Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit [1 ed.] 9783428520374, 9783428120376

Der Wandel von symbolischen zu begrifflich-diskursiven Formen von Kommunikation wird häufig mit dem Übergang vom Mittela

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Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit [1 ed.]
 9783428520374, 9783428120376

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Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Band 51

Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von

Reiner Schulze

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

REINER SCHULZE (Hg.)

Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Martin Schermaier, Bonn Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg

Band 51

Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit

Herausgegeben von

Reiner Schulze

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-12037-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band ist aus einem Symposium, das im April 2005 in Münster stattfand, hervorgegangen. Das Symposium führte Rechtswissenschaftler und Historiker aus acht europäischen Ländern zusammen (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz). Mit der Frage nach der symbolischen Kommunikation vor Gericht in der frühen Neuzeit schließt der Band an eine Thematik an, der sich bereits in einem europäischen Überblick der Band „Rechtssymbolik und Wertevermittlung“ in dieser Schriftenreihe (Band 47) gewidmet hat. Beide Bände sind aus dem Arbeitszusammenhang des Teilprojektes „Symbole im Gerichtsverfahren“ im Sonderforschungsbereich 496 der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Münster „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution“ hervorgegangen. Die Autoren dieses Bandes haben durch die zügige Fertigstellung ihrer Beiträge mit nicht geringer Mühe dazu beigetragen, dass die Ergebnisse des Symposiums schon nach kurzer Zeit der Fachöffentlichkeit vorgelegt werden können. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Für die Förderung der Tagung, aus der der Band hervorgegangen ist, und die Drucklegung des Bandes ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu danken. Besonderer Dank gebührt den Mitarbeitern des rechtsgeschichtlichen Teilprojektes im SFB 496, die die redaktionelle Bearbeitung des Bandes mit großem Einsatz durchgeführt haben und für die hier namentlich Frau Christiane Diening, Katharina Kegel, Carina Lücke und Christine Schmidt genannt seien. Münster, im Juli 2005

Reiner Schulze

Inhaltsverzeichnis Reiner Schulze (Münster) Symbolische Kommunikation vor Gericht während der frühen Neuzeit in historisch-vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Formen der Mündlichkeit im Gericht Peter Oestmann (Münster) Erholung und Wandel am Ingelheimer Oberhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Franz-Josef Arlinghaus (Kassel) Sprachformeln und Fachsprache. Zur kommunikativen Funktion verschiedener Sprachmodi im vormodernen Gerichtswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Claude Gauvard (Paris) Rituels et voix vive des avocats au Parlement de Paris dans les causes criminelles, à la fin du Moyen Âge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Bastiaan D. van der Velden (Amsterdam) Der Gebrauch der Volkssprache vor Gericht im Niederländischen Friesland im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Gesten und Symbole im Gericht Wolfgang Schild (Bielefeld) Die Strafgerichtsverhandlung als Theater des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Lars Ostwaldt (Heidelberg) Was ist ein Rechtsritual? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Clausdieter Schott (Zürich) Die Sitzhaltung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Christiane Plessix-Buisset (Rennes) Du surnaturel au rationnel aux XVIIe et XVIIIe siècles. Le rituel des gestes de l’épreuve du cadavre dans la procédure criminelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Virginie Lemmonier-Lesage (Clermont-Ferrand) Les arrêts de règlement rendus en robes rouges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

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Inhaltsverzeichnis

Thomas Glyn Watkin (Bangor) The Death and Later Life of Legal Symbols. Welsh Legal Symbols after the Union with England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Christine D. Schmidt (Münster) Die Hegung des Gerichts – Formen und Funktionen eines rituellen Aktes . . . . 225 John W. Cairns (Edinburgh) From Claves Curiae to Senators of the College of Justice. Changing Rituals and Symbols in Scottish Courts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Jean-Louis Halpérin (Paris) Einige Betrachtungen über die Entwicklung der Ausgestaltung der Gerichtssäle in Frankreich während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . 269

C. Gericht in Text und Bild Gernot Kocher (Graz) Prozessuale Interaktion im Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Heiner Lück (Halle a.d. Saale) Klagen und ihre Symbolik in Text, Glosse und Richtsteig des SachsenspiegelLandrechts. Zum Verhältnis von prozessualer Norm und Rechtswirklichkeit am Beginn der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Gerd Schwerhoff (Dresden) Straf-Akte(n). Zur visuellen Repräsentation der Kriminaljustiz in frühneuzeitlichen Gerichtsbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Georges Martyn (Gent) Painted Exempla Iustitiae in the Southern Netherlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Ditlev Tamm (Kopenhagen) Der dänische König als Richter und Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Anhang: Farbtafeln Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

Abbildungsverzeichnis Zu C. Schott, Die Sitzhaltung des Richters: Abb. 1–3: Gerichtssitzung, Holzschnitte aus dem „Neuen Layenspiegel“, 1512 159 Abb. 4–6: Der Graf als Richter, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Abb. 7: Der Graf als Richter, Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels 166 Abb. 8: Der Kaiser als Richter, Miniatur zu Cod. 3, 1, 14. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abb. 9: Der Graf von Freiburg, Freiburger Münster, Hauptportal, Ende 13. Jh. 170 Abb. 10: Richterkönig, Kupferstich, Straßburger Münster, Südportal, 1617 . . . . . . 178 Abb. 11: Hofgerichtssiegel König Sigismunds, nach 1410 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Abb. 12: Agilulf-Scheibe, mittleres Stirnteil eines Bronzehelms, um 600 . . . . . . . 180 Abb. 13: König Saul, Utrecht-Psalter, 9. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Abb. 14: Gerichtsscheibe, Gränichen/Aargau, 1694 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Abb. 15: Angeklagter vor Gericht, Kupferstich von D. N. Chodowiecki, 1770 . . . 186 Zu C. D. Schmidt, Die Hegung des Gerichts: Abb. 1: Verfahren gegen Peter am Stalden, Miniatur, 1513 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Abb. 2: Öffentlicher Rechtstag gegen einen Dieb, Volkach 1504, kolorierte Zeichnung, 15./16. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Abb. 3: Gerichtslinde Mühlhausen/Schweiz, Miniatur, 1513 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Abb. 4: Gerichtsplatz mit Steintisch im gehegten Steinkreis, Rodebach bei Kassel 233 Zu J.-L. Halpérin, Entwicklung der Ausgestaltung der Gerichtssäle in Frankreich: Abb. 1: Sitzung des lieutenant de police von Paris, 18. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Abb. 2: Entwurf für die Einrichtung eines Bezirksgerichts während der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Abb. 3: Ein Zeuge schwört den Eid vor dem Schwurgericht der Seine, erstes Drittel des 19. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Abb. 4: Die Schranke des Schwurgerichts während des Zola-Prozesses, 1898 . . . 276 Abb. 5: Der Prozess der 79köpfigen Bande, 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

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Abbildungsverzeichnis

Zu G. Kocher, Prozessuale Interaktion im Bild: Verschiedene Illustrationen des Belial-Prozesses Abb. 1: Eröffnungsillustration, Holzschnitt von J. Prüß, Straßburg 1508 . . . . . . . 283 Abb. 2: Anlassfall, Holzschnitt von H. Knoblochtzer, Straßburg 1477 . . . . . . . . . 285 Abb. 3: Beratung Christi, Holzschnitt von M. Brandis, Magdeburg 1492 . . . . . . . 287 Abb. 4: Prozessuales Mandatum, Holzschnitt von H. Knoblochtzer, Straßburg 1477 288 Abb. 5: Legitimation des Belial, Holzschnitt von M. Brandis, Magdeburg 1492 289 Abb. 6: Übergabe der Bestellungsurkunde, Holzschnitt von H. Knoblochtzer, Straßburg 1477 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 7: Antrag auf ein Säumnisurteil, Holzschnitt von M. Brandis, Magdeburg 1492 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Abb. 8: Zeugenpräsentation, Holzschnitt von H. Knoblochtzer, Straßburg 1477 . . 293 Abb. 9: Einspruch gegen Entscheidung des Salomo, Holzschnitt von G. Zainer, Augsburg 1472 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Abb. 10: Richterliches Endurteil, Handschrift, Linz 1485 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Zu G. Schwerhoff, Visuelle Repräsentation der Kriminaljustiz: Abb. 1: Marginalzeichnung in einem Kölner Turmbuch zum Jahr 1569 . . . . . . . . 318 Abb. 2: Marginalzeichnung des Nürnberger Gerichtsschreibers Mathäus Schyrer im Malefizbuch zum Jahr 1586 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Abb. 3: Federzeichnung aus dem Nördlinger Urfehdebuch zum Jahr 1560 . . . . . 320 Abb. 4: Marginalzeichnung in einem Kölner Turmbuch zum Jahr 1586 . . . . . . . . 321 Abb. 5: Marginalzeichnung des Nürnberger Gerichtsschreibers Mathäus Schyrer im Malefizbuch zum Jahr 1588 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Abb. 6: Federzeichnung aus dem Nördlinger Urfehdebuch zum Jahr 1584 . . . . . 324 Abb. 7: Federzeichnung aus der sog. Neubauerschen Chronik, Anfang 17. Jh. . . 331 Zu D. Tamm, Der dänische König als Richter und Gesetzgeber: Abb. 1: Das Gesetz von Schonen, Handschrift, 1594 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Abb. 2: Titelblatt des juristischen Wörterbuchs, 1641 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Abb. 3: Titelblatt des jütschen Gesetzes, 1643 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Abb. 4: Titelkupfer des sog. Grossen Rezesses, 1643 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Abb. 5: Christian IV., Portrait aus dem Grossen Rezess, 1643 . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Abbildungsverzeichnis

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Abb. 6: Frederik III. umgeben von seinen Räten, Kupferstich, 1667 . . . . . . . . . . . 366 Abb. 7: Christian V., Titelkupfer des Danske Lov, 1683 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Abb. 8: Christian V., Titelkupfer des Norske Lov, 1687 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Abb. 9: Schloss Christiansborg, Stich, 18. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Abb. 10: Der Höchste Gerichtshof auf dem Schloss Christiansborg, Kupferstich, 1754 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Abb. 11: Plan des Gerichtssaales des Höchsten Gerichtshofes auf Schloss Christiansborg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Abb. 12: Bildnis der Richter des Höchsten Gerichtshofes, 1911 . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Anhang: Farbtafeln Tafel 1–6 zu H. Lück, Klagen und ihre Symbolik im Sachsenspiegel-Landrecht: Verschiedene Abbildungen aus der Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels Tafel 1: Klage mit Gerüfte – Gewette für den Richter u. a. Tafel 2: Wiederinbesitznahme durch Handanlegen u. a. Tafel 3: Tötung eines handhaften Ehebrechers u. a. Tafel 4: Todesstrafe durch Enthauptung – Klage gegen den toten Mann – Zahlung von Wergeld u. a. Tafel 5: Rädern eines Landfriedensbrechers u. a. Tafel 6: Sühne vor Gericht Tafel 7–10 zu D. Tamm, Der dänische König als Richter und Gesetzgeber: Tafel 7: Christian V. präsidiert im Höchsten Gerichtshof auf Schloss Rosenborg, um 1697 Tafel 8: Bildnis des norwegischen Richters Bernt Pedersen aus dem Jahre 1689 Tafel 9: Erlass des Dänischen Gesetzbuches, um 1785 Tafel 10: Der junge Christian IV. als Richter, 1911

Symbolische Kommunikation vor Gericht während der frühen Neuzeit in historisch-vergleichender Perspektive Von Reiner Schulze I. Mittelalterliche Grundlagen Seit dem frühen Mittelalter entwickelten sich gemeinsame Grundlagen der europäischen Rechtskultur wesentlich im Rahmen symbolischer Kommunikation. Das Kreuz war als zentrales religiöses, politisches und rechtliches Symbol1 dieser Kultur ebenso aus der Antike2 überkommen wie die Bibel oder die Schriften von Philosophen und Juristen. Diese schriftliche Tradition der Antike ist vielfach als gemeinsame Grundlage der europäischen Kultur und des Rechts als eines ihrer zentralen Elemente3 gewürdigt worden. Gleichwohl war sie in den grundlegenden Phasen der Ausbildung dieser Kultur nur einer kleinen Gruppe von Schriftkundigen zugänglich, die überwiegend aus Klerikern bestand. Bis ins hohe Mittelalter gehörte ihr jedoch nicht einmal der Großteil der weltlichen Führungsschicht an. Dagegen kennzeichneten bereits in dieser schriftarmen Zeit symbolische Handlungen, wie das Aufstellen, das Tragen oder das Schlagen des Kreuzes und das Glockenläuten4, für jedermann verständlich die Identität und die grundlegenden Werte des gemeinsamen Kulturraumes und 1 Zu den verschiedenen Funktionen des Kreuzes beispielsweise Art. Kreuz, Kruzifix, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. V, München u. a. 1991, Sp. 1489–1497, insb. die Unterkapitel von A. Restle, Sp. 1489 f., U. Köpf, Sp. 1490 ff., L. Carlen, Sp. 1494, mit weiteren Nachweisen; sowie A. Erler, Art. Kreuz, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1184–1185. 2 Zu einem Aspekt symbolischer Kommunikation in der Antike selbst jüngst M.-T. Fögen, Ritual und Rechtsfindung, in: C. Caduff/J. Pfaff-Czarnecka (Hg.), Rituale heute. Theorien – Kontroversen – Entwürfe, Berlin 1999, S. 149–163. 3 H. Coing, Das Recht als Element der europäischen Kultur, in: Historische Zeitschrift 238 (1984), S. 1–15. 4 E. Lippert, Glockenläuten als Rechtsbrauch, Freiburg i. Br. 1939; J. Weitzel, Gerichtsöffentlichkeit im hoch- und spätmittelalterlichen Deutschland, in: A. Haverkamp (Hg.), Information, Kommunikation und Selbstdarstellung in mittelalterlichen Gemeinden (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 40), München 1998, S. 71–84, zur Glocke bes. Abschnitt III: Gerichtsöffentlichkeit und Glockengeläut in der Stadt, S. 82–84; A. Erler, Art. Glocke, in: HRG (Anm. 1), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1706– 1708.

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die Zugehörigkeit zu ihm, so unterschiedlich ethnische Herkunft, Sprache oder Stand sein mochten. In der gemeineuropäischen Tradition der symbolischen Kommunikation finden sich aber nicht nur zahlreiche religiöse und kirchliche Zeichen und Handlungen, denen zugleich rechtliche Bedeutung zukommt – von Sakramenten wie der Taufe und der Eheschließung über vielerlei liturgische Handlungen bis zum christlichen Begräbnis, von der Priesterweihe über die Kleidung der Kleriker und Ordensleute sowie die sonstigen Amtszeichen der kirchlichen Hierarchie bis hin zu den Rechtshandlungen des Kirchenbanns und der Exkommunikation.5 Vielmehr entwickelten sich auch im weltlichen Bereich zunehmend gemeinsame Gegenstände und Ausdrucksformen symbolischer Kommunikation mit rechtlichem Bedeutungsgehalt über die Grenzen der einzelnen Stammestraditionen und Herrschaftsverbände hinweg. Dazu trugen insbesondere gemeineuropäische Prozesse wie die Ausbreitung der politischen und rechtlichen Strukturen des Lehnswesens6, das Entstehen des Rittertums7 und eines entsprechenden gemeinsamen Selbstverständnisses in der weltlichen Führungsschicht des lateinischen Europas sowie die Ausbildung der höfischen Kultur8 bei. In der lokalen und sozialen Vielfalt ließen sie überörtlich verstandene und verbreitete Grundmuster hervortreten wie den Kniefall9 und den Handgang bei der Belehnung10, den Ritterschlag11 oder den Dienst an der königlichen Tafel12.

5 Vgl. dazu insb. A. Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000. 6 R. Schulze, Der Nexus feudales in Vernunftrecht und Historischer Rechtsschule, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 106 (1989), S. 68–114. 7 Zum Rittertum jüngst J. Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, Berlin 2002; sowie ders., Ritterstand, in: HRG (Anm. 1), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1088–1092. 8 Vgl. dazu N. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1997. 9 Zum Kniefall A. Fink, Art. Knien, in: HRG (Anm. 1), Bd. 2, Sp. 901–904; G. Althoff, Das Privileg der deditio. Formen gütlicher Konfliktbeilegung in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, in: ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 99–125; ders., Fußfälle: Realität und Fiktionalität einer rituellen Kommunikationsform, in: C. Young/C. Bertelsmeier-Kierst (Hg.), Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literalität 1200–1300, Cambridge 2002, S. 1–12; C. Garnier, Injurien und Satisfaktion. Zum Stellenwert rituellen Handelns in Ehrkonflikten des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Adels, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29 (2002), S. 525–560. 10 V. Rödel, Art. Lehnsbräuche, in: HRG (Anm. 1), Bd. 2, Sp. 1712–1714. 11 A. Erler, Art. Ritterschlag, Ritterweihe, in: HRG (Anm. 1), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1082–1085; sowie Fleckenstein, Rittertum (Anm. 7); ders., Ritterstand (Anm. 7). 12 Vgl. A. Laufs, Art. Hofämter, in: HRG (Anm. 1), Bd. 2, Sp. 197–200, dort Verweise auf die einzelnen Ämter; S. Picot-Sellschopp, Art. Stratordienst, in: HRG (Anm. 1), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 37–40; dazu auch G. Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003, Kap. III. 2.2: Symbo-

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Das Verhältnis lokaler oder ethnisch begrenzter Traditionen zu diesen übergreifenden europäischen Entwicklungen bedarf zwar auch für die symbolische Kommunikation auf rechtlichem Gebiet noch in vielerlei Hinsicht näherer Untersuchung (ebenso wie das entsprechende Verhältnis von lokaler und gemeineuropäischer Entwicklung für die allmählich daneben zunehmende Vermittlung von Rechtsinhalten in schriftlicher Form13). Historisch-vergleichende Forschungen werden hier noch weiteren Aufschluss erbringen müssen. Vieles spricht aber dafür, die symbolische Kommunikation für den Großteil des Mittelalters auf rechtlichem Gebiet ebenso wie auf anderen Gebieten als die „dominante Form“14 gegenüber den begrifflich-diskursiven Formen der Kommunikation anzusehen. Dementsprechend ist anzunehmen, dass sich gerade in dieser Form in erheblichem Maße gemeinsame Züge der europäischen Rechtskultur ausbilden konnten. II. Wandel in der Neuzeit Gegenüber der zentralen Rolle symbolischer Kommunikation im Mittelalter soll die Gegenwart nach einem verbreiteten Selbstverständnis der Moderne zu Formen des Diskurses gefunden haben, die Symbole und Rituale für die öffentliche Kommunikation nahezu entbehrlich gemacht haben.15 Unter dieser Voraussetzung mag die Annahme nahe liegen, dass die Aufklärung die Kommunikation und soziale Interaktion aus der Einbindung in die Formen und Traditionen symbolischer Ausdrucksweisen befreit hat; freier Austausch der Argumente und Schärfe des begrifflichen Denkens scheinen die eingeengte Verständigung mit Hilfe von Symbolen und die damit verbundene Unbestimmtheit der Aussagen abgelöst zu haben. Dieses aufklärerische Verständnis des Fortschritts vom Mittelalter zur Moderne ist indes in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Zu Recht ist so kritisiert worden, dass die symbolische Kommunikation des Mittelalters grundsätzlich als „irrational“ zu betrachten sei und auf dieser Grundlage für die Moderne das Gegenbild der „Rationalität“ reklamiert werden könne.16 Ebenso

lische Dienste der Vasallen, S. 93–97; G. Althoff/C. Witthöft, Les services symboliques entre dignité et contrainte, in: Annales HSS 6 (2003), S. 1293–1318. 13 Vgl. dazu aus der neueren Forschung beispielsweise P. Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich (Rechtsprechung 18), Frankfurt a. M. 2002. 14 G. Althoff, Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 370–389, S. 373. 15 Zur Diskussion um einen Verlust von Symbolik und Ritualen in der Moderne beispielsweise M. Douglas, Ritual, Tabu und Körpersymbolik, Frankfurt a. M. 1986; Fögen, Ritual und Rechtsfindung (Anm. 2), S. 159. 16 G. Althoff/L. Siep, Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution. Der neue Münsterer Sonderforschungsbereich 496, in: Frühmittelalterliche Studien 34 (2000), S. 393–412, S. 399.

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verkürzt wäre die Annahme, dass die symbolische Kommunikation im Mittelalter die explizite Reflektion, die kontroverse Diskussion und die bewusste, politisch intentionale Verwendung (oder Ablehnung) von Symbolen ausschloss.17 Darüber hinaus erscheint es aber auch zweifelhaft, ob überhaupt der Verzicht auf symbolische Kommunikation in der Moderne so weit reicht wie die schroffe Entgegensetzung zum Mittelalter (und zu anderen „vormodernen“ Kulturen innerhalb und außerhalb Europas) suggeriert.18 Schon ein erster Blick auf die am meisten verbreiteten Medien der alltäglichen politischen und sozialen Kommunikation in der Gegenwart lässt diese Zweifel aufkommen. Das Selbstbewusstsein und den Rang der modernen Nationen kommunizieren symbolisch zwar weniger Wappen und höfische Zeremonien, aber doch sehr häufig Landesfarben auf Fahnen, Kleidern und Gesichtern oder Austragungsorte und Medaillenspiegel bei internationalen Veranstaltungen. Politischen und kulturellen Ereignissen wie Staatsbesuchen, Gipfeltreffen und großen Konzerten, aber auch bewaffneten Aktionen und brutalen Anschlägen wird oft ein weit reichender, zuweilen selbst schwere unmittelbare Wirkungen noch übertreffender Symbolwert beigemessen. Imaginäre oder reale Personen („Uncle Sam“, „Marianne“, die „Beatles“-Generation) symbolisieren Identitätsvorstellungen und Lebensgefühle. Bildlich oder formelhaft gefasste Rekurse („9/11“) stehen in den Medien moderner Kommunikation für politische Zusammenhänge und Vorstellungen, die sich in ihrer Komplexität schwer fassen lassen, und vermitteln Aussagen und Wertungen mit der Eindringlichkeit und zugleich mit der Deutungsweite19, die symbolischer Kommunikation eigen ist. Auch für den rechtlichen Bereich ist im Vergleich der Moderne mit dem Mittelalter zwar ein Bedeutungsrückgang und ein tief greifender Wandel der Inhalte, Funktionen und Formen symbolischer Kommunikation, aber keineswegs ein vollständiges Entfallen festzustellen. Beispiele für die Entwicklung symbolischer Kommunikationsformen in der Moderne aus unterschiedlichen Teilbereichen der Rechtskultur und der Juristentätigkeit in mehreren europäischen Ländern enthält der kürzlich erschienene Überblick über Fragen der „Rechtssymbolik und Wertevermittlung“20 (an den der hier vorliegende Band anschließt). 17 Althoff, Macht der Rituale (Anm. 12), insb. Kap. VI. 1: Die Gemachtheit der Rituale, S. 189–194; auch R. Schulze/L. Ostwaldt, Rechtssymbolik und Wertevermittlung im gerichtlichen Verfahren – Einführung, in: R. Schulze (Hg.), Rechtssymbolik und Wertevermittlung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004, S. 11–17, S. 16. 18 Vgl. beispielsweise Caduff/Pfaff-Czarnecka, Rituale heute (Anm. 2), daraus insb. A. Michaels, „Le rituel pour le rituel“ oder wie sinnlos sind Rituale?, S. 23–47; D. de Coppet (Hg.), Understanding Rituals, London u. a. 1992. 19 B. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Forschungsperspektiven – Thesen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489–527, S. 499 ff. 20 Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17).

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So haben Symbolik und Gerichtsrituale in Frankreich zwar im Zuge und in der Folge der Revolution für das Gerichtsverfahren und die juristischen Berufe neue Funktionen und Inhalte erhalten, sind aber keineswegs aus der juristischen Praxis verschwunden. Vorherrschend war für die nachrevolutionäre Justiz vielmehr das Streben „nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen dem Verzicht auf überflüssige Rituale und dem Bedürfnis nach einer Symbolik, die Vernunft und Phantasie gleichermaßen anspricht“21. Auch in Deutschland war die Einführung der Amtstracht für Richter im 19. Jahrhundert eher Ausdruck eines neuen, modernen Bedürfnisses nach Symbolik als Fortsetzung einer vormodernen Tradition und wurde maßgeblich durch das nachrevolutionäre französische Vorbild inspiriert.22 Die Verwendungsweisen und das Verständnis rechtlicher Symbolik im nationalen Denken und im entstehenden Nationalstaat der Moderne zeigt sich in dem erwähnten Überblick beispielhaft für Polen im frühen 19. Jahrhundert.23 Die symbolische Bedeutung der Gerichtsgebäude, ihrer Ausstattung und die Ausgestaltung der Sitzungsräume hat für die Zeit vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart für England David Sugarman aufgezeigt.24 Auf die symbolische Bedeutung nicht nur einzelner Prozesshandlungen, sondern des Urteils selbst auch im gegenwärtigen Common Law – und wohl darüber hinaus ebenfalls in der richterlichen Rechtsfortbildung und im Richterrecht anderer Rechtssysteme – hat Thomas Watkin hingewiesen.25 Mit ähnlich weit reichender Perspektive hat Winfried Hassemer in anderem Forschungszusammenhang erörtert, dass Strafen auch und gerade in einer modernen rechtsstaatlichen Ordnung regelmäßig symbolisches Handeln darstellt.26 Ein neuer Grundzug in der Entwicklung der mo21 J.-L. Halpérin, Symbolik und Gerichtsrituale am Beispiel der Entwicklung der juristischen Berufe und des Gerichtsverfahrens in Frankreich in der Zeit zwischen Ancien Régime und 19. Jahrhundert, in: Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17), S. 37–50, S. 49. 22 Im Rahmen des Forschungsprojektes, aus dem dieser Band hervorgegangen ist, dazu in Arbeit die Dissertation von Carina Lücke, Die richterliche Amtskleidung im Verlaufe des 19. Jahrhunderts. 23 A. Rosner, Symbole des „Adeligen Polen“ am Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17), S. 125–139. 24 D. Sugarman, Images of Law. Legal Buildings, Englishness and the Reproduction of Power, in: Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17), S. 167–199; für andere Gebiete vgl. beispielsweise K. Klemmer/R. Wassermann/T. M. Wessel (Hg.), Deutsche Gerichtsgebäude – Von der Dorflinde über den Justizpalast zum Haus des Rechts, München 1993; Association française pour l’histoire de la Justice (Hg.), La Justice en ses Temples. Regards sur l’architecture judiciaire en France, Paris 1992; Action artistique de la ville de Paris (Hg.), Le Palais de Justice, Paris 2002. 25 T. G. Watkin, „The Powers that Be Are Seated“. Symbolism in English Law and in the English Legal System, in: Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17), S. 149–166, S. 163 ff. 26 Vgl. dazu W. Hassemer, Warum und zu welchem Ende strafen wir?, in: ders., Freiheitliches Strafrecht, Berlin 2001, S. 103–118; ders., Strafen im Rechtsstaat (Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspolitik 3), Baden-Baden 2000.

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dernen Rechtssymbolik zeigt sich zudem nach Antoine Garapon darin, dass die Internationalisierung zwar eine teilweise „Entsymbolisierung“, aber zugleich auch eine weltweite Ausbreitung symbolischer Ausdrucksweisen und damit verbunden eine Konkurrenz der nationalen Traditionen in der internationalen Gerichtsbarkeit fördert.27 Vor diesem Hintergrund kann die Zeitspanne zwischen dem Mittelalter und der Gegenwart jedenfalls nicht allein aus der Perspektive fortschreitender Auflösung und schließlich vollständiger Überwindung jedweder Formen symbolischer Kommunikation gesehen werden. Vielmehr ist für das Recht ebenso wie für andere Kulturbereiche gleichermaßen nach dem Bedeutungsverlust und nach der Abkehr von tradierten Formen symbolischer Kommunikation wie nach dem Erhalt, dem Funktionswandel und dem neuen Entstehen von Symbolik zu fragen. Dies gilt in jeweils eigener Weise sowohl für die frühe Neuzeit als auch für den Zeitraum seit der Aufklärung und insbesondere seit der Französischen Revolution. Das Projekt28, aus dem das Konzept für diesen Band hervorgegangen ist, hat sich dabei zunächst dem früheren dieser beiden Zeiträume zugewandt und sich dabei auf die symbolische Kommunikation in den Gerichten konzentriert (und zwar aufgrund von Quellen aus dem nordwestdeutschen Raum29 und aus Nordfrankreich30). Die Einbeziehung der Folgezeit in die Untersuchung ist aber vorgesehen. III. Forschungsfragen zur frühen Neuzeit Für den Beginn der Neuzeit ist davon auszugehen, dass weithin mittelalterliche Formen symbolischer Kommunikation im Gerichtsverfahren noch eine erhebliche Rolle spielten (auch wenn Art und Ausmaß der Veränderungen hinsichtlich der Bedeutung von Form und Symbolik im spätmittelalterlichen Gerichtsverfahren umstritten sind31). Dies zeigt sich etwa hinsichtlich der For27 A. Garapon, La mondalisation des rites judiciares: l’exemple des jurisdictions internationales, in: Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17), S. 201–228. 28 Teilprojekt C3 „Symbole im Gerichtsverfahren“ im Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 29 Insbesondere weltliche und geistliche Gerichte der Städte Dortmund, Münster, Paderborn und Soest. 30 Recherchen in den Gerichtsarchiven des Bailliage und Siège présidial von Amiens, Senlis und Vermandois. 31 Vgl. die unterschiedlichen Auffassungen etwa bei W. Ebel, Recht und Form (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart 449), Tübingen 1975; E. Kaufmann, Art. Formstrenge, in: HRG (Anm. 1), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1163–1168; A. Laufs, Über die Form im Rechtsgang, in: K. Müller/H. Soell (Hg.), Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Festschrift für Eduard Wahl zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1973, S. 3–24.

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meln, die im Verfahren zu sprechen waren, der Rituale bei der Vereidigung und der Sühneleistung oder bei der Kleidung32 sowie insbesondere bei der Eröffnung des Verfahrens durch die Hegung33. Zum Teil erklärt sich der fortdauernde Rekurs auf überkommene Symbole und das Fortbestehen von Ritualen schon daraus, dass die Rechtsprechung in dieser Zeit regelmäßig weiterhin überwiegend nicht auf einem schriftlich fixierten Normensystem beruhte, die Kommunikation im Verfahren selbst überwiegend nicht schriftlich erfolgte und zumeist auch ein Großteil der Verfahrensbeteiligten gar nicht schriftkundig war. Im Rahmen der weithin fortbestehenden oralen Rechtskultur behielten Symbole und Rituale herausragende Bedeutung, um die Spezifik des gerichtlichen Verfahrens gegenüber anderen Verfahren und Entscheidungsformen, einzelne Bestandteile und Schritte dieses Verfahrens sowie die Legitimität der Rechtsprechung insgesamt und die Inhalte und Verbindlichkeit der Ergebnisse des jeweiligen gerichtlichen Entscheidungsprozesses auszudrücken. Von diesem Ausgangspunkt her stellt sich im Hinblick auf den Wandel während der frühen Neuzeit insbesondere die Frage nach den Auswirkungen der Rezeption sowie der damit einhergehenden Professionalisierung und Verschriftlichung im Gerichtswesen. In dieser Hinsicht ist beispielsweise zu überprüfen, ob und wie sich symbolische Formen der Vermittlung von Legitimität nach dem Status des Richters bzw. Urteilers als „Laie“, Kleriker oder Jurist, als vom Gerichtsherrn eingesetzter Amtsträger oder Inhaber erblicher gerichtlicher Funktionen richteten. Sprechformeln und schriftliche Formulierungen, einzelne Prozesshandlungen und Handlungssequenzen, Amtszeichen und Ausstattungselemente, die Zugehörigkeit zum Kreis der Prozessbeteiligten (etwa des „Umstands“) und deren Positionierung im bzw. vor dem Gericht sind zu berücksichtigen, um Aufschluss über Veränderungen der symbolischen Kommunikation zu gewinnen. Nach den eingangs umrissenen Ausgangsthesen würde es dabei jedoch zu kurz greifen, wenn sich das Untersuchungsinteresse lediglich auf einen Rückgang oder gar Niedergang der symbolischen Kommunikation im gerichtlichen Verfahren als Folge der Rezeption, Verschriftlichung und Professionalisierung richtete. Das Denkmuster eines steten Fortschritts von der symbolischen, zuweilen gar als irrational apostrophierten Kommunikation des Mittelalters zur diskursiven Kommunikation der Moderne, die die Dignität der Rationalität beansprucht, darf auch für die frühe Neuzeit nicht den Blick auf die je eigene Ratio32 C. Babendererde, Handlungsanweisungen an Verklagte vor Gericht im 16. Jahrhundert – zur symbolischen Kommunikation und ihrer Funktion, in: Schulze, Rechtssymbolik (Anm. 17), S. 51–67, S. 56 ff. 33 Vgl. dazu in diesem Band C. D. Schmidt, Die Hegung des Gerichts – Formen und Funktionen eines rituellen Aktes.

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nalität der Kommunikationsformen der betreffenden Zeit und des jeweiligen sozialen Teilbereichs verstellen. Für das gerichtliche Verfahren der frühen Neuzeit erscheint insofern die Frage nach dem Funktionswandel, den die symbolische Kommunikation unter veränderten sozialen, politischen und sonstigen kulturellen Bedingungen erfahren hat, ergiebiger als die bloße Feststellung des Rückgangs bestimmter hergebrachter Formen symbolischer Kommunikation. Aus dieser Perspektive stellt sich beispielsweise die Frage, inwieweit die Verschriftlichung auch zu einer Verfestigung und Verstetigung von Ritualen beigetragen hat (indem etwa einzelne Verfahrenshandlungen oder Sprechformeln nunmehr in Schriftform tradiert und im Prozess herangezogen werden konnten) und inwieweit die Professionalisierung den Boden bereitete für die Ausbreitung einer neuen Symbolik und eigener Rituale des Juristenstandes. Hinsichtlich des Übergangs zum schriftlichen und weithin auch zum nicht-öffentlichen Verfahren rückt zudem die Frage in den Mittelpunkt, inwieweit damit eine Bedeutungsverschiebung der Rechtssymbolik von einem Verständigungsmittel der Beteiligten im Prozess selbst – eine Hauptfunktion im öffentlichen Verfahren – zu einem Medium der Vermittlung der Legitimationsgrundlage des Gerichts verbunden war (etwa bei der Kennzeichnung der Gerichtsräume nach außen und in der Art der Justitia-Darstellungen). Eine wachsende Rolle dürfte dabei die symbolische Vermittlung von Wertvorstellungen im Zusammenhang mit der Ausbildung der frühneuzeitlichen Staatsvorstellungen einnehmen – bis hin zur Darstellung des Verständnisses der Justiz als einer Funktion des Staates in den Justitia-Abbildungen.34 Mit Blick auf die weitere Entwicklung während des 17. und besonders des 18. Jahrhunderts rückte neben dem Niedergang älterer Formen der symbolischen Kommunikation auch das Entstehen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der rechtlich relevanten Symbolik35 und die Ausbildung neuer Symbolik und Rituale gerade im Zuge der Aufklärung und vor allem der reformerischen und revolutionären Veränderungen in das Blickfeld – vom Symbol des Auges („Auge des Gesetzes“)36 über die sakralen Anklänge in der Gerichtsarchitektur37 bis hin schließlich zur Auseinandersetzung um die richterliche 34 Dazu in Arbeit die Dissertation von Lars Ostwaldt, Justitia-Darstellungen in der Frühen Neuzeit. 35 Zur „Iurisprudentia symbolica“ P. de Win (Hg.), Rechtsarchäologie und Rechtsikonografie (Iuris scripta historica 5), Brüssel 1992, S. 26 f.; K. v. Amira/C. v. Schwerin, Rechtsarchäologie. Gegenstände, Formen und Symbole germanischen Rechts, Berlin 1943, S. 7–9; zur Zeremonialwissenschaft M. Vec, Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat: Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation (Ius Commune Sonderhefte: Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 106), Frankfurt a. M. 1998; V. Bauer, Hofökonomie: der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus (Frühneuzeit-Studien N. F. 1), Wien u. a. 1997. 36 M. Stolleis, Das Auge des Gesetzes. Geschichte einer Metapher, München 2004. 37 Dazu beispielsweise Halpérin, Symbolik und Gerichtsrituale (Anm. 21), S. 44 im Anschluss an Pierre Legendre.

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Amtstracht38 im Zusammenhang mit der Durchsetzung der neuen Prozessprinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit. IV. Untersuchungsfelder Der vorliegende Band vertieft und ergänzt die Fragestellungen, die im Rahmen des erwähnten Forschungsprojekts39 entwickelt wurden, aufgrund eines internationalen Symposiums40 für drei Untersuchungsfelder: (A) die Formen der Mündlichkeit im Gericht; (B) die Gesten und Symbole im Gericht; (C) die Darstellung des Gerichts in Text und Bild. Für jedes dieser Untersuchungsfelder kommen Entwicklungen in mehreren europäischen Ländern in Betracht. Auf diese Weise soll zumindest die Frage aufgeworfen werden, welche Unterschiede zwischen der Bedeutung, den Gegenständen und den Ausdrucksmitteln symbolischer Kommunikation in den verschiedenen Herrschaftsgebieten und Regionen während der frühen Neuzeit bestanden und inwieweit sich auch für diese Zeit fortwirkende oder neu entstehende gemeinsame Grundzüge feststellen lassen. Auch wenn Antworten dazu vom gegenwärtigen Forschungsstand kaum möglich sind, möchte der Band auf diese Weise doch zumindest Anregungen für künftige historisch-vergleichende Forschungen geben. Hinsichtlich der Formen der Mündlichkeit im Gericht stellt sich zunächst für die Ausgangslage im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit die Frage, inwieweit die symbolische Kommunikation in eine vielfach in der rechtshistorischen Literatur noch (oder gerade) für das späte Mittelalter reklamierte Formstrenge41 eingebunden war. Der strenge Formalismus des älteren Rechts kommt nach dieser Auffassung vor allem in der strikten Bindung an Sprechformeln im gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck; selbst eine geringfügige Abweichung von der vorgesehenen Formel konnte danach den Prozess zu Lasten der betreffenden Partei entscheiden. Diese Vorstellung fügt sich bruchlos in das erwähnte Konzept eines „irrationalen“ Kommunikationsverhaltens im Mittelalter als Gegenbild zu den „rationalen“ Formen prozessualen Verhaltens in der Moderne und erscheint gerade deshalb unter der oben umrissenen Fragestellung als Ausgangsannahme für die neuzeitliche Entwicklung überprüfungsbedürftig.42 Die fortdauernde Verwendung von Sprechformeln im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit führt zudem zu der Frage nach dem Verhältnis derartiger Kommunikationsformen zur Fachsprache der zunehmend in die Gerichtsbarkeit 38 39 40 41 42

hof.

Vgl. Anm. 22. Vgl. Anm. 28. In Münster vom 22. bis 23. April 2005. Vgl. Anm. 31. Dazu in diesem Band P. Oestmann, Erholung und Wandel am Ingelheimer Ober-

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eintretenden Juristen und damit zu dem allgemeineren Problem, welche Auswirkungen die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung im Zuge der Rezeption auf gerichtliche Rituale und Symbole hatte. Sprechformeln und Fachsprache lenken insofern die Aufmerksamkeit auf die kommunikative Funktion verschiedener „Sprachmodi“ im vormodernen Gerichtswesen.43 Neben dem Eindringen der juristischen Fachsprache verändern aber auch politische Entwicklungen wie die Festigung der territorialen Herrschaftsorganisation, die Zuwendung zum „ius patriae“ und schließlich das Aufkommen des Nationalstaates und des nationalen Rechtsdenkens die Grundlagen mündlicher Kommunikation im Gericht, indem sich etwa das Streben nach einheitlichem Recht mit der Durchsetzung einer einheitlichen Rechts- und Gerichtssprache verbindet. Die territoriale oder nationale Gerichtssprache kann mit der lokal oder regional gebräuchlichen Ausdrucksweise vor Gericht44 (einschließlich der mit dieser Ausdrucksweise verbundenen Sprachformeln und sonstigen Symbolik) in Konflikt geraten. Die Spannung zwischen lokaler bzw. regionaler Tradition und Rechtsvereinheitlichung beschränkt sich damit nicht auf die sprachlichen Ausdrucksformen vor Gericht, sondern kann sich allgemein auf die rechtliche Symbolik innerhalb und außerhalb des gerichtlichen Verfahrens erstrecken.45 Nicht nur bei der Verwendung von Sprechformeln und festgelegten monologischen oder dialogischen Sprachsequenzen kann die mündliche Kommunikation im Gericht Symbolcharakter haben. Auch die freie Rede der Prozessbeteiligten kann sich als symbolisches Handeln darstellen. Dies zeigt etwa eine Untersuchung der Rhetorik der Anwälte vor dem Parlement de Paris, der zufolge die Wiedergutmachung häufig eher durch die Wiederherstellung der Ehre mittels der anwaltlichen Vorträge vor Gericht (einschließlich der Schilderung angeblich verdienter Strafen) als durch den Vollzug von Strafen gewährleistet wurde.46 Ebenso wie bei dieser Art mündlicher Kommunikation lässt sich auch hinsichtlich vielfältiger anderer Symbolhandlungen die „Strafgerichtsverhandlung als Theater des Rechts“47 verstehen. Diese allgemeinere Betrachtungsweise von Reden, Gesten und (sonstigen) Symbolen im Gericht erfordert freilich ein 43 Dazu F.-J. Arlinghaus, Sprachformeln und Fachsprache. Zur kommunikativen Funktion verschiedener Sprachmodi im vormodernen Gerichtswesen, in diesem Band. 44 Dazu mit Blick auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert B. van der Velden, Der Gebrauch der Volkssprache vor Gericht im Niederländischen Friesland im 19. Jahrhundert, in diesem Band. 45 Dazu für Wales T. G. Watkin, The Death and Later Life of Legal Symbols. Welsh Legal Symbols after the Union with England, in diesem Band. 46 C. Gauvard, Rituels et voix vive des avocats au Parlement de Paris dans les causes criminelles, à la fin du Moyen Âge, in diesem Band. 47 So W. Schild, Die Strafgerichtsverhandlung als Theater des Rechts, in diesem Band.

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grundsätzliches Überdenken der verwandten Begrifflichkeit im Überschneidungsbereich rechtsgeschichtlicher48 und rechtsphilosophischer49 Reflektion. Im Anschluss an diese grundlegenden Erwägungen gelten die Beiträge zur Untersuchung von Gesten und Symbolen im Gericht im Einzelnen der Sitzhaltung des Richters50, der roten Robe als Richterkleidung51, dem Ritual der Leichenberührung im Strafverfahren52 sowie dem Wiederaufleben von Rechtssymbolen unter veränderten politischen Verhältnissen53. Einen Schwerpunkt bilden in diesem Untersuchungsbereich die Symbole und Rituale, die zur Konstituierung des Gerichts (einschließlich seiner Trennung gegenüber anderen Institutionen sowie seiner räumlichen und zeitlichen Abgrenzung) dienten und die insbesondere durch Begriffe wie Hegung und „claves curiae“ beschrieben wurden.54 Eng mit dieser Frage der Abgrenzung des Gerichts in räumlicher Hinsicht verbunden ist zudem die Ausgestaltung des Gerichtsraumes (etwa im Hinblick auf die Funktion der Gerichtsschranke).55 Die Untersuchungen zur Darstellung frühneuzeitlicher Gerichte in Text und Bild in diesem Band56 widmen sich auf der Grundlage deutschsprachiger Quellen drei Sachbereichen mit jeweils spezifischer Fragestellung: der bildlichen Beschreibung prozessualer Interaktion auf der Grundlage von Handschriften und Drucken zum Belial-Prozess des Jacobus de Theramo57; dem Verhältnis von prozessualer Norm und Rechtswirklichkeit in der beginnenden Neuzeit am Beispiel der Klagen und ihrer Symbolik in Text, Glosse und Richtsteig des Sachsenspiegel-Landrechts58; schließlich der visuellen Repräsentation der Justiztätigkeit in frühneuzeitlichen Gerichtsbüchern59. Eine besondere Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit Recht und Gericht wird für die südlichen 48

Dazu L. Ostwaldt, Was ist ein Rechtsritual?, in diesem Band. Aus dieser Sicht Schild, Strafgerichtsverhandlung (Anm. 47). 50 C. Schott, Die Sitzhaltung des Richters, in diesem Band. 51 V. Lemonnier-Lesage, Les arrêts de règlement rendus en robes rouges, in diesem Band. 52 C. Plessix-Buisset, Du surnaturel au rationnel aux XVIIe et XVIIIe siècles. Le rituel des gestes de l’épreuve du cadavre dans la procédure criminelle, in diesem Band. 53 T. G. Watkin, Legal Symbols (Anm. 45). 54 Dazu Schmidt, Hegung (Anm. 33); sowie J. W. Cairns, From Claves Curiae to Senators of the College of Justice. Changing Rituals and Symbols in Scottish Courts, in diesem Band. 55 Dazu J.-L. Halpérin, Einige Betrachtungen über die Entwicklung der Ausgestaltung der Gerichtssäle in Frankreich während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, in diesem Band. 56 Untersuchungsfeld C. 57 G. Kocher, Prozessuale Interaktion im Bild, in diesem Band. 58 H. Lück, Klagen und ihre Symbolik in Text, Glosse und Richtsteig des Sachsenspiegel-Landrechts. Zum Verhältnis von prozessualer Norm und Rechtswirklichkeit am Beginn der frühen Neuzeit, in diesem Band. 49

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Niederlande vorgestellt: die Exempla Iustitiae in Gemälden und Skulpturen, die für städtische Repräsentationsgebäude und insbesondere für Gerichtsgebäude geschaffen wurden.60 Die bildlichen Darstellungen des Königs als Richter und Gesetzgeber zeigen schließlich am Beispiel der dänischen Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert auf, wie sich grundlegende politische und staatstheoretische Veränderungen der frühen Neuzeit symbolisch in Bildern widerspiegeln können.61 Summary It is to be assumed that for the beginning of the modern era the medieval forms of symbolic communication in court proceedings still played a considerable role (even though the character and extent of the changes regarding the meaning of form and symbolism in late medieval court proceedings are disputed). This is shown for example in respect of the formulas that were to be spoken in court, the rituals of swearing-in and offering of atonement or the clothing as well as especially at the opening of the trial through the so-called “fencing”. In part the continuing recourse to traditional symbols and their continued existence can be attributed to the fact that the jurisprudence at this time was mostly not based upon a fixed written system of legal norms, the communication in the court process itself was mostly not written down, and for the most part many of those involved in the procedure were illiterate. In the context of the continuing oral legal culture symbols and rituals retained a prominent significance to express the specifics of court procedure as against other procedures and forms of judgements as well as individual elements and steps of the trial, the legitimacy of the jurisprudence on the whole and the content and the binding nature of the outcome of the respective judicial decision making process. From this starting point, with respect to the process of change during the early modern era, the question arises especially as to effects of the reception of Roman law along with professionalisation of the judicature and the increasing practice of writing down court proceedings. In this respect for example one must examine whether and how symbolic forms of conferral of legitimacy were related to the status of the judge or Urteiler as “layman”, cleric or jurist, as a holder of office appointed by the lord of the manor or the bearer of hereditary court functions. Speech formulas and written formulas, particular acts of the 59 G. Schwerhoff, Straf-Akte(n). Zur visuellen Repräsentation der Kriminaljustiz in frühneuzeitlichen Gerichtsbüchern, in diesem Band. 60 G. Martyn, Painted Exempla Iustitiae in the Southern Netherlands, in diesem Band. 61 D. Tamm, Der dänische König als Richter und Gesetzgeber, in diesem Band.

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procedure and the sequence of actions, badges and elements of clothing, membership to the circle of participants in the trial (such as the people standing around (Umstand)) and their positioning in court are to be considered, to get an idea of the changes in symbolic communication. With reference to the initially sketched thesis it would be too brief were the interest of examination solely limited to the decline or even demise of symbolic communication in court trials as a consequence of the reception of Roman law, writing down proceedings and professionalisation of the judicature. The pattern of thought of a steady progression from the symbolic – sometimes even regarded as irrational – communication of the middle ages to a discursive communication of the modern age, which claims the dignity of rationality, should also not disguise the view on the specific rationality of contemporary forms of communication and different parts of society when looking at early modern times. For court proceedings of the early modern age in this respect the question of the process of change in function, experienced by the change in social, political and other cultural conditions, appears more yielding than merely establishing the decline of certain conventional forms of symbolic communication. From this perspective, for example, the question arises as to what extend the new process of writing down proceedings also contributed to a consolidation and steadying of rituals (in which for example individual procedures or speech formulas were henceforth established in written form and could be incorporated into the procedure) or to what extent professionalisation prepared the ground for the dissemination of a new symbolism and jurists’ own rituals. With regard to the transition to a written, and to a large extent to a non-public, procedure, a further question becomes of central significance, namely, to what extent was a shift in the meaning of legal symbolism from a means of agreement of those involved in the procedure itself – a main function in a public procedure – connected to a means of conferral of the basis of legitimacy of the court (for example concerning the external marking of the court rooms and the ways in which Justice was portrayed). An increasing role may thereby have been played by the symbolic conveyance of values in connection with the development of early modern ideas of the state – culminating in the portrayal of the idea of justice as a function of the state in illustrations of Justice. Looking at the further development during the 17th and especially during the 18th century, alongside the demise of older forms of symbolic communication there emerged a scholarly preoccupation with the relevant legal symbolism and the development of new symbolism and rituals, during the course of the enlightenment and above all the reforming and revolutionary changes – from the symbol of the eye (“eye of the law”) over the sacral resonances of the court architecture until finally the discussion about the judicial vestment in connection with the implementation of new procedural rules of publicity and speech.

A. Formen der Mündlichkeit im Gericht

Erholung und Wandel am Ingelheimer Oberhof Von Peter Oestmann I. Vorüberlegungen Ein Beitrag über Erholung und Wandel am Ingelheimer Oberhof scheint sich kaum in das Tagungsthema „Symbolische Kommunikation vor Gericht“ einzufügen. Bei symbolischer Kommunikation denkt man zuerst an Zeichen, die auf etwas anderes, dahinter stehendes hindeuten. Der Richter mit dem Richtschwert symbolisiert ganz anschaulich die Gerichtsgewalt.1 Ein Reliquienschrein auf dem Gerichtstisch symbolisiert die Anbindung der Justiz an die göttliche Gerechtigkeit, insbesondere beim Eid. Der erhöht sitzende Richter symbolisiert das Über- und Unterordnungsverhältnis während der Verhandlung.2 Die Symbole der gerichtlichen Kommunikation sind häufig Realien (etwa das Richtschwert), die ihre zeichenhafte Wirkung auch entfalten, wenn sie ruhig auf dem Tisch liegen, ohne benutzt zu werden. Abgrenzen lassen sich derartige Symbole von Ritualen, die jeweils mit einem bestimmten gleichartigen äußeren Handlungsablauf verbunden sind.3 So ist es ein Ritual, wenn die Parteien vor Gericht aufstehen müssen, bevor sie sich äußern dürfen. Ein Ritus kann es auch sein, wenn Ladungen im spätmittelalterlichen Recht jeweils ein-, zwei-, dreimal ausgesprochen wurden. Neben Symbol und Ritus steht die Form. Im Recht bedeutet die äußere Form, dass aus einer äußerlich gleichen Handlung auf einen damit verbundenen Inhalt geschlossen wird. Noch heute hängt die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der Beachtung der einschlägigen Formvorschriften ab (§ 125 BGB), auch wenn das Bürgerliche Recht den Grundsatz der Formfreiheit 1

Zur Sitzhaltung des Richters vgl. den Beitrag von C. Schott in diesem Band. Hierzu A. Laufs, Über die Form im Rechtsgang, in: K. Müller/H. Soell (Hg.), Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Festschrift für Eduard Wahl zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1973, S. 3–24, S. 13. 3 So auch der Abgrenzungsversuch von B. Rehfeldt, Recht und Ritus, in: H. C. Nipperdey (Hg.), Das deutsche Privatrecht in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Heinrich Lehmann zum 80. Geburtstag, Bd. I, Berlin u. a. 1956, S. 45–61, S. 48; zum Forschungsstand zur symbolischen Kommunikation vor Gericht, R. Schulze/L. Ostwaldt, Rechtssymbolik und Wertevermittlung im gerichtlichen Verfahren – Einführung, in: R. Schulze (Hg.), Rechtssymbolik und Wertevermittlung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004, S. 11–17; C. Babendererde, Handlungsanweisungen an Verklagte vor Gericht im 16. Jahrhundert – zur symbolischen Kommunikation und ihrer Funktion, in: ebd., S. 51–67, S. 51–53. 2

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kennt. Im Gegensatz zum Ritual kann die äußere Handlung bei der Form minimal sein, wie etwa bei der schriftlichen Abfassung eines Dokuments. Symbolische Kommunikation, Rituale sowie die Befolgung von Formen gehen an vielen Stellen ineinander über und lassen sich keineswegs immer so leicht voneinander trennen, wie es scheint. Wenn im Strafprozess des 15. Jahrhunderts, bei dem kein Privatkläger auftritt, die Kleidung des Toten öffentlich gezeigt wird, ist das eine ganz bestimmte Form der Verfahrenseinleitung.4 Zugleich kann es eine rituelle Handlung sein, wenn nämlich der Gerichtsdiener in einer bestimmten Weise die Kleidung emporhebt. Vielleicht steht die Kleidung stellvertretend für den Toten und symbolisiert dann seine Anwesenheit.5 Die Übergabe eines grünen Zweiges, zweifellos eine Förmlichkeit, konnte im mittelalterlichen Recht zugleich das Grundstück symbolisieren, das übertragen wurde.6 Und wenn dann bei dieser Gelegenheit noch jüngere Knaben geohrfeigt wurden, hat man sogar ein Ritual, das in diesem Fall Beweisfunktion besitzt.7 Im Hinblick auf solche Mehrfachzugehörigkeiten mag es interessant sein, eine sehr bekannte Institution der mittelalterlichen Prozessrechtsgeschichte näher zu beleuchten und auf ihre formale, rituelle und symbolische Bedeutung hin zu befragen – sofern eine solche sich überhaupt erkennen lässt. II. Forschungsstand Erholung und Wandel gehört zu den Schlagworten, die jedem Rechtshistoriker bekannt sind. Angesichts des strengen Formalismus des mittelalterlichen Rechts, bei dem man schon bei einem kleinen Versprecher oder einer fehlerhaften Kopfhaltung einen Rechtsstreit verlieren konnte, bot Erholung und Wandel8 einen Ausweg. In bestimmten Situationen konnte man den Konsequenzen der 4 Frankfurter Urteil von 1411, bei J. G. C. Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1841, S. 373–375; hierzu P. Oestmann, Der Wert der Rechtsgeschichte für das Studium des Rechts – was uns ein mittelalterlicher Mordfall heute sagt, in: E. Bucher/C. W. Canaris/H. Honsell/T. Koller (Hg.), Norm und Wirkung. Beiträge zum Privat- und Wirtschaftsrecht aus heutiger und historischer Perspektive, Festschrift für Wolfgang Wiegand zum 65. Geburtstag, Bern 2005. 5 D. Werkmüller, Art. Klage mit dem toten Mann, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 849–851; zur Klage mit dem toten Mann vgl. den Beitrag von H. Lück in diesem Band. 6 J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, Bd. I, Nachdruck der 4. Aufl. von A. Heusler/R. Hübner, Leipzig 1899, Darmstadt 1989, S. 168–180. 7 A. Erler, Art. Ohrfeige, Ohrenzupfen, in: HRG (Anm. 5), Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 1229–1230. 8 Im Gegensatz zur üblichen Terminologie „Erholung und Wandelung“ ist hier von „Wandel“ die Rede, weil dieser Begriff in den Ingelheimer Quellen regelmäßig auftaucht, vgl. R. Zwerenz, Der Rechtswortschatz der Urteile des Ingelheimer Oberhofes, Diss. jur. Gießen 1988, S. 66. „Erholen“ scheint dagegen ein sächsisches Wort zu sein, das in Ingelheim ungebräuchlich war.

Erholung und Wandel am Ingelheimer Oberhof

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Formstrenge entgehen und die beanstandete Handlung wiederholen. So jedenfalls glaubt man, es zu wissen. Schaut man genauer hin, entdeckt man gähnende Leere. Ein neuerer Forschungsstand ist praktisch nicht vorhanden. Ekkehard Kaufmann, der 1967 den einschlägigen Artikel im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte verfasste9, bringt in seinem Literaturverzeichnis insgesamt fünf Hinweise. Außer der Fundstelle im Deutschen Rechtswörterbuch10 und einem eigenen kleineren, nur teilweise thematisch einschlägigen Aufsatz11 verweist er lediglich auf Heinrich Siegel (1863, 1866)12 sowie Heinrich Brunner (1868)13. Der Stand der Forschung, dies kann festgehalten werden, hat sich in den vergangenen 140 Jahren offenbar kaum verändert.14 Kaufmann hält Erholung und Wandel für vergleichbar mit der modernen Vertretung ohne Vertretungsmacht. Denn die Abschwächung der Prozessgefahr sei nur möglich gewesen, wenn die Partei einen Fürsprecher gehabt habe. Dessen Erklärungen habe sie gelten lassen oder aber verwerfen können.15 Die Frage nach der Entstehung der Rechtsfigur und ihrer Stellung in der spätmittelalterlichen Rechtsordnung hält Kaufmann für nicht hinreichend beantwortet. Kaufmann ist sich jedoch sicher, dass die strenge Prozessgefahr16, an die Erholung und Wandel anknüpft, vor allem im sächsischen Rechtskreis bekannt gewesen sei. Doch auch die Entstehung dieser Gefahr ist für ihn nicht erforscht. Er vermutet, dass Erholung und Wandel eine Reaktion auf die Formstrenge gewesen und daher zeitlich nach der Prozessgefahr entstanden sei. Der strenge Prozessformalismus setzt nach Kaufmann eine bedeutende Autorität des Gerichts vo-

9 E. Kaufmann, Art. Erholung und Wandelung, in: HRG (Anm. 5), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1001–1004. 10 Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. III, Weimar 1938, Art. erholen IV. 2. und Erholung I., Sp. 204–206, Sp. 205 f. 11 E. Kaufmann, Ein Mann – ein Wort, in: Juristische Schulung 1961, S. 120–122. 12 H. Siegel, Die Erholung und Wandelung im gerichtlichen Verfahren, Wien 1863; ders., Die Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang, Wien 1866. 13 H. Brunner, Wort und Form im altfranzösischen Prozess (1868), in: ders., Forschungen zur Geschichte des deutschen und französischen Rechtes, Stuttgart 1894, S. 260–389. 14 Inhaltlich wie Kaufmann H. Winterberg, Art. Fürsprecher, in: HRG (Anm. 5), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1333–1337; Bestätigung des überkommenen Forschungsstandes auch bei W. Sellert, Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes Recht, in: H. Duchhardt/G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln u. a. 1997, S. 29–47, S. 36. 15 Kaufmann, Erholung (Anm. 9), Sp. 1002; ebenso Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 66 f. 16 E. Kaufmann, Art. Gefahr, in: HRG (Anm. 5), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1429; Sellert, Gewohnheit (Anm. 14), sieht in der Zulassung von Erholung und Wandel sogar eine Verschärfung des übertriebenen Formalismus.

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raus. Sowohl Prozessgefahr als auch Erholung und Wandel sind für ihn daher vor allem städtische Erscheinungen17, obwohl er auch einen Ingelheimer Prozess kennt18. Geht man von diesem Forschungsstand aus, hat man es mit einem städtischen Phänomen des sächsischen Rechtskreises zu tun, das um 1200 zur Eindämmung der Prozessgefahr entwickelt und dann wieder bedeutungslos wurde, als der übertriebene Prozessformalismus verschwand. Den Höhepunkt der Formstrenge sieht Kaufmann im Spätmittelalter.19 III. Neun Fallstudien Die von Kaufmann aufgeworfenen Forschungsfragen lassen sich im Folgenden nicht umfassend beantworten. Dafür sollen einige Quellen, welche die einschlägigen Situationen schildern, genauer betrachtet werden. Auf diese Weise lässt sich zeigen, in welchen prozessualen Situationen das Regelungsproblem auftrat, wie die Gerichte den angeblichen Prozessformalismus handhabten und welche förmlichen, rituellen oder symbolischen Handlungen sich bei den Beteiligten beobachten lassen. Als Quellen dienen Oberhofurteile aus Ingelheim aus dem 15. Jahrhundert.20 Nach Kaufmanns Mutmaßung müsste man es eher mit Ausnahmen zu tun haben. Die Fälle stammen nicht aus dem sächsischen Rechtskreis, und die Landesherrschaft bzw. städtische Ratsgewalt war im eher ländlichen Ingelheimer Rechtskreis nicht stark ausgeprägt.21 Andererseits hält Kaufmann das späte Mittelalter für eine besonders formstrenge Zeit22, während 17

Kaufmann, Erholung (Anm. 9), Sp. 1004. Ebd., Sp. 1003, allerdings noch mit Hinweis auf die Bodmannsche Umfälschung nach Eltville. 19 E. Kaufmann, Art. Formstrenge, in: HRG (Anm. 5), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1163–1168, Sp. 1167. F.-J. Arlinghaus, Sprachformeln und Fachsprache, in diesem Band, lehnt sich stärker an den traditionellen Forschungsstand an, als dies in meinem Beitrag der Fall ist. Ob die Abweichungen von der vorliegenden Untersuchung als Widerspruch zu werten sind, ist aber unklar. Bei Arlinghaus geht es um normative Quellen, hier um Gerichtsurteile. Arlinghaus arbeitet mit städtischen Quellen, hier geht es um einen ländlichen Rechtskreis. Arlinghaus beschreibt Strafsachen, hier geht es um Zivilsachen. Bevor das gesamte Thema nicht grundlegend neu bearbeitet ist, lässt sich die Reichweite der jeweiligen Ergebnisse nicht abschätzen. 20 Allgemein A. Erler, Der Ingelheimer Oberhof, in: J. Autenrieth (Hg.), Ingelheim am Rhein. Forschungen und Studien zur Geschichte Ingelheims, Stuttgart 1964, S. 174–200; G. Gudian, Art. Ingelheimer Oberhof, in: HRG (Anm. 5), Bd. 2, Sp. 360– 361; J. Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug (Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte 15), Göttingen 1981, S. 82–85. Modernster Überblick über den Forschungsstand bei L. Münzer, Die Ingelheimer Haderbücher. Eine quellenkritische Modellanalyse am Beispiel des Ober-Ingelheimer Haderbuches von 1476–1484, Magisterarbeit Mainz 2001, S. 8–12. 21 D. Willoweit, Gerichtsherrschaft und Schöffenrecht am Mittelrhein im 15. Jahrhundert. Beobachtungen anhand der Urteile des Ingelheimer Oberhofes, in: L. Bonfield (Hg.), Seigneurial jurisdiction (Comparative studies in continental and AngloAmerican legal history 21), Berlin 2000, S. 145–159. 18

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Wilhelm Ebel hier schon die Formfreiheit anbrechen sieht23. Udo Kornblum dagegen ist sich sicher, dass das Ingelheimer Recht im Vergleich zu anderen spätmittelalterlichen Rechten in besonderem Maße formstreng gewesen sei, so formstreng, dass es nicht einmal die Möglichkeit gegeben habe, Formfehler durch Erholung und Wandel zu heilen.24 Zwischen 1399 und 1442 tauchen in mindestens25 neun Urteilen des Ingelheimer Oberhofs Situationen auf, die Bezüge zur Prozessgefahr und zu Erholung und Wandel nahe legen: Bei der Eidesleistung wird die Hand zu früh gehoben, der Fürsprecher sagt eine falsche Formel auf oder die Partei genehmigt die Worte des Fürsprechers nicht. Das sind typische Vorkommnisse, an denen sich der Fortgang des Verfahrens und damit auch die bisherige rechtshistorische Lehre exemplarisch überprüfen lassen. 1. Das Urteil von 1399 (Erler 148) Am 15. November 139926 erging ein Urteil über die Anfrage eines Volprecht aus Oberwesel. Volprecht sollte vor Gericht eine unschuld dun und hatte dafür seinen stebir27 bestellt. Aber alse ime der stebir die hand uff lachte und ime vursprach, so czochte der stebir ime die hand uff, und sahen daz vile lude. Der Prozessgegner fragete, ob jetzt, da Volprecht die Hand vom Reliquienschrein genommen hatte, der Prozess zu seinen Gunsten entschieden sei. Das Gericht in Oberwesel sagte kurzerhand ja. Volprecht hatte sogar erfahren, dass der Staber eingestanden hatte, was dem Volprecht da geschieht, daz han ich ime getan. Jetzt fragte Volprecht in Ingelheim an, ob der Staber den daraus entstandenen Schaden ime icht billiche uffkehre odir nit. Der Oberhof bejahte Volprechts Frage. Für die Frage nach Erholung und Wandel gibt der Fall entgegen dem ersten Anschein nichts her. Angesichts der im mittelalterlichen Parteiprozess geltenden 22 Kaufmann, Ein Mann (Anm. 11), S. 122; ebenso ders., Formstrenge (Anm. 19), Sp. 1166 f. 23 W. Ebel, Recht und Form. Vom Stilwandel im deutschen Recht (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart 449), Tübingen 1975, S. 26. 24 U. Kornblum, Das Beweisrecht des Ingelheimer Oberhofes und seiner malpflichtigen Schöffenstühle im Spätmittelalter, Diss. jur. Frankfurt a. M. 1960, S. 30. 25 Das Urteil Nr. 2405 vom 22. Juli 1427, bei A. Erler, Die älteren Urteile des Ingelheimer Oberhofes, 4 Bde., Frankfurt a. M. 1952–1963, Bd. III, S. 175 f., fehlt im Sachregister, Bd. IV, S. 39. 26 Urteil Nr. 148 vom 15. November 1399, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. I, S. 107. 27 Stebaere = der die Eidesformel vorsagt, bei M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, 3 Bde., Leipzig 1872–1878, Bd. II, Sp. 1153; zur Stabung des Eides R. Schröder/E. v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl., Berlin u. a. 1932, S. 395; zu diesem Urteil auch Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 73.

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Dispositionsmaxime konnte ein Gericht nur über die Anträge der Parteien entscheiden. Der Oberhof seinerseits beschied die Anfragen, die an ihn herangetragen wurden. Aufgrund der Fallschilderung ist unklar, ob Volprecht sich in Oberwesel gegen den Prozessverlust gewehrt hatte. Der Hinweis, viele Leute hätten den Fehler bei der Eidesleistung bemerkt, deutet eher darauf hin, dass Volprecht selbst den Prozess damit für entschieden hielt. Der Staber erkannte seinen Fehler und legte, modern gesprochen, ein außergerichtliches Anerkenntnis ab. Vom Oberhof wollte Volprecht lediglich wissen, ob er vom Staber Schadensersatz verlangen konnte, und genau das war der Fall. Möglicherweise war der Staber zahlungskräftig, so dass es für Volprecht wirtschaftlich gleichgültig war, ob er vor Gericht obsiegte oder sich seinen Schaden vom Staber ersetzen ließ. Ob es für die Entscheidung des Oberweseler Gerichts darauf ankam, dass ein Staber und kein Fürsprecher beteiligt war, ist unbekannt.28 Jedenfalls ist von einem Verfürsprechen29 und einer Verbotung30, den sonst üblichen Förmlichkeiten bei Prozesshandlungen des Fürsprechers, keine Rede. Ob in Oberwesel eine übermäßige Formstrenge herrschte und Erholung und Wandel nicht üblich war, lässt sich nicht klären, weil das Verhalten Volprechts nicht näher geschildert wird. Ob es sich um einen versuchten Meineid handelte, wie Jacob Grimm annahm31, ist ebenfalls unsicher. Falls Volprecht, wie zu vermuten steht, gar keinen Antrag auf Wiederholung des Eides stellte, erlaubt der Fall lediglich eine Schlussfolgerung: Wer in Oberwesel 1399 bei der Eidesleistung die Hand von der Reliquie nahm, konnte den Prozess verlieren.32 Wie der Ingelheimer Oberhof dies beurteilte, ist unbekannt, weil er nicht danach gefragt wurde. 2. Das Urteil von 1405 (Erler 812) In diesem Fall33 hatte Concze von Spansheim einen Eid leisten sollen. Er legte die Hand auf den Reliquienschrein und sprach die worthe gancz und hube 28 Zum Regress gegen den Fürsprecher M. Kulessa, Ladungsungehorsam und prozessuale Säumnis in den Urteilen des Ingelheimer Oberhofes, Diss. jur. Frankfurt a. M. 1964, S. 43, mit einem allerdings zweifelhaften Beleg. 29 Eindingen des Fürsprechers vor Gericht, hierzu Winterberg, Fürsprecher (Anm. 14), Sp. 1336; Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 69. 30 Zu dieser förmlichen Bekanntgabe einer Tatsache gegenüber dem Gericht P. Eigen, Die Verbotung in den Urteilen des Ingelheimer Oberhofes (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 6), Aalen 1966, insbes. S. 72 f.; Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 126 f. 31 Grimm, Rechtsaltertümer (Anm. 6), Bd. II, S. 559 f. (wegen der Bodmannschen Fälschung als Eltviller Urteil von 1373 bezeichnet). Grimm zitiert den Spruch unter der Überschrift „Meineid“ (S. 558) unmittelbar vor der Meineidsstrafe (S. 560). 32 Ob man zwangsläufig den Rechtsstreit verlor, ist ebenfalls unklar, weil die Quelle nichts dazu sagt, ob die Eidesformel vorzeitig abgebrochen wurde. Möglicherweise war die hohe Zahl der Zuschauer auch für die Entscheidung von Bedeutung.

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ee abe, dan in der schultheisse hiesse. Offenbar forderte üblicherweise der Schultheiß den Eidesleistenden auf, die Hand wieder von der Reliquie zu nehmen. Hier dagegen hatte Concze dies eigenmächtig getan. Das virbodte sowohl der Prozessgegner als auch der Schultheiß. Der Prozessgegner frohlockte sogar, dass er jetzt gewonnen habe. Der Ingelheimer Oberhof sah das aber anders. Denn wenn die Worte ganz gesprochen waren, dann sei der Eidesleistende weder seinem Gegner noch den Schultheißen, Herren, Amtleuten oder Schöffen etwas schuldig. Lediglich dem Schultheißen müsse er 20 Pfennige zahlen. In diesem Fall war zwischen den Prozessparteien streitig, ob aufgrund des Formfehlers das Verfahren entschieden war. Nach der Lehre von der Formstrenge müsste man das tatsächlich erwarten. Im Ergebnis kam es auf diesen Punkt aber nicht an. Für den Ausgang des Rechtsstreits, so sah es jedenfalls der Oberhof, war es gleichgültig, wann der Schwörende nach der Beendigung der Eidesformel die Hand vom Reliquienschrein nahm. Da der genaue Zeitpunkt nicht entscheidungserheblich war, kam es auf Erholung und Wandel nicht mehr an. Für den geringen Ordnungsverstoß musste der Eidesleistende lediglich eine kleine Geldbuße entrichten. Mit der Behauptung, das Spätmittelalter sei schreiend-exzentrisch und krankhaft formstreng gewesen34, muss man angesichts von Beispielen wie diesem vorsichtig sein. 3. Das Urteil von 1410 (Erler 1506) Am 9. Januar 1410 hatten die Ingelheimer Schöffen über eine Anfrage von Henne Ritters Witwe zu entscheiden.35 Die Beklagte sollte eine unschuld dun, stand auf und ging zum Reliquienschrein. Statt mit dem Eid zu beginnen, entspann sich allerdings ein Wortwechsel, denn die Klägerin meinte plötzlich, jetzt müsse Gott ein Erbarmen haben, damit die Gegnerin ihr Recht tun könne. Indes so hiess sie ire furspreche abeheben und wolden mit ir in daz urteil. des hube sie abe. Die Frau nahm also die Hand vom Reliquienschrein, nachdem der Fürsprecher ihr das geraten hatte. Die eidesfällige Gegnerin meinte nämlich, die Klägerin habe sie mit ihren Worten an ihrem Recht gehindert. Offenbar fühlte sich die Frau abgelenkt und war deshalb zu einer ordnungsgemäßen Eidesleistung nicht in der Lage. Der Ingelheimer Oberhof stellte klar, dass die Klägerin mit dem zitierten Satz die Beklagte nit gehindert habe. Ob der Prozess damit beendet war, ließ der Oberhof offen. Wenn Schultheiß oder Schöffen der Frau gesagt hatten, dass sie die Hand wieder erheben solle, sei die Beklagte unverlustig. Wenn aber der Fürsprecher ihr zum Abbruch der Eidesleistung geraten hatte, dann habe die Klägerin irfolget.36 33 34 35

Urteil Nr. 812 vom 24. Januar 1405, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, S. 61. Kaufmann, Formstrenge (Anm. 19), Sp. 1167. Urteil Nr. 1506 vom 9. Januar 1410, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, S. 173.

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Erneut steht man vor einer untypischen Situation. Falls das Gericht den Abbruch der Eidesleistung verfügt hatte, stellte sich das Regelungsproblem von vornherein nicht. Falls kein Meineidsverdacht bestand, konnte die Frau den Eid wiederholen.37 Wenn aber der Fürsprecher für den gescheiterten Eid verantwortlich war, handelte er freiwillig, und die Beklagte folgte ihm, ohne zu protestieren. Im Gegensatz zu den bei Erholung und Wandel diskutierten Fällen handelte es sich beim Abbruch der Eidesleistung nicht um ein Versehen. Der Fürsprecher war offenbar der Meinung, dass die Klägerin die Beweisaufnahme gestört hatte. Wenn die Klägerin mit ihrer spitzen Bemerkung Recht hatte, war die Beklagte im Begriff, einen Meineid zu leisten. Der Hinweis auf Gottes Erbarmen lässt sich jedenfalls so deuten, dass die Klägerin der Beklagten Furcht vor dem Eid einflößen wollte. Erfolgreich konnte dies nur sein, wenn sich die Klägerin ihrer Sache sicher, die Beklagte jedoch unsicher war. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder war es üblich, vor der Eidesleistung provozierende Bemerkungen zu machen. Dann lag in der Tat keine relevante Störung des Geschehens vor. Die Beklagte hätte dann schlichtweg den ihr auferlegten Eid nicht geleistet. Sie hätte die Prozesshandlung unterlassen, wobei im Urteil nicht von Säumnis gesprochen wird. Eine Korrektur war nicht möglich. Aber ein solcher Formalismus ist nicht auf das Mittelalter beschränkt. Auch im modernen Recht kann der Verstoß gegen Fristen prozessuale Nachteile nach sich ziehen.38 Im Übrigen wäre rein tatsächlich das Geschehen natürlich sehr unförmlich verlaufen, wenn die Klägerin der Beklagten einfach dazwischengeredet hätte. Falls es sich dagegen um eine außergewöhnliche Intervention der Klägerin handelte, wäre es viel verständlicher, dass der Fürsprecher sich gestört fühlte. In diesem Fall aber hätte die Aussage der Klägerin im Zusammenspiel mit dem Verhalten der Beklagten sogleich die Indizienlage verändert. Es ist denkbar, dass die Ingelheimer Schöffen davon ausgingen, dass die Beklagte tatsächlich ihre Unschuld nicht beeiden konnte, weil sie schuldig war. Dann wäre sowohl der Ausspruch der Klägerin inhaltlich zutreffend als auch die Reaktion des Fürsprechers angemessen gewesen. Denn dann hätte der Fürsprecher seine Mandantin von einem falschen Eid abgehalten. Die Entscheidung, die auf den ersten Blick ein klarer Beleg für die unerbittliche Formstrenge des Ingelheimer Rechts zu sein scheint, lässt sich also ebenso gut als antizipierte Beweiswürdigung einordnen. Dann hätte man es nicht mit einem Fall der Prozessgefahr, sondern mit einer gut verständlichen Indizienentscheidung zu tun, in der die Ingelheimer Schöffen das aus einem drohenden Meineid notwendigerweise folgende materiell falsche Urteil elegant abwenden konnten. Ob diese Deutung zutrifft, ist zweifelhaft. Eine Äußerung Jacob Grimms stützt diese Annahme, denn er 36 Zur Bedeutung von „erfolgen“ Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 13 f.; Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 167. 37 So auch Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 43, zu diesem Urteil. 38 Richtig erkannt von Kaufmann, Ein Mann (Anm. 11), S. 120.

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meinte, der mittelalterliche Richter hätte bei bevorstehendem Meineid der Partei sogar die Hand von der Reliquie wegziehen können.39 Der französische Jurist Pierre de Fontaines glaubte im 13. Jahrhundert fest daran, dass derjenige, der im Begriff sei, einen Meineid zu schwören, sich versprechen oder in anderer Weise irren werde.40 Brunner hatte wenig Verständnis für diese Haltung41, aber ohne Grund. Denn in einer Zeit, in der alle Verfahrensbeteiligten von der religiösen Funktion des Eides überzeugt waren, hatte eine derartige Prozessgefahr etwas besonders Nachvollziehbares. Gott verhinderte Meineide durch die Fehler der Eidesleistenden und gab dem Gericht zugleich einen unmissverständlichen Hinweis auf die materielle Wahrheit. Wenn die Parteien wie die Schöffen fest an diesen Zusammenhang glaubten, war es durchaus möglich, dass eine Partei, die scheinbar emotionslos daranging, einen Meineid zu leisten, im letzten Moment aus Angst vor Gottes Rache unsicher wurde und einen Fehler beging. Ein anderer Ingelheimer Fall von 1403 geht in dieselbe Richtung42: Der Beklagte hatte bereits seine Hände gewaschen und die Reliquie angefordert. Da legte er plötzlich ein Teilanerkenntnis ab. Hier zeigte das Anerkenntnis, dass der Beklagte zuvor einen Meineid schwören wollte. Von einem Irrtum oder Versprechen ist keine Rede. Er konnte seine Worte nicht wandeln, sein Teilanerkenntnis wurde verworfen. Das war möglicherweise hart für ihn. Aber der Kläger forderte weiterhin die ganze Summe, und es war gerichtsbekannt, dass der Beklagte bereits einmal gelogen hatte. Hier liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine antizipierte freie Beweiswürdigung vor. Dem Kläger, der sich ordnungsgemäß verhalten hatte, glaubte der Oberhof stärker als dem unzuverlässigen Beklagten. Wenn man ihn zu einem zweiten Reinigungseid zugelassen hätte, hätte er einen Meineid schwören und damit den Rechtsstreit ohne Korrekturmöglichkeit des Gerichts für sich entscheiden können.43 Dass er zu einem Meineid bereit gewesen war, stand seit seinem Anerkenntnis fest.44 Es ist daher 39

Grimm, Rechtsaltertümer (Anm. 6), Bd. II, S. 559. M. A. J. Marnier (Hg.), Le conseil de Pierre de Fontaines ou traité de l’ancienne jurisprudence française, Paris 1846, chap. V, § 7, S. 39: Cil qui faus essoine [Anm.: essoine = echte Not] met avant et le jure, il oste de lui l’aide de Dieu en sa querele, encore l’eust-il bone, et l’en voit-on molt sovent perdre ou par mesparler ou par autres errementz. 41 Brunner, Wort und Form (Anm. 13), S. 287. 42 Urteil Nr. 670 vom 25. Oktober 1403, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, S. 39. 43 In diesem Punkt zutreffend E.-G. Fröbel, Schadensersatzrecht in den Urteilen des Ingelheimer und des Neustädter Oberhofes, Diss. jur. Marburg 1973, S. 72: Der Beklagte durfte erst gar nicht den falschen Eid auf die volle Summe anbieten, sondern musste sich von vornherein auf den nicht anerkannten Teil beschränken. 44 Dieselbe prozessuale Situation begegnet einem in einem französischen Urteil von 1273. Der Beklagte bestritt zunächst, das streitige Kloster als Lehen erhalten zu haben. Später gab er zu, dass es ein Lehen sei, doch behauptete er, er habe es nicht vom Kläger, sondern von einem Dritten erhalten. Auch hier obsiegte der Kläger, vgl. Brunner, Wort und Form (Anm. 13), S. 283. 40

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konsequent, dass ein Teilanerkenntnis, das ohne vorherige Eidessituation auf einem gutlichen dag abgegeben wurde, zu beachten war.45 Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Man kann die Beispiele für den angeblich starren Formalismus auch anders interpretieren, als dies bisher geschehen ist. Immerhin wies bereits Rudolph von Jhering darauf hin, dass Form und Inhalt zusammengehören und der Verzicht auf eine notwendige Form zugleich den Verzicht auf den damit verbundenen Inhalt bedeuten kann.46 4. Das Urteil von 1410 (Erler 1568) In einer Entscheidung vom 8. Juli 1410 ging es um eine Anfrage von Concze Rucker.47 Sein Gegner sollte ihm eine unschuld dun, kam vor die heilgen, und der Fürsprecher verdingte ihn, die Hand auf den Reliquienschrein zu legen. Das tat der Gegner auch. Als aber der Kläger dem Beklagten das „Recht“ abnehmen wollte, sprach dieser den erstaunlichen Satz: „Das Korn steht auf dem Felde, man lässt mich nicht schwören.“ Daher kam es nicht zur Eidesleistung. Die Ingelheimer Schöffen urteilten, dass in diesem Fall Concze Rucker obsiegt habe, wenn das Untergericht entsprechend urteilen werde. Offenbar hatte hier nicht der Fürsprecher, sondern der Gegner selbst bewusst auf die Eidesleistung verzichtet. Erler vermutet, der Gegner habe vielleicht den Aberglauben gehabt, dass Schwören den Saaten schädlich sei.48 Weder das Gericht noch der Fürsprecher behinderten ihn, aber er verzichtete auf den Eid und fügte sich in den Prozessverlust. Kornblum hält das Urteil für einen Beleg dafür, dass das Ingelheimer Recht im Gegensatz zum sächsischen Rechtskreis nicht nur das Institut von Erholung und Wandel nicht gekannt habe, sondern sogar noch formstrenger gewesen sei.49 Für diese These ist der Prozess vom Juli 1410 aber ein denkbar schlechter Beleg. Erholung und Wandel, so jedenfalls die überkommene Auffassung, knüpfte immer an eine Handlung an, die eine Partei später wiederholen wollte, weil sie die negativen Konsequenzen fürchtete. Hier aber verzichtete der Prozessgegner freiwillig, wenn auch vielleicht aus psychischen Zwängen heraus, auf die Eidesleistung. Auch in einem gänzlich formfreien Recht verliert derjenige, der den geforderten Beweis bewusst verweigert, den Rechtsstreit. In der 45 Urteil Nr. 671 vom 25. Oktober 1403, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, S. 39 f.; hierzu Fröbel, Schadensersatzrecht (Anm. 43), S. 71. 46 R. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. II/2, 2. Aufl., Leipzig 1869, S. 457 f., S. 477. Im Umkehrschluss sehr ähnlich für das materielle Recht K.-P. Rotthaus, Redde und Schult in den Urteilen des Ingelheimer Oberhofes, Diss. jur. Frankfurt a. M. 1959, S. 34. 47 Urteil Nr. 1568 vom 8. Juli 1410, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, S. 181. 48 Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, Erläuterung zu Nr. 1568, S. 181. 49 Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 30.

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angeblichen Strenge dieses Urteils offenbart sich eine pure Selbstverständlichkeit. 5. Die Urteile vom Mai 1418 (Erler 2244–2246) In einem Prozess um Fassreifen50 sollte nach einem Urteil des Ingelheimer Oberhofs eine Partei der anderen daz recht dun. Gemeint war damit der Eid, dass sämtliche Fassreifen dem Kläger gehörten. Allerdings war der Kläger am Gerichtstag dem rechten nit nachgegangen in der masse daz czu hoffe gewist worden war. Jetzt wollte der Fragesteller wissen, ob der Kläger besser zu seinem Recht kommen könne. Der Oberhof sagte am 21. Mai 1418 neyn. Denn habe er sich gesumet, so habe er sich gesumet.51 Sowohl Erler als auch Gudian sind sich sicher, dass in diesem Fall der Eid misslungen war, weil der Fürsprecher das Eidesthema falsch formuliert hatte.52 Im Wortlaut der Quelle ist freilich weder vom Fürsprecher, vom Eid, vom Versprechen noch von Erholung und Wandel die Rede. Vom Verfürsprechen und der Verbotung, sonst wichtige Signalbegriffe, die die Einhaltung der Förmlichkeiten belegen, erfährt man kein Wort. Wenn die Vermutung Erlers und Gudians, die die Ingelheimer Quellen wie keine anderen kennen, dennoch zutreffen sollte, lassen sich daraus mehrere Schlussfolgerungen ziehen. Wenn jemand in der Sprache des Ingelheimer Oberhofs dem Recht nicht nachgegangen ist, wie es gewiesen war, hätte dies bedeutet, dass die Eidesleistung aufgrund eines falschen Eides des Fürsprechers misslungen war. Die Rechtsfolge überrascht, denn die Säumnis wäre nicht heilbar gewesen. Erholung und Wandel, die doch gerade die Formstrenge bei Fehlern des Fürsprechers abmildern sollten, wären nicht gewährt worden. Auf den ersten Blick scheint Kornblums These von der besonderen Strenge des Ingelheimer Rechts zuzutreffen.53 Dieser Befund ist nicht nur für den heutigen Betrachter erstaunlich. Auch die Beteiligten in Kreuznach scheinen unsicher gewesen zu sein, wie sie den Spruch verstehen sollten. Nur eine Woche später war nämlich Johann Merckel, der Bruder des Kreuznacher Klägers, mit drei Anfragen in Ingelheim, und auch Clas von Winczenheim und Clais Kangiesser richteten am selben Tag wegen dieser Sache zwei weitere Anfragen an den Oberhof. Der Bruder des Klägers 50

Urteil Nr. 2244 vom 21. Mai 1418, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 19. Zur mittelalterlichen Bedeutung von „sumen“, Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 9–13. 52 Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, Erläuterung zu Nr. 2244, S. 19; G. Gudian, Ingelheimer Recht im 15. Jahrhundert (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 10), Aalen 1968, S. 368, Fn. 12. 53 Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 30. 51

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vermutete offenbar, der Oberhof habe den Sachverhalt nicht richtig erfasst. In der Tat fehlt im ersten Urteil jeder Hinweis auf einen Fehler des Fürsprechers. Johann Merckel gestand unumwunden zu, sein Bruder habe sich an den Rechten gesäumt.54 Er wies nun aber darauf hin, dass sin fursprechir sich unde yn virfursprechet haben mit underdingen55, daz ime der scholtheiss auch gestee, und yn sin fursprech gesumet habe. Jetzt erst kam die Rede auf den Fürsprecher. Dieser sei verfürsprecht worden, das erkenne der Kreuznacher Gerichtsvorsitzende an, und der Fürsprecher habe sich gesäumt. Damit war der Ingelheimer Oberhof darüber informiert, dass es um ein Säumnis des Fürsprechers ging, der zuvor ordnungsgemäß eingedungen worden war. Ein Versprechen bei der Eidesformel wurde dagegen nicht erwähnt. Der Kläger ließ aber fragen, obe er dan nit wieder czu sime rechten moge kommen. Das war aber nicht der Fall. Der Oberhof bestätigte am 28. Mai 1418 seine Entscheidung aus der Vorwoche. Weil der Kläger die Worte des Fürsprechers selber nachgesprochen habe und zwar anders dan die scheffin czu hobe geholt unde usgesprochen haben, deswegen habe sich der Kläger selbst gesumet und könne nicht wieder zu sime rechten kommen. Erholung und Wandel wurden erneut versagt. Die Vermutung Winterbergs, das Verfürsprechen, also die Eindingung des Fürsprechers, habe immer die Befugnis zu Erholung und Wandel begründet56, trifft somit nicht zu. Der Hinweis, dass die Partei die Worte des Fürsprechers selbst nachgesprochen habe, kann man so verstehen, dass ab diesem Zeitpunkt eine Heilung des Fehlers nicht mehr möglich war. Wenn es sich hierbei um eine Rechtsgewohnheit handelte, würde dies bedeuten, dass immer dann, wenn eine Partei gegen die Worte des Fürsprechers nicht sofort protestierte, sondern sie wiederholte, Erholung und Wandel ausschieden.57 Dann wäre Kaufmanns Vergleich mit der vollmachtlosen Vertretung zutreffend. Denn wenn man die Erklärung des vollmachtlosen Vertreters genehmigt hat, wird sie dem Vertretenen zugerechnet, der sich von ihr nicht wieder lösen kann. Das Urteil lässt sich aber auch anders interpretieren. Es ist mit keinem Wort die Rede davon, dass der Fürsprecher sich versprochen habe. Von einem Formalismus, bei dem es darum ging, bestimmte Formeln wörtlich zu wiederholen, spricht die Quelle nicht. Wenn dieser Punkt streitentscheidend gewesen wäre, hätte der Gerichtsschreiber ihn erwähnen können, wie es in anderen Urteilen der Fall war. In diesem Fall ist es dagegen möglich, dass man es nicht mit einer rein formalen Eidesformel, sondern mit einer Art Tatsachenbeweis zu tun hat. Der Kläger war hier der Beweisführer, und es ging nicht um Leumund oder 54

Urteil Nr. 2245 vom 28. Mai 1418, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 19. Unverbindlicher Urteilsvorschlag, hierzu Gudian, Ingelheimer Recht (Anm. 52), S. 23. 56 Winterberg, Fürsprecher (Anm. 14), Sp. 1336. 57 So bereits Siegel, Erholung (Anm. 12), S. 15; Brunner, Wort und Form (Anm. 13), S. 377. 55

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soziale Integrität58, sondern um die Behauptung, dass alle streitbefangenen Reifen dem Eidesführer gehörten. Hierbei handelt es sich zwar um eine Rechtsbehauptung, die aber doch weit über die ebenfalls denkbare bloße Leumundserklärung hinausreicht, „im Recht“ zu sein. Das entspricht einer Beobachtung Kornblums, der meint, im Ingelheimer Recht betreffe der Beweis fast ausnahmslos Tatsachenbehauptungen oder Rechtsbehauptungen, die sich zumeist als juristisch gefärbte Tatsachenbehauptungen darstellten.59 Wenn jetzt der Kläger bzw. sein Fürsprecher nicht dem Recht nachging, ist es denkbar, dass er eine andere als die vom Gericht vorgegebene Tatsache bewies. Das vermutet offenbar auch Erler. Er geht davon aus, der Fürsprecher habe das Beweisthema falsch formuliert.60 In diesem Fall hat man gerade kein Beispiel für den angeblich übersteigerten Prozessformalismus des Spätmittelalters vor sich, sondern eine Beweislastentscheidung. Die entscheidungserhebliche Tatsache war vom Beweisführer nicht bewiesen worden, daher verlor er wegen eines materiell falschen Beweisthemas den Rechtsstreit. Diese Interpretation setzt voraus, dass der Ingelheimer Oberhof eine Beweiswürdigung vornahm, die über die Einhaltung von Formalien deutlich hinausging. Das nimmt Kornblum in der Tat an.61 Er betont zwar, immer dann, wenn eine Partei gegen eine zwingende Formvorschrift bei der Eidesleistung verstieß, habe sie den Rechtsstreit verloren. Bezeichnenderweise fehlen zur Untermauerung dieser Behauptung die Quellenbelege, die Kornblum doch bei der angeblichen Selbstverständlichkeit der Aussage zuhauf bieten können müsste. Außerdem kann der Kreuznacher Fall ohnehin nicht als Beleg für den Verstoß gegen eine Formvorschrift gewertet werden, weil man über die einzuhaltende Form nichts erfährt. Selbst im Innenverhältnis zwischen dem eidesleistenden Kläger und seinem Fürsprecher kam der Oberhof dem Kläger nicht zu Hilfe. Wenn der Fürsprecher nämlich zu den Heiligen schwöre, dass er dem Kläger die Worte ane alle geverde62 vorgesprochen habe, sei er ihm nichts schuldig, obwohl der Kläger zu groblichem schaden gekommen sei.63 Der Fürsprecher erhielt also die Möglichkeit, sich frei zu schwören. Geht man davon aus, dass in diesem Fall tatsächlich 58

Zu verschiedenen Kriterien, die im Beweisrecht berücksichtigt wurden, A. Ignor, Indiz und Integrität. Anmerkungen zum Gerichtsverfahren des Sachsenspiegels, in: R. Schmidt-Wiegand (Hg.), Text-Bild-Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels (Münstersche Mittelalter-Schriften 55/I), München 1986, S. 77–91, allerdings zum sächsischen Rechtskreis. 59 Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 18 f. 60 Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, Anmerkung zu Nr. 2244, S. 19. 61 Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 110–113. 62 Umfassend zur Gefährdeformel L. Fuhr, Zur Entstehung und rechtlichen Bedeutung der mittelalterlichen Formel „ane argeliste unde geverde“, Diss. jur. Frankfurt a. M. 1962. 63 Urteil Nr. 2245 vom 28. Mai 1418, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 20.

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ein falsches Beweisthema beeidet wurde, ist auch diese letzte Entscheidung verständlich. Denn ob der Kläger der Eigentümer der streitbefangenen Reifen war, wusste er selbst am besten und konnte sich in dieser materiellrechtlichen Frage nicht hinter seinem Fürsprecher verstecken. Ein Clais Kangiesser fragte im Interesse des Klägers nochmals in Ingelheim nach, ob der Kläger denn wenigstens einen neuen Fürsprecher bestellen dürfe, aber der Oberhof blieb hart. Seit dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger die Worte des Fürsprechers nachgesprochen habe, habe er den Eid anders geleistet, waz daz recht gewiset hait, so habe er sich gesumet.64 Auch in dieser Weisung fehlt ein klarer Hinweis darauf, dass der Fürsprecher sich lediglich versprochen habe. Die Signalbegriffe Erholung und Wandel fehlen in allen drei miteinander verbundenen Urteilen.65 Das Zwischenergebnis klingt erstaunlich. Wenn der Fürsprecher sich nicht versprochen, sondern zu einem anderen Beweisthema ausgesagt hat, ist die Ingelheimer Quelle kein Beleg für den angeblichen mittelalterlichen Prozessformalismus, sondern für die Erforschung der materiellen Wahrheit durch Beweiserhebung über vergangene Tatsachen. Für die Heilung der Beweisfälligkeit scheidet Erholung und Wandel sofort aus. Der Sache nach begehrte der Kläger eine neue Beweisaufnahme, aber aufgrund der Einstufigkeit des mittelalterlichen Verfahrens kam ein Rechtsmittelverfahren nicht in Betracht.66 6. Das Urteil vom 1. Juli 1427 (Erler 2402) In diesem Fall67 handelt es sich um eine Gerichtsanfrage der Schöffen von Rhaunen. Sie hatten in einem Erbrechtsstreit den Kläger gewiesen, dass er sieben Eide tun solle. Dieser hatte seinen Fürsprecher dabei, unde verfursprecht yn als recht were, unde virbote daz. Als der Kläger hinder die heilgen queme, fragte er das Gericht, wie er den Eid leisten solle, damit er sich nit sumpte. Jetzt gab ihm das Gericht die Formel vor. Er müsse schwören, dass er des blinden Peters nächster Erbe zu der Losung68 sei. Als es zur Eidesleistung kam, sprach der Fürsprecher die Worte aber anders vor. Er sagte nicht „nächster Erbe zu der Losung“, sondern „nächster Erbe, so wahr mir Gott helfe und die Heiligen“. Der Kläger sprach die falschen Worte nach. Das verbotete der Beklagte 64

Urteil Nr. 2246 vom 28. Mai 1418, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 20. Sie tauchen in anderen Urteilen auf, vgl. Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, Nr. 2402, S. 172. 66 Eine zweitinstanzliche Tätigkeit des Ingelheimer Oberhofes ist nicht belegbar, Gudian, Ingelheimer Recht (Anm. 52), S. 23. 67 Urteil Nr. 2402 vom 1. Juli 1427, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 171 f. 68 W. Ogris, Art. Erbenlosung, in: HRG (Anm. 5), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 957–958; zum Ingelheimer Erbrecht H. Bley, Das Erbrecht nach den Urteilen des Ingelheimer und des Neustadter Oberhofs, Diss. jur. Frankfurt a. M. 1977, insbes. S. 174–195; speziell zum Begriff „losung“, Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), Anhang S. 66. 65

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und frohlockte, jetzt habe sich der Kläger gesäumt.69 Die Parteien stritten über das Säumnisproblem, und die unschlüssigen Rhaunener Schöffen fragten nach einer kurzen, geheimen Beratung, ob sie den Parteien mitteilen sollten, wie in diesem Fall die Rechtslage sei. Beide bejahten dies, und so wandten sich die Schöffen mit der Bitte um Belehrung nach Ingelheim. Der Oberhof entschied: syt der czyt70 des clegers furspreche yn verfursprecht hat als recht ist unde daz auch verbot hat unde daz sumenisse an dem fursprechen gewest ist, so hat sich der cleger nit gesumpt. unde mag der cleger nu eynen andern fursprechen suchen, der ym inne den sachen sin worte duwe.

Diese Entscheidung unterscheidet sich bereits auf den ersten Blick von Kaufmanns Vorgaben. Zum Ersten geht es hier nicht um die Situation einer Vertretung ohne Vertretungsmacht. Der Kläger hatte nicht die Möglichkeit, die Worte des Fürsprechers entweder zu bestätigen oder zu verwerfen, denn er hatte sie bereits nachgesprochen. Verschärfend kam hinzu, dass der Kläger sieben Eide leisten musste. Im Ingelheimer Recht war dies der Ausweg für eine Partei ohne Zeugen bzw. Eideshelfer. Außer der Eidesformel musste der Kläger dann am Reliquienschrein in sechs weiteren Eiden schwören, dass der erste Eid war und gerecht sy ane alle geverde und argeliste.71 Wie man sich diesen sechs- bzw. siebenfachen Eid vorstellen soll, ist unbekannt. Da es sich aber um eine Ausnahme vom spätestens 1415 in Ingelheim anerkannten Beweis durch Wahrnehmungszeugen handelt und diese Ausnahme starke Anlehnung an einen Leumundseid besaß, ist von einer besonders starken Feierlichkeit der Situation auszugehen. Weil aber der erste Eid wegen des vom Fürsprecher in den Augen des Rhaunener Gerichts falsch vorgesagten Satzes misslungen war, waren die sechs Folgeeide ebenfalls falsch. Hier wahrte der Kläger offensichtlich zwar die Form, aber inhaltlich bestätigte er etwas Unzutreffendes. Sein erster Eid war eben gerade nicht wahr und gerecht, sondern fehlgeschlagen. Durch den sechs- bzw. siebenfachen Fehler hat man es mit einem besonders gravierenden Verstoß gegen die Vorgabe des Gerichts zu tun. Von einer Vertretung ohne Vertretungsmacht ist nichts zu erkennen. Der zweite Unterschied zu Kaufmanns Annahmen besteht in der vom Oberhof gestatteten Art der Erholung. Der Fürsprecher konnte seinen Fehler nämlich nicht wieder gutmachen, eventuell unter Zahlung der von Kaufmann erwähnten Prozessbuße, sondern er schied aus dem Verfah69 Zur Verwendung von gesumpt in diesem Urteil Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 11. 70 Zu solchen Einleitungen und ihrer Reichweite G. Gudian, Die Begründung in Schöffensprüchen des 14. und 15. Jahrhunderts. Ein Leitprinzip der Abfassung spätmittelalterlicher Schöffensprüche, Diss. jur. Frankfurt a. M. 1960, S. 45–54. 71 Urteil Nr. 2025 vom 26. September 1415, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. II, S. 257; hierzu Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 44; Fuhr, Entstehung (Anm. 62), S. 160; Beispiele aus dem sächsischen Rechtskreis bei J. W. Planck, Das Deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter. Nach dem Sachsenspiegel und den verwandten Rechtsquellen, Bd. II, Braunschweig 1879, S. 138.

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ren aus. Der Kläger konnte sich nur erholen, wenn er einen neuen Fürsprecher bestellte. Allerdings legte der Oberhof fest, dass die Säumnis beim ersten Fürsprecher und nicht beim Kläger gelegen habe. Daher wird man annehmen können, dass mögliche Säumnisfolgen den Fürsprecher trafen. Dazu sagt das Urteil jedoch nichts. Im Gegensatz zu 1418 (Erler 2244–2246) durfte der Kläger 1427 einen neuen Fürsprecher bestellen. Falls die Ingelheimer Rechtsgewohnheiten sich in diesem Zeitraum nicht radikal verändert hatten, musste es aus Sicht des Oberhofes einen Unterschied zwischen den Fallkonstellationen geben.72 Dabei fällt auf, dass 1418 der gescheiterte Eid ein Beweisthema betraf, das der Oberhof selbst vorgegeben hatte. 1427 hatte dagegen das Schöffengericht Rhaunen das Beweisthema formuliert. 1418 hatte man es mit nur einem Eid zu tun, 1427 gleich mit sieben Eiden. Möglicherweise kam es 1427 stärker auf den Wortlaut der Eidesleistung an, denn dieser wird vom Gerichtsschreiber mitgeteilt. 1418 ist der Wortlaut des Eides dagegen unbekannt. Dieser Unterschied kann auf einen Versprecher des Fürsprechers hindeuten. Es ist aber auch möglich, dass die ausführlichere Protokollierung der Ingelheimer Urteile ab 141973 das Bild verzerrt. Vielleicht legte man vor 1419 auf die wörtliche Protokollierung der Beweisthemen noch nicht so großen Wert. Es ist auch denkbar, dass gerade die ungewöhnliche Situation der sieben Eide zu einer ausführlichen Wiedergabe des Eides im Protokoll beitrug. Trotz dieser Unwägbarkeiten ist es vertretbar, den Fall von 1427 (Erler 2402) als Beispiel für Erholung und Wandel aufgrund eines Versprechens anzusehen.74 Wenn das so wäre, wäre freilich der Rechtsstreit von 1418 (Erler 2244–2246) gerade kein Anwendungsfall dieses Instituts. Damit erhärtet sich die Vermutung, dass es in dem Fall von 1418 nicht um einen Formfehler, sondern tatsächlich um ein falsches Beweisthema ging. Dass aber der andere Wortlaut beim Eid auf einem Versprechen beruhte, sagt die Quelle von 1427 nicht. Wie die Entscheidungen vom Mai 1418, so lässt sich auch das Urteil von 1427 ohne Rückgriff auf die Lehre vom spätmittelalterlichen Prozessformalismus deuten. Dadurch, dass der Fürsprecher und damit auch der Kläger die Worte „zu der Losung“ wegließ, änderte sich nicht nur der formale Wortlaut, sondern zugleich das Beweisthema. Der Kläger beeidete jetzt nicht, dass er der nächste Erbe zu der Erbenlosung sei, sondern allgemein, dass er der nächste Erbe sei. Möglicherweise ging es in dem Rechtsstreit aber gerade um ein Problem der Erbenlosung. Dann wäre der Kläger mit seinem Eid auch materiell be72 Genau anders Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 44: In der rechtlichen Beurteilung der Urteile 2246 und 2402 könne man keine Unterschiede sehen, daher habe sich 1427 die Abkehr von der Formstrenge vollzogen. 73 Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 17. 74 So auch Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 67, ohne nähere Begründung.

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weisfällig geblieben. Eine derartige Deutung darf man nicht von vornherein ausschließen. Weil man über die Beweggründe der Parteien nichts erfährt, darf man sich nicht darauf versteifen, dass der Fürsprecher aus Versehen drei Worte vergaß. Das wäre sogar erstaunlich, denn der Eid umfasste ja nur einen kurzen Halbsatz. Möglicherweise gehörte der Kläger tatsächlich nicht zur Erbenlosung des blinden Peters. Es ist denkbar, dass der Kläger der nächste Erbe war, ohne das Näherrecht zu genießen. Dann wäre sein Eid materiell richtig gewesen, er hätte aber auf die entscheidungserhebliche Frage nicht geantwortet. Durch die andere Formulierung der Eidesleistung bewahrte der Fürsprecher den Kläger vielleicht vor einer Falschaussage und damit vor einem Meineid und vor der Strafe Gottes. Ob diese Variante wahrscheinlich ist, ist unerheblich. Denkbar ist eine solche Lesart auf jeden Fall. Wenn eine Quelle aber so vielschichtig interpretierbar ist, sollte man eine Großtheorie wie die Lehre von der Prozessgefahr und von Erholung und Wandel nicht auf solche Beispiele stützen. Ohnehin lenkt die alleinige Fixierung auf die Worte „zu der Losung“ von einem zweiten Punkt ab. Der Fürsprecher und auch die Partei fügten nämlich außerdem die Worte „so wahr mir Gott helfe und die Heiligen“ zu der Eidesformel hinzu. Das wurde aber weder vom Beklagten noch von den Gerichten in Rhaunen und Ingelheim thematisiert. Die Abweichung von der Eidesformel in diesem Punkt scheint nicht problematisiert worden zu sein. Mit der Lehre vom Prozessformalismus ist das nicht zu erklären, denn die Weglassung von Worten bedeutete denselben Formverstoß wie die Hinzufügung von Worten.75 Bei der hier vorgeschlagenen materiellen, mehr tatsachenorientierten Interpretation ergibt sich zwanglos der Unterschied. Die Frage, ob der Kläger zur Erbenlosung gehörte, änderte das Beweisthema und konnte materiell entscheidungserheblich sein. Die Formel „so wahr mir Gott helfe“ war für die erbrechtliche Streitfrage ohne Belang. 7. Das Urteil vom 22. Juli 1427 (Erler 2405) In einem weiteren Urteil vom Juli 142776 ging es abermals um einen Erbschaftsstreit. Der Kläger meinte, er sei nester erbe eines verstorbenen Mannes, habe dies aber erst in jars frist in Erfahrung gebracht. Der Beklagte besitze die Erbmasse unrechtmäßig, und daz schade ym hundert gulden. Der Beklagte behauptete, seine Vorfahren hätten die fraglichen Gegenstände länger als 30 Jahre innegehabt, und er selbst habe sie mehr als 15 Jahre by siner elichen husfruwen ingehabt. Er hoffe und getraue, dass er den Besitz genießen und besser bei den Gütern bleiben solle. Der Kläger virboit daraufhin, dass der Beklagte für die 75 So in der Tat Brunner, Wort und Form (Anm. 13), S. 326, für das altfranzösische Recht: Die Hinzufügung nur eines Wortes führt zur Eidesfälligkeit. 76 Urteil Nr. 2405 vom 22. Juli 1427, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 175.

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100 Gulden Schaden keyne unschuld geboden habe, und meinte, deswegen stehe ihm diese Summe ohne weiteres zu. Der Beklagte betonte, syt der czyt er sich virfursprecht habe als recht sy, so sulle er der worte wandel han. Auf Anfrage der Schöffen von Kellenbach fällte der Ingelheimer Oberhof drei Urteile in dieser Sache. Im ersten Beweisurteil heißt es, wenn der Kläger mit gericht beweisen könne, dass er der rechtmäßige nächste Erbe sei, dann gehöre das Gut ihm. Könne er es aber nicht beweisen, dann stehe das Gut weiterhin dem Beklagten zu. Für diese Beweisführung erhielt der Kläger eine Frist czu drien vierczehen tagen. In der zweiten Entscheidung ging es um die Frage, ob dem Kläger von vornherein die 100 Gulden Schaden zustanden. Das war nicht der Fall: syt der czyt sich der, dem czugesprochen ist, virfursprecht hat als recht ist, als sie selbe bekennen, so hat der cleger die vorgeschrieben hundert gulden off ym nit erkobert. Die dritte Entscheidung stellt lediglich klar, dass derjenige, der in der Hauptsache unterlag, auch die Prozesskosten zu tragen hatte.77 Gudian hält dieses Urteil für einen Beweis dafür, dass im Ingelheimer Prozessformalismus jemand zum Schadensersatz verurteilt werden konnte, ohne dass es darauf angekommen sei, ob ein Anspruch überhaupt bestand.78 Diese Interpretation ist erstaunlich, denn im vorliegenden Fall war die Schadensersatzklage nicht erfolgreich, sondern gerade abgewiesen worden. Wenn überhaupt, dann beweist das Urteil lediglich, dass derjenige, der sich wie der Beklagte verhalten hatte, keinen Schadensersatz leisten musste. Diejenigen Quellen, die bestimmte Handlungen ausdrücklich für unschädlich erklären oder sich sogar über die Formstrenge dummer Leute lustig machen, sind seit Heinrich Siegel immer wieder als Beweis für den strengen Prozessformalismus angesehen worden. Das ist methodisch unzulässig.79 Denn dabei verdreht man die Quellenaussage in ihr genaues Gegenteil. So sagt Eike von Repgow im Sachsenspiegel: Ob die man sech wischet oder snûth oder spîet oder jeschet oder hûstet oder nûset oder stât in anderhalben sînes vorsprechen, den her zu dem êrsten têde, oder ob her sech umme sûth getzogenleke, oder ob her vlêgen oder mucken oder bromese von yme strîkt binnen lênrechte, dâ umme ne weddet her nicht, [al wênen iz dumme lûde]. 80

77 Zur Aufbürdung der Kosten auf die unterlegene Partei W. Sellert, Die Akzessorietät von Kostentragung und Prozeßerfolg. Ein historisches Problem von aktueller Bedeutung, in: H.-J. Becker/G. Dilcher/G. Gudian/E. Kaufmann/W. Sellert (Hg.), Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Festschrift für Adalbert Erler zum 70. Geburtstag, Aalen 1976, S. 509–537. 78 Gudian, Ingelheimer Recht (Anm. 52), S. 308; Fröbel, Schadensersatzrecht (Anm. 43), S. 71. 79 Zur Reichweite von Formvorschriften R. Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte. Theorie und Geschichte der Denkformen des Entstehens und Erlöschens von subjektiven Rechten und anderen Rechtsgebilden, Bern 1981, S. 56– 58, S. 323 f.

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Siegel meint, die Quelle beweise, dass jemand, der im Lehengericht Fliegen verscheuche oder eine andere aufgezählte Handlung begehe, gegen die peinlichen und kleinlichen Verbote verstoße und auf diese Weise die Prozessgefahr sich verwirkliche.81 Das genaue Gegenteil trifft zu. Die genannten Handlungen waren für Eike völlig belanglos. Wer die Nase putzte oder ähnliches, sollte gerade nicht einer Prozessgefahr ausgesetzt sein.82 Im Übrigen spricht die Quelle nicht einmal von einem Prozessverlust, sondern lediglich von einer Wette, einer kleinen Ungehorsamsbuße an das Gericht. Aber selbst die brauchte man nicht zu zahlen. Jetzt scheint freilich die traditionelle Auffassung aus dem letzten Halbsatz die Existenz der von Eike kritisierten Formstrenge herauszulesen. Nur dumme Leute, so meint er, achteten auf so etwas. Aber diesen Halbsatz darf man nicht überbewerten. Er fehlt in drei Handschriften83 und kann also nicht zentral gewesen sein. Dieses Argument ist besonders gewichtig, weil die drei Handschriften aus Quedlinburg, Nürnberg und Mainz zu der ältesten Überlieferung, der sog. ersten deutschen Fassung, gehören.84 Das Problem kann hier nur angedeutet werden. Die Prozessgefahr im sächsischen Rechtskreis stellt sich jedenfalls beim ersten Blick in die Quellen längst nicht so eindeutig dar, wie bisher vermutet. Ob das Ingelheimer Urteil (Erler 2405) für eine so weitgehende Deutung taugt, wie Gudian sie vorschlägt, ist zudem aus einem anderen Grund fraglich. Gudian stützt sich auf ein älteres Urteil von 1399. Dort hatte ein Kläger behauptet, einen Schaden erlitten zu haben, und der Ingelheimer Oberhof wies den Beklagten an, vor Gericht zu sprechen: wez er dich darubir schulde, daz syst du unschuldig.85 In der Tat finden sich in den Einlassungen der Beklagten in den Ingelheimer Protokollierungen sehr häufig die Wendungen, „er sei des Schadens unschuldig, der hundert Gulden unschuldig“ oder ähnlich.86 Gudian meint, bei dieser Formel habe es sich um ein „wirkliches Muss“ gehandelt, 80 Ssp., Lhnr. 68, 7, bei K. A. Eckhardt, Sachsenspiegel Land- und Lehnrecht (Monumenta Germaniae Historica. Fontes iuris Germanici antiqui N.S. 1), Hannover 1933, S. 224. 81 Siegel, Gefahr (Anm. 12), S. 1, mit Verweis auf die Sachsenspiegel-Stelle S. 23, Fn. 68. – Ebenso argumentiert Brunner, Wort und Form (Anm. 13), S. 276, für das altfranzösische Recht. Wenn es in einer Quelle heißt non observata illa dura consuetudine, qui cadat a sillaba, cadat a tota causa, schließt Brunner daraus, dass derjenige verliere, der gegen die Form verstoße, der Gegner aber siege. Dabei verwirft die Quelle gerade diese überharte Gewohnheit. 82 Sellert, Gewohnheit (Anm. 14), S. 42, findet das zutreffende Ergebnis, sieht in der Stelle aber gleichwohl einen Beweis für den überhand nehmenden Prozessformalismus. 83 Eckhardt, Sachsenspiegel (Anm. 80), S. 224, Anm. 259/9. 84 Ebd., Einleitung, S. XV; Übersicht über die Handschriftengruppe bei U.-D. Oppitz, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. I: Beschreibung der Rechtsbücher, Köln u. a. 1990, S. 22 f. 85 Urteil Nr. 46 vom 14. Februar 1399, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. I, S. 65.

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diese Worte habe man vor Gericht zwingend benutzen müssen. Wenn es sich in dem Urteil von 1399 wirklich um eine Formel handelt, die der Beklagte schwören sollte, trifft Gudians Annahme zu. Allerdings sagt das Urteil von 1399 nichts darüber, was geschehen sollte, wenn diese Worte nicht gesprochen werden.87 Mit diesem Problem hatte es der Oberhof erst 1427 zu tun. Die Antwort ist verblüffend. Dass der Beklagte diese Worte nicht sprach, hatte schlichtweg keine negativen Konsequenzen. Gudians Auffassung, an der Ingelheimer Entscheidung lasse sich der strenge Prozessformalismus erkennen, beruht vermutlich darauf, dass in der zugrunde liegenden Schöffengerichtsverhandlung in Kellenbach ein Fürsprecher beteiligt gewesen war. Der Fürsprecher war ordnungsgemäß verfürsprecht worden, und ab diesem Zeitpunkt, so meinte der Beklagte, solle er der Worte Wandel haben. Das Signalwort wandel taucht in der Quelle auf. Die Ingelheimer Entscheidung wiederholte in diesem Punkt nahezu wörtlich die Rechtsmeinung des Beklagten. Seit dem Zeitpunkt, in dem er sich verfürsprecht hatte, wie es Recht war, hatte der Kläger die 100 Gulden nicht gewonnen. Eine Gegenprobe erlaubt das Urteil freilich nicht. Ob der Beklagte die 100 Gulden hätte zahlen müssen, wenn er keinen Fürsprecher gehabt hätte, ist denkbar, aber nicht zu beweisen. In der Rechtsfolge widerspricht die Entscheidung erneut den traditionellen Anschauungen. Erholung und Wandel fanden nämlich nicht statt.88 Der Beklagte beantragte zwar ausdrücklich den Wandel, aber mit keinem Wort ist die Rede davon, dass er die Beteuerung seiner Unschuld nachholen dürfe, geschweige denn müsse. Eine Wiederholung der fehlerhaften Verteidigung, die der Beklagte anstrebte, war für den Ingelheimer Oberhof gar nicht notwendig. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stand fest, dass der Kläger die 100 Gulden nicht gewonnen hatte. Für den Ausgang des Rechtsstreits, so kann man diesen Teil der Entscheidung interpretieren, kam es auf die formale Beteuerung der Unschuld nicht an. Wenn es in Ingelheim in diesem Fall Erholung und Wandel nicht gab, so lag dies im Gegensatz zu Kornblum nicht an der besonders starren Formstrenge, sondern an der erstaunlich geringen Formstrenge.89

86 Zahlreiche Belegstellen bei Gudian, Ingelheimer Recht (Anm. 52), S. 256, Fn. 30–34. 87 Das ist genau der Umkehrschluss, mit dem Gmür, Rechtswirkungsdenken (Anm. 79), S. 57, S. 323, sich beschäftigt. Das Problem erkannte bereits Brunner, Wort und Form (Anm. 13), S. 305, löste es aber entgegengesetzt. 88 Unzutreffend Zwerenz, Rechtswortschatz (Anm. 8), S. 67, der ohne Begründung das Gegenteil behauptet. 89 An versteckter Stelle bestätigt Eigen, Verbotung (Anm. 30), S. 73, diese Auffassung. Er hält den Streit um die häufigen Verbotungen zwar für einen Beweis für die strenge rechtliche Wirkung der verboteten Vorgänge, betont aber zugleich, ansonsten sei der Wortformalismus in Ingelheim nicht sehr ausgeprägt gewesen; im Ergebnis ähnlich Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 69 f.

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Wie bei den bisher überprüften Entscheidungen lässt sich auch dieses Urteil ohne Rückgriff auf die Lehre von der Formstrenge verstehen. Im ersten Teil der Weisung geht es ausschließlich um eine für die materiellrechtliche Entscheidung notwendige Beweisführung. Entscheidungserheblich war die Frage, ob der Kläger der nächste Erbe des Verstorbenen war oder nicht. Das hat mit Prozessformalismus nichts zu tun. Im zweiten Teil des Tenors wird sodann der darüber hinaus vom Kläger geforderte Schadensersatz von 100 Gulden abgewiesen. Lässt man den angeblichen Formalismus beiseite, ist zu erwägen, ob für den Ingelheimer Oberhof der Vortrag des Klägers in diesem Punkt nicht zu unsubstantiiert war. Wie Kornblum beobachtete, kannte der Ingelheimer Rechtskreis offenbar eine Substantiierungspflicht des Klägers gegenüber dem Beklagten im Hinblick auf die Klagebehauptung.90 Und wenn das Unschuldseidangebot dahingehend gelautet habe, jemand biete eine Unschuld an, dann handele es sich um eine zusammenfassende Abkürzung des Gerichtsschreibers, die über das Beweisthema keine genauen Angaben mache.91 Es ist also gut möglich, dass der Klagevortrag bezogen auf den angeblich erlittenen Schaden von 100 Gulden nicht substantiiert genug war. Immerhin finden sich in der Protokollierung keine konkreten Angaben zum Schaden. Eine unsubstantiierte Klage ist aber unschlüssig. Deswegen ist es denkbar, dass der Kläger mit seiner Forderung abgewiesen wurde, obwohl der Beklagte darauf gar nicht antwortete. In diesem Fall ist auch verständlich, warum der Beklagte die Unschuld nicht beteuern musste, warum es also nicht zu Erholung und Wandel kam. Denn bei einer unsubstantiierten Klage ist die Sache entscheidungsreif, auch ohne dass der Beklagte sich darauf einlässt. Das klingt alles sehr modern und wenig mittelalterlich. Aber das Ergebnis bleibt auch hier stimmig. Die Oberhofurteile, die angeblich die spätmittelalterliche Formstrenge demonstrieren, lassen sich auch hier wieder ohne jeden Rückgriff auf diese Lehre nachvollziehen. 8. Das Urteil von 1430/31 (Erler III Beilage 1) In einer berühmten undatierten Entscheidung von 1430/3192 hat man es mit einer kuriosen Situation zu tun. Ein Henne Becker sollte in Rümmelsheim zu siner unschuld gene. Sein Fürsprecher geleitete ihn zu den heilgen, und dort sprach Henne Becker die Worte nach, die der Fürsprecher ihm vorsagte. Von der Verfürsprechung ist in der Quelle im Gegensatz zu sonstigen Protokollierungen nicht die Rede. Als das Schöffengericht gefragt wurde, ob Henne sin recht getan habe, do spreche daz gericht, nein. Weswegen das Recht nicht getan wurde, ist der Quelle nicht zu entnehmen. Vierzehn Tage später erschien Henne 90 91 92

Kornblum, Beweisrecht (Anm. 24), S. 17. Ebd., S. 19. Urteil Beilage I von 1430/31, bei Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, S. 282.

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weisungsgemäß mit einem neuen Fürsprecher, der ihn wiederum zu den heilgen geleitete. Abermals sprach Henne die Worte des Fürsprechers nach, und abermals erklärte das Gericht, dass er sein Recht nicht getan habe. Da bat der Fürsprecher von sinen wegen, das Gericht möge ihn bescheiden, wie er doch sagen sulte. Das Gericht beschied den Fürsprecher, und Henne sprach dessen Wort erneut nach. Auf die Frage, ob er jetzt sein Recht getan habe, antwortete das Gericht abermals nein, er hette me worte zugelacht, mit namen: ane geverde und argelist. Der Prozessgegner verbote das und fragte, was er jetzt zu genießen habe. Das Wort Säumnis, das man erwarten würde, taucht an dieser Stelle nicht auf. Der Fürsprecher meinte, er hoffte unde getruwe, syt der zyd er die hende noch uff den heilgen ligen hette, waz er dan nit getan hette, daz sulde er noch dun unde zu sime rechten komen. Das Rümmelsheimer Gericht wiederholte wörtlich den Ausspruch des Fürsprechers und entschied zugunsten von Henne. Ab dem Augenblick, als Henne die Hände auf dem Reliquienschrein hatte, könne er dasjenige, was er zunächst nicht getan habe, noch tun. Der Signalbegriff Wandel, der in anderen Quellen auftaucht, fehlt bemerkenswerterweise. Da die Schöffen aber in dieser Sache nit wyse genug waren, wandten sie sich nach Ingelheim. Jetzt ging es das erste Mal um Säumnis. Die Ingelheimer Schöffen sollten nämlich beantworten, ob Henne sich mit den zusätzlich gesprochenen Worten gesäumt oder dem Recht Genüge getan habe. Der Oberhof urteilte: wer eyme eyn recht dun sal, daz man allewege die worte „ane alle geverde und argeliste“ zulegen sal. Die Quelle ist in der Literatur oft erwähnt worden, galt aufgrund einer Fälschung F. J. Bodmanns aber lange als Urteil des Eltviller Oberhofes von 1373.93 Schon Siegel hielt den Fall für ganz besonders lehrreich und bemerkte die kaltblütige Gemessenheit des Ortsgerichts.94 Kaufmann sah 1961 in dem Fall ein Beispiel für den Formalismus alten Stils und vermutete, die Mundfaulheit des Untergerichts könne auf der magischen Formstrenge beruhen. Da der Eid mit Magie zu tun habe, gebe es eben keine Notwendigkeit, etwas rational zu erklären.95 1967 betonte Kaufmann, dass die Partei ihren Eid in Rümmelsheim habe wiederholen dürfen, sei ihr durch das Recht auf Erholung und Wandel ermöglicht worden.96 Leider raubt aber Kaufmann dem Fall seine Pointe. Denn nach der zweiten Eidesleistung hatte der zweite Fürsprecher das Gericht ausdrücklich gefragt, was er sagen solle, und dennoch waren die Schöffen beim dritten Mal wieder unzufrieden. Warum die ersten beiden Eidesleistungen misslangen, geht aus dem Urteil nicht hervor. Es liegt freilich die Vermutung nahe, 93 Zu den Bodmannschen Fälschungen A. Erler, Ingelheimer Urteile als Vorlagen F. J. Bodmanns, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 77 (1960), S. 345–350. 94 Siegel, Gefahr (Anm. 12), S. 10 f. 95 Kaufmann, Ein Mann (Anm. 11), S. 122. 96 Kaufmann, Erholung (Anm. 9), Sp. 1003.

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dass die beiden Fürsprecher in den Augen des Gerichts ebenfalls die falschen Worte benutzt hatten. Man kann daher davon ausgehen, dass der zweite Fürsprecher bei der dritten Eidesleistung aufmerksam die Worte des Rümmelsheimer Schöffen wiederholte. Das scheint auch der Fall gewesen zu sein, denn im Gegensatz zu dem Fall aus Rhaunen von 1418 (Erler 2402) ließ er keine Worte weg, sondern fügte lediglich eigene hinzu. Es ist nur schwer vorstellbar, dass es sich hierbei um ein Versehen, um einen Versprecher gehandelt haben sollte. Es spricht eine gewisse Plausibilität dafür, dass der Fürsprecher die Worte ane alle geverde und argeliste entweder für einen selbstverständlichen Bestandteil des Eides hielt oder ihnen eine so große inhaltliche Bedeutung zumaß, dass er sie unbedingt in den Eid integrieren wollte. Davon scheint auch Erler auszugehen, der annimmt, dass das Ringen um die Gefährdeformel ein Zeichen für die Stärke ihres Rechtsgehalts sei.97 Geht man hiervon aus, so hat man es nicht mit einem Irrtum oder Versehen des Fürsprechers zu tun, sondern mit zwei gegensätzlichen Rechtsansichten.98 Es spricht viel dafür, dass die zweite Eidesleistung genau deswegen scheiterte, weil der Fürsprecher auch dort die Gefährdeformel benutzte. Weswegen der erste Eid misslang, ist unklar. Aber wenn der Prozessgegner lakonisch aufzählte, Henne Becker habe ein male, zwey male, dru male sein Recht nicht getan, ist es gut möglich, dass auch beim ersten Versuch die Gefährdeformel umstritten war. Man hat es vermutlich mit einem Fürsprecher zu tun, der bewusst eine Eidesformel sprach, die nicht wortidentisch mit der Vorgabe der Schöffen war. Ein Versehen ist bei dieser kuriosen Fallgestaltung sehr unwahrscheinlich. Als dann der Prozessverlust drohte, machte der Fürsprecher einen Rückzieher: Er hoffe, er könne die Prozesshandlung noch einmal vornehmen. Das klingt nach Erholung und Wandel, obwohl genau diese Worte nicht auftauchen. Der Ingelheimer Oberhof jedenfalls erkannte Henne Erholung und Wandel nicht zu, weil sie in den Augen der Ingelheimer Schöffen nicht nötig waren. Dem Fürsprecher, so lautete wohl die Überlegung des Oberhofes, war gar kein Fehler unterlaufen, denn er hatte den richtigen Eid vorgesprochen. Wenn es darum geht, ein Recht zu tun, solle man allewege die Gefährdeformel benutzen. Auf den ersten Blick scheint der Ingelheimer Oberhof hier selbst Formvorschriften aufzustellen. Die Eidesformel sollten die Parteien zukünftig wohl wörtlich benutzen. So sieht Fuhr in diesem Urteil einen Beleg dafür, dass die Gefährdeeide allmählich vor Gericht häufiger geworden seien.99 Aber wie in den früheren Beispielen ist die Reichweite des Urteils mit diesem Befund bei weitem nicht ausgeschöpft. Zunächst einmal stellte der Oberhof klar, dass eine Wiederholung der Eidesleistung, obwohl der Fürsprecher sie be97

Erler, Urteile (Anm. 25), Bd. III, Anmerkung zu Beilage I, S. 283. Kulessa, Ladungsungehorsam (Anm. 28), S. 65, behandelt lediglich die mangelnde Rechtskenntnis einer Partei, nicht aber die Überlegenheit über das Untergericht. 99 Fuhr, Entstehung (Anm. 62), S. 161. 98

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antragt hatte, nicht in Frage kam. Zum zweiten hatte für den Ingelheimer Oberhof ein Eid auch dann Erfolg, wenn die Eidesformel bewusst von der Vorgabe des Gerichts abwich, nämlich dann, wenn der Fürsprecher bessere Rechtskenntnisse besaß als das Untergericht. Geht man davon aus, dass der Gefährdeeid die in der Literatur vermutete starke inhaltliche Bedeutung besaß, ging es auch nicht nur um bestimmte Worthülsen, sondern um das juristisch zutreffende Eidesthema. Wichtiger als die Wiederholung der Wörter war die Benutzung der juristisch richtigen Wörter. Möglicherweise zeigt sich hier ein juristischer Qualitätsunterschied zwischen dem Ingelheimer Oberhof und dem anfragenden Ortsgericht. Die Rümmelsheimer Schöffen versuchten, das Problem möglicherweise mit Erholung und Wandel in den Griff zu bekommen. Wie die dreifache Wiederholung derselben Eidesleistung deutlich zeigt, versagte dieses Verfahren allerdings, wenn nicht Flüchtigkeitsfehler, sondern unterschiedliche Rechtsauffassungen aufeinander trafen. Der Oberhof dagegen löste den Fall, ohne die untergerichtliche Formstrenge durch Erholung und Wandel abzufedern. Er erklärte nämlich die geleistete Eidesformel kurzerhand für richtig. Der Umkehrschluss ist erneut unzulässig. Wenn der Fürsprecher in Rümmelsheim die Worte der Schöffen ohne den Zusatz wiederholt hätte, ist keine Aussage darüber möglich, ob er dann den Prozess hätte verlieren müssen. Ob also der Ingelheimer Oberhof das „Recht tun“ immer dann für erfolglos hielt, wenn die Gefährdeformel fehlte, bleibt unklar. Jedenfalls steht auch in diesem Fall die Formstrenge auf sehr wackeligen Beinen. Modern gesprochen hat man es nicht mit dem Problem von Erholung und Wandel, sondern mit einer Revision zu tun. Das Untergericht und der Fürsprecher stritten um die zutreffende rechtliche Würdigung der Eidesformel. Da die untergerichtliche Entscheidung mit Underdinge, also nur vorläufig, gefällt worden war, blieb die formale Einstufigkeit des Verfahrens gewahrt.100 9. Das Urteil von 1442 (Loersch Nr. 90) In einem Urteil vom 11. Juni 1442101 ging es um einen Kaufvertrag über Schweine, die durch Gottesheller102 und Weinkauf103 verkauft worden waren. Von den drei Beteiligten war einer lantrumig, und niemand wusste, wo er lebte. Die beiden anderen führten in Essenheim den Rechtsstreit. Im Gespräch der Parteien verlangte Hentis Hennen die Schweine heraus, Smidt meinte, es sulle 100

Hierzu Gudian, Ingelheimer Recht (Anm. 52), S. 23. Urteil Nr. 90 vom 11. Juni 1442, bei H. Loersch, Der Ingelheimer Oberhof, Bonn 1885, S. 145 f. 102 W. Sellert, Art. Gottespfennig, Gottesheller, in: HRG (Anm. 5), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1766–1769. 103 M. G. Fischer, Art. Weinkauf, in: HRG (Anm. 5), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 1234– 1235. 101

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in nit irren. Da antwortete Smidt dorch sinen verdingkten fursprechen, der Smidt wolle den Hentis Henne nicht irren an seinem Kauf. Das verbot der Hentis Henne. Jetzt aber war der Smidt hinder sich gangen mit sime fursprechen und hait sich beraden. Smidt kam zurück zur Verhandlung und hait den fursprechen widderufen. Sofort allerdings hatte er den Fürsprecher widder zu eime fursprechen geheuschen. Smidt erklärte, er hoffe, es solle ihm keinen unstaden nit brengen, er habe den Fürsprecher nit also heissen sagen, dwile er verdingt ist. Und hait sich der furspreche anderwerbe104 verdingt. Als wäre nichts geschehen, geht die Fallerzählung einfach weiter. Hentis Henne fragte jetzt, ob das Vieh nicht bei ihm bleiben solle, und das Gericht beschied, ja, es solle so lange bei ihm bleiben, bis ein Oberhofurteil vorliege. In der Tat fällte der Ingelheimer Oberhof vier Entscheidungen in dieser Sache, die vor allem Haftungsfragen betrafen.105 Die Episode zwischen Smidt und seinem Fürsprecher taucht weder in der Anfrage des Essenheimer Gerichts noch in den Ingelheimer Weisungen auf. Ganz offenkundig war dieses Geschehen nicht entscheidungserheblich. Im Rechtsgespräch zwischen den Parteien hatte Smidts Fürsprecher etwas gesagt, wozu Smidt ihn nicht beauftragt hatte. Ohne jedes Problem konnte Smidt die Äußerung widerrufen und der Fürsprecher eine neue Aussage machen. Hierbei scheint es sich nur insofern um etwas Ungewöhnliches gehandelt zu haben, als der Schreiber diese Begebenheit überhaupt festhielt. Aber weder der Prozessgegner noch das Essenheimer Gericht gingen auf diesen Vorgang ein. Die Prozessgefahr, wenn der Fürsprecher eine ungünstige Aussage getätigt hatte, gab es schlichtweg nicht. Weder von Säumnis noch von Wandel ist in der Quelle die Rede. Ob es in irgendeiner Weise darauf ankam, dass Smidt die Worte des Fürsprechers nicht nachgesprochen, sondern nach kurzer Beratungspause widerrufen hatte, erfährt man nicht. Gerade weil der Gegner die erste Aussage des Fürsprechers verbotet hatte, wäre hier Protest denkbar gewesen.106 Aber Hentis Henne schwieg. Wenn man es hier mit Erholung und Wandel zu tun hat, mag man diesen Vorgang so nennen. Aber weil die Quelle keinerlei Hinweis auf die Prozessgefahr und angebliche Formstrenge gibt, sind Erholung und Wandel ohne weitere Bedeutung. Dass man in einem Rechtsgespräch eine Aussage ändern kann, scheint 1442 in Essenheim selbstverständlich gewesen zu sein. Da sich der Ingelheimer Oberhof zu diesem Punkt nicht äußerte, lassen sich weitergehende Schlüsse für das Ingelheimer Recht nicht ziehen.

104 Anderwerbe = zum zweiten Mal, vgl. Lexer, Handwörterbuch (Anm. 27), Bd. III, Sp. 695. 105 Gudian, Ingelheimer Recht (Anm. 52), S. 330 f. 106 Zur prozesstaktischen Funktion der Verbotung Eigen, Verbotung (Anm. 30), S. 73.

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IV. Ergebnis Die Überprüfung der Ingelheimer Oberhofurteile zum Problemkreis Erholung und Wandel ergibt folgenden Befund. Mindestens neun Prozesse aus den von Loersch und Erler edierten Quellen kommen für eine nähere Auswertung in Frage. Die früheste Entscheidung stammt von 1399, die späteste von 1442. In der frühesten Entscheidung verlor in Oberwesel eine Partei einen Rechtsstreit, nachdem der Staber ihre Hand bei der Eidesleistung vom Reliquienschrein genommen hatte. Das die unterliegende Seite eine Wiederholung der Eidesleistung, also in der traditionellen Terminologie Erholung und Wandel, versucht hatte, ist eher unwahrscheinlich. In der spätesten Entscheidung konnte eine Partei in Essenheim 1442 eine Aussage eines Fürsprechers, der sie nicht zustimmte, ohne weiteres zurücknehmen. Von Formstrenge war in diesem Fall nichts zu spüren. In sieben Prozessen zwischen 1405 und 1430/31 äußerte sich der Ingelheimer Oberhof selbst zu dieser Problematik. In allen Fällen ist es möglich, die Entscheidung auch ohne Rückgriff auf die angebliche spätmittelalterliche Formstrenge und ihre Korrektur durch Erholung und Wandel nachzuvollziehen. Auch die überkommene Auffassung, Erholung und Wandel habe es im Ingelheimer Recht nicht gegeben, weil der Oberhof noch formalistischer gewesen sei als die Gerichte im sächsischen Rechtskreis, lässt sich so nicht halten. Die materielle Wahrheitsfindung, die Suche nach dem entscheidungserheblichen Beweisthema, der Konflikt um verschiedene Rechtsmeinungen im Streit von Fürsprecher und Untergericht, die Obliegenheit zur Substantiierung deuten darauf hin, dass es in den einschlägigen Fällen um weit mehr ging als um inhaltsleeren Prozessformalismus. Von der traditionellen Lehre von der Formstrenge und von Erholung und Wandel bleibt jedenfalls in Ingelheim nicht viel übrig.107 Will man nicht in den Fehler der älteren Forschung verfallen und ein einheitliches deutsches Recht konstruieren, so ist es erforderlich, auf die begrenzte Reichweite des Ergebnisses hinzuweisen. Die Untersuchung hat lediglich für den Ingelheimer Rechtskreis quellengestützte Ergebnisse erbracht. Wenn man auch nicht im Überschwang Erlers von den Ingelheimer Urteilen als der bedeutendsten Erkenntnisquelle für das deutsche Recht im Spätmittelalter sprechen muss108, ist damit gleichwohl für einen wichtigen Rechtskreis die bisherige Auffassung erschüttert. Ob die Ingelheimer Quellen für das Mittelalter typisch oder untypisch sind109, ist bei dem jetzigen Forschungsstand unklar. Es ist 107 Eine erstaunliche Parallele scheint es im materiellen Recht zu geben. In Ingelheim wurden offenbar auch formlose Verträge als klagbar angesehen, hierzu Rotthaus, Redde und Schult (Anm. 46), S. 33 f. 108 Erler, Ingelheimer Oberhof (Anm. 20), S. 174. 109 J. Weitzel, Gewohnheitsrecht und fränkisch-deutsches Gerichtsverfahren, in: G. Dilcher/H. Lück/R. Schulze/E. Wadle/J. Weitzel/U. Wolter (Hg.), Gewohnheitsrecht

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durchaus denkbar, dass andere mittelalterliche Rechte dieselben Regelungsprobleme anders lösten. Möglicherweise war das sächsische Recht tatsächlich formstrenger.110 Allerdings taugt gerade die berühmte Stelle aus dem Sachsenspiegel Lehnrecht nicht dazu, die Lehre von der Formstrenge weiterhin unverändert zu vertreten. Die gesamte Thematik bedarf dringend genauerer Erforschung. Summary “Erholung und Wandel” are well known institutes in late medieval Germany’s legal procedure. According to a traditional point of view, one could lose a trial by a slip of the tongue or a wrong posture of the head due to the strong formalism of medieval German law. In situations like these “Erholung und Wandel” would have served the parties as a remedy. Under certain circumstances the party would have been allowed to repeat an action of legal procedure. However, taking a look at the decisions of the high court of Ingelheim (Ingelheimer Oberhof), leads to a different conclusion. In seven decisions from between 1405 and 1430/31 the lay judges considered the aspect of a breach of the form and possible legal consequences. But in none of these cases is the doctrine of “Erholung und Wandel” necessary to explain or understand the court’s reasoning. The complete lack of “Erholung und Wandel” in Ingelheim also cannot be explained by the assertion that the Ingelheim judges had been even more formalistic than the ones of Saxony, where “Erholung und Wandel” definitely existed. Taking a closer look at the legal discussion between lay court and solicitor as well as the duty to make substantial allegations of facts indicates that trials like these were fairly complex and by no means of a merely formal character. At least at Ingelheim, no traces of the traditional theory of a strong formalism and remedies against it (“Erholung und Wandel”) are to be found. At the moment it is impossible to say whether Ingelheim is typical for late medieval procedure or not. Perhaps other customary laws provided a much more formal solution for the same problem. In the future the whole subject needs more diligent research. und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6), Berlin 1992, S. 67–86, S. 84, hält die Ingelheimer Urteile zumindest für die Frage nach einem „Rechtssystem“ im Mittelalter für untypisch. Da die Urteile aber als Beispiele für Formstrenge oft zitiert werden, scheint man sie in dieser Hinsicht eher für typisch anzusehen. 110 Darauf deutet Ssp., Ldr. I, 60, 1 hin, bei Eckhardt, Sachsenspiegel (Anm. 80): Sunder vorsprechen mût wol clagen der man unde antworden, ob her sich schaden trôsten wil, der ime dar ane bejegenen mach, ob her sich virspricht, des her sich nicht irhalen ne mach, alse her bî deme vorsprechen wol mût, die wîle her an sîn wort nicht jêt. Sellert, Gewohnheit (Anm. 14), S. 42, ist sich sicher, dass durch diese Regel der übertriebene Formalismus sogar noch verschärft werden sollte.

Sprachformeln und Fachsprache Zur kommunikativen Funktion verschiedener Sprachmodi im vormodernen Gerichtswesen Von Franz-Josef Arlinghaus I. Einleitung Im Folgenden werden die vor Gericht benutzten Sprachmodi hinsichtlich ihrer Bedeutung und Leistungsfähigkeit für die Kommunikation über den Rechtsstreit beleuchtet. Dabei stehen nicht so sehr die verschiedenen Semantiken, sondern die – sich wandelnden – Sprachformen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Äquivalente und Unterschiede zwischen der spätmittelalterlichen formelhaften Gerichtssprache und der frühneuzeitlichen Gelehrtensprache gilt es herauszuarbeiten. Kurz gesagt und um es vorwegzunehmen geht es darum, den Beitrag der jeweiligen Sprachform zur Markierung des Rechtsdiskurses auszuleuchten. Postuliert wird, dass es solcher sprachlichen Mittel bedurfte, um in einem noch nicht ausdifferenzierten Rechtssystem eine gewisse Diskursautonomie herzustellen. Auf der Basis der Ordnung des Kölner Hochgerichts1 aus dem 14. Jahrhundert soll der Kommunikationsstruktur des mittelalterlichen Verfahrens nachgegangen werden. Die in sieben Handschriften des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts überlieferte Ordnung diente dem Gericht wohl als eine Art „Handbuch“; Benutzerspuren weisen zudem darauf hin, dass der Text stark in Gebrauch genommen wurde.2 Ausführlich geschildert wird das Verfahren um „Totschlag, offene Wunden, Quetschungen und Beleidigungen“, wie es gleich zu Beginn heißt.3 Interessant ist die Quelle nicht nur deshalb, weil sie den Ver1 Zur Geschichte des Kölner Hochgerichts vgl. umfassend D. Strauch, Das Hohe Weltliche Gericht zu Köln, in: D. Laum/A. Klein/D. Strauch (Hg.), Rheinische Justiz, Geschichte und Gegenwart. 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, Köln 1994, S. 743– 831. 2 W. Stein, Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, 2 Bde. (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 10), Bd. 1, Bonn 1893, ND Düsseldorf 1993, Nr. 318, S. 575 ff., führt die Überlieferung an und druckt drei Varianten des Textes. Benutzerspuren zeigen vor allem die Handschriften E und F; siehe dazu die Anmerkungen unter dieser Textvariante, ebd., S. 599 ff.

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fahrensablauf schildert, sondern weil sie Formulierungen für die mündlichen Einlassungen der Parteien bzw. Vorsprecher mitteilt. II. Sprachformeln, Wiederholungen und dialogische Struktur des Verfahrens: Das Kölner Hochgericht im 14. Jahrhundert Nur knapp muss auf den Ablauf der Verhandlung eingegangen werden, der mehr oder weniger dem aus anderen Quellen und der Literatur bekannten Hergang entspricht.4 Der Kläger wird von einem Schöffen in das Gericht geführt, wobei letzterer dreifach „waiffen“ zu rufen hatte. Es handelt sich um das so genannte „Gerüfte“, mit dem schon der Sachsenspiegel eine Klage auf handhafte Tat beginnen lässt.5 Kurz danach verlangt der Kläger, ihm einen Fürsprecher zu geben. Bekanntlich ist der Fürsprecher im deutschrechtlichen Verfahren „Mund der Partei“, d.h. er spricht für den Kläger oder Angeklagten. Erforderlich ist dies deshalb, weil eine durch die Partei vorgetragene falsche Behauptung oder auch nur Formulierung vor Gericht zum Prozessverlust führen konnte. Äußert sich dagegen der Fürsprecher an Stelle der Betroffenen, war „Erholung und Wandlung“ des Gesagten möglich. D.h. gegen die Entrichtung einer Geldbuße konnte man die falschen Formulierungen korrigieren. Hatte sich die Partei einen Fürsprecher genommen, so durfte sie sich selbst im Gericht nur noch mit „Ja“ oder „Nein“ dazu äußern, ob sie dem vom Fürsprecher Vorgetragenen zustimmte.6 Um den

3 Hier und im Folgenden beziehe ich mich auf den von Stein als Variante 1 (Handschriften A, B und D) edierten Text, ebd., Nr. 318, S. 576 ff. 4 Ausführlichst: J. W. v. Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter nach dem Sachsenspiegel und den verwandten Rechtsquellen, 2 Bde., Bd. 1, Braunschweig 1878, ND Hildesheim 1973, S. 155 ff., besonders S. 304 ff.; G. Landwehr, „Urteilfragen“ und „Urteilfinden“ nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 96 (1979), S. 1–37, S. 1 ff.; A. Ignor, Indiz und Integrität. Anmerkungen zum Gerichtsverfahren des Sachsenspiegels, in: R. Schmidt-Wiegand (Hg.), TextBild-Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, Bd. I: Textband (Münstersche Mittelalter-Schriften 55/I), München 1986, S. 77–91, S. 77 ff. 5 Zusammenstellung der Textstellen bei Planck, Gerichtsverfahren (Anm. 4), Bd. 1, S. 759 ff. Ähnlich beginnt man auch in Volkach noch Ende des 15. Jahrhunderts die Klage, W. Schild (Hg.), Die Halsgerichtsordnung der Stadt Volkach aus 1504 (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg o. d. T. 2), Rothenburg o. d. T. 1997, S. 18. 6 „Offenbar [,öffentlich‘] sal der man vor gerichte nicht sprechin, sint he vorsprechen hat. Vragit en aber der richter, ab he an sins vorsprechen wort je, he mag wol sprechen jo oder nein oder gespreches bitte.“, Ssp., Ldr. I, 62, zitiert nach der online verfügbaren Wolfenbütteler Handschrift www.sachsenspiegel-online.de.

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Fürsprecher zu instruieren, konnte sie ihm zuflüstern, oder aber beide verließen während der Verhandlung kurzzeitig das Gericht.7 Dem Formalismus, dem das Institut des Fürsprechers seine Existenz verdankt, begegnet man m. E. in drei Ausprägungen. Erstens: Bei bestimmten Rechtsakten wird verlangt, dass bestimmte Formulierungen exakt so gesprochen werden, wie sie vorgegeben sind, sonst war der Akt nicht gültig. Das ist etwa beim Eid der Fall. Zweitens: Im Gericht war nicht der Sinn einer Äußerung der Bezugspunkt für das Agieren des Richters, der Urteiler und der Gegenpartei, sondern der Wortlaut des Gesprochenen. Bietet etwa der Kläger an, etwas mit fünf Zeugen belegen zu können, kann aber dann nur vier beibringen, hat er seine Behauptung nicht bewiesen. Neben diesen beiden Varianten gibt es drittens Formerfordernisse, die wichtig sind, bei denen jedoch nicht immer eindeutig geklärt werden kann, ob eine Verletzung sofort drastische Rechtsfolgen nach sich zog. So macht die Kölner Quelle detaillierte Angaben darüber, mit welchen Worten der Vorsprecher seine Einlassungen vorzutragen hatte. In der Tat besteht ein Großteil des Textes aus Formulierungsvorgaben, die zudem notwendige Abweichungen berücksichtigen, wenn sich an der Sachlage etwas änderte. So bietet die Quelle drei verschiedene Varianten des Klagebeginns, je nachdem, ob der Fürsprecher für die Frau des Erschlagenen, seinen Bruder oder einen Vormund das Wort spricht. Varianten der vom Fürsprecher zu sprechenden Klageeinleitung bei Totschlag, abgestimmt auf das Verhältnis der Partei zum Toten, wie sie die Kölner Hochgerichtsordnung vorgibt: 1. „Ind is eyn man doit bleven ind is syn wijff cleigerse, so spricht der vurspreecher: ,Her greve [= Richter], hie steit Drude, vurmùnderse Johans yrs wissligen mans, die da schijnbar doit lach.‘“ 2. „Is id syn broider, so spricht der vurspreecher: ,Hie steit Johan, vurmunder N., syns wisligen broiders, die da schijnbar doit lag.‘“ 3. „In is, dat dis cleiger de clage in hant setzt eyme anderen, so spricht der vurspreecher alsus: ,Hie steit N., vurmunder Druden van Johans clagen, yrs wissligen mans, die da schijnbar doit lach [. . .], ind clait uch van luden, da hee waende haven bestonde bynnen deser stat, da he durch reicht vrede in Gnade waende haven, ind wart an yem gebroichen der goitzvrede, burchvrede, kur, blijchende dait ind offen wonden ind doitslach; des qwam man ind zoynte syne noit; man voir dar ind besach syne noit ind die wonde wart gesyen ind wart yem offen gedeilt ind doitslach; ind da man eyn luyt mit scheffenurdell ind die clage wart in hant gesat zo urdell, ast gewoenlich is; dis qwam sij mit yrme waiffengeschrey, as sij van reichte soulde, inde deide des yren eydt, nyeman unschuldich darinzoleigen, ind noempt uch eynen Johan hantdedich, ind is hude syn yerste dach, ind bidt daaff gerichtz.‘ “8 7

Planck, Gerichtsverfahren (Anm. 4), Bd. 1, S. 211 und S. 217. Stein, Akten (Anm. 2), Bd. 1, Nr. 318, Variante 1, S. 577 (Hervorhebung vom Verf.). Die Nürnbergische Halsgerichtsordnung (um 1300) ist weniger ausführlich und 8

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Auch wenn der Text eine andere Wortwahl nicht explizit sanktioniert sehen will, so muss man im Anschluss an Max Weber den Formulierungsvorschlägen doch quasi normativen Status zubilligen. Weber hatte bereits festgestellt, dass „[s]chon die bloße Tatsache der regelmäßigen Wiederkehr von Vorgängen [diesen] [. . .] äußerst leicht zur Dignität von etwas normativ Gebotenem“ verhilft.9 Während man also durchaus verschiedene Ausprägungen des Formalismus zu differenzieren hat, dürften in der alltäglichen Rechtspraxis diese Unterscheidungen eine zumindest untergeordnete Rolle gespielt haben. In noch stärkerem Maße als bisher angenommen schränkt dies die Möglichkeit der freien, ungebundenen Rede vor Gericht ein.10 Ein weiteres Merkmal der Einlassungen der Fürsprecher war, dass sie immer wieder den bisherigen Verfahrensgang knapp zusammenfassend schilderten. Schon der erste Wortbeitrag des Fürsprechers in der Kölner Hochgerichtsordnung gibt über weite Strecken lediglich wieder, was bisher geschah. Ich paraphrasiere die in der obigen Quelle in 3. kursiv gesetzte Passage: Der Kläger sei zum Gericht gekommen und habe das Verbrechen angezeigt, daraufhin sei die Wunde examiniert und auf Totschlag erkannt worden, man sei dann mit dem Gerüfte, wie es rechtlich geboten sei, zu Gericht gekommen usw. Solche Zusammenfassungen, die immer wieder Bestandteil der Einlassungen der Fürsprecher waren, führten zu doppelten Redundanzen: einmal auf der inhaltlichen Ebene. Erzählt wird, was nicht lange zurückliegt und jedem bekannt ist. Dann auf der sprachlichen. Was schon einmal formuliert wurde, wird erneut zu Gehör gebracht. Bevor jedoch auf die Funktion und Wirkung solcher Wiederholungen näher eingegangen wird, sei ein letzter Punkt angesprochen.

gibt keine Varianten, macht aber gleichwohl Redevorschläge für den Fürsprecher, W. Ebel, Alte deutsche Gerichtsformeln, Göttingen 1981, Nr. 29, S. 91 ff. 9 „Schon die bloße Eingeübtheit der gewohnten Art des Handelns [. . .] wirkt [. . .] im ganzen stärker auf den Fortbestand auch einer durch Satzung entstandenen [. . .] Rechtsordnung als die Reflexion auf die zu gewärtigenden Zwangsmittel [. . .]“ und „[s]chon die bloße Tatsache der regelmäßigen Wiederkehr von Vorgängen [. . .] verhilft diesen Vorgängen äußerst leicht zur Dignität von etwas normativ Gebotenem“, M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundrisse der verstehenden Soziologie, hg. von J. Winckelmann, 5. Aufl., Tübingen 1980, S. 192. Vgl. dazu W. Sellert, Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes Recht, in: H. Duchhardt/G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln 1997, S. 29–47, S. 30 ff. 10 Das widerspricht nur scheinbar der von Peter Oestmann in diesem Band herauspräparierten fehlenden Ahndung oder Nichtberücksichtigung von Formverletzungen bei Urteilen des Ingelheimer Oberhofes. Vielmehr ergänzen sich seine Beobachtungen und die hier mit Weber postulierte Auffassung, dass die Formstrenge sich nicht oder nicht allein aus der Sanktionierung durch Gerichte speiste, sondern auch aus mündlich oder schriftlich tradierten Redevorgaben, von denen gar nicht klar ist, ob sie strafbewährt waren, denen aber gleichwohl normativer Charakter zukam.

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Die Sprachformeln sind in einen Kommunikationszusammenhang eingebettet, der eine komplexe, dialogische Struktur aufwies, die wiederum stark formalisiert war. Nahezu jede Einlassung endete mit einer Urteilsfrage an den Richter bzw. die Schöffen. Die Fragen bezogen sich nur zu einem kleinen Teil auf das materiell Strittige. Vielmehr wurden so vor allem die nächsten Schritte des Verfahrens festgelegt. So hatten die Schöffen darüber zu urteilen, ob der Prozess zu eröffnen war, ob sich die Partei einen Fürsprecher nehmen konnte, ob ein neuer Termin anzuberaumen war etc.11 Das ganze Verfahren schreitet von Urteil zu Urteil fort. Bemerkenswert an diesem Frage-und-Antwort-Spiel ist, dass es sich im Kern um einen Dialog zwischen Fürsprecher und Richter handelte, diese Dialogpartner aber eigentlich nur als Mittler fungierten. Wie bereits gesagt, spricht der Fürsprecher nur das aus, was die Partei ihm außerhalb des Gerichts zu sagen aufgetragen hatte. Aber auch dem Richter kam primär eine Relaisfunktion zu. Er ist es, der letztlich das Urteil von den Schöffen erfragte (obwohl sie die Frage ja bereits vom Fürsprecher gehört hatten) und deren Antwort im Gericht verkündete, und dies nicht nur einmal am Ende des Verfahrens, sondern fortlaufend während der Verhandlung.12 III. Funktionen des Formalismus: Zwei Thesen Der „geradezu skurril“13 anmutende Formalismus ist natürlich nicht unbemerkt geblieben. So hat schon Ekkehard Kaufmann die vom Gemeinten unabhängige, unmittelbare Wirkung des Gesprochenen als „Wortmagie“ bezeichnet und darauf verwiesen, dass solche Vorstellungen wohl allen früheren Religionen eigen sind.14 Wolfgang Sellert zieht Parallelen zwischen dem mittelalterlichen Gerichtsverfahren und der Wirkung des gesprochenen Wortes bei der kirchli11 So in der Hochgerichtsordnung, Stein, Akten (Anm. 2), Bd. 1, Nr. 318, Variante 1, S. 576 ff. Ausführlich dazu die in Anm. 4 gegebene Literatur. 12 Noch deutlicher als bei der Kölner Hochgerichtsordnung tritt dies in der Nürnbergischen Halsgerichtsordnung hervor. So etwa an der Stelle, an der der Kläger den Dieb, der die Tat abstreitet, überführen will. Deshalb fragt „dez clagers furspreche [. . .]: Nu fraget, her Rihter, wie er ez nu bringen sulle? Dez sol der Rihter die Scheppfen fragen. Die suln ertailen: Der clager sulle es bringen mit seinem aide und mit sehs unverworfen mannen zu im. So daz ertailt wirt, so sol der fürsprecher sprechen: Her Rihter, nu fraget, wenne er daz tun sulle? Dez sol der Rihter fragen die Scheppfen. [. . .]“, Ebel, Gerichtsformeln (Anm. 8), Nr. 29, S. 91 ff., Zitat S. 93. 13 So Ignor, Indiz und Integrität (Anm. 4), S. 77. 14 „Die Wortmagie, d.h. die zwingende, verändernde, bewegende oder auch hemmende und bannende Macht des Wortes, ist eine wohl allen frühen Religionen gemeinsame Vorstellung. Um aber dem Wort jene magische Funktion zu verleihen, bedarf es der Form. Nur die richtige Zauberformel ist wirksam, jedes Versprechen, jede Ungenauigkeit ist schädlich“, E. Kaufmann, Deutsches Recht. Die Grundlagen, Berlin 1984, S. 70. Die Formstrenge, die Kaufmann vornehmlich für ein spätmittelalterliches Phänomen hält, wird von ihm insgesamt äußerst negativ beurteilt. Er hält sie für eine „Verkrampfung“ und eine „krankhafte Erscheinung der Zeit“ (= des Spätmittelalters),

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chen Sakramentsspende. Hier wie dort entfalte sich die Wirkung von Sprache und Gesten vornehmlich durch die exakte Einhaltung der „Wort- und Sachformen“.15 Diese Verweise auf Vorstellungswelten oder religiöse Anschauungen sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Solch allgemeine Begründungen lassen jedoch sehr viel Spielraum für eine konkrete Ausformung des Verfahrens. D.h. man könnte erwarten, dass sich auf der Basis allgemeiner religiöser Vorstellungen ganz heterogene Prozessabläufe finden ließen. Soweit sich sehen lässt, scheinen die anhand der Kölner Quelle aufgezeigten Grundstrukturen jedoch über einen relativ langen Zeitraum und in einem recht großen Gebiet nachweisbar. Vermutet werden kann daher, dass diese spezifischen Formen auch eine spezifische Leistung für das Gerichtswesen erbrachten und sie im gesellschaftlichen Kontext der Zeit nur schlecht gegen andere austauschbar gewesen wären. Die folgenden Thesen sollen die Verfahrensform und ihre spezifische Leistung für die Streitbearbeitung näher zusammenführen: 1. Für das Gerichtswesen einer Gesellschaft, die noch kein voll ausdifferenziertes Rechtssystem kennt, ist es erforderlich, den Rechtsdiskurs permanent und während er stattfand als distinkt zu markieren. Formalisiertes Sprechen ist hierzu in besonderer Weise geeignet. 2. Die Bearbeitung von Konflikten ist in einer Gesellschaft, die überwiegend auf face-to-face-Kommunikation abstellt, mit dem Risiko einer raschen, unvorhersehbaren Eskalation verhaftet. Die analysierten Kommunikationsformen scheinen in besonderer Weise geeignet, dem vorzubauen. Zunächst zur ersten These: Der Institutionalisierungsgrad mittelalterlicher Gerichte war im Vergleich zu heute äußerst gering. Dazu nur einige Stichpunkte: Richter und Schöffen übten ihre Tätigkeit bekanntlich „nebenberuflich“ aus. In den Städten des deutschsprachigen Raumes verfügten die Gerichte in der Regel nicht über ein eigenes Gebäude oder einen eigenen Amtsraum, sondern tagten im Freien. Aber selbst dort, wo – wie dies beim Kölner Hochgericht der Fall war – eigene Räumlichkeiten zur Verfügung standen, wurden sie nicht mit dem Gericht identifiziert. Man ging nicht in den Gerichtssaal, sondern „in die Bänke“. Meist musste jedoch am Gerichtstag erst eigens das Mobiliar aufgestellt werden, wie z. B. in Herford, wo man vor der Sitzung Tische und Bänke heranholte.16

ders., Art. Formstrenge, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1167. 15 Sellert, Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual (Anm. 9), S. 35. 16 F.-J. Arlinghaus, Raumkonzeptionen der spätmittelalterlichen Stadt. Zur Verortung von Gericht, Kanzlei und Archiv im Stadtraum, in: B. Fritzsche/M. Stercken/H. J. Gilomen (Hg.), Städteplanung – Planungsstädte (Veröffentlichung des Schweizeri-

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Der knappen Betrachtung der institutionellen Verortung des Gerichts kommt jedoch nur Hinweischarakter zu. Denn das eigentliche Kriterium für ein voll ausdifferenziertes Rechtssystem ist, ob es Anforderungen oder Irritationen aus seiner Umwelt nach eigenen Kriterien selektiert und nach eigenen Unterscheidungen verarbeitet oder nicht.17 Für das Rechtssystem der Vormoderne lässt sich sagen, dass ethische, politische und natürlich religiöse Vorstellungen sowie vor allem soziale Gegebenheiten in unmittelbarer Weise auf das Gerichtswesen durchschlugen.18 Das aber führt dazu, dass im aktuellen Vollzug des Rechts, am Tag der Verhandlung, ganz andere Mechanismen der Markierung und Abgrenzung des Gerichts erforderlich wurden als heute. Wilhelm Ebel hat das schon klar gesehen. „In der archaischen Epoche unseres Rechts“, so Ebel, „gab es ohne Formalismus gar kein Recht; er schied das Rechtsgeschäft vom formlosen bloßen Gespräch, auch wenn dieses auf Rechtswirkung gerichtet war.“19 Damit ist zugleich gesagt, dass hier nicht ein einmaliger ritueller Akt, wie er zu Beginn des Gerichtstages etwa in der Hegung begegnet20, genügt hätte. Vielmehr war fortlaufend, während die Kommunikation stattfand, kenntlich zu machen, dass es sich um einen Rechtsdiskurs handelte. Dies nicht etwa deshalb, weil die Menschen nach der Hegung gleich vergessen hätten, dass sie einer Gerichtssitzung beiwohnten. Sondern es ging darum, sicherzustellen, dass der Diskurs während des Gerichtstages als Rechtsdiskurs geführt wurde und sich vom Alltagsdiskurs abgrenzte. Die Vorgabe von zu sprechenden Formulierungen, deren falscher Gebrauch in unterschiedlicher Weise strafbewährt war, ist dazu zwar nicht das einzige21, schen Arbeitskreises für Stadtgeschichte anlässlich der Tagung vom 11.–12. Juni 2004 in Zürich), Zürich 2005 (im Druck). 17 Grundlegend N. Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 7. Aufl., Frankfurt a. M. 1999, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1984, S. 34 ff. Eine Diskussion des Ansatzes und weitere Literatur bei F.-J. Arlinghaus, Mittelalterliche Rituale in systemtheoretischer Perspektive. Übergangsriten als basale Kommunikationsform in einer stratifikatorisch-segmentären Gesellschaft, in: F. Becker (Hg.), Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien (Historische Studien 37), Frankfurt a. M. 2004, S. 108–156, S. 113 ff. 18 Das Recht bleibt „eingebettet in allgemeine gesellschaftliche Ordnungen, bleibt abhängig von Strukturen, die auch anderen Funktionen dienen (zum Beispiel der Familie, zum Beispiel einer religiös gedeckten Moral), und es bleibt vor allem mitbestimmt durch die gesellschaftliche Stratifikation [. . .]“, N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1997. 19 W. Ebel, Recht und Form. Vom Stilwandel im deutschen Recht (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart 449), Tübingen 1975, S. 16. 20 Einen immer noch nützlichen Überblick gibt K. Burchardt, Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte, Leipzig 1893. 21 Zu denken ist hier an das gesamte Ensemble von Gesten, Posituren und Positionierungen im Raum, wie sie in den Gerichtsordnungen als Vorschriften immer wieder begegnen.

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aber sicherlich ein geeignetes und konkretes Mittel. In der Rede den bisherigen Verfahrensablauf zu wiederholen, Redundanzen in den Dialog einzubauen, bedeutet dann nicht so sehr eine Erinnerung an das Geschehen, sondern ein Festklopfen des Diskurses, weil schon die Art der Wiederholung selbst ein unalltägliches Sprechen darstellt. Mehr noch: Die Wiederholung braucht sich tendenziell auf nichts weiter zu beziehen als auf das, was sie wiederholt.22 In dieser Selbstbezüglichkeit schließt sie den Diskurs nach außen ab, vermag ihn ein gutes Stück weit zu autonomisieren – aber eben nur, solange die Kommunikation läuft. Der Literaturwissenschaftler Ludger Lieb, der sich bei seiner Analyse von Minnereden mit dem Phänomen der Wiederholung auseinandersetzte, formuliert wie folgt: „Wiederholung ist Resultat kultureller Arbeit, die [. . .] darauf verwendet wird, gegen die Kontingenz der Welt einen autonomen Kommunikationsraum zu schaffen, in dem alles (mehr oder weniger) erwartbar, verlässlich und eben: wiederholbar ist.“23 Ist die Wiederholung als Form im Mittelalter auch ubiquär, so ist es eben charakteristisch, dass sie für jeden Diskurs mit je eigenen Inhalten, Formulierungen und spezifischen Formen gefüllt werden kann. Zur Erläuterung der zweiten These, die bestimmte Kommunikationsformen als Mittel interpretiert, Eskalationen während der Konfliktbearbeitung vor Gericht zu begegnen, zunächst ein konkreter Fall: Der Kölner Coengyn Radboide beleidigte während eines Prozesses den Gewaltrichter Dederich van Moelenhem. U. a. ließ er verlauten, man werde bald einen ehrenhaften Mann als meineidigen Bösewicht entlarven. Der Rat bestellte daraufhin beide mit ihren Zeugen zu sich. Coengyn erschien nun „mit eyme groisse houf voulcks, lichte 50 of 60 manne“ vor dem Rathaus. Damit nicht genug, forderte er alle Umstehenden, die zu ihm hielten, auf, sich ihm anzuschließen.24 Der Vorfall ereignete sich im Juli 1397, also nicht einmal ein Jahr, nachdem man in Köln die alte Geschlechterherrschaft gestürzt und einen stark auf die Zünfte gestützten Rat installiert hatte. Eine höchst brisante Situation also, und man darf als Hintergrund eine Mischung aus persönlichen und politischen Motiven annehmen.25 Festzuhalten ist jedoch, dass der Streit seinen Ausgangspunkt 22 Formulierung und Gedankengang lehnen sich an an L. Lieb, Eine Poetik der Wiederholung. Regeln und Funktion der Minnerede, in: U. Peters (Hg.), Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150–1450, Stuttgart u. a. 2001, S. 506–528, S. 520. 23 Ebd., S. 520. 24 „[. . .] wer mit mir he is, de trede her by mich [. . .]“, L. Ennen/G. Eckertz (Hg.), Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, 6 Bde., Bd. 6, Köln 1879, ND Aalen 1970, Nr. 349, S. 41, 24.07.1397; M. Huiskes (Hg.), Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1320–1550, Bd. 1: Die Ratsmemoriale und ergänzende Überlieferung 1320–1543 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 65), Düsseldorf 1990, Nr. 1397/08, S. 41, 24.07.1397. 25 Dederich van Moelenhem, Mitglied der Goldschmiedezunft, stand dem neuen Regiment nahe. Ob Coengyn Radboide mit der alten Geschlechterherrschaft sympathisierte, lässt sich nur vermuten. Er war allerdings sehr begütert, vgl. K. Militzer, Ursa-

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in einer Gerichtsverhandlung nahm. Zur Eskalation beigetragen hat sicherlich die auf genossenschaftlichen Personenverbänden basierende Struktur der städtischen Gesellschaft: Man hatte sich mit dem bedrängten Familien- oder Zunftmitglied zu solidarisieren. Die wesentlichere Ursache ist jedoch in der ganz auf unmittelbaren Kontakt und mündliche Verhandlung setzenden Konfliktbearbeitung zu sehen. Natürlich sind Eskalationen immer möglich, wenn zwei im Konflikt befindliche Parteien aufeinander treffen. Aber natürlich gibt es auch Möglichkeiten, die Kommunikationssituation so zu strukturieren, dass Eskalationen, trotz face-toface-Kontakt, weniger wahrscheinlich werden. Wenn man die Einlassungen der direkt Betroffenen während der Verhandlung darauf reduziert, dem Vortrag ihrer Fürsprecher zuzustimmen oder selbigen abzulehnen, wenn sie sich dazu lediglich mit „Ja“ und „Nein“ äußern können, dann sind sie nur noch sehr eingeschränkt in der Lage, mit eigenen Wortbeiträgen die Spannungen bewusst oder unbewusst zu verschärfen. Stellt man sich das Verfahren mit vor den Schrannen stehenden Zuschauern vor, die vornehmlich aus „Freunden“, Verwandten und Zunftgenossen der Parteien bestanden, ohne dass diesen reguläre Polizeikräfte gegenübertreten könnten26, ist dies schon ein Gewinn. Sicherlich kann ein aufgebrachter Beklagter seinen Fürsprecher beiseite schieben und seinem Unmut freien Lauf lassen. Aber das setzt bereits ein gerüttelt Maß an Aggressivität voraus, die, egal wie ein Verfahren strukturiert ist, so oder so kaum zu besänftigen wäre. Bei den beschriebenen Mechanismen geht es vielmehr darum, der wesentlich häufigeren und gefährlicheren Eigendynamik zu begegnen, die Streitigkeiten eskalieren lässt, weil ein Wort das andere ergibt. Aber nicht nur eine Konfliktverschärfung zwischen den Parteien galt es zu vermeiden. Wie bei Coengyn Radboide gesehen, konnte das Gericht selbst schnell zum Ziel von Angriffen werden. Die „Arbeitsteilung“ zwischen den Schöffen, die die zahlreichen während des Verfahrens anstehenden Urteile fällten, und dem Richter, der sie zu äußern hatte, ermöglichte es, Verantwortlichkeiten uneindeutig werden zu lassen. Wem war jetzt das für die eine Partei negative und selbstverständlich als ungerecht empfundene Urteil zuzuschreiben? Den Urteilern, dem Richter, dem Gericht insgesamt? Jetzt das Gericht zu attakkieren, setzt voraus, diese unklare Situation zu vereindeutigen und dies überzeugend nach außen zu kommunizieren. Die Last trägt der Angreifer. Das ist nicht unmöglich, stellt aber eine Hürde dar, die zunächst genommen werden muss. chen und Folgen der innerstädtischen Auseinandersetzungen in Köln in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 36), Köln 1980, S. 225 (zu Dietrich von Molenhem), S. 236, Fn. 620 (zu Coengyn Radboide). 26 Zur unzureichenden Ausstattung der Städte mit Sicherheitspersonal, siehe G. Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn 1991, S. 59 ff.

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Zusammenfassend lassen sich zwei Charakteristika der formalisierten Kommunikationsweise im deutschrechtlichen Prozess herausstellen. Erstens: Vor dem Hintergrund eines nicht ausdifferenzierten Rechtssystems erlaubt es der Rückgriff auf vorgegebene Formulierungen und das Anreichern der Einlassungen durch zahlreiche Wiederholungen, das nötige Maß an Selbstreferentialität im Diskurs einzubauen, um ihn als Rechtsdiskurs zu markieren und ein Zurückgleiten in das Alltägliche zu verhindern. Zweitens: Dadurch, dass das vom Kläger und Angeklagten gesprochene Wort nicht wandelbar war, wurde die freie Rede der Streitenden so sehr belastet, dass sie zum Institut des Fürsprechers greifen mussten, um überhaupt kommunizieren zu können. Die Regelung beschnitt also massiv die Äußerungsmöglichkeiten insbesondere derjenigen, die am stärksten emotional beteiligt waren und deren Wortbeiträge am ehesten zu einer Verschärfung des Konflikts führen würden. Der Fürsprecher wirkt hier geradezu als Puffer, da er sich vergleichsweise teilnahmslos äußern konnte. Auf Seiten des Gerichts wurde die Verantwortlichkeit für die getroffenen Entscheidungen durch die Rollenaufteilung zwischen Richter und Urteilern diffus, was ein Protestieren gegen gerichtliche Maßnahmen erschwerte. Damit aber gewinnt das formalisierte Sprechen im Verfahren – jenseits religiöser oder mentalitätsgeschichtlicher Ursachen – eine spezifische Rationalität27, die recht genau auf das historische Umfeld abgestimmt war, in dem das Gerichtswesen agierte.28 Denn in einer über soziale Gruppen und Verbände strukturierten Gesellschaft, die zudem noch kein voll ausdifferenziertes Rechts27 Kritisch zu einem Rationalitätsbegriff, der ausschließlich auf die Rationalität oder Irrationalität im Beweisrecht abhebt, bereits K. Nehlsen-von Stryk, Die Krise des „irrationalen“ Beweises im Hoch- und Spätmittelalter und ihre gesellschaftlichen Implikationen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 117 (2000), S. 1–38, S. 5. Sie weißt darauf hin, dass „[d]er Vorgang der Verwissenschaftlichung und das heißt doch wohl zugleich der Rationalisierung“ mit der Glossierung des Sachsenspiegels gerade das Beweisrecht erfasste, ebd., S. 36. Damit ist das so stark formalisierte deutschrechtliche Verfahren ein weiterer Beleg dafür, dass Ratio und Ritual keine Gegensätze darstellen, vgl. die folgende Anm. 28 sowie K.-S. Rehberg, Präsenzmagie und Zeichenhaftigkeit. Institutionelle Formen der Symbolisierung, in: G. Althoff (Hg.), Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 3), Münster 2004, S. 19–36, S. 19 ff. 28 Unter einem rational arbeitenden Gerichtswesen versteht man gemeinhin, dass im Verfahren aufgrund von Sacherhebungen der Täter ermittelt oder über konkurrierende Rechtsansprüche entschieden wird. Dabei wird implizit davon ausgegangen, dass so auch ein Maximum an Pazifizierung des Parteienstreits sowie Akzeptanz und Legitimität des Gerichts erzeugt wird. Differenziert man zwischen den beiden Aspekten „Sacherhebung“ und „Pazifizierung“, wird deutlich, dass die gesellschaftliche Kernaufgabe des Gerichts die Streitschlichtung und Akzeptanzherstellung ist und Sacherhebung bestenfalls eine von vielen möglichen Varianten darstellt, dies zu erreichen. Ein Verfahren, das das übergeordnete Ziel „Pazifizierung“ erreicht, auch unter Verzicht auf Sacherhebung, kann für sich durchaus in Anspruch nehmen, rational zu sein. Ob, wie gemeinhin angenommen, das Verfahren der Moderne seine Legitimität tatsächlich aus

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system kannte, musste der Streitschlichtung und der Markierung des Rechtsdiskurses als solchem erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Andere Aspekte – etwa die Tatsachenerhebung – traten demgegenüber fast zwangsläufig zurück. Dabei muss gar nicht einmal davon ausgegangen werden, dass diese Form der Kommunikation von den Akteuren bewusst und mit den genannten Zielen implementiert wurde. Wahrscheinlicher ist, dass sich dieser Formalismus in einem evolutionären Prozess langsam herausgebildet und dann in der Praxis bewährt hatte. IV. Ablösung der Sprachformeln durch die „Fachsprache“ – äquivalente Funktionen? Dritte These Dass die Formstrenge im späten 15. und 16. Jahrhundert mehr und mehr außer Gebrauch kam, wird allgemein auf die Durchsetzung rationaleren Gedankenguts zurückgeführt, welches die Sacherhebung stärker ins Zentrum des Verfahrens rückte. Wenn, wie dargelegt, die Formstrenge primär auf die Strukturierung der Kommunikation zielte, dann kann man jedoch nicht davon ausgehen, dass schon die Hinwendung zu rationaleren Verfahrensformen quasi automatisch zu einer Ablösung des Formalismus führte oder gar führen musste. Denn Kommunikationsstruktur und Sacherhebung haben sicherlich miteinander zu tun, sind aber zunächst einmal auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Was aber erfüllte in der frühen Neuzeit jene Funktion, die im Spätmittelalter dem formalisierten Sprachgebrauch zukam? Zunächst könnte man annehmen, dass es nun eine gesteigerte Institutionalisierung des Gerichtswesens war, die den Diskurs trug. In der Tat gab es in vielen Städten nun eigene Gerichtsschreiber, und gelehrte Juristen bewegten sich nicht mehr allein im Umfeld des Gerichts – etwa in Form von Gutachtern –, sondern konnten auch als Richter auftreten. Schaut man jedoch genauer hin, hat sich weniger verändert, als gemeinhin angenommen. So haben in Köln die kommunalen Richter zwar nun oft – aber keineswegs immer – ein Rechtsstudium absolviert. Jedoch übten sie ihre Tätigkeit weiterhin „nebenberuflich“ aus. Wichtiger noch ist, dass sich an der Verortung des Rechts in der Gesellschaft nur graduell, aber nicht grundlegend etwas veränderte. Denn weiterhin wirken moralische, politische und religiöse Vorstellungen sowie soziale Gegebenheiten unmittelbar auf das Rechtsleben ein. Man denke etwa an die nach Ständen gegliederte Sitzordnung im Reichskammergericht; auf kommunaler Ebene war auch im 17. Jahrhundert das erste Kriterium für die Besetzung der Ratsgerichte nicht die Ausbildung der Richter, sondern ihre Mitgliedschaft im Stadtrat.29

Sachentscheidungen gewinnt, darf zudem bezweifelt werden, vgl. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1993.

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Als tieferer Grund für die Nutzung formelhafter Rede im Spätmittelalter war oben die fehlende Ausdifferenzierung des Rechts in Anschlag gebracht worden, denn der Sprachmodus lieferte – neben anderen „Formalia“ – einen wesentlichen Beitrag dazu, den Diskurs als Rechtsdiskurs auszuweisen. Wenn auch für die frühe Neuzeit ebenfalls eine Nicht-Ausdifferenzierung des Rechts zu konstatieren ist, die formelhafte Rede aber fehlte, was markierte dann den Diskurs als Rechtsdiskurs? Mir scheint, dass zwei Aspekte hier von besonderer Bedeutung sind. Zum einen die Zunahme an Schriftlichkeit, die nun nicht mehr nur dazu verwandt wurde, das Urteil festzuhalten. Vielmehr wurden jetzt zahlreiche Einlassungen der Parteien schriftlich niedergelegt und – und das ist das Entscheidende – oft genug während der Verhandlung laut verlesen. Damit ändert sich zugleich der Sprachmodus der Beteiligten, wird „unalltäglich“, wie man sagen könnte.30 Dem soll jedoch an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Der zweite, hier näher zu behandelnde Aspekt ist die Benutzung von Fachausdrücken im Verfahren. Zunächst einmal ist klar, dass bestimmte juristische Denkfiguren die Fachsprache verlangen und jede „Übersetzung“ zu einem Verlust an Stringenz und Präzision führt. Weiter wird man nicht bestreiten können, dass auch in der Gegenwart, also in einem ausdifferenzierten Rechtssystem, die Kommunikation über Recht durch Fachwörter gekennzeichnet ist. Heute scheint es sich dabei jedoch um einen Nebeneffekt zu handeln, ganz einfach deshalb, weil es bei dem gegenwärtigen Grad an Ausdifferenzierung nicht erforderlich 29 Von zwei Ausnahmen abgesehen (Johan vam Hirtze in den 1480/90er Jahren und Hermann von Weinsberg nach 1547), ist Johann Helman 1565 der erste graduierte Jurist, der in Köln Ratsherr wird. 1567 bekleidet er als erster Rechtsgebildeter das Amt des Urteilers beim Kölner Bürgermeister- und Amtleutegericht. Ein Abgleich der im Historischen Archiv der Stadt Köln (HAStK) lagernden Amtsträgerlisten mit den von Herborn veröffentlichten Aufstellungen der graduierten Ratsherrn ergibt, dass diese in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts etwa 40 bis 66% der Richter und Urteiler am genannten Gericht stellten; die übrigen waren Laien, vgl. HAStK, Ratsämter 1 1452–1800 mit W. Herborn, Der graduierte Ratsherr, in: H. Schilling (Hg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Norddeutschland (Städteforschung A 23), Köln u. a. 1985, S. 337–400, S. 379 ff. Die Vorbehalte der Stadträte, einen Juristen in ihren Reihen aufzunehmen, sind breit diskutiert worden, vgl. E. Isenmann, Reichsrecht und Reichsverfassung in Konsilien reichsstädtischer Juristen (15.–17. Jahrhundert), in: R. Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 545–628, S. 560 ff.; H. G. Walther, Italienisches gelehrtes Recht im Nürnberg des 15. Jahrhunderts, in: H. Boockmann/B. Moeller/L. Grenzmann/M. Staehelin (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil 1. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1994 bis 1995 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, PhilologischHistorische Klasse, Dritte Folge 228), Göttingen 1998, S. 215–229, S. 227. 30 F.-J. Arlinghaus, From „Improvised Theatre“ to Scripted Roles. Literacy and Changes in Communication in North Italian Law Courts (12th–13th Centuries), in: K. Heidecker (Hg.), Charters and the Use of the Written Word in Medieval Society (Utrecht Studies in Medieval Literacy 5), Turnhout 2000, S. 215–237, S. 215 ff.

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ist, die Selbstreferentialität und Autonomie des Rechts vornehmlich über bestimmte Sprachformen zu markieren. Zu fragen ist, ob im Vergleich zur Situation des 16. und 17. Jahrhunderts das Verhältnis von semantischer Exaktheit und Markierung des Diskurses durch Fremdwörter nicht anders gewichtet werden muss, ob es sich nicht geradezu umkehrt. Die Stadtrechtsreformationen erscheinen ein probates Mittel, dem näher nachzugehen. Drückt nach Wolfgang Kunkel die erste Reformation von 1479 die römischrechtlichen Vorstellungen noch ganz in deutscher Sprache aus31, so dringen mehr und mehr lateinische Vokabeln in die Texte ein. Die Lübecker Reformation von 1586, die weitgehend dem alten lübischen Recht verhaftet blieb, wandte sich stark lateinischen und römischrechtlich klingenden Wendungen zu. Insbesondere die Überschriften über den einzelnen Abschnitten wurden den Institutionen entlehnt, die jedoch zum dann folgenden Rechtsstoff nicht immer passen wollten. Interessant ist, dass das schon den Kompilatoren – darunter der Stadtsyndikus Dr. Calixtus Schein – klar war. „[B]ißweilen“, so schreiben sie, sei „bey den titulis affinis vel cognata materia gesetzet worden [. . .], die sich nicht eben zu der Rubrica reimen“. Handlungsbedarf sah man jedoch nicht, da solches auch bei den Digestis vorkomme. Dies, die Verwendung bestimmter Vokabeln wie legatum, testator oder legatarius in Kombination mit der Übertragung ins Hochdeutsche führte zu einer derartigen Verschlechterung des Textes, dass der Drucker der Lübecker Stadtrechtsreformation, Johann Ballhorn, zum Namensgeber für das Korrumpieren von Texten überhaupt wurde.32 In der Forschung zur Rezeption des römischen Rechts allgemein ist eine solche Verwendung von Sprache nicht unbemerkt geblieben. Bereits um 1900 äußerte Georg von Below, die verstärkte Verwendung von Zitaten und Begriffen aus dem gelehrten Recht sei oft nur „Hilfsmittel, um das, was die einheimischen [Rechtsquellen] sagen oder was diesen wenigstens nicht widerspricht, in möglichst eindringlicher Weise festzustellen“.33 Etwa 100 Jahre später stellt 31 Die Nürnberger Rezeption versucht sichtlich „an die überlieferte deutsche Rechtssprache und Gesetzgebungstechnik“ auch da anzuknüpfen, wo sie neue römische Inhalte übernimmt; „nur selten erwähnt sie beiläufig die lateinischen Begriffe, meist kleidet sie die fremde Terminologie in ein rein deutsches Gewand“, W. Kunkel (Hg.), Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, Bd. 1.1: Ältere Stadtreformationen, Weimar 1936, S. XVII. Noch für die Frankfurter Stadtrechtsreformation von 1578 vermutet Coing hinter deutschrechtlich anmutenden Begriffen eine romanistische Vorstellung der Zeit, H. Coing, Die Frankfurter Reformation von 1578 und das gemeine Recht der Zeit, Weimar 1935, S. 105. 32 Zitate und Interpretation bei W. Ebel, Forschungen zur Geschichte des lübischen Rechts: Dreizehn Stücke zum Prozeß- und Privatrecht (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 14), Lübeck 1950, S. 19 f. 33 G. v. Below, Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (Historische Bibliothek 19), München u. a. 1905, S. 118. Dazu allerdings kritisch W. Trusen, Die Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption (Recht und Geschichte 1), Wiesbaden 1962, S. 231 ff.

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Esther Cohen für Frankreich fest: „Whether relevant or not, authors freely cited the droit écrit in order to present a learned appearance and grant their text the weight of learned authority“.34 Jüngst kam eine stark linguistisch orientierte Arbeit, die mit quantitativen Methoden die Rechtssprache des 16. und 17. Jahrhunderts untersuchte, zu dem Ergebnis, dass nicht „darstellungsfunktionale Zwänge der Fachsprache“ ihren Gebrauch determinierten, da für viele Fremdwörter deutschsprachige Äquivalente zur Verfügung standen. Vielmehr fand, so die Studie, ein „interner Sprachwandel“ statt, bei dem den fremdsprachlichen Varianten ohne Not ein Vorrang vor den eigensprachlichen gegeben wurde.35 Der Kern dieser Beobachtungen, dass die Rezeption zu einer neuen Rechtssprache führte, ohne dass damit im gleichen Maße etwas Neues ausgesagt worden wäre, kann vor dem Hintergrund der obigen Überlegungen neu interpretiert werden. Dazu die dritte These: 3. Die Nutzung römischrechtlicher, fremdsprachlicher Fachtermini im 16./17. Jahrhundert hatte in der Praxis weniger den Effekt, eine bestimmte Rechtsmaterie semantisch präziser zu erfassen. Ähnlich dem formalisierten Sprechen, jedoch in ganz anderer Weise, bestand ihre primäre Funktion darin, den Diskurs als Rechtsdiskurs zu markieren. Um nicht missverstanden zu werden, selbstverständlich gibt es auch im 16. Jahrhundert römischrechtliche Fachtermini, die sich nicht übersetzen ließen. Und natürlich spielten bei der Latinisierung der Rechtssprache noch weitere Aspekte eine Rolle – der Humanismus etwa oder der Wunsch nach Eingliederung lokal geprägter Rechte in einen überregionalen Zusammenhang, um nur zwei zu nennen. Aber insgesamt gesehen wird man sagen müssen, dass der sich einstellende Effekt vor allem in der in der dritten These formulierten Abgrenzung des Diskurses bestand. V. Unterschiede zwischen Sprachformeln und Fachsprache – Ausblick Ist mit der dritten These in einer sehr grundlegenden Weise die Parallelisierung von formelhaftem Sprechen und Fachsprache herausgestellt worden, so gilt 34 E. Cohen, Inquiring Once More After the Inquisitorial Process, in: D. Willoweit (Hg.), Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts. Bestandsaufnahme eines europäischen Forschungsproblems (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas: Symposien und Synthesen 1), Köln u. a. 1999, S. 41–65, S. 44. 35 A. Görgen, Rechtssprache in der Frühen Neuzeit. Eine vergleichende Untersuchung der Fremdwörterverwendungen in Gesetzen des 16. und 17. Jahrhunderts (Rechtshistorische Reihe 253), Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 175 und S. 167. Görgen zieht daraus den Schluss, die Benutzung der Fachsprache sei vornehmlich einem Distinktionswunsch der Juristen geschuldet. Mir scheint jedoch, dass dafür vornehmlich visuelle Strategien – etwa das Tragen bestimmter Kleidung – besser geeignet waren.

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es nun, Unterschiede aufzuzeigen. Hinsichtlich dem in der zweiten These formulierten Entgegenwirken einer Eskalation bei der Konfliktbearbeitung dürfte das formelhafte Sprechen, die Bindung an das Wort, leistungsfähiger gewesen sein als die Fachsprache, die freier formulierte Äußerungen zuließ. Man wird also für das 16./17. Jahrhundert nach weiteren Verfahrensformen Ausschau halten müssen, die diese Funktion – der Eskalation entgegen zu wirken – übernehmen konnten. Zu denken wäre hier etwa an den vermehrten Schriftgebrauch, der die Anwesenheit der Parteien weitgehend überflüssig machte und so in der Tendenz den Rechtsstreit nicht mehr ausschließlich an die face-to-face-Kommunikation band. Ein gewisses Äquivalent zum mittelbaren Sprechen, wie es beim Fürsprecher beobachtet wurde, entstand sicherlich durch die enge Bindung der Fachsprache an die gelehrten Juristen. Auch hier kommunizierten die eigentlich im Streit befindlichen Personen nur vermittelt über ihre – jetzt gebildeten – Prozessvertreter miteinander. Allerdings könnten die Unterschiede in der konkreten Ausformung des mittelbaren Sprechens nicht größer sein. Waren die Fürsprecher an (vorgeschriebene) Formulierungen gebunden, war es den Juristen durch ihre fachsprachliche Vorbildung möglich, Termini und Wendungen wie aus einem Baukasten flexibel miteinander zu kombinieren. Einlassungen konnten vor diesem Hintergrund vergleichsweise frei formuliert werden und blieben doch als besonderes Sprechen markiert. Wenn die verschiedenen Sprechweisen, wie hier vorgeschlagen, primär dazu dienten, den Rechtsdiskurs als solchen zu markieren, dann ist in der Umformatierung dieser Markierung – von den starren Formeln zur flexiblen Fachsprache – die Voraussetzung für eine mehr sachangemessene, rationale Erörterung des Streitfalles vor Gericht zu sehen. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies eine Umkehrung der Kausalitätsverhältnisse. Nicht der Wunsch nach mehr Rationalität führte zur Verwendung einer Fachsprache, sondern die aus Gründen der Diskursmarkierung benutzte Gelehrtensprache eröffnete die Möglichkeit, sachbezogenen Debatten Raum zu geben.

Summary The article is about certain ways of speaking in premodern legal proceedings. As is well known, in German law, an incorrect use of formulas, a slip of the tongue, could endanger the validity of the statement or testimony. Without questioning the widely agreed assumption that this way to proceed is due to a mentality which attributes magic to a certain wording (“Wortmagie”, as Ekkehard Kaufmann puts it), the article focuses on the effects and functions of such a form of communication for legal proceedings. One major problem of the medieval legal system is that, different from modern times, it cannot be considered a fully self-referential system. Rather, it is

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still immediately connected with or imbedded in the political, religious and social spheres of the time. This leads to my first thesis: 1. Given the fact that during the Middle Ages we do not find a fully differentiated legal system, it is necessary to mark legal proceedings, the discourse on law, permanently and while these proceedings take place as distinct. The use of formulas is one (among others) effective way of marking such a discourse as a specific discourse on law. Legal proceedings in medieval Germany hardly use writing but work on conflicts in face-to-face-contact. A face-to-face dispute always takes on the risk of escalation, especially if we consider that being a member of a group plays an important role in medieval society and that „friends“ and relatives accompany the litigants to court, while on the other hand there is no police force that could deal with violent supporters of a party. Second thesis: 2. Tying communication about a conflict in face-to-face-contact to formulas and making use of advocates (Fürsprecher) hinder the free speech of the litigants. Reducing the possibility of free speech of those who are emotionally involved, seeing the advocate (Fürsprecher) as a buffer, may be seen as a useful tool for reducing the risk of escalation. In a brief glance, the changes from formula to a more technical language of law in the 16th /17th centuries is discussed. Given the fact that the legal system is still imbedded in the political, religious and social spheres and that the use of expressions from Latin and/or Roman law did not clarify but quite often endangered the understanding of a text, I like to suggest a third thesis: 3. The use of “technical” terms or Latin language in law during the 16th /17th centuries does not really make the discourse about law more precise. Similar to the formulas used in late medieval German law, but in a quite different way, the primary effect of the “new” language applied in court is that it marks the discourse as distinct.

Rituels et voix vive des avocats au Parlement de Paris dans les causes criminelles, à la fin du Moyen Âge Par Claude Gauvard Le Parlement de Paris, issu de la curia regis du XIIIe siècle, voit son pouvoir judiciaire reconnu par plusieurs ordonnances, dont celle de 1278 créant la Chambre aux plaids et celle de 1307 créant la Chambre des enquêtes. Son organisation est définitivement mise en place par l’ordonnance de 1345, puis par celle de 1454, mais entre ces deux dates, le Parlement de Paris a étendu sa juridiction, en particulier en appel, et a développé son influence de façon plus ou moins pragmatique.1 Il est ainsi devenu la cour suprême où s’exerce la justice déléguée du roi. Ces textes normatifs ne donnent guère l’idée des rites qui étaient exigés par la Cour pour le jugement, pas plus que ceux qui étaient suivis par les avocats quand ils défendaient leurs causes en la Grand’Chambre.2 Pour les saisir, il faut pénétrer dans la pratique judiciaire, qui sera limitée ici au pénal. Aux XIVe et XVe siècles, les affaires criminelles, encore mal séparées du civil, sont traitées soit par la Grand’Chambre, soit, le plus souvent, par une dizaine de membres laïcs qui en sont détachés et siègent dans la partie du Palais constituée par la Tournelle Saint-Louis. Il faut attendre le XVIe siècle pour que la Tournelle criminelle constitue une chambre séparée. Pendant la période qui nous occupe, les plaidoiries pouvaient être prononcées en public ou à huisclos, sans que cela soit précisé de façon systématique dans le cours du procès. Cette remarque n’est pas anodine car la présence du public peut accroître la réparation d’honneur que poursuivent les avocats au nom de leur client. Depuis sa création, le Parlement a adopté la procédure inquisitoire, qui est en principe suivie tout au long du procès, et malgré le maintien d’un important 1 Sur cette organisation, F. Aubert, Histoire du Parlement de Paris de l’origine à François Ier, 1250–1515, t. 1: Organisation, compétence et attributions, Paris 1894. L’étude de la procédure criminelle vient d’être renouvelée par L. de Carbonières, La procédure devant la chambre criminelle du Parlement de Paris au XIVe siècle, Paris 2004. 2 Pour la période médiévale, les plaidoiries des avocats au Parlement n’ont guère été étudiées depuis R. Delachenal, Histoire des avocats au Parlement de Paris, 1300– 1600, Paris 1885. Pour l’époque moderne, voir M. Houllemare, Un avocat parisien entre art oratoire et promotion de soi (fin XVIe siècle), in: Revue Historique 306 (2004), pp. 283–302. Sur l’appartenance des avocats au corps du Parlement, F. Autrand, Naissance d’un grand corps de l’État. Les gens du Parlement de Paris, 1345– 1454, Paris 1981.

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formalisme, la voix vive de l’avocat est centrale dans la prise de décision judiciaire. En effet, ses juges détiennent l’arbitraire de leur décision et le rôle des avocats devrait nécessairement consister à les fléchir dans leur jugement. Or les juges du Parlement prennent peu de décisions définitives.3 Les sentences interlocutoires sont très largement majoritaires et, comme l’explique Jean Boutillier dans la Somme rural, ce type de sentence «ne contient absolucion ne condamnacion».4 Elles semblent suffire ou elles renvoient l’affaire à un complément d’enquête. La cause peut aussi disparaître de la scène du tribunal, sans doute parce que les parties ont procédé à un accord ou à un arrangement en dehors de la Cour de Parlement. Au total, le Parlement criminel n’a émis qu’un tiers de sentences définitives entre 1380 et 1436. Les juges semblent moins là pour juger que pour dire à chacun quel est son droit. De façon générale, ils contribuent à définir les normes, en priorité celles qui constituent les statuts de nobles et de clercs, ou l’attitude que doit avoir la société vis-à-vis de certains crimes, adultère, sorcellerie, port d’armes, lèse-majesté, etc. La question est donc bien de savoir à quoi servent les avocats dans un tel contexte. Leur rôle n’est pas mince et il semble plus important que ne le suggère un simple habillage rhétorique. En effet, les qualificatifs du crime n’existent pas a priori. Les parties sont poursuivies pour «excès», «abus», «maulx» ou encore «cas particuliers», qui peuvent être qualifiés de grands ou d’innumérables, mais le greffier ne donne pas de nom générique aux délits dont il est question. Le chef d’accusation est vague et la description reste ouverte, comme pour suggérer que d’autres actes répréhensibles ont pu être commis. L’avocat est donc là pour construire l’argumentation du crime et faire exister réellement le criminel. Dans quel but et avec quelles marges de manœuvre? Si les sentences définitives sont rares, cela tient à bien d’autres raisons qu’à l’inefficacité des tribunaux médiévaux si souvent mise en avant par les historiens. La plus importante consiste en la nécessité qu’ont les avocats, les juges et le procureur du roi de concilier des éléments contradictoires. La Cour doit en principe veiller à ce qu’aucun crime ne reste impuni, selon les principes mêmes du droit romain, mais elle doit aussi conserver un rôle pacificateur qui l’oblige à accepter la négociation entre les parties. En même temps, elle doit tenir compte des valeurs d’honneur sur lesquelles la société est construite et que ses membres partagent. Ce sont d’ailleurs ces valeurs d’honneur qui font osciller entre la peine et la réparation. Pour résoudre en partie ces contradictions, la 3 C. Gauvard, Les juges jugent-ils? Les peines prononcées par le Parlement criminel vers 1380–vers 1435, in: D. Boutet/J. Verger (éd.), Penser le pouvoir au Moyen Âge, VIIIe–XVe siècle, Paris 2000, pp. 59–87, repris dans C. Gauvard, Violence et Ordre public à la fin du Moyen Âge, Paris 2005, pp. 116–130. 4 J. Bouteiller, Le Grand Coutumier et Practique du droict civil et canon observé en France (. . .) cy-devant imprimé soubs le nom de la Somme rural, éd. par L. Charondas Le Caron, Paris 1621, liv. II, titre XIII.

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Cour a interdit que les négociations privées aient lieu pendant le cours du procès. Mais le problème reste entier et de nombreux exemples montrent que des accords ont pu être menés parallèlement à la poursuite en justice. Enfin, la vengeance continue à planer sur les rapports sociaux et le rôle de la Cour est essentiel pour permettre de restaurer l’honneur des parties lésées et celui du roi que le crime a souillé. Car il s’agit autant de réparation d’honneur que de peine. En construisant le crime et le criminel, la parole des avocats s’inscrit donc nécessairement dans un jeu complexe où la paix et l’honneur doivent s’articuler avec le droit. Un grand nombre de causes traitées au Parlement le sont en appel. C’est dire que les parties ont véritablement choisi de poursuivre l’affaire en justice dans ce tribunal suprême, sans pour autant souhaiter que les juges prononcent une sentence définitive. Il importe alors de comprendre quelles satisfactions les justiciables espèrent de ce tribunal et comment celui-ci est capable de répondre à leur attente, à savoir préserver leur honneur tout en édictant une peine et en opérant le basculement vers l’oubli ou le pardon, qui fait s’estomper les représailles. C’est ce que je verrai en étudiant la façon dont la voix vive des avocats construit le crime et procède aux réparations d’honneur. I. Parole des avocats et construction du déshonneur Les avocats sont en premier lieu les constructeurs de l’honneur – celui de leur client – et du déshonneur de la partie adverse. Il s’agit de valoriser l’un pour le porter au sommet de la reconnaissance et de diaboliser l’autre pour en donner un portrait dont l’infamie est irréversible. Pour cela, il convient de commencer par détruire sa fama personae. Cette transformation n’est possible que parce que la procédure criminelle repose encore sur un système de preuves où la fama personae l’emporte sur la fama facti, et où la place de l’aveu reste rare.5 Elle n’est aussi possible que parce que la parole est susceptible de créer l’être, de construire la vérité de l’être aux yeux de tous. L’homme est bien ce qu’il paraît et ce qu’on dit de lui. Tout un jeu est alors possible dès la déclinaison d’identité, jeu d’autant plus facile que le contenu des plaidoiries n’est pas toujours susceptible d’être vérifié. Comment les avocats jouent-ils de ces possibilités et comment contribuent-ils à les amplifier? Le discours des avocats commence par ranger les protagonistes en deux catégories absolument antithétiques, le bon et le mauvais. Le bon est si possible noble, «extrait de noble lignee» ou en tout cas «homme d’estat». Le mot «honneur» figure alors dans ses attributs, surtout pour les nobles, tel Mahieu de Sernoy qui est déclaré, en 1443, «escuier de bien et de honneur» ou Jehan de 5 Sur ces considérations, je me permets de renvoyer à C. Gauvard, «De grace especial». Crime, État et Société en France à la fin du Moyen Âge, 2 vol., Paris 1991.

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Biach pour lequel l’avocat ajoute qu’il «s’est bien gouverné a l’onneur du roy».6 Chez les non-nobles, il s’agit plutôt de «bonne renommee et honneste conversacion», comme il est si souvent écrit par ailleurs dans les lettres de grâce du roi de France. Ainsi, Giselin, habitant de Tournai, jaugeur de vins de son état, est dit «homme de paix et bonne conversacion» et encore «bien notable homs, homme paisible, de bonne renommee et non noiseux».7 Au milieu du XVe siècle, quand l’habitude des tribunaux et de la pratique de la justice s’est enracinée, il convient de proclamer que l’individu n’a jamais été poursuivi par la justice. Sernoy ne fut «oncques actaint d’aucun mauvais cas», tandis que pour un autre, l’avocat proclame qu’il «s’est bien gouverné et n’ot oncques aucun autre proces».8 L’honneur d’être innocent est devenu un élément valorisant. A l’inverse, l’avocat force le trait de l’infamie de la partie adverse. Il s’agit de jouer sur l’identité pour montrer que l’individu s’est adonné au mal depuis l’enfance, qu’il a suivi les guerres ou s’est livré à la sorcellerie et surtout qu’il a, lui ou ses parents, exercé des métiers vils. Ces références ne sont pas anodines car, depuis le XIIe siècle, elles fondent la fama en droit.9 L’enquête de renommée se doit de décrire la qualité de l’enfance, en bien comme en mal. Ainsi, l’avocat Le Tur, chargé en janvier 1413 de défendre le sire de Rouvroy, n’hésite pas à dire «que Rouvroy est notable et notable seigneur de lignee et de meurs ab infancia», avant de poursuivre sur le déroulement de sa vie pendant laquelle il «a esté en Barbarye et en ambassades et autrement et tousdits ou service du roy, doulcement a gouverné ses subjets» pour clore sur son mariage car il «a espousé une noble dame dont a un enfant».10 Lorsqu’il s’agit de définir l’infamie, la déclinaison d’identité est encore plus pittoresque car elle donne lieu à des reconstitutions de tranches de vie qui s’enflent d’actions imaginaires remontant jusqu’à l’enfance. Telles sont, au début du XVe siècle, les «enfances mauvaises» de celui pour lequel l’avocat veut obtenir la peine de mort: «oncques ne fist bien mais tousjours depuis et des son enfance s’est appliqué a mal faire, a jouer aux dez, a la paume, suir les tavernes et les fillettes diffamees, pieça se rendi carme dont laissa l’abit et devint chevaucheur et homme d’armes et vagabond».11 Tout est dit en résonance avec les préoccupations du moment qu’alimente la lutte contre les jeux de hasard, la prostitution et le vagabondage, sur fond de méfiance à l’égard des ordres mendiants et de peur des hommes Archives nationales de France (abrégées par la suite ANF), X2a 24, fol. 6v et 7r, décembre 1443. 7 Ibid., fol. 14v, mars 1444. 8 Ibid., fol. 22r, avril 1444. 9 F. Migliorino, Fama e infamia. Problemi della società medievale nel pensiero giuridico nei secoli XII e XIII, Catania 1985. 10 ANF, X2a 17, fol. 77v, janvier 1413. 11 ANF, X2a 14, fol. 10r, janvier 1401. 6

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d’armes. Au milieu du XVe siècle, la charge de sorcellerie s’ajoute pour distiller son venin.12 Le but est bien de faire naître la suspicion sur l’individu en jouant des stéréotypes qui circulent dans l’opinion et des formes qu’y prend le sentiment d’insécurité. Par sa parole, l’avocat crée le criminel aux yeux des juges et prépare l’adhésion de l’opinion au jugement. Les avocats forcent le trait jusqu’à donner de fausses références d’identité si elles sont susceptibles de rendre l’infamie irréversible. Au moment où se précise l’état de clerc, on sait que si le prévenu a exercé des métiers vils comme savetier, cordonnier, corroyeur, tanneur, tavernier, bourreau ou tueur d’animaux, le privilegium fori dont il prétend bénéficier est remis en cause.13 Ainsi, en janvier 1406, lorsque le prévôt de Paris doit se défendre d’avoir fait pendre indûment deux criminels qui se prétendaient clercs, ses avocats disent que l’un, Cardin Cabre, «en son vivant, disoit qu’il estoit de Rouen mais n’en estoit pas, mais estoit vacabonde de nul metier, sinon qu’il avoit esté valet de taverne»; quant à l’autre, Jaquet Blondel, il «estoit du pays de Montcornet en Therache et savetier».14 Ces deux métiers, tavernier et savetier, auxquels pour le premier s’ajoute l’incrimination de vagabondage, signent la déchéance de l’état de clerc et le prévôt avait le droit de conserver les coupables dans sa juridiction pour les juger. Les contestations se multiplient au Parlement et les avocats prennent l’habitude de faire entrer ces métiers vils dans les déclinaisons d’identité.15 Être cordonnier va de pair avec le fait d’être de «petit gouvernement», induit à commettre toutes sortes de crimes et à se prêter aux basses œuvres des hommes de main.16 Quelle foi accorder à de telles déclarations d’identité? L’historien ne peut que rester très prudent et il doit les interpréter comme des arguments de plaiPar exemple ANF, X2a 24, fol. 94v, décembre 1445. R. Genestal, Le privilegium fori en France du décret de Gratien à la fin du XIVe siècle, 2 vol., Paris 1921–1924, t. 1, pp. 237–241. 14 ANF, X2a 14, fol. 298v–300v, janvier 1406. Autre cas où l’avocat argue que l’adversaire se prétend clerc mais qu’il ne montre aucun titre et ajoute «et est savetier, homme marié, sergent de la justice d’Avise et si ne cognoist lettre et pour ce doit estre tenu pour lay et ne doit joir d’aucun privilege de clerc», ibid., fol. 158r, janvier 1404. 15 Sur la mauvaise réputation attribuée aux couturiers, ANF, X2a 17, fol. 63v, juin 1412; aux fourniers, ibid., fol. 179r, avril 1415; aux pelletiers, X2a 14, fol. 194r, juillet 1404, etc. Mais les arguments peuvent aussi être retournés et un avocat peut construire sa défense en disant que son client est «bon et loyal preudomme de la ville de Bourges, cordouannier, bon et loyal marchant et paisible», X2a 17, fol. 207r, février 1416. Cette approche positive est cependant rare. 16 ANF, X2a 24, fol. 218r, janvier 1448: L’avocat Simon, contre Ruiques, qui a été exécuté en Flandre, prétend que ce dernier était «ung valet courdouannier de petit gouvernement» qui «pour une pinte de vin eust dit ce que l’en eust voulu et est homme de petite vie»; son complice aurait aussi été cordonnier, l’un et l’autre étant impliqués dans une vengeance. 12 13

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doiries sans leur conférer d’assise sociologique, car ils peuvent être loin de la vérité. D’ailleurs l’avocat de la partie adverse peut reprendre son confrère en affirmant que celui qui passe pour cordonnier porte en réalité la livrée de son maître et seigneur, ce qui de toute façon est un signe d’honneur . . .17 Le flou est d’autant plus grand que les avocats utilisent ce procédé quelle que soit l’origine sociale de la partie concernée, nobles ou gens d’état dont ils veulent nier la noblesse ou l’honorabilité. L’un des cas les plus spectaculaires est celui qui oppose les héritiers de Guillaume de Flavy à la veuve de ce dernier, Blanche d’Overbreuc, coupable d’avoir participé à sa mort. Alors que Blanche est originaire d’une noblesse qui, quoique désargentée, surplombe celle du capitaine du roi, son époux, l’avocat n’hésite pas à dire que du côté de son père, «ses parens estoient cordouanniers, cousturiers et autres gens de bas estat» et que sa mère était peut-être noble, mais qu’elle avait suivi un prêtre, noyant sa noblesse de sang dans la lie de mœurs dépravées.18 Où est la vérité? Elle ne peut en aucun cas être déduite d’un argument de plaidoirie qui joue avec virtuosité de la difficulté qu’ont les institutions à vérifier les identités. Les déclinaisons d’identité, telles qu’elles se présentent au Parlement, doivent donc être maniées avec la plus grande prudence. Elles sont là pour créer un jeu d’honneur qui se règle au tribunal et qui a peu de rapport avec la réalité sociale. D’ailleurs, les adversaires ne s’y trompent pas quand ils déclarent que le discours des avocats a entamé leur capital d’honneur.19 Certains vont même jusqu’à dire que le discours prononcé par l’avocat de la partie adverse constitue une injure telle qu’ils réclament réparation, car ils sont «homme notable et d’onneur».20 Il en est de même des récits de crimes qui sont construits sur le schéma antithétique de la bienveillance et de la haine. Leurs effets entrent d’ailleurs dans la description de la renommée. A ce notable bourgeois de Hesdin qui «s’est toujours tres bien gouverné sans avoir esté convaincu d’aucun crime» et qui, pour 17 ANF, X2a 24, fol. 218r, janvier 1448. Pour répondre à l’argument, Simon commence par dire que Ruiques ne portait pas de livrée puis, sans craindre de se contredire, il déclare que «la coustume du païs est que les compaignons portent voulentiers la livree des seigneurs»! 18 ANF, X2a 25, fol. 73r, cité par P. Champion, Guillaume de Flavy, capitaine de Compiègne, Paris 1906, pp. 78–79. Sur ce cas, C. Gauvard, Entre justice et vengeance: le meurtre de Guillaume de Flavy et l’honneur des nobles dans le royaume de France au milieu du XVe siècle, in: J. Paviot/J. Verger (éd.), Guerre, pouvoir et noblesse au Moyen Âge. Mélanges en l’honneur de Philippe Contamine, Paris 2000, pp. 291–311, repris dans Gauvard, Violence et Ordre public (n. 3), pp. 245–264. Autre cas où la noblesse d’un nommé Jean Bernard est niée par l’avocat de la partie adverse disant que «son pere estoit de bas estat scilicet cordennier», X2a 24, fol. 89v, novembre 1445. 19 Par exemple ibid., fol. 91r, où Luillier, l’avocat de ce même Jean Bernard, répond que son client «est fort blecié en sa renommee». 20 ANF, X2a 14, fol. 158v, janvier 1404.

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cette raison, s’est attiré la bienveillance du duc de Bourgogne «qui lui estant a Hesdin s’est venu souventeffoiz s’esbattre en son hostel», s’oppose celui qui est déclaré «mauvais» parce qu’il est «haÿ de plusieurs ou païs et quasi in opprobrum de tous».21 Chaque circonstance donnée par les avocats construit le crime en l’aggravant ou au contraire en l’atténuant. En règle générale, la violence des faits, voire leur cruauté, appartient au registre de la haine à laquelle peut se combiner l’envie. Elle oppose deux individus ou deux parentés et elle devient dans la bouche des avocats l’antithèse de la justice. Ici, à Château-Thierry, c’est un prévôt qui dénie le certificat de bonne vie d’un prisonnier qui se dit clerc, car il est dives laycus et clericos odio habens, et finit par le faire condamner à mort; là, à Beauvais, c’est un sergent du roi qui «conçoit haine» contre les sergents de l’évêque parce que ceux-ci répandent le bruit qu’il a eu «des enfances mauvaises» et qu’il est «houlier, homme de mauvaise vie et renommee».22 La partition de la société en groupes qui s’opposent, correspond certes à l’existence d’antagonismes sociaux réels que révèle l’existence de solides solidarités et elle sert, rhétoriquement, à construire la plaidoirie. Mais elle devient en même temps une sorte d’argument juridique.23 Son contenu a alors peu de rapports avec les émotions et il sert plutôt à construire un jeu ritualisé qui se détache presque totalement du réel pour donner au conflit, tel qu’il est raconté au tribunal et en toute autonomie, son propre sens. Tout se passe comme si, dans l’enceinte de la Cour de Parlement, les protagonistes étaient devenus machiavéliques. La voix des avocats enfonce le sillon de l’infamie et de la haine pour rendre la situation totalement irréversible. Les mots se multiplient avec force, provoquant une sorte de déconstruction de la partie adverse et de la nature du délit. Cette hargne destructrice, en grande partie fictive même si les mots contribuent largement à construire la renommée, ne peut se comprendre que si elle s’inscrit dans un procédé de négociation, comme un nécessaire prélude à une reconstruction possible de la paix et à l’émergence d’une réparation d’honneur. II. Rites de négociation de la peine au tribunal L’objectif du châtiment n’est pas pour autant oublié et les demandes de peine viennent très logiquement clore la fin des plaidoiries. Elles doivent sanctionner les crimes et délits dont le demandeur s’estime victime, mais aussi tenter de les réparer. Leur contenu et la manière dont elles sont énoncées frappent par leur ANF, X2a 24, fol. 256v, juillet 1448 et fol. 132v, juillet 1446. ANF, X2a 16, fol. 134v, mai 1411 et X2a 14, fol. 10r, janvier 1401. 23 Même constatation dans les tribunaux de Marseille, D. Lord Smail, Hatred as a Social Institution in Late-Medieval Society, in: Speculum (76) 2001, pp. 90–126. Pour l’Angleterre, voir P. R. Hyams, Rancor and Reconciliation in Medieval England, Ithaca et al. 2003. 21 22

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violence et par la place qu’occupe le corps dans la résolution des conflits. Un corps dont le spectacle est systématiquement offert au public, comme le résume le procureur du roi au milieu du XVe siècle, en réclamant que le coupable «soit puni de tele punicion corporelle et publique que au cas appartient».24 De façon générale, l’avocat commence par réclamer la peine de mort. Remarquons cependant que son évocation ne donne pas lieu à des harangues particulièrement fournies. Le rituel de l’exécution capitale n’est guère décrit et, au mieux, l’avocat demande que l’accusé soit «trainé jusques au gibet et illec pendu et etranglé».25 En règle générale, il se contente de souhaiter que la partie adverse soit «puny corporellement c’est assavoir soit pendu et estranglé et tous ses biens confisqués».26 La place du rituel dans la demande de mort est minimale: point de charrette d’infamie ou de pendaison haut et court. La plaidoirie ne s’attarde sur le rituel que quand le cas est jugé en appel et que, justement, il est possible de critiquer la façon dont s’est déroulée l’exécution en première instance: Par exemple si celle-ci a été précédée de tortures abusives, si elle a eu lieu de nuit ou si le cortège a emprunté un chemin autre qu’«acoustumé » et si le bourreau n’a pas agi conformément à la loi. On ne pend pas dans la précipitation, à un arbre, mais au gibet, en public, lorsque la foule est rassemblée, si possible un jour de marché. Le rituel de la peine de mort suit une coutume bien établie et connue de tous, comme à Senlis où il est dit que si «aucun est condempné», il convient «de faire cry et sonner cloche et mener le condempné publicquement et par chemin publicque».27 Pour prouver que leur client a été condamné à mort à tort, soit parce que les juges étaient partiaux, soit parce que le condamné était un clerc, les avocats ont alors beau jeu de montrer que le rituel n’a pas été respecté. Mais il s’agit là d’un moyen, d’un procédé oratoire plus que d’une description volontairement flamboyante de la peine de mort. Le rituel est laissé à ceux qui sont chargés de l’exécution, sans doute parce que, comme le dit le procureur du roi «quand on traicte de la mort d’aucuns, l’en doit proceder bien meurement et s’enquerir de la verité du cas».28 Tout se passe comme s’il ne faisait pas bon de jouer avec la peine capitale, même si son spectre est le plus souvent évoqué en premier dans les demandes de peines corporelles. En revanche, le corps occupe une place essentielle dans la description de toutes les autres peines demandées. Il s’agit du corps amputé, sous la forme de l’essorillement, du nez ou du poing coupés. Les peines réfléchissantes illustrent le discours des avocats soucieux de marquer une relation symbolique forte entre 24 25 26 27 28

Par exemple ANF, X2a 24, fol. 16v, 20v, 27r, mars–mai 1444, etc. Ibid., fol. 207r, décembre 1447. Ibid., fol. 250r, juillet 1448. ANF, X2a 28, fol. 207v, mai 1458. ANF, X2a 25, fol. 11r, janvier 1449.

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le crime et la sanction. Par exemple, pour un sergent accusé d’avoir failli en exerçant son métier, l’avocat réclame qu’il soit «puni de punicion corporelle et publique que raison donnera ou au moins soit condemné a perdre la main dextre».29 On voit bien comment l’avocat ne se contente pas de ce qu’il appelle dans un premier temps la «raison», mais développe une image forte de la peine, bien appropriée au métier de celui qui doit normalement tenir le bâton de justice de sa main droite. La faute commise doit l’en priver: On ne peut pas rêver une exemplarité plus spectaculaire! D’autant que l’amputation doit toujours avoir lieu «solennellement et publiquement ».30 Le corps peut aussi être fouetté et les avocats s’étendent volontiers sur les carrefours qui tiennent lieu de places d’exécution. Enfin, le corps peut être emprisonné. L’emprisonnement est souvent conçu comme un simple moyen de pression pour que les autres peines, en particulier les amendes, soient effectuées. Dans ce cas, on ne peut donc pas parler réellement de la prison comme une peine. Mais l’évocation du lieu, la dureté et la longueur du séjour sont parfois si précises qu’il est permis de parler de peine de prison, du moins dans la bouche des avocats. Il est possible d’ailleurs que ceux-ci aient emprunté ces descriptions aux officialités dont les juges, selon les principes du droit canonique, condamnaient «au pain de douleur et a l’eau de tristesse». On retrouve alors dans les plaidoiries la même volonté de punir pour régénérer le coupable. Les avocats jouent aussi, dans leurs discours, de la possession que le roi peut avoir du corps de ses sujets, depuis le droit de mort jusqu’à l’enfermement et on pourrait imaginer, à la lecture des procès, que la justice du roi est à la fois terrible et terriblement efficace. Pourtant, comme nous l’avons vu, la réalité est autre et la peine de mort, comme les amputations, sont rares. Cette rareté renforce d’ailleurs la terreur qui entoure la peine et le déshonneur de ceux pour qui elle est appliquée. En fait, la plaidoirie est construite sur une cascade de peines successives dont le ton emprunte fortement à la rhétorique de formules comminatoires. L’avocat ou le procureur du roi peuvent commencer par exiger la peine de mort, mais très vite, ils déroulent une cascade de peines successives dont l’énumération prend l’allure d’une liturgie flamboyante. Chaque demande de peine est d’ailleurs précédée de «au moins» ou de sic autem, pour montrer que les demandes vont en décroissant. Prenons l’exemple de Henry Bruinant, prisonnier et défendeur, qui est accusé d’excès en appel par les demandeurs, à savoir le procureur du roi et Colin du Couray, à la suite d’une sombre affaire d’héritage accompagnée de faux. L’avocat Barbin, pour les demandeurs «apres ce qu’il a eu recité le contenu es informacions faictes en ceste partie et aussi les confessions dudit de Bruinant, a requis et conclus que ledit Henry Bruinant pour 29 30

ANF, X2a 24, fol. 56v, janvier 1445. ANF, X2a 12, fol. 371v, janvier 1398.

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les faulsetez, induccions, seduccions, decepcions et perviremens par lui faiz en ceste partie soit puny corporellement, c’est assavoir soit pendu et estranglé et tous ses biens confisquez, ou au moins soit condemné a faire amende honorable au procureur du Roy et a Amiens, en chemise tenant une torche de cire ardent en sa main, en disant que faulsement et mauvaisement il a commis lesdites faulsetez, exces et delitz, et en crie mercy au Roy et a justice, et soit pilorisé par trois samediz es hales de Paris et batu au cul de la charrette, et aussi es villes d’Amiens, de Bethune et de la Bruniere, et fletry au front d’une fleur de litz, et aussi requiert que la sentence donnee par le bailli d’Amiens sortisse son effect et que les resolucions et accords qui depuis s’en sont ensuiz soient declarez nulz et de nulle valeur, et aussi soit condemné pour amende proufitable en la somme de Vc livres parisis a prendre sur ses biens avant toute confiscacion et soit banni de ce royaume a tousiours».31

Cette déclaration est un vœu qui n’est pas obligatoirement suivi d’effet. Mais sa raison d’être ne se mesure pas en termes d’efficacité réelle, si on entend par efficacité l’application des actes. L’efficacité est d’un autre ordre, celui de la voix vive des avocats qui permet la restitution d’honneur indispensable au recul de la vengeance. En effet, l’énoncé de cette succession de peines exemplaires a une vertu comminatoire qui contribue à la résolution du conflit. L’action de la justice ne s’en trouve pas paralysée, elle remplit au contraire sa fonction pacificatrice, de façon à éviter la vengeance à venir. L’expression peut atteindre des sommets de violence qui, paradoxalement, sont autant de moyens de se garantir des représailles. Les peines rêvées à l’encontre de ce même Guillaume de Flavy lors d’un procès où il était impliqué dans la mort du maréchal de Rieux sont très significatives du lien que ces répétitions entretiennent avec l’honneur. L’avocat Rapiout, pour François de Rieux, neveu et héritier de la victime, demandeur, exige que Flavy soit «condemné et contraint a fonder en la ville de Reux une eglise collegialle ou ait doyen et six chanoines pour faire le service divin, dotee de deux mil livres de rentes amorties, et qu’il soit condempné et contraint a fonder quatre chappelles en quatre parties de ce royaume la ou la court ordonnera, et que chacune desdites chappelles soit dotee de LX livres de rente, une en ceste ville et une a Compiengne, la presentacion d’icelles appartienne aux heritiers du feu mareschal. Et condempné et contraint a desenterrer le corps dudit defeunt lui mesmes en sa personne et le mettre en ung chariot couvert de drap d’or et armoié des armes dudit trespassé, et qu’il le conduise a Reux en dueil a cent torches ardant et a chacune desdites torches les armes dudit defunct, et faire le service en la ville de Reux par l’espace de huit jours, par chacune desdiz jours donner aux povres jusques a la somme de cinquante livres et qu’il y ait cent povres vestuz de drap noir a tenir les torches, et qu’il le face faire une tombe sur le corps dudit defunct. Et qu’il soit contraint a faire amende honorable ceans, tout nu, tenant une torche de cire en sa main, crier mercy audit demandeur en disant tele paroles que la court ordonnera etc, a Reux, a Compiegne, a Neelle, a assemblee de peuple et a jour de

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ANF, X2a 24, fol. 250r–250v, juillet 1448.

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marché et que de toutes ces choses soit fait tableau a memoire perpetuel en chacun desdiz lieux. Et en amende prouffitable audit demandeur de deux mille livres de rente perpetuel et pour une foiz en la somme de cent mil frans, ou que teles autres amendes, dommaiges et interestz offre a prouver, et requiert l’adionccion du procureur du Roy».32

En un lieu, la France du Nord où, comme l’a montré Catherine Vincent, la religion testamentaire n’a pas la flamboyance des exigences de la France méridionale, ces demandes en fondations religieuses, en torches et cire, en nombre de pauvres au service du trépassé sont particulièrement démesurées.33 Il s’agit certes de la grande aristocratie qui se doit de mourir noblement et les demandes, par leur caractère extraordinaire, sont en accord avec la condition sociale de la victime et avec le degré d’offense de ses héritiers qui en découle.34 Pour ce maréchal de France assassiné qu’était Pierre de Rieux, il ne fallait pas moins que le souvenir de sa mort soit porté aux quatre extrémités du royaume, à l’image même des restes de corps dépecés que le roi ordonnait d’exhiber pour l’exemple au quatre portes principales de Paris, afin de punir les fauteurs de lèse-majesté.35 Le tribunal est bien ce lieu d’échange de paroles dont la violence d’expression confine à l’impossible et, de ce fait, institue une justice rêvée nécessaire au règlement du conflit. Le demandeur comme le procureur du roi sont à terme gagnants: La peine a des airs d’exemplarité radicale, et l’honneur de la partie lésée peut être restauré. Quant au défendeur, il trouve là une façon de négocier son crime et sa punition, sans que ceux qui l’appuient éprouvent ensuite le besoin de se venger. La cascade des peines, le délire verbal qui les exprime, sont partie prenante de la négociation de paix, mais d’une négociation qui a désormais lieu au sein du tribunal, par avocats interposés. Et le tribunal peut alors devenir le seul lieu susceptible de sceller l’accord légitime entre les parties, comme le montre le cas de Henry Bruinant précédemment cité où les accords menés parallèlement, sans doute par les deux parentés hors de la ANF, X2a 24, fol. 33v–34r. C. Vincent, Fiat Lux. Lumière et luminaires dans la vie religieuse du XIIIe au e XVI siècle, Paris 2004. Par opposition, voir les formes religieuses demandées par les testateurs méridionaux, qui se rapprochent de l’exemple cité ci-dessus, J. Chiffoleau, La comptabilité de l’au-delà. Les hommes, la mort et la religion dans la région d’Avignon à la fin du Moyen Âge, Rome 1980. 34 Sur les cérémonies qui accompagnent la mort des grands à la fin du Moyen Âge, C. Beaune, Mourir noblement à la fin du Moyen Âge, in: Société des Historiens Médiévistes de l’Enseignement Supérieur Public (éd.), La mort au Moyen Âge, Colloque de la Société des Historiens Médiévistes de l’Enseignement Supérieur Public, Strasbourg 1977, pp. 125–143. 35 Par exemple, les quatre membres de Colinet du Puiseux, traitre armagnac, avaient été fichés sur les quatre portes principales de Paris en 1411, in: A. Tuetey (éd.), Journal d’un bourgeois de Paris, Paris 1881, p. 17. Le même sort est réservé à Renaud de Veloux le 20 novembre 1475, pour avoir conspiré contre Louis XI, J. de Roye, Journal dit Chronique scandaleuse, éd. par B. de Mandrot, 2 vol., Paris 1894 et 1896, t. 1, pp. 348–349. 32 33

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justice du roi, sont sévèrement condamnés.36 On peut donc dire que la peine symbolique joue le rôle de peine efficace et qu’ainsi se construit une subtile alchimie entre la peine, la négociation et la réparation. III. Rituels de restitution d’honneur et justice du roi Les avocats, par la voix vive de leurs plaidoiries, dispensent des rites qui empruntent largement au domaine religieux puisqu’ils sont susceptibles de demander prières ou messes, et des peines liturgiques comme les vœux de cire et les pèlerinages expiatoires. Parmi ces demandes de peines, deux scènes sont à la fois fréquentes et ritualisées à l’excès: Il s’agit de la dépendaison de corps injustement suppliciés, suivie en général d’une amende honorable, et de l’amende honorable proprement dite qu’accompagne l’amende profitable, en espèces sonnantes et trébuchantes. Le rituel qui consiste à dépendre le condamné injustement pendu est réclamé par les avocats et décidé par les juges du Parlement quand l’affaire, venue en appel, témoigne d’un jugement inique en première instance. Il s’agit en général de condamnés dont la parenté arrive à montrer qu’ils étaient clercs et qu’ils n’auraient pas dû être condamnés par la justice civile. La famille du supplicié peut alors obtenir que les autorités procèdent à une réparation, soit en dépendant le corps et en rassemblant les ossements dans un sac, soit en remplaçant le corps supplicié ou son cadavre par un mannequin ou une figure, si les restes ne sont pas récupérables. Il s’agit là d’une pratique rituelle qui, de façon générale, était employée pour affirmer le droit au cas où la restitution réelle de la personne ne pouvait avoir lieu. Ainsi, en 1273, les sergents de l’évêque de Paris sont obligés de donner une moufle à la justice de Notre-Dame de Paris, à la place d’un vase d’argent qu’ils avaient saisi à tort chez une femme qui dépendait de la juridiction du chapitre, vase qui avait depuis lors disparu.37 En cas d’absence, le droit s’affirme par des pratiques symboliques que les avocats et les juges du Parlement reprennent volontiers à leur compte pendant toute la période considérée. Il peut même arriver que les parties se battent par «figures» interposées, comme ce fut le cas en 1336, quand le prévôt de Paris et le Parlement doivent restituer la figure de trois Anglais qu’ils avaient condamnés alors que ces prisonniers relevaient de la justice de Saint-Martin-des-Champs. La restitution fut faite devant de nombreux témoins, habitants de la rue Quincampoix sur laquelle le prieuré exerçait la haute justice. Le prévôt de Paris ne céda pas et demanda que les figures demeurent au Châtelet, mais il fut finalement désavoué par le Parlement.38 36

Voir supra, note 31. B. Guérard (éd.), Cartulaire de Notre-Dame de Paris, 4 vol., Paris 1850, t. 3, p. 379. 37

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La présence fictive du mort doit aussi devenir réelle. Les avocats exigent que le juge qui a mal jugé entretienne avec le corps mort une série de rapports physiques qui sont destinés à lui redonner vie le temps de la cérémonie. Il doit transporter le condamné dans un linceul en le tenant à son cou et surtout il doit l’embrasser sur la bouche, le temps de lui insuffler la vie. Ce baiser est nécessaire pour procéder au pardon et à la création d’une parenté fictive qui fonde la paix entre les parties. Ainsi s’éloignent la haine et la vengeance. Enfin, le corps mort doit être enterré en terre chrétienne et le juge doit faire célébrer un certain nombre de prières ou de messes, en général dans l’église paroissiale. Ces scènes de dépendaison sont donc exactement à l’inverse de la pendaison: Elles ont lieu de jour, en suivant un parcours cérémoniel défini à l’avance, en public et si possible un jour de marché, cum magna convocatione populi.39 Il s’agit de restaurer la dignité de celui qui a été injustement condamné et la sanction prise par le tribunal correspond parfaitement au désir de restitution d’honneur des populations les plus ordinaires, comme le montre encore à la fin du XVe siècle cet exemple cité par la Chronique Scandaleuse. Le frère d’un dénommé Laurent Guernier, de la ville de Provins, prétend que ce dernier a été injustement condamné à mort par le Parlement pour avoir tué un receveur d’impôt, car il aurait obtenu une lettre de rémission que le Parlement a refusé d’entériner. Il décide alors de faire dépendre le corps, le fait mettre dans une bière qui traverse Paris en grande pompe pour se rendre à Provins «et devant icelle biere aloient quatre crieux de ladicte ville, sonnant de leurs clicquectes, et en leurs poictrines les armes dudict Grenier, et autour d’icelle biere y avoit quatre sierges et huit torches (portées) par hommes vestuz de dueil et armoiez comme dit est. Et en tel estat fut mené, passant parmy ladicte ville de Paris jusques a la porte Sainct-Anthoine, où fut mis ledit corps en ung chariot couvert de noir pour mener inhumer audit Provins».40

Il s’agit là d’une restitution spontanée d’honneur puisque la scène se passe sans qu’aucune autorisation n’ait été accordée et, de surcroît les crieurs demandent à la foule de prier pour le trépassé qui a été «nouvellement trouvé mort soubz ung chesne», belle façon d’évacuer la réalité de la condamnation à mort! La dépendaison constitue donc une restitution d’honneur qui tend à nier la peine et, d’une certaine façon semble bafouer les juges et le tribunal. Mais la scène de dépendaison, telle qu’elle est exigée par le tribunal, ne se contente pas de restituer un honneur personnel qui a été déchu. Elle crée une véritable cérémonie de réconciliation en imposant au juge indélicat une attitude de pénitent qu’il conserve jusqu’à l’enterrement de sa victime. C’est ainsi qu’en 38 L. Tanon (éd.), Registre criminel de la justice de Saint-Martin-des-Champs à Paris (1332–1357), Paris 1876, pp. 52–55. 39 ANF, X2a 16, fol. 135v, mai 1411, Soissons; ibid., fol. 188r, juin 1412, Senlis, etc. 40 De Roye, Chronique scandaleuse (n. 35), t. 2, pp. 82–83, année 1479.

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1304, le prévôt de Paris, Pierre Fumel, est condamné à dépendre le corps d’un clerc qu’il avait injustement fait pendre pour homicide et doit enterrer sa victime en grande pompe. Le chapitre de Notre-Dame, les curés des différentes paroisses de Paris et l’Université assistent à la scène pour affirmer haut et fort que l’honneur des clercs a été bafoué et que le prévôt, en touchant l’un des leurs, a offensé Dieu. Le prévôt est d’ailleurs excommunié en même temps qu’il est déchu de son office.41 L’aspect religieux prime cependant de plus en plus nettement sur tous les autres éléments du rituel et les textes insistent sur les réparations liturgiques qui accompagnent l’enterrement, et la dépendaison se noie alors dans un rituel plus vaste, celui de l’amende honorable. Par ce biais, la négation primitive de la peine s’estompe et le pouvoir royal peut revenir sur le devant de la scène. Comment le rituel de l’amende honorable opère-t-il cette mutation? L’amende honorable est utilisée fréquemment comme peine par les tribunaux royaux, et en particulier par le Parlement, de façon à réparer l’honneur blessé de la partie lésée. Il ne s’agit en rien d’une peine archaïque comme trop d’historiens de la justice le prétendent encore. Son rituel est soumis à des adaptations fines qui prouvent son caractère vivant et l’utilité de son usage par la justice. Le corps du rituel de l’amende honorable est bien connu et il est inutile de s’y attarder.42 Elle est effectuée en public, de préférence un jour de marché, et celui qui l’effectue revêt une tenue de pénitent public, en chemise, sans ceinture et sans chaperon, en s’accompagnant de cierges ou de torches. Un cri, «merci», et une génuflexion constituent le nœud de la scène. L’origine de ce fond incontournable est complexe, comme l’ont montré les travaux de Mary C. Mansfield sur la pénitence publique et ceux de Jean-Marie Moeglin sur la hachée.43 Mais le devenir du rituel nous intéresse ici au premier chef pour comprendre comment les tribunaux ont pu contribuer à son évolution et transformer un rituel privé en rituel public. Le premier élément du succès de l’amende honorable consiste en l’adaptation souple du rituel aux rites religieux dont il s’inspire de plus en plus nettement. La scène se charge de sens nouveaux puisque le pardon, le repentir et les peines liturgiques sont désormais associés de façon quasi systématique aux gestes sym41 L. Tanon, Histoire des justices des anciennes églises et communautés monastiques de Paris, Paris 1883, p. 99. 42 Nombreux exemples dans B. Guenée, Tribunaux et gens de justice dans le bailliage de Senlis à la fin du Moyen Âge (vers 1380–vers 1550), Paris 1963, pp. 227– 280; Gauvard, «De grace especial» (n. 5), chap. 16; J. M. Moeglin, Pénitence publique et amende honorable au Moyen Âge, in: Revue Historique 298 (1997), pp. 225– 269. 43 M. C. Mansfield, The Humiliation of sinners. Public Penance in Thirteenth-Century France, Ithaca et al. 1995; J.-M. Moeglin, Harmiscara-Harmschar-Hachée. Le dossier des rituels d’humiliation et de soumission au Moyen Âge, in: Archivium Latinitatis Medii Aevi (Bulletin Du Cange) 54 (1996), pp. 11–65.

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boliques. Le mot «pardon» se vulgarise au point qu’il contamine le mot «merci» qui était traditionnellement crié et qui prend désormais le sens de pardon. On ne se contente plus de crier qu’on a agi «faussement» et «mauvaisement», mais on demande à l’adversaire de pardonner. Celui qui est condamné à l’amende peut même continuer à prêter un serment purgatoire qui affirme symboliquement son innocence et préserve son propre honneur, et ensuite demander pardon à la victime au cours de la même scène. C’est ce que fait Renaud du Sauchoy qui avait attaqué l’abbé de Saint-Martin-aux-Bois quand, dans un premier temps il «jurra et affermera par son serment qu’il ne fut onques consentant ne coulpables des exces, injures et malefices dessus diz» et qui, dans un second temps, doit dire à l’offensé, «a chaperon avalé»: «Monseigneur, je scay bien que je vous ay injurié et villené sans cause et sans raison comme mal conseillé, je vous prie tres humblement que vous le me pardonnerés et vous engaige l’amende».44 Pour procéder à l’accord entre les deux parties, le Parlement autorise ces deux phases du rituel qui ne lui paraissent pas contradictoires. Cependant, pour que la partie adverse ne poursuive pas la vengeance, le serment purgatoire n’est plus suffisant. Il convient que la scène de démenti s’enrichisse d’une humilité pénitentielle qui fait appel au sentiment religieux de celui qui est lésé et lui permet, par le pardon, de faire taire définitivement le ressentiment de son honneur blessé. Le pardon ne provoque pas l’oubli de la faute, mais il contribue largement à faire taire la vengeance et à construire la paix civile. Ce rituel évolue aussi en incorporant des éléments qui l’intègrent dans le déroulement de la justice royale. En premier lieu, le délinquant est déclaré «amendable» par les gens du Parlement, en particulier par le procureur du roi, ce qui assimile très clairement l’amende honorable à une peine.45 Le déroulement du rituel confirme ensuite que l’amende est devenue une peine publique. L’usage de mots comme «a tort», «indeuement », «sans raison», qui sont imposés au coupable par les avocats du Parlement, font de l’acte une infraction au droit que la justice du roi doit sanctionner. La scène est d’autant plus nécessaire que le crime a été commis de façon délibérée et qu’aucune rémission ne peut être accordée au coupable. Toutes les conditions sont alors réunies pour que le crime devienne une injure au roi et c’est au roi que le coupable doit en 44 ANF, X1c 81A, pièce 121. Texte édité par C. Gauvard, Les sources judiciaires de la fin du Moyen Âge peuvent-elles permettre une approche statistique du crime?, in: P. Contamin/T. Dutour/B. Schnerb (éd.), Commerce, finances et société (XIe–XVIe siècles), Paris 1993, pp. 486–488, repris dans Gauvard, Violence et Ordre public (n. 3), pp. 34–36. 45 Par exemple ANF, X2a 24, fol. 130v, juillet 1446: «Barbin pour le procureur du roy dit qu’il y a informacion d’un cousté et d’autre (. . .) et dit que tous les quatre sont amendables et conclut contre eulx a amendes honorables a l’ordonnance de la court et proufitables contre chacun d’eulx de la somme de IIc livres parisis et a tenir prison etc».

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premier crier merci. Cet homme qui, en 1469, demandait l’entérinement d’une lettre de rémission pour un meurtre commis d’aguet apensé se voit refuser cette faveur au Parlement: Il doit en revanche crier que «faulsement, mauvaisement, par trahison et de propos deliberé, il a commis ledit cas, qu’il s’en repent et en requiert pardon et merci au roy, a justice et audit defendeur».46 L’amende honorable devient une alternative à la lettre de grâce et permet de clarifier les crimes. Ceux qui sont commis de façon délibérée constituent une offense telle que l’honneur du roi est profondément atteint, au point qu’aucune grâce royale n’est possible, du moins en théorie. Celui qui se doit d’être un sujet repentant s’adresse désormais au souverain avant de s’adresser à la partie lésée. Cette pratique est en place dès le début du XVe siècle et la formulation de l’amende honorable se répète au point de figurer parfois sous forme abrégée ou d’indiquer seulement que le rituel est laissé «a la discretion de la Cour» ou selon «telles paroles que la Court advisera».47 Une hiérarchie s’établit alors entre la justice publique et la réparation privée, hiérarchie que confirment les lieux où la scène doit se dérouler. Elle est d’abord destinée à la cour du Parlement ou du bailliage, puis au lieu du crime et au lieu d’habitation de la victime. Des tableaux commémoratifs confirment l’emboîtement de ces réparations. Il s’agit de commémorer la scène de l’amende honorable à perpétuité, en la représentant sur un support dur en pierre ou en métal, argent ou cuivre, placé en priorité dans les lieux judiciaires officiels et publics avant de l’être dans l’église paroissiale où habite la victime. Le but est de «porter perpetuelle memoire».48 Parfois la scène peut être commémorée par un objet, en général une croix, à laquelle est attachée une épitaphe qui contient le contenu du cas criminel, comme pour ce criminel tenu de «faire une croix de pierre devant la maison ou les cas furent commis s’il est possible ou au carrefour du lieu et y soit mis ung epitaphe contenans lesdis cas».49 Cette initiative n’est pas nouvelle puisque le prévôt de Paris, Guillaume de Tignonville, pour avoir fait de nouveau pendre indûment deux clercs en 1407, fut obligé de procéder à une amende honorable le 16 mai 1408 et de faire construire une immense croix expiatoire destinée à cacher la vue du gibet.50 Mais la mode des croix semble ANF, X2a 35, fol. 151r–151v, mars 1469. Voir les exemples cités dans C. Gauvard, L’honneur du roi. Peines et rituels juiciaires au parlement de Paris à la fin du Moyen Âge, in: C. Gauvard/R. Jacob (éd.), Les rites de la justice. Gestes et rituels judiciaires au Moyen Âge occidental, Paris 2000, repris dans Gauvard, Violence et Ordre public (n. 3), pp. 156–174. 48 ANF, X2a 16, fol. 81v, août 1410. La scène a lieu à la cour de Parlement à Paris et à Amiens, dans la maison échevinale, à l’église cathédrale et sur la place du marché. Deux tableaux commémoratifs sont prévus, l’un dans l’église paroissiale et l’autre dans la maison échevinale. 49 ANF, X2a 35, fol. 200v, novembre 1469. 50 Nombreux témoignages dans les chroniques, en particulier L. Douêt d’Arcq (éd.), Chronique d’Enguerrand de Monstrelet, 6 vol., Paris 1857–1862, t. 1, chap. 13, et 46 47

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surtout s’être développée dans la seconde moitié du XVe siècle.51 C’est le moment où la surchristianisation du rituel s’affirme puisque le condamné peut alors commencer par crier merci à Dieu avant de le crier au roi, selon une pratique qui devient courante au XVIe siècle.52 Le déroulement du rituel s’adapte parfaitement à la signification sociale du délit. L’amende honorable frappe donc par la souplesse de son rituel capable d’assimiler les évolutions qui accompagnent la perception du crime. Affaire privée, celui-ci devient aussi une affaire publique, le second aspect l’emportant clairement à la fin du Moyen Âge sur le premier, pour se noyer enfin au XVIe siècle dans le péché, dont la réparation envers Dieu prime sur celle qui est due à l’État. Ce rituel, parfaitement adapté à l’évolution des conceptions pénales, estil pure fiction qui, dans le cadre des tribunaux, se présente à la fois comme une peine et comme une réparation d’honneur? Rares sont les tableaux qui subsistent aussi bien que les croix pour nous prouver que la scène a bien été effectuée.53 Mais il ne faut pas en déduire que ces scènes n’ont pas eu lieu. L’arrêt que prend le Parlement le 7 septembre 1509 pour clore le procès qui opposait les héritiers du maréchal Pierre de Rieux à ceux de Guillaume de Flavy, montre que la justice royale poursuit les affaires avec une certaine suite puisque le procès engagé à la suite de la mort du maréchal Pierre de Rieux dans les prisons de Nesles date de 1444, et que le Parlement, à cette date n’avait pas tenu compte des lettres d’abolition prises par Charles VII en faveur de Guillaume de Flavy en 1441.54 Et si, effectivement l’amende honorable exigée alors, dont nous avons vu le caractère flamboyant, n’a pas été suivie d’effet, on sait que l’arrêt de 1509, qui commandait une croix expiatoire le fut, car cette croix fut érigée le 25 septembre 1514, à Compiègne, rue du Vieux Pont, à l’entrée de la grosse tour.55 Quant à Jean de Roye, il donne plusieurs témoignages de rituels qui ont bel et bien été suivis à Paris sous le règne de Louis XI. Ainsi, en 1465, l’un des hommes d’armes venu de Normandie, qui avait injurié les bourgeois de Paris en les appelant «traistres Bourguignons» est condamné à faire amende honorable devant l’hôtel de ville et au procureur de la ville «pour toute ladicte ville, nue teste, desseint, une torche ou poing, en disant par lui que faulsement et mauvaisement il avoit menty en disant lesdictes paroles, en priant et requeL.-F. Bellaguet (éd.), Chronique du Religieux de Saint-Denys, 6 vol., Paris 1839–1852, t. 3, p. 722. 51 ANF, X2a 35, fol. 176r, avril 1469 et fol. 245r, janvier 1470. 52 Je remercie Christiane Plessix-Buisset d’avoir attiré mon attention sur ce point. 53 Bel et rare exemple de ces tableaux pour une amende honorable imposée au prévôt de Paris en 1440, visible à l’Ecole des Beaux-Arts à Paris et reproduit dans: Inscriptions de la France du Ve au XVIIIe siècle, recueillies et publiées par F. de Guilhermoz, Ancien diocèse de Paris, t. 1, Paris 1873, p. 397. 54 ANF, X2a 24, fol. 38r à 85r, août 1444, voir supra, note 32. 55 Reproduction dans J.-B. Mestre, Guillaume de Flavy n’a pas trahi Jeanne d’Arc, Paris 1934, pp. 168 et 171.

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rant icelles lui estre remises et pardonnees». Puis le chroniqueur ajoute: «Et apres ot la langue percee dont il avoir proferé lesdictes paroles, et ce fait fut banni».56 On peut donc imaginer que l’ensemble des peines a été appliqué. Si le verbe peut souvent se substituer à la réalité, il est difficile de savoir dans quelle mesure ils se confortent l’un l’autre. N’est-il d’ailleurs pas nécessaire que des liens existent entre le contenu des plaidoiries et la réalité des peines pour que la voix vive des avocats reste crédible et que le tribunal puisse continuer à participer, par le verbe, à la résolution des conflits? IV. Conclusion La voix des avocats, aussi bien que celle du procureur du roi, en usant de rituels fondateurs du lien social, préservent l’honneur des différents protagonistes et établissent la paix entre les parties. En arrière-plan de cette évolution, règne la vengeance, celle qui oppose les parties comme celle qui menace les magistrats. Les avocats et les juges peuvent en effet être facilement mis à mal, comme le montre cet arrêt du Parlement qui, en 1315, condamne deux hommes à une forte amende (250 livres), pour avoir attaqué Belin de Senlis, avocat, de nuit, pendant la semaine sainte, et l’avoir estropié au bras de façon irréversible.57 Certes, le Parlement protège les avocats contre les injures qu’ils peuvent subir, mais cette protection reste bien théorique.58 Pour que la vengeance s’éloigne, il faut que le tribunal soit le lieu d’une violence verbale exacerbée, qui grossit les traits des portraits et invente des peines dont le contenu comminatoire acquiert une vertu de catharsis. Il en est au Parlement comme à Marseille dont les tribunaux municipaux viennent d’être étudiés par Daniel Lord Smail.59 Par cette succession de rituels codés qui viennent en appui de la parole, les avocats contribuent à éteindre le conflit plus sûrement que s’ils exigeaient des peines brutales et définitives. Suite à la magie des mots et des gestes évoqués, les deux parties sont prêtes à procéder à un accord et, en tout cas, à écouter le jugement que prononceront les juges. Cette disposition à la paix est clairement suggérée lorsque le baiser sur la bouche du cadavre de celui qui a été injustement pendu crée le basculement de la réparation ou lorsque l’amende honorable évolue pour devenir un acte de pardon. Alors, et alors seulement, la vengeance recule, mais ce recul se fait parfois au dépens de la quête de la vérité que les juges sont censés rechercher. Des limites sont certes imposées aux 56

De Roye, Chronique scandaleuse (n. 35), t. 1, pp. 103–104. E. Boutaric, Actes du Parlement de Paris, 1254–1328, 2 vol., Paris 1863–1866, t. 2, p. 315, nº 4402. Il s’agissait d’une affaire d’héritage. 58 Delachenal, Histoire des avocats (n. 2), en particulier chap. XII: Liberté de la parole et responsabilité de l’avocat. 59 D. Lord Smail, The Consumption of Justice. Emotions, Publicity, and Legal Culture in Marseille, 1264–1423, Ithaca et al. 2003. 57

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avocats qui, déontologiquement n’ont pas le droit de tout inventer. Ils ne se privent pourtant pas d’affabuler et on les a vus jouer des identités à un moment où celles-ci sont difficilement vérifiables. Leurs discours ne peuvent cependant pas aller trop loin, sous peine de dépasser la vérité du cas, qui reste aussi à l’horizon des plaidoiries. Tel est l’enseignement du Style du Parlement qui réclame, sous la plume de Guillaume du Breuil, vers 1330, que l’avocat ait des gestes mesurés et sache réfréner ses émotions et sa colère, car comme l’écrit Caton, «ira impedit animum ne possit cernere verum».60 Mais du fait même de la vengeance dont le spectre plane sur les juges comme sur les justiciables, l’équilibre entre justice et vérité est difficile à tenir. Ce n’est pas seulement une question de peur, c’est surtout une question d’honneur. Ces freins à la vérité ne sont pas choquants pour ces hommes de loi, comme pour les justiciables. Pendant la plus grande partie de la période, l’honneur l’emporte encore sur la quête de la vérité et il s’agit de concilier les deux notions. D’où une série de négociations possibles au tribunal entre les deux parties, par la voix des avocats. A partir de 1440–1450, un léger changement est sensible et le procureur du roi peut à la fois demander de négocier la peine et exiger la vérité de la bouche du coupable, comme dans cet exemple où il est question d’un meurtre camouflé sous forme de noyade, pour lequel l’avocat Barbin réclame, selon le schéma classique, bannissement, confiscation de biens, sic autem une amende honorable et profitable, «et se mestier est que l’en sache encore la verité par leurs bouches».61 Malgré cette évolution, la question reste de savoir comment ces négociations sont conciliables avec l’application de la peine que le roi est censé ordonner pour tous. En fait, la peine, même celle qui sanctionne un crime lésant la res publica, est l’objet d’une alchimie qui l’insère dans l’honneur. Les avocats et le procureur du roi ne cessent de répéter que le crime lèse au premier chef l’honneur du roi, un honneur qui se loge désormais au cœur du tribunal. Les juges du Parlement, représentants de la personne du roi, deviennent les meilleurs défenseurs ou récepteurs de son honneur. Le roi Philippe V l’exprime clairement en 1318 quand il prescrit justement aux juges du Parlement de ne pas se laisser injurier par les avocats, «car l’honneur du Roy, dont ils représentent la personne, ne le doit mie souffrir».62 La justice a donc pour but de défendre l’honneur du roi qui a été lésé par le crime. Le délit est à la fois une offense personnelle contre le souverain en même temps qu’un acte contre «la chose publique», et sa résolution passe très naturellement par l’amende honorable rendue, en premier, au roi. C’est en ces termes que s’installe le jugement et c’est à cette condition qu’il peut être reçu. De ce fait et parce qu’elle aide les juges à ne pas juger ou à négocier le jugement, la 60

G. du Breuil, Stilus Curie Parlamenti, éd. par F. Aubert, Paris 1909, pp. 2–4. ANF, X2a 24, fol. 135v, juillet 1446. 62 Ordonnance du 17 novembre 1319, article 19, citée par Delachenal, Histoire des avocats (n. 2), p. 121. 61

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parole des avocats opère le passage de la résolution privée du conflit à celle, publique, du tribunal. L’honneur s’y emboîte désormais de façon hiérarchique, depuis celui du roi jusqu’à celui de la partie lésée, et la lésion privée peut devenir lésion publique. La pratique judiciaire, parce qu’elle est ritualisée en tenant compte des valeurs d’honneur, aide à fonder la justice royale.

Zusammenfassung Im Parlement von Paris, der höchsten gerichtlichen Instanz des französischen Königreichs, handelte es sich bei den in Kriminalsachen getroffenen richterlichen Entscheidungen selten um Endurteile, sondern meist um Zwischenurteile, durch die die Rechtssache zum Zwecke ergänzender Ermittlungen zurückverwiesen wurde. Zudem ging es weniger darum, den Fall durch ein rechtskräftiges Urteil zu entscheiden, als vielmehr darum, Frieden zwischen den Parteien zu schaffen. Daher sind zwei Dinge wesentlich, um den Ablauf und den Sinn der anwaltlichen Plädoyers verstehen zu können. Auf der einen Seite muss in sozialer Hinsicht berücksichtigt werden, dass in der damaligen Zeit der Vergeltungsgedanke von großer Bedeutung war und die Entscheidungen maßgeblich beeinflusste. Unter prozessualen Gesichtspunkten war auf der anderen Seite ausschlaggebend, dass die Entscheidung im Ermessen der Richter lag, die es mit allen Mitteln zu überzeugen galt. Aus diesen beiden Gründen konnte das Gericht zu einem Ort fiktiver Konfliktregelung werden, die sich durch das gesprochene Wort als real und nützlich erwies. In diesem geschlossenen Bereich des Gerichtshofs vollzog sich eine Art Verwandlung: nicht nur der Individuen, sondern auch der Strafen. Dies konnte bereits ausreichen, um die verletzte Ehre wiederherzustellen und zu anderen Formen der Konfliktlösung überzugehen, eventuell auch außerhalb des Gerichts. Die Redekunst lief geradezu nach einem Code ab, bei dem Verteidiger und Kläger schamlos mit der Persönlichkeit des Angeklagten spielten, ohne sich um die tatsächlichen Fakten zu kümmern. Das fama facti verschwand hinter der fama personae. Das Ergebnis war eine machiavellistische Gegenüberstellung zwischen dem Guten und dem Bösen. Der irreversiblen Situation, in die der Angeklagte durch eine solche Darstellung geriet, folgte ein Verhandeln über die anzuwendenden Strafen, bei denen es hauptsächlich um die Wiederherstellung der Ehre ging. Deren Durchführung musste sich zum Teil im Kreise des Gerichts abspielen, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Gerechtigkeit des Königs verletzt worden war, zum Teil an dem Ort, an dem das Verbrechen begangen worden war, um der privaten Wiedergutmachung zu dienen. Die Rechtslehre hat es mithin trotz ihrer Beeinflussung durch das römische Recht nicht geschafft, den Tatsachenbeweis vollständig in die Rechtspraxis zu integrieren. Dies ist zweifellos darauf zurückzuführen, dass weiterhin Ruf und Ehre den sozialen Beziehungen zugrunde lagen. Die lebendige Rede der Advokaten hat aus dem Gericht ein geschlossenes, ritualisiertes

Rituels et voix vive des avocats au Parlement de Paris

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Feld gemacht, in dem Wiedergutmachung mit Worten geschah. Die Mehrheit dieser Strafen ist nicht vollstreckt worden. Es handelt sich mithin nicht darum, ihre Wirkung in der Realität festzumachen, sondern zu verstehen, wie durch sie eine reale Wirkung geschaffen wurde, um den Erfolg der Konfliktlösung zu sichern und die Justiz des Königs zu befördern.

Der Gebrauch der Volkssprache vor Gericht im Niederländischen Friesland im 19. Jahrhundert Von Bastiaan D. van der Velden I. Einleitung In meiner Dissertation habe ich untersucht, auf welche Weise in den Niederlanden in den letzten zwei Jahrhunderten die friesische Sprache zwischen Bürgern und Behörden gebraucht wurde.1 Der Kontakt der Bürger mit den Behörden wird in dieser Arbeit „officiële verkeer“ genannt. Dies entspricht in etwa dem Begriff „Amtsverkehr“. Gemeint sind gleichermaßen Verwaltungsbehörden, Gemeinderat, Bürgermeister, Parlament und Regierung, aber auch der öffentliche Dienst wie Finanzbehörden und öffentliche Prüfungsinstanzen sowie insbesondere die Gerichte. Heute sprechen etwa 500.000 Menschen in den Niederlanden friesisch. Die Hälfte davon benutzt diese Sprache sogar täglich zu Hause und etwa 17% aller Friesisch sprechenden Niederländer sind in der Lage, es auch zu schreiben. Die Gruppe von Friesisch sprechenden Einwohnern in den Niederlanden ist bedeutend größer als die der in Deutschland wohnenden Friesisch Sprechenden: Das Sater-Friesische wird nur noch von etwa 2.250 Menschen in der Region um Strücklingen, Ramsloh und Scharrel gesprochen und das Nordfriesische von etwa 6.000 bis 10.000 Menschen in Deutschland. Schon im frühen 16. Jahrhundert wurde das Friesische als Rechts- und Verwaltungssprache immer weniger gebraucht und nach dem Jahr 1547 verschwand es in schriftlichen Dokumenten ganz zugunsten des Niederländischen. Im Norden Deutschlands kann man im gleichen Zeitraum, wenn auch einige Jahrzehnte früher, einen Wechsel im schriftlichen Gebrauch vom Niederdeutschen ins Hochdeutsche feststellen. In Friesland begann erst Anfang des 19. Jahrhunderts in der Zeit der Romantik eine kleine Gruppe von Schriftstellern das Friesische wieder als Schriftsprache zu benutzen; das Friesische wurde in dieser Zeit sonst nur noch als Umgangssprache, vor allem auf dem platten Land in Friesland, gebraucht.

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B. D. van der Velden, Waar gaan wij heen met het Fries?, Tilburg 2004, S. 48–57.

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II. Sprachliche Situation in den Gerichten in Friesland im 19. Jahrhundert Im Rahmen dieses Aufsatzes möchte ich die sprachliche Situation in den Gerichten Frieslands im 19. Jahrhundert untersuchen. Es gibt fast keine Auskünfte über den Gebrauch der friesischen Sprache im Amtsverkehr im 19. Jahrhundert, auch weil es sich nicht um ein politisches Thema handelte. Es war zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich, dass Beamte Friesisch sprachen. Als Beispiel sei hierfür ein Zitat aus einer Kurzgeschichte genannt, die im Jahr 1846 publiziert wurde. Zwei Beamte laufen durch Leeuwarden, der Hauptstadt Frieslands, beobachten ein Schiff und sind an den Waren an Bord interessiert. Einer der Beamten fragt: „Hy jy der! – Hou ris an met je boat – Zeg! Wat hè je in?“ („He du – Halte an mit deinem Schiff – Sag mal! Was hast du da drin?“). Der Autor kommentierte diese Frage mit der folgenden Bemerkung: „Sa sette dy iene yn, lyk as ’t fon selm sprekt, yn ’t stedsk; hwent hwa heart én Commies Frysk kaltjen?“ („So fing der eine an, was würde man anders erwarten, in der Sprache der Stadt Leeuwarden (stedsk); hat man je einen Beamten Friesisch sprechen gehört?“).2 Auf diese Weise machte der Schriftsteller dem Leser deutlich, dass es für höhere Beamte unüblich war, Friesisch zu sprechen. Oft wird der Gebrauch einer früheren Sprache in einem Rechtssystem als ein Symbol für einen unteilbaren Staat gesehen. In Frankreich ist diese Auffassung seit der Französischen Revolution allgemein akzeptiert, und im Amtsverkehr gibt es eigentlich keinen Platz für die in Frankreich verbreiteten regionalen Sprachen. In den Niederlanden hat es am Anfang des 19. Jahrhunderts einige Gesetze gegeben, die sich mit dem Sprachgebrauch beschäftigten, aber diese waren nur entwickelt worden, um den Gebrauch des Französischen im heutigen Belgien zu regeln.3 Erst Anfang des 20. Jahrhunderts sind in den Niederlanden neue Gesetze erlassen worden, in denen der Sprachgebrauch geregelt wurde. Der verpflichtende Gebrauch des Niederländischen in bestimmten Dokumenten, unter Ausschluss anderer Sprachen, war eine Folge der Gesetzgebung, die 1928 in Kraft trat. Das Gesetz über vereidigte Übersetzer wurde ebenso angepasst wie auch eine Regelung, die die Handelsgesellschaften (NV) betraf. Der Art. 8 des Gesetzes über vereidigte Übersetzer enthielt eine Regelung, die die Übersetzung all jener fremdsprachigen Akte forderte, die in ein öffentliches Register eingetragen oder umgeschrieben werden mussten. In die die Handelsgesellschaften (NV) betreffende Regelung wurde aufgenommen, dass die diesbezüglichen Errichtungsakte auf Niederländisch erstellt werden mussten. Mit diesen beiden

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Anoniem, Ambtners îwer bileane, in: Iduna 1846, S. 39–40. Vgl. F. Blauwkuip, De Taalbesluiten van Koning Willem I, Amsterdam 1920; A. de Jonghe, De taalpolitiek van Koning Willem I in de Zuidelijke Nederlanden (1814– 1830) de genesis der taalbesluiten en hun toepassing, Brüssel 1943. 3

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Gesetzen kam die erste Sprachgesetzgebung in den Niederlanden seit 1830 zustande. Der niederländische Jurist de Bosch Kemper berichtete im Jahre 1840 in seinem Lehrbuch zum Strafprozessrecht über den Gebrauch von regionalen Sprachen im Gericht.4 Positivrechtlich gesehen war der Sprachgebrauch im Strafrecht ab 1838 in Artikel 196 des Wetboek van Strafvordering formuliert.5 Es gab zwei Regeln in Bezug auf den Sprachgebrauch: Zum einen musste ein Übersetzer in der Gerichtsverhandlung eingesetzt werden, wenn der Angeklagte oder einer der Zeugen der niederländischen Sprache nicht ganz mächtig war – anderenfalls drohte die Nichtigkeit des Urteils. Zum anderen war es dem Richter selbst nicht erlaubt, als Übersetzer aufzutreten – daraus wurde die ungeschriebene Regel abgeleitet, dass der Richter die Sitzung auf Niederländisch abzuhalten hatte. De Bosch Kemper legte im Jahre 1840 die Gesetzeslage weitergehend aus. Seiner Ansicht nach war es möglich, die Sitzungen direkt in der jeweiligen regionalen Sprache, wie dem Friesischen, aber auch in der plattdeutschen Sprache abzuhalten (wenn in der jeweiligen Region diese Sprache allgemein genutzt wurde).6 Zumindest aber sei es dem Angeklagten und den Zeugen erlaubt, sich in ihrer regionalen Mundart auszudrücken und auch eine Antwort vom Richter in dieser Mundart zu erhalten. Schließlich sei es im Strafprozess hochgefähr4 J. de Bosch Kemper, Wetboek van Strafvordering: naar deszelfs beginselen ontwikkeld en in verband gebragt met de algemeene regtsgeleerdheid met een bijvoegsel bevattende formulieren en voorbeelden, Teil II, Amsterdam 1838–1841, S. 511. 5 Wetboek van Strafvordering (1838), Art. 196: „Indien de beschuldigde en de getuigen, of een hunner, de Nederduitsche taal niet magtig is, zal het hof, op straffe van nietigheid, eenen tolk benoemen, welke den vollen ouderdom van drie en twintig jaren zal hebben bereikt, en denzelven, op straffe als hierboven, den eed doen afleggen van getrouwelijk de gezegden te vertolken, welke tusschen degenen die verschillende talen spreken, mogten worden gewisseld. De beschuldigde en de Procureur-Generaal zullen den tolk mogen wraken, mits redenen daarvan gevende, en het hof zal daarover uitspraak doen. De tolk zal, op straffe van nietigheid, noch uit de getuigen, noch uit de regters, mogen worden genomen, zelfs niet met goedvinden of toestemming van den beschuldigde of van den Procureur-Generaal.“; vgl. auch Wetboek van Strafvordering (1926), Art. 306. 6 De Bosch Kemper verwies auf den französischen Juristen Serpillon, der beschrieb, wie im Entwurf von Tit. XIV, Art. 11 der Ordonnance von 1670 zuerst die folgende Formulierung gewählt worden war: „Si l’accusé est étranger et n’entend pas la langue françoise“. Später war diese Formulierung geändert worden in: „Si l’accusé n’entend pas la Langue Françoise“. Serpillon meinte, dass auch die Einwohner Frankreichs ihre Landsleute nicht immer verstehen können, F. Serpillon, Code Criminal ou Commentaire sur l’ordonnance de 1670, Teil I, Lyon 1767, S. 668–670. Der Paragraph aus der Ordonnance von 1670 ist übernommen worden im Code d’Instruction Criminelle (in Frankreich ab dem 1. Januar 1811 gültig, im Königreich Holland ab dem 1. April 1811), art. 332: „Dans le cas où l’accusé, les témoins ou l’un d’eux ne parleraient pas la même langue ou le même idiome, le président nommera [. . .] un interprète.“

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lich, Sachverhalte nur halb zu verstehen oder nur halbverständlich schildern zu können, wenn die muttersprachliche Ausdrucksweise untersagt sei. Bei gegebenem Anlass könne dann ja auch noch ein Übersetzer eingeschaltet werden.7 Es ist sehr kompliziert, den tatsächlichen Gebrauch des Friesischen vor Gericht zu erforschen, da, selbst wenn Friesisch gesprochen wurde, die Verhandlungsprotokolle grundsätzlich nur auf Niederländisch abgefasst wurden. Laut Vorschrift musste zwar ein Übersetzer, unter der Androhung sonstiger Nichtigkeit des Urteils, eingesetzt werden, aber aus der Literatur kennen wir nur einen einzigen Fall aus dem Jahre 1893, in welchem ein Experte eingeschaltet wurde, um einen friesischen Begriff korrekt auf Niederländisch wiederzugeben.8 Ähnlich wie der Gebrauch des Friesischen ist auch der Gebrauch des Flämischen in Belgien im 19. Jahrhundert schwierig festzustellen. Über das Flämische in Belgien (wo Französisch die Amtssprache war) schrieb van Goethem: „Was in jedem Gericht mündlich passierte, kann der Forscher nur sehr fragmentarisch herausbekommen.“ Aus den Sitzungsprotokollen konnte zum Teil rekonstruiert werden, in welcher Sprache die Sitzung stattgefunden hatte. Weitere Informationen erhielt van Goethem aus der Korrespondenz der Beamten des Justizministeriums.9 Genau so wie in Flandern ist es auch in Friesland schwierig, den mündlichen Gebrauch der Sprache festzustellen. Während man über die Situation im 20. Jahrhundert aus der Korrespondenz der Richter in Friesland mit dem Justizminister, aus Zeitungsartikeln sowie Leserbriefen in den Zeitungen Informationen erhalten konnte, existieren nur wenige Informationen über das 19. Jahrhundert. Allerdings sind in Friesland noch einige Gerichtsprotokolle mit brauchbaren Informationen und Berichterstattungen von Journalisten zu finden, die vor allem die Strafrechtssachen aufzeichneten. In den Verhandlungsprotokollen des 18. Jahrhunderts der Gerichte in der Provinz Friesland sind nur sehr wenige Hinweise darauf, dass Friesisch gesprochen wurde, zu finden. Diese Protokolle sind fast alle auf Niederländisch abgefasst, und es gibt in der Literatur nur wenige Verweise auf das Friesische. Drei Fälle kann ich hier nennen, aber es ist mir nicht gelungen, weitere Beispiele im Rahmen meiner Untersuchungen zu finden.10 In dem „Crimineel Informatieboek“, dem Auskunftsbuch über kriminelle Vorfälle in dem Dorf Workum in den Jahren 1753 bis 1773, gibt es ein Verhör, das im Buch teilweise auf Friesisch wie7

De Bosch Kemper, Wetboek van Strafvordering (Anm. 4), S. 511. Van der Velden, Waar gaan wij heen met het Fries? (Anm. 1), S. 48–56. 9 H. van Goethem, Taaltoestanden in het Vlaams-Belgisch gerecht 1795–1935 (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen. Letteren en Schone Kunsten van België 134), Brüssel 1990, S. 45. 10 A. Feitsma/R. Bosma, Frysk út de 18de ieu. Teksten en Fragminten. Diel III: 1763–1779, in: Estrikken, Nr. XXII, Grins 1961, S. 81. Siehe auch J. van der Kooi, Frysk út de 17de en 18de ieu. Oanfollingen diel II, in: Estrikken, Nr. XLV, Grins 1972, S. 110. 8

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dergegeben wird.11 In diesem Buch kommen öfter friesische Wörter vor, wie dou. In Schriftstücken aus Verhandlungen vor dem Hof von Friesland findet man in den Akten ebenfalls einige Zitate auf Friesisch.12 Von zwei Richtern aus dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass sie Friesisch sprachen. Van der Schaaf nennt uns U. A. Evertsz (1799–1860) und den Schreiber einer friesischen Grammatik P. van Blom (1824–1910).13 Oldersma schrieb, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht unüblich war, dass die Verdächtigen, aber auch die Richter und die Staatsanwaltschaft sich auf Friesisch äußerten. Daher war die Atmosphäre im Gerichtssaal sehr informell und es gab keine Sprachprobleme.14 Vom Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es mehrere Protokolle mit Aussagen in der friesischen Sprache. Am 10. August 1819 war der Friedensrichter Arend Evertsz (1760–1830)15 Polizeirichter im Kanton Akkrum. Hier mussten Wieger van Eick (1755–1820), von Beruf Notar und Steuerbeamter, Pieter van Eick (1788–1873) und Able van Eick, Torfarbeiter, erklären, warum sie Wisse Piekes van der Meulen beleidigt hatten. Im blad der rolle kann die Verhandlung nachvollzogen werden. Hier kann zum Beispiel die Aussage der Zeugin Anne Greets Loyinga herangezogen werden (kursiv sind die Teile des Protokolls, die auf Friesisch sind): „[. . .] toen Wieger van Eick binnen kwam, en Wisse Piekes van der Meulen aansprak, en tegen hem zeide, bist dou daar? Waarop Wisse zei: Ja. [Daarop zei Wieger:] wilt gij even met mij gaan, naar mijn Dochter? Waarop Wisse verklaarde met zijne dochter niets nodig te hebben, toen zeide Wieger van Eick dou bist een slechte kaerel, gij hebt gezeid, dat als het op den tijd kwam, zoudt gij haar trouwen [. . .].“16

Aus der zuvor genannten Funktion wird schon deutlich, dass es sich hier nicht um Arbeiter handelte, die vor Gericht standen. Wieger van Eick war in den Jahren 1811 und 1812 Gerichtsschreiber am Friedensgericht gewesen. Pieter war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Gerichtsschreiber an demselben Gericht, er durfte aber nicht in dieser Funktion auftreten. Der Gerichtsschreiber hatte die 11

Tresoar (Rijksarchief Friesland), toegang 13–44, Nr. 5. J. H. A. Lokin/C. J. H. Jansen/F. Brandsma, Het Rooms-Friese recht, Hilversum 1999, S. 189. 13 S. van der Schaaf, Skiednis fan de Fryske biweging, Ljouwert 1977, S. 358. 14 R. S. Wegener Sleeswijk/L. Oldersma, Rechterlijk Friesland 1811–1999, naamlijst leden rechterlijke macht, leden openbaar ministerie en griffiers, Hilversum 1999, S. 18. 15 Ebd., S. 94. 16 Tresoar (Rijksarchief Friesland), Archieven van rechterlijke instellingen in de provincie Friesland van 1 maart 1811 tot 1 oktober 1838, toegang 16, politierechter kanton Akkrum, inv. no. 330, zitting 10 augustus 1819, zaak tegen Wieger van Eick, Pieter van Eick en Able van Eick, Blad der Rolle. Die Interpunktion wurde von mir zugefügt. 12

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Sache auf Niederländisch mitgeschrieben, nur ausnahmsweise hatte er einige Worte auf Friesisch wiedergegeben. Das waren dann immer Zeugenaussagen, in denen eine Aussage des Angeklagten wörtlich wiedergegeben wurde. In Angelegenheiten, in denen es um beleidigende Aussprachen ging (die dann meist zu Schlägereien führten), kam es häufiger vor, dass einige friesische Worte des Verdächtigen auch in dieser Sprache in das Protokoll aufgenommen wurden. So ist in einem Protokoll einer Sitzung vor dem Polizeirichter aus der gleichen Zeit zu finden, dass Jelle sagte: „dou biste een stronk jonge, een slegte kerel.“17 In einer Sache gegen Anna Everts van der Wal waren gegenseitige Beschuldigungen geäußert worden. Jantje Cornelis Hoekstra sagte, dass Anna vier Eier gestohlen hatte: „Ja de andere vier hest douw.“18 Der Gerichtsschreiber tat sein Bestes, aber mehr als einige Aussprachen phonetisch zu notieren, konnte er auch nicht. Die friesischen Worte wechselten sich sogar innerhalb eines Satzes mit niederländischen Worten ab, so dass eine unverständliche Mischung entstand. Zu dieser Zeit existierten auch noch keine Wörterbücher oder eine Grammatik für das Friesische. Neben den Fundstellen in den Protokollen gibt es auch Belege dafür, dass vor dem Friedensrichter Friesisch gesprochen wurde. De Bosch Kemper äußerte sich über die niedrigere soziale Klasse, die nicht gut Niederländisch sprach.19 Es war im 19. Jahrhundert vor allem diese Klasse, die vor dem Strafrichter stand. Sleurink inventarisierte die Strafsachen des Gerichtes (II. Instanz) in Leeuwarden im Jahr 1890.20 Die Hälfte der Angeklagten gehörte zur Arbeiterschaft, weitere 23% waren ohne Beruf; diese Gruppe bestand aus Hausfrauen und vermutlich arbeitslosen Arbeitern. Zwar stand auch zweimal ein Bürgermeister vor dem Richter, aber das war eine Ausnahme. In den Strafsachen sah sich der Richter meist einem Arbeiter gegenüber. Über den Sprachgebrauch dieser Klasse schrieb Sloet an Oldenhuis im Jahre 1852, dass die friesische Landbevölkerung ausschließlich auf Friesisch denke und spreche und das Niederländische für sie wie eine Fremdsprache sei.21 Für die Position des Friesisch sprechenden Angeklagten war auch die Frage wichtig, ob dieser einen Anspruch auf einen juristischen Beistand hatte. Viele Landarbeiter machten keinen Gebrauch von einem Anwalt, der auch zugleich als Übersetzer hätte fungieren können, und standen daher allein dem Richter

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Tresoar (Rijksarchief Friesland) (Anm. 16), zitting 10 maart 1812. Ebd., no. 331, zaak tegen Anna Everts van der Wal, 8 juli 1828, Blad der Rolle. 19 De Bosch Kemper, Wetboek van Strafvordering (Anm. 4), S. 513 f. 20 H. Sleurink (Hg.), Inventarisatie van de strafzaken behandeld door de arrondissementsrechtbank te Leeuwarden in 1890, als Annex no. 7 aufgenommen im Inventar Rijksarchief Friesland, toegang 18, archieven van de Arrondissementsrechtbanken in Friesland. 21 K. J. van Dijk, De ûntjouwing fan it Frysk yn it offisiële ferkear (YTY-publikaasje 3), Ljouwert 1982, S. 30. 18

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gegenüber.22 Wenn in diesem Fall der Richter die Sprache des Verdächtigen nicht verstand, kam es in der Praxis zu Problemen. III. Aufgrund von Zeitungsberichten gewonnener Eindruck über den Sprachgebrauch bei den Gerichtssitzungen Die Gerichtsprotokolle vom Ende des 19. Jahrhunderts sind zur Feststellung, ob die Verdächtigen und Zeugen Friesisch sprachen, nicht brauchbar. Die Protokolle sind in einem nüchternen amtlichen Ton wiedergegeben und nicht mehr so bildlich wie in den Jahrzehnten zuvor. So spricht ein Verdächtiger über ein Hackmesser, welches bei der Sitzung „in judicio“ vorlag.23 Allem Anschein nach ist dieser formalistische Wortgebrauch einzig und allein das Werk der Gerichtsschreiber. Die friesischen Zeitungen enthalten regelmäßig Berichte über Gerichtssitzungen, keine Sitzung wurde unterschlagen. In den Jahren ab 1890 erschien eine Serie von Sitzungsberichten in der in Heerenveen erscheinenden Zeitung Hepkema’s Courant. Meist waren die Berichte nicht so ausführlich, wie im Fall des smerige Koninginnetje aus dem Jahre 1893, aber es gelang ihnen gleichwohl zumeist, ein sehr lebendiges Bild von den Sitzungen wiederzugeben.24 Zur Feststellung, inwieweit diese Zeitungsberichte eine richtige Wiedergabe der Sitzungen sind, können diese mit den Gerichtsprotokollen verglichen werden. Das Gericht von Heerenveen ist zwar nicht das passendste Beispiel für eine Untersuchung bezüglich des Gebrauchs des Friesischen, da nicht der gesamte Gerichtsbezirk friesischsprachig war (auch Steenwijk und Stellingwerven gehörten dazu). Dennoch denke ich, dass die lebendige Berichterstattung in dem Nieuw Advertentieblad zusammen mit den vorhandenen Sitzungsprotokollen ab dem Jahr 1894 uns genügend Informationen über den Gebrauch des Friesischen in den Strafsachen der Gerichte in Friesland geben. An Hand von einigen Beispielen möchte ich zeigen, dass in den Sitzungen regelmäßig Friesisch gesprochen wurde. Im März 1894 fanden im Gericht zu Heerenveen fünf Sitzungen statt, bei denen 38 Verhandlungen geführt wurden.25 Von diesen wurden 35 Verhandlungen im Nieuw Advertentieblad wiedergegeben.26 In 14 dieser Verhandlungen sprachen der Verdächtige oder einer der Zeugen Friesisch. Die übri22

Van Goethem, Taaltoestanden (Anm. 9), S. 53. Tresoar (Rijksarchief Friesland), Arrondissementsrechtbank Heerenveen, toegang 18-01, no. 122, 13 december 1894, proces-verbaal no. 380. 24 Van der Velden, Waar gaan wij heen met het Fries? (Anm. 1), S. 48–57. 25 Tresoar (Rijksarchief Friesland), Eerste proces-verbaal in maart 1894: no. 80, 1 maart 1894 tot het laatste proces-verbaal in maart 1894: no. 118, 29 maart 1894, toegang 18-01, inv. Nr. 122. 26 Nieuw Advertentieblad van 3, 7, 10, 14, 17, 21, 24, 28 und 31 maart en 4 april 1894. 23

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gen Verhandlungen fanden auf Niederländisch statt, oder aber es ist aus den Berichten nicht möglich herauszufinden, ob in einer anderen als der niederländischen Sprache verhandelt wurde. Darüber hinaus kamen einige der Verdächtigen auch aus Gebieten außerhalb des friesischen Sprachraums. Aus den Zeitungsberichten wird deutlich, dass es kein Problem war, bei Gericht Friesisch zu sprechen. Hin und wieder stellte sogar der vorsitzende Richter eine Frage auf Friesisch. In dem im Folgenden dargestellten Fall spricht der Verdächtige ausschließlich Friesisch. Nutte Polstra, ein 65 Jahre alter Arbeiter, wohnhaft in Kortehemmen, wurde des Diebstahls verdächtigt. Er war durch den Beamten Sikke van der Mei auf frischer Tat erwischt worden. Nachdem Nutte die gestohlenen Sachen gezeigt wurden, erläuterte er das Unrecht, welches ihm angetan wurde: „Hja binne ’t net“, sagte er, „mienes wiernen swart. Dizze hat V. d. Mei sels fen ’e bult hêlle. Mar der is gjin rjucht mear for ’n earm minske. Ik ha al ris earder 45 dagen ûnskuldig sitten.“ „Pres. En nu weer 45 dagen de gevangenis in, wat dacht je? B. Dat hoop ik net, minhear! Pres. Nu, ik vrees er voor. De Off. eischt 45 dg. Pres. Nu, daar heb je ’t al; mijnheer zegt, dat je 45 dg. moet hebben. B. Ik bin únskildig, minhear! Die V. d. Mei is ’n gemiene kearl, hij giet nei de greaten te thee-drinken, mar for ’n earm minske is er gjin rjucht mear.“27

Gemäß dem Gerichtsprotokoll sprach Nutte Polstra die folgenden Worte: „De beklaagde gehoord, geeft op: Ik ontken mij schuldig gemaakt te hebben aan hetgeen mij wordt telastegelegd. Ik heb wel houtjes gezocht op het land van getuige Mulder, maar dat waren geheel andere dan in judicio aanwezig, die ik niet ken.“28

Aus den Beispielen der Zeitungsberichte kann gefolgert werden, dass die Auffassung von de Bosch Kemper (dass kein Verbot des Gebrauchs von regionalen Sprachen in den niederländischen Gerichtssälen bestand) mit dem übereinstimmt, was tatsächlich in den Gerichten geschah. Etwa 40 Jahre später, im Jahr 1933, schrieb der Leeuwardener Gerichtspräsident Stheeman an den Justizminister, dass es eine ständige Gewohnheit sei, den Gebrauch der friesischen Sprache zuzulassen und dass es unerwünscht sei, den Gebrauch des Niederländischen zu verlangen. Dies erfolgte mit der Begründung: „een andere houding [is] in deze provincie praktisch nauwelijks“ (Eine andere Haltung ist praktisch unmöglich in dieser Provinz).29 27

„Kortehemmen“, Nieuw Advertentieblad van 4 april 1894. Tresoar (Rijksarchief Friesland), Arrondissementsrechtbank Heerenveen, toegang 18-01, no. 122, Proces-verbaal van onderzoek ter terechtzitting, no. 117, 29 maart 1894. 28

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IV. Der Beginn des Streites um den Gebrauch des Friesischen im Amtsverkehr (1900–1933) Wie oben bereits dargestellt, entwickelte die friesische Bewegung ab dem Jahr 1900 grundlegende Ideen im Hinblick auf den Gebrauch der friesischen Sprache in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Die wichtigste aktive Vereinigung zu diesem Zeitpunkt, die Selskip-1844, forderte im Jahr 1901 die Gemeinderatsmitglieder auf, sich auch bei ihren Gemeinderatssitzungen auf Friesisch zu äußern, eben in jener Sprache, die sie auch im täglichen Leben benutzten. Zu dieser Zeit bestand keine gesetzliche Regelung, die den Sprachgebrauch im Gemeinderat festlegte. Aus einer Reihe von Vorfällen aus den zwanziger Jahren wissen wir, dass der Gebrauch des Friesischen im Gemeinderat zwar toleriert wurde, dass es aber nicht möglich war, diesen Brauch in einer amtlichen Gemeinderatsverordnung festzulegen. Die öffentliche Diskussion über den Gebrauch des Friesischen im Gerichtssaal fing erst um 1900 an. Wie bereits dargestellt, gab es keine gesetzliche Sprachregelung. Für Ausländer war es möglich, vor Gericht in einem Strafprozess einen amtlichen Übersetzer zugeordnet zu bekommen. Im Jahre 1902 diskutierten Mitglieder der friesischen Selskip-1844 auf ihrer Jahresversammlung das Verhalten eines Richters aus Heerenveen, der die Angeklagten aufgefordert hatte, nur Niederländisch zu sprechen. Darüber berichteten einige Zeitungen und juristische Fachzeitschriften. Bereits im selben Jahr forderte das Parlamentsmitglied van der Zwaag, dass dieses Problem beim Haushaltsplan für die Justiz zu berücksichtigen sei. Van der Zwaag schlug vor, in Friesland amtliche Übersetzer bei Gericht zu bestellen, da es mehrere Richter gab, die die friesische Sprache nicht beherrschten. Der damalige Justizminister sagte zunächst eine Untersuchung zu, erkannte diese Frage aber nicht als so problematisch an, da ihm nie Berichte aus Friesland zugekommen waren, die auf Probleme im Hinblick auf den Sprachgebrauch hinwiesen. Nach seiner Meinung bekam jeder im niederländischen Friesland Unterricht in Niederländisch und müsste daher auch die Landessprache mühelos sprechen können. Hier war also nicht der Streit um die friesische Sprache der Ausgangspunkt der Aktivitäten, sondern der Schutz der sozial schwächeren Bevölkerungskreise, die unzureichende Kenntnisse der niederländischen Sprache besaßen – Menschen, die in Schwierigkeiten kamen, wenn sie gezwungen wurden, Niederländisch zu sprechen. Erst bei der Einführung des Gesetzes über den Gebrauch der friesischen Sprache (1956, Staatsblad Nr. 242) wurde festgelegt, dass der Richter den Gebrauch des Friesischen bei den Sitzungen erlauben musste und nur unter bestimmten Voraussetzungen den Angeklagten und die Zeugen auffordern konnte, einen Satz auf Niederländisch zu wiederholen oder die Sitzung ganz auf Nie29

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derländisch abzuhalten. Durch die Europäische Charta der Regional- und Minderheitssprachen von 1992, die in den Niederlanden im Jahre 1998 in Kraft getreten ist, bekam die gesetzliche Lage des Friesischen eine neue Dimension. Nun sind in einem einzigen Gesetz alle Bestimmungen zusammengefasst, die in den Niederlanden auf den Gebrauch des Friesischen im Rechtsverkehr, im Unterricht und in den Medien Bezug nehmen. Summary In the early Middle-Ages the Frisians lived along the shores of the North Sea from Belgium up to the south of Denmark. In the 16th century their language disappeared as a legal and official language in the Netherlands but Frisian remained the spoken language for daily communication. This essay is on the use of the Frisian language in court in the 19th century. It is difficult to investigate the language spoken in court a hundred or two hundred years ago, because all official records were kept in Dutch. In 1820, in some of the official protocols words from witnesses were written down in Frisian. In protocols dating from the end of this century Frisian cannot be found anymore. In this later period one can even doubt if the formal language of these protocols is an accurate record of the witnesses’ speech. All the protocols are written in Dutch. It seems that the clerk of the court polished the witnesses words. Therefore other sources have to be taken into account. The newspapers published in Friesland in that period had extensive articles on the proceedings in court. In some of the newspapers these articles were written like a play with dialogues. In these plays the words of the witnesses and accussed are in their own tongue, which is mostly Frisian. Sometimes even the judge’s part is in Frisian.

B. Gesten und Symbole im Gericht

Die Strafgerichtsverhandlung als Theater des Rechts* Von Wolfgang Schild „You know, someone said that the world’s a stage and each must play a part.“ Diesen Text von Roy Turk sang zur Musik von Lou Handmann im Jahre 1960 Elvis Presley in seinem Hit „Are you lonesome tonight“. Dieser Jemand war – so erfuhr ich später in der Schule – William Shakespeare. Bald fand ich vergleichbare Sätze bei vielen anderen Dichtern, Philosophen und auch Wissenschaftlern. Soziologen sprachen und sprechen von „Rolle“1, Kulturwissenschaftler von „Lebensstil“ als „Selbstdarstellung“2, Anthropologen von „Ritualen“ und „Ritualisierung“3, Sprachwissenschaftler entwickel(te)n eine Theorie der „Sprechakte“4 usw. Neue Begriffe tauchten auf: in den achtziger Jahren mit dem Höhepunkt in den ausgehenden neunziger Jahren „Inszenierung“5, in den letzten Jahren zunehmend die „Performanz“6; Begriffe mit mehrdeutigem In* Der Vortragstil des auf dem Symposium „Symbolische Kommunikation vor Gericht (15.–18. Jahrhundert)“ vom 22.–23.04.2005 in Münster gehaltenen Vortrages wurde weitestgehend beibehalten. 1 Dazu siehe J. Früchtl/J. Zimmermann, Ästhetik der Inszenierung, in: dies. (Hg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a. M. 2001, S. 9–47, S. 10 ff. (m. w. N.). 2 Dazu siehe ebd., S. 14 ff. (m. w. N.). 3 Dazu siehe G. Althoff (Hg.), Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des SFB 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des SFB 496 3), Münster 2004; A. Belliger/D. Krieger (Hg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998; C. Caduff/J. Pfaff-Czarnecka (Hg.), Rituale heute. Theorien – Kontroversen – Entwürfe, Berlin 1999; H. Duchhardt/G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln 1997; K. Schreiner/G. Signori (Hg.), Bilder, Texte, Rituale. Wirklichkeitsbezug und Wirklichkeitskonstruktion politisch-rechtlicher Kommunikationsmedien in Stadt- und Adelsgesellschaften des späten Mittelalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 24, Berlin 2000; C. Witthöft, Ritual und Text. Formen symbolischer Kommunikation in der Historiographie und Literatur des Spätmittelalters, Darmstadt 2004; C. Wulf (Hg.), Die Kultur des Rituals, München 2004 (jeweils m. w. N.). – Zur „symbolischen Kommunikation“ vgl. auch R. Schulze (Hg.), Rechtssymbolik und Wertevermittlung (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004. 4 Dazu siehe U. Wirth, Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokution, Iteration und Indexikalität, in: ders. (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 9–60, S. 10 ff. (m. w. N.). 5 Dazu siehe Früchtl/Zimmermann, Ästhetik (Anm. 1), S. 9, Fn. 1 (m. w. N.).

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halt7, was die Diskussion bis heute befruchtet(e). Auch ich habe mich in dieser Richtung betätigt und damit 1981 mit einem Vortrag über den Strafrichter in der Hauptverhandlung8 begonnen: für das geltende Strafverfahren habe ich diesen Ansatz in bisher mehr als zwanzig Arbeiten für die Strafrechtsgeschichte fruchtbar zu machen versucht. Die folgenden Ausführungen versuchen nichts anderes, als den oben genannten Titel verständlich zu machen, zu zeigen, was er also in meinem Verständnis eigentlich meint. I. Handeln als „Theater“ Dabei möchte ich an diesen Elvis-Song anknüpfen, wonach die Welt eine Bühne sei, auf der jeder seine Rolle spielen müsse. Zunächst ist zu fragen, was diese Kennzeichnung der Welt als Theater, Inszenierung, Selbstdarstellung, Performanz usw. meinen kann. 1. Theater als Schein oder Erscheinung Zumindest ein Trugschluss liegt nahe, wie ich in der emotional aufgebrachten Diskussion meines Vortrages 1981 auf der Bielefelder Strafrechtslehrertagung erleben und erleiden musste: dass nämlich damit „nur Theater“ behauptet werde, also ein „Schauprozess“, ein „Scheinverfahren“, ein willkürlich ausgedachtes Spiel u. ä. gemeint sei. Dieses Verständnis ist zurückzuweisen. Die Welt (bzw. das Leben und Handeln der Menschen) sind im Sinne dieses Elvis-Zitates Theater, weil sie so beschrieben und erfasst werden können, da sie auf einer Bühne in einer Kulisse rollenhaft ablaufen nach einem Skript, das mehr oder minder genau das Handeln der Akteure vorschreibt, wobei selbstverständlich und wesentlich auch die Sprache, genauer: das Sprechen (sei es mit dem Körper/Leib [„Körpersprache“], 6 Vgl. E. Fischer-Lichte/D. Kolesch (Hg.), Kulturen des Performativen, Sonderband Paragrana: Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 7 (1998); E. Fischer-Lichte/G. Gebauer (Hg.), Theorien des Performativen, Sonderband Paragrana: Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001); E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004; A. Hetzel, Das Rätsel des Performativen. Sprache, Kunst und Macht, in: Philosophische Rundschau 51 (2004), S. 132– 159; J. Martschukat/S. Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Norm und Struktur 19), Köln 2003 (m. w. N.); Wirth, Performanz (Anm. 4). 7 Vgl. J. Austin über den Begriff „Performativ“: „Es ist ein neues Wort und ein garstiges Wort, und vielleicht hat es auch keine sonderlich großartige Bedeutung. Eines spricht jedenfalls für dieses Wort, nämlich, dass es nicht tief klingt.“, zitiert nach: Wirth, Performanzbegriff (Anm. 4), S. 9. 8 W. Schild, Der Strafrichter in der Hauptverhandlung, Heidelberg u. a. 1983.

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sei es mit der Stimme [die ebenfalls leiblich ist]) dazugehört. Der Theater-Hinweis betrifft eine bestimmte Methode, Lebensprozesse und Handlungsgestalten in der Welt zu beschreiben und darzustellen. Doch ist stets etwas vorausgesetzt, was nicht Theater sein kann, weshalb die These „nur Theater“ falsch bzw. missverständlich ist. Diesbezüglich darf ich Josef Früchtl und Jörg Zimmermann aus ihrer Theorie der „Ästhetik der Inszenierung“ zitieren, die sich auf die Anthropologie von Helmuth Plessner beziehen – die um den Begriff der „exzentrischen Position“ des Menschen kreist (und zugleich eine Theorie der Leiblichkeit im Verhältnis zur Körperlichkeit entwickelt [die auch für meine Versuche im Mittelpunkt steht]) – und schreiben: „[Diese] Bestimmung der conditio humana als ,exzentrische Position‘, die Bestimmung des Menschen als eines Wesens, für das Abstand zu sich selbst konstitutiv ist, hat für das Konzept der Inszenierung eine grundlegende Funktion. Denn [damit] wird die ,Möglichkeit‘ ebenso wie die ,Notwendigkeit‘ des Inszenierens einsichtig. [. . .] [W]eil der Mensch, anders als das Tier, zu sich selbst in exzentrischer Position steht, nicht nur ein Leib ,ist‘, sondern auch einen Körper ,hat‘, sich also nicht nur innerlich in Zuständen, sondern auch quasi von außen gegeben ist, kann und muss er sich selbst gegenübertreten, indem er sich selbst zur Erscheinung bringt, sich unter bestimmten Aspekten zeigt, so dass er sich gewissermaßen mit den Augen eines anderen sehen und in den Augen eines anderen sozusagen widerspiegeln kann. Der Mensch ist [. . .] daher von Natur aus bereits ein ,Schauspieler‘.“9

Interessant ist nun die Konsequenz, die Früchtl/Zimmermann aus dieser Theorie der exzentrischen Position – wonach der Mensch „das zur Erscheinung bringt, was seiner Natur nach nicht gegenständlich zu werden vermag“, „da der Mensch in seiner exzentrischen Position eben ,ist‘, aber sie nicht ,hat‘“ – ziehen: „Insofern beinhaltet Inszenierung, dass ihr immer etwas vorausliegt, etwas, das nicht zu vergegenständlichen ist aufgrund seiner Struktur der, um mit Hegel zu sprechen, ,Entzweiung‘ oder ,Verdoppelung‘. Der Mensch ist, wie das Ich, immer schon zwei und nicht in einer einzelnen Bestimmung zu fassen.“10 Früchtl und Zimmermann gehen aber auch über die anthropologische Theorie hinaus: „[. . .] auch logisch-semantisch kann darauf insistiert werden, dass der Inszenierung etwas vorausliegen muss. Denn würde das Vorausliegende, das ,Substrat‘, die notwendig zu unterstellende, aber nie zu ,stellende‘ Substanz, vollkommen in die Inszenierung eingehen, wäre sie selbst das ihr Vorausliegende. Von Inszenierung zu reden, ist nur sinnvoll, wenn zugleich etwas unterstellt wird, das nicht Inszenierung ist. Auch aus diesem Grunde lässt sich [. . .] sagen, dass jede Inszenierung aus dem lebt, was sie nicht ist. Denn alles, was sich in ihr materialisiert, steht im Dienste eines Abwesenden, das durch Anwesendes zwar vergegenwärtigt wird, nicht aber

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Früchtl/Zimmermann, Ästhetik (Anm. 1), S. 20 f. Ebd.

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selbst zur Gegenwart kommen darf. Inszenierung ist dann die Form der Doppelung schlechthin.“11

Soweit diese Ausführungen von Früchtl und Zimmermann! Ich möchte dazu nichts Weiterführendes sagen, vor allem nicht den Hinweis auf Hegel ausbreiten – außer nur als Andeutung, dass diese Doppelung nur von der Einheit her (die zugrunde liegt und daher mit-gedacht werden muss) zu begreifen ist –, aber doch an die Stichworte erinnern: „Spiegel“, „Verdoppelung“; und vor allem: „indem [der Mensch] sich selbst zur Erscheinung bringt“, weil dieser Terminus uns noch beschäftigen wird. Aber als Ergebnis kann jedenfalls festgehalten werden: ein Verständnis des Elvis-Zitates, dass danach die Welt „nur Theater“ sei, ist (zumindest nach dieser Philosophie) unhaltbar. Es ist immer ein Etwas vorausgesetzt, das nicht Theater ist, sondern sich in diesem Theater zur Erscheinung bringt (oder zur Erscheinung gebracht wird). Daher meint der Titel meines Vortrags nicht, dass die Strafgerichtsverhandlung nur ein Theater, also ein Schein- oder Schauprozess sei. Gemeint ist: es wird diese Verhandlung als ein Theater erfasst und beschrieben, deshalb, weil sie – als Verhandlung und damit als (öffentliches) Handeln – immer Theater ist und sein muss. Dies schließt im Übrigen nicht aus, dass jemand darangeht, einen bestimmten Prozess etwa in herrschaftskritischer Absicht als Schein- oder Schauprozess zu entlarven. Dann aber ist dieser Prozess das „Theater des Herrschenden“, aber nicht das „Theater des Rechts“; es sei denn, dieser jemand wollte auch in rechtskritischer, vielleicht anarchistischer Absicht zum Ausdruck bringen, dass das Recht überhaupt „Theater“ im Sinne von „nur-Theater“, also von Schein, wäre, dass es also gar kein Recht gebe. 2. Alles Theater – oder was? Diese Bemerkung führt zu einem zweiten Problem des Titels meines Vortrags, das aber auch auf den ersten Blick auffällt und zu einem zweiten möglichen Verständnis oder besser: Missverständnis des Elvis-Zitates führt, nämlich: dass „alles“ (die Welt insgesamt) Theater sei, also auch alles Leben und alles Handeln. Dies ist zwar einerseits richtig, weil es zutrifft für die Beschreibung und Erfassung dieser Gegenstände als Theater. Doch ist damit wiederum etwas Unmögliches ausgesagt. Dabei darf ich wiederum Josef Früchtl und Jörg Zimmermann zitieren: „Eine Redeweise wie: ,Alles ist Inszenierung‘ ist so widersprüchlich wie ihr philosophisches Original: ,Alles ist Schein‘. Auch darf [deshalb] der Begriff der Inszenierung [für meine Titelformulierung: Theater, W.S.] nicht schlichtweg mit dem gegenwärtig hochaktuellen Begriff der Konstruktion identifiziert werden. Dieser vermag ebenfalls nicht zu halten, was er verspricht, wenn er im Kontext einer sich 11

Früchtl/Zimmermann, Ästhetik (Anm. 1), S. 20 f.

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selbst implizierenden All-Aussage auftritt. Jede Inszenierung ist als ein Zur-Erscheinung-Bringen eine Konstruktion, aber es gilt nicht umgekehrt, dass jede Konstruktion auch eine Inszenierung ist.“12

Wiederum ist die Konsequenz zu nennen, die die beiden Autoren ziehen: dass nämlich beliebte Vereinfachungen unhaltbar seien, sei es mit dem Inhalt, dass täuschende Inszenierung einer unverstellten Wahrheit gegenübergestellt würde, sei es, dass Inszenierung Wahrheit sei, weshalb Wahrheit ein funktionsloser Begriff werde.13 Daran möchte ich kurz mit eigenen Worten anschließen. Der Satz „alles ist Theater“ kann Sinn nur dadurch gewinnen, dass bzw. wenn er einen anderen Satz verneint, nämlich: dass es etwas in der Welt des Menschen gebe, das nicht Theater wäre. In einer anderen, nämlich in meiner Terminologie gesagt: dass es möglich und denkbar wäre, dass das Wesen des Menschen sich als solches (unverstellt) verwirklichen würde und dass daher das Wesen unmittelbar die Welt – das Wesen somit das Sein – wäre. Die Wirklichkeit des Menschen wäre nach dieser zurückgewiesenen Auffassung das Wesen selbst, sozusagen eine ontologische Wahrheit; oder theologisch formuliert: das Wirkliche des Menschen wäre das Göttliche selbst, der ontologisch wahre Mensch wäre göttlich. Von dieser Auffassung her muss das Theatralische dann die Verfälschung, Täuschung, Lüge, ontologische Unwahrheit sein, also unwesentlicher, unwirklicher Schein; eben: nur-Theater (wie bereits erörtert, woraus sich ergibt, dass beide Auffassungen des Elvis-Zitates identisch sind). Legt man die genannte Theorie der exzentrischen Position (oder gar die oben auch angesprochene Hegelsche Philosophie) zugrunde, kann diese Gegenüberstellung von Wesen und Schein (als Un-Wesen) – zugleich als Sein und Nichtsein (Nichts) – nicht sinnvoll gedacht werden: auch nicht in der jeweiligen Getrenntheit. Ein Wesen – das nur Wesen wäre – könnte nicht als Wirklichkeit erfahren werden, nicht in der Welt sein, sondern in einem Jenseits (etwa einem Himmel, und sei es nur der Werte) seiend gedacht werden (und damit als ein Sein, das nicht ist). Selbstverständlich könnte auch ein Unwesen nicht als Wirklichkeit erfahren werden, nicht in der Welt sein, überhaupt nicht einmal gedacht werden: außer als dieses Gegenteil des Wesens (und damit nur negativ [eben als: Un-Wesen]). Beide – Wesen und Unwesen – sind in dieser Loslösung von der wirklichen Welt identisch: nämlich von dieser losgelöst zu denken. Das Wesen ist identisch mit dem Schein, also seinem Gegenteil, was nur gedacht werden kann, wenn sie zu einem Unterschied in einem höheren Begriff und dadurch miteinander in Verbindung und zu einer Einheit gebracht werden. Es ist notwendig, dass dieses Wesen erscheint. In diesem Begriff der „Erscheinung“ sind Wesen und Schein vermittelt, ihre trennende Gegenüberstellung als unhaltbar (abstrakt) aufgehoben. 12 13

Früchtl/Zimmermann, Ästhetik (Anm. 1), S. 21. Vgl. ebd., S. 22.

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Die Wirklichkeit der menschlichen Welt ist weder unmittelbares Wesen noch bloßer Schein14, sondern Erscheinung; und damit immer auch unwesentlich, unwahr, verstellt, auch gefährdet; eben: endlich. Auf die theologische Konsequenz dieser Vermittlung ist hier nicht einzugehen.15 Der Titel „Theater des Rechts“ meint also (d.h.: kann sinnvoll nur meinen) die Erscheinung des Rechts in der menschlichen Welt bzw. als menschliche Welt, nämlich konkret: in der und als die Strafgerichtsverhandlung. Dies zeigt erneut und vertiefend, dass der Satz „alles ist Theater“ keinen Sinn ergibt. Denn solche All-Sätze sind (wie wir bereits gelernt haben) in sich widersprüchlich (und sei es allein in dem Hinweis, dass dann auch dieser Satz selbst Theater sein müsste, aber auch das Denken). Wer „alles“ sagt, sagt eigentlich „nichts“, nämlich: nichts Bestimmtes, keinen bestimmten Inhalt. Der Satz kann nur die Form bedeuten, wonach alles in der menschlichen Welt als Theater beschrieben und erfasst werden kann, oder nach dem zuletzt Gesagten: wonach alles Erscheinung ist. 3. Theater als Zur-Erscheinung-Bringen Vieles ließe sich über diese logischen16 Begriffe Sein – Wesen – Schein – Erscheinung sagen, was hier aber nicht versucht werden kann und soll. Vor allem soll auf das schwierige Problem nach dem Subjekt, das hier erscheint, nicht genauer eingegangen werden. Nur angemerkt sei, dass ja in diesem Aufsatz nach dem Theater des Rechts gefragt wird, es also um ein „Recht“ geht, das erscheinen soll und kann. Erforderlich wäre daher, ein Recht vorauszusetzen und damit zu denken, also einen Rechtsbegriff zugrunde zu legen, der als Wirklichkeit erscheint; und der von Nicht-Recht – z. B. von Religiösem oder Künstlerischem oder naturwissenschaftlich Technischem (oder einer Tagung) – unterschieden werden müsste. Dieser Begriff des Rechts müsste ein Recht erfassen, so wie es heute gedacht (begriffen) und verwirklicht wird (auch) im Verfahren vor dem Strafrichter, das dann als Theater in diesem Sinne erfasst werden kann nach dem Skript des Rechtsbegriffs. Schwierig wären dann die offensichtlichen Unterschiede zu den früheren Verfahren zu begreifen, in denen Szenen vorkommen, die nicht mehr mit dem (heutigen) Rechtsbegriff vereinbar sind, sondern z. B. dem Begriff des Religiösen oder des Künstlerischen oder der Volksbräuche zuzuordnen wären. Das frühere „Theater des Rechts“ wäre also von daher immer auch das „Theater des Nicht-Rechts“ (eben des Religiösen oder des Künstlerischen oder der Volksbräuche), was erneut eine Verdoppelung bedeutet. 14 15 16

Oder – wie manche meinen – Traum. Aber sie soll zumindest genannt werden: als Menschwerdung Gottes. „Logik“ meint hier: eine (spekulative) Logik im Sinne der Philosophie Hegels.

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Will man sich diesem (wie ich meine: notwendigen) Problem nicht stellen, bleibt nur die Möglichkeit, sich damit zufrieden zu geben, dass es gar nicht um ein früheres Recht gehe, sondern nur um Inhalte, die diese früher Handelnden als „Recht“ bezeichnet, sich somit vorgestellt hätten (also im Sinne eines Nominalismus oder eines Positivismus17, die nichts anderes wären als der bereits genannte und zurückgewiesene Konstruktivismus). Man kann damit aber durchaus erfolgreich historisch arbeiten, sich einzelnen Prozessen zuwenden und/oder sich dann verallgemeinernd und vielleicht typisierend mehreren oder vielen Prozessen widmen, die auf die (jeweils) zugrunde liegende Rechtsvorstellung zurückgeführt werden, die sich in ihnen zeigt. Man kann dann allerdings streng genommen nicht mehr sagen: die in ihnen „erscheint“, weil es ja nichts gibt, was hier erscheinen könnte; sondern konsequent müsste man sagen: die sich in ihnen zum Scheinen bringt. Es ist eben – bzw. kommt allein in Betracht als – nur-Theater, weil dahinter nur ein Name oder eine Vorstellung steht, der/die mehr oder minder beliebig inhaltlich umschrieben und bestimmt werden kann. Es sind dann die menschlichen Subjekte als solche vorausgesetzt, die ihre beliebigen Vorstellungen in die Tat umsetzen, wobei sie Theater spielen müssen vor sich selbst und vor den anderen. Vorausgesetzt ist eine menschliche Subjektivität, die keinen vorgegebenen Inhalt hat und haben kann, sondern sich freiheitlich selbst bestimmen, entfalten und theatralisch darstellen muss. Es passt dann – wieder streng genommen – auch das Wort „verwirklichen“ (nämlich: dieser Vorstellung) nicht: denn wirklich ist nur diese Freiheit des Menschen, die sich in beliebigen Inhalten ein Dasein gibt, das Schein ist (und daher nicht Wirklichkeit). Man kann terminologisch nur mehr sagen: die sich Realität gibt, sich realisiert als Tatsache („res“).18 Die einzige Wirklichkeit ist die menschliche Freiheit, die inhaltlich aber nicht bestimmt werden kann: vor allem nicht als Recht (im Sinne des rechtlichen Handelns). Möglich ist nur eine mehr oder minder beliebige Definition dessen, was man sich als „Recht“ vorstellen will oder zweckmäßig vorstellen soll, wenn man mit anderen ins Gespräch kommen will (was eine gemeinsam – sozusagen: vertraglich – erstellte Rechtsdefinition voraussetzt). Ein (möglicher) Unterschied von „Wirklichkeit“ und „Realität“ kommt von daher nicht mehr in Sicht.19 Konsequenz ist dann freilich, dass ein Titel „Theater des Rechts“ nur schwer zu verstehen wäre. Denn meint er die Vorstellung der heutigen LeserInnen, passt er für die früheren Prozesse nicht, weil sie eben auch Theater des Nicht17 D.h. einer Auffassung, die auf „innere Tatsachen“ (etwa: eine „Mentalität“) abstellt. 18 Dazu siehe L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt a. M. 1993. 19 Weshalb auch der (daher: berüchtigte) Satz Hegels von der „Vernünftigkeit des Wirklichen“ (was gerade nicht bedeutet: „Vernünftigkeit des Realen“) heute nicht mehr verstanden wird.

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Rechts waren. Meint er die Vorstellung der früher Handelnden, dann verstehen den Titel die heutigen LeserInnen nicht, weil sie eine andere Vorstellung von „Recht“ haben. Verständnis könnte nur herbeigeführt und erweckt werden, wenn es gelingen würde, eine Gemeinsamkeit zwischen diesen früheren und heutigen Rechtsvorstellungen herzustellen oder aufzuzeigen, die den Unterschied nicht nivelliert, sondern zugrunde legt, dabei aber durch Vergleich das Gemeinsame herausstellt. Es ist dann aber fraglich, ob dieser Vergleich nicht mehr das Nicht-Gemeinsame betonen müsste, wodurch der Unterschied der heutigen zu der früheren Vorstellung in den Vordergrund treten würde. Freilich kann dies den Reiz des Früheren erhöhen, weil dieses so fremdartig erscheint. Auch die Vorstellung eines einheitlichen „Früher“ könnte sich nicht halten, da die Unterschiede deutlicher hervortreten würden. Was möglich bleibt, ist dann die Konzentration auf bestimmte Zeitabschnitte, die als Einheit angesetzt werden. Man ist zuständig für Alte Geschichte, für Mittelalter oder für die Frühe Neuzeit usw. Eine Entwicklung von alter Geschichte bis zur heutigen Zeit mit ihrem Rechtsbegriff kommt dadurch nicht in Sicht; außer vielleicht durch eine Typologie unterschiedlicher Rechtsvorstellungen, die durch vergleichende Betrachtung nach äußeren und letztlich beliebigen (oder von bestimmten Untersuchungszwecken her bestimmten) Kriterien vorgenommen wird. Man kann sich damit zufrieden geben. Aber zumindest als möglich müsste doch die Frage zugelassen werden, ob dieser Verzicht notwendig ist; oder ob (auch) eine Entwicklung gedacht werden könnte, die sich auch in der historischen Realität gezeigt, sich in den menschlichen Handlungen, Szenen und Verläufen – also dem Theater – niedergeschlagen hat. Etwa in dem Sinne, dass die heutige Rechtsvorstellung sich herausgebildet hat aus einer Vorstellung, in der dieses Recht noch mit religiösen, ästhetischen, volkstümlichen Inhalten verbunden war – aber niemals Religion, Kunst, Volksbrauch gewesen ist, da von diesen stets der eigentlich rechtliche Bereich unterschieden wurde –, die sich dann vom „eigentlichen“ (d.h.: begrifflichen) Recht abgestreift und verselbständigt haben (zu Religion [und näher sogar: zu einer davon unterschiedenen Moral], Kunst, Volksbrauch), wodurch (auch) die inhaltlich ärmere, enger bestimmte und differenziertere heutige Vorstellung von „Recht“ entstand, durch die die heutige Welt (und in ihr: das heutige Recht) als menschliche Welt und menschliches Recht begriffen werden kann in Beziehung und Unterscheidung zu Religion (und auch Moral), Kunst, Volksbrauch (Sitten) usw. Es bietet sich daher auch an, von einer Entwicklung dieses Rechtsbegriffes zu sprechen aus Vorstellungen, in denen das Recht noch mit Nicht-Recht verbunden, rechtliches Handeln zugleich auch eine religiöse, künstlerische, volkstümliche Dimension hatte. Aber – wie gesagt – sollen und können diese grundlegenden Fragen (auch zu dem „Begriff des Begriffs“) hier nicht genauer untersucht werden, sondern es soll in Anknüpfung an die oben gebrachten Zitate von Früchtl/Zimmermann terminologisch von „zur Erscheinung bringen“ gesprochen werden (ohne zu fra-

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gen, ob es nicht angemessen wäre, von „zum Scheinen bringen“ zu sprechen). „Theater des Rechts“ meint von daher (nur), dass die Menschen nach ihrer (jeweiligen) Rechtsvorstellung handelnd diese in die Realität umsetzen, sie insofern handelnd „verwirklichen“ (ohne auf einen möglichen Unterschied von Wirklichkeit und Realität einzugehen). Deutlich wird der Bezug eines solchen Rechts auf den Menschen, genauer: auf die menschlichen Handlungen, in denen dieses Recht gedacht, gesetzt, gesprochen, durchgesetzt, vollzogen wird. Recht meint genauer rechtliches Handeln: eben die Inszenierung des Theaters, wobei die Dimension der Öffentlichkeit – in der dieses Handeln geschieht – mitgedacht wird.20 II. Theater als Zur-Erscheinung-Bringen der Rechtsvorstellung Doch selbst dieses eingeschränkte Untersuchungsthema stellt heutige Juristen vor Verständnisschwierigkeiten, weil die moderne Rechtswissenschaft einen solchen praktischen, auf Handeln bezogenen Rechtsbegriff eigentlich nicht (aner)kennt. 1. Recht als Handeln oder gegenständliches Sollen Die moderne Vorstellung von „Recht“ orientiert sich an der normativen Ordnung der schriftlichen Gesetze, die in einem Staat Geltung als Sollen (als Normen) beanspruchen21 und von wissenschaftlich ausgebildeten Juristen weitergedacht und so denkend (also: logisch und rational) angewendet werden auf Sachverhalte, die in sich keine rechtliche Relevanz haben, sondern diese durch Subsumtion unter die Gesetze erst gewinnen müssen.22 Es gibt keine „konkreten Rechtsverhältnisse“ mehr als Ordnung der realen Welt23, sondern nur arechtliche Tatsachen, die unter die schriftlichen Tatbestände der Gesetze subsumiert werden. Ein rechtliches Handeln interessiert nicht, sondern nur schriftlich 20

Vgl. Früchtl/Zimmermann, Ästhetik (Anm. 1), S. 28 ff. Dazu siehe W. Schild, Recht und Körperlichkeit, in: L. Schwarte/C. Wulf (Hg.), Körper und Recht. Anthropologische Dimensionen der Rechtsphilosophie, München 2003, S. 129–145, S. 133 ff. 22 Dazu siehe W. Schild, Juristische Methode als Mittel der politischen Macht, in: A. Kaufmann/E. Mestmäcker/H. Zacher (Hg.), Rechtsstaat und Menschenwürde. Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1988, S. 413–432; ders., Verwissenschaftlichung als Entleiblichung des Rechtsverständnisses, in: N. Brieskorn/P. Mikat/D. Mueller/D. Willoweit (Hg.), Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Festschrift für Wilfried Trusen zum 70. Geburtstag, Paderborn 1994, S. 247–260. 23 Dazu siehe W. Schild, Das konkrete Ordnungsdenken als Methode der Rechtshistorie, in: M. Senn/C. Soliva (Hg.), Rechtsgeschichte & Interdisziplinarität. Festschrift für Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag, Bern 2001, S. 143–154. 21

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gesetzte Normen als ein Sollen, das über dem menschlichen Handeln als Beurteilungsmaßstab steht. Von daher ist im Übrigen auch verständlich, warum die Möglichkeit nicht beschritten wird, eine Entwicklung eines Rechtsbegriffes zu versuchen, die mehr oder etwas anderes wäre als eine Verfallsgeschichte: dass nämlich früher die Menschen an ein wirkliches Recht in einem wesentlichen Sinne – das in ihren rechtlichen Handlungen (als Theater des Rechts) erschienen wäre – geglaubt hätten, welcher Glaube aber durch die Aufklärung gründlich zunichte gemacht worden sei (weshalb die Verfallsgeschichte sich zugleich als Erfolgsgeschichte erweist: als Entwicklung hin zu einer rationalen, geistigen Welt der Vernunft [und eines Vernunftrechts]). Möglich ist dann nur eine Beschreibung des früheren Theaters, die für die heute Lebenden wirklich nur-Theater sein kann: vergleichbar einem Theaterstück oder einem Film oder einem Fernsehspiel. Statt eines fairen, nüchternen, auf Sachlichkeit abstellenden Verfahrens eine Mündlichkeit von Stimmen, die ihren rechtlichen Zorn herausschrieen über „ihren und des Landes Dieb“ und dabei in den leiblichen Bewegungen dieses Unrecht sinnlich und gestalthaft zum Ausdruck (zur Erscheinung/zum Scheinen) brachten24, statt den Text einer Strafprozessordnung – die wissenschaftlich weitergedacht werden kann und muss – die Volkacher Halsgerichtsordnung von 1504, die eine Bildgeschichte des „Iudicium processuum“ vor die Augen stellte25; statt des gelehrten, logisch subsumierenden Richters ein griesgrimmer Löwe mit überkreuzten Beinen26 usw. Also statt des modernen, nüchternen, geistigen Verfahrens ein buntes „Theater des Rechts“. Eine sich mit dieser Vergangenheit beschäftigende Geschichtswissenschaft wird zur phantasievollen Geschichtserzählung, die historischen Werke werden zu literarischen Bestsellern, wenn möglich mit vielen Bildern ausgestattet.27 24 Dazu siehe W. Schild, Rechtshistorische Anmerkungen zum Herforder Rechtsbuch, in: T. Helmert-Corvey (Hg.), Faksimile des Herforder Rechtsbuches, Kommentarband, Bielefeld 1989, S. 141–159; ders., Die Volkacher Halsgerichtsordnung von 1504 (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o. d. T. 2), Rothenburg o. d. T. 1997, S. 18. 25 Dazu siehe Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 24). 26 Dazu siehe W. Schild, Der griesgrimmige Löwe als Vor-Bild des Richters, in: Medium Aevum Quotidianum 27 (1992), S. 11–32; ders., Die Sitzhaltung des griesgrimmigen Löwen als Richtersymbol, in: P. Michel (Hg.), Symbole im Dienste der Darstellung von Identität, Frankfurt a. M. 2000, S. 145–157. – Allgemein zu der Richtergestalt siehe ders., Richtersymbole. Zum Verfahren als „Theater des Rechts“ im Mittelalter und Früher Neuzeit, in: G. Gehl/R. Meyer (Hg.), Leben in Mittelalter und Moderne (Historie und Politik 14), Weimar 2003, S. 11–26. 27 Bzw. umgekehrt: die „schöne Kunst“ widmet sich in vergleichbarer Weise dem historischen Thema; dazu siehe grundlegend H. Fehr, Kunst und Recht, Bd. 1: Das Recht im Bilde, München 1923, Bd. 2: Das Recht in der Dichtung, Bern 1931; zusätzlich: W. Pleister/W. Schild (Hg.), Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, Köln 1988; S. Sasse, Gerichtsspiele. Fiktive Schuld und reale Strafe im Theater und vor Gericht, in: G. Koch/S. Sasse/L. Schwarte (Hg.), Kunst als Strafe,

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Es ist daher schwer, von dem modernen Rechtsverständnis her zu einem Verständnis der Vergangenheit zu kommen, die die Einheit mit der Gegenwart im Gedanken der Entwicklung vermittelt. Möglich ist dies nur, wenn man sich einem Rechtsbegriff öffnet, der sich auf das Recht als menschliches Phänomen, nämlich als rechtliches Handeln (und damit: als Theater) bezieht. Dies ist leichter durchführbar als man glaubt. Denn man lasse sich nicht täuschen: selbstverständlich ist auch der moderne Strafgerichtsprozess ein Theater, sogar ein Theater des Rechts, freilich eines wissenschaftlichen, von Moral, Religion, Kunst, Volksbrauch unterschiedenen, nüchternen, bildlosen, vergeistigt-intellektuellen Rechtshandelns. Heute wird vor dem Strafgericht eine Nicht-Inszenierung inszeniert.28 Von daher lässt sich doch leicht das frühere Theater des Rechts in seiner Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit erfassen. 2. Theater des Rechts als rechtliches Handeln Denn dieses frühere Theater inszenierte ein Recht als rechtliches Handeln selbst, also eines Handelns, in dem das Recht – bzw. in der hier verwendeten Terminologie: die Rechtsvorstellung – unmittelbar zur Erscheinung/zum Scheinen gebracht wurde, in dem es/sie manifest wurde, eben: theatralisch ausgespielt (d.h.: ausagiert) wurde. Auf diese Weise wurde die Rechtsvorstellung unmittelbar sinnlich dargestellt (und eben: vor-gestellt), für alle Sinne: nicht nur durch die Körpersprache der Gesten für das Auge29, sondern auch für das Ohr – indem laut gesprochen wurde, auch Musik gespielt wurde30 –, wohl auch für München 2003, S. 123–148; W. Schild, Bilder von Recht und Gerechtigkeit, Köln 1995; ders., Das Gottesurteil der Isolde, in: H. Höfinghoff/W. Peters/W. Schild/T. Sodmann (Hg.), Alles was Recht war. Rechtsliteratur und literarisches Recht. Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand zum 70. Geburtstag, Essen 1996, S. 55–75; ders., Der Zweikampf als Gottesurteil in Wagners „Lohengrin“, in: H. Lück/B. Schildt (Hg.), Recht – Idee – Geschichte. Festschrift für Rolf Lieberwirth anlässlich seines 80. Geburtstages, Köln 2000, S. 25–52; ders., „Gott erbarm sich deiner Not“. Zum Gottesurteil in Marschners „Der Templer und die Jüdin“, in: S. Saar/A. Roth/C. Hattenhauer (Hg.), Recht als Erbe und Aufgabe. Festschrift für Heinz Holzhauer zum 21. April 2005, Berlin 2005, S. 51–67; W. Sellert, Recht und Gerechtigkeit in der Kunst, Göttingen 1993. 28 Dazu siehe W. Schild, Modernes Recht als Inszenierung von Nichtinszenierung, in: L. Schwarte/C. Wulf (Hg.), Performanz des Rechts. Inszenierung und Materialität, Berlin 2005 (in Vorbereitung). 29 Zum Thema allgemein siehe H. Bredtmann/F. Schiller/E. Lommatzsch (Hg.), Drei Untersuchungen zur Körpersprache im französischen Mittelalter, Berlin 2003; C. Müller, Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte – Theorie – Sprachvergleich, Berlin 1998; C. Schmauser/T. Noll (Hg.), Körperbewegungen und ihre Bedeutungen, Berlin 1998; H. Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild, München 1995. 30 Dazu siehe W. Schild, Alte Gerichtsbarkeit, München 1985, S. 94; C. Vismann, Action writing: Zur Mündlichkeit im Recht, in: F. Kittler/T. Macho/S. Weigel (Hg.), Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, Berlin 2002, S. 133–151. Allgemein zum Thema siehe Wenzel, Hören (Anm. 29).

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die Nase – wenn man die Frage zulässt, ob man Macht, aber auch z. B. Angst riechen kann31 – überhaupt für das Spüren der „Atmosphäre“ der rechtlichen Dimension.32 Auf diese Weise kam auch der Ordnungsgedanke – der Inhalt wohl jeder Rechtsvorstellung (oder eben: des Rechtsbegriffs) ist – unmittelbar zur Erscheinung: etwa in der geordneten Bewegung des Gehens der Gerichtspersonen (die Ehrfurcht gebietend schreiten) bis hin zu dem Nacheinander der Verfahrens-Schritte, aber auch in der ruhigen Haltung des Sitzens. Aber auch das Unrecht, das durch das Recht handelnd überwunden werden sollte und wurde, musste sinnlich zur Erscheinung gebracht werden, eben als zu überwindende bzw. überwundene Unordnung: in dem gefesselten Missetäter, der beschrieen und dann überführt wurde durch ein Handeln, das sinnlich den Sieg des Rechts zum Ausdruck brachte.33 Und welch gelingendes Theater des Rechts geschah dann, wenn der Missetäter sein Unrecht eingestand und ordentlich (und damit: rechtlich, wieder zurückgekehrt in den Bereich des Rechts) die Strafe hinnahm, weshalb seine Hinrichtung nicht ein unrechtliches, gewaltsames, ungeordnetes Töten war, sondern z. B. vielmehr die leiblich (und auch emotional) geordnete Bewegung einer Enthauptung, deren theatralischer Vollzug in Flugblättern bildhaft verbreitet werden konnte und sollte.34 Angemerkt sei, dass die oben als möglich behauptete Frage nach der Entwicklung des Rechtsbegriffes mit der nach der Entwicklung des Begriffes des 31 Dazu siehe H. G. Behr, Winifred und Wolf, Frankfurt a. M. 1998, S. 42: „Duftnote der Macht“; A. Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, Berlin 1984; R. Jütte, Geschichte der Sinne, München 2000, S. 284 ff.; D. Kamper/C. Wulf (Hg.), Das Schwinden der Sinne, Frankfurt a. M. 1984, S. 159 ff.; G. Mattenklott, Nase, in: C. Wulf (Hg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim 1997, S. 464–470. 32 Dazu siehe G. Böhme, Anmutungen. Über das Atmosphärische, Ostfildern vor Stuttgart 1998; M. Hauskeller, Atmosphären erleben, Berlin 1995; Schild, Sitzhaltung (Anm. 26), S. 152 ff.; H. Schmitz, System der Philosophie, Bd. 3/2: Der Gefühlsraum, Bonn 1969; ders., Der Leib, der Raum und die Gefühle, Ostfildern vor Stuttgart 1998; J. Soentgen, Die verdeckte Wirklichkeit. Einführung in die Neue Phänomenologie von Hermann Schmitz, Bonn 1998. 33 Siehe Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 24), S. 34 ff.; ders., Der Überführungseid als Rechtsgebärde, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 15 (1993), S. 285–296. 34 Die oft gebrauchte Charakterisierung des früheren Strafvollzugs als eines „Theater des Schreckens“ oder „der Grausamkeit“ greift deshalb jedenfalls zu kurz. Dazu siehe die Abbildungen in: Schild, Gerichtsbarkeit (Anm. 30). – Zum Thema vgl. auch ders., Nutzen und Wert von Rechtsarchäologie und Rechtsikonografie für die mittelalterliche Rechtsgeschichte, in: P. de Win (Hg.), Rechtsarchäologie und Rechtsikonografie (Iuris scipta historica 5), Brüssel 1992, S. 59–74; ders., Formen der Visualisierung des Rechts, in: M. Fischer/P. Hoyningen-Huene (Hg.), Paradigmen. Facetten einer Begriffskarriere, Frankfurt a. M. 1997, S. 221–263; ders., Gedanken zur Vereinbarkeit von Text und Bild in mittelalterlichen Rechtsquellen, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 11 (1999), S. 85–112; ders., Menschen im Recht. Darstellung in frühen Rechtstexten, in: E. Vavra (Hg.), Bild und Abbild vom Menschen im Mittelalter, Klagenfurt 1999, S. 293–311.

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Menschen zusammenfällt, die in dem Begriff der Freiheit münden muss, wie er uns heute bestimmt (und auch den Rechtsbegriff bestimmt, der an Person, Eigentum, Vertrag und Aufhebung des Unrechts durch den Staat ausgerichtet ist). Wir müssen auch die früher Handelnden in dieser Weise anerkennen als freie Subjekte, die sich aber dieser Freiheit (und der sie begründenden Reflexivität [und Gebrochenheit]) noch nicht bewusst waren, sondern sich noch eingebunden erlebten in leiblich-konkreten gestalthaften Verhältnissen (Ordnungen), in denen sie unmittelbar und nur auf diese Unmittelbarkeit reflektierend lebten.35 Will man die Entwicklungslogik bestimmen, so kann sie nach meiner Auffassung – was hier nur behauptet werden kann – nur als Aufbrechen dieser Unmittelbarkeit hin zu einer Reihe reflexiver und sich immer neu vermittelnder (d.h. eine neue Unmittelbarkeit gewinnender) Stufen begriffen werden (wie es im Übrigen auch in der Biographie eines Einzelnen zu erkennen ist).36 Man kann auch sagen: von unmittelbarem Lebensvollzug hin zu einem Verhältnis von Leib und Seele, das für uns heute in das Gegenüber von Körper und Seele zerfallen ist und letztere dadurch zu einem körperlosen Geist gemacht wurde, wie er uns im Sollen des gedachten (und logisch weiter zu denkenden) Rechts entgegenkommt.37 III. Theater als Zur-Erscheinung-Bringen des guten alten Rechts Ich komme zum Schluss mit einer Bemerkung, die zugleich das schwierigste Problem des Verständnisses des früheren Theaters des Rechts aufwirft. In diesem Theater des Rechts wird nach dem Gesagten die Rechtsvorstellung zur Erscheinung/zum Scheinen gebracht (inszeniert), was für das frühere Theater bedeutet: dies geschieht (noch) in diesen unmittelbaren Gestalten der Leiblichkeit, also durch ein rechtliches Handeln, das in sich dieses Recht manifestierte und so sinnlich darstellte. Deshalb konnte man das Recht (als rechtliches 35

Dazu Schild, Ordnungsdenken (Anm. 23), S. 143 ff. Gleiches lässt sich für die Entwicklung der Justitia-Gestalt zeigen; dazu siehe W. Schild, Gerechtigkeitsbilder, in: Pleister/Schild, Recht und Gerechtigkeit (Anm. 27), S. 86–171; ders., Bilder (Anm. 27). 37 Zu diesem spekulativen Verständnis siehe W. Schild, Der gequälte und entehrte Leib. Spekulative Vorbemerkungen zu einer noch zu schreibenden Geschichte des Strafrechts, in: K. Schreiner/N. Schnitzler (Hg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992, S. 149–168; ders., Ethik und Recht, in: P. Dinzelbacher (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1993, S. 513–555; ders., Verwissenschaftlichung (Anm. 22), S. 247 ff.; ders., Formen (Anm. 34), S. 221 ff.; ders, Gedanken (Anm. 34), S. 85 ff.; ders., Menschen (Anm. 34), S. 293 ff.; ders., Sitzhaltung (Anm. 26), S. 145 ff.; ders., Richtersymbole (Anm. 26), S. 11 ff.; ders., Recht als leiblich geordnetes Handeln. Zur sinnlichen Rechtsauffassung des Mittelalters, in: Das Mittelalter, Zeitschrift des Mediävistenverbandes 8 (2003), S. 84–91; ders., Recht (Anm. 21), S. 130 ff. 36

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Handeln eines Theaters) auch bildlich darstellen; und zwar nicht nur als Prozesshandlung vor dem Strafgericht, sondern auch als Vertragshandeln, als Eheschließung oder Adoption, bei dem Verkünden der Rechtswahrsprüche usw.; wir haben sogar eine bildliche Strafprozessordnung wie in Volkach 1504. Doch zeigt gerade diese Volkacher Halsgerichtsordnung die Schwierigkeit für das Verstehen dieses früheren Rechtstheaters.38 Denn auf den ersten Blick stört an ihr, dass die vielen Bilder ein- und zugeordnet sind (in) eine(r) schriftliche(n) Ordnung, die sogar lateinische Fachbegriffe – wie iudex, actor, reus – verwendet. Offensichtlich ist die Zeit der Schriftlichkeit gekommen, der neuen rationalen (unkörperlich-geistigen) Ordnung in der Stadt – wie sie sich auch in der Darstellung des Rathausturmes mit der Uhr zeigt39 –, die eben auch eine schriftliche Ordnung des Rechts(verfahrens) benötigt: wie passen zu dieser neuen Geistigkeit die Bilder des leiblichen Rechtshandelns? Noch störender fällt auf, dass der „endliche Rechtstag“ – den diese Halsgerichtsordnung in Schrift und Bild darstellt und zugleich normativ regelt – offensichtlich nur vorgespielt wird, weil er eine Urteilsfindung bringt, die überhaupt nicht mehr Realität war. Denn der Rechtstag beginnt, nachdem das Urteil schon feststeht. Dieser Schauprozess-Charakter wird in den späteren Halsgerichtsordnungen noch deutlicher.40 Sollte es also doch trotz der unter I. gebrachten Ausführungen um ein nur-Theater gehen? Ich meine, dass die obigen Bemerkungen trotzdem aufrechterhalten werden können. Denn es wird auch an diesem endlichen Rechtstag das Theater des Rechts inszeniert, in dem die Rechtsvorstellung zur Erscheinung/zum Scheinen gebracht wird: nämlich die Vorstellung eines guten, alten Rechts, das nur in diesem leiblichen Handeln verwirklicht werden kann. Rechtliches Handeln muss unmittelbar sinnlich erscheinen, weil es gut sein muss: und damit das Wesen Wirklichkeit ist.41 In den Worten von Eike von Repgow im Prolog des Sachsenspiegels: Gott selber ist das Recht. Es muss als dieses unmittelbare Sein 38 Vgl. Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 24). – Zu einem ähnlichen Problem (nämlich: archaisch anmutender Formen des Vollzugs der Todesstrafen) vgl. ders., Verstümmelungen des menschlichen Körpers, in: R. van Dülmen (Hg.), Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500–2000, Wien 1998, S. 261–281. 39 Siehe die Abbildung in: Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 24), S. 7. – Zur Bedeutung der Uhr siehe G. Dohrn-van Rossum, Die Geschichte der Stunde. Uhren und moderne Zeitordnung, München 1992. 40 Dazu siehe W. Schild, Der „entliche Rechtstag“ als das Theater des Rechts, in: P. Landau/F. Schroeder (Hg.), Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio criminalis Carolina (Juristische Abhandlungen 19), Frankfurt a. M. 1984, S. 119–144. 41 Zu diesem Grundsatz (noch der Scholastik) siehe W. Schild, Rechtsphilosophische Hintergründe der Bestrafung von Fälschern, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongress der Monumenta Germaniae Historica 16.–19. September 1986, Bd. 2: Gefälschte Rechtstexte. Der bestrafte Fälscher (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 33), Hannover 1988, S. 713–748.

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des Wesens statisch, unvergänglich, un-dynamisch, ungeschichtlich, eben: auch alt und Vergangenheit sein, die gelebte Ordnung der Welt, die bereits die Ordnung der Alten war, die nun vor Gericht weiter lebendig ist.42 Freilich ist das naive, kindliche (eben: unmittelbare) Vertrauen in diese Wirklichkeit (Verwirklichung) des Guten bereits aufgebrochen – wir schreiben in Volkach das Jahr 1504 –, die Zeit einer ersten Reflexion ist gekommen, die zu dieser neuen Ordnung der Stadt führt, die schriftlich ist, die die Uhr einführt und damit die Geschichtlichkeit (und Endlichkeit) des Menschen anspricht. Das gute alte Recht muss daher auch durch menschliches Handeln lebendig gemacht werden, wofür es diese schriftlichen Regeln geben muss, die zugleich normativ die leiblichen Bewegungen vorschreiben als Vorbilder dieses Handelns vor Gericht. Es wird bereits ein Sollen formuliert, das aber weiter orientiert bleibt an der Vorstellung des guten alten, wirklich seienden (göttlichen, gottgewollten) Rechts, das nun durch die Handelnden vor Gericht verwirklicht werden muss: als Theater dieses guten alten Rechts.43 Jedenfalls ist die theatralisch inszenierte Leiblichkeit und Unmittelbarkeit bereits aufgebrochen. Die rechtliche Ordnung ist bereits eine normative Ordnung von Verfahrensschritten, die als anzuwendende Regeln schriftlich und bildlich niedergelegt sind. Es wäre daher ein Missverständnis44, in dieser Ordnung eine Widerspiegelung früheren Rechts/früherer Rechtsvorstellungen zu sehen und einfach zeitlich von 1504 auf eine alte Rechtspraxis zurückzuschließen, die sich als Erinnerung erhalten hätte und einfach aufgezeichnet worden wäre. Die Aufdeckung eines solchen Fehlschlusses braucht dabei nicht auf moderne Erkenntnisse der Hirnforschung über die Begrenztheit des menschlichen Gedächtnisses zurückzugreifen45, sondern einfach die Tatsache zu reflektieren, dass es sich um eine schriftliche Niederlegung von früher gelebter Vergangenheit und damit: bereits um eine reflexiv vorgestellte (und eben nicht mehr unmittelbar gelebte und bruchlos tradierte) Vergangenheit handelt46: eben um die Vorstellung des guten,

42 Man könnte auch sagen: es geht um eine Wirklichkeit, die diese Qualität nur aufweist, wenn sie Nachahmung des Handelns der Väter ist, die in den Söhnen Gestalt annimmt. Oder sollte es um den Kreislauf von Geborenwerden und Sterben im Sinne des mütterlichen Lebens gehen? 43 Ein Grundsatz, der dann in der Reformation zum endgültigen Durchbruch kommt, aber auch (bereits) in dem Verständnis des Altarsakramentes (in dem das wesentliche Vergangene durch erinnerndes lebendig machendes Handeln vergegenwärtigt wird) fundamental ist. 44 Dem vor allem die Romantische Schule unterlegen ist; zu J. Grimm siehe B. Kellner, Mythen in Jacob Grimms Deutscher Mythologie, Diss. München 1994. 45 So J. Fried, Geschichte und Gehirn. Irritationen der Geschichtswissenschaft durch Gedächtniskritik, Mainz 2003. 46 Auf das allgemeine Problem der oralen Überlieferung und des Überganges von mündlicher zu schriftlicher (Rechts-) Kultur kann hier nicht näher eingegangen werden; hingewiesen sei nur auf J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinne-

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alten Rechts, wie es für die Gegenwart als notwendig zu verwirklichen gedacht und gefordert wird. Recht wird in diesen Texten und Bildern – die wir als Quellen der vergangenen Rechtsvorstellung(en) heute zur Verfügung haben – als ein Vergangenes gedacht, das durch das geordnete Handeln lebendig gemacht werden soll und kann. Daher wird einerseits diese Rechtsvorstellung unmittelbar ausagiert (im Handeln als Verhandlung); zugleich und andererseits aber wird ein vergangenes (altes) Recht neu belebt und dadurch Vergangenheit gespielt, und zwar durchaus im Sinne von „vorgespielt“: auf einem eigens dafür hergerichteten Bühnenraum, in einer Kulisse und in Kostümen, auch in einem zeitlichen Verlauf, der einen inszenierten Beginn und ein theatralisches Ende hat, insgesamt also in einem „gehegten“ Rahmen, der das rechtliche Handeln heraushebt aus dem alltäglichen Leben und zu dem Fest macht, das den Sieg des Rechts über das Unrecht zur Erscheinung/zum Scheinen bringt, wodurch dieses Recht sich als das gute alte und weiter lebend(ig)e erweist und erweisen soll (und dadurch Lebensmut und Vertrauen – auch in die rechtlich handelnde Obrigkeit – bringt und bringen soll). Das Handeln (die Verhandlung) vor Gericht zeigt sich so in einer Ambivalenz. Einerseits ist es das Theater des Rechts, in dem dieses zur Erscheinung/ zum Scheinen gebracht wird; andererseits ist es das Theater des alten Rechts, das vorgespielt wird, bewusst in ehemaligen Gestalten und Bewegungen, in altertümlichen Rollen und Kostümen, in einer die Vergangenheit heraufbeschwörenden Kulisse.47 Dieses Vorspielen der leiblich-gestalthaften Bewegungen wird als notwendig vor- und dargestellt, daher auch als notwendige Formvorschrift rung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1999; C. Bohn, Schriftlichkeit und Gesellschaft. Kommunikation und Sozialität der Neuzeit, Opladen 1999; P. Classen (Hg.), Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 23), Sigmaringen 1977; H.-J. Gehrke (Hg.), Rechtskodifizierung und soziale Normen im interkulturellen Vergleich, Tübingen 1994; J. Goody, Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990; H. Keller/C. Meier/T. Scharff (Hg.), Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern (Münstersche Mittelalter-Schriften 76), München 1999; W. Raible (Hg.), Medienwechsel. Erträge aus zwölf Jahren Forschung zum Thema „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, Tübingen 1998; W. Röcke/U. Schaefer (Hg.), Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Weltbildwandel. Literarische Kommunikation und Deutungsschemata von Wirklichkeit in der Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 1996; H. Vollrath, Das Mittelalter in der Typik oraler Gesellschaften, in: Historische Zeitschrift 233 (1985), S. 571–594; J. Weitzel, Schriftlichkeit und Recht, in: H. Günther/O. Ludwig (Hg.), Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, 1. Halbbd., Berlin 1994, S. 610–619; Wenzel, Hören (Anm. 29). 47 Zur Ausstattung des Gerichtssaales mit „Gerechtigkeitsbildern“ siehe Schild, Bilder (Anm. 27), S. 176 ff.; ders., Gott als Richter, in: Pleister/Schild, Recht und Gerechtigkeit (Anm. 27), S. 44–58; ders., Bemerkungen zur Ikonologie des Jüngsten Gerichts, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 10 (1988), S. 163–203; ders., Das Urteil des Königs Salomo, in: F. Haft/W. Hassemer/U. Neumann/W. Schild/U. Schroth (Hg.), Strafgerechtigkeit. Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1993, S. 281–297.

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niedergelegt; doch ist diese leibliche Form bereits als Vorspielen bewusst (geworden), weshalb sie auch als bloße Form aufgefasst werden kann, auf die aus Rechtsgründen auch verzichtet werden kann (dann nämlich, wenn trotz des Verfehlens der Form das Handeln als rechtlich aufgefasst wird).48 Auch die Bilder in diesen Quellen stellen nicht mehr das rechtliche Handeln als solches dar, sondern sind nur mehr Vorbilder und in dieser normativen Funktion den schriftlichen Regeln vergleichbar. Man kann deshalb das Theater von vornherein auch nur mehr schriftlich vor- und beschreiben – also zu einer „Vorschrift“ (statt: „Vorbild“) machen –, indem man z. B. das Tragen von Kostümen (Richterroben) oder die Ausstattung der Räume oder die einzelnen Verfahrensschritte in einem Text festlegt (festschreibt). Von daher könnte die Entwicklung in der Neuzeit hin zu unserer Gegenwart thematisiert werden, in der diese Ambivalenz (offensichtlich oder vielleicht) aufgehoben wird und ein Theater gespielt werden muss, das die Macht als rechtlich ausweisen und damit legitimieren soll: nicht mehr durch das Vorspielen des guten alten Rechts, sondern durch die reformierende Kraft, die selbst gesetzte Regeln für die Zukunft als neue Ordnung durchsetzt (um so aus der eigenen Setzung als tatsächlichem Willensakt [in der Sphäre des Seins] ein geltendes Sollen zu machen).49 Auctoritas ersetzt Veritas; die Justitia wird zum Markenzeichen der staatlichen Justiz, die an den Fassaden der Rechtsfabriken – in denen die staatlichen Gesetze angewendet und durchgesetzt werden, also Recht gemacht (positiviert) wird – angebracht ist und sich von diesem Außen und Oben an die Untertanen wendet und Gehorsam in bloßer Legalität einfordert.50 Gespielt werden kann nur (und muss daher) ein aufgeklärtes, nüchternes, wissenschaftliches Theater, in dem logisch subsumiert wird; das Theater des Rechts ist die Inszenierung einer Nicht-Inszenierung, von Rationalität und Anwendungslogik; Justitia ist blind und daher nicht mehr an leiblich-sinnlichem Handeln orientiert und orientierbar. Und trotzdem tragen die Richter heute Roben; und erinnert das Markenzeichen der bzw. als Justitia an die alte Tugend der Gerechtigkeit bis hin zu dem 48

D.h.: die Form wird nur wichtig, weil das rechtliche Handeln theatralisch ist, wie im allgemeinen Theater auch; so zeigt sich die Klage in der leibhaften Gestalt des allgemein-alltäglichen Klagens (als Trauergeste), zum Problem der Gestik vgl. die Angaben in Anm. 29. 49 Dadurch wird auch der politische Gedanke eines zu erreichenden PräventivZwecks erst in der Neuzeit bewusst eingesetzt und angestrebt, dabei auch auf das Theatralische – als nun in einem Drehbuch komponierten symbolischen Zweck – ausgedehnt (wie in der modernen Konzeption der „positiven Generalprävention“ oder Integrationsprävention): das rechtliche Handeln wird damit zu einem nur-Theater. 50 Dazu Schild, Bilder (Anm. 27), S. 114 ff.; ders., Die Gestalt der Justitia. Von der Rechtsgöttin zum Justizsymbol, in: Justizministerium NRW (Hg.), 4. Große Juristenwoche – 50 Jahre Justiz in Nordrhein-Westfalen 30.8.–1.10.1996. Tagungsbericht 1997, S. 11–17.

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göttlichen Rechtsboten51, und die Verfassung des Grundgesetzes erhebt in den wesentlichen Regeln den Anspruch auf Ewigkeit. Es ist und bleibt schwierig, dieses Theater des Rechts! Summary In this article criminal court trials in the late middle ages and early modern era will be characterised and presented as a theatre of law. This does not mean to say that this process was a mere show-trial, staged by the powerful as an instrument to achieve any aims they desired, but rather that law itself and as such was made to appear in legal processes. This was possible because it was (still) understood as a bodily arranged and meaningful act – and not as a norm taken from an ideal, which is to apply. In this respect one can say that the law presented itself publicly and ceremonially, (and therefore as serious theatre) bringing itself into appearance during trial. However, a closer look at the contemporary written legal sources – in particular the illustrated Volkacher Halsgerichtsordnung (rules for the criminal court of capital offences) of 1504 –, shows that the legally acting also orientated themselves at the idea of law as the good, old law and used it as a script for their theatre, which is why this theatre of (appearing) law also had moments of mere show (namely the performance of ancient and actually obsolete scenes). As development in law (and legal thinking) took hold, the internal legal meaning of trial acts was increasingly lost, in favour of a system of norms to be applied and enforced, which is why the proceeding became open to external determination of meanings and purposes and hence proved suitable to be used as an instrument (and with that a show-[trial]) by the powerful.

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Dazu siehe Schild, Bilder (Anm. 27).

Was ist ein Rechtsritual? Von Lars Ostwaldt I. Einleitung Die Ritualforschung war in ihren Anfängen vor gut 100 Jahren noch auf einige wenige Wissenschaftsbereiche wie Ethnologie, Religionswissenschaft und Altertumskunde beschränkt. Heute dagegen werden Rituale als Kulturphänomene betrachtet, die in allen Bereichen des menschlichen Lebens zu finden sind. Sie ziehen daher das Interesse der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fächer auf sich, nicht zuletzt auch das der Rechtswissenschaft. Dabei bleibt es nicht aus, dass die einzelnen Disziplinen bei der Beschäftigung mit Ritualen jeweils unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Selbst in ein und demselben Wissenschaftsgebiet wie der Rechtsgeschichte kann die Beschäftigung mit rituellen Handlungsformen eine unterschiedliche Ausrichtung haben. So kann man aus einer eher kulturwissenschaftlichen Perspektive fragen, welche Wert- und Ordnungsvorstellungen im Rechtsleben durch Rituale zum Ausdruck gebracht werden und so den Einfluss der jeweiligen Gesellschaft auf das Recht zu bestimmen versuchen. Dieser Ansatz stellt vor allem den Aufführungscharakter von Ritualen in den Vordergrund und wendet sich der Inszenierung von Rechtshandlungen und Gerichtsprozessen in Gesten, Kleidung, Attributen, Symbolen und Gerichtsarchitektur zu. Hierdurch werden wertvolle Einblicke in das Rechtsverständnis einer Zeit ermöglicht und wichtige Beiträge für das Verständnis fremder Rechtskulturen geleistet.1 Aus einem mehr juristischen Blickwinkel lassen sich Rituale nicht nur daraufhin betrachten, welche Vorstellungen über das Recht sich aus ihnen ableiten 1 Dieser Ansatz hat daher in der rechtshistorischen Forschung der letzten Jahre zunehmend Beachtung gefunden. Neben dem Beitrag von C. D. Schmidt in diesem Band sei an neueren Publikationen nur auf R. Schulze (Hg.), Rechtssymbolik und Wertevermittlung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004, sowie W. Schild, Richtersymbole. Zum Verfahren als „Theater des Rechts“ in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: G. Gehl/R. Meyer (Hg.), Leben in Mittelalter und Moderne (Historie und Politik 14), Weimar 2003, S. 11–26, verwiesen. Den Aufführungscharakter von Ritualen betont auch Bernd Kannowski in seinem Ritualbegriff: B. Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand der Diskussion, in: A. Cordes/B. Kannowski (Hg.), Rechtsbegriffe im Mittelalter (Rechtshistorische Reihe 262), Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 1–27, S. 12: „Das Ritual wurzelt im religiösen Bereich („Ritus“) und bezeichnet eine in der Öffentlichkeit inszenierte Handlung, der eine rechtliche Bedeutung zukommt.“

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lassen, sondern auch daraufhin, welche Rolle sie im Recht selbst spielen. Diese Frage bildet den Hintergrund der nachfolgenden Überlegungen.2 Im ersten Teil soll der Versuch unternommen werden, eine Definition des Rechtsrituals zu entwickeln, mit deren Hilfe sich eine Abgrenzung zu Begriffen wie Brauch, Sitte, Routine, Gewohnheit und Zeremonie vornehmen lässt. Insbesondere gilt es, das Verhältnis von Formalismus und Symbolismus zum Rechtsritualismus zu klären. Daneben geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls durch welches spezifische Merkmal sich das Rechtsritual von anderen Ritualen unterscheidet. Auf der Grundlage der entwickelten Definition soll im zweiten Teil der Frage nachgegangen werden, in welchen Epochen Rechtsrituale vorzugsweise zu finden sind. Dabei steht die Überprüfung der jüngst von dem amerikanischen Juristen Peter A. Winn geäußerten These im Vordergrund, nach der das geltende Recht wesentlich vom Rechtsritualismus geprägt ist.3 II. Entwicklung einer Definition vom Rechtsritual 1. Allgemeiner Sprachgebrauch Im allgemeinen Sprachgebrauch besteht die „Unsitte, nahezu jede regelmäßige Handlung als Ritual zu bezeichnen.“4 So werden etwa die gewohnten Abläufe des Weihnachtsfestes oder von Familientreffen als Rituale bezeichnet. Wiederholung und Stereotypie erscheinen als kleinster gemeinsamer Nenner eines jeden Ritualbegriffs. Soll jedoch der Begriff des Rituals einen über die bloße Routine und Gewohnheit hinausgehenden Gehalt aufweisen, ist nach weiteren charakteristischen Eigenschaften eines Rituals zu fragen.

2 Diese sind aus Diskussionen in einem der projektübergreifenden Arbeitskreise des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster „Symbolische Kommunikation und Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ hervorgegangen, der sich mit den Grundbegriffen des Untersuchungsgegenstandes des Sonderforschungsbereichs auseinandergesetzt hat. Allen Teilnehmern dieses Arbeitskreises sei herzlich für ihre wertvollen Anregungen gedankt. 3 Der Aufsatz ist zuerst in englischer Sprache unter dem Titel „Legal Ritual“, in: Law and Critique 2 (1991), S. 207–232, erschienen. Den nachfolgenden Ausführungen wird die deutsche Übersetzung von Andréa Belliger und David J. Krieger zugrunde gelegt: P. A. Winn, Rechtsrituale, in: A. Belliger/D. J. Krieger (Hg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Opladen u. a. 1998, S. 449–469. 4 A. Michaels, „Le rituel pour le rituel“ oder wie sinnlos sind Rituale?, in: Belliger/ Krieger, Ritualtheorien (Anm. 3), S. 23–47, S. 39. So wird auch in Konversationslexika der Gehalt des Rituals häufig auf seine Regelhaftigkeit reduziert, vgl. etwa Art. Ritual, in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in 24 Bänden, Bd. 18, 20. Aufl., Leipzig u. a. 1996, S. 427: „[. . .] gleich bleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“; Art. Ritual, in: Meyers Neues Lexikon. In zehn Bänden, hg. und bearb. von Meyers Lexikonredaktion, Bd. 8, Mannheim u. a. 1993, S. 220: „Vorgehen nach festgelegter Ordnung“.

Was ist ein Rechtsritual?

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2. Performativität Eine Eigenschaft, durch die Rituale sich von der bloßen Routine abheben, ist ihre Wirkmächtigkeit.5 Rituale verändern, allerdings nicht die physische, sondern die soziale Welt. Der englische Sprachphilosoph John L. Austin prägte hierfür den Begriff „Performativität“. In seiner Sprechakttheorie machte er darauf aufmerksam, dass Sprache nicht nur dem Austausch von Informationen, sondern auch der Schaffung sozialer Bindungen und Institutionen dient.6 Performative Sprache könne daher als Handlung begriffen werden. Als Beispiele für solche „Sprachhandlungen“ führte Austin Eheschließung, Schiffstaufe, Vermächtnis und Wette an.7 a) Abgrenzung des Rechtsrituals von anderen Ritualen: Die Rechtswirkung Auch wenn Austin sich nie bemüht hat, die eigentümliche Wirkung performativer Sprechakte näher zu beschreiben, fiel ihm doch auf, dass viele seiner Beispiele aus dem Vertragsrecht stammten.8 Daran zeigt sich die Nähe des Begriffs der Performativität zu dem der Rechtswirkung. Allerdings sind beide keineswegs deckungsgleich, wie das von Austin angeführte Beispiel der Schiffstaufe zeigt. Daher bietet es sich an, in der Rechtswirkung das spezifische Merkmal von Rechtsritualen zu sehen. Wenngleich die Rechtswirkung tatsächlich auch in vielen Begriffsbestimmungen des Rechtsrituals auftaucht, finden sich doch so gut wie nie nähere Erläuterungen zu diesem Merkmal.9 Dies ist nicht 5 E. Fischer-Lichte, Performance, Inszenierung, Ritual: Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe, in: J. Martschukat/S. Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Norm und Struktur 19), Köln u. a. 2003, S. 33–54, S. 48; K. Leyser, Ritual, Zeremonie und Gestik, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 1–26, S. 2; Michaels, Le rituel (Anm. 4), S. 23 f., 30; B. Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: dies. (Hg.), Vormoderne politische Verfahren, Berlin 2001, S. 9–24, S. 10; Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 450, 457. 6 Daraus erklärt sich auch der Titel seiner posthum (1962) veröffentlichten Vorlesungsreihe „How to do things with Words“, die als Gründungstext der Sprechakttheorie angesehen wird. Nachfolgend wird die im Reclam-Verlag erschienene deutsche Übersetzung zitiert: J. L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny, 2. Aufl., Stuttgart 2002. Zur rechtshistorischen Relevanz der Sprechakttheorie F. Loetz, Sprache in der Geschichte. Linguistic Turn vs. Pragmatische Wende, in: Rechtsgeschichte 2 (2003), S. 87–103, S. 89 ff. U. Manthe, Agere und aio: Sprechakttheorie und Legisaktionen, in: M. J. Schermaier/J. M. Rainer/L. C. Winkel (Hg.), Iurisprudentia universalis. Festschrift für Theo Mayer-Maly zum 70. Geburtstag, Köln u. a. 2002, S. 431–444 zeigt auf, wie mit Hilfe der Sprechakttheorie das Verständnis der Spruchformeln im Legisaktionenprozess verbessert werden kann. 7 Austin, Theorie der Sprechakte (Anm. 6), S. 28 f. 8 Ebd., S. 30, 41. Zu Austins Sprechakttheorie vgl. auch unter III. 1., 2.

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weiter verwunderlich. Zielt doch die Frage nach der Bedeutung der Rechtswirkung auf nichts Geringeres als auf die Frage nach der Eigenart des Rechts selbst. Für das geltende Recht kann man sich in dieser Hinsicht mit der Feststellung begnügen, dass Rechtsnormen einen Unterfall von sozialen Normen darstellen, die ein Mindestmaß an ethischem Gehalt aufweisen und sich durch eine spezifische Sanktionsweise auszeichnen, die in der „regelmäßige[n] und geordnete[n] Beteiligung Dritter an der Regelung von Konflikten, also eine[r] irgendwie organisierten Reaktion auf die Normverletzung“ besteht.10 Denn wegen der engen Verknüpfung des heutigen Rechts mit staatlichen Institutionen lassen sich durch das Abstellen auf Parlament, Gericht und Verfassung klare Kriterien für eine Abgrenzung des Rechts von Sitte, Moral und Religion gewinnen.11 9 Als Merkmal des Rechtsrituals nennen die Rechtswirkung H. Keller, Die Investitur. Ein Beitrag zum Problem der „Staatssymbolik“ im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 51–86, S. 85: „Die angesprochenen Rituale sind rechtsnotwendig, ihr Vollzug – wie auch ihre Unterlassung – haben unmittelbare rechtliche Folgen.“; B. Rehfeldt, Recht und Ritus, in: H. C. Nipperdey (Hg.), Das deutsche Privatrecht in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Heinrich Lehmann zum 80. Geburtstag, Bd. 1, Berlin 1956, S. 45–61, S. 48 f.: „Ein Rechtsritus ist also die bildliche Vollbringung eines Rechtsaktes [. . .]. Handlungen, die durch eine genau bestimmte Form, als Gebärden oder mit Hand und Mund vollzogen, eine bestimmte Rechtswirkung hervorbringen, sind es also, was zu erklären wir versuchen wollen.“; W. Sellert, Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes Recht, in: H. Duchhardt/G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln u. a. 1997, S. 33: „Der Vollzug eines bestimmten, allgemein gewußten Rituals war gleichbedeutend mit der Rechtsausübung. Alle Rechtshandlungen mußten sich folglich, wenn sie Rechtswirkungen erzeugen sollten, ,in gemessener und feierlicher, formelhaft genormter und fixierter Gestalt‘ vollziehen.“ Demgegenüber fordert Kannowski, Rechtsbegriffe (Anm. 1), S. 12, für Handlungen eines Rechtsrituals lediglich, dass ihnen „eine rechtliche Bedeutung zukommt“. Noch weiter das Begriffsverständnis von Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 450, der – anders als vielleicht der Titel seines Aufsatzes vermuten lässt – nicht von einem rechtlichen, sondern von einem anthropologischen Ritualverständnis ausgeht. Daher genügt es ihm, dass ein Rechtsritual „menschliche Angelegenheiten beeinflusst oder orientiert“. 10 K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre. Ein Lehrbuch, 2. Aufl., Köln u. a. 2001, § 24 II, S. 184. Wie die von Röhl, ebd., § 2, S. 9 f., in Fn. 23 angeführten Definitionen zeigen, wird je nach theoretischer Ausrichtung mal der äußere Zwangscharakter (rechtspositivistische Positionen), mal die ethische Fundierung („naturrechtlich“ orientierte Theorien) des Rechts stärker hervorgehoben. 11 Vgl. J. Weitzel, „Relatives Recht“ und „unvollkommene Rechtsgeltung“ im westlichen Mittelalter. Versuch einer vergleichenden Synthese zum „mittelalterlichen Rechtsbegriff“, in: Cordes/Kannowski, Rechtsbegriffe (Anm. 1), S. 43–62, S. 46, der als formelle Abgrenzungskriterien das Gesetzgebungsverfahren bzw. für gewohnheitsrechtliche Normen ihre „Gerichtsfähigkeit“ und als materielles Erfordernis die Verfassungsmäßigkeit nennt. Röhl, Allgemeine Rechtslehre (Anm. 10), § 24 II, S. 185, stellt vor allem auf die Gerichtsfähigkeit ab und bezeichnet die Gerichte als „das Zentrum des Rechtssystems“. Aus rechtssoziologischer Sicht stellt auch T. v. Trotha, Was ist Recht? Von der gewalttätigen Selbsthilfe zur staatlichen Rechtsordnung, in: Zeitschrift

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Für frühere Epochen stößt man mit diesem staatsbezogenen Rechtsbegriff jedoch auf Schwierigkeiten. Dies gilt insbesondere für das Mittelalter, das infolge seiner Mündlichkeit als eine bevorzugte Stätte des Rechtsritualismus angesehen wird.12 Schriftlich fixiertes Recht fehlte weitgehend, entscheidende Rechtsquellen waren Brauch und Herkommen. Dabei stellt sich die „für Historiker wie für Rechtshistoriker wichtige Frage, ob man mit genügender Trennschärfe zwischen Rechtsgewohnheiten und anderen Gewohnheiten unterscheiden kann.“13 Diese Frage ist Teil einer umfassenderen, seit mehreren Jahrzehnten geführten Forschungsdebatte über den mittelalterlichen Rechtsbegriff. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Problematik näher einzugehen.14 Sie zeigt aber, dass man für jede Epoche gesondert prüfen muss, ob man auf sie bezogen berechtigterweise von Rechtsritualen sprechen kann.15 Rechtsrituale üben also eine Wirkung auf das Recht aus. Dabei wirken sie nicht auf das objektive, sondern auf das subjektive Recht ein.16 Denn Rechtsrituale sind keine abstrakten Normen. Sie basieren zwar auf Normen und können aufgrund der ihnen eigenen Stereotypie auch ähnlich wie Normen menschliches Sozialverhalten regulieren. Aber sie stellen keine abstrakten Regeln auf, sondern existieren nur im konkreten Handeln. Ein Rechtsritual „ist etwas, das gefür Rechtssoziologie 21 (2000), S. 327–354, S. 327, für das Vorhandensein einer Rechtsordnung auf das „Auftreten des Dritten in der Streitregelung“ ab, wobei er das Vorliegen einer staatlichen Rechtsordnung vom Institutionalisierungsgrad dieses Dritten abhängig macht. Folge dieses staatszentrierten Rechtsbegriffs ist allerdings, dass Gebiete wie Kirchen- oder Völkerrecht von ihm nicht erfasst werden, Röhl, Allgemeine Rechtslehre (Anm. 10), § 24 III, S. 185 f. 12 Rehfeldt, Recht und Ritus (Anm. 9), S. 53, bezeichnet Rechtsrituale als „das legitime Kind des Gewohnheitsrechts“; vgl. ferner W. Ebel, Recht und Form. Vom Stilwandel im deutschen Recht, Tübingen 1975, S. 10; Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 34; Kannowski, Rechtsbegriffe (Anm. 1), S. 5; ebd., S. 1–3 auch zur zeitlichen Eingrenzung des Mittelalters aus rechtshistorischer Sicht, wonach die Rezeption des römischen Rechts als Zäsur für das Ende des Mittelalters angesehen wird. 13 G. Althoff, Recht nach Ansehen der Person. Zum Verhältnis rechtlicher und außerrechtlicher Verfahren der Konfliktbeilegung im Mittelalter, in: Cordes/Kannowski, Rechtsbegriffe (Anm. 1), S. 79–92, S. 80. 14 Vgl. hierzu den instruktiven Überblick über den aktuellen Forschungsstand von Kannowski, Rechtsbegriffe (Anm. 1), S. 1–27. 15 K.-S. Kramer, Grundriß einer rechtlichen Volkskunde, Göttingen 1974, S. 146, etwa hält eine klare Unterscheidung von „Volksbrauch und Rechtsbrauch“ für die von ihm überwiegend behandelte Frühe Neuzeit für unzweckmäßig, weil die den Bräuchen zugrunde liegenden Sozial- und Rechtsnormen nicht eindeutig voneinander unterschieden werden könnten. Kramer gebraucht dabei die Begriffe Brauch und Ritual synonym; zu seinem Verständnis vom Brauch, ebd., S. 78. 16 Rechtsrituale sind im rechtsgeschäftlichen Verkehr, im Gerichtsprozess sowie bei Vollstreckungshandlungen zu finden, weil sich hier Änderungen subjektiver Rechte vollziehen. Zahlreiche Beispiele für Rechtsrituale aus diesen Bereichen bei H.-J. Becker, Art. Rechtsritual, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 337–339, Sp. 338, Rehfeldt, Recht und Ritus (Anm. 9), S. 47, und Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 35.

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tan wird“, „ein rechtliches Ereignis“.17 Sie gehören in den Kreis der Rechtshandlungen. Dabei stehen der Rechtsordnung verschiedene Anknüpfungspunkte für die Bindungswirkung einer rechtlichen Handlung zur Verfügung: Zum einen kann sie hierfür an den Willen der Beteiligten, zum anderen an die äußere Erscheinungsform des Handlungsablaufs anknüpfen.18 Dieser Gegensatz zwischen voluntaristischen und formalistischen Rechtsordnungen ist für Rechtsrituale von besonderer Bedeutung. b) Abgrenzung des Rechtsrituals von anderen Rechtshandlungen: Der Formalismus aa) Der Begriff des Formalismus Die Formalität stellt für Rituale jeglicher Art ein „Kriterium erster Wahl“ dar.19 Häufig ist die Form von Ritualhandlungen besonders feierlich, um auf diese Weise ihre Anlässe aus der Alltagsroutine herauszuheben.20 Auch Rechtsrituale sind Handlungen, bei denen die Form eine herausragende Rolle spielt.21 Allerdings lässt nicht schon jede Formvorschrift die entsprechende Rechtshandlung zu einem Rechtsritual werden. Vielmehr zeichnen sich rechtsrituelle Formen dadurch aus, dass sie für die Rechtswirkung als der Besonderheit von Rechtsritualen von herausgehobener Bedeutung sind. Sie stellen nicht bloß eine Wirksamkeitsvoraussetzung neben anderen, sondern vielmehr den maßgeblichen Geltungsgrund des Rechts dar. Rechtsrituale unterscheiden sich mithin von anderen Rechtshandlungen dadurch, dass bei ihnen die Rechtswirkung nicht an den Willen der Handelnden, sondern an die korrekte Vollziehung der äußeren Form der Handlung anknüpft.22 Form und Rechtsgeschäft bilden eine Einheit, 17 Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 454 f. Daher halte ich es für unzutreffend, wenn M. T. Fögen, Ritual und Rechtsfindung, in: C. Caduff/J. Pfaff-Czarnecka (Hg.), Rituale heute. Theorien – Kontroversen – Entwürfe, Berlin 1999, S. 149–163, S. 162, Rechtskraft und Fristablauf als Rituale bezeichnet. Nach meinem Begriffsverständnis beziehen sich diese Phänomene auf den vom Ritual zu unterscheidenden Formalismus, vgl. dazu unter II. 2. b) aa). 18 Dabei ist hier und im Folgenden der Rechtsgeschäftswille und nicht etwa bloß der Handlungswille gemeint, wenn von „Parteiwille“ die Rede ist. Da auch die Vornahme formalistischer Rechtshandlungen i. d. R. von einem Handlungswillen der Parteien getragen ist, besteht insoweit kein Unterschied zwischen formalistischen und voluntaristischen Rechtshandlungen. 19 Michaels, Le rituel (Anm. 4), S. 34. 20 Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 32 f. 21 Dies zeigt schon der Umstand, dass Begriffe wie „Formhandlungen“ oder „förmliches Handeln“ als Synonyme für den Begriff des Rechtsrituals verwendet werden, vgl. etwa K. v. Amira/C. v. Schwerin, Rechtsarchäologie, Berlin 1943, S. 60; M. Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl., München 2003, § 6 I, S. 54, Rn. 1. 22 Die Dominanz des formalistischen gegenüber dem voluntaristischen Element ist keine Besonderheit von Rechtsritualen, B. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommuni-

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die Form verkörpert gleichsam das Rechtsgeschäft, so dass beide nicht getrennt voneinander gedacht werden können. Wird die Form nicht gewahrt, so liegt kein nichtiges, sondern gar kein Rechtsgeschäft vor. Die Form ist ein „Absolutum“, das keinerlei Einschränkungen verträgt.23 Zur Kennzeichnung der Form als dem Geltungsgrund des Rechts bietet sich der Fachausdruck des Formalismus an. So hatte Andreas Heusler den Begriff verstanden: „Dem Vorstehenden gemäß begreife ich unter dem Ausdrucke Rechtsformalismus denjenigen Zustand der Rechtsbildung, wo das sinnlich Wahrnehmbare einzig oder doch vorwiegend als rechtserzeugendes Element anerkannt ist und innerliche Vorgänge geistiger Art, Stimmungen, Willensmomente, Absichten u.s.f. in ihrer Verwerthung für das Recht ausgeschlossen oder zurückgedrängt sind.“24

Allerdings wird der Begriff nicht nur in diesem Sinn gebraucht. Vielfach wird mit ihm der Umstand bezeichnet, dass zur Rechtswirksamkeit von Rechtshandlungen bestimmte Rechtsformen zu beachten sind.25 In dieser Bedeutung eignet sich der Ausdruck „formalistisch“ jedoch nicht mehr als Gegenbegriff zu „voluntaristisch“. Denn Formvorschriften gibt es auch in voluntaristischen

kation in der Vormoderne. Begriffe – Forschungsperspektiven – Thesen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489–527, S. 503: „Dabei sind Rituale tendenziell nicht-intentional in dem Sinne, dass ihre Wirkung auch unabhängig von der Intention, der inneren Überzeugung, der Meinung etc. derer, die sie vollziehen, eintritt, ihre Wirkmächtigkeit vielmehr in erster Linie auf dem korrekten äußeren Vollzug beruht.“ 23 W. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., Berlin u. a. 1992, § 15 I 1, S. 244 f. Beispiele für absolute Formen im geltenden Recht sind der Scheck und der Wechsel, bei denen gemäß § 2 I ScheckG bzw. § 2 I WG erst gar kein Scheck bzw. Wechsel vorliegt, wenn nicht die Urkunde den Formvorschriften des § 1 ScheckG bzw. § 1 WG entspricht. Im Unterschied zu den meisten Formen des mittelalterlichen Rechts fehlt es Scheck und Wechsel jedoch an rechtssymbolischer Ausdruckskraft, A. Heusler, Institutionen des Deutschen Privatrechts, Bd. 1, Leipzig 1885, S. 68 f.; anderer Ansicht B. Rehfeldt, Begriff und Wesen der Rechtssymbolik, in: Studium Generale 6 (1953), S. 288–295, S. 291. Ein weiteres Beispiel für eine absolute Form ist die Eheschließung. Wird sie nicht vor einem Standesbeamten vorgenommen, so liegt gemäß § 1310 I 1 BGB keine nichtige, sondern überhaupt keine Ehe vor, G. Brudermüller, in: O. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., München 2004, § 1310, Rn. 1. 24 Heusler, Institutionen (Anm. 23), S. 49. Heusler folgen L. Mitteis, Römisches Privatrecht bis auf die Zeit Diokletians, Bd. 1: Grundbegriffe und Lehre von den Juristischen Personen, Leipzig 1908, S. 255 ff., 289, und Ebel, Recht (Anm. 12), S. 17, 22. 25 E. Kaufmann, Art. Formstrenge, in: HRG (Anm. 16), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1164; ders., Deutsches Recht. Die Grundlagen, Berlin 1984, S. 70, Fn. 6, und W. Ogris, Art. Wille, Willenserklärung, in: HRG (Anm. 16), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 1424–1427, Sp. 1426. Wiederum ein anderes Verständnis vom Formalismus hat Rehfeldt, Begriff und Wesen (Anm. 23), S. 288 f.; ders., Recht und Ritus (Anm. 9), S. 45. Ihm zufolge handelt es sich dabei um einen Fachausdruck für formalisierte Sprache und Schrift, dem der Begriff der Rechtssymbolik gegenübergestellt werde.

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Rechtsordnungen. Daher wird den folgenden Ausführungen das Heuslerische Begriffsverständnis zugrunde gelegt. Wenngleich der Formalismus ein wesentliches Element von Rechtsritualen ist, sind beide Begriffe nicht deckungsgleich. Der Formalismus greift insoweit über das Rechtsritual hinaus, als er nicht nur Handlungen, sondern auch Rechtsbestimmungen erfasst, die – wie ausgeführt – keine Rechtsrituale darstellen.26 Auf Rechtsbestimmungen bezogen zielt der Formalismus nicht auf die Form als solche, sondern auf das Formale. Formalistische Rechtsbestimmungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht auf den Einzelfall abstellen, sondern von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten ausgehen. Ein Beispiel sind starre Altersgrenzen, an die für jede Person unabhängig von ihrem individuellen Reifegrad Rechtswirkungen wie Volljährigkeit oder Strafmündigkeit geknüpft werden.27 bb) Von der „Wirkform“ zur „Schutzform“ Beispiele für die Form als rechtserzeugendes Element liefert das altrömische Vertragsrecht. In dessen Zentrum standen in erster Linie Wortformeln, neben die zum Teil weitere Formalhandlungen wie das Berühren des Vertragsgegenstandes mit Hand oder Stab, Mitwirkungsakte des Magistrats oder die Hinzuziehung von Solennitätszeugen treten konnten.28 Die kraft- und bedeutungsvollen Wörter der Formeln lassen die Vorstellung der Beteiligten greifbar werden, durch ihren Ausspruch die Rechtswirkung unmittelbar herbeizuführen. So etwa die imperativische Ausgestaltung der Manzipationsformel, mit deren Ausspruch der Eintritt der Rechtsfolge unmittelbar „heraufbeschworen“ werden sollte.29 Damit 26

Vgl. Anm. 17. Heusler, Institutionen (Anm. 23), S. 49 f. Heuslers Ausführungen zufolge lassen sich darüber hinaus auch all diejenigen Rechtsbestimmungen als formalistisch bezeichnen, bei denen der Rechtssicherheit der Vorrang vor der Einzelfallgerechtigkeit eingeräumt wird, wie das bei Ausschlussfristen oder der formellen Rechtskraft des Urteils der Fall ist. 28 Kaser/Knütel, Privatrecht (Anm. 21), § 6 I, S. 54, Rn. 1. 29 Gaius, Inst. I, 119: „Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra.“, zitiert nach U. Manthe (Hg.), Gaius institutiones. Die Institutionen des Gaius (Texte zur Forschung 81), Darmstadt 2004, S. 78. Allerdings bereitet die Deutung der Formel insgesamt Probleme, weil ihr erster Satzteil nicht im Imperativ, sondern im Indikativ steht. K. Olivecrona, Law as Fact, 2. Aufl., London 1971, S. 227 ff., interpretiert auch den ersten Satzteil im Lichte des imperativischen mihi emptus est und erblickt in dem aio die dem Imperativ des nachfolgenden Satzteils korrespondierende Ausdrucksform, der ebenso wie dem Imperativ die Funktion zukomme, dem Satz stärkeren Nachdruck zu verleihen. Zu dem Wort aio vgl. auch Manthe, Sprechakttheorie (Anm. 6), S. 437–442. Eine andere These hat jüngst J. G. Wolf, Funktion und Struktur der mancipatio, in: Mélanges de droit romain et d’histoire ancienne. Hommage à la mémoire de André Magdelain, Paris 1998, S. 501–524, aufgestellt, mit der er der seit Jhering üblichen Interpretation der mancipatio als einem Akt ritualisierter Eigenmacht von Seiten des Erwerbers entgegentritt. 27

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jedoch die gewünschte Rechtswirkung eintrat, musste der Wortlaut der Formel strikt eingehalten werden. Die kleinste Abweichung von dem vorgeschriebenen Wortlaut oder Ablauf ließ die Rechtshandlung wirkungslos werden. Diese auf den rechtsgeschäftlichen Bereich bezogene Annahme legen vergleichbare Beispiele aus dem Prozess nahe. So etwa der von Gaius, Inst. IV, 11 angeführte Fall. Dort hatte der Eigentümer gestohlener Weinstöcke seine Klage gegen den vermeintlichen Dieb verloren, weil er sich nicht an den genauen Wortlaut des Zwölftafelgesetzes gehalten, sondern dem Sachverhalt entsprechend von „abgeschnittenen Weinreben“ (anstatt von „abgeschnittenen Bäumen“) gesprochen hatte.30 Als historische Stätte solcher Formstrenge ist vor allem das spätmittelalterliche Gerichtsverfahren zu nennen. Dort soll schon die falsche Aussprache eines Wortes beim Sprechen einer Klage- oder Eidesformel oder eine ungewöhnliche Geste wie das Schlagen nach einer Mücke zum Verlust des Rechtsstreits geführt haben.31 So kurios diese Beispiele auch sein mögen, die Bedeutung der Formstrenge ist nicht überzubewerten. Zum einen dürfte es sich dabei lediglich um eine historische Randerscheinung gehandelt haben.32 Zum anderen stellt sie nur eine extreme Ausprägung der letztlich jeder Rechtsform immanenten Spannung zwischen materiellem und formellem Recht dar. Die Nichtigkeit einer Prozesshandlung oder eines Rechtsgeschäfts als Folge eines Formverstoßes ist daher kein Phänomen, an dem sich die Unterschiedlichkeit von formalistischen Seiner Ansicht nach ist mit der Barkaufmanzipation kein realer Rechtserfolg angestrebt, sondern vielmehr eine fingierte Rechtsstellung des Käufers behauptet worden, um so die ursprüngliche Unveräußerlichkeit der res mancipi zu überwinden. Als ein solches rechtliches Behelfsmittel sei sie nicht aus Sitte und Volksglaube hervorgegangen, sondern stelle das Ergebnis einer bewussten und rationalen Rechtsfortbildung dar. Sie bestätige damit gerade nicht „die beliebte Vorstellung, daß ,alles Recht in seinen Anfängen formalistisch ist‘ und in früher Zeit auch in Rom ,nur rituelles Handeln rechtliche Bindung erzeugt‘“. Der Wolfschen Deutung von der Manzipation schließt sich U. Manthe, Geschichte des römischen Rechts, München 2000, S. 22 f., an. 30 Zitiert nach Manthe, Gaius (Anm. 29), S. 323. Dazu Fögen, Ritual (Anm. 17), S. 149. 31 Ssp., Lhnr. 68, 7 stellt fest, dass kein Mann Nachteile dadurch erleiden solle, dass er sich vor dem Lehengericht „die Nase putzt oder sich schneuzt oder spuckt oder gähnt oder wenn er hustet oder niest oder auf der anderen Seite seines Vorsprechers steht, als er zunächst stand, oder wenn er sich schicklich umschaut oder Fliegen, Mücken oder Bremsen schicklich von sich scheucht“, zitiert nach E. v. Repgow, Der Sachsenspiegel, hg. von C. Schott, Zürich 1984, S. 326; weitere vergleichbare Beispiele führt Heusler, Institutionen (Anm. 23), S. 48, Fn. 1, an. Diese übertriebene Formstrenge des Gerichtsprozesses führt Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 42 f., als eine der Ursachen für den seit dem 12. Jahrhundert einsetzenden Rückgang des Rechtsritualismus an; zur Formstrenge des spätmittelalterlichen Prozesses generell vgl. die Beiträge von F.-J. Arlinghaus und P. Oestmann in diesem Band. 32 So für den spätmittelalterlichen Gerichtsprozess E. Kaufmann, Art. Billigkeit, in: HRG (Anm. 16), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 431–437, Sp. 436. Diese Vermutung legt auch der Beitrag von P. Oestmann in diesem Band nahe.

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und voluntaristischen Rechtssystemen grundsätzlich aufzeigen ließe. Ob eine Rechtsordnung ihren Geltungsgrund im Willen oder in der Form erblickt, zeigt sich vielmehr an ihrer Reaktion auf den umgekehrten Fall, in dem zwar die Form gewahrt, der Wille jedoch fehlerhaft zum Ausdruck gebracht wurde. Die Irrtumsproblematik kann als der Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung des Geltungsgrundes des Rechts angesehen werden.33 In einer formalistischen Rechtsordnung ist die Anfechtung einer Rechtshandlung wegen eines Willensmangels nicht denkbar, weil die gesprochenen Worte vielfach nicht der Kundgabe des inneren Willens dienen, sondern in Gestalt von Formeln Rechtsformen sind, die es einzuhalten gilt.34 Desgleichen ist in formalistischen Rechtsordnungen eine Auslegungslehre undenkbar, die vom sozialtypischen Erklärungsgehalt der gesprochenen Worte abweichende Intentionen der Parteien berücksichtigen würde. Die Annahme, dass die große Bedeutung der Form im altrömischen Vertragsrecht auf magischen Vorstellungen beruhte, kann eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen, wenngleich sie sich mangels Quellenbelege nur auf Vermutungen zu stützen vermag.35 Keineswegs aber muss die große Bedeutsamkeit der Form für das Recht stets auf magische Vorstellungen zurückzuführen sein. 33 So auch S. E. Wunner, Contractus. Sein Wortgebrauch und Willensgehalt im klassischen römischen Recht, München 1964, S. 134, 140. 34 Für das germanische Recht Ogris, Wille (Anm. 25), Sp. 1426, allerdings mit anderer Begründung. Umgekehrt handelt es sich bei einer Rechtsordnung, die die Anfechtung bei Willensmängeln zulässt, um eine voluntaristische Rechtsordnung. Anderer Ansicht ist Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 453. Ihm zufolge macht die Unbeachtlichkeit der Mentalreservationen deutlich, dass die vertragliche Bindungswirkung ungeachtet der Intentionen der Vertragsparteien zustande kommt. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass unter bestimmten Voraussetzungen Willensmängel zur nachträglichen Aufhebung der Bindungswirkung führen könnten. Denn diese Folge trete erst ein, wenn mit Anfechtungs- oder Nichtigkeitserklärung ein neuerliches Rechtsritual vorgenommen worden sei. Gegen Winn lässt sich zum einen darauf verweisen, dass es Rechtsbestimmungen – wie etwa im deutschen Recht §§ 104, 118 BGB – gibt, die mit Rücksicht auf die innerliche Verfasstheit der Äußernden die Nichtigkeit von rechtsgeschäftlichen Erklärungen anordnen, ohne dass es dazu noch irgendwelcher weiterer Erklärungen bedürfte. Zum anderen stellt es m. E. sehr wohl eine Berücksichtigung des Willens dar, wenn eine Rechtsordnung an Rechtshandlungen, die auf Willensmängeln beruhen, eine Rechtswirkung knüpft, die sich gegenüber derjenigen anderer Rechtsakte infolge ihrer Anfechtbarkeit durch eine geringere „Beständigkeit“ auszeichnet. 35 So wird davon ausgegangen, dass sich der Verpflichtende durch rechtsrituelle Formeln und Handlungen selbst magisch binden sollte, W. Waldstein/J. M. Rainer, Römische Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, 10. Aufl., München 2005, § 13 II 4 b, S. 60. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Vergleichbarkeit von Rechts- und Zauberformeln hinzuweisen, Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 35; Rehfeldt, Recht und Ritus (Anm. 9), S. 55: „In beiden Fällen [i. e. Rechtsriten und Zauberriten] waltet die Vorstellung ob, dass es die Form an sich, das äußere Verfahren und die Wortformeln selber seien, die da etwas vollbringen.“ Für den Bereich des Eigentumserwerbs N. Strosetzki, Antike Rechtssymbole, in: Hermes 86 (1958), S. 1–17, S. 1.

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So hatten die vielfältigen symbolischen und rituellen Formen im mittelalterlichen Rechtsleben einen ganz anderen Hintergrund. Sie dienten dort der Veranschaulichung abstrakter Rechtsvorgänge und der Herstellung von Publizität.36 Im Bereich des Vertragsrechts hängt dieses gewandelte Formverständnis mit der Anerkennung des Willens als dem Geltungsgrund der vertraglichen Bindung zusammen. Die „Wirkformen“37 werden zu bloßen „Schutzformen“, die zu dem Parteiwillen nur als zusätzliches Wirksamkeitserfordernis hinzutreten und bestimmte Funktionen wie Abschluss- und Inhaltsklarheit, Publizität, Beweissicherung, Beratungs-, Warn- und Kontrollfunktion erfüllen.38 Dieser Zusammenhang lässt sich beispielhaft an Hugo Grotius’ Lehre vom Versprechen aufzeigen, aus der die dogmatische Figur der Willenserklärung hervorgegangen ist.39 An die Stelle der in vestimenta gekleideten Vertragstypen des römischen Rechts setzte Grotius als Geltungsgrund der Vertragsbindung den Parteiwillen. Das war indessen nichts Neues.40 Neu war vielmehr, dass er den Willen einer eingehenden Analyse unterzog.41 Grotius unterschied drei Typen von Willensäußerungen, an 36 V. Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit (Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven 4), Konstanz 2000, S. 120 f.; H. Lück, Art. Rechtssymbolik, in: H. Beck/D. Geuenich/H. Steuer (Hg.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Begr. von J. Hoops, Bd. 24, Berlin u. a. 2003, S. 284–291, S. 287; G. Kocher, Art. Rechtssymbolik, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VII, München 1995, Sp. 523–524; ders., Art. Symbol, in: A. Reifferscheid/R. Winkler, Ergänzbares Lexikon des Rechts, Bd. 1, Neuwied u. a. 1993, 1/1210. 37 Darunter sind Formen mit rechtserzeugender Kraft zu verstehen. Der Begriff wurde von G. Dulckeit, Zur Lehre vom Rechtsgeschäft im klassischen römischen Recht, in: Festschrift für Fritz Schulz, 2 Bde., Bd. 1, Weimar 1951, S. 148–190, S. 161, geprägt. 38 Becker, Rechtsritual (Anm. 16), Sp. 338; Dulckeit, Lehre (Anm. 37), S. 161; Ebel, Recht (Anm. 12), S. 11; Flume, AT (Anm. 23), § 15 I 1, S. 244 f.; Kaser/Knütel, Privatrecht (Anm. 21), § 6 I, S. 54, Rn. 2; R. Meyer-Pritzl, §§ 125–129. Form der Rechtsgeschäfte, in: M. Schmoeckel/J. Rückert/R. Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. I: Allgemeiner Teil §§ 1–240, Tübingen 2003, S. 502 f. Rn. 5–7; W. Ogris, Art. Rechtsgeschäfte (Form), in: HRG (Anm. 16), Bd. 4, Sp. 294–298, Sp. 295; Rehfeldt, Recht und Ritus (Anm. 9), S. 53 ff.; Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 33, 36. Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 458 ff., dagegen hält die Funktionsbestimmungen moderner Rechtsformen für „Rationalisierungen“, (S. 451, Fn. 3; S. 461), die deren Charakter als Rituale verkennen würden, weil, „das Recht als rationales System gilt, das auf Institutionen basiert, wo aber kein Ritual, wie auch immer, willkommen ist“ (S. 460). 39 Grotius kann daher nicht nur als Begründer des modernen Naturrechts (F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Aufl., Göttingen 1967, ND Göttingen 1996, § 16 III 1, S. 287; K.-H. Ziegler, Art. Grotius, Hugo, in: HRG (Anm. 16), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1815– 1817, Sp. 1816), sondern zugleich auch als „Stammvater des allgemeinen Teiles unseres Privatrechtsgesetzbuches“ gelten, M. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, Köln u. a. 1959, S. 2. 40 Zur Klagbarkeit der pacta nuda waren die Kanonisten bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts gelangt, P. Landau, Pacta sunt servanda. Zu den kanonistischen Grundlagen der Privatautonomie, in: M. Ascheri/K. W. Nörr (Hg.), „Ins Wasser ge-

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die er jeweils unterschiedliche Bindungswirkungen geknüpft sah: von der völligen Unverbindlichkeit bloßer Mitteilungen zukünftiger Handlungsabsichten (assertio) über die moralische Selbstbindung durch die Bekundung, an dem geäußerten Willen auch für die Zukunft festhalten zu wollen (pollicitatio), bis hin zu der rechtlich relevanten Äußerung, die von dem Willen getragen ist, dem Erklärungsempfänger ein Forderungsrecht zu übertragen (promissio).42 Rechtliche Bindungswirkung entfaltete Grotius’ promissio allerdings erst durch Zutun des Erklärungsempfängers, nämlich mit dessen Annahme des Versprechens (acceptatio).43 Der äußeren Form der Erklärung maß er dagegen in dem ersten Entwurf seiner Versprechenslehre in der Inleiding tot de hollandsche Rechts-Geleerdheid für die Rechtsverbindlichkeit des Versprechens keine Bedeutung bei. Die Frage, wie der Erklärungsempfänger eine promissio von rechtlich unverbindlichen Äußerungen unterscheiden können sollte, stellte sich ihm offenbar nicht. Erst in seinem Hauptwerk De iure belli ac pacis libri tres hob er in Anlehnung an seinen Landsmann Leonhardus Lessius stärker die äußere Seite des Versprechens hervor.44 Dessen rechtliche Verbindlichkeit sah er nun nicht mehr nur allein an die subjektive Endgültigkeit des Entschlusses, sondern daneben auch an die besondere Art der Mitteilung geknüpft. Er hielt es für erforderlich, dass der Rechtsbindungswille sich in einem äußerlichen Zeichen manifestierte und so für den Erklärungsempfänger erkennbar wurde: „Die dritte Art ist, wo zu der Willensäußerung noch ein Zeichen hinzutritt, dass man dem anderen ein Recht gewähren wolle. Dies ist das vollkommene Versprechen und hat die gleiworfen und Ozeane durchquert“. Festschrift für Knut Wolfgang Nörr, Köln u. a. 2003, S. 457–474. 41 Grotius selbst knüpfte dabei an die Willenslehre spanischer Moraltheologen wie Molina an, H. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800), München 1985, S. 182; B. Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: das naturrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektistische Modell der vereinigten Willenserklärungen, in: R. Zimmermann/R. Knütel/J. P. Meincke/H. H. Seiler (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, Heidelberg 2000, S. 187–206, S. 190. Zu Grotius’ Versprechenslehre auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte (Anm. 39), § 16 III 3 c), S. 293. 42 H. Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, Paris 1625, II, XI, 2–4. In dem ersten Entwurf seiner Versprechenslehre in der bereits 1620 fertig gestellten, jedoch erst 1631 veröffentlichten Inleiding tot de hollandsche Rechts-Geleerdheid war Grotius noch von einem zweistufigen Versprechensaufbau ausgegangen, bei dem er der assertio keine eigenständige Bedeutung einräumte, sondern sie mit der pollicitatio in der erste Stufe der belofte zusammenfasste. Die zweite Stufe der toezegging entsprach der promissio, H. Grotius, Inleiding, III, 1, 5 und 10, zitiert nach H. Grotius, The Jurisprudence of Holland. The text translated with brief notes and a commentary by Robert Warden Lee, vol. 1: Text, translation, and notes, Oxford 1953, ND Aalen 1977, S. 292 ff. 43 Dazu Schmidlin, Vertragsmodelle (Anm. 41), S. 191 f. Im Unterschied dazu wird nach § 130 BGB eine Willenserklärung spätestens mit ihrem Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam. 44 K.-P. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, München 1985, S. 143.

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che Wirkung wie die Veräußerung des Eigentums.“45 Als besonders zuverlässiges Zeichen für ein ernst gemeintes Versprechen sah Grotius die Stipulation an und erblickte in der geringeren Eindeutigkeit formloser Erklärungen auch den Grund für die Klaglosigkeit der pacta nuda im römischen Recht.46 Grotius betonte jedoch, dass es neben der Stipulation auch andere Indikatoren für die Ernsthaftigkeit von Versprechen gäbe.47 Von der Vorstellung, dass die Bindungswirkung des Vertrages durch die feierlich gesprochenen Worte der Stipulationsformel als dem zentralen und unverzichtbaren Bestandteil des Rechtsaktes unmittelbar herbeigeführt werde, ist bei Grotius nichts mehr zu spüren. Die Stipulation ist für ihn nur noch ein – wenn auch besonders zuverlässiges, so doch letztlich austauschbares – Indiz für den Rechtsbindungswillen, der den eigentlichen Geltungsgrund des Rechts darstellt. c) Abgrenzung des Rechtsrituals von rein deklaratorischen Handlungen und Zeremonien: Die Konstitutivität Aus der für Rechtsrituale überragenden Bedeutung der Form folgt, dass deren Einhaltung für die Herbeiführung der Rechtswirkung unerlässlich ist. Daher liegt ein Rechtsritual nur vor, wenn die einzelnen Formalakte für die Rechtswirkung konstitutiv, also zwingend erforderlich sind, um die erstrebte Rechtswirkung zu erzielen. Deklaratorische Formen begründen keine Rechtsrituale.48 Ein Beispiel aus dem geltenden deutschen Recht ist der den Vertragsschluss „besiegelnde“ Handschlag. § 1789 BGB sieht ihn bei der Bestellung eines Vormunds durch das Vormundschaftsgericht zwar noch vor, stellt aber nur eine Soll-Vorschrift dar. Neben den deklaratorischen Handlungen gibt es Formen, die zwar konstitutiv, aber ebenfalls keine Rechtsrituale sind, weil an sie konkret keine Rechtswirkung anknüpft. Ein Beispiel hierfür findet sich im Sachsenspie-

45 Grotius, De iure (Anm. 42), II, XI, 4, 1: „Tertius gradus est, ubi ad determinationem talem accedit signum volendi ius proprium alteri conferre: quae perfecta promissio est, similem habens effectum qualem alienation dominii.“ Übersetzung nach H. Grotius, De iure belli ac pacis libri tres. Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, Paris 1625, nebst einer Vorrede von Christian Thomasius zur ersten deutschen Ausgabe des Grotius vom Jahre 1707, Neuer deutscher Text und Einleitung von W. Schätzel, Tübingen 1950, S. 237. 46 Grotius, De iure (Anm. 42), II, XI, 4, 2. 47 Ebd., II, XI, 4, 3. 48 Rehfeldt, Begriff und Wesen (Anm. 23), S. 288. Das Merkmal der Konstitutivität rechtsritueller Handlungen betont auch Keller, Investitur (Anm. 9), S. 80, 85; ders., Ritual, Symbolik und Visualisierung in der Kultur des ottonischen Reiches, in: Frühmittelalterliche Studien 35 (2001), S. 23–59, S. 24. Die unterschiedliche Relevanz dieses Kriteriums je nach Blickwinkel heben Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), S. 168, Fn. 181, hervor: „Daß dabei [i. e. die Materialauswahl] die dem Juristen naheliegende Beschränkung auf konstitutive Formen nicht statthaben konnte, war für den Historiker selbstverständlich.“

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gel, der anordnete, dass der Richter während der gesamten Verhandlung sitzen müsse.49 Stand er auf, so wurde dies als Unterbrechung oder gar Beendigung des Prozesses angesehen.50 Dennoch wurden die vom Richter vorgenommenen Verfahrenshandlungen nicht schon dadurch zum Rechtsritual, dass er sie im Sitzen vornahm. Durch das Sitzen wurden unmittelbar keine Rechtswirkungen herbeigeführt. Vielmehr hatte es den Zweck, Ruhe und Bedächtigkeit zum Ausdruck zu bringen und die Würde des Gerichts zu betonen.51 Auf derselben Ebene liegt das Tragen von Amtstrachten, das auch heute noch für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte vorgeschrieben ist.52 Formen wie das Sitzen oder das Tragen von Amtstrachten kann man als zeremonielle Formen bezeichnen. Der Unterschied zwischen Zeremonien und Rechtsritualen besteht darin, dass durch Rechtsrituale neue Zustände herbeigeführt werden, während Zeremonien – wie auch die rein deklaratorischen Handlungen – der Darstellung bestehender Zustände dienen.53 Die Übergänge zwischen beiden sind allerdings fließend. Vor allem bei komplexen Handlungsabläufen lassen sich Rituale und Zeremonien nur schwer voneinander unterscheiden. Ein Beispiel ist die Investitur des Königs, bei der Salbung und Krönung die Statusänderung bewirkten, während die Festkrönung dazu diente, dem Volk den neuen Herrscher vorzuführen.54

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Ssp., Ldr. III, 69, 2. Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), S. 63, 170, Anm. 195 f.; G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, München 1992, S. 141; A. Erler, Art. Richterstuhl, in: HRG (Anm. 16), Bd. 4, Sp. 1057–1058, Sp. 1057; ders., Art. Sitzen, in: ebd., Sp. 1679–1682, Sp. 1680. Noch heute sieht § 40 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vor, dass der Bundestagspräsident bei Störungen, denen er nicht Herr zu werden vermag, die Sitzung des Bundestages dadurch unterbrechen kann, dass er den Präsidentenstuhl verlässt, § 40 GOBT in der Textfassung nach dem Stand vom 30. April 2003. 51 Zur richterlichen Sitzhaltung vgl. neben dem Beitrag von C. Schott in diesem Band auch W. Schild, Die Sitzhaltung des griesgrimmigen Löwen als Richtersymbol, in: P. Michel (Hg.), Symbole im Dienste der Darstellung von Identität, Bern 2000, S. 145–157. 52 Für die Bundesgerichte ist § 76 BBG i.V. m. § 46 DRiG i.V. m. den jeweiligen Anordnungen des Bundespräsidenten einschlägig. Für Nordrhein-Westfalen vgl. etwa die Anordnung über die Amtstracht bei den ordentlichen Gerichten, AV d. JM vom 5. Februar 1963 (3152 – I B. 5), in: JMBl. NRW 1963, S. 49. 53 Leyser, Ritual (Anm. 5), S. 2; Michaels, Le rituel (Anm. 4), S. 38; Stollberg-Rilinger, Einleitung (Anm. 5), S. 10; dies., Symbolische Kommunikation (Anm. 22), S. 504. Dieser Unterschied hat zur Folge, dass die Symbolik bei Ritualen und Zeremonien eine unterschiedlich große Rolle spielt, vgl. unter II. 3. a. E. 54 Leyser, Ritual (Anm. 5), S. 2, der die einleitend von ihm vorgenommene theoretische Gegenüberstellung von Ritualen und Zeremonien im Folgenden seiner Ausführungen wegen der praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten wieder verwirft. Zur Vielzahl der die Krönung begleitenden Ritualhandlungen M. Steinicke/S. Weinfurter (Hg.), Investitur und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln 2005. 50

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3. Symbolhaftigkeit Bei formalistischen Rechtshandlungen weist die Form oftmals einen inneren Bezug zu dem Rechtsgeschäft auf, der sich in einer symbolischen Veranschaulichung des Rechtsinhalts niederschlägt. Rechtssymbolik und Formalismus hängen daher eng miteinander zusammen. Mit der Anerkennung des Willens als Rechtsgrund geht dagegen zugleich auch der Verlust der Symbolik rechtsgeschäftlicher Handlungen einher. An ihre Stelle treten einige wenige allgemeine Formen wie Schriftform oder notarielle Beurkundung, die für die verschiedensten Rechtsgeschäfte gleichermaßen Anwendung finden.55 Mit der Symbolhaftigkeit ist ein Merkmal von Rechtsritualen angesprochen, um dessen Erfassung und Systematisierung sich vor allem die ältere Rechtssymbolforschung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bemüht hat.56 55 Der Gegensatz des heutigen, von mangelnder Anschaulichkeit geprägten Rechts zu dem Recht des Mittelalters ist vielfach beschrieben worden, so z. B. von A. Laufs, Über die Form im Rechtsgang, in: K. Müller/H. Soell (Hg.), Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Festschrift für Eduard Wahl zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1973, S. 3– 24; Ebel, Recht (Anm. 12). Im Zuge des sich gegenwärtig vollziehenden Wandels vom Buchdruck- zum Multimedia-Zeitalter stellt sich jedoch die Frage nach den Auswirkungen der wachsenden Bedeutung der Visualität auf die Ausdrucksformen des bislang noch textlastigen und bildresistenten Rechts, vgl. K. Röhl, Das Recht nach der visuellen Zeitenwende, in: Juristenzeitung 7 (2003), S. 339–344, sowie die ins Internet gestellten Textbausteine zu seinem an der Ruhr-Universität Bochum durchgeführten Projekt „Visuelle Rechtskommunikation“. C. Brunschwig, Visualisierung von Rechtsnormen. Legal Design, Zürich 2001, S. 7, beklagt die „Nur-Textualität“ des Rechts im visuellen Zeitalter als unzeitgemäß. In ihrer Arbeit lotet sie die Möglichkeiten und Grenzen der Verbildlichung von Rechtsnormen aus, in der sie eine Chance sieht, das abstrakte, unüberschaubare und für Laien daher unverständliche Recht dem Rechtsadressaten näher zu bringen. Das wachsende Interesse an Bildlichkeit und Bildern ist kein auf Teilgebiete der Rechtswissenschaft beschränktes Phänomen. Vielmehr lässt sich eine entsprechende Entwicklung in den verschiedensten Bereichen der Geistesund Sozialwissenschaften feststellen. Manche sprechen nach dem „linguistic turn“ gar schon von einer neuen Wende in den Kulturwissenschaften. Das Schlagwort vom „pictorial turn“ (oder auch „iconic turn“) macht die Runde. Zur Herkunft dieses Schlagwortes D. Gugerli, Soziotechnische Evidenzen. Der „pictorial turn“ als Chance für die Geschichtswissenschaft, in: Traverse 6 (1999), S. 131–159, S. 131, Fn. 4. 56 Den Anfang der Materialerfassung bildete J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, Göttingen 1828. Daran knüpften E. Wohlhaupter, Rechtssymbolik der Germanen. Mit Ausblicken auf die Symbolik anderer europäischer Rechte, in: F. Herrmann (Hg.), Handbuch der Symbolforschung, Bd. 2: Symbolik der europäischen Urzeit und der germanischen Völker, Leipzig 1941, S. 125–186, (allerdings mit rassistisch verzerrter Literaturgrundlage) und Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), an. F. Beyerle, Sinnbild und Bildgewalt im älteren deutschen Recht, in: Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 58 (1938), S. 788–807, S. 788 ff., ersann die Einteilung in Verkörperungs-, Verdeutlichungs- und Motivationssymbole. In neuerer Zeit ist vor allem Kocher, Zeichen und Symbole (Anm. 50), zu nennen. Einen Überblick über die Rechtssymbolik im liturgischen Bereich gibt L. Carlen, Kirchliche Rechtssymbolik, in: K. Breitsching/W. Rees (Hg.), Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag, Berlin 2001, S. 463–477.

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Teilweise wird das Rechtsritual sogar primär von der Rechtssymbolik her betrachtet. So legt Bernhard Rehfeldt seiner Definition vom Rechtsritual Jacob Grimms Begriffsbestimmung vom Symbol zugrunde.57 Entsprechend sieht er den Zweck von Rechtsritualen in der symbolischen Veranschaulichung von abstrakten Rechtsvorgängen. Es ist jedoch fraglich, ob in der Rechtssymbolik das entscheidende Wesensmerkmal von Rechtsritualen zu sehen ist. Bevor dieser Frage nachgegangen wird, soll jedoch zunächst die Bedeutung des Begriffs „Rechtssymbol“ geklärt werden. Der Begriff des Symbols ist nicht weniger vieldeutig als der des Rituals.58 Es kann hier daher nicht um den – wahrscheinlich ohnehin zum Scheitern verurteilten – Versuch gehen, eine allgemeingültige Definition des Symbols zu formulieren. Vielmehr gilt es, von einem Symbolbegriff auszugehen, der für rechtswissenschaftliche Fragen sinnvoll erscheint. Konturen gewinnt der Symbolbegriff zunächst einmal dadurch, dass man ihn von dem des Zeichens abgrenzt. Beiden ist gemein, dass sie sinnlich wahrnehmbare Träger von Bedeutungen sind. Als Bedeutungsträger kommen grundsätzlich alle denkbaren Medien in Betracht: neben gegenständlichen Objekten auch Körperhaltungen, Gesten, Gebärden, Schriftzeichen und sprachliche Laute. Der Unterschied zwischen Zeichen und Symbolen wird im juristischen Schrifttum häufig darin gesehen, dass Zeichen reale Gegenstände abbilden, während Symbole gedankliche Abstraktionen veranschaulichen.59 Diese Grenzziehung lässt sich an dem Vorgang der langobardischen Auflassung veranschaulichen: Der Grundstückseigentümer warf dem Erwerber eine Erdscholle, einen Strohhalm und je einen Zweig 57 Zu Rehfeldts Definition des Rechtsrituals vgl. Anm. 9. In gleicher Weise legt auch V. Hertel, Rituale in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen ländlichen Rechtsquellen, in: V. Hertel/G. Lerchner (Hg.), Sprache und Kommunikation im Kulturkontext. Beiträge zum Ehrenkolloquium aus Anlaß des 60. Geburtstages von Gotthard Lerchner, Frankfurt a. M. u. a. 1996, S. 337–350, S. 337 f., den von ihm benutzten Ritualbegriff Grimms Symbolbegriff zugrunde. Grimms Definition des Symbols lautet: „Symbol [. . .] ist im sinne unseres alten rechts die bildliche vollbringung eines geschäfts“, J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, 4. Aufl., Leipzig 1899, Bd. 1, S. 153. Auch Lück, Rechtssymbolik (Anm. 36), S. 288, ordnet Rechtsrituale in Anlehnung an die Systematisierung von Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), unter der Überschrift „Handlungen“ dem Bereich der Rechtssymbolik unter. 58 W. Nöth, Handbuch der Semiotik, 2. Aufl, Stuttgart u. a. 2000, S. 178; dort auch sowie bei Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation (Anm. 22), S. 496 ff., zu den unterschiedlichen Auffassungen des Symbolbegriffs. 59 Vgl. B. Schwineköper, Der Handschuh im Recht, Ämterwesen, Brauch und Volksglauben, Berlin 1938, S. 73, und die Nachweise bei D. Krausnick, Symboltheorie aus juristischer Perspektive, in: B. Giesen/J. Osterhammel/R. Schlögl/C. Pflüger (Hg.), Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften (Historische Kulturwissenschaften 1), Konstanz 2004, S. 135–156, S. 140 ff. Auch Ebel, Recht (Anm. 12), S. 10; Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), S. 31, und Heusler, Institutionen (Anm. 23), S. 72 f., sehen das Wesen von Symbolen in der Veranschaulichung geistiger Gedankeninhalte, ohne dabei allerdings auf die Abgrenzung von Symbolen und Zeichen einzugehen.

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der fruchttragenden Bäume seines Grundstücks sowie einen Handschuh und das Messer, mit dem er die Zweige von den Bäumen abgeschnitten hatte, in den Schoß.60 Bei Scholle, Strohhalm und Zweigen handelt es sich nicht um Rechtssymbole, sondern um Zeichen. Sie sollten keinen rechtlichen Gedankeninhalt zum Ausdruck bringen, sondern das zu übereignende Grundstück repräsentieren, damit es gegenständlich in den Rechtsakt einbezogen werden konnte.61 Der Handschuh hingegen ist ein Rechtssymbol. Durch sein Zuwerfen wurde die Übereignung nicht nur bewirkt, sondern auch auf anschauliche Weise zum Ausdruck gebracht: Er ist ein getreues Abbild der Hand, durch die die Herrschaft ausgeübt wird.62 Das Zuwerfen dieses Herrschaftssymbols verkörperte den Übergang der mit der Eigentümerstellung verbundenen Herrschaftsrechte. Da es sich bei dem Recht um eine abstrakte Materie handelt, die der Veranschaulichung bedarf, hebt die genannte Abgrenzung mit der Veranschaulichungsfunktion von Symbolen ein für die Rechtswissenschaft wichtiges Moment hervor.63 Allerdings ist ein Symbolbegriff, der allein auf diesen Gesichtspunkt abstellt, zu weit gefasst. Ihm zufolge wären Verkehrsschilder als Verkörperung von Rechtsnormen als Rechtssymbole anzusehen. Verkehrsschildern fehlt jedoch das Element des Mehrdeutigen und Unbestimmten, das Symbolen zu Eigen ist.64 Symbole sind Zeichen, die einen „Bedeutungsüberschuss“ aufweisen und Spielraum für unterschiedliche Interpretationen belassen.65 Für den juristischen Kontext bietet sich daher ein Symbolbegriff an, der die Aspekte der Veranschaulichung und der Mehrdeutigkeit in sich vereint.66 Schließlich stellt sich die Frage, wie eng der rechtliche Bezug des veranschaulichten Gedankeninhalts sein muss, damit der Begriff des Rechtssymbols 60

Beispiel nach Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 41 f. mit Nachweisen in Fn. 74. Diese Aufgabe hatte die Erdscholle bereits im antiken Rechtsleben, Strosetzki, Antike Rechtssymbole (Anm. 35), S. 1 ff. Man spricht insoweit auch von pars pro toto; zur Unterscheidung von Rechtssymbol und pars pro toto Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), S. 32. Auch das Messer stellt kein Rechtssymbol dar. Seine Bedeutung erschöpft sich in der eines bloß technischen Werkzeuges, das (vielleicht zu Beweiszwecken?) mit übergeben wurde, C. v. Schwerin, Art. Rechtssymbole, in: J. Hoops, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 3, Straßburg 1915/ 1916, S. 476. 62 Schwineköper, Handschuh (Anm. 59), S. 73; Carlen, Art. Handschuh, in: LexMA (Anm. 36), Bd. IV, München u. a. 1989, Sp. 1909. Bedenken gegen den Handschuh als Herrschaftssymbol äußern Amira/Schwerin, Rechtsarchäologie (Anm. 21), S. 89. 63 M.-E. Geis, Symbole im Recht, in: Giesen/Osterhammel/Schlögl/Pflüger, Wirklichkeit (Anm. 59), S. 439–460, S. 439. 64 Überzeugende Argumente gegen den Symbolcharakter von Verkehrsschildern ebd., S. 440 ff. 65 Hertel, Rituale (Anm. 57), S. 337, spricht von einem „Konsens in der Rechtsgeschichte, daß Symbole über die symbolisierte Sache hinaus einen weiterführenden, tieferen, mitunter auch verborgenen Sinn haben.“ Vgl. ferner Geis, Symbole (Anm. 63), S. 446, sowie auf Symbole allgemein bezogen Nöth, Handbuch (Anm. 58), S. 181 f. 66 Krausnick, Symboltheorie (Anm. 59), S. 154. 61

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hinreichend scharf konturiert ist. In dem berechtigten Bestreben, Rechtssymbole von Rechtsallegorien und Emblemen abzugrenzen, fordert Voigt für das Vorliegen eines Rechtssymbols die Herbeiführung einer Rechtswirkung.67 Eine Justitia-Statue sei kein Rechtssymbol, weil durch sie „Rechtliches nur berührt werde.“68 Voigts Versuch, Gegenstände vom Begriff des Rechtssymbols auszunehmen, die nur in ganz allgemeiner Weise einen Bezug zum Recht aufweisen, geht in die richtige Richtung. Das Abstellen auf die Rechtswirkung engt den Begriff des Rechtssymbols jedoch zu sehr ein. Dadurch werden nämlich nur Gegenstände erfasst, die der Veranschaulichung von Rechtshandlungen dienen. Diese Rechtssymbole sind zwar im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik die einzig relevanten, da es auch bei Rechtsritualen ausschließlich um Handlungsweisen geht. Generell sind unter den Begriff des Rechtssymbols jedoch auch solche Gegenstände zu fassen, die bestehende Rechte auf sinnliche Weise zum Ausdruck bringen, ohne dass diese dabei Änderungen erfahren. Ein Beispiel hierfür sind Rolandsäulen. Durch sie wird Rechtliches nicht „nur berührt“. Im Gegensatz zu Justitia-Statuen verkörpern sie nicht Gedanken mit nur ganz allgemeinem Rechtsbezug wie die Idee der Gerechtigkeit oder die Institution der Justiz. Vielmehr dienen sie der Veranschaulichung ganz konkreter Herrschaftsrechte. Auch handelt es sich bei ihnen nicht lediglich um Herrschaftszeichen, denen der symbolische Bedeutungsüberschuss fehlt, wie z. B. bei Grenzsteinen. Die heftigen Kontroversen in der rechtsgeschichtlichen Forschung darüber, welche Herrschaftsrechte im Einzelnen genau durch Rolandsäulen dargestellt werden69, geben vielmehr ein beredtes Zeugnis von ihrer Mehrdeutigkeit. Unter einem Rechtssymbol ist demnach ein Zeichen zu verstehen, durch das ein konkretes Recht oder eine konkrete Rechtshandlung zum Ausdruck gebracht wird und das dabei offen für voneinander abweichende Bedeutungszuschreibungen ist. Welche Bedeutung hat nun die Rechtssymbolik für rechtsrituelle Handlungen? Bei Rechtsritualen steht die Rechtswirkung im Vordergrund. Für die Beteiligten ist entscheidend, was sie mit ihren Handlungen rechtlich bewirken wollen.70 Dabei kann es hilfreich sein, wenn die Rechtswirkung in symbolischer Form veranschaulicht wird. Zwingend erforderlich ist das aber nicht, insbesondere dann nicht, wenn den Handelnden die rechtlichen Folgen ihres Tuns hinlänglich bekannt und verständlich sind. Zudem kann der „symbolische Mehr67 A. Voigt, Zum Begriff des Rechtssymbols, in: M. Lurker (Hg.), Bibliographie zur Symbolik, Ikonographie und Mythologie. Ergänzungsband 1: Beiträge zu Symbol, Symbolbegriff und Symbolforschung, Baden-Baden 1982, S. 181, 184, 186. 68 Ebd., S. 181. Anders dagegen A. Erler, Art. Rechtssymbolik, Rechtssymbole, in: HRG (Anm. 16), Bd. 4, Sp. 382–383, der Justitia-Statuen als Rechtssymbole ansieht. Eine genaue Definition des Rechtssymbols gibt Erler allerdings nicht. 69 Dazu W. Trusen, Art. Rolandsäulen, in: HRG (Anm. 16), Bd. 4, Sp. 1102–1106, Sp. 1102. 70 Rehfeldt, Recht und Ritus (Anm. 9), S. 52 f.

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wert“ dem Wunsch nach Eindeutigkeit rechtlicher Handlungen entgegenstehen. Für Zeremonien dagegen kommt es gerade maßgeblich auf den Bedeutungsüberschuss von Symbolen an.71 Zeremonien ziehen keine Rechtsfolge nach sich, ihr Sinn liegt vielmehr in der Versicherung gemeinsamer Wertvorstellungen und dem Herstellen oder Festigen von persönlichen Bindungen. Sie zielen auf Integration ab. Dazu kann die Mehrdeutigkeit der Symbolik einen wichtigen Beitrag leisten, weil sie Raum für unterschiedliche Interpretationen belässt und so voneinander abweichende Wertvorstellungen miteinander zu vereinen weiß. Für Rechtsrituale dagegen ist die Symbolik nicht begriffsnotwendig. Daher gibt es Rechtsrituale, deren Handlungen keinen symbolischen Gehalt aufweisen, wie beispielsweise Gottesurteile.72 4. Zusammenfassung Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass nicht die Symbolhaftigkeit, sondern die Rechtswirkung bzw. genauer das besondere Verhältnis zwischen Form und Rechtsfolge das wesentliche Kennzeichen von Rechtsritualen ist, das sich mit dem Begriff des Formalismus bezeichnen lässt. Aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt sich folgender Vorschlag für eine Definition des Rechtsrituals: Das Rechtsritual ist eine formalistische Handlung(skette) mit oftmals (aber nicht notwendigerweise) rechtssymbolischem Gehalt, die nach festen Regeln abläuft und die für die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge konstitutiv ist. III. Historische Verortung des Rechtsritualismus In der (rechts)historischen Forschung überwiegt die Auffassung, wonach der Rechtsritualismus ein typisches Phänomen „altertümliche[r] Rechtsordnungen“ ist, durch das diese sich von „modernen Rechten“ unterscheiden.73 Als historische Stätten werden insbesondere das antike und das mittelalterliche Recht genannt.74 Allerdings ist diese Gegenüberstellung von ritualistisch geprägten „archaischen“ und ritualfreien „modernen“ Rechten nicht unumstritten. Dabei wird vor allem die Historizität der Vorstellung von älteren Rechten als streng forma71 Keller, Investitur (Anm. 9), S. 55–57 und S. 85 f.; ders., Ritual (Anm. 48), S. 24, der Rechtsrituale und Zeremonien einander unter dem Blickwinkel der unterschiedlichen Symbolhaftigkeit gegenüberstellt. 72 Wohlhaupter, Rechtssymbolik (Anm. 56), S. 127. 73 Rehfeldt, Recht und Ritus (Anm. 9), S. 45. 74 Becker, Rechtsritual (Anm. 16), Sp. 337; Kaser/Knütel, Privatrecht (Anm. 21), § 6 I, S. 54, Rn. 1; Keller, Investitur (Anm. 9), S. 58, 85; Nanz, Vertragsbegriff (Anm. 44), S. 25, Fn. 7, sowie die in Anm. 12 Genannten.

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listisch und ritualistisch in Frage gestellt.75 Tatsächlich besteht die Schwäche dieser Vorstellung darin, dass sie sich mehr auf entwicklungsgeschichtliche Mutmaßungen als auf konkrete Quellenzeugnisse stützt.76 Kritik, die in die andere Richtung der Zeitachse weist, ist dagegen weitaus seltener. Ein Beispiel ist die jüngst von dem amerikanischen Juristen Peter A. Winn geäußerte These, wonach das geltende Recht wesentlich vom Ritualismus geprägt ist. Anhand der unter II. entwickelten Definition soll diese These Winns überprüft werden. 1. Die Auffassung Peter A. Winns Winn weist den unterschiedlichsten Rechtshandlungen der Gegenwart Ritualcharakter zu. So bezeichnet er etwa die Einlösung eines Pfandscheins, die Übertragung von Grundeigentum, die Vollstreckung eines gerichtlichen Urteils und die Unterzeichnung eines Testaments als Rechtsrituale.77 Am frappierendsten erscheint dabei, dass er Vertragsabschlüsse als Rituale ansieht; setzt er sich damit doch in Gegensatz zu der Dogmatik des geltenden Rechts, wonach Kernelement eines jeden Rechtsgeschäfts eine Willenserklärung ist und Verträge durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommen.78 Auch wenn es sich 75 Für das altrömische Recht Wunner, Contractus (Anm. 33), S. 140, sowie die in Anm. 29 angeführte Kritik von Wolf; für das hochmittelalterliche Vertragsrecht stellt Nanz, Vertragsbegriff (Anm. 44), S. 30, fest: „Immerhin war die Form, anders als im alten Recht, für den Vertragsschluß nicht mehr konstitutiv, sondern wurde als Akzidens angesehen.“ 76 So führen Ebel, Recht (Anm. 12), S. 14 f., und Sellert, Gewohnheit (Anm. 9), S. 33 f., für die Behauptung, das mittelalterliche Recht habe keine Willensanfechtung und lediglich eine sozialtypische Auslegungslehre gekannt, keine Quellenbelege an. Entwicklungsgeschichtliche Argumentationen finden sich etwa bei Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte (Anm. 35), § 13 II 4 b, S. 60; Mitteis, Römisches Privatrecht (Anm. 24), S. 255 f.; M. Kaser, Altrömisches Jus. Studien zur Rechtsvorstellung und Rechtsgeschichte der Römer, Göttingen 1949, § 33 I, S. 308. Als generelles Beispiel für eine entwicklungsgeschichtliche Argumentation B. Rehfeldt, Die Vergeistigung des Rechts. Zur Frage der Gesetzmäßigkeiten der Rechtsentwickelung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 67 (1950), S. 373–393. Gegen eine auf den Rechtsritualismus bezogene entwicklungsgeschichtliche Perspektive wenden sich H. Duchardt/G. Melville, Vorwort, in: dies., Spannungsfeld (Anm. 9), S. V–VIII, S. VII. 77 Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 456. 78 Das gilt für das amerikanische Recht ebenso wie für das deutsche. Für das deutsche Recht vgl. etwa D. Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 15. Aufl., Heidelberg 2002, S. 182, Rn. 401; zum amerikanischen Recht: M. Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht (JUS-Schriftenreihe 134), 2. Aufl., München 2004, S. 33–42. Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 460, ist sich des außergewöhnlichen Charakters seines Vertragsverständnisses durchaus bewusst und erklärt den von ihm selbst erwarteten Widerspruch damit, dass seine Sichtweise nur schwer „mit einer rechtlichen Metaphysik in Einklang zu bringen [ist], in der das Recht als rationales System gilt, das auf Intentionen basiert, wo aber kein Ritual, wie zuträglich auch immer, willkommen [ist]“.

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bei der Willenserklärung um einen rechtlichen Wertungsbegriff handelt, der nicht mit dem tatsächlichen Willen gleichgesetzt werden darf79, verweist diese dogmatische Figur doch auf die Grundidee, dass „die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges [. . .] nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“ 80. Winn hingegen geht davon aus, dass die Vertragsbindung nicht aufgrund der inneren Willensübereinstimmung der Vertragsschließenden, sondern infolge des äußerlichen Vollzugs der vertragsbegründenden Handlungen entsteht.81 Dabei begreift er auch den Austausch von Worten als Handlung. Er stützt sich hierbei auf die Sprechakttheorie Austins. Für Austin waren vertragliche Äußerungen typische Beispiele für performative Sprechakte.82 Als deren Eigenart sah er es an, nicht beschreibenden, sondern verändernden Charakters zu sein. Aus seiner Sicht stellt die Äußerung „Ich schenke dir dieses Bild“ (im Falle der Handschenkung) nicht die Beschreibung der Hingabe des Bildes, sondern die Schenkung selbst dar. In gleicher Weise diene die Willenserklärung nicht der Kundgabe eines Willens, sondern dem Vollzug des jeweiligen Rechtsaktes: „Und man kennzeichnet die Handlung des Heiratens, genauso wie etwa die des Wettens, jedenfalls besser (wenn auch immer noch nicht genau) als das Äußern bestimmter Wörter denn als den Vollzug einer andersartigen, innerlichen, geistigen Handlung, deren bloß äußeres, hörbares Zeichen die Wörter wären.“ 83 Dabei verändere der bloße Ausspruch der Worte die Welt: „Saying makes it so“, wie der Austin-Schüler John R. Searle es in griffiger Weise formulierte.84 Auf vertragliche Äußerungen bezogen kann diese Veränderung nur in der Rechtswirkung bestehen: „Bei einer Eheschließungszeremonie ist das ,Ja, ich will‘ nicht die Beschreibung eines inneren Aktes der Zustimmung, es ist vielmehr der Akt, der die Ehe schafft.“85 Die bei einem Vertrag ausgetauschten Worte stellen somit den Anknüpfungspunkt für die vertragliche Bindungswirkung an. Dieses Verständnis von vertraglichen Äußerungen erinnert stark an die Wortformeln des altrömischen Rechts. Ließe sich dieser Vergleich halten, würde es sich in der Tat bei allen Vertragsabschlüssen des geltenden Rechts um Rechtsrituale handeln. 79

J. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, Tübingen 1986, S. 10 f. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Amtliche Ausgabe, Bd. 1: Allgemeiner Theil, Berlin u. a. 1888, S. 126. 81 Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 453: „Ganz ähnlich schafft ein Versprechen einer gültigen Gegenleistung eine bindende rechtliche Verpflichtung für die Person, die das Versprechen abgegeben hat. Die Intentionen desjenigen, der etwas versprochen hat, sind für die Schaffung dieser Verpflichtung ziemlich irrelevant.“ Vielmehr „schafft das Ritual des Vertrags und nicht die Intention der Parteien die Verpflichtung“. 82 Vgl. Anm. 7 und 8. 83 Austin, Theorie der Sprechakte (Anm. 6), S. 35. 84 J. R. Searle, A taxonomy of illocutionary act, in: ders., Expression and meaning. Studies in the Theory of Speech Acts, Cambridge u. a. 1979, S. 1–29, S. 16. 85 Winn, Rechtsrituale (Anm. 3), S. 452. 80

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2. Vertragsabschlüsse = Rechtsrituale? Wenn es sich bei vertragsbegründenden Handlungen um Rechtsrituale im hier verstandenen Sinn handeln soll, müssten diese sich unter die unter II. entwickelte Definition subsumieren lassen. Verträge kommen durch ausdrückliche Erklärungen oder durch konkludentes Handeln zustande.86 Der Handlungscharakter könnte allenfalls bei den ausdrücklichen Erklärungen fraglich sein. Da es sich bei den einen Vertragsabschluss herbeiführenden Erklärungen jedoch sämtlich um performative Sprechakte handelt, lassen sie sich mit Austin als soziale Handlungen ansehen. Einen rechtssymbolischen Gehalt wird man den anlässlich eines Vertragsabschlusses gesprochenen Worten dagegen wohl absprechen müssen. Die Auslegungsbedürftigkeit vertraglicher Äußerungen ist nicht mit einem „symbolischen Mehrwert“ gleichzusetzen.87 Der fehlende Symbolcharakter ist unserer Definition zufolge jedoch unerheblich. Da Vertragsabschlüsse in der Regel nach konventionellen Mustern ablaufen, lässt sich ihnen schließlich auch eine gewisse Regelhaftigkeit unterstellen. Damit sind wir beim Definitionsmerkmal des Formalismus angelangt, dem als dem Kernelement des Rechtsrituals unser Hauptaugenmerk gelten soll. Die Rechtswirkung müsste also bei vertraglichen Äußerungen allein oder maßgeblich an die äußere Form, d.h. an den Ausspruch der Worte anknüpfen, während der Wille der Äußernden keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfte. a) Das Verhältnis von Wille und Erklärung Das Bürgerliche Gesetzbuch nennt die vertragsbegründenden Erklärungen der Vertragsparteien „Willenserklärungen“.88 Darunter ist die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichteten Willens zu verstehen.89 Dabei denkt die herrschende Lehre sich die Willenserklärung aus dem inneren Willen und dem äußeren Erklärungstatbestand zusammengesetzt.90 Der Begriff beinhaltet somit „die (scheinbare) Banalität, daß jeder ,Wille‘, um rechtlich bedeutsam zu werden, auch ,erklärt‘ werden muß“.91 Dieser Gedanke findet sich 86 Im Folgenden werden nur noch die sprachlichen Äußerungen ausdrücklich erwähnt, da das Gesagte in gleicher Weise auch auf konkludente Handlungen zutrifft. 87 Gegen den Symbolcharakter von Sprache auch Geis, Symbole (Anm. 63), S. 440. 88 Buch 1, Abschnitt 3, Titel 2, §§ 116 ff. Der Begriff der Willenserklärung stammt aus dem Vernunftrecht. Zu den Unterschieden im Verständnis von der Willenserklärung im Vernunftrecht und in der modernen Dogmatik D. Bailas, Das Problem der Vertragsschließung und der vertragsbegründende Akt, Göttingen 1962, S. 86 ff. 89 H. Heinrichs, in: Palandt, BGB (Anm. 23), Einf. v. § 116, Rn. 1. 90 Nachweise bei M. J. Schermaier, §§ 116–124. Willensmängel, in: Schmoeckel/ Rückert/Zimmermann, Historisch-kritischer Kommentar (Anm. 38), S. 424, Rn. 26, Fn. 172, der dieses Verständnis der Willenserklärung als „geradezu antiquiert“ kritisiert. 91 Ebd., S. 403, Rn. 1.

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bereits bei den römischen Juristen.92 Auch bei Grotius, dem „Stammvater“ der Willenserklärung, kehrt er wieder. Dabei war für ihn der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Vertragsbindung der Wille, während er in der Erklärung bloß ein Hilfsmittel sah, den inneren Willen der Außenwelt zur Kenntnis zu bringen: „Die Rechtswirkungen, die von dem Willen abhängen, können dennoch nicht durch den Willen allein herbeigeführt werden, solange nicht der Wille durch äußere Zeichen erkennbar gemacht wird. Denn es entspricht nicht der menschlichen Natur, dem bloßen inneren Wollen eine rechtliche Wirkung zuzuerkennen, da man diesen Willen nur durch Zeichen erkennen kann.“93

Gut zwei Jahrhunderte nach Grotius formulierte Friedrich Carl von Savigny, auf den die heute im BGB verankerte Rechtsgeschäftslehre maßgeblich zurückgeht, denselben Gedanken mit ganz ähnlichen Worten: „[. . .] und nur weil er (i. e. der Wille) ein inneres, unsichtbares Ereignis ist, bedürfen wir eines Zeichens, woran er von anderen erkannt werden könne, und dieses Zeichen, wodurch sich der Wille offenbart, ist eben die Erklärung.“ 94 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam dann zwischen der Willens- und der Erklärungstheorie zwar Streit über das Verhältnis von Wille und Erklärung auf.95 Dieser bezog sich jedoch nicht auf die den angeführten Zitaten zugrunde liegende Sichtweise, wonach die Erklärung die bloß notwendige äußere Seite des Willens als dem eigentlichen Verpflichtungsgrund des Vertrages darstellt. Sie wurde von Willens- und Erklärungstheorie ungeachtet ihrer sonstigen Unterschiede gleichermaßen geteilt.96 Dabei mag die von der Erklärungstheorie aus Verkehrsschutzgründen vorgenommene Zurechnung eines äußeren Verhaltens als Willenserklärung mit der Vorstellung vom Willen als Rechtsgrund auf den ersten Blick als 92 Schmoeckel/Rückert/Zimmermann, Historisch-kritischer Kommentar (Anm. 38), S. 406, Rn. 3, Fn. 21. 93 Grotius, De iure (Anm. 42), II, IV, 3: „Iuris effectus qui ab animo pendent, non possunt tamen ad solum animi actum consequi, nisi is actus signis quibusdam indicatus sit. Quia nudis animi actibus efficientiam iuris tribuere non fuerat congruum naturae humanae, quae nisi ex signis actus cognoscere non potest.“ Übersetzung nach Schätzel, Grotius (Anm. 45), S. 167. Auf diese Passage hat Grotius in seinen nachfolgenden Ausführungen wiederholt verwiesen, so in II, XI, 11 und II, VI, 1, 1, wo er sich zu der Art und Weise äußert, in der rechtsverbindliche Versprechen abgegeben werden können. Seine Auffassung, dass Sprache der Mitteilung innerer Beweggründe dient, bringt er auch deutlich in der Inleiding zum Ausdruck, vgl. Grotius, Inleiding (Anm. 42), III, 1, 5. 94 F. C. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 3, Berlin 1840, § 134, S. 258. 95 Heinrichs (Anm. 89), Einf. v. § 116, Rn. 2. 96 Flume, AT (Anm. 23), § 4 6., S. 54. So geht z. B. Otto Bähr, einer der ersten Vertreter der Erklärungstheorie, sowohl von der Zweiteilung der Willenserklärung in Wille und Erklärung als auch von dem Willen als dem zentralen Bestandteil der Willenserklärung aus, an den die Rechtswirkung anknüpft, O. Bähr, Ueber Irrungen im Contrahieren, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 14 (1875), S. 393–427, S. 394 bzw. 400.

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unvereinbar erscheinen, läuft sie doch auf eine Willensfiktion hinaus. Bei genauerem Hinsehen erscheint jedoch gerade das Willensprinzip als der eigentliche Grund für die Zurechnung: Nur weil typischerweise hinter dem an den Tag gelegten Verhalten ein entsprechender Wille steht, kann die Verhaltensweise als Anknüpfungspunkt für das Vertrauen des Erklärungsempfängers dienen.97 Für Austin war die rechtsdogmatische Figur der Willenserklärung unhaltbar. Mehrfach hat er sie der Sache nach in seinen Vorlesungen kritisiert.98 Aus seiner Sicht war sie ein „deskriptiver Fehlschluss“ (descriptive fallacy), der auf die Eigentümlichkeit performativer Sprechakte zurückzuführen ist, scheinbar beschreibenden Charakters zu sein, während sie in Wirklichkeit die vermeintlich nur beschriebene Handlung ausführen.99 Mit dieser Kritik weist Austin auf einen „schwachen Punkt der Lehre von der Willenserklärung“ hin100, der in der isolierten Betrachtungsweise von Wille und Erklärung besteht. Wie er indessen selbst einräumt, ist diese Schwachstelle bereits vor ihm in der rechtswissenschaftlichen Literatur aufgedeckt worden.101 In jüngerer Zeit ist etwa Karl Larenz der herrschenden rechtsdogmatischen Auffassung von der Willenserklärung entgegengetreten.102 In der von ihm begründeten Lehre von der Geltungserklärung legte er dar, dass Wille und Erklärung nicht unabhängig voneinander betrachtet werden könnten. Vielmehr stellten beide eine unauflösliche Einheit dar. Der Wille werde durch die Erklärung in Vollzug gesetzt, nehme erst durch sie konkrete Gestalt an.103 Vergleichbar mit einem rechtskräftigen Urteil oder einem Gesetz werde durch die Erklärung eine bestimmte Regelung in Kraft gesetzt. Ihr Zweck liege darin begründet, etwas in Geltung zu setzen. Daher sprach Larenz anstelle von Willenserklärung von „Geltungserklärung“. Mit seiner Lehre von der Geltungserklärung arbeitete 97

Schapp, Rechtsgeschäftslehre (Anm. 79), S. 39. Austin, Theorie der Sprechakte (Anm. 6), S. 28, Fn. 3, 41. 99 Zum Begriff des „deskriptiven Fehlschlusses“ ebd., S. 27. 100 Schapp, Rechtsgeschäftslehre (Anm. 79), S. 46, allerdings auf die Geltungstheorie von Larenz bezogen. 101 Austin, Theorie der Sprechakte (Anm. 6), S. 28, Fn. 3, 41. 102 K. Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts. Zugleich ein Beitrag zur Theorie der Willenserklärung, Ausgabe 1930, ND Frankfurt a. M. u. a. 1966; ders., Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., München 1989, § 19 I, S. 332 ff. 103 Ebenso Dulckeit, Lehre (Anm. 37), S. 158, und Bailas, Vertragsschließung (Anm. 88), S. 73 f., der darauf verweist, dass es sich bei der Willenserklärung um eine Tätigkeit handelt, die im Gegensatz zu anderen Tätigkeiten, wie z. B. Schwimmen oder das Zurückdenken an den letzten Urlaub, nicht unabhängig von einem Erklärungstatbestand durchgeführt werden kann. Schwimmen oder das Denken an den vergangenen Urlaub könne man auch, ohne dass man währenddessen jemandem von diesen Vorgängen berichten müsse. Demgegenüber sei das Angebot zu einem Kaufvertrag nicht ohne eine Äußerung oder eine konkludente Verhaltensweise denkbar, die den Erklärungswert eines „Ich kaufe“ besitze. 98

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Larenz somit bereits den Vollzugscharakter von Willenserklärungen heraus, den Austin später bei den von ihm performativ genannten, über den rechtlichen Bereich hinausgehenden Sprechakten unter sprachphilosophischen Gesichtspunkten hervorhob. Die Einsicht in den performativen Charakter von Willenserklärungen ist aber wesentlich älter. Ein besonders frühes Beispiel für die Beschreibung des performativen Charakters der Willenserklärung findet sich bei Leonhardus Lessius. Im Zuge des spätscholastischen Meinungsstreits über die Frage der Verbindlichkeit nicht geäußerter Schenkungsversprechen führte er aus, dass sich die Erklärung nicht in der bloßen Mitteilung eines inneren Willens erschöpfe, sondern zugleich auch den Akt des Versprechens selbst darstelle, an den die rechtlichen Folgen anknüpften: „Versprechen und Schenkungen sind praktische Zeichen, die gerade das herbeiführen, was sie bezeichnen. Wer nämlich erklärt: Ich verspreche dir etwas, ich gebe dir etwas, gibt damit nicht nur eine innere Erwägung und einen inneren Willen zu erkennen, vielmehr äußert er gerade auch den Akt des Schenkens und des Versprechens, der formal betrachtet, aus einer solchen Mitteilung in der Absicht des Versprechens und Schenkens besteht; zugleich bringt er damit auch die rechtliche Folge des jeweiligen Aktes: die Verpflichtung auf seiner Seite und das Recht des Versprechensgegners zum Ausdruck.“104

Diese Ausführungen stellen eine bemerkenswerte Vorwegnahme von Larenz’ Überlegungen zur phänomenologischen Struktur einer Willenserklärung dar.105 Es lässt sich also festhalten, dass der vertragsbegründende Akt durch die rechtsdogmatische Figur der Willenserklärung im Verständnis der herrschenden Lehre nur unvollkommen erfasst wird. Andererseits halte ich Winns Auffassung, dem Willen bei vertraglichen Äußerungen überhaupt keine Bedeutung beizumessen, ebenfalls für unzutreffend. Es will mir nicht einleuchten, in dem JaWort bei der Eheschließung nicht auch die Kundgabe des inneren Willens zur Eheschließung zu sehen. M. E. weisen Lessius’ Ausführungen den richtigen 104 L. Lessius, De justitia et de jure caeterisque virtutibus cardinalibus libri quattour, Lugduni MDCLIII, Lib. 2, Cap. 18, Dubit. V, Nr. 30 f., S. 180: „[. . .] promissio et donatio sunt signa quaedam practica, efficientia idipsum quod significant; qui enim dicit, Promitto tibi, Do tibi, non solum significat internam cogitationem et affectum dandi, sed etiam ipsum actum donationis & promissionis, qui in hisce verbis sub tali intentione prolatis, formaliter consistit, & effectum ejus, scilicet obligationem, quae nascitur in promittente, & jus, quod nascitur in promissario.“ Übersetzung nach Diesselhorst, Lehre vom Versprechen (Anm. 39), S. 24, der die Ausgabe Antwerpiae MDCIX verwendet. 105 Ähnlich Bailas, Vertragsschließung (Anm. 88), S. 82. Auch andere Juristen des Vernunftrechts wie Hobbes und Pufendorf schenkten der sprachlichen Eigenart vertraglicher Äußerungen Beachtung, bevor mit Thomasius die Rechtswissenschaft diese Problematik weitgehend aus den Augen verlor, ebd., S. 81 ff.; zu Hobbes sprachtheoretischen Überlegungen N. Weber, Vor dem Vertrag. Probleme des Performanzbegriffs aus systemtheoretischer Sicht, in: U. Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 366–402.

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Weg. Danach sind vertragliche Äußerungen sowohl Vollzugs- als auch Kundgabeakte des inneren Willens.106 Der Parteiwille ist also für die durch die Erklärung hervorgerufene Rechtswirkung durchaus von Bedeutung. Das heißt jedoch noch nicht, dass vertragliche Äußerungen als formalistische Handlungen von vornherein nicht in Betracht kommen. Der Formalismus ist nicht so eng zu verstehen, dass darunter nur „Wirkformen“ fielen. Es reicht aus, dass der Form eine gesteigerte Bedeutung für die Rechtswirkung zukommt. Das setzt allerdings voraus, dass es sich bei vertraglichen Äußerungen überhaupt um Rechtsformen handelt. b) Der fehlende Formcharakter der Erklärung In gewisser Weise kann man sprachliche Äußerungen als Formen betrachten. Es handelt sich bei ihnen nicht um unartikulierte Laute, vielmehr folgen sie den Regeln der Grammatik und werden dadurch in eine bestimmte Form gebracht. Es würde jedoch eine Sinnentleerung des rechtlichen Formbegriffs bedeuten, wenn man bereits in jeder freien, ungebundenen Rede eine Rechtsform erblicken wollte. Rechtsformen sind von der Rechtsordnung aufgestellte Verhaltensanforderungen, die „der Rede oder dem Thun des gewöhnlichen Lebens fremd“ sind.107 Danach stellen vertragliche Äußerungen keine Rechtsformen dar.108 Das zeigt der Vergleich mit Wortformeln. Im Unterschied zu diesen sind vertragliche Erklärungen nicht an bestimmte Worte gebunden und sogar ganz durch konkludente Handlungen ersetzbar.109 Rechtsformerfordernisse dagegen sind nicht beliebig austauschbar. Vertragliche Äußerungen sind daher keine Rechtsformen und damit auch keine Rechtsrituale. Das heißt nicht, dass sich im geltenden Recht überhaupt keine Beispiele für Rechtsrituale finden lassen. Aber für ein Rechtsritual müssen zu den vertraglichen Äußerungen Rechtsformerfordernisse hinzutreten, die für die Rechtswirkung von überragender Bedeutung sind. Für die Frage, wann das der Fall ist, können Gesichtspunkte wie Absolutheit der Form, Formstrenge, fehlende oder eingeschränkte Anfechtungsmöglichkeit und sozialtypische Auslegungsmethode als Anhaltspunkte dienen. Anhand dieser Kriterien lässt sich als ein Rechtsritual des geltenden Rechts die Eheschließung bestimmen.110 Zwar beruht ihre rechtliche Wirkung wie bei allen Verträgen des geltenden Rechts auch auf dem übereinstimmenden Willen der 106 So auch L. Enneccerus, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. Ein Lehrbuch, 1. Bd., 2. Halbbd., 15. Aufl., Tübingen 1960, § 145 2, S. 898. 107 Heusler, Institutionen (Anm. 23), S. 49. 108 So auch Dulckeit, Lehre (Anm. 37), S. 164. 109 Daher ist bei vertraglichen Äußerungen zudem auch das Tatbestandsmerkmal der Konstitutivität nicht erfüllt. 110 Zur Eheschließung aus rechtshistorischer Sicht R. Schulze, Art. Trauung, Trauungsformel, in: HRG (Anm. 16), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 301–309.

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Eheschließenden.111 Aber ihre Formanforderungen sind besonders streng. Das zeigt sich zum einen an der Absolutheit des Formerfordernisses, die Ehe vor einem Standesbeamten zu schließen112; zum anderen aber auch daran, dass eine Ehe gemäß § 1313 BGB nur durch ein gerichtliches Urteil aufgelöst werden kann, an die Geltendmachung von Willensmängeln also besonders hohe formale Anforderungen gestellt werden. Nach §§ 1314 I, 1304, 1313 BGB gilt das selbst im Fall der Geschäftsunfähigkeit eines der Eheschließenden. 3. Fazit Wesentliches Merkmal von Rechtsritualen, mit dessen Hilfe diese sich von verwandten Phänomenen abgrenzen lassen, ist ihr Formalismus. Wegen der gegenüber früheren Epochen gesunkenen Bedeutung der Form und des Formalen im Recht, für die auch das Verschwinden rechtssymbolischer Formen als Indiz herangezogen werden kann, spielt der Rechtsritualismus heute eine weitaus geringere Rolle als in früheren Zeiten. Als Grund hierfür ist die Herauslösung des Rechts aus überindividuellen Vorstellungswelten wie Magie und Religion zu nennen, an deren Stelle im Zuge von Aufklärung und Liberalismus der Individualismus getreten ist. Für das geltende Privatrecht kann festgehalten werden, dass dort der Parteiwille den Geltungsgrund des Rechts darstellt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die rechtsdogmatische Figur der Willenserklärung Schwächen bei der Erfassung der phänomenologischen Struktur von vertragsbegründenden Akten aufweist. Denn diese dienen zumindest auch der Kundgabe des Willens der Vertragsschließenden, an den die Rechtsordnung mit ihren Rechtsfolgen anknüpft. Winns These ist danach abzulehnen. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass seine Untersuchung nicht von einem juristischen, sondern von einem anthropologischen Erkenntnisinteresse geleitet ist. Die Divergenzen zwischen Winns und den vorliegenden Ausführungen sind daher teilweise auf ein unterschiedliches Erkenntnisinteresse zurückzuführen. Dabei soll die Berechtigung des anthropologischen Ansatzes von Winn mit keiner Silbe in Frage gestellt werden. Unter Zugrundelegung der obigen Definition des Rechtsrituals erschiene es jedoch vorzugswürdig, im Falle der von Winn behandelten Phänomene nicht von „Rechtsritualen“, sondern von „Ritualen im Recht“ zu sprechen. Summary Precise terminology is a precondition for transparent scholarship. It increases the awareness of the object of investigation and guards against misunderstand111

Zur Rechtsnatur der Eheschließungserklärungen Brudermüller (Anm. 23), § 1310,

Rn. 1. 112

Vgl. Anm. 23.

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ings. This applies even more when a complicated term like legal ritual is concerned. In this article, a definition of the legal ritual is developed that enables us to distinguish between legal rituals and related phenomena like routine, formalism, legal symbol and ceremony. Moreover, the way in which legal rituals are different from other rituals is pointed out. Based on the definition given, it is investigated in which era legal rituals can especially be found. The assumption by the American jurist Peter A. Winn that the current law is affected by legal rituals is examined. Based on the speech-act theory of John L. Austin, Winn classifies conclusions of contracts as rituals. In comparison to the modern idea of the declaration of intention (Willenserklärung) Winn’s conclusions, drawn from Austin’s speech-act theory, are rejected and legal ritualism is considered to be primarily a feature of older legal cultures.

Die Sitzhaltung des Richters Von Clausdieter Schott I. Das Sitzen des Gerichts Soweit moderne Medien über richterliche Tätigkeiten durch fixe oder bewegte Bilder (Druckmedien, Fernsehen usw.) informieren, zeigen sie meist stehende Richter und Gerichtskollegien im Augenblick der Verhandlungseröffnung oder der Urteilsverkündung. Gemessen am Gesamtablauf des öffentlichen Verfahrens ist dies jedoch die Ausnahmesituation, deren bevorzugte Bildvermittlung sich freilich auch aus einem Film- und Fotografierverbot von gerichtlichen Verhandlungen erklärt. Insgesamt realistischer sind daher Drehbuchspiele, die sich an den Regelverlauf einer Gerichtsverhandlung halten. Nach der sachlichen wie sprachlichen Regel hält das Gericht „Sitzungen“ ab, und für das gelegentliche Stehen gibt es noch nicht einmal ein der „Sitzung“ entsprechendes Substantiv. Auch reicht das Aufstehen bei der Urteilsverkündung nicht in älteste Traditionen zurück, sondern kam im Absolutismus der Neuzeit in Übung, als man dem anwesenden oder anwesend gedachten – sitzenden – Landes- und Gerichtsherrn stehend Reverenz erwies.1 Das Sitzen des Gerichts ist kein kulturspezifisches Phänomen, sondern ist geradezu archetypisch und daher gemeinhin anzutreffen. Ausnahmen geben sich daher bereits sprachlich zu erkennen wie das „Standgericht“, das seit dem 16. Jahrhundert als ein im Stehen („stante pede“) durchgeführtes Schnellverfahren („ius summarissimum“) im Militärstrafrecht aufkam.2 Mit Sitzen und Stehen wurden und werden in einem Gerichtsverfahren immer auch die Rollen markiert: Während das Gericht grundsätzlich sitzt, stehen die Parteien und deren Vertreter. Noch heute „sitzt man zu Gericht“, auch wenn man gelegentlich steht, und „man steht vor Gericht“, auch wenn man während längerer Zeit sitzt. Ein zwar marginales, aber bezeichnendes Beispiel dafür, dass noch im späten 18. Jahrhundert das Sitzen der Parteien als Privileg empfunden wurde, liefert ein Erlass der Obersten Justizstelle in Wien, wonach den Ehefrauen der Rechts-

1 A. Erler, Art. Sitzen, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1679–1682; ders., Art. Richterstuhl, in: ebd., Sp. 1058. 2 W. Hülle, Art. Standgericht, Standrecht, in: HRG (Anm. 1), Bd. 4, Sp. 1919– 1920.

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lehrer, „wenn sie vor Gericht zu erscheinen hätten, ein Sitz gegeben werden soll“.3 Erwähnungen und Bestimmungen zum Sitzen und Stehen im Prozess finden sich überaus häufig. Meist kommt die Körperhaltung als selbstverständlich nur beiläufig zur Sprache, nicht selten wird aber ihr formaler Charakter ausdrücklich betont und gelegentlich wird auch eine besondere Regelung für geboten erachtet. Letzteres gilt etwa für das römische Recht, wo wiederholt das Standesproblem der Illustres und Honorati angesprochen wird, wenn diese im Prozess als litigantes oder causidici einerseits und als Beisitzer andererseits auftreten und dabei in der Partei- oder Sachwalterrolle das ehrenvolle Sitzen mit dem weniger honorigen Stehen vertauschen müssen.4 Das „schema iudiciale“ verlangt die deutliche Unterscheidung von „iudices sedentes“ und „litigantes stantes“. Die Glosse des Accursius bemerkt dazu: „Nota hic expresse iudicem debere sedere cum iudicat, et advocatum sive litigantes stare, dum dicit.“5 Dass das Sitzen der Richter keine römische Besonderheit darstellt, sei exemplarisch mit einem Blick auf die Lex Salica aufgezeigt, wo von „rachineburgi in mallobergo sedentes“ die Rede ist.6 Eine häufig zitierte mittelalterliche Quelle zur Haltung bei Prozesshandlungen ist die Bestimmung des Sachsenspiegels, dass man stehend Urteil schelten und sitzend Urteil finden soll: „Stande scal men ordel scelden, sittene scal men ordel vinden under koninges banne, manlich oppe sime stule.“7 Die Buch’sche Glosse fügt unter dem Stichwort „Stande“ die Erklärung hinzu, „dat de kleger unde de antwerder unde de vorsprake nicht zytten en moten.“ Zum Stichwort „Sittende“ findet sich dann folgende Glosse: „Hir hefstu, dat de richter sitten schal [. . .]. Jodoch schal de richter by zik sitten laten acbare lude, de wile de ordele ute syn edder dar umme beworen syn [. . .].“ Der Glossator allegiert seinen Kommentar mit den bereits angeführten Zitaten aus dem Codex Justinians und den Novellen und stellt damit den gelehrten Bezug zum römischen Recht her.8

3

Universitätsarchiv Freiburg i. Br., Protokolle der Juristenfakultät III, S. 253. Vor allem Cod. 1, 45, 1; 1, 48, 3; 2, 6, 6, 6; Nov. 71. 5 Glosse zu Nov. 71 ad v. sedere. 6 Lex Salica 57, 1 (65-Titeltext) = 92, 1 (100-Titeltext), zitiert nach K. A. Eckhardt, Pactus Legis Salicae, Bd. II, 1 (Germanenrechte N.F.), Göttingen 1955, S. 328. 7 Ssp., Ldr. II, 12, 13, zitiert nach: K. A. Eckhardt, Sachsenspiegel Landrecht (Monumenta Germaniae Historica. Fontes iuris germanici antiqui, N.S. I, 1), 3. Aufl., Göttingen 1973, S. 140. Ähnlich Schwabenspiegel 117: „Stende sol man urteil verwerfen; sitzende sol man urteil vinden; stende sol man dem klager wetten, swaz man im vor gerihte schuldig wirt, also sol man ouch dem rihter tun.“, in: F. L. A. Frh. v. Lassberg (Hg.), Der Schwabenspiegel, Tübingen 1840, ND Aalen 1961, S. 59. 8 F.-M. Kaufmann (Hg.), Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht – Buch’sche Glosse (Monumenta Germaniae Historica. Fontes iuris germanici antiqui, N.S. VII), Hannover 2002, S. 594. 4

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Das Sitzen des Richters wie auch der Urteiler ist das sichtbare, leibliche Signal für das Stattfinden von Gerichtsbarkeit oder wie es das Böhmische Bergrecht um 1400 ausdrückt: „Das ordenliche gerichte ist, wann der richter czu gerichte siczet auf dem gerichtstul in den vier benken.“9 Regelmäßig werden daher Anfang und Ende der „Sitzung“ rituell markiert durch Formeln und kundgebende Handlungen.10 So wird der Beginn eines Rechtstages durch die formelhafte Frage des Richters eingeleitet, ob er sich von Rechts wegen niedersetzen dürfe.11 Mitunter wird sogar ausdrücklich betont, dass das Gericht nicht im Stehen gehalten werden dürfe. Im Weistum der Hülseder Mark heißt es etwa: „Der richter fraget ferner, ob man sothane gerichte solle sitzend oder stehend halten? urthel eingebracht, man möge es wol sitzend halten.“12 Dass das Sitzen prozessuale Pflicht ist, wird immer wieder eigens erwähnt, z. B. in der Luzerner Landgerichtsordnung um 1500: „So sitzt der richter nider und stat nit uf, er wird dan mit urteil uf bekent.“13 Unterbrechungen sind nur in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt. So bejahen in einer Salzburger Gerichtsordnung die Urteiler die Hegungsfrage des Richters: „ob ein gewitter, ein brunst, ein rumor beschähe oder landsfeinde auskämen, ob ich möchte aufstehen und das zu ruhe helfen bringen, ob die bank unter mir niedergienge, ob ich blöd würde, ob mir der stab entfiele, wie das beschach, ob ich möchte aufstehen, wieder nidersetzen, den gerichtsstab wieder in die hand nehmen?“14

Auch die Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532 verlangt für das Eröffnungszeremoniell des endlichen Rechtstags ein feierliches Niedersitzen: „[. . .] und sollen sich richter und urtheyler an die gerichts statt fügen, da man das gericht nach guter gewonheyt pflegt zu sitzen, und soll der richter die urtheyler heyssen nidersitzen und er auch sitzen [. . .].“15 Das Erfordernis des Sitzens bezieht sich also nicht nur auf den Richter, sondern stets auch auf die Urteiler, Schöffen, Beisitzer und wie diese immer genannt sein mögen. Mitunter werden 9 Zitiert nach: Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 4, Weimar 1935–1951, Sp. 302. Hier auch zahlreiche weitere Belege. 10 Vgl. in diesem Band C. D. Schmidt, Die Hegung des Gerichts – Formen und Funktionen eines rituellen Aktes. 11 Vgl. W. Schild, Die Halsgerichtsordnung der Stadt Volkach aus 1504 (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o. d. T. 2), Rothenburg o. d. T. 1997, S. 22. 12 J. Grimm, Weisthümer, Bd. III, Göttingen 1842, S. 300. 13 E. Osenbrüggen, Studien zur deutschen und schweizerischen Rechtsgeschichte, Basel 1881, S. 279. 14 Zitiert nach F. Heinemann, Der Richter und die Rechtsgelehrten – Justiz in früheren Zeiten, Leipzig 1900, ND Düsseldorf u. a. 1969, S. 20. Weitere Beispiele aus Zürich und Luzern bei Osenbrüggen, Studien (Anm. 13), S. 279. 15 Constitutio Criminalis Carolina, Art. 82: „Von besitzung und beleutung des entlichen gerichts“. Weitere Beispiele in: Deutsches Rechtswörterbuch (Anm. 9), Sp. 301 ff.; J. Grimm/W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 16 (= 10/1), Leipzig 1905, ND München 1984, Sp. 1292.

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diese geradezu nach ihrer Sitzhaltung bezeichnet, so im Luzernischen Hofrecht von Murbach (Elsass) von 1259/1310, wo es heißt: „So sun bi im [d.h. dem Richter] sitzen zwelve, die heissent stuolsezzen.“16 Wird mit dem Niedersitzen der Beginn der Verhandlung angezeigt, so bedeutet das Aufstehen das Ende der „Sitzung“, was überdies mancherorts durch das Umstoßen der Bänke deutlich gemacht wird.17 Auch das Erheben von Stuhl und Bänken erfolgt durch rituellen, mit Urteil gewiesenen Akt. II. Die Haltung beim Sitzen Das Sitzen weist seinerseits wieder eine Vielfalt von Haltungsweisen auf, die nicht nur physiologisch, sondern auch in einem breiten Spektrum von sozialen Signalen begründet sind und nicht selten als Bestandteil von Inszenierungen verstanden werden müssen. Gerade für die „Sitzungen“ des Gerichts dürfte dies ohne weiteres einsichtig sein. Allerdings ist hier die schriftliche Quellenlage nicht besonders günstig. Gibt es zwar unzählige Belege und Hinweise für das gerichtliche Sitzen als solches, so ist der Informationsfluss über die Art und Weise des Sitzens verhältnismäßig dürftig, jedoch immerhin einigermaßen aufschlussreich. Der um 1325 von Johann von Buch verfasste Richtsteig Landrechts enthält zur Sitzhaltung des Richters folgende Anweisung: „Wenne her denne dat ding hegen wil, so sette he sic unde legge sin swert over sinen scot unde secge also zu eyme schepfen: N. ic frage iu [. . .].“18 Berühmt und viel zitiert ist die Bestimmung der Soester Gerichtsordnung um 1500: „Dey richter sal sitten op syneme richtestole als eyn grysgrymnich lowe und slan den rechteren voit over den luchteren“19 (der Richter soll sitzen auf seinem Richterstuhl wie ein griesgrimmiger Löwe und schlagen den rechten Fuß über den linken). Weniger ausgeprägte Anschaulichkeit an körperlicher Gestik und Haltung lässt der Text von Tenglers Laienspiegel erkennen, wenn es dort heißt: Richter und Urteiler „söllen also ersamlich und in ernstlicher forcht sitzendt beleiben bis zu ende des gerichtstags und rechtens.“20 Entsprechend formuliert etwas kürzer die Constitu16 W. Merz (Hg.), Die Rechtsquellen des Kantons Aargau, Bd. II, 1: Landschaft: Amt Aarburg und Grafschaft Lenzburg, Aarau 1923, S. 655 ff. 17 Erwähnt bei Erler, Sitzen (Anm. 1), Sp. 1680. 18 C. G. Homeyer (Hg.), Der Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis, Berlin 1857, S. 192. 19 Zitiert nach: Deutsches Rechtswörterbuch (Anm. 9), Bd. 3, Sp. 1104; vgl. auch W. Schild, Der griesgrimmige Löwe als Vor-Bild des Richters, in: Medium Aevum Quotidianum 27 (1992), S. 11 ff.; ders., Die Sitzhaltung des griesgrimmigen Löwen als Richtersymbol, in: P. Michel (Hg.), Symbole im Dienste der Darstellung von Identität (Schriften zur Symbolforschung 12), Bern u. a. 2000, S. 145–157, S. 145 ff. 20 Zitiert nach: U. Tengler, Der neu Layenspiegel, Augsburg 1512, fol. 167v. Vgl. B. Koehler, Art. Laienspiegel, in: HRG (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1357.

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tio Criminalis Carolina, das Gerichtskollegium solle „ersamlich sitzen bleiben bis zu ende der sachen.“21 Die geringe Ergiebigkeit der schriftlichen Zeugnisse findet in der Literatur ihre Entsprechung. Historisch ausgerichtete Darstellungen des Sitzens thematisieren die richterliche Sitzhaltung überhaupt nicht22 oder behandeln sie meist eher marginal. Zwar wird eine spezifische Haltungsweise immer wieder registriert, es hat jedoch den Anschein, dass man diese für ausreichend gedeutet und daher nicht mehr für diskutabel hält. Insgesamt kann festgestellt werden, dass es bislang trotz vermehrter wissenschaftlicher Zuwendung zu leiblich-sozialen Darstellungs- und Erscheinungsformen eine „Rechtsgeschichte“ des Sitzens nicht gibt. Es liegt auch nicht in der Absicht des vorliegenden Beitrags, eine solche zu liefern, vielmehr beschränkt sich dieser auf eine Skizze mit dem Versuch, einige vorläufige Thesen zu formulieren. Dabei stellen sich zunächst folgende Fragen: Gibt es im Mittelalter und in der Neuzeit Stereotypen einer richterlichen Sitzhaltung? Können solche, soweit sie feststellbar sind, bestimmten Erklärungsmustern zugeordnet werden? Und schließlich: Lassen sich auf der Zeitachse Veränderungen und Entwicklungslinien erkennen? Die Spärlichkeit der schriftlichen Quellen zwingt auch dazu, sich auf eine andere Quellensorte zu stützen, die bildlichen Darstellungen. Da die visuellen Auskunftsmittel hier im Gegensatz zur schriftlichen Überlieferung reiche Anschauung liefern, erweist sich die Ikonographie als der gangbarere Weg.23 Freilich ist es im Rahmen dieser Studie kaum möglich, der Fülle des Materials auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Die hier beigegebenen Bildbeispiele können daher die folgenden Ausführungen nur andeutungsweise belegen, so dass Weiterverweisungen unumgänglich sind.24

21

Art. 82 (Anm. 15). Z. B. die sonst informative Arbeit von H. Eickhoff, Himmelsthron und Schaukelstuhl. Die Geschichte des Sitzens, München u. a. 1993. 23 Dazu G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, München 1992, insbes. S. 38 ff. 24 Umfangreiches Anschauungsmaterial bei: H. Fehr, Das Recht im Bilde, München u. a. 1923; H. Liermann, Richter, Schreiber, Advokaten, München 1957; W. Schild, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, München 1980; C. Hinckeldey (Hg.), Justiz in alter Zeit (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o. d. T. 6), Rothenburg o. d. T. 1984 (seitdem zahlreiche Nachdrucke); Kocher, Zeichen und Symbole (Anm. 23); F. Ebel/A. Fijal/G. Kocher (Hg.), Römisches Rechtsleben im Mittelalter. Miniaturen aus den Handschriften des Corpus iuris civilis, Heidelberg 1988; I. Scheurmann (Hg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994. Verwiesen sei ferner auf die zahlreichen einschlägigen Beiträge in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde. 22

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Gerichtsbilder enthalten üblicherweise folgende Informationselemente: (1) Raum: freier Himmel oder Innenraum. (2) Räumliche Ausstattung: Richterstuhl, Urteiler-/Schöffenbänke oder -stühle, Tisch usw. (3) Akteure und deren Positionierung: Richter, Urteiler, Schreiber, Parteien, Sachwalter, Öffentlichkeit. (4) Attribute des Richters: Stab, Schwert, Handschuh. (5) Haltung, eventuell Kleidung des Richters und der Urteiler. Die Gestaltungsökonomie zwingt oft zum Verzicht auf Bildelemente, so dass sich der Informationsgehalt entsprechend reduziert. Nicht selten bleibt dann nur noch die Darstellung des sitzenden Richters als Kürzel übrig. Das Gerichtsbild soll hier durch bekannte Holzschnitte aus dem „Neuen Layenspiegel“ vorgestellt werden (Abb. 1, 2, 3).25 Dabei ist von Vorteil, dass es sich um parallele Darstellungen aus der gleichen Quelle handelt und diese außerdem zeitlich an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit stehen. Instruktiv an diesen Gerichtsbildern ist, dass sie sowohl Konstanten wie auch Varianten erkennen lassen. Bemerkenswert ist zunächst die Lokalisierung: Bei allen drei Darstellungen findet die Gerichtssitzung an einer abgegrenzten Stätte unter freiem Himmel statt, während bei dem hier nicht wiedergegebenen Bild (fol. 59v) die Szene in einen geschlossenen Raum verlegt ist. Auf allen Bildern befindet sich im Zentrum der mit einem Baldachin versehene, erhöhte Richterstuhl, längs davon, nicht oder kaum sichtbar, je eine Schöffenbank, im Vordergrund Schreibertisch und -stuhl. Richter und Urteiler – ebenso der Schreiber – sitzen, die Parteien stehen. Attribute des Richters sind in Abb. 1 und 2 ein Stab, in Abb. 3 ein Schwert. Die Sitzhaltung des Richters und der Urteiler präsentiert sich folgendermaßen: Der Richter sitzt aufrecht, Stab oder Schwert in der Linken26, die Rechte ist frei und zeigt bei Abb. 1 deutlich eine Redegeste. Verschieden ist seine Beinhaltung: bei Abb. 1 übergeschlagenes Bein, bei Abb. 3 gekreuzte Beine, bei Abb. 2 keine besondere Beinhaltung. Zur Kleidung ist zu bemerken, dass der Richter auf allen Abbildungen eine Kopfbedeckung trägt.27 Eine auffällige Kleidung zeigt nur Abb. 3, welche wohl die 25

Druck Augsburg 1512: fol. 19r, 135v, 152r; zwei weitere Gerichtsbilder: fol. 59v,

82r. 26 Auf der hier nicht wiedergegebenen Gerichtsszene fol. 82r hält der Richter den Stab in der rechten Hand. 27 Schwabenspiegel 145, zitiert nach Lassberg, Schwabenspiegel (Anm. 7), S. 69, enthält folgende Bestimmung: „Der rihtaer und die schephenden suln weder huben noh huetelin noh huet ufe haben noh keplin noh hantschuohe an han, die mentel suln si uf ir ahsel han, ane wafen suln si sin.“ Diese dem Sachsenspiegel (Ldr. III, 69, 1) nachgebildete Regel wird, soweit ersichtlich, nirgends befolgt, vielmehr ist mindestens

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Abb. 1: Gerichtssitzung (Der neu Laienspiegel, Augsburg 1512, fol. 19r)

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Abb. 2: Gerichtssitzung (Der neu Laienspiegel, Augsburg 1512, fol. 135v)

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Abb. 3: Gerichtssitzung (Der neu Laienspiegel, Augsburg 1512, fol. 152r)

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Bemerkung des Laienspiegels: „an ettlichen ennden ist der richter gewapent und ain schwert bey im“ illustrieren soll.28 Bei den Urteilern ist weder eine besondere Sitzhaltung noch Kleidung zu erkennen – manche sind barhäuptig –; sie sitzen und bewegen sich zwanglos und mit lebhaften Redegesten. Die folgenden Ausführungen befassen sich nunmehr näher mit der Sitzhaltung des Richters. Der bereits aus den Illustrationen des Laienspiegels gewonnene erste Überblick lässt sich durch weiteres Bildmaterial vertiefen und differenzieren. Dabei erlaubt es die Gunst der Überlieferung, wiederum eine bestimmte Quelle beziehungsweise Quellengattung zu befragen, nämlich die im 14. Jahrhundert entstandenen Codices picturati des Sachsenspiegels.29 Die Abb. 4–730 zeigen verschiedene Haltungen des Grafen als Richter. Er sitzt auf dem augenfällig ins Bild genommenen Richterstuhl und hält als Attribut ein geschultertes oder auf dem Schoß liegendes Schwert. In Abb. 6 wird zugunsten der Redegestik auf ein Attribut verzichtet. Vor weitergehenden Schlüssen ist indessen Vorsicht angebracht, da die Parallelstelle der Oldenburger Handschrift (Abb. 7) den Richter wieder mit einem Schwert ausstattet. In den Sachsenspiegel-Illustrationen ist offensichtlich die Schwerthaltung des Richters gegenüber dem Bildbeispiel des Laienspiegels (Abb. 3) weiter aufgefächert. Auffällig ist, gemessen am sonstigen Befund, das Fehlen oder nur ganz vereinzelte Vorkommen des Stabes.31 Immerhin entspricht die Bevorzugung des bezüglich Kopfbedeckung das Gegenteil üblich. Für den Richter gilt der Hut sogar als Statussymbol. Vgl. K. v. Amira, Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, Bd. I: Faksimile, Leipzig 1902, ND Osnabrück 1968; Bd. II, 1 und 2: Erläuterungen, Leipzig 1925/1926, ND Osnabrück 1969, Bd. II, 1, S. 52 ff. 28 Tengler, Der neu Layenspiegel (Anm. 20), fol. 167v. Entsprechend verlangt das Volkacher Salbuch von 1504, dass der Richter einen Harnisch tragen und Stab und Schwert in der Hand halten muss. Die beigefügten Miniaturen zeigen ihn allerdings nicht geharnischt, Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 11), S. 24. Ähnlich auch der Holzschnitt aus der dritten Frankfurter Ausgabe (1564) der Rottweiler Hofgerichtsordnung, in: A. Steinhauser, Das Rottweiler Hofgericht im Bilde, Rottweil 1940, Abb. X. 29 Die vier Bilderhandschriften sind alle als Faksimiles erschienen: (1) D: Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Bd. II, 1 und Bd. II, 2 – Dresdner Sachsenspiegel, Faksimile-Ausgabe des Mscr. M 32 der Sächsischen Landesbibliothek, Staatsund Universitätsbibliothek Dresden, Graz 2002 – (2) H: Der Sachsenspiegel. Die Heidelberger Bilderhandschrift Cod. Pal. Ger. 164, Kommentar und Übersetzung von W. Koschorreck, neu eingeleitet von W. Werner, Frankfurt a. M. 1989 – (3) W: R. Schmidt-Wiegand, Eike von Repgow. Sachsenspiegel. Die Wolfenbütteler Bilderhandschrift Cod. Guelf. 3.1 Aug. 2º, 3 Bde.: Faksimile-, Text- und Kommentarband, Berlin 1993 – (4) O: R. Schmidt-Wiegand (Hg.), Der Oldenburger Sachsenspiegel. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex pictoratus Oldenburgensis CIM I 410 der Landesbibliothek Oldenburg, Faksimile-, Text- und Kommentarband, Graz 1995/1996. 30 Abb. 4–6 aus W: fol. 20v, 21r, 24v (entsprechende Abbildungen bei D: fol. 14b, 15a, 18b; Ausgabe: Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Tafeln 28, 29, 36); Abb. 7 aus O: fol. 31v. 31 Nur in D: fol. 46a (Ausgabe: Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Tafel 91); W: fol. 50r.

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Abb. 4: Der Graf als Richter (Sachsenspiegel, Bilderhandschrift Wolfenbüttel (Anm. 29), fol. 20v)

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Abb. 5: Der Graf als Richter (Sachsenspiegel, Bilderhandschrift Wolfenbüttel (Anm. 29), fol. 21r)

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Abb. 6: Der Graf als Richter (Sachsenspiegel, Bilderhandschrift Wolfenbüttel (Anm. 29), fol. 24v)

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Abb. 7: Der Graf als Richter (Sachsenspiegel, Bilderhandschrift Oldenburg (Anm. 29), fol. 31v)

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Schwertes als richterliches Attribut dem oben zitierten Text des Richtsteig Landrechts. Schwert und Stab sind auch nicht überall alternativ in Gebrauch, vielmehr verlangt das örtliche Zeremoniell mitunter, dass der Richter beide Attribute zur Hand hat.32 Die Haltung des Richters während der Gerichtssitzungen lässt sich also folgendermaßen kennzeichnen: – Oberkörper: (relativ) aufrecht. – Hände: Eine (linke oder rechte) Hand hält den Stab oder das Schwert oder ein anderes Attribut (z. B. Handschuh). Die zweite Hand hält ein weiteres Attribut oder ist frei (Redegeste usw.). Oder: Beide Hände halten das auf dem Schoß liegende Schwert. Oder: Beide Hände sind frei (Redegesten), wobei offen bleibt, ob das Attribut nur abgelegt oder gar nicht in Gebrauch ist, oder ob der Künstler es vernachlässigt. – Beine: einfach gekreuzt; oder: das eine über das andere geschlagen; oder: unverschränkt (lockere Beinhaltung oder gleichmäßig auf dem Boden aufgestellt). Bilder sind Momentaufnahmen, die einen Geschehensablauf nur unzulänglich wiederzugeben vermögen. Die meisten Gerichtsbilder sind Einzeldarstellungen und als solche wieder fixierte symbolische Momente. Aufschlussreicher wird die historische Information dort, wo in einer Bildfolge mehrere Stationen eines „Prozesses“ im ursprünglich-wörtlichen Sinn veranschaulicht werden. Eine solche Quelle ist etwa das Volkacher Salbuch, das in Wort und Bild ein Gerichtsverfahren gegen einen Weindieb im Jahre 1504 schildert.33 Die Bildersequenz lässt erkennen, dass die zwölf Urteiler keinen besonderen Sitzförmlichkeiten unterworfen sind, während sich die Sitzhaltung des Richters in schematischen Grenzen zu bewegen scheint. Schon durch das Halten von Stab und Schwert ist die Bewegungsfreiheit seiner Arme und Hände eingeschränkt. Seine Beine sind bei Sitzungsbeginn und mit Unterbrechungen auch später übereinander geschlagen.34 Dieses Musterbild einer richterlichen Sitzhaltung variiert im Laufe des weiteren Verfahrens, wenn auch in bestimmten Grenzen: Die stabführende Hand bewegt sich und die Beinhaltung wird durch Wechsel des Beinüberschlags und andere Beinstellungen verändert. Das Beispiel scheint zu lehren, dass es für die Sitzhaltung des Richters zwar durchaus ein Erwartungsprofil gibt, jedoch mit gewissen Spielräumen, wobei größere regionale Unterschiede in Rechnung zu stellen sind. Die Varianten der Richterdarstellungen in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels dürften 32 So in der Volkacher Halsgerichtsordnung von 1504, Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 11), S. 24; vgl. Schmidt, Hegung (Anm. 10), Abb. 3. 33 Schild, Halsgerichtsordnung (Anm. 11). 34 Schmidt, Hegung (Anm. 10), Abb. 3.

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wohl ähnlich zu erklären sein, und es ist zu vermuten, dass „das künstlerische Streben nach Abwechslung“35 sich kaum weit über die reale Erwartungsgrenze hinaus bewegte. Überhaupt stellt sich die grundsätzliche Frage, wie weit der als solcher noch nicht ausreichend erforschte Prozessformalismus auch auf die gesamte Inszenierung des Verfahrens und im Einzelnen dann auch auf die Körperhaltung der Akteure durchschlägt. Auf die Sitzhaltung bezogen wäre immerhin darauf hinzuweisen, dass das Sitzen zwar eine Ruhehaltung darstellt, diese selbst aber physiologisch wiederum anstrengend und belastend ist und dass daher eine unbewegliche Haltung für längere Zeit kaum eingenommen werden kann. Stereotypen einer richterlichen Sitzhaltung dürften also vor allem an bestimmte Verfahrensstationen geknüpft gewesen sein, im Übrigen mochte man sich in einem Verhaltensrahmen mit Flexibilitätskonzessionen bewegt haben. III. Die Beinverschränkung Die besondere Aufmerksamkeit der Wissenschaft gilt und galt schon immer der Beinhaltung des Richters in Form der Beinverschränkung (Abb. 1, 4, 5, 6, 8, 9). Diese lässt sich in zwei Spielarten beobachten: als bloßes Kreuzen und als Überschlagen der Beine. Dabei bleibt offen, ob das Beinekreuzen als ursprünglichere und das Übereinanderschlagen als gesteigerte Form zu betrachten ist oder ob umgekehrt das Kreuzen der Beine nur eine höfisch elegantere Variante des Überschlags darstellt. Wie dem auch sei, es besteht seit langem die Tendenz, die Beinverschränkung als idealtypische oder sogar formal gebotene Richterhaltung anzusehen. Bereits Jacob Grimm bemerkte dazu, dass dem Richter „vorgeschrieben (wird), nicht nur dass er sitzen, sondern auch wie er seine Beine legen soll“.36 Andere schlossen sich dem an, z. B. Karl v. Amira mit dem Hinweis: „Nicht zwar den Urteilfindern, wohl aber dem Richter wird diese Körperhaltung vorgeschrieben.“37 Diese Ansicht hat sich bis in die neuere Literatur gehalten, wo davon die Rede ist, dass es sich um eine „im alten Recht juristisch verbindliche Körperhaltung“, um eine „einst rechtsverbindliche Gebärde“ mit einer „einst juristisch fixierten Bedeutung“ handle.38

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Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Bd. II, 1, S. 88. J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, Bd. II, 4. Aufl., Leipzig 1899, ND Darmstadt 1965, S. 375. 37 Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Bd. II, 1, S. 88. Vgl. auch C. Puetzfeld, Deutsche Rechtssymbolik, Berlin 1936, S. 103. 38 N. H. Ott, Der Körper als konkrete Hülle des Abstrakten. Zum Wandel der Rechtsgebärde im Spätmittelalter, in: K. Schreiner/N. Schnitzler (Hg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992, S. 222–241, S. 229 f. 36

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Abb. 8: Der Kaiser als Richter (14. Jahrhundert) (Miniatur zu Cod. 3, 1, Universitätsbibliothek Tübingen Mc. 294, fol. 77v, nach Ebel/Fijal/Kocher, Römisches Rechtsleben im Mittelalter (Anm. 24), S. 133)

Solche kategorischen Feststellungen bedürfen indessen der Relativierung. Unbestreitbar ergibt sich zwar aus dem reichen Bildvorrat der ikonographische Befund, dass die Beinverschränkung in der einen oder anderen Form als eine richterliche Sitzgebärde interpretiert werden muss. Das häufige und spezifische Vorkommen zwingt zu diesem Schluss und lässt jeden Gedanken an Zufälligkeiten in den Hintergrund treten. Hat die Beinverschränkung demnach als richterliche Körperhaltung zu gelten, so lässt sich andererseits an einer nicht geringeren Masse von Bildmaterial nachweisen, dass sie keine ausschließliche, sondern nur eine unter anderen darstellt. Bemerkenswert ist etwa, dass die vier Codices pictorati des Sachsenspiegels, die auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen und daher einem vorgegebenen Bildprogramm folgen, gerade in diesem Punkt deutliche Unterschiede aufweisen. Während nämlich die Dresdener und ihr folgend die Wolfenbütteler Handschrift die Verschränkungsgeste häufig bildlich wieder-

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Abb. 9: Der Graf von Freiburg (Ende 13. Jahrhundert) (Freiburger Münster, Hauptportal, nach Schild, Alte Gerichtsbarkeit (Anm. 24), Abb. 320)

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geben, bleibt diese bei der Heidelberger39 und Oldenburger40 Handschrift die Ausnahme. Ähnlich verhält es sich bei den ebenfalls meist dem 14. Jahrhundert entstammenden Miniaturen der Handschriften zum römischen Recht, in denen die Richterfigur öfters mit auffällig demonstrativem Beinüberschlag (Abb. 8), dann aber wieder nicht weniger häufig mit beiden auf dem Boden aufgestellten Beinen ins Bild genommen ist.41 Die unterschiedliche Darstellungsweise lässt sich durch das gesamte zugängliche Bildmaterial verfolgen, für welches die hier wiedergegebenen Gerichtsbilder des Laienspiegels noch im 16. Jahrhundert repräsentativ sind. Welche Schlüsse daraus gezogen werden müssen, lässt sich allerdings nicht ohne weiteres sagen. Es ist anzunehmen, dass die Beinverschränkung vielerorts gar nicht – gar nie oder nicht mehr – üblich war oder im Gesamtablauf des Verfahrens so sehr in den Hintergrund trat, dass sie für eine visuelle Information vernachlässigt werden konnte. Dieses Ergebnis entspräche durchaus der Vielfalt des mittelalterlichen Rechts, welcher wohl auch die verschiedenen Bildbeispiele des Laienspiegels Rechnung tragen wollten. Mit dem Befund der Beinverschränkung als richterlicher Sitzgebärde ist auch erneut auf die oft gestellte Frage nach deren Bedeutung einzugehen. Die bisher versuchten Antworten bewegen sich in einem sehr breiten kulturwissenschaftlichen Spektrum, was nicht zuletzt seinen Grund in der physiologisch bedingten, geringen Variabilität von Beinstellungen und einer daraus resultierenden gestischen Polyvalenz hat. Mit Blick vor allem auf die oben zitierte Soester Bestimmung hat Jacob Grimm in seinen „Rechtsalterthümern“ den Beinüberschlag des Richters als ein „Zeichen der Ruhe und Beschaulichkeit“ gedeutet42 und damit das künftige Meinungsbild nachhaltig geprägt. So ist ihm auch Karl v. Amira darin gefolgt und hat in der Beinverschränkung ein „Wahrzeichen der Ruhe“ erblickt.43 Im gleichen Vorstellungsbereich bewegen sich John Meier, der die Geste als „Ausdruck einer sinnenden Nachdenklichkeit“44 versteht, und Max Pappenheim, der von einer Gebärde der „ruhigen Überlegung“ spricht.45 Es

39 H: fol. 5r, 6v, 28v, 29r und v. Die Beinkreuzungen bei fol. 1r und 6r haben offensichtlich eine andere Bedeutung. 40 O: nur fol. 7r, 31r, 48r. 41 Vgl. Ebel/Fijal/Kocher, Römisches Rechtsleben (Anm. 24). 42 Grimm, Rechtsalterthümer (Anm. 36), S. 375. 43 Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Bd. II, 1, S. 88; R. Schmidt-Wiegand, Art. Gebärden, in: HRG (Anm. 1), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1416. 44 J. Meier, Besprechung der Beiträge zur Geschichte der Kunst und Kunsttechnik aus mittelhochdeutschen Dichtungen, Wien 1892, in: Zeitschrift für Kulturgeschichte N.F. 1 (1894), S. 265. 45 M. Pappenheim, Besprechung von: Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten. Ein verfassungs- und kulturgeschichtlicher Beitrag von Dr. Paul Puntschart, Leipzig 1899, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 20 (1899), S. 309.

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fehlt auch keineswegs an Belegen außerhalb von rechtsrelevanten Darstellungen, die eine solche Meinung stützen können. Über psychophysische Erklärungen hinaus gehen Überlegungen, die in der Beinverschränkung eine symbolische „Schranke gegen irritierende äußere Einflüsse“ oder ein „Abriegeln gegen äußere Einflüsse zum Zwecke des Nachdenkens“ sehen wollen.46 Damit ist bereits der Bogen gespannt zu Erklärungsversuchen, die in mystisch-magische Bereiche weisen. Tatsächlich ist das Kreuzen von Armen, Fingern und Beinen eine von Alters her weit verbreitete und kulturell übergreifende Gebärde sowohl des Schadens- wie des Abwehrzaubers. Nachrichten dazu finden sich von den Pythagoreern über Plutarch und Plinius bis hin zu abergläubischen Praktiken der Neuzeit.47 Insbesondere unter volkskundlichen Aspekten hat man versucht, auch die richterliche Beinverschränkung in diese Zusammenhänge zu stellen. Solche Erwägungen stellt etwa Hanns Bächtold-Stäubli an, wenn er schreibt: „Vielleicht steckt auch hinter der seltsam anmutenden Vorschrift des Soester Rechts ursprünglich ein Abwehrritus, der den Richter vor Schadenzauber bewahren und durch den er den Angeklagten ,bannen‘ soll; denn wie Vieles, das nicht mehr verstanden wurde, ist in Scherz umgewandelt auf uns gekommen.“48 Was hier noch als Denkanstoß verstanden sein will, wird von Späteren zur Feststellung verkürzt: „In der Haltung des Richters während der Gerichtsverhandlung wird alter (Hemmungs-) Zauber deutlich, wenn ihm ein Verschränken der Beine vorgeschrieben ist.“49 Der zuletzt aufgezeigte Ansatz ist nicht weiter verfolgt worden. Er beruht zu sehr auf einer Zeitströmung, in der eine rasche Bereitschaft bestand, unerklärte Phänomene auf irrationale Motive und Muster zurückzuführen. Die gewachsene Erkenntnis, dass Kult und älteres Recht weniger eng verbunden waren, als eine noch lange nachwirkende, romantische Auffassung wahrhaben wollte, hat einer weiteren Diskussion den Boden entzogen. Auch konnte zum vorliegenden Gegenstand nie auch nur einigermaßen überzeugend dargetan werden, dass das Beinekreuzen als magische Geste in irgendeiner Weise mit der richterlichen Sitzhaltung in Zusammenhang gebracht werden kann. Bei der Polyvalenz dieser Geste ist aber das äußere Verhalten für sich genommen gerade kein ausreichender Beweis. Abgesehen davon fehlt es an jeglicher ikonographischen Indizierung.

46 H. Urner-Astholz, Mosaiksteine. Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte, Bern u. a. 1978, S. 189, S. 191. 47 Ebd., S. 191; H. Bächtold-Stäubli, Beine kreuzen oder verschränken, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 26 (1926), S. 47 ff. 48 Bächtold-Stäubli, Beine kreuzen (Anm. 47), S. 54. Entsprechend auch E. Frhr. v. Künßberg, Rechtliche Volkskunde, Halle u. a. 1936, S. 97. 49 W. Müller-Bergström, Stichwort: Richter, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 7, Berlin u. a. 1935/1936, Sp. 691.

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Somit bleibt zu überprüfen, ob das Interpretament der „Ruhe und Beschaulichkeit“ beziehungsweise der „sinnenden Nachdenklichkeit“ der Gebärde der richterlichen Beinverschränkung angemessen ist. Bevorzugter Referenzbeleg ist seit Grimm50 stets die bekannte Miniatur Walthers von der Vogelweide in der Großen Heidelberger wie auch in der Weingartner Liederhandschrift51, die den Minnesänger in nachdenklicher Haltung mit übergeschlagenem Bein darstellen und damit die Anfangsverse seines berühmten Gedichts illustrieren: „Ich sâz uf eime steine und dahte bein mit beine dar ûf satzt ich den ellenbogen ich hete in mine hant gesmogen das kinne und ein mîn wange dô dahte ich mit vil ange wie man zer welte sollte leben.“

Ähnliche szenische Beschreibungen in Wort und Bild finden sich auch anderswo.52 Evangelisten, Maler, Schreiber, Mönche, Musikanten, Schachspieler usw.53 liefern durch verschränkte Beinhaltung einleuchtende Beweise für eine Befindlichkeit der Konzentration, Ruhe, Besinnlichkeit. In diesem Kontext betrachtet, erscheint die korrespondierende Richterhaltung dann ebenfalls als Ausdruck von Nachdenklichkeit, Besonnenheit, Rechtssuche. Genährt wird diese Vorstellung gerade durch die Bestimmung der Soester Gerichtsordnung, die zur Geste des Beinüberschlags die Bemerkung anfügt: Wenn der „griesgrimmig blickende“ Richter die Sache nicht recht beurteilen könne, soll er dieselbe ein-, zwei- oder dreimal überlegen.54 Bereits hier liegt aber eine missverstandene und irreführende Interpretation des Beinüberschlags vor, wenn es sich überhaupt um eine solche handeln sollte. Die gedankliche Verknüpfung der richterlichen Beinverschränkung mit dem durch Walther von der Vogelweide repräsentierten Typ erweist sich bei näherem Hinsehen als ein Missgriff. Auch dieser beruht wiederum darauf, dass nur die jeweilige Beinhaltung, nicht aber die gesamte Physiognomie verglichen

50

Grimm, Rechtsalterthümer (Anm. 36), S. 375. I. F. Walther (Hg.), Sämtliche Miniaturen der Manesse-Liederhandschrift, Aachen 1985, S. 19 und Tafel 45. 52 Z. B. im 14. Jahrhundert, in: A. v. Keller (Hg.), Karl Meinet (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 45), Stuttgart 1858, 70:48, S. 58 ff. 53 Beispiele bei Urner-Astholz, Mosaiksteine (Anm. 46), S. 189 ff.; vgl. auch F. Unterkircher (Hg.), Reiner Musterbuch. Faksimile-Ausgabe im Originalformat aus Codex Vindobonensis 507 der Österreichischen Nationalbibliothek, Graz 1979, fol. 2v. 54 Grimm, Rechtsalterthümer (Anm. 36), S. 375. Als Bildbeleg wird immer wieder die berühmte Miniatur des Soester Stadtrichters mit übergeschlagenem Bein angeführt. Dieser schlägt aber das linke über das rechte Bein und zeigt keinerlei „griesgrämige“ Miene, W. Kohl (Hg.), Das Soester Nequambuch. Neuausgabe des Acht- und Schwurbuchs der Stadt Soest, Wiesbaden 1980, S. 31 (auch anderswo oft abgebildet). 51

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wurde. Der Darstellungseffekt des Sinnens und Nachdenkens wird nämlich meist nicht allein durch Beinüberschlag erzielt, sondern auch durch Neigung des Kopfes und des Oberkörpers. So zeigt Walthers gebeugte Haltung, dass er ins Nachsinnen „versunken“ ist. Dagegen sitzt der Richter stets aufrecht, allenfalls „geneigt“. Seine Haltung ist keine musische oder nachdenkliche Ruhegeste, sondern eine herablassende Herrengeste, die Überlegenheit und Abstand signalisiert. Ruhen als „Geruhen“, Verschränkung als Distanz zur Umgebung. Aus der dargelegten Interpretation der Sitzhaltung des Richters ergibt sich eine andere Sichtweise und ikonographische Zuordnung. Kreuzen und Überschlagen der Beine findet sich nämlich bei Herrscher- und Herrendarstellungen aller Art und ohne Fixierung auf die Gerichtspräsenz. Dies lässt schon ein Vergleich der entsprechenden Bildwiedergaben in der Dresdener und der Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels erkennen, wo gleich auf der ersten Seite Kaiser Friedrich II. thronend mit Beinüberschlag als Gesetzgeber des Mainzer Reichsfriedens abgebildet ist. Es folgen sodann zahlreiche andere Beispiele des Sitzens mit Beinverschränkung, ohne dass ein Bezug zu einer – auch im weitesten Sinne – richterlichen Tätigkeit zu erkennen wäre. Dies hat bereits v. Amira zu der Bemerkung veranlasst: „In D sitzen aber in gleicher Weise außer dem Richter noch andere Gewalthaber, der König, der Lehenherr, auch wenn diese nicht richten [. . .], und der Parallelen dazu, wenigstens dem mit verschränkten Beinen thronenden König, gibt es einen reichlichen Vorrat [. . .].“55 Claudius Frhr. v. Schwerin hat daraus bereits die richtige Folgerung gezogen: „Beziehung zu Dritten gewinnt das Sitzen, wenn der ,Herr‘ sitzt, sei es der König, der Lehnsherr, der Grundherr, dem gegenüber Dritte stehen; es wird zum Ausdruck eben der Herrenstellung, unbeschadet der Zusammenhänge mit dem Richteramt.“56 Beinverschränkte Sitzhaltung ist also primär Herren- und Herrschaftspositur und nur als solche dann sekundär Richtergebärde. Es ist daher eine häufig zu beobachtende Verkehrung der Verhältnisse, wenn bereits von einer solchen Beinstellung auf eine Richterhaltung und -position geschlossen wird.57 Ist alleine schon das von v. Amira zusammengetragene Bildmaterial zur herrschaftlichen Sitzhaltung überaus zahlreich58 und beweiskräftig genug, so lässt sich dieses inzwischen um ein Vielfaches vermehren. Eine weitere Aufreihung 55 Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Bd. II, 1, S. 89. Vgl. ferner Ebel/ Fijal/Kocher, Rechtsleben (Anm. 24), S. 126 f., wo sich Kaiser Justinian als Gesetzgeber an die von ihm eingesetzte Juristenkommission wendet. 56 K. v. Amira/C. Frhr. v. Schwerin, Rechtsarchäologie. Teil I: C. Frhr. v. Schwerin, Einführung in die Rechtsarchäologie, Berlin-Dahlem 1943, S. 63. 57 So Urner-Astholz, Mosaiksteine (Anm. 46), S. 188 f. Eine Fehleinschätzung ist es und gegenüber Amira auch ein Rückschritt, wenn zum Gesetzgeberbild von Kaiser Friedrich II. in den Sachsenspiegel-Bilderhandschriften gesagt wird, er sei „in der Haltung des Richters“ abgebildet, Schmidt-Wiegand, Wolfenbütteler Bilderhandschrift (Anm. 29), Textband, S. 37.

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von Belegen ist hier indessen nicht vorgesehen. Nur beispielsweise sei aber noch auf die Wiener Handschrift der Bible moralisée hingewiesen, wo die alttestamentlichen Könige Balak, Saul und Roboam pointiert in Herrscherpose mit Beinüberschlag dargestellt sind, ohne dass sich aus Text oder Bild ein Bezug zu einer richterlichen Tätigkeit herstellen lässt.59 Eindrücklich sind insbesondere die Szenen um Roboam, der die Ratschläge der Weisen zu milder Regierung zurückweist. Die Herrschergeste des Beinüberschlags ist hier zur Illustration von Stolz, Überheblichkeit und Verachtung gesteigert. Ebenfalls seit Grimm wird auch beharrlich eine weitere literarische Quelle für die Beinverschränkung als spezifisches Merkmal einer richterlichen Sitzhaltung in Anspruch genommen. Es handelt sich um die in Ottokars Österreichischer Reimchronik geschilderte Einsetzung des Herzogs von Kärnten.60 Dieses Ritual spielt sich in der Weise ab, dass der als Kärntner Bauer gekleidete künftige Herzog mit Gefolge auf das Zollfeld zum Fürstenstein zieht, auf dem aber bereits der so genannte Herzogsbauer Platz genommen hat. Bei Ottokar heißt es sodann: „Die herren sullen füeren in [den künftigen Herzog] für den gebûren hin, der da sitzet ûf dem stein. der selbe sol ein bein ûf daz ander legen, windischer rede sol er phlegen.“61

Der an den Bauern gerichteten Aufforderung, den Stein dem Ankömmling zu räumen, will dieser erst nachkommen, wenn man ihm drei Fragen beantwortet habe, nämlich ob der künftige Herzog rechten Glaubens sei, ob er dem Land ein guter Richter sein wolle und ob er das Land beschützen und in Frieden halten könne. Nachdem diese Fragen mit eidlicher Zusicherung bejaht sind, „rûmt er die stat“ und nimmt ein Lösegeld entgegen. 58 Weitere Belege auch bei Urner-Astholz, Mosaiksteine (Anm. 46), S. 189 f.; Ott, Körper (Anm. 38), S. 228 ff. 59 Bible moralisée. Codex Vindobonensis 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek, Faksimile-Ausgabe mit Kommentar von R. Hausherr, Übersetzung der französischen Bibeltexte von H.-W. Stork (Glanzlichter der Buchkunst 2), Graz 1992, fol. 33r, 36r, 51v; S. 94, S. 114, S. 140. – Ein weiteres prominentes Beispiel bei H. Fuhrmann/ F. Mütherich, Das Evangeliar Heinrichs des Löwen und das mittelalterliche Herrscherbild (Bayerische Staatsbibliothek Ausstellungskataloge 35), 2. Aufl., München 1988, S. 40 und Tafel 9. Dargestellt ist hier die Übergabe eines Gebetbuchs durch den Schreiber an den jugendlichen Kaiser Otto III., der die Handschrift mit übergeschlagenem Bein entgegennimmt. 60 J. Seemüller (Hg.), Ottokars österreichische Reimchronik (Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken V, 1), Hannover 1890/1893, ND Zürich u. a. 1974, S. 264 ff., Vers 19971 ff.; vgl. auch H. Weinacht, Otto von Steiermark, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexikon, Bd. 7, Berlin u. a. 1989, Sp. 238 ff. 61 Vers 20054–20059.

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Max Pappenheim hat die hier erwähnte Beinverschränkung des Herzogsbauern im Anschluss an Grimm als richterliche Sitzhaltung interpretiert und damit Paul Puntschart kritisiert, der in diesem Beinüberschlag eine „demokratische Haltung“ sah und diese folgendermaßen erklärte: „Der Vertreter des Volkes soll keine Ehrfurcht zeigen gegenüber dem Manne, der da im prächtigen Zuge einherkommt. Daher die Vorschrift, dass der auf dem Stein sitzende Bauer ein Bein über das andere lege, dass er eine nachlässige, bequeme Haltung einnehme, so als ob gar nicht der vom deutschen König belehnte Herzog vor ihm stände.“62 Dazu ist festzustellen, dass Puntschart die Beingebärde des Herzogsbauern grundsätzlich richtig gedeutet hat, wenn auch die etwas überzogene Begriffswahl als unangemessen empfunden werden mag. Es kann keine Rede davon sein, dass der Bauer als „Richter“ – wie Grimm behauptet – auf dem Fürstenstein sitzt. Vielmehr verlangt das Verfahren, dass er sich herrisches Gehabe zulegt, indem er als „Interimsherr“ den Neuankömmling nicht einmal von gleich zu gleich, sondern von oben herab behandelt. Das Zollfelder Ritual ist also geradezu ein Kronbeleg für die Beinverschränkung als Herrengeste. IV. Die Schwertpräsentation Wenn das Verfahrensritual für den Richter das Führen eines Schwertes vorsieht, kann dies in mehrfacher Weise von Einfluss auf seine Sitzhaltung insgesamt sein. Die schriftlichen und bildlichen Quellen zeigen, wie bereits erwähnt, mehrere Varianten einer Präsentation des Schwertes. Nicht alle sind realistisch. So wird man etwa in der Darstellung eines frei gehaltenen oder geschwungenen Schwertes allenfalls eine Momentaufnahme, meist aber nur eine symbolische Aussage sehen dürfen. Wo es üblich ist, das Schwert an sichtbarer Stelle abzulegen oder einer Drittperson zu übergeben, ist auch der Richter in seiner Sitzhaltung wieder uneingeschränkter. Aus den verschiedenen Alternativen, wie der Richter das Schwert zu halten hat, verdient jene besondere Aufmerksamkeit, die der Richtsteig Landrechts vorschreibt. Auch v. Amira bemerkt dazu: „Strenges und am längsten nachweisbares Zeremoniell aber forderte, dass das Schwert dem Richter auf dem Schoß liege.“63 Als Richterbild ist diese Haltung bislang von der Wissenschaft nicht mit dem gleichen Interesse zur Kenntnis genommen worden wie die Gebärde der Beinverschränkung. Es finden sich daher auch keine Deutungsversuche, vielleicht weil sich mangels einer vermeintlichen Interpretationsbedürftigkeit solche zu erübrigen scheinen. Wiederum wäre zu vermerken, dass das bei v. Amira zusammengestellte Dokumentationsmaterial nach dem heutigen Infor62 P. Puntschart, Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, Leipzig 1899, S. 134 f. Dazu Pappenheim, Besprechung (Anm. 45), S. 307 ff. 63 Amira, Dresdener Bilderhandschrift (Anm. 27), Bd. II, 1, S. 109.

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mationsstand beträchtlich erweitert werden kann. Andererseits wird auch hier die Frage zu stellen sein, ob man von einer bildlichen Darstellung, auf welcher eine sitzende, männliche Person ein Schwert auf Schoß oder Knien hält, schon auf deren Richterfunktion schließen darf oder ob man dies nur als Indiz gelten lassen kann. Die Gerichtsbildeigenschaft lässt sich zunächst und vor allem aus dem jeweiligen Kontext erschließen. Bei den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels (siehe Abb. 4, 5, 7) bereitet dies keine Schwierigkeiten, da die wiedergegebenen Tatbestände immer aus der Optik von Gerichtsfällen abgehandelt werden und da bei dieser Textsorte über die Abbildung des Richters ohnehin kein Zweifel aufkommt. Als geradezu ideale Richterdarstellung kann das Sitzbild des Grafen von Freiburg im Breisgau an der rechten Seite des Münsterhauptportals angesprochen werden. Die Schwerthaltung wird hier mit dem Beinüberschlag kombiniert (Abb. 9). Die gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstandene Sandsteinplastik befindet sich an einer Stelle, an der im Mittelalter Gericht gehalten wurde, und noch heute sind darunter die ins Mauerwerk eingemeißelten Marktmaße zu sehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Südportal des Straßburger Münsters, das ebenfalls als Gerichtsstätte diente und wo im Mittelteil unter dem Weltenrichter ein als Salomon oder Karl der Große interpretierter Richterkönig mit übergelegtem Schwert thront.64 Die heutige Figur ist eine Arbeit des 19. Jahrhunderts, die in freier Nachahmung ein früheres, in der französischen Revolution zerstörtes Bildwerk ersetzt (Abb. 10).65 Dass der Sitzhaltung mit übergelegtem Schwert ein prominenter Stellenwert beigemessen wurde und dieser sich dann auch in der Bildpräsentation spiegelt, beweist die seit Kaiser Ludwig dem Bayer übliche Verwendung als königliches Hofgerichtssiegel. Während das allgemeine Majestätssiegel den thronenden König beziehungsweise Kaiser mit Szepter und Reichsapfel darstellt, zeigt das Hofgerichtssiegel den Herrscher mit dem quer gelegten Schwert (Abb. 11).66 Dass diese richterliche Sitzhaltung auch in der Neuzeit noch in Übung war, belegt schließlich das Titelbild eines Landgerichtsbuchs des Stifts Kempten 64

A. Erler, Das Straßburger Münster im Rechtsleben des Mittelalters, Frankfurt a. M. 1954. 65 Den früheren Zustand zeigt ein Kupferstich von Isaac Brunn, in: O. Schadäus, Summum Argentoratensium Templum, Straßburg 1617. Der jetzige Zustand bei Schild, Alte Gerichtsbarkeit (Anm. 24), S. 146, Abb. 316. 66 O. Posse, Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751–1806, Bd. I, Dresden 1909, Tafel 51, 6; Bd. II, Dresden 1910, Tafeln 2,3; 5,1; 9,1; 11,1; 16,3; 18,5; 24,3. F. Battenberg, Gerichtsschreiberamt und Kanzlei am Reichshofgericht 1235–1451, Köln u. a. 1974, S. 93 ff., S. 101 ff. Unzutreffend wird der König des Siegelbildes immer wieder als Standbild gedeutet, was ikonographisch unverständlich wäre. Ein Vergleich mit den Majestätssiegeln, die den thronenden König im Vollbild wiedergeben, zeigt jedoch, dass auch dort der Körper bis zum Sitzknick stets überbetont ist. Vgl. auch G. A. Seyler, Geschichte der Siegel, Leipzig 1894, S. 337.

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Abb. 10: Richterkönig (Straßburger Münster, Südportal, Kupferstich 1617 (Anm. 65))

vom Jahre 1575.67 Vielleicht hat man hier diese feierliche Form gewählt, weil sich das Gericht als „Kaiserlich freies Landgericht“ bezeichnet. Lassen sich die oben genannten Bilddokumente mühelos als Beispiele richterlicher Sitzhaltung verifizieren, so gelingt dies bei anderen Abbildungen nicht ohne weiteres. Kann man etwa die Initialminiatur des 1295 entstandenen Harffer Sachsenspiegels zur Vorrede „Von der Herren Geburt“68 vorbehaltlos als Richterbild interpretieren?69 Dargestellt ist auf thronähnlichem Sitz eine gekrönte – wohl königliche – Person, die das linke Bein über das rechte geschla67 W. M. Schmid, Altertümer des bürgerlichen und Strafrechts insbesondere Folterund Strafwerkzeuge des Bayerischen Nationalmuseums (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums 7), München 1908, S. 46, Nr. 212. 68 Abgebildet bei U. Drescher, Geistliche Denkformen in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, Frankfurt a. M. u.a. 1989, Abb. 5a. 69 So R. Schmidt-Wiegand, Autoren- und Kaiserbild im Harffer Sachsenspiegel des Jahres 1295, in: D. Krohn (Hg.), Festschrift für Märta Åsdahl Holmberg zu ihrem 80. Geburtstag (Germanistische Schlaglichter 4), Göteborg 1999, S. 234 ff.; Drescher, Geistliche Denkformen (Anm. 68), S. 96; N. H. Ott, Vorläufige Bemerkungen zur Sachsenspiegel-Ikonographie, in: R. Schmidt-Wiegand (Hg.), Text-Bild-Interpretation.

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Abb. 11: Hofgerichtssiegel König Sigismunds, nach 1410 (nach Posse, Siegel (Anm. 66), Bd. II, Tafel 16, Nr. 3)

gen und das Schwert über das Bein gelegt hat. Ikonographisch entspricht die Miniatur der etwa zeitgleichen Figur des Freiburger Grafen. Analogie erbringt indessen nur Wahrscheinlichkeit und noch keine Gewissheit. Die Gebärde des Beinüberschlags wäre, wie dargelegt, allein nicht beweiskräftig genug. Ist sie es aber in Verbindung mit der Schwerthaltung? Auch im vorliegenden Fall ergibt sich die Antwort letztlich wieder aus dem Kontext. Wenn der Zweck der Vorrede „Von der Herren Geburt“ darin besteht, Auskunft darüber zu geben, ob die führenden Geschlechter nach sächsischem oder schwäbischem Recht leben und zu beurteilen sind70, dann wird man an der Gerichtsbildeigenschaft der Miniatur kaum zweifeln können.

Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, Bd. I: Textband (Münstersche Mittelalter-Schriften 55/I), München 1986, S. 42. 70 Schmidt-Wiegand, Autoren- und Kaiserbild (Anm. 69), S. 235.

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Abb. 12: Agilulf-Scheibe, mittleres Stirnteil eines Bronzehelms mit Namenszug „Agilulf“, um 600 (Museo Nazionale di Bargello, Florenz)

Schwieriger gestaltet sich die Frage bei der monumentalen, königlichen Sitzfigur am so genannten Karlsturm des Zürcher Großmünsters. Hoch über der Stadt und weithin sichtbar thront Karl der Große, das Schwert auf den Schoß gelegt.71 Seit 1233 ist der Karlskult offiziell am Chorherrenstift etabliert. Seit 1259 führen dessen Pröpste das gleiche Bild in ihrem Siegel. Die Turmfigur stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und es ist ungewiss, ob sie an die Stelle einer früheren getreten ist. Deutet zwar der Vergleich mit Freiburg und Straßburg darauf hin, dass es sich auch hier um eine richterliche Sitzhaltung handelt, so fehlt es doch an einem Kontext, der dies bestätigen würde. Trotz mehrfachen Versuchen ist es bislang nicht gelungen, das historische Umfeld der Errichtung und die damit verbundene Bildbotschaft zu ermitteln.72 Der Grund, warum man die Gebärde des übergelegten Schwertes nicht sogleich einem Richterbild zuordnen kann, liegt wie schon beim Beinüberschlag darin, dass diese von ihrem Ursprung her nicht auf die richterliche Sitzhaltung festgelegt und eingeschränkt ist. Auch hier handelt es sich nämlich zunächst

71

Abgebildet bei D. Gutscher, Das Grossmünster in Zürich, Bern 1983, S. 132. Zu Perspektiven ab Ende des 15. Jahrhunderts vgl. L. E. Saurma-Jeltsch, Karl der Grosse als Sinnbild des weisen und zornigen Richters, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 61 (2004), S. 31 ff. 72

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Abb. 13: König Saul, Utrecht-Psalter, fol. 91v (Bibliotheek der Rjksuniversiteit te Utrecht, nach Faksimile (Anm. 74))

wieder um eine allgemeine Herrscherpose, die sich allerdings dann ausdifferenzieren und mit Vorzug für richterliche Darstellungen verwenden lassen kann. Die Sitzhaltung des Herrschers mit übergelegtem Schwert ohne spezifische Fixierung hat eine lange Tradition. Bereits die so genannte Agilulf-Platte aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts, die wohl älteste Abbildung eines germanischen Herrschers, zeigt den langobardischen König auf seinem Thron mit einem über die Knie gelegten Schwert (Abb. 12).73 Gleich mehrfach findet sich diese Konstellation im Utrecht-Psalter, einer Handschrift der Reimser Schule aus dem 9. Jahrhundert, mit Herrscherbildern, vor allem solchen des Königs Saul (Abb. 13).74 73

Stirnteil eines Bronzehelms (Ausschnitt), Museo Nazionale di Bargello Florenz.

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Ein Engelberger Psalmenkommentar des Augustinus aus der Mitte des 12. Jahrhunderts lässt wiederum König Saul in gleichem Habitus in Erscheinung treten.75 Allen diesen Illustrationen ist gemeinsam, dass sie keinen gedanklichen Bezug zu einer eigentlich richterlichen Tätigkeit erkennen lassen, sondern Herrscherdarstellungen in einem ganz allgemeinen Sinn sein wollen. Es passt ins Bild, wenn der thüringische Chronist Siegfried von Balnhausen Anfang des 14. Jahrhunderts von Kaiser Karl dem Großen berichten zu können glaubt, dass dieser sich an Sonn- und Feiertagen in reiche Königsgewänder gekleidet niedergesetzt und sein Schwert über die Knie gelegt habe.76 Zusammenfassend wäre somit festzuhalten, dass die Sitzhaltung mit übergelegtem Schwert primär ein undifferenziertes Herrscher- oder Herrschaftsbild ist und erst sekundär, was aber aus dem Zusammenhang zu erschließen bleibt, als richterliche Sitzhaltung gelten kann. V. Sitzhaltung und Rollenverständnis Beinverschränkung und Schwertpräsentation sind Sitzhaltungen von Herrschaftsträgern, durch welche deren Präsenz und Potenz markiert werden soll. Letztlich handelt es sich also um körperlich-gegenständliche Machtdemonstrationen, die hier mit größerem Nachdruck zur Schau gestellt werden, als dies mit der symbolisch stärker reduzierten Stabhaltung oder dem Vorweisen eines Handschuhs zum Ausdruck kommt. Ein wesentliches Segment oder gar Merkmal von Herrschaft ist die öffentlich vorgeführte Bereitschaft und Fähigkeit, Konflikte zu lösen. Wo Befehl und Sachentscheidung zusammenfallen, ergibt sich dies von selbst. Anders stellt sich die Herrschaftspräsenz in der institutionalisierten, funktionsverteilten Gerichtsbarkeit dar, wie sie in weiten Teilen Europas etabliert war. Der Richter ist dabei nur für den Verfahrensablauf, nicht auch für die materielle Entscheidung zuständig. Dieses „nur“ wird freilich oft missverstanden, weil die moderne Sicht die Sachentscheidung höher bewertet und dem Verfahren nur eine technische und dienende Bedeutung beimisst. Eine solche Optik wird freilich der historischen Realität nicht gerecht, die zunächst und noch lange dem Verfahren den Vorrang einräumt. Denn im Ansatz kommt 74 Utrecht-Psalter, Bd. I: Vollständige Faksimile-Ausgabe der Handschrift 32 aus dem Besitz der Rijksuniversiteit te Utrecht, Graz 1982, fol. 7v, 30r, 30v, 91v; Bd. II: Kommentar von K. van der Horst/J. H. A. Engelbregt, übersetzt von J. Rathofer, Graz 1984. 75 C. Eggenberger (Hg.), Die Bilderwelt des Klosters Engelberg, Luzern 1999, S. 110. 76 „In diebus dominicis et festivis utebatur regalibus vestimentis, ornatus sedebat, gladium super genua transversum ponebat.“, O. Holder-Egger (Hg.), Sifridi die Balnhusen Compendium Historiarum (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 25), Hannover 1880, S. 694. Vgl. B. Studt, Siegfried von Balnhausen, in: Deutsche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexikon, Bd. 5, Berlin u. a. 1990–1992, Sp. 1200 ff.

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es der politischen Gewalt primär auf eine Konfliktbewältigung an, und sie stellt lediglich einen Apparat der Streitbeseitigung zur Verfügung oder garantiert einen solchen. Der Richter als Herrschaftsträger repräsentiert dieses Bewältigungsinteresse, demgegenüber sein Gerechtigkeitsinteresse bei der Konfliktlösung zurücktritt. Das zu produzierende Ergebnis kann den Beteiligten, repräsentiert durch die Urteiler, überlassen werden. Der Richter gewährleistet also „Ruhe“ im Sinne einer minimierten Aggressivität. „Sinnende Nachdenklichkeit“ oder „ruhige Überlegung“ sind nicht seine Sache. Daher widerlegt schon das Prozessmodell die seit Jacob Grimm üblich gewordene Interpretation der richterlichen Sitzhaltung. Das „Imponiergehabe“ der Herrschaftsdarstellung entfällt bei der Rolle der Urteiler oder Schöffen. Der Streit wird unter herrschaftlichem Druck oder Schutz innerhalb der Genossenschaft, d.h. der Beteiligten selbst ausgetragen. Es bedarf hier keiner besonderen, autoritätsheischenden Sitzhaltung, die über unauffälliges und wohlanständiges Benehmen hinausgeht. Das Verfahren selbst ist im Mittelalter formalisiert oder, um es bildlich auszudrücken, durch Schienenstränge mit Weichenstellungen vorgespurt. In diesem Zusammenhang mag auch der Haltung des Richters Bedeutung zukommen. Allerdings stößt man hier, wie schon bemerkt, bald an Grenzen, da Ursprung und Bedeutung des Prozessformalismus immer noch zu den Desideraten der Forschung gehören. Deshalb besteht auch keine Gewissheit, ob Herrschafts- bzw. Richterhaltungen an bestimmten Orten verbindlich waren oder wenigstens zum „Decorum“ gehörten. Fraglich bleibt ferner, ob diese Haltung an die Herrschaftsträger oder deren hochrangige Vertreter gebunden war oder ob sie sich auch von rangmäßig niederen Delegierten „angemaßt“ werden konnte. Dabei dürfte entscheidend sein, ob die Herrengeste auch später noch als solche wahrgenommen wurde oder ob sie zu einem äußerlichen Ritual verblasst war. Durch den Übergang von einer Verfahrensgerechtigkeit zu einer materiellen Gerechtigkeit verändert sich grundlegend auch das Rollenverständnis Richter/ Urteiler. Die Rolle des gefürchteten und autoritären Ordnungsstifters ist jetzt ausgespielt. Die Funktionsteilung zwischen Richter und Urteiler bleibt zwar zunächst noch bestehen, verlagert sich aber zunehmend auf eine materielle Sachverhaltsermittlung und Rechtsprechung, in die schließlich auch der Richter einbezogen wird. Das eingeübte Rollenspiel verflüchtigt sich daher zu einem translatizischen Ritual, sei es auf dem endlichen Rechtstag, sei es auf sonstigen traditionellen Gerichtstagen, wenn es nicht überhaupt verschwindet. Mit der Vorstellung einer Gerechtigkeitsverwirklichung durch die Gerichtsbarkeit treten nun auch andere, bereits vertraute Sitzmuster vermehrt in den Vordergrund. Gott als Richter im Jüngsten Gericht sitzt niemals mit verschränkten Beinen oder in einer sonstigen Imponierstellung.77 Schon für Otfried von 77 Vgl. Y. Christie, Das Jüngste Gericht, Darmstadt 2001. Bemerkenswerterweise sind die so genannten Ältesten (Offenb. 4,4) gelegentlich als Könige mit übergeschla-

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Weißenburg gilt der Weltenrichter als das Beispiel einer materiellen Instanz, die sich von den Förmlichkeiten und Risiken einer weltlichen Gerichtsbarkeit abhebt.78 Mönchtum und kirchliche Liturgie kennen ebenfalls keine Sitzweise mit gekreuzten und übergeschlagenen Beinen. Die Sitzhaltung der Geistlichen ist jedoch auch diejenige der Scholaren und graduierten Gelehrten. Der an Universitäten ausgebildete Jurist wird aber auch als Rat und Richter seine Sitzweise beibehalten. Neuere Formen von Gerichtsbarkeit knüpfen nicht mehr an ältere, traditionelle Sitzhaltungen an, und diese sinken mehr und mehr ab zum Markenzeichen antiquierter Gerichtsspektakel. Der Beinüberschlag gilt nun nicht mehr nur als anachronistisch, sondern auch als rüpelhaft und anstößig, mindestens aber als plump und unfein. Demgemäß hat sich auch im Darstellungsverständnis ein Wandel vollzogen: Während die entsprechende Abbildung eines Evangelisten beim mittelalterlichen Betrachter noch einen positiven Eindruck hinterließ79, empfand das neuzeitliche Auge die gleiche Gebärde als skandalös. Bekannt ist das Beispiel von Caravaggios „Apostel Matthäus mit dem Engel“ (1590) für San Luigi dei Francesi in Rom. Das Gemälde musste aus der Kirche entfernt werden, weil der Evangelist „mit übergeschlagenen Beinen“ dargestellt sei und weil er „die Füße auf flegelhafte Weise dem Volke entgegenstrecke“.80 Schließlich wird die Sitzhaltung des Gerichts schon im Mittelalter, vollends aber dann in der Neuzeit durch ein profanes Requisit mitbestimmt: den Tisch. Mit der Beiziehung eines Schreibers war schon bei Verhandlungen unter freiem Himmel ein Schreibertisch erforderlich geworden (Abb. 1, 2, 3). Es finden sich freilich bereits auch Belege für einen Richtertisch, z. B. das berühmte Soester Femegerichtsbild.81 Die Verlegung der Verhandlung in feste Räume ließ den Tisch als Ablage von Akten und Rechtsbüchern dann zum unentbehrlichen Möbel werden. Ratssitzungen fanden ohnehin auch als Gerichtssitzungen am Tische statt. Gleiches gilt für dörfliche Gerichte, wenn diese in der Stube abgehalten wurden. Wo Ämter sich gerichtlich betätigten, verstand es sich von genen Beinen dargestellt, in: ebd., S. 73 ff. und Abb. 39. Vgl. auch W. Schild, Bemerkungen zur Ikonologie des Jüngsten Gerichts, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 10 (1988), S. 163 ff. Der Kupferstich von Albrecht Dürer „Sol invictus“ (1498/99), dessen Interpretation kontrovers ist, fällt aus dem Rahmen; dazu Schild, Griesgrimmige Löwe (Anm. 19); ders., Sitzhaltung (Anm. 19). Vgl. ferner: W. Pleister/W. Schild, Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, Köln 1988, S. 44 ff. 78 Vgl. H. Kolb, Himmlisches und irdisches Gericht in karolingischer Theologie und althochdeutscher Dichtung, in: Frühmittelalterliche Studien 5 (1971), S. 284 ff. 79 Vgl. O. Pächt, Buchmalerei des Mittelalters. Eine Einführung, München 1984, Tafel X: Der Evangelist Johannes im Evangeliar aus St. Médard-de-Soissons (Hofschule Karls d. Gr., Anfang 9. Jahrhundert). 80 Urner-Astholz, Mosaiksteine (Anm. 46), S. 193, Tafel 4. Das Gemälde befand sich im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, wo es 1945 verbrannt ist. 81 Oft abgebildet, z. B. bei Schild, Alte Gerichtsbarkeit (Anm. 24), S. 137, Abb. 287.

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Abb. 14: Gerichtsscheibe, Gränichen/Aargau, 1694 (Historisches Museum Bern)

selbst, dass dies in der mit einem Tisch ausgestatteten Amtsstube erfolgte. Mit der Benutzung des Tischmöbels tritt nur noch der Oberkörper des Richters voll in Erscheinung, so dass die Beinhaltung gestisch obsolet wird (Abb. 14). Aber auch die Schwerthaltung, soweit überhaupt noch möglich, verliert ihren Demonstrationseffekt, und man benutzt den Tisch nun auch als Ablage für das Gerichtsschwert. Die neuzeitliche Gerichtsbarkeit kennt also, abgesehen von weitergeschleppten Traditionen, grundsätzlich keine besonderen Sitzhaltungen der Gerichtsper-

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Abb. 15: Angeklagter vor Gericht (Kupferstich von D. N. Chodowiecki, 1770 (Anm. 82))

sonen, was nicht bedeutet, dass diese nicht „Haltung annehmen“. Diese ist gravitätisch und „hoheitsvoll“ in einem allgemeinen Sinne, wörtlich „von oben herab“, was auch in der räumlichen Positionierung zum Ausdruck kommt (Abb. 15).82 Im Beamtenstaat gebührt Herrschaftsdarstellung zunächst dem Fürsten und nur beschränkt seinen Dienern. Summary Courts in general hold „sittings“. Roman law early on determined that the court sat, while the parties and their representatives stood. In medieval jurisdiction sitting down and standing up were ritual acts that marked the duration of 82 Kupferstich von D. N. Chodowiecki (1770), in: J. B. Basedow, Elementarwerk. Ein geordneter Vorrath aller nöthigen Erkenntniss, Dessau 1774, Tafel XXXIV a. Zur Wirkungsgeschichte vgl. auch H. Romer, Die „Rechtsgelehrtheit“ durchs Schlüsselloch betrachtet; oder: Wie man im bürgerlichen Winterthur die Justiz sehen wollte, in: M. Senn/C. Soliva (Hg.), Rechtsgeschichte und Interdisziplinarität, Festschrift für Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag, Bern u. a. 2001, S. 203 ff., insbes. auch Abb. 1 und 2.

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court hearings. There are few written sources on sitting postures, so knowledge of them is primarily available through iconography. At the same time the following questions arise: Are there stereotypes of judicial sitting postures in the middle ages and modern times? In so far as these can be found, can they be categorised according to particular models of explanation? Are lines of change and development visible? Whereas the posture of jurors only needs to display good manners, the way the judge sits is evidently bound by more rigid formalities. As a rule, he sits upright and holds a specific object in his hand (staff, sword, glove). In many places a particular arrangement of the legs is expected of him (legs crossed or feet crossed). Crossing the legs is primarily a gesture of authority, made by masters. It is a gesture which is also often found in other contexts. The demonstrative presentation of a sword, often in such a way that it is laid over the knees, has the same meaning. The gesture of authority is explained by the archaic and traditional role of the judge, who primarily had to guarantee the conflicting parties a hearing. The shift from the law of proceedings to substantive case law rendered the role of the authoritarian establisher of order and his gestures of power became obsolete. They were carried on as traditions only, or they disappeared altogether. As a result, in modern times the judge’s posture in court is only dignified, and no longer formal.

Du surnaturel au rationnel aux XVIIe et XVIIIe siècles Le rituel des gestes de l’épreuve du cadavre dans la procédure criminelle Par Christiane Plessix-Buisset Le 8 août 1600, le Parlement de Bretagne rend un arrêt de règlement recommandant aux juges inférieurs du ressort appelés à constater des homicides, de «présenter les cadavres des victimes aux prévenus et iceux faire toucher».1 L’étude de la pratique révèle que cet arrêt sera effectivement appliqué pendant tout le XVIIe siècle et même au-delà en Bretagne. Quel résultat espère-t-on obtenir de cette sinistre confrontation? Une telle directive très officielle de la Cour souveraine bretonne montre qu’à l’aube du Grand Siècle, on pense que la victime, par delà la mort, désignera son assassin par un signe tangible. Si le suspect ou l’accusé à qui on fait toucher les blessures du cadavre est l’assassin, les plaies se rouvriront et le sang coulera. Faut-il voir là une marque de particularisme ou d’archaïsme propre à notre province? Pour en juger, il convient d’examiner les étapes de l’évolution générale de l’épreuve telle qu’elle est tracée par les auteurs. Nous verrons ensuite l’évolution du rituel de l’épreuve tel qu’on le voit observé à travers les archives judiciaires bretonnes. I. L’épreuve du cadavre: Un moyen de preuve diversement reconnu L’expérience dite du cadavre ou du cercueil n’était pas inconnue de la procédure criminelle médiévale. Très généralement pratiquée dans l’Europe du Nord, spécialement en Scandinavie, elle se serait répandue en Allemagne, en Suisse et en Grande-Bretagne d’où elle nous serait parvenue. En France, elle s’est vraisemblablement étendue à l’époque où le caractère barbare et cruel des ordalies par l’eau et le feu les fit condamner et entraîna leur disparition (entre le XIIIe et le XIVe siècle).2 1

Parlement, 8 août 1600 (22). Arch. dép. Ille et Vilaine, 1Bg4. J.-P. Levy, La hiérarchie des preuves dans le droit savant du Moyen-Age depuis la renaissance du Droit romain jusqu’à la fin du XIVe siècle (Annales de l’Université 2

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Au XVe et au XVIe siècle, l’évolution de l’épreuve du cadavre porte essentiellement sur la place de ses résultats dans le système des preuves légales et sur sa crédibilité au plan scientifique. Or cette évolution s’avère différente selon qu’on la suit dans la doctrine ou dans la pratique. Ce sont les criminalistes italiens de la Renaissance, fondateurs3 de la théorie des indices, qui furent les premiers à affirmer que l’effusion de sang, ou cruentatio, était un indice grave suffisant pour obliger le juge à soumettre le suspect à la question. Certains comme Hippolyte de Marsiliis, celui que Damhoudère qualifiait d’«illustrissimus», se fondent sur des faits auxquels ils ont personnellement assisté4, et ils se réfèrent parfois à l’opinion des médecins. En France, des auteurs du XVIe siècle comme Jean Papon ou Jean Bodin pour étayer leur thèse généralement favorable à cet indice, recourent à des références antiques5 ou bibliques6. Lebrun de la Rochette ajoute que cette effusion de sang au contact du coupable relève même du jugement de Dieu.7 Que ces justifications soient scientifiques, philosophiques ou religieuses, elles visent toutes, chez les auteurs, à faire de la cruentatio un indice suffisant pour soumettre l’accusé à la question. Papon en fait même une règle générale, en affirmant que «sang ému de l’occis en présence de celui qui est accusé de l’homicide est un indice, et par ainsi cet indice de sang est fort à considérer comme fondé en expérience et en raison naturelle ».8 de Lyon Série 3, Droit 5), Paris 1939, chap. VI, la preuve interdite: l’ordalie, pp. 149– 159 et spécialement pp. 156–157. 3 Cf. par exemple: Paradisis de Puteo de sindicatu, vº Tortura, § Mandavit, nº 29, Tractatus tractatuum, t. VII, fol. 328; I. dei Marsili, Repertorium practical causarum criminalium, Lugduni 1542, § Diligenter, nº 181, fol. 53. 4 Hippolyte de Marsiliis relate ainsi que, alors qu’il était lui-même juge criminel, il avait fait défiler devant le cadavre de la victime d’un meurtre, tous les suspects. Quand l’un d’eux s’approcha, le cadavre se mit à saigner. L’auteur qualifie ce phénomène, dans son ouvrage, de «res mirabilis et stupenda», op. cit. ibid. 5 J. Bodin, De la Démonomanie des sorciers, Paris 1580, liv. II; chap. III, fol. 72: «Toute l’Antiquité a remarqué, et Platon l’a écrit au premier livre des loix, que les âmes des meurtriers poursuivent les meurtriers». 6 L’exemple du meurtre d’Abel par Caïn est cité par plusieurs auteurs. Un coutumier angevin du XVIe siécle, l’évoque ainsi: «Le meurtrier puit bien estre pris sanz plaintif, quand il a l’ome tué, car le sanc se plaint. Et ce nous fut sénéfié par Caïn qui tua Abel son frère, et Dieu lui dit: Caïn le sanc d’Abel ton frère que tu as tué crie à moy de la terre jusqu’au ciel». Compilatio de usibus et constitutionibus andegavis: art. 7, dans: C. J. Beautemps-Beaupré, Coutumes et institutions de l’Anjou et du Maine antérieures au XVIe siècle, Paris 1877, t. 1, p. 47. 7 C. le Brun de la Rochette, Le procès civil et criminel, contenant la méthodique liaison du droit et de la pratique judiciaire civile et criminelle, Rouen 1661, dans 4º: «Et ne peut être desnié que ce ne soit un juste jugement de Dieu, et que le sang d’un pauvre innocent massacré, comme celui du juste Abel, demande justice et vengeance contre le meurtrier». 8 J. Papon, Recueil d’Arrêts notables des cours souveraines de France, liv. XXIV, titre IX: De la question, arrêt V, Lyon 1562, p. 630.

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Ainsi, même s’il est difficile d’interpréter le silence de certains auteurs sur la question9, même si on doit relever la position dissidente d’Ayrault10, la doctrine des XVIe et XVIIe siècles confère volontiers à la cruentatio la valeur d’un indice ad torturam. Il semble bien que la pratique ait adopté cette position avec une belle unanimité. Selon Jean Bodin «les juges ont approuvé par d’infinis jugements que le meurtrier passant sur le corps mort sans le toucher, soudain la plaie saignait».11 A partir des exemples dans les régions de Bordeaux, de Lyon, de Toulouse12, il apparaît qu’il y aurait eu deux variantes dans le rituel: l’attouchement de la main ou l’enjambée au-dessus du cadavre. Parfois même l’accusé doit passer neuf fois au-dessus du cadavre, et il n’échappe à la question que si le sang n’a coulé à aucun moment. Mais au XVIIe siècle les choses vont changer. Les criminalistes commençaient déjà à douter de son bien fondé et de sa valeur. Les progrès de la médecine et du rationalisme vont conduire à la condamnation de l’épreuve par la doctrine et à son déclin dans la pratique. A cet égard, l’influence des œuvres d’Antonio Gomez13 répandues dans toute l’Europe va être déterminante. Ce savant jurisconsulte professant à Salamanque, analyse les arguments en faveur de l’expérience du cadavre, puis la condamne résolument considérant qu’elle est d’origine et de nature trop mystérieuse pour permettre une mesure aussi grave que la torture. Ainsi les auteurs italiens et français vont se rallier à cette théorie, contestant à la fois la valeur scientifique de l’expérience et la valeur d’indice ad torturam conférée à son résultat.14 Tout au plus, peut-on lui conférer la valeur d’indice «léger, incertain et trompeur». On notera que l’Ordonnance criminelle de 1670 ne fait aucune allusion à ces problèmes qui vont se poser dans les mêmes termes aux auteurs du XVIIIe siècle. Jousse ne voit dans le phénomène qu’un «soupçon des plus incertains suivant le sentiment des meilleurs physiciens et 9

Des auteurs tels que Bouteiller, Masuer, Imbert, Liset. Dans un ouvrage rédigé en Latin, P. Aerodus, Rerum ab omni antiquitate, judicatarum Pandectae, Paris 1588, Ayrault admet que l’homme assassiné peut venir tourmenter son meurtrier, mais rejette très fermement le recours à l’indice de sang. 11 Bodin, De la Démonomanie des sorciers (n. 5). 12 Cf. par exemple pour la région de Lyon, Boerius (Nicolas Boyer); pour la région de Toulouse, Tolosanus (Pierre Gregoire), 1582. 13 A. Gomez, Commentariorum variarumque resolutionum Juris Civilis Communis et regii, Genève 1662, t. III, cap. XVIII, de tortura reorum, nº 15, pp. 507–508. 14 Cf. par exemple: A. Despeisses, œuvres, t. III: Traité des crimes et de l’ordre judiciaire observé des causes criminelles, Lyon 1750; P.-J. Brillon, Dictionnaire des arrests ou jurisprudence universelle des Parlements de France (. . .), Paris 1711; M. Lange, La nouvelle pratique civile, pénale et bénéficiale ou le nouveau praticien françois, 8ième éd., Paris 1699; P. Bornier, Conférence des nouvelles ordonnances de Louis XIV, Paris 1721. 10

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des plus habiles médecins».15 C’est Rousseaud de la Combe qui, le premier, formulera une interdiction totale de l’épreuve du cadavre.16 Ainsi la condamnation progressive par les auteurs aux deux derniers siècles de l’Ancien Régime de ce mode d’investigation est certaine. Toutefois aucun d’eux ne mentionne pour autant la disparition totale de l’épreuve dans la pratique. Mais voilà qu’en Bretagne, on la retrouve en 1600, non seulement dans la pratique mais très officiellement prescrite par le Parlement dans un arrêt de règlement. II. L’épreuve du cadavre en Bretagne: Du rituel des attouchements aux observations du juge Pour respecter la consigne de la cour souveraine, il appartient d’abord au juge de déterminer qui il va devoir soumettre à l’épreuve du cadavre. En effet, les buts recherchés par la justice diffèrent selon que l’expérience est appliquée à des suspects connus ou à des individus apparemment étrangers à l’affaire, mais parmi lesquels pourrait se trouver un suspect. C’est le plus souvent à la requête du Ministère public accompagnant le juge sur les lieux du crime, qu’un sergent est spécialement chargé d’aller «perquérir» l’individu désigné par la rumeur publique. Ainsi en 1614, lors de l’assassinat d’un nommé Lépine, retrouvé mort dans un chemin, c’est le procureur du roi qui «avant que chirurgien touche et visite le cadavre, fait commandement» au sergent «d’aller quérir et amener un appelé sieur de Beauregard soupçonné d’avoir le soir passé en fin de nuit tué ledit Lépine».17 En 1639, c’est un notaire, un nommé Rivellen, qualifié déjà d’accusé, que le juge envoie chercher. De lourds indices existent déjà contre lui puisque on a retrouvé à son domicile des pièces à conviction très compromettantes: la faucille de la victime, le cordon de son chapeau, des documents et des actes qu’elle portait au moment du crime.18 Le substitut requiert alors «qu’au préalable que le corps soit enlevé ni inhumé», et sur le commun bruit de l’accusation de meurtre, amener et présenter l’accusé «pour toucher aux plaies et endroits offensés dudit corps». Ce que la justice attend de l’expérience dans de tels cas est très bien formulé par le juge de Carhaix dans l’affaire précé15 D. Jousse, Traité de la jurisdiction volontaire et contentieuse des officiaux et autres juges d’église (. . .), t. III, partie IV, titre XXI, § 2 de la preuve en matière d’homicide, p. 553, nº 171. 16 G. du Rousseaud de la Combe, Traité des matières criminelles suivant l’ordonnance du mois d’août 1670 et les Edits, Déclarations du Roi, Arrêts et Règlements intervenus jusqu’à présent, 3e éd., Paris 1744. 17 Carhaix – 28 octobre 1614, Arch. dép. I et V, 1Bn509. 18 Corlay – 28 mai 1639, Arch. dép. Côtes d’Armor, B390.

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dente. Il note en effet dans son procès verbal que le suspect doit être amené sur place «pour toucher ledit corps pour scavoir si le sang se mouveroit ou sy les playes saigneraient pour servir de preuve et d’indice ainsi qu’il appartiendra».19 On notera l’usage des termes «preuve et indice» qui ne sont pas sans évoquer la valeur d’indice ad torturam reconnue à la cruentatio au siècle précédent. Certes dans les exemples offerts par la jurisprudence bretonne on ne relève aucun cas où l’accusé ait été soumis à la question, mais il est vrai que dans aucun cas le sang ne s’est mis à couler. Il semble plus raisonnable de penser qu’en Bretagne au XVIIe siècle, l’effusion de sang ait eu plutôt valeur d’indice plus lointain et plus général qui devait être associé à d’autres éléments pour établir la culpabilité et avoir des conséquences juridiques. Tout différent est l’esprit dans lequel se déroule l’épreuve lorsqu’il n’existe aucun suspect. C’est là que la question se pose vraiment de savoir qui le juge va soumettre à l’épreuve. La réponse varie selon les cas d’espèce. Ainsi dans une affaire de 164820, c’est aux «personnes présentes trouvées sur les lieux» que le juge de Ploërmel s’adresse. Une rébellion à justice (escousse) s’était déroulée la veille au château du Gué de l’Isle où un juge, flanqué de sergents, s’était rendu sur une plainte formée contre deux frères, fermiers et habitants du château. Les choses s’étaient très vite gâtées: Les deux frères avaient relevé le pont-levis, les habitants du château, qui étaient armés, avaient réussi à résister à un véritable siège et le lendemain matin, un serviteur du château, un appelé Boyslevin, avait été retrouvé noyé dans les douves. Evidemment, ces évènements avaient mis en scène de nombreux personnages parmi lesquels rien ne désignait le coupable. Rien n’indiquait même si le malheureux n’était pas tombé accidentellement dans l’eau au cours de l’échauffourée. C’est donc à tous les antagonistes de la veille se trouvant encore sur les lieux, que le juge fait «toucher le corps alternativement». Mais le magistrat ne limite pas nécessairement le champ de ses investigations aux «personnes présentes». Quand les circonstances du crime sont inconnues, il ne peut faire appel à des témoins directs; il procède alors à l’audition des familiers de la victime et les soumet à l’épreuve du cadavre. Ainsi dans le cas de la mort d’un jeune valet, à la demande du frère de la victime, le juge convoque tous les domestiques de la maison, leur maîtresse même et ses enfants et même «un petit valet et pasteur à garder le bestail».21 En tout huit témoins auxquels il fait toucher le cadavre. Malheureusement pour nous, l’affaire s’arrête là, le dossier ne comportant pas de pièces ultérieures.

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Carhaix – 28 octobre 1614, Arch. dép. I et V, 1Bn509. Ploërmel, Le Gué de l’Isle – 5 mai 1648, Arch. dép., 1Bn568. Corlay – 4 juillet 1649, Arch. dép. Côtes d’Armor, B374.

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Quoiqu’il en soit, ce que la justice attend ici de cette épreuve, c’est un indice ou une présomption qui, à elle seule, lui permette d’engager des poursuites. Comme toute application d’un mode de preuve, l’attouchement du cadavre est entouré d’un certain nombre de règles formelles, mais le recours au surnaturel va lui donner un aspect rituel très particulier. Nul doute que dans notre province, l’approche du cadavre ne suffit pas. Le ou les suspects doivent toucher le corps en des endroits précis. On ne trouve pas, en Bretagne, d’allusion à ces sept ou neuf sauts par-dessus le cadavre, dont parlent certains auteurs.22 L’inspiration religieuse y est sans doute en revanche plus accentuée. Pourtant, aucun ministre du culte n’y assiste. Elle n’est précédée d’aucune invocation divine, ni d’aucune bénédiction du cadavre. Certes, il est difficile de ne pas penser au jugement de Dieu, à la lecture de ces rapports. Mais en Bretagne, ce qu’on attend de l’épreuve, c’est moins une manifestation de Dieu qu’un signe de la victime désignant son assassin. C’est qu’en effet dans notre province on croyait sans doute à la survie de l’âme dans l’au-delà, mais on croyait surtout à la présence du mort dans le monde des vivants, celui-ci se manifestant à eux par des signes tangibles. C’est donc sur l’observation même de ces signes que le rituel de l’épreuve va être axé. La dominante de l’expérience réside dans l’idée qu’elle doit se dérouler du plein gré de celui qui y est soumis. «A estë la playe estant sur le cadavre dudit Brient découverte et icelle fait touscher à ladite Danyel, s’y est librement accordée».23 Ce qui laisserait à penser que le consentement du témoin devait être requis, mais on peut se demander ce qui se passait lorsque le juge se heurtait à un refus du témoin de se soumettre à l’épreuve. Lorsque le cadavre porte une blessure, c’est sur la plaie elle-même que l’attouchement doit se faire: «en l’endroit, fait à ladite Lemercier touscher la plaie estant en dessous de la mamelle senestre dudit cadavre».24 Si le cadavre ne comporte aucune plaie apparente comme celui du noyé du Gué de l’Isle, le juge le fait toucher «tant sur l’estomacq qu’allantour du col et face».25 D’après les rapports, le juge porte beaucoup d’attention aux particularités du geste qui est, semble-t-il, toujours effectué de la main droite, de la main qui prête serment, la main qui ne doit pas mentir. Ainsi Rivellen, à qui le juge de Corlay commande de toucher les plaies des jambes de la victime «les a libre22 E. Jobbe-Duval, Les idées primitives dans la Bretagne contemporaine. Essai de folklore juridique et d’histoire générale du droit, Paris 1920. L’auteur signale (2e partie, p. 440) que dès le XIVe siècle en Allemagne, contrairement à ce qui se passait en France, «l’accusé s’approchait du cercueil, s’agenouillait, jurait son innocence, et posait les doigts sur le cadavre, ou même les lèvres en Bavière». 23 Corlay – 4 juillet 1649, Arch. dép. Côtes d’Armor, B374. 24 Ibid. 25 Ploërmel, Le Gué de l’Isle – 5 mai 1648, Arch. dép., 1Bn568.

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ment à main ouverte touschées et couvertes de sadite main». L’une des servantes invitées à toucher le corps du valet assassiné, est dite l’avoir «franchement touché et pesé sa main droite sur icelle playe». Une autre au contraire semble avoir hésité «elle y a touché du doit et puis de la main droite».26 Ainsi minutieusement réglée, l’expérience doit permettre au juge de faire ses observations sur son résultat positif ou négatif. Malheureusement pour nous, sinon pour les accusés, aucun des procès verbaux en notre possession ne fait état des résultats positifs, c’est à dire d’une effusion de sang. Le juge enquêteur, dans ce cas, ne peut donc que prendre acte de l’absence d’effets tangibles des attouchements: «après quoy, et ayant fait lever et ayant exactement regardé lesdites playes, n’y avons remarqué auchun changement ny esmotion». Au château du Gué de l’Isle, le juge mentionne dans son procès verbal, que du cadavre de Boyslevin, «n’a sorty auchun sang ny eau du corps ny vissaige d’iceluy».27 Mais les constatations du juge ne portent pas seulement sur le cadavre de la victime; elles portent aussi sur le suspect soumis à l’expérience. Il s’agit de guetter chez lui un tremblement de la main, un signe d’émotion sur son visage. Ainsi, lorsque le juge de Corlay fait toucher les plaies de Brient à Claude Houssaye, il mentionne bien: «n’avons remarqué auchuns changemens en ladite playe ni en ladite Houssaye». Et lorsqu’il soumet la fille de la maison à la même expérience, il ajoute que celle-ci s’est déroulée «sans qu’il y ait paru auchune émotion ny changement de part n’y d’autre».28 Par de telles observations, on quitte le domaine du surnaturel. Il ne s’agit plus de demander à la victime de désigner de l’au-delà son meurtrier. Il s’agit de voir si cette terrible confrontation ne provoque pas chez celui-ci une émotion, un choc psychologique qui puisse se traduire physiquement et s’observer objectivement. On entre là dans le domaine du rationnel et du scientifique. Envisagée sous cet angle, elle va pouvoir satisfaire les esprits rationnels du temps. C’est sans doute parce qu’elle a évolué dans ce sens qu’elle va pouvoir se perpétuer aussi longtemps en Bretagne. En effet, même si on ne lui accorde sans doute plus le même crédit ni surtout la même valeur juridique, elle est encore appliquée à la fin du XVIIe29 et même dans la deuxième moitié du XVIIIe siècle30. 26

Corlay – 4 juillet 1649, Arch. dép. Côtes d’Armor, B374. Ploërmel, Le Gué de l’Isle – 5 mai 1648, Arch. dép., 1Bn568. 28 Corlay – 4 juillet 1649, Arch. dép. Côtes d’Armor, B374. 29 Ibid. 30 Un récit apparemment très crédible d’un curé d’une paroisse du Finistère fait état de l’application de l’épreuve en 1680 à Plonévez Porzay où «l’on fit venir tous les paroissiens pour toucher le cadavre», dans: Bulletin de la Société archéologique du Finistère 21 (1894). 27

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La croyance dans cette manifestation de la victime pour désigner son meurtrier aux vivants se perpétuera même, jusqu’à nos jours, de façon anecdotique. Il suffit de lire ce passage des Légendes de la Mort d’Anatole Le Braz qui écrivait encore en 189331: «Lorsqu’une personne a été assassinée, si l’assassin entre dans la pièce où est déposé le corps, ou même simplement passe dans la rue devant le seuil de la maison, les blessures du cadavre se rouvrent et se mettent à saigner abondamment ».32 C’est donc bien que l’épreuve du cadavre, empruntée à une longue tradition juridique, correspondait encore à cette mentalité bretonne sensible aux manifestations d’un univers surnaturel et merveilleux appliquées même à la justice. Zusammenfassung Am 8. August 1600 erließ das Parlament der Bretagne ein Grundsatzurteil, das von den untergeordneten Richtern in Mordfällen verlangt, „die Leiche des Opfers den Beschuldigten zu präsentieren und diese aufzufordern, sie zu berühren“. Diese hochoffizielle Anordnung des souveränen Gerichts zeigt für den Beginn des 17. Jahrhunderts, dass man vom Opfer – obwohl es zu diesem Zeitpunkt schon tot war – erwartete, seinen Mörder durch ein greifbares Zeichen zu identifizieren. Wenn der Verdächtige oder Angeklagte, den man die Wunden hatte berühren lassen, der Mörder war, öffnete sich die Wunde erneut und begann zu bluten. Dieses Experiment an der Leiche oder am Sarg ist im Prozesswesen des europäischen Mittelalters nicht unbekannt. Der Beitrag wendet sich den Fragen zu, ob der augenscheinliche Beweis in der bretonischen Praxis des Grand siècle tatsächlich angewendet wurde und welche Bedeutung die Richter den Ergebnissen beigemessen haben – zu einer Zeit, als sich das System der legalen Beweise erst etablierte. Die bretonische Praxis legt dabei eine Interpretation der Verhältnisse nahe, die sich als eine Form von Partikularismus oder von Anachronismus deuten ließe. Wenn man sich die Entwicklung des Rituals dieser Art von Beweis in den jeweiligen Fällen anschaut, die wir in den juristischen Archiven der Bretagne finden, beobachtet man insgesamt eine interessante Entwicklung: diejenige vom Übernatürlichen zum Rationalen, sogar bis an die Grenze des Wissenschaftlichen.

31 En 1729 et 1752, les juges de Chateauneuf du Faou dans le Finistère, soumettent encore le suspect à l’épreuve du cadavre, loc. cit. ibid. 32 A. Le Braz, La légende de la mort chez les Bretons armoricains, 3ième éd., 2 vol., Paris 1912, t. 2, p. 2.

Les arrêts de règlement rendus en robes rouges Par Virginie Lemonnier-Lesage Au-delà de leur activité judiciaire, les parlements – Parlement de Paris et parlements de province – participent à l’activité législative du royaume. Le roi ne peut tout voir; il ne peut tout savoir des besoins de ses provinces. Par ailleurs les lois du roi, les ordonnances, ne peuvent sans risquer de se dévaloriser, se perdre dans trop de détails. Le roi délègue par conséquent, à ses cours souveraines, le pouvoir de rendre des arrêts de règlement.1 De formes diverses, touchant d’innombrables domaines – la police générale, la voirie, la santé, la mendicité, l’approvisionnement, l’administration de la justice, le droit privé dans une moindre mesure, etc., ces arrêts vont poser des règles générales qui s’imposeront, à l’avenir, à la population, comme aux juges du ressort, tant que le roi n’a pas émis d’avis contraire. Parmi ces arrêts2, certains tiennent une place singulière: les arrêts de règlement rendus en robes rouges. La robe est le symbole du monde judiciaire.3 Elle souligne le caractère sacerdotal de la mission du magistrat.4 1 F. Olivier-Martin, Les lois du roi, Paris 1988, p. 163: «Tous les faits établissent qu’au XIVe siècle, le roi a travaillé avec ses diverses cours souveraines et pris en leur sein des actes législatifs par un glissement inévitable, il a été amené à autoriser ses cours à faire des règlements de détail sur les questions de leur compétence. Ces pratiques sont à l’origine des arrêts de règlement des derniers siècles». 2 Certains arrêtistes, comme J.-B. Denisart, Collection de décisions nouvelles et de notions relatives à la jurisprudence actuelle, t. I, Paris 1763, p. 161, assimilent les arrêts en robes rouges aux arrêts de règlement; d’autres, comme A. F. Prost de Royer, Dictionnaire de Jurisprudence et des arrêts, t. VI, Lyon 1783, p. 679, considèrent qu’ils «ne doivent pas avoir l’autorité de l’arrêt de règlement, quelque respectables qu’ils soient par ailleurs». A la lecture des archives parlementaires il apparaît clairement que tous les arrêts de règlement ne sont pas rendus en robes rouges et que tous les arrêts en robes rouges ne sont pas des arrêts de règlement, mais il existe bien certains arrêts de règlement rendus en robes rouges. Ce sont ces arrêts qui feront l’objet de notre étude. 3 O. Chaline, Du Parlement de Normandie à la Cour d’appel, 1499–1999, Rouen 1999, p. 105: La dignité du magistrat «est d’abord manifestée par sa robe»; «la robe affirme la majesté royale». Dans son discours de rentrée de la Saint-Martin 1615, André de Nesmond, premier président du Parlement de Bordeaux, s’interroge sur l’opportunité de la robe puisque la justice «désire que toutes choses luy soyent nues, descouvertes et exposées, sans voyle, robbe ny desguisement»; la justice revêtira pourtant la robe «pour l’honnesteté et la pudeur de son sexe», in: F. T. de Nesmond, Remontrances, ouvertures de palais et arrests prononcez en robes rouges par Messire

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Le rouge est le symbole de la puissance, du prestige5, et par-là, de la souveraineté6. Les magistrats, en revêtant cet habit – la robe rouge –, revêtent la dignité royale. Dès le Moyen-âge, le roi remet à ses conseillers des habits semblables aux siens.7 En 1610, le premier président du Parlement de Normandie, Faucon de Ris, déclare aux conseillers du Parlement: «Images vivantes de la divinité parlant par leur bouche, ceux qui exercent la justice et prononcent les arrestz intitulez au nom des roys, sont commis par le roi et assis en son lieu pour exercer sa principale fonction qui est de rendre la justice nous portons ses robes, ses manteaux, et ses mortiers qui sont les habillements et les couronnes des anciens rois (. . .)».8 André de Nesmond, seigneur de Chezac, premier président du Parlement de Bordeaux, Poitiers 1617, p. 439. On retrouve cette idée que la robe est un artifice dans la pensée marxiste, cf. P. Stouchka, Le droit soviétique, Moscou 1922: «Le droit (. . .) doit être débarrassé de ses artifices (les jugements et les robes) destinés à masquer aux yeux crédules sa réalité de classe». Nous devons cette référence au professeur J.-P. Massias, qu’il en soit ici vivement remercié. 4 E. Caude, Le Parlement de Normandie, Ve centenaire du palais de justice de Rouen, Rouen 1999, p. 120: «La robe consacre la vocation à part du magistrat: elle le distingue du reste de ses concitoyens et confère à sa mission les caractéristiques d’un sacerdoce». 5 M. Pastoureau, Morales de la couleur: le chromoclasme de la Réforme, in: P. Junod/M. Pastoureau (ed.), La Couleur: Regards croisés sur la couleur du Moyen Age au XXe siècle, Actes du colloque organisé par P. Junod et M. Pastoureau à l’Université de Lausanne, les 25–27 juin 1992, Paris 1994, pp. 27–46, p. 31, n. 10: «En français, en allemand, en anglais, le mot rouge est abondamment utilisé pour traduire les mots qui dans le texte grec ou hébreux ne renvoient pas à une idée de coloration mais à une idée de richesse, de force, de prestige, de beauté ou même d’amour, de mort, de sang, de feu». 6 Caude, Le Parlement de Normandie (n. 4), p. 120: «Composante du cérémonial, doté d’une forte valeur emblématique et même héraldique par l’emploi des couleur, le costume est un signe extérieur de reconnaissance. La couleur rouge, celle de la souveraineté, rappelle la mission consentie par le roi, tandis que le détail vestimentaire reflète le niveau hiérarchique ». 7 J. Boedels, Les habits du pouvoir: La justice, Paris 1992, p. 57: «Au Moyen Age, la tradition voulait que le roi, chaque année à l’ouverture du Parlement ou à l’occasion de la création d’un nouveau parlement de province, donnât au président et à ses conseillers des robes de palais semblables à la sienne»; M. Rousselet, Histoire de la magistrature française des origines à nos jours, t. I, Paris 1957, p. 325: «Dans l’ancienne France, l’idée qui domine en ce qui concerne les parlements c’est que l’habit des magistrats est le même que celui des rois. On matérialisait ainsi le principe suivant lequel la justice est l’attribut essentiel des souverains, et lorsque le roi délègue aux magistrats le soin de la rendre, ceux-ci doivent avoir les mêmes habits que lui. «L’habit de MM les présidents estoit le vray habit dont estoient vestus leurs majestez». Selon La Roche Flavin, le parlement «est un vrai portrait de sa majestez ». C’était d’ailleurs des vêtements non seulement semblables à ceux des rois, mais c’était souvent les mêmes, car annuellement, dans les temps anciens, les souverains donnaient leurs costumes aux conseillers (. . .). Seuls, les membres des cours souveraines avaient le droit à la robe rouge». 8 Cité par A. Floquet, Histoire du Parlement de Normandie, t. I, Rouen 1840, p. 480. Cf. Boedels, Les habits du pouvoir (n. 7), p. 20: «Pour permettre au justiciable

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La Roche Flavin nous dit «que lhabit donné par les roys aux chefs et présidents des parlements estoit le vray habit, dont estoient vestus leurs majestés; c’est (sic) habit leur ayant esté donné afin qu’estans habillés comme le roy on creust que les arrests quils donnoyent estoyent arrests du roy; et eussent pareille authorité que ceux qui estoyent prononcés par le roy».9

Les arrêts rendus en robes rouges ont donc une importance toute particulière. Les juristes contemporains de ces arrêts ou les historiens d’aujourd’hui ont parfois une vision réductrice de l’arrêt rendu en robe rouge. Certains, comme Denisart, limitent les arrêts en robes rouges aux arrêts prononcés lors des audiences solennelles de rentrée. D’autres, à l’exemple de Boucher d’Argis qui, dans son article de l’Encyclopédie vº Arrêt, distingue les arrêts en robes rouges des arrêts de règlement10, voient dans ces arrêts en robes rouges les seuls arrêts qui viennent confirmer solennellement une jurisprudence. Nous rencontrons effectivement, prioritairement, ces deux premières catégories d’arrêts. Pourtant, elles ne sont pas les seules à représenter nos arrêts de règlement rendus en robes rouges et si l’on se penche sur les archives judiciaires ou sur les manuels des arrêtistes, on constate, au contraire, que l’arrêt en robe rouge est utilisé dans des circonstances multiples. On le rencontre le plus fréquemment, c’est vrai, dans le cadre du déroulement normal de la justice: La robe rouge est alors souvent le symbole de la solennité dont on veut marquer l’arrêt. Mais la robe rouge se porte également en période de crise; elle prend certainement alors une autre signification. L’arrêt est d’importance. Il doit rencontrer une large audience; il en va de l’autorité d’un Parlement qui dépasse parfois le cadre de la mission déléguée par le roi. La robe rouge est alors le symbole de la souveraineté.

de reconnaître la juridiction royale, les signes vestimentaires de la majesté souveraine furent déclinés sur le costume utilisé par le roi au moment de son sacre, de ses entrées dans les villes (. . .) ou posé sur l’effigie mortuaire le représentant au moment des funérailles royales. Le costume du magistrat fut ainsi un rappel du costume royal: le manteau rouge symbolisait le manteau de chevalier remis au roi avant le sacre, le mortier ceint d’un ruban doré, la couronne royale». 9 B. de La Roche Flavin, Treize livres des parlements de France, Genève 1621, liv. X, chap. XXV, p. 793. 10 Les premiers sont des «arrêts que les chambres assemblées avec solennité, et dans leurs habits de cérémonie, prononçaient sur des questions de droit dépouillées de circonstances pour fixer la jurisprudence sur ces questions». Et les seconds sont «ceux qui établissent des règles et des maximes en matière de procédure».

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I. La robe rouge, symbole de solennité C’est essentiellement cet aspect qui est perçu par les arrêtistes ou les jurisconsultes de l’Ancien droit. Le dictionnaire de Trévoux le rappelle: «On appelle arrêts en robes rouges des arrêts rendus solennellement, les juges étant en robes rouges»11 et c’est cette solennité de la robe rouge qui est souvent sollicitée. Les magistrats profitent parfois de l’occasion d’une audience solennelle pour lire ou prendre un arrêt de règlement. L’apparat donnera un poids tout particulier à l’arrêt rendu. Mais la robe rouge peut également être spécialement revêtue et c’est l’occasion pour la Cour de rendre un arrêt de principe par lequel elle fixe une jurisprudence jusque là hésitante ou par lequel elle entend établir une règle nouvelle. 1. La robe rouge, symbole de la solennité de certaines audiences La séance de rentrée des parlements, lors de la saint Martin d’hiver, se fait en robes rouges. Tous les conseillers revêtent alors cet habit d’apparat et, après avoir entendu la messe du saint Esprit qui prendra le nom de messe rouge12, siègent, toutes chambres assemblées. La solennité est maintenue pour la première audience qui suit la rentrée; les conseillers y portent robes et chaperons rouges.13 C’est devant cette assemblée solennelle, que le premier président du Parlement peut choisir de prononcer solennellement certains arrêts généraux14 – 11 Dictionnaire universel françois et latin vulgairement appelé dictionnaire de Trévoux, t. VII, Paris 1771, p. 397, vº Robe. Rousselet, Histoire de la magistrature (n. 7), t. I, p. 332: «Le costume officiel des Premiers Présidents était celui des anciens barons et chevaliers. Ces hauts magistrats portaient, lors des grandes audiences, une robe écarlate doublée d’hermine, et par dessus la robe et séparée d’elle, des épitoges d’hermine ainsi qu’un manteau d’écarlate doublée de vair où leurs armes étaient appliquées. (. . .) Quant aux Conseillers laïcs et aux Gens du roi, ils n’avaient pas droit au manteau fourré d’hermine, mais seulement au manteau de laine rouge à larges manches, orné de velours». 12 Boedels, Les habits du pouvoir (n. 7), p. 62: «La tradition rapporte qu’Arnaud de Corbie, qui devint chancelier en 1405 en a eu la paternité. (. . .) La présence des magistrats et la solennité du moment puis la désignation au grand siècle de «messe rouge» (. . .) justifièrent dès le XVIe siècle le port de la robe rouge». 13 La Roche Flavin, Treize livres (n. 9), liv. IV, art. CXLIV, p. 399: «A la première des quelles (audiences) après la saint Martin par délibération du 20 novembre 1531, fut dit que les conseillers qui s’y trouveroyent, porteroyent les robes et chaperons rouges, comme aux entrées de la saint Martin, ce que despuis a esté observé». 14 P. Payen, Les arrêts de règlement du Parlement de Paris au XVIIIe siècle, Thèse Paris II 1993, p. 658: «La prononciation en robes rouges était une prononciation très

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la prononciation15 étant alors dépouillée des faits et circonstances de la cause – ou donner ses arrêts de règlement. Nous rencontrons un tel exemple dans les registres du Parlement de Normandie. Alors que le président du Parlement tenait la chambre des vacations, se présente maître du Fäy pour être reçu «à l’estat et office de vicomte». La question se pose alors de savoir s’il faut le recevoir en longue ou courte robe. Le président fait état d’un ancien règlement fait par la cour, en sa grand’chambre, «portant que à l’advenir les vicomtes seront tenuz se présenter pour estre receuz et exercer en longue robbe». Le président interroge pourtant les registres du Parlement qui révèlent une pratique fluctuante; lui-même contrevient au règlement en recevant du Fäy en courte robe mais prévoit de soumettre la question «à la court à la saint Martin pour y estre donné ung règlement certain les chambres assemblées afin qu’à ladvenir il soit suivy, gardé et observé». Les chambres assemblées rendront un arrêt de règlement en robes rouges pour confirmer le règlement de la grand’chambre.16 La robe rouge est aussi revêtue la veille ou surveille des grandes fêtes religieuses qui, au Moyen Age, rythmaient les sessions du Parlement.17 Là encore c’est l’occasion pour la cour souveraine de marquer son arrêt de règlement d’une plus grande solennité: La veille de Notre-Dame d’août 1575, le président Séguier rend un arrêt en robes rouges qui étend au dépôt l’ordonnance de Moulins de 1566, exigeant que les actes importants soient passés par écrit devant notaire. La solennité est largement rappelée: «La cour mesme a jugé par son arrest solennel que l’ordonnance avoit lieu en cas de dépost. C’est (sic) arrest touchant le dépost est fort solennel et rend l’ordonnance beaucoup plus favorable et recommandable avec une grande force et équité qu’il recognoit en elle».18 L’avocat arrêtiste Anne Robert rapporte encore des arrêts rendus en robes rouges «à la feste de la Pentecoste »19 ou «le vendredy avant Noël»20. Ces arrêts répondent à la définition de Denisart pour lequel «Les arrêts rendus solennelle de certains arrêts généraux. (. . .) Pour ce faire, sur l’initiative de la chambre auteur de l’arrêt, toutes les chambres étaient convoquées (. . .)». 15 Les prononciations civiles seront abolies par l’ordonnance de 1667. 16 A.D.S.M., 1B 139, f. 5, 14 nov. 1616: «(. . .) est passé et arresté que suivant les règlementz précédentz ceulx qui seront pourveuz des estats de vicontes seront tenuz se présenter en robbe longue pour estre receuz avec examen, exercer et tenir leur jurisdiction en robbe longue au principal siège du bailliage où ils seront pourveuz». 17 G. Deteix, Les arrêts de règlement du Parlement de Paris, Thèse Paris 1930, p. 20: «Cette solennité et ces robes rouges revenaient à dates fixes: surveille des grandes fêtes de Pâques, Pentecôte, Toussaint et Noël, en souvenir du temps où le Parlement tenait ses sessions précisément au moment des fêtes». 18 A. Robert, Quatre livres des arrests et choses jugées par la court. Mis en françois par M.G.M.D.R., Paris 1611, p. 316. 19 Ibid., p. 292. 20 Ibid., p. 26.

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en robes rouges (. . .) cités dans plusieurs auteurs, ne sont autres que des arrêts de règlement qui se prononçaient anciennement d’une manière solennelle la veille des grandes fêtes».21 Au-delà de cette définition réductrice de Denisart la cour pouvait, indépendamment de ces jours de rentrée et de fêtes, siéger en robes rouges lorsque l’importance de la décision l’imposait, lorsque la cour souhaitait rendre un arrêt de principe. 2. La robe rouge, symbole de la solennité des arrêts de principe Pour certains arrêtistes et pour nos auteurs contemporains seuls ces arrêts de principe relèvent de la catégorie des arrêts en robes rouges.22 C’est par exemple la définition donnée par le dictionnaire de Trévoux pour lequel arrêts en robes rouges sont «ceux qui se prononçaient autrefois avec cérémonie et avec certaines solennités sur des questions dépouillées de circonstances pour servir de règle et de maxime à l’avenir, pour fixer la jurisprudence sur ces questions».23 Et pour ces arrêts de principe, certains auteurs parlent d’arrêts «en forme de règlement ».24 Il s’agit pour les conseillers du Parlement de dégager une règle générale, qui s’appliquera désormais à tous, à partir d’un cas d’espèce qu’ils ont à trancher.25 21

J.-B. Denisart, Collection de décisions nouvelles (n. 2), t. I, p. 124, vº Arrest,

§ 15. 22 A. Lefebvre-Teillard, Naissance du droit français: l’apport de la jurisprudence, in: Droits 38 (2003), pp. 78–79, définit les arrêts de principe: «Ce sont ceux que les recueils des arrêtistes qualifient d’arrêts célèbres, notables, généraux (. . .) ou encore d’arrêts en robes rouges parce que, souvent, ils étaient prononcés solennellement la veille ou l’avant-veille des grandes fêtes à l’occasion desquelles les magistrats revêtaient leurs robes rouges». 23 Dictionnaire de Trévoux (n. 10), t. I, p. 523, vº arrêt. 24 P. Payen, Les arrêts de règlement du Parlement de Paris. Dimension et doctrine, Paris 1999, p. 118, évoque la définition de l’avocat Bert de la Bussière: Cette «catégorie, (. . .) ancienne et couverte par l’autorité des (. . .) arrêtistes, (. . .) fut jadis représentée par les arrêts en robes rouges, (elle) concerne les arrêts qui «se publient sur les lieux où le Parlement croit nécessaire de corriger un abus ou de fixer la Jurisprudence; mais ce ne sont point là de vrais règlements, ce sont des décisions générales en forme de règlement, ainsi nommées, à cause qu’elles imitent le règlement par les injonctions, les défenses et la publicité », (BN, coll. Joly de Fleury, ms. 606, f. 11). Ces arrêts (. . .) ne créent pas, mais renouvellent, précisent et appliquent les lois du roi». 25 A. Rigaudière, Introduction historique à l’étude du droit et des institutions, Paris 2005, p. 518, évoque les arrêts de règlement donnés à l’occasion d’un procès. A cette occasion le Parlement peut souhaiter combler un vide ou fixer définitivement sa jurisprudence: «Dans toutes ces hypothèses, il érige alors en véritable règlement l’arrêt purement judiciaire ainsi élaboré. En raison (de) son importance, la décision est toujours prise dans des circonstances solennelles. Président et juges revêtent alors la robe rouge et convient tous les avocats à assister à la séance. D’où le qualificatif d’ «arrêt

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Ou bien, ils se heurtent à un vide juridique qu’ils entendent combler; ou bien ils sont face à une jurisprudence hésitante ou naissante qu’ils entendent fixer. L’arrêt prononcé en robes rouges peut n’être qu’un arrêt d’espèce isolé pour lequel les juges sont confrontés à une question nouvelle. François Théodore de Nesmond nous donne en 1617 une édition des arrêts prononcés en robes rouges par son père, premier président du Parlement de Bordeaux.26 Le premier arrêt présenté, à propos de la location d’une maison «infestée des Esprits», est rendu en robes rouges car, précise la cour, elle rend son arrêt «selon que l’importance de la matière le requéroit et la nouveauté de la question non encore décidée que l’on sçache par arrest des cours souveraines».27 Il s’agit là d’une matière à réglementer. Même si la cour est saisie pour un cas d’espèce – le paiement du loyer d’une maison «inquiétée depuis la contagion de la peste» par quelque esprit maléfique –, elle peut envisager de rendre un arrêt de règlement dont la solennité exige la robe rouge. En l’occurrence pourtant, il ne s’agit pas d’un arrêt de règlement définitif mais simplement d’un arrêt avant dire droit qui appointe les parties à rassembler les preuves nécessaires à leurs allégations sous quinzaine. L’importance et la généralité de la cause à juger est encore mise en avant dans le deuxième arrêt reproduit par de Nesmond, mais il s’agit là de l’argumentation du demandeur: «pour ses raisons le demandeur en requeste disoit que cette cause estoit bien importante pour tous les seigneurs qui ont des tiltres maritimes, n’estant pas seulement question d’une pièce d’ambre gris ains par suite conséquence et raison de tous les droicts et profit de fief qui se peuvent percevoir au rivage, sur tous les fruicts quelconques d’une grande et vaste mer».28

Mais cette fois encore la cour va rendre un arrêt avant dire droit exigeant du demandeur qu’il fasse «apparoir du fait par luy mis en avant», après avoir déclaré le fait recevable «selon quil avoit autrefois esté receu en pareil cas és autres cours souveraines». Nesmond rapporte deux autres arrêts, arrêts définitifs cette fois ci, qui ne tranchent que des litiges entre particuliers – un arrêt sur l’évaluation d’une monnaie et un arrêt sur le droit de servitude –, arrêts qui ne paraissent pas dégager une règle nouvelle. Mais parce que l’arrêt est prononcé en robes rouges, l’arrêtiste en tire pour conséquence qu’il s’agit d’un arrêt de principe. Même démarche chez l’arrêtiste Anne Robert. Il présente un arrêt prononcé en en robe rouge» donné à ce genre de sentence». Cf. également B. Beigner, Les arrêts de règlement, in: Droits 9 (1989), pp. 45–55, p. 47: «L’arrêt en rouge pouvait être une manière d’élever au rang de loi un principe général tiré d’un cas particulier ». 26 De Nesmond, Remontrances (n. 3). Rien dans l’avant-propos de l’auteur ne nous permet de savoir s’il a répertorié de façon exhaustive les interventions en robe rouge des magistrats bordelais, vraisemblablement pas. 27 Ibid., p. 623, arrêt du 25 mars 1595. 28 Ibid., pp. 602–603, arrêt du 6 avril 1599.

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robes rouges contre les héritiers du sieur de la Barre. L’arrêt semble vraiment ne trancher qu’un cas d’espèce – la désignation d’un exécuteur testamentaire – et l’arrêtiste souligne les motifs particuliers à l’affaire qui ont conduit la cour à prendre sa décision – la probité du prêtre désigné. Pourtant l’arrêt, nous dit Robert «feust prononcé solemnellement en robbes rouges et tient on que les arrests ainsi prononcez font une loy généralle ».29 De la même manière un arrêt du 22 décembre 1576 est prononcé entre particuliers, mais il l’est en robes rouges et l’arrêtiste en fait un arrêt de règlement et dégage une règle, posée comme un principe: Une fille ne peut revenir sur sa renonciation à la succession future de son père sous prétexte de minorité et de lésion.30 Certains de ces arrêts de règlement, rendus en robes rouges, auront une destinée toute particulière et seront intégrés à la coutume. Ainsi l’article 555 de la nouvelle coutume de Bretagne, touchant les partages nobles, est-il rédigé à partir de l’arrêt d’avril 1575 prononcé en robes rouges par monsieur le président de Lefrat.31 Pour tous ces arrêts, pas d’allusion à une jurisprudence hésitante ou naissante. C’est, par contre, le cas d’un arrêt de principe, rendu en 1566: La succession d’un homme tué par son frère appartient au plus proche héritier à l’exclusion du fisc; l’arrêt est donné «contre le sieur de Nemours lequel comme seigneur de Bray sur Seine prétendoit les biens iure fisci et fut l’arrest prononcé en robes rouges (. . .) ce que la cour a ordonné par cest arrest au faict d’un frère lequel a tué son frère, auparavant, elle avoit par deux arrests iugé le semblable en la personne d’un parricide ».32

Anne Robert mentionne encore, «par quelques arrests la cour a réduit les contracts pignoratifs à la nature des rentes constituées»; cette jurisprudence est confirmée par un «arrest prononcé en robbes rouges à la feste de la Pentecoste 1580 entre le sieur Serrant et dame Marie Godin».33 29 Robert, Quatre livres des arrests (n. 18), p. 26: «La cour condemna les héritiers de bailler et délivrer à Maevius prestre, la somme de deniers qui avoit esté laiguée et ordonnée pour estre les deniers par luy de bonne foy distribuez selon et ainsi que le testateur luy avoit enchargé. Cest arrest feust prononcé solemnellement en robbes rouges et tient on que les arrêts ainsi prononcez font une loy généralle. Toutefois il est bien vray que la prud’homie et probité notoire du prestre Maevius, qui estoit esloignée de tout mauvais soubçon servit grandement et peut estre fut le principal motif de l’arrest». 30 Ibid., p. 264. 31 P. Hévin, Arrests du Parlement de Bretagne pris des mémoires et plaidoyers de feu maître Sébast. Frain, 3ème éd., Rennes 1684: «Sur l’art. 567 (de la coutume de Bretagne, le commentateur d’Argentré) traite la question du procez des de Larlan lors pendant, qui après plusieurs partages d’opinions fut décidé par arrest du mois d’avril 1575 prononcé en robes rouges par monsieur le président de Lefrat dont on fist l’article 555 de la coustume nouvelle». 32 Robert, Quatre livres des arrests (n. 18), p. 457, n. 2.

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Guyot préconise que cet arrêt en robes rouges, qui doit venir confirmer une jurisprudence, soit pris les chambres assemblées afin qu’il n’y ait pas, à l’avenir, de divergences entre les différentes chambres.34 Il rappelle un incident survenu au Parlement: «La grand’chambre ayant choisi, en 1626, un arrêt donné en la première chambre des enquêtes, contre la validité des testaments olographes en pays de droit écrit, pour le prononcer en robes rouges, messieurs de la cinquième lui députèrent deux conseillers, pour lui remontrer que cet arrêt étoient contraire aux anciennes maximes et protester qu’elles leur serviroient toujours de règle dans toutes les occasions qui se présenteroient ».35

Il faut bien sûr préciser que tous les arrêts entre particuliers qui donnent lieu à un arrêt de règlement rendu par la cour ne sont pas prononcés en robes rouges.36 Pour tous ces arrêts de règlement – ceux rendus pendant les audiences solennelles, ceux qui permettent de dégager une règle nouvelle ou ceux qui fixent une jurisprudence –, la solennité de la robe rouge se transmet à la décision ellemême. Mais cette solennité ne semble pas toujours suffire. Revêtir la robe rouge est parfois un acte de souveraineté. II. La robe rouge, symbole de souveraineté Au-delà de la solennité, c’est parfois la souveraineté de la robe rouge qui est revendiquée lorsque les circonstances l’exigent. Le Parlement éprouve le besoin de mettre en avant l’autorité royale qui lui a été déléguée. Parfois encore, le Parlement va plus loin et les parlementaires se drapent dans leurs robes rouges pour se prévaloir d’une souveraineté consubstantielle à celle de la royauté.

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Robert, Quatre livres des arrests (n. 18), p. 457, n. 2. J. N. Guyot, Répertoire universel et raisonné de jurisprudence civile, criminelle, canonique et bénéficiale, t. I, Paris 1784, vº Arrêt, p. 627: «Nous disons que ces règlements (arrêts de règlement) doivent se faire dans l’assemblée de toutes les chambres; et en effet, comme aucune de ces chambres n’a autorité sur les autres, elle ne sauroient les lier par aucune décision sans leur consentement, ou du moins sans qu’elles aient été consultées». 35 Ibid., p. 627. 36 Pour un exemple parmi beaucoup d’autres: A.D.S.M., 1B 190, f. 322r, 14 août 1657: Le Parlement de Normandie profite d’un litige qui oppose les marchands de cidres et les échevins pour rendre un arrêt de règlement (sans robe rouge) qui délimite les places de chaque marchand pour vendre sur les quais de la Seine. 34

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1. La robe rouge, symbole de la souveraineté royale déléguée Le Parlement participe à la fonction législative déléguée par le roi. Il participe, par délégation, à la souveraineté royale en prenant des arrêts de règlement. Pour le jurisconsulte Froland, «il ne faut pas faire de grands efforts pour persuader qu’on doit avoir du respect pour les arrests et règlemens de la cour comme elle représente la personne du Prince régnant à qui nous devons une soumission parfaite et que les décisions qu’elle rend sont réputées celles de sa majesté, il s’ensuit qu’on ne peut les recevoir, ni s’y soumettre avec assez de respect, et ce d’autant plus que tel est l’esprit des ordonnances de nos rois (. . .)».37

Régulièrement le Parlement exerce cette souveraineté déléguée sans éprouver le besoin de la rappeler. Pourtant parfois, ce rappel renforce son autorité et celle de ses arrêts de règlement. C’est la robe rouge qui permet alors de marquer les esprits. Nous en trouvons un exemple dans les registres du Parlement de Normandie. En novembre 1623, à Rouen, «le peuple estoit assemblé en tumulte ». Un bras de fer s’engage alors entre le peuple et le Parlement. Le lieutenant général, dépêché sur les lieux, pour faire appliquer les arrêts de règlement qui interdisent les attroupements, ne parvient pas à disperser la population. Le premier président se rend alors lui-même sur place «vestu de sa robe rouge» et menace les participants de tous les faire pendre s’ils ne rentrent chez eux. Le peuple se disperse, mais se «ramasse» plus loin. La cour, les chambres assemblées, va rendre un arrêt en robes rouges pour réaffirmer ses arrêts de règlement précédents et prendre les mesures nécessaires au contrôle de la sédition et au respect de l’autorité du roi et de celle des magistrats, associées dans la même décision.38 C’est ensuite la compagnie entière, en robes rouges, qui est mobilisée 37 L. Froland, Recueil d’arrests de règlement et autres arrests notables donnez au Parlement de Normandie sur toutes sortes de matières, civiles, bénéficiales et criminelles, Paris 1740, pp. 453–454, chap. XXVI: «du respect qui est dû aux arrêts et règlemens de la cour; à elle-même et à ses officiers». Cf. Payen, Les arrêts de règlement (n. 24), p. 118: L’auteur évoque l’avocat Bert de la Bussière qui défend les droits du Parlement à l’occasion d’un pourvoi en cassation et pour lequel l’arrêt de règlement «est un objet de souveraineté déléguée en raison de ce que le roi ne peut s’occuper de tout». Ces règlements originaux et de nature supplétive présentent «l’idée d’une loi nouvelle où l’on choisit ce qu’il y a de meilleur, soit dans les lois anciennes, soit dans les usages sur la même matière, pour en former comme une espèce de Code, auquel seul dorénavant il faudra se conformer». Droit affirmé par les arrêtistes et consacré par une pratique ancienne qui ne permet pas de «douter de la permission, au moins tacite, du Souverain». 38 A.D.S.M., 1B 150, f. 14vº–15vº, 16 nov. 1623: «Sur les présentes occurrences importantes au service du roy, à la conservation de son auctorité (. . .) a ordonné et ordonne (. . .) arrester les séditieux et faire en sorte par toutes veoyes qui se trouverient requises et nécessaires que le roy soit obey, l’auctorité du magistrat et les bourgeois de ladite ville préservez de la viollence des séditieux».

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pour marcher dans la ville et «empescher le progrès de ladite sédition».39 Cette procession solennelle n’a pas pour but unique d’intimider les séditieux, elle permet à la cour de publier elle-même, par les rues de la ville, les règlements donnés contre les attroupements: «la court ayant ainsy marché par la ville, faict publier les arrestz par elle donnez et recongneu que le peuple sestoit dissipé et ny avoit plus d’apparence démotion, a faict retour dedans le palais». On imagine aisément les robes rouges des magistrats flotter au vent de la ville comme pouvait parfois le faire le drapeau rouge, signe, sous l’Ancien régime, qu’il y avait danger d’émeute, avant d’être, au XIXe siècle, le drapeau du peuple révolté.40 Le Parlement met en avant la souveraineté déléguée par le roi mais il revendique parfois une souveraineté qui lui est propre. 2. La robe rouge, symbole d’une souveraineté consubstantielle Les Parlements vont dépasser la revendication d’une souveraineté déléguée. Ils rendront des arrêts de règlement à portée politique, s’immisçant dans les d’affaires de l’Etat41, même s’ils se heurtent à l’interdiction royale dès le XVIe siècle42 et jusqu’à la fin de l’Ancien Régime43. Là encore la robe rouge sera de mise, symbolisant une souveraineté accaparée par la cour.44 39

A.D.S.M., 1B 150, f. 14vº–15vº, 16 nov. 1623. M. Pastoureau, Les emblèmes de la France, Paris 1998, vº drapeau rouge, p. 105: Sous l’Ancien Régime, le drapeau rouge n’est en rien un emblème insurrectionnel ou transgressif. C’est au contraire un signal préventif et symbole d’ordre. On sort en effet le drapeau rouge – ou un grand morceau d’étoffe de cette couleur – pour prévenir les populations d’un danger qui menace et, en cas de rassemblement, inviter la foule à se disperser. Progressivement ce drapeau est associé aux différentes lois contre les attroupements, parfois même à la loi martiale. Ainsi, dès le mois d’octobre 1789, l’Assemblée constituante décrète qu’en cas de troubles les officiers municipaux doivent signaler l’intervention de la force publique «en exposant à la principale fenêtre de la maison-de-ville et en portant dans toutes les rues et carrefours un drapeau rouge»; lorsque celui-ci est sorti, «tous les attroupements deviennent criminels et doivent être dissipés par la force». Ce drapeau apparaît déjà comme plus menaçant. 41 B. Basdevant-Gaudemet/J. Gaudemet, Introduction historique au droit XIIIe–XXe siècles, 2e éd., Paris 2003, p. 246: «certains (arrêts de règlement), plus rares, eurent une portée politique essentielle. Lors des périodes de crise, le Parlement de Paris, à la différence des parlements de province, s’arrogea le droit de prendre un arrêt par lequel il entendait statuer sur le sort de l’Etat, sur l’institution monarchique. Il se posait alors en gardien des lois fondamentales. La monarchie ne reconnut jamais expressément cette compétence que le Parlement de Paris se donnait à lui-même. Force est cependant de constater que certains de ces arrêts eurent des incidences indéniables sur l’organisation des pouvoirs publics dans l’Etat, n. 48: ex: Arrêt Lemaistre, 1593, précisant la portée du principe de catholicité du roi comme loi fondamentale (. . .)». 42 Cf. la lettre du 5 octobre 1569 adressée par Charles IX au Premier Président: «(. . .) lesdicts arrests semblent plus toucher à l’estat que à l’administration de la justice qui est commise à madicte Court et que en telles choses il escherroit bien de 40

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Pour le célèbre avocat janséniste Louis-Adrien Lepaige, «le parlement et la monarchie datent du même jour et sont nés du même instant».45 Par conséquent, les parlements sont dotés d’une souveraineté consubstantielle. Le Parlement, successeur des grandes assemblées de barons des rois francs et tenu au devoir de conseil, se doit de veiller à ce que le roi, souverain absolu, ne se transforme pas en tyran ou en despote. Il appartient au Parlement de fixer les limites dans lesquelles le roi doit rester pour être légitime et remplir sa mission de droit divin.46 La royauté aurait voulu n’accorder ce pouvoir, encore que lim’en advertir avant qu’elles fussent publiées et mises en lumière pour y interposer mon jugement selon que par les advis que j’ai de toutes les parts de mon royaume je le puis mieulx faire que nul autre, je vous veux bien dire que je ne trouve aucunement bon que ainsi librement ma Court de Parlement ayt faict lesdits arrests et ordonnances (. . .)», citée par Payen, Les arrêts de règlement (n. 24), p. 451, n. 1. 43 Cf. l’Edit de Saint-Germain de 1641: «Nous avons estimé nécessaire (. . .) de faire connoistre à nos parlemens l’usage légitime de l’authorité que les Rois nos prédécesseurs et nous leur avons déposée, afin qu’une chose qui est établie pour le bien des Peuples ne produise des effets contraires, comme il arriveroit, si les Officiers, au lieu de se contenter de cette puissance qui les rend Juges de la vie, de l’honneur et des fortunes de nos Sujets, vouloient entreprendre sur le gouvernement de l’Etat qui n’appartient qu’au Prince». 44 F. Saint-Bonnet/Y. Sassier, Histoire des institutions avant 1789, Paris 2004, pp. 207–208: «Magistri parlamenti possunt facere leges sicut senatus poterat: «les maîtres du Parlement peuvent faire des lois comme pouvait le faire le Sénat (romain)». Cette phrase d’un juriste du temps de Charles VIII en témoigne remarquablement: se flattant d’être pars corporis regis (partie du corps du roi) et de «représenter immédiatement la personne et la majesté royales», les parlementaires s’assimilent volontiers à l’ancien Sénat romain et le font pour justifier la prétention qui est la leur de participer à l’exercice du pouvoir souverain aux côtés du roi, considéré au même titre que l’empereur romain comme «l’un et le chef» d’entre eux. «Unicité de la souveraineté, mais royauté collégiale » (J. Krynen), telle est bien, dès les deux derniers siècles du Moyen Age, la revendication que sous-tend cette assimilation». 45 L.-A. Lepaige, Lettres historiques sur les fonctions essentielles du parlement, t. II, Amsterdam 1753–1754, p. 370, cité par F. Saint-Bonnet, Remarques sur les arguments historiques dans les débats constitutionnels français (XVIe–XVIIIe siècle), in: Droits 38 (2003), pp. 143–144: «pour Lepaige et pour les hommes de la «compagnie », le parlement n’est pas un corps extérieur à la monarchie, il est du corps même du roi et «représente » le roi». 46 Cf. Saint-Bonnet/Sassier, Histoire des Institutions (n. 44), p. 304: «Si le Parlement est né avec la monarchie, la justice qu’il rend n’est pas déléguée ou subordonnée mais consubstantielle au régime où le roi est légitime parce que juste». Ibid., p. 308: «Ce constitutionnalisme d’allure médiévale, est fondé sur l’idée que «le parlement représente le roi». La «souveraineté » du parlement s’appuie sur la fiction de la «présence» du roi. Les magistrats peuvent donc affirmer re-présenter la majesté royale: ils ne rendent pas une justice «déléguée » mais «communiquée », à l’instar de l’héritier qui, en droit médiéval, représente le défunt, avec les mêmes droits et prérogatives. Le parlement n’est pas un intermédiaire mais «l’image présente de la personne absente» car la justice dont ils ont la garde en tant que représentant de sa personne immortelle ne saurait s’éteindre; (. . .). La spécialisation des activités de juge et de roi-gouvernant dès le XVe siècle a fait éclater cette conception de l’unité du corps et l’a rendue incongrue au XVIIIe, laissant penser que les cours sont des contre-pouvoirs politiques qui ne veulent pas dire leur nom».

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mité et contrôlé, qu’au seul Parlement de Paris47, mais d’autres cours souveraines l’accapareront 48. Les parlements n’auront de cesse de répéter: «(. . .) c’est en votre nom, Sire, que votre Parlement veille à la conservation de l’Etat (. . .) son autorité n’est autre que la vôtre (. . .) ce n’est point altérer ni partager votre souveraineté, c’est l’affermir».49 Les parlements – «vrai Sénat du royaume» pour l’avocat général Jean Le Maistre50, «auguste sénat» selon Denisart51, «(. . .) rendent des oracles d’une infaillible vérité» nous disent les grandes remontrances de 1753.52 Le président du Parlement de Normandie, Maignart de Bernières, déclare à l’intention des échevins: «Le Parlement a l’autorité générale et souveraine. Il est comme un surveillant général, qui pense et regarde sans cesse, comme faisaient les anciens consuls, que la chose publique souffre aucun dommage».53 Ce sont souvent les temps troublés qui poussent les parlements à rendre des arrêts de règlement en robes rouges à portée politique.54 Nous trouvons un exemple de ces arrêts politiques, rendus en robes rouges, dans les registres du Parlement de la Ligue, établi à Rouen alors que le Parlement du roi est exilé à Caen.55 L’arrêt est rendu au plus fort des troubles politiques, en 1591; le Parlement de la Ligue estime de son devoir de veiller sur les lois fondamentales du royaume et sur la loi toute récente qui impose la catholi47 Denisart, Collection de décisions (n. 2), t. III, vº Parlement, p. 450, § 23: «Cette attribution au seul parlement de Paris, de certaines matières éminentes, ne provient pas de son établissement dans la capitale du royaume, mais de ce qu’il a succédé (. . .) aux personnes qui composoient anciennement le conseil du roi (. . .)»; cf. F. OlivierMartin, Les parlements contre l’absolutisme royal au XVIIIe siècle, Paris 1950, rééd. Paris 1988. 48 En 1591, le Parlement de Rouen prend un arrêt en robes rouges pour lutter contre l’hérésie mais prend la précaution de mentionner «quil sera donné pareil arrest (. . .) que celluy dudit parlement de Paris», A.D.S.M., 1B 101, 12 oct. 1591. 49 J. Flammermont, Remontrances du Parlement de Paris au XVIIIe siècle, t. I, Paris 1898, p. 528, remontrances du 9 avril 1753. 50 Cité par F. Saint-Bonnet, Le Parlement, juge constitutionnel (XVIe–XVIIIe siècle), in: Droits 34 (2002), pp. 177–197. 51 Denisart, Collection de décisions (n. 2), t. III, vº Parlement, p. 452, § 33. 52 Grandes remontrances de 1753, cité par Boedels, Les habits du pouvoir (n. 7), p. 47. 53 Floquet, Histoire du Parlement (n. 8), t. VII, p. 521. 54 Payen, Les arrêts de règlement (n. 24), pp. 450–451: «Ils ne doivent être qu’un remède exceptionnel pour les temps de trouble ou d’empêchement de l’exercice ordinaire du gouvernement (. . .) c’est bien précisément ces interventions et les arrêts qui les expriment que stigmatise l’Edit de saint-Germain de 1641. Partant, dès lors que ces arrêts ne participent pas d’un pouvoir autorisé, qu’ils sont extraordinaires et usurpés, ils ne sauraient être comptés au nombre des arrêts de règlement; d’ailleurs les anciens auteurs n’en font pas mention à ce titre». 55 J. Lair, Histoire du Parlement de Normandie depuis sa transplantation à Caen au mois de juin 1589 jusqu’à son retour à Rouen en avril 1594, Caen 1861.

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cité du roi.56 Le but exprimé par la cour est «d’empescher l’establissement de lhérésie en ce royaume que lon veoit se préparer».57 Le parlement de Rouen condamne ce qu’il appelle le «prétendu arrest de Caen» et «certains libelles diffamatoires qui se divulguent et publient soubz le nom de lettres et arrest». La cour de Caen, fidèle au roi, avait condamné deux monitoires d’excommunication lancés par le pape Grégoire XIV contre le roi de Navarre et avait rompu toute relation avec Rome. L’arrêt de Rouen, rendu en robes rouges, est particulièrement solennel, «tous messieurs (. . .) estans montez aux haultz sièges de la grand’chambre de plaidoyé, monsieur Rassent, loco président ayant sa robbe et chaperon rouge (. . .)». Tous les conseillers du Parlement sont tenus d’être présents et de signer l’arrêt; «et où aucuns d’iceulx seront reffusans de signer ledit arrest, a esté arresté que dès à présent l’entrée de ce pallais leur est interdicte et défendue et déclarez privez de leurs privillèges, honneurs, gaiges et proufictz (. . .)». Cet arrêt reçut une publicité spectaculaire: la cour «a ordonné et ordonne que la coppie dudict prétendu arrest avec celle desdites lettres seront lacérez l’audience scéant et les fracquemens brulez par l’exécuteur des jugemens criminelz devant léglise Nostre Dame de ceste ville». Le Parlement veille sur les lois fondamentales du royaume, ces coutumes constitutionnelles, comme il veille sur les coutumes en général. Pour intervenir sur les coutumes, il va mettre en avant une théorie particulière. Il ne s’agit plus vraiment d’agir au nom du roi par délégation de sa souveraineté, mais plutôt de revendiquer un pouvoir propre. Les coutumes ne sont pas les lois du roi.58 Lorsque le Parlement intervient, il le fait au nom de la population en fonction d’une juridiction qui lui est propre. En 1756, un parlementaire affirme que les juges «sont les organes de la Divinité pour rendre les lois justes et avantageuses 56 Dans l’arrêt en robes rouges que rendra le Parlement «sera faict mention de la loy fondamentalle que ceulx qui se sont resfugiez audit Caen ont jurée et promise tenir gardée», A.D.S.M., 1B 101, 12 oct. 1591. 57 Ibid. Pour conjurer cette hérésie ambiante il «a esté (. . .) arresté (. . .) que par chacune sepmaine incontinent après dix heures de matin aux jours de vendredi, messieurs partiront de ce pallais et iront ouir la messe en l’eglise de sainte Birgilde quy y sera a ceste fin dicte et célébrée ». 58 Payen, Les arrêts de règlement (n. 24), p. 121, rappelle l’argumentation de l’avocat qui défend les droits du Parlement lors du pourvoi en cassation contre l’arrêt du 19 mars 1782 qui avait jugé que la prévôté de Sancoins était régie par la coutume du Bourbonnais: «Dans l’affaire du pourvoi en cassation contre l’arrêt du 19 mars 1782 (. . .) l’argumentation, fort simple (du mémoire en défense) est la suivante: les coutumes ne sont pas la loi du Prince, donc le pouvoir statutaire du Parlement d’exécuter la loi peut s’exercer sans être retenu par le principe de subordination. Sans aller toutefois jusqu’à affirmer un partage de compétence qui serait excessif, l’avocat énonce que «pour se fixer à ce qui regarde les coutumes, il est certain que le pouvoir du Parlement est encore plus étendu que sur tout autre matière ». (BN, coll. Joly de Fleury, ms. 606, f. 11 vº)».

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à l’Etat, qu’ils représentent l’Etat, parlent au nom des peuples, sont leurs anges tutélaires et comme les économes et les administrateurs de leurs biens».59 La robe rouge semble alors moins celle du roi de France que celle du Sénat romain.60 III. Conclusion Ainsi, bien au-delà des définitions a minima de nombreux juristes, il nous semble que les arrêts de règlement rendus en robes rouges présentent une physionomie et une intensité variables. Un point commun pourtant à tous ces arrêts: leur audience. Qu’ils soient rendus lors d’une rentrée solennelle, qu’ils fixent une règle nouvelle, une jurisprudence, qu’ils modifient une coutume ou s’immiscent dans la politique du royaume, tous les conseillers de la cour sont tenus d’être présents et tous les avocats du barreau avec eux.61 Ces arrêts en robes rouges devaient permettre à ceux-ci de connaître le principe posé. C’est ce que laisse entendre J. de Montholon: «souvent après la prononciation d’iceux (arrêts), messieurs les présidens qui les prononcent nous advertissent de ce que nous devons apprendre de l’arrest qui a été prononcé et quelle maxime a été jugée (. . .)».62 Cette très large publicité, qui prend parfois, nous l’avons vu, des allures véhémentes, semble bien être le critère de l’arrêt de règlement rendu en robes rouges.

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Cité par Boedels, Les habits du pouvoir (n. 7), p. 47. Y. Deslandres, Le costume, image de l’homme, Paris 1976, p. 218: «Dans la Rome républicaine, la pourpre apparaît comme le symbole de la puissance publique, et son emploi est strictement limité; seuls les magistrats, les prêtres portaient la toge prétexte, ornée d’une bande de pourpre». 61 Beigner, Les arrêts de règlement (n. 25), pp. 45–55, pp. 45–46: «Les arrêts de règlement ou arrêts généraux, solennels, voire «prononcés en robe rouge», brevitatis causa «en rouge», étaient rendus en tenue de cérémonie par les Chambres assemblées, les avocats devant assister à la séance revêtus de leur «chausse herminée» comme telle était la règle lorsque «Messieurs du Parlement siègent en rouge».». Cf. également Rigaudière, Introduction historique (n. 25), p. 518: «Président et juges revêtent alors la robe rouge et convient tous les avocats à assister à la séance». 62 J. de Montholon, Advis au lecteur in Arrests de la Cour prononcez en robbes rouges, Paris 1622, cité par Lefebvre-Teillard, Naissance du droit français (n. 22), pp. 78–79. Cf. également Payen, Les arrêts de règlement (n. 24), p. 659: «(. . .) La prononciation en robes rouges s’accompagnait souvent d’un avertissement du Premier Président destiné à renforcer et expliciter l’intention du Parlement. Cette instruction s’adressait aux auxiliaires de justice et l’on précisait parfois, pour lever toute ambiguïté, que cela valait devant toutes les chambres du Parlement ». 60

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Zusammenfassung Die königlichen Gerichtshöfe (Parlements) – sowohl derjenige von Paris als auch diejenigen in den Provinzen – partizipierten durch den Erlass von Grundsatzurteilen (arrêts de règlement) an der Gesetzgebung des Königreiches. Solange der König nichts Gegenteiliges befahl, waren diese sowohl für die Bevölkerung als auch für die untergeordneten Richter bindend. Unter diesen Urteilen kommt einigen eine herausgehobene Stellung zu: den Grundsatzurteilen, die in roten Roben gefällt wurden. Die rote Robe ist das Symbol des Königtums. Indem die Richter diese Roben trugen, nahmen sie Teil an der königlichen Würde. Grundsatzurteile, die in roten Roben gefällt wurden, verfügten daher über eine eigene besondere Wichtigkeit. Bei einer näheren Beschäftigung mit den gerichtlichen Archiven oder mit den Handbüchern der Kommentatoren der Gerichtsurteile ist festzustellen, dass von den Grundsatzurteilen in roten Roben in vielen unterschiedlichen Bereichen Gebrauch gemacht wird. Am häufigsten sind sie im Rahmen des normalen Gerichtsablaufs zu finden; nur manchmal ist ihr Tragen protokollarisch vorgeschrieben. Ebenso gerne werden sie als Zeichen für ein Urteil von grundsätzlicher Bedeutung gebraucht, durch das der königliche Gerichtshof eine Jurisdiktion festsetzen will, die bis dahin eher schwankend gewesen ist. Überdies wird die rote Robe in Zeiten der Krise getragen und nimmt sicher auch noch eine darüber hinausgehende Bedeutung ein: Sie besagt, dass das Urteil von großer Wichtigkeit ist, dass es ein breites Publikum erreichen soll und auf die Autorität eines Parlaments zurückzuführen ist, das sich manchmal über den durch den König vorgegebenen Kompetenzrahmen hinwegsetzt.

The Death and Later Life of Legal Symbols Welsh Legal Symbols after the Union with England By Thomas Glyn Watkin I. Welsh Legal History: Its Background It is a common fallacy, even among legal historians, that the country of Wales has no distinctive legal history of its own. This is attributed to the fact that, since the sixteenth century, England and Wales have together formed one law district, with only one legislature, namely the English – later the British, later still the United Kingdom – parliament at Westminster. This distinguishes the position of Wales from that of Scotland, which had its own parliament until the first decade of the eighteenth century, or Ireland, which had its own parliament until the nineteenth century, and both of which countries retained separate court structures for the administration of justice. It is sometimes however forgotten that Wales too had its own distinctive set of courts, the Courts of Great Session, until 1830, although it is equally true that Wales never had a legislature as such. Its laws in the period prior to unification with England were customary laws, albeit that they were, like many another body of customary law, attributed to the law-making activities of an early ruler, in the case of Wales, the tenth-century prince of Deheubarth, Hywel Dda or Hywel the Good, as he was known from the twelfth century onwards, the time from which manuscript evidence of the native laws is extant. Albeit that the absence of a distinctively Welsh legal history may be a fallacy, it would be equally fallacious of me to assume that the legal history of my nation is a matter of common knowledge, even in a scholarly gathering such as this. Before therefore embarking upon a discussion of how the rich inheritance of legal symbols within the Welsh legal tradition fared after Wales’ union with England, I had better give a brief outline of the main features of the legal history of Wales in order to provide some context for an appreciation of the development of the legal symbols which I am going to describe.

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II. Welsh Legal History: The Main Features 1. Possible Roman Influence Little is known of the history of Wales prior to the Roman invasion, but it is clear that as part of the Roman empire, Wales – particularly but not exclusively south Wales – was heavily Romanized. The native people adopted much from the traditions of the Romans, retaining a great deal of that heritage as their own even after the legions withdrew at the end of the fourth century. Among the most obvious elements of that retained Romanism are the Christian faith – which pre-dated the mission of St. Augustine of Canterbury to the English – and the dragon flag. Latin elements were also retained in the language; indeed, for several centuries after Rome had abandoned its erstwhile lands in Britain, the people of Wales continued to refer to Latin as nostra lingua, and referred to themselves as British to distinguish themselves from the Anglo-Saxon invaders. The period after the Roman departure also saw important links developing with the other Celtic lands along the western seaboards, which allowed in immigrants and legal influences from Ireland, as well as reinforcing cultural ties with western France and northern Spain, lands which, unlike Ireland, had shared the Roman inheritance. The customary laws which developed during this period therefore may have roots in four distinct legal traditions – an ancient, pre-Roman Celtic law, of which nothing but remnants of a speculative nature remains, Roman law itself, the ancient law of Ireland and, something which is sometimes overlooked, the legal codes of the Bible, which arguably played a key role in the shaping of some elements of the native laws of Wales, for instance with regard to kingship.1 1 See C. Thomas, Christianity in Roman Britain to AD 500, London 1981, pp. 351– 352; J. K. Knight, Glamorgan AD 400–1100: Archaeology and History, in: H. N. Savory (ed.), Glamorgan County History, vol. II: Early Glamorgan Pre-History and Early History, Cardiff 1984, pp. 315–364, p. 318; M. Richter, Medieval Ireland: The Enduring Tradition, London 1988, p. 29. On the history of Christian continuity in Wales in this period, see S. Baring Gould, The Celtic monasteries, in: Archaeologica Cambrensis (Fifth series) 17 (1900), pp. 249–276; E. G. Bowen, The Celtic Saints in Cardiganshire, in: Ceredigion 1 (1950–1951), pp. 3–17; E. G. Bowen, Saints, Seaways and Settlements, Cardiff 1977; E. G. Bowen, The Settlements of Celtic Wales, Cardiff 1956; J. D. Bullock, Early Christian memorial formulae, in: Archaeologica Cambrensis 105 (1956), pp. 133–141; D. S. Evans (ed.), The Lives of the Welsh Saints by G. H. Doble, Cardiff 1971; J. D. Evans/M. J. Francis, Cynog: Spiritual father of Brycheiniog’, in: Brycheiniog 27 (1994–1995), pp. 15–24; J. K. Knight, In tempore Iustini consulis: contacts between the British and Gaulish churches before Augustine, in: A. Detsicas (ed.), Collectanea Historica: essays in memory of Stuart Rigold, Maidstone 1981, p. 60; H. Williams, Some aspects of the Christian church in Wales during the fifth and sixth centuries, in: Transactions of the Honourable Society of the Cymmrodorion (1893–1894), pp. 55–132; J. W. Willis-Bund, The early Welsh monasteries, in: Archaeologica Cambrensis (Fifth series) 8 (1891), pp. 262–276; J. W. Willis-Bund, The Teilo Churches, in: Archaeologica Cambrensis (Fifth series) 10 (1893), pp. 193–217; P. A. Wilson, Romano-British and Welsh Christianity, in: Welsh History Review (WHR) 3

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Some legal symbols had their origin in the mists of this sub-Roman period, and may in themselves amount to Roman legal symbols which had died in their native soil only to be resurrected, with suitable Christian adaptation, amid romantic recollections of the lost Roman past. One example must suffice, that of the llw gweilydd, a Welsh legal ceremony which bears an odd resemblance to the Roman ritual search for stolen goods, lance licioque. While the Roman search, vilified as ridiculous by Gaius in the sophisticated second century, involved the searcher for stolen property entering naked upon the premises where it was thought they had been secreted, the searcher in the Welsh llw gweilydd, came protected with the Christian symbol of the cross and with relics to challenge the person he believed to be the thief. Planting the cross in the path of the suspect, he would challenge him to swear upon the relics that he was not guilty of the theft. If the suspect so swore, the matter was at an end, unless of course he was later found to have lied and therefore laid himself open to proceedings for perjury. If however, he refused to swear, he was automatically deemed guilty of the theft and punishable accordingly. His only way out if he was not prepared to swear was to return the stolen goods, in which case the matter was again at an end, no further compensation or punishment being due. Many believe that here is evidenced ecclesiastical intervention in a challenge which would have originally led to violence, a spear rather than a cross being the weapon borne. The ceremony, with its rich symbolism, was extra-judicial, retaining, like the search lance licioque, a distinctive element of self-help. This may explain why knowledge of it has survived not in the principal law texts, but only in older legal fragments. It would appear that the later Christian rulers sought to discourage the procedure, but that it was so cherished by the ordinary people that it retained its place in their imagination and in their legal practice, retaining its place despite the disdain of the princes, perhaps in the same way that the Roman ritual lance licioque, survived the ridicule of the jurists. The llw gweilydd was a survivor among Welsh legal symbols.2

(1 & 2) (1966–1967), pp. 5–21, pp. 103–120. On the survival of language and British social identity, see Richter, Medieval Ireland (n. 1), p. 29; A. W. Wade-Evans, Welsh Medieval Law, Oxford 1909, reprinted Aalen 1979, p. xlii. See also I. Williams, When did the British become Welsh?, in: Anglesey Antiquarian Society Transactions (1939), pp. 27–38. 2 On the llw gweilydd, see T. P. Ellis, Welsh Tribal Law and Custom, vol. II, Oxford 1926, reprinted Aalen 1982, pp. 245–246; S. J. Williams/J. E. Powell (ed.), Llyfr Blegywryd, Cardiff 1961, p. 124. On the Roman law search lance licioque, see Gaius, Institutes III 193: where Gaius comments, “res tota ridicula est”. There is an interesting parallel in another Celtic legal system, namely Scotland: see W. D. H. Sellar, Celtic Law and Scots Law: Survival and Integration, in: Scottish Studies 29 (1989), pp. 1– 27, pp. 8–9. I am indebted to Professor John W. Cairns for drawing my attention to this parallel, and see J. W. Cairns, From Claves Curiae to Senators of the College of Justice. Changing Rituals and Symbols in Scottish Courts, in this volume.

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2. The Native Laws Nevertheless, the principal sources for modern knowledge of the native laws of Wales are the texts, dating mainly from the twelfth and thirteenth centuries and later, which record the customs of the people of the several Welsh kingdoms: Gwynedd in the north-west, Deheubarth in the south-west and Powys in the east, as well as the lesser kingdoms of Gwent and Morgannwg in the southeast. For a short while in the tenth century, Hywel Dda, a descendant of the royal house of Gwynedd who had as a consequence of marriage diplomacy come to acquire Deheubarth, united much of Wales under his rule. The law texts are all said to emanate from a meeting which he convened in the tenth century to revise the laws of his several kingdoms. There is probably some truth in the tradition, albeit that by the twelfth century the various kingdoms had developed distinct legal traditions of their own, although there remained much which united them as offspring of one legal stock.3 3 The principal texts are now available in modern scholarly editions. These are H. D. Emanuel, The Latin Texts of the Welsh Laws, Cardiff 1967; I. F. Fletcher, Latin Redaction A of the law of Hywel, Aberystwyth 1986; D. Jenkins (ed.), Llyfr Colan, Cardiff 1963; D. Jenkins, Damweiniau Colan, Aberystwyth 1973; A. R. Wiliam, Llyfr Iorwerth, Cardiff 1960; William/Powell, Llyfr Blegywryd (n. 2), and Wade-Evans, Welsh Medieval Law (n. 1), which is based primarily on Llyfr Cyfnerth. The most famous English translation of the native laws is A. Owen, The Laws and Institutions of Wales, London 1841, while the best modern translation is D. Jenkins (trans. and ed.), Hywel Dda: The Law, Llandysul 1986. There are also excellent introductions to the content of the native laws: T. M. Charles-Edwards, The Welsh Laws, Cardiff 1989, in English, and in Welsh D. Jenkins, Cyfraith Hywel, Llandysul 1976. The Authors own Wales: An Introduction to its Legal History is due to be published by the University of Wales Press, Cardiff in 2006. A very full, but now dated account is Ellis, Welsh Tribal Law (n. 2). The twentieth century saw the growth of a considerable body of scholarly literature on the native laws: see T. M. Charles-Edwards, Naw Kynywedi Teithiauc, in: D. Jenkins/M. E. Owen, The Welsh Law of Women, Cardiff 1980, pp. 23–39; T. M. Charles-Edwards, The seven bishop-houses of Dyfed, in: Bulletin of the Board of Celtic Studies 24 (1970–1972), pp. 247–262; T. M. Charles-Edwards/M. E. Owen/D. B. Walters, Lawyers and Laymen, Cardiff 1986; G. Edwards, Studies in the Welsh Laws since 1928, in: WHR Special Number (1963): The Welsh Laws, pp. 1–18; J. G. Edwards, Hywel Dda and the Welsh Law-books, in: D. Jenkins (ed.), Celtic law papers introductory to Welsh medieval law and government, Brussels 1973, pp. 135–160; T. I. Ellis, Legal references, terms and conceptions in the “Mabinogion”, in: Y Cymmrodor 39 (1928), pp. 86–148; H. Emanuel, The Latin texts of the Welsh Laws, in: WHR Special Number (1963): The Welsh Laws, pp. 25–32; Jenkins, Celtic law papers (n. 3); Jenkins/Owen, The Welsh Law of Women (n. 3); D. Jenkins, Legal and Comparative aspects of the Welsh Laws, in: WHR Special Number (1963): The Welsh Laws, pp. 51–60; D. Jenkins, The significance of the Law of Hywel, in: Transactions of the Honourable Society of Cymmrodorion (1977), pp. 54–76; H. Loyn, Wales and England in the tenth century: the context of the Athelstan charters, in: WHR 10 (3) (1980–1981), pp. 283–301; M. E. Owen, Y Trioedd Arbennig, in: BBCS 24 (4) (1972), pp. 434–450; T. Jones Pierce, Social and Historical aspects of the Welsh Laws, in: WHR Special Number (1963): The Welsh Laws, pp. 33–50; H. Pryce, The prologues to the Welsh lawbooks, in: BBCS 33 (1986), pp. 151–187; D. Stephenson, Thirteenth-Century Welsh Law Courts, Aberystwyth 1980; R. Thurneysen,

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3. Norman and English Influence By this time, fresh legal influences were reaching Wales. Norman nobles, following in the wake of William of Normandy’s successful invasion of England, began to conquer the fertile coastal lands of south Wales, the north-east, and the border country with England. Exercising quasi-regal or palatine powers in their acquired territories, they ruled using a mixture of their own legal customs, the native laws and those of the neighbouring kingdom of England. Thus was born the law of the March, the law of the border country, varying from lordship to lordship and posing difficulties for order because of the lack of uniform law and legal processes until the sixteenth-century union.4 The English common law, therefore, began to influence Wales and its law before it was imposed on the country by English kings. The first such imposition occurred in 1284 following the acquisition of the kingdom of Gwynedd by Edward I of England consequent upon a war, which ended in the death of the last prince of north Wales, Llywelyn ap Gruffydd in 1282. The Statute of Wales, or Statud Rhuddlan, introduced the common law of the king’s courts at Westminster into those parts of Wales which were in future to be ruled directly by the kings of England, the lands which would be properly termed the Principality of Wales. This consisted in the north of the ancient kingdom of Gwynedd, now shired so as to form the counties of Anglesey, Caernarfon and Merioneth, and in the south-west, the counties of Cardigan and Carmarthen, which had already been given some English administrative structures since 1241. Here, English common law now operated, although Welsh local courts administering Welsh native law in matters of succession and family property were allowed to continue to function, albeit under the supervision of royal officials. In the remainder of Wales, however, the mixture of native law and local Marcher law continued to hold sway.5

Das keltische Recht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 55 (1935), pp. 81–104, translated as Celtic law, in: Jenkins, Celtic law papers (n. 3), pp. 49–70; D. B. Walters, The Comparative Legal Method: Marriage, Divorce and the Spouses Property Rights in Early Medieval European Law, Aberystwyth 1983; A. R. Wiliam, The Welsh texts of the Laws, in: WHR Special Number (1963): The Welsh Laws, pp. 19–24. For the history of the early rulers, see K. L. Maund, The Welsh Kings, Stroud 2000; K. L. Maund, Handlist of the Acts of the Welsh Native Rulers 1132–1283, Cardiff 1996. 4 For the general history of Wales at this time, see R. R. Davies, The Age of Conquest: Wales 1063–1415, Oxford 1987; R. R. Davies, The First English Empire: Power and Identities in the British Isles 1093–1343, Oxford 2000; R. Turvey, The Welsh Princes, 1063–1283, London 2002; D. Walker, Medieval Wales, Cambridge 1990; J. E. Morris, The Welsh Wars of Edward I, Oxford 1901. 5 On the Statute of Wales, see L. B. Smith, The Statute of Wales, 1284, in: WHR 10 (1984), pp. 127–154; P. A. Brand, An English Legal Historian looks at the Statute of Wales, in: T. G. Watkin (ed.), Y Cyfraniad Cymreig, Bangor 2005, pp. 20–56.

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4. Union with England and the Great Sessions Thus things remained until the sixteenth century when, under a dynasty of Welsh descent, the Tudors, Wales was united with England and English law imposed on the whole of Wales by the Acts of Union of 1536 and 1543. These statutes shired the remainder of Wales, forming the modern counties of Denbigh, Flint, Montgomery, Radnor, Brecon, Monmouth, Glamorgan and Pembroke out of the former Marcher lordships, and gave Wales for the first time representatives in the parliament at Westminster. The union also gave Wales its own courts of law, administering the law of England and Wales in four circuits of three counties per circuit. These were the courts of Great Sessions, which were to be the mainstay of the administration of justice in Wales for three centuries, until, for reasons of economy, purely and simply, they were abolished so as to save enough money to pay for a couple of extra judges at Westminster. The legal history of Wales was therefore only fully united to that of England in all respects in 1830, and before the end of the nineteenth century, the Westminster parliament was already conceding that on some issues the distinct identity of Wales had to be recognized in legislation. Thus, in 1881, a statute was passed which was operative in Wales alone – the Sunday Closing (Wales) Act, which provided that premises selling alcoholic liquor were not to open in Wales on Sundays. The Act paved the way for further specifically Welsh legislation, in particular, the Welsh Church Act 1914, which disestablished the Church of England within Wales. As you probably know, since 1998, Wales now has its own legislative assembly, albeit without powers to pass primary legislation in the manner of the Scottish parliament at Edinburgh, but nevertheless a body the creation of which has inaugurated yet a further chapter in the distinct and distinctive legal history of the Welsh people and the nation of Wales, the geographical definition of which was itself a result of the sixteenth-century union.6 III. Dadanhudd But what of legal symbols in this distinct legal history? What effect did union with England have on those elements of the pre-existing native law which utilized symbols as part of their content? In the time available, I shall focus on one such symbol in particular. I shall do this because it exemplifies a symbol which is based upon a particular native tradition, exemplifies also how it assimilated successfully, or at least accommo-

6 For an analysis of the existing devolution settlement within Wales, see R. Rawlings, Delineating Wales: Legal and Administrative Aspects of National Devolution, Cardiff 2003. On the modern history of Wales, see K. O. Morgan, Rebirth of a Nation: A History of Modern Wales, Oxford et al. 1981.

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dated, an English common law remedy which obviously proved attractive to the Welsh people, and how finally with the demise of the native legal customs as a consequence of union with England it somehow managed to resurrect itself as a popular custom among the Welsh people, holding sway until at least the first half of the nineteenth century – until that is the specifically Welsh courts of Great Sessions, which were arguably more sympathetic to Welsh values, were abolished. 1. The Native Symbol and the Welsh Custom The symbol which I am going to discuss is connected with the legal process called in Welsh dadanhudd, although the symbolic ceremony upon which the process was based also came to bear that name. Its origins are connected with a ritual which may well be connected with a sacral perspective common to many peoples in the ancient world. It would appear that for the early inhabitants of Wales, as for many other peoples, the hearth and the fire upon it bore a religious, or at least a quasi-religious, significance. The fire in the principal hearth of the home – probably the only hearth in most humble dwellings – was never allowed to go out. At the end of every day, the householder, the head of the household, the father of the family, would cover over the fire with a clod of turf or of peat, but he would not extinguish the fire. Instead, he would smother it, so that it would burn less fiercely and more slowly overnight until, in the morning, he would rise, and uncover the fire, restoring warmth and power to the family with the light of day. It was this uncovering of the family hearth which came to be known as dadanhudd. In the ceremony, the householder co-operates with the powers of nature or more probably the divine in restoring to those within his charge heat and some measure of light just as with the dawn and the rising of the sun, heat and light are restored to the world. The uncovering of the hearth is like the mantle of darkness being removed from the face of the heavens to reveal the sun in all its glory. Likewise, the father of the family revealed the fire for yet another day. It is clear that in Wales, this revealing of the fire, and the burning which would eventually at morning cause smoke to rise from the hearth through the chimney and into the air around was a sign, a symbol, of occupation of land. To that extent, it was of course a natural symbol, but it also took on a legal significance. Where a fire was unearthed, where dadanhudd occurred, land was perceived to be lawfully, quietly, possessed. Possession of such a character was deemed to be what in other legal systems would be called possession as an owner, that is a form of juristic or legal possession which, with the passage of time, could mature into legal ownership. It was sign of what English common lawyers would learn to call seisin. In the native laws of Wales, quiet possession of this sort was a sign of ownership and after three generations of such posses-

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sion, the rights of an owner, priodolder, would have been established. Land therefore which a man occupied, took possession of, for the first time, would not give him, nor his son or grandson, the rights of a priodawr, but on the entry of his great-grandson into possession, ownership would have been established.7 2. The Legal Process and Mort D’Ancestor We first encounter dadanhudd as a legal process protecting such possession of land in the law texts of the twelfth and thirteenth century. There, dadanhudd is treated as a method by which the son or grandson of a deceased occupier is able to recover the land which he claims to be his inheritance from someone who has usurped possession following the death of the ancestor in question. Immediately, for the English legal historian, there is an analogy to be drawn, a comparison to be made, with one of King Henry II of England’s innovations in protection of lawful possession, the assize of mort d’ancestor. The English assize of mort d’ancestor was introduced by Henry II in the year 1176, and it existed in order to allow heirs to recover freehold land which should have descended to them on the death of the previous tenant from third parties, called abators, who had wrongfully taken possession of that land before the heir had entered and taken possession or seisin. The heir claimed that his ancestor had been in possession of an estate in the land, which was capable of being inherited, that he was in the terms of the writ “seised as of fee” on the day that he died, and that the claimant was his nearest heir. What constituted the nearest heir was not defined, nor was the question of how the deceased was known to be seised as of fee essayed. These were matters for the jury, or assize, of twelve free and lawful men who would be empanelled by the king’s officer in the county, the sheriff, to answer the two questions posed in the writ. What we find in the Welsh law books is reminiscent of Henry II’s assize. The heir who found himself out of possession of the land which he claimed he should have inherited from a deceased ancestor was, as in England, allowed to claim back the land from the current possessor. He did that, as in England, not by showing that he had a greater right to the land, in Wales that he was the priodawr, but merely by establishing that his deceased ancestor had been in quiet possession so that he, as that person’s heir, ought now also to be in quiet possession. As in the assize of mort d’ancestor in England, if the other party wanted to argue that he had a greater right to the land than the deceased tenant, he had to give back possession to the heir and then commence a separate and 7 For a full description of dadanhudd, see Ellis, Welsh Tribal Law (n. 2), vol. I, pp. 259–260; vol. II, pp. 358–361; Wade-Evans, Welsh Medieval Law (n. 1), p. 198; Jenkins, Hywel Dda: The Law (n. 3), pp. 102–103.

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more lengthy procedure to establish his greater right. In England that was the writ of right, the breve de recto; in Wales, the process of priodolder. Dadanhudd, like mort d’ancestor, recovered possession; it did not establish ownership, but also like mort d’ancestor, it acted to prevent third parties from intruding upon the land upon the death of the tenant and thereby forcing the heir to the lengthy and complicated process of priodolder or in England the breve de recto.8 Because our knowledge of Welsh law is derived from the discussion of the legal processes and rules by jurists, we have however greater knowledge of how the claimant in an action of dadanhudd set about making good his claim. The right of the heir to possession was a claim that he was entitled to uncover the hearth, to uncover the fire, in the manner that his deceased father or grandfather had done. What he had to establish was that his father had been the person who regularly uncovered the family fire and that therefore he, as his heir, was entitled to do the same. The uncovering of the fire, dadanhudd, was the symbol of rightful possession and he needed therefore to be restored to a position in which he too could perform the daily ritual so that the family’s priodolder title to the land, or the process by which the family was acquiring that title, should not be interrupted. It is interesting to note some differences between the Welsh and the English institutions as well. In England, mort d’ancestor could only be brought upon the death of one’s father, mother, brother, sister, uncle or aunt. It could not for instance be used to recover land which should have descended to one from a grandfather, great-grandfather or more remote collateral relative. It would not be until the mid 1230s in England that new writs would be invented to deal with these situations – the writs of aiel, besaiel and cosinage respectively. In Wales on the other hand, the law books inform us that dadanhudd could be used to recover land which ought to have descended to one from one’s grandfather, provided that one’s father had died during the grandfather’s lifetime. In other words, the Welsh procedure had already accommodated the 1230s changes before it was described or else the gap in the English processes had been blocked in Wales before the new writs were created in England. This is interesting because at the end of the thirteenth century, when Edward I introduced many of the English common law’s writs into the Principality of Wales, the writs which he introduced had been adapted from their English precedents in such a way as to overcome difficulties which had been experienced in their operation in England. One wonders whether the same had been true of dadanhudd. 8 On mort d’ancestor generally, see Sir J. H. Baker, An Introduction to English Legal History, 4th ed., London 2002, p. 234; A. W. B. Simpson, A History of the Land Law, 2nd ed., Oxford 1986, pp. 32–33.

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Whatever the truth of that development, it would appear that what we see in dadanhudd is a legal symbol of possession according to Welsh law being accommodated into a procedure which owes a deal of its principles to an English legal innovation. The underlying questions of the process are one and the same, if a little wider in their ambit, than those of the assize of mort d’ancestor, but the means of proof are peculiarly based upon the symbols known by the native laws. The power of that symbolism was such that it allowed of its being grafted upon a legal plant of a foreign growth. It was not the only instance of Henry II’s innovations finding emulation in Wales. In the fourteenth century, in the Marches of the north-east of the country, the assize of novel disseisin can be seen operating within the native legal tradition, but under cover of a Welsh name which is virtually a literal translation of the common law term, cwyn newydd difeddiant.9 Whatever the origins of dadanhudd as a legal process, its end can be dated precisely. With the introduction of the English common law into the thirteen counties of Wales by the Tudor Acts of Union in the sixteenth century, such quaint survivals of Welsh native law were terminated. The symbolic power of the ancient ritual of uncovering the hearth each new day lost its legal significance. The English common law knew nothing of the importance of this ceremony as evidence of a root of title. Yet, the symbol was too powerful to be killed by union. It remarkably survived, and was still spoken of as the basis of a Welsh customary rule of law well into the nineteenth century, with people remarking upon it even in the second half of the twentieth century. IV. Ty|^ Un Nos The tradition of dadanhudd was resurrected, or perhaps survived, in another institution of Welsh law, the ty|^ un nos. Literally, ty|^ un nos means a one night house, a house which is constructed between dusk and dawn upon common land. According to a custom, evidenced in 1818, if a person built a house during the hours of darkness and succeeding in getting smoke to rise through the chimney by dawn, that is established a hearth with a fire on it, the portion of land upon which the house was built became his. What exactly is meant here by saying that it was his is questionable. Was it his property in the sense that he became owner, or was it his in the sense that he was entitled to remain in possession until another established better right by legal process, that is he could not be dispossessed without the judgement of a court. If it is common land that is under consideration, it is more likely the latter, given that according to the Welsh custom, such possession would have taken three generations to mature into a right of property.10 9

See Davies, Conquest (n. 4), p. 423.

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V. Conclusion What we see here, however, is testimony to the power of an ancient symbol. The uncovering of the hearth, the sign of the householder having provided for his household a protection in harmony with that of the God or gods who caused the sun to banish the darkness of night, comes to be seen as a sign also of lawful possession, a sign that can be appealed to as establishing a right of abode which should not be violated without proof of greater right offered to an appropriate tribunal, and which even with the loss of the procedure which utilized the sign as evidence of quiet possession, retained its power and returned as a sign that possession had been taken and had to be respected by reason of the significance of having created a new hearth. Nor should sight be lost of the fact that the institution of ty|^ un nos is witnessed in the year 1818. This was a year in which the courts of Great Sessions, Wales’ very own courts of law, were still in being, and there is evidence that those who were staffing them at this time, mindful that their existence might be threatened, were prepared to defend within them legal elements of specific Welsh identity, so as to prove that the courts were truly Welsh in character. On their demise in 1830, the courts of Great Session had come to be seen as an emblem of a distinct Welsh identity, as would later be true of the University of Wales, the Church in Wales, the National Library, the National Museum and other such institutions. It may well be that the courts themselves courted that identification by embracing symbolic elements of the kind described here in order to assert and establish their very Welshness. Indeed, one may wonder how often in how many lands such a step has been essayed. Lawyers are wily creatures. They know the power of symbols. They know also how to use and adapt such power to shape ends of their own choice. Zusammenfassung Die heimischen Gesetze des mittelalterlichen Wales waren reich an Symbolen, von denen einige auf römische Zeiten oder vielleicht sogar auf die vor der römischen Eroberung Britanniens weit verbreiteten keltischen Gewohnheiten zurückreichten. Eine solche Gewohnheit stellte das llw gweilydd dar, eine rituelle Prüfung zur Überprüfung eines Diebstahls. Die heimischen Symbole erwiesen sich als anpassungsfähig und dienten etwa als Beweismittel für Eigentum in 10 Although it may appear far-fetched that a house could be built in one night between dusk and dawn, there is clear evidence that the practice did exist and that it was respected. At the end of the eighteenth century and at the beginning of the nineteenth century, there was much discontent if absentee landlords sought to enclose common land to the disadvantage of those who had made such encroachments thereon. See G. H. Jenkins, The Foundations of Modern Wales: Wales 1642–1780, Oxford 1989, p. 278.

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rechtlichen Verfahren, die aus dem benachbarten England stammten oder auf dort entwickelten Rechtsbehelfen fußten. Dadanhudd war eines dieser Symbole. Auf die heimische Tradition der morgendlichen Abdeckung der Herdstelle durch den Hausherrn zurückgehend, wurde es zum Beweis für friedlichen Besitz. Dessen Symbolik war so mächtig, dass es, als in Folge der Vereinigung mit England im 16. Jahrhundert die heimischen Bräuche keine Rechtskraft mehr genossen, auf der Grundlage der Gewohnheit des ty|^ un nos fortlebte, wonach eine Person, die es schaffte, zwischen Abenddämmerung und Morgendämmerung ein Haus zu bauen und beim ersten Tageslicht Rauch aus dem Schornstein steigen zu lassen, Anspruch auf ungestörten Besitz des Gebäudes und des Grundstücks erlangte, auf welchem das Haus errichtet worden war.

Die Hegung des Gerichts – Formen und Funktionen eines rituellen Aktes Von Christine D. Schmidt I. Einleitung Nicht nur politisch war das Alte Reich zersplittert und ähnelte einem Flickenteppich – manche sprachen sogar von einem „unregelmäßigen und einem Monstrum ähnlichen Staatskörper“1. Auch die Gerichtsorganisation korrespondierte mit dem Bild der Territorien in der Frühen Neuzeit: geistliche Gerichte, weltliche Gerichte, Landgerichte, Hofgerichte, Freigerichte, Femgerichte, Gogerichte, Holzgerichte, Bauerschaftsgerichte etc. Sie bestanden nebeneinander, für einige Vergehen als erste, für andere als Appellationsinstanz, manche galten für bestimmte Personen, andere für bestimmte Delikte oder Gegenstandsbereiche. Viele konkurrierten um Prozesse, die dem jeweiligen Gerichtsherrn und dem Gerichtspersonal durch die Verhängung von Geldstrafen ein Einkommen sicherten. Trotz dieser Vielfalt ist jedoch eines auffällig: Die Einleitung des Gerichtsverfahrens erfolgte in vielen Fällen auf dieselbe Art und Weise, teilweise mit identischen Worten. Die so genannte Hegung bestand am Anfang des Untersuchungszeitraumes im 16. Jahrhundert aus drei Elementen: Es handelte sich dabei um die Konstruktion eines Gerichtsraumes, die Vergewisserung der Legitimität des Gerichts und dessen Vorsitzenden sowie die Herstellung des Gerichtsfriedens.2 Dies alles geschah, je nach Region und Art des Gerichts, für und vor den Augen und Ohren der Gerichtsöffentlichkeit, die im Mittelalter und der Frühen Neuzeit an den Verhandlungen teilnahm. Bevor Formen und Funktionen des rituellen, performativen Aktes der Hegung anhand von Quellen aus dem nordwestdeutschen Raum näher betrachtet werden, soll dieser Zusammenhang zwischen der Hegung des Gerichts und der Öffentlichkeit erläutert werden. Gericht fand im Mittelalter und auch noch in der Frühen Neuzeit öffentlich, meistens im Freien und für alle sicht- und erfahrbar statt. Die Teilnahme der, je nach Art des Gerichts, Dorf- oder Stadtbewohner,

1 Samuel Pufendorf, zitiert nach P. Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1998, S. 26. 2 Vgl. dazu G. Köbler, Art. Hegung, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 36–37.

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Dingpflichtigen oder Hofhörigen war jedoch nicht freigestellt, sondern sie waren verpflichtet, am Gerichtstag zu erscheinen. Im Mittelalter richteten die Männer über sich selbst, der Richter bzw. Vorsitzende des Gerichts sorgte lediglich für einen reibungslosen Ablauf, fällte jedoch nicht das Urteil. Dem Umstand, d.h. allen männlichen Mitgliedern des Wehrverbandes, fiel die Entscheidung in einem Streitfall zu. Mit den entstehenden Städten und der sich ausdifferenzierenden Herrschaft und Administration auf der Landes- und Reichsebene änderten sich im Laufe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auch die Formen der Jurisdiktion. Gelehrte Juristen begannen, professionell Recht zu sprechen, der Umstand reduzierte sich auf die Schöffen als vertretendes Gremium, die Öffentlichkeit wurde nach und nach begrenzt – nicht zuletzt auch, da man begann, sich in geschlossene Räume zurückzuziehen.3 Letztlich blieb von der gesamten Gemeinde nur noch die Parteiöffentlichkeit übrig, d.h. es wurden nur noch die streitenden Parteien bzw. deren Vertreter zum Gericht zugelassen. Trotzdem gab es in einzelnen Städten, vor allem aber in ländlichen Gebieten bis in die Frühe Neuzeit hinein die Form des regelmäßig, öffentlich tagenden Gerichts. Der Unterschied zwischen den Gerichten im Freien und den Verhandlungen in geschlossenen Räumen besteht in der Gewissheit, dass es sich um einen Ort der Rechtsprechung handelt, der meistens mit bestimmten Elementen ausgestattet und so als Ort des Gerichts gekennzeichnet ist. Geht man in einen eigens für das Gericht errichteten Raum, so ist der Zweck klar: Es wird eine Verhandlung stattfinden, und ein dort erscheinender Richter wird das Urteil fällen. Versammelt man sich dagegen auf Einladung an einem Ort vor der Stadt unter einem Baum, ist es zunächst einmal kein besonderer, einer bestimmten Funktion zugeordneter Ort, obwohl man um seine Funktion aus Tradition weiß. Eine rituelle, feierliche Handlung, die Hegung, macht diesen alltäglichen Ort jedoch zu einem Raum der Gerichtsgewalt, der Entscheidungsfindung und des Urteils bzw. aktualisiert dessen Funktionen. Mittels Kommunikation zwischen denjenigen, die die Gerichtsgewalt innehaben, und denjenigen, die ihr unterste3 Dieser Prozess verlief in den europäischen Territorien uneinheitlich von der Frührezeption in England im 12. Jahrhundert bis in die nordischen Länder, die das Römische Recht erst 500 Jahre später, gegen Ende des 17. Jahrhunderts rezipierten. Auch die Professionalisierung der Juristen verlief dementsprechend zeitlich versetzt: Universitäten, die als Vermittler und Multiplikatoren der Kenntnisse ab dem 13. Jahrhundert in Erscheinung traten, breiteten sich erst allmählich während des 14. und 15. Jahrhunderts in Mitteleuropa aus. Trotz der Rezeption konnte das Römische Recht in keinem Territorium eine vollständige Verdrängung der vorigen Rechtsordnung bewirken. Das Reichsrecht wurde nach den Grundsätzen des Römischen Rechts in der Reichskammergerichtsordnung von 1495 umgestaltet, galt allerdings lediglich subsidiär zum Recht der Territorien, vgl. zum Prozess der Rezeption in Deutschland: H. Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte. Rechtsentwicklungen im europäischen Kontext, 9. Aufl., Heidelberg 2001, S. 52 ff., sowie U. Wesel, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 2001, S. 342 f., S. 362 ff.

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hen, wird eine Verbindung hergestellt. Durch die Hegung wird ein Raum geschaffen, in dem das Gericht tagen kann, wird Zeugnis darüber abgelegt, wer als Richter oder Vorsitzender in diesem Raum agiert und von wem er seine Legitimation erhalten hat. In diesem (wieder-)geschaffenen Raum werden nach Klärung dieser Voraussetzungen dann abschließend die beteiligten Parteien und umstehenden Zuschauer über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt. Formen und Funktionen dieser drei Elemente einer Gerichtshegung werden anhand exemplarischer reichsrechtlicher und territorialer Quellen erläutert, ihr Wandel vom 16. bis 18. Jahrhundert nachvollzogen, um sie abschließend in den Bedeutungszusammenhang von Öffentlichkeit und Performanz, Recht und Ritual einzuordnen. II. Quellen und Forschung Die vermutlich aus dem germanischen Recht stammende Hegung4 erfuhr im Laufe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit einige Veränderungen, indem sie sich den gewandelten Gegebenheiten anpasste. Aufgrund nordwestdeutscher Quellen des 16. bis 18. Jahrhunderts ist jedoch festzustellen, dass die drei Elemente der Hegung durch die Jahrhunderte hinweg konstant blieben und sich regional teilweise bis in die Formulierungen glichen. Herangezogen wurden in erster Linie ländliche Quellen aber auch Aufzeichnungen aus der Stadt Soest und die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) auf der Ebene des Reichsrechts. Sie dient als Vergleichsfolie, die über mögliche Unterschiede zwischen Norm und Realität sowie über die Durchdringung territorialer Gesetzgebung mit reichsrechtlichen Vorgaben Auskunft geben soll. Das grundsätzliche Problem aller untersuchten Quellen ist deren normativer Charakter. Es handelt sich, bis auf eine Ausnahme, um Gerichtsordnungen, Weistümer oder Einzelbestimmungen aus Rechtskodifikationen. Durch die Betrachtung der Hegung über den langen Zeitraum von 200 Jahren ist es jedoch möglich, zumindest einen Einblick in historische Realitäten zu gewinnen. Es muss allerdings durch die Uneinheitlichkeit der untersuchten Quellen in regionaler wie zeitlicher Hinsicht bei einem exemplarischen Versuch bleiben, dem weitere Untersuchungen folgen sollen. Die bisherigen Forschungen zur Hegung des Gerichts bieten zum Phänomen der weit gestreuten Quellen mit nahezu gleich lautenden Wortformeln bislang nur wenige Anhaltspunkte. Das Standardwerk „Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte“ stammt aus dem Jahre 1893 und ist im Kontext der Wissenschaftsgeschichte näher bei Ja4 K. Burchard, Die Hegung der deutschen Gerichte im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte, Leipzig 1893, S. 310: „Die Wurzeln des Brauches [der Hegung, C. S.] liegen in germanischer Zeit, sie sind umkleidet mit heidnisch sakralen Ideen. Aus diesem Keime heraus entwickelte sich das Hegungsverfahren der späteren Zeit.“

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cob Grimm als bei der neueren Rechtsgeschichte zu verorten.5 Dementsprechend verwandte der Autor viel Zeit auf die Rekonstruktion der Anfänge der Hegung, die er bei den Germanen sah. Leider sind die Quellenbelege eher dürftig und konzentrieren sich nicht auf eingegrenzte Regionen oder Zeitabschnitte. Darüber hinaus lassen sich nur wenige Hinweise in Bezug auf die Funktionszuschreibungen der einzelnen Elemente der Hegung finden. Der Artikel im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte aus dem Jahre 1978 verweist im Anmerkungsapparat auf Literatur, die bis auf einen Titel vor 1945 entstanden ist.6 Der Autor endet mit dem Satz: „Wenig später [ab dem 14. Jahrhundert, C. S.] wird die Hegung [. . .] teilweise bereits ziemlich sinnentstellt durchgeführt.“7 Diese These soll hier durch neuere Forschungen der Rechtsgeschichte und deren Nachbardisziplinen in Verbindung mit der Grundlagenforschung überprüft werden. Indem Überlegungen zum (Rechts-)Ritual, zur Sprechakttheorie und Performativität in die Quellenanalyse einfließen, können bisherige Forschungen neu bewertet und Ergebnisse modifiziert werden. III. Elemente der Hegung 1. Die Konstruktion eines Gerichts-Raumes „Item hirna folgt wo ein gogreff ein gogericht sall spannen und hegen und sal also enen guiden unverspracken man fragen ens gerechten ordels“.8 So oder ähnlich fangen viele Weistümer, Hofrechte oder Gerichtsordnungen des 15. und 16. Jahrhunderts an. Ein Gericht soll gehegt werden und ein unbescholtener Mann soll ein gerechtes Urteil erfragen, verkünden oder auch fällen. Diese Form der Einleitung eines Gerichtsverfahrens kennt man heute nicht mehr: Das Gericht beginnt, sobald der Richter und die Schöffen bzw. Beisitzer den Gerichtssaal betreten haben. Einzig die Aufforderung des Gerichtsdieners, sich zu erheben, erinnert an eine frühere, feierliche Form der Prozesseröffnung. Voraussetzung für den Beginn eines Gerichtsverfahrens ist jedoch, dass man sich in einem dem Gericht vorbehaltenen Raum befindet. Da dies im Mittelalter und auch am Beginn der Frühen Neuzeit nicht zwangsläufig der Fall war, das Gericht meistens im Freien, lediglich ca. zwei bis drei Mal im Jahr tagte, war es notwendig, diesen Ort als Rechts-Raum sichtbar zu machen. Zwar tagte das 5

K. Burchard, Hegung (Anm. 4). Köbler, Hegung (Anm. 2), Sp. 37, nennt sechs Titel, von denen vier vor 1900 entstanden sind. 7 Ebd. 8 Hegung des Gogerichts Bakenfeld Ende des 16. Jahrhunderts, in: F. Philippi, Westfälische Landrechte, Bd. I.: Landrechte des Münsterlandes (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 8b: Rechtsquellen), Münster 1907, S. 143 f. 6

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Gericht immer an derselben Stelle, die zumeist außerhalb der Stadt unter einem Baum lag – es wurde also nicht jedes Mal ein neuer Platz zum Gerichtsplatz erklärt. Trotzdem musste dieser Ort aus seiner alltäglichen Funktion herausgehoben und von einem Ort der Alltäglichkeit zu einem Raum der legitimen Entscheidungsfindung transferiert werden.9 Als erstes grenzte man daher ein Areal ab, in dem Richter, Schöffen und die Parteien agieren konnten. In frühester Zeit handelte es sich bei dem so genannten „Bank spannen“ um die tatsächliche, räumliche Abgrenzung durch das Einsetzen ephemerer Gegenstände wie Pflöcke, Zweige, Schnüre, Seile und auch Holzbänke (vgl. Abb. 1). Der materiell konstruierte Raum galt jedoch nur als innere Begrenzung für die vor und im Gericht agierenden Personen (vgl. Abb. 2), die Zuschauer blieben vor den, in diesem Fall, Holzbänken. Eindeutig zeigt Abbildung 3, wer sich innerhalb des Gerichtsraumes aufhalten durfte: der Gerichtsschreiber am Tisch sitzend, der Bote, erkennbar an seinem Botenstab, sowie drei Männer unmittelbar im Schatten einer Linde, die durch ähnliche Kleidung von Wolfgang Schild als Ratsherren10 identifiziert wurden. Der weiße Kragen könnte darauf hinweisen, dass es sich bei dem Mann, der ganz rechts steht, um den Richter bzw. den Vorsitzenden handelt – ihm wird eine schriftliche Eingabe vorgelesen. Innerhalb dieses durch Schranken umrissenen Raumes galt der Gerichtsfrieden, kein Unbefugter hatte Zutritt. Die Zuschauer standen zwar außerhalb dieses eingehegten Raumes, für sie galt jedoch gleichermaßen das Friedensgebot (vgl. III. 3). Im Laufe der Frühen Neuzeit wurden die vergänglichen Begrenzungen zunehmend durch feste Gegenstände ersetzt: Bänke, Steinkreise oder Tische kennzeichneten die Stätte des Gerichts nun dauerhaft (vgl. Abb. 4). Die Raum-Konstruktion meint jedoch nicht allein die materielle Umgrenzung eines Platzes, an dem Gericht gehalten werden kann. Vielmehr verbindet sich darin der materielle Ort mit der ideellen Vorstellung eines Raumes, in dem die Rechtspflege aktiv betrieben werden kann. In diesem Raum erwartet man bestimmte Handlungen, und nur dort werden bestimmte Handlungen erst möglich bzw. erlangen Rechtskraft: Ein Eid, den man nicht vor einem Richter leistet, hat 9 Zu der wieder entdeckten Kategorie des Raumes vgl. C. Dartmann/M. Füssel/ S. Rüther (Hg.), Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 5), Münster 2004. Darin insbesondere der Beitrag von M. Füssel/S. Rüther, Einleitung, S. 9–18, S. 12 f.: „Unter ,Räumen‘ sollen sowohl soziale Räume und Raumbilder als auch materielle Räume im Sinne von Architektur bzw. ,Stadt-Räumen‘ verstanden werden. [. . .] Im Sinne eines konstruktivistischen Raumverständnisses werden Räume dementsprechend als immer erst durch die Wahrnehmung der sozialen Akteure konstituiert verstanden.“ 10 W. Schild, Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, München 1980, S. 90.

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Abb. 1: Verfahren gegen Peter am Stalden, Miniatur, 1513 (Diebold-Schilling-Chronik 1513. Eigentum Korporation Luzern, nach Schild, Geschichte (Anm. 10), Abb. 176)

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Abb. 2: Öffentlicher Rechtstag gegen einen Dieb, Volkach 1504 (Kolorierte Zeichnung im Salbuch (1448–1666). Volkach Stadtarchiv, nach Schild, Geschichte (Anm. 10), Abb. 359)

keinerlei Rechtskraft, eine Zeugenaussage, die Richter, Staatsanwalt und Anwalt nicht hören können, hat kein Gewicht. An keinem anderen Ort können diese Handlungssequenzen im Regelfall Geltung entwickeln, wenn nicht vor Gericht. Demnach verbindet man mit dem Gerichts-Raum Handlungen und Sprechakte, die Geltung und Gültigkeit auch durch die Voraussetzung erlangen, dass sie an einem dafür vorgesehenen Ort stattfinden. Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass die Gültigkeit und Relevanz bestimmter Handlungen und vor allem einzelner Sprechakte (wie z. B. des Eides) in erster Linie an bestimmte Personen, insbesondere an die des Richters gebunden ist. So könnte ein Eid auch bei einem Richter zu Hause geleistet werden, sofern ein Protokollant zugegen ist. Diese Möglichkeit, die in Notfällen oder Ausnahmesituationen als

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Abb. 3: Gerichtslinde, Mühlhausen/Schweiz 1513 (Diebold-Schilling-Chronik 1513. Eigentum Korporation Luzern, nach Schild, Geschichte (Anm. 10), Abb. 177)

Option zur Verfügung steht, ist jedoch eben das: eine Ausnahme. In der Regel sagt der Zeuge vor dem Richter und den Schöffen bzw. Beisitzern, den Parteien und deren Vertretern, einem Protokollanten sowie den Zuschauern, der Öffentlichkeit, in einem dafür eingerichteten Raum aus. Dahinter stehen jedoch nicht allein praktische Gründe. Mit dem Gericht als Institution sind darüber hinaus Wertvorstellungen verbunden, die durch den Raum als Symbol der präsenten Institution kommuniziert werden. Dabei handelt es sich um Werte wie Wahrheit, Fairness und Gerechtigkeit, die einer legitimen und als solche anerkannten Rechtsprechung zugrunde liegen (sollten). Diese Werte bilden die Basis eines jeden Verfahrens und sind durch Gewohnheit und Regelmäßigkeit an einen Ort gebunden: den Gerichts-Raum, wie auch immer seine Materialität aussehen mag und mochte.

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Abb. 4: Gerichtsplatz mit Steintisch im gehegten Steinkreis um die Gerichtslinde in Rodebach bei Kassel (Frölich-Archiv, Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte, Universität München, nach Schild, Geschichte (Anm. 10), Abb. 170)

2. Die Vergewisserung der Richtigkeit und Legitimität des Verfahrens Die Herstellung und Darstellung von Legitimität als einer weiteren Wertvorstellung ist für das Gericht und die darin agierenden Personen von großer Wichtigkeit, denn nur so kann die Akzeptanz eines Urteils gewährleistet werden.11 Die Versicherung der Legitimität erfolgte jedoch nicht allein durch die materielle Eingrenzung des Gerichts, sondern die im Gericht agierenden und vor Ge11 Vgl. L. Hölscher, Art. Öffentlichkeit, in: O. Brunner/W. Conze/R. Kosselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 413–467, S. 416: „Es war gerade das Zeichen einer guten Obrigkeit, daß sie nichts im Verborgenen halten mußte. Die von ihr errichtete Ordnung war also, indem sie öffentlich war, auch rechtmäßig.“

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richt stehenden Personen vergewisserten sich zusätzlich in einem Sprechakt der rechten Zeit und des rechten Ortes: „[. . .] oft et ich si dach und tit, dat ick hir tor stede moge sitten und holden ein gogericht na gogerichtz rechte?“12; „[. . .] als frage ich euch N.N. ob es nicht sei heut dach und zeit, das ich alhie moge hegen und spannen, sitten und halden alhie eine hofsprake oder hofrecht nach hofrichtes rechte und nach gewonheit und gebruke dieses stifts Munster?“13; „[. . .] Jck vrage dy, N., offte dat wal dach unde tijt is, dat ick hijr heyghe eyn erffgerichte na erffhuses rechte.“14

Die Frage nach der rechten Zeit und dem rechten Ort erscheint in diesen Beispielen als ritualisiert und quasi formalisiert.15 Durch die Aufzeichnung dieser Ordnungen und Weisungen verstärkt sich der Eindruck eines starren, formelhaften Dialogs, bei dem eine Frage gestellt und mit gleichen Worten bejaht wird.16 Man könnte nun meinen, da diese Sprechakte formelhaft erscheinen, seien sie inhaltsleer, ohne Bedeutung und würden lediglich „da man es immer so gemacht hat“ gesprochen. Gerade dies ist jedoch nicht der Fall, sondern im Gegenteil fällt der öffentlichen Bekundung einige Bedeutung zu, gerade weil es immer dieselben Worte sind, die formuliert werden: „Rechtsgleichmäßigkeit [. . .] garantiert Rechtssicherheit.“17 Durch die Gleichförmigkeit des Prozessbeginns zeigt sich die Legitimität derer, die dort agieren. Indem sie althergebrachte, tradierte Formeln sprechen, legen sie ein für alle sicht- und hörbares Zeugnis von ihrer Autorität ab. Hier offenbart sich der Aufführungscharakter, 12

Philippi, Westfälische Landrechte (Anm. 8), S. 146 f. J. Grimm, Weisthümer, Bd. 3, Göttingen 1842, S. 127–130. 14 T. Sodmann, Aldus salmen holden jnt stichte von Munster eyn erffgerichte van eygenen lueden. Ein mittelalterliches Rechtsgangformular aus dem Westmünsterland, in: H. Höfinghoff/T. Sodmann (Hg.), Van rechte unde wonte. Quellen zur Rechtsgeschichte des Westmünsterlandes (Westmünsterland. Quellen und Studien 7), Vreden 2004, S. 127–141, S. 130. 15 Ebd., S. 137 f. T. Sodmann zählte für den gesamten Text, der 183 Zeilen umfasst, 22 Paarformeln, darunter eben auch „dach unde tijt“ und begründet die auffällige Häufung von Paar- und Zwillingsformen mit der Einprägsamkeit, die „zur genauen Einhaltung der textlichen Vorgaben“ beitrugen, S. 137. 16 V. Hertel, Rituale in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen ländlichen Rechtsquellen, in: V. Hertel/G. Lerchner (Hg.), Sprache und Kommunikation im Kulturkontext. Beiträge zum Ehrenkolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Gotthard Lerchner (Leipziger Arbeiten zur Sprach- und Kommunikationsgeschichte 4), Frankfurt a. M. u. a. 1996, S. 337–350. Hertel bestätigt diesen Eindruck für die von ihm untersuchten Thüringer Weistümer, bei denen er einen „rituell formalisierten Sprachgebrauch“ konstatiert. Die Texte zeichneten sich „durch eine ausgeprägte Redundanz bei der sprachlichen Realisierung der als Gliederungssignale fungierenden Aufforderungen und Bitten der Agierenden“ aus, vgl. S. 343. Für ein aus dem 16. Jahrhundert stammendes Rechtsgangformular des Westmünsterlandes, dessen abgedruckter Text ein weiteres Beispiel für die Gleichheit der Hegungselemente sowie die Ähnlichkeiten der Formulierungen bietet, ist eine exemplarische Sprachanalyse vorgenommen worden, vgl. Sodmann, Rechtsgangformular (Anm. 14), S. 136–141. 17 E. Kaufmann, Art. Formstrenge, in: HRG (Anm. 2), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1163–1168, Sp. 1163. 13

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der der Hegung zugrunde liegt. Die Zuschauer kennen die gesprochenen Formeln, sie leiten das Gericht ein, durch sie wird das Gericht erst konstituiert. Dabei soll jedoch ausdrücklich der Vorwurf einer Inszenierung, eines Theaters bzw. der Theatralik entkräftet werden. Im Gegenteil verweisen soziologische Forschungen auf die Tatsache, dass alle Menschen Theater spielen18, d.h. sobald ein Publikum vor Ort ist (wobei ein einziger Mensch auch schon als Zuschauer, also als Publikum, gilt) handelt der Mensch sozial und damit für andere. Der negative Klang, der fast immer mitschwingt, wenn das vermeintlich geordnete, „rationale“ System „Recht“ in Verbindung mit der „irrationalen“, emotionalen und geradezu gauklerischen Welt des Theaters gesetzt wird, sollte möglichst verhallen. Denn Aufführung und Inszenierung ist ein einfaches und wirksames Medium einer direkten Kommunikation. Gerade in Bezug auf die Hegung, die darin enthaltene Raum-Konstruktion und Vergewisserung der rechten Zeit und des rechten Ortes durch einen öffentlichen Sprechakt ist festzustellen, dass für die umstehenden Zuschauer Werte, die das Gericht und dessen Handeln legitimieren, in einer Art Aufführung kommuniziert wurden. Diese Werte in direkter Kommunikation zu vermitteln, ist für das Funktionieren einer Rechtspflege unverzichtbar, die bis in die Frühe Neuzeit hinein ohne schriftlich kodifiziertes Recht, festgeschriebene Instanzenzüge und konstante Institutionen auskommen musste. Der Umkehrschluss, dass nämlich die Vermittlung von Werten in Zeiten konstanter Institutionen und schriftlicher Kodifikationen überflüssig wird, kann so jedoch nicht gezogen werden. Mittel und Medien mögen sich wandeln, das Bedürfnis nach einer Versicherung von Normen und Werten, die der Rechtspflege oder einem Staat zugrunde liegen, verschwindet dabei nicht. Mit der beschriebenen strukturellen Vielförmigkeit in der Frühen Neuzeit ist auch die uneinheitliche Verteilung der Jurisdiktionsrechte verbunden. Die Vielzahl der Gerichte und damit auch der Gerichtsherren machte es notwendig, bei der Einberufung eines Gerichtstages, öffentlich zu bekunden, wessen Jurisdiktionsrechte man vertrat. Denn mit zunehmender Größe einzelner Territorien übte nicht mehr der Landesherr in personam seine Gerichtsgewalt aus, sondern ernannte Vertreter, setzte Beamte ein, die Recht sprachen bzw. den Ablauf der Verhandlungen überwachten, sofern hier noch der Umstand bzw. ein Gremium aus dem „Volk“ urteilte. So stand nach der Konstruktion eines Raumes für das Gericht die Vergewisserung der Legitimität und Autorität des Vorsitzenden an:

18 E. Goffman, Wir alle spielen Theater, München 1969. Zuletzt auch E. FischerLichte, Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe, in: J. Martschukat/S. Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Norm und Struktur 19), Köln u. a. 2003, S. 33–54, S. 45.

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„Zum ersten wen hei den stoel beceldet hefft wie nemlich der freigrave mitsampt den stuelhern und den fursprechen, fragt hei, und wannehr er das freigricht hegen und spannen will, warup ehr den vorspreken fraget. Der vorspreche antwortet und weiset: ,Ja, her grave, als gi haben die moge und macht von dem heiligen romischen reiche und kaiser Carll und der ehrnreichen stadt Soist [. . .]‘.“19

Diese undatierte Gerichtsordnung aus Soest zitiert zur Einleitung des Gerichtsverfahrens einen Dialog zwischen dem Vorsprecher20 und dem Gerichtsherrn, in diesem Fall dem Freigrafen. Einleitend fragt der Freigraf demnach seinen Vorsprecher, ob er das Freigericht hegen und spannen soll, woraufhin der Vorsprecher antwortet, dass er die Macht vom Heiligen Römischen Reich, von Kaiser Karl21 und der Stadt Soest habe, hier und heute ein Gericht abzuhalten. Ein weiteres Quellenbeispiel zeigt die Einheitlichkeit in der Form trotz abweichenden Inhalts: „Vorsprach. Herr gograf, dewile ihr haben von gott de macht den unden befellich von NN. Als erb und gutherren dises erbs und anwesender hofhorigen, als ist heut der dach und zeit.“22

Auch hier findet ein Dialog zwischen dem Gerichtsvorsitzenden, in diesem Fall dem Gografen, und seinem Vorsprecher statt. Die Gerichtsgewalt leitet sich zunächst von Gott und dem direkten Befehl des Grafen ab, der in diesem Formular als NN. bezeichnet ist. Einzusetzen ist also der jeweilige Name des zurzeit regierenden Grafen. Ein weiteres Beispiel aus der Stadt Bakenfeld im Fürstbistum Münster ergänzt das Bild: „Item hirna folgt, wo ein gograff ein gogericht sall spannen und hegen und sal also enen guiden unverspracken man fragen ens gerechten [ordels]: Ick frage j[u]w N. dwil ick heb de macht van Godt und dat bevell van den ehr- und werdigen heren domdechen und capitell der domkerchen tho Munsther und dat schwerdt van den landfursten entfange, oft et icht si dach und tit, dat ick hir tor stede moge sitten und holden ein gogericht na gogerichtz rechte. Darup antwert he: Dwil, her gogreff, gi hebben de macht van Godt und dat bevell van der ehr- und werdigen heren domdechen und capitell und dat schwerdt van den lantfursten enthfangen, szo mogen gi alhir tor stede besitten und holden ein gogericht na gogerichtz rechte.“23

19 W.-H. Deus (Hg.), Soester Recht, Bd. 4: Observanzen, Soest 1974, S. 649–654: Freistuhl, S. 650. 20 In den Quellen wird das Wort „Vorsprecher“ benutzt, der jedoch nicht mit dem „Fürsprecher“ der Parteien zu verwechseln ist. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Vorsprecher um den Gerichtsfron. 21 Dabei handelt es sich um Kaiser Karl V. (1519–1556), dessen Name jedoch nachträglich in der Handschrift ergänzt worden ist. Trotz der späteren Einsetzung ist die Wahrscheinlichkeit daher groß, dass die Quelle aus dem 16. Jahrhundert stammt. 22 Grimm, Weisthümer (Anm. 13), S. 127–130: Hofsprache im Stift Münster, S. 127. 23 Philippi, Westfälische Landrechte (Anm. 8), S. 143 f.

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Auch hier wird mittels des Dialoges festgestellt, woher sich die Autorität und Legitimität, zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort Recht zu sprechen, ableitet: von Gott, den Domdechanten und dem Domkapitel. Zusätzlich wird erwähnt, dass der Gograf das Schwert vom Landesfürsten empfangen hat.24 Hier wird über die Aufzählung hinaus ein materielles Symbol der Gerichtsgewalt verwendet, um Legitimität darzustellen.25 Von weltlicher als auch von geistlicher Seite wurde dem Grafen demnach das Recht zugesprochen, über seine Untertanen zu richten. Dieser Frage- und Antwortdialog lässt sich in unterschiedlichen Quellen und Regionen des Alten Reiches nachweisen.26 Die Elemente des Dialoges sind identisch, alle fragen zunächst nach der rechten Zeit und dem rechten Ort und stellen dann fest, durch wen dem Vorsitzenden seine Berechtigung, Gericht zu halten, erteilt wurde. Diese Vergewisserung wirkte systemstabilisierend, indem durch performative Handlungen und Formeln eine Kommunikation zwischen Herrschaft und Untertanen entstand, die der Bekräftigung der Gewohnheit und damit der Legitimierung aller weiteren Handlungen im Gerichts-Raum diente. Die Formelhaftigkeit sowie die häufigen Wiederholungen dienten – vergleichbar der Frage nach dem rechten Ort und der rechten Zeit – der Einprägsamkeit und hatten einen hohen Wiedererkennungswert. Insbesondere in Bezug auf den Vorsitz des Gerichts durch Vertreter des Gerichtsherrn war es wichtig, die Legitimität zu bekunden und eindeutig abzuleiten. So wurden dem Gericht zugeschriebene Werte, insbesondere die Legitimität des Richtenden und die Gerechtigkeit, die dem zu Richtenden zukommen sollte, kommuniziert, symbolisiert und stärkten auf diese Weise das Vertrauen in die Rechtspflege. 3. Das Friedensgebot Soest, spätes 15. Jahrhundert: „So sal de richter seggen: ,wat sal ick hyr vorbeiden?‘ so sal dey vorspeker seggen: ,strythwart, kyffwart, hennewart und dat nummant syn des anderen achte eyn ga, hey komme dar to als recht is [. . .].‘“27

24 Der ursprünglich an der Spitze einer Gogemeinde stehende Gograf geriet im Laufe des Spätmittelalters immer mehr in die Einflusssphäre der Territorialherren. Wurde er früher von den Grundherren gewählt, hatte nun der Landesherr das Einsetzungsrecht. Vgl. dazu G. Landwehr, Art. Go, in: HRG (Anm. 2), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1722–1726. Im Fall des Stiftes Münster war der Landesherr der Fürstbischof, der sich durch Wahlkapitulation an das Domkapitel binden musste. 25 Vgl. zu Symbolen im Recht: G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, München 1992. 26 Hertel, Rituale (Anm. 16), S. 337–350, verweist auf Weistümer aus Thüringen und Franken. Auch hier fand ein ritualisierter Dialog zwischen dem Richter bzw. dem Vertreter der Herrschaft und dem Schöffenkollegium statt, vgl. S. 342.

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Münster, spätes 16. Jahrhundert: „Ick frage wyders: Wess ick in dussen gerichte si schuldich to gebeiden und to verbeiden? Darup antwert he: Her Gogreff, gi solt in dussen gerichts gebeiden, recht und verbeiden unrecht, unlust, nytwort, strytwort, kyffwort, hennewort, nemans to sprecken in dit gerichte, he doe dat vermitz sinen togelaten und erloefften vorspreicken.“28

Soest, undatiert: „Was hei worken und verbeiden sall, antwort: ,Ihr solt hier vorbeiten kiffwort streitwort scheltwort hennefort, und daß keimand ihn eins anderen acht gehe, ehr werde dan darzu gezogen so recht ist, und daß auch keimandt ins gericht komme ohn erleubnus juwer und sunder vorsprechen [. . .].‘“29

Das Friedensgebot wird ebenso wie die Frage nach der rechten Zeit und dem rechten Ort mittels eines performativen Sprechaktes zwischen Vorsprecher und Vorsitzendem erfragt. Auffällig sind die teilweise identischen Formulierungen, wobei auch hier der Aufführungscharakter mit dem Ziel der Gleichförmigkeit im Vordergrund steht. Tatsächlich sind diese Worte aber auch als Handlungsanweisungen zu verstehen: Der Friede im Gericht sollte nicht nur innerhalb des durch Grenzen markierten Raumes gelten, sondern auch außerhalb der Schranken. Die Hegung und der Gerichtsfrieden beschreiben demnach einen weitaus größeren Raum, als es der materielle Ort zunächst vermuten lässt. Jeglicher Streit, Beleidigungen, Aufruhr wurden verboten, wobei diese Aufforderung auch oder gerade den anwesenden Streitparteien und deren Vertretern galt, die sich außer der Sache dienenden Wortbeiträgen jeglicher Provokation enthalten sollten. Natürlich war auch die unter Umständen große Zuschauermenge bzw. der Umstand ein potentieller Unruhefaktor, dem durch diese Hinweise ein angemessenes Verhalten eingeschärft wurde. Der explizite Hinweis in einem Weistum aus dem Fürstbistum Münster, in dem der Gograf aufgefordert wird, „alle falsche meinede“30 zu verbieten, deutet darüber hinaus darauf hin, dass bestimmte Grundprinzipien der Rechtspflege wiederholt allen mitgeteilt werden mussten – wie das auch in heutigen Gerichtsverhandlungen der Fall ist, z. B. hinsichtlich der richterlichen Belehrungspflicht gegenüber Zeugen. Anhand der drei vorgestellten Elemente der Hegung des Gerichts wurde deutlich, dass sich Handlungssequenzen und Sprechakte zu einem „performativen Ganzen“ verbanden, womit instrumentelle und symbolisch-expressive31 Ziele verfolgt wurden:

27 W.-H. Deus (Hg.), Soester Recht, Bd. 3: Ältere Ordnungen, Soest 1971, S. 366– 377, S. 377. 28 Philippi, Westfälische Landrechte (Anm. 8), S. 143 f. 29 Deus, Soester Recht (Anm. 19), S. 650. 30 Grimm, Weisthümer (Anm. 13), S. 127.

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1. Es wurde ein Raum geschaffen, in dem bestimmte, allein dem Gericht vorbehaltene Handlungen stattfinden konnten. Der dafür vorgesehene, traditionelle Ort wurde durch Grenzziehung markiert und so für die umstehenden Zuschauer aus der Alltäglichkeit herausgehoben. Dieser materielle Ort symbolisierte den ideellen Raum einer legitimen Entscheidungsfindung und deutete über die engen Grenzen der Markierung hinaus (Friedensgebot). 2. Durch rituelle Sprechakte, deren Sprache sich durch Formelhaftigkeit auszeichnete, wurden zum einen Wertvorstellungen wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Fairness kommuniziert und zum anderen die Legitimität und Autorität des Richters bzw. Vorsitzenden öffentlich bekundet. 3. Regelhaftigkeit, Gleichförmigkeit und Formstrenge waren dabei nicht Ausdruck einer erstarrten Rechtspflege, die lediglich Gewohntes und Althergebrachtes reproduzierten, sondern erzeugten und vermittelten Vertrauen und Rechtssicherheit. IV. Ein Notgericht hegen Einen Sonderfall in der Rechtspflege beschreibt das so genannte „Notgericht“. Es meint ein außerordentlich einberufenes Gericht, das nur in wenigen Quellen beschrieben wird.32 In der Soester Überlieferung findet man jedoch detaillierte Bestimmungen, wie ein solches Gericht gehalten werden soll: „Item als eyn rychter to Soest wyl gan unde hegen eyn noetgerychte dar eyn mynsche kranck lycht, hey sy berychtet ofte nycht, unde als dey rychter dat gerychte dar hegen wyl, so sal dey rychter enen vorspreker myt sick nehmen, und wanner dey rychter dan vor dat bedde des krancken komet, so sal dey rychter tot dem vorspeker seggen, dat hey dem krancken vrage of et syn wylle sy, dat hey dar legge und hege eyn noetgerychte; so sal dey krancke tot dem rychter seggen: Jae, dat sy syn wylle.“33

Es ist also, obwohl nur der Kranke anwesend ist, notwendig, das Gericht formal zu hegen – und zwar durch einen Dialog zwischen dem Vorsprecher und dem Kranken, der gefragt wird, ob es sein Wille sei, dass dort an seinem Bett 31 Vgl. zum Unterschied zwischen diesen beiden Formen des Handelns B. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Forschungsperspektiven – Thesen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489–527, S. 497: „Instrumentelles Handeln verfolgt einen bestimmten Zweck; symbolisches Handeln stiftet Sinn und erschöpft sich nicht in der Erreichung eines bestimmten Zwecks.“ [Hervorhebungen im Original]. 32 Vgl. dazu den wenig aussagekräftigen Artikel von E. Kaufmann, Art. Notgericht, Notrichter, in: HRG (Anm. 2), Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 1059–1060, Sp. 1060: „Die Gründe für die Einberufung eines N. dürften zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten recht unterschiedlich gewesen sein.“ 33 Deus, Soester Recht (Anm. 27), S. 377. Die Quelle stammt vom Ende des 15. Jahrhunderts.

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ein Notgericht gehegt werde. Diese Quelle unterstützt die These, dass es nicht in erster Linie darum ging, einen konkreten Ort zum Gericht zu erklären, sondern vielmehr darum, einen ideellen Raum zu erschaffen, in dem ein Richter eine Entscheidung fällen konnte, die Rechtskraft erlangte und akzeptiert wurde. Des Weiteren stimmen auch die anderen Elemente der Hegung bis ins Detail überein: Die Ableitung der Autorität wird explizit ausgesprochen34 und auch die Frage, „of et nu dan ock wol dach und tyt sy“35 sollte gestellt und vom Vorsprecher positiv beantwortet werden. Dialog und Wortformeln teilten demnach auch am Bett eines Kranken die Legitimität des Richters und seiner Entscheidung mit und trugen somit zur Sicherung des Vertrauens in die Rechtspflege bei. Das Beispiel belegt, dass bei der Hegung des Gerichts weniger konkrete Ziele als vielmehr die Vermittlung bestimmter Werte und Wertvorstellungen einer funktionierenden Rechtspflege in Form von symbolischer Kommunikation, performativen Handlungen und Sprechakten im Vordergrund stand. V. Die Hegung im Verlauf der Frühen Neuzeit Diese in face-to-face Gesellschaften interaktiven und damit integrativen Formen der Kommunikation versuchten landesherrliche Obrigkeiten im Verlauf der Frühen Neuzeit zu ersetzen. Durch die Rezeption des Römischen Rechts ab dem 14. Jahrhundert begann sich die Rechtspflege zu wandeln. Mit der Hauptphase in der Mitte des 15. Jahrhunderts „gelang der endgültige Durchbruch, und zwar in erster Linie deshalb, weil nun die gelehrten Juristen auch in die Gerichte einzogen und dort die alten Schöffen abgelöst haben“.36 Nicht nur studierte Juristen, sondern auch verschriftlichtes Gewohnheits- und Reichsrecht waren Errungenschaften dieser Zeit. So gilt die Reichskammergerichtsordnung von 1495 als „Symbol für die Vollendung der Rezeption“.37 De facto galt das Römische Recht jedoch lediglich subsidiär zum lokalen Recht, und so stellt sich die Frage, welche Bestimmungen auf der Reichsebene zur Hegung getroffen wurden und ob diese sich in den lokalen Rechten sowie in der Rechtspraxis wiederfinden lassen.

34 Deus, Soester Recht (Anm. 27), S. 377: „[. . .] so sal dey rychter dan dem vorspreken vragen eynes ordels na dem male, als et des krancken wylle sy und hey dey moge und macht heb van mynen gnedigen leven heren van Cleve und der stadt van Soest [. . .]“. 35 Ebd. 36 Wesel, Geschichte des Rechts (Anm. 3), S. 343. 37 Ebd.

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1. Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (1532) Die Hegung mit ihren Handlungssequenzen und Sprechakten wird in der Carolina nicht mehr explizit erläutert. Lediglich bei den Bestimmungen zum „entlichen Rechtstag“ taucht die rituelle Gerichtseröffnung auf. Bevor nun die Besonderheiten dieser Form der Verhandlung erläutert werden, stehen zunächst die Artikel zur Hegung im Vordergrund: Titel 82 bestimmt: „Item am gerichtßtag, so die gewonlich tag zeit erscheint, mag man das peinlich gericht mit der gewonlichen glocken beleutten, und sollen sich Richter und urtheyler an die gerichts statt fügen, da man das Gericht nach guter gewonheyt pflegt zusitzen, und soll der Richter die urtheyler heyssen nidersitzen, unnd er auch sitzen seinen stabe oder bloß schwert, nach lendlichen herkommen eyns jeden orts inn den henden haben, und ehrsamlich sitzen bleiben, biß zu ende der sachen.“38

Zur „gewonlich“ Zeit, an einem Ort, an dem das Gericht „nach guter gewonheyt“ zu sitzen pflegt, sollte nach dem jeweiligen „lendlichen herkommen“ die Verhandlung abgehalten werden. Explizite Bestimmungen zum Ablauf lassen sich in der Carolina nicht finden, dennoch rekurrieren die Artikel auf die Gewohnheit, also den normalen Ablauf des Gerichtes je nach lokalem Brauch. Das schloss somit auch die Hegung mit ein. Die Frage nach der Legitimität des Richters sollte ebenfalls nach dem Herkommen geklärt werden – Stab oder Schwert als Symbol der Gerichtsgewalt konnten auf die Ableitung der Autorität verweisen, wie auch ein formalisierter Frage- und Antwortdialog, bei dem ebenfalls nach lokalem Recht verfahren werden sollte. Die Carolina setzte demnach insgesamt auf Altbewährtes und Bekanntes. Die Tatsache, dass nun der Umstand als Urteiler von einem „gelehrten“ Schöffenkollegium ersetzt wurde bzw. werden sollte, bestätigt Titel 84: „Item so das gericht also gesessen ist, so mag der Richter jeden Schöffen besonder also fragen, N. ich frag dich ob das entlich gericht zu peinlicher handlung wol besetzt sei, Wo dass das selbig gericht nit under siben oder acht schöffen besetzt ist, soll jeder schöff also antwurten, Herr Richter, das peinlich entlich gericht ist nach laut Keyser Karls des fünfften und des heyligen Richs ordnung wol besetzt.“39

Die ursprünglichen Hegungsfragen sind hier nur noch rudimentär vorhanden, die anwesenden Schöffen werden nur noch nach der rechten Besetzung des Gerichts gefragt. Die Frage nach dem rechten Ort und der rechten Zeit wurde durch diejenige nach der rechten Besetzung ersetzt, die, sofern positiv beantwortet, die Rechtmäßigkeit dokumentierte. Worauf sich die Legitimität des Gerichts stützte, wurde nicht explizit erfragt, trotzdem verweist der Sprechakt auf 38 F.-C. Schroeder (Hg.), Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs von 1532 (Carolina), Stuttgart 2000, S. 61. 39 Ebd., S. 62.

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die Ordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Reichs. Laut dieser Ordnung wird mindestens sieben oder acht Mal derselbe Wortlaut gesprochen und dem Richter bestätigt, dass das Gericht „wol besetzt“ sei! Die Ähnlichkeiten mit den sich wiederholenden Formeln in den Fragen und Antworten von Richter und Vorsprecher drängen sich an dieser Stelle auf. Interessant ist dabei die Tatsache, dass bei korrekter Ausführung der Bestimmungen, zunächst nach alter Gewohnheit das Gericht gehegt werden sollte, also auch mittels Dialog zwischen Richter und Gerichtsfron, und dann in einer zusätzlichen Bestimmung die Anwesenheit der Schöffen und damit die Rechtmäßigkeit des Gerichts erfragt werden sollte. Es liegt demnach eine Art erweiterte Hegung vor. Trotzdem haben wir es bei den genannten Bestimmungen mit einem Sonderfall zu tun, denn sie alle beziehen sich auf den so genannten „entlichen Rechtstag“. Diese Form des Verfahrens wird in der Literatur häufig pejorativ als „Theater des Rechts“ oder auch als „Komödie“ bezeichnet.40 Denn in der Tat wird dort ein Verfahren nachgespielt, das in einem Inquisitionsprozess hinter verschlossenen Türen bereits abgeschlossen und dessen Urteil gefällt war. Diese neue Prozessform der geheimen Beweisführung, Erfolterung des Geständnisses und Urteilsfällung im Geheimen entbehrte einer bislang wesentlichen, für das Vertrauen in die Rechtspflege bis dato unerlässlichen Voraussetzung: der Öffentlichkeit. „Das öffentlich Rechtsprechen war nicht erforderlich, damit die kritische Stimme der Öffentlichkeit zufrieden war; sondern es war öffentlich, damit überhaupt Recht entstehen konnte. Was nicht in dieser Weise öffentlich war, war nicht in der Welt.“41 Dieses Prinzip galt jahrhundertelang und gründete in der Vorstellung, dass Recht durch den Umstand, den Richter oder die Schöffen gefunden und erfragt wurde, als wäre das Recht permanent im „Raume“ und müsste für den Einzelfall öffentlich gemacht werden. Durch die Verschriftlichung und die damit einhergehende temporäre Unveränderbarkeit der geltenden Normen wurde Recht jedoch zu einer prüfbaren, abrufbaren und jederzeit nachvollziehbaren Instanz, die nicht mehr an Voraussetzungen wie die rechte Zeit oder den rechten Ort geknüpft werden musste. Das öffentliche Aufführen eines 40 Kritisch zu dieser Auffassung W. Schild, Der „entliche Rechtstag“ als das Theater des Rechts, in: P. Landau/F.-C. Schroeder (Hg.), Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina (Juristische Abhandlungen 19), Frankfurt a. M. 1984, S. 119–144. Fn. 3 verweist ausführlich auf Literatur, in der der „entliche Rechtstag“ als „Theater“ beschrieben wird. 41 Ebd., S. 137. Vgl. dazu auch Hölscher, Öffentlichkeit (Anm. 11), S. 417: „Vom ö. Rechtsbruch des Täters über seine ö. Verurteilung bis zur ö. Bestrafung und Aussöhnung mit dem verletzten Recht beschrieb der Rechtsweg gewissermaßen einen Kreis, dessen legitime Ordnung durch die ö. Form jeder seiner Stationen gewährleistet schien. Im ö. Vollzug korrespondierten Verbrechen und Strafe einander; denn im Lichte ihres ö. Erscheinens traten beide in den Raum ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Die fundamentale Bedeutung des Ö. für das Rechtsverständnis lag bis in die frühe Neuzeit damit in der Evidenz, die das Böse als Verbrechen im Lichte seiner ö. Manifestation erlangte, wo es seine Bestrafung forderte.“

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bereits beendeten Verfahrens, inklusive der Hegung nach alter Gewohnheit, diente dabei nicht der Zurschaustellung des bereits Verurteilten, sondern erbrachte durch die Aufführung aller prozessrelevanten Elemente den Beweis der Rechtmäßigkeit des Urteils.42 Die Hegung des Gerichts schaffte den legitimen Raum eines Verfahrens, das durch die öffentliche Inszenierung als wahr und gerecht anerkannt werden konnte.43 2. Die Nieder-Gerichts-Reformation der Stadt Münster von 1585 44 Nachdem die Sonderform des „entlichen Rechtstages“ im Blickpunkt stand, kommen nun wieder landesherrliche Ordnungen des nordwestdeutschen Raumes zu Wort. Deren Bestimmungen zur Hegung sollen dabei in den Wandlungsprozess, der mit den Schlagworten „Rezeption des Römischen Rechts“, „Verwissenschaftlichung des Rechts“, „Professionalisierung“ und „Rationalisierung“ verbunden wird, eingeordnet werden. Der zweite Titel der Ordnung bestimmt, wie Richter und Richtherrn das Gericht eröffnen sollen: „Der Richter und Richthern, sollen zu rechter gerichtzstede und zeit erscheinen und sich zu gerichte nidersetzenn. Und wan derselbiger sich zu Gerichte nidergesetzt, soll das Gerichte damit genugsam gespannen und gehegt oder angefangen. So sall die bißher geübte Banckspannunge, mit anhangender Befragung oder Bestattung besonderer fururtheill an den Umbstandt oder fürsprache hirmiet alß uberflussig und undarmplich, ab und eingestalt seyn.“45

Ende des 16. Jahrhunderts wird demnach die Hegung in ihrer üblichen Gestalt formal aufgehoben, da sie überflüssig geworden ist. Explizit wird verfügt, 42 Hölscher, Öffentlichkeit (Anm. 11), S. 419: „Es war gerade das Zeichen einer guten Obrigkeit, daß sie nichts im Verborgenen halten mußte. Die von ihr errichtete Ordnung war also, indem sie öffentlich war, auch rechtmäßig.“ 43 Schild, Der „entliche Rechtstag“ (Anm. 40), S. 143: „Man kann auch sagen: die Autorität der Szene des entlichen Rechtstages selbst ist es, die die Garantie schafft, daß das Urteil wahr ist. Deshalb bedarf es der alten überkommenen Bräuche und Gewohnheiten.“ 44 Stadtarchiv Münster, AVc Niedergericht, Nr. 36, 1: Ordnung des Niddergerichtz reformertt, fol. 1r–14v. (Im Folgenden NGR 1585). Laut W. Schwarz, Die Reform des bischöflichen Offizialat in Münster durch Johann v. Hoya (1573), in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 74 (1916), S. 1–160, stammt die Ordnung aus dem Jahr 1573 und wurde in diesem Jahr auch dem Landtag vorgelegt, vgl. S. 134, Fn. 1: „Das städtische Archiv enthält (Vc 36) eine ,Ordnunge, so alhie am Niedern Gerichte gehalten werden soll‘, deren Ausfertigung auf der Umschlagseite den Titel trägt ,Des Niddergerichtz Reformation‘. Wenn auch die Gerichtsordnung ohne jede Zeitangabe ist, so steht doch nach dem Inhalt und den beiden Überschriften zu vermuten, daß wir es hier mit dem durch die Stadt im April 1573 übergebenen Aktenstücke zu tun haben.“ 45 NGR 1585, fol. 1r–v.

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die übliche Bankspannung sowie den sich daran anschließenden Dialog nicht mehr zu vollführen. Nun sollte es reichen, dass der Richter und die Richtherrn erschienen und sich setzten. Leider fehlen Quellen, die Auskunft darüber geben, ob sich diese Bestimmungen durchgesetzt haben, ob sich der Auftakt des Verfahrens wirklich darauf beschränkte, dass sich das „Gerichtspersonal“ auf seine Plätze setzte. Als mögliche Gründe, die in der Gerichtsordnung selbst nicht genannt werden, sind die Abkürzung und Beschleunigung des Verfahrens, aber auch die Verlagerung in eigens dem Gericht vorbehaltene oder hauptsächlich für Verhandlungen genutzte Räume denkbar. Noch im späten Mittelalter hielt man zwei bis drei Mal im Jahr ein Gericht ab, doch im Laufe der Frühen Neuzeit genügte diese Frequenz nicht mehr. Das Gericht kam häufiger zusammen, und die Notwendigkeit einer ständigen Legitimierung schien somit nicht mehr notwendig gewesen zu sein. Was trat aber an die Stelle der öffentlich bekundeten Legitimität des Gerichts und Rechtmäßigkeit des Verfahrens? 3. Die Tecklenburgische Landgerichtsordnung von 1613 Aufschluss über diese Frage kann die Tecklenburgische Landgerichtsordnung aus dem Jahr 1613 geben46, denn sie verfügte die Abschaffung der Hegung mit der Begründung, dass der Richter und seine Beisitzer allein aufgrund des Gesetzestextes genügend Legitimität besäßen, um ein Urteil zu fällen, und daher nicht länger auf das „Bankspannen“ und den Dialog mit dem Gerichtsfronen angewiesen seien: „Wann nun die Sachen in der Güte nicht können verträgen werden [. . .] soll sich der Richter neben den zugeordneten Beysitzern niedersetzten und weil sie krafft dieser Ordnung genugsam befehlicht in der und andern gerichtlichen Sachen [. . .] zu handelen, urtheilen und exequiren, so soll das Banck spannen und Urteil-Stellung an den Umbstand auch hinfurter eingestellt bleiben und sonsten der Anfang des Gerichts durch den Gerichts-Frohnen offentlich mit lauter Stimme angemeldet werden [. . .].“47

Nicht mehr der rituelle Akt, sondern die Autorität des gesatzten, positiven Rechts sollte demnach die Rechtmäßigkeit der Verhandlung herstellen. Nur der Anfang des Gerichts sollte noch öffentlich („mit lauter Stimme“) bekannt gegeben werden, und als Zeichen der beginnenden Verhandlung setzten sich die Mitglieder des Gerichts auf ihre Plätze, ähnlich wie auch in der münsterschen Ordnung bestimmt wurde. In den knapp 100 Jahren, die zwischen der Carolina und der Tecklenburgischen Gerichtsordnung lagen, sind demnach die entscheidenden Veränderungen zu verorten, die die Notwendigkeit einer breiten Öffentlichkeit für das Funktionieren der Rechtspflege durch schriftlich fixierte Normen 46 Gräfliche Tecklenburgische Land-Gerichts-Ordnung . . . Anno 1613 errichtet [. . .] nunmehr zum Druck verfertigt, Tecklenburg 1696. 47 Ebd., Titel V, S. 6 f.

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ersetzt haben bzw. ersetzen sollten. Das Vertrauen in eine gerechte Entscheidung sollte man demnach nicht mehr in die Fähigkeiten der Richter, die seit alters her mit den Gewohnheitsrechten vertraut waren, sondern in obrigkeitliche Ordnungen setzen. Da diese unveränderbar waren bzw. sie an jedem Gerichtstag dieselbe Geltung und Wirkmächtigkeit hatten, brauchte man sich nicht mehr persönlich davon zu überzeugen.48 Dies war ja seit der Einführung des Inquisitionsprozesses auch nicht mehr möglich. Offensichtlich etablierte sich mit der Verwissenschaftlichung des Rechts und der weiter fortschreitenden Entwicklung und „Konsolidierung absoluter Staaten [. . .] eine Instanz, der die Fähigkeit zuerkannt wurde, die richtige Methode zur Produktion von Wahrheit zu besitzen, damit auch die Macht zu haben, Urteile zu machen.“49 Eine inszenierte Herstellung und Darstellung in Form der Hegung war obsolet geworden, da sich die Legitimität des Gerichts und der darin agierenden Personen nun aus anderen Medien ableitete. Der Einsatz von schriftlichem Recht in Form von Büchern, Schriftrollen etc. im Gerichtsverfahren soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Es bleibt zu konstatieren, dass mit der Ersetzung der Hegung durch vermeintlich „rationale“ Verfahren auf der Grundlage schriftlicher Ordnungen keine Abschaffung symbolischer Kommunikation einherging. Vielmehr haben sich die Formen und Medien der Kommunikation gewandelt. 4. Canstein Die Realität in kleinen, dörflich-geprägten Regionen sah vermutlich anders aus, als es die landesherrlichen Ordnungen intendiert haben, wie ein Beispiel aus Westfalen zeigt: Für die kleine, westfälische Gerichtsherrschaft Canstein liegen detailreiche Studien vor, die sich vor allem auf die Erforschung der Konflikt- und Streitkulturen konzentrieren.50 Daher stammt auch eine der wenigen Quellen, die nicht rein normativ zu verstehen ist, sondern die historische Wirklichkeit wiedergibt. Es handelt sich dabei um einen Prozess, dessen Urteil einen „entlichen Rechtstag“ bestimmt – und das im Jahre 1717! Mit dieser Gerichts48 Hölscher, Öffentlichkeit (Anm. 11), S. 419: „An die Stelle einer Rechtsordnung, in der Verbrechen und Strafe durch ihre ö. Manifestationen die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezeugten, trat eine Rechtsordnung, in der die Obrigkeit nicht nur als Leiter des Verfahrens, sondern auch als Garant seiner Rechtmäßigkeit auftrat und im Lichte der Ö. weniger dessen Legitimität als ihre eigene demonstrierte.“ 49 Schild, Der „entliche Rechtstag“ (Anm. 40), S. 143. 50 Vgl. u. a. B. Krug-Richter, Von nackten Hummeln und Schandpflastern. Formen und Kontexte von Rauf- und Ehrenhändeln in der westfälischen Gerichtsherrschaft Canstein um 1700, in: M. Eriksson/B. Krug-Richter (Hg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft der Frühen Neuzeit (16.– 19. Jahrhundert) (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft 2), Köln u. a. 2003, S. 269–307; dies., „Mordsache“ Canstein 1677 – Formen und Kontexte adliger Konfliktkultur im frühneuzeitlichen Westfalen, in: Westfälische Forschungen 54 (2004), S. 121–143.

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akte liegt mir zugleich der zeitlich jüngste Hinweis auf eine rituelle Hegung vor. Der folgende Text entstammt einer Prozessakte, die zunächst die Aussagen im Prozess gegen Anne Erich protokolliert. Nach dem Urteil wird dann detailliert die Ausführung des „entlichen Rechtstages“ im Sinne der Carolina beschrieben: „hierauff ist beschloßn, daß die uhrtel servatis servandis sölln exequiret werden und ist der Intractus deß peinlichn halßgerichtß in forma sequenti geschehn. Iudex Demnach Ich van Gott dem allmächtigen demnechst von der gnädigen sambt herrschaft der herrschaft Canstein die gewalt, undt macht haben Ein peinlich gericht über menschn leib und leben zu legen, zu hegen, und zu pflegen, alß 1. frage Ich ob eß heuth tag, zeit, und stunde seiye, ein peinlich halß gericht über Eines menschen leib, und leben zu legen, zu hegen, spannen und zu schlagenn? Scabinus Ja Herr richter, Wan Ihr van Gott dem allmachtigen, und der Euch zu stehenden gerechtigkeit, macht und gewalt habt, Ein peinlicheß halßgericht anzutsllen, ist Eß tag und stunde solcheß zu haltn 2. ob dan auch dsa hochpeinliche Halßgericht nach Kayserß caroli des fünfftenn und deß heyligen Römischn reichß peinlichn ordnung gnugsamb angesetzet, und bestellet seye Scabinus Ja Herr richter [. . .]“51

Alle zuvor beschriebenen Elemente der Hegung sind in diesem kurzen Ausschnitt des peinlichen Gerichts bzw. „entlichen Rechtstages“ vorhanden. Besonders deutlich treten hier die Wortformeln und deren Wiederholungen hervor: „zu legen, zu hegen und zu pflegen“, „tag, zeit und stunde“. Dem Richter wird versichert, dass er das Gericht ordnungsgemäß im Sinne der Bestimmungen der Carolina begonnen hat. So findet man am Beginn des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Aufklärung, eine Form der Gerichtseröffnung, die schriftlich in den Prozessakten vermerkt wurde. Rituale und Schriftlichkeit müssen demnach keinen Gegensatz bilden, Rituale werden auch nicht durch eine zunehmende „Rationalität“ abgeschafft oder durch „diskursive“ Verfahren ersetzt. Sie bleiben Teil einer Gesellschaft, deren Basis die Vergemeinschaftung ist und die sich durch sinnstiftende Akte immer wieder ihrer Gemeinschaft vergewissert, sie konstituiert und auf die Zukunft verpflichtet.

51 Archiv Freiherr von Elversfeldt Bestand A: Canstein Akten 1437. Für den freundlichen Hinweis und die Einsicht in die Akten danke ich Dr. Barbara Krug-Richter.

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VI. Fazit: Das Ritual der Hegung als legitimitätsstiftendes Element Die Hegung als ritueller, performativer Akt weist eine erstaunliche Kontinuität auf: Neben den drei beschriebenen Elementen zeichnet sie sich durch weitgehend identische Wortformeln aus, deren Reichweite über den hier beschriebenen nordwestdeutschen Raum deutlich hinausgeht.52 Die Hegung war kein erstarrtes Ritual, keine „leere, entbehrlich gewordene Formhülse, die man zum Teil nur noch aus Tradition weiterschleppte“ 53. Erst durch einen vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit vorgenommenen performativen Sprechakt wurde das Gericht konstituiert, legitimiert und damit die grundlegenden Voraussetzungen für sein erfolgreiches Tätigwerden geschaffen. Es handelte sich dementsprechend um interaktive und damit integrative Formen der Kommunikation, eine Vermittlung von Werten und Wertvorstellungen, die für eine funktionierende Rechtspflege auch heute noch unverzichtbar sind. Durch die gleich bleibende Form wurde zudem ein hoher Wiedererkennungswert erzeugt, der mit zu dem Eindruck von Rechtsgleichmäßigkeit und Rechtssicherheit beitragen konnte. Anknüpfend an diese Erkenntnisse bleibt noch zu klären, ob die öffentliche „Aufführung“ eines gleichförmigen, in regelmäßigen Abständen vollzogenen Aktes zur Gerichtseröffnung als Ritual zu bezeichnen ist: Waren die gesprochenen Worte bloße Hülsen, mit denen keinerlei Rechtswirkung einherging? Wurde das Bankspannen, das Raumeinnehmen und Versichern bestimmter Grundvoraussetzungen eines fairen Prozesses lediglich aus reiner „Routine“ für eine 52

Vgl. dazu Grimm, Weistümer (Anm. 13), sowie Hertel, Rituale (Anm. 16). W. Sellert, Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes Recht, in: H. Duchhardt/G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln u. a. 1997, S. 29–47, S. 42. Sellert bezieht sich mit dieser Aussage auf körperliche Gesten und Rechtsformalismen, die seines Erachtens schon im 13. Jahrhundert nicht mehr verstanden wurden und daher ihre Relevanz für den Fortgang von Prozessen verloren hatten. In seiner Analyse stützt er sich auf Formvorgaben, wie das Verbot zu niesen, gähnen etc., das bei Nichtbeachtung zum Ende des Prozesses führte, die tatsächlich schon im Laufe des Mittelalters abgeschafft wurden (vgl. dazu den Beitrag von Peter Oestmann zu der Rechtsform „Erholung und Wandel“ in diesem Band). Trotzdem ist die daraus abgeleitete Rationalisierung, die „Entformalisierung des Rechts zugunsten eines rational bestimmten Rechts“, S. 43, sowie „die Abkehr von formalisierten Rechtsauffassungen und die Hinwendung zu rechtlichen Inhalten“, S. 46, m. E. zu modernistisch bzw. positivistisch gedacht. Die als Fortschritt qualifizierte „Rationalisierung“ hat zu sehr den Beigeschmack einer früheren „Irrationalität“, die für die Hegung nicht zu konstatieren ist. Insbesondere greift bei den hier aufgezeigten Beispielen eine Prämisse für die „Entformalisierung oder Entritualisierung“, S. 38, nicht, nämlich, dass ein erster Schritt der Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit war. Es konnte gezeigt werden, dass Schriftlichkeit nicht dazu diente, Rituale abzuschaffen, sondern sie im Gegenteil festzuhalten, indem sie Eingang in positives, gesatztes Recht fanden! 53

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Öffentlichkeit aufgeführt, die einer solchen Inszenierung bedurfte? Und ist somit die Abschaffung der Hegung bzw. ihre Ersetzung durch wissenschaftlich begründete, schriftliche Ordnungen und Verfahren als „Emanzipation des Rechts“54 zu verstehen? Zur Klärung dieser Fragen ist es notwendig, Ritual und insbesondere das Rechtsritual55 zu definieren und im Hinblick auf die Hegung zu prüfen. Ein Ritual ist nicht zu verwechseln mit z. B. einer Routine, einer sich täglich wiederholenden Handlung (um ein weiteres Mal das beliebte Beispiel des morgendlichen Aufsteh- oder Frühstücks-„rituals“ zu zitieren). Rituale sind zwar formgebunden und laufen nach festen Regeln ab, bewirken jedoch darüber hinaus eine Zustandsveränderung, weisen über sich hinaus, stiften Sinn.56 Das Rechtsritual zeichnet sich speziell dadurch aus, dass mit seiner Ausführung eine bestimmte Rechtswirkung erzeugt wird und es nicht auf den Willen der Beteiligten ankommt. Die Hegung läuft nach festen Regeln ab, ihr liegen eine bestimmte Form und Reihenfolge der Handlungen und Sprechakte zugrunde. Auf den Willen der Beteiligten kommt es weder bei der Raum-Konstruktion noch bei der Ableitung der Legitimität des Richters oder bei den Regeln des Prozesses und dem Friedensgebot an, sie treten ein, auch wenn einige Zuschauer dies nicht gewollt hätten. Es bleibt zu prüfen, ob mit der Hegung eine konstitutive Wirkung eintritt oder ob sie lediglich eine den „eigentlichen“ Rechtsakt begleitende Zeremonie ist. Als entscheidender Unterschied zwischen Ritual und Zeremonie wird dabei angenommen, dass auch „Zeremonien [. . .] hochgradig stereotypisierte symbolische Handlungssequenzen [sind], die eine Ordnung repräsentieren und zugleich konstituieren, die aber keinen Statuswechsel bewirken“.57 Bei jeder Hegung geht es im Kern um Transformationen: Ein materieller Ort wird in einen ideellen Raum transformiert, der durch einen Frage- und Antwortdialog als „rechter Ort“ erkannt wird; die in diesem Raum agierenden Personen werden ebenfalls durch einen öffentlichen Sprechakt zu legitimen Akteuren im Rechts-Raum. Vor allem bei genossenschaftlichen Gerichten ist dieser Aspekt von großer Relevanz, da „normale“ Menschen nun zu Richtern werden, die einen fairen Prozess garantieren sollen. Durch die Hegung wird demnach eine Ordnung repräsentiert, die verbunden ist mit Werten und Wertvorstellungen, deren Bestand für die Rechtspflege unerlässlich ist. Die Hegung ist daher als Rechtsritual zu bezeichnen, sie ist eben keine leere Formhülse, sondern erfüllt einen wichtigen Zweck

54 M. T. Fögen, Ritual und Rechtsfindung, in: C. Caduff/J. Pfaff-Czarnecka (Hg.), Rituale heute. Theorien – Kontroversen – Entwürfe, Berlin 1999, S. 149–163, S. 159. 55 Vgl. den Beitrag von L. Ostwaldt „Was ist ein Rechtsritual?“, in diesem Band. 56 Dazu Stollberg-Rilinger, Kommunikation (Anm. 31), S. 497 f. 57 Ebd., S. 504.

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in Bezug auf die Sinnstiftung einer Gemeinschaft: Das Vertrauen in ein Rechtssystem zu vermitteln, das so facettenreich wie ein Flickenteppich war. Summary At the beginning of the period being examined, the 16th century, the socalled “fencing” (Hegung) of the court was composed of three elements: constructing a court-space, ensuring that the court and its chairman were legitimated, and establishing the court’s peace. A space was created for, and in front of the eyes and ears of the public, in which only specific acts which were reserved to the court could take place. This place was marked out and consequently separated off from the realm of everyday occurrences. This physical place symbolized the imaginary space of legitimate decision-making and transcended the limits of the markings. By means of ritual acts of speech, the language of which was characteristically formulaic, moral concepts like truth, justice and fairness were conveyed and the legitimation and authority of the judge or rather the chairman was publicly manifested. These regular, uniform, and formal acts of speech were not simply an expression of a paralysed administration of justice, which only reproduced a habit and a tradition, rather they created and conveyed trust and legal certainty. According to this, the “fencing” of the court can be called a ritual in law that was important in the face-to-face societies of the middle ages and early modern times, which represented and constituted the community, gave meaning and was binding for future acts. Efforts during the 16th and 17th century to abolish the “fencing” and replace it with “rational”, written regulations seemed to only slowly become accepted, which did not cause the complete disappearance of the symbolic and ritual elements but rather caused them to appear in a changed form.

From Claves Curiae to Senators of the College of Justice Changing Rituals and Symbols in Scottish Courts By John W. Cairns* I. Introduction The early history of Scots law is insufficiently documented to allow much insight into the use of symbols and rituals in practice. There are hints as to what there may have been. For example, keepers of relics were involved in particular procedures in pursuit of stolen goods. From this we can infer that certain ritual or symbolic practices were likely.1 As over much of Europe, the rituals surrounding the ordeal and the judicial duel were practised, until the church ceased co-operation with the former, the latter lasting in some circumstances until quite late in the Middle Ages.2 Although there is a lack of evidence directing attention to symbolic communication before actual courts in Scotland, it is possible to consider how the very constitution of a court in the Middle Ages was in itself a symbolic communication, instructing those who attended or observed not only in the law and its procedures, but also in its values. This chapter will accordingly discuss aspects of the ceremonies involved in constituting a court in Scotland in the Middle Ages, focusing on a sixteenth-century description of what were called the claves curiae, the “keys of the court”, necessary for its proper constitution. * The author is grateful for the comments of Dr. Paul du Plessis and Professor H. L. MacQueen on an earlier draft. He is delighted to acknowledge the permission of the Keeper of the Records of Scotland to cite and, in some instances, quote from unpublished material in his care in the National Archives of Scotland (hereafter NAS). 1 See W. D. H. Sellar, Celtic Law and Scots Law: Survival and Integration, in: Scottish Studies 29 (1989), pp. 1–27, pp. 8–9. 2 See R. Bartlett, Trial by Fire and Water: The Medieval Judicial Ordeal, Oxford 1986, pp. 46–49, pp. 119–120, p. 130; W. D. H. Sellar, Courtesy, Battle and the Brieve of Right, 1368 – A Story Continued, in: W. D. H. Sellar (ed.), Miscellany Two (Stair Society 35), Edinburgh 1984, pp. 1–12; H. L. MacQueen, Common Law and Feudal Society in Medieval Scotland, Edinburgh 1993, pp. 197–199. In the only known account of a purported trial by ordeal in Scotland, there is a miracle, through the intercession of a saint, that benefits a guilty man: R. Bartlett (ed.), The Miracles of Saint Æbbe of Coldingham and Saint Margaret of Scotland, Oxford 2003, p. xlix, pp. 118–119.

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Analysis of this will then be followed by that of a later description of a ceremony of admission as a lawyer, a ceremony rich in ritual and symbolism. This description permits appreciation of the significant change in Scottish legal culture: a change that created a court dealing in the learned law of the ius commune, in the proceedings of which much was reduced to writing, deliberations were secret, and legal professionals were much more clearly in charge. II. Fencing the Court 1. “The Maner to hauld courtis” In the reign of Mary Queen of Scots, a clerk recorded for his future use “The Maner to hauld courtis”: “Thare suld be assemblit and gaderit togidder all the tennentis frehalderis & utheris duelling within the regalitie barony or burcht Than the Lord schiref barrown bailzie of burcht or thair deputtis sall sit doun in Jugment takand with thame thair clerk seriand and dempstar quhilkis ar the principall memberis of court without quhome na court may be lauchfullie fensit and ony ane of thame be absent Than sall the clerk inroll the court in his buik in this maner sayand The court of etc. haldin in the tolbuith or at the mercat crose of etc The etc. day of etc. the zeir of god etc Be AB Lord or baillie of etc. or thair deputtis The court affirmit swittis callit The assyise sworne and admittit Than quhen the clerk hes Inrollit the court in maner foirsaid The seriand sall stand up with his wand in his hand And fense the court First call the Fre tennentis be the names of the landis and than say I defend and forbid in our souerane Lord and ladeis name And in name and behalf of AB Lord barroun or bailzie off etc. and his deputtis heir present that na man trubill this court nor tak speiche upon hand to speik ane for ane uther without leif askit and gewin under the panes of law The dampster sayand and that I gif for dome etc. Than sall the seriand call agane all the tennentis frehalderis & utheris Anis twyse thryse sayand compeir and enter as ze that aucht swyte and presence in this court as the heid court For the landis of etc Anis twyise thryse. Than sall the clerk wryte in his buik all thame that compeiris nocht absentis and samony as enteris nocht befoir the arysing of the court the dempstar sall gif dome one thame sayand ABCD [this] court schawis for law And I gif for dome that ze and ilkane of zow ar in ane unlaw and amersiament of court sic as ze aucht to tyne upoun law for zour absens fra this court As the heid court as ze that aucht suit and presens to the samin for zour Landis of etc And that I gif for dome etc.”3

There are other, comparable descriptions of how a court should be held.4

3 Found quoted in W. C. Dickinson (ed.), The Sheriff Court Book of Fife, 1515– 1522 (Scottish History Society, Third Series 12), Edinburgh 1928, pp. 406–407. 4 See, e. g., J. Skene, The Forme and Maner of the Baron Court, in: J. Skene, Regiam Majestatem. The Auld Lawes and Constitutions of Scotland, Edinburgh 1609, reprinted Edinburgh 1774, pp. 189–190.

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2. The Claves Curiae If this particular account was recorded in the 1560s, much that was involved here was very ancient indeed. The “serjeant” might sound as if he were an officer of Norman origin, but in fact, although there is an obvious link and influence from the English “serjeant of the peace”, he is also linked to another royal official, the “major” or “mair”, with his wand as his badge of office, who may have had Celtic origins. Mairs and serjeants normally held office heritably in return for land.5 The dempster is another ancient officer. In the account above, he appears as one who pronounces the “dooms” of the court; in historical origin he had been the judge of the Celtic courts of Scotland, the breitheamh or brieve, in Latin iudex, who was progressively transformed into the iudicator or, in Scots, dempster, who often held land in return for exercising this office.6 Dempsters and serjeants were two of the crucial and traditional “keys of the court”, claves curiae, along with the clerk.7 The suitors were also necessary.8 Who were the suitors would vary from court to court – the style above refers to freeholders owing suit and presence; typically in a sheriff court they were those who were freeholders of the Crown, in a baron or regality court those who held of the baron or lord of regality, in a burgh court the burgesses.9 They had the duty to attend the court and decide matters coming before it – an issue to which we shall return. There is evidence to suggest that the suitors stood outside the court until summoned according to the roll of those owing suit or suit and presence.10 5 See W. C. Dickinson, The Toschederach, in: Juridical Review (O.S.) 53 (1941), pp. 85–111, pp. 92–99; Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), pp. lxii–lxvi. 6 Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), pp. lxvi–lxix; G. W. S. Barrow, The Kingdom of the Scots: Government, Church and Society from the Eleventh to the Fourteenth Century, 2nd ed., Edinburgh 2003, pp. 57–67; Sellar, Celtic Law and Scots Law (n. 1), p. 3. 7 See, e. g., J. Skene, De Verborum Significatione. The Exposition of the Termes and Dificill Wordes Conteined in the Foure Buikes of Regiam Majestatem, and Uthers, in the Acts of Parliament, Infeftments; And used in the Practique of this Realme; With Diverse Rules and Common Places, or Principalles of the Lawes, Edinburgh 1681, p. 35 (s.v. “curia”), reprinted (with independent pagination) in: R. Bell, Dictionary of the Law of Scotland, 2 vols., vol. 2, 3rd ed., Edinburgh 1826; P. G. B. McNeill (ed.), The Practicks of Sir James Balfour of Pittendreich, 2 vols. (Stair Society 21–22), vol. 1, Edinburgh 1962, p. 273. 8 McNeill, Balfour’s Practicks (n. 7), p. 273. 9 See P. J. Hamilton-Grierson, The Suitors of the Sheriff Court, in: Scottish Historical Review 14 (1917), pp. 1–18; P. J. Hamilton-Grierson (ed.), Habbakuk Bisset’s Rolment of Courtis, 3 vols. (Scottish Text Society, Second Series 10, 13, 18), Edinburgh 1920–1926, vol. 3, pp. 44–53; I. D. Willock, The Origins and Development of the Jury in Scotland (Stair Society 23), Edinburgh 1966, pp. 52–54, pp. 75–76, p. 84, pp. 88–90. 10 Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), p. lxxxv.

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3. Fencing: Defining the Space The above quotation also reveals that one of the traditional prerequisites in constituting a court in Scotland in the Middle Ages and beyond was that it be “fenced”, one aspect of which was the calling of the suits, as well as the formal declaration of the peace of the court in the name both of the monarch and of the individual or office-bearer whose court it was. This solemn act was usually indicated in the record by the Latin phrase “curia affirmata” or “curia firmata” or “curia confirmata” or by some variation of the “court fensit” in Scots. The procedure is recorded routinely for the courts of the justiciar, chamberlain, sheriff, baron, burgh, and Four Burghs, regality, dean of guild, macers, and Parliament. Indeed, for as long as any of these courts lasted, fencing continued until it became an empty ceremony and fell into disuse or was abolished: the last courts to be fenced were, in the twentieth century, those of the Sheriff of Lanark at Glasgow and of the proceedings following the election of the town Council of Edinburgh.11 In these it has now also long been given up. The ancient ceremony of fencing at one time defined the physical space of the peace of the court. Thus, in 1380, when the court of Alexander Stewart, Lord of Badenoch, was fenced “apud stantes lapides de Ester Kyngucy in Badenach” and the Bishop of Moray appeared to protest against the holding of the court, he did so “stans extra curiam”.12 Fencing designated a space where the King’s “grith” or special peace existed.13 While the term “grith” is not found used in Scots law in this specific context, it was employed in Scotland to describe a sanctuary, in the sense of a defined space where an individual could seek safety until he had compromised with his opponents or agreed to trial by the king’s justiciar. It could also be used to describe a period of immunity, such the “Yule girth”. As a sanctuary wider than the normal sanctuary of a church, a girth required a royal grant and was demarcated physically by a series of four crosses.14 We can thus understand the ceremony of fencing as creating a defined space under the special protection of the king, with particular penalties for breach of such special peace.15 11 P. J. Hamilton-Grierson, Fencing the Court, in: Scottish Historical Review 21 (1924), pp. 54–62, pp. 54–55. 12 Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), p. 309. 13 F. Pollok/F. W. Maitland, The History of English Law before the Time of Edward I, 2 vols., vol. 2, 2nd ed., Cambridge 1986, pp. 463–464, on the “grith” of the king. 14 H. L. MacQueen, Girth: Society and the Law of Sanctuary in Scotland, in: J. W. Cairns/O. F. Robinson (ed.), Critical Studies in Ancient Law, Comparative Law and Legal History, Oxford 2001, pp. 333–352, pp. 334–343. 15 See, e. g., T. Thomson/C. Innes (ed.), Acts of the Parliaments of Scotland, 12 vols., Edinburgh 1814–1875, vol. 1, p. 320 (c. 14); M. Bateson (ed.), The Scottish King’s Household and Other Fragments From a Fourteenth Century Manuscript in the Library of Corpus Christi College, Cambridge, in: Miscellany of the Scottish History Society (Scottish History Society 44), vol. 2, Edinburgh 1904, pp. 3–43, pp. 10–16,

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In this connection it is particularly important to note that Scottish courts had once commonly met out of doors. Thus, for example, “The Maner to hauld courtis” refers to courts held at what is usually referred to in Scots as the mercat cross: that is, the cross at the market place of a burgh. As well as this reference to the privileges of the burgesses, records show courts being convened in places such as “on the muir of Pitcorthie” (marked by prominent standing stones) or at the “Standing Stanys de le Rathe de Kyngucy”, the Standing Stones of Rane, “super montem S. Thome martyris”, or the “hund hill” of Langforgund, or the Skait of Crieff.16 In this context, defining the specific area of the royal peace of the court by a ceremony of fencing had a practical value. Most of the sources that mention fencing the court in Scotland date, however, from the period when towns had started to erect tolbooths, that is special buildings, initially as places to collect tolls and customs (in Latin tollonea), but later also as places to hold the head courts of the burgh and other assemblies of the burgesses (in Latin pretoria). The oldest reference to the use of a tolbooth as a place to hold a court comes from Berwick in the twelfth century, but such are commonly mentioned for significant royal burghs from the fourteenth century onwards.17 Courts other than those of burghs were commonly held in such tolbooths. Thus, the Sheriff Court of Fife met in the tolbooth (pretorium) of Cupar.18 Regality and barony courts commonly met in the tolbooth of the main burgh of the barony.19 Courts, however, were still far from being necessarily associated with a specific room or building. In the 1540s, it was stated of the bailies of Dunbar that “quhair ever the Bailies holdis the Court, that is ther Towbuth”.20 The Regality Court of Spynie met in the Chapter House of Elgin Cathedral, where presumably the main consistorial court of the diocese also met.21 The Regality Court of Musselburgh and Dunfermline was once fenced in the Tolbooth of Edinburgh, although, since this was outwith the boundaries of pp. 33–34, pp. 39–40; A. Harding, The Medieval Brieves of Protection and the Development of the Common Law, in: Juridical Review (N.S.) 11 (1966), pp. 115–149. 16 Examples taken from Hamilton-Grierson, Fencing (n. 11), p. 58, n. 10; G. W. S. Barrow, Popular Courts, in: G. W. S. Barrow, Scotland and its Neighbours in the Middle Ages, London 1992, p. 145–217, p. 226 (reprinted from G. W. S. Barrow, Popular Courts, in: Scottish Studies 25 (1981), pp. 1–24, and Scottish Studies 27 (1983), pp. 67–68). 17 See Royal Commission on the Ancient and Historic Monuments of Scotland (ed.), Tolbooths and Town-Houses: Civic Architecture in Scotland to 1833, Edinburgh 1996, pp. 1–2. 18 See, e. g., Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), p. 1, p. 56. 19 Court Book of the Regality of Broughton and the Burgh of Canongate, 1569– 1573, Edinburgh 1937, p. 1; D. Hunter (ed.), The Court Book of the Barony and Regality of Falkirk and Callendar, 1638–1656 (Stair Society 38), vol. 1, Edinburgh 1999, p. 1. 20 Royal Commission on the Ancient and Historic Monuments of Scotland, Tolbooths and Town-Houses (n. 17), p. 1.

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the Regality, the permission of the Lords of Council and Session was required.22 In theory, the Court of the Admiral should have been fenced within the sea-flood; in practice it was fenced in the tolbooths of burghs on the seacoast, and the High Court of Admiralty was normally fenced either in Leith or the Tolbooth of Edinburgh.23 This meant, however, that, by the sixteenth century, fencing had become a ritual reduced to the utterance of words proclaiming the peace of the court. 4. Fencing: The Role of the Suitors As noted, calling of the suits was an aspect of fencing. As well as those suitors who had a specific role, such as the serjeant or dempster, the presence of the suitors more generally was absolutely necessary to the functioning of the court. Their duty was originally to decide the matters that came before the court.24 It became common, however, for an inquest, assize or jury to be specially chosen from the suitors to give a verdict. The decision or doom was nonetheless still one of the whole court25; and as late as 1556 the burgesses of Aberdeen, as suitors to the burgh court, were asked their opinion individually on a difficult point “be the ordour of the suit rol”.26 This said, by this period many suitors preferred paying a fine to the burden of attendance.27 It was under this system of courts that the law of feudal Scotland of the later Middle Ages was developed. Note that fencing was carried out in the name of the monarch, as well as of the individual presiding in the court. The courts were exercising a delegated royal authority. Moreover, it is evident that the Scottish kings were always willing to interfere between a lord and his tenants.28 The system of royal brieves, which litigants could purchase from his writing chapel, by which the king gave directions to those presiding in court to investigate, do right and so on, created a common law through these courts.29 This said, the crucial role of the suitors indicates that the courts also represented to 21 Extracts from the Register of the Regality Court of Spynie, M.D.XCII–M.DC.I, in: J. Stuart (ed.), Miscellany of the Spalding Club (Spalding Club 6), vol. 2, Aberdeen 1842, p. 119. 22 M. B. Wasser/L. A. Yeoman (ed.), The Trial of Geillis Johnstone for Witchcraft, 1614, in: Miscellany XIII (Scottish History Society, Fifth Series 14), Edinburgh 2004, pp. 83–145, p. 107. 23 See T. C. Wade (ed.), Acta Curiae Admirallatus Scotiae, 6th Sept. 1557–11th March 1561/62 (Stair Society 2), Edinburgh 1937, p. xxi. 24 Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), pp. lxxii–lxxxvi. 25 See, e. g., ibid., p. lxxxviii. 26 W. C. Dickinson (ed.), Early Records of the Burgh of Aberdeen, 1317, 1398– 1407 (Scottish History Society, Third Series 49), Edinburgh 1957, p. cxvii, n. 4. 27 Dickinson, Sheriff Court Book of Fife (n. 3), pp. lxxxii–lxxxiii. 28 MacQueen, Common Law and Feudal Society (n. 2), pp. 33–73.

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some extent the community over which the court exercised jurisdiction under the king’s peace and protection. What we see are courts that applied what the suitors considered to be the common understanding of the law, relying on their own experience and knowledge. We need not suppose that this resulted in rough and ready or unsophisticated justice, or denial of rights. It is evident that, although such courts in essence did not require the presence of a legal profession, they were capable of dealing with relatively sophisticated systems of pleading and procedure following on a royal brieve.30 Yet, the ceremony of fencing and the calling of the suits imparted a message of justice being rooted in the values of a community. The symbolic meaning of the ritual need not reflect a political reality. Most Scots lived on a barony or in a regality and their court was that of their lord. Even if it was the suitors who constituted the court, with the lord or his bailie only presiding, it is easy to suspect that individuals unpopular with the local community or their lord would get rather hard justice: neighbours did not always become good friends. By the 1560s, most sheriffs held office heritably, which, in a society given to feuding, had a significant impact on the local dispensing of justice. There is no reason to suppose that justice dispensed by the community was always fair and impartial; indeed, there is considerable evidence to suggest the contrary.31 III. Ius Commune, Advocates, and Senators 1. Alexander Seton: Admission as “ane lawer” In continuing the history of his family (that of Seton) originally written by Sir Richard Maitland, Alexander, Viscount Kingston (c. 1621–1691), gave the following paragraph concerning Alexander Seton (1556–1622): “[H]e made his publick lesson of the law before King James the Sixth, the senators of the colledge of justice, and advocats present in the chapell royall of Holyroodhouse, in his lawer gown, and foure nooked cape, as lawers use to pass their tryalls in the universities abroad, to the great applause of the king and all present. After which, he was received by the colledge of justice as ane lawer [. . .].”32 29 MacQueen, Common Law and Feudal Society (n. 2), pp. 105–135; Harding, Medieval Brieves of Protection (n. 15). 30 H. L. MacQueen, Pleadable Brieves, Pleading and the Development of Scots Law, in: Law and History Review 4 (1986), pp. 403–422. 31 See the remarks in J. W. Cairns, Historical Introduction, in: K. Reid/R. Zimmermann (ed.), A History of Private Law in Scotland, 2 vols., vol. 1, Oxford 2000, pp. 14– 184, pp. 59–61. 32 R. Maitland, The History of the House of Seytoun to the Year M.D.LIX . . . with the Continuation, by Alexander Viscount Kingston to M.DC.LXXXVII (Maitland Club 1), Glasgow 1829, pp. 63–64. See also G. Brunton/D. Haig, An Historical Ac-

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It would be interesting to know more about this rather puzzling occasion, the description of which was presumably based on family tradition. The date of 1577 has been suggested for it.33 This cannot be correct: probably born in 1556, Alexander Seton in 1577 was still abroad as a student.34 Granted the Priory of Pluscarden in 1565, he was sent to study in Rome, first at the German College, run by the Jesuits, which he entered on 17th of June 1571, leaving it on 16th of September of that year to enter the Roman College, from which he departed on 4th of December 1578.35 He allegedly distinguished himself there in humanist learning.36 Leaving Italy, he is reported as having studied law in France, though there is no evidence as yet of where, and it can have been for no more than two years, as he was back in Scotland to have the grant of the Priory of Pluscarden to James Douglas reduced by the Lords of Session on 3rd of July 1581.37 Thus, if this ceremony took place at all, it was probably between Seton’s return in late 1580 or early 1581 and late 1583, when he accompanied his father on an embassy to France.38

count of the Senators of the College of Justice from its Institution in M.D.XXXII, Edinburgh 1836, pp. 198–199, and in R. K. Hannay, The College of Justice: Essays on the Institution and Development of the Court of Session, Edinburgh 1933, reprinted in H. L. MacQueen (ed.), The College of Justice: Essays by R. K. Hannay (Stair Society, Supplementary Series 1), Edinburgh 1990, pp. 142–143. 33 See G. Seton, A History of the Family of Seton during Eight Centuries, 2 vols., vol. 2, Edinburgh 1896, p. 635, followed by F. J. Grant (ed.), The Faculty of Advocates in Scotland, 1532–1943, with Genealogical Notes (Scottish Record Society 145), Edinburgh 1944, p. 189. 34 M. Lee, King James’s Popish Chancellor, in: M. Lee, The “Inevitable” Union and Other Essays on Early Modern Scotland, East Linton 2003, pp. 145–157, p. 145 for his date of birth. 35 M. Livingstone et al. (ed.), Registrum Secreti Sigilli Regum Scotorum, 8 vols., Edinburgh 1908–82, vol. 5, part 1, pp. 664–665 (no. 2315); M. Dilworth, Scottish Students at the Collegium Germanicum, in: Innes Review 19 (1968), pp. 15–22, pp. 20–21. 36 Maitland, House of Seytoun (n. 32), p. 63. 37 Ibid.; Seton, Family of Seton (n. 33), p. 635. Seton had been deprived of Pluscarden in his absence and it had been granted to Douglas, illegitimate son of the Regent, the Earl of Morton: J. M. Thomson et al. (ed.), Registrum Magni Sigilli Regum Scottorum: The Register of the Great Seal of Scotland, 8 vols., Edinburgh 1882–1914, vol. 4, p. 717 (no. 2640). The pendulum of politics had now swung again, with the fall of Morton. Dilworth, Scottish Students (n. 35), p. 21, correctly points out that he cannot have spent several years in France; it is, however, plausible for him to have spent two: 1579 and 1580. He was certainly absent from Scotland in June 1579 when his father and three brothers signed a bond to keep the peace – had he been present he would have had to do so too: J. H. Burton et al. (ed.), Register of the Privy Council of Scotland, First Series, 14 vols., Edinburgh 1877–98, vol. 3, p. 182 (12th of June 1579). 38 See Livingstone et al., Registrum (n. 35), vol. 8, p. 256 (no. 1567); G. Seton, Memoir of Alexander Seton, Earl of Dunfermline, President of the Court of Session, and Chancellor of Scotland, Edinburgh et al. 1882, p. 21.

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The text has been understood as demonstrating that the College of Justice, through this process, admitted Seton as an advocate.39 While this may be questioned in a technical sense, since there is no record in the Books of Sederunt of his formal admission to plead before the College, it is perhaps unimportant. The history of the advocates is obscure at this period, but they seem to have had little corporate organisation. At this era, understandings of what it was to be “ane lawer” were far from possessing the clear, defined bureaucratic understanding they acquired later. This said, Kingston’s account certainly reflects elements of what we know happened when an advocate was admitted in Scotland at this period.40 As a ceremony of admission as an advocate it was, however, untypical. Advocates were not normally admitted to plead before the College through a ceremony at the royal palace before the king. But Alexander Seton himself was untypical as “ane lawer”. A nobleman, a younger son of George, fifth Lord Seton, he was destined to have a glittering career in royal service as councillor, judge, and Lord Chancellor, ending as Earl of Dunfermline.41 The ceremony reflected his status. The very terminology of the quotation from Kingston reveals that we are in a somewhat different legal world from that of “The Maner to hauld courtis”: a legal world where the differing symbolism and ritual reflected different concerns and values. 2. The Lords of Council, Fenced Courts and Sessions The College of Justice with its Senators was in origin a new central civil court that had developed out of the king’s Council. Parliament had been the only central court in the original system of courts mentioned above, with both a jurisdiction to hear certain pleas, and also to deal with “falsed dooms” from lower courts; and it developed special committees to deal with both.42 It exercised such jurisdiction by virtue of its traditional role as the forum within which the king and his Council dealt with the complaints and grievances of his subjects. The Council on its own could deal with grievances, but, unlike Parliament, it was not a fenced court with a dempster.43 Through the fifteenth century, however, litigants had made determined attempts to bring their causes be39

See Grant, Faculty of Advocates (n. 33), p. 189. See J. W. Cairns, Advocates’ Hats, Roman Law and Admission to the Scots Bar, 1580–1812, in: Journal of Legal History 20, no. 2 (1999), pp. 24–61, pp. 34–38. 41 See Lee, King James’s Popish Chancellor (n. 34); Seton, Memoir of Alexander Seton (n. 38). 42 P. J. Hamilton-Grierson, The Judicial Committees of the Scottish Parliament, 1369–1370 to 1544, in: Scottish Historical Review 22 (1925), pp. 1–13. 40

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fore the king either in his Council or in his Parliament.44 Reactions to these attempts to expand this jurisdiction alternated between either reasserting that the king’s subjects should take such litigation before their “ordinary” judges or embracing these attempts and providing various institutions to cope.45 Thus in 1425, Parliament urged that litigants should take their complaints to be “execut and determyt be the Jugis and officiaris of the courtis to quham thai pertene of law”, that is to say, by the “Justice chawmerlane shereffis bailyies of burrowis baronis or spirituale Jugis”. These judges and those of regalities were exhorted to do “full law and Justice” to all, rich and poor, without fear or favour. The statute thus exhorted litigants to sue before the judges of the traditional fenced courts (except where it was appropriate to pursue before an ecclesiastical judge).46 The next year, in contrast, Parliament established what became known as “Sessions” to deal with the judicial business that would normally have been dealt with by the king’s Council.47 Through the 1490s, however, the Council essentially accepted an increased jurisdiction with a role as a central civil court. Moreover, it became a regular practice to reinforce the Council with men especially skilled in law, and, by 1513, a core of eight ecclesiastics and nine laymen carried out the judicial work of the Council as Lords of Session. Among the ecclesiastics was a small but important number of academically trained lawyers.48 3. The Foundation of the College of Justice The growth of the Session into a central civil court was inhibited by the problems of the minority of James V. In the later 1520s, however, earlier trends were resumed, and the Lords of Council even assumed a jurisdiction to deal with issues of fee and heritage that they had earlier rejected.49 It was probably Gavin Dunbar, Archbishop of Glasgow, Chancellor of Scotland from 1528, and utriusque iuris doctor of Angers, who formulated a plan to endow the Session from the revenues of the Scottish church.50 This was achieved by securing a Papal Bull in 1531, which, narrating that King James 43 A. A. M. Duncan, The Central Courts before 1532, in: G. C. H. Paton (ed.), An Introduction to Scottish Legal History (Stair Society 20), Edinburgh 1958, pp. 321– 340, pp. 322–329. 44 See the discussion in Cairns, Historical Introduction (n. 31), pp. 57–64. 45 Ibid. 46 Thomson/Innes, Acts (n. 15), vol. 2, p. 8 (c. 24) (1425). 47 Ibid., vol. 2, p. 11 (c. 19) (1426). 48 Cairns, Historical Introduction (n. 31), pp. 58–59, p. 63. 49 See A. M. Godfrey, The Assumption of Jurisdiction: Parliament, the King’s Council and the College of Justice in Sixteenth-Century Scotland, in: Journal of Legal History 22, no. 3 (2001), pp. 21–36.

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wished to establish a College to administer civil justice, half the members of which were to be churchmen, ordained that the Scottish prelates should contribute 10,000 ducats annually towards its support.51 In 1532, an act of Parliament, narrating the intention to create a College of Justice of fourteen men and a President, appointed individuals to these offices to provide justice with the authority that the Lords of Session previously had.52 In 1535, a further Papal Bull confirmed and erected the College of Justice, noting its earlier parliamentary institution and the appointment of the President and fourteen Councillors of the College of Justice, and appointed conservators of the College and its privileges. It described the College as including, as well as the President and Senators (a term used in the bull), the advocates, clerks, notaries and officials admitted by the President and Councillors.53 Subsequent to this, a provincial council of the Scottish church dealt with the financing of the College.54 In 1541, Parliament ratified the foundation of the College, with its President and Senators, a statute necessary in part because of the king’s recent revocation of alienation of property made when he was underage.55 4. The College of Justice and the Ius Commune Thus, in contrast to the apparent position with the first quotation describing the necessary ceremony of fencing for the validity of a court, the second quotation describes a ceremony that alludes to a central court that has developed out of the previously exceptional jurisdiction of the king’s Council. It was a court described and understood using terminology prevalent in the ius commune. For example, the first reporter of the decisions of the Grand Conseil de Malines described a “Senate” as a “College of many judges founded by a supreme prince or a republic having that authority, to decide all causes, civil as well as criminal, on behalf of the supreme magistrate”.56 This means that the reference to Senators of the College of Justice in the description of the ceremony involving Alexander Seton is a reference to a dif-

50 See J. W. Cairns, Revisiting the Foundation of the College of Justice, in: H. L. MacQueen (ed.), Miscellany Five (Stair Society 52), Edinburgh 2005 (forthcoming). 51 The Acts of Sederunt of the Lords of Council and Session, From the Institution of the College of Justice, In May 1532, to January 1553, Edinburgh 1811, pp. 85–87; see the discussion in Cairns, Revisiting (n. 50). 52 Thomson/Innes, Acts (n. 15), vol. 2, pp. 335–336 (c. 2) (1532). 53 See Acts of Sederunt (n. 51), pp. 87–91 (bull) and pp. 91–104 (process on bull). 54 Hannay, College of Justice (n. 32), pp. 71–72. 55 Thomson/Innes, Acts (n. 15), vol. 2, p. 371 (c. 10) (1541). 56 P. van Christynen, Practicarum Quaestionum Rerumque in Supremis Belgarum Curiis Actarum et Observatarum Decisiones, 6 vols., Antwerp 1626–1633, vol. 1, p. 1 (Dec. 1).

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ferent type of legal world, one in which justice is centralised, more intimately linked to a royal bureaucracy, and which, by its terminology, alludes to the world of the academic legal learning of the ius commune. And indeed, this perception is reinforced by the fact that the College had its own stylus curiae based on Romano-canonical procedure.57 In fact, the Lords of the Council had been using Romano-canonical procedure before the foundation of the College of Justice.58 That the President and half the Senators had to be ecclesiastics reinforced this trend. The first President of the College of Justice was Alexander Mylne, a canon lawyer, who had been the Bishop’s Official of Dunkeld, who owned a library of Civil and Canon law books.59 Of the other ecclesiastics first appointed to the new court, two had also served as officials: Henry White, Rector of Fynevin as Official of Dunblane and Robert Reid, Abbot of Kinloss, as Official of Moray.60 This trend continued in subsequent appointments. Thus, Arthur Boece, who had originally been named as a member of the College in the act of 1532, but had not taken up his office, finally became a Senator in 1535. He had served as a Commissary of Aberdeen and also as Canonist in the University of Aberdeen.61 John Sinclair, Licentiate in Civil and Canon laws, had also been Canonist in Aberdeen, while John Weddell, Licentiate in utroque iure, and Adam Crichton had both served as Official of Lothian.62 John Gled57 See, e. g., Cairns, Historical Introduction (n. 31), pp. 62–64, pp. 71–73; G. Dolezalek, The Court of Session as a Ius Commune Court – Witnessed by “Sinclair’s Practicks”, 1540–1549, in: H. L. MacQueen (ed.), Miscellany Four (Stair Society 49), Edinburgh 2002, pp. 51–84; J. Finlay, Men of Law in Pre-Reformation Scotland, East Linton 2000, pp. 87–122; A. M. Godfrey, Civil Procedure, Delay and the Court of Session in Sixteenth Century Scotland, in: C. H. van Rhee (ed.), The Law’s Delay. Essays on Undue Delay in Civil Litigation, Antwerp 2004, pp. 107–119, pp. 112–114. 58 See J. J. Robertson, The Canon Law Vehicle of Civilian Influence with Particular Reference to Scotland, in: D. L. Carey Miller/R. Zimmermann (ed.), The Civilian Tradition and Scots Law: Aberdeen Quincentenary Essays (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 20), Berlin 1997, pp. 117–133, pp. 118–125; J. W. Cairns, Ius Civile in Scotland, ca. 1600, in: Roman Law Tradition 2 (2004), pp. 136– 170, pp. 141–147. 59 D. E. R. Watt/A. L. Murray (ed.), Fasti Ecclesiae Scoticanae Medii Aevi Ad Annum 1638 (Scottish Record Society, N.S. 25), Edinburgh 2003, p. 163. On his Library, see J. Durkan/A. Ross, Early Scottish Libraries, Glasgow 1961, pp. 132–133; J. Durkan/J. Russell, Additions to J. Durkan and A. Ross, Early Scottish Libraries, at the National Library of Scotland, in: The Bibliotheck 11 (1982), pp. 29–37, p. 35; Lyon and Turnbull (ed.), Printed Books, Manuscripts, Maps and Atlases, Tuesday 1st February 2005, Edinburgh 2005, p. 79 (no. 276). 60 Watt/Murray, Fasti (n. 59), p. 121, p. 319. On Reid’s Library, see Durkan/Ross, Libraries (n. 59), pp. 44–47. On Reid and legal education, see J. Kirk, Clement Little’s Edinburgh, in: J. R. Guild/A. Law (ed.), Edinburgh University Library, 1580–1980: A Collection of Historical Essays, Edinburgh 1982, pp. 1–42, pp. 7–11. 61 Watt/Murray, Fasti (n. 59), p. 33; L. J. Macfarlane, William Elphinstone and the Kingdom of Scotland, 1431–1514: The Struggle for Order, Aberdeen 1995, p. 321. 62 A. L. Murray, Sinclair’s Practicks, in: A. Harding (ed.), Law-Making and LawMakers in British History: Papers Presented to the Edinburgh Legal History Confer-

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stanes, Licentiate in both the laws, was appointed Civilist in St. Mary’s College in St. Andrews in 1539, and a Senator in 1542.63 5. Gown, Cap, and Lesson The description of the ceremony reinforces the perception of reference to the academic world of the utrumque ius. Seton not only wears a lawyer’s gown, but also a four-cornered cap of the type that lawyers wear to pass their “tryalls” – that is examinations – at the universities abroad. The Papal Bull of 1535 had described the College as also consisting of the advocates admitted by the Senators. Under the authority granted in 1532, the Lords had issued a series of regulations for the court, one of which concerned the admission of “advocatis and procuratouris”, who had to be “of best name, knawledge and experience”.64 Not much is known of how this was handled initially, nor of how the qualifications of “knawledge and experience” were interpreted; but, by the date of Seton’s public lesson in Holyroodhouse, there were two tracks by which individuals could be admitted as advocates. The first was by long experience of “practick”, generally as servitor to an advocate; the second was by making a claim to academic training in law.65 Between 1575 and 1608, a period when there are good statistics, no less than two-thirds of those admitted based their claim primarily on the possession of an academic education in law, and where a university was specified, it was generally French.66 From 1580, those who petitioned for admission on academic grounds claim to have given proof of their learning by reading a public lesson. The first who did so was John Arthur, who, after teaching philosophy in the University of St. Andrews, had studied law for seven years in Toulouse and Poitiers in France; he also claimed to have passed two years in the study of the “practick”.67 Towards the end of 1580, John and David McGill, who had studied law ence, 1977 (Royal Historical Society, Studies in History 22), London 1980, pp. 90– 104, p. 94; on Weddell and Crichton, see S. Ollivant, The Court of the Official in PreReformation Scotland (Stair Society 34), Edinburgh 1982, pp. 173–174. 63 See M. H. B. Sanderson, Cardinal of Scotland: David Beaton c. 1494–1546, Edinburgh 2001, p. 122; R. K. Hannay (ed.), Acts of the Lords of Council in Public Affairs, 1501–1554, Edinburgh 1932, p. 558; see P. G. B. McNeill, Senators of the College of Justice: 1532–69, in: Juridical Review (N.S.) 23 (1978), pp. 209–215, p. 214. 64 Hannay, Acts (n. 63), p. 377 (27th of May 1532). 65 Hannay, College of Justice (n. 32), pp. 139–140. 66 Ibid., pp. 145–147. 67 NAS, Books of Sederunt, CS.1/3/1, fol. 114v–115r (8th of Mar. 1579/80). On Arthur, see J. W. Cairns, Academic Feud, Bloodfeud, and William Welwood: Legal Education in St. Andrews, 1560–1611: Part I, in: Edinburgh Law Review 2 (1998), pp. 158–179, pp. 170–171; J. W. Cairns, The Law, the Advocates and the Universities

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in France, the latter at Bourges, petitioning for admission, described themselves as having given “specimen doctrine”.68 Next month, Alexander King presented a petition for admission as advocate, in which he claimed that, after studies in St. Andrews, he had studied law for four years and had been an expectant advocate for two or three years. He had also demonstrated his ability “be publict teitching in the tolboith as is accustommat be lauaris befoir thair admissioun in the said office”.69 If the giving of a public lesson or “specimen doctrine” by those academically qualified is only recorded from 1580, King’s petition suggests either that it was already an established practice, or that it reflected practice elsewhere. It is worth noting Parliament’s ratification in November 1579 of the Visitation of the University of St. Andrews, which had recommended that the Professor of Law there should give four lessons weekly: “[T]o which lessonis in the law sall be ordinar auditors all the aduocattis and scribis in the consistorie, and sic vthers as ar desirous to proceid in the facultie of the law, and that nane be admittit befoir the Lordis or vther iuges to ordiner procuratioun, Except they sall gif first specimen doctrine in the vniuersitie of Sanctandrois, and report a testimoniall of the said vniuersitie witnessing thair qualificatioun, and howfar the haue proceidit in the studie of the law; and thairwitheall affirming that they diligentlie keipit the lessonis salang as they remaint in the vniuersitie.”70

In January, 1580, the King and Privy Council had issued instructions to put these recommendations into effect.71 The current law professor at St. Andrews, William Skene, was a licentiate in both the laws, probably of Bourges, and certainly taught, though his teaching may have been somewhat elementary.72 Despite the aims of Parliament and the Privy Council, however, there is no evidence that intending lawyers in fact gave such “specimen doctrine” in the University of St. Andrews. It nonetheless is very likely that the start in 1580 of recording the giving of a public lesson before admission reflected this royal and in Late Sixteenth-Century Scotland, in: Scottish Historical Review 73 (1994), pp. 171– 190, pp. 183–184. 68 NAS, Books of Sederunt, CS.1/3/1, fol. 137r (25th of Dec. 1580). David McGill, already a bachelor in Civil law, obtained his licentiate in civil law in 1579 Bourges. The diploma for his licentiate, signed by Jacques Cujas, survives: NAS, Stair Muniments, GD 135/2717. See M.-C. Tucker, Maîtres et étudiants écossais à la Faculté de Droit de l’Université de Bourges (1480–1703), Paris 2001, pp. 229–230, pp. 261–262. 69 NAS, Books of Sederunt, CS.1/3/1, fol. 139 (24th of Jan. 1580/81). 70 Evidence, Oral and Documentary, Taken and Received by the Commissioners Appointed by His Majesty George IV, July 23rd 1826; and Re-Appointed by His Majesty William IV, October 12th 1830; for Visiting the Universities of Scotland, vol. 3. University of St. Andrews, Parliamentary Papers XXXVII, London 1837, pp. 184– 185. 71 Ibid., pp. 189–191. 72 Cairns, The Law, the Advocates and the Universities (n. 67), pp. 178–183; Cairns, Academic Feud, Bloodfeud, and William Welwood (n. 67), pp. 168–170.

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Parliamentary initiative. Moreover, the evidence shows that this lesson was generally on the ius civile.73 6. College of Justice and Colleges of Doctors The ceremony whereby Alexander Seton was purportedly “received by the colledge of justice as ane lawer [. . .]” may have had some unusual aspects74; but it evidently reflected the actual admissions of advocates to practice before the Senators of the College of Session, in which they gave a lesson on Roman law, presumably in Latin, before the Lords in the Tolbooth of Edinburgh, where the court usually sat. The period when he would have given the lesson – between early 1581 and late 1583 – was the period when this practice had, perhaps recently, come into use. If his legal studies conformed to those of most contemporary Scots students in France, should he indeed have there studied law, he will have followed the curriculum for the licentiate in laws, whether or not he actually took the degree, studying both the Roman and Canon laws.75 Together with his studies in Rome, this adequately prepared him to give such a lesson. Seton’s public lesson also allows us to understand that the admission ceremony was designed to be similar to the acquisition of a university degree in law: his wearing of what was probably a doctoral cap indicates this in particular. That the ceremony for admission as an advocate before the College of Justice derived from the examination for a doctorate raises questions as to the extent to which the members of the College of Justice considered themselves in some respects to be analogous to the colleges of doctors of civil and canon law found in some Italian towns and universities.76 Here too it is important to note that, at the University of St. Andrews, while the Faculty of Canon Law examined candidates for degrees in Canon law, it was the “doctors of the honourable College of Civil Law in the city of St. Andrews” who did so for those in Civil law.77 It is 73

Cairns, Advocates’ Hats (n. 40), pp. 36–38. Maitland, House of Seytoun (n. 32), pp. 63–64. 75 Hannay, College of Justice (n. 32), pp. 145–147; J. Durkan, The French Connection in the Sixteenth and Early Seventeenth Centuries, in: T. C. Smout (ed.), Scotland and Europe, 1200–1850, Edinburgh 1986, pp. 19–44, pp. 25–27. 76 See P. Weimar, Zur Renaissance der Rechtswissenschaft im Mittelalter (Bibliotheca Eruditorum 8), Goldbach 1997, pp. 325–329 (= P. Weimar, Zur Doktorwürde der Bologneser Legisten, in: C. Bergfeld (ed.), Aspekte europäischer Rechtsgeschichte. Festgabe für Helmut Coing zum 70. Geburtstag (Ius Commune Sonderhefte 17), Frankfurt a. M. 1982, pp. 421–443, pp. 439–443); A. García y García, The Faculties of Law, in: H. de Ridder-Symoens (ed.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 1992, pp. 388–408, pp. 399–400; Hannay, College of Justice (n. 32), pp. 49–50; P. G. Stein, The College of Judges of Pavia, in: Juridical Review (O.S.) 64 (1952), pp. 204–213. 74

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suggestive that, in the 1550s, Mary of Guise established Royal Lectureships in Edinburgh, one of which was held by the distinguished Humanist, Edward Henryson. A doctor of laws, Henryson had taught at Bourges and was employed to teach Greek and the utrumque ius. Advocatus pauperum in the College of Justice in 1558, he became an Extraordinary Lord of Session in the College in 1566. He had already enjoyed the patronage of two Senators who were noted Canon lawyers, Robert Reid and Henry Sinclair.78 It is possible to see how a College of Justice with wider aims and claims could have developed. While intriguing, all of this should probably not be pushed too far, and nothing directly comparable to one of the Italian Colleges resulted, and the Reformation put paid to the Royal Lectureships.79 IV. Conclusion The description of “The Maner to hauld courtis” dates from the time when the College of Justice had already been created. The style of court it described was, however, in the process of being superseded. In 1540, in a series of statutes reforming court procedure, one act instructed all sheriffs and other temporal judges to follow the procedure of the College of Justice in all personal actions.80 While older procedures lasted for some types of process, in future most civil matters were not decided by the suitors of the court – even if the suits in theory still continued to be called in some courts – and sheriffs and bailies started to take on the role of judges. Proofs reliant on the suitors’ and juries’ understanding of litigants’ reputation and wager of law by compurgation had already declined or vanished, as the learning of the utrumque ius with the rational system of proofs of the ius commune had started to penetrate Scots procedures long before 1532, much less 1540. Nonetheless, the changes towards the new system outside the College of Justice took some time to work through. In the 1520s, some courts still had juries that were self-informing and which called on witnesses to appear before them in a process outwith the full court.81 After 1540, however, the role of 77 G. Donaldson/C. Macrae (ed.), St. Andrews Formulare, 1514–1546, 2 vols. (Stair Society 7, 9), vol. 2, Edinburgh 1944, pp. 309–311 (nos. 524–525). 78 J. Durkan, The Royal Lectureships under Mary of Lorraine, in: Scottish Historical Review 62 (1983), pp. 73–78, pp. 74–75; Tucker, Maîtres et étudiants écossais (n. 68), pp. 220–221, pp. 277–278, pp. 337–340; J. Durkan, Henry Scrimgeour, Renaissance Bookman, in: Edinburgh Bibliographical Society Transactions 5 (1978), pp. 1– 31, pp. 2–4; Watt/Murray, Fasti (n. 59), p. 319; McNeill, Senators (n. 63), p. 213; Brunton/Haig, Historical Account (n. 32), pp. 132–133. 79 Durkan, Royal Lectureships (n. 78). 80 Thomson/Innes, Acts (n. 15), vol. 2, p. 358 (c. 7) (1540). 81 W. C. Dickinson (ed.), The Court Book of the Barony of Carnwath, 1523–1542 (Scottish History Society, Third Series 29), Edinburgh 1937, pp. 104–105.

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juries or inquests in civil matters became limited to certain classical brieves. Legal process was marked in all courts by increasing reliance on professionals. The College of Justice, dominated by its academically-trained senators and advocates, reinforced and stimulated this trend. The contrast between the ritual of fencing with its underpinning idea of the keys of the court, and that of admission as an advocate or lawyer with a public display of learning in the ius commune dressed as a doctor of the laws marks the change that had taken place in Scots law and legal practice over the course of the sixteenth century. While once justice was dispensed by the suitors of the court as members of a local community, now it became a matter for trained professionals with an academic education in the utrumque ius. The Lords of Council, transformed into the Senators of the College of Justice, became the normal jurisdiction for civil litigation of any consequence. The new rituals were the rituals of the universities and law faculties, asserting the status and learning of the College and its members. The ritual of admission also emphasised the significance of impartial central justice over the justice dispensed by courts in the localities associated with great lords and magnates: no doubt, that was one of the great strengths of the College of Justice, though not itself without faults. This indicates the extent to which the creation of a central court was an aspect of the formation of Scotland as a more centralised sovereign state in the later sixteenth century. Seton may not have practised as an advocate, but he was a successful and talented royal judge and servant. His admission and career demonstrate the manner in which university-trained administrators with bureaucratic skills were becoming central to government.82 This tendency was accelerated by James VI’s departure from Scotland in 1603, as Scotland could no longer be governed through a monarch’s direct links with and personal knowledge of the nobility based in the localities. Great nobles were becoming courtiers; minor nobles, such as Seton and many others, were becoming lawyers and bureaucrats in royal service.83 Zusammenfassung Dieser Beitrag untersucht die Verwendung der Symbole und Rituale zweier äußerst bedeutsamer Zeremonien schottischer Gerichte. Zunächst geht es um solche Symbole und Rituale, die für die Konstituierung eines Gerichts im mit-

82 For an exploration of transformations in Scottish government in this period, see J. Goodare, The Government of Scotland, 1560–1625, Oxford 2004; J. Goodare, State and Society in Early Modern Scotland, Oxford 1999. 83 The Scottish nobility have recently been the object of a general study of this period: K. M. Brown, Noble Society in Scotland: Wealth, Family and Culture, From Reformation to Revolution, Edinburgh 2000.

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telalterlichen Schottland unerlässlich waren. Schwerpunkt der Betrachtung ist eine aus dem 16. Jahrhundert stammende Beschreibung der so genannten claves curiae, der “Schlüssel des Gerichts”, die für die ordnungsgemäße Konstituierung des Gerichts notwendig waren. Dabei werden insbesondere die Zeremonie der Hegung des Gerichts und die Rolle der Kläger bei den Beratungen des Gerichts dargestellt. Dem folgt anhand einer späteren Beschreibung die Untersuchung der zeitgenössischen Zeremonie der Zulassung als Anwalt – eine Zeremonie, reich an Symbolik und Ritualen, in deren Mittelpunkt die wissenschaftliche Rechtsausbildung stand. Der Vergleich und die Gegenüberstellung dieser beiden Zeremonien ermöglicht es, die bedeutende Veränderung der schottischen Rechtskultur richtig zu würdigen: eine Veränderung, die ein Gericht erschuf, das sich mit dem gelehrten Recht des ius commune befasste, dessen Verfahren zu einem großen Teil durch Schriftlichkeit geprägt war, dessen Beratungen geheim waren und bei dem die Verantwortung stärker als bislang von Berufsjuristen getragen wurde. Darin liegt eine Entwicklung, die große Auswirkungen auf das Recht und die Staatsgewalt in Schottland hatte.

Einige Betrachtungen über die Entwicklung der Ausgestaltung der Gerichtssäle in Frankreich während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts Von Jean-Louis Halpérin Auch wenn es paradox erscheinen mag, haben französische Rechtshistoriker, angefangen mit Jean-Pierre Royer und seiner Histoire de la Justice en France1, begonnen, sich wieder für die Geschichte der Rechtspflege als einem eigenen Forschungsgebiet zu interessieren. Dabei rückten neben der Geschichte der Gerichtspersonen (Richter und Rechtsanwälte) und der Justizpolitik zunehmend auch symbolische Darstellungen der Justiz in den Blickpunkt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere Robert Jacob zu nennen, dessen Arbeiten über die Bilder der Justiz (Images de la Justice) im Wesentlichen das Mittelalter betreffen2, oder sich, wie viele weitere Veröffentlichungen, an denen er beteiligt war, auf die äußere Architektur der Gerichtsgebäude (La Justice en ses Temples) konzentrieren.3 Es fehlt jedoch an Untersuchungen über Gerichtssäle, die diese in einen Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren und der Symbolik der neueren Geschichte setzen. Für einen Rechtshistoriker, der sich auf die Geschichte der französischen Revolution und des 19. Jahrhunderts spezialisiert hat, ist es von großer Bedeutung, bildliche Darstellungen des Gerichtsprozesses zu finden, um Vergleiche mit den Verfahrensarten anderer europäischer Länder, mit den unterschiedlichen Arten von Inquisitions- oder Akkusationsverfahren, ziehen zu können. Das Sammeln dieser Bilder stellt sich jedoch mühsam dar, weil die meisten Künstler den alltäglichen Gerichtsverhandlungen kein großes Interesse entgegengebracht haben. Ich möchte aus französischer Sicht einige Betrachtungen zu diesem Thema vorstellen, die auch einige Überlegungen zur Problematik der Gerichtsrituale beinhalten. Die französische Revolution hat auf dem Gebiet des Zivilverfahrens zu keinem wirklichen Bruch geführt: Die königliche Verordnung aus dem Jahre 1667 1

J.-P. Royer, Histoire de la Justice en France, 3. Aufl., Paris 2001. R. Jacob, Images de la Justice. Essai sur l’iconographie judiciaire du Moyen Âge à l’âge classique, Paris 1994. 3 Association française pour l’histoire de la justice (Hg.), La Justice en ses Temples. Regards sur l’architecture judiciaire en France, Paris u. a. 1992. 2

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ist vielmehr bis zum Erlass des Code de procédure civile im Jahre 1806 in Kraft geblieben, und auch in diesem finden sich noch viele Merkmale des alten, das heißt des schriftlichen, Verfahrens wieder.4 Im Gegensatz hierzu kam es im Hinblick auf das Strafverfahren zu einigen wesentlichen Veränderungen durch die revolutionäre Gesetzgebung: Die Grundsätze des öffentlichen und mündlichen Gerichtsverfahrens wurden neu eingeführt, Geschworenengerichte zur Beurteilung schwerer Verbrechen eingerichtet und auch das Recht auf Verteidigung fand im Zuge dieser Veränderungen Anerkennung. Diese Grundsätze wurden von der napoleonischen Gesetzgebung bestätigt, gleichzeitig aber das geheime Vorverfahren wieder eingeführt. An die Stelle der während der Revolutionsjahre vom Volk gewählten Richter und Staatsanwälte traten nun wieder von den Regierungen ernannte professionelle Juristen; auch die Rechtsanwälte (avocats) und Sachwalter (avoués) wurden wieder als Berufsstand anerkannt. Dies bedeutete zugleich die Rückkehr der alten Amtstrachten und des die Würde der Justiz zum Ausdruck bringenden Gerichtsrituals als Reaktion auf die angebliche Willkür während der revolutionären Zeit.

I. Ancien Régime: Die Verfahrensordnung im Spiegel der Gerichtssäle Aufgrund der Kontinuität in der Geschichte des Zivilverfahrens bestand eine Verbindung zwischen der traditionellen Anordnung der Gerichtssäle und der neuen Verfahrensordnung. Schon zur Zeit des Ancien Régime gab es eine Form von Öffentlichkeit und Mündlichkeit. So wurde das summarische Verfahren nach der ordonnance von 1667 (tit. XVII) im Gegensatz zum schriftlichen Verfahren, in dem in Abwesenheit der Parteien Gutachten vorgelegt und Zeugen verhört wurden, mündlich geführt. Um den Rechtsanwälten das Plädieren zu ermöglichen, wurde der Gerichtssaal in der Regel in einen parkettierten Bereich für die Richter, den Gerichtsschreiber und die Rechtsanwälte (le parquet) und einen gefliesten Bereich für das Publikum (carreau genannt) unterteilt. Die Abtrennung geschah mittels einer Schranke – la barre –, der die Rechtsanwaltschaft – le barreau – ihren Namen verdankt. Das Wort barre, das sowohl ein Verteidigungsmittel (les défenses et exceptions sont appélees barres) als auch eine geistliche (barre du chapitre de l’Eglise de Paris) oder herzogliche (barre ducale de Mayenne, de Bretagne, de Lorraine) Gerichtsbarkeit bezeichnen konnte5, wurde im Sinne einer Trennung erst4 J.-L. Halpérin, Symbolik und Gerichtsrituale am Beispiel der Entwicklung der juristischen Berufe und des Gerichtsverfahrens in Frankreich in der Zeit zwischen Ancien Régime und 19. Jahrhundert, in: R. Schulze (Hg.), Rechtssymbolik und Wertevermittlung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004, S. 37–50.

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malig im 16. Jahrhundert verwendet.6 Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts bürgerte es sich ein, mit dem Wort la barre die sich zwischen dem Parkett (le parquet) und den Bänken für die Rechtsanwälte befindliche Eisenstange (une barre oder un barreau de fer) zu bezeichnen.7 Während die Rechtsanwälte auf dem innen gelegenen Parkett – au barreau – ihre Plädoyers hielten, sprachen die Prokuratoren vor der Schranke – à la barre.8 Dem Publikum war es möglich, sowohl den Plädoyers der Rechtsanwälte als auch denen des Prokurators zuzuhören. Im Strafverfahren gab es bis zum Jahr 1789 kein Plädoyer: Nach einem langwierigen Untersuchungsverfahren, das im Geheimen stattfand, erschien der Angeklagte allein ohne den Beistand eines Verteidigers vor Gericht. Um seine Beweise vorzubringen und vor allem auch um das Urteil zu hören, saß der Angeklagte auf einem kleinen Hocker – la sellete – in einer für ihn demütigenden Position. In der Kriminalprozessordnung aus dem Jahre 1670 heißt es dazu: „[. . .] les accusés seront interrogés en nos cours sur la sellette ou derrière le barreau, lors du jugement du procès“ (tit. XXVI, art. XV). Auch die Schranke findet in diesem offiziellen Text Erwähnung, jedoch sollte der Angeklagte demnach entweder auf einem Hocker, der sellette, sitzend oder aber hinter der Schranke stehend vernommen werden. Diese in der Kriminalprozessordnung von 1670 festgelegte Situation wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts relativiert: So konnte der Angeklagte nun Kontakt zu seinem Verteidiger aufnehmen und die Rechtsanwälte hatten die Möglichkeit, in Kriminalsachen Gutachten zu erstellen. Bei geringen Vergehen kam es sogar zu einem öffentlichen Verfahren – dem sog. petit criminel. Bereits eine königliche Verordnung vom Januar 1681 hatte näher bestimmt, dass sich die Angeklagten bei geringen Vergehen „par leur bouche, dans la chambre du conseil derrière le barreau“ verteidigen können. Es war ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass in diesen Fällen Rechtsanwälte das Wort ergreifen konnten. Ein Beispiel dieses petit criminel ist auf einem Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert zu sehen, auf dem die Gerichtssitzung des lieutenant général de police 5 F. Ragueau/E. J. de Laurière, Glossaire du Droit François, Paris 1704, S. 146; P. J. J. G. Guyot, Répertoire universel et raisonné de jurisprudence civile, criminelle, canonique et bénéficiale, Bd. 2, Paris 1784, S. 196 f. 6 Belege für den erstmaligen Gebrauch des Wortes barre als „la barrière qui sépare l’assistance des juges dans un tribunal“ finden sich für das Jahr 1542, vgl. Trésor de la langue française. Dictionnaire de la langue du XIXe et XXe siècle, Bd. IV, Paris 1975, S. 206. 7 J. Nicot, Thrésor de la langue francoyse, Paris 1606; T. Corneille, Dictionnaire des arts et des sciences, Paris 1696; J.-B. Denisart, Collection des décisions nouvelles, Bd. 1, 7. Aufl. Paris 1771, S. 292. 8 Unter barreau ist „le lieu où l’on plaide devant les juges“ zu verstehen, vgl. J. B. Robinet/D. Diderot/ J. le Rond d’Alembert, Supplément à l’Encyclopédie, Bd. I, Amsterdam 1751–1780, S. 814.

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Abb. 1: Sitzung des lieutenant général de police von Paris aus dem 18. Jahrhundert (Auszug aus J. Boedels, Les habits du pouvoir, Paris 1992, S. 60)

in Paris dargestellt ist (Abb. 1): Der Richter sitzt – wahrscheinlich gemeinsam mit dem Gerichtsschreiber – auf einem Podest, der Angeklagte kniet umringt von Wächtern und einem Gerichtsdiener im Parkett, das Publikum steht hinter der Schranke (la barre). In der Nähe des Richters schließlich sitzen adelige Personen, bei denen es sich eventuell aber auch um Polizeikommissare handeln könnte. II. Neugestaltung der Gerichtssäle durch die Französische Revolution Während der französischen Revolution kam es im Hinblick auf das Zivilverfahren zu keiner Reorganisation, sondern lediglich zu Entwürfen für neue Gerichtssäle (vgl. Abb. 2). Auf diesen waren die Gerichtssäle rund angelegt, um die Öffentlichkeit stärker berücksichtigen zu können. Die Mitte des Raumes war leer und es gab keine eigens für die Zeugen errichtete Schranke. Die barre markierte den Innenraum und bildete dabei weiterhin die Grenze zwischen dem Parkett, auf dem die Plädoyers gehalten wurden, und den Bänken für die Vertei-

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Abb. 2: Entwurf für die Einrichtung eines Bezirksgerichts während der Französischen Revolution (Archives Nationales, AE VI I 17)

diger und das Publikum. „Se dit aussi de la place marquée où l’on doit se tenir lorsqu’on est mandé par quelque injonction des magistrats, soit lorsqu’on se présente pour quelque demande. On l’a mandé à la barre, il a parlé à la barre“, hieß es in der fünften Auflage des Dictionnaire de l’Académie françoise aus dem Jahre 1798.9 Im Gegensatz hierzu hat die französische Revolution auf dem Gebiet des Strafverfahrens zu einer vollständigen Neuorganisation der Gerichtssäle geführt. Das neue Verfahren vor den Schwurgerichten war höchst dramatisch und stellte in der Tat ein Gerichtsritual dar, das sich in bezeichnender Weise entwickelt hat. Schon in der revolutionären Gesetzgebung (loi des 16–29 septembre 1791, 2e partie, tit. VI) hieß es hierzu: „Le président fera prêter à chaque juré le serment (vous jurez et promettez d’examiner avec l’attention la plus scrupuleuse) [. . .], les jurés prendront place tous ensemble sur des sièges séparés du public et des parties, et ils seront placés en face de l’accusé et des témoins [. . .]. L’accusé comparaître à la barre libre et sans fers [. . .], le président ordonnera au greffier de lire l’acte d’accusation [. . .], l’accusateur public exposera le sujet de l’accusation [. . .], l’examen des témoins se fera toujours 9 Académie française (Hg.), Dictionnaire de l’Académie françoise, 5. Aufl., Paris 1798.

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à vive voix [. . .]. A la suite des dépositions, l’accusateur public sera entendu, la partie plaignante pourra demander à faire des observations; l’accusé ou ses amis pourront lui répondre [. . .].“

Im Jahre 1791 wurde die barre als Platz für den Angeklagten beibehalten, wie dies in der Kriminalprozessordnung von 1670 bestimmt worden war, allerdings ohne die sellette. Dieser Platz – nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes vom 25. Oktober 1795 handelte es sich hierbei um einen Sitzplatz10 – für den Angeklagten und seinen Verteidiger (oder seine Freunde) befand sich gegenüber der Geschworenenbank, wodurch der zentrale Raum für die Zeugen freigelassen wurde. Der Code d’instruction criminelle aus dem Jahre 1808 enthielt hierüber genauere Vorschriften: Die Geschworenenbank wurde von dem Publikum, den Parteien sowie den Zeugen getrennt und dem Platz des Angeklagten gegenüber angeordnet („sur des sièges séparés du public, des parties et des témoins, en face de celui qui est destiné à l’accusé“, art. 309). Der Angeklagte erschien frei und ohne Fesseln (art. 310). Die Geschworenen schworen einen Eid vor Gott und den Menschen (art. 312). Für den Eid der Zeugen gab es dagegen weder eine religiöse Formel noch spielte die Schranke dabei eine Rolle (art. 317). III. Inszenierung von Gericht im 19. Jahrhundert Während des 19. Jahrhunderts sprachen die auf das Strafprozessrecht spezialisierten Autoren von gerichtlichen „Sitten“, die den Ablauf des Prozesses bestimmten. Sie verglichen diesen mit einem Drama, d.h. einem Theaterstück samt Bühnenbild: Das Gesetz setzte den Prozess im Lichte der Öffentlichkeit in Szene, stellte aber ebenso für den Angeklagten ein eindrucksvolles Ritual dar.11 Im Unterschied zu England, wo der Angeklagte stehen musste und bis 1867 nicht als Zeuge aussagen konnte, saß er in Frankreich auf einer Bank (oder in einer Box). Dem Angeklagten gegenüber saßen die Geschworenen, die seinen Gesichtsausdruck sowie jede seiner Regungen beobachten konnten und anschließend das Urteil über ihn fällten. Die gewöhnliche Sitzanordnung sah so aus, dass die Geschworenen auf der rechten Seite des Richters saßen, während sich die Angeklagtenbank links von ihm befand. Der Raum war mit einem Kruzifix oder einem Bild des Jüngsten Gerichts ausgestaltet. Auf diesem kamen heraldisch rechts die Gerechtigkeit, links hingegen die Grausamkeit zum Ausdruck. Der Staatsanwalt saß zwischen Richtern und Geschworenen.12 10 Code des délits et des peines du 3 brumaire an IV (art. 338): „Les douze jurés prennent place tous ensemble [. . .] sur des sièges séparés du public et des parties, en face de ceux qui sont destinés à l’accusé et aux témoins.“ Die Zeugen saßen weiterhin in der Nähe des Angeklagten. 11 A. M. M. T. Bérenger, De la Justice criminelle en France d’après les lois permanentes, Paris 1818, S. 440.

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Abb. 3: Ein Zeuge schwört den Eid vor dem Schwurgericht der Seine im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Auszug aus Y. Ozanam/H. Robert/W. Szambien/S. Talenti (Hg.), Le Palais de Justice, Paris 2002, S. 146)

Die Rechtsanwälte saßen in der Nähe des Angeklagten hinter einem Tisch oder aber einer Schranke; die Rechtsanwaltsanwärter (avocats stagiaires) standen an deren Seite. Während der Sitzungen stand es den avocats offen, ihre Kopfbedeckung (ein Barett) aufzubehalten oder ihr Haupt zu entblößen. Zum Plädieren hatten sie aufzustehen, wobei sie den freien Bereich in der Mitte des Saales benutzen konnten, der nicht wie in England mit Tischen versperrt war (lediglich ein kleiner Teil wurde für einen Tisch mit Beweisstücken benutzt). Wie die Bilder aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen, befand sich in diesem freien Mittelraum offenbar keine eigene Schranke für die Zeugen (vgl. Abb. 3). Ein Bild des Kommunistenprozesses in Toulouse (1843) zeigt das Beispiel eines erhöhten Podiums für die Zeugen, vielleicht handelt es sich hierbei um eine improvisierte Anordnung. Jedenfalls befanden sich die Zeugen bei ihrer Aussage in dem mittleren Bereich, nicht in einem speziellen Zeugenstand in der Nähe des Richters wie in England. In der Praxis war wahrscheinlich eine 12 C. Nouguier, La Cour d’assises. Traité pratique, Bd. II, Paris 1860, S. 823: Diese Anordnung war nicht verbindlich und es gibt auch Bilder, auf denen die Geschworenen links und der Angeklagte rechts sitzen.

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Abb. 4: Die Schranke des Schwurgerichts während des Zola-Prozesses, 1898 (Auszug aus Y. Ozanam/H. Robert/W. Szambien/S. Talenti (Hg.), Le Palais de Justice, Paris, S. 179)

kleine spezielle Schranke für die Zeugen vorgegeben, sichtbar zum Beispiel im Zola-Prozess (1898) (Abb. 4).13 Die Verstärkung der Verteidigerrechte – in besonderem Maße paradoxerweise bei politischen Prozessen – verwandelte die Schranke in eine Tribüne für die Rechtsanwälte. Zwar plädierten die Rechtsanwälte nicht unmittelbar hinter der Schranke, aber sie rückten immer wieder nah an sie heran, um die Zeugen zu befragen und die Geschworenen zu beeindrucken. Berühmte Rechtsanwälte, wie Dupin oder Berryer, traten auch als Vertreter von Privatklägern auf. In dieser Funktion saßen sie auf der rechten Seite in der Nähe des Staatsanwalts, standen aber zum Plädieren auf, wobei sie ebenfalls den zentralen Raum um die Schranke herum benutzten. Häufig handelte es sich um einen Kampf mit ungleichen Mitteln zwischen der Anklage, die sich auf das vorangegangene, bis zum Jahre 1897 geheim ablaufende, Untersuchungsverfahren stützen konnte und der Verteidigung, der es unter diesen Umständen schwer fiel, Entlastungszeugen oder Gegendarstellungen zu finden und vorzubringen. Allerdings hatten die Rechtsanwälte den Vor13 Y. Ozanam/H. Robert/W. Szambien/S. Talenti (Hg.), Le Palais de Justice, Paris 2002, S. 179.

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Abb. 5: Der Prozess der 79köpfigen Bande, 1844 (Bibliothèque Nationale, Estampes 110344, Pf6, t. 2)

teil, dass sie sich bei ihren Reden bewegen und ihren Worten durch Gestik eine größere Bedeutung verleihen konnten, während der Staatsanwalt, wenn er sprach, zwar ebenfalls aufstand, dabei allerdings bewegungslos blieb und seinen Platz nicht verließ. Im Hinblick auf den Zivilprozess und das Gerichtsritual gab es im Laufe des 19. Jahrhunderts weniger Änderungen. Vor dem erstinstanzlichen Gericht (tribunal de première instance) mussten sich die Parteien der Hilfe eines avoué bedienen, dessen Aufgabe vornehmlich im Verfassen der Prozessakten (postulatio) bestand. An den Gerichtssitzungen konnte er zwar in Amtstracht teilnehmen, das Wort ergreifen konnte er allerdings nur zu Verfahrensfragen. Dabei war es ihm nicht erlaubt, seine Kopfbedeckung aufzubehalten. Die Parteien hatten das Recht, sich allein zu verteidigen, was auch für Frauen galt. Wenn sie sich aber für einen Beistand entschieden hatten, mussten sie sich für die Plädoyers eines avocats bedienen. Es galt als ein Symbol der Freiheit, dass die avocats plädieren und dabei ihre Kopfbedeckung aufbehalten konnten. Der Gebrauch des Baretts, der im 19. Jahrhundert noch üblich war, nahm jedoch im Laufe der Zeit ab.

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Es gab auch Gerichtssäle ohne spezielle Schranken für die Zeugen, in denen ihr Platz dem Richter frontal gegenüber lag. Aus dem Plan eines Gerichtssaals ergibt sich die Anordnung der Bänke der avocats und avoués hinter der barre, vor den Parteien und dem Publikum. Der erste Rang kam mithin den Juristen zu, während die Parteien im Hintergrund erschienen. Bei den Friedensgerichten, vor denen die Parteien persönlich oder mit einem Bevollmächtigten zu erscheinen hatten, war eine ähnliche Anordnung zu beobachten. Es war ein Verdienst der Rechtsanwälte, dass das früher bei den Friedensgerichten bestehende Erfordernis eines schriftlichen Mandats längst beseitigt war. Richter und Parteien hatten direkten Kontakt, ohne dass eine Schranke zwischen ihnen stand. In einigen Gerichtssälen, die für das Zivilverfahren bestimmt waren, gab es hingegen spezielle Schranken für die Zeugen. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass an den Gerichten erster Instanz gleichzeitig die Strafkammern (tribunaux correctionnels) angesiedelt waren, zum anderen darauf, dass in der Zivilprozessordnung bei summarischen Prozessen Zeugenaussagen in der Gerichtssitzung vorgesehen waren (Code de procédure civile, art. 406 und 408). So ist die Schranke als Erbe des Ancien Régime und Folge der Gerichtsöffentlichkeit bis heute eine spezifische Eigenart französischer Gerichtssäle geblieben. Résumé L’organisation spatiale des salles d’audience en France est dominée depuis l’Ancien Régime par l’institution de la barre. Destinée à séparer les juges et les parties réunies dans le parquet des défenseurs, la barre fait son apparition dans les textes officiels au XVIIe siècle. Au siècle suivant les progrès de l’espace public font de la barre le lieu central du procès où se prononcent les plaidoiries civiles. La reconnaissance à partir de la Révolution française des droits de la défense en matière criminelle renforce ce rôle de la barre, notamment dans les procès devant le jury. Les salles des assises servent de modèle à l’aménagement de la plupart des salles d’audience, sans faire disparaître un modèle plus simple de disposition «frontale» en matière civile qui se développe jusqu’à nos jours.

C. Gericht in Text und Bild

Prozessuale Interaktion im Bild Von Gernot Kocher I. Die Quellen Als Grundlage für die Darstellung über „Prozessuale Interaktionen“ wurde der Belial-Prozess des Jacobus de Theramo ausgewählt, weil hier eine fast einhundertprozentige prozessuale Ausrichtung gegeben ist. Die Basis bilden zwei Handschriften und fünf Drucke1 aus der Zeit von 1472 bis 1508, jeweils in der deutschen Übersetzung.2 1. Handschriften a) Die Handschrift 3085 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, 1475 b) Die Handschrift Hs. Pa. IV/58 des Oberösterreichischen Landesarchives in Linz, 1485 2. Drucke a) Druck von Günther Zainer, Augsburg 1472 b) Druck von Johann Bämler, Augsburg 1473 1 Die Illustrationen der Drucke von Zainer, Bämler, Knoblochtzer und Brandis fußen auf A. Schramm, Der Bilderschmuck der Frühdrucke, 23 Bde., Leipzig 1921– 1943. Die in den Zitaten beigegebenen Nummern beziehen sich auf diese Edition: Zainer = Bd. II, Leipzig 1920, Bämler = Bd. III, Leipzig 1921, Knoblochtzer = Bd. XIX, Leipzig 1936 und Brandis = Bd. XII, Leipzig 1929. Die kolorierte Ausgabe von Johann Prüß befindet sich in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, 36.8 Jur. Zu den Drucken siehe auch H. Frühmorgen-Voss (Hg.), Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, fortgeführt von N. H. Ott und U. Bodemann, Bd. 2, München 1996, Nr. 13. 2 Die sachliche Grundlage dieses auf die Bildseite spezialisierten Beitrages bildet das grundlegende Werk von N. H. Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte. Zu Überlieferung, Ikonographie und Gebrauchssituation des deutschen „Belial“ (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 80), München 1983, hier auch S. 502–516 ausführlichste Literaturverweise. Vgl. auch H.-R. Hagemann, Art. Belial, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 361–362. Einen kurzen informativen Überblick über das prozessuale Geschehen liefert auch ders., Der Processus Belial, in: Juristische Fakultät der Universität Basel (Hg.), Festgabe zum 70. Geburtstag von Max Gerwig (Basler Studien zur Rechtswissenschaft 55), Basel 1960, S. 55–83.

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c) Druck von Heinrich Knoblochtzer, Straßburg 1477 d) Druck von Moritz Brandis, Magdeburg 1492 e) Druck von Johann Prüß, Straßburg 1508 Um den umfangmäßigen und zeitlichen Rahmen einigermaßen in Grenzen zu halten, wurde ein selektiver Weg gewählt: Anhand ausgewählter markanter Illustrationen aus Handschriften oder Drucken werden einzeln oder auch vergleichend prozessuale Interaktionen herausgegriffen. II. Der Prozess als komplexes Ganzes 1. Klage und Beschwerde Ein Prozess ist ein komplexes Gebilde, das, gleichgültig, ob mit deutschrechtlichen oder römisch-kanonistischen Augen betrachtet, in zahlreiche Einzelschritte zerfällt, die vom konkreten Anlassfall bis zur Entscheidung und Vollstreckung reichen können. Diese Komplexität kommt im Bildbereich nicht immer so zum Ausdruck, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass dem Prozess viele abstrakte Details immanent sind, die schon einer gewissen Darstellungstechnik bedürfen, um gelesen werden zu können. Nun fällt unter den herangezogenen Handschriften und Drucken die Eröffnungsillustration bei Johann Prüß, Straßburg 1508 (Abb. 1)3 auf, weil sie, in Abweichung von den anderen Belegexemplaren, die entweder mehr allgemein mit dem Sündenfall oder mit einer einseitigen Beschwerdeszene vor Gott eröffnen, eine Situation wiedergibt, zu der es im Belialprozess gar nicht kommt, nämlich das direkte Aufeinandertreffen der beiden Parteien, der teuflischen Kläger einerseits und des Beklagten, Christus mit seinem Prokurator anderseits, vor Gott. Das Interessante daran ist die eingesetzte Gebärdentechnik4, der klägerische Vorwurf, der durch die Zeigefingergestik und weisende Hände zum Ausdruck kommt und die ablehnende, inaktive, das Wundmal weisende Haltung der rechten Hand Christi, der damit den Vorwurf der unrechtmäßigen Gewalt ablehnt. Zu beachten ist auch die aggressive Fußhaltung der anklagenden Teufel.5 Im Gegensatz dazu werden in den Eröffnungsillustrationen vor Gott bei Zainer 1472 und Bämler 14736 als 3

Wolfenbüttel (Anm. 1), ungezähltes Blatt 20r. Zur Gebärdentechnik, die in den folgenden Ausführungen eine bedeutsame Rolle spielt, vgl. allgemein R. Schmidt-Wiegand, Art. Gebärden, in: HRG (Anm. 2), Bd. 1, Sp. 1416–1419, sowie A. Erler, Art. Fuß, in: ebd., Sp. 1363–1364 mit weiterführender Literatur. G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, München 1992, S. 37 f. 5 Eine ähnliche aggressive Beinhaltung des Klägers findet sich in der Darstellung des Hamburger Dielengerichtes im Hamburger Stadtrecht von 1497, vgl. Kocher, Zeichen und Symbole (Anm. 4), Abb. 52. 6 Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Nr. 6 (Bämler) bzw. Nr. 236 (Zainer). 4

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Abb. 1: Eröffnungsillustration Die beiden Streitparteien, Christus und sein Prokurator Moses sowie die Beschwerde führenden Teufel vor Gott (Kolorierter Holzschnitt, Johann Prüß, Straßburg 1508 (Anm. 3))

Zeichen des Protestes nur umfunktionierte Trauer- und Verzweiflungsgebärden7 eingesetzt.

7 Vgl. die Trauergebärden der Hinterbliebenen bei Kocher, Zeichen und Symbole (Anm. 4), Abb. 167 (Digestenillustration, Bologna Anfang des 14. Jahrhunderts).

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2. Der Anlassfall Den ersten konkreten bildlichen Ansatzpunkt aus diesem fingierten Prozessgeschehen bildet der Anlassfall selbst, der zum Rechtsstreit führt, obwohl es sich hier streng genommen um eine außerprozessuale Interaktion handelt. Es geht hier um den von Christus vorgenommenen Gewerebruch durch das gewaltsame Öffnen des Höllentores, die Entführung der Altväter und die Ankettung des Höllenfürsten.8 Die Illustrationen sprechen die Gewaltanwendung unterschiedlich an: Die Holzschnitte von Zainer 14729 und Knoblochtzer 1477 (Abb. 2)10 verdeutlichen die zwei Linien der Rechtsstörung: Der gewaltsame Zutritt wird nicht nur durch ein aus den Angeln gerissenes, am Boden liegendes Höllentor visualisiert, sondern das am Boden liegende Höllentor bildet quasi die Verbindungsebene zur Gewalt: Christus schreitet darüber, die Siegesfahne erhoben und er fasst den Ersten der Vorväter an der Hand, um sie hinwegzuführen. Zainer geht dabei noch weiter, denn der Erste in der Reihe der zu Entführenden hat bereits den Fuß auf der Türe, also auf der Ebene, auf der sich Christus bewegt. Knoblochtzer 1477 betont die Gewaltanwendung zusätzlich noch durch einen Teufel, der unter der Türe eingeklemmt liegt. Manche Illustrationen unterstreichen den unerwünschten Zugriff von Christus zusätzlich durch Abwehrhandlungen mit Waffen.11 Ob die Segensgebärde von Christus bei Knoblochtzer die allgemeine Bannung teuflischer Gewalt bedeutet oder sich auf die Ankettung des Höllenfürsten bezieht, ist nicht klar. Über das einfachste „Gewaltkonzept“ verfügen die beiden folgenden Handschriften: In der Handschrift Linz 1485 steht Christus nur auf dem Tor und in der Wiener Handschrift 1475 liegt das Tor einfach am Boden, dafür ist ein Engel als Hilfsmannschaft aktiv tätig, indem er mit der Lanze den Höllenfürsten im Zaum hält. Die Ankettung des Höllenfürsten wird in dieser ersten Phase nicht gezeigt, sondern erst bei der Beratung über die nun von den Höllenbewohnern einzuleitenden Schritte. III. Die Beratung über mögliche rechtliche Schritte 1. Die Beratung auf der Klägerseite Mit der Beratung über Sanktionen gegen Christus wegen seiner Aktion gegen die Hölle ist meist auch die Darstellung der Ankettung des Höllenfürsten ver8 Zu diesem Geschehen Ott, Rechtspraxis (Anm. 2), S. 41 f., sowie Hagemann, Processus (Anm. 2), S. 58 f. 9 Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. II, Nr. 237. 10 Ebd., Bd. XIX, Nr. 13. 11 So Bämler 1473 = Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. III, Nr. 13; Knoblochtzer 1477 = Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XIX, Nr. 13; Linz 1485, fol. 124v; Wien 1475, fol. 148v.

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Abb. 2: Anlassfall Christus hat gerade das Höllentor zerbrochen, bannt die Teufel, die vergeblich Abwehrhandlungen setzen, mit der Segensgebärde, während die Vorväter aus der Hölle herauskommen (Holzschnitt, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg 1477 (Anm. 10))

bunden, wie dies die Wiener Handschrift 147512 zeigt. Die Illustratoren tragen bei dieser Darstellung manchmal (anders Linz 1485)13 auch ikonographisch der Einstufung des Anführers der Teufel als Fürst Rechnung, indem sie ihm entsprechende Insignien, Thron, Krone, Szepter und Reichsapfel beigeben. Die negative Seite dieses Fürsten (vor allem im Gegensatz zu Gott) wird nicht nur durch Variationsformen der Insignien14, sondern auch durch die Ankettung an eine Schandsäule15 zum Ausdruck gebracht. Die Beratungssituation selbst ist 12

Fol. 149r. Fol. 125v: Der Höllenfürst ist hier ohne Insignien dargestellt, bei späteren Darstellungen, etwa der Berichterstattung durch Belial, bekommt er eine Krone (fol. 146r). 14 So durch die Fantasiekrone in der Wiener Handschrift 1475, fol. 149r, vgl. Ott, Rechtspraxis (Anm. 2), Abb. 12. 13

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auch unterschiedlich konzipiert: Während in der Wiener Handschrift16 gebärdentechnisch eher das beratende Element dominiert, kommt im Magdeburger Druck von Brandis 149217 eher die Verzweiflung über die erlittene Gewalt mit Hilfe typischer Trauergebärden zum Ausdruck. Eine Besonderheit der Wiener Handschrift ist die Ausgestaltung der Beratung des Höllenfürsten durch Astaroth, der den perfiden Vorschlag macht, in dieser Sache Gott als Richter anzurufen – der boshafte Hintergrund dieses Vorschlages wird vom Künstler durch die aus dem Mund hervorstehende, spitze rote Zunge visualisiert.18 2. Die Beratung Gottes beziehungsweise Christi Auch Gott als Richter und Christus als Beklagter handeln nicht ohne Beratung: Das zeigt sich schon beim Erscheinen von Belial vor Gott: Zainer 1472 zeigt Gott im Kreise seiner Berater19, der vierundzwanzig Alten, die eifrig mit Zeigefinger- und Gesprächsgebärden zum Ansinnen von Belial auf Gewährung eines Richters Stellung nehmen. Christus selbst trägt eine Bügelkrone und hält den Reichsapfel in der linken Hand, während er mit der rechten Hand eine Segens- oder Schwurgebärde vollführt. Auch die Handschrift Wien 147520 zeigt den thronenden Gott, diesmal aber nur einen Berater, jeweils mit Zeigefingergestik, also in Übereinstimmung. Konform dem römisch-kanonischen Prozessrecht sitzt zu Füßen Gottes der protokollierende Schreiber. Der antragstellende Belial kniet hier, im Gegensatz zu Zainer. Die zweite Beratungsebene ergibt sich dann für Christus selbst, als er vor Salomo geladen wird und einen Vertreter zu entsenden beabsichtigt. Zainer 147221 zeigt hier innerhalb eines Mauerringes Christus mit Heiligen, die ebenfalls durch Handgebärden zur Aussprache Christi mit Moses, der als Vertreter entsandt werden soll, beitragen. Die Auftragsbeziehung lässt sich – vielleicht – an der in Richtung Christus gerichteten Zeigefingergestik der rechten Hand von Moses ablesen. Brandis 1492 (Abb. 3)22 ist bei der Beratung schon eher fachlich ausgerichtet, denn zwei der Berater tragen Gelehr-

15 So Wien 1475, fol. 149r, Linz 1485, fol. 125v, oder Brandis 1492 = Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XII, Nr. 415; vgl. Abb. 4 (Knoblochtzer 1477). 16 Fol. 149r. 17 Brandis 1492 = Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XII, Nr. 415: Lediglich der links vom Fürsten stehende Teufel zeigt eine nachdenkliche, überlegende Haltung, vermutlich Astaroth, der gerade die Idee mit der Anrufung Gottes überdenkt. 18 Fol. 149r – die Wiedergabe bei Ott, Rechtspraxis (Anm. 2), Abb. 12, zeigt auch ohne Farbe die spitze Zunge deutlich. 19 Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. II, Nr. 239. 20 Fol. 150v. 21 Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. II, Nr. 241. 22 Ebd., Bd. XII, Nr. 421.

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Abb. 3: Beratung Christi Christus mit zwei juristisch qualifizierten (Kleidung!) Beratern, die Moses, der seine schriftliche Beauftragung in der rechten Hand hält, noch instruieren (Holzschnitt, Moritz Brandis, Magdeburg 1492 (Anm. 22))

tenkleidung, offensichtlich wird Moses, der schon die schriftliche Beauftragung in der rechten Hand hält, noch instruiert. 3. Das prozessuale Mandatum Das Ergebnis der Höllenversammlung ist die Entsendung des in Rechtsangelegenheiten gewandten Belial: Das Auftragsverhältnis wird in Wien 1475 auf zweifache Art kundgetan23: einerseits durch die hinweisenden Gebärden von zwei Teufeln rechts (beim dunkelbraunen ist der Zeigefingergestus durch den Künstler deutlich ausgeführt, um der mittelalterlichen Gebärdensprache Genüge zu tun) und durch die zusätzlichen Instruktionen des linken Teufels, durch seine Kappe vielleicht als Notar ausgewiesen, der das in der Hand Belials deutlich sichtbare Mandatum, die schriftliche Beauftragung als Zugeständnis an das römisch-kanonische Prozessrecht, ausgefertigt hat. Zusätzlich führt Belial Schreibzeug mit sich, das auch seine Gelehrsamkeit unterstreicht und die Lanze als Botenzeichen.24 Anders visualisiert der bei Knoblochtzer in Straßburg 1477 er23

Fol. 149v. Vgl. Kocher, Zeichen und Symbole (Anm. 4), Abb. 249, wo der Gerichtsbote bei der Ladung ebenfalls eine Lanze führt. Die Illustration stammt aus Höckner, Processus iudiciarius, Dresden 1655. 24

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Abb. 4: Prozessuales Mandatum Belial wird mit der Vertretung in der Rechtssache gegen Christus betraut: Der Schreiber fertigt die Bestellung aus (Holzschnitt, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg 1477 (Anm. 25))

schienene Holzschnitt (Abb. 4)25 das Auftragsverhältnis: Der das Mandatum ausfertigende Schreiber sitzt zu Füßen der Auftraggeber und Belial, der mit normalen Händen ausgestattet ist, hält in der rechten Hand bereits eine Urkunde, mit der linken vollführt er eine akzeptierende Gesprächsgeste. Die Kopfbedeckung soll wohl seine Gelehrsamkeit ausdrücken. In der Ausgabe von Moritz Brandis, Magdeburg 1492, erscheint Belial mit einem Talar bekleidet26 und bekommt Schreibzeug und Bestellungsurkunde – wie bei einer Investitur – überreicht. Belial begibt sich nun auftragsgemäß zu Gott, um einen Prozess zu erbitten. Die meisten Illustrationen konzentrieren sich hier auf die Bittgestik und zeigen Belial teilweise kniend mit gefalteten Händen und abgenommenem Hut, wie 25 26

Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XIX, Nr. 14. Ebd., Bd. XII, Nr. 416.

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Abb. 5: Legitimation des Belial Belial legitimiert sich vor Gott mit der Bestellungsurkunde und ersucht um die Nennung eines Richters (Holzschnitt, Moritz Brandis, Magdeburg 1492 (Anm. 29))

etwa Knoblochtzer 147727 oder Linz 148528 (ohne Hut). Der Druck von Brandis 1492 bringt zusätzlich auch die Legitimation des Belial durch Weisen der Urkunde (Abb. 5)29 ins Spiel, während der kolorierte Druck von Prüß 150830 die Bitte überspringt und schon einen Schritt weiter ist, nämlich bei der Ausfolgung des Schreibens an den mit der Verfahrensabwicklung betrauten Richter, König Salomo von Jerusalem. Gott ist in den meisten Fällen mit Insignien ausgestattet, deren Formensprache der mittelalterlichen Realität entspricht und eindeutig in kaiserliche Richtung weist, im Gegensatz zur Formensprache und den negativen Akzenten beim Höllenfürsten.31 In Erfüllung des Mandatums begibt sich Belial mit der göttlichen Richterbestellung zu Salomo: Knoblochtzer 1477 zeigt die Übergabe der Bestellungsur27 28 29 30 31

Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XIX, Nr. 15. Fol. 127r. Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XII, Nr. 417. Fol. 8v. Vgl. oben nach Anm. 12.

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Abb. 6: Übergabe der Bestellurkunde Belial überbringt das Schreiben Gottes über die Einsetzung des Königs Salomo von Jerusalem als Richter an diesen (Holzschnitt, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg 1477 (Anm. 32))

kunde durch Belial an Salomo, wobei beide sich großer Höflichkeit befleißigen: Belial nimmt den Hut ab und Salomo (stehend) greift an die Krone (Abb. 6).32 Im Hintergrund wartet bereits der notarielle Protokollführer. Zur Erfüllung des Mandatums gehört natürlich auch die Führung des Prozesses, wie dies Wien 1475 zeigt33: Salomo sitzt unter freiem Himmel, den Stab in der Hand, vor ihm der Schreiber, links Moses mit einem offenen Schreiben (die Entschuldigung für die Säumnis betreffend?) und rechts Belial mit versiegeltem Brief. Belial ist offensichtlich wieder in Aggressionshaltung, das Bein vorgesetzt und mit dem Zeigefinger auf den Schreiber weisend, es geht um die proto32 33

Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XIX, Nr. 16. Fol. 153v.

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kollierte Säumnis des Moses und die daraus resultierenden möglichen Rechtsfolgen.34 Prüß 150835, wie auch die anderen Handschriften – so Wien 147536 – und Drucke zeigen immer wieder die Berichterstattung durch Belial gegenüber seinen Auftraggebern, offensichtlich wird dies als wesentlich für das Mandatum angesehen. Interessanterweise wird die Berichterstattung durch Moses bei Christus weniger häufig bildlich angesprochen. IV. Argumentatives Verhalten vor Gericht Der Holzschnitt von Brandis 1492 betrifft wiederum die Säumnis von Moses: Salomo und Belial hatten vergeblich gewartet und nun stellt Belial, unterstützt von einem Notar, über den Gerichtsnotar den Antrag auf ein Säumnisurteil (Abb. 7)37: Der Gerichtsnotar hat den schriftlichen Antrag in der rechten Hand und weist mit dem Zeigefinger der linken auf den Antragsteller – die Reaktion von Salomo ist leicht ablesbar, er hält seine rechte Hand untätig nach unten und bekundet damit, dem Antrag nicht stattgeben zu wollen. Knoblochtzer 147738 widmet sich mit zwei Holzschnitten der Zeugenaussage: Im ersten Bild präsentiert Moses seine Zeugen dem Richter, der mit Stab und überkreuzten Beinen auf einem Kastenthron sitzt. Gebärdenmäßig aktiv ist neben Moses auch Belial, während die Zeugen hier inaktiv sind; vom hinteren Zeugen sind überhaupt keine Hände zu sehen, der vordere hält seine Hand bewusst inaktiv. Erst im nächsten Bild erfolgt die Einvernahme der Zeugen, die offensichtlich darin besteht, dass sie mit ihrem Eid die Behauptungen von Moses bestätigen. Die Protokollierung durch den vorhandenen Schreiber unterbleibt, ob vom Konzept her übersehen oder vielleicht in Anlehnung an das eher nichtschriftliche deutschrechtliche Verfahren39, muss offen bleiben. Zum interaktiven Spektrum gehört auch die Positionierung von Richter und Parteien im Prozess – hier sind grundsätzlich zwei Konzepte vorhanden. Die Illustrationen der Wiener Handschrift 147540 zeigen Salomo in mittiger Anordnung, die aktive Partei steht zu seiner linken Hand, die inaktive zu seiner rechten. Die beiden Zeugenpräsentationen, einmal von Moses und einmal von Be34

Darüber ausführlich Ott, Rechtspraxis (Anm. 2), S. 49 ff. Fol. 8r. 36 Fol. 173r, Wiedergabe bei Ott, Rechtspraxis (Anm. 2), Abb. 13. 37 Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XII, Nr. 422. 38 Ebd., Bd. XIX, Nr. 24 und 26. 39 Das ganze Bildkonzept erinnert sehr stark an die Darstellung des Zeugenbeweises in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels: vgl. etwa Kocher, Zeichen und Symbole (Anm. 4), Abb. 253 (Heidelberger Bilderhandschrift, Ssp., Ldr. II, 22, 4). Auch die gesamte Holzschnittfolge erscheint mehr der mittelalterlichen Tradition verhaftet zu sein als die anderen. 40 Fol. 171r bzw. 177r. 35

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Abb. 7: Antrag auf ein Säumnisurteil Belial stellt wegen des Nichterscheinens von Moses den Antrag auf ein Säumnisurteil. Salomo lehnt diesen Antrag ab (Holzschnitt, Moritz Brandis, Magdeburg 1492 (Anm. 37))

lial, folgen genau diesem Konzept: Moses und Belial wechseln die Seite, je nach ihrer Rolle. Der Maler der Wiener Handschrift lässt dabei durchaus parteiische Züge erkennen: Bei der Präsentation durch Moses schaut Salomo sehr aufmerksam und geht mit korrespondierender Zeigefingergestik auf die Aussagen ein, während Belial wieder in der typisch aggressiven Haltung dasteht und zusätzlich noch Schriftstücke drohend hochhält. Umgekehrt ist bei der Zeugenpräsentation von Belial Salomo vom Künstler eher ablehnend und ungläubig konzipiert, er hält nunmehr drohend ein Schriftstück der klägerischen Seite vor, und Moses steht in durchaus geschützter Position halb hinter dem Richterstuhl des Salomo, die Hände eher ablehnend erhoben. Das zweite mögliche Konzept wird durch Knoblochtzer 1477 repräsentiert (Abb. 8)41, der den Richter an die rechte Seite rückt und Kläger und Beklagten hintereinander vor dem Richter anordnet, der aktive immer vorne – im konkreten Bildbeleg präsentiert Belial

41

Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XIX, Nr. 28.

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Abb. 8: Zeugenpräsentation Belial präsentiert die Zeugenliste dem Richter (Salomo). Als antragstellende Partei steht er vorne (Holzschnitt, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg 1477 (Anm. 41))

die Zeugenliste, die hier auch vom Schreiber zur Kenntnis genommen wird. Die Zeigefingergestik von Moses ist durchaus bestätigend aufzufassen. Wie in jedem Prozess gibt es auch immer wieder Entscheidungen zu beeinspruchen: Besonders spektakulär geschieht dies bei Zainer 1472 (Abb. 9)42, als Salomo die Entscheidung gegen Belial verkündet – Belial springt vor Zorn, hat die Hände protestierend hoch erhoben43 und den linken Fuß weit nach vorne in Richtung Salomo erhoben, während Moses mit dem Zeigefinger der linken Hand (bestätigend?) auf Belial weist. Eine andere Protestvariante, die mit der Bittstellerhaltung von Belial beim Ansuchen an Gott um einen Prozess korrespondiert, ist das Knien, kombiniert mit einer Bittgeste, als das vom Schreiber protokollierte Urteil verkündet wird 42 43

Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. II, Nr. 255. Wiederum eine Modifizierung der Trauergebärde.

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Abb. 9: Einspruch gegen Entscheidung des Salomo Belial protestiert gegen die Entscheidung des Salomo, Christus von der Klage loszusprechen (Holzschnitt, Günther Zainer, Augsburg 1472 (Anm. 42))

(Knoblochtzer 1477)44, auch hier wieder mit einer bestätigenden Geste von Moses. Auch die Wiener Handschrift 1475 folgt diesem Konzept.45 Moses steht hinter Salomo (in geschützter Position), mit korrespondierender Zeigefingergestik zum Richter, und Belial kniet davor, der Urteilsbrief liegt gesiegelt zu seiner rechten, hinter ihm ein teuflischer Begleiter, der ebenfalls die Hände ringt. Weniger spektakuläre Proteste zeigt Brandis 149246 bei der Zulassung von Moses trotz Säumnis zum Prozess: Belial hält seine rechte Hand nur abwehrend nach vorne, aber auch sein Begleiter lässt ohne Handgebärde Ablehnung erkennen. Zainer 147247 hat diesem Protest auch eine Darstellung gewidmet, bei der an Stelle des Kniens eine nur etwas demütige Haltung mit bittend gefalteten Händen zum Tragen kommt, während Moses den Zeigefinger seiner rechten Hand nach unten hält und so praktisch den Einwand des Gegners ad absurdum führt. 44 45 46 47

Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XIX, Nr. 30. Fol. 163r. Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. XII, Nr. 423. Ebd., Bd. II, Nr. 242.

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V. Das richterliche Endurteil Für das Endurteil des Salomo, das im Prozess ja nicht das absolute Ende war48, haben sich unterschiedliche Darstellungsformen ergeben. Die Wiener Handschrift 147549 positioniert den die Entscheidung fällenden Salomo zentral, hinter ihm die drei juristischen Berater, während Belial vom Künstler in die linke Ecke gestellt wird, ganz im Gegensatz zu Moses, der direkt neben Salomo steht. Auch die Gebärden sind eindeutig: Salomo weist mit dem Zeigefinger der linken Hand auf die unterlegene Partei, während Moses mit erhobener linker Hand und Zeigefingergestik sowie mit auf die drei juristischen Berater weisender rechter Hand die Verantwortung für die Entscheidung diesen zuschiebt. Belial selbst ist wieder in der üblichen Kampfstellung. Die Linzer Handschrift 1485 ist einfacher konzipiert (Abb. 10)50: Der Richter, am linken Rand positio-

Abb. 10: Richterliches Endurteil Salomo verkündet das Urteil gegen Belial, verdeutlicht durch den auf Belial gerichteten Zeigefinger der rechten Hand. Moses vollführt dieselbe Gebärde (Handschrift Pa. IV/58 Oberösterreichisches Landesarchiv Linz, 1485 (Anm. 50))

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niert, weist mit dem Zeigefinger der rechten auf Belial, genauso wie Moses – der Ausdruck ist klar: Belial hat die Sache verloren. Im Bereich der Holzschnitte hat Zainer 1472 das Urteilsgeschehen auf zwei Szenen aufgeteilt51: Salomo hält in der linken Hand das Kreuz, in dessen Namen er das Urteil spricht und weist mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf Belial, der ebenfalls mit dem Zeigefinger der linken Hand eine korrespondierende Geste macht. Die erhobenen rechten Handflächen bei Belial und Moses könnten als Akzeptanz des Kreuzsymboles verstanden werden. Die zweite Szene ist dann wieder streng juristisch: Die beiden Kontrahenten bestätigen durch ihre Schwurgeste, dass sie das Verfahren für beendet erachten und das Urteil hören wollen. VI. Schlussfolgerungen Zieht man das Summarium aus dieser Selektion von Bildern zum prozessualen Geschehen, so sind es zwei Bereiche, aus denen sich auf Grund der verwendeten Quellen52 ergibt, dass die Künstler auf verschiedene Weise im Grundkonzept schon zum Ausdruck zu bringen versuchten, dass die Sache der Kläger keine gerechte war. Die eine – seltenere – Methode ist die Positionierung des Moses in der Nähe des Richters in der Wiener Handschrift 1475. Der häufiger in Variationen auftauchende Weg ist die Gebärdentechnik: Die offensichtliche kämpferische Beinhaltung des Belials im Gegensatz zum eher gelassenen Stehen des Moses einerseits und andererseits die eingesetzte Demutsgestik: Belial kniet bei Antragstellungen und/oder hebt bittend die Hände, eine Darstellungsweise, die für Moses nie gewählt wird. Dazu fügen sich dann noch Blick und Gestik des Richters in der Wiener Handschrift, welche die positive Einstellung zur Sache Christi visualisieren. Résumé Pour notre exposé sur les „interactions processuelles“, nous avons choisi les illustrations du Bélial de Jacques de Theramo, parce qu’elles offrent une vue orientée à presque cent pour cent sur la procédure judiciaire. Deux manuscrits et cinq textes imprimés datant de 1472 à 1508 dans leur version allemande en sont la base.

48 Es folgt dann ja noch die Appellation an Josef, den König von Ägypten, und schließlich ein von Belial gewünschtes Schiedsverfahren unter der Leitung von Josef, beide Schritte bescheren der teuflischen Seite nicht den Sieg. 49 Fol. 181r. 50 Fol. 170r. 51 Schramm, Frühdrucke (Anm. 1), Bd. II, Nr. 253 und 254. 52 Eine Ausweitung der Quellengrundlage könnte die Ergebnislage durchaus noch nach der einen oder anderen Richtung erweitern.

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Les formes de la communication processuelle dans ces sources se basent sur les gestes des mains et des pieds, sur la tenue du corps en général et sur leur emplacement dans l’image même. Parmi les rares objets réels présents, ce sont surtout les documents qui jouent un certain rôle, parce qu’ils peuvent représenter le sujet de la plainte aussi bien que la justification de l’inculpé ou la légitimation des actions des parties. Le fait qu’un discours juridique soit mené se manifeste généralement à l’aide d’objets réels, tels que le tribunal ou le bâton du juge. La représentation de la situation initiale, notamment la rupture des portes de l’enfer par le Christ et l’enlèvement des ancêtres, ne fait pas partie de la communication processuelle, l’emploi illicite de la force étant illustré d’une part par la porte brisée et par la défense par les diables de l’autre. En fin de compte, la sélection des images du cours processuel de Bélial dans les sources consultées nous permet de constater qu’il y a deux domaines dans lesquels les artistes ont essayé de façons différentes d’exprimer déjà dans le concept de base que la cause de l’accusateur n’était pas juste. La première méthode – plus rare – est celle du manuscrit de Vienne de positionner Moïse près du juge. Le moyen le plus fréquent et utilisé en plusieurs variations est celui du code gestuel: La tenue des jambes manifestement agressive de Bélial s’oppose à la tenue calme de Moïse d’un côté, et de l’autre côté il y a l’emploi des gestes d’humilité. Ainsi, Bélial se trouve à genoux pour présenter sa requête et/ou a les mains levées en prière, attitudes qui ne sont jamais utilisées pour Moïse. S’y ajoutent encore le regard et les gestes du juge dans le manuscrit de Vienne qui visualisent l’attitude positive en faveur de la cause du Christ.

Klagen und ihre Symbolik in Text, Glosse und Richtsteig des Sachsenspiegel-Landrechts Zum Verhältnis von prozessualer Norm und Rechtswirklichkeit am Beginn der frühen Neuzeit Von Heiner Lück I. Einleitung Zur symbolischen Kommunikation vor Gericht gehört die Eröffnung eines Verfahrens. Die hier gewählte Überschrift will abgrenzen von einer allgemeinen „Gerichtssymbolik“, die den Gerichtsort mit seinen Attributen, die Gerichtszeit, die Eröffnung (Hegung) der Gerichtssitzung, den Verlauf (Erfragen und Weisen von Recht, Prozessablauf), das Verhalten (Sprechen, Stehen, Sitzen, Bewegen der am Gericht Beteiligten) und Abschluss der Gerichtsversammlung (Aufhebungsformeln, Umstoßen der Gerichtsbänke) beinhaltet. Um diese zweifellos interessanten Aspekte soll es im Folgenden aber nicht gehen. Vielmehr steht das prozessuale Handeln vor Gericht bzw. im Vorfeld des Gerichts (mit Bezug zum Gericht) im Sinne von Prozessbeginn im Zentrum der folgenden Betrachtungen.1 Es handelt sich hier weder um eine vollständige noch um eine abgeschlossene Untersuchung, sondern um ein Angebot, die skizzierten Vorgänge in Bezug auf ihren Symbolgehalt in den angedeuteten Richtungen zu diskutieren. Das kommt möglicherweise dem Thema des Symposiums („Symbolische Kommunikation vor Gericht“) besonders nahe.2 Man könnte vielleicht auch von gerichtsrelevantem Handeln in symbolischen Formen sprechen, denn der Zusatz 1 Sie beruhen auf folgenden Studien des Verfassers: H. Lück, Die kursächsische Gerichtsverfassung 1423–1550, Köln u. a. 1997; ders., Ein Magdeburger Schöffenspruch für den Bischof von Meißen und das „peinliche Strafrecht“ im frühneuzeitlichen Kursachsen, in: U. John/J. Matzerath (Hg.), Landesgeschichte als Herausforderung und Programm. Karlheinz Blaschke zum 70. Geburtstag, Leipzig u. a. 1997, S. 241–257; ders., Beginn, Verlauf und Ergebnisse des „Strafverfahrens“ im Gebiet des sächsischen Rechts (13. bis 16. Jahrhundert), in: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt 21 (1998), S. 129–150; ders., Sühne und Strafgerichtsbarkeit im Kursachsen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: H. Schlosser/D. Willoweit (Hg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, Köln u. a. 1999, S. 83– 99; ders. Zur Entstehung des peinlichen Strafrechts in Kursachsen. Genesis und Alternativen, in: H. Rudolph/H. Schnabel-Schüle (Hg.), Justiz=Justice=Justicia? Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 271–286.

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„vor Gericht“ bedeutet, sofern man eine räumliche Beziehung im Blick hat, eine gewisse Einschränkung. Der gewählte Gegenstand betrifft die Ingangsetzung des Prozesses, welche nicht unbedingt am Ort und im Angesicht des Gerichts stattfinden musste. Ausgangspunkt ist der Text des Sachsenspiegels. Hinzu kommen die Zusätze und Erläuterungen der Buch’schen Glosse sowie des Richtsteigs Landrechts. Diese Quellen sind mit der Rechtswirklichkeit im sächsischen Raum während des 15. und 16. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen, soweit sich diese im Rückgriff auf einschlägige Gerichtsbücher, Schöffensprüche u. ä. herstellen lässt. Eine knappe Beschreibung der Quellen sei daher hier vorangestellt: 1. Sachsenspiegel.3 Es handelt sich um das wichtigste deutsche Rechtsbuch des Mittelalters, dessen Verfasser Eike von Repgow (ca. 1180 bis nach 1233) ist. Der Zeitraum seiner Niederschrift wird mit den Jahren 1220 und 1235 begrenzt. Als Entstehungsraum gilt das östliche Harzvorland, wenn auch neueste Forschungen auf das Kloster Altzella bei Meißen verweisen.4 Von den ca. 460 Textzeugen ragen die vier berühmten Bilderhandschriften des Sachsenspiegels heraus, welche etwa zwischen 1295 und 1371 angefertigt worden sind. Diese sind für die symbolischen Aspekte von Rechtshandlungen besonders wertvoll, da sie eine bildliche Vorstellung vom Geschehen vor Gericht vermitteln und relativ zeitnah mit der „Glossierung“ des Sachsenspiegels entstanden sind. 2. Glosse zum Sachsenspiegel-Landrecht.5 Um 1325 ist das Landrecht des Sachsenspiegels mit den beiden mittelalterlichen Universalrechten, dem römischen und kanonischen Recht, verbunden worden. Diese bahnbrechende wie zukunftsträchtige Leistung vollbrachte der aus Buch in der Altmark stammende gelehrte Jurist und Hofrichter der Markgrafen von Brandenburg, Johann von Buch (ca. 1290 bis nach 1354). Die Verklammerung mit dem gelehrten Recht stellte eine wichtige Voraussetzung für die Weitergeltung des Sachsenspiegels unter den Bedingungen der Rezeption der fremden Rechte dar. Die „Glossierung“ erfolgte durch Erklärungen der Sachsenspiegel-Vorschriften unter dem 2 Dem Begriff der „Symbolik“ liegen die Ausführungen des Verfassers zur „Rechtssymbolik“ in H. Beck/D. Geuenich/H. Steuer (Hg.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Begr. von J. Hoops, Bd. 24, Berlin u. a. 2003, S. 284–291, zugrunde. 3 Zum Forschungsstand vgl. H. Lück, Über den Sachsenspiegel. Entstehung, Inhalt und Wirkung des Rechtsbuches. Mit einem Beitrag zu den Grafen von Falkenstein im Mittelalter von Joachim Schymalla, 2. Aufl., Dößel (Saalkreis) 2005. 4 P. Landau, Der Entstehungsort des Sachsenspiegels. Eike von Repgow, Altzelle und die anglo-normannische Kanonistik, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 61 (2005), H. 1, S. 73–101. 5 Der Text liegt erst seit wenigen Jahren erstmals in einer kritischen Ausgabe vor: F. Kaufmann (Hg.), Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht. Buch’sche Glosse, Teil 1–3 (Monumenta Germaniae Historica. Fontes iuris germanici antiqui, N.S. VII), Hannover 2002 (im Folgenden: Buch’sche Glosse).

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Blickwinkel des römischen und kanonischen Rechts. Von der Buch’schen Landrechtsglosse zum Sachsenspiegel sind derzeit 82 vollständige Handschriften bekannt.6 Die Anlehnung des sächsischen Rechts an das römisch-kanonische Recht war zum einen den praktischen Bedürfnissen des Rechtslebens, zum anderen der Fortgeltung des sächsischen Rechts unter den Bedingungen der Rezeption der fremden Rechte geschuldet. Charakteristisch für die Glosse sind deshalb zahlreiche Verweise auf das römische Recht, auch wenn die mit dem Sachsenspiegel in Verbindung gebrachten Stellen des Corpus Iuris Civilis oftmals nur entfernte Ähnlichkeiten aufweisen. Nach unserer Zählung sind es allein in der Landrechtsglosse ca. 6.500 Allegationen.7 3. Richtsteig Landrechts.8 Johann von Buch gilt auch als der Verfasser des Richtsteigs Landrechts. Dabei handelt es sich um den erfolgreichen Versuch, das Prozessrecht des Sachsenspiegel-Landrechts, welches vor den sächsischen Landgerichten Anwendung fand, systematisch zusammenzustellen. 9 Als Entstehungszeit gilt der Zeitraum von 1325 bis 1334, der nach der Fertigstellung der Glosse liegt. Inhaltlich ging es Johann von Buch um eine übersichtliche Zusammenstellung der im Sachsenspiegel verstreuten Verfahrensregeln und Klagearten. Vom Richtsteig Landrechts sind 75 Handschriften erhalten. 4. Gerichtsbücher u. ä. Zu den Quellen, welche die sächsische Rechtspraxis des 15. und 16. Jahrhunderts auf normativer Grundlage des Sachsenspiegels, der Glosse des Sachsenspiegel-Landrechts und des Richtsteigs Landrechts widerspiegeln, gehören Gerichtsprotokolle, Schöffensprüche, Gerichtsordnungen und Amtsrechnungen, die sich vornehmlich in den archivalischen Beständen der Gerichtsbücher, Amtserbbücher sowie Urkunden finden. Eine Auswahl solcher Quellen aus den Staatsarchiven Dresden und Magdeburg liegt Teil III dieses Beitrages zugrunde. II. Klagenvielfalt im Sachsenspiegel Der Sachsenspiegel führt eine ganze Reihe von Klagen auf, deren Unterscheidungskriterium nicht vorrangig im Klagegrund, sondern in der Art eines bestimmten formalisierten Beweisverfahrens sowie im bezweckten Erfolg besteht. Danach finden sich: 6 R. Lieberwirth/F. Kaufmann, Einleitung, in: Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. XII– LXXII, S. XXXVII f. 7 F. Kaufmann, Einige Bemerkungen zur geplanten Edition der Glosse des Johann von Buch zum Sachsenspiegel-Landrecht, in: H. Lück/B. Schildt (Hg.), Recht-Idee-Geschichte. Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anlässlich seines 80. Geburtstages, Köln u. a. 2000, S. 159–184, S. 175. 8 C. Homeyer, Der Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis, Berlin 1857. 9 D. Munzel, Art. Richtsteig, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1061–1064, Sp. 1062.

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– die „Klage um Ungerichte“, welche auf die Ahndung schwerer Missetaten zielt10: „of he um ungerichte klaget“ (Ssp. Ldr. I 61, 1)11; „um ungerichte vor gerichte beklaget wert“ (Ssp. Ldr. I 70, 3); „Swe ungerichte klaget“ (Ssp. Ldr. II 8); – die Klage um Erbe, Gut, Schuld: „klage dar op erve oder oppe gut oder umme scult“ (Ssp. Ldr. III 79, 2); „geklaget op gut“ (Ssp. Ldr. I 70, 1); „Klaget men aver umme scult“ (Ssp. Ldr. I 70, 2); – um Eigen und Lehen: „Beklaget men enen man [. . .] um egen oder len [. . .]“ (Ssp. Ldr. II 3, 1); – die Kampfklage: „Grot men enen man to kampe“ (Ssp. Ldr. II 3, 2) – sowie die Klagen um alle andere Sachen: „Um al andere sake, dar men [. . .] umme sculdeget“ (Ssp. Ldr. II 3, 3). Besondere Klagen waren die Klage mit „Gerüfte“ und die „Anfangsklage“. Beide wurden außerhalb des Gerichts erhoben und erst später vor dem Gericht fortgesetzt. Die Klage mit „Gerüfte“ war für die Ergreifung des Täters bei der Tat oder auf seiner Flucht vorgesehen (Tafel 1 im Anhang)12: „Scriet he aver dat geruchte, dat mut he vulvorderen mit rechte, went dat geruchte is der klage begin.“ (Ssp. Ldr. I 62, 1). Die Anfangsklage betraf die Wiederinbesitznahme fahrender Habe (beweglicher Sachen).13 Sie begann mit dem Handanlegen an das wieder erkannte gestohlene Gut unter Wahrung bestimmter Formalitäten, also mit der symbolischen rechtmäßigen Wegnahme der Sache (Tafel 2 im Anhang). „Wel aver jene sin gut weren eme, er it vor gerichte kome, so bidde he ene weder keren vor gerichte; weigert he des, he scrie ene dat geruchte an unde gripe ene an vor sinen def, alse of de dat handhafte si; went he sek sculdich hevet gemaket mit der vlucht.“ (Ssp. Ldr. II 36, 2).

10 Vgl. dazu grundlegend F. Scheele, Di sal man alle radebrechen: todeswürdige Delikte und ihre Bestrafung in Text und Bild der Codices picturati des Sachsenspiegels, 2 Bde., Oldenburg 1992. 11 K. A. Eckhardt (Hg.), Das Landrecht des Sachsenspiegels (Germanenrechte. Texte und Übersetzungen 14), Göttingen u. a. 1955. 12 Alle Abbildungen stammen aus der Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (W), die zwischen 1348 und 1371 nach der Vorlage der Dresdner Bilderhandschrift angefertigt wurde (vgl. dazu auch H. Lück [Hg.], Die Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Interimskommentar, Graz 2002). Sie sind der von R. Schmidt-Wiegand besorgten Faksimile-Ausgabe Eike von Repgow. Sachsenspiegel. Die Wolfenbütteler Bilderhandschrift Cod. Guelf. 3.1 Aug. 2º, Berlin 1993, entnommen. 13 Vgl. D. Werkmüller, Art. Anefang, in: A. Cordes/H. Lück/D. Werkmüller (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 2. Lief., Berlin 2005, Sp. 228–232.

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Die Ergreifung eines Täters bei der handhaften Tat rechtfertigte ursprünglich die sofortige Tötung. Im Sachsenspiegel gilt das nur noch für den handhaften Ehebrecher14 (Tafel 3 im Anhang): „De den man sleit oder vet oder rovet oder bernet sunder mordbrant, oder wif oder maget nodeget, unde vredebrekere, unde de in overhure begrepen werdet, den scal men dat hovet af slan.“ (Ssp. Ldr. II 13, 5, Tafel 4 im Anhang, oben). „Swe so enes mannes wif behuret openbare, oder wif oder maget nodeget, nimt he se dar na to echte, echt kint ne wint he nimmer bi er.“ (Ssp. Ldr. I 37).

Beim Ergreifen des Täters auf handhafter Tat kam es darauf an, sofort die Klage zu erheben. Dies geschah mit dem „Gerüfte“ (geruchte)15 am Tatort, welches als Beginn der Klage galt, die später vor Gericht fortgesetzt wurde (Ssp. Ldr. I 62, 1). Das „Gerüfte“ erscheint hier als Symbol für die Klage, die formal erst vor dem Gericht erhoben werden musste. Der Täter musste dabei gefesselt vor das Gericht gebracht werden. Die bei ihm gefundene Waffe oder das gestohlene Gut wurde offenbar an ihn angebunden, um die Tat offenkundig zu machen.16 War der ordentliche Richter nicht oder schwer erreichbar, konnte die Klage auch vor einem am Tatort zusammengerufenen Notgericht fortgesetzt werden: „Bejegenet aver en hanthaft dat van duve oder van rove, dar de man mede begrepen wert, dar mut men wol umme kesen enen gogreven, to minst van dren dorpen, de gaen dat to richtene, of se des belenden richteres nene hebben mogen.“ (Ssp. Ldr. I 55, 2). Unter diesen Voraussetzungen konnte der Kläger den so Beklagten mit sieben Eideshelfern beweisrechtlich überführen (übersiebnen).17 Dieses Handhaftverfahren sollte stets zu einer so genannten „peinlichen Bestrafung“, also einer Strafe an Leib oder Leben, führen: „De hanthafte dat is dar, swar men enen man mit der dat begript oder in der vlucht der dat, oder duve oder rof in sinen weren hevet, dar he selve den slotel to dreget [. . .].“ (Ssp. Ldr. II 35). „Swene men mit der hanthaften dat vet, also alse he gevangen wert, also scal men en vor gerichte brengen, unde selve sevende scal ene de klegere vertugen.“ (Ssp. Ldr. I 66, 1).

Die Klage mit Gerüfte symbolisierte das Verlangen des Opfers bzw. der Angehörigen des Opfers nach Vergeltung der Tat an Leib und Leben des Täters. Bei der Tötung eines Menschen konnte von den Angehörigen oder Freunden die Klage „mit dem toten Mann“18 erhoben werden, d.h. die Leiche als unübersehbare Spur der Missetat wurde vor das Gericht gebracht: 14 So D. Werkmüller, Art. Handhafte Tat, in: HRG (Anm. 9), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1965–1973, Sp. 1970 f. 15 Vgl. G. Buchda, Art. Gerüfte, in: HRG (Anm. 9), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1584– 1587. 16 Werkmüller, Handhafte Tat (Anm. 14), Sp. 1968 f. 17 Vgl. E. Kaufmann, Art. Übersiebnen, in: HRG (Anm. 9), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 408.

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„Wert ok enem manne sin mach oder sin vrunt af geslagen, he mut ene wol begraven, dennoch he wol wet, we ene geslagen hevet; he ne hebbe der klage mit deme doden vor gerichte begunt, so mut he mit eme vul klagen, unde ne mut sin nicht begraven ane des richteres orlof, de wile de klage ungelent is.“ (Ssp. Ldr. III 90, 2).

Der mitgebrachte Leichnam kann hier als Symbol für den aufgebrochenen Konflikt zwischen Täter und den Angehörigen des Opfers bzw. zwischen Recht und Unrecht angesehen werden. Der Festnahmeversuch konnte aber auch zum Tod des Verfolgten führen. In diesem Fall klagte der Festnahmeberechtigte „gegen den toten Mann“19 (so erst im 19. Jahrhundert bezeichnet) und konnte so sein rechtmäßiges Handeln vor Gericht dartun (Tafel 4 im Anhang). „Sleit en man den anderen dot dorch not, unde ne darn he nicht bi em bliven, dat he ene vor gerichte brenge unde over ene richte, vor sines lives angeste, kumt he sunder den doden vor gerichte und bekant he des, er men over ene klage, unde budet he sek dar umme to rechte, men ne scal eme sinen hals [. . .] nicht verdelen.“ (Ssp. Ldr. II 14, 1).

Der zu Recht Getötete diente im Verfahren als Symbol des Konflikts zwischen dem Täter, der nun selbst Opfer seiner Missetat geworden ist, und jenem, der sich dem Angriff erfolgreich zur Wehr gesetzt hat. Das Erheben der „Klage gegen den toten Mann“ symbolisiert somit die rechtlich nicht zu beanstandende prozessuale Ausgangsposition des Klägers, der sein rechtmäßiges Handeln vom Gericht bestätigt wissen will. Gelang die Festnahme des Täters nicht bei handhafter Tat und wurde dennoch die Klage erhoben, sicherte das dem Kläger seinen Beweisvorteil. Der geflohene Täter erlangte die Chance, sich durch einen Reinigungseid zu befreien, wenn er später freiwillig vor das Gericht trat. Diese Chance ging wiederum verloren, falls der Kläger den Beklagten zum gerichtlichen Zweikampf20 forderte. Zu diesem Zweck hatte er die sog. Kampfklage21 zu erheben (Ssp. Ldr. II 3, 2). Die Ziele der jeweiligen Klagen waren unterschiedlich. So zielte die Klage wegen Ungerichte, d.h. wegen besonders schwerwiegender Delikte, auf eine peinliche Strafe. Auch die Festnahme des Täters auf frischer Tat deutete u. U. eine solche Sanktion an. Das betraf vor allem die Friedbrecher, also jene Personen, welche die Schutzvorschriften des Landfriedens verletzten (Tafel 5 im An18 D. Werkmüller, Art. Klage mit dem toten Mann, in: HRG (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 849–851. 19 Ebd., Sp. 845–849. 20 Vgl. W. Schild, Art. Zweikampf, in: HRG (Anm. 9), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 1835–1847. 21 G. Buchda, Art. Klage, in: HRG (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 837–845, Sp. 842. Hierher gehören auch Ssp. Ldr. I 65, 2; II, 3, 2.

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hang). „De den man sleit oder vet oder rovet oder bernet sunder mordbrant, oder wif oder maget nodeget, unde vredebrekere, unde de in overhure begrepen werdet, den scal men dat hovet af slan.“ (Ssp. Ldr. II 13, 5). Ein Leipziger Schöffenspruch aus dem 14. Jahrhundert lässt erkennen, dass es sich dabei um Mord, Raub, Brandstiftung, Diebstahl, Vergewaltigung und Hurerei handelt. Wurden diese Delikte mit Arglist begangen, sollte die Todesstrafe als einzige Sanktion in Frage kommen.22 Nicht vorsätzlich und nicht arglistig begangene Missetaten dieser Art konnten dagegen durch Zahlung des Wergeldes an das Opfer/die Angehörigen des Opfers gesühnt werden (Tafel 4 im Anhang). Eine weitere Gruppe von weniger schwerwiegenden Delikten konnte sowohl mit dem Ziel einer peinlichen Bestrafung als auch der vertraglichen Einigung über die Zahlung eines Wergeldes angeklagt werden. Diese verschiedenen Klagemöglichkeiten standen zunächst ohne schärfere Abgrenzung und (jedenfalls aus moderner Perspektive) relativ unübersichtlich nebeneinander. Das Erheben der Klage, gleich welcher Art, vor Gericht war von einer feststehenden Symbolik begleitet. Am deutlichsten kommt dieser Zusammenhang in der „Klage mit Gerüfte“ und in der „Anfangsklage“ zum Ausdruck. Gerüfte war nicht die Klage selbst, sondern „der Klage Beginn“, also ein Symbol, das für die vor Gericht förmlich zu erhebende Klage steht. Auch der „Anefang“, etwa das Berühren (Ansprechen) der wieder erkannten gestohlenen Sache, symbolisiert die Klage, die erst im Gericht, eingebettet in die entsprechenden Formalien, vorgetragen wurde. Möglicherweise waren auch die übrigen Klagen nur auf Grund der verschiedenen Symbole, die diese begleiteten, für die Zeitgenossen unterscheidbar. Es fragt sich, ob sich diese Symbolik nach der Verklammerung des Sachsenspiegels mit dem römischen und kanonischen Recht änderte, gelten doch die beiden „gelehrten“ Universalrechte des Mittelalters als relativ abstrakt und weniger bildhaft.23 III. Systematisierungstendenzen in Glosse und Richtsteig Die berühmteste Glosse des Sachsenspiegels entstand um 1325. Ihr Verfasser ist der aus der Altmark stammende Johann von Buch. Über die Biographie des Glossators ist wenig bekannt, so dass die mageren Daten hier schnell aufgezählt sind: Johann von Buch wurde um 1290 wahrscheinlich in der Altmark geboren. Seine Familie nannte sich nach der Burg Buch bei Tangermünde. Im Jahre 1305 wird er als Student in den Matrikeln der Rechtsschule von Bologna erwähnt. In seine märkische Heimat zurückgekehrt, machte der gelehrte Jurist Karriere im Dienst seines Landesherrn, des Kurfürsten und Markgrafen von 22

Vgl. Lück, Über den Sachsenspiegel (Anm. 3), S. 52. Vgl. auch E. Wohlhaupter, Rechtssymbolik der Germanen, in: F. Herrmann (Hg.), Handbuch der Symbolforschung, Bd. 2, Leipzig 1941, S. 127–186, S. 129. 23

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Brandenburg. Von 1321 bis 1340 ist er als heimlicher Rat, Sekretär und Hofrichter in vielen Urkunden erwähnt. Zwischen 1335 und 1340 erscheint er als höchster Amtsträger in der Verwaltung der Mark (capitaneus generalis). Nach 1340 scheint ein Abstieg erfolgt zu sein, dessen Ursachen bislang nicht hinreichend geklärt werden konnten. Jedenfalls erscheint Johann von Buch in der urkundlichen Überlieferung nach 1340 ohne Nennung eines öffentlichen Amtes. Um das Jahr 1356 wird er gestorben sein.24 In der Glosse finden sich selbstverständlich die Klagen des Sachsenspiegels, greift der Glossator doch regelmäßig den „Textus“, d.h. den Wortlaut der einzelnen Sachsenspiegel-Artikel auf, woran sich seine kommentierenden Ausführungen unter der jeweiligen Überschrift „Glosa“ (sic!) anschließen. Die Verwendung der Begriffe für die verschiedenen Klagearten und Erklärungen im Glossentext des Johann von Buch lassen keine Veränderung ihrer Symbolik gegenüber ihrer Beschreibung im Sachsenspiegeltext erkennen. Darum ging es dem Glossator auch nicht. Er verfolgte das Ziel, die Regeln des Sachsenspiegels, auch jene über die einzelnen Klagen, mit dem römisch-kanonischen Recht zu verbinden. – Zunächst findet sich die „Klage um Ungerichte“: „vmme vngerichte klaget“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 61, 1)25; „vmme vngerichte beklaget“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 3)26; „Swe so vngerichte klaget“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 8)27. – Die Klagen um Erbe, Gut und Schuld sind ebenfalls virulent. Die Klage um Schuld ist belegt mit: „vmme schuld beklaget“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 3)28; „Klaget me auer umme schult“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 2)29; „wo men schult wynnen schal mit klage“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 2)30. – Die Klage um Gut erscheint u. a. als „wo men gud wynne mit klage“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 2)31; „vmme dat gud“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 1)32; „beklagede

24 Vgl. dazu H. Lück, Johann von Buch – eine politisch-juristische Karriere (Vortrag auf dem 35. Deutschen Rechtshistorikertag in Bonn am 14.09.2004), erscheint voraussichtlich in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 124 (2007); ders., Über den Sachsenspiegel (Anm. 3), S. 27 ff.; ders., Johann von Buch – Glossator des Sachsenspiegels, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 13 (2006) [im Druck]. 25 Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. 432. Die Zählung der Sachsenspiegel-Artikel folgt der Vulgata, die in der hier benutzten Glossenausgabe in Klammern steht. Zur besseren Auffindbarkeit der Stelle wird hier und im Folgenden die Seite genannt. 26 Ebd., S. 501. 27 Ebd., S. 552. 28 Ebd., S. 501. 29 Ebd., S. 497. 30 Ebd., S. 497. 31 Ebd., S. 497. 32 Ebd., S. 495.

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vmme vnbewegelik gud“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 3, 3)33; „vmme [. . .] varende gud“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 1)34. – Das Erbrecht ist mit dem Klagegrund „van erues rechte“ vertreten (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 1)35. – Auch die Klagen um Eigen und Lehen sind vorhanden: „beklaget vmme eghen“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 60, 3)36; „vmme [. . .] eghen“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 1)37; „vmme [. . .] len“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 60, 3)38; „vmme dat [. . .] leen“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 1)39. – Die Kampfklage gehört ebenfalls noch zu den Klagen, welche die Glosse thematisiert: „to kampe grote“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 3, 2)40; „grotte to kampe“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 3, 3)41. – Schließlich wird der Anfangsklage mehrfach gedacht: „van [. . .] anevanges rechte“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 70, 1)42; „des anvanges velich sy“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 36, 5)43. Diese gewiss unvollständige Übersicht zeigt ziemlich eindeutig, dass die Klagen des Sachsenspiegels unter den Bedingungen der Rezeption der fremden Rechte weiterhin Bestand hatten. Der Glossator konnte ihre jeweilige Eigenart auf Textstellen des römischen und kanonischen Rechts stützen, zumindest aber damit in eine Verbindung bringen. Darüber hinaus weist die Glosse zwei wichtige Neuerungen auf, welche die Einleitung, den Fortgang und das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens entscheidend beeinflussten. Sie fasste nämlich die verschiedenen eigenständigen Klagen des Sachsenspiegels in zwei Haupttypen von Klagen zusammen. An vielen Stellen der Glosse ist die Rede von „bürgerlicher Klage“ und „peinlicher Klage“.44 Sie scheinen eine Schöpfung des Johann von Buch zu sein, der wohl eine Systematisierung der verschiedenen Klagen anstrebte und, was die weitere Rechts33

Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. 528. Ebd., S. 495. 35 Ebd., S. 495. 36 Ebd., S. 435. 37 Ebd., S. 495. 38 Ebd., S. 436. 39 Ebd., S. 495. 40 Ebd., S. 524. 41 Ebd., S. 528. 42 Ebd., S. 495. 43 Ebd., S. 750. 44 Vgl. dazu auch W. Sellert, Borgerlike, pinlike und misschede klage nach der Sachsenspiegelglosse des Johann v. Buch, in: S. Buchholz/P. Mikat/D. Werkmüller (Hg.), Überlieferung, Bewahrung und Gestaltung in der Rechtsgeschichtlichen Forschung, Paderborn u. a. 1993, S. 321–342. 34

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entwicklung bestätigen sollte, erreichte: „Hir zad he twyerleye klaghe [. . .]. De erste hetet in legibus accio civilis, dat hetet en borgelik klage, alze vmme schult vnde schaden. De andere hetet criminalis, dat is, dat me en schentlik dingh klaget, dat vppe pine geit.“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 67, 1)45. Der Sachsenspiegel kennt eine solche Zuordnung der einzelnen Klagen zu diesen Klagetypen noch nicht. Das ist zunächst die „bürgerliche Klage“: „in borgeliker claghe“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 10, 2)46; „in borgeliker klaghe, de is nicht gelijk pinliker klage“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 13, 2)47; „in borchliker klaghe“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 13, 8)48. Des Weiteren konturiert Johann von Buch eine „peinliche Klage“. Sie ist ebenso wie die „bürgerliche Klage“ in der Glosse recht häufig erwähnt: „pinliken beklagen“ (Gl. zu Ssp. Ldr. III 79, 3)49; „pinliker klage“ (Gl. zu Ssp. Ldr. II 10, 2)50; „werestu pinliken dar beklaget“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 60, 3)51. Diese Klageart zielte auf die Bestrafung des Täters an Leib und Leben. Die Entscheidung darüber, ob eine Missetat mit der peinlichen Klage verfolgt werden sollte, oblag dem Opfer bzw. den Angehörigen oder Freunden des Opfers. Diese Klageform konnte sich offenbar auf die „Klage wegen Ungerichte“ und die „Klage mit Gerüfte“ stützen. Schließlich beschreibt Johann von Buch noch eine „gemischte Klage“: „Nu zad he dessen ar. alse ene [. . .] klage, de gemisschet zy, dat is zo, dat se nicht al borchlik en zy vnde nicht al pynlik.“ (Gl. zu Ssp. Ldr. I 68, 2)52. Damit wollte der Glossator Klagen erfassen, die während des Verfahrens ihren Typus und Inhalt änderten. Die Glosse nimmt an auffallend vielen Stellen eine Zuordnung der verschiedenen Klagemöglichkeiten zu den beiden Grundtypen vor, indem sie vor dem Hintergrund zahlreicher Anwendungsfälle die „bürgerliche Klage“ der „peinlichen Klage“ gegenüberstellt und umgekehrt. Sie bahnte damit einem in späterer Zeit vom „Zivilprozess“ unterscheidbaren „Strafprozess“ den Weg, auch wenn die Übergänge während der Zeit vom 14. bis zum 16. Jahrhundert in Kursachsen jedenfalls noch fließend waren. Eine unbefriedigende Situation bestand darin, dass eine todeswürdige Missetat nicht vor das Gericht kam. Denn deutlich schrieb der Sachsenspiegel fest, dass der Richter (!) niemanden zur Klage zwingen bzw. der Geschädigte sein 45 46 47 48 49 50 51 52

Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. 475. Ebd., S. 559. Ebd., S. 605 f. Ebd., S. 610. Ebd., S. 1480. Ebd., S. 558. Ebd., S. 435. Ebd., S. 480 ff., S. 480.

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erlittenes Unrecht verschweigen53 könne: „Men ne scal nemande to nener klage dwingen, der he nicht begunt ne hevet.“ (Ssp. Ldr. I 62, 1). Diese Maxime stand in einem gewissen Widerspruch zu den todeswürdigen Delikten des „Ungerichts“ und zu der gebotenen Bestrafung des handhaften Täters (bei Diebstahl, Ehebruch, vorsätzlichem Totschlag). Die Eröffnung des Verfahrens von Amts wegen, wie sie der Inquisitionsprozess kennt, war wegen der großen Autorität des Sachsenspiegels im sächsischen Rechtsgebiet weder vorgesehen noch real möglich. Für diese Fälle brachte die Glosse eine Lösung. Johann von Buch schränkte die Optionsmöglichkeit des Betroffenen, die Missetat mittels Klage vor das Gericht zu bringen oder dieselbe zu verschweigen, ein. Er hielt zwar an dem Sachsenspiegel-Grundsatz, der Richter dürfe niemanden zur Klage zwingen, fest, doch argumentierte er, dass das Recht (nicht der Richter) in bestimmten Notfällen das Erheben der Klage gebiete („klegere, de by not klagen moten“, Gl. zu Ssp. Ldr. I 62, 2)54. Seine Konstruktion sah also durch das Recht einen „Zwang zur Klage“ vor, der den alten Grundsatz, der Richter dürfe niemanden zur Klage zwingen, unberührt ließ. Der Glossator stützt sich dabei auf Situationen, in denen das römische Recht ein prozessuales Vorgehen gebot. Er führt an: die Interessenvertretung der Vormünder gegenüber ihren Mündeln, die Pflichten der Kinder nach der Ermordung des Vaters und die Klage des Mannes, dessen Ehefrau mit einem anderen Mann die Ehe gebrochen hat. Dabei wollte Johann von Buch die Klageerhebung des Betroffenen nicht nur auf diese Fälle beschränkt sehen. Er führte diese Beispiele an, um auf Situationen hinzuweisen, die eine Verfolgung der Tat geboten, unabhängig davon, ob der Betroffene das will oder nicht. Vor diesem Hintergrund sollte vor allem gegen Totschläger, die auf handhafter Tat ergriffen wurden, eine Pflicht zur peinlichen Bestrafung (ohne peinliche Klage des Betroffenen) kreiert werden.55 Im Richtsteig Landrechts, der ebenfalls (wohl nach der Glosse) von Johann von Buch verfasst wurde, erfolgte nun eine übersichtliche Darstellung der schon in der Glosse vorgebildeten Systematisierung der Klagemöglichkeiten im sächsischen Recht. Johann von Buch unterscheidet hier wiederum die zwei Haupttypen von Klagen: die „peinliche“ und die „bürgerliche Klage“. Kriterium für diese Differenzierung ist nunmehr der Zweck der Klage, also das Ergebnis, auf das der Prozess gerichtet war. Relativ klar und übersichtlich werden die zwei Haupttypen der Klage beschrieben. In Cap. 5 § 2 RstLdr. heißt es zur peinlichen Klage: „so dat de cleger nichtes begert, wen dat me den anderen pinege umme sine broke“.56 Inhalt53 A. Erler, Art. Verschweigung, in: HRG (Anm. 9), Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 809– 810; H. Lück, Art. Verschweigung, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII, München 1997, Sp. 1581. 54 Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. 438 ff., S. 439. 55 Glosse zu Ssp. Ldr. I 62, 2, Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. 438 ff.

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lich war sie zwar so schon in der Glosse bestimmt, doch wird eine klare Definition erst im Richtsteig vorgenommen. Sie sollte sich als zukunftsweisend herausstellen. Die peinliche Klage war also darauf gerichtet, den Beklagten ausschließlich an Leib und Leben zu strafen. An Stelle der einzelnen Klagen des Sachsenspiegels (Klagen um Gut, Schuld, Eigen etc.) erscheint wie schon in der Glosse im Richtsteig als Haupttyp der Klage die „bürgerliche Klage“. Sie wird in Cap. 5 § 1 RstLdr. wie folgt definiert: „unde het dar umme also, dat de cleger mit dem antwerder vor der sake unde na der sake borgen bliven, unde dat erer nen dem anderen vlüchtich werden ne darf, dat is alse umme scult unde umme gut unde umme anevanc“.57 Dazu gehörte auch die Klage auf Wergeld wegen Totschlags und auf Buße wegen leichter Körperverletzungen. Schließlich erklärt Johann von Buch noch eine, ebenfalls schon aus der Glosse bekannte, dritte Form der Klage in Gestalt der „gemischten Klage“. Sie resultiert aus einem wichtigen Charakteristikum des Verfahrensrechts des Sachsenspiegels und seiner späteren Bearbeitungen. Dieses besteht darin, dass dieselbe Missetat u. U. sowohl unter peinlichen als auch unter bürgerlichen Gesichtspunkten in prinzipieller Abhängigkeit vom Willen einer Privatperson verfolgt oder verschwiegen werden konnte. Ganz frei war der Kläger dabei jedoch nicht. Es muss Fälle gegeben haben, in denen die erhobene „peinliche Klage“ während des weiteren Verfahrens nicht mehr aufrechterhalten werden konnte und in eine „bürgerliche Klage“ umgewandelt werden musste oder werden wollte. Auch der umgekehrte Fall konnte eintreten, wenn ein mit der „bürgerlichen Klage“ eröffneter Prozess in einen „peinlichen Prozess“ übergehen sollte, der an sich mit der „peinlichen Klage“ zu eröffnen gewesen wäre. Diese prozessualen Gemengelagen wollte Johann von Buch mit der „gemischten Klage“ erfassen. Bemerkenswert ist, dass der Glossator mit der Dreiheit „bürgerliche Klage“, „peinliche Klage“ und „gemischte Klage“ alle einzelnen Klagen des Sachsenspiegels erfassen wollte: „dat alle clagen sin drierleie“.58 Vergleicht man die hier wiedergegebenen Textstellen aus dem Sachsenspiegel, der Buch’schen Glosse und dem Richtsteig Landrechts, so scheint es, als ob der römisch-rechtlich gebildete Glossator die Symbolik gerichtlichen Handelns zugunsten einer weniger symbolträchtigen Argumentation aus dem römischen und kanonischen Recht vernachlässigen wollte. Das würde der Hypothese entsprechen, die Rechtssymbolik gehe mit dem Vordringen des gelehrten/geschriebenen/kodifizierten Rechts zurück.59 Allerdings wird diese Beobachtung nur, wenn überhaupt, für die normative Ebene gelten können. In der Rechtspra56 57 58 59

Homeyer, Richtsteig (Anm. 8), S. 107. Ebd., S. 107. Ebd., S. 106. Vgl. dazu Lück, Rechtssymbolik (Anm. 2), S. 286 ff.

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xis an der Schwelle zur frühen Neuzeit stellen sich die Dinge anders dar. Die praktizierten Verfahren scheinen dem Sachsenspiegeltext eher zu entsprechen als seinen römisch- und kanonischrechtlichen Zusätzen. Dieser vorläufige Eindruck ist im Folgenden mit einigen quellengestützten Beobachtungen zu untersetzen. IV. Beobachtungen zur Rechtswirklichkeit des 15. und 16. Jahrhunderts Aus dem Zeitraum des 13. und 14. Jahrhunderts, also aus der Entstehungszeit von Sachsenspiegel und Buch’scher Glosse, fehlen weitgehend Aufzeichnungen über die praktische Handhabung der Rechtstexte. Erst als gegen Mitte des 15. Jahrhunderts die Schriftlichkeit in die sächsische Rechtspraxis einzieht, werden protokollartige Niederschriften und Notizen von Gerichtssitzungen, Verfahren und Ergebnisformen produziert. Sie bilden in Gestalt der Gerichtsbücher, Amtserbbücher, Amtsrechnungen und Amtshandelsbücher die wichtigste Quellengruppe zur Erforschung des Rechtsalltags.60 Danach lassen sich folgende Aussagen machen: Zur Einleitung des Gerichtsverfahrens standen die bereits genannten Klagemöglichkeiten zur Verfügung. Zunächst war es vom Geschädigten bzw. dessen Angehörigen abhängig, ob gegen den Täter mit einer peinlichen Klage oder mit einer bürgerlichen Klage vorgegangen werden sollte. Mit der Ersteren konnte die Bestrafung des Beschuldigten an Leib und Leben angestrebt werden, mit der Letzteren die Zahlung von Wergeld und Buße. Um diese beiden prozessualen Alternativen geht es im Folgenden. Dabei sollen die hinreichend bekannten schriftlich fixierten Normen eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr geht es hier um die Gerichtspraxis des 15. und 16. Jahrhunderts, soweit diese anhand der genannten Quellen rekonstruierbar ist. Die gerichtssymbolisch relevanten Aspekte sind m. E. auch ohne besondere Herausstellung gut erkennbar. Der erste Schritt des Verfahrens bestand in der Regel im Auffinden des Getöteten oder Verletzten. Die Schöffen oder/und der Richter des Ortes hatten die Wunden zu besichtigen und sogleich zu protokollieren, um später vor Gericht darüber Auskunft geben zu können. Der Geschädigte oder einer seiner Angehörigen musste als Kläger vor dem zuständigen Gericht im nächsten ordentlichen Termin erscheinen und die peinliche Klage vorbringen. Im Falle der peinlichen Klage erging die Ladung des Beschuldigten vor das Gericht. Erschien er nicht, wurde er in recht kurzen Abständen (von vierzehn Tagen) vor ein jeweils anberaumtes zweites und drittes Gericht geladen. Bei Nichterscheinen im vierten Termin sollte über ihn die Acht – wiederum in stereotypen symbolischen Formen – gesprochen werden. Auf der anderen Seite 60

Quellennachweise in der in Anm. 1 zitierten Literatur.

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beschreibt von Buch die bürgerliche Klage, mit der ebenfalls auf eine Rechtsverletzung reagiert werden konnte. Auch hier hatte der Beklagte vor Gericht zu erscheinen, allerdings lud man ihn mehrfach vor das in großen Abständen tagende Gericht. Ein Ausbleiben führte konsequenterweise nicht in die Acht. Daraufhin wurde der Fronbote beauftragt, den Beklagten zu laden. Die Ladung erfolgte seit dem späten 15. Jahrhundert schriftlich durch Übergabe des Ladungsschreibens (Zitation) an den Beschuldigten und/oder durch Anschlag in der entsprechenden Ortschaft. Auch der jeweilige Ortsrichter (Bauermeister, Schulze, Heimbürge), in dessen Zuständigkeitsbereich der Beklagte wohnte, erhielt wohl ein Exemplar der Zitation. Erst nach ordnungsgemäßer Ladung wurde dem Kläger offenbar ausdrücklich gestattet, seine Klage förmlich, d.h. mit ihren Symbolen ausgestattet, zu erheben. Dazu bedurfte es des Gerüftes oder, wie es in Sachsen heißt, des Zetergeschreis. Ursprünglich war der Leichnam des Opfers bzw. der Verletzte mit vor Gericht zu bringen, um das Gericht vom Vorliegen einer möglichen Missetat zu überzeugen. Diese sehr alte Form der Klage mit dem toten Mann findet sich vereinzelt noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts. So erhob 1541 in der Stadt Freiberg ein Kläger das Zetergeschrei vor Stadtrichter und Stadtvogt, während der Erschlagene auf einer Bahre vor dem Rathaus auf dem Markt lag. Die Klage mit dem toten Mann scheint in dieser Zeit jedoch schon eine veraltete Ausnahme gewesen zu sein. Typisch war vielmehr, dass dem Gericht eine vom Leichnam abgetrennte Hand, ein Daumen oder ein Finger als Leibzeichen während des Zetergeschreis gezeigt wurde.61 Dem Abtrennen des Leibzeichens durch den Fronboten war das Besichtigen des Opfers durch die entsprechenden Dorfrichter oder/und Schöffen, welche die Art und den Grad der Verletzungen festzustellen hatten, vorausgegangen. Das Opfer durfte nun begraben werden und dennoch konnte es in Gestalt des Leibzeichens im Gericht präsent sein. Die Hand bzw. der Finger diente als gegenständliches Attribut der Klage mit der toten Hand. Später traten wohl Kleidungsstücke oder/und Nachbildungen von Körperteilen aus Wachs o. ä. an diese Stelle. Die Klage mit Gerüfte scheint schon im Laufe des 14. Jahrhunderts mit der seit der Glosse so genannten peinlichen Klage verschmolzen zu sein. Von einer etwaigen Zurückdrängung der Symbolkraft dieses ersten Verfahrensabschnitts kann aber noch nicht die Rede sein. Bei dieser Form der Klage hatten nämlich das Zetergeschrei und die Vorweisung, d.h. das öffentliche Zeigen des Leibzei61 In der älteren Literatur zur Rechtssymbolik (etwa C. Frhr. v. Schwerin, Rechtssymbole, in: J. Hoops (Hg.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 3, Straßburg 1915–1916, S. 469–479) wird bestritten, dass eine pars pro toto (also hier das Leibzeichen) ein Rechtssymbol sein könne. Zu den Gegenargumenten vgl. Lück, Rechtssymbolik (Anm. 2), S. 284 f.

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chens, dreimal von unterschiedlichen Stellen aus dem Gericht gegenüber zu erfolgen. Kam der Beklagte nicht vor Gericht, wurde er zwei weitere Male geladen (geheischt) und beim vierten Gericht feierlich in die Acht gesprochen. Der letzte Abschnitt des durch die peinliche Klage eingeleiteten Verfahrens war die Vollstreckung des peinlichen Urteils, in welcher das eigentliche Ziel dieser Klage- und Prozessform lag. Als Alternative zur peinlichen Klage stand dem Rechtsuchenden die bürgerliche Klage zur Verfügung. Mit ihr wurde vor Gericht gegenüber dem Beschuldigten die Forderung geltend gemacht, an den Geschädigten bzw. dessen Angehörige eine Buße zu zahlen. Hinzu kam immer das Gewette für den Richter. Auch bei der Nichtweiterverfolgung der Klage wurde das Gewette fällig (Tafel 1 im Anhang, unten). Die bürgerliche Klage war auch noch im 15. und 16. Jahrhundert bei Totschlag und Körperverletzungen üblich. Dabei war die Klage wohl nicht von vornherein auf ein Urteil gerichtet, sondern auf eine vertragliche Einigung über die Zahlung der Buße in Gegenwart des Gerichtes – also auf Sühne. „Sune aver unde orvede, de de man vor gerichte dut, getuget men mit deme richtere unde mit twen mannen. Gescut it aver ane gerichte, he mut it getugen selve sevende, dem men de sune oder de orvede dede.“ (Ssp. Ldr. I 8, 3). Auch diese Form der Konfliktbeilegung hatte öffentlich in symbolischen Formen zu erfolgen, um wirksam zu sein (Tafel 6 im Anhang). Bei Totschlag war in der Regel ein Sühnevertrag das angestrebte Ergebnis. Typische Inhalte des Vertrages waren: das Zahlen des Wergeldes, das Bestellen von 100 Seelenmessen, eine Romfahrt sowie das Setzen eines Steinkreuzes. Häufig wurde die Erfüllung der Verpflichtungen im amtlichen Gerichtsbuch vermerkt und damit, wenn man so will, auch der Vollzug der Symbole. Kam es im Verlaufe des peinlich angestrengten Prozesses zu einem Sühnevertrag, so musste dieser seitens des Beklagten „selbsiebent“ bezeugt werden. Für die gerichtliche Sühne in bürgerlichen Sachen genügte die Bezeugung „selbdritt“. Der Richter hatte darüber einen Bekenntnisbrief auszustellen. Wer die Buße nicht zahlen konnte, wurde (zumindest im frühen 16. Jahrhundert) mit Gefängnis belegt. Die Wahl zwischen peinlicher und bürgerlicher Klage stand dem Kläger jedoch nicht absolut zu. Bereits der Sachsenspiegel nennt Missetaten und Umstände der Tat, die in jedem Falle eine peinliche Strafe nach sich ziehen sollten. Dazu gehören die als „Ungerichte“ bereits benannten Delikte sowie das Ergreifen des Täters auf handhafter Tat, so auch bei Totschlag, der ansonsten die Sühnemöglichkeit eröffnete. In einem Spruch für den Bischof von Meißen bekräftigten die Magdeburger Schöffen um 1475 das Gebot der peinlichen Bestrafung in solchen Fällen getreu der Glosse, doch entgegen mancher ortsüblicher Gewohnheit. Sie bezogen sich dabei ausdrücklich auf die Glosse des Johann von Buch zum Sachsenspiegel-Landrecht. Hierzu heißt es in Gl. zu Ssp. Ldr. I

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66 in Bezug auf den handhaften Totschläger: „Dar secht dat keyserrecht. Jn welker sake de handtdeder begrepen wert, dar sy en kleger edder nicht, dat drepe to des richteres zorchuoldicheit, dat he vngeklaghet doch den broke richten scholle.“62 Gehalten hat man sich daran wohl nicht. Ein Problem, das sich in der Rechtspraxis immer wieder stellte, war die Umwandlung der peinlichen Klage in eine bürgerliche und umgekehrt während des Verfahrens. Diese Erscheinung hatte Johann von Buch mit der vermischten Klage zu erfassen versucht. Ein Grund zur Fortführung des peinlich begonnenen Prozesses als bürgerlichen konnte z. B. darin bestehen, dass sich die Verdachtsmomente gegenüber dem Beschuldigten nicht bestätigten. Eine Symbolik, die eine solche Umwandlung begleitet haben könnte, ließ sich bislang nicht ermitteln. Vielleicht gab es auch keine. Neben der peinlichen, bürgerlichen und gemischten Klage steht noch ein weiteres Institut, welches zur Ingangsetzung eines Gerichtsverfahrens führte. Es handelt sich um die mehrdeutige und schwierig zu fassende „Rüge“. Im Sachsenspiegel ist sie an mehreren Stellen genannt. Am deutlichsten geht aus Ssp. Ldr. I 2, 4 hervor, was damit gemeint ist. Der Bauermeister63 darf nach dieser Vorschrift ganz bestimmte Rechtsverletzungen rügen: die Vernachlässigung der Dingpflicht, fließende Wunden, in böser Absicht gezogenes Schwert sowie jene Delikte, für die Leibes- und Lebensstrafen angedroht sind. „Dar unde in iewelkeme vogetdinge scal iewelk burmester wrugen alle de to dinge nicht ne komet, de dar plichtich sind to komene, unde dat ruchte unde menschen bludende wunden [. . .] unde al ungerichte, dat in den lif oder in de hant geit, of it mit klage vor gerichte nicht begrepen is; anderes ne darf he nicht wrugen.“ (Ssp. Ldr. I 2, 4).

Gegen Ende dieses Rechtssatzes wird eine Bedingung für die Zulässigkeit der Rüge formuliert. Danach ist der Bauermeister zur Rüge nur berechtigt, sofern die Delikte nicht geklagt wurden. Tatsächlich steht die Rüge in der Rechtspraxis des 15. und 16. Jahrhunderts zahlenmäßig der Klage keinesfalls nach. In den Gerichtsbüchern dieser Zeit hat „Rügen“ jedoch sehr unterschiedliche Bedeutungen. Zunächst bedeutet „Rügen“ das Vorbringen gewohnheitsmäßig gewachsener Berechtigungen auf den ein- bis viermal jährlich stattfindenden Land-, Jahr- oder Rügegerichten durch Richter, Schöffen, Gerichtsherrn oder einzelne Mitglieder der jeweiligen Gerichtsgemeinde in feststehenden Formen. So rügt z. B. der Dorfrichter, dass er die Schankgerechtigkeit auf seinem Richtergut besitze oder die Gemeinde rügt, dass ihr nach der Ernte ein Fass Bier von der Dorfherrschaft zustehe. Die Rüge dient hier dem Feststellen von existenten Rechten, um deren Fortbestand zu sichern. Sie fungierte hier als Symbol der Rechtsausübung. Das war insbesondere dann wichtig, wenn diese Rechte über 62 63

Buch’sche Glosse (Anm. 5), S. 472. Vgl. dazu H. Lück, Art. Bauermeister, in: HRG (Anm. 13), Sp. 465–466.

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längere Zeit nicht praktiziert wurden. Eine längere Zeit nicht geübte Gewohnheit lief Gefahr, ihre Geltungskraft zu verlieren. Von diesem Gebrauch des Wortes ausgehend wird „Rügen“ auch als Bezeichnung für die schriftlich fixierten dörflichen Rechte verwendet, die auch Dorfordnungen, Willküren oder (in anderen Teilen Deutschlands) Weistümer heißen. Endlich meint „Rügen“ das Vorbringen von Verletzungen des nachbarlichen Zusammenlebens, etwa das Abhandenkommen eines Pflugschares, das Überfahren eines Feldes u. ä. Der Sachsenspiegel kennt eine ähnliche Rüge, die dem Bauermeister zukommt, wenn ein Nachbar Gemeindeland gepflügt, gegraben oder eingezäunt hat: „Swe siner gebure gemene af eret oder grevet oder tunt, wert he vor deme burmestere gewruget oder beklaget, he mut dar umme wedden dre scillinge [. . .]“ (Ssp. Ldr. III 86, 1). Schließlich wird durch eine Rüge auch auf schwere Rechtsverletzungen aufmerksam gemacht, welche mit peinlicher Klage verfolgt werden können. Dies alles spricht dafür, dass die Rüge ein Mittel war, um ein Verfahren an Stelle der Klage unabhängig vom Willen des aktiv legitimierten Klägers einzuleiten. Ein Gerichtsprotokoll von Seußlitz bei Meißen unterscheidet in zwei Abschnitten die „Rügen“, die am Gerichtstag vorgebracht worden sind, und die „Hadersachen und Gebrechen“. Offenbar wurden die Nachbarn auf jedem Rügegericht ausdrücklich – mit feststehenden Formeln und damit symbolisch – nach Rechtsverletzungen gefragt. Wurden solche nicht vorgetragen, erschien im Gerichtsprotokoll der Vermerk, „das sie nichtes wüsten“. Unterblieb die Rüge, obwohl sich eine Missetat ereignet hatte, wurde die ganze Gerichtsgemeinde mit einer Buße belegt, so z. B. ein Dorf bei Colditz mit 3 Schock Groschen, weil durch Unterlassen der Rüge zwei Totschläger entkommen konnten. Während nach Ssp. Ldr. I 62, 1 niemand zur Klage gezwungen werden kann, bestand eine Pflicht jedes Gerichtsgenossen zur Rüge. Der Ursprung dieser Rügepflicht konnte noch nicht hinreichend geklärt werden. Im Landgericht Leipzig mussten sich die Schöffen des Landgerichts durch Eidesleistung zum Rügen verpflichten. Danach sollte ein jeder rügen, was er selbst weiß, gehört, vernommen oder von seinem Nachbarn erfahren hat. Die Rüge steht hier für etwas, was sie selbst nicht ist, nämlich für eine peinliche Klage. Insofern kann sie auch als Symbol aufgefasst werden.

Summary Firstly: Most suits in the Sachsenspiegel can be distinguished by different symbolic acts. These do not all take place „before the court“ in the sense of a room. Gerüfte (clamour), Anfang (laying claim), „action with the dead man“ and „action against the dead man“ are symbols, which stand for legal conflicts and are used to initiate conflict resolution before the court.

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Secondly: The Sachsenspiegelglosse (commentary on the lawbook) is tied to the types of suit in the Sachsenspiegel and explains them with recourse to Roman and Canon law. Beyond this, the commentary attempts to combine the single types of suit into two main types: the „civil suit“ and „criminal suit“ (with corporal punishment). The opportunity to change either of the main types into the other is given by the „mixed suit“, but it cannot be understood as an independent type of suit. Thirdly: Alongside the two main types and the special form of „mixed suit“ there were also Rüge (complaint) and suit required by law, which compensated for the fact that the judge was forbidden to compel anyone to bring an action. From this point of view, complaint and the „suit from necessity“ acted as symbols for the regular legal action which had not (yet) been brought – similar to clamour and laying claim. Fourthly: Legal reality in the 15th and 16th centuries was still heavily influenced by the symbolic language of the Sachsenspiegel. Combining the German lawbook with Roman-Canon law through the commentary evidently did not impair the symbolism of the suits. Categorising the individual types of suit into the two main types in the commentary (civil and criminal) made procedural law as well as legal practice more comprehensible.

Straf-Akte(n). Zur visuellen Repräsentation der Kriminaljustiz in frühneuzeitlichen Gerichtsbüchern Von Gerd Schwerhoff Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet ein „Abfallprodukt“ des Kriminalitätshistorikers. In den Kölner Turmbüchern, ausführlichen und seriell erhaltenen Kriminalprotokollen des 16. Jahrhunderts, finden sich neben Verhören und Zeugenaussagen gelegentlich überraschende Fremdkörper. Das sind zum einen Sinnsprüche, mit denen der jeweilige Schreiber die erste Seite eines Buches verzierte. So stand der erste „Liber Malefactorum“ von ca. 1510 unter dem moralisierenden Motto: „Wer yn diesem calffell nyet wilt staen, der sall van boesen wercken laen“1 – eine direkte Warnung an alle tatsächlichen oder potentiellen Straftäter. Eindrücklich sind aber vor allem die Federzeichnungen, die am Rand von Einträgen über die Verhängung von Strafen zu finden sind: Schwerter, Räder und Äxte als Instrumente der Hochgerichtsbarkeit sind zu sehen, aber auch ein Rutenbündel. 1569 illustrierte der Schreiber skizzenhaft drei gleichzeitig vollzogene Exekutionen am Galgen (Abb. 1). Vergleichbare, meist noch erheblich sorgfältiger gearbeitete Abbildungen finden sich vor allem in den Justizakten süddeutscher Reichsstädte wie z. B. Ulm, Augsburg oder Nürnberg. In den Halsgerichtsbüchern der fränkischen Kapitale, die über Gerichtstage und vollstreckte Urteile Zeugnis geben, sind allein zwischen 1584 und 1591 fünf zeichnerische Marginalien mit Darstellungen etwa des Rabensteins (der öffentlichen Richtstätte), eines armen Sünders und – häufiger – von abgeschlagenen Köpfen nachgewiesen (Abb. 2). Sie sind deutlich klarer und von besserer Qualität als die flüchtigen Kölner Zeichnungen. Die vielleicht interessantesten Federzeichnungen weisen die Urfehdebücher der Stadt Nördlingen, hier zunächst repräsentiert durch die detaillierte Darstellung der Hinrichtung von Straßenräubern im Jahr 1560 (Abb. 3), auf. Offenbar also kommt es im 16. Jahrhundert zu einer Häufung von Illustrationen in Gerichtsakten. Beispiele kennen wir allerdings auch aus früherer Zeit. 1 G. Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft im frühneuzeitlichen Köln, Bonn u. a. 1991, S. 472; online jetzt unter www.gerdschwerhoff.de.

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Abb. 1: Marginalzeichnung in einem Kölner Turmbuch zum Jahr 1569 (Historisches Archiv der Stadt Köln, Verfassung und Verwaltung G 211)

Das Soester Nequambuch aus dem 14. Jahrhundert etwa war mit dreizehn farbigen, ganzseitigen Miniaturen ausgestattet, die am Beginn der Anlage des Buches über die verschiedenen, wohl größtenteils unbeschriebenen Lagen der Pergamenthandschrift verteilt wurden. Sie zeigen Gerichtsszenen, Verbrechen, aber vor allem Strafsequenzen.2 Ich konzentriere mich im Folgenden auf frühneuzeitliche Darstellungen. Die genannten Zeichnungen sind der Forschung nicht unbekannt geblieben. Sie wurden von der Rechtsgeschichte als illustratives Material benutzt.3 Sie 2 Historische Kommission für die Provinz Westfalen (Hg.), Das Soester Nequambuch, mit 13 farbigen Tafeln und einer Schrifttafel, Leipzig 1924. 3 Maister Franntzn Schmidts Nachrichters inn Nürmberg all sein Richten. Nach der Handschrift hg. v. A. Keller, 1913, ND mit einer Einleitung von W. Leiser, Neustadt a. d. Aisch 1979, S. XX ff.; H. Schuhmann, Der Scharfrichter. Seine Gestalt – seine Funktion,

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Abb. 2: Marginalzeichnung des Nürnberger Gerichtsschreibers Mathäus Schyrer im Malefizbuch zum Jahr 1586 (Staatsarchiv Nürnberg, Amts- und Standbuch Nr. 223)

sieht in derartigem Material eine willkommene Ergänzung zur Darstellung einer „wirklichen“ Strafrechtsgeschichte. So wüssten wir über das genauere Aussehen Kempten i. Allgäu 1964, S. 289 ff.; W. Schild, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, München 1985, z. B. S. 98 f.

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Abb. 3: Federzeichnung aus dem Nördlinger Urfehdebuch zum Jahr 1560 (Stadtarchiv Nördlingen, Urfehdebuch 1560)

des Kölner Prangers nichts, wenn der Schreiber ihn nicht in grober Stilisierung abgebildet hätte (Abb. 4). Systematisch aber sind die Bilder in Gerichtsakten bisher kaum analysiert worden, schon gar nicht in ihrem jeweiligen Kontext. Die jüngere Kriminalitätsgeschichte, die Gerichtsakten als Ausfluss der Justizpraxis besonders in den Mittelpunkt stellt, hat die Bilder bisher ebenfalls ignoriert. Einzig die instrumentellen Funktionen der Anlage und Nutzung derartiger Akten standen im Mittelpunkt ihres Interesses. Für eine Untersuchung der symbolischen Dimensionen des vormodernen Strafrechts jedoch wurden sie nicht herangezogen. Dieses Desiderat verweist vielleicht auf ein systematisches Problem: Gewöhnlich existiert eine scharfe Trennung zwischen der Analyse von symbolischer Kommunikation und rituellen Akten in der sozialen Praxis einerseits und schriftgestützten Diskursen andererseits. So wird etwa im Einladungsschreiben zu unserem Symposium die Verschriftlichung des gerichtlichen Verfahrens mit einem möglichen „Rückgang symbolischer und ritueller Elemente im Prozesswesen“ in Verbindung gebracht.4 Das mag stimmen. Aber es bleibt zu beden4 Vgl. aber differenzierend R. Schulze/L. Ostwaldt, Rechtssymbolik und Wertevermittlung im gerichtlichen Verfahren – Einführung, in: R. Schulze (Hg.), Rechtssymbo-

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Abb. 4: Marginalzeichnung in einem Kölner Turmbuch zum Jahr 1586 (Historisches Archiv der Stadt Köln, Verfassung und Verwaltung G 223)

lik und Wertevermittlung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 47), Berlin 2004, S. 11–17, insb. S. 16.

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ken, dass die symbolischen Akte und rituellen Handlungen früherer Epochen uns – ebenso wie den allermeisten Zeitgenossen – nicht (mehr) mittels „primärer Medien“ des menschlichen „Elementarkontaktes“ wie der Sprache oder der direkten Beobachtung zugänglich sind. Vielmehr müssen sie durch „sekundäre“ Medien, nämlich solche, die auf der Produzentenseite technisches Gerät erfordern, vermittelt werden.5 Eine Untersuchung der symbolischen Praxis sollte die papiergestützte Medialität dieser Akte mithin reflektieren. So haben jüngere historische Arbeiten Probleme der symbolischen Kommunikation mit der Form ihrer Überlieferung fruchtbar in Verbindung gebracht. André Krischer hat in seiner Münsteraner Dissertation z. B. gezeigt, wie eng das politische Zeremoniell der frühneuzeitlichen Reichsstädte an deren Aufschreibesysteme in Gestalt der städtischen Zeremonialbücher gekoppelt war.6 Vor diesem Hintergrund erscheint eine Untersuchung der symbolischen Elemente frühmoderner Gerichtsakten lohnenswert. Die folgende Skizze kann dazu allerdings vorerst nur erste Gedanken entwickeln, die am historischen Material detaillierter zu entwickeln und zu modifizieren wären. Mehr lässt das weitgehende Fehlen von Vorarbeiten nicht zu. Pioniercharakter kann in diesem Zusammenhang jedoch die Studie von Klaus Graf über die Erinnerungskultur in der Strafjustiz beanspruchen, die eingehend die Kriminalquellen „als eigenständige Zeugnisse eines gesellschaftlichen Diskurses über das Strafen und die soziale Kontrolle“ würdigt.7 I. Strafrituale und Gerichtsakten Um über mögliche Zusammenhänge nachzudenken, bedarf es zunächst einmal einer kurzen Reflexion darüber, was beide Sphären – die Rituale, auf die in den Bildern zeichenhaft verwiesen wird, einerseits und das Trägermedium der Gerichtsakten andererseits – jeweils für sich genommen an Funktionen und Bedeutungen transportieren. Die Abbildungen in unseren Gerichtsakten aus dem 5 Zur Unterscheidung zwischen „primären“ und „sekundären“ Medien klassisch H. Pross, Medienforschung, Darmstadt 1972, S. 10 ff.; vgl. R. Burkart, Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft, Wien 1998, S. 36 f. 6 A. Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Zum politischen Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Diss. Münster 2004. Aus anderer Perspektive zum Verhältnis von Diskurs und Praxis J. Martschukat, Ein Freitod durch die Hand des Henkers: Erörterungen zur Komplementarität von Diskursen und Praktiken am Beispiel von Mord aus Lebens-Überdruß und Todesstrafe im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), S. 53–74. 7 K. Graf, „Das leckt die Kuh nicht ab“. „Zufällige Gedanken“ zu Schriftlichkeit und Erinnerungskultur der Strafgerichtsbarkeit, in: A. Blauert/G. Schwerhoff (Hg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 245–288, S. 248. Anregend zur Geschichte des Aktenwesens insgesamt C. Vismann, Akten. Medientechnik und Recht, Frankfurt a. M. 2000.

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16. Jahrhundert konzentrieren sich, soweit bisher bekannt, völlig auf das Strafszenario, sparen also die vorangegangene Tat – anders etwa als zeitgenössische Flugblätter – aus. Ganz minimalistisch gestaltet sind die Randglossen der Kölner Turmbücher mit ihrer fast stilisierten Darstellung eines Prangers oder eines Galgenbaumes, an denen die Abgeurteilten nur schemenhaft zu erkennen sind. Manchmal stehen die Strafinstrumente ganz für sich, zweifellos als Verkörperungen eines Strafrituals, das der Betrachter gleichsam automatisch assoziiert. Geradezu elaboriert dagegen die Nürnberger Zeichnungen des Gerichtsschreibers, der neben den Werkzeugen der Gerechtigkeit sowohl die anstrengende Arbeit des Henkers erahnen lässt als auch den körperlichen Qualen des Delinquenten Raum gibt – zumal bei den Darstellungen des Galgens das Ritual bereits vorbei ist; es bleiben die faulenden, von Raben angefressenen Leichen der Hingerichteten als Symbol der Gerechtigkeit (Abb. 5).

Abb. 5: Marginalzeichnung des Nürnberger Gerichtsschreibers Mathäus Schyrer im Malefizbuch zum Jahr 1588 (Staatsarchiv Nürnberg, Amts- und Standbuch Nr. 223)

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Abb. 6: Federzeichnung aus dem Nördlinger Urfehdebuch zum Jahr 1584 (Stadtarchiv Nördlingen, Urfehdebuch 1584)

Detailreich fallen auch die Nördlinger Bilder aus, die sich nicht nur auf Lebensstrafen konzentrieren, sondern auch das Austreiben von Verbannten aus der Stadt abbilden. Sinnfällig ist der Gegensatz zwischen dem Büttel mit Amtstracht und Staupbesen und dem armen, spärlich bekleideten Delinquenten (Abb. 6). Die suggestive Symbolkraft der hier dargestellten Strafrituale ist in der Forschung häufig thematisiert worden. Im „Theatrum Poenarum“, dem „Schauplatz derer Leibes- und Lebensstrafen“ (so Jacob Döpler 1697) musste die „spiegelnde, rächende, abschreckende und reinigende Zielsetzung der Strafe“8 zum Ausdruck kommen. Der Verstoß gegen die göttlichen Gebote und gegen die weltlichen Gesetze musste angemessen sanktioniert werden, indem sich in der Strafe die Art des Vergehens und die soziale Qualität des Delinquenten spiegel8 J. Martschukat, Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Köln 2000, S. 24; weiter zu dieser Thematik R. v. Dülmen, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale der frühen Neuzeit, München 1995; R. Evans, Rituals of Retribution. Capital Punishment in Germany, 1600–1987, Oxford 1996. Vgl. als zentrale Quelle J. Döpler, Theatrum poenarum suppliciorum et executionum criminalium oder Schau-Platz derer Leibes- und Lebens-Straffen, 2 Bde., Sondershausen 1693 bzw. Leipzig 1697.

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ten. So entwickelte sich eine ganze Bandbreite von Straf- und Hinrichtungsformen, die nach dem Grad der Ehrenhaftigkeit und dem Grad der Schmerzhaftigkeit fein abgestuft werden konnten. Mit der Strafe, der legitimen Rache für das begangene Verbrechen, wurde die Wiederherstellung der göttlichen Weltordnung versinnbildlicht sowie die Autorität der weltlichen Strafgewalt unterstrichen. Dabei beschränkte sich das „Theatrum Poenarum“ nicht auf individual- und generalpräventive Aspekte, auf einen Akt „gewaltsamer Pädagogik“, bei dem die Strenge des Gesetzes öffentlich auf den Körper des Verurteilten buchstabiert wurde. Seine Bedeutung ging gleichsam tiefer und bezog die Zuschauer wie die Objekte der Justiz mit ein. Denn das Strafritual reinigte nicht nur die Gemeinschaft von der befleckenden Untat, sondern bot dem Delinquenten die Chance, wenn nicht sein irdisches so doch sein ewiges Leben zu retten; er musste nur seine Rolle als reuiger Sünder angemessen spielen und nicht verstockt und ungetröstet in den Tod gehen. Die vielschichtige Bedeutung der Strafrituale steht mithin außer Diskussion, auch wenn noch viele Aspekte näher zu erforschen wären. Sie wird im Übrigen auch nicht durch die Feststellung der Kriminalitätsgeschichte gemindert, dass schwere Leibes- und Lebensstrafen quantitativ nur einen kleineren Teil des vormodernen Strafsystems ausmachten. Im Gegenteil kann ja ihre symbolische Bedeutung gerade bei sparsamem Einsatz besonders deutlich hervortreten.9 Von den Akten des Strafens zu den Gerichts-Akten.10 Die Kölner Turmbücher des 16. Jahrhunderts, mit denen ich meinen Vortrag begann, stehen stellvertretend für eine bereits sehr ausdifferenzierte Variante der Kriminal- und Gerichtsakten, die Frageschemata (Interrogatorien), Aussagen von Angeklagten und Zeugen, Nachrichten über das Verfahren wie Klagen und Denunziationen, Gegenüberstellungen und Ortstermine sowie Entscheidungen des Gerichts enthalten. Im – tatsächlich selten realisierten – Idealfall dokumentieren sie damit den laufenden schriftlichen Geschäftsgang einer Gerichtsinstanz. Wie in anderen Städten stellen die Kölner Turmbücher die Reinschriften der Protokolle in grob chronologischer Abfolge dar, wobei ein Personenregister in jedem Band die Recherche erleichtert. Überdies stellen Randverweise den Zusammenhang zu anderen Einträgen des gleichen Betreffs her bzw. geben Verbindungen zu früheren Fällen. Sie repräsentieren mithin potentiell Datenbanken, auf die spätere Ermittler zurückgreifen konnten, vergleichbar mit den Protokollen der kirchlichen Inquisition bereits seit dem 13. Jahrhundert.11 Geburtsort derartiger 9

Evans, Rituals (Anm. 8), S. 50. Für eine Übersicht zu den vormodernen Kriminalakten vgl. G. Schwerhoff, Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einführung in die historische Kriminalitätsforschung, Tübingen 1999, S. 24 ff. 11 T. Scharff, Schrift zur Kontrolle – Kontrolle der Schrift. Italienische und französische Inquisitoren-Handbücher des 13. und frühen 14. Jahrhunderts, in: Deutsches Archiv 52 (1996), S. 547–584. 10

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Quellen war im weltlichen Zusammenhang zunächst die Stadt. Bereits im 16. Jahrhundert trat bekanntlich neben die städtische die territoriale Aktenüberlieferung. Durch die Zentralisierung von Gerichtskompetenzen traten Prozessverfahren und Entscheidungsfindung zunehmend räumlich auseinander, was zu einer wahren Explosion der Schriftlichkeit führte. Für den aktuellen Fragezusammenhang kann diese Entwicklung jedoch ausgeklammert bleiben.12 In unserem Kontext ist der Blick zurück ins späte Mittelalter wichtiger. Umfassende Kriminalquellen vom Genre der Turmbücher sind im deutschen Sprachraum erst seit dem späten 14. Jahrhundert überliefert.13 Bereits zuvor allerdings existierten andere Varianten von Gerichtsakten mit allerdings deutlich anderen Funktionen. Bereits zweihundert Jahre vorher setzen die ersten Achtbücher ein, insbesondere in nieder- dann auch in oberdeutschen Städten. Hier wurden die Namen von „Proskribierten“, „Verfesteten“ oder „friedlos Gelegten“ festgehalten, die sich der gerichtlichen Auseinandersetzung entzogen. Je nach Rechtskreis wurde die proscriptio dabei eher – der ursprünglichen Intention gemäß – als Zwangsmittel zur Rückkehr oder als genuine Strafe verstanden, bei der der gefasste Flüchtige straflos getötet bzw. mit Zwang vor Gericht gebracht werden konnte. Zugleich dokumentieren die Achtbücher jedoch die Verbannungen, die von der städtischen Obrigkeit als flexibles und vergleichsweise informelles Sanktionsinstrument eingesetzt wurden. Als drittes Element begegnet uns in frühen Gerichtsquellen die Urfehde, genauer gesagt die Hafturfehde, wo ein aus dem Gefängnis Entlassener beschwor, sich an der Stadt und an der gegnerischen Partei wegen der erlittenen Haft und eventuellen weiteren Schäden nicht rächen zu wollen. Daneben treten bald spezielle Rechnungsbücher, die Bußzahlungen wegen der unterschiedlichsten Vergehen dokumentieren. Die instrumentellen Funktionen der genannten Quellen liegen klar zutage. Mit dem Eintrag eines Namens in die städtischen Achtbücher wurde der Rechtsakt der Proskription vielfach erst wirklich rechtsgültig. Dieser funktionale Aspekt dominierte bisweilen so sehr, dass es den Historiker schmerzt. So verzeichnet das Soester Nequambuch – eine Kombination aus Achtbuch, Verbannungsregister und Urfehdeverzeichnis – meist lediglich die Namen der Delinquenten, selten aber das Delikt. Für den Kriminalitätshistoriker entwertet diese Tatsache die Quelle dramatisch, für die Zeitgenossen, die wissen wollten, wer wann verbannt worden war, stand die Identität der Proskribierten im Mittelpunkt. Umgekehrt legen Ausradierungen von Namen in den Achtbüchern oder die ausdrückliche Aufhebung nach einer „Teidigung“ zwischen den Parteien da12 Inwieweit in der territorialen Aktenüberlieferung symbolische Elemente eine Rolle spielten, wäre zu untersuchen. 13 Vgl. für das Folgende Schwerhoff, Aktenkundig (Anm. 10), S. 27 ff.; ferner ders., Gerichtsakten und andere Quellen zur Kriminalitätsgeschichte, in: M. Maurer (Hg.), Aufriss der Historischen Wissenschaften, Bd. 4: Quellen, Stuttgart 2002, S. 267– 301.

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von Zeugnis ab, dass der Verfemte auf dem Verhandlungswege durchaus erfolgreich einer Strafe entgehen konnte. In den von Peter Schuster untersuchten Konstanzer Strafbüchern des 15. Jahrhunderts dominiert dagegen ein anderer Aspekt: das Geld. Der Rat ließ hier akribisch die Bußen für kleinere und größere Vergehen notieren und nachhalten. Chronologisch verzeichnet jeder Jahrgangsband „zunächst die bis dato nicht oder nicht vollständig beglichenen Bußen der Vorjahre. Im Anschluss daran wurden die Bußen des laufenden Jahres eingetragen. [. . .] Zudem werden Bürgen, Absprachen mit dem Rat, Umwandlungen von Bußen und bei den noch offenen Bußen der Vorjahre die bisher erbrachten Bußanteile [. . .] genannt. War eine Buße vollständig getilgt, so notierte der Schreiber am Rande der linken Seite „sol“ für solvit oder solutus.“14

Diese regelrechte Ökonomie des Strafens spiegelt wohl eines der eindrucksvollsten frühen Zeugnisse der Nutzung von Schriftlichkeit im Bereich des Rechts wider. Andere Aspekte könnten ergänzt werden, etwa die Steckbrieffunktionen von Personenbeschreibungen in den Akten.15 II. Akten im Medienensemble der Frühen Neuzeit Symbolische Dramatisierung des Rechts durch Strafrituale dort, instrumentelle Funktionen und Dokumentationen hier – wie kann diese Kluft überbrückt werden? Natürlich gibt es Bilder in Kriminalakten, die sich in eine unmittelbare funktionale Zweckbestimmung einfügen. Ein Beispiel dazu wären jene süddeutschen Mordbrenner-Akten, in denen Monika Spicker-Beck gelegentlich Federzeichnungen derjenigen geheimen Erkennungszeichen nachgewiesen hat, mit denen sich die Mitglieder einer Bande untereinander erkennen bzw. verständigen konnten. Allerdings hat Johannes Dillinger neuerdings mit guten Gründen bezweifelt, dass die Mordbrenner-Banden tatsächlich in der imaginierten Form existierten. Es wäre also möglich, dass auch die dokumentierten Zeichen eine sehr symbolische Funktion besessen hätten, nämlich die, die Realität einer Fiktion nachzuweisen.16 Auszuschließen ist weiterhin, dass die Bilder innerhalb des Textes eine klare Ordnungsfunktion erfüllten und etwa als Index für eine bestimmte Sorte von Einträgen fungierten. Tatsächlich finden sie sich in Köln wie 14 P. Schuster, Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz, Paderborn 2000, S. 230. 15 V. Groebner, Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters, München 2004. 16 M. Spicker-Beck, Räuber, Mordbrenner, umschweifendes Gesind. Zur Kriminalität im 16. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 1995, Abb. 11; E. Münster-Schröer, „Vort sullen wir roiff ind brandt . . . weren mit unser gantzer macht“ – Brand und Mordbrand. Regionale Befunde und Überlegungen zur Deutung, in: Westfälische Forschungen 54 (2004), S. 19–37; eine kritische Reflexion der bisherigen Forschungen aus der Feder von Johannes Dillinger wird demnächst erscheinen.

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andernorts am Rande jener Abschnitte, die vom Strafvollzug berichten. Allerdings sind sie einerseits zu verstreut und unsystematisch, andererseits zu sorgfältig und aufwendig gearbeitet, um diesen Zweck wirklich zu erfüllen.17 Eine weiterführende Interpretation hätte zweifellos das Sozial- und Persönlichkeitsprofil der Gerichtsschreiber näher in den Blick zu nehmen. Ohne das sehr persönliche Engagement von Männern wie Mathäus Schyrer in Nürnberg oder Gotthard Baum in Köln sind die Zeichnungen kaum denkbar, denn es handelt sich hier sicherlich nicht im engeren Sinn um Auftragsarbeiten. Doch weist das gleichzeitige Auftreten des Phänomens in verschiedenen Städten ebenso wie die Etablierung einer länger bestehenden Tradition wie in Nördlingen über die individuelle Sphäre hinaus.18 Will man die Abbildungen nicht lediglich als private Marotten von Gerichtsschreibern verstehen, dann wäre darin eine mediale Vervielfältigung jener rituellen Theater des Schreckens zu sehen, die auf Abschreckung und Wiederherstellung der göttlichen Gerechtigkeit zielen. Die Kriminal- und Gerichtsakten jener Städte wären somit Bausteine einer übergreifenden Erinnerungskultur. Als Erinnerungskultur definiert Klaus Graf im Anschluss an Jan Assmann das „Ensemble von Medien, die Erinnerung stiften oder sichern sollen, sei es prospektiv durch Überlieferungsbildung, also Weitergabe historischer Erfahrung, sei es retrospektiv durch Bewahren und Aufgreifen von Traditionen“.19 Das Stichwort „Ensemble von Medien“ verweist auf Abbildungen frühneuzeitlicher Strafspektakel in ganz unterschiedlichen Kontexten. Die Inszenierungen des „Theatrum Poenale“ waren ephemere, kurzlebige Akte für einen sehr begrenzten Kreis unmittelbarer Augenzeugen. Wollte man ihre Vergegenwärtigung auf Dauer sicherstellen, dann waren sie auf eine mediale Transmission über die körperliche Inszenierung hinaus angewiesen. Neben anderen Gattungen sind vornehmlich zwei Quellengruppen in diesem Zusammenhang von Interesse: Flugblätter und Chroniken.20 Darstellungen von Kriminalität und Strafe sind in beiden Überlieferungssträngen prominent, soviel lässt sich trotz der bisher spärlichen Forschungen sicher sagen. Flugblätter sorgten für eine überregionale Verbreitung Aufsehen erregender Verbrechen und Strafrituale. Sie übernah17 Eine Zeigefunktion haben in den Kölner Turmbüchern allerdings zeitweilig die auf Hinrichtungen verweisenden Kreuze am Rand. 18 Zu Baum in Köln Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör (Anm. 1), S. 473. Vielen Dank an Wolfgang Schild, Bielefeld, für mündliche Informationen über die Nördlinger Urfehdebücher. 19 Graf, Erinnerungskultur der Strafgerichtsbarkeit (Anm. 7), S. 249. 20 Die bekannten und wirkmächtigen Abbildungen in normativen Quellen, wie etwa Ulrich Tenglers „Laienspiegel“, den Halsgerichtsordnungen oder auch Rechtshandbüchern (vgl. z. B. J. Damhouder, Praxis rerum criminalium, Antwerpen 1601, ND Aalen 1978), werden hier ausgeklammert, weil sie fiktive bzw. idealtypische Situationen zeigen. Sie gehören in den Fragehorizont einer detaillierten Analyse selbstverständlich ebenfalls mit hinein.

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men somit gleichsam die zeitnahe Multiplizierung von Symbolen der Justiz. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass oft die Darstellung des Verbrechens einen größeren Raum einnimmt als diejenige der Bestrafung; die Forschung notiert deswegen als Motiv der Darstellung neben der „Abschreckungswirkung“ auch die „Befriedigung der Sensationsgier des Publikums“.21 Jedenfalls wird man unterstellen dürfen, dass die Hersteller und Verleger ihren Produkten dadurch höhere Verkaufschancen einräumten. Während die Flugblätter also die synchrone Vervielfältigung übernahmen, zielte die frühneuzeitliche Chronistik auf die diachrone Bewahrung der Erinnerung an eine schreckliche Verbrechenstat und ihre Bestrafung an einem und für einen bestimmten Ort, eben vornehmlich einer Stadt.22 Gerichtsakten fügten sich mithin in einen breiteren Medienverbund ein, der die Straf-Rituale vervielfältigte und präsent hielt. Allerdings wirft diese Feststellung ebenso viele Fragen auf, wie sie beantwortet. Wir sind es gewohnt, die Kriminalakte als ein Herrschaftsmedium zu betrachten, das lediglich den Untersuchungsbeamten und anderen autorisierten Personen zugänglich war. Wenn die Gerichtsakte einen virtuellen Erinnerungsort darstellte, dann ergibt sich direkt die Frage nach der Exklusivität des Zugangs zu diesem Ort. Das Rats- oder Gerichtsarchiv, wo sie lagerte, war durch Statuten meist gut gesichert und gehörte prinzipiell zu den Arkanbereichen der Obrigkeit. Hier hilft der Vergleich mit anderen Quellen ebenfalls weiter. Auch die überwiegend handschriftlich überlieferte Stadtchronistik der Frühen Neuzeit war nicht unbedingt jedermann zugänglich und wird häufig als „ratsnah“ bezeichnet. Susanne Rau hat demgegenüber herausgestellt, dass die entsprechenden Chroniken durchaus von einer breiteren städtischen Öffentlichkeit rezipiert wurden.23 Davon zeugen nicht zuletzt die zahlreichen Abschriften, die keineswegs nur in Ratsbibliotheken zu finden sind. Diese Beobachtung kann nun zum Teil auch 21 D. Peil, Strafe und Ritual. Zur Darstellung von Straftaten und Bestrafungen im illustrierten Flugblatt, in: W. Harms/A. Messerli (Hg.), Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450–1700), Basel 2002, S. 465–486, S. 485; vgl. J. Wiltenburg, Weibliche Kriminalität in populären Flugschriften 1550–1650, in: O. Ulbricht (Hg.), Von Huren und Rabenmüttern. Weibliche Kriminalität in der Frühen Neuzeit, Köln 1995, S. 215–229. 22 Vgl. das Kapitel über „Justizvorstellungen“ bei B. Mauer, „Gemain Geschrey“ und „teglich Reden“. Georg Kölderer – ein Augsburger Chronist des konfessionellen Zeitalters, Augsburg 2001, S. 199 ff., wo allerdings Illustrationen keine Rolle spielen. Umgekehrt sind die bisher vorliegenden Arbeiten zu Illustrationen in der frühneuzeitlichen Chronistik thematisch nicht einschlägig, vgl. C. Kummer, Die Illustration der Bischofschronik des Lorenz Fries. Ein Beispiel der Chronikillustration der deutschen Renaissance, in: F. Brendle (Hg.), Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus (Contubernium 56), Stuttgart 2001, S. 113–122. 23 S. Rau, Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln, Hamburg u. a. 2002, S. 407 ff.

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auf Gerichtsbücher übertragen werden, die in der Frühen Neuzeit zunehmend und ausgiebig exzerpiert, abgeschrieben und zu neuen Handschriften zusammengefasst wurden. Ein herausragendes Beispiel stellt die Reichsstadt Nürnberg dar. Dort existieren eine große Anzahl sog. Malefizbücher: Dabei handelt es sich nicht um amtliche Akten einer Behörde, sondern um Abschriften von Privatpersonen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die die Strafbücher und chronikalischen Quellen systematisch nach Justizfällen durchforstet und diese zusammengestellt haben. Bereits 1927 wies Theodor Hampe darauf hin, dass sich in diesen Quellen das lebhafte Interesse der Bürger und insbesondere der Patrizier an den Rechtsfällen der Stadt spiegele, meinte aber andererseits von der Warte des originalen Quellenwertes her, dass eine genauere Untersuchung wohl kaum lohne.24 Unter rezeptionsgeschichtlicher Perspektive wäre dies Verdikt sicher zu überdenken, zumal in diesen Malefizbüchern ebenfalls Bilder zu entdecken sind. Die Grenze zwischen Akten und Chroniken konnte bisweilen also sehr durchlässig sein. Auch in anderen Fällen werden „amtliche“ Aufzeichnungen zum Rohmaterial einer Art von Justiz-Annalistik. Einen solchen Typus antiquarischer Geschichtsschreibung auf aktenmäßiger Grundlage repräsentiert etwa das Werk des Nürnberger Ratsschreibers Johannes Müllner. 1623 stellte er nach einer zwanzigjährigen Arbeit sein Kompendium fertig, die „Annales der Löblichen [. . .] Reichsvesten und Stat Nürnberg [. . .] alles aus glaubhafften alten und neuen Historien, brifflichen Urkunden, Protocollen und Handlungen [. . .] deß Nürnbergischen Archivi mit sonderbarem Vleiß zusammengetragen“. Verbrechen und Strafen nehmen darin einen überaus breiten Raum ein.25 Auch diese Ratsannalen, so könnte man einwenden, waren eine offiziöse und nicht unbedingt allgemein zugängliche Quelle. Anders sah es aber wohl mit der ungefähr gleichzeitig entstandenen sog. Neubauerschen Chronik aus. Dabei handelte es sich um eine Nürnberger Stadtgeschichtskompilation vom Beginn des 17. Jahrhunderts mit nicht weniger als 467 meist farbig angelegten Feder- und Bleistiftzeichnungen z. T. bemerkenswerter Qualität. Hinrichtungsszenen sind darunter ca. siebzigmal vertreten. Die Handschrift stammt vermutlich vom Weinwirt Wolf Neugebauer d. J., vielleicht lag sie sogar zur Erbauung der Gäste in einem Wirtshaus aus (Abb. 7).26 24 T. Hampe, Die Nürnberger Malefizbücher als Quellen der reichsstädtischen Sittengeschichte vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, Bamberg 1927, S. 3 f. 25 J. Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, hg. von G. Hirschmann, Nürnberg 2003, insbes. Bd. 3. Demgegenüber hielt im 15. Jahrhundert der Nürnberger Chronist Heinrich Deichsler vor allem gleichzeitig Erlebtes fest, vgl. H. Martin, Verbrechen und Strafen in der spätmittelalterlichen Chronistik Nürnbergs, Köln 1996. 26 K. v. Amira, Die Neubauersche Chronik (Sitzungsberichte der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-philologische und historische Klasse, 9. Abhandlung 1918), München 1918, S. 46 ff.

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Abb. 7: Federzeichnung aus der sog. Neubauerschen Chronik, Anfang 17. Jahrhundert, zur Hinrichtung zweier Frauen im Jahr 1584 (Maister Franntzn Schmidts Nachrichters inn Nürnberg all sein Richten (Anm. 3), S. XIV)

Festzuhalten bleibt also, dass frühneuzeitliche Gerichts- und Kriminalakten in einem medialen Verbund mit anderen Schriftzeugnissen standen, deren Inhalt vielleicht breiter öffentlich rezipiert wurde, als es für reine Verwaltungsunterlagen zu erwarten wäre. Zu erforschen bliebe, inwieweit literarische Exempelsammlungen wie „Der Große Schauplatz Jämmerlicher Mordgeschichten“ des Nürnberger Dichters und Gerichtsschöffen Georg Philipp Harsdöffer von 1650/ 1652 aus gerichtlichen Überlieferungen schöpften.27 Aufschlussreich erscheint auch die Tatsache, dass seit dem 17. Jahrhundert verstärkt Ermittlungsakten der Kriminaljustiz in Druck gegeben wurden.28 Zum Ensemble der Medien, als dessen Bestandteil die frühneuzeitlichen Gerichtsakten deutlich erkennbar sind, gehört im Übrigen auch die Oralität. Marktschreier, Flugblattverkäufer und Prediger übersetzten die schriftlich gespeicher27 J. Wagner (Dresden/Budapest) bereitet zu Harsdörffers „Schauplatz“ eine Dissertation vor. Nach ihren vorläufigen Befunden findet sich Nürnberger „Lokalkolorit“ allerdings nur in Einzelfällen seiner Sammlung; viele Exempel stammen aus dem 1640 publizierten „Amphithéatre Sanglant“ seines französischen Gewährsmann JeanPierre Camus. 28 Vgl. Schwerhoff, Aktenkundig (Anm. 10), S. 36 ff.

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ten Informationen wiederum in die Sphäre der Mündlichkeit. Selbst wenn die meisten Akten nun nicht vielen Menschen zu Gesicht gekommen sein mögen: Die in ihnen festgehaltenen und überlieferten Informationen sickerten regelmäßig durch die Wände des Archivs und gingen in den lokalen öffentlichen Diskurs ein. Manche Aktenstücke waren ja geradezu für die Veröffentlichung bestimmt: So wurden im Süddeutschen die Urgichten von Verurteilten mit einem komprimierten Abriss der begangenen Übeltaten bzw. ihrer Geständnisse beim endlichen Rechtstag vor der Gemeinde verlesen. Aber auch die internen Akten des Gerichts blieben nicht unbedingt geheim. Die Chronik des Augsburger Handelsdieners Georg Kölderer und die Gerichtsakten des Rates weisen eine große Schnittmenge auf, die auf lebhafte Kommunikations- und Austauschprozesse zwischen Justizapparat und frühneuzeitlicher Öffentlichkeit hindeuten.29 Maria Heidegger kommt in ihren Forschungen zum Tiroler Landgerichtsbezirk Landegg zu dem Ergebnis, dass die an sicherem Ort aufbewahrten Gerichtsprotokolle in der Alltagskommunikation des Dorfes deutliche Spuren hinterließen und damit zu Speichermedien der geteilten sozialen Erinnerung wurden. „Als grobe Beleidigung bei Auseinandersetzungen im Wirtshaus oder auf der Gasse galt beispielsweise der Verweis auf einen Vorfall in der Vergangenheit, als der Gegner im Gerichtsbuch ,verzeichnet‘ worden war. Der schriftlichen Beweiskraft einer solchen Aussage kam besondere Bedeutung zu, mehr als etwa dem ,Geschwätz‘, dem ,Gerede‘ oder dem ,geschray‘. Das Gerichtsbuch wurde gewissermaßen als Waffe in Verbalauseinandersetzungen eingesetzt, erstaunlicherweise konnte der Aggressor zuweilen sogar die betreffende Seite zitieren.“30

Zu ähnlichen Ergebnissen kam Klaus Graf bei seiner Beschäftigung mit den bekannten „schwarzen (oder roten) Büchern“ der städtischen Justiz. Wenn für Halle an der Saale Mitte des 16. Jahrhunderts als verbreitetes Sprichwort der Satz zitiert wird: „[. . .] wie man spricht du stehest auch im rotthen buche“ (das rote Buch war das Register der Brandmarkungen), so gibt das eine Idee von der prominenten Rolle dieser Bücher im kollektiven Gedächtnis. Nichts macht ihre öffentliche Präsenz deutlicher als ihre gelegentliche bewusste Vernichtung. 1715 wurde in Lemgo das „schwarze Buch“, in dem alle Beschuldigungen gegen angebliche Teufelsbündner gesammelt waren, öffentlich auf dem Marktplatz verbrannt. Man vernichtete ganz praktisch die Denunziationslisten, um weiteren Gebrauch zu verhüten, zog aber zugleich einen symbolischen Schlussstrich unter die Epoche der Hexenverfolgung, indem man öffentlichkeitswirksam das Buch so vernichtete, wie man es früher mit den angeklagten Menschen getan hatte. 29

Mauer, Georg Kölderer (Anm. 22), S. 202 ff., S. 210 u. ö. M. Heidegger, Soziale Kommunikationsräume im Spiegel dörflicher Gerichtsquellen Tirols. Überlegungen in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, in: J. Burkhardt/C. Werkstetter (Hg.), Kommunikation in der Frühen Neuzeit, München 2005 (im Erscheinen). 30

Visuelle Repräsentation der Kriminaljustiz

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III. Fazit Gerichtsakten können mithin als ein Baustein in einem öffentlichen Diskurs über Justiz und Gerechtigkeit verstanden werden. Dieser Diskurs konstituierte sich im Schnittpunkt eines breiten Verbundes von schriftlichen, bildlichen und oralen Medien. Die Ausstattung von Gerichtsakten mit Bildern gewinnt vor dem Hintergrund dieser Überlegungen an Plausibilität. Gleichwohl bleiben diese Überlegungen weiter zu spezifizieren. Nach bisherigem Erkenntnisstand sind es Gerichtsbücher reichsstädtischer Provenienz, die mit Federzeichnungen der Strafjustiz geschmückt wurden. Nun sind wir sehr gut über die verfassungspolitische Dimension der Gerichtsbarkeit in diesen Städten informiert. Sie wurden von einem Rat als Obrigkeit regiert, deren Souveränität nach außen, gegenüber den Fürsten und Herren, wie nach innen, gegenüber der eigenen Bürgerschaft, prekär war und periodisch immer wieder angefochten wurde. Die in den Akten dokumentierte Hoch- und Blutgerichtsbarkeit erfüllte hier wichtige Legitimationsfunktionen. Einmal stellte sie nach dem frühmodernen Rechtsdenken geradezu den Inbegriff des souveränen Herrschaftsrechtes dar, war der Kern jenes „merum et mixtum imperium“, das frühmoderne Staatlichkeit ausmachte.31 Aktenmäßige Spuren ausgeübter Blutgerichtsbarkeit bedeuteten hier zugleich immer: Nachweise eigener Souveränität. Nach innen, gegenüber der eigenen Bürgerschaft, konnte sich der Rat überdies als strenge und gerechte Obrigkeit stilisieren, die Sicherheit garantierte und Übertretungen streng ahndete – was gerade in größeren Städten, die für das vormoderne Ordnungsdenken eine Herausforderung darstellten, nicht unwichtig war. Der Nürnberger Rat erreichte in dieser Selbststilisierung eine gewisse Meisterschaft. Ihren Ausdruck findet dieses Selbstverständnis in einer bekannten Geschichte aus der Norimbergae des Humanisten Konrad Celtis. Kaiser Friedrich III. wunderte sich angesichts der großen Menschenmenge bei seinem Einzug in die Stadt darüber, wie diese Masse „sine seditione et tumultu“ regiert werden könne und fragte den Bürgermeister nach dessen „Kunst“. Seine Antwort: „Verbis, imperator invictissime, et gravibus pecuniariis corporisque poenis it efficimus“ – auf Worten sowie auf schweren Geld- und Körperstrafen also beruhe die Nürnberger Regierungskunst.32 Kriminalakten mit Bildern sind in diesem Kontext als gesteigerter Ausdruck obrigkeitlicher Selbstrepräsentation zu interpretieren. Das machte sie zu einem wertvollen Archivgut – es ist kein Zufall, dass in reichsstädtischer Zeit diese Art von Quellen sorgsam gehegt und oft abgeschrieben wurde, während sie dann im 19. Jahrhundert vielerorts achtlos kassiert wurden. Ihre hohe zeitgenössische Wertschätzung kam zudem durch ihre äußere Form zum Ausdruck. Die 31

D. Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, Köln 1975, S. 46. A. Werminghoff, Conrad Celtis und sein Buch über Nürnberg, Freiburg i. Br. 1921, S. 186. 32

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Kölner Turm- oder die Nürnberger Halsgerichtsbücher stellten keine losen Aktenkonvolute dar, sondern richtiggehende Codizes. Ihre strikte Form mit Deckblättern, Inhaltsverzeichnissen, Registern, Randglossen, ihre dichterische und eben ihre bildliche Ausstattung verliehen ihnen eine erhöhte Dignität, die über ihre instrumentelle Nutzbarkeit hinausging. Das Gerichtsbuch kann damit selbst als eine Verkörperung der Strafjustiz angesprochen werden. Es symbolisiert gleichzeitig die Vielzahl der Verletzungen der göttlichen Weltordnung und die Wiederherstellung dieser Ordnung. In bestimmten Fällen sind die Gerichtsakten damit nicht lediglich die Dokumentation oder mediale Fortsetzungen eines symbolischen Justiz-Aktes33, sondern sie werden selbst zu einem Symbol der Justiz.34 Das Ritual im Bild verleiht der bloßen Textsammlung eine gesteigerte Bedeutung und Wertschätzung. Mag sein, dass hier auch eine Erinnerung daran Ausdruck verschaffte, dass bestimmte Rechtsakte wie Proskriptionen oder Geldbußen erst dadurch wirksam oder unwirksam wurden, dass sie im Stadtbuch verzeichnet oder umgekehrt getilgt waren. Der Justiz-Akt der Hinrichtung wurde dadurch gewissermaßen „nachhaltiger“, dass er in den städtischen JustizAkten verzeichnet und gelegentlich eben auch gezeichnet war. Die Grenzen zwischen Ritual, Bild und Text, zwischen instrumentellen Funktionen und symbolischen Repräsentationen erscheinen in dieser Perspektive durchlässiger, als es bisweilen in systemischen Interpretationen scheinen mag. Summary In the early modern court books of free cities (e. g. in Cologne, Nuremberg or Noerdlingen) pen-and-ink drawings illustrating executions as well as other penalty scenes are sometimes to be found. Prima facie, these drawings hardly convey any meaning as they were used for administrative purposes, recording prisoners’ statements or verdicts. If we leave this instrumental level aside, however, these court books can be understood as part of a wider media network. As such, they kept punishment rituals alive and stored them as one component of an overarching culture of memory in these towns. The visual representation of criminal justice was particularly important for free cities as their ever-contested sovereignty was epitomized by the exercise of their criminal courts.

33 Im ursprünglichen Sinne des Wortes als Verzeichnis dessen, was „gehandelt“ worden war, vgl. A. v. Brandt, Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, Stuttgart 1989, S. 103. 34 Das gilt natürlich in ganz anderem Sinn von der Illustration normativer Quellen, mit deren z. T. elaborierten Bildprogrammen die flüchtigen Federzeichnungen nur bedingt vergleichbar sind. Während dort der normative und öffentliche Charakter die Einfügung von Bildern unmittelbar evident macht, gilt es ja im Fall der Gerichtsbücher deren gleichsam überschießenden Bedeutungsgehalt zu verstehen.

Painted Exempla Iustitiae in the Southern Netherlands By Georges Martyn I. Introduction After having judged in the open air for centuries, the higher courts of justice and the aldermen in the prosperous towns of the late Middle Ages carried out their functions in courtrooms and town halls. The walls of their chambers were decorated. The subjects at first were religious themes, but soon secular stories were told by these decorations. It was an important way of secularising medieval art. In this contribution a short historical overview will be given of the different types of exempla iustitiae ordered by tribunals in the Southern Netherlands between the fifteenth and the eighteenth century. This subject1 has already been studied extensively by one Flemish researcher, an art historian2, and has been treated in a more succinct but internationally 1 Law iconography has not actually been a popular field of study in Belgium (e. g. in Belgium we do not have an institution like the Nederlands Centrum voor Rechtshistorische Documentatie en Rechtsiconografie, located in the Royal Library in The Hague, www.kb.nl/ncrd). In books on art history the comments on judicial representations are mostly short, e. g.: B. Dekeyzer, De Vlaamse Primitieven, s.l. 1999, pp. 75– 76 on Rogier van der Weyden, pp. 97–99 on Dirk Bouts and pp. 156–157 on Gerard David; M.-L. Lievens-De Waegh, De onderwerpen, in: R. Van Schoute/B. de Patoul (ed.), De Vlaamse Primitieven, Leuven 1994, pp. 201–202. The protagonist of law archaeology and iconography in the 1980s and 1990s, Dr. Paul De Win, unfortunately did not continue his academic career, P. De Win (ed.), Rechtsarcheologie en rechtsiconografie. Een kennismaking (Iuris Scripta Historica 5), Brussels 1992. 2 The most important, or better: only, work on the subject is J. H. A. de Ridder, Gerechtigheidstaferelen voor schepenhuizen in de Zuidelijke Nederlanden in de 14de, 15de en 16de eeuw (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België. Klasse der Letteren 45), Brussels 1989. Being written in Dutch, it is not well-known abroad. The book is in the first place the work of an art historian and indeed it contains some mistakes in the domain of legal history. I will come back to some criticisms at the end of this article. Quite a different view on the evolution of painted exempla, especially of those of the Flemish Primitives, i. e. in the fifteenth century, is given by J. Rivière, Les tableaux de justice dans les Pays-Bas, in: Publications du Centre Européen d’Etudes Bourguignonnes (XIVe– XVIe s.) 30 (1990), pp. 127–140. Rivière states that there were no “tableaux de justice” before 1400. Panel painting is indeed a tradition that only started around that time, but Last Judgements painted on the walls certainly existed before! According to Rivière the lower central panel of John and Hubert Van Eyck’s Mystic Lamb (Cathedral Ghent) might also have been a “tableaux de justice”; it is certainly not an ex-

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comparative way by several foreign scholars3. In the following pages, on the one hand a catalogue will be drawn up of the exempla that still exist in the Southern Netherlands and the ones that have disappeared, attested by written sources. On the other hand, special attention will be drawn to the interaction of religion and justice and to the characteristics of the paintings (sometimes also tapestries or sculptures). First of all, what is an “exemplum iustitiae” or “example of justice” (“juridical example” or “exemplary judgment”)? As the name already indicates, it is, firstly, all about learning, about showing how things should be, about giving

emplary judgment as we define it. Neither is the Life fountain (Prado Madrid), representing God in his majesty, presiding over a tribunal where the Old and New Testament are facing each other as litigants. These scenes at least lack the concrete character of real examples and they were not commanded by judicial magistrates. On Van Eyck’s Life fountain: T.-H. Borchert (ed.), De eeuw van Van Eyck. De Vlaamse Primitieven en het Zuiden, Gent 2002, p. 27 and p. 237 (cat. 32). 3 D. Curtis/J. Resnik, Images of Justice, in: Yale Law Review 96 (1987), pp. 1927– 1987; R. Jacob, Images de la justice. Essai sur l’iconographie judiciaire du Moyen Age à l’âge classique, Paris 1994; O. Kissel, Die Justitia: Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der bildenden Kunst, München 1984; U. Lederle-Grieger, Gerechtigkeitsdarstellungen in deutschen und niederländischen Rathäusern, Philippsburg 1937; U. Meier, The iconography of justice and power in the sculptures and paintings of town halls in medieval Germany, in: The Medieval History Journal 3 (2000), pp. 161–174; F. Röhl, Gerechtigkeit vor Augen. Visuelle Kommunikation im Gerechtigkeitsdiskurs, in: P. Dabrock (ed.), Kriterien der Gerechtigkeit. Festschrift für Christofer Frey zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2003, pp. 369–384; W. Schild, Bilder von Recht und Gerechtigkeit, Köln 1995; W. Schild, Gerechtigkeitsbilder, in: W. Pleister/W. Schild (ed.), Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, Köln 1988, pp. 86–171; W. Sellert, Recht und Gerechtigkeit in der Kunst, Göttingen 1993; R. Sieferle/H. Breuninger, Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, Frankfurt a. M. 1998; K. Simon, Abendländische Gerechtigkeitsbilder, Frankfurt a. M. 1948. Most important are the books by Jacob (for France, but also writing on the Flemish Primitives, pp. 65–74) and Schild (for Germany, talking about “erzählende Gerechtigkeitsbilder” on pp. 200–212). Both scholars underline that there is a continuing evolution in what is understood by Justitia and how it is represented. When e. g. Schild in nine chapters describes different types of representations, this is just a didactic way of ordering them. Last Judgments e. g. do not only represent a Weltordnung, in the meantime they are also “zur Nachfolge aufrufend” as well as “erzählend”. In the discussion on our present paper in Münster, April 23rd 2005, Professor Schild remarked very rightly that one should not make the distinction between real judicial decisions as presented in the examples we are commenting on, on the one hand, and, for instance, the rejection of Bethsabe’s story as a judicial example, the decision in this case being a purely military or administrative, not a judicial, one (King David fell in love with Bethsabe and in order to be able to meet her, he commanded her husband to leave with the army and to fight in the front lines, so that he would probably fall during service, on the panel: D. De Vos, Hans Memling. Het volledige oeuvre, Antwerp 1994, pp. 272–275) on the other hand. Indeed, “justice” has a broader (and evolving) sense in the Middle Ages and modern times. Anyhow, as shall be shown in the following pages, the representation of judicial examples in a strict sense is especially typical for the fifteenth and sixteenth century.

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examples; not only good examples to be inspired by, but also examples of bad or unjust judicial decisions, warning the spectators not to follow them.4 Secondly, the exempla indeed always concern judicial decisions. Although they date from an era in which separation of powers was unknown and the same institutions were simultaneously judges and administrators, good or bad administration is not the subject depicted, neither is law making. What is focused on, is not the making of general rules, but the deciding of individual cases. A third and most important element is that a painted exemplum tells a story. It is not a symbol of justice (the sword, the scales, etc.) nor an allegorical person (Lady Justice, the Good King, etc.) we are confronted with5, but rather a narrative, giving a recital of a series of events, featuring several actors. Finally, this kind of representation is only to be considered a judicial example if commanded by an institution with judicial power in order to be hung in or around its official building(s), used for the administration of justice. These public authorities also ordered other works of art to be made, most of the time also with justice, or at least authority, as the main theme, all were Gerechtigkeitsbilder, tableaux de justice or “judicial iconography”, but not all were exempla iustitiae. Thus, we opt for a rather narrow definition of these words, not including allegories6, symbols7, heraldry, etc. 4

O. Fehr, Das Recht im Bilde, Leipzig 1923, p. 23, talks about “Tendenzbilder”. Although both very often do play an important role in the pictures of justice, as we shall see. De Ridder, Gerechtigheidstaferelen (n. 2), is less severe in defining a picture of justice. That is why from the 26 pictures he describes, only 21 are mentioned in this article. Not to be considered as real judicial examples are the numbers 1 (independent representations of the nine heroes, not “a story”, not on judicial activities either), 12 (sculpture of Emperor Charles V, not a story either), 19 (Esther and Ahasverus is a tale about vengeance, not about justice; the painting was paid for by a condemned man, who had tried to kill someone; the story of Ahasverus was specially chosen for the case as it is also about preparing the gallows for someone else and being hanged yourself), 20 (sculpture of Emperor Charles V), 23 (allegory of law and justice and portraits of the magistrate called “Munterseed” of Brabant) and 26 (the story of Kuros and Tomuris is all about vengeance, not about justice – but it might be typical for the historical evolution that, after having repeated the Last Judgement and the other examples that will be dealt with further for ages, a new iconography was sought, the classical examples were preferred and the explicit reference to God and justice was less needed, see also further). 6 C. Robert, Une allégorie parfaite. La justice: vertu, courtisane et bourreau, Genève 1993; L. van Holk, Justitia, Bild und Sinnbild im 17. Jahrhundert in den Niederlanden, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 3 (1981), pp. 155–199. 7 J. Bedaux, The Reality of Symbols: Studies in the Iconology of the Netherlandish Art 1400–1800, The Hague 1990; G. de Tervarent, Attributs et symbols dans l’art profane, 1450–1600, Genève 1958; P. Ferreira da Cunha, Die Symbole des Rechts, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 80 (1994), pp. 85–95; C. Hinckeldey (ed.), Criminal justice through the ages. From divine judgement to modern German legislation (Publications of the Mediaeval Crime Museum 4b), Rothenburg o. d. T. 1993, pp. 337–346; G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, München 1992. Also still fundamental is J. Hall, Dictionary of Subjects 5

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Whereas these exempla as a form of artwork, ordered by judicial magistrates, was a new phenomenon in the late Middle Ages, the stories themselves are old, many of them dating back to Antiquity. Exempla, not only in judicial, but more generally in political and moral matters, are a literary type. Cicero for instance used them in his rhetorical works and in the Middle Ages anthologies and alphabetical lists of them were made.8 Lots of examples were cited in many prince’s mirrors (Miroirs des princes, Fürstenspiegel). Exempla were even used by the Catholic Inquisition. The example of Solomon for instance was used by some apologetic writers to explain that sneaky tricks were allowed in order to get confessions out of the suspected. In his Abrégé du manuel des inquisiteurs (1762), l’abbé Morellet cites Jerome Cuchalon who refers to Solomon, when expressing that: “Sur cette promesse que l’inquisiteur fait au coupable d’user de miséricorde envers lui et de lui faire grâce s’il veut avouer son crime, on peut demander si l’inquisiteur peut employer licitement cette ruse pour découvrir la vérité”.9 The answer was positive, thanks to the example of Solomon. It is obvious that painted exempla iustitiae could not be found in the Southern Netherlands earlier than the thirteenth to fourteenth century. It was only at that time that the magistrates of the rising towns, enjoying the wealth of the booming economy and international trade, started to construct stone buildings for their administration.10 In the fifteenth century building and decorating the town hall became a tradition and was even an element of intercity competition. Jan Matthijssen, author of the Rechtsboek van Den Briel, a description of the local customary law of the small town of Den Briel in the beginning of the fifteenth century, states: “[. . .] die raetcamer sal binnen suverlic gemaect wesen ende besait van poortraturen ende bescreven mit goeden ouden wyser leeren, dairmen verder wijsheit ende vroetscip uut verstaen sal moghen”.11 From this and Symbols in Art (we used the Dutch translation by T. Veenhof, Hall’s Iconografisch Handboek. Onderwerpen, symbolen en motieven in de beeldende kunst, Leyden 2000). 8 M. Hubrath, Keeping the judge in mind. Representations of justice in late medieval sermons, in: The Medieval History Journal 3 (2000), pp. 91–102. 9 J.-P. Guicciardi (ed.), André Morellet, Abrégé du Manuel des Inquisiteurs, Grenoble 2000, p. 103. Morellet compares further the “spectacle” of the execution of the death penalty, sentenced by the church court but executed by the secular power, in the presence of a multitude of spectators and all civil magistrates and members of the clergy, to the Last Judgment: “C’est un spectacle qui remplit les assistants de terreur, et une image effrayante du jugement dernier. Or cette crainte est le sentiment qu’il convient le mieux d’inspirer, et on en retire les plus grands avantages”, ibid., p. 189. This point of view says a lot about the function of the Last Judgment as representation of justice in court, see further. 10 The aldermen of Aalst moved into a stone building in 1225 (www.aalst.be/ gebouwen.htm), those of Malines at the beginning of the fourteenth century (www.mechelen.be/toerisme/stadhuis_mechelen.htm). The first stone of the Bruges magistrate’s house was laid in 1376, J. Van Houtte, De geschiedenis van Brugge, Tielt 1982.

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citation we may conclude that having the town hall decorated with examples was a tradition. When in 1588 the Ghent aldermen of the Keure (the city had two benches, the aldermen of the Keure and those “van Ghedeele”) ordered a Last Judgement (more on it later), the contract stipulated that the picture was meant to hang above the aldermen’s fireplace “naer oude costume”, i. e. according to the old custom. It was certainly not a local custom only. Some other historical coincidences help to declare the boom in painted examples in the fifteenth century. It was not only because the new town halls had blank walls to be covered. With the marriage of Margret of Male, daughter of the last Flemish count, to Philip the Bold, Flanders, and in the following decades the rest of the Netherlands, entered the Burgundian era. Under the dukes of Burgundy the arts, especially the manuscript and miniature ateliers, took flight, and institutions were centralised and modernised. In every territory (Flanders, Brabant, Namur, Holland, etc.) councils of justice were established and in 1473 an overall supreme court, the Parliament, later Great Council, of Malines was erected. It was also around this time that artistic techniques improved. The Flemish Primitives, like Dirk Bouts, Petrus Christus, Gerard David, John and Hubert van Eyck, Hugo van der Goes, Hans Memling, Rogier van der Weyden, became internationally known for having introduced oil painting on panel, for modernising the themes and symbols represented and for putting perspective into their painted scenes. They worked not only for religious institutions and the prince, as their predecessors had done, but also for bankers and brokers and for municipal and provincial magistrates. II. Overview of the Depicted Examples 1. The Last Judgment Now, what examples were made by these (and later) artists? If we look at the quantity, it is beyond any doubt that the most important, and probably also historically speaking the first, example is the Last Judgment.12 It is clearly an example of good justice. According to the apocalyptic gospel of Saint John, on the last day God will judge the resurrected, let the good enter heaven and send the bad to hell. Following the text, most representations of the final judgment 11 “The deliberation room must be clean and decorated with portraits and old wise lessons, to be inspired by with wisdom and knowledge”, J. Fruin/M. Pols (ed.), Het Rechtsboek van Den Briel beschreven in vijf tractaten, The Hague 1880. 12 G. Grau, Verwandtschaften der ältesten germanischen Darstellungen des Jüngsten Gerichts, Halle 1908; C. Harbison, The Last Judgment in Sixteenth Century Northern Europe. A Study of the Relation between Art and the Reformation, New York 1976; K. Smits, De iconografie van de Nederlandse primitieven, Amsterdam 1933, pp. 220– 225; G. Tröscher, Weltgerichtsbilder in Rathäusern und Gerichtsstätten, in: WallrafRichartz-Jahrbuch 11 (1939), pp. 139–214.

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show Jesus as the divine judge, often sitting on a rainbow, flanked by his mother Mary and John the Baptist (the “small” deesis). Most of the time we also see the twelve13 apostles (deesis megali) and the archangel Michael weighing the souls of the resurrected. Near the head of Jesus we find the lily of charity14 and the flaming (in most pictures the iron of the sword is red) sword of justice15. Nothing changed in the representation or the iconology of the Last Judgment, when it was ordered for judicial purposes, the theme itself being widespread for centuries. We can find the same iconology (sometimes with small variations, like two swords instead of a sword and a lily16; in other contexts the Last Judgment was very often accompanied by the seven works of charity but this was not the case for the judicial exempla) in miniatures in medieval manuscripts, in stained glass in gothic cathedrals, and it was especially popular in the (western) porches of the churches (e. g. Conques, Reims, Paris Notre Dame). And this fact of course explains17 to a great extent the importance of Last Judgments in court buildings. During the Middle Ages justice was administered in the open, sometimes on a hill, under a big tree18 or in another “magic or mystic setting”. When mysticism was transferred to the church into the centre of the community, the judges very often sat under the church porch, being in the open air, but also at the same time in the immediate neighbourhood of God’s house (and protected against rain and wind of course). The Last Judgment being a traditional carving in these porches (reminding those who enter the church to only 13 Twelve is a very often-used and symbolic number in Christian culture in general. Israel of the old Jewish people counted twelve tribes, Jesus had twelve apostles. No wonder today’s jury in the – French inspired – Belgian Cour d’Assises counts twelve jurors. The comparison opens discussion on whether the Apostles in the representation of the Last Judgment are judges, helping to decide, or just some kind of privileged witnesses. According to Luke 22:30, relating the conversation during the Last Supper, Jesus said to his pupils that they would be sitting on the throne to judge the twelve tribes of Israel (in the same sense Matthew 19:28). 14 Schild, Bilder (n. 3), p. 75. 15 See Genesis 3:24 (flaming sword), Ezekiel 11:8 (You fear the sword, and the sword is what I will bring against you, declares the Sovereign Lord); Revelation 1:16 (In his right hand he held seven stars, and out of his mouth came a sharp doubleedged sword) (also Revelation 2:12); see also Isaiah 49:2 (He made my mouth like a sharpened sword). 16 In several German Last Judgments also (e. g. the one in Würzburg, Jacob, Images (n. 3), ill. VII.), there is no lily, but two swords are pointing at the mouth of Christ. We also find the iconography in Flemish manuscripts, like in a breviary from Bruges (1400–1410), Rouen Bibliothèque municipale, ms. 3024, fol. 64v, and in J. de Voragine, Legenda Aurea (Bruges 1400–1410), Glasgow University Library, ms. Gen. 1111, fol. 6v, both printed in M. Smeyers, Vlaamse miniaturen van de 8ste tot het midden van de 16de eeuw. De middeleeuwse wereld op perkament, Leuven 1998, p. 198. 17 Jacob, Images (n. 3), p. 46. 18 Ibid., pp. 40–44.

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appear in front of God after having done well in the secular world), the town magistrates already had them “in their court room” even before they moved into stone buildings. The fifteenth century Flemish Primitives left us some splendid panels of Last Judgments. Those by Rogier van der Weyden and Hans Memling are famous, the first one painted for the funerary chapel of Nicholas Rolin, chancellor of the Burgundian duke (now in Beaune, France), the latter one for the grave of the Italian bankers Tani and Tanagli (now in Gdansk, Poland). In these cases the representation of the Last Judgment clearly has a religious sense. Some authors suggest that the first Last Judgments ordered by judicial magistrates were still more “religious” than “secular”, being placed in the chapels of the aldermen.19 The oldest still-conserved panel, with certainty made to be hung in the secular part of a magistrate’s building, was painted in 1413.20 Lieven van den Clite21 painted it for the room of the Council of Flanders, established in the Flemish count’s castle in Ghent.22 But even a couple of decades earlier the Bruges town magistrate must have had a Last Judgment, made by a painter called Coene (1388). A short overview of other attested or still-conserved representations of the Last Judgment as a judicial example: – The town hall of Brussels had a Last Judgment, by an unknown artist, before 1422, but it was burnt in 1695, following the bombing of the city by Louis XIV. – In 1456, a Last Judgment was painted by Willem Westvalinc for the magistrate of Geraardsbergen. The original was lost, but we have a copy from 1525. – In 1468, a Last Judgment was made by Dirk Bouts for Louvain. The order was given on May 20th 1468 and the painting was restored in 1543. Although it was still in place in the seventeenth century, all traces have since been lost. 19 M. A. Moelands/J. T. de Smidt (ed.), Weegschaal & Zwaard. De Verbeelding van Recht en Gerechtigheid in Nederland, The Hague 1999, p. 59. 20 This is a little bit earlier than the well known German Last Judgments, like the one by Stephan Lochner (1400–1451) in Cologne (and still a “religious” altarpiece!); in 1478, a Last Judgment was painted in Graz, depicting in the foreground the city judge in court and above him the judge of the world; at last in 1493, a Last Judgment decorated the courtroom wall of the Wesel town hall, according to the picture by Derick Baegert, Hinckeldey, Criminal justice (n. 7), p. 116 resp. p. 121. 21 It was, in 1933, still “anonymous” according to Smits, De iconografie (n. 12), pp. 220–221; M. Konrad, Das Weltgerichtsbild im Stadthause zu Diest, in: WallrafRichartz-Jahrbuch 3–4 (1926–27), p. 141; A. Pinchart, Notice sur Liévin van den Clite, peintre gantois du XVe siècle, in: Bulletin de l’Académie Royale des Sciences, Lettres et Beaux-Arts 21 (1854), pp. 3–17; R. Sneyers/N. Veronee-Verhaegen, Le Jugement Dernier de Diest, in: Bulletin de l’Institut Royal du Patrimoine Artistique 10 (1967–68), pp. 99–120; R. van de Ven, Enige aantekeningen bij het Laatste Oordeel van Diest, in: Meer Schoonheid 29 (1982), pp. 203–237. 22 It now belongs to the museum of old art in Brussels and is in storage in Diest.

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– In 1475, a Last Judgment was made by Gilbert Wallinc for the “Vrije” of Bruges (the “Liberty” or “Free” of Bruges was, as an important administrative district, together with the towns of Bruges, Ghent and Ypres, one of the “Four Members”, i.e the representative states, of the Flemish county).23 – Jan van Brussel painted a Last Judgment for the Maastricht Dinghuis in 1475–76. – In 1481, a (now lost) Last Judgment was made by Jan van Battel24 in the Malines town hall (where the Great Council of Malines also resided). – In the years 1487–88, Gerard David painted one for the town magistrate of Bruges.25 – Jan Provoost delivered a Last Judgment in Mons in 1494.26 – In 1496–98, Cornelis van der Goes worked for the aldermen of the Keure of Ghent (the painting disappeared in 1566). – Around 1505, the Last Judgment with Philip the Fair, which we will comment on further, was made by the so-called Master of the History of Saint Joseph, for the town hall of Zierikzee. Today it is conserved in the Brussels Museum of Fine Arts. – In 1525, the Last Judgment of Geraardsbergen, originally by Willem Westvalinc, was copied by Adriaan Moreels and Pieter van Boven. – In the same year, Jan Provoost painted a representation of the Last Judgment27 for the Bruges town magistrate, to be hung “in scepencamere”. In the frame one can read a Latin text, addressed to the judges: “videte quid faciatis no[n] eni[m] ho[min]is exercetis iudiciu[m] sed D[omi]ni parali”. Only the sword of justice is depicted, not the lily. – On September 23rd 1525 a new order for a Last Judgment was given by the magistrate of the Liberty of Bruges. On October 27th a draft was presented.28 On June 29th 1528 advice was given on the price of the work by Lancelot Blondeel and Peter Taijspil.29 – In 1526, a Last Judgment was painted by Frans Sanders for the palace of the Great Council of Malines.30 Instead of the twelve apostles, we see the 23

P. Huvenne, Pieter Pourbus, meester-schilder, 1524–1584, Bruges 1984. De Ridder, Gerechtigheidstaferelen (n. 2), p. 79. 25 Dekeyzer, De Vlaamse primitieven (n. 1), p. 148. 26 De Ridder, Gerechtigheidstaferelen (n. 2), p. 71, n. 6. 27 V. Vermeersch, Jan Provost. Het Laatste Oordeel (ca. 1465–1529), in: Openbaar Kunstbezit in Vlaanderen, Sint-Niklaas 1965. 28 L. Devliegher, De Keizer Karel-schouw van het Brugse Vrije (Kunstpatrimonium van West-Vlaanderen 10), Tielt 1987, p. 21. 29 Ibid., p. 46. 24

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twenty-four old men of the Apocalypse. The archangel is holding the text “iudicium time” and at the bottom some kind of devil stands, threatening the members of the council, who are reflected in a convex mirror, with a lightning bolt.31 – In 1550, Peter Pourbus “rectified” the Last Judgment of Provoost mentioned previously. – And in 1551, the same Pourbus painted the Last Judgment for the Liberty of Bruges, now in the Groeningemuseum of the same town.32 – Also in the 1550s, a Last Judgment was created by Pieter Huys for the town hall of Furnes (Veurne). It is still in situ. – For one Last Judgment, dating from 1565, by Frans Floris Devriendt, it is not clear which town it was made for. An inscription clearly calls upon the duty to give just sentences. It contains some lines that were taken from the Liber Sapientiae Salomonis, but the phrases are a little bit changed, in order to insert the words iustitia (instead of iusta) and iudicare (instead of iustificare), which certainly refers to the judicial function the panel might have had. – In 1576, two paintings of the Last Judgment were made by Jacob van den Coornhuuse for the Proosdij (deanery) of Saint-Donate, an independent enclave in Bruges, one for the (public) “vierschare” and one for the “chamber”. Here it is interesting that we read in the accounts that the Last Judgment was to be hung in the place where until that moment a painting of the Epiphany used to hang. – In 1588, Gaspard Heuvick painted a Last Judgment for the magistrate of Oudenaarde. – In the same year, a representation of the Judgment was created by Rafael Cocxie for the Ghent aldermen of the Keure, to hang above the aldermen’s fireplace “naer oude costume”, as was mentioned above. This work of art is also documented by a procedure between the magistrate of Ghent and the painter on the price of the painting, which was decided by the Council of Flanders on the 12th of July 1597. This list of representations of the Last Judgment ordered by judicial institutions is certainly not exhaustive. Some references to lost works are found just occasionally and almost all cited paintings were executed on panel, by famous 30 J. Lavalleye, Le Jugement Dernier de Franz Sanders à l’ancienne Maison scabinale de Malines (1525–1526), in: Handelingen van de Koninklijke Kring voor Oudheidkunde, Letteren en Kunst van Mechelen 54 (1950), pp. 163–176. 31 L. T. Maes, Le Parlement et Grand Conseil à Malines, Malines 1949, plate V. 32 Devliegher, De Keizer Karel-schouw (n. 28), p. 27; M. P. J. Martens, Brugge en de Renaissance. Van Memling tot Pourbus, Bruges 1998, p. 192.

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artists, paid for by wealthy magistrates. Very probably many representations painted directly onto the wall by not so well-known artists disappeared together with the walls they were painted on. The Last Judgment was really the “classic” judicial example in the fifteenth and sixteenth centuries. And in almost all of them their iconology is likewise very traditional. We point out just a few “strange” examples. The Devriendt panel (1565) contains written text, directly referring to the task of the judges. It proves explicitly what the function of this and all other painted examples was: It is all about inspiring or exhorting the members of the court, much more than it is about appealing to the audience or the parties in the court room. The Latin words in the frame of the Provoost panel (1525) must be read in the same sense. That the example is directed at the judges33, is finally made most clear by the Maastricht panel (1475). In this case the actual Last Judgment is represented in the upper register. In the lower one we see a bench at the left-hand side and two parties, a rich one and a poor one, appearing before it. A devil is whispering into the ears of the aldermen. A written text on the panel explains that the figure from hell is trying to convince the bench to give a good sentence in favour of the rich party, in order to become rich themselves. An angel at the right-hand side warns that corrupt judges will go to hell, but that just ones will enter heaven. Finally, a very interesting evolution in the representation of the Last Judgment is illustrated in a triptych that hung in the town hall of Zierikzee, but is now conserved in the Museum of Fine Arts in Brussels. It dates from around 1505 and is attributed to the so-called Master of the Joseph Legend, who worked in Brussels. The central panel is a Last Judgment of the “classical” type, but the two wings deserve our special attention. On the one hand we see Philip the Fair, sovereign of the Netherlands, in full armour34, and on the other his wife, Joan of Castile or Joan the Mad. What is worth remarking on is the uplifted sword in Philip’s right hand. It is the sword of justice, a symbol no longer exclusively reserved for the divine judge (like in the Provoost panel, where it is not pointed at the mouth of Christ, but where it is held by Jesus himself), but also for the secular sovereign. Only one generation later, the Emperor Charles V was represented in exactly the same way, holding the sword of justice in his hand. He stands on the mantelpiece of the chimney of the alder33 In the same way we see that in the city law book of Hamburg (1497) a Last Judgment was placed next to the text of the oath of office, Hinckeldey, Criminal justice (n. 7), p. 116. 34 A last interesting detail of the same painting is in the background. Philip and Joan are shown in the gardens of the palace of the dukes of Burgundy in Brussels. We see two towers of the cathedral and a piece of the city wall. Against the wall, we notice a shed, the place in the open air where the aldermen heard criminal cases, and in front of it the bar where the defendants stood.

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men of the Liberty of Bruges35, exactly in the place where a Last Judgment – according to the old custom – should be hung. The judgment itself disappeared, but the king became an allegorical figure of justice to replace it. The tradition of having the portrait of the king in the court room still exists in Belgium today, although the monarch, in a state with separation of powers, has become the head of the executive power, no longer having the right to interfere in judicial matters.36 As Jacob has already pointed out, the tradition of hanging a Last Judgment in courtrooms is common to Germany and the Low Countries and is different to France, where the representation of the crucified37 Christ is more important. The Netherlands lying on the commercial crossroads between Germany and France, it would be strange not to find influences of both traditions here. And indeed we find them. A wall painting in the palace of the Great Council of Malines (the old city hall), dating from about 1383–1384, represents the crucifixion, with Mary and John standing alongside.38 Just like the king’s portrait continued to cover the walls of the Belgian courtrooms, the crosses also were not removed before the 1990s. Only then did the Ministry of Justice decide that crosses, unless they had an intrinsic cultural or artistic value, were not appropriate in court. The apocalyptic Last Judgments themselves also disappeared. They were criticised and removed during the religious wars and the iconoclastic violence of the second half of the sixteenth century, but in most places replaced immediately afterwards and kept there during the Counter-Reformation. It is not quite clear why new orders ceased after 1600. Maybe there was no need to replace the existing panels, maybe secular justice lost its mystical or even divine character, maybe justice became too much a task for purely rational lay men, maybe the medieval examples were at last interpreted as old-fashioned and overruled by the new allegorical representation of justice by Lady Justice. This Justitia, however, inherited the sword of justice and the scales. Both also became general and independent symbols of justice. When for instance Philip the Fair died in 1507, the States General assembled to recognise his son, the sevenyear-old Charles, as the new sovereign. During the ceremony of July 19th, according to the witness report by a deputy from the town of Béthune39, a sword 35

Devliegher, De Keizer Karel-schouw (n. 28). Article 162 of the Constitution of the United Kingdom of the Netherlands (1815) said: “La justice est rendue au nom du roi.” No such article in the Belgian Constitution of 1831. . ., P. Van Hille, Het Hof van Beroep te Brussel en de Rechtbanken van Eerste Aanleg in Oost- en West-Vlaanderen onder het Nederlands Bewind en sinds de Omwenteling van 1830 tot 4 oktober 1832, Tielt 1981, p. 31. 37 Jacob, Images (n. 3), pp. 48–64; R. Guénon, Il simbolismo della croce, Milan 1989. 38 Maes, Le Parlement (n. 31), plate IV to VI, see also plate 36. 36

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was handed over to the young sovereign by four heralds, telling him explicitly that it was the sword of justice and that he had to use it well. The sword as a symbol for judicial competence was a Burgundian tradition, displayed at the occasion of the Joyful Entry of a new sovereign. When e. g. in January 1600 Albert and Isabella entered Ghent40, the bailiff presented them with the sword of justice.41 2. The Other Examples Let us now get back to the other story-telling examples of justice, a new “wave” that was started in 1439 by Rogier van der Weyden, when he created the enormous panels for the “Golden Chamber” of the Brussels town hall. They represented two exempla: the justice of Emperor Trajanus and Pope Gregory on the one hand and the justice of duke Herkinbald on the other.42 The story of Trajanus (53–117) was described by his biographer Paul Waernefrid (around 739–800) and repeated by John of Salisbury (around 1115–1180). A young man was trampled by the horse of a Roman soldier. Asked for justice by the mother, a widow, the Emperor stopped his troops and immediately sentenced his own soldier to death. Five centuries later Pope Gregory the Great (around 540–604) was brought the skull of Trajanus. It had the tongue totally intact, which was interpreted as a divine sign that the judicial decision by the highest magistrate, although very harsh, was a just and rightful one. Van der Weyden told the story in two panels, each of them containing two scenes. This 2x2-iconology was repeated by several other exempla, as we shall see. Under the painting itself, texts explained explicitly what was happening. They also informed the spectator on the second example, telling him about the legendary figure of Herkinbald de Burban. The story stems from the Dialogus Miraculorum of Caesarius of Heisterbach (around 1180-around 1240) and it was recapitulated by the Flemish Dominican Thomas of Cantimpré (1201-around 1270) in his Book of the bees.43 According to the legend, Herkinbald beheaded his nephew, because he had vio39

J. Gerard, La Belgique martyre du duc d’Albe, Braine-l’Alleud 1994, p. 122. L. Van Den Broeck, Het beeld van de vorst in de Zuidelijke Nederlanden bij de Blijde Intrede van Albrecht en Isabella in Leuven en Antwerpen, Louvain 1987, p. 48. 41 The sword, on the other hand, was not always a judicial symbol. When, according to a painting by Gerard Wéry, Saint Paul hands over a sword to the cardinal-infant Don Fernando, this is a symbol of the governor’s duty to fight heresy, R. Vermeir, In staat van oorlog. Filips IV en de Zuidelijke Nederlanden, 1629–1648, Maastricht 2001, p. 212. For Jean Savaron, in his Traité de l’espée française, the sword has become a symbol of French identity, H. Drévillon, Le Roi-Cavalier. Les savoirs du corps dans l’éducation de Louis XIII, in: R. Halévi (ed.), Le savoir du Prince du Moyen Âge aux Lumières, Paris 2002, p. 166. 42 J. G. Van Gelder, Enige kanttekeningen bij de gerechtigheidstaferelen van Rogier van der Weyden, in: Rogier van der Weyden en zijn tijd, Brussels 1974, pp. 119–164; Jacob, Images (n. 3), pp. 66–70. 40

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lated a woman. When the duke died, the bishop refused him Holy Communion, for not having confessed this sin. That the execution was not a sin however, but a just condemnation, was revealed by divine intervention. Without any help, the host flew from the ciborium into Herkinbald’s mouth. Here again, some kind of titles, a brief explanation accompanying the illustration, explicitly tell the story.44 Although the original paintings were burned during the 1695 bombings of Brussels by Louis XIV, we are informed of their splendour by the written testimonies of historians and travellers, and because a copy – or at least a highly inspired version – was woven in a tapestry (around 1450), commanded by Giorgio di Saluzzo, bishop of Lausanne and secular prince, to be hung in his court. The tapestry is now conserved in the Berner Historisches Museum. A second great exemplary judgment was made some three decades later by Dirk Bouts. Around 147545 he created the two panels (four scenes) of the justice of emperor Otto III46 for the newly-built (1459) town hall of Louvain. Very probably, the aldermen were inspired by their colleagues in Brussels. Both cities are situated only some thirty kilometres from each other and were competing around that time to be the first town of the Duchy of Brabant. This work of art is very well documented, as the original contract is still in the archives. The town magistrate gave the order to create an image of justice on the 20th of May 1468 and stipulated that the artist should be advised by Janne van Haeght, professor of theology at the local university, a fact that once again underlines the close relationship between religion and civil justice. The original story about Otto is taken from the Pantheon, the world history by the German chronicler Godfred, bishop of Viterbo (around 1120–1191). The third German emperor with this name really existed, but the example about his justice is legendary. Whereas under the van der Weyden paintings in Brussels Latin texts explained the stories of Trajanus and Herkinbald, in Louvain copper plates gave comments in Dutch on what was shown. The emperor’s wife had falsely accused (first scene) an officer of trying to seduce her, which lead to his beheading (second scene). The wife of the victim of this wrong condemnation however still managed to prove that her husband was not guilty. In the third scene of the painting she is depicted with her man’s head in her arm, holding a

43 H. Platelle, L’appel au tribunal de Dieu contre un juge inique dans les exemples de Thomas de Cantimpré, in: The Legal History Review 66 (1998), pp. 289–298. 44 Arnoldus Geilhoven of Rotterdam (died 1442) might be the author, according to A. M. Cetto, Der Berner Trajan- und Herkinbaldteppich, Bern 1966; A. von Mandach, Der Trajan- und Herkindbaldteppich. Die Entdeckung einer internationalen Portraitgalerie des 15. Jahrhunderts, Bern 1987. 45 Bouts died in 1475, and his pupils finalised the work. 46 N. Verhaegen, La justice d’Othon de Thierry Bouts. Iconographie, in: Bulletin van het Koninklijk Instituut voor het Kunstpatrimonium 1 (1958), pp. 22–30; Jacob, Images (n. 3), pp. 70–73.

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glowing iron in her hands. By swearing the oath and withstanding the irrational proof of the hot iron, it becomes clear that the empress herself is guilty of making a false accusation. In the fourth and final scene we see her burning at the stake. Both close family relations and the idea of impartiality are also the subject of the next example. Probably the most famous one, at least of the negative exempla iustitiae, that can be admired in the Bruges Groeningemuseum, is the Judgment of Cambyses, painted by Gerard David.47 Just like the paintings by Bouts and van der Weyden, it consists of two panels, each containing two scenes. Although the story of Persian king Cambyses was originally told by Herodotus (fifth century B.C.), the painted story refers more to the version by Valerius Maximus in his Facta et dicta memorabilia (first century), as it was known in Western Europe in the Middle Ages. If we look at the four scenes, we can easily “read” the narrative. In the first one, someone calls at the door of judge Sisamnes and gives him money. For this corrupt dealing – Cambyses expresses his decision by counting on his fingers –, the King decides that Sisamnes can no longer be a judge and he condemns him to be skinned. The skinning is depicted in the third scene. Finally, in the last scene, we see a new judge, Otanes, son of Sisamnes. He is sitting on the bench, which is now covered with his father’s skin. Sitting on his father’s skin, he is reminded not to be corrupt himself. The exemplum was commanded by the municipal magistrate of Bruges (in the background one can recognise some city buildings) and was painted in 1498. Radiographic analyses have shown that the faces of the public depicted in the two panels were changed; this could prove that they were portraits of the aldermen, as the magistrate was changed in 1497. A judgment of Cambyses by Antoon Claeissens at the end of the sixteenth century certainly contains the portraits of that time.48 In that same year of 1498, a representation of the story of Cambyses was also bought by the city magistrate of Mons49 and in the sixteenth century a copy of the David panels was put in the aldermen’s chamber of the Liberty of Bruges50. The example is also on one side of two panels of a triptych painted 47 A recent summary of the knowledge on this painting is D. De Vos, De Vlaamse Primitieven. De meesterwerken, Antwerp 2002, pp. 189–198 (the book is also available in French and English), mainly based on H. Van der Velden, Cambyses for example: the origins and function of an exemplum iustitiae in Netherlandish art of the fifteenth, sixteenth and seventeenth centuries, in: Simiolus 23 (1995), pp. 5–39, and H. Van der Velden, Cambyses reconsidered: Gerard David’s exemplum iustitiae for Bruges town hall, in: Simiolus 23 (1995), pp. 40–62. On Cambyses, see also F. Toulouse, Le jugement de Cambyse, Paris 1984, and in short Jacob, Images (n. 3), pp. 73–74. 48 De Vos, Meesterwerken (n. 47), p. 193 and illustration 37. 49 L. Devillers, Le passé artistique de la ville de Mons, in: Annales du Cercle archéologique de Mons 16 (1880), p. 304. 50 De Ridder, Gerechtigheidstaferelen (n. 2), pp. 61–62.

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by Jean Le Saive I in 1597 for the city of Namur. On the other side are double portraits, each of four city aldermen.51 Peter Paul Rubens also painted the Cambyses (together with the Solomon) judgment for the vierschaar (the public room where criminal matters were heard) of the Brussels town hall in around 1622. The work was unfortunately destroyed. So, the representation of the Cambyses judgment was popular, and not only in the stone town halls. Clearly related to the painting of David is a miniature by Loyset Liédet, dating from shortly after 1461 and made in Bruges, inserted in La Salle, a didactic work by Antoine de la Sale, written for the sons of Louis of Luxemburg.52 The book describes an allegorical building, each room containing scenes and exempla of virtues and vices. That David had been inspired by this miniature is made very clear by the detail of the executioner with a knife between his teeth. The judgment of Solomon53, king of Israel, relates the wisdom of the monarch, when deciding the case of two women appearing before him with a living and a dead child, each of them claiming to be the mother of the living one. When the king orders the executioner to split the child and to give one half to each woman, one mother relinquishes her claim. Preferring to let her child live with another family, rather than having it killed, this woman, Solomon _decides, should take the child home as her own. The example of Solomon’s decision is very widespread in the western world. The Jewish king became a symbol of wisdom and he appears in miniatures, paintings, drawings, poems and theatre plays. He’s a classic figure in the Fürstenspiegel or Mirroirs du prince.54 As a judicial example we do not know of any representations from the fifteenth century, and some dating from the sixteenth century are actually not “painted” but “sculptured” examples. In 1536, a judgment of Solomon was carved, under the supervision of architect Hendrik van Pede, in the porch at the entrance of the Oudenaarde town hall. That this was not a new thing to do however is attested by a painting by Hans Memling. In his Panorama with the 51 P.-Y. Kairis, Le portrait dans le Namurois au XVIIe siècle, in: J. Toussaint (ed.), Portrait en Namurois, Namur 2002, pp. 31–49. 52 Brussels Royal Library Albert I, ms. 9287–88, fol. 132, in: Smeyers, Vlaamse miniaturen (n. 16), p. 357. 53 O. H. Förster, Das Salomon-Urteil des Bartholomäus Bruyn, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 28 (1966); R. Beyer, König Salomon, Bergisch-Gladbach 1993. 54 R. Brague, Du prince au peuple. La sagesse politique dans la Bible, in: Halévi, Le savoir (n. 41), p. 15. On the role of the use of historic examples in the education of princes in particular, see C. Grell/W. Paravicini/J. Voss (ed.), Les Princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle, Bonn 1998. As Solomon stands for much more than just one judicial example, it is sometimes difficult to guess whether a representation is an image of justice or not. Tapestries depicting scenes from the life of King Solomon, made in Oudenaarde and now in the castle of Azay-le-Rideau in France do not seem to have been commanded as exemplum iustitiae, I. De Meûter/M. Vanwelden, Oudenaardse wandtapijten van de 16de tot de 18de eeuw, Tielt 1999, pp. 147– 151.

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Passion (dated at around 1470) Jesus is brought to Pilate. The judge’s throne stands in a porch, which has the sculptured figures of Solomon’s judgment above the bench.55 At least two representations decorated the Brussels town hall, which was bombed in 1695. Michiel (I) Cocxie (1499–1592) painted one in the sixteenth century and Peter Paul Rubens delivered another one in around 1622. Antwerp, another Brabant city, received its Solomon in 1583. The painting by Frans Floris De Vriendt (now in the Antwerp Museum of Fine Arts), was executed between 1547 and 1556, but it was donated to the town by Jan van Asseliers, the town audiëncier (an officer with financial functions), some three decades later. Finally in 1622, a Solomon’s judgment was painted by Gaspar de Crayer for the magistrate of the Ghent Oudburg. At last we come to the well-known story of the chaste Susanna.56 Taking a bath in her garden, two lusty, elderly judges (!) see her and demand her favours. When she cries for help, the old men tell her to calm down and threaten her to accuse her of infidelity. And they do so, saying they saw her with a young man under a tree. After Susanna has been sentenced to death, Daniel stops the executioners and suggests that the elderly men be interrogated separately. They are asked to point out the tree under which they had spied Susanna with her lover. The old men indicate different trees and Susanna is vindicated. Her accusers are stoned. The story is more than just a moral example on the impartial wisdom of each judge, it also contains a very concrete rule to hear witnesses and parties separately and confront them with specific details. In 1530, an alabaster representation of Daniel’s justice was fixed to the mantelpiece of the aldermen of the Liberty of Bruges.57 The story is told in – what a coincidence! – four scenes, each of them containing a short citation from the Bible, referring to the act of judging. The Oudenaarde town magistrate had a tapestry of the chaste Susanna at around 1600. III. Some General Features As remarked above, the painted examples for the decoration of the town halls are, as far as their content and iconology are concerned, based on medieval traditions. Predecessors are found in medieval miniatures and gothic buildings. Just like these manuscripts and buildings, they have a very religious character. 55

De Vos, Hans Memling (n. 3), pp. 105–109. G. Kocher, Die Causa der Susanna. Ein Beitrag zum Thema der Gerechtigkeitsdarstellungen, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 7 (1985), pp. 47–70. A tapestry of the Susanna story hangs in the “palace of nations”, formerly the house of the Council of Brabant, now of the Belgian Senate, De Meûter/ Vanwelden, Oudenaardse wandtapijten (n. 54), p. 196. It is not clear whether it was commanded by a judicial institution and for a judicial function. 57 Devliegher, De Keizer Karel-schouw (n. 28), p. 48. 56

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The Last Judgment is of course an ecclesiastical representation as such, but divine intervention is also displayed in the other examples: Daniel falsifying the first judgment by godly inspiration, Holy Gregory finding the skull with the well-preserved tongue of Trajanus, the host flying all by itself into the mouth of Herkinbald, etc. Divine intervention appears to be crucial. It helps explain why in the Louvain panel by Bouts the irrational ordeal, although prohibited for more than two centuries, was still depicted in the fifteenth century. It seems that the judges, the counsellors of the provincial councils as well as the aldermen in the towns, did not manage to leave behind the mystic inspiration they experienced in the church porches or under the high tree. In the meantime this illustrates the strong influence of the church on secular administration and justice. No wonder then, that when the iconoclasts revolted against the Catholic church in the second half of the sixteenth century, the religiously decorated town buildings suffered too. The Last Judgment by Cornelis van der Goes in the aldermen’s chamber of Ghent was removed in 1566, during the first wave of iconoclasm. The Last Judgment by van den Clite was taken from the Council of Flanders in 1578. The Last Judgment by van den Coornhuuse was also transferred from the Bruges deanery to a counsellor’s private house during the religious troubles. Once the iconoclasm was over, some examples were returned, others were substituted. The Last Judgment in Oudenaarde, for instance, was commanded by the town magistrate immediately after the Catholic restoration, as was also the case for the new Ghent painting of 1588. As the names of these images of justice already indicate, they have an exemplary function (the same as the exemplary function severe punishments and public executions had in the penal law of the same period). As all of the painted exempla are about life and death, one might wonder if these images were only meant for judicial institutions with powers of high justice. Without being able to prove it, we think the link with high justice is rather a coincidence. All the works of art mentioned were ordered by town magistrates, all of whom had powers of high justice anyway, just like the councils of justice. But in the depicted scenes we also meet problems of low or middle justice. The procedure between a rich and a poor party, represented in the Last Judgment in Maastricht, for instance, seems to be a civil action, not a criminal one. The judgment of Solomon is on family law. This brings us to another common feature of some of the examples, although it may be a risky hypothesis.58 Solomon’s judgment is on a problem of motherhood, Herkinbald’s nephew had violated a woman, in Otto’s example the empress did not get into the adulterous relationship she was looking for, in Susanna’s case the chaste woman defended herself against an adulterous request 58 I thank Professor Claude Gauvard (Paris) for having suggested it during the discussion after the presentation of the present paper in Münster.

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(. . .) all problems in the sector of moral and religiously inspired rules, pertaining to the family law written in canonical books and judged by church institutions. It is precisely in the fifteenth and sixteenth centuries that the secular courts and legislatures set foot upon this domain of law, driving back the Catholic Church. Can we see in the painting of these themes some kind of justification for this usurpation? Are the judges legitimating their own power in this iconographic way? It is indeed to the judges, not – or at least not as much – to the broader public that the examples speak. A line under the Otto III panels by Dirk Bouts explicitly speaks of the mirror for judges.59 And we refer to the previously mentioned explicit texts in the Maastricht Last Judgment and in the frame of the Provoost one. More precisely, the judges are reminded not to be corrupt, either by accepting money for a good sentence, or by being partial towards a member of their close family. This is particularly stressed by the fact that some stories are a little bit changed, in order to be still more exemplary. For example, in the judgment of Trajanus told by Jacob de Voragine in his Golden Legend, the murderer is the emperor’s own son.60 Since they were exclusively addressed to the judges, this explains why many of the examples were not displayed in a room used for public hearing, but in the deliberation room, where the public normally was not allowed. Actually, public justice, especially criminal justice, was still an open-air activity. In smaller seigniories parties were heard and sentenced and penalties were executed outside, until the end of the Ancien Régime. But also in the richer cities, even when they had stone town halls available, criminal justice was still administered in the open air in the fifteenth century, in some cities probably until late in the sixteenth or even the seventeenth century. In witch procedures for instance, the suspect had to confirm his or her confessions in the open, twenty-four hours after torture. That Flemish judges in the fifteenth and sixteenth centuries still sat in open porches is shown by the paintings of David, Memling, the Master of the Legend of Saint Joseph (see the shed behind Philip the Fair) and others. So, when the aldermen bought a judicial example, it was for their “private” room(s) in the town hall, not for the place where criminal justice was done. In 1516, the Liberty of Bruges decided to use certain tax incomes for the construction of three rooms: “een scepene camere ende een vertrec61 camere” (“an aldermen’s chamber and a deliberation chamber”) and a new “vierschare”.62 On the six59

De Ridder, Gerechtigheidstaferelen (n. 2), p. 49, n. 4. Jacob, Images (n. 3), p. 68. 61 According to Devliegher, De Keizer Karel-schouw (n. 28), p. 35, this is where the magistrate deliberated. 62 Ibid., p. 18. The “vierschaar” refers to the benches where the judges sat, presided over by a representative of the king. The “four rows” (vier-schaar) refer to the quadrangle formed by these benches and the bar, where the parties stood to plea. 60

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teenth of December 1525 the same aldermen decided to put tapestries in the room where parties were heard (“doen maken tapijts omme te hanghene inde camere daer burchmeesters ende scepenen zitten te berechte van partien”) and they explicitly chose not to put figures in them (“ende dat men gheen personaigen daerinne zoude doen stellen, nemaer datmen nemen zoude verduere, ende daerinne doen stellen de wapenen van de Keyserlycke Majesteyt ende den Lande van den Vryen”).63 According to the records in the archives, the Last Judgment by Pieter Huys in Furnes was hung in the “secrete” chamber, David’s Cambyses was painted for “de scepencamere” and the 1599 painting in Oudenaarde was also “hanghende in scepenen camere”. In the Dutch translation of Lodovico Guicciardini’s Descrittione di tutti Paesi Bassi64 it is said that the four examples by Rogier van der Weyden hang in the room where the cases were deliberated, not where the parties were heard, nor where the sentences were pronounced. That the moralising works of art were especially made for the judges and to be hung in their chambers means that most of them were commanded and paid for by the magistrate himself, with the income from the public offices and taxes. Almost all of the paintings mentioned in this article are nothing less than masterpieces of “Belgian” art history. They were means of pomp and ostentation and were probably too expensive to be executed by second-rate artists. The Last Judgment by Pourbus for the Liberty of Bruges was paid for with the income of the so-called prison-fund, the money raised by collecting penalties from prisoners who had transgressed the penitentiary rules. Only exceptionally, like the conviction of Jean de Corioulle by the Council of Namur in 1475, was a condemned criminal ordered to pay for an exemplum.65 The Last Judgment by van den Clite was partly paid for by the bailiff of Hulst and Axel, sentenced by the Council of Flanders on the twenty-fifth of August 1411, for disobedience toward the count.66

Compare to P. De Win, Analyse van een merkwaardige straf: de openbare bede om vergiffenis, “eerlijke betering” of “amende honorable”, in: Handelingen van de Koninklijke Kring voor Oudheidkunde, Letteren en Kunst van Mechelen 107 (2003), pp. 117–232, p. 183: The “amende honorable” was done in the “vierschaar” or in the “schepenkamer” according to whether it was the end of a real criminal procedure or the judging of a smaller offence, handled in a civil procedure style. 63 Devliegher, De Keizer Karel-schouw (n. 28), p. 25. 64 K. Kiliaan, Beschryvinghe van alle de Neder-Landen, Amsterdam 1612, p. 79. 65 It happened more often, at least after the fourteenth century, that, mostly together with the public penalty of the amende honorable, people were obliged to finance an inscription referring to their sentence, a bronze or silver hand, arm or head, stained glass or a religious sculpture for the parish church, wax figures, a pillory, etc., De Win, Analyse (n. 62), pp. 210–211. 66 De Ridder, Gerechtigheidstaferelen (n. 2), p. 24.

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IV. Conclusion Painted, but also sculptured and woven, exempla iustitiae were a rising phenomenon in the fifteenth century, first in the wealthiest cities of Flanders and Brabant, later in the other parts of the Southern Netherlands, in the Northern Netherlands67 and in Germany68, but not in France69. The Last Judgment is the most popular. Its iconology is typically medieval. Inspiration was found in medieval manuscripts and gothic buildings. In the second half of the fifteenth century, other examples were painted, taken from the Bible as well as from national history and antiquity, clearly a humanistic influence, although, again, the examples themselves, in literature, are a medieval tradition. The very narrow bonds with the divine order70, criticised by the iconoclasts and finally fading away at the end of the Ancien Régime71, can also be called medieval. Meanwhile the allegory of Lady Justice and symbols like the sword, the scales and the portrait of the king have taken over the role of representing justice.72 67 On judicial exempla in the Northern Netherlands, see: Moelands/de Smidt, Weegschaal & Zwaard (n. 19). Many of the examples mentioned in this article are also used in the North. Moelands and de Smidt name the Last Judgment (Kampen, Venlo, Amersfoort), Solomon’s judgment (Zutphen), Cambyses (Hoorn) and the stories of Trajan and Herkinbald (Hoorn). There are also lots of other exempla, amongst others many from Roman history (Amsterdam, Haarlem, Hoorn, Kampen): Mucius Scaevola having killed the secretary to the Etruscan king Porsenna and burning his own hand, the story of Corolian, acting as a tyrant after the defeat of the Volsci, the history of Manius Curius Dentatus refusing to be bribed, Zaleukos killing his own son for having neglected his father’s severe legislation on adultery, the story of Lucius Junius Brutus who liberated Rome from King Tarquin and, upon discovering that his own sons were taking part in a conspiracy, killed his own offspring. A special and often-painted story from national history, is the one of count William the Good. 68 See Schild, Bilder (n. 3). In the German territories new variations and combinations were introduced. In 1516 for instance, Lucas Cranach the Elder was asked by the town council of Wittenberg to paint the Ten Commandments. Even in the eighteenth century the story of Daniel and Susanna was depicted by Paul Troger (1698– 1762) for the Salzburg town hall (1749). For Liège, see P.-Y. Kairis, Les tableaux de justice d’Englebert Fisen pour le palais de Liège, in: Art & Fact 15 (1996), pp. 118– 121. 69 Jacob, Images (n. 3), p. 66, n. 4: “Je m’en tiens ici aux œuvres flamandes du XVe siècle, qui semblent marquer le point de départ de cette production.” As we have seen, “Flemish” is not really the exact word, the examples, other than the Last Judgment, actually originating from the duchy of Brabant, but in a few decades becoming popular in the county of Flanders and the other territories of the Netherlands. 70 Already explicitly obliged by a constitution of Justinian, Jacob, Images (n. 3), p. 88. 71 F. Chauvaud (ed.), Le sanglot judiciaire. La désacralisation de la justice (VIIe– XXe siècles), Grâne 1999. 72 Counsellor Willem van Blitterswyck, for instance, asked painter Cornelis Berincx (1605–after 1662) to make eight canvases for the Great Council of Malines, each of them illustrating an important moment in the history of this supreme court of the Netherlands, W. Hüsken (ed.), De Grote Raad. Moord, Woordbreuk en Andere Schandalen, Malines 2004, p. 141. On the decoration of the Great Council building, see A.

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Zusammenfassung Im 15. und 16. Jahrhundert wurden für die neu erbauten Gebäude der Städte und die obersten Gerichtshöfe eine große Anzahl von exempla iustitiae in Form von Gemälden oder auch als Skulpturen geschaffen. Die sog. Flämischen Primitiven entwickelten in dieser Zeit eine neue Kunstgattung: Anhand von neuen Techniken (Öl auf Holz, Einführung der Perspektive) trugen sie zu einer Säkularisierung der Kunst bei. Ein exemplum iustitiae stellt nicht lediglich eine Allegorie oder ein Symbol dar, sondern erzählt eine Geschichte, die immer von einem konkreten Gerichtsverfahren handelt. Auftraggeber solcher Exempla sind die Gerichte. Bestimmt sind sie für einen Saal des Gerichts – meist allerdings nicht für den dem Publikum zugänglichen Raum, sondern für das Beratungszimmer der Schöffen. Diese Exempla waren auf einen moralisierenden Effekt gerichtet. Meist haben sie bereits eine lange Tradition, bevor sie in Gemälden festgehalten wurden. So finden wir einige bereits in der Bibel, andere in der Antike und auch in mittelalterlichen Sammlungen. Sie sind speziell an die Richter und nicht an das breite Publikum gerichtet. Oftmals finden sich im Bild selbst oder am Bildrand Texte über bzw. für die Schöffen. Das bedeutendste, älteste und zugleich am häufigsten gemalte exemplum iustitiae ist das Jüngste Gericht. Es handelt sich dabei um eine Ikonographie, die der Tradition mittelalterlicher Handschriften und Darstellungen in mittelalterlichen Kirchengebäuden folgt. Auf diesen ist in den meisten Fällen Christus als Richter (mit dem Schwert der Gerechtigkeit und der Lilie der Barmherzigkeit), begleitet von Johannes dem Täufer und Maria, oft auch von den zwölf Aposteln, zu sehen. Der Erzengel Michael ist dabei abgebildet, wie er die Seelen der Auferstandenen wiegt (Schwert und Waage entwickelten sich später zu eigenständigen Symbolen der Gerechtigkeit). Zwei Fälle sind besonders herauszuheben. Dies betrifft zum einen das Maastrichter Jüngste Gericht, auf dem neben einer Darstellung des Jüngsten Gerichts im oberen Teil unten das Gericht bestehend aus den Stadtschöffen und zwei Parteien zu sehen ist, über diesen befindet sich ein Teufel, der die Schöffen einlädt, gegen Geld die reichste Partei zu bevorzugen; ein Engel warnt diese Richter jedoch vor dem Weltgericht. Zum anderen ist das Zierikzee Paneel zu nennen, auf dem das Schwert der Gerech-

Monballieu, Mechelse kanttekeningen bij de kunst tot ca. 1559, in: Cultureel Centrum Mechelen (ed.), 500 jaar grote raad, 1473–1973, tentoonstelling van karel de stoute tot keizer karel, Malines 1973, pp. 57–65. In the mirror on the wall painting by Frans Sanders (1526) we can see that the decoration was not more exuberant than in a normal town hall; we can only see Christ on the cross and a Last Judgment. It is possible that in the French Revolutionary period some exempla disappeared, although we do not know of any certain cases. According to the law of 3 brumaire II (24 October 1793), all symbols of kingship and feudalism were forbidden. Only real works of art could be kept. For the application in Bruges, see Devliegher, De Keizer Karel-schouw (n. 28), p. 52.

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tigkeit nicht lediglich an der Seite Gottes steht, sondern sich auch in der Hand des Souveräns, Philip des Schönen, befindet. Eine Generation später wird Kaiser Karl mit demselben Schwert dargestellt, jetzt jedoch ohne das Jüngste Gericht – eine bedeutsame Entwicklung. Andere Exempla aus dem 15. Jahrhundert sind die Gerechtigkeitsdarstellungen von Trajanus/Gregorius und Herkinbald (Rogier van der Weyden, Brüssel), von Kaiser Otto III. (Dirk Bouts, Löwen) und von Cambyses (Gerard David, Brügge). Diesen Bildern ist gemeinsam, dass sie die Richter warnen, sich nicht bestechen zu lassen und auch gegenüber nahen Familienmitgliedern unparteiisch zu handeln. Im 16. Jahrhundert werden schließlich auch das Urteil Salomons und die keusche Susanne häufig abgebildet. In all diesen Exempla, auch in den nicht-biblischen, sehen wir eine göttliche Intervention, die die durch das Bild zum Ausdruck gebrachte Botschaft verstärken soll. Viele Tafeln sind allerdings während des Bildersturms gestohlen worden.

Der dänische König als Richter und Gesetzgeber Von Ditlev Tamm In den bildlichen Darstellungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die den dänischen König auf dem Richterstuhl oder als Gesetzgeber zeigen, ist eine klare Entwicklungslinie zu erkennen. Es handelt sich um einen Wandel der Funktion des Königs, der sich symbolisch in den Bildern widerspiegelt. I. Vorabsolutistisches Zeitalter Im alten Königtum, der monarchia mixta der nachreformatorischen Zeit, stand die richterliche Funktion des Königs im Mittelpunkt. Er wurde gern als aktiv tätiger Richter abgebildet. Dem dänischen König in der Zeit vor Beginn des Absolutismus im Jahre 1660 war seine persönliche Anwesenheit im Gericht und seine Stellung als oberster Richter wichtig. Wir sehen ihn daher auf mehreren Darstellungen in seiner aktiven Funktion als Leiter der Gerichtsverhandlungen. Da Gerechtigkeit eine wichtige Tugend darstellte, präsentierte sich der König gerne als Richter. Er übte das richterliche Amt jedoch nicht allein aus. In der Zeit von 1537 – dem Jahr der Wiederherstellung der königlichen Macht nach den Wirren eines Bürgerkrieges sowie der Reformation – bis 1660 wurde die höchste Gerichtsbarkeit in Dänemark vom König und seinem Rat ausgeübt.1 Die Räte besaßen bis auf ganz wenige Ausnahmen keine theoretische juristische Ausbildung. Praktische Erfahrungen hatten sie als Großgrundbesitzer und häufig auch als Lehensmänner im königlichen Dienst gesammelt. Ebenso gehörte eine längere Reise nach Europa mit Besuch der wichtigsten Universitäten zu ihrer Ausbildung, aber eben kein juristisches Studium. Um die alten dänischen Rechtsquellen, die in der nachreformatorischen Zeit durch königliche Gesetzgebung unter Mitwirkung des Rates eine Vermehrung erfuhren, anzuwenden, bedurfte es keiner juristischen Kenntnisse. Die dänische Justiz blieb bis weit in das 18. Jahrhundert hinein eine Laienjustiz, an der der König in der Zeit bis zum Jahr 1660 aktiv teilnahm. 1 Siehe D. Tamm (Hg.), Kongens Retterting 1537–1660, 2 Bde., Kopenhagen 2003; ders., König und Rat als Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsorgan in Dänemark 1537–1660 – Ein Forschungsprojekt, in: H. Mohnhaupt/D. Simon (Hg.), Vorträge zur Justizforschung, Bd. 2 (Rechtsprechung, Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt a. M. 7), Frankfurt a. M. 1992, S. 191–216.

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Bei der Ausübung der Justiz und der Gesetzgebung waren König und Rat gleichberechtigt. Seit den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts versuchte der König jedoch, sich gegenüber dem Rat stärker durchzusetzen, um dessen Macht zu schwächen. König Christian IV., den wir besonders häufig in bildlichen Darstellungen sehen, gelang dies allerdings nur teilweise. Nach seinem Tode im Jahre 1648 versuchte der Rat seine Stellung in der Handveste, die sein Nachfolger unterschreiben musste, zu stärken. Bereits im Jahre 1660 aber brach das alte System zusammen und noch im gleichen Jahr begann das Zeitalter des Absolutismus. Im Folgenden geht es nicht um die Einzelheiten der königlichen Rechtspflege, sondern um die symbolische Darstellung des königlichen Amtes. Grundlage der Justiz waren zu dieser Zeit noch die mittelalterlichen Gesetze aus dem 13. Jahrhundert.2 Das erste Bild (Abb. 1) aus dem Jahre 1594 zeigt eine Gesetzeshandschrift des mittelalterlichen Gesetzes von Schonen, die einem Landesrichter (landsdommer) in Schonen gehörte. Das Gesetz stammt ursprünglich aus der Zeit um 1200 und war in Schonen noch bis zum Jahre 1683 in Kraft. In der Rechtsprechung des königlichen Rates wurde Wert darauf gelegt, die alte Einteilung in die so genannten Landschaften mit ihren jeweils eigenen Gesetzen zu erhalten. Zwar spielte das Gesetz von Jylland eine besondere Rolle als eine Art ius commune, die anderen Gesetze blieben aber daneben in Kraft und wurden nicht nur von den örtlichen Gerichten, sondern auch von König und Rat angewendet. Das Gesetz von Schonen wurde bereits im Jahre 1505 auch gedruckt, der Besitz einer Handschrift ist daher eher als ein symbolischer Wert denn als Ausdruck der Notwendigkeit anzusehen. Besonders interessant ist aber nicht nur die vom Schreiber stammende Erklärung der Authentizität des Textes, sondern v. a. die auf das Titelblatt geschriebenen Richterverse. Darin wird zunächst erklärt, dass die Handschrift als Quelle eine ältere Handschrift hat, die von einer noch älteren Handschrift abgeschrieben worden ist, welche im Dom zu Lund aufbewahrt wird. Auf diese Weise wird die Richtigkeit des Textes sichergestellt. Auch die richtige Anwendung der Handschrift wird angemahnt, indem einer der Verse den Richter an seine Pflicht, gerecht und richtig zu urteilen und nie parteiisch zu entscheiden, erinnert. Die aus Herodot stammende bekannte und im ganzen nördlichen Europa verbreitete exemplarische Geschichte vom ungerechten Richter, der vom persischen König Kambyses mit Enthäuten bestraft wurde, wird hier erwähnt und dem Richter als Mahnung vorgeführt.3

2 Hierzu neu D. Tamm, How Nordic are the old Nordic laws, in: D. Tamm/H. Vogt (Hg.), How Nordic are the Nordic Medieval Laws, Kopenhagen 2005, S. 6–24. 3 Herodot, Das Geschichtswerk, in: Bibliothek der Antike, Griechische Reihe, Berlin u. a. 1985, III, 80–89.

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Abb. 1: Das Gesetz von Schonen, Handschrift aus dem Jahr 1594 (Königliche Bibliothek, Kopenhagen)

Als aktiver Richter ist besonders König Christian IV. bekannt geworden. Schon als Elfjähriger war er im Jahre 1588 seinem Vater als König gefolgt und hatte im selben Jahr mit der Ausführung seiner Pflichten als Richter im königlichen Rat begonnen, obwohl er zu dieser Zeit noch unter Vormundschaft stand.

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Seit seiner Krönung im Jahre 1596 hatte er stets den Vorsitz inne, wenn der Rat als oberster Gerichtshof tagte. Solche Gerichtssessionen fanden jeden Sommer statt und fingen am ersten Sonntag nach Pfingsten, dem Trinitatissonntag, an. Christian IV. hat als Richter mehr als 3.000 Prozesse geleitet.4 Wir sehen den König gerade in dieser Eigenschaft als oberster Richter auf zwei Titelblättern aus den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Besonders wertvoll ist das Titelblatt des juristischen Wörterbuchs von Chresten Ostersen Weyle, das aus dem Jahre 1641 stammt (Abb. 2). In der untersten Reihe ist rechts ein vor einem örtlichen Bezirksgericht in einer Stadt oder auf dem Lande (Herreds- oder Byting) stattfindender Prozess zu sehen. Richter und Schreiber sitzen gemeinsam an einem Tisch. Um sie herum sitzen die zwölf Männer, die das Dingvolk darstellen, hinten stehen Parteien und Zuhörer. Auf der linken Seite findet sich die Abbildung des Oberlandesgerichts (Landsting). Der adlige Richter sitzt zusammen mit dem Schreiber am Tisch, im Hintergrund sitzen acht so genannte Wahrheitsfinder (Sandemænd), während im Vordergrund Parteien und Zuhörer stehen. Das Dingvolk, das seine Hüte aufbehalten durfte, ist von hinten zu sehen. In der mittleren Reihe ist der Abbildung König Christians IV. die Darstellung einer Justitia gegenübergestellt und in der oberen Reihe ist derselbe König als Vorsitzender im königlichen Gerichtshof abgebildet. Der König sitzt dort mit einem Hut auf dem Kopf. Um ihn herum sitzen zwischen 15 und 20 Räte, deren Anzahl in den Sitzungen des königlichen Gerichtshofs jedoch variierte. Vor dem König stehen die Parteien und im Hintergrund sind die Zuhörer zu erkennen. Bemerkenswert ist der Umstand, dass aufgrund des Appellationssystems die meisten Richter der Oberlandesgerichte anwesend waren, wenn der Rat als Gericht tagte. Im Appellationsprozess wurden auch die Richter als Beklagte geladen und mussten vor dem König und dem Rat ihre Urteile verteidigen. Dadurch erhielten sie wertvolle Erkenntnisse über das Prozessgeschehen. Denn gedruckte Gesetzessammlungen, aufgrund derer die königliche Rechtsprechung hätte verfolgt werden können, gab es nicht. Es sind uns lediglich einige private Urteilssammlungen bekannt, man darf aber davon ausgehen, dass gerade die Anwesenheit der Richter der Oberlandesgerichte an diesen so genannten Herrentagen zur Ausbreitung der Urteilspraxis des königlichen Gerichts beigetragen hat.5 Eine weitere Darstellung von König Christian IV. als Richter finden wir auf dem Titelblatt (Abb. 3) der korrigierten Ausgabe des jütschen Gesetzes (Jyske Lov) aus dem Jahre 1643, das in etwas verschönerter Form denselben königlichen Gerichtshof wie auf dem vorherigen Bild zeigt. Der König richtet hier vom Ende des Tisches aus. Links von ihm sitzt – ebenfalls mit Hut auf dem 4

Tamm, Kongens Retterting (Anm. 1), Bd. I, S. 6. E. Reitzel-Nielsen (Hg.) Danske Domme 1375–1660, 8 Bde., Kopenhagen 1978– 1987. 5

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Abb. 2: Titelblatt des juristischen Wörterbuchs von Chresten Ostersen Weyle (C. Ostersen, Glossarium Juridico-Danicum, Kopenhagen 1641)

Kopf – sein Sohn als designierter Nachfolger. Ringsherum sitzen die Räte, deren individuelle Gesichtszüge erkennbar sind. Die Hunde in der Mitte symbolisieren wahrscheinlich die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, da die Verhandlungen vor dem König im Rat und später auch die Verhandlungen in dem 1661 gegründeten dänischen höchsten Gerichtshof stets mündlich waren.

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Abb. 3: Titelblatt des jütschen Gesetzes von Alb Haelweg nach einer Zeichnung von Karel van Mandern (Judske Lowbog, Kopenhagen 1643)

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Der König wurde in seiner Tätigkeit als Richter auf dem Titelblatt des jütschen Gesetzes sehr plastisch dargestellt, wohingegen er in seiner gesetzgeberischen Funktion eher abstrakt gesehen wurde. Dies zeigt sich z. B. auf dem Titelkupfer des so genannten Großen Rezesses des Königs Christian aus dem Jahre 1643 (Abb. 4). Hier sieht man lediglich das königliche Monogramm, das von Darstellungen der Religio und der Justitia gestützt wird und von zwei Säulen umrahmt ist. Über der von den Säulen getragenen Krone leuchtet die göttliche Sonne. Die gesetzgebende Rolle des Königs, die er genau wie die Justiz mit dem Rat gemeinsam ausübte, wird eher als eine abstrakte Machtfunktion, die richterliche Tätigkeit hingegen lebendig dargestellt. Ein Bild des Königs ist zwar auch im Gesetz selbst (Abb. 5) zu finden, es handelt sich aber um ein Porträt ohne besondere Attribute, welche auf die Rolle des Königs als Gesetzgeber hindeuten könnten. II. Zur Zeit des Absolutismus Ein entscheidender staatsrechtlicher Wandel fand in Dänemark mit Beginn des Absolutismus statt.6 Zwar setzte der König seine Funktionen als Richter und Gesetzgeber grundsätzlich fort, ohne dabei jedoch an die Zustimmung des Rates gebunden zu sein. Die Haltung des Königs gegenüber der Justiz änderte sich allerdings radikal. Der Schwerpunkt lag ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf der persönlichen Ausübung der Rechtsprechung, sondern auf dem Recht, Gesetze zu erlassen als das wichtigste ius majestatis. Das Recht legem condere vel mutare war jetzt das Merkmal der königlichen Gewalt und nicht mehr die persönliche Rechtsprechung, wie sie im Gericht öffentlich ausgeübt wurde. Als Richter erschien der König nur noch im Höchsten Gerichtshof, dem Nachfolgegericht des Königlichen Rates, wenn das Gericht einmal im Jahr feierlich eröffnet wurde. Bemerkenswert ist, dass im dänischen Königsgesetz, der lex Regia aus dem Jahre 1665, das Richteramt als ius majestatis kaum erwähnt wird. Im Mittelpunkt stand von da an die Gesetzgebungsgewalt des Königs, wie sie in Artikel III zum Ausdruck kam. Die nunmehr, ganz anders als bisher, erhobene Position des Königs kommt in einem Kupferstich von Alb Haelwegh aus dem Jahre 1667 zum Ausdruck. Die besondere Stellung des Königs wird nicht mehr allein dadurch angedeutet, dass er in Anwesenheit anderer den Hut auf dem Kopf aufbehält, sondern wir sehen den König zudem sitzend, umgeben von seinen stehenden Räten, wie er ein Buch vom knienden Professor Simon Paulli empfängt (Abb. 6).

6 Siehe M. Stolleis, Condere legis et interpretari, in: ders., Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1990, S. 167–190; S. Ellehøj, Rettens grundlæggelse, in: Højesteret 1661–1961, Bd. I, Kopenhagen 1961, S. 1–52.

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Abb. 4: Titelkupfer des sog. Grossen Rezesses von 1643 (Der Große Rezess, Kopenhagen 1643)

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Abb. 5: Christian IV. (Der Große Rezess, Kopenhagen 1643)

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Abb. 6: Frederik III. umgeben von seinen Räten beim Empfang eines Buches von Professor Simon Paulli (Kupferstich von Alb Haelwegh aus dem Jahre 1667)

Eine wichtige Auswirkung des Absolutismus war das zielgerichtete Streben nach Rechtseinheit, die durch ein neues für das ganze Land geltendes Gesetz-

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buch erlangt werden sollte. Nach mehrjähriger Arbeit wurde dieses Ziel im Jahre 1683 erreicht.7 Das dänische Gesetzbuch des Königs Christian V. gehört zu den frühen Kodifikationen und baut grundsätzlich noch auf dem alten Recht auf. Neu gestaltet wurden aber das Prozessrecht und die gesamte Systematik des Gesetzes. Die Einbeziehung auch von Teilen der Lex Regia unterstrich die neue Situation. Die symbolische Ausgestaltung des dänischen Gesetzes war eher bescheiden. Das Gesetz wurde mit einer Abbildung des Königs (Abb. 7), aber ohne sonstige Zeichen für die Verbindung zwischen König und Gesetz erlassen. Ikonografisch stärker ausgestattet war die Ausgabe des norwegischen Gesetzes, das im Jahre 1687 als eine fast wörtliche Kopie des dänischen Gesetzes erlassen wurde (Abb. 8). Der König wird hier als Herrscher, am Tisch sitzend, mit dem Königsgesetz vor sich und den Herrschersymbolen in der Hand dargestellt. Im darunter befindlichen Text wird hervorgehoben, dass diese Abbildung nur einen Abglanz des Königs darstelle, wenn dieser persönlich – von der Sonne der Gerechtigkeit erfüllt – auf dem Thron sitze. Die Säulen werden von den weiblichen Figuren der Fides und der Pietas, die beide in den Wahlspruch des Königs „Pietas et Justitia“ eingingen, getragen. Denselben König, Christian V., sehen wir als Richter auf einem Bild, das sich auf dem königlichen Lustschloss Rosenborg in Kopenhagen befindet. Es stammt aus der Zeit um 1690 und zeigt König Christian bei der feierlichen Eröffnung des höchsten Gerichts, umgeben von dem Gericht, Trabanten, Herolden und anderen Personen (Tafel 7 im Anhang). Aus derselben Zeit (1689) stammt ein imposantes norwegisches Bildnis eines Richters (norw.: sorenskriver), der seine Hand auf das norwegische Gesetz hält (Tafel 8 im Anhang). Das neue Gesetz steht nunmehr im Mittelpunkt, auch wenn der Richter abgebildet wird. Recht wurde im höchsten Gerichtshof, der im 18. Jahrhundert in imposantem Rahmen auf dem neu errichteten Schloss Christiansborg (Abb. 9) tagte, im Namen des Königs gesprochen. Die Anwälte wandten sich direkt an den König, auch wenn dieser nicht im Gerichtssaal anwesend war. Symbolisch stand in der Mitte des Saales ein leerer Stuhl als Zeichen der königlichen Gerichtsgewalt, die aber vom Gericht ausgeübt wurde. Ein Kupferstich in einer privaten Verordnungssammlung aus dem Jahre 1754 (Abb. 10) zeigt den leeren Thron im Gerichtssaal und die Anwälte, die sich mit den Worten: „Grossmächtiger, allergnädigster Herr und König“ an das Gericht wenden. Auch auf dem Plan des Gerichtssaals im neuen Schloss sieht man deutlich, wie der Raum mit dem königlichen Thron in der Mitte (Abb. 11) eingerichtet war.8

7

Vgl. D. Tamm (Hg.), Danske og Norske Lov i 300 År, Kopenhagen 1983. T. Nielsen, Belysning af rettergangsmåden, dommenes tilblivelse og beskaffenheden af sagerne, in: Højesteret 1661–1961 (Anm. 6), S. 480–550. 8

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Abb. 7: Christian V. (Titelkupfer aus Danske Lov, Kopenhagen 1683)

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Abb. 8: Christian V. (Titelkupfer aus Norske Lov, Kopenhagen 1687)

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Abb. 9: Schloss Christiansborg im 18. Jahrhundert (Stich von Hafnia Hodierna von Thurah)

Abb. 10: Der Höchste Gerichtshof auf dem Schloss Christiansborg (Kupferstich aus: C. P. Rothe, Samling af kgl. Rescripter, Bd. I, 1754)

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Abb. 11: Plan des Gerichtssaales des Höchsten Gerichtshofes auf Schloss Christiansborg (Zeichnung nach den Vorstellungen des Architekten Eigtveds, Reichsarchiv)

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Als man in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts den Rittersaal des Schlosses mit Darstellungen von wichtigen Ereignissen der einzelnen Könige schmücken wollte, wählte der damit beauftragte Maler Nicolai Abildgaard für die Zeit König Christians V. den Erlass des dänischen Gesetzes als Thema der Darstellung seiner Regierungszeit. Gezeigt wurde der König in seinem geheimen Rat, dem Conseil, die Hand auf einer in Silber eingebundenen, handgeschriebenen Ausgabe des Gesetzes (Tafel 9 im Anhang) liegend, die noch heute im dänischen Reichsarchiv zu sehen ist.9 III. Umbruch im 19. Jahrhundert Das Zeitalter des Absolutismus endete mit der Verfassung vom 5. Juni 1849, die eine konstitutionelle Monarchie begründete.10 Es fand eine Dreiteilung der staatlichen Macht statt. Die richterliche Gewalt war von da an ein Anliegen allein der Richter und nicht des Königs. Träumen konnte man aber weiter von den alten Zeiten, als der König persönlich an der Rechtsprechung mitgewirkt hatte. Die Ausschmückung der Grabkapelle Christians IV. in der Kathedrale von Roskilde, die in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erfolgt war, zeigt den jungen König als Richter. Das schon in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts angedachte, aber erst später fertig gestellte Bild des Künstlers Wilhelm Marstrand zeigt den König auf einem erhobenen Richtersitz (Tafel 10 im Anhang), was den zeitgenössischen Darstellungen nicht entspricht. Ikonografisch ist die Darstellung aber dadurch interessant, dass sie den Ruhm des alten Königs als Richter bestätigt.11 Die Rolle des Königs als oberster Richter war zwar mit der neuen Verfassung im Jahre 1849 beendet, die historisch fundierte Sage vom alten Richterkönig lebte aber weiter. Im höchsten Gericht hatte der König aber nichts mehr zu tun. Ein im Jahre 1911 vom Künstler Saltoft gemaltes Bild des Höchsten Gerichtshofes als Skizze für ein größeres Gemälde zeigt die Richter im höchsten Gericht ohne den König (Abb. 12), sondern in Positionen, die eher Einflüsse der Heiligen- und Kirchenväterdarstellungen der Renaissance enthielten. Summary The Danish king in the 16th century was frequently a judge, as he was chairman of the Royal Council which met in the summer as the Supreme Court. 9

D. Tamm, in: ders., Danske og Norske Lov (Anm. 7), S. XXV f. Vgl. D. Tamm, Die dänische Verfassung vom 5. Juni 1849, in: M. Kirsch/P. Schiera (Hg.), Verfassungswandel um 1848 im europäischen Vergleich (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 38), Berlin 2001, S. 205–212. 11 D. Tamm, Christian den Fjerdes Kanslere, Kopenhagen 1988, S. 87 f. 10

Der dänische König als Richter und Gesetzgeber

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Abb. 12: Bildnis der Richter des Höchsten Gerichtshofes (Eduard Saltoft, Entwurf aus Anlass des 250jährigen Bestehens des Gerichts im Jahre 1911. Das monumentale Bild wurde vom Gericht abgewiesen. Später aber wurde es dem Gericht als Geschenk angeboten und hängt jetzt im Gericht.)

King Christian IV in particular took an interest in active judging and he is seen on two popular title pages from the 1640s. Before the introduction of absolutism in Denmark, the king’s role as judge was often emphasised, whereas he seemed more anonymous in his role as a legislator, as will be seen from the illustrations from the so called “Store Reces“ which was the greatest contribution to legislation during the reign of Christian IV. After the beginning of absolutism in 1660, the iconographic presentation of the king emphasised his legislative powers, whereas his function as a judge was more often seen in the form of the empty chair in court, which represented the king – who did not actively take part in the courts’ sessions any more. After the Constitution of 1849 the king was no longer a symbol of the court’s justice. Therefore, he was not present in paintings of the Supreme Court.

Anhang: Farbtafeln

Anhang: Farbtafeln

Tafel 1: Gerüfte – Schwertzücken und Beschlagnahme ohne Schaden – Zahlung des Gewettes bei Nichtweiterverfolgung der Klage mit Gerüfte (Mantelgriff als Symbol für Akzeptanz der Zahlung) (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, fol. 24r [Ausschnitt])

Anhang: Farbtafeln

Tafel 2: Von oben nach unten: Bußzahlung nach Schädigung eines Knechts – Mann führt seinen Gefangenen vor – handhafter Diebstahl – Anfangsklage (Klageerhebung mit Fingerzeig, Ergreifen der Sache) – Anfangsklage (Kläger fasst Pferd ans Ohr) (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, fol. 34r)

Anhang: Farbtafeln

Tafel 3: Ehebruch – Unehrliche (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, fol. 19r [Ausschnitt])

Anhang: Farbtafeln

Tafel 4: Von oben nach unten: Todesstrafe durch Enthaupten – Verbrennen von Ketzer und Hexe – Totschläger hat einen Mann aus Not erschlagen – Totschläger wird nicht peinlich bestraft, sondern zahlt Wergeld – Toter Mann ist von Verwandten (?) vor das Gericht gebracht worden (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, fol. 29v)

Anhang: Farbtafeln

Tafel 5: Von oben nach unten: Urteilsschelte – Schelter nimmt auf Schöffenstuhl Platz – Dieb soll man hängen/Bauermeister – Strafe an Haut und Haar wegen Marktvergehen – Rädern der Landfriedensbrecher (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, fol. 29r)

Anhang: Farbtafeln

Tafel 6: unten: Sühne vor Gericht (Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbütteler Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, fol. 12v [Ausschnitt])

Anhang: Farbtafeln

H ØIESTERET

CA.

1697

Tafel 7: Christian V. präsidiert im Höchsten Gerichtshof auf Schloss Rosenborg um 1697 (Schloss Rosenborg/Kopenhagen)

Anhang: Farbtafeln

Tafel 8: Bildnis des norwegischen Richters Bernt Pedersen aus dem Jahre 1689 (Østsinni Kirke, Nordre Land)

Anhang: Farbtafeln

Tafel 9: Erlass des Dänischen Gesetzbuches (Entwurf von Nicolai Abildgaard für die Ausschmückung des Rittersaals am Schloss Christiansborg, um 1785)

Tafel 10: Der junge Christian IV. als Richter (von Wilhelm Marstrand, Grabkapelle des Königs Christian IV. in der Kathedrale von Roskilde, 1911)

Anhang: Farbtafeln

Autorenverzeichnis Arlinghaus, Franz-Josef, Dr., Universität Kassel, Gesellschaftswissenschaften, Fachbereich 05, Mittelalterliche Geschichte, Nora-Platiel-Str. 1, 34109 Kassel, Deutschland Cairns, John W., LL.B., Ph.D., Professor of Legal History, University of Edinburgh, School of Law, Old College, South Bridge, Edinburgh, EH8 9YL, United Kingdom JWC Gauvard, Claude, Dr., Professeur à l’Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne, 57 rue Vasco de Gama, 75015 Paris, France Halpérin, Jean-Louis, Dr., Professeur à l’Ecole Normale Supérieure Paris, UMR CNRS 7074, Centre „Théorie et analyse du droit“, 48 boulevard Jourdan, 75014 Paris, France Kocher, Gernot, Dr. Dr. h.c., Ordentlicher Professor für Österreichische Rechtsgeschichte, Universität Graz, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universitätsstrasse 15, 8010 Graz, Österreich Lemonnier-Lesage, Virginie, Maître de conférences en Histoire du Droit, Université d’Auvergne, Faculté de Droit et de Science Politique – Clermont 1, 41 boulevard François-Mitterand B.P. 54, 63002 Clermont-Ferrand Cedex 1, France Lück, Heiner, Dr., Professor für Bürgerliches Recht, Europäische, Deutsche und Sächsische Rechtsgeschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Juristische Fakultät, 06099 Halle an der Saale, Deutschland Martyn, Georges, Dr., Rechtsanwalt und Professor für Rechtsgeschichte und Rechtsmethodik, Universität Gent, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Fachbereich Grundlagen und Geschichte des Rechts, Universiteitstraat 4, 9000 Gent, Flandern, Belgien Oestmann, Peter, Dr., Professor für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Rechtsgeschichte – Germanistische und Kanonistische Abteilung, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universitätsstr. 14–16, 48143 Münster, Deutschland Ostwaldt, Lars, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft – Germanistische Abteilung, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Friedrich-Ebert-Platz 2, 69117 Heidelberg, Deutschland Plessix-Buisset, Christiane, Professeur d’histoire du droit, Université Rennes 1, Faculté de Droit et de Science Politique, 9 rue Jean Macé, 35042 Rennes Cedex, France Schild, Wolfgang, Dr., Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsgeschichte und Rechtsphilosophie, Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universitätsstr. 25, 33615 Bielefeld, Deutschland

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Autorenverzeichnis

Schmidt, Christine D., M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt C3 „Symbole im Gerichtsverfahren“ des Sonderforschungsbereichs 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Salzstr. 41, 48143 Münster, Deutschland Schott, Clausdieter, Dr., Professor em. für Rechtsgeschichte und Privatrecht, Universität Zürich, Privatanschrift: Dorfstrasse 37, 8126 Zumikon, Schweiz Schulze, Reiner, Dr., Professor für Deutsches und Europäisches Zivilrecht, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Direktor des Instituts für Rechtsgeschichte an der Universität Münster, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universitätsstr. 14–16, 48143 Münster, Deutschland Schwerhoff, Gerd, Dr., Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit, Technische Universität Dresden, Philosophische Fakultät, Institut für Geschichte, Helmholtzstr. 10, 01069 Dresden, Deutschland Tamm, Ditlev, Dr. jur. et phil., Professor für Rechtsgeschichte, Universität Kopenhagen, Juristische Fakultät, Abteilung 1, Studiestræde 6, 1455 Kopenhagen, Dänemark Van der Velden, Bastiaan D., Dr., Mitarbeiter an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Universität von Amsterdam, Spui 1-b, 1012 WX, Amsterdam, Niederlande Watkin, Thomas Glyn, Professor of Law and Head of the Department of Law, University of Wales, Bangor, Gwynedd, LL57 2DG, Wales, United Kingdom