Die Rechtfertigungslehre nach Paulus und nach Jakobus 9783111694719, 9783111306896

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Die Rechtfertigungslehre nach Paulus und nach Jakobus
 9783111694719, 9783111306896

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Die Rechtfertigungslehre nach Paulus und nach Jakobus von

D. EUGEN MENEGOZ Professor der Theologie an der Universität in Paris,

Vom Verfasser durchgesehene Übersetzung.

Glessen

J. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung (Alfred Töpelmann)

1903.

Erschienen in „Etudes de Théologie et d'Histoire, publiées par M. M. les Professeurs de la Faculté de Théologie protestante de Paris, en hommage à la Faculté de Théologie de Montauban, à l'occasion du tricentenaire de sa fondation. Paris, Librairie Fischbacher, 33, Rue de Seine. 1901. Preis M. 8,—.

v . Miinchow'sche Hof- u. Universitäts-Druckerei fO. Kindt) Giessen.

Ein aufmerksames Studium der paulinischen Schriften und des Jakobusbriefes hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass die Lehren dieser beiden Schriftsteller über die Heilsbedingungen keineswegs — wie man nach einer oberflächlichen Lektüre glauben könnte — im Gegensatz zu einander stehen. Höchstens wird man sagen dürfen, dass ihre theologischen Anschauungen in diesem Punkte um eine Schattierung von einander abweichen. Den Beweis für diese Auffassung wird die vorliegende Abhandlung bringen. Dabei haben wir uns weder mit Einleitungsfragen noch mit Fragen der Kritik zu beschäftigen. W i r müssen uns auf die Erklärung beschränken, dass wir gute Gründe zu der Annahme haben, dass die Stelle des Jakobusbriefes, die sich auf die Rechtfertigung durch den Glauben bezieht (Kap. 2, 14—26), die paulinische Theologie im A u g e hat, von welcher der Verfasser des Briefes, ein Judenchrist, der mit Jesu Lehre sehr vertraut war, nur eine unvollkommene Kenntnis besass. W a s ihre Entstehungszeit betrifft, so sind wohl die Briefe des Apostels Paulus und der des Jakobus ungefähr gleichzeitig anzusetzen, denn vor der Missionstätigkeit des Paulus w a r die Lehre von der Rechtfertigung a l l e i n d u r c h d e n G l a u b e n nicht theoretisch formuliert worden, und nach seinem Tode würde eine Polemik gegen diese Lehre zwecklos gewesen sein, da sie unseres Wissens niemand mehr vertrat.



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Stellen w i r zunächst die angeblich sich widersprechenden A u s s a g e n der beiden Verfasser neben einander. Die T h e s e des Paulus lautet: „ S o s c h l i e s s e n w i r d e n n , d a s s d e r M e n s c h d u r c h G l a u b e n g e r e c h tf e r t i g t w e r d e o h n e G e s e t z e s w e r k e " , Xof.&JiAsfra ouv Sizatoüo&a; 7cia~ei av&po)i:ov ytap'.C £p"fyj. îyo>) durch „auch" zu übersetzen, wird daraus ersichtlich, dass Jakobus es öfters in diesem Sinne gebraucht (2, 19; 3, 3. 6; cf. II. K o r . 2, 1 0 ; Hebr. 2, 14 ; Joh. 13, 14). Diese Ubersetzung scheint mir die Schwierigkeiten zu heben, die die Auslegung dieser Stelle bietet, (cf. L e Rapport du Doyen, à la séance de rentrée de la Faculté etc. Paris 1885 p. 7.)

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Nachdem wir die Lehre des Jakobus festgestellt haben, gehen wir zu der des Paulus über. Wir haben auch hier zunächst zu untersuchen, welche Bedeutung die Ausdrücke Sixa-.oüa&a!, sp-fa und iciatiq bei Paulus haben. Wie wir bereits gesehen haben, ist die T h e s e des Apostels im Briefe an die Römer folgendermassen formuliert: „ S o s c h l i e s s e n w i r d e n n , d a s s d e r M e n s c h d u r c h G l a u b e n g e r e c h t f e r t i g t w e r d e o h n e Ges e t z e s w e r k e " — Xofi^!>|J-£9'a oüv §!x«'.oüaSa! 7ciatet ctvSpwxov ycopiq £p((uv vojHiu (Kap. 3, 28) 1 ). Gleich zu Anfang tritt uns ein Wort in diesem Satze entgegen, das uns in der Erörterung der These des Jakobus nicht begegnet ist, nämlich das Wort vd|ioq, das ¿'p-(a näher bestimmt: "/(upie; ¿'pycov vo'nou, „ohne die Werke d e s Gesetzes". Diese Näherbestimmung ist von höchster Wichtigkeit, da sie den Begriff ep^a im paulinischen Sinne fixiert; sie belehrt uns darüber, welche Werke der Mensch nach Paulus nicht nötig hat, um gerechtfertigt zu werden, welche Werke es sind, die für den Heilswert des Glaubens keine Bedeutung haben: es sind die Werke des G e s e t z e s , die gesetzlichen Werke. Und unter dem G e s e t z versteht Paulus d i e T h o r a , die mosaische Gesetzgebung, das levitische Gesetzbuch. Den Beweis dafür, dass dies wirklich der Sinn des Ausdrucks ¿'pfa vd[iou ist, liefert eine Stelle, die sich kurz vorher findet: 3, 2 1 , denn da gebraucht der Apostel, statt zu sagen ¿'pya V O ' J J L O U , einfach den Ausdruck VO\WQ-. vuvl 8 E Xwp'-C vdjiou o'.xat'jauvTj fkoü xstpavepojTai, „nun aber ist Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden o h n e d a s G e s e t z " statt „ o h n e d e s G e s e t z e s W e r k e " . Paulus will damit sagen, dass die Beobachtung der rituellen levitischen Vorschriften des mosaischen Gesetzes für das Heil nicht mehr nötig, sondern von nun an der „Glaube", die itiaxtc;, genügt. ') 7'",''^ bedeutet: ausserhalb von, abgesondert von, unabhängig von, ohne,



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In dem Brieie an die Galater (Kap. 5, 13 — 25) spricht der Apostel von den „ W e r k e n des Fleisches" und den „Früchten des Geistes". Mitten in dem Passus, in dem er die W e r k e des Fleisches beschreibt, sagt er: „ihr seid nicht unter dem Gesetze". Damit kann der Apostel nicht das S i t t e n g e s e t z meinen, denn dadurch, dass er gegen die W e r k e des Fleisches zu Felde zieht, predigt er ja gerade das Sittengesetz. Das „Gesetz" ist hier wie in der erwähnten Römerstelle das Ievitische Gesetzbuch mit seinen rituellen Vorschriften. Uebrigens wissen wir, welche speziellen Vorschriften Paulus im A u g e hatte, als er in diesem Gedankenzusammenhang vom vo'jioQ sprach. Es sind die Gesetze, die sich auf die Beschneidung beziehen, auf die Enthaltung von gewissen Fleischspeisen, auf die Heiligung bestimmter T a g e , auf die Beobachtung gewisser äusserer Bräuche, die den Juden vom Heiden unterscheiden. Das sind die W e r k e , die der Glaube nicht nötig hat, um wirkungskräftig zu sein. Man braucht sich nur einigermassen mit dem grossen Kampfe, den Paulus g e g e n die Juden und Judenchristen geführt hat, vertraut zu machen, um zu erkennen, dass es sich um die F r a g e drehte, ob die rituellen Vorschriften der mosaischen G e s e t z g e b u n g für den Christen bindend wären oder ob man, um selig zu werden, nur des Glaubens an Jesum Christum bedürfe. Das w a r der grosse Gegensatz, um den es sich handelte. W e n n noch der geringste Zweifel über diesen Sinn des W o r t e s epya in seiner Gegenüberstellung zum W o r t e TtioTtc innerhalb der paulinischen Theologie obwalten könnte, so würde er schwinden müssen angesichts der Tatsache, dass Paulus da, w o er von guten W e r k e n redet, die nähere Bestimmung xaXri oder dfa&a hinzufügt. Man vergleiche Eph. 2 , 8 — 1 0 , w o der A u s d r u c k ep?a sich in diesem doppelten Sirine findet: „Ihr seid errettet durch den Glauben, n i c h t aus W e r k e n " , — irjv, — und



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„wir sind geschaffen in Christo Jesu zu g u t e n W e r k e n " , — xüad-svTee; sv Xp'.otol Myjooü sxi spfotq d-j-aö-oir. Der Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen des Wortes ¿'p(a in der paulinischen Terminologie kann nicht klarer zum Ausdruck gebracht werden als hier. Man vergleiche noch Kol. i, xo: „fruchtbringend in a l l e m g u t e n W e r k e " sv -avxi spfci> ¿¡Y"®''? xap/tocpopoövxeq. II. Kor. 9, 8: „dass ihr die Fülle habt zu j e d e m g u t e n W e r k e " , 'iva xsp'.aasiyjie itav spfov äpftdv. cf. I. Tim. 2, 1 0 ; 5, xo. 2 5 ; 6, 1 8 : „reich sein in g u t e n W e r k e n " , icXoutsiv ev ¿'pfotc xakol^. II. Tim. 2, 21 „zu j e d e m g u t e n W e r k bereit", — siq Ttctv ¿'p-,-civ a-fa&o'v yjto!|i.aa|iev(iv. A n einer andern Stelle nennt Paulus die guten Werke die Früchte des Geistes: „die Früchte des Geistes sind: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit" (Gal. 5, 22). Denken wir endlich noch an das herrliche Hohelied der Liebe, der Bruderliebe «fcticrj, von der Paulus im 1 3 . Kapitel des ersten Korintherbriefes sagt: „Wenn ich mit Menschenund mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte, und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis, und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze." Diese Stelle allein könnte uns vollkommen davon überzeugen, dass Paulus, wenn er sagt, der Mensch bedürfe der ¿'p^a vo'^ou nicht, um gerettet zu werden, unter den „Werken des Gesetzes" etwas ganz anderes versteht als die chrisliche Bruderliebe. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass die epfa vd|iot> die rituellen Vorschriften des mosaischen Gesetzes sind. Der Christ bedarf ihrer nicht, um gerettet zu werden. E r wird Xojplc; £p7«>v vdjwu gerechtfertigt. W a s ihn rettet, das ist: der Glaube,



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Betrachten wir jetzt genauer, was Paulus unter „Glauben" versteht. Zunächst ist offenbar, dass die msnc; in der paulinischen Lehre keineswegs ein blosser Verstandesglaube, eine rein intellektuelle Glaubensmeinung (croyance) ist. Ein solcher Glaube würde nach Paulus völlig wirkungslos sein, „ohne Kraft", „tot", ap-prj, vsxpa, um die Ausdrücke des Jakobus zu gebrauchen. Faulus sagt das klar und deutlich in der eben angeführten Stelle: „wenn ich allen G l a u b e n hätte, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich n i c h t s " , der Glaube, den Paulus fordert, ist ein lebendiger, tätiger, sich in guten Werken offenbarender Glaube: idattj|JL|isv irvsu|j.aTi, irvsu^aTi xat o-cot}(ä>(j.ev, d. h. lasset uns in der Heiligkeit der geistlichen Welt, in die wir durch die virtuelle Auferweckung mit Jesu Christo eingetreten sind, unsern Wandel führen. W i r sehen also: statt die guten Werke abzutun, fordert die paulinische Lehre sie vielmehr geradezu; und wenn Paulus sagt, dass wir ohne des Gesetzes W e r k e gerechtfertigt werden, so hat er einzig und allein die rituellen Bräuche des Mosaismus im A u g e .



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Nachdem wir somit die Begriffe „ R e c h t f e r t i g u n g " , „ G l a u b e " und „ W e r k e " , wie Jakobus und Paulus sie auffassen, festgestellt haben, können wir die Gesamtanschauungen der beiden Verfasser in diesem Punkte vergleichen. Zunächst geht aus unsrer Untersuchung hervor, dass beide die Ausdrücke xionq, sp-fa und Stxaioüa&at in einem andern Sinne nehmen. Unter x!attc versteht Jakobus die rein intellektuelle Glaubensmeinung, während Paulus unter Tttotic; die innigste mystische Vereinigung der Gläubigen mit Christo und durch Christum mit Gott versteht. Unter £pfa versteht Jakobus die guten W e r k e und Paulus die rituellen Bräuche. Unter „Rechtfertigung" versteht Jakobus die Lossprechung, die Vergebung, den Erlass der Sünden, während in der paulinischen Lehre die Rechtfertigung die Konsequenz des Sühnewerkes Christi ist, nämlich die dem Gläubigen angerechnete Gerechtigkeit des Erlösers. Die Lehre des Jakobus könnten wir etwa folgendermassen umschreiben: Um von Gott die Vergebung der Sünden zu erlangen, genügt es nicht, korrekte Glaubensanschauungen zu haben; Gehorsam gegen Gott und Liebe zu dem Nächsten müssen zu den Glaubensanschauungen hinzukommen, um ihnen eine heilskräftige Wirkung zu verleihen. Und die paulinische Lehre kann man folgendermassen paraphrasieren: W a s uns vor Gott rechtfertigt, ist nicht die Beobachtung der rituellen Vorschriften des mosaischen Gesetzes, sondern die durch den Glauben bewirkte mystische Vereinigung mit Jesu Christo, eine Vereinigung, die sich in der Heiligkeit des Lebens und in der Liebe zum Nächsten kundgibt. W i e man sieht, widersprechen diese beiden Thesen einander keineswegs. — Bisher standen wir auf dem festen Boden der biblischen Texte, und wir glauben nicht, dass man unsere Resultate wird bestreiten können. A b e r die Ergebnisse, zu denen wir gekommen sind, führen zu einer ganzen



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Reihe von Fragen, über die die Theologen durchaus nicht einig sind und die jeder nach seinem exegetischen, historischen und dogmatischen Empfinden beurteilt. Angesichts der Verschiedenheit der Gesichtspunkte bei Paulus und bei Jakobus sind mehrere A u s l e g e r dazu gekommen, bei letzterem jede Absicht einer Polemik gegen die paulinische Lehre in A b r e d e zu stellen. Z w e i hervorragende Kritiker, Massebieau und Spitta, gehen sogar so weit, den Jakobusbrief im ersten Jahrhundert vor Christus anzusetzen und ihn einem frommen Juden zuzuschreiben, dessen Schrift später durch einen Christen etwas interpoliert worden wäre. W i r können an dieser Stelle keine eingehende Prüfung dieser Hypothesen, die unserm exegetischen Empfinden und unsern historischen Anschauungen widerstreben, v o r n e h m e n D i e Anspielungen des Jakobus auf die L e h r e des Paulus treten nach unserm Dafürhalten zu augenscheinlich zu T a g e . Nicht allein war Paulus, wie bereits gesagt, der erste, der den Glauben den W e r k e n gegenüberstellte, sondern Jakobus nimmt sogar in den von ihm gewählten Ausdrücken einen der paulinischen Formulierung widersprechenden Standpunkt ein. Und w a s noch schwerer wiegt, er bemüht sich, dem gewichtigsten biblischen A r g u ment des Paulus die Spitze abzubrechen; und um diesen Z w e c k zu erreichen, erlaubt er sich sogar, dem T e x t der Genesis ein wenig G e w a l t anzutun. Paulus hatte in der Genesis als Stütze für seine Lehre das charakteristische W o r t gefunden: „ A b r a h a m glaubte Gott, und das w u r d e ihm zur Gerechtigkeit gerechnet" (Gen. 15, 6). Der Apostel muss es oft angeführt haben, denn wir finden es im Brief an die R ö m e r (4, 3) und in dem an die Galater (3, 6); und ') Ein Interpolator würde sich wahrscheinlich nicht damit begnügt haben, zweimal den Namen Jesus Christus in den Brief einzuf ü g e n ; er hätte zahlreichere Zusätze gemacht, um den christlichen Charakter der Schrift schärfer zu markieren.



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einer seiner Schüler spielt im Brief an die Hebräer darauf an (cp. i i ) . Dies alttestamentliche W o r t war für die paulinische Beweisführung von bedeutender Tragweite. Es hat den Jakobus wahrscheinlich sehr in Verlegenheit gesetzt. Um es abzuschwächen, bezieht er es daher nicht auf die G e b u r t Isaaks, wo es sich im biblischen Berichte findet, sondern auf seine Opferung; und dadurch wird es statt eines Arguments, das die paulinische Lehre stützt, ein Argument zu Gunsten der Rechtfertigung durch die Werke. Wenn Jakobus einfach seine Lehre von der Notwendigkeit der guten W e r k e mit einem biblischen Citat hätte stützen wollen, so hätte er die Wahl unter einer Menge von Stellen gehabt, und er hätte sich nicht gerade auf eine Stelle berufen, die n u r d e n G l a u b e n und n i c h t d i e W e r k e erwähnt. Wenn er nun aber trotzdem glaubte, diese Stelle anführen und auf seine Weise auslegen zu sollen, so hat dies seinen Grund darin, dass er einen polemischen Hintergedanken hatte, und der konnte sich nur auf die paulinische Lehre beziehen. Es ist uns daher unmöglich, der Ansicht derjenigen Theologen beizustimmen, die den Brief des Jakobus völlig ausserhalb der Gedankenströmungen stellen, welche die Predigt des Paulus in den christlichen Gemeinden erzeugt hatte. Andrerseits ist, wie wir schon bemerkt haben, offenbar, dass diese Polemik das Ziel verfehlte. Jakobus hat die Lehre Pauli missverstanden. Wie ist dies Missverständnis zu erklären? Der massvolle T o n des Briefes, die ruhige Weise, in der der Verfasser seine Argumente darlegt, das Fehlen jeder kirchlichen Leidenschaft verbieten die Annahme, dass der Verfasser, als er den Brief schrieb, persönlich in den Streit zwischen Paulus und den Judenchristen verwickelt gewesen sei. Aus seinen Argumenten scheint hervorzugehen, dass nur ein abgeschwächtes und wenig getreues Echo des Kampfes zu ihm gedrungen ist. Ein an dem Lehrstreit lebhaft beteiligter Judenchrist hätte



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besser gewusst, um was es sich handelte; er hätte gegen Paulus gekämpft, um die Autorität des mosaischen Gesetzes aufrecht zu erhalten, nicht aber um für die guten Werke, die der Heidenapostel gar nicht bedrohte, eine Lanze zu brechen. W i r müssen daher annehmen, dass Jakobus unzureichend unterrichtet gewesen ist, sei es, dass er seine Berichterstatter nicht richtig verstanden hatte, sei es, dass diese selbst die Lehre des Apostels nur unvollkommen erfasst hatten. W i r wissen übrigens ja, dass Paulus unablässig genötigt war, die falschen Auslegungen seiner Lehre in seinen eigenen Gemeinden zu bekämpfen. Es ist daher sehr begreiflich, dass irrtümliche Auslegungen sich nach aussen verbreiteten, und dass Jakobus die paulinische Lehre nur in entstellter Form kennen gelernt hatte. Hier legt sich uns die F r a g e nahe, ob Paulus nicht selbst ein wenig zu diesem Missverständnis Anlass gegeben hat; und wenn wir die Art beachten, wie er seine Rechtfertigungslehre darlegte, können wir ihn darin nicht von aller Schuld freisprechen. Er hat es nie zu einer klaren Unterscheidung zwischen dem sittlichen und dem rituellen Gesetz in der Thora gebracht. Gewiss hat der Apostel diesen Unterschied instinktiv empfunden; in der praktischen Anwendung macht er ihn auch stets, aber zu einer theoretischen Formulierung ist er nie gelangt. Das mag uns auffällig sein, aber wir müssen es konstatieren. Und man wende nicht etwa ein, Paulus habe nicht alles, was er lehrte, in seinen Briefen zur Sprache bringen können, die Auslassung einer ausdrücklichen Unterscheidung zwischen dem sittlichen Gesetz und den rituellen Vorschriften könne sehr wohl rein zufällig sein. Nein, sie ist nicht zufällig, denn man fühlt aus den Schriften des Apostels deutlich heraus, wie er fortwährend mit der Schwierigkeit ringt, die aus der Vermischung der rituellen Gesetze und der Gebote des Sittengesetzes entsteht; wie viel ihm diese Schwierigkeit zu

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schaffen macht, und dass es ihm trotz aller Anstrengungen nicht gelingen will, sich in völlig klarer, bewusster, theoretischer Weise damit auseinander zu setzen. Diese Unsicherheit ist leicht erklärlich, wenn man bedenkt, dass die Thora für den Juden eine Einheit bildete, dass die sittlichen und rituellen Gesetze in ihr unterschiedslos vermengt sind, dass allen der selbe göttliche Ursprung und die selbe göttliche Autorität eignet, daher sie auch alle von dem Israeliten die gleiche Achtung und Unterwerfung fordern. Auch wissen wir, mit welcher peinlichen Genauigkeit die Israeliten, besonders die Pharisäer, zur Zeit Jesu die Vorschriften des mosaischen Gesetzes beobachteten, wie sie die Forderungen des Gesetzes noch überboten dadurch, dass sie es mit einem sogenannten Zaun umgaben, d. h. mit einer Reihe von Ergänzungsvorschriften, deren Beobachtung den Gläubigen gegen jede Gefahr der Übertretung sicher stellte. Bei solchen Anschauungen lag dem israelitischen Denken nichts ferner als eine Sichtung in dem Gesetze vorzunehmen und eine Unterscheidung zwischen den sittlichen Gesetzen und den rituellen Vorschriften durchzuführen. Die Judenchristen in Jerusalem besuchten regelmässig den Gottesdienst im Tempel und beobachteten das mosaische Gesetz ebenso streng wie die Juden; das war sogar einer der Gründe, derenwegen sie vom Volk, wie uns die Apostelgeschichte berichtet, so hoch geachtet wurden (cp. 2, 46t.). Es ist daher nicht zu verwundern, dass es Paulus, dem früheren Pharisäer, nicht sogleich gelungen ist, theoretisch zwischen sittlichen und rituellen Gesetzen zu unterscheiden. Ausserdem hinderte ihn daran auch noch seine Theorie, dass der Gläubige durch seine virtuelle Kreuzigung mit Christo dem Gesetz mit Christo abgestorben sei. Da wir mit Christo gestorben sind, so sind wir dem Gesetz, dem g a n z e n Gesetz, nicht nur diesem oder jenem Teile des

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Gesetzes abgestorben. S o begünstigte die paulinische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben den Zusammenschluss der sittlichen und ceremoniellen Gebote im Gesetzbuch. Daher betrachtet Paulus das, was er „ d a s G e s e t z C h r i s t i " nennt, als ein neues Gesetz, das G e setz der jenseitigen, der himmlischen Welt. Bei Paulus stehen das Gesetz Mosis einerseits und das Gesetz der oberen, göttlichen Welt andererseits im Gegensatz zu einander. Der Apostel ist nie zu der t h e o r e t i s c h e n Einsicht gelangt, dass das Gesetz der oberen Welt als S i t t e n g e s e t z auch in d e r T h o r a existiert, und dass dieses Sittengesetz sich von den rituellen Vorschriften, die einen zufälligen, temporären Charakter tragen, wesentlich unterscheidet *). Jakobus andrerseits wird wohl kaum im stände gewesen sein, eine theoretische Unterscheidung des sittlichen Gesetzes und des rituellen Gesetzes in der T h o r a vorzunehmen. In seinem Brief lernen wir ihn als einen ') In einer sehr subtilen Beweisführung erklärt Paulus, dass er das Gesetz aufrichte, indem er es abschaffe; denn, sagt er, das Gesetz prophezeie selbst sein eigenes Ende (Rm. 3, 2 1 . 31). Ohne es zu merken, gebraucht er den Ausdruck vä|j.o; bald in dem Sinne: r i t u e l l e s G e s e t z , bald in dem: B u c h d e s G e s e t z e s , h e i l i g e S c h r i f t . Diese Begriffsverschmelzung gestattet ihm, sich auf das Gesetz, d. h. die heilige Schrift zu berufen, um die Abschaffung des Gesetzes, d. h. der rituellen Vorschriften zu predigen, und unablässig das Gesetz als Autorität zu citieren, während er es doch zugleich für abgeschafft erklärt. Er ist sich dieses Widerspruchs niemals bewusst geworden und hat nicht gemerkt, dass seine im Grunde so richtige Beweisführung doch in der Form, in der dialektischen Argumentation verfehlt war, weil sie auf einem zweifachen Sinn von vo|ioi; beruhte. Wenn man den Abschnitt Rm. 2, 1 1 —15 aufmerksam durchgellt, so ist man überrascht, dass Paulus die drei Vorstellungen, die er mit dem Ausdrucke G e s e t z bezeichnet: das S i t t e n g e s e t z , das R i t u a l g e s e t z und die h e i l i g e S c h r i f t nicht hat theoretisch unterscheiden können, obwohl er ihren Unterschied so richtig empfunden hat.



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frommen Laien, einen Judenchristen kennen, der in der griechischen Sprache ziemlich bewandert, aber ohne theologische Bildung war. Er ist nicht wie Paulus durch die Schule der Rabbiner gegangen. Die Überlieferung hat in ihm den Apostel Jakobus sehen wollen; aber dieser war schon vor dem Aufkommen der paulinischen Kontroverse gestorben. Zahlreiche neuere Theologen glauben den Brief dem Jakobus, dem Bruder Jesu, dem Haupt der christlichen Gemeinde zu Jerusalem, zuschreiben zu sollen, der bekanntlich mit Paulus über das Gesetz in Meinungsverschiedenheit geraten ist. Die polemische Stelle des Briefes, die sich gegen den Paulinismus richtet, scheint in der Tat für diese Hypothese zu sprechen. Aber in dem Streit zwischen Paulus und dem Bruder Jesu handelte es sich nicht um die guten Werke, und andrerseits finden wir in dem Brief nicht den geringsten Z u g jüdischer Gesetzlichkeit. Das entspricht in keiner Weise der Persönlichkeit des Jakobus, wie wir sie durch die Apostelgeschichte und die Briefe Pauli kennen. Man hat auch die Hypothese aufgestellt, der Brief sei ursprünglich anonym gewesen, und ein christlicher Abschreiber habe den Namen des Apostels Jakobus hinzugefügt, um der Schrift Aufnahme in den Kanon des Neuen Testamentes zu verschaffen. Diese Hypothese lässt sich unseres Erachtens durch nichts begründen. Der Verfasser nennt sich nicht Apostel, wie jener Zweck es erfordert hätte, und wir haben den Eindruck, dass der Name Jakobus von Anfang an in der Begrüssung gestanden haben muss. Da aber dieser Name damals sehr verbreitet war, ist es uns unmöglich, den Verfasser zu identifizieren, und wir müssen uns damit begnügen, ihn Jakobus zu nennen, und uns mit dem übrigens sehr lebensvollen Bilde, das seine Schriit wiederspiegelt, zufrieden geben. Der Verfasser war ein Jude, soviel steht fest. Der Umstand aber, dass von einem gesetzlichen Zuge in seinem



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Briefe nichts zu spüren ist, führt uns zu der Annahme, er habe zu der damals nicht unbeträchtlichen Klasse von Juden gehört, die das jüdische Ritualgesetz mehr oder weniger ausser Brauch hatten kommen lassen und sich vornehmlich an die moralische Seite der Thora hielten. Diese Juden, die auf die edlen und religiös gerichteten Seelen der heidnischen Welt einen günstigen Einfluss ausübten, waren auch für die Lehren des Christentums, besonders des galiläischen Christentums, wie es uns in den synoptischen Evangelien entgegentritt, sehr zugänglich. Jakobus hat, allem Anschein nach, die Predigt Jesu selbst gehört, so viele formale und materielle Ähnlichkeiten mit der Unterweisung des Meisters finden sich in seiner Schrift: jedenfalls ist er in den Geist der urapostolischen Predigt tief eingedrungen, ohne doch sie irgendwie zum Gegenstand theologischer Bearbeitung zu machen. Ebenso wie für Paulus bilden für Jakobus die Gesetze der Thora Israels ein einheitliches Ganze. Aber in seiner Polemik gegen die paulinische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben ohne des Gesetzes W e r k e hat Jakobus, statt sich an die rituellen Vorschriften zu binden, nur das hervorgehoben, was nach seiner Ansicht den eigentlichen Irrtum dieser Lehre ausmachte: die Rechtfertigung durch den Glauben ohne gute Werke, ohne W e r k e der Liebe. Und sicherlich befand er sich damit auf einem sehr günstigen Boden. Auf diesen Standpunkt stellen sich noch heute die katholischen Theologen in ihrem Streit mit den Protestanten über die Rechtfertigung durch den Glauben. In der Laienwelt verfehlt das selten Eindruck zu machen. Wenn Paulus von Anfang an den Unterschied zwischen den rituellen Vorschriften der Thora und dem moralischen Gesetz klar und deutlich formuliert hätte, so hätte dieser Streit nicht stattgefunden oder wenigstens eine ganz andere W e n d u n g genommen. Aber der allgemeine Ausdruck „Werke" beförderte das Missverständnis ausserordentlich.



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W i r müssen uns jedoch fragen, ob zwischen Jakobus und Paulus nur ein blosses Missverständnis obgewaltet hat. Man würde unseres Erachtens einen Fehler begehen, wenn man mit einem strikten Ja oder Nein antwortete. Die Antwort ist nicht so einfach: auf der einen Seite haben wir es mit einem Laien zu tun, der ohne jede Schärfe des Geistes die Dinge nur in ihren allgemeinen Umrissen sieht und dem die Feinheiten der theologischen Dialektik ganz fremd sind, und auf der andern Seite mit einem Rabbinenschüler, einem Denker und Dialektiker ersten Ranges. Unter diesen Umständen erheben sich bei einem Vergleiche manche Schwierigkeiten. Stellt man sich auf den rein theologischen Standpunkt, ohne den Unterschied in der Bildung der beiden Verfasser in Rechnung zu ziehen, so muss man, trotz der Übereinstimmung, die unsre Untersuchung dargelegt hat, Schattierungen in ihren dogmatischen Tendenzen konstatieren. Doch können wir hier nur Vermutungen aufstellen. Ja stände es fest, dass der Verfasser des Briefes Jakobi der Bruder Jesu wäre, so würden wir unbedingt behaupten, dass derselbe dem Apostel Paulus niemals zugestanden hätte, die Abschaffung des Ritualgesetzes sei berechtigt; vielleicht hätte er es in gewissen Fällen und in einem beschränkten Masse für die Heiden zugegeben, — denn denen machte man aus Opportunitätsgründen wohl oder übel einige Concessionen — aber nie für die Kinder Israels, denn ihnen war das Gesetz göttlich, heilig, unantastbar und ewig. Hatte Jesus nicht gesagt, auch nicht ein Jota des Gesetzes würde jemals vergehen? Man musste also wenigstens in der Theorie die Autorität der ganzen Thora aufrecht erhalten. Es ist wenig wahrscheinlich, dass ausserhalb des Kreises der überzeugten Schüler des Paulus, irgend ein Judenchrist, mochte er auch noch so weitherzig sein, der prinzipiellen Abschaffung der mosaischen Vorschriften zugestimmt haben



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würde. Vielleicht hatte der Verfasser des Briefes weniger strenge Anschauungen als der Bruder Jesu; denn er spricht von einem „Gesetz der Freiheit", ein Ausdruck, dessen genauer Sinn sich unsrer Beurteilung entzieht. Aber sicher ist, dass er kein Paulusjünger war. W i r gehen daher wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, dass er sich den Grundsätzen Pauli über die Abschaffung des Gesetzes nicht angeschlossen haben würde. Viele Exegeten sehen zwar in den Worten des Jakobus nur eine brüderliche W a r n u n g vor einem Missbrauch, den man mit der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben treiben könne. W i r halten diese Meinung für unrichtig, denn der Verfasser würde nicht verfehlt haben, wenigstens durch ein Wort anzudeuten, dass er seine Leser nur vor den falschen Auslegungen und Anwendungen einer an sich völlig annehmbaren Lehre warnt. Er tut aber nichts der Art. Vielmehr bekämpft er die paulinische Lehre selbst, die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, und seine W o r t e haben ein ausgesprochen polemisches Gepräge. W i r müssen es daher aufrecht erhalten, dass die Gedanken des Jakobus und die des Paulus in theologischer Hinsicht verschieden nüanciert sind. Aber, wird man uns fragen können, hat Paulus jemals eine verdienstliche Kraft der guten W e r k e geleugnet? Gewiss nicht. Die guten W e r k e waren für ihn die Blüte des Glaubens, die natürliche Folge des Lebens im Geist. Nach seinem Glaubensbegriff erfüllt der Gläubige, der „in Christo" lebt, freiwillig und aus eigenem Antrieb das „Gesetz Christi". Es konnte also in der Gedankenwelt des Paulus zwischen dem Glauben, der selig macht, und der Ausübung der Nächstenliebe kein Gegensatz bestehen. Demnach ist also die F r a g e nach dem Verhältnis von Glauben und Werken, wie Jakobus sie stellt, nämlich die Frage, welche Rolle die Nächstenliebe als verdienstlicher, die rechtfertigende Kraft des Glaubens ergänzender Akt

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spielt, niemals, soviel wir wissen, vor dem Geiste des Apostels aufgetaucht. Wenn er von dem Glauben, der sich in der Liebe betätigt, spricht, so hat er damit alles gesagt. Die von Jakobus behandelte oder eigentlich nur gestreifte F r a g e ist in der Kirche erst in der Zeit der Reformation in den Vordergrund getreten. W i r müssen nichtsdestoweniger auf induktivem W e g e zu erforschen suchen, welche Stellung Paulus auf Grund seiner Prinzipien gegenüber der Lehre der Reformatoren eingenommen haben würde. Würde er sich der Lehre von dem Heil durch den Glauben und nicht durch gute Werke angeschlossen haben (natürlich unter dem Vorbehalt, dass die guten Werke aus dem wahren Glauben hervorgehen)? Wir antworten ohne Bedenken bejahend. Der alles beherrschende Gedanke bei Paulus ist: dem Menschen jeden Grund persönlicher Verherrlichung, jede Eitelkeit, die sich auf eigene Gerechtigkeit stützen könnte, zu nehmen. Der Mensch soll „nicht mit seiner eigenen Gerechtigkeit" (¡xyj lycov e|i7jv 8ix«'.oauvyjv Phil. 3, 9) vor Gott treten, sondern mit der Gerechtigkeit Christi, die denen, die -glauben, zugerechnet wird. Alles kommt von Gott, nichts von dem Menschen, „auf dass sich vor Gott kein Fleisch rühme" (iitu>c; [jltj xaoy^airjTa! x«aa oap^ svomov toü dsoü, I. Kor. 1, 29; cf. Rm. 3, 27 — 30). Mit solchen Grundsätzen konnte Paulus den besten Werken der Menschen keine rechtfertigende Kraft zuerkennen. Aller Ruhm geht auf Jesum Christum zurück, alles Verdienst auf sein Erlösungswerk. In der Theologie des Paulus ist unser Heil einzig und allein das W e r k Gottes durch Jesum Christum und auch nicht im geringsten unser eigenes W e r k , wie gross auch unsere Tugenden sein mögen. Paulus hätte also nicht mit Jakobus lehren können, dass unsre guten Werke mit dem Glauben zu unserm Heile mitwirken. Eine solche Lehre widerspricht dem ganzen Aufbau seiner Theologie. Und man findet in den paulinischen Briefen auch keine A u s s a g e



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dieser Art. Freilich würde der Apostel, der schon nicht im stände war, eine theoretische Unterscheidung zwischen dem Sittengesetz und den rituellen Vorschriften zu machen zu einer Zeit, da diese Frage an der Tagesordnung war, noch viel weniger theoretisch zwischen Rechtfertigung und Heiligung haben unterscheiden können, zumal ein solcher Unterschied bei den damaligen Kontroversen nicht in Frage kam. Wir können also nur durcli Induktion seine Antwort finden; aber wir sind dess gewiss, dass die von unsern Reformatoren gepredigte Lehre durchaus in der Logik der paulinischen Vordersätze liegt. Und wir dürfen mit ihnen den Schluss ziehen, dass nach Paulus die guten Werke an und für sich keine rechtfertigende Kraft haben, aber dass der rechtfertigende Glaube mit innerer Notwendigkeit gute Werke hervorbringt; die guten Werke sind eine Wirkung, eine Frucht des Glaubens; und unter diesem Gesichtspunkt gibt es keinen Glauben ohne gute Werke. Aber was uns rechtfertigt, das ist einzig und allein der Glaube, und nicht die guten Werke, die sich daraus ergeben. Das ist, prinzipiell betrachtet, die These des Apostels Paulus. Diese These hätte Jakobus nicht zugegeben. Er war Synergist. Nach ihm wirken die guten Werke mit dem Glauben mit, und der Glaube mit den Werken; die Werke der Nächstenliebe haben verdienstlichen Wert, rechtfertigende Kraft. Jakobus hat gar kein Verständnis für die Anschauung des Paulus, dass die Gerechtigkeit Christi den Gläubigen zugerechnet werde. Wenn er diese Lehre überhaupt kannte, so ging sie jedenfalls weit über seinen geistigen Horizont. Jakobus wollte als Mann der Praxis den Glauben s e h e n , — SeTSjov' ¡j.01 --Jjv idotiv ooü, — und da der Glaube sich nur in Werken zeigen kann, hat Jakobus Glauben und Werke zu einem einzigen Begriff verschmolzen und ihnen in ihrer Vereinigung rechtfertigende Kraft zuerkannt: epYiuv Stxa'.oütat ävfrpaiKOQ xai oüx ex iciateuic; ¡AO'VOV . . . yj xiaxtc

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ouv^p-p. Toiq Ipyjic:. Diese synergistische Auffassung ist in systematischer Verarbeitung die offizielle Lehre der katholischen Kirche geworden. *

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Stehen wir da vor einer tiefgreifenden Meinungsverschiedenheit? Ist zwischen der Lehre des Jakobus und der des Paulus eine unlösbare Antinomie oder ist ein Ausgleich möglich? Ein Blick genügt, um zu sehen, dass in d e r F o r m ein Ausgleich unmöglich ist; die Ausdrücke stehen in diametralem Gegensatz zu einander. Es steht auch fest, dass eine Verschiedenheit des Denkens zwischen den beiden Auffassungen besteht, und dass, wenn man sie als theologische, reiflich überlegte, in einer Debatte erörterte und wissenschaftlich durchgearbeitete Thesen betrachtet (wie das in der protestantischen und der katholischen Dogmatik geschieht), eine Synthese der beiden Lehren eine Unmöglichkeit ist. Aber die Frage wird wesentlich anders, wenn wir uns darauf beschränken, ausschliesslich die beiden Persönlichkeiten, Jakobus und Paulus, ins Auge zu fassen. Denn dann haben wir es nicht mit zwei Dogmatikern von ungefähr gleicher Stärke, sondern mit einem Laien und einem Theologen zu tun. Und auf diesen von den Theologen zu wenig beachteten Standpunkt muss man sich stellen, wenn man ein gerechtes, wahres und geschichtlich begründetes Urteil über das Verhältnis der beiden Lehren zu einander fällen will. Es wäre falsch und unwissenschaftlich, wenn man das W o r t eines Laien mit demselben Massstab messen wollte, wie die Schrift eines verdienten Theologen. Wenn wir der Wahrheit auf den Grund kommen wollen, dürfen wir den t h e o l o g i s c h e n Massstab n u r an Paulus legen und nur von ihm genaue Rechenschaft über seine Formulierungen, seine Beweisführung und seine einzelnen

- 32 Ausdrücke verlangen. D a g e g e n werden wir uns wohl hüten, die W o r t e des Jakobus auf die G o l d w a g e zu legen; ihm verzeihen wir gern einen unzutreffenden Ausdruck, eine ungenaue, nicht ganz korrekte Formulierung; wir halten ihm seine vielleicht etwas unbeholfene, ungeschickte Ausdrucksweise zu gute; von der Form absehend, werden wir uns vielmehr bemühen, den innern Kern seiner Gedanken herauszuschälen. Das ist die einzig richtige W e i s e über Paulus und Jakobus ein Urteil zu gewinnen und abzugeben. Und wenn wir sie so beurteilen, werden wir sehen, dass im l e t z t e n G r u n d e ihre Gedanken völlig übereinstimmen, dass sie beide das selbe Evangelium verkünden. Vielleicht ist beim Begriff der „Rechtfertigung", an dem der Unterschied am wenigsten hervorzutreten scheint, eine Ausgleichung am schwersten herbeizuführen. Nicht als ob Paulus es ablehnte, wie Jakobus die Rechtfertigung mit der Sündenvergebung zu identifizieren. In diesem Punkte kann man leicht ihre Ubereinstimmung nachweisen. Denn die beiden Begriffe, der V e r g e b u n g im Sinne des Jakobus und der Zurechnung der Gerechtigkeit im Sinne des Paulus, laufen in der Praxis so sehr auf dasselbe hinaus, dass Paulus sich selbst mehrfach des Ausdrucks „ V e r g e b u n g " , „Verzeihung" bedient. Rm. 3, 2 5 spricht er von „Erlassen" der Sünden, — itdpeoi:; TCOV ¿ ¡ I A P T Y J | I . d T ( O V . Rm. 4, 7 zitiert er den ersten V e r s des 32. P s a l m s : „ W o h l dem, dem die Übertretungen vergeben sind". Conf. auch Eph. 4, 3 2 : „Vergebt einer dem andern gleichwie Gott euch vergeben hat in Christo", und Kol. 1 , 1 4 : „in Christo haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden". D e r Gedanke der „Rechtfertigung" bei Paulus begegnet sich also in der Praxis mit dem des Jakobus. Die Grundvorstellung ist die gleiche. Nur fehlt es dem J a k o b u s gänzlich an dem Reichtum an spekulativen Gedanken, über den der Apostel der Heiden so souverän verfügt. E r nennt sich allerdings „Diener Jesu Christi" und bezeichnet diesen als den Herrn der Herrlich-



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keit (cp. i, i ; 2, 1); das sagt uns, dass er an den Auferstandenen glaubt, dessen treuer und hingebender Jünger er ist. A b e r das ist auch alles, was wir von seiner Christologie wissen. Ausser an den beiden erwähnten Stellen kommt der Name Jesus Christus im ganzen Briefe nicht wieder vor. Der Tod Christi scheint in der religiösen Auffassung des Verfassers nicht die centrale Stellung eingenommen zu haben, die er in der Theologie des Paulus hat; er wird gar nicht berührt. Und wenn er von dem „Glauben" spricht, dem Glauben, der mit guten Werken verbunden das Heil des Sünders wirkt, so ist es offenbar der Glaube an Gott und nicht der Glaube an Christus, den er im A u g e hat. Wir sehen uns da der schlichten und ursprünglichen Predigt des Evangeliums gegenüber, wie Jakobus sie aus dem Munde des Herrn selbst hat hören können. Pauliis ist Jesu während seiner irdischen Wirksamkeit nicht nachgefolgt; er erklärt sogar, ihn nicht nach dem Fleisch kennen zu wollen (II. Kor. 5, 16). Nach seiner Bekehrung auf dem W e g e nach Damaskus hat sich seine ganze Aufmerksamkeit auf den Sühnetod und die glorreiche Auferweckung des Sohnes Gottes gerichtet, und seine Lehre von der Erlösung und der Rechtfertigung trägt den Stempel des tiefsten Nachsinnens über das geheimnisvolle Drama. In dieser Beziehung existiert offenbar zwischen der Gedankenwelt des Paulus und der des Jakobus ein grosser Unterschied. A b e r Theologie ist nicht Religion. Und wenn wir den r e l i g i ö s e n Gedanken des grossen Apostels auf den Grund gehen, so finden wir, dass er im letzten Grunde uns den Glauben Abrahams, des Vaters und Vorbildes der Gläubigen, als das Ideal des seligmachenden Glaubens hinstellt (Rm. 4; Gal. 3) 1 ). Dieser Glaube ist aber kein andrer als der, den Jakobus predigt ') Ich erlaube mir in betreff der Ausführung dieses Gedankens auf meine Publications sur le

fidiisme

p. 285 ff. hinzuweisen.

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und den J e s u s Christus selbst gepredigt hat. S o hebt der religiöse Glaube die Unterschiede der Theologie auf. Die selbe Annäherung können wir konstatieren, wenn wir zu einer Prüfung der beiden einander entgegenstehenden Thesen unsrer Verfasser übergehen. Betrachten wir zunächst die negative These: „ D e r M e n s c h w i r d o h n e W e r k e g e r e c h t f e r t i g t " , und dann die positive T h e s e : „ D e r M e n s c h w i r d d u r c h den G l a u b e n g e r e c h t fertigt". W i r haben festgestellt, dass, wenn Paulus sagt: wir sind gerechtfertigt „ohne des Gesetzes W e r k e " y/upic; ¿'ppjv VO|JLGO, er damit sagen will, dass der Beobachtung der rituellen Vorschriften der mosaischen Gesetzgebung kein Heilswert zukomme. A b e r sagt Jakobus nicht genau dasselbe, nur in andrer Form, wenn er i , 25 von dem nichtigen Gottesdienst derer spricht, die die rituellen Vorschriften mit unreinem Herzen beobachten: TOUTOO (IDXATOC »J DPYJAXSIA — „dessen Gottesdienst ist eitel". Übersetzen wir diesen Gedanken in die theologische Sprache des Apostels Paulus, so haben wir die These, dass der Mensch nicht durch die W e r k e des Gesetzes gerechtfertigt werde. In diesem Punkt begegnet sich also die Lehre des Jakobus im Grunde mit der des Paulus. Ohne sich darüber klar Rechenschaft zu geben, glaubt auch Jakobus nicht mehr an die rechtfertigende Kraft der Gesetzeswerke. Diese Ubereinstimmung in der negativen These gibt der Vermutung Raum, dass auch in der positiven T h e s e : „ D e r Mensch wird durch den Glauben gerechtfertigt" eine Übereinstimmung vorhanden sei. A b e r auch da gilt es, ja nicht aus den A u g e n zu verlieren, dass hier die Ausdrucksweise eines Laien mit den Formulierungen eines Theologen verglichen wird. Bedenkt man das, dann wird man mir recht geben, wenn ich behaupte, dass die I d e e , die Jakobus zum Ausdruck bringen will, wenn er sagt, wir werden durch Glauben und gute W e r k e gerechtfertigt,

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die ist: der Glaube muss, um uns zu rechtfertigen, ein vollkommener Glaube sein (yj iciottc; etsXetou&rj, V. 22) d. h. er muss nicht bloss ein intellektueller Akt sein, sondern eine religiöse und sittliche Bestimmung unsres ganzen Ich, eine Bewegung des Herzens, die sich in guten Werken äussert oder, um die paulinischen Ausdrücke zu gebrauchen, „ein in der Liebe sich betätigender Glaube". Da, wo Jakobus seine Ausdrücke nicht mit Bedacht wählt, da, wo er nicht diskutiert, nicht in seiner Weise Theorien aufstellt, gebraucht er das W o r t matte; ganz im paulinischen Sinne. Das sehen wir z. B. cp. 1, 6, w o er, vom Gebet handelnd, sagt: „er bitte aber im Glauben" — aitEiTü) ev icioxei. Hier ist der Glaube rückhaltloses Vertrauen zu Gott. Ebenso 2, 5 : „hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind", — idouaiouc sv xiot£!. Da hängt der Eintritt in das Reich Gottes vom Glauben ab; das ist die paulinische Lehre. Der selbe Gedanke wird in andrer Form ausgedrückt: z. B. cp. 4, 8: „Nahet euch zu Gott, so naht er sich zu euch". Der Begriff des religiösen Glaubens kann gar nicht besser formuliert werden; er ist eine Bewegung des Ichs in der Richtung auf Gott hin. Wir sehen daraus, Jakobus lehrt nichts anderes als das Heil durch den Glauben, durch die Hingabe des Herzens an Gott. E r denkt so wenig daran, für die Werke der Menschen ein Verdienst in Anspruch zu nehmen, dass er erklärt, jede gute und vollkommene Gabe komme von Gott: xäaa Mai«; dfdHj xai xdv Swprüia xiXsiov ävtoftev eoxtv xataßaivov ä.j.6 toü itatpoq xwv tpsuTojv {1, 17). Und für Jakobus wie für Paulus ist die Konsequenz dieses Glaubens ein Leben, das dem sittlichen Gesetz entspricht. Jakobus nennt dieses Gesetz: „Das Gesetz der Freiheit, das vollkommene Gesetz", — vd|ioq -rsXetoc; ö xij