehend dargestellt, der jeweils mit einer Inschrift versehen ist.⁵3⁴ Das Material Marmor für die großen Figuren unterstützt den italienischen Eindruck, der durch die Architektur hervorgerufen wird. Claudia Banz versteht die Skulpturen als Strategie, die machtpolitischen In533 Bislang liegt keine Untersuchung der Objekte vor. Die Datierung auf den Zeitraum 1641–1660 in der belgischen Datenbank ist möglich, jedoch nicht belegt; ebenso könnten sie bereits aus den 1620er Jahren stammen; vgl. balat.kikIrpa.be, Objektnummer 24464. Ebenfalls ungeklärt ist, wie es sich mit zwei weiteren Reliefs verhält – eine Darstellung des Jüngsten Gerichts und eine Taufe Christi – , die wohl später ergänzt wurden, vgl. balat.kikIrpa.be, Objektnummer 24458 und 24448. 534 Ausführlich hierzu Banz 2000 (Anm. 374), S. 106–112.

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Abb. 86: Interieur der Wallfahrtskirche Scherpenheuvel, südl. Seitenkapelle, links neben dem Altar befindet sich der Durchgang zur nächsten Kapelle.

teressen der Erzherzöge in das religiöse Ensemble zu integrieren und durch eine christliche Lesart zu rechtfertigen. Sie schlägt eine moralisierende Lesart vor, in der die Rezipierenden dazu aufgefordert werden, die Geschichte der Niederlande mit der des Volkes Israel zu analogisieren und sich als auserwählt zu begreifen.⁵3⁵ Duerloo und Wingens schlagen eine andere Interpretation vor: Ihnen zufolge lassen sich die Inschriften auf den Sockeln der Prophetenstatuen auf die Gemälde in den Seitenkapellen beziehen.⁵3⁶ Hierdurch gelänge eine typologische Verschränkung, die die zentrale Stellung Mariens im katholischen Glauben verdeutlicht, womit die Ausstattung dezidiert anti-reformierte Absichten zum Ausdruck bringen würde.⁵3⁷ Beide Interpretationen sollen nachfolgend näher geprüft werden. Einen weiteren Teil des Ausstattungsprogramms bildet ein siebenteiliger Marienzyklus in Form monumentaler Gemälde, die in den Seitenkapellen und auf dem Hauptaltar angebracht sind und eingehender analysiert werden sollen (Abb. 112–118). Die These ist, dass sie das zentrale ikonografische Programm darstellen, da sie durch die Sujets am engsten mit dem verehrten Marienbild verknüpft sind. In jedem Fall formen die drei Objektgruppen ein Gesamtensemble, das durch die drei Gattungen Skulptur, Relief und Malerei gebildet wird.⁵3⁸ 535 Ebd. 536 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 164–166. 537 Ebd. 538 Ferner gehören zwei Skulpturen der Erzengel Michael und Gabriel sowie eine Marienstatue an

Wallfahrtskirche Scherpenheuvel

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Abb. 87: Fotografische Rekonstruktion von Duerloo/Wingens 2002 (Anm. 360), S. 125: Das Gnadenbild war ursprünglich in der Nische oberhalb des Gemäldes platziert.

Für alle Objekte ist gesichert, dass sie zum originären Ausstattungsprogramm gehören und auf das frühe 17. Jahrhundert datieren. Ungleich schwieriger erweist es sich, die ursprüngliche Hängung beziehungsweise Anbringung und Reihenfolge der Artefakte zu rekonstruieren, da die Kirche mehrfach restauriert und die Objekte bewegt worden sind. Raumerfahrung

Die Raumgestaltung der Kirche ermöglicht grundsätzlich verschiedene Bewegungsrichtungen. Betritt man die Kirche durch das Portal, gelangt man durch die Vorhalle in den Zentralraum und sieht sich dem Hauptaltar mit der Himmelfahrt Mariens gegenüber. Der Altar ist aufwändig gestaltet (Abb. 118). Das verehrte Kultbild, das heute unten vor dem Altarbild platziert ist, wurde ursprünglich in einer Nische oberhalb des Altars aufbewahrt (Abb. 87), über eine Treppe hinter dem Bild ließ sich die Figur aus der Nische nehmen.⁵3⁹ Die radiale Aufstellung der Außenaltäre, der Gemälde in den Kapellen und der Skulpturen in den Nischen des zentralen Raums erlaubt es, sich dem Gnadenbild konzentrisch zu nähern, indem man von Außen nach Innen die Kreise abschreitet.⁵⁴⁰ Diese radiale Erschließung korrespondiert mit dem Bewegungsder Fassade und auch vier Skulpturen der Evangelisten im Vestibül, ebenfalls von Robrecht Nole, zur Ausstattung der Kirche; vgl. auch Banz 2000 (Anm. 374), S. 106–112. Sowohl bei dem Kreuzgang, mit hoch aufgesockelten Reliefs von Karel Hendrik Geerts, als auch beim Rosenkranzweg, der sieben Stationen aus dem Leben Christi zeigt und entlang der ehemaligen Befestigungsmauer im Osten liegt, handelt es sich um Erweiterungen des 19. Jahrhunderts; vgl. http://balat.kikirpa.be/object/23901 (06.10.2020). 539 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 125, zu dem Altar und der Datierung einzelner Elemente siehe Lantin 1971 (Anm. 358), S. 98–103, zu dem Gnadenbild S. 104–106. 540 Reto Feurer hat in seiner grundlegenden Untersuchung zu Wallfahrtsarchitektur aufgezeigt, dass

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Abb. 88: Anonym, Wallfahrt nach Heiloo, Mitte 17. Jh., 32,5 x 40 cm, Holz, Utrecht Museum Catharijneconvent.

ablauf durch Kirchen mit einem Deambulatorium. Für Scherpenheuvel liegt zudem ein konkreter Hinweis auf das Umrunden des gesamten Baus vor. In einem Reisebericht aus dem 17. Jahrhundert berichtet Balthasar III. Moretus, dass er die Kirche dreimal außen abschritt.⁵⁴1 Auch für andere Wallfahrtsorte des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden ist belegt, dass die gesamten Bauten kreisförmig umrundet wurden.⁵⁴2 Ein Beispiel hierfür wäre die Wallfahrt zu Onze-Lieve Vrouw ter Nood in Heiloo. Ein zeitgenössisches Gemälde (Abb. 88) sowie zahlreiche Kupferstiche inszenieren das Umrunden der Architektur.⁵⁴3 Aus Moretus’ Ausführungen wird ersichtlich, dass er sich zuerst dem Kultbild zuwendete, bevor er dem Prozessionsweg folgte.⁵⁴⁴ ... quamen noch bij gheluck ten tijde om het miraculeus belt te kussen eer het selve op de ghewoonlycke plaetse boven den Autaer ghedraghen hadden. Ende naerdat Godt ghedas Umkreisen des verehrten Objektes zentral für das Wallfahren war. Die Architektur der meisten Wallfahrtskirchen sei so beschaffen, dass das Gnadenbild umstanden oder umkreist werden kann. Dieses Abschreiten um das Gnadenobjekt herum folgte oft einer symbolischen Anzahl (drei-, sieben- oder vierzehnmal) und erlaubte es, sich dem Numinosen größtmöglich anzunähern; vgl. Reto Feurer: Wallfahrt und Wallfahrtsarchitektur. Versuch einer Vergegenwärtigung des Fragenkomlexes. Zürich 1980, S. 17f und S. 81. 541 Lantin ergänzt, dass auch der Altar dreimal umrundet wird; Lantin 1971 (Anm. 358), S. 106. Bereits Numan hatte berichtet, dass das Gnadenbild dreimal auf Knien umkreist wird; Naujokat 2017 (Anm. 361), S. 232. 542 Vgl. Walter Pötzl: Marianisches Brauchtum an Wallfahrtsorten. In: Handbuch der Marienkunde. Hg. von Wolfgang Beinert, Heinrich Petri. Regensburg 1984, S. 883-927, hier S. 909. 543 Anonym, 32,5 x 40 cm, Holz, Utrecht Museum Catharijneconvent; vgl. zu dem Gemälde und der Wallfahrt in Heiloo: Elissa Auerbach: Re-Forming Mary in Seventeenth-Century Dutch Prints. Lawrence (Kansas) 2009 (unv. Diss.), S. 146-193, die das Bild auf 1640-1650 datiert. 544 Auf dem Stadtplan von Scherpenheuvel (Abb. 23) ist ein Prozessionsweg (C) ausgewiesen, der das gesamte Boskett umfasste. Ob Moretus diesen Weg meinte, oder ob er direkt um den Bau schritt, wird anhand seiner Schilderung nicht deutlich.

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danckt hadden over het goet weder ende wegh die hy ons op de reyse verlient hadde, ende naer dat dry mael den wech van de kercke ront gegaen hadden keerden naer de herberghe om onse nachtruste aldaer te nemen.⁵⁴⁵ Zum Glück kamen [wir] noch rechtzeitig, um das mirakulöse Bild zu küssen, ehe dasselbe auf seinen gewohnten Platz über dem Altar getragen wurde. Und nachdem [wir] Gott gedankt hatten für das gute Wetter und den Weg den er uns für unsere Reise gegeben hatte, und nachdem [wir] drei mal den Weg von der Kirche rund gegangen waren, kehrten [wir] zu der Herberge um unsere Nachtruhe dort zu nehmen.⁵⁴⁶

Laut dem Bericht von Moretus bildet das Kultbild den Ausgangspunkt der Rezeption, denn das Küssen des Bildes ist das erste, was er tut. Ob dies vor der Kirche oder im Kirchenraum geschieht, wird aus seinen Ausführungen nicht deutlich. Seinen zweiten Besuch der Wallfahrtskirche am nächsten Tag beschreibt Moretus detailierter: Des anderendaghs 16 September, hilden voor het eerste onse devocie in de kercke alwaer het mirakleus belt boven den hooghen Autaer voor aen het incomen staende binnen het portael vier constighe figuren van steen representerende de vier Evanghelisten, boven welck Portael dat staet het Ocksael, ende den hooghen. Autaer den welcken is onder de Coupele dat boven verciert is met differente steren. Rontsomme die Coupel syn Acht Autaren elck om het fraetste verciert van Schilderijden ende belden.⁵⁴⁷ Am anderen Tag, den 16. September, hielten wir zuerst unsere Andacht in der Kirche, wo das mirakulöse Bild über dem Hochaltar [steht]; vor dem Betreten standen im Portal vier kunstreiche Figuren aus Stein, die die vier Evangelisten repräsentieren, über dem Portal ist eine Empore und der Hochaltar ist unter der Kuppel, die oben mit verschiedenen Sternen verziert ist. Rundum die Kuppel sind acht Altäre, jeder um das Schönste verziert mit Gemälden und Bildern.⁵⁴⁸

Nach seinem nächsten Besuch der Kirche ergänzt er: quamen wederom in de kercke daer wij de laeste Misse hoorden, wy bemarckten daer noch de ses Profeten die rontsomme de Copel in Marmor staen, oock op twee autaeren, het S. Jan den Dooper, ende het ander het oordeel in steen seer constich.⁵⁴⁹ [Wir] kamen wiederum in die Kirche wo wir die letzte Messe hörten, wir bemerkten da noch die sechs Propheten, die rundum die Kuppel in Marmor stehen, außerdem auf zwei Altären den hl. Johannes den Täufer und auf dem anderen das Weltgericht, in Stein, sehr kunstreich [ausgearbeitet].⁵⁵⁰ 545 Reisetagebuch von Balthasar III. Moretus: Reijse ghedaen door Balthasar Moretus den jonghen in Compagnie van sijne Moeder […]. Zitiert nach: Maurits Sabbe: De Moretussen op Reis in 1668 door de Brabandsche Kempen, de Meierij van ’s Hertogenbosch, Zeeland en Vlaanderen. In: Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Taal- en Letterkunde 1923, S. 491–514, S. 496. 546 Übersetzung der Autorin der vorliegenden Arbeit. 547 Ebd., S. 497. 548 Übersetzung der Autorin. 549 Ebd., S. 499. 550 Übersetzung der Autorin.

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Abb. 89: Außenaltäre rund um den Bau.

Die beiden letztgenannten Reliefs befinden sich in den beiden Kapellen, die neben dem Eingang im Portal liegen, wer sie ausführte ist nicht bekannt.⁵⁵1 Das von Moretus als Johannes der Täufer bezeichnete Bild zeigt eine Taufe Christi. Aus Moretus’ Bericht lässt sich nicht direkt schließen, ob er einer bestimmten Wegführung folgte. Die Ausstattung der Wallfahrtskirche hielt er in jedem Fall lobend fest. Seine Schilderung erweckt den Eindruck, er habe die Gemälde und Skulpturen erst nach und nach zur Kenntnis genommen, denn seine zentrale Aufmerksamkeit galt offensichtlich der Marienfigur. Außenaltäre

Rund um den Bau befinden sich zwischen den Seitenwänden der Kapellen Nischen, die als kleine Außenkapellen angelegt sind (Abb. 80). Eine Fassade aus hellem Sandstein, mit einer Serliana und Voluten, bietet Zugang zu einem klei551 Vgl. balat.kikirpa.be, Objektnr. 24448 und 24458.

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nen Andachtsraum, in dem jeweils ein Altar aufgestellt ist (Abb. 89 und 90). Die Außenkapellen gehören zum originären Bestand, wurden jedoch mehrfach restauriert. Die Verkleidung der Innenwände mit hellem Stein und Backstein wurden ebenso wie der Mosaikboden 1929 angefertigt.⁵⁵2 Die eingesetzten Gitter, die den geöffneten Eindruck der Kapellen wesentlich vermindern, stammen von 1845.⁵⁵3 Die Seitenkapellen sind auch auf der Wallfahrtsfahne von Jan Jeghers (Abb. 57) gut zu erkennen. In den Kapellen und in den Seitenwänden des Turms befinden sich sieben Altarreliefs, die eine Gruppe bilden. Die Reliefs sind ca. zwei Meter hoch, aus Stein gearbeitet und die Figuren sind so gestaltet, dass sie stellenweise den Bildrahmen sprengen (Abb. 91–97). Die Vermutung liegt nahe, die sieben Reliefs und die sieben Gemälde direkt auf das Erzherzogspaar zurückzuführen, denn Philip Numan führte in seinem Mirakelbericht über Scherpenheuvel aus, dass: die Ertshertoghe Albertus heeft selfs wt zyn eygen inventie geordineert een schoone maniere om de voornoemde plaetse ordentlyck met boomen rontomme te beplanten. Oder welcke boomen gemaeckt sullen worden veerthien statien oft cappellekens verthoonende die blyschappen ende droefheden van die H. Moeder Godes […]⁵⁵⁴ der Erzherzog Albert hat selbst aus seiner eigenen Erfindung eine schöne Manier angeordnet, um den oben genannten Platz ordentlich mit Bäumen rundum zu bepflanzen. Unter diesen Bäumen sollen vierzehn Stationen oder Kapellchen errichtet werden, die die Freuden und Schmerzen der heiligen Mutter Gottes zeigen […]⁵⁵⁵

Die bereits häufiger zitierte Stelle bei Numan deutet an, dass Albrecht selbst vierzehn Stationen oder Kapellen zu den sieben Freuden und Schmerzen Mariens vorgesehen hatte, die man in den sieben Altarreliefs und in den sieben Gemälden Theodoor van Loons umgesetzt sehen mag; eine Zuordnung der Sujets nach dieser Aufteilung lässt sich indes nicht vornehmen.⁵⁵⁶ Umschreitet man die Kirche rechtsherum erreicht man dem Leben Jesu folgend die Anbetung der Hirten, die Anbetung der Könige, die Flucht nach Ägypten, Jesus bei den Schriftgelehrten, Christus erscheint Maria, das Pfingstwunder sowie die Krönung Mariens. Es erfolgt also eine Rezeptionslenkung durch die Chronologie. Den Sieben Schmerzen Mariens lassen sich nun die Flucht nach Ägypten sowie Jesus bei den Schriftgelehrten zuordnen, die übrigen Sujets den sieben Freuden Mariens. Doch die Gemälde komplettieren die Reihe der Freuden und Schmerzen Mariens nicht: Den Schmerzen lässt sich die Darbringung im Tempel zuordnen und den Freuden die Verkündigung, die Heimsuchung und die Aufnahme Mariens in den Himmel. Die übrigen Gemälde mit der Begegnung an 552 Lantin 1971 (Anm. 358), S. 129. 553 Ebd. 554 Numan 1604 (Anm. 364), S. 46f. 555 Übersetzung der Autorin. Zu dem Zitat vgl. auch ausführlicher Naujokat 2017 (Anm. 361), S. 235. 556 Nach dem Tod Albrechts 1621 koordinierte Isabella die weiteren Arbeiten.

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Abb. 90: Kleine Außenkapelle am Turm mit Relief Jesus bei den Schriftgelehrten.

Abb. 91: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Anbetung der Hirten, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

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Abb. 92: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Anbetung der Könige, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

Abb. 93: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Flucht nach Ägypten, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

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Abb. 94: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Jesus bei den Schriftgelehrten, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

Abb. 95: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Christus erscheint Maria, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

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Abb. 96: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Pfingstwunder, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

Abb. 97: unbekannter Künstler, Relief eines Außenaltars mit Krönung Mariens, 17. Jahrhundert, ca. 200 x 150 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

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der Goldenen Pforte, der Geburt Mariens und dem Tempelgang Mariens gehören nicht in diese Reihe.⁵⁵⁷ Andere Motive, wie die Auferstehung, die Gefangennahme Jesus, der Tod am Kreuz und die Kreuzabnahme fehlen hingegen.⁵⁵⁸ Der Gemäldezyklus stellt vielmehr die sieben Festen im Kirchenjahr, die Maria gewidmet sind vor Augen. Außenaltäre und Gemäldezyklus illustrieren damit nicht die sieben Freuden und Schmerzen Mariens. Auf den ersten Blick ergibt sich stattdessen der Eindruck, die ursprüngliche Thematik der sieben Freuden und Schmerzen Mariens sei zugunsten eines Marienzyklus, für die Gemälde, und eines christologischen Zyklus, für die Außenaltäre, umgedeutet worden. In der Tat ist Christus zwar auf allen Reliefs zu sehen, doch es sind gerade solche Szenen ausgewählt, in denen auch Maria zugegen ist. Weil der Reliefzyklus schließlich auch mit der Krönung Mariens schließt, womit sie als Himmelskönigin ausgewiesen wird, scheint es sich aber doch weniger um ein christologisches, sondern vielmehr um ein Programm zu handeln, das die besondere Stellung Mariens hervorhebt. Durch die Installation der Altäre in den halboffenen Kapellen rund um den Bau wird eine Öffnung der Architektur zum umgebenden Raum erzielt, die die Präsenz Mariens in der niederländischen Landschaft behauptet. Reto Feurer hat aufgezeigt, dass Außenaltäre an Wallfahrtskirchen deutlich machen, dass »das ursprüngliche Kultleben im Freien stattgefunden« habe.⁵⁵⁹ Außenaltäre würden ebenso wie Außenkanzeln zu den charakteristischen Bauteilen gehören, die ein Wallfahrtsheiligtum ausmachen.⁵⁶⁰ Häufig bildete ein Bildstock den Ausgangspunkt einer Wallfahrt. Um diesen herum wurden nach und nach Außenaltäre errichtet, bis schließlich feste Bauten wie Kapellen errichtet wurden.⁵⁶1 Die 557 Vgl. auch Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 154f., die darauf verweisen, dass Gemälde und Altäre nur sechs Freuden und drei Schmerzen Mariens verbildlichen und dass außerdem gerade der Gemäldezyklus einer eigenen Logik folgt; vgl. außerdem »Sieben Freuden Marien« und »Sieben Schmerzen Mariens«. In: Marienlexikon. Hg. von Remigius Bäumer, Leo Scheffczyk. Bd. 6. St. Otilien 1994, S. 154-158. 558 Ein altniederländisches Beispiel für die Ikonografie der Sieben Schmerzen befindet sich in der Liebfrauenkirche in Brügge. Es handelt sich um eine Diptychon von Adriaen Isenbrandt auf Holz, erste Hälfte 16. Jh. Maria sitzt in einer Ädikula, hat die Hände zum Gebet gefaltet und den Blick herabgesenkt. Sie wird von sieben Bildfeldern gerahmt, die ihre Schmerzen zeigen. Der zweite Flügel des Diptychons zeigt das gleiche Sujet als Grisaille und befindet sich in den Musée de Royaux des Beaux Arts in Brüssel. Die Sieben Freuden bilden das Sujet einer Simultandarstellung Hans Memlings, das für die Kapelle der Lohgerbergilde in der Brügger Frauenkirche gestiftet wurde; 1480, Holz, 81 x 189 cm, München, Alte Pinakothek. Möglicherweise könnte Albrechts Interesse an den Freuden Mariens auch von den Mysterienspielen der Seven Bliscappen her rühren, die anlässlich des sogenannten Brüsseler Ommegang, einer Art Prozessionszug, zwischen 1441 und 1566 jährlich aufgeführt wurden. Die Brüsseler Prozession begründete sich auf ein wundertätiges Marienbild; sie wurde 1566 im Zuge der konfessionspolitischen Lage eingestellt. Zu den Seven Bliscappen vgl. Bart Ramakers: Das niederländische Schauspiel des Mittelalters und der Rederijker-Zeit. Ein Überblick. In: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 2004, S. 9-30, hier S. 22-24. 559 Feurer 1980 (Anm. 540), S. 139. 560 Ebd., S. 150. 561 Ebd., S. 71.

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Außenaltäre in Scherpenheuvel knüpfen somit an ältere Bautraditionen von sakralen Wallfahrtsarchitekturen an. Außerdem strukturieren sie eine äußere Umrundung des Baus. Sie konnten zum einen als Stationen bei Prozessionen genutzt werden, zum anderen ermöglichten sie eine Art »kultischen Umgang« nicht nur des Gnadenbildes sondern auch der gesamten Kirche, die für sich als Heiligtum verstanden werden konnte. Diese Nutzung veranschaulicht par excellence die These der praxeologischen Raumforschung im Anschluss an Lefebvre, dass die Raumpraxis und materieller Raum in einem Wechselverhältnis zueinander stehen, das sich gegenseitig bestärkt und verstetigt: Folgt man Numans Beschreibung der umrundenden Bewegung des Marienbildes von 1604, so hatte diese räumliche Praxis Anteil an der Ausbildung des materiellen Raums der Kirche, deren bauliche Gestalt so organisiert ist, dass sie die Prozessionsbewegung nicht nur zu integrieren, sondern zu verstetigen oder verstärken vermag, indem rund um den dann errichteten Bau die Außenaltäre mit den Reliefs aufgestellt wurden, die wiederum handlungsanleitend für die Raumerschließung sind. Die Außenaltäre erweitern den Bau in den Außenraum und beziehen diesen in die verehrende Handlung mit ein. Skulpturenprogramm

Im Innenraum der Wallfahrtskirche sind zwischen den Pilastern sechs rundbogige Nischen ausgespart, in denen aus Marmor gemeißelte, fast lebensgroße Skulpturen aufgestellt sind.⁵⁶2 Anstatt die Figuren direkt in die Nischen einzufügen, sind sie jeweils auf einem Sockel platziert, der eine Inschrift trägt. Es handelt sich stets um den Namen des Dargestellten und ein Zitat aus dem Alten Testament. Lantin hat darauf hingewiesen, dass die Sockel, beziehungsweise die darin eingemeißelten Inschriften, erst später hinzugefügt wurden.⁵⁶3 Dies ist von Banz und Duerloo bei ihrer Interpretation des Skulpturenzyklus nicht berücksichtigt worden. Sollten die Inschriften jedoch tatsächlich erst auf 1845 datieren, wie Lantin vorschlägt, würde dies Korrekturen an den bislang vorgeschlagenen Interpretationen nach sich ziehen. Lantin stützt seine These mit dem Verweis auf die »Bodoni-type van de letters«.⁵⁶⁴ Und in der Tat legt der Vergleich der Sockelinschrift (Abb. 98) mit einer typischen Bodoni-Schriftart, wie sie 1818 im Manuale Tipografico (Abb. 99) publiziert wurde, nahe, dass mindestens die Inschriften, womöglich die gesamten Sockel auf das 19. Jahrhundert datieren.⁵⁶⁵ Dafür spräche auch, dass die zeitgleich zu den Propheten ebenfalls von Nole angefertigten Skulpturen der Evangelisten zwar ebenfalls auf Plinthen, diese aber nicht zusätzlich auf einem Sockel ruhen (Abb. 100). Es sollen nun zunächst die Thesen von Banz sowie von Duerloo und Wingens anhand des heutigen Bestan562 Vgl. außerdem Banz 1998 (Anm. 372). 563 Lantin 1971 (Anm. 358), S. 108. 564 Ebd. 565 Giambattista Bodoni: Manuale tipografico. Bd. 1. Parma 1818.

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Abb. 98: Detail von Abb. 102; Sockelinschrift. © KIK-IRPA, Brussels.

des zusammengefasst werden, um anschließend zu überprüfen, inwieweit diese aufgrund des Befunds von Lantin korrigiert werden müssten. Betritt man die Kirche, steht die Figur Mose, die den Beginn des Zyklus darstellt, in der Nische links neben dem Altar (Abb. 101). Mose ist, wegen des bekannten Übersetzungsfehlers, als Gehörnter dargestellt; er ist somit das zweite Mal vom Berg Sinai herabgestiegen und hält in seiner rechten Hand die Tafel mit den zehn Geboten, die sich in der skulpturalen Umsetzung als Liste von zehn lateinischen Ziffern darstellt. Mit seinem linken Zeigefinger weist er auf das erste Gebot. Dieser Fingerzeig ist durchaus konfessionell von Belang, weil die Reformierten die Gebote anders zählten als Katholiken. Während die katholische Kirche das Verbot der Verehrung fremder Götter und das Bilderverbot zusammen als erstes Gebot zählten, stellten diese bei den Reformierten zwei Gebote dar.⁵⁶⁶ Der Fingerzeig Mose darf also auf ein Insistieren der richtigen Zählung verstanden werden. Die Inschrift seines Sockels entstammt Numeri 24,17: »orietur stella ex Iacob et consurget virga de Israel« (»Ein Stern geht aus Jakob auf, ein Szepter erhebt sich aus Israel«).⁵⁶⁷ Die Stelle entstammt der Prophezeiung Bileams, in der er den Sieg des Volkes Israel über die Moabiter durch Gottes Hilfe voraussieht. Banz zufolge dürfe das Zitat als Aufforderung zur Identifikation mit dem auserwählten Volk Gottes verstanden werden. Denn sie bemerkt, dass Jakob und das Volk Israel mit einem Löwen identifiziert werden und zieht daraus eine Parallele zu der lokalpolitischen Situation in Scherpenheuvel, da sich die niederländischen Provinzen als Leo Belgicus verstanden, was auf kartografischen Darstellungen auch bildlich umgesetzt wurde.⁵⁶⁸ Dem hinzuzufügen ist, dass auch Bileam sieben Altäre hatte errichten lassen (Numeri 23,1); und auch die lautliche Nähe von virga und virgo dürfte den frühneuzeitlichen Rezipierenden nicht entgangen sein. Links neben Mose folgt Jesaja (Abb. 102), der Sockel trägt die Inschrift aus Je566 Calvin Institutio II.8 (Anm. 43). 567 Die Inschriften sind bereits von Claudia Banz transkribiert und übersetzt worden, sollen hier jedoch nochmals korrigiert wiedergegeben werden; vgl. Banz 2000, S. 106–112. 568 Banz 2000, S. 108. Zum Leo Belgicus vgl. Michalsky 2011 (Anm. 245), S. 109–113.

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Abb. 99: Giambattista Bodoni: Manuale tipografico, Bd. 1, Parma 1818, S. 231.

saja 7,14 »Ecce virgo concipiet et pariet filium« (»Sehet die Jungfrau wird [einen Sohn] empfangen und einen Sohn gebären«), die als Voraussage der Verkündigung Christi zählt.⁵⁶⁹ Ezechiel, in der nächsten Nische, ist mit einer Schriftrolle dargestellt (Abb. 103). Die Inschrift auf dem Sockel lautet »Porta haec clausa erit non aperietur et vir non transiet per eam« (»Dieses Tor soll verschlossen bleiben und nicht geöffnet werden, und niemand soll dort hineingehen«, Ezechiel, 44,2). Banz verweist darauf, dass auch Ezechiels Vision des verschlossenen Tores auf die unbefleckte Empfängnis Mariens bezogen wurde; darüber hinaus identifiziert sie in ihm abermals einen Verweis auf eine forcierte Identifikation mit dem Volk Israels, da der von Ezechiel geschaute Tempel das wiedervereinte Volk Israel symbolisierte.⁵⁷⁰ Auch dass dieser Tempel auf einem Berg lag (Ezechiel 40,1) dürfte der Rezeption in Scherpenheuvel entgegengekommen sein. Als nächstes folgt, rechts neben dem Eingang, die Figur Daniels (Abb. 104): »Abscissus est lapis de monte sine manibus« (»Ein Stein ist vom Berg gebrochen ohne Menschenhand«, Daniel 2, 34). Das Zitat bezieht sich auf einen Traum Nebukadnezars, den Daniel auslegt und auf ein Reich deutet, das nicht untergehen wird (Daniel 2). Banz sieht auch hier eine Ausdeutungsmöglichkeit auf das niederländische Schicksal, da dem ewigen Reich ein zweigeteiltes Reich vorausgehen soll, womit unschwer die jüngeren Ereignisse der Niederlande asso569 Banz 2000 (Anm. 374), S. 108. 570 Ebd., S. 109.

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Abb. 100: Robrecht Nole, Evangelist Markus, ca. 135 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel.

ziiert werden können.⁵⁷1 Neben Daniel steht der mit einem Bußgewand bekleidete Prophet Jeremia, die Schrift auf dem Sockel »Faemina circumdabit virum« (»Die Frau wird den Mann umgeben«, Jeremia 31,22) bezieht sich auf Israel (das hier als Jungfrau bezeichnet wird) im Kontext der Wiederherstellung und Vereinigung Israels, kurz darauf wird ein neuer Bund angekündigt (Abb. 105).⁵⁷2 Die letzte Skulptur zeigt König David als bärtigen älteren Mann mit Harfe (Abb. 106). Die Inschrift auf seinem Sockel zitiert Psalm 132 (wegen der Zählung in der Vulgata ist hier 131 ausgewiesen): »Invenimus eam in campis silvae« (»wir fanden sie auf der Freifläche des Waldes«). Da der Vers auf dem Sockel verkürzt wiedergegeben ist, lässt er sich unmittelbar auf die Scherpenheuveler Marienfigur beziehen, denn es bleibt unklar, worauf »eam« sich bezieht. Mit der Anlage des sternförmigen Gartens, in dessen Mitte die Marienfigur verehrt wird, die dort an einer Eiche gefunden wurde, scheinen David und der Psalm direkt auf das Kultbild zu verweisen. Insgesamt deutet Banz den Prophetenzyklus als ein Programm »dessen tieferer Sinn sich jedoch erst im Kontext der aktuellen niederländischen Historie erschließt. […] Die Funktion des Zyklus liegt in dem Anspruch […], dem 571 Ebd., S. 110. Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 166 sehen im Traum Nebukadnezars hingegen eine Präfiguration der Vision Simeons, der in Jesus den Stein ohne Anstoß gesehen habe. 572 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 166 legen die Stelle als Vorsehung der Gottesmutterschaft Mariens aus.

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niederländischen Volk ein Vergleichsmodell anzubieten. Es wird aufgefordert, sich mit dem Volk Israels zu identifizieren und sich dementsprechend als auserwählt zu begreifen.«⁵⁷3 Sollten die Inschriften jedoch erst im 19. Jahrhundert ergänzt worden sein, könnte der Grund dafür gewesen sein, dass die Tradition der Identifikation mit dem Volk Israels in dieser Zeit möglicherweise nicht mehr präsent war. Wurden die Sockel womöglich ergänzt, um eine Identifikation der dargestellten Propheten zu gewährleisten? Aufgrund der fraglichen Datierung muss die Interpretation von Duerloo und Wingens zurückgewiesen werden, die die Inschriften auf die Sujets der Gemälde in den jeweils nächstgelegenen Seitenkapellen beziehen wollen. Ihre Interpretation einer Verschränkung zwischen Skulpturen und Gemälden, die dezidiert anti-reformierte Absichten zum Ausdruck brächte, ist somit nicht haltbar.⁵⁷⁴ Wesentlich belastbarer hingegen sind die Deutungsvorschläge, die sowohl Banz als auch Duerloo und Wingens eher en passant vorbringen; nämlich die Propheten als alttestamentliche Seher zu verstehen, die von Gott inspiriert waren und typologisch auf das Neue Testament bezogen werden konnten.⁵⁷⁵ Indem sie Maria im Kirchenraum umgeben, bezeugen sie die sich in der Rolle Mariens zeigenden Erfüllungen göttlicher Prophezeiungen.

573 Banz 2000 (Anm. 374), S. 112. 574 Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die jüngere Forschung vielfach zeigen konnte, dass Maria nicht per se von den nicht-katholischen Konfessionen abgelehnt wurde, wenngleich intensiv über die Frage debattiert wurde, welche Stellung ihr im Glauben zukommt. Vgl. hierzu grundlegend Johann Anselm Steiger: Fünf Zentralthemen der Theologie Luthers und seiner Erben. Communicatio–Imago–Figura–Maria–Exempla. Leiden 2002 sowie Jahn, Schindler 2020 (Anm. 20); hierin insbesondere Maria Schaller: »Meminisse et imitari«. Die Jungfrau Maria in den Insignien der Herforder Damenstifte, S. 197–216. 575 Banz 2000 (Anm. 374), S. 111; Duerlo, Wingens 2002, S. 164f.

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Abb. 101: Robrecht Nole, Mose, ca. 1622, Marmor, ca. 200 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

Abb. 102: Robrecht Nole, Jesaja, ca. 1622, Marmor, ca. 200 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 103: Robrecht Nole, Ezechiel, ca. 1622, Marmor, ca. 200 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

Abb. 104: Robrecht Nole, Daniel, ca. 1622, Marmor, ca. 200 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 105: Robrecht Nole, Jeremia, ca. 1622, Marmor, ca. 200 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

Abb. 106: Robrecht Nole, David, ca. 1522, Marmor, ca. 200 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Gemäldezyklus

Wenzel Coebergher beauftragte Theodoor van Loon damit, sieben Altargemälde für die Wallfahrtskirche zu malen.⁵⁷⁶ Der Maler konzipierte sechs hochformatige Gemälde für die Umgangskapellen der Kirche sowie ein Bild für den Hauptaltar im Zentralraum. Die Bilder zeigen sieben Szenen aus dem Leben Mariens. Chronologisch aufeinander folgend handelt es sich um eine Begegnung von Joachim und Anna an der goldenen Pforte, die Geburt Mariens, den Tempelgang Mariens, eine Verkündigung an Maria, eine Heimsuchung, eine Darbringung im Tempel sowie eine Himmelfahrt Mariens.⁵⁷⁷ Das letztgenannte ist in den Abmessung etwas größer als die übrigen Gemälde und bildet das Sujet des Hauptaltares. Die heutige Hängung der Werke folgt diesem Ablauf, sodass sich in den Kapellen rechts des Altars, also auf der Epistelseite die Sujets apokryphen Ursprungs befinden, während auf der Evangelienseite die Themen biblischen Ursprungs angebracht sind. Neuere Untersuchungen vermuten, dass diese Hängung möglicherweise nicht der frühneuzeitlichen entspricht. Luc Duerloo hat die These erarbeitet, dass eine andere Anbringung viel wahrscheinlicher sei: In seiner Rekonstruktion der ursprünglichen Ausstattung überprüfte er die Korrespondenz der Sujets mit kurzen Bibelzitaten, die oberhalb der Gemälde im geschnitzten Teil des jeweiligen Altars zu finden sind und stellte fest, dass diese neu arrangiert worden sein müssen.⁵⁷⁸ Die Altäre sind Teil der ursprünglichen Ausstattung und wurden aus Holz und Marmor von Robrecht Nole gefertigt. Da diese immobil sind, müssten folglich die Gemälde irgendwann in eine neue Reihenfolge gebracht worden sein. Insbesondere stützt Duerloo seine These jedoch auf die Inschriften der Prophetensockel. Sollten diese aber erst nachträglich hinzugefügt worden sein, so entspricht Duerloos Rekonstruktion der Hängung der Gemälde im 19. und nicht im 17. Jahrhundert. Sabine van Sprang wertete zuletzt ein Tagebuch des ehemaligen Pastors Jan Frans Pallemaerts aus, aus welchem hervorgeht, dass die Gemälde in jedem Fall 1934 umgehängt wurden.⁵⁷⁹ Doch bereits 1906 waren sie offensichtlich schon einmal rearrangiert worden, sodass die ursprüngliche Hängung unklar ist, weil mögliche vorherige Veränderungen nicht dokumentiert sind. Da bislang kein Restaurierungsbericht vorliegt, wird 576 Victor Brughmans: Les peintures de Theodore van Loon a Montaigu. Löwen 1936, S. 5. 577 Alle bis auf das Gemälde des Hauptaltars 257 x 180 cm, Ö/Lw., die Himmelfahrt Mariens 400 x 220 cm, ebenfalls Ö/Lw. 578 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 133–137 und Luc Duerloo: Scherpenheuvel-Montaigu: un sanctuaire pour une politique emblématique. In: 17e siècl. Société d’étude du 17e siècle 60.3 (2008), S. 423–439. Duerloo schlägt vor, dass das erste Gemälde rechts des Eingangs den Tempelgang Mariens zeigte, entgegen dem Uhrzeigersinn folgten dann die Geburt Mariens, die Heimsuchung, Anna und Joachim an der Goldenen Pforte, die Verkündigung und zuletzt, links des Eingangs, die Darbringung im Tempel. Hierdurch ergäben sich einander gegenüberliegende typologische Paare. Duerloos Datierung der Hängung dürfte auf Lantin 1971 (Anm. 358), S. 116 zurückzuführen sein, der 1939 angibt. 579 Sabine van Sprang: Op zoek naar de caravaggist Theodoor van Loon, actief in Rome en Brussel. In: Kat. Ausstell. Theodoor van Loon. Een caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von ders. Bozar Brüssel. Brüssel 2018, S. 19–35, S. 29 Anm. 66.

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Abb. 107: Detail der Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte (Abb. 112), Signatur und Datierung.

vorerst der heutige Ausstattungszustand angenommen.⁵⁸⁰ Für eine chronologische Hängung spricht, dass auch die Reliefs der Außenaltäre dem Leben Jesu folgen. Das Gemälde, das die Begegnung von Joachim und Anna an der goldenen Pforte zeigt, ist das einzige, das inschriftlich lesbar datiert ist. In der linken unteren Ecke ist bei künstlichem, schräg einfallenden Licht »THEODORUS VANLONIUS PINGEBAT A 1616« zu lesen (Abb. 107).⁵⁸1 Es liegen wohl deshalb verschiedene Datierungsvorschläge in der Forschung vor, weil die Inschrift lange unbekannt war.⁵⁸2 Und in der Tat belegt die Inschrift nicht, wann die weiteren Gemälde entstanden sind; wahrscheinlich ist jedoch, dass der Zyklus bei der Weihe der Kirche 1627 fertiggestellt war.⁵⁸3

580 Die Gemälde sind mehrmals restauriert worden; Lantin 1971 (Anm. 358), S. 116f. verweist auf eine Reinigung der Bilder 1860 und eine Restaurierung 1911; die Bilderrahmen sollen 1843 in Marmoroptik bemalt worden sein, diese Bemalung sei 1938 erneuert worden. 581 Julius Held bemerkte dies zwar schon vor längerer Zeit, veröffentlichte jedoch keine Abbildung; siehe Julius Held: Notes on flemish seventeenth century painting. Jacob van Oost and Theodoor van Loon. In: Art Quarterly 18 (1955), S. 146–157. Außer diesem Bild hat nur noch die Himmelfahrt eine Signatur mit Jahreszahl, die jedoch nicht mehr lesbar ist. Sandra Janssens nimmt hierfür das Jahr 1623 als Entstehungsjahr an; vgl. Sandra Janssens: Theodoor van Loon en de Mariacyclus voor Scherpenheuvel. In: Openbaar Kunstbezit in Vlaanderen 1 (2005), S. 29–35. 582 Irene Baldriga spricht sich für eine deutlich spätere Datierung aus, belegt dies jedoch nicht argumentativ. So nimmt sie eine Pause zwischen den ersten Bildern des Zyklus und der Himmelfahrt an, die sie erst auf die 1630er Jahre datiert; vgl. Irene Baldriga: Entre l’Italie et les Pays-Bas méridionaux. Le parcous artistique et culturel de Theodoor van Loon. In: Theodoor van Loon. ›Pictor ingenius‹ et contemporain de Rubens. Hg. von ders., Michel Draguet. Gent 2011, S. 19–39. 583 Diese These plausibilisiert auch Sabine van Sprang und spricht sich für die Gemälde der Seitenaltäre für eine Datierung zwischen 1616–1621 aus, das Gemälde des Hauptaltars datiert sie auf 1626–1627; van Sprang 2018 (Anm. 579), S. 29 und S. 33. Dass dieses auch inschriftlich datiert ist, mag dafür sprechen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt entstand.

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Die Beweinung Christi

Es befindet sich ein weiteres Gemälde in der Wallfahrtskirche, das Thedoor van Loon beziehungsweise seiner Werkstatt zugeschrieben wurde, eine Beweinung Christi (Abb. 108).⁵⁸⁴ Mittlerweile gilt es als gesichert, dass es sich um eine Kopie eines Gemäldes von van Loon handelt, das sich in belgischem Privatbesitz befindet (Abb. 109).⁵⁸⁵ Der Vergleich der beiden Bilder zeigt die deutlich geringere malerische Qualität der Scherpenheuveler Fassung; sichtbar nicht nur an der Ausführung von Gesicht und Händen, sondern auch der Tiefenstruktur, die im vermuteten Original ungleich überzeugender ausgeführt ist. Die Provenienz der Bilder ist nicht geklärt und es mag überraschen, dass sich in Scherpenheuvel gerade die Kopie befindet. Das Gemälde hängt heute in der Kapelle mit dem Altar der Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte. Wo es ursprünglich aufgestellt wurde, ist unklar; man fand es im 20. Jahrhundert im Glockenturm und überführte es dann in die Kirche. Möglicherweise befand es sich einst in dem angeschlossenen Kloster, bevor dieses zerstört wurde.⁵⁸⁶ Die Beweinung scheint nicht Teil des ursprünglichen Marienzyklus zu sein, da sie in den Maßen von den übrigen Gemälden abweicht und sich kein sinnvoller Aufstellungsort innerhalb der Kirche identifizieren lässt – wenngleich das Sujet zu den Sieben Schmerzen Mariens passen würde.⁵⁸⁷ Es muss daher von einem siebenteiligen Zyklus ausgegangen werden.⁵⁸⁸ Durch die Auswahl dieser Sujets ergibt sich ein geschlossenes Gesamtkonzept, das mit der Verbildlichung der Unbefleckten Empfängnis durch die Zusammenkunft von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte beginnt, und sich bis zur Himmelfahrt Mariens fortsetzt. Im Folgenden wird zunächst der Forschungsstand zur Bildkonzeption van Loons reflektiert, um sich in einem zweiten Schritt dem Bildzyklus in Scherpenheuvel zu widmen. Von Interesse ist es, zu analysieren, wie van Loon für den Scherpenheuveler Zyklus eine Bildsprache entwickelt 584 185 x 135 cm, ca. 1622; siehe http://balat.kikirpa.be/object/24104 (06.10.2020). 585 Siehe Kat. Ausstell. Theodoor van Loon 2018 (Anm. 371), Nr. 15, S. 141. Eine weitere Kopie befindet sich in Namur, siehe http://balat.kikirpa.be/object/10036885 (06.10.2020). 586 Auskunft von Michael Hanne, Archivar der Kirche. 587 Auch als Ausstattung der Sakristei kann die Beweinung nicht vorgesehen sein; das hier aufgestellte Altargemälde mit einer Anbetung der Hirten von Hendrik de Clerck gehörte zum originären Bestand; 193 x 145 cm, ca. 1606; siehe http://balat.kikirpa.be/object/24032 (06.10.2020). De Clerck war spätestens ab 1606 für den spanischen Hof tätig und arbeitete mit Wenceslas Coebergher zusammen, die Maler gleichen Jahrgangs kannten sich vermutlich bereits seit ihrer Ausbildung bei Jan de Voss, vgl. Hendrik de Clerck. In: Allgemeines Künstlerlexikon, http://www.degruyter.com/view/AKL/_10166152 (06.10.2020). Das Gemälde ist das Altarbild des Vorgängerbaus und wurde von Philips Wilhelm gestiftet, vgl. Lantin 1971 (Anm. 358), S. 48. 588 Ebenfalls fraglich ist, wie es um eine Geburt Christi bestellt ist, die van Loon irgendwann vor 1625 für die Wallfahrtskirche gemalt hat und die nicht erhalten ist. Margit Tøfner konnte anhand der Sichtung von Briefen von Puteanus an einen Freund nachweisen, dass sich das Bild zwischen 1625 und 1640 in der Kirche befunden haben muss; vgl. Margit Tøfner: »Amico intimo, ingenio et arte pingendi celeberrimo«. Erycius Puteanus and Theodoor van Loon. In: Humanistica Lovaniensia 49 (2000), S. 359–376, hier S. 366. Demnach kaufte Philippe Chifflet das Gemälde 1640 und schenkte es seinem Freund Erycius Puteanus.

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Abb. 108: Theodoor van Loon (?), Beweinung Christi, Öl/Lw., 185 x 135 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

hat, die die Intention einer katholischen konfessionellen Landmarke im liminalen Raum der Niederlande verfolgte. Theodoor van Loon

Der Maler Theodoor van Loon (1581/82–1649) stammte aus Erkelenz. Über seine Biografie ist wenig bekannt und sein Œuvre fand in der kunsthistorischen Forschung bislang keine intensive Beschäftigung.⁵⁸⁹ Bis heute liegt kein Werkverzeichnis vor und die einzige monografische Aufarbeitung der Bilder der Wallfahrtskirche stammt aus dem Jahr 1936.⁵⁹⁰ Das Fehlen einer intensiven Forschung zu van Loon dürfte in der Prominenz seines ungleich berühmteren Zeitgenossen Peter Paul Rubens liegen. Auch die frühneuzeitlichen Biografen schenkten ihm wenig Aufmerksamkeit, sowohl Samuel van Hoogstraten als auch Joachim von Sandrart erwähnen ihn nicht. Das früheste Zeugnis stammt 589 Für die Biografie van Loons vgl. van Sprang 2018 (Anm. 579) sowie Sabine van Sprang: Theodoor van Loon. In: Allgemeines Künstlerlexikon, http://www.degruyter.com/view/AKL/_00117550T (06.10.2020). 590 Sandra Janssens hat ihre Dissertation mit dem Ziel eines Werkverzeichnisses 2003 begonnen, jedoch ruht die Arbeit daran seit 2011; siehe https://rkd.nl/en/explore/artists/50823 (06.10.2020); weiter beschäftigt sich Sarah J. Moran (Universität Utrecht) mit dem Marienzyklus, eine Publikation zu ihrer Forschung steht jedoch gegenwärtig noch aus. Die einzige Monografie zum Bildprogramm in Scherpenheuvel stammt von Brughmans 1936 (Anm. 576). Auch der jüngst erschienene Katalog zur ersten monografischen Ausstellung des Künstlers im Bozar in Brüssel nimmt den Bildzyklus in Scherpenheuvel nur marginal in den Blick, da die sich in situ befindlichen Werke nicht gezeigt werden konnten; vgl. Kat. Ausstell. Theodoor van Loon 2018 (Anm. 371).

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Abb. 109: Theodoor van Loon, Beweinung Christi, Öl/Lw., 152 x 124 cm, Belgien, Privatbesitz.

von Cornelis de Bie. In seinem 1662 erschienenem Het gulden cabinet van de edel vry schilderconst schreibt er folgendes: Daer teghen sou haer te belghen hebben de over-al vlieghende Faem van onsen uytnemenden Theodor van Loon, daer ick in het eerste deel eenighe kennisse van heb ghegheven, dogh eer ick selver soo veel kennisse had van zijn hoogh gheachte ervarentheyt als ick naemaels wel heb connen ondervinden, ende aen sijn handelingh ghespeurt heb daer niemandt in ons eeuw sich over ghebelght mach houden hoorende tot sijnen lof en eer desen volghenden rijm in’t cort aldus: Heeft oyt van Loon door Konst Jtalien doen verwond’ren soo mach ons Nederlandt sich gheven wel ten ond’ren Jn’t overweghen van de edel vry Pictuer Midts niemant (soo het schijnt) en heeft soo nauw Natuer Van alle kant doorsien als Roomen en Florensen Besonder inde Kunst, tot aenlock vande menschen, Wijns paelen Theodoor al lanck betreden heeft Daer ons sijn wonder Kunst een waere proef van gheeft, Om dat daer in den aert van d’Jtaliaensche trecken Weet groote kracht van gheest naer t’leven te ontdecken, Soo als te sien is aen van Lonius cloeck werck Waer med’ dat is verciert verscheyde Neerlandts Kerck.⁵⁹1 591 Cornelis de Bie 1662 (Anm. 183), S. 412f. Entgegen seinen eigenen Angaben berichtet de Bie in den vorangegangenen Kapiteln nicht über van Loon. »Sollte dagegen jemand etwas eifersüchtig sein auf den über alles verbreiteten Ruhm von unserem besonderen Theodoor van Loon haben, von dem ich im ersten Teil schon einige Dinge erzählt habe – und ehe ich selbst seine hoch geachtete Erfahrenheit/Können kennengelernt habe, wie ich es niemals habe erfahren können, und an seiner Handhabung/Technik gespürt habe, dass niemand in unserem Jahrhundert Eifersucht

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In dem kurzen Abschnitt – ein ganzes Kapitel räumt de Bie dem Maler nicht ein – werden die zentralen Merkmale van Loons Malerei in der Rhetorik des 17. Jahrhunderts beschrieben. Lobend beschreibt de Bie sie als »geistreich« (»proef van gheeft«) und »kluges Werk« (»cloeck werck«) und benennt indirekt van Loons Auftraggeber mit dem Vermerk »Waer med’ dat is verciert verscheyde Neerlandts Kerck«. Auch heute sind nahezu ausschließlich sehr großformatige religiöse Sujets des Malers bekannt, die nicht auf private Sammler schließen lassen. Cornelis de Bie beschreibt einen für ihn sichtbaren Bezug zu italienischer Kunst und verweist auf Rom und Florenz. Eine Formulierung seines Lobgedichtes sticht besonders hervor: »van gheest naer t’leven«. Diese Formulierungen ist deshalb bemerkenswert, weil es sich um die Zusammenstellung eines Gegensatzpaares handelt. Die Termini »uit den gheest« und »naer t’leven« waren spätestens seit Karel van Mander in der niederländischen Kunstliteratur bekannt und verbreitet, wurden jedoch eher als Oppositionspaar genutzt.⁵⁹2 Es scheint, als sei es de Bie daran gelegen, hierdurch die naturalistische Darstellung von van Loons Heiligen-Figuren zu charakterisieren. In der Kunstliteratur des 18. Jahrhunderts begegnet man van Loon bei Arnold Houbraken in dessen Schouburgh (1718) und bei Jean-Baptiste Descamps, der ihn im zweiten Band von La vie des peintres flamands, allemands et hollandais (1754) erwähnt. Houbraken bedenkt van Loon nur mit einer kurzen Notiz: »Theodorus van Loon van Leuven, die aan de behandelinge van zyne kloeke beelden, genoegzaam deed blyken dat hy Rome gezien had. Met dezen Konstschilder zullen wy deze Eeuw sluiten«.⁵⁹3 Auch Descamps sah die Nähe zu italienischer Kunst und verstand van Loon als Nachfolger Carlo Marratas (1625–1713), womit er falsch lag, da die Lebensdaten der Maler dies ausschließen.⁵⁹⁴ Descamps lobte zwar den Maler als »Excellent peintre«, fand jedoch wenig Gefallen an der dunklen Farbgebung: »Il coloriait assez bien, mais quelques-uns de ses tableaux

habe – hört zu seinem Lob und seiner Ehre diesen kurzen Reim: Hat auch van Loon schon Italien durch seine Kunst verwundert; so geht es uns Niederländern wie den Anderen; von den meisten der edlen freien Maler; misst niemand (so scheint es) so nah nach der Natur; von allen Seiten gesehen als Römer und Florentiner; besonders in der Kunst; zum Anblick der Menschen; welche Pfade Theodoor auch schon betreten hat; uns ist seine wunderbare/-same Kunst ein wahrer Beweis von Geist; und in der Art der italienischen Wesenszüge; weiß er große Kraft geistreich nach dem Leben zu ent-decken; all das ist zu sehen in van Lonius klugem Werk; mit dem verschiedene niederländische Kirchen verziert sind« (Übersetzung der Autorin). 592 Vgl. hierzu: Robert Felfe: Naer het leven. Eine sprachliche Formel zwischen bildgenerierenden Übertragungsvorgängen und ästhetischer Vermittlung. In: Ad fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen. Hg. von Claudia Fritsche u. a. Petersberg 2013, S. 165–195. 593 Arnold Houbraken: De groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen. Bd. 1. Amsterdam 1718, S. 189. »Theodorus van Loon aus Löwen, der an der Ausarbeitung seiner klugen Bilder hinreichend zeigt, dass er Rom gesehen hat. Mit diesem Künstler wollen wir dieses Jahrhundert abschließen.« 594 Jean-Baptiste Descamps: La vie des peintres flamands, allemands et hollandais. Bd. 2. Paris 1754, S. 166. Descamps’ berichtete selbst zu Beginn der Vita, dass er über die Lebensdaten van Loons nicht informiert sei, wodurch die Fehleinschätzung begründet sein dürfte.

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ont le defaut de tirer sur le noir, les ombres en sont quelquefois lourdes et grises«.⁵⁹⁵ Die ersten kunstgeschichtlichen Analysen des Marienzyklus in Scherpenheuvel datieren auf das Jahr 1936 und stammen von Victor Brughmans und Thérèse Cornil.⁵⁹⁶ Während ersterer eine Beschreibung der Bilder vorlegte und sich für das Verhältnis von van Loons Malerei und dessen Zeitgenossen Peter Paul Rubens interessierte, lieferte Cornil einen biografischen Überblick zu dem Maler und eine kunstgeschichtliche Verortung seines Œuvres. Anschaulich stellte sie anhand zahlreicher Vergleichsbilder die »italienische Prägung« van Loons heraus und fokussierte vor allem die Nähe zu Caravaggio und dem römischen Manierismus. Im Scherpenheuveler Marienenzyklus sieht sie das Hauptwerk des Malers. Die Abhängigkeit von Caravaggio betonte auch Antonio Boschetto 1970.⁵⁹⁷ Differenzierter argumentierte Bernadette Mary Huvane in ihrer Dissertation 1996, die auf stilistische und kompositorische Verbindungen auch zu Annibale Carracci und Federico Barocci verwies.⁵⁹⁸ Van Loons Figuren in Scherpenheuvel beschreibt sie als »heroic peasants«, die eine Modellabhängigkeit in ähnlicher Weise wie Caravaggio ausstellen. Ob dies jedoch als »almost Calvinistic undercurrent of Catholic piety« zu verstehen ist, wie die Autorin konstatiert, ist zu diskutieren.⁵⁹⁹ Viel eher dürfte van Loons Entwicklung »bäuerlich« wirkender Figuren ein Resultat innerkatholischer Reformen und Pluralismen sein, denen er möglicherweise in Italien begegnet ist. Valeska von Rosen hat dieses Phänomen des dezidiert unklassischen Darstellungsmodus für die Malerei des sogenannten Utrechter Caravaggismus herausgearbeitet.⁶⁰⁰ Zwar würde eine Betonung der humilitas Mariens durchaus eine Anschlussfähigkeit zum protestantischen Marienbild darstellen, doch gerade die Figur Mariens – im Gegensatz etwa zu Anna oder Elisabeth – wird im Scherpenheuveler Bildzyklus nicht in ihrer humilitas inszeniert.⁶⁰1 In ihrer Publikation zur Wallfahrtskirche stellten Luc Duerloo und Marc Wingens 2002 eine kurze Übersicht über die Gemälde zusammen, erläutern die re595 Ebd. 596 Brughmans 1936 (Anm. 576); Thérèse Cornil: Théodore Van Loon et la peinture italienne. In: Bulletin de l’Institut Historique Belge de Rome 17 (1936), S. 187–211. 597 Antonio Boschetto: Di Theodoor van Loon e di suoi dipinti a Montaigu. Cronaca di un incontro. In: Paragone. Arte 21 (1970), S. 42–59. 598 Bernadette Mary Huvane: Wenzel Coebergher, Theodoor van Loon and the pilgrimage church at Scherpenheuvel. New York 1996 (unv. Diss.). 599 Ebd., S. 202. 600 Von Rosen 2015 (Anm. 32). 601 Vgl. Anselm Steiger zur Rolle Mariens im Luthertum: Johann Anselm Steiger: Fünf Zentralthemen der Theologie Luthers und seiner Erben: Communicatio – Imago – Figura – Maria – Exempla. Leiden u. a. 2002 (Studies in the history of Christian thought 104), S. 219–249. Für die Bedeutung Mariens bei den Reformierten steht eine umfassende Untersuchung noch aus; vgl. Daniel Migliore: Mary. A Reformed Theological Perspective. In: Theology today 56 (1999), S. 346–358, der beschreibt, dass die heutige Abstinenz Mariens in der reformierten Kirche auf Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts zurückzuführen sind, Calvin hingegen Maria nicht derartig ablehnte.

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Abb. 110: Theodoor van Loon, Verkündigung an Maria, Öl/Lw., 341,5 x 200 cm, Brüssel, Sint-Jan Baptist ten Begijnhofkerk.

ligiösen Sujets und argumentieren für eine ursprünglich andere Hängung, die Funktion der Sujets und die Bildkonzeption fanden in ihrer Untersuchung keine Berücksichtigung.⁶⁰2 Sandra Janssens stellte in einem Artikel 2005 den kunsthistorischen Forschungsstand zu van Loons Marienzyklus zusammen.⁶⁰3 Sie sprach sich für eine sukzessive Arbeit an den Gemälden aus und fasste die Malweise als »eklektizistisch« zusammen.⁶⁰⁴ In Giulio Romano und Correggio, dem Florentiner Manierismus sowie in der zeitgenössischen Kunst von Cavalier d’Arpino, Orazio Borgianni und Caravaggio sah sie die Künstler, auf die van Loon sich bezogen haben soll. Die jüngste Publikation zu van Loon stellt der 2018 erschienene Katalog anlässlich der ersten künstlermonografischen Ausstellung im Bozar in Brüssel beziehungsweise im Musée national d’histoire et d’art in Luxemburg dar. Unter dem Titel »Theodoor van Loon. Een Caravaggist tussen Rome en Brussel« wurden erstmals zahlreiche Werke des Malers in einer Ausstellung gezeigt; der begleitende Katalog enthält neben einer Besprechung der gezeigten Arbeiten auch sieben Essays zur Biografie van Loons, seinem Verhältnis zum Caravaggismus und zu technischen Untersuchungen seiner Gemälde. Aufgrund der Immobilität der Scherpenheuveler Gemälde wurden diese nicht in der Ausstellung gezeigt; Ko602 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 133, 136f., 144. 603 Janssens 2005 (Anm. 581). 604 Ebd., S. 35.

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Abb. 111: Theodoor van Loon, Martyrium des Hl. Lambertus, Öl/Lw., 265 x 225 cm, Brüssel, SintLambrechts-Woluwe.

pien nach den Bildern und einzelne Passagen des Katalogs berücksichtigten dennoch das Hauptwerk van Loons.⁶⁰⁵ Zu bedauern ist, dass van Loon aufgrund des gewählten Titels in eine konstruierte Reihe caravaggesker Maler gestellt wird; wenngleich insbesondere Sabine van Sprang im Katalog sehr viel differenzierter aufzeigt, wie vielfältig Bezugnahmen auf italienische Künstler im Werk des Malers sichtbar werden.⁶⁰⁶ Ein grundsätzliches Manko bleibt, dass über diese Zuordnungen nur auf der formalen Ebene argumentiert wird und die Frage weshalb van Loons stilistische Orientierung an Caravaggio, Carracci und Federico Barocci für seine Auftraggeber attraktiv war, nicht gestellt wird.⁶⁰⁷ 605 Vgl. das Essay von van Sprang (Anm. 579) sowie Kat. Nr. 14–17 (Anm. 371), S. 138–145. 606 Vgl. van Sprang 2018 (Anm. 579). Denn gerade in Scherpenheuvel fallen stilistische Rekurse auf Caravaggio deutlich weniger ins Auge als in anderen Gemälden wie der Verkündigung in Brüssel (Abb. 110) oder dem Martyrium des Hl. Lambertus (Abb. 111). Bereits zuvor wurde immer wieder der Einfluss Caravaggios hervorgehoben; vgl. Baldriga 2011 (Anm. 582); Irene Baldriga: Theodoor van Loon. In: I Caravaggeschi. Percorsi e protagonisti. Hg. von Allessandro Zuccari. Mailand 2010, S. 743–749; Gianni Papi: Apunti su alcuni dipinti caravaggeschi. In: La pittura italiana del Seicento all’Ermitage. Ricerche e riflessioni. Hg. von Francesca Cappelletti, Irina Artemieva. Florenz 2012, S. 119–137. 607 Ruben Suykerbuyk weist auf dieses Problem auf, widmet sich in seinem Essay jedoch ausschließlich konfessionshistorischen Hintergründen ohne auf die Gemälden einzugehen; Ruben Suykerbuyk: Theatro miraculorum. Theodoor van Loon an de religieuze cultuur in de Zuidelijke Nederlanden. In: Kat. Ausstell. Theodoor van Loon. Een caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von Sabine van Sprang. Bozar Brüssel. Brüssel 2018, S. 73–83.

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Abb. 112: Theodoor van Loon, Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte, 1616, Öl/Lw, 257 x 180 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 113: Theodoor van Loon, Geburt Mariens, ca. 1616-1621, Öl/Lw., 257 x 180 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 114: Theodoor van Loon, Tempelgang Mariens, ca. 1616-1621, Öl/Lw., 257 x 180 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 115: Theodoor van Loon, Verkündigung an Maria, ca. 1616-1621, Öl/Lw., 257 x 180 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 116: Theodoor van Loon, Heimsuchung, ca. 1616-1621, Öl/Lw., 257 x 180 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 117: Theodoor van Loon, Darbringung im Tempel, ca. 1616-1621, Öl/Lw., 257 x 180 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Abb. 118: Theodoor van Loon, Aufnahme Mariens in den Himmel, ca. 1616-1627, Öl/Lw., 400 x 220 cm, Wallfahrtskirche Scherpenheuvel. © KIK-IRPA, Brussels.

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Die Gemälde

Die Analyse der einzelnen Gemälde des Marienzyklus in Scherpenheuvel kann vor Augen führen, wie hier ein Bildprogramm geschaffen wurde, das sukzessive erschlossen wird und sich allein in der Reflexion der Betrachtenden zu einem Gesamtbild zusammensetzt. Der besonderen Rezeptionssituation wird dadurch begegnet, dass die Gemälde durch innerzyklische Verweisstrategien aufeinander rekurrieren. Das Gemälde mit der Himmelfahrt Mariens (Abb. 118) ist das Bild des Hauptaltars, etwas größer in den Maßen als die Gemälde der Seitenkapellen und entstand vermutlich einige Jahre später als diese. Der 1622 abgeschlossene Vertrag mit dem Bildhauer Robrecht Nole für die Marmorskulpturen umfasste auch die skulpturale Einfassung des Hauptaltares.⁶⁰⁸ Diese schließt oben mit einem gesprengten Giebel ab, in dessen Mitte sich eine Nische befindet, in der das Kultbild ursprünglich aufgestellt war. In der räumlichen Zusammenstellung mit der Himmelfahrt stand das Marienbild damit oberhalb der im Gemälde in den Himmel aufgenommenen Maria, wodurch die wundersame Wirkmacht des Gnadenbildes unterstrichen wurde. Beim Betreten der Wallfahrtskirche ist dies das erste Bild, dem die Rezipierenden begegnen. Die Himmelfahrt ist ein außerbiblisches und durch nichtkanonische Texte überliefertes Ereignis.⁶⁰⁹ Der Modus, in dem van Loon Maria im Gemälde darstellt, erinnert an den von Tizian für die Frarikirche in Venedig entwickelten Typus der Assunta, die in der oberen Bildhälfte auf Wolken steht und die Arme mit geöffneten Händen empfangend seitlich ausstreckt, während sie ihren Blick nach oben richtet. Doch van Loon variierte Tizians Bildaufbau, indem er Gottvater nicht darstellte und die irdische und die himmlische Bildsphäre fließend ineinander übergehen ließ, anstatt sie durch klar umrissene Konturen voneinander zu trennen. Maria wird von zahlreichen Putten und Engeln auf ihrem Weg in den Himmel begleitet; diese musizieren und bekrönen die Gottesmutter mit einem Kranz, wodurch sie als Himmelkönigin ausgezeichnet wird. Das Geschehen ist in einem Außenraum lokalisiert. Um das im linken Vordergrund befindliche geöffnete Grab Mariens schart sich die Gruppe der Apostel sowie zwei Frauen, die Zeugen des Ereignisses sind. Nah am vorderen Bildrand hat sich Jakobus d. Ä., mit Wanderstock und Trinkgefäß, weit nach hinten zurückgelehnt, um Maria mit seinen Blicken zu verfolgen; er dürfte als Identifikationsfigur für die Wallfahrenden vor dem Bild dienen.⁶1⁰ Rechts neben ihm steht der mit einer Kasel bekleidete Petrus, der soeben das Grab Mariens geweiht hat. 608 Vgl. Banz 2000 (Anm. 374), S. 107. Die oben platzierten Skulpturen zeigen Philipp Neri und Gregor I. und wurden erst später von den Oratorianern hinzugefügt; Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 125. 609 Zum sog. Transitus Mariae, der die Vorstellung der Aufnahme Mariens in den Himmel wesentlich beeinflusste, vgl. Klaus Schreiner: Rituale, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter. Köln u. a. 2011, S. 244–261 sowie Hans Förster: Transitus Mariae. Beiträge zur koptischen Überlieferung. Berlin 2006, S. 67–81. 610 Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 133.

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Abb. 119: Theodoor van Loon, Aufnahme Mariens in den Himmel, Öl/Lw., 356 x 237 cm, Brüssel, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten.

Erkennbar sind auch der Lieblingsjünger Johannes, rot bekleidet links im Bild sowie der Heilige Viktor, der rechts im Bild ein Kriegsbanner schwenkt.⁶11 Innovativ an der Darstellung ist die Integration zweier weiblicher Figuren in der Bildmitte, die einen Korb mit Blumen tragen, der den lieblichen Duft zu versinnbildlichen scheint, der aus dem Grab Mariens aufgestiegen sein soll.⁶12 Sie erinnern an die Gruppe der Frauen, die van Loon in einer etwa zeitgleich entstandenen Himmelfahrt für die Brüsseler Beginen ungleich prominenter inszenierte (Abb. 119).⁶13 Der Vergleich der beiden Gemälde desselben Sujets ver611 Der Altar beinhaltet u. a. Reliquien des Heiligen Viktor, weshalb er abgebildet wurde; ebd. 612 Zum Ruch der Heiligkeit vgl. Constance Classen: The Color of Angels. Cosmology, Gender and the Aesthetic Imagination. London 1998; S. 36–60. Auch Rubens hatte in seiner Himmelfahrt (1626, Liebfrauenkathedrale Antwerpen) Frauen in die Gruppe der Apostel integriert. Doch während sie bei ihm antik gekleidet und dadurch als historische Zeugen ausgezeichnet sind, fasst van Loon die Figuren überzeitlich auf; sie scheinen eher der Lebenswelt der Betrachtenden vor dem Bild anzugehören. 613 Öl/Leinwand, 356 x 237 cm, Brüssel, Musée Royaux des Beaux-Arts, siehe Kat. Ausstell. Theodoor van Loon 2018 (Anm. 371), Nr. 34, S. 180f.; Eelco Nagelsmit: Miracles made to measure. Theodoor van Loon’s altarpiece for the Brussels Grand Beguinage. In: Embracing Brussels. Art and culture in the court city 1600–1800. Hg. von Katlijne van der Stighelen u. a. Turnhout 2013, S. 169–180 sowie Eelco Nagelsmit: De begijnen als opdrachtgevers. Theodoor van Loons altarst-

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anschaulicht die jeweils individuell gesetzten Schwerpunkte der Bildkonzeption, mit denen van Loon die Interessen verschiedener Auftraggeber beziehungsweise Auftraggeberinnen umzusetzen verstand. Die Himmelfahrt in der Beginenkirche vermittelt in erster Linie weibliche Kontemplation. Die Gruppe der drei weiblichen Figuren unten im Bildvordergrund bilden den Fokus des Gemäldes; ihre kontemplative Hingabe erscheint durch die helle Ausleuchtung der Figuren und die detailreich ausgearbeitete Bekleidung wichtiger zu sein als Maria.⁶1⁴ Die Himmelfahrt in Scherpenheuvel ist dagegen klar auf das Staunen und Bewundern des Mirakulösen ausgerichtet und die Bildkonzeption ist an dem verbreiteten frühneuzeitlichen Topos von miraculum, stupor und admiratio orientiert.⁶1⁵ Maria wird in der Form ihrer Darstellung und durch das glänzende Kleid deutlich nobilitiert und als anbetungswürdig apostrophiert, sodass sie als Interzessorin erscheint. Durch die räumliche Zusammenstellung von Altargemälde und Kultfigur blicken die Apostel und die weiblichen Figuren nicht nur auf Maria im Bild, sondern auch auf die wundertätige Marienfigur Scherpenheuvels. Das Heilsgeschehen erfährt hierdurch eine Aktualisierung und bekräftigt die besondere Rolle Mariens im Katholizismus, wo sie nicht nur als Vorbild betrachtet sondern als Mittlerin angerufen werden kann. Zentrale Gestaltungsmittel der Himmelfahrt zeichnen auch die Gemälde in den Seitenkapellen der Kirche aus. Der Affekt des Staunens und Bewunderns wird im Tempelgang Mariens (Abb. 114) durch die ausgestreckten Arme des Priesters zum Ausdruck gebracht. Dieser Gestus wird in der Heimsuchung (Abb. 116) durch die Figur des Zacharias nochmals aufgegriffen. Dessen weit aufgerissene Augen verstärken seinen verwunderten Gesichtsausdruck. Die detailreiche Wiedergabe der Gesichtszüge der Figuren veranschaulicht die emotionalen Ergriffenheit der Beteiligten und findet sich in allen Gemälden des Zyklus wieder. Durch besonders große Figuren, die nah an den Bildrand gerückt werden, lassen sich die Gesichtsausdrücke von Anna und Joachim bei der Begegnung an der Goldenen Pforte (Abb. 112) sowie beim Tempelgang Mariens (Abb. 114) oder auch die von Maria und Elisabeth bei der Heimsuchung (Abb. 116) genauestens studieren. Hierdurch wird die Identifikation der Wallfahrenden mit den gezeigte Figuren möglich: So wie diese Maria anschauen und die göttliche Vorsehung bewundern, so schauen die Wallfahrenden das Gnadenbild Mariens an und beukken in de Brusselse Begijnhofkerk. In: Theodoor van Loon. ›Pictor ingenius‹ en tijdgenoot van Rubens. Hg. von Michel Draguet u. a. Gent 2011, S. 63–77. Vgl. auch Daniel Fliege, Janne Lenhart: Einleitung. In: Gender interkonfessionell gedacht. Konzeptionen von Geschlechtlichkeit in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2020 (The Early Modern World. Texts and Studies 3), S. 7–32. 614 Hier erscheint sie nicht als Himmelskönigin, sondern als erreichbares Vorbild, was es den Beginen ermöglichte, sich mit Maria zu identifizieren. 615 Zur Affektion des Staunens im Wallfahrtskontext vgl. auch van der Meulen 2016 (Anm. 404), S. 177–183, der ähnliche Phänomene für Zwiefalten im 18. Jahrhundert konstatiert hat. Für die Niederlande der Frühen Neuzeit lässt sich der Affekt des Staunens mit dem Begriff verwondering fassen; vgl. Gregor J. M. Weber: Verwondering. Anmerkungen zu einem Affekt der Kunstbetrachtung. In: Ad fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen. Hg. von Claudia Fritzsche u. a. Petersberg 2013, S. 331–347.

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staunen die wundersamen Ereignisse, die mit diesem in Verbindung stehen. Wie erfolgreich diese Strategie war, zeigt sich anhand eines besonders interessanten Objektes. Es handelt sich um eine anonyme Kopie der Scherpenheuveler Heimsuchung (Abb. 120), die sich in der Kapel Onze-Lieve-Vrouw van de Beukeboom (Kapelle Unsere-Liebe-Frau vom Buchenbaum) in Lummen befindet.⁶1⁶ Der kleine Ort Lummen liegt circa 20 Kilometer entfernt von Scherpenheuvel und dort wurde ab 1640 eine wundersame Marienstatue verehrt, die in einer Buche auf einem Hügel gestanden und von einem Hirten entdeckt worden sein soll. Nachdem sie plötzlich verschwunden war, stellte man eine Marienstatue aus Alabaster auf, fällte den Baum und errichtete eine kleine Kapelle. Aus dem Holz der Buche wurden neue Marienbilder geschnitzt.⁶1⁷ Die Kapelle wurde zum Fest der Heimsuchung geweiht. Die räumliche Nähe zu Scherpenheuvel, die mit einer nahezu deckungsgleichen Geschichte um ein Marienbild einhergeht – lediglich wurde aus der Eiche eine Buche – und schließlich die Kopie von van Loons Heimsuchung, veranschaulichen die räumliche Ausstrahlung des Scherpenheuveler Marienkultes in die umgebende Landschaft. Konkrete Vorbilder für van Loons Gemälde wiederum lassen sich für die einzelnen Sujets nicht identifizieren, wenn gleich einige Figurenanlagen auf eine Kenntnis van Loons italienischer Kirchenausstattungen schließen lassen. So weist die Darbringung im Tempel (Abb. 117) einige Ähnlichkeit zu einem Gemälde Aurelio Lomis in S. Paolo in Bologna auf, mit dessen Malerei er aus Rom vertraut gewesen sein dürfte.⁶1⁸ Beide bringen die fünf Einzelszenen, die zur Überlieferung in Lk 2,22–38 gehören, in einer Darstellung zusammen.⁶1⁹ Die Heimsuchung erinnert durch die Größe und Schwere der weiblichen Figuren an Pontormos Visitazione (Abb. 121).⁶2⁰ Für die Geburt Mariens (Abb. 113) nennt Cornil die Gemälde von Borgianni in Savona und Cigoli in Pistoia, ebenso denkbar wäre Sebastiano del Piombos Fassung des Sujets in der Santa Maria del Popolo, in deren Pfarrgemeinde van Loon bei seiner Ankunft in Rom wohnte. Die androgyne Darstellung Gabriels in der Scherpenheuveler Verkündigung (Abb. 115) mag mit den dunklen Flügeln an Gemälde von Carravaggio erinnern. Die Anleihen an italienische Malerei werden in Scherpenheuvel nicht ostentativ ausgestellt, sondern mit lokalen Darstellungstraditionen verbunden. So kor616 Vgl. den Eintrag in der belgischen Datenbank zu öffentlichem Kulturerbe https://id.erfgoed. net/erfgoedobjecten/22550 (06.10.2020). Eine weitere Kopie des Scherpenheuveler Bildes ist als Querformat ausgeführt und befindet sich in der Beginenhofkirche Sint Alexius en Catharina in Mechelen, zusammen mit einer Anbetung der Könige, von der ebenfalls mehrere Fassungen vorliegen. 617 https://www.lummen.be/node/1473 (06.10.2020). 618 320 x 200 cm; Öl/Lw. 619 Es handelt sich um das Reinigungsopfer Mariens, die Darbringung im Tempel, die Begegnung von Jesus und Simeon, die Weissagung Simeons und die Begegnung mit der Prophetin Hanna; vgl. Hans Martin von Erffa: Darbringung im Tempel. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Bd. 3. 1954, Sp. 1057–1076. In: RDK Labor, http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89142 (06.10.2020). 620 202 x 156 cm, 1528–1529, Öl/Holz, Pfarrkirche San Michele in Carmignano.

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Abb. 120: Anonym, Heimsuchung, Öl/Lw., 230 x 140 cm, Lummen, Kapel Onze-Lieve-Vrouw van de Beukeboom. © KIK-IRPA, Brussels.

respondiert beispielsweise der Wolken-verhangene Himmel im Hintergrund der Begegnung an der Goldenen Pforte mit zeitgenössischen niederländischen Landschaftsdarstellungen und auch die Gestaltung der Figuren, die mit hellem Inkarnat, blauen Augen und kräftigen Körpern beinah bäuerlich wirken – wie etwa Elisabeth in der Heimsuchung –, ist eher einem dezidiert unklassischen Darstellungsmodus zuzuordnen. Gleiches gilt auch für die Darstellung Anna und Joachims (Abb. 112), deren fortgeschrittenes Alter durch sichtbare Falten, Augenschatten und graues Haar inszeniert wird, wodurch die Behauptung einer naturalistischen, wenig idealisierenden Darstellung aufgestellt wird. Die Bildanlage dieses Gemäldes erinnert an Dürers Umsetzung des Sujets (Abb. 122).⁶21 Das decorum bleibt trotz dieser Figurenmodellierung stets gewahrt: gerade durch die Darstellung Elisabeths als grobschlächtige Frau erscheint Maria in der Heimsuchung umso auserwählter. Bei der Orientierung an zeitgenössischer italienischer Malerei handelt es sich daher nicht um Kopien. Zwar existieren von van Loon tatsächlich Kopien italienischer Maler, wie die Pieta in Brüsseler Beginenkirche nach Marco Pino;⁶22 und andere Gemälde zitieren dezidiert Caravaggio, wie das Emmaus-Mahl im Antwerpener Maagdenhuismuseum.⁶23 Doch für den 621 Albrecht Dürer, Anna und Joachim an der Goldenen Pforte (Teil der Marienserie), Holzschnitt, 1504, 28,8 x 21 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum. 622 Kat. Ausstell. Theodoor van Loon 2018 (Anm. 371), Nr. 1–2, S. 109–11. 623 Ebd., Nr. 21, S. 154f.

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Abb. 121: Jacopo Pontormo, Heimsuchung, 1528-29, Öl/Holz, 202 x 156 cm, Carmignano, Pfarrkirche San Michele.

Scherpenheuveler Zyklus kreierte er eine Bildsprache, die Sandra Janssen treffend mit dem Begriff Eklektizismus charakterisiert hat: die Kombination verschiedener stilistischer Elemente, die insgesamt den Eindruck einer italienischen Malerei erweckt, dabei aber auch lokale Darstellungstraditionen berücksichtigt. Spezifisch für eine ganze Generation niederländischer Maler, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts bildliche Referenzen zu italienischen Vorbildern für ihre Malerei nutzten, ist, dass van Loon im Scherpenheuveler Zyklus auf eindeutig identifizierbare Bildzitate verzichtet und stattdessen eher einen italianisierte Stimmung vermittelt. Dem Maler gelingt es dabei, einen konsistenten Bildeindruck für alle Gemälde des Zyklus zu erschaffen. Durch bildliche Verschränkungen und Verweisstrategien erscheinen die Gemälde als Einheit, wenngleich sie durch die räumlich getrennte Aufstellung nur sukzessive erschlossen werden können. Dieser Eindruck von Einheitlichkeit wird durch verschiedene Lösungen erzielt. Die Bildformate korrespondieren und der Bildausschnitt ist jeweils nah an den Figuren angesetzt, wodurch diese sehr groß sind. Gerade die weiblichen Figuren erhalten im gesamten Zyklus besonders viel Präsenz. Nicht nur Maria, auch Anna, Elisabeth und die Hebammen in der Geburt Mariens werden durch ihre Größe als zentrale Figuren präsentiert. Die ansonsten einheitliche erdige Farbigkeit wird durch ihre strahlend leuchtenden Textilien kontrastiert. Durch die helle Ausleuchtung der Figuren vor dunklem Hintergrund entsteht ein beinah bühnenhafter Eindruck. Zu diesem trägt auch der Fokus auf die innige Kommunikation der Figuren bei, deren Gesichter nah aneinander gerückt und deren Blicke verschränkt sind. Die theatrale Bildanlage entfaltet auf diese Weise ein Narrativ, das die Einzelszenen

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Abb. 122: Albrecht Dürer, Anna und Joachim an der Goldenen Pforte (Teil der Marienserie), Holzschnitt, 1504, 28,8 x 21 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum.

visuell zu einer Gesamterzählung verbindet. Bei der zirkulären räumlichen Erschließung der Kirche durch die Wallfahrerinnen und Wallfahrer, wie Moretus und Numan sie beschreiben, wird die herausgehobene Stellung Mariens in der katholischen Kirche durch das Gesamtnarrativ gestützt, das mit der Vorstellung der unbefleckten Empfängnis – verbildlicht durch die Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte – beginnt und sich zur Aufnahme Mariens in den Himmel am Hauptaltar steigert, über dem wiederum das verehrte Gnadenbild platziert ist. Wie ›erfolgreich‹ der Scherpenheuveler Gemäldezyklus im niederländischen Raum war zeigt sich auch daran, dass zahlreiche Kopien und Variationen der Sujets – sowohl von van Loon, als auch von anderen Künstlern – erhalten sind. Ein Beispiel hierfür ist die Kopie der Heimsuchung in Lummen (Abb. 120), eine weitere befindet sich in Mechelen.⁶2⁴ Ein anderes Beispiel ist das Gemälde mir der Geburt Mariens (Abb. 113), von dem sich eine Übertragung ins Querformat in Rouen befindet (Abb. 123).⁶2⁵ Eine Kopie der Darbringung im Tempel befindet sich im nahe gelegenen Diest (Abb. 124) und in Tildonk.⁶2⁶ In Kapitel 2 wurde 624 Öl/Lw., 176 x 260 cm, Mechelen, Kerk Sint-Alexius en Catharina (Beginenhof), siehe http:// balat.kikirpa.be/object/22106 (06.10.2020). 625 Öl/Lw., 170 x 208,5 cm, Rouen, Musée des Beaux-Arts, siehe Kat. Ausstell. Theodoor van Loon 2018 (Anm. 371), Nr. 16, S. 142f. 626 Öl/Lw., 236 x 164,5 cm, Diest, Stadhuis, siehe https://www.erfgoedplus.be, KF.objecten. 1342437050758-1939660373 sowie Öl/Lw., 225 x 180 cm, Tildonk, Kerk Sint-Jan-Baptist, siehe http://balat.kikirpa.be/object/3783.

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Abb. 123: Theodoor van Loon, Geburt Mariens, Öl/Lw., 170 x 208,5 cm, Rouen, Musée des BeauxArts.

aufgezeigt, wie die Scherpenheuveler Marienfigur durch zahlreiche Druckgrafiken und Wallfahrtssouvenirs zu einem wiedererkennbaren Typus avancierte, der eine weite Strahlkraft im niederländischen Raum entfaltete. Für die Gemälde dürfte sich ähnliches konstatieren lassen; die Kopien sind durchaus auch in arbeitsökonomischer Hinsicht vorteilhaft, vor allem aber bieten sie einen Identifikationsraum und eine Verknüpfung zur Wallfahrtskirche an. 3.4.3 Konzeption Mariens in der Wallfahrtskirche

Das gattungsübergreifende Ausstattungsprogramm setzt in der Verehrung Marias unterschiedliche Schwerpunkte. Die Skulpturen im Innenraum verweisen auf die Kirche und die Ankunft des Erlösers. Selbst wenn die Sockel mit den Inschriften erst eine Ergänzung des 19. Jahrhunderts darstellen, konnten die Propheten als heilsgeschichtliche Vorhersehung rezipiert werden. Der Rekurs auf die alttestamentlichen Figuren wird durch die Wahl der Gattung Skulptur unterstrichen, weil durch die lebensgroßen Marmorfiguren ein materialästhetischer Antikenbezug hergestellt wird. In der räumlichen Zusammenstellung der Skulpturen, die das Kultbild im Kirchenraum kreisförmig umgeben, wird eine visuelle Kontinuitätsbehauptung zwischen den Propheten und Maria aufgestellt. Im Bildprogramm von Theodoor van Loon zeigt sich dagegen der Anspruch, die Menschlichkeit Mariens vor Augen zu stellen. Da Rubens, der bereits zeitgenössisch wesentlich berühmter war, zeitgleich als Hofmaler für die Erzherzöge tätig war, stellt sich die Frage, weshalb man nicht ihn, sondern van Loon für den Scherpenheuveler Zyklus engagierte. Der Vergleich zweier Lösungen für eine Himmelfahrt der beiden Maler veranschaulicht die unterschiedlichen malerischen Schwerpunkte. Rubens Himmelfahrt Mariens (Abb. 125) zeugt ebenfalls von einer italienisch anmutenden Bildkonzeption, doch er entwickelte nahezu

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Abb. 124: Theodoor van Loon, Darbringung im Tempel, Öl/Lw., 236 x 164,5 cm, Diest, Stadhuis. © KIK-IRPA, Brussels.

unerreichbare heilige Figuren, die er in einer pastelligen Farbigkeit modellierte. Die gesamte Szene scheint von einem göttlichen Licht durchdrungen zu sein, wodurch Maria für die Betrachtenden ungreifbar bleibt. Van Loons Himmelfahrt zeichnet sich dagegen durch ein betontes chiaroscuro aus (Abb. 118). Die flächengebundene Farbigkeit seiner Figuren betont eine von der Linie aus entwickelte Bildkonzeption. Durch die gedämpfteren Farben, die Reduktion eines göttlichen erscheinenden Lichts und die Fokussierung auf die detailreiche Ausgestaltung der Figuren, erscheinen nicht nur die Apostel sondern auch Maria als greifbar. Sie vermittelt eine direkte Präsenz für die Rezipierenden und wirkt auch dadurch ansprechbar, dass die Figuren nahe im Bildausschnitt herangeholt sind. In den weiteren Gemälden wird diese Ansprechbarkeit auch durch die weniger idealisierenden Gesichtszüge Mariens betont, die als ein dezidiert unklassischer Darstellungsmodus verstanden werden müssen. Die Wirkmacht, die dem Scherpenheuveler Gnadenbild zugesprochen wurde, wird durch die Greifbarkeit der naturalistisch entwickelten Präsenz Mariens im Gemäldezyklus herausgestellt. Hierdurch wird die dezidiert katholische Auffassung, dass durch das Kultbild Maria als Fürbitterin angesprochen werden kann, unterstrichen. Erwecken die Reliefs der Außenaltäre zunächst den Anschein, einen christologischen Zyklus zu bilden, zeigt sich im Gesamtbild, dass stattdessen ein mariologischer Zyklus vorliegt. Denn es sind ausschließlich jene Stationen aus dem Leben Jesu gezeigt, bei denen auch Maria präsent ist und schließlich bildet auch eine Himmelfahrt Mariens den Abschluss des Reliefzyklus, wodurch die besonders hervorgehobene Stellung Mariens in der katholischen Kirche betont wird. Abstrahiert man die Erzählung der drei Bildprogramme, zeigt sich, dass diese einen überzeitlichen Raum aufspannen, im welchem Maria lokalisiert wird. Diese überzeitliche Präsenz Mariens, die in Wallfahrten aktiviert und ausgestellt wurde, hat Werner Freitag für andere Wallfahrtsorte präzise zusammengefasst:

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Abb. 125: Peter Paul Rubens, Aufnahme Mariens in den Himmel, 1626, Öl/Holz, 297 x 458 cm, Antwerpen, Liebfrauenkathedrale.

In ihnen verbanden Menschen Erfahrungen von der Vergangenheit und Deutungen der Gegenwart untrennbar mit dem Bild. Diese ›Selbstverortung‹ in die Heilsgeschichte in der die Geschehnisse des Neuen Testaments, das Leben der Apostel und Heiligen und die Geschichte des Wallfahrtsortes ein Kontinuum der Zeit bildeten, ließ am Wallfahrtsbild Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins werden und wurde handlungsleitend.⁶2⁷

Indem durch die Ausstattungsprogramme in Scherpenheuvel Altes Testament, Neues Testament und Apokryphe Schriften bildlich zum Ausdruck gebracht und mit der eigenen raumzeitlichen Präsenz der Pilgernden zusammengeführt werden, formierte sich ein Einheitsnarrativ, das die Rezipierenden ihren Anteil am heilsgeschichtlichen Geschehen erfahren ließ. Mit der gleichzeitigen Betonung der Menschlichkeit Mariens und ihrer Nähe zu Gott, herrschte laut Freitag »die Vorstellung, dass Maria als Heilige sich zum einen nahe bei Gott aufhalte und dort als Fürbitterin für die Menschen tätig werde, zum anderen jedoch im Bild627 Werner Freitag: Sichtbares Heil – Wallfahrtsbilder in Mittelalter und Neuzeit. In: Kat. Ausstell. Imaginationen des Unsichtbaren. 1200 Jahre Bildende Kunst im Bistum Münster. Bd. 1. Hg. von Géza Jászai. LWL Münster. Münster 1993, S. 122–146, hier S. 122.

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nis bei Andacht, Gebet und Opfer gegenwärtig sei.«⁶2⁸ Diese dezidiert katholische Auffassung von Maria kennzeichnet das Ausstattungsprogramm. In der Rezeption von Kirche und deren Ausstattung wird der Blick beständig an das Gnadenbild im Inneren zurückgebunden, dessen Wirkmacht hierdurch kontextualisiert und aktualisiert wird. Diese Praxis kann zwar nicht als intendiertes Ziel aufgefasst werden, dennoch werden durch die wechselseitigen Bezugnahmen Fremd- und Eigenbilder stabilisiert. Scherpenheuvel ist nicht deshalb ,typisch katholisch’ weil Maria verehrt wird. Wie die jüngere Forschung vielfältig gezeigt hat, war Maria auch in den anderen frühneuzeitlichen Konfessionen eine wichtige Figur.⁶2⁹ Das Besondere ist die Ausbildung, Verstärkung und bildliche Inszenierung der spezifischen lokal gebunden Marienverehrung, die integrativ mit dem niederländischen Raum verbunden ist und dort wirksam wird. Das verehrte Marienbild, die bildliche Ausstattung der Kirche und die verbreiteten Druckgrafiken verstärkten das einheitliche Narrativ der in Scherpenheuvel wundertätigen Gottesmutter. Das spezifisch katholische liegt somit in der Vorstellung Mariens als Interzessorin. 3.4.4 Wallfahrtskirche als Lokalisierung der universalitas

Sowohl hinsichtlich der Architektur wie auch der Innenausstattung der Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel zeigt sich ein Interesse daran, ein kirchliches Raumkonzept umzusetzen, das einen italienischen Eindruck erweckt. Dies wird durch verschiedene künstlerische Mittel erzeugt. Hinsichtlich der Architektur greifen die große Kuppel, die barocke Fassade, die massigen Voluten und die Verwendung des Materials Sandstein aktuelle Elemente römischer Sakralbauten auf. Die Ausstattung mit lebensgroßen Skulpturen aus Marmor und monumentalen Gemälden setzen diese Bezüge im Innenraum fort. Der Künstler Theodoor van Loon – ein Maler, der durch mehrjährige Aufenthalte in Italien mit der dortigen zeitgenössischen Malerei hervorragend vertraut war – entwickelte für den Marienzyklus eine Bildsprache, die, ohne auf direkte italienische Vorbilder zurückzugreifen, durch die theatrale Gestaltung der Figuren und durch die Inszenierung leuchtender Textilien in der niederländischen Rezeption den Eindruck italienischer Gemälde aufrief. Durch die konzeptuelle Verschränkung von Architektur und Innenausstattung wird im Akt der Rezeption ein überzeugendes Bild zusammengesetzt, bei dem die verehrte Marienfigur und der sie umgebende architektonische Raum samt dessen gattungsübergreifenden Bildprogrammen als Einheit erscheint. Die Bewegung durch den Raum ist die nötige Voraussetzung, um den Bildzyklus zu erschließen, die Bewegung um den Kirchenbau herum, um die Außenaltäre mit 628 Werner Freitag: Berühren, Bekleiden, Niederknien. ›Wunderthätige Gnadenbilder‹ im Zeitalter der Konfessionalisierung. In: Die Bildlichkeit symbolischer Akte. Hg. von Barbara StollbergRillinger, Thomas Weißbrich. Münster 2010 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 28), S. 199–221, hier S. 218. 629 Vgl. Steiger 2002 (Anm. 574); Jahn, Schindler 2020 (Anm. 20); Schaller 2020 (Anm. 574).

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den Reliefs stationsweise zu rezipieren. Architektur und Ausstattung bilden in ihrer konzeptuellen Abhängigkeit einen ästhetischen Erfahrungsraum, der Italien als Referenz ausstellt. Durch die mannigfaltigen transkulturellen architektonischen, räumlichen, materialästhetischen und stilistischen Verweise auf Italien wird die Scherpenheuveler Marienfigur in das Narrativ der von Rom (als Sitz des Papstes) ausgehenden katholischen universalitas eingebunden. Die räumliche und visuelle Erfahrbarkeit der römisch anmutenden Kirche in der flämischen Landschaft trägt die Auffassung der allumfassenden Kirche. Durch diese Konzeption wird der lokale Kult legitimiert und er wirkt gleichzeitig stabilisierend für die katholische Kirche. Die programmatischen Verweise auf Italien, respektive Rom, werden in Scherpenheuvel jedoch nicht konsequent umgesetzt. Sowohl einige architektonische Lösungen als auch einzelne Aspekte der Bildkonzeption des Marienzyklus lassen flämische Traditionen sichtbar werden. Dies betrifft etwa den Glockenturm auf quadratischem Grundriss, der weniger an einen Campanile und sehr viel mehr an einen Belfried erinnert, wie er vor allem an Rathäusern in Flandern üblich war. Auch die rot geziegelten Außenwände der Kapellen bilden einen starken Kontrast zum Sandstein und erscheinen üblicher für eine niederländische als für eine italienische Kirche (Abb. 82). Die These lautet nun, dass es sich bei diesen Elementen um eine gezielt eingesetzte Strategie der lokalen Verortung des als global verstandenen universalitas-Konzepts handelt. Sowohl der ausführende Architekt Coebergher als auch Theodoor van Loon hatten viele Jahre in Italien gelebt und gearbeitet. Sie kannten daher italienische Kirchen zu gut, als dass es sich bei den flämischen Elementen in Scherpenheuvel um zufällige oder unbewusste Residuen handeln könnte. Es ist hingegen sehr viel plausibler, anzunehmen, dass ein italienisch anmutendes Gesamtkonzept erarbeitet wurde, dass durch partiell eingesetzte flämische Merkmale eine lokale Verankerung erfuhr. Begrifflich fassen lässt sich dieses Phänomen der lokalen Verankerung globaler Konzepte mit dem Terminus ›Glokalisierung‹.⁶3⁰ Der Begriff vermag besonders gut zu fassen, »dass global zirkulierende Konzepte in der lokalen Aneignung Veränderungen unterworfen sind«.⁶31 Es ging also nicht darum, tatsächlich Objekte aus Rom in die Niederlande zu transferieren, sondern den lokal 630 Glokalisierung ist ein Kofferwort aus Globalisierung und Lokalisierung, das gerade nicht die Gegensätzlichkeit der beiden Begriffe fasst, sondern Prozesse in den Blick nimmt, die sich im Zusammenkommen beider generieren. Der Soziologe Roland Robertson prägte den Begriff im deutschsprachigen Raum: Roland Robertson: Glokalisierung. Homogenität und Heterogenität in Zeit und Raum. In: Perspektiven der Weltgesellschaft. Hg. von Ulrich Beck. Frankfurt a. M. 1998, S. 192–220; Margit Kern hat ihn für Frühe Neuzeit geöffnet. 631 Margit Kern: Der Jesuitenorden. Globale Netzwerke – lokale Akteure, 29.06.2012 Berlin. In: HSoz-Kult, 26.06.2012, https://www.hsozkult.de/event/id/termine-19567 (06.10.2020). Vgl. außerdem den literaturwissenschaftlichen Zugriff, der das Potenzial des Begriffs für die Kulturwissenschaften herausstellt, Philipp Marquardt: Warum Glokalisierung? Ein Plädoyer für die Literaturwissenschaft. In: Globale Kulturen – Kulturen der Globalisierung. Hg. von Christina Gößling-Arnold u. a. Baden-Baden 2013 (Wertewelten 5), S. 227–238.

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greifbaren Kult mit einem als global verstandenen Narrativ zu verweben. Damit die lokale Wirksamkeit plausibel gemacht werden kann, bedarf es in diesem Prozess der Sichtbarmachung lokaler Identitätsmarker. In Scherpenheuvel wird dieses Phänomen an der Bildsprache sowie an der Architektur sichtbar. Exemplarisch sei nochmal die Verkündigung an Maria (Abb. 82) aufgerufen: Gabriel, der Maria gegenübertritt, erinnert durch die Weichzeichnung seiner androgynen Gesichtszüge ebenso wie durch die dunklen Flügel an Figuren Caravaggios, und die sich spielerisch windenden Putten mögen an Raffael denken lassen. Ganz ›flämisch‹ mutet hingegen die Modellierung der Gesichtszüge Mariens an. Das blasse Inkarnat, die hellblauen Augen und das fliehende weiche Kinn verweisen auf lokale Darstellungstraditionen, die Maria dezidiert unklassisch zeigen.⁶32 Auch der im Durchgang zum Garten sichtbar werdende wolkenverhangene Himmel legt eine Verortung des Geschehens in die Niederlande nahe.⁶33 Schließlich korrespondiert zudem der rot gekachelte Boden in der Verkündigung mit dem ursprünglichen Boden der Wallfahrtskirche, wodurch eine Verschränkung von Bildraum und Betrachterraum erreicht wird. Die gleiche These lässt sich auch für die Architektur in Scherpenheuvel konstatieren. Durch die Gestaltung der Fassade wird ein römisches Stilvokabular aufgerufen und damit auf Rom als Zentrum der katholischen Kirche rekurriert. Durch diese formalen Aspekte wird ihr Universalismus-Anspruch zum Ausdruck gebracht: Die Wallfahrenden begegnen in der niederländischen Landschaft einer Sandsteinfassade, die mit Figurennischen geschmückt ist und durch eine Serliana geöffnet wird. Die große Kuppel des Zentralbaus, die durch große Voluten gestützt wird, stellt architektonische Referenzen an Italien ostentativ aus. Gleichzeitig werden auch lokale Elemente katholischer Architektur umgesetzt, wie beispielsweise das Ziegelmauerwerk sowie der an einen Belfried erinnernden Glockenturm. Auf diese Weise werden italienische und niederländische Architekturtraditionen miteinander zu etwas Neuem verbunden. Der erste Eindruck einer italienischen Konzeption wird sowohl in der Architektur wie in der Ausstattung kontinuierlich durch Lokalisierungsstrategien des Niederländischen gebrochen. Kirche sowie Ausstattung zeichnen sich dadurch aus, dass in der Rezeption etwas Italienisches erkannt wird, das integrativ mit Lokalem verbunden ist. Die These, das ästhetische Konzept für Scherpenheuvel als geplante Glokalisierungsstrategie zu verstehen, will stark machen, dass der Einsatz sowohl römisch anmutender wie lokaler Stile bewusst geschah, um ein plausibles Gesamtnarrativ zu entfalten, das örtliche Gegebenheiten nicht nur berücksichtigt, sondern dezidiert nutzt und in das entworfene Konzept einbezieht.

632 Zu dezidiert unklassischen Mariendarstellungen in den Niederlanden vgl. von Rosen 2015 (Anm. 32). 633 Vgl. hierzu Ulrike Kern: Van Mander und das schlechte Wetter. Wolken als Methode zur Darstellung von Ferne in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts. In: Die Entdeckung der Ferne. Natur und Wissenschaft in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Hg. von Ulrike Gehring. Paderborn 2014, S. 71–93.

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Abb. 126: Juan Bautista Villalpando, In Ezechielem explanationes 1604, Bd. 2, Tafel XII.

3.5 Das Neue Jerusalem als überkonfessionelle Bezugsgröße Es zeigt sich, dass eine konfrontative Gegenüberstellung, die die reformierten Kirchen der Niederlande als orientiert an dem Konzept der Nachgotik und die katholischen Kirchen der Niederlande als orientiert am römischen Barock versteht, zu kurz greift.⁶3⁴ Ottenheym und Snaet haben gezeigt, dass Nachgotik auch bei katholischen Kirchen des 17. Jahrhunderts ein wichtiges Gestaltungsmerkmal darstellte; darüber hinaus waren auch die Reformierten bei der Errichtung von Kirchen durchaus nicht nur an funktionalen Bauten interessiert, sondern verstanden es, die Interessen ihrer Auftraggeber an Status und Prestige umzusetzen.⁶3⁵ Es lässt sich ein weiteres Gestaltungsmerkmal ausmachen, das häufig als konfessioneller Marker identifiziert wird, nämlich der architektonische Bezug zum Salomonischen Tempel. Dieser Bezug scheint zunächst geradezu ausschließlich und unmittelbar mit den niederländischen reformierten Bauten des 17. Jahrhunderts verknüpft zu sein: Vielfach hat die Forschung gezeigt, wie die Bauten Jacob van Campens für Haarlem (Nieuwe Kerk), Renswoude und Hooge Zwaluwe, und auch die Marekerk in Leiden und die Oostkerk in Middelburg Anlehnungen an zeitgenössische Rekonstruktionen des Jerusalemer Tempels ostentativ ausstellten.⁶3⁶ Die visuelle Grundlage für diese Bezüge waren Rekonstruktionszeichnungen, wie die von Juan Bautista Villalpando, die im 17. Jahrhundert zirkulierten (Abb. 126). Die architektonisch am deutlichsten umgesetzte Referenz waren die konkaven Strebepfeiler, die in Villalpandos Zeichnung den Tempel stützen und die bei diesen niederländischen Kirchen zitiert wurden. Offensichtlich war es für die Rezeption durch die Reformierten kein Hindernis, dass Villalpando selbst Jesuit war. Attraktiv war der Bezug zum Salomonischen Tempel jedoch für alle frühneu634 Vgl. Snaet 2007 (Anm. 467). 635 Snaet 2007 (Anm. 467), S. 280–298; Ottenheym 2015 (Anm. 501). 636 Vgl. Thomas H. van der Dunk: Haarlem als Hollands Jeruzalem. De oorsprong van de toren van de Grote of St.-Bavokerk. Hilversum 2016 (Haerlem reeks 18); Snaet 2007 (Anm. 467); Spicer 2007 (Anm. 74); C. J. R. van der Linden: De Symboliek van de Nieuwe Kerk van Jacob van Campen te Haarlem. In: Oud Holland 104 (1990), S. 1–31; Ottenheym 1995 (Anm. 516), S. 180–187.

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zeitlichen Konfessionen; Katholiken und Lutheraner rekurrierten etwa auf ihn, um die Beibehaltung reichhaltig ausgeschmückter Kirchen zu rechtfertigen.⁶3⁷ Und alle christlichen Konfessionen sahen in der Rekonstruktion Villalpandos die Synthese vitruvianischer Architektur und somit eines idealen Tempels; architektonische Referenzen finden sich an zahlreichen frühneuzeitlichen Sakralbauten.⁶3⁸ Sowohl Reformierte als auch Katholiken setzten also architektonische Referenzen um. Nicht erst Villalpandos Rekonstruktion brachte Bezugnahmen zwischen reformierter Architektur und dem Jerusalemer Tempel hervor; bereits bei den ersten ephemeren Kirchen, die vor dem Achtzigjährigen Krieg gebaut wurden – und somit vor der Publikation des Jesuiten entstanden – spielte die Referenz eine Rolle und wurde von den Zeitgenossen, wie etwa dem Geschichtsschreiber Marcus van Vaernewijk, wahrgenommen.⁶3⁹ Er beschrieb, dass »desen waelschen tempel was gemaekt heel rondt, zeer anticxt, op de maniere van Salomons tempel te Jerusalem […]«.⁶⁴⁰ Hierin wird deutlich, dass mindestens bis zu Villalpandos Rekonstruktion keine einheitliche Vorstellung herrschte, wie der Salomonische Tempel ausgesehen hatte; in zahlreichen Gemälden des 16. Jahrhunderts wurde der Tempel als runder oder achtseitiger Zentralbau dargestellt (Abb. 127 und 128).⁶⁴1 Daher ist es durchaus denkbar, dass Moritz’ Anweisung, die Kirche in Willemstad auf einem runden oder achtseitigen Grundriss zu errichten, auf der Rezeption des Salomonischen Tempels im 16. Jahrhundert fußt. Die theologische Grundlage für die Errichtung reformierter Kirchen in Form des Jerusalemer Tempels lag in einer Aktualisierung der typologischen Ausdeutung der Vision Ezechiels, die seit dem Frühchristentum als allegorisches Bild der christlichen Kirche ausgelegt wurde.⁶⁴2 Das Anknüpfen an eine frühchristliche Auslegungstradition wurde als Argument genutzt, den Anspruch der eigenen Konfession als wahre christliche Kirche zum Ausdruck zu bringen. Gerade weil diese Interpretation in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert durch reformierte Schriften und auch in der Statenbijbel aufgegriffen und weitergeführt wurden, und architektonisch dann von Jacob van Campen und Arent van ’s-Gravesande umgesetzt wurde, entsteht rückblickend der Eindruck, es handele sich um eine genuin reformierte Symbolik.⁶⁴3 Dabei gerät aus dem Blick, dass auch in der katholischen Wallfahrtskirche Scherpenheuvel die gleiche allegorische Rückbindung an den Jerusalemer Tempel zum Tragen kommt.⁶⁴⁴ Zwar wurde die zeitgenössische Interpretation von Scherpenheuvel als einem ›neu-

637 Dürr 2006 (Anm. 401), S. 91. 638 Vgl. Snaet 2007 (Anm. 467), S. 297f., Gianfranco Miletto: Glauben und Wissen im Zeitalter der Reformation. Der salomonische Tempel bei Abraham ben David Portaleone (1542–1612). Berlin u. a. 2004 (Studia Judaica 27), S. 108–120. 639 Vgl. Snaet 2007 (Anm. 467), S. 253. 640 Zitiert nach Snaet 1999 (Anm. 467), S. 49. 641 Vgl. auch Lombaerde 2014 (Anm. 360), S. 191f. 642 Van der Linden 1990 (Anm. 636), S. 11. 643 Zur Interpretation im 17. Jahrhundert vgl. van der Linden 1990 (Anm. 636). 644 Der Hinweis auf die transkonfessionelle Gemeinsamkeit bei Snaet 2007 (Anm. 467), S. 298.

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Abb. 127: Jerusalem, in: Hartmann Schedel: Register des Buchs der Croniken [Schedelsche Weltchronik], Nürnberg 1493, fol. XVIIr.

en Jerusalem‹ mehrfach hervorgehoben, doch nie in einem transkonfessionellen Kontext verortet.⁶⁴⁵ Die zeitgenössische Deutung Scherpenheuvels als ein neues Jerusalem wurde vor allem von Philip Numan geprägt, Piet Lombaerde und Luc Duerloo haben die Parallelisierungen des Autors aufgezeigt. Numan stellte in seiner Historie van de Mirakulen eine Analogie zwischen den Bergen, auf denen sich Gott den Menschen offenbarte – Sinai, Horeb und Tabor – und der Hügellage Scherpenheuvels auf. Außerdem zieht er eine Parallele zu Gen 12,6–8, denn dort wird berichtet, wie Gott Abraham an einer Eiche bei der Stadt Sichem erschien. Dass Scherpenheuvel bei der Stadt Zichem liegt und ebenfalls eine Eiche im Zentrum des Kultes stehen, erscheint Numan als Zeichen, dass hier ein neuer Bund besiegelt wird: Als wy dan innesien die exempelen des ouden Testaments, waromme en sullen wy niet moghen hopen, dat omtrent dese Eycke achter Sichen, door het gebedt der Godtvruchtiger menschen vercreghen sal worden, dat de Godlycke bermherricheyt een nieuw verbont der versoeninghe met zyn volck van Nederlant sal maecken?⁶⁴⁶ Wenn wir dann die Exempel des Alten Testaments betrachten, warum sollten wir nicht hoffen dürfen, dass durch diese Eiche hinter Sichen, durch das Gebet der gottesfürchtigen

645 Vgl. Duerloo 2008 (Anm. 578); Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 111–126 sowie Lombaerde 2014 (Anm. 360) und Banz 2000 (Anm. 374), S. 102, die als erste auf diese Interpretation hingewiesen hat. 646 Numan 1604 (Anm. 364), S. 28.

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Abb. 128: Raffael, Vermählung Mariens, 1504, Öl/Holz, 174 x 121 cm, Mailand, Pinacoteca di Brera.

Menschen erwirkt worden sein soll, dass die göttliche Barmherzigkeit einen neuen Bund der Versöhnung mit seinem Volk der Niederlande schließen soll?⁶⁴⁷

Auch das erste Marien-Emblembuch, das 1607 von Jan David verfasst wurde und Isabella gewidmet ist, lässt auf eine besondere Verbindung zwischen Scherpenheuvel und Jerusalem schließen. David fasste hierin die Darstellung Mariens mit dem Christuskind in Analogie zur Bundeslade auf, wodurch sie zum Zeichen des neuen Bundes wird; an anderer Stelle deutete er sie als »gloria Ierusalem«, und als »domus sapentiae« stellte David sie als einen runden überkuppelten Tempel vor, der auf sieben gedrehten Säulen errichtet ist.⁶⁴⁸ Diese bildliche Übersetzung des Hauses der Weisheit geht auf das Buch der Sprichwörter zurück, das König Salomo zugeschrieben wurde, sodass hierin auch eine Analogie zum Salomonischen Tempel gesehen wurde.⁶⁴⁹ 647 Übersetzung der Autorin. 648 Jan David: Pancarpium Marianum. Antwerpen 1607, S. 180f., S. 197, S. 65. Siehe dazu ausführlicher Duerloo, Wingens 2002 (Anm. 360), S. 115–119. 649 Spr 2,1. Siehe Banz 2000 (Anm. 374), S. 102. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Bezeichnung

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Es zeigt sich, dass der Bezug zum Jerusalemer Tempel sowohl in der reformierten Architektur der Niederlande, als auch in der Rezeption der Wallfahrtskirche aktiviert wurde. Bei beiden Konfessionen handelte es sich um spezifische Aneignungsmechanismen, die jeweils eine Identifikation der Niederlande mit dem Volk Gottes nahelegten. Wurde dieser auf reformierter Seite mit architektonischen Verweiselementen umgesetzt, ist der Bezug in Scherpenheuvel stärker in der allegorischen Ausdeutung und weniger in der Architektur der Wallfahrtsskirche wirksam gewesen. Wenn »Scherpenheuvel das ›Neue Jerusalem‹ [ist], in dem die Herrschaft des spanischen Thrones über die Niederlande ihre Legitimation erhält«, wie Piet Lombaerde resümiert, so ist hinzuzufügen, dass dies in den Niederlanden keine ausgewiesen katholische Interpretation war, sondern der Rekurs auf den Jerusalemer Tempel ein transkonfessionell geteiltes Ideal darstellte.

3.6 Aneignung, Umcodierung, Überbietung Die Untersuchung der Stadtanlagen und der neuen Kirchenbauten und insbesondere deren Verzahnung miteinander verdeutlichen, dass die Vermutung Konrad Ottenheyms, Scherpenheuvel lasse sich als »contra-reformative reaction« auf Willemstad verstehen, sich zu einer These ausbauen lässt die tragfähig wird, wenn man den Modus des vergleichenden Sehens als ein Wahrnehmungsmodell der Frühen Neuzeit versteht, das zur visuellen Erfahrbarkeit konfessioneller Identitäten in den Niederlanden aktiviert wurde. Getragen von der Ausgangsbeobachtung, dass konfessionelle Identitäten mittels eines vergleichenden Sehens erfahrbar wurden, lautet die These, dass die Wallfahrtskirche in Scherpenheuvel als ein auf die Koepelkerk Willemstads antwortender Bau verstanden werden muss. Die Koepelkerk wird somit als ein Vor-Bild verstanden, auf das man sich bei dem Bau der katholischen Kirche bezogen hat. Allerdings erfolgte dies nicht in der wertschätzenden Art und Weise, wie bei der aemulatio mit Vorbildern verfahren wurde, bei denen der würdigende Bezug zum Bezugsobjekt sichtbar ausgestellt wurde. Vielmehr scheint die Wallfahrtskirche das raumästhetische Formular der Koepelkerk für sich veranschlagt und vereinnahmt zu haben, indem das Grundschema übernommen und dann mittels eines neuen Symbolsystems umcodiert und als spezifisch katholisch ausgewiesen wurde. Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand: In beiden Fällen handelt es sich um einen ›überkuppelten‹ Zentralbau auf polygonalem Grundriss, der jeweils im Zentrum der siebenseitigen Stadtanlage errichtet worden ist. Willemstad erMarias als templum Salomonis im Zusammenhang mit dem Verständnis Jesu als neuem Ort der Gegenwart Gottes durchaus gängige Tradition war. Anselm Salzer hat die Marienbilder der Kirchenväter systematisch zusammengefasst und es zeigt sich, dass sich die Bezeichnung Mariens als »Tempel und Palast Gottes« und als »Thron Salomons« in der patristischen Literatur wiederfinden und somit auch transkonfessionell rezipierbar waren; siehe Anselm Salzer: Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Linz 1893, S. 118f.

Aneignung, Umcodierung, Überbietung

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scheint auf kartografischen Ansichten als Idealstadt. Doch dieser Eindruck ist in Scherpenheuvel noch wesentlich gesteigert, was insbesondere durch die striktere Symmetrie des Stadtbildes und der Kongruenz der siebenseitigen Stadtanlage mit dem heptagonalen Grundriss der Kirche erreicht wird. Der achtseitige Grundriss der Koepelkerk in Willemstad geht vermutlich auf reformierte Bauten in Frankreich oder die ephemeren niederländischen protestantischen Kirchen zurück. Seine Gestaltung ist daher nicht von einer Raumästhetik im Bezug zur Stadtanlage gedacht, sondern eher von dem Bestreben danach, einen dezidiert reformierten Bautypus zu etablieren, der sich sichtlich von den katholischen Kirchen der Niederlande unterscheidet und in funktionaler Hinsicht dem reformierten Gottesdienst Rechnung trägt. Gerade in dem Zusammenspiel von Stadtraum und Kirchenraum wird in Scherpenheuvel deutlich, wie Willemstad als Bezug für die Errichtung des Wallfahrtskomplexes fungiert hat. Durch eine konsequente Orientierung am Siebeneck, das die Stadtanlage, das sternform-bildende Boskett, den Kirchenbau sowie dessen innere Struktur durchzieht, wurde eine Anlage erbaut, die einen visuellen Vergleich mit Willemstad provoziert, der von der katholischen Seite ›gewonnen‹ wird. Die Untersuchung des ersten reformierten und des ersten großen katholischen Kirchenneubaus in den Niederlanden nach der Reformation verdeutlicht das bei beiden Konfessionen bestehende Interesse daran, einen architektonischen Raum zu entwickeln, der den jeweiligen liturgischen Anforderungen gerecht wird und dabei eine Architekturform ausstellt und eine Raumwirkung erzeugt, die mit dem jeweiligen Konfessionsverständnis stimmig ist. Besonders deutlich zeigen sich nun die verschiedenen Geltungsansprüche der beiden Städte, sowohl hinsichtlich der Architektur der Stadtanlagen als auch der bildlichen Inszenierung derselben. Denn das junge Willemstad, das den Namen des niederländischen Statthalters trägt, wurde nach neuster Ingenieursbaukunst befestigt. Die Grenzlage und die fortifikatorische Potenz der Stadt wurde markiert und dadurch die Außengrenze der jungen Republik beständig performativ bestätigt. Auch auf zeitgenössisch zirkulierenden Druckgrafiken wurde besonders die Wehrhaftigkeit inszeniert. Scherpenheuvel präsentierte sich im Gegensatz dazu nicht als Grenzbastion; vielmehr wurde durch Architektur und Stadtanlage ein Komplex erschaffen, der in der medialen Vermittlung als Zentrum eines allseitigen Territoriums erscheint. Auf dem sogenannten Sanderusplan (Abb. 24) strömen die Wallfahrenden von allen Seiten in die Stadt. Die Druckgrafik vermittelt den Eindruck, dass dies auf ein Ausstrahlen der Kirche zurückzuführen ist: Denn die Kirche wird als leuchtend oder lichthaft markiert. Dies zeigt sich an der architektonischen Hülle, die mit goldenen Sternen auf der Kuppel sowie Leuchtern am Kuppelfuß bestückt ist. Die Gestaltung des umgebenden Gartens greift diese Metapher des Leuchtkörpers auf und verstärkt sie, indem durch die Bepflanzung eine sternförmige Freifläche rund um den Kirchenbau angelegt ist. Die Kirche scheint in den sie umgebenden Raum auszustrahlen und diesen zu gestalten. Gartengestaltung und Architektur sind hierdurch eng

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verzahnt. Die einströmenden Pilger sind in dieser visuellen Argumentation auf das Ausstrahlen der Kirche zurückzuführen. Bezeichnenderweise kommen die Gläubigen auf der Grafik aus allen Himmelsrichtungen, und ganz dezidiert sowohl aus den nördlichen als auch den südlichen Niederlanden: Denn links oben ist das Wappen der spanischen Niederlande abgebildet, rechts oben das Wappen von Wilhelm von Oranien. Die Strahlen der Wallfahrtskirche erreichen in der Bildlogik die gesamten Niederlande. Ein solch allseitiger Herrschaftsbezirk gehörte zwar de facto der Vergangenheit an, doch durch die Inszenierung Scherpenheuvels als einem neuen Zentrum wurde zumindest der Hoheitsanspruch weiter aufrechterhalten.

4 Schluss

Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, einen neuen methodischen Zugang aufzuzeigen, mit dem sich die Formierungen konfessioneller Identitäten in der Frühen Neuzeit untersuchen lassen. Der gewählte Zugriff ist explizit transkonfessionell, d. h., es wird davon ausgegangen, dass die Ausbildung von Identität nur in der Verflechtung und Positionsbeziehung verschiedener Akteure zuund miteinander erfolgte und daher auch nur in der Analyse der Verflechtungszusammenhänge nachvollzogen werden kann. Die Idee war es, den Fokus auf die Praxis der Akteure zu richten und Konfessionalisierung als einen zunächst ergebnisoffenen Aushandlungsprozess zu verstehen. Anhand dieser Perspektive konnte herausgearbeitet werden, wie die Zeitgenossen selbst konfessionelle Identität und Differenz erfahren haben. Die These der Untersuchung lautet, dass es in der Frühen Neuzeit ein vergleichendes Sehen gab, das sowohl der Ausstellung wie der Hervorbringung konfessioneller Positionen diente. Mittels visueller Vergleiche stellten die Akteure die frühneuzeitlichen Konfessionen in ein Konkurrenzverhältnis zueinander, das der Stabilisierung des eigenen und der Dekonstruktion des konfessionell anderen Profils diente. In der kunstgeschichtlichen Disziplin wird eine Methode vergleichenden Sehens bereits länger genutzt. Hoffmann und auch Bader haben angedeutet, jedoch nicht näher analysiert, dass es ebenfalls in der Frühen Neuzeit eine Praxis des vergleichenden Sehens gab. Die Unterschiede beider Vergleichspraktiken liegen auf der Hand: Der moderne kunsthistorische Vergleich stellt zwei Artefakte nebeneinander und ermittelt anhand selbstgewählter tertia compatationis die spezifischen Gestaltungsmerkmale der Objekte. Das in der vorliegenden Arbeit analysierte vergleichende Sehen geht im Gegensatz dazu Artefakten nach, die selbst einen Vergleich ausstellen. Hierdurch wird greifbar, welche Vergleichsgrößen die Akteure selbst gewählt haben, weil sich konfessionelle Identität für sie hierin manifestierte. Hendrick Hondius hatte in seinen Kupferstichen (Abb. 4 und 5) die katholische und die reformierte Kirche anhand von allegorischen Bauten miteinander verglichen, was verdeutlicht, wie wichtig das Thema Raum für das zeitgenössische Konfessionsverständnis war. Weil Hondius anhand einer ovalrunden Einfassung seiner Kirchengebäude auf die verbreitete Ikonografie des Nederlandse Tuin zurückgriff, eröffnet sein Vergleich die Verhandlung darüber, für welche Kirche Platz im niederländischen Territorium war. Seine Konfrontation der wahren und der falschen Kirche geht damit einen Schritt weiter

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Abb. 129: Georg Pencz, Inhalt zweierley predig [mit einem Text von Hans Sachs], 1529, Holzschnitt, 16,4 x 37,9 cm. © Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin, Inv.-Nr.: 643–7.

als vorherige visuelle Vergleiche wie etwa dem von Georg Pencz (Abb. 129), weil Hondius die Kirche als Ecclesia in Form eines allegorischen Baus auffasste und diesen in einem territorial spezifisch markierten Raum, nämlich dem Nederlandse Tuin, lokalisierte. Durch diese Aktivierung der Ikonografie des niederländischen Gartens wurden Prozesse der Konfessionsbildung in den Niederlanden mit territorial-politischen Ansprüchen gekoppelt. Doch nicht nur die Vergleichsgrößen, auch die Identifikation der aufgestellten Vergleichswerte sind aufschlussreich, weil sie nicht von außen an die Artefakte herangetragen werden, sondern in ihnen als Bildargument wirksam sind. Moderne vergleichende Verfahren müssen sich immer dem Vorwurf ausgesetzt sehen, bereits durch die Wahl der tertia comparationis eine Bewertung vorzunehmen. Bei dem entwickelten Zugang werden die Vergleichswerte hingegen selbst zum Befund. Es zeigte sich, dass die Vorwürfe, die die Konfessionen gegeneinander erhoben, die gleichen sind. Erscheinen aktuelle Forschungsprojekte innovativ, die Praktiken des vergleichenden Sehens im 18. Jahrhundert untersuchen (vgl. den SFB 1288 Bielefeld), lautet das hier erarbeitete Ergebnis, dass eine solche Praxis bereits im 16. Jahrhundert etabliert war, welche auf der typlogischen Struktur des mittelalterlichen Bildpaares Ecclesia und Synagoge fußte. Dass das Argumentationsschema des visuellen Vergleichs überkonfessionell eingesetzt wurde, ist ein weiteres wichtiges Ergebnis, das die Verflochtenheit der Akteure herausstellt, welche sich in konfessions- und regionsübergreifenden Ad-

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aptionsprozessen zeigt (Abb. 17, Abb. 4 und 5, Abb. 15). Die Analyse der Ikonografien von Maria im Hortus Conclusus und der Niederländischen Magd im nederlandse tuin veranschaulicht, dass konfessionelle Aushandlungsprozesse nicht in den Begrifflichkeiten Reformation und Gegenreformation aufgehen: aus tradierten Darstellungen Marias im Hortus Conclusus wurde die Ikonografie der Niederländischen Magd entwickelt (Abb. 19), die später wieder zu Maria ›zurückübersetzt‹ (Abb. 61) und in einem Gemälde konkret auf Scherpenheuvel bezogen wurde (Abb. 60). Zugleich etablierte sich die Identifikation des Niederländischen Gartens mit den Nördlichen Provinzen (Abb. 20 & 21). Die Motive, die in visuellen Vergleichen eingesetzt wurden, unterlagen kontinuierlich wechselseitigen Aneignungsmechanismen. Diese zu rekonstruieren ermöglicht es, die Praxis konfessioneller Identitätsprozesse in ihrer Verflochtenheit nachzuvollziehen. Auf dieser Erkenntnis aufbauend, wurde im zweiten Teil der Arbeit die These entwickelt, dass sich mit dem Konzept des vergleichenden Sehens Phänomene der ›Deliminalisierung‹ des niederländischen Grenzgebietes präzise beschreiben lassen. Die Untersuchung der beiden frühneuzeitlichen Stadtgründungen Willemstad und Scherpenheuvel hat gezeigt, dass auf beiden Seiten der Grenze ein Interesse daran bestand, territoriale Besitzansprüche mittels gebauter Stadträume zu markieren. Diese Räume zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Konzept einer Idealstadt, wie es zeitgenössisch in der architectura militaris entwickelt wurde, präzise entsprechen und somit eine militärische Potenz, insbesondere in kartografischen Medien, visuell ausstellen. Beide Städte scheinen ihre Symbolträchtigkeit insbesondere dadurch erhalten zu haben, dass sich die jeweiligen Statthalter – Wilhelm von Oranien und Moritz für Willemstad, Albrecht und Isabella für Scherpenheuvel – persönlich und intensiv um sie bemüht hatten. Schließlich erweisen sich die beide Städte gerade deshalb als wertvoll für eine Analyse, weil hier die erste reformierte Kirche und die größte Wallfahrtskirche in den frühneuzeitlichen Niederlanden kurz nacheinander erbaut wurden. Die These lautet, dass beide Architekturen daher einen Modellcharakter für die Bauaufgabe ›konfessionsspezifischer Bau‹ haben. Die Ähnlichkeit beider Städte (Abb. 22 und 23) ist der bisherigen Forschung zwar nicht entgangen, blieb allerdings entweder eine Randnotiz oder wurde vehement bestritten. Dies mag auch daher rühren, dass bislang kein methodischer Zugang vorlag, um die Abhängigkeiten der Stadtanlagen darzulegen. Denn weder rekurrieren beide auf ein gemeinsames Vorbild, noch ließe sich von einem Vorbild der reformierten Stadt für die katholische sprechen. Zwar bestehen mit den Begriffen imitatio, also Nachahmung oder aemulatio, der Nacheiferung und Übertreffung, frühneuzeitliche Konzepte, mit denen sich gezielte Übernahmen im Verständnis der Zeitgenossen fassen lassen, doch gehen diese immer von einem als positiv wahrgenommenen Vorbild aus, was im vorliegenden Beispiel gerade nicht zutrifft. Mit dem Argumentationsmuster des vergleichenden Sehens, mit dem Verstegen und Hondius die ›wahre‹ und die ›falsche‹ Kirche aneinander gemes-

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sen haben, steht nun ein Analyseinstrument zur Verfügung, mit dem die Beziehung zwischen Willemstad und Scherpenheuvel beschrieben und ihr Anteil an der Formierung des liminalen Grenzgebiets der Niederlande gefasst werden kann. Willemstad stellte demnach einen ›Aufschlag‹ dar, der eine Antwort provozierte. Scherpenheuvel wurde daraufhin so errichtet, dass strukturelle Gestaltungselemente von Willemstad zunächst angeeignet, dann neu semantisiert und schließlich überboten wurden. Im Ergebnis führte dies dazu, dass zwei relativ nah beieinander liegende Städte zusammen mit ihren Kirchenbauten zu einem vergleichenden Sehen anregen, bei dem eine Wertung vorgenommen wird. In der Analyse der Druckgrafiken (Abb. 4, 5 und 17) wurde herausgearbeitet, dass universalitas und Kontinuität zwei wesentliche Bezugsgrößen waren, anhand derer die katholische und die reformierte Kirche gemessen wurden. Diese beiden Kriterien erweisen sich auch für die konkurrierende Beziehung zwischen Willemstad und Scherpenheuvel als zentral. Beim Bau der Koepelkerk in Willemstad wurde eine universalitas-Behauptung durch den Rekurs auf andere reformierte Zentralbauten wie jene in Frankreich aufgestellt. Dies wurde materialästhetisch durch den Einsatz eines Ziegelmauerwerks gestützt, das an den lokalen Wohnhausbau anknüpft. Kontinuität wurde ausgestellt, indem man sich der Nachgotik bediente, um zu betonen, eine ›alte Kirche‹ zu sein. In Scherpenheuvel wurde die gleiche Erzählung dadurch erzielt, dass man einen ostentativ römisch anmutenden Bau errichtete, der die Präsenz der römischen Kirche vor Augen führte, wobei Reaktivierungen des Lokalen – dies zeigt sich sowohl an einzelnen architektonischen Elementen als auch an der Innenausstattung – die Verankerung des Glaubens absicherten. Es wurde gezeigt, dass sich dies als Glokalisierung fassen lässt. Die präzise Analyse des Verhältnisses von Willemstad und Scherpenheuvel zeigt, dass es sich bei der Anlage der Städte nicht um einen grenzübergreifenden Transferprozess handelt, der von einem ›Austausch‹ zwischen den nördlichen und den südlichen Niederlanden zeugt, sondern dass vielmehr ein konfessioneller Aushandlungsprozess vorliegt, anhand dessen die Verflochtenheit des niederländischen Raums um 1600 sichtbar wird. Als gebaute Räume im liminalen Territorium lassen sich Willemstad und Scherpenheuvel im Anschluss an Lefebvre als Repräsentationsräume verstehen, die eine jeweils spezifische Auffassung von Raum darstellen. Willemstad stellt eine ästhetische abgeschlossene Einheit aus, die durch Sicherheit, Symmetrie und Stimmigkeit gekennzeichnet ist. In Scherpenheuvel wurde diese Grundfiguration übernommen, jedoch durch symbolische Markierungen als spezifisch katholisch umgedeutet und durch eine Öffnung des Raums überboten. Die Transgression der Architektur, die sich in einem Ausstattungsprogramm zeigt, das bis an den Außenbau vordringt, korrespondiert mit der nur symbolisch befestigten Stadtanlage, die eine grenzenlose Verknüpfung mit der Landschaft ausstellt. Der Rand der Spanischen Niederlande wurde so zu einem neuen Zentrum erklärt. Insofern handelt es sich bei Willemstad und Scherpenheuvel um verschiedenen Strategien der Bildung von Reprä-

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sentationsräumen. Die druckgrafischen Medien stellen Willemstad als wehrhafte Bastion aus, die auf eine räumliche Schließung zielt und die territoriale Grenze markiert. Scherpenheuvel ist dagegen so konfiguriert, dass es sich zu allen Seiten öffnet und vorgibt, unendlich in den umgebenden Raum auszustrahlen und dadurch territoriale Grenzen zu nivellieren. Der Aushandlungsprozess liegt folglich in der strukturellen Übernahme eines spezifischen Raumformulars, das für die eigenen Interessen semantisch umcodiert wurde. Für eine Theorie des Vergleichenden Sehens zeigt sich, wie wichtig die Unterscheidung ist zwischen der Methode des Vergleichens und Objekten, die selbst mit visuellen Vergleichen operieren. Bei ersterer wird ein vergleichendes Sehen erst durch die Zusammenstellung zweier Objekte generiert. Bereits die Auswahl der zu vergleichenden Bilder, Artefakte oder Räume ist daher schon Teil der Methode. Ebenso werden die Werte, anhand derer verglichen wird, durch die Forschenden an die Objekte herangetragen. Objekte wie Hondius’ Kirchenräume regen dagegen selbst ein vergleichendes Sehen an. Die Rezeptionslenkung erfolgt über diese Strategie, um Differenzen vor der Folie des – vermeintlich – Gemeinsamen besonders deutlich zu markieren. Die dieser These zugrunde liegende Annahme lautet, dass Differenz immer auch eine Bezogenheit bedeutet, d. h., dass es keine absolute Differenz, sondern nur eine relative Differenz gibt, weil sie immer ein Anderes braucht, um erkannt zu werden. Diese strukturelle Beobachtung unterscheidet zunächst nicht zwischen unterschiedlichen Qualitäten der Bezugnahme. Grundsätzlich sind diese sowohl in positiver wie negativer Hinsicht denkbar. Für die untersuchten Beispiele in konfessionellen Kontexten zeigt sich, dass der visuelle Vergleich auf Polemik zielt und Prozesse des Othering perpetuiert. Das Potenzial der in der Untersuchung entwickelten Methode des vergleichenden Sehens liegt darin, Parameter herauszukristallisieren, die die Akteure selbst als identitätsstiftend erlebt haben. Noch zu untersuchen bleibt, welche weiteren Beispiele sich für ein Vergleichendes Sehen in der Frühen Neuzeit, auch außerhalb konfessioneller Kontexte, finden lassen.

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Abb. 1: Amsterdam, Rijksmuseum, Objektnummer RP-P-1900-A-21924. Abb. 2: Amsterdam, Rijksmuseum, Objektnummer RP-P-1976-30-303. Purchased with the support of the F.G. Waller-Fonds. Abb. 3: Ilja Veldman: Images for the eye and soul. Function and meaning in netherlandish prints 1450– 1650. Leiden 2006, S. 113f. Abb. 4: Rotterdams Historisch Museum, Stichting Atlas van Stolk, Inventarnr. 5913 bzw. AVS 341. Abb. 5: Rotterdams Historisch Museum, Stichting Atlas van Stolk, Inventarnr. 5896 bzw. AVS 324. Abb. 6: Stuntelaar, gebaseerd op onder andere (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tachtigja rigeoorlog-1566.png), »Tachtigjarigeoorlog-1566«, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/ 3.0/legalcode Abb. 7: SLUB, https://digital.slub-dresden.de/id1666485241 (Public Domain Mark 1.0). Abb. 8: Collection Westfries Museum, Hoorn, Netherlands. Abb. 9: G.Th. Delemarre, Collectie Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, Objektnummer 20049376. Abb. 10: Wallace Collection, London,UK/Bridgeman Images. Abb. 11: Almut Pollmer-Schmidt: Kirchenbilder. Der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650. Weimar 2017, S. 257. Abb. 12: Stadsmuseum De Hofstadt Diest. Abb. 13: Kunsthaus Zürich, Geschenk der Dr. Joseph Scholz Stiftung und von René Wehrli, 2009 Kunsthaus Zürich, Geschenk der Dr. Joseph Scholz Stiftung und von René Wehrli, 2009. Abb. 14: Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek, München, URL: https://www. sammlung.pinakothek.de/de/artwork/jWLpXo0LKY. Abb. 15: Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Abb. 16: Musée de l’œuvre Notre Dame de Strasbourg, Photo Musées de Strasbourg, M. Bertola. Abb. 17: Bibliothèque nationale de France. Abb. 18: Universitätsbibliothek Heidelberg / Ripa, Cesare: Iconologia Overo Descrittione Di Diverse Imagini cauate dall’antichità, & di propria inuentione. Rom, 1603 / S. 217. https://digi.ub. uni-heidelberg.de/diglit/ripa1603. Abb. 19: Haarlem, Tylers Museum. Abb. 20: Amsterdam, Rijksmuseum, Objektnummer BI-B-FM-055. Abb. 21: Amsterdam, Rijksmuseum, Objektnummer RP-P-OB-77.682. Abb. 22: Den Haag, Koninklijke Bibliotheek KW 357 F 1. Abb. 23: Antwerpen, Museum Plantin-Moretus, Objektnummer PK.OP.18087. Abb. 24: Amsterdam, Rijksmuseum, Objektnummer RP-P-AO-17-101. Abb. 25: Antwerpen, Museum Plantin-Moretus, Objektnummer PK.OP.18087. Abb. 26–28: Utrecht, Universiteitsbibliotheek.

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Abb. 29: Kaart van het dorp Ruigenhil met de haven, de houwer en de gorzen buiten de dijk van de polder Ruigenhil, door Jan Sijmonszoon, 1570. Archieven van de Raad en Rekenkamer van de markiezen van Bergen op Zoom, 1289-1795, inv.nr. 2357/ARR D 379. West-Brabants Archief, Bergen op Zoom. Abb. 30, 31: Janne Lenhart. Abb. 32: Wilfried Koch: Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. Gütersloh, München 2⁹2009, S. 408. Abb. 33–36: Den Haag, Koninklijke Bibliotheek KW 1701 D 22. Abb. 37: Brabants Historisch Informatie Centrum. Abb. 38: Den Haag, Koninklijke Bibliotheek KW 3085 F 11. Abb. 39: Universitätsbibliothek Augsburg, Sign. 02/IV.13.2.26-3. Abb. 40: Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, urn:nbn:de:hbz:061:1-4575. Abb. 41, 42: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 43: Janne Lenhart. Abb. 44: Georg Schelbert (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roma_Chiesa_Nuova_GS_ 112-1225_IMGc.JPG), »Roma Chiesa Nuova GS 112-1225 IMGc«, https://creativecommons. org/licenses/by-sa/3.0/legalcode. Abb. 45: Kat. Ausstell. Rubens. Albertina Wien. Hg. von Klaus Albrecht Schröder, Heinz Widauer. Ostfildern 2004, S. 180. Abb. 46, 47: Openbaar Kunstbezit in Vlaanderen 1 (2005), S. 23. Abb. 48: Sultan Edijingo (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Consolatrix_afflictorum_Lux embourg.jpg), »Consolatrix afflictorum Luxembourg«, https://creativecommons.org/licenses/bysa/3.0/legalcode. Abb. 49: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gnadenbild_Kevelaer.png, »Gnadenbild Kevelaer«, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons. wikimedia.org/wiki/Template:PD-old. Abb. 50: Antwerpen, Ruusbroecgenootschap, 1055 A 4. Abb. 51: Armand Boni: Scherpenheuvel. Basiliek en gemeente in het kader van de vaderlandse geschiedenis. Antwerpen u. a. 1953, Tafel I. Abb. 52: Luc Duerloo, Marc Wingens: Scherpenheuvel. Het Jeruzalem van de Lage Landen. Leuven 2002, S. 52. Abb. 53: Claudia Banz: Höfisches Mäzenatentum in Brüssel. Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle (1517–1586) und die Erzherzöge Albrecht (1559–1621) und Isabella (1566–1633). Berlin 2000 (Berliner Schriften zur Kunst 12), Abb. 25, S. 196. Abb. 54: Bayerische Staatsbibliothek München, V.ss. 643, S. 2v, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10788610-8. Abb. 55: Luc Duerloo, Marc Wingens: Scherpenheuvel. Het Jeruzalem van de Lage Landen. Leuven 2002, S. 53. Abb. 56: Michiel Verbeek (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kevelaar,_de_genadekapel_ bij_de_basiliek_DmA12_foto5_2013-04-3014.50.jpg), »Kevelaar, de genadekapel bij de basiliek DmA12 foto5 2013-04-3014.50«, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode. Abb. 57, 58: Koninklijke Bibiotheek van België, Brüssel, Copyright KBR – Prints – S.III 115034 recto/verso. Abb. 59: Amsterdam, Rijksmuseum, Objektnummer RP-P-OB-60.113. Abb. 60: Luc Duerloo, Marc Wingens: Scherpenheuvel. Het Jeruzalem van de Lage Landen. Leuven 2002, S. 54.

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Abb. 61: Hollstein’s Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts ca. 1450–1700. Bd. 49. Hg. von D. De Hoop Scheffer. Rotterdam 1998, S. 75. Abb. 62: Koninklijke Bibiotheek van België, Brüssel, Copyright KBR – Prints – S.I 39494. Abb. 63: Ruben de Heer. Abb. 64: Yge Verslype. Abb. 65: Cornelis Albertus van Swigchem, Teunis Brouwer, W. van Os: Een huis voor het woord. Het Protestantse kerkinterieur in Nederland tot 1900. Den Haag 1984, S. 2. Abb. 66: Museum Rotterdam 11003-A-B. Abb. 67: Joris Snaet: De Mariale bedevaartskerk van Scherpenheuvel. Een onderzoek naar dynastieke relaties en de verspreiding van ontwerpen en denkbeelden over architectuur. In: Bulletin Koninklijke Nederlandse Oudheidkundige Bond (KNOB) 5/6 (1999), S. 48. Abb. 68: Janne Lenhart. Abb. 69: Jac. de Nijs, Nationaal Archief, Anefo. Abb. 70: Murk Daniel Ozinga: De protestantsche kerkenbouw in Nederland. Van hervorming tot Franschen tijd. Amsterdam 1929, S. 15. Abb. 71: G. Th. Delemarre, Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, Objektnummer 20214236. Abb. 72: Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, Objektnummer 20214229. Abb. 73: Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, Objektnummer 20214224. Abb. 74: Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, Objektnummer 20214232. Abb. 75: Sergé Technau, Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, Objektnummer 20534081. Abb. 76: Torsade de Pointes (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haarlem_Nieuwe_Kerk_1. jpg), »Haarlem Nieuwe Kerk 1«, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode. Abb. 77: Ben Bender (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:3927_Renswoude,_Netherlands_ -_panoramio_(26).jpg), »3927 Renswoude, Netherlands - panoramio (26)«, beschnitten, https: //creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode. Abb. 78: G.Lanting (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Protestantse_kerk_(Hooge_Zwalu we)_P1050602.JPG), »Protestantse kerk (Hooge Zwaluwe) P1050602«, https://creativecommons. org/licenses/by-sa/3.0/legalcode. Abb. 79: Kat. Ausstell. Theodoor van Loon. Een Caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von Sabine van Sprang, Bozar Brüssel. Brüssel 2018, S. 139. Abb. 80: Luc Duerloo, Marc Wingens: Scherpenheuvel. Het Jeruzalem van de Lage Landen. Leuven 2002, S. 121. Abb. 81: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 82–86: Janne Lenhart. Abb. 87: Luc Duerloo, Marc Wingens: Scherpenheuvel. Het Jeruzalem van de Lage Landen. Leuven 2002, S. 125. Abb. 88: Museum Catharijneconvent, Utrecht, BMH s430. Abb. 89–97: Janne Lenhart. Abb. 98: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 99: Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4172-1, S. 231r, urn:nbn:de:bvb:12-bsb108614 45-0. Abb. 100: Janne Lenhart. Abb. 101–106: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 107: Janne Lenhart. Abb. 108: © KIK-IRPA, Brussels.

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Abbildungsnachweise

Abb. 109: Kat. Ausstell. Theodoor van Loon. Een Caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von Sabine van Sprang, Bozar Brüssel. Brüssel 2018, S. 140. Abb. 110, 111: Janne Lenhart. Abb. 112–118: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 119: © Koninklijke Musea voor Schone Kunsten van België, Brussel / foto: J. Geleyns - Art Photography. Abb. 120: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 121: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pontormo-visitation-after-restorationRGB. jpg, »Pontormo-visitation-after-restorationRGB«, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/Template:PD-old. Abb. 122: Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen. Foto: Museum. Abb. 123: Kat. Ausstell. Theodoor van Loon. Een Caravaggist tussen Rome en Brussel. Hg. von Sabine van Sprang, Bozar Brüssel. Brüssel 2018, S. 143. Abb. 124: © KIK-IRPA, Brussels. Abb. 125: Kat. Ausstell. Peter Paul Rubens. Hg. von Gerhard Finckh, Nicole Hartje-Grave. Von der Heydt-Museum Wuppertal. Wuppertal 2012, S. 211, Abb. 5. Abb. 126: ETH-Bibliothek Zürich, Rar 861 fol., https://doi.org/10.3931/e-rara-12136 / Public Domain Mark. Abb. 127: Universitätsbibliothek Heidelberg / Schedel, Hartmann: Register des Buchs der Croniken und Geschichten. Nürnberg 1493 / S. 17r. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00309000/ 0053. Abb. 128: Jürg Meyer zur Capellen: Raphael. A critical catalogue of his paintings. 3 Bd. Landshut 2001–2015. Bd. 1, S. 139, Abb. 9. Abb. 129: © Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin, Inv.-Nr.: 643–7.

Personenregister

Adriaensz., Joris 207 Alberti, Leon Battista 139 Albrecht VII. von Österreich 148, 149, 184, 190, 233, 285 Andries, Abraham 118, 119, 129 Anna von Sachsen 36, 204 Anthonisz., Adriaen 125, 128 Barocci, Federico 253, 255 de Bie, Cornelis 15, 70, 251, 252 Blaeu, Joan 110–112, 118, 121, 122, 131, 138, 141, 143, 145, 183, 187, 188, 203, 209 Boel, Quirijn 145, 147, 151, 153–157, 183, 185, 188 Borgianni, Orazio 254, 266 Boulan, Sylvain 154 Boxhorn, Marcus Zuerius 209 de Brès, Guy 35 ter Brugghen, Hendrick 62, 63 du Bus, Catharine 170, 179 Busman, Hendrick 171 de Bèze, Théodore 72 Calvin, Johannes 35, 46, 48, 72, 102 van Campen, Jacob 216, 217, 276, 277 da Caravaggio, Michelangelo Merisi 62, 253–255, 267, 275 Carracci, Annibale 253, 255 Cesari, Giuseppe (Cavalier d’Arpino) 254 Chemnitz, Martin 72

Clemens, Hans 170 Coebergher, Wenceslas 149, 150, 153, 158, 223, 247, 274 van Coehoorn, Menno 128 Cornelissen, Pieter 206 da Correggio, Antonio 254 Cranach d. Ä., Lucas 40 Cranach d.Ä., Lucas 13 Damass van Dueren, Simon 131–133, 136, 144, 145, 203, 205 David, Jan 279 Descamps, Jean-Baptiste 252 Dircks, Eerutge 171 Dirksz., Adriaen 206 Dürer, Albrecht 267 Erasmus von Rotterdam 34, 72 van Esschen, Johann 32 Farnese, Alessandro 38, 42, 148 Francquart, Jacques 151, 154 Freitag, Adam 129 Friedrich IV. von der Pfalz 128 van Gelder, Godefrey 71 Gillet, Nicolas 128 Glymes, Jan IV. 114 van Goyen, Jan 136 Gronenberg, Johann 40 Gustav II. Adolf 75 van Heemskerck, Maarten 12, 13 Heinrich II. von Lothringen 87 Hendricksz., Joost 207

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Personenregister

Hoefnagel, Georg 201 Hofmann, Melchior 34 Holbein, Hans d. J. 13 Hondius, Guiliam 71 Hondius, Hendrick 17, 20, 23, 26, 30, 40, 42, 49, 55, 56, 67, 69–77, 84–86, 97–102, 176, 180, 181, 190, 192–195, 200, 283–287 van Hoogstraten, Samuel 250 Houbraken, Arnold 15, 252 Houckgeest, Gerard 51, 65

Moritz von Oranien 38, 71, 115, 128, 132, 145, 184, 190, 202–207, 215, 277, 285 Moritz von Sachsen 36 de Muyr, Adriaan 206

Isabella Clara Eugenia von Spanien 148, 149, 154, 163, 184, 190, 279, 285

van Oldenbarnevelt, Johan 72 Olivier, Jacob 207 Orguel, Jan Jansz. 206

Janson, Barthel 128, 142 Jansz., Claes 207 Jansz., Wynant 207 Jeghers, Jan 172

Pencz, Georg 284 Perresin, Jean 202 Philipp der Gute 33 Philipp II. 33–37, 42 Philipp Wilhelm 190 Philips, Jan Caspar 174

Karl V. 32–34, 40, 42 de Kempenaer, Paulus 72 Kierurt, Frederik 154 Knox, John 72 Lauwers, Coenrad 151 van Leiden, Jan 34 Lipsius, Justus 148 van Loon, Theodoor 150, 233, 247, 249–274 Luther, Martin 34, 40, 72 van Mander, Karel 15, 252 Margarethe von Parma 36–38 Margarethe von Österreich 32 Marrata, Carlo 252 Matthijs, Jan 34 de’ Medici, Caterina 35 Merian d. Ä., Matthäus 141, 143 Moretus, Balthasar III. 230–232, 269 Moretus, Jan 148

van Neurenberg, Coenrad III. 206, 207 Nole, Robrecht 150, 227, 239, 247, 263 Numan, Philip 148, 233, 239, 269, 278

van Rijswijk, Johan 131 Ripa, Cesare 91 Romano, Giulio 254 Rosaeus, Hendrick 72 de Roy, Andries 206 Rubens, Peter Paul 159, 250, 253, 270 van ’s-Gravesande, Arent 277 Sanderus, Antonius 151, 162, 281 von Sandrart, Joachim 250 Scherer, Heinrich 164 Schrouse, Mechel 171 Serlio, Sebastiano 203 Simons, Menno 34 Specklin, Daniel 127, 129 Stevin, Simon 123–127, 139–144, 187 Symonsz, Jan 114, 118, 138, 204 Thonisz., Aert 207

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Personenregister

de Toledo, Fernando Álvarez 37 van Vaernewijk, Marcus 277 van Valckenburgh, Johan 128 de Velasco, Don Luis 154 Verheiden, Jacobus 71 Verhoeven, Cornelis 206 Verstegen, Richard (Richard Rowlands) 86, 87, 93–101, 176, 180, 190, 192, 193 Vierlingh, Andries 114 Villalpando, Juan Bautista 276, 277 Visscher, Claes Jansz. 12, 14, 136 van Vliet, Hendrick 51, 65 Voes, Hendrik 32

von Volbroek, Peter 171 de Vos, Maerten 149, 180 de Vries, Vredeman 71 Vrints I., Johannes Baptist 176, 180, 185 Wichmans, Augustinus 162 Wierix, Johannes 12, 14, 71, 180 Wilhelm von Oranien 36–38, 66, 71, 105, 110, 112, 115, 118, 129–131, 144, 145, 148, 190, 202, 204, 206, 282, 285 de Witte, Emanuel 51, 65 Zwingli, Huldrych 35, 72