Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen: Jesus - Paulus - Johannes 9783666513596, 3525513593, 9783525513590

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Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen: Jesus - Paulus - Johannes
 9783666513596, 3525513593, 9783525513590

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Grundrisse zum Neuen Testament 3

V&R

Grundrisse zum Neuen Testament Das Neue Testament Deutsch · Ergänzungsreihe Herausgegeben von Jürgen Roloff

Band 3 Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus · Paulus · Johannes

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1987

Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus · Paulus · Johannes

von Werner Georg Kümmel

Fünfte Auflage

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1987

Dem Senat der Universität Glasgow als Zeichen des Dankes für die Verleihung der Würde eines Doktors der Theologie

CIP-Kurztitelaufhahme

der Deutschen

Bibliothek

Kümmel, Werner Georg: Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus, Paulus, Johannes / von Werner Georg Kümmel. - 5. Aufl. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1987. (Grundrisse zum Neuen Testament ; Bd. 3) ISBN 3-525-51359-3 NE: G T

5. Auflage 1987 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1969. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen.

Inhalt Literatur Einführung: Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments I. Kapitel: Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

9 14 20

1. Das Problem des historischen Jesus 1.1 Die Frage nach den Quellen 1.2 Die theologische Problematik

20 20 22

2. Die Herrschaft Gottes 2.1 Johannes der Täufer

24 24

2.1.1 Das bevorstehende Gericht 2 . 1 . 2 Die Umkehr und die Taufe 2 . 1 . 3 Das Kommen des „Stärkeren" 2 . 1 . 4 Die Taufe Jesu

25 26 27 28

2.2

29

Jesus

2.2.1 Die Nähe der Gottesherrschaft 2 . 2 . 2 Die Gegenwart der Gottesherrschaft

30 32

3. Die Gottesverkündigung 3.1 Der Richter 3.2 Der zukünftig handelnde Vater 3.3 Die Umkehrforderung 3.4 Der gegenwärtig handelnde Vater

35 35 36 38 39

4. Die Forderung Gottes 4.1 Die Gottesherrschaft und die Erfüllung des göttlichen Willens

41 43

4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4

Interimsethik? Jesu Forderung und die jüdische Tradition Gottes unbegrenzter Wille Die Begegnung mit der Liebe Gottes

43 45 48 49

4.2

Die Gottesherrschaft und die Vorstellung von Lohn und Strafe . . . .

50

5. Der persönliche Anspruch Jesu 5.1 Die Taten Jesu 5.2 Glaube an Jesus ? 5.3 Jesus, der Prophet ? 5.4 Der Messias 5.5 Der Sohn Davids 5.6 Der Sohn Gottes 5.7 Der Menschensohn

52 52 57 58 59 65 65 68

6. Das Leiden und Sterben Jesu 6.1 Die Voraussage des Leidens Jesu 6.2 Das Leiden des Menschensohns 6.3 Gethsemane und das letzte Mahl

76 76 78 80

6

Inhalt

II. Kapitel:

Der Glaube der Urgemeinde

1. Der Osterglaube 1.1 Der Bericht des Paulus 1.2 Der Bericht des Markusevangeliums 1.3 Die älteste Überlieferung 1.4 Das Wesen des Auferstehungsglaubens

85 85 86 88 90 91

2. Der Christusglaube der palästinischen Urgemeinde 2.1 Der Menschensohn 2.2 Der Messias 2.3 Der Knecht Gottes 2.4 Der Sohn Gottes 2.5 Der Herr 2.6 Der Mensch Jesus 2.7 Der Kreuzestod

93 94 95 96 97 99 102 103

3. Der Christusglaube der hellenistischen Gemeinde 3.1 Die Sendung des Gottessohnes 3.2 Der Träger göttlicher Macht 3.3 Der Geist als Besitz und die vaterlose Geburt Jesu

105 106 108 110

4. Das Kirchenbewußtsein 4.1 Das Selbstverständnis der Urgemeinde 4.2 Die Trennung von der jüdischen Gemeinde 4.3 Die Zwölf und die Apostel

111 112 115 118

III. Kapitel:

Die Theologie des Paulus

121

1. Die geschichtliche Stellung des Paulus 1.1 Wirkung und Herkunft des paulinischen Denkens 1.2 Die Quellen

121 121 124

2. Die Gegenwart als Heilszeit 2.1 Die Erwartung der nahen Heilsvollendung 2.2 Die Gegenwart des Heils 2.3 Adam und Christus 2.4 Die Geschichte Israels und das Christusgeschehen 2.5 Das Berufungserlebnis des Paulus

126 126 128 130 131 133

3. Das Christusgeschehen 3.1 Die Sendung des Gottessohnes 3.2 Jesus und Christus 3.3 Der „Endmensch" 3.4 Der Herr (Kyrios) 3.5 Der Sohn Gottes 3.6 Die Formel „durch Christus" 3.7 Das „Bild Gottes" 3.8 Das Menschsein Jesu 3.9 Christus und der Geist 3.10 Die Präexistenz des Christus

134 134 137 138 140 143 144 145 147 148 151

4. Das Unheil des Menschen in der Welt 4.1 Der Mensch als Fleisch 4.2 Die Allgemeinheit der Sünde 4.3 Gesetz und Schuld

153 155 159 162

Inhalt

7

5. Das Heil in Jesus Christus 5.1 Rettung und Erlösung 5.2 Die Befreiung von den Geistermächten 5.3 Die Befreiung vom Gesetz 5.4 Die Befreiung von Sünde und Schuld 5.5 Die Rechtfertigung 5.5.1 Was heißt „Gottesgerechtigkeit"? 5.5.2 5.5.3

Christus und die Rechtfertigung Glaube und Rechtfertigung

165 165 166 169 171 173 175

5.6

Die Versöhnung

181

177 178

6. Gottes Heilsgabe und die Aufgabe des Christen 6.1 Die gegenwärtige Wirklichkeit des Christenlebens

184 184

6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4

Die Taufe und der Leib Christi Das Sterben mit Christus Der Heilige Geist und das „Sein in Christus" Das Herrenmahl und die Verwandlung in die Herrlichkeit

185 189 193 196

6.2 6.3 6.4 6.5

Indikativ und Imperativ Das Gericht nach dem Werk Die göttliche Vorherbestimmung Die Endvollendung

199 203 206 209

6.5.1 Die Vernichtung der Mächte der Welt und das „Sein mit Christus" 6.5.2 Endzeiterwartung und Heilsvollendung nach dem Tode 6.5.3 Heil für die gesamte Menschheit ?

209 211 216

7. Paulus und Jesus 7.1 Der geschichtliche Zusammenhang 7.2 Das sachliche Verhältnis

218 219 220

7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.2.7 7.2.8 7.2.9

Die verschiedene geschichtliche und heilsgeschichtliche Situation Das Heilsverständnis im einzelnen Der Gottesgedanke Das Gesetz Die Heilsverkündigung Die Christologie Taufe und Herrenmahl Die Kirche Die Welt und die Menschen

220 221 221 221 222 224 225 225 226

7.3

Der Herr und der Bote

226

IV. Kapitel: Die Christusbotschaft des vierten Evangeliums und der Johannesbriefe

III

1. Die geschichtliche Stellung der johanneischen Theologie 1.1 Das literarische Problem 1.2 Die Abfassungsverhältnisse

227 227 231

2. Der Grundcharakter der johanneischen Christusbotschaft 2.1 Das Johannesevangelium als das vollkommene Christuszeugnis . . . . 2.2 Die Sprache des johanneischen Christuszeugnisses

233 233 234

Inhalt

8

3. Das johanneische Christusbild 3.1 Der Gesalbte 3.2 Der Sohn 3.3 Der Retter der Welt, der Prophet, der Herr 3.4 Der Menschensohn 3.5 Das Wort (Der Logos) 3.6 Der Heilbringer

237 237 239 244 245 247 252

4. Das Heil und der Heilsweg 4.1 Das Unheil 4.2 Die Befreiung von der Welt und vom Tode 4.3 Die Befreiung von der Sünde 4.4 Glaube und Liebe 4.5 Die Geburt aus Gott und die Sakramente

256 256 259 263 265 272

4.5.1 Das Sein in Gott und in Christus 4.5.2 Die Geburt aus Gott 4.5.3 Taufe und Herrenmahl

272 274 275

4.6

278

Der Heilige Geist und die Gemeinde

4.6.1 Der Geist Gottes 4.6.2 Der Paraklet 4.6.3 Die Gemeinde V. Schluß: Jesus-Paulus-Johannes: Die Mitte des Neuen Testaments

278 279 283 286

1. 2.

Die „Mitte des Neuen Testaments" Die Zukunft und die Gegenwart des Heils

286 288

2.1 2.2 2.3

Jesus Die Urgemeinde und Paulus Die Johannesschriften

288 289 290

3. 4.

Die Herablassung Gottes Die Botschaft der Hauptzeugen

292 294

VI. Register

1. 2.

Sachregister Neutestamentliche Stellen

296

296 302

Literatur (Werke mit weiterführenden Bibliographien sind durch * gekennzeichnet) Zi/r Umwelt des Neuen

Testaments

Textausgaben: E. Kautzsch (Hrsg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, 2 Bände, 1900 Diese Sammlung wird ersetzt durch: Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, hrsg. v. W.G.Kümmel in Zusammenarbeit mit Ch. Habicht, O. Kaiser, O. Plöger und J. Schreiner (geplant sind 5 Bände und Registerband in Lieferungen, von denen 15 Hefte 1973—1980 erschienen sind) C. K. Barrett, Die Umwelt des Neuen Testaments. Ausgewählte Quellen, 1959 J. Maier, Die Texte vom Toten Meer, Band I: Übersetzung, 1960 R. Mayer, Der Babylonische Talmud, ausgewählt, übersetzt und erklärt, Goldmanns Gelbe Taschenbücher 1330-1332, 1963 Umwelt des Urchristentums, hrsg. von J. Leipoldt und W. Grundmann, Band II: Texte zum neutestamentlichen Zeitalter, 1967 (5. Aufl. 1979) Zu den nicht in das Neue Testament aufgenommenen frühchristlichen Schriften: E. Hennecke (Hrsg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, 3. Aufl. hrsg. von W.Schneemelcher, 2 Bände, 1959, 1964 (4. Aufl. 1968/71) Darstellungen: Umwelt des Urchristentums, hrsg. von J. Leipoldt und W. Grundmann, Band I: Darstellung des neutestamentlichen Zeitalters, 1965 W. Foerster, Neutestamentliche Zeitgeschichte, 1968 * E. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments, NTD-Ergänzungsreihe Band 1,4. Aufl. 1978 * J. Maier, Geschichte der jüdischen Religion. Von der Zeit Alexanders des Großen bis zur Aufklärung mit einem Ausblick auf das 19./20. Jahrhundert, 1972, S. 7-91 * Literatur und Religion des Frühjudentums. Eine Einführung, hrsg. von J. Maier und J. Schreiner, 1973 W. Dommershausen, Die Umwelt Jesu. Politik und Kultur in neutestamentlicher Zeit, 1977 Textbuch zur neutestamentlichen Zeitgeschichte, hrsg. v. H. G. Kippenberg und G.A. Wewers, NTD-Ergänzungsreihe Band 8, 1979 Literatur zum ganzen Neuen

Testament

Allgemeinverständlich: R. Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 3. Aufl. 1963 (auch als Taschenbuch in rowohlts deutscher enzyklopädie) L. Goppelt, Die apostolische und nachapostolische Zeit, Die Kirche in ihrer Geschichte, Band I, Lief. A, 2. Aufl. 1966 B. Klappert (Hrsg.), Diskussion um Kreuz und Auferstehung. Zur gegenwärtigen Auseinandersetzung in Theologie und Gemeinde, 1967 (4. Aufl. 1971) 1 Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, 3 Bände 1967-1971 (4. Aufl. 1977) G. Haufe, Vom Werden und Verstehen des Neuen Testaments. Eine Einführung, 1968 E. Schweizer, Jesus im vielfältigen Zeugnis des Neuen Testaments, Siebenstern-Taschenbuch 126, 1968 (4. Aufl., 1976) Gestalt und Anspruch des Neuen Testaments, hrsg. von J. Schreiner, 1969

Literatur

10

Α. Vögtle und E. Lohse, Geschichte des Urchristentums, in: ökumenische Kirchengeschichte, hrsg. von R. Kottje und B. Möller, Band I, 1970, S. 1 ff. H.-D. Wendland, Ethik des Neuen Testaments, NTD-Ergänzungsreihe Band 4, 3. Aufl. 1977 H. Conzelmann, Geschichte des Urchristentums, NTD-Ergänzungsreihe Band 5 , 4 . Aufl. 1979 G. Bornkamm, Bibel. Das Neue Testament, Eine Einführung in seine Schriften im Rahmen der Geschichte des Urchristentums, Themen der Theologie Band 5 , 2 . Aufl. 1974 F. F. Bruce, Zeitgeschichte des Neuen Testaments, Band 1.2, 1975/6 Wissenschaftlich: A. Schlatter, Die Geschichte des Christus, 2. Aufl. 1921 (1977) A. Schlatter, Die Theologie der Apostel, 2. Aufl. 1922 ( 1977) O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 1957 (5. Aufl. 1975) E. Schweizer, Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern, 2. Aufl. 1962 R. Bultmann, Die Theologie des Neuen Testaments, 5. Aufl. 1965 (7. Aufl. als Uni-Taschenbuch, 1977, mit Literaturnachträgen von O. Merk) W. Grundmann, Geschichte und Botschaft des Urchristentums in ihrer religiösen Umwelt, in: Umwelt des Urchristentums Band 1 (s.o.), 1965 (5.Aufl. 1979), S.416ff. * F. Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, 4. Aufl. 1974 * H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, 1967 (3. Aufl. 1976) * Κ. H. Schelkle, Theologie des Neuen Testaments, Band 1 - 4 , 2 , 1 9 6 8 - 1 9 7 6 * E. Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie, 1974 H.Conzelmann-E. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament (Uni-Taschenbuch), 1975 L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments 1.2, 1975/6 (3. Aufl. 1978) J. Roloff, Neues Testament (Neukirchener Arbeitsbücher), 1977 Zur

Forschungsgeschichte:

* R. Schnackenburg, Neutestamentliche Theologie. Der Stand der Forschung, Biblische Handbibliothek Band I, 2. Aufl. 1965 H. R. Balz, Methodische Probleme der neutestamentlichen Christologie, 1967 W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, 2. Aufl. 1970 W. G. Kümmel, Das Neue Testament im 20. Jahrhundert. Ein Forschungsbericht, Stuttgarter Bibel-Studien, Band 50, 1970 H.-J. Kraus, Die Biblische Theologie. Ihre Geschichte und Problematik, 1970 * O. Merk, Biblische Theologie des Neuen Testaments in ihrer Anfangszeit. Ihre methodischen Probleme bei J. Ph. Gabler und G. L. Bauer und deren Nachwirkungen, 1972 Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, Wege der Forschung, Band 367, hrsg. von G. Strecker, 1975 H. J. Genthe, Kleine Geschichte der neutestamentlichen Wissenschaft, 1977

Literatur

zu

Jesus

Allgemeinverständlich: R. Bultmann, Jesus, 1926 ( = Siebenstern-Taschenbuch 17,2. Aufl. 1977) M. Dibelius, Jesus, Sammlung Göschen 1130, 1939 (4. Aufl. 1966 mit einem Nachtrag von W. G. Kümmel) G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Urban-Bücher 19,1956 (11. Aufl. 1977) O. Betz, Was wissen wir von Jesus?, 1965 H.Braun, Jesus. Der Mann aus Nazareth und seine Zeit. Themen der Theologie, Band 1, 1969 (3. Aufl. 1972) (dazu P.Stuhlmacher, in: Fides et communicatio, Festschrift M. Doerne, 1970, S. 350 ff.)

Literatur

11

D. Flusser, Jesus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, rowohlts monographien, 1968 (sehr subjektiv) M.Hengel, War Jesus Revolutionär?, Calwer Hefte 110,1970 O. Cullmann, Jesus und die Revolutionären seiner Zeit, 2. Aufl. 1970 E. Fuchs, Jesus. Wort und Tat, 1971 Der Mann aus Galiläa in Bildern dargestellt von E. Lessing (darin: D. Flusser, Jesus und die Synagoge und J. Blank, Der Christus des Glaubens und der historische Jesus), 1971 H. Küng, Christ sein, 1974(9. Aufl. 1977) E. Schillebeeckx, Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden. 1975 (6. Aufl. 1978) H.G.Pöhlmann, Wer war Jesus von Nazareth? Gütersloher Taschenbücher 109, 1976 (3. Aufl. 1978) Wissenschaftlich: A.Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 2.Aufl. 1913 (6.Aufl. 1951 mit neuem Vorwort; auch Siebenstern-Taschenbuch 77-80.1966 und Ausgewählte Werke, Band 3) * W.G.Kümmel, Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigungjesu, 2. Aufl. 1953 (3. Aufl. 1956) Der historische Jesus und der kerygmatische Christus. Beiträge zum Christusverständnis in Forschung und Verkündigung, hrsg. v. H. Ristow und K. Matthiae, 1960 * E. Neuhäusler, Anspruch und Antwort Gottes. Zur Lehre von den Weisungen innerhalb der synoptischen Jesusüberlieferung, 1962 H. Schürmann, Eschatologie und Liebesdienst in der Verkündigung Jesu (1964), in: H. Sch., Erörterungen und Besinnungen zum Neuen Testament, 1970, S. 279 ff. J. M. Robinson, Kerygma und historischer Jesus, 2. Aufl. 1967 N. Perrin, Was lehrte Jesus wirklich? Rekonstruktion und Deutung, 1967 R.Pesch, Jesu ureigene Taten? Ein Beitrag zur Wunderfrage, Quaestiones Disputatae 52,1970 * J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, l.Teil: Die Verkündigung Jesu, 1971 (3.Aufl. 1978) J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, Biblische Studien 63, 1972 E. Grässer, Die Naherwartung Jesu, Stuttgarter Bibelstudien 61,1973 Rückfrage nach Jesus. Zur Methodik und Bedeutung der Frage nach dem historischen Jesus, Quaestiones Disputatae 63, hrsg. v. K. Kertelge, 1974 (2. Aufl. 1977) * P. Hoffmann und V.Eid, Jesus von Nazareth und eine christliche Moral. Sittliche Perspektiven der Verkündigung Jesu, Quaestiones Disputatae 66, 1975 Der Tod Jesu. Deutungen im Neuen Testament, hrsg. v. K. Kertelge, Quaestiones Disputatae 74, 1976 * H. Leroy, Jesus. Uberlieferung und Deutung, Erträge der Forschung 95, 1978 Zur Jesusliteratur seit 1950 vgl.: W.G.Kümmel, Jesusforschung seit 1950 und Ein Jahrzehnt Jesusforschung (1965-1975) bzw. Jesusforschung seit 1965 in: Theologische Rundschau 31, 1965/66, 15££. 289ff.; 40, 1975, 289ff.; 41, 1976, 197ff. 295ff.; 43, 1978, 105ff.233ff.; 45, 1980, I f f .

I iteratur zur

Urgemeinde

Allgemeinverständlich: W. Marxsen, Die Auferstehung Jesu als historisches und theologisches Problem, 7. Aufl. 1969 Die Aktion Jesu und die Re-Aktion der Kirche. Jesus von Nazareth und die Anfänge der Kirche, 1972

12

Literatur

Wissenschaftlich: H. Frhr. von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philos.-histor. Klasse 1958, 2 , 2 . Aufl. (4. Aufl. 1977) * H . Grass, Ostergeschehen und Osterberichte, 2. Aufl. 1962 (4. Aufl. 1971) J . Kremer, Das älteste Zeugnis von der Auferstehung Christi, Stuttgarter Bibel-Studien X V I I , 3. Aufl. 1970 J . Kremer, Entstehung und Inhalt des Osterglaubens. Z u r neuesten Diskussion, Theologische Revue 72, 1 9 7 6 , Sp. I f f . J . A. Fitzmyer, Der semitische Hintergrund des neutestamentlichen Kyriostitels, in: Jesus Christus in Historie und Theologie, Festschrift H. Conzelmann, 1 9 7 5 , S. 2 6 7 ff. (zu den auf S. 101 zitierten neuen Texten) M . Hengel, Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte, 1 9 7 5 (2. Aufl. 1977) T . H o l t z , Überlegungen zur Geschichte des Urchristentums, Theologische Literaturzeitung 100, 1975, S. 3 1 2 ff.

Literatur zu Paulus Allgemeinverständlich: M . D i b e l i u s - W . G.Kümmel, Paulus, Sammlung Göschen 1 1 6 0 , 1 9 5 1 (4. Aufl. 1970) G. Delling, Die Botschaft des Paulus, 1 9 6 5 G. Bornkamm, Paulus, Urban Bücher 119 D, 1969 (3. Aufl. 1977) K. Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, 1978

Wissenschaftlich: A. Schweitzer, Die Geschichte der paulinischen Forschung, 1911 (2. Aufl. 1933) H . D . Wendland, Die Mitte der paulinischen Botschaft, 1935 P. Althaus, Paulus und Luther über den Menschen, 3. Aufl. 1958 H . J . Schoeps, Paulus. Die Theologie der Apostel im Lichte der jüdischen Religionsgeschichte, 1959 " W . Schräge, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, 1961 " B . Rigaux, Paulus und seine Briefe. Der Stand der Forschung, 1964 * P. Stuhlmacher, Gottes Gerechtigkeit bei Paulus, 1965 (2. Aufl. 1966) K. Kertelge, Rechtfertigung bei Paulus. Studien zur Struktur und zum Bedeutungsgehalt des paulinischen Rechtfertigungsbegriffs, 1966 E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, 1969 (2. Aufl. 1972) H . Ridderbos, Paulus. Ein Entwurf seiner Theologie, 1970 O.Kuss, Paulus. Die Rolle des Apostels in der theologischen Entwicklung der Urkirche, 1 9 7 1 (2. Aufl. 1976) G . Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriß, 1972

Paulus und Jesus: A. Jülicher, Paulus und Jesus, Religionsgeschichtliche Volksbücher I, 14, 1907 W . G. Kümmel, Jesus und Paulus (1940, 1948, 1963/64), in: W . G . K . , Heilsgeschehen und Geschichte, Marburger Theologische Studien III, 1965, S. 81 ff. 169 ff. 4 3 9 ff. M . Buber, Zwei Glaubensweisen, 1950 J . Blank, Paulus und Jesus, 1968 W . Schräge, Theologie und Christologie bei Paulus und Jesus auf dem Hintergrund der modernen Gottesfrage, Evangelische Theologie 3 6 , 1 9 7 6 , S. 121 ff.

13

Literatur

M.Barth, J.Blank, J.Bloch, F.Mussner, R . J . Zwi Apostel? Jüdische und christliche Antworten, 1977

Literatur zu Allgemeinverständlich

Werblowsky,

Paulus-Apostat

oder

Johannes

:

E. Gaugier, Das Christuszeugnis des Johannesevangeliums, in: Jesus Christus im Zeugnis der Heiligen Schrift und der Kirche, Beiheft 2 zur „Evangelischen Theologie", 1936, S. 34 ff. R. Bultmann, Art. Johannesevangelium, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Band III, 3. Aufl. 1959, Sp. 840 ff. G. Delling, Wort und Werk Jesu im Johannesevangelium, 1966 Wissenschaftlich : R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium, I. Teil, Einleitung S. 1-196, Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament IV, 1, 1965 (3. Aufl. 1972) J. Blank, Krisis. Untersuchungen zur johanneischen Christologie und Eschatologie, 1964 F. Mussner, Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischen Jesus, 1965 E. Haenchen, Der Vater, der mich gesandt hat, in: Ε. H., Gott und Mensch. Gesammelte Aufsätze 1, 1965, S. 68 ff. W. Thiising, Die Erhöhung und Verherrlichung Jesu im Johannesevangelium, 2. Aufl. 1970 E. Käsemann, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, 3. Aufl. 1971 (dazu: G. Bornkamm, Zur Interpretation des Johannesevangeliums, in: G. B., Geschichte und Glaube, l.Teil, 1968, S. 104 ff.) O. Cullmann, Der johanneische Kreis, 1975 :t

Literatur zu: Die Mitte des Neuen

Testaments

Allgemeinverständlich: M. Luther, Vorreden zur Bibel, hrsg. v. H. Bornkamm, 1967 Wissenschaftlich: F. Mussner, Die Mitte des Evangeliums in neutestamentlicher Sicht, Catholica 15, 1961, S: 271 ff. F. Mussner, „Evangelium" und „Mitte des Neuen Testaments", in: F. M., Praesentia Salutis, 1967, S. 159 ff. W.G.Kümmel, Das Problem der „Mitte des Neuen Testaments" (1968), in: W . G . K . , Heilsgeschehen und Geschichte, Band 2, Marburger Theologische Studien 16, 1978, S. 62 ff. E. Lohse, Die Einheit des Neuen Testaments als theologisches Problem, Evangelische Theologie 35, 1975, S. 139 ff. W. Schräge, Die Frage nach der Mitte und dem Kanon im Kanon des Neuen Testaments in der neueren Diskussion, in: Rechtfertigung, Festschrift E. Käsemann, 1976, S. 4 1 5 ff.

Einführung Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments Dem christlichen Bibelleser von heute ist es wohl weitgehend selbstverständlich, daß die Bibel aus zwei verschiedenartigen Teilen besteht, deren Gedanken sich nicht einfach decken, nämlich aus dem auch von den Juden als „Heilige Schrift" anerkannten „Alten Testament" und dem für die Christen wichtigeren „Neuen Testament". Aber derselbe Bibelleser wird, wenn er nicht schon durch Einsichten der modernen Theologie beeinflußt worden ist, vermutlich ebenso selbstverständlich annehmen, daß das Alte Testament und das Neue Testament je in sich einheitlich sind und daß man darum mit vollem Recht nach den Lehren des Alten und des Neuen Testaments fragen und diese Fragen eindeutig beantworten kann. Nun ist freilich schon die Einsicht, daß die Anschauungen des Alten und des Neuen Testaments miteinander nicht übereinstimmen, der Christenheit keineswegs von jeher selbstverständlich gewesen; andererseits ist die Annahme, daß das Alte Testament und das Neue Testament je für sich eine sachliche Einheit darstellen, in der gleichen Zeit fraglich geworden, in der die Überzeugung von der Übereinstimmung des Alten mit dem Neuen Testament in Zweifel gezogen worden ist. Und in der Tat besteht ein notwendiger sachlicher Zusammenhang zwischen der Frage nach der Übereinstimmung beider Testamente miteinander und der Frage nach der Einheitlichkeit des Alten und des Neuen Testaments je in sich. Wenn wir darum die Frage nach einer Theologie des Neuen Testaments und nicht der Bibel als ganzer stellen, so stehen wir zugleich auch vor der Frage nach der Einheitlichkeit dieses Neuen Testaments und nach der etwaigen Vielzahl der in ihm zu Wort kommenden Stimmen. Das ergibt sich sofort, wenn wir einen Blick auf die Entstehung der Frage nach einer Theologie des Neuen Testaments werfen. Martin Luther hatte vor dem Reichstag zu Worms 1521 erklärt, daß er weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube, sondern der Heiligen Schrift und eindeutigen Argumenten, und die anderen Reformatoren hatten in ähnlicher Weise die Bibel als alleinige Autorität gegenüber der kirchlichen Lehre proklamiert. Wenn auf diese Weise die Bibel in einer so bisher unbekannten Eindeutigkeit als alleinige Autorität in den Mittelpunkt gestellt wurde, so richtete sich die Ablehnung der Autorität der kirchlichen Tradition zugunsten der alleinigen Autorität der Bibel durch die reformatorische Theologie doch im wesentlichen nur gegen Lehre und Gestalt der mittelalterlichen Kirche, und für die Reformatoren wie für die protestantische Orthodoxie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stand die Überzeugung fest,

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daß die Lehre der Bibel mit den Glaubensanschauungen und den Bekenntnissen der Alten Kirche in Ubereinstimmung stehe. Nun hatte freilich Luther selber bei der Arbeit an der Übersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg (1521/22) die Entdeckung gemacht, daß innerhalb des Neuen Testaments Widersprüche zwischen einzelnen Schriften bestehen, vor allem zwischen dem Jakobusbrief und dem Hebräerbrief auf der einen und den Paulusbriefen auf der anderen Seite, und damit war Luther auf den Tatbestand der Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit der neutestamentlichen Glaubenszeugnisse gestoßen. Aber diese in den Vorreden zu seiner Übersetzung von 1522 ausgesprochenen Erkenntnisse hatten sich nicht auswirken können, weil gerade die neu gewonnene Überzeugung von der alleinigen Autorität der Heiligen Schrift der Aufnahme solcher Erkenntnisse in den protestantischen Kirchen im Wege stand. Eine von der kirchlichen Tradition völlig unabhängige und die Besonderheiten der biblischen Schriften ins Auge fassende Darstellung der Gedanken der Bibel war darum auch innerhalb der evangelischen Theologie noch für mehr als zwei Jahrhunderte nach Luther nicht möglich, und wenn man im 17. Jahrhundert auch anfing, Bücher mit dem Titel „Biblische Theologie" zu schreiben, so geschah es nur, um die biblischen Belegstellen für die orthodoxe Dogmatik gesondert zusammenzustellen. Das wurde erst anders, als sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der geistigen Bewegung der „Aufklärung" innerhalb der protestantischen Theologie die Erkenntnis durchzusetzen begann, daß die Bibel ein von Menschen geschriebenes Buch sei, das wie jedes Werk menschlichen Geistes nur aus der Zeit seiner Entstehung und darum nur mit den Methoden der Geschichtswissenschaft sachgemäß verständlich gemacht werden könne. Aus dieser Erkenntnis ergab sich nämlich die unausweichliche Folgerung, daß auch die Darstellung des Gedankengehalts der Bibel, die „Biblische Theologie", nur mit Hilfe geschichtlicher Fragestellung sachgemäß geschehen könne, wenn der Gedankengehalt der Bibel unbeeinflußt von der Dogmatik und wirklich selbständig erkannt werden sollte. Sobald man aber mit einer solchen geschichtlichen Fragestellung gegenüber den Gedanken der Bibel wirklich ernst machte, wie es um 1800 zuerst geschah, sah man sich nicht nur gezwungen, die Darstellung des Alten und des Neuen Testaments völlig von einander zu trennen, sondern auch bei der Schilderung der Gedanken des Neuen Testaments Jesus und die verschiedenen apostolischen Schriftsteller je für sich zu Worte kommen zu lassen. Man konnte eben nicht auf halbem Wege stehen bleiben: muß die Bibel als Werk menschlicher Verfasser geschichtlich erforscht werden, um ihren wirklichen Sinn zu verstehen, so darf und kann man nicht an der Voraussetzung festhalten, daß das Alte Testament und das Neue Testament in sich je eine gedankliche Einheit bilden, dann muß man auch auf die Unterschiede innerhalb der beiden Testamente achten und auch eine etwaige Entwicklung und Verfälschung der Gedanken in Betracht ziehen. Infolgedessen sah sich die Bemühung um eine Theologie des Neuen Testaments von Anfang an vor

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das Problem der Verschiedenheit und Einheitlichkeit im Neuen Testament gestellt. Die Bemühung um den theologischen Gehalt des Neuen Testaments als einer selbständigen geschichtlichen Größe stand darum von Anfang an in einer Spannung zu jeder Form von dogmatischer Theologie. Denn die Darstellung der christlichen Lehre als Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Offenbarung Gottes in Jesus Christus wird selbstverständlich, von welchen Voraussetzungen sie auch ausgeht und welche Bindungen sie sich auch auferlegt, das Ziel haben müssen, eine einheitliche Lehre vorzutragen, und die Dogmatik muß darum in Schwierigkeiten geraten, wenn sie sich auf das Neue Testament als Grundlage ihrer Aussagen stützen will und die Biblische Theologie ihr dazu keine einheitliche Lehre im Neuen Testament aufzuzeigen vermag. Damit stehen wir aber vor dem eigentlichen Problem einer „Theologie des Neuen Testaments". Freilich ist dieses Problem nur ein besonderer Fall innerhalb der Schwierigkeit, vor die sich jede sachgemäße Auslegung des Neuen Testaments gestellt sieht. Denn schon dann, wenn sich der Ausleger zunächst einmal um den Sinn der einzelnen Schriften des Neuen Testaments bemüht -und das ist naturgemäß die Voraussetzung für die Frage nach der Theologie des Neuen Testaments - , steht er im Grunde vor einer unlösbaren Aufgabe. Die im Neuen Testament gesammelten Schriften sind ihrer geschichtlichen Art nach ja Urkunden antiker Religionsgeschichte, in einer toten Sprache und einer uns nicht mehr ohne weiteres verständlichen Begrifflichkeit und Vorstellungswelt geschrieben; sie können darum nur auf dem "Wege geschichtlicher Forschung zum Reden gebracht, und es kann nur auf diesem Wege ein Verstehen des von den Verfassern Gemeinten annähernd erreicht werden. Solche Bemühung um wissenschaftliches Verständlichmachen kann ihrem Wesen nach immer nur zu wahrscheinlichen und oftmals nur zu hypothetischen Resultaten führen, und es bedarf des abwägenden Urteils, ob man sich einem erzielten Resultat anschließen oder es durch einen anderen Erklärungsversuch ersetzen will. Dieselben Schriften des Neuen Testaments sind nun aber von der Alten Kirche in einen Kanon heiliger Schriften zusammengeordnet worden, dessen Umfang seit dem Ende des 4. Jahrhunderts nicht mehr ernstlich umstritten war, und haben dadurch den Charakter normativer, für den Glauben des Christen grundlegender Schriften erhalten, denen der Christ glaubenden Gehorsam entgegenbringen müßte. Es ist aber leicht zu sehen, daß es im Grunde unmöglich ist, den Schriften des Neuen Testaments zu gleicher Zeit als urteilend forschender und als gläubig hörender Mensch gegenüberzutreten. Wenn man daher begreiflicherweise immer wieder auf verschiedene Weise versucht hat, diesem Dilemma zu entgehen, so waren und sind doch alle solche Versuche zum Scheitern verurteilt, weil sie dem Sachverhalt nicht entsprechen. Das wissenschaftliche Bemühen um das Verstehen des Neuen Testaments muß, gerade wenn es im Räume der Kirche und von der Voraussetzung des Glaubens aus betrieben wird, der Tatsache Rechnung tragen, daß wir auch

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zum gläubigen Hören auf die Botschaft des Neuen Testaments nur auf einem Wege gelangen können: nämlich dadurch, daß wir uns die Aussagen der antiken Verfasser der neutestamentlichen Schriften verständlich zu machen suchen, so wie sie ihre zeitgenössischen Leser oder Hörer verstehen konnten und mußten. Es gibt darum keinen andern Zugang zum Verstehen der neutestamentlichen Schriften als die für alle Schriften des Altertums gültige Methode historischer Forschung. Es kommt freilich sehr viel darauf an, ob man solche Forschung als Unbeteiligter und in bewußter Distanz oder als innerlich Beteiligter und darum als mit letzter Aufgeschlossenheit Hörender betreibt. Sieht sich so derjenige, der nach dem Gedankengehalt und der Anrede einer neutestamentlichen Schrift fragt, vor die Notwendigkeit gestellt, auf dem umständlichen Wege der wissenschaftlichen Erhellung des antiken Textes zu einem persönlichen Hören zu gelangen, so zeigt sich diese Schwierigkeit bei der Bemühung um die Theologie des Neuen Testaments in verstärktem Maße. Denn was Luther an einzelnen Beispielen beobachtet hat, hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gedankengut des Neuen Testaments seit dem. Beginn des 19. Jahrhunderts unwiderleglich nachgewiesen, daß nämlich im Neuen Testament verschiedene Stimmen reden, die sich ζ. T. widersprechen und die auf alle Fälle in so verschiedener Weise reden, daß ihre Hede nicht von vornherein und ungeprüft im Zusammenklang gehört werden kann. Die Aufgabe einer Theologie des Neuen Testaments kann darum auf keinen Fall primär darin bestehen, die Anschauungen des Neuen Testaments als eines Ganzen zusammenfassend darzustellen. Denn dabei müßten unweigerlich entweder die Anschauungen der einzelnen Schriften oder Schriftengruppen zu einer Durchschnittsanschauung zusammengebogen oder abweichende Gedanken den vorherrschenden zum Opfer gebracht werden. Die Aufgabe einer Theologie des Neuen Testaments kann vielmehr nur darin bestehen, die einzelnen Schriften oder Schriftengruppen zunächst für sich zu Worte kommen zu lassen und erst dann nach der dabei sich zeigenden Einheit zu fragen oder auch eine nicht zu beseitigende Verschiedenheit festzustellen. Die Verkündigung von Jesus Christus durch die neutestamentlichen Zeugen muß darum zunächst nach ihren verschiedenen Formen und kann erst dann nach ihrem gemeinsamen Gehalt befragt werden. Natürlich kann dabei keineswegs von vornherein feststehen, in welchem zeitlichen Nacheinander und in welcher etwaigen Abhängigkeit voneinander die einzelnen Schriften und Schriftengruppen stehen. Und weil diese Fragen nur auf geschichtlichem Wege und damit aufgrund einer wissenschaftlichen Urteilsbildung beantwortet werden können, sind auf diese Fragen vielerlei verschiedene Antworten möglich. Nun ist gewiß für die zeitliche Anordnung der einzelnen Schriften und Schriftengruppen die Bestimmung der Entstehungsverhältnisse der einzelnen Schriften eine wichtige Voraussetzung; aber das Urteil über diese Entstehungsverhältnsise ist in vielen Fällen

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ebenfalls durchaus unsicher, und so kann über den geschichtlichen Zusammenhang und das chronologische Nacheinander der verschiedenen Formen neutestamentlicher Verkündigung nur der inhaltliche Vergleich die letzte Entscheidung fällen. Es gehen darum z.B. die Meinungen über die Frage weit auseinander, an welche Stelle in der zeitlichen Abfolge man die Theologie des Johanesevangeliums und der Johannesbriefe zu stellen hat, und es ist ebenso umstritten, ob es sachgemäß und möglich ist, die Darstellung der Theologie des Neuen Testaments mit einer Schilderung der Verkündigung Jesu einzuleiten, weil wir ja von der Verkündigung Jesu nur durch das Zeugnis der späteren glaubenden Gemeinde etwas wissen, das sich in den drei ersten Evangelien niedergeschlagen hat. Und die Einordnung der kleineren Schriften des Neuen Testaments in den Zusammenhang der neutestamentlichen Theologie ist noch weniger eindeutig festzulegen. Alle diese Fragen können nur entschieden werden, wenn der Gedankengehalt der einzelnen Schriften oder Schriftengruppen zunächst einmal unabhängig von anderen Vorstellungsformen zum Verständnis gebracht worden ist. Und das schließt in sich, daß die Darstellung und Anordnung einer „Theologie des Neuen Testaments" sich nur als Resultat der Beschäftigung mit den verschiedenen Formen der neutestamentlichen Verkündigung ergeben kann. Von diesen methodischen Einsichten aus soll im folgenden der Versuch unternommen werden, die Verkündigung Jesu, die Theologie des Paulus auf dem Hintergrund der Urgemeinde und die Christusbotschaft des Johannesevangeliums in ihren wesentlichen Zügen darzustellen und aufgrund dieser Darstellung nach der in diesen Verkündigungsformen sich zeigenden Einheit zu fragen. Diese Beschränkung könnte als willkürlich erscheinen, und sie geschieht keineswegs von der Uberzeugung aus, daß die übrigen Schriften des Neuen Testaments unwesentlich oder jedenfalls von geringerem Werte seien. Aber es kann kein Zweifel sein, daß diese drei Formen neutestamentlicher Verkündigung nicht nur an Umfang, sondern auch an Bedeutung aus dem übrigen Neuen Testament herausragen und daß es darum auch sachgemäß und möglich ist, sich anhand dieser Verkündigungsformen ein klares und ausreichendes Bild von der zentralen Verkündigung des Neuen Testaments zu machen, zu dem dann die Botschaft der übrigen Schriften in Beziehung gesetzt werden kann. Und so notwendig es ist, daß in einem anderen Band dieser Sammlung auch auf die Theologie der übrigen Schriften des Neuen Testaments eingegangen wird, so wesentlich und hilfreich ist es auch, von diesen Hauptformen der neutestamentlichen Verkündigung auszugehen und sich mit ihrer Hilfe eine grundlegende Einsicht in das Wesen der neutestamentlichen Gedankenwelt zu verschaffen. Wichtig ist dabei freilich, daß man es vermeidet, die verschiedenen Verkündigungsformen dem gleichen, womöglich von außen her an sie herangetragenen Schema zu unterwerfen. Denn jede der neutestamentlichen verkündigungsformen hat ihr eigenes Gefälle und die ihr eigene

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Zielrichtung. Es wird darum nötig sein, in jedem Fall sich die Anordnung der Darstellung aus dem Charakter dieser Verkündigung selbst zeigen zu lassen und so zu einem geschichtlich angemessenen Verständnis jeder Verkündigungsform zu kommen. Dem Charakter des N T D entsprechend will die folgende Darstellung kein Lehrbuch ersetzen, und es können darum weder alle in Betracht kommenden Fragen erörtert noch für die behandelten Fragen alle Belegstellen angeführt werden. Es darf darum, wenn das nicht ausdrücklich vermerkt ist, aus den Stellenangaben nicht entnommen werden, daß es für einen Begriff oder eine Vorstellung keine weiteren Beispiele mehr gibt. Die im folgenden Text gebotenen Übersetzungen neutestamentlicher Belegstellen haben ausschließlich die Aufgabe, das vom Verfasser dieser Darstellung vorausgesetzte Verständnis der Zitate möglichst eindeutig erkennen zu lassen, und sie scheuen darum vor sprachlichen Härten nicht zurück. Der Leser sollte sich aber durch die Heranziehung einer modernen Übersetzung des Neuen Testaments immer wieder darüber vergewissern, ob nicht auch ein anderes Verständnis des jeweiligen Textes möglich ist, und er sollte die nicht oder nicht vollständig zitierten Belegstellen dort nachlesen. Zu diesem Zweck kommen neben den Ubersetzungen in den Kommentaren des N T D vor allem die „Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Das Neue Testament" oder „Das Neue Testament übersetzt und kommentiert von U.Wilckens" in Frage. Für den 1. Teil empfiehlt sich die Benutzung einer „Synopse", d. h. eines Paralleldruckes der drei ersten Evangelien, am besten derZürcher-Evangelien-Synopse von C. H. Peisker. Da die Parallelen zu einer angeführten Stelle aus den synoptischen Evangelien mit Hilfe einer Synopse leicht zu finden sind, wird auf das Vorhandensein von Paralleltexten im folgenden in der Regel nur mit einem „p." hinter der angeführten Stelle verwiesen; dabei ist aber zu beachten, daß dieser Verweis nur besagt, daß eine Parallele vorhanden ist, nicht aber, daß sie mit dem zitierten Text übereinstimmt. Auf die Auslegung und die Exkurse in den Kommentaren des N T D ist nur vereinzelt verwiesen worden, der Leser sollte aber die Auslegungen wichtiger Stellen in diesen Kommentaren immer wieder vergleichen. Er wird dabei mehrfach ein abweichendes Verständnis des betreffenden Textes finden, doch konnte auf solche Differenzen nicht besonders hingewiesen werden. Ihr Vorhandensein sollte dem Leser aber immer wieder bewußt machen, daß auf viele Fragen nicht nur eine gut begründete Antwort gegeben werden kann. Wenn mehrfach in den folgenden Ausführungen eine Formulierung aus einem wissenschaftlichen Werk unter Nennung des Autors angeführt wird, so soll damit nicht auf die S. 9 - 1 3 gegebene Literaturübersicht verwiesen werden, in der Spezialarbeiten ja nicht genannt werden können; es sollen vielmehr nur Formulierungen, die nach der Meinung des Verfassers dieses Bandes besonders treffend sind, eindeutig ihren Urhebern zugeschrieben werden.

I. K A P I T E L

Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien 1. Das Problem des historischen Jesus Daß man die Schilderung der neutestamendichen Gedankenwelt in ihrem geschichtlichen Werden mit einer Darstellung der Verkündigung Jesu beginnen müsse, scheint selbstverständlich. Ist denn nicht die Person Jesu und seine Botschaft das Geschehen, das alle christliche Predigt und jede christliche Theologie erst ermöglicht hat? Das stimmt natürlich, und so hat man denn auch, als man zu Anfang des 19. Jahrhunderts damit begann, die Theologie des Neuen Testaments in ihren verschiedenen Formen gesondert darzustellen, die Verkündigung Jesu ganz selbstverständlich an den Anfang gestellt. Und es bestand zunächst auch kein Zweifel daran, daß man als Quellen für die Darstellung der Verkündigung Jesu unsere vier kanonischen Evangelien zu verwenden habe. Diese beiden Voraussetzungen für die Erforschung der neutestamendichen Theologie sind aber seither fraglich geworden. 1.1 Die Frage nach den Quellen Jeder Leser der Evangelien weiß, daß Jesus in den ersten drei Evangelien eine andere Sprache spricht und die Person Jesu in diesen Evangelien anders geschildert wird als im vierten Evangelium. Seitdem aber D.F.Strauss in seinem berühmten „Leben Jesu" (1835/36) zuerst auf den fortgeschrittenen Charakter der Umformung der Jesusüberlieferung durch den christlichen Glauben im Johannesevangelium im Vergleich zu den drei ersten Evangelien aufmerksam gemacht hatte, ist es in wachsendem Maße deutlich geworden, daß der Jesus des vierten Evangeliums nicht nur wesentlich stärker den Einfluß des Glaubens an die Auferstehung Jesu aufweist als die drei ersten Evangelien, sondern auch religionsgeschichtlich in einem anderen Zusammenhang steht. Daraus ergab sich die heute weitgehend anerkannte Notwendigkeit, auf eine Benutzung aller vier Evangelien als Quellen für die Darstellung des geschichtlichen Jesus zu verzichten, für diese Darstellung vielmehr als Quellen grundsätzlich nur die drei ersten Evangelien zu benutzen und das vierte Evangelium höchstens in zu begründenden Einzelfällen ergänzend als Quelle heranzuziehen. Die drei ersten Evangelien stehen aber ihrerseits unzweifelhaft in einer literarischen Beziehung zueinander. Weil man diese drei Evangelien zu einem großen Teil in einer Synopse, d. h.

Das Problem des historischen Jesus

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Zusammenschau, parallel nebeneinander abdrucken kann, hat man sich daran gewöhnt, diese Evangelien „Synoptische Evangelien" oder „Synoptiker" zu nennen. Obwohl die Meinungen über die literarische Beziehung der Synoptiker zueinander noch immer auseinandergehen, hat sich doch weithin die Anschauung durchgesetzt, daß unser Markusevangelium von den Verfassern des Matthäus- und des Lukasevangeliums ihren Evangelien zugrunde gelegt worden ist und daß die beiden umfangreicheren Evangelien das Markusevangelium durch Stoffe aus einer verlorenen gemeinsamen Quelle und durch Sondergut erweitert haben. Aus dieser Einsicht zog man die Folgerung, daß der Bericht über das Leben Jesu im Markusevangelium Anspruch darauf habe, als der älteste Bericht als geschichtlich zuverlässig angesehen und der Darstellung der Wirksamkeit Jesu Zugrunde gelegt zu werden, während die gemeinsame Überlieferung des Matthäus- und Lukasevangeliums (sog. Redenquelle) den zuverlässigsten Stoff für die Darstellung der Verkündigung Jesu enthalte. Von diesen Voraussetzungen aus ist die von A. Schweitzer in seiner „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" so scharf kritisierte Jesusforschung des 19. Jahrhunderts betrieben worden und wird ζ. T . auch heute noch betrieben. Dieses Zutrauen zur geschichtlichen Zuverlässigkeit des Markusevangeliums und der Redenquelle ist nun aber seit Beginn unseres Jahrhunderts in doppelter Weise erschüttert worden. Einerseits hat die genauere Prüfung des Aufbaus des Markusevangeliums gezeigt, daß dieser ältesten Darstellung des Wirkens Jesu keine Kenntnis des geschichtlichen Hintereinanders der Ereignisse zugrunde liegt, sondern daß der Markusevangelist die ihm überlieferten Einzelberichte oder Berichtsreihen von einem theologischen Grundgedanken aus geordnet und so einen nur locker zusammenhängenden Bericht geschaffen hat. Altes Überlieferungsgut hinter dem Markusevangelium sind also nur die Einzelberichte und Einzelworte, und das gilt erst recht für die Redenquelle, die die überlieferten Worte oder Wortgruppen Jesu offenbar nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet hatte. Aus der Reihenfolge und Zusammenordnung der einzelnen Texte im Zusammenhang der Evangelien kann man daher keinerlei geschichtliche Folgerungen ziehen. Andererseits hat die Untersuchung der Einzelberichte und Einzelworte ergeben, daß sie nicht einfach unverändert überliefertes Erinnerungsgut aus dem Leben Jesu darbieten, sondern daß die gesamte, hinter unseren Evangelien liegende mündliche Überlieferung im Zusammenhang der Verkündigung und Lehre der christlichen Gemeinde ihre Formung und Umformung erhalten hat und daß wir darum nicht einfach damit rechnen dürfen, daß die überlieferten Berichte und Worte der geschichtlichen Wirklichkeit des Lebens und Lehrens Jesu entsprechen. Angesichts der sich daraus ergebenden Notwendigkeit kritischer Scheidung wird daher heute die Möglichkeit, ein geschichtlich zuverlässiges Bild des Lebens und der Lehre Jesu zu geben, in verschiedener Intensität in Frage gestellt oder eingeschränkt.

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Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

1.2 Die theologische Problematik Neben diese Auflösung der geschichtlichen Sicherheit der Frage nach dem historischen Jesus sind nun aber seit dem Beginn unseres Jahrhunderts theologische Einwände gegen die Richtigkeit der Frage nach dem historischen Jesus getreten. Der Hallenser Theologe Martin Kähler erkannte die Unmöglichkeit, den Glauben an Gottes Heilstat in Jesus Christus auf die unsicheren und wandelbaren Resultate wissenschaftlicher Forschung zu begründen, und bestritt darum das theologische Recht, hinter die Berichte der Evangelien nach dem vorösterlichen Jesus von Nazareth zuriickzufragen: der wirkliche Christus ist nicht der „historische Jesus" der modernen Forschung, sondern der gepredigte Christus der apostolischen Zeugen. Und ein Menschenalter später nahm Rudolf Bultmann die These Kählers in der Überzeugung auf, daß man über den historischen Jesus nur sehr wenig wissen könne und daß der Glaube durch die Verkündigung (das „Kerygma") der neutestamentlichen Zeugen geweckt werde, und vertrat die Anschauung: „Man darf nicht hinter das Kerygma zurückgehen, um einen historischen Jesus zu rekonstruieren. Nicht der historische Jesus, sondern Jesus Christus, der Gepredigte, ist der Herr." Damit aber war die Frage nach dem historischen Jesus unwesentlich geworden, wenn man sich um das Verständnis der Theologie des Neuen Testaments bemühen wollte, und Bultmann hat konsequenterweise im Zusammenhang seiner Darstellung des „Urchristentums im Rahmen der antiken Religionen" die Verkündigung Jesu innerhalb des Judentums behandelt. "Wenn diese Anschauung zuträfe, wäre es darum unmöglich und falsch, die Schilderung der Theologie des Neuen Testaments nach ihren Hauptzeugen mit der Darstellung der Verkündigung Jesu zu beginnen. Es ist nun freilich sehr fraglich und darum neuerdings viel erörtert worden, ob diese theologische Ablehnung der Frage nach dem historischen Jesus zutreffend und ob, falls diese Ablehnung falsch ist, eine skeptische Haltung gegenüber der Möglichkeit der Gewinnung eines geschichtlichen Jesusbildes notwendig ist. Dabei ist in unserem Zusammenhang selbstverständlich vor allem die Frage entscheidend, ob wir bei der Beschäftigung mit der Theologie des Neuen Testaments überhaupt nach dem geschichtlichen Jesus fragen sollen. Nun wird sich freilich der Historiker diese Frage selbstverständlich nicht verbieten lassen, weil er etwas von Jesus wissen muß, wenn er die Entstehung des Christentums überhaupt begreifen will. Aber auch der Christ, der in dem Zeugnis der Apostel die Botschaft vom auferstandenen Herrn Jesus Christus vernimmt und ihr Glauben schenkt, begegnet in dieser Botschaft der Behauptung, daß der auferstandene Herr derselbe ist wie der Mensch Jesus von Nazareth, mit dem ein Teil der Auferstehungszeugen während seiner irdischen Wirksamkeit zusammengewesen war. Der Glaube ist darum, wenn er sich über sein Wesen Rechenschaft ablegen, d.h. theologisch nachdenken will, an der Frage brennend interessiert, ob und inwieweit zwischen dem Bild, das er von Jesus Christus

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aufgrund der apostolischen Verkündigung hat, und der geschichtlichen "Wirklichkeit dieses Jesus, auf den sich der Glaube zurückbezieht, eine Ubereinstimmung besteht oder nicht. Die Person und die Verkündigung Jesu sind ja die Voraussetzung für das Bekenntnis zum Auferstandenen und für die Predigt der Gemeinde von Gottes Offenbarung in seinem Sohn Jesus Christus, und darum muß der nach der Botschaft des Neuen Testaments fragende Christ auch nach dem Jesus fragen, der seinen Glauben begründet. Daß die Frage nach dem geschichtlichen Jesus an den Anfang der Bemühung um die Theologie des Neuen Testaments gehört, kann somit keinen Zweifel leiden. Aber besteht auch die wissenschaftliche Möglichkeit zur Beantwortung dieser Frage? Daß wir keine Biographie Jesu und auch keine Darstellung der Entwicklung der Verkündigung Jesu geben können, ist heute weithin anerkannt, weil wir wissen, daß nicht der Zusammenhang und die Reihenfolge der Taten und Worte Jesu in der ursprünglichen mündlichen Überlieferung bewahrt wurden, sondern nur die einzelnen Berichte und Worte oder Wortgruppen; nur die Leidensgeschichte macht davon eine Ausnahme. Die Darstellung der Verkündigung Jesu im Zusammenhang der Theologie des Neuen Testaments muß darum entschieden und konsequent auf jeden Versuch verzichten, aus der Reihenfolge der Evangelienberichte Folgerungen für das Werden und den Wandel des Denkens Jesu zu ziehen. Aber damit setzt nun erst das eigentliche methodische Problem ein. Denn so sicher die Analyse der Evangelien ergeben hat, daß die Einzeltexte die ursprüngliche Überlieferung darstellen, so unzweifelhaft hat sie auch gezeigt, daß der gesamte in die Evangelien aufgenommene Uberlieferungsstoff nicht aus biographischen oder historischen Interessen geformt und weitergegeben worden ist, sondern im Zusammenhang und zur Unterstützung der Verkündigung und Lehre der christlichen Gemeinde, und d. h. im Zusammenhang des Glaubens an die Auferstehung und himmlische Herrschaft Jesu Christi. Das heißt keineswegs, daß der Glaube die Überlieferung geschaffen hat, wohl aber, daß wir auf keinem Wege zu einer Schicht der Jesusüberlieferung vordringen können, die sich unabhängig vom Glauben erhalten hat und so weitergegeben worden wäre. Aber auch die neuerdings vorgetragene Annahme, Jesus habe selber dafür gesorgt, daß seine Jünger seine Taten und Worte genau festhielten, widerspricht dem sich wandelnden Charakter der Jesusüberlieferung. Diese Annahme kann die geschichtliche Zuverlässigkeit der Jesusüberlieferung als ganzer ebensowenig beweisen wie der Hinweis darauf, daß der Grundstock der Jesusüberlieferung auf Augenzeugen des Lebens Jesu zurückgehen müsse, die später zu Auferstehungszeugen geworden sind. Wenn vielmehr die gesamte in den Evangelien verwertete Jesusüberlieferung aus der glaubenden und verkündenden Gemeinde stammt, so kann nur kritische Prüfung der einzelnen Uberlieferungsstücke darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang diese Überlieferung in die Zeit vor Ostern zurückgeht und die geschichtliche Wirklichkeit Jesu und seiner Lehre zuverlässig wiedergibt.

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Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

Wenn das zutrifft, ist es andererseits aber auch falsch, an diese Aufgabe mit der neuerdings oft erhobenen Forderung heranzutreten, daß die „Echtheit" jedes einzelnen Jesuswortes und die Geschichtlichkeit jedes einzelnen Berichtes bewiesen werden müsse; denn es besteht durchaus kein Grund zu der Meinung, die geschichtliche Zuverlässigkeit eines Uberlieferungsstückes könne selbstverständlich nur eine Ausnahme sein. Der nach der Person und Verkündigung Jesu fragende Forscher wird sich vielmehr vor die Aufgabe gestellt sehen, innerhalb des Gesamtbestandes der Überlieferung zu derjenigen Schicht zurückzufragen, die als die älteste erwiesen werden kann. Bei dieser Aufgabe sind der literarische Vergleich zwischen den parallelen Berichten der Evangelien, die analytische Begrenzung des einzelnen Uberlieferungsstückes, die formgeschichtliche Unterscheidung verschiedener Erzählungs- und Redeformen und ihre Einordnung in die ihnen entsprechenden Entstehungsverhältnisse, der Vergleich der Gedanken mit der gleichzeitigen jüdischen und hellenistischen Gedankenwelt, die Aufdeckung besonderer Redeformen oder Gedanken Jesu oder für ihn typischer Verhaltensweisen, die Ausscheidung ausgesprochen jüdischer oder urchristlicher Vorstellungen usw. unentbehrliche methodische Hilfsmittel. Die entscheidende Kontrolle über die Richtigkeit einer solchen Ausscheidung des ältesten Uberlieferungsbestandes kann freilich nur der Nachweis sein, daß sich aus der Zusammenordnung der so gewonnenen Überlieferungsstücke ein geschichtlich verständliches, einheitliches Bild Jesu und seiner Verkündigung ergibt, das auch die weitere Entwicklung des Urchristentums verständlich macht. Natürlich bleibt es bei der Mehrdeutigkeit mancher Argumente und bei der Gefahr der Gebundenheit des Forschers an kirchliche, wissenschaftsgeschichtliche oder persönliche Vorurteile unvermeidlich, daß über die Frage des Alters einzelner Überlieferungsstücke und auch ganzer Überlieferungsgruppen die Urteile immer wieder auseinandergehen werden. Aber die Unsicherheit und Korrekturbedürftigkeit aller solcher Urteile darf an der Notwendigkeit und Wichtigkeit der Frage nach der Person und Verkündigung Jesu im Rahmen der Neutestamentlichen Theologie keinen Zweifel aufkommen lassen. Denn „die Vorordnung des Herrn vor seiner Gemeinde und seinen Gläubigen kann und muß auch zeitlich zum Ausdruck gebracht werden" (E.Käsemann).

2. Die Herrschaft Gottes 2.1 Johannes der Täufer Unsere Evangelien sind geschrieben, um von dem Leben, Wirken, Sterben und der Auferweckung Jesu Christi Zeugnis abzulegen, und doch beginnen sie ihren Bericht alle mit Johannes dem Täufer. Das hat zweifellos seinen guten Grund. Natürlich mußte Johannes der Täufer schon darum erwähnt werden, weil Jesus sich vor Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit vom Täufer hat taufen lassen; aber zu diesem Zweck hätte es ja genügt, auf das Taufen des Johannes hinzuweisen. Die Evangelien berichten aber alle auch

Johannes der Täufer

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von der Verkündigung und dem Verhalten des Täufers, und das Markusevangelium beginnt ausdrücklich mit der Feststellung: „Der Anfang der frohen Botschaft von Jesus Christus, dem Gottessohn, [geschah], wie geschrieben steht im Propheten Jesaja: ,Siehe, ich schicke meinen Boten vor dir her, er wird deinen Weg bereiten. [Es erschallt] eine Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Pfade gerade.' Es trat auf Johannes der Täufer in der Wüste mit der Verkündigung von der Taufe der Umkehr zur Sündenvergebung" (Mk. 1,1-4). Der Täufer wird also im Anschluß an alttestamentliche Prophetenworte (Mal. 3,1; Jes. 40,3) als der Wegbereiter Jesu geschildert, und diese Wegbereitung sahen die Urchristen offensichtlich vor allem in der Forderung der Umkehrtaufe zur Sündenvergebung. Diese Aufforderung zur Taufe aber steht in unauflöslichem Zusammenhang mit der sonstigen Predigt des Täufers, und darum mußte in den Evangelien und darum muß auch in dieser Darstellung der Verkündigung Jesu einleitend vom Täufer die Rede sein.

2.1.1 Das bevorstehende

Gericht

Es ist nun freilich nicht leicht, eine objektive geschichtliche Anschauung von Johannes dem Täufer zu gewinnen, weil die Berichte der Evangelien den Täufer von der Glaubensvoraussetzung her schildern, er sei der Vorläufer Jesu gewesen, während der einzige noch vorhandene nicht-christliche Bericht, der des jüdischen Historikers Josephus (Jüdische Altertümer 18, 116-119; deutsch bei C. K. Barrett, Die Umwelt, s. o. S. 9, S. 209 f.), sich bemüht, den Täufer als einen politisch harmlosen Moralprediger hinzustellen, wobei es freilich unverständlich bleibt, daß sein Landesherr ihn hinrichten ließ. Wenn darum mancherlei unsicher bleiben muß, so lassen sich doch die Grundzüge der Predigt des Täufers durchaus erkennen, vor allem insoweit sie für die Beziehung zwischen der Predigt des Täufers und der Jesu von Bedeutung sind. Da ist zunächst eindeutig, daß der Täufer das unmittelbar bevorstehende Gericht Gottes ankündigt: „Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen" (Mt.3,10p.). Solche Gerichtspredigt ist seit der Zeit eines Amos in Israel oftmals erklungen, und auch, daß dieses Gericht eine endgültige Scheidung bewirken und durch einen übermenschlichen Richter vollzogen werden solle (Mt. 3,12p.), entspricht apokalyptischer Erwartung. Aber diese traditionelle Gerichtspredigt wird nun durch Johannes in doppelter Weise aktualisiert. Einmal nimmt er seinen Hörern jede Möglichkeit, die Gerichtsdrohung für sich selber beiseite zu schieben, indem er ihnen sagt, daß das Gericht bereits begonnen hat: die Axt liegt schon an der Wurzel der Bäume, und niemand soll sich einbilden, er könne dem Zorn Gottes entgehen (Mt.3,10.7p.). Andererseits zerstört der Täufer die trügerische Hoffnung, Gott werde einen Juden weniger streng richten einfach darum, weil er vom Vater Abraham abstamme: „Meint nicht, ihr könntet bei euch sagen: ,Wir haben Abraham

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Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

zum Vater'; denn ich sage euch, Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erstehen lassen" (Mt.3,9p.). Damit wird jeder religiöse Vorzug des Juden vor Gott geleugnet und der Jude wie jeder andere Mensch für sich selbst vor Gott für verantwortlich erklärt. Nicht nur richtet sich die Gerichtspredigt des Täufers auf diese Weise an jeden einzelnen in gleicher Dringlichkeit, sondern im Grunde ist damit das Verhältnis des Menschen zu Gott allein durch sein Menschsein und nicht mehr durch die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk oder irgendeiner anderen menschlichen Gruppe bestimmt. 2.1.2 Die Umkehr und die Taufe Aber der Täufer war nicht nur ein Gerichtsprediger, was sich ja auch aus seiner Kleidung und asketischen Lebensweise ergibt (Mk. 1,6 p.), er zeigt auch einen "Weg zur Rettung: er verkündet die Bußtaufe zur Vergebung der Sünden: „Wirkt eine Frucht, die der Buße würdig ist" (Mt. 3,8 p.). Eines ist an dieser Mahnung ohne weiteres klar: Johannes nimmt den prophetischen Ruf zur „Umkehr" auf. Denn das mit „Buße" mißverständlich übersetzte aramäische Wort bezeichnet in Wirklichkeit die Umwendung, das Verlassen des falschen Weges und das entschlossene Gehen auf dem richtigen Wege. Die konkreten Forderungen, die der Täufer an einzelne Berufe stellt (Lk. 3,10-14), und das Bild vom Baum, der gute Früchte bringen muß (Mt.3,10p.), zeigen deutlich, daß Johannes als den Weg zur Rettung vor dem schon beginnenden Gericht die entschlossene Umwendung zum Tun des göttlichen Willens ansieht; nur wer solche Früchte bringt, beweist damit, daß er umgekehrt ist. Johannes verbindet aber nun diese prophetische Forderung auf Umkehr mit der Aufforderung, sich im Jordan taufen zu lassen zur Vergebung der Sünden. Was hat das Untertauchen im Jordan mit der Umkehr zu tun, und wie kann ein solches Getauftwerden die Sündenvergebung bewirken? Die Untertauchtaufe soll nur einmal geschehen, wobei Johannes als der aktiv Handelnde erscheint, daher sein Beiname „der Täufer"; und da die Getauften bei der Taufe ihre Sünden bekannten (Mk. 1,5 p.), ist die Sündenvergebung offensichtlich das Ziel des Getauftwerdens. Wie dieser Zusammenhang aber nun im einzelnen gedacht ist, sagen die Evangelisten nicht deutlich, und da wir nicht sicher wissen, in welchen religionsgeschichtlichen Zusammenhang die Taufe des Täufers einzuordnen ist, können wir diesen Zusammenhang auch nur vermutungsweise erklären. Die Annahme ist freilich sehr verbreitet, daß der Täufer die jüdische Sitte der Taufe zum Judentum übertretender Heiden, die sog. Proselytentaufe, übernommen und auf seine jüdischen Landsleute angewandt habe, die damit den Heiden gleichgestellt wurden. Aber dagegen spricht, daß der rituell unreine Jordan zu einem solchen rituellen Akt nicht geeignet war und daß die Proselytentaufe nichts mit Sündenvergebung und nichts mit dem Endgericht zu tun hatte. Auch die neuerdings mehrfach ausgesprochene Vermutung, daß der Täufer mit der jüdischen Sondergruppe, die wir in Qumran kennengelernt haben,

Johannes der Täufer

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persönlich in Verbindung gestanden und deren Waschungen übernommen habe, ist äußerst unwahrscheinlich, weil weder nachgewiesen ist, daß diese jüdische Gruppe eine einmalige Waschung als Aufnahmeritus hatte, noch irgendeine Beziehung zwischen den dort üblichen Waschungen und dem Endgericht erkennbar ist. Doch dürften die in Qumran geübten Waschungen in den größeren Zusammenhang der am Rande des Judentums damals vorhandenen und vor allem im Ostjordanland beheimateten Täufergruppen hineingehören, und wir wissen, daß dort auch gelegentlich eine Waschung als Vorbereitung für das Bestehen im Endgericht angesehen wurde. Wenn der Täufer darum wahrscheinlich seine Taufe im Anschluß an eine derartige Randerscheinung des Judentums ausgebildet hat, so scheint doch die besondere Art seiner Taufe ohne wirkliches Vorbild zu sein. Angesichts dieser Unsicherheit im Verständnis des religionsgeschichtlichen Zusammenhangs der Johannestaufe bleibt uns deren genauer Sinn verborgen, doch läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, daß die Taufe als ein auf die nahe Endzeit bezogenes Sakrament den Menschen, der sich mit dem Entschluß zur Umkehr durch Johannes taufen ließ, für das Bestehen im Endgericht reinigend zurüstete. 2.1.3

Das Kommen des

„Stärkeren"

Dieses Endgericht wird aber nach der Verkündigung des Täufers in der Hand eines Mächtigeren liegen: „Es kommt der, der stärker ist als ich, nach mir; ich bin nicht würdig, gebückt den Riemen seiner Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, er wird euch mit Heiligem Geist taufen. Seine Wurfschaufel ist in seiner Hand, um seine Tenne zu fegen und den Weizen in seine Scheuer einzubringen; die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen" (Mk. 1,7p.; Lk. 3,17p.). Dieses Täuferwort ist sehr verschieden überliefert, und es wird kaum gelingen, seinen ursprünglichen Wortlaut genau wiederherzustellen. Aber zweierlei ist doch deutlich: Der Täufer weiß sich als Wegbereiter des himmlischen Richters, den Gott nach ihm senden wird und der als himmlische Gestalt hoch über ihm steht; und dessen Urteil wird endgültig sein. Nun hat aber der Täufer nach dem Bericht des Markus auch noch gesagt, daß der Stärkere mit Heiligem Geist taufen werde, während Matthäus und Lukas von der Taufe mit Heiligem Geist und Feuer reden. Dabei läßt sich die Bildrede vom „Eintauchen in Feuer" als Hinweis auf die Feuerprüfung beim Gericht durchaus verstehen, „Eintauchen in Heiligen Geist" ist aber ein unvorstellbares Bild, und es könnte überdies damit nur eine Heilsansage gemeint sein, die im gleichen Satz wie die Gerichtsdrohung unmöglich ist. Mancherlei Versuche, durch Änderung des Wortlauts oder andere Übersetzung aus der „Taufe mit Heiligem Geist" doch eine Gerichtsdrohung zu machen oder Heil und Unheil auf verschiedene Menschengruppen zu verteilen, sind allesamt nicht überzeugend, und so bleibt nur die Vermutung, daß die Nennung des Heiligen Geistes erst in der christlichen Uberlieferung in das Täufer-

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Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

wort eingedrungen ist, weil für die Christen Taufe und Geistesbegabung zusammengehörten (s. u.S. 117). Trifft diese Vermutung zu, so hat der Täufer nur das Feuergericht durch den nach ihm kommenden „Stärkeren" angesagt, aber natürlich bleibt eine solche Vermutung unsicher. Dieser „Stärkere" scheint für den Täufer keinen Namen getragen zu haben, schon gar nicht den Jesu, wie es das Johannesevangelium aus christlicher Sicht deutet (1,29-34; 3,27-30). Freilich hat Johannes, von seinem Landesherrn gefangengesetzt, an Jesus die Frage gerichtet: „Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen Anderen warten?" (Mt. 11,2f.p.), aber wir erfahren nicht, ob er sich durch Jesu Hinweis auf seine ungewöhnlichen Taten und seine Frohbotschaft an die Armen (Mt. 11,4-6 p.) davon hat überzeugen lassen, daß mit Jesus zwar nicht der erwartete Weltrichter, wohl aber Gottes Freudenbote der Endzeit gekommen sei. Und wir wissen darum auch nicht, ob Johannes enttäuscht über das Ausbleiben des Weltrichters oder voll Hoffnung über Gottes Eingreifen in seinem endzeitlichen Freudenboten in den T o d ging, den bald nach dieser Anfrage an Jesus sein Landesherr über ihn verhängte (Mk.6,16f.p.). 2.1.4

Die Taufe Jesu

Die Verfasser der drei ersten Evangelien haben freilich schwerlich daran gezweifelt, daß Johannes nicht bloß der Wegbereiter Jesu war, sondern auch sein wollte. Wenn aber von dem Täufer nur aus diesem geschichtlich nicht zutreffenden Grunde zu Beginn ihrer Evangelien die Rede wäre, so bestünde für uns keine Ursache, von der Wirksamkeit und Verkündigung des Täufers zu Beginn einer Schilderung der Verkündigung Jesu zu reden. Aber die Evangelisten hatten noch zwei weitere Tatbestände zu berichten, die sie veranlaßten, von Johannes zu erzählen, und um dieser Tatbestände willen ist der Täufer in unserem Zusammenhang wichtig. Sie berichten einerseits, daß Jesus zu den zahlreichen Juden gehörte, die zum Täufer an den Jordan kamen und sich von ihm taufen ließen, und daß Jesus bei seiner Taufe ein für seine Wirksamkeit entscheidendes Erlebnis gehabt habe (Mk. 1,9-11 p.). Sie stellen andererseits diesem Bericht von der Taufe Jesu ihre ausführliche Wiedergabe der Predigt des Täufers voraus und weisen in verschiedener Form darauf hin, daß Jesus sich an diese Predigt des Täufers angeschlossen habe. Beides aber ist für das Verständnis der Verkündigung Jesu wesentlich. Daß Jesus von Johannes getauft worden ist, kann nicht ernstlich bezweifelt werden; denn den ersten Christen war der Tatbestand anstößig, daß sich Jesus wie andere Menschen vom Täufer „zur Vergebung der Sünden" taufen ließ, und Mt. 3,14 f. und apokryphe Evangelien lassen darum in verschiedener Weise Jesus seine Taufe als gottgewollt verteidigen. Der älteste Bericht über die Taufe Jesu (Mk. 1,9-11) schildert allerdings dieses Ereignis nur unter dem Gesichtspunkt der Bedeutsamkeit des Geschehens für Jesus selbst, und es ist eine offene Frage, ob und inwieweit wir dabei mit

Die Taufe Jesu

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geschichtlicher Kenntnis in der Überlieferung rechnen dürfen (s.u.S.66). Auf alle Fälle aber ergibt sich aus der Tatsache, daß Jesus die Taufe des Täufers auf sich nahm, daß er der Verkündigung des Täufers von der Nähe des Gerichts und der Notwendigkeit der Umkehr zustimmte. Dem entspricht nun, daß die Evangelisten auf die Anknüpfung Jesu an die Predigt des Täufers Wert legten. Nach Mt. 3,2; 4,17 trat Jesus genau wie der Täufer mit dem Ruf auf: „Kehrt um, denn die Himmelsherrschaft ist nahegekommen." Man wird bezweifeln müssen, daß dieser Wortlaut für den Täufer zutrifft, weil die Ansage der Nähe der Himmelsherrschaft oder dergleichen im Munde des Täufers sonst nicht begegnet und offensichtlich gerade für Jesus kennzeichnend ist (s.u.). Aber wenn der Täufer darum wohl auch nicht von der Nähe der Himmelsherrschaft gesprochen hat, so doch zweifellos von der unmittelbaren Nähe des Gerichts, und Mk. 1,15 p. berichtet, daß Jesus ebenfalls mit der Verkündigung von dem Nahegekommensein der Gottesherrschaft aufgetreten sei. Hat der Täufer mit seiner Ansage von der Nähe des Weltgerichts die Aufforderung zur Umkehr verbunden, so folgt ihm auch darin Jesus nach Mk. 1,15p. Die Evangelisten haben darum mit Bedacht zu Anfang ihrer Evangelien nicht nur von der Taufe, sondern auch von der Verkündigung des Täufers berichtet. 2.2 Jesus Aber trifft es zu, daß Jesus, wie die Evangelien berichten, sich in dieser Weise an die Verkündigung des Täufers angeschlossen hat? Die eben angeführte Nachricht in Mk. 1,14 f. p., daß Jesus auftrat, „indem er das Evangelium Gottes verkündete und sagte: Die Zeit ist erfüllt und die Gottesherrschaft ist nahegekommen. Kehret um und glaubt an das Evangelium" ist ja eine Zusammenfassung der Predigt Jesu durch den Evangelisten und kein überliefertes Einzelwort Jesu. Wenn auch feststeht, daß Jesus sich durch die Übernahme der Johannestaufe an die eschatologische Bußbewegung des Täufers angeschlossen hat, so ist damit keineswegs notwendigerweise gegeben, daß er auch die Verkündigung des Täufers von der Nähe des göttlichen Gerichts aufnahm. Wir haben jedoch Einzelworte Jesu genug, die beweisen, daß er Gottes strenges Gericht angesagt hat: „Tyrus und Sidon wird es erträglicher gehen am Gerichtstag als euch" (Mt. 11,22 p.); „Ich sage euch, daß die Menschen für jedes nichtsnutzige Wort, das sie sprechen, am Gerichtstage Rechenschaft werden ablegen müssen" (Mt. 12,36; vgl. Lk. 17,34f.p.). Die Androhung des Gerichts über „dieses Geschlecht" (Mt. 12,41 f. p.) ebenso wie der Hinweis auf das plötzliche Kommen des Menschensohns zum Gericht (Mt. 24,43 f. p.; Mk.8,38p.) zeigen eindeutig, daß Jesus auch das baldige Kommen des Gerichtstages angesagt hat. Doch findet sich bei Jesus kein so drohender Hinweis auf das unmittelbare Bevorstehen des Gerichts wie das Bild des Täufers von der Axt, die schon an den Wurzeln der Bäume liegt. Die Evangelisten haben an den Anfang ihrer Wiedergabe der Verkündigung Jesu denn auch nicht die Ansage des nahen

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Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

Gerichts, sondern die Botschaft gestellt: „Die Gottesherrschaft ist nahe gekommen" (Mt. 1,15 p.). Damit haben sie zweifellos den für Jesu Verkündigung kennzeichnendsten Begriff aufgenommen. Jesus hat seine Jünger ausgesandt mit der Botschaft: „Die Gottesherrschaft ist nahe gekommen" (Lk. 10,9; vgl. Mt. 10,7), und er hat seine Jünger angewiesen, wie sie aus dem Wachstum der Blätter des Feigenbaums auf die Nähe der Ernte zu schließen gewohnt sind, so auch ihre Gegenwart zu beurteilen: „Wenn ihr das alles geschehen seht, erkennet, daß es nahe vor der Türe ist" (Mk. 13,29 p.; Lk. 21,31 ergänzt sachlich richtig: „erkennet, daß die Gottesherrschaft nahe ist"). Und Jesus hat noch konkreter seinen Hörern verheißen: „Wahrlich, ich sage euch, daß einige von denen, die hier stehen, den Tod nicht kosten werden, bis sie die Gottesherrschaft in Kraft haben kommen sehen" ( M k . 9 , l p . ) . 2.2.1

Die Nähe der

Gottesherrschaft

Diese Erwartung Jesu, daß die Gottesherrschaft anbrechen werde, ehe alle Menschen seiner Generation gestorben sein würden, wird bestätigt durch die Voraussagen: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis das alles geschehen ist" (Mk. 13,30p.) und „Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht fertig werden, bis der Menschensohn kommt" (Mt. 10,23 p.). Man kann daher, ohne den Texten Gewalt anzutun, nicht leugnen, daß Jesus ein zeitlich sehr nahes Kommen der Gottesherrschaft erwartet hat, doch sind es nur wenige der erhaltenen Worte Jesu, die von dieser zeitlich begrenzten Nähe reden, und Jesus hat daneben ausdrücklich betont, daß niemand den genauen Termin dieses Kommens kenne: „Seid bereit; denn zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet, kommt der Menschensohn" (Mt.24,44p.); „Über jenen Tag oder jene Stunde weiß niemand etwas, auch nicht die Engel im Himmel, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater" (Mk. 13,32p.; der Wortlaut dieses Spruches ist freilich im Munde Jesu schwierig, s.u.S. 67). Wenn Jesus die begrenzte Nähe des Kommens der Gottesherrschaft ankündigt, so ist ihm daher offensichtlich nicht der Termin dieses Geschehens an sich wichtig - die Frage nach dem Termin wird ja auch in Lk. 17,20 f. direkt abgewiesen - , sondern allein die Tatsache, daß die Gottesherrschaft bald kommt. Darum hat Jesus seinen Jüngern geboten, um das Kommen der Gottesherrschaft zu beten (Mt. 6,10p.), darum hat er beim letzten Mahl den Entschluß ausgesprochen: „Ich werde vom Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken, bis ich es von neuem trinken werde in der Gottesherrschaft" (Mk. 14,25 p.), und ganz entsprechend hat Jesus denen, die auf seine Botschaft hörten, das Eingehen in die kommende Gottesherrschaft oder das künftige Erben der Gottesherrschaft verheißen (Mk. 10,15.23p.; Mk. 10,17p.; Mt.25,34). Was will aber Jesus sagen, wenn er das baldige Kommen der Gottesherrschaft ankündigt? Daß Gott seine Herrschaft als König über sein Volk Israel in der Zukunft allen Völkern sichtbar aufrichten möge, ist die Hoff-

Die Nähe der Gottesherrschaft

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nung Israels seit der Zeit des babylonischen Exils gewesen, und so betet der fromme Jude zur Zeit Jesu täglich: „Sei König über uns, du allein!" Natürlich weiß der Jude auch, daß Gott jetzt schon König ist, und kann darum Gott als „unser Vater, unser König" anrufen, aber dieses Königtum Gottes ist in der Gegenwart verborgen, und darum hofft man auf das baldige Hervortreten dieser Herrschaft. Weil der Jude es in jener Zeit überhaupt zu vermeiden suchte, von Gott direkte Aussagen zu machen, sprach er nicht vom Kommen Gottes als König, sondern vom Kommen oder In-Erscheinung-Treten der Königsherrschaft Gottes. Jesus greift also eine Vorstellung der jüdischen Heilshoffnung auf, wenn er vom baldigen Kommen der (Königs-)Herrschaft Gottes redet. Aber es ist sehr bezeichnend, daß er gerade diesen Begriff aufgreift. Denn einmal haben die jüdischen Zeitgenossen Jesu diese Vorstellung wohl gekannt, aber sie keineswegs bevorzugt verwendet, wenn sie von der Hoffnung auf das kommende Heil reden wollten; wenn Jesus gerade Gottes Herrschaft als bald kommend ankündigt, legt er den Nachdruck nicht auf das Vergehen von Himmel und Erde, obwohl er das auch erwartet (Mk. 13,31p.), sondern darauf, daß Gott herrschen wird. Es ist darum unwahrscheinlich, daß Jesus, wie Matthäus in der Mehrzahl der Fälle formuliert (Ausnahmen sind nur Mt. 12,28; 21,31.43) von der „Herrschaft der Himmel" (Luther: „Himmelreich") gesprochen hat, weil dies der geläufigere jüdische Ausdruck ist, bei dem das Ersatzwort „die Himmel" für „Gott" eingetreten ist; doch besagt sachlich auch „Herrschaft der Himmel" nichts anderes als „Gottesherrschaft", das sich bei Markus und Lukas durchgehend findet. Daß Jesus bewußt gerade von der Herrschaft Gottes redet, erkennt man andererseits aber vor allem an dem Inhalt, den er dieser Vorstellung beilegt. Es fehlt bei Jesus nämlich jede Ausmalung von Heil und Unheil, von wenigen traditionellen Bildern abgesehen (Mt. 8,11p.; Mk. 10,40p.), und Jesus betont ausdrücklich, daß es bei der Auferstehung ganz anders sein wird als in irdischen Verhältnissen (Mk. 12, 25 p.), weshalb man sich die Gottesherrschaft auch nicht ausmalen kann. Wohl aber beschreibt Jesus, zum Teil in traditionellen Bildern, was geschehen wird, wenn die Gottesherrschaft kommt: dann findet die Totenauferstehung statt, der Menschensohn kommt und hält Gericht (Mt. 12, 41 f.p.; Mk.8,38p.), dann strömen die Gerechten von Osten und Westen herbei, um am messianischen Mahl teilzunehmen (Mt. 8,11 p.), dann werden der Satan und die Dämonen ihrer Macht beraubt (Mt. 12,28 p. redet vorausnehmend von dieser Erwartung,, vgl. auch Mt.25,41). Aber das alles wird mehr angedeutet als beschrieben. Den eigentlichen Sinn der Verheißung der kommenden Gottesherrschaft können wir erst erkennen, wenn wir nach den Parallelbegriffen fragen, mit denen Jesus das Heil der Gottesherrschaft beschreibt. Hier begegnet vor allem der Begriff des „Ewigen Lebens". Wie Jesus vom „Eingehen in die Gottesherrschaft" redet, so redet er auch vom „Eingehen in das Leben" (Mk.9,43.45.47p.); wie vom „Erben der Gottesherrschaft" die Rede ist, so auch vom „Erben des Lebens" (Mt. 25,34; Mk. 10,17p.), und dement-

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Die Verkündigung Jesu nach den drei ersten Evangelien

sprechend will Jesus „den Weg, der zum Leben führt" zeigen (Mt. 7,14). Dem „Eingehen in das Leben" entspricht weiter das „Eingehen in die Freude" (Mt. 25,21.23) und das „Teilhaben an der Herrlichkeit" (Mk. 10,37) wie das „Teilhaben am Licht" (Lk. 16,8). Alle diese Bilder beschreiben denselben Sachverhalt: wer in die bald kommende Gottesherrschaft eingehen darf, der darf teilhaben an Gottes Leben und Herrlichkeit, der wird aufgenommen in das Vaterhaus (Lk. 15,24.31). Wenn Gott seine Herrschaft aufrichten wird, dann kann keine Macht die „Söhne der [Gottes-] Herrschaft" (Mt. 8,12) mehr von Gott trennen. Aber diese Verheißung gilt nur für die „kleine Herde", der der Vater die Herrschaft zu geben beschlossen hat (Lk. 12,32), und in den meisten der eben genannten Jesusworte ist neben die Verheißung des Lebens usw. der Hinweis auf die Gefahr gestellt, den Tod, die Finsternis, die Hölle zu erben (Mk.9,43.45.47p.; Mt.25,41; 7,13; 25,30; 8,12). So sehr Jesus die Teilhabe an Gottes Heil verheißt, so sehr gilt diese Heilsverheißung doch nicht einfach jedermann, sondern ist an bestimmte Bedingungen, gebunden, so daß Jesus sagen kann: „Die Türe ist eng und der Weg schmal, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden" (Mt. 7,14). Ist also Jesu Verkündigung der nahen Gottesherrschaft doch keine Heilspredigt? 2.2.2 Die Gegenwart der

Gottesherrschaft

Der Markusevangelist war freilich gegenteiliger Meinung; denn er bezeichnet zu Beginn seines „Evangeliums" Jesu Predigt als Verkündigung der frohen Botschaft Gottes, indem er an Jesu Ansage „Die Gottesherrschaft ist nahe gekommen" die Aufforderung Jesu anfügt: „Kehrt um und glaubt an die Frohbotschaft!" (Mk. 1,14f.). Aber entspricht das Jesu eigener Anschauung? Das Wort „Frohbotschaft" ( = Evangelium) begegnet zwar mehrfach in Jesusworten bei Markus (8,35; 10,29; 13,10; 14,9), aber in allen diesen Fällen ist es fraglich, ob der Wortlaut auf Jesus zurückgeführt werden kann. Dagegen findet sich in der Redenquelle die Antwort Jesu auf eine Anfrage des Täufers an Jesus aus dem Gefängnis „Bist du der Kommende oder sollen wir einen anderen erwarten?": „Geht hin und meldet dem Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, und Tote werden auferweckt und Armen wird die Frohbotschaft verkündigt und selig ist, wer über mich nicht zu Fall kommt" (Mt. 11,2-5p.). Da kein ernsthafter Grund besteht, die Zuverlässigkeit dieses Berichts anzuzweifeln, vor allem da der Täufer hier durchaus nicht als Zeuge für Jesu Sendung erscheint, ergibt sich aus dieser Antwort Jesu, daß Jesus in seinem Wirken und Predigen Verheißungen des Jesajabuches erfüllt gesehen hat (Jes.35,5f.; 61,1): daß den „Armen", d.h. den auf Gott vertrauenden „geringen" Leuten, die frohe Botschaft von Gottes endzeitlichem Handeln verkündet wird, soll der Täufer als Anzeichen der Erfüllung endzeitlicher Heilsverheißung erkennen. Demnach hat Jesus seine Predigt als Frohbotschaft der Endzeit bezeichnet und die zweifelnde

Die Gegenwart der Gottesherrschaft

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Frage des Täufers, ob der Heilbringer der Endzeit in der Person Jesu etwa gekommen sei, durch den Hinweis auf seine Taten und Worte als das Heilsgeschehen der Endzeit andeutend bejaht. Dieser Anspruch Jesu ist aber auch sonst noch mehrfach bezeugt. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Selig eure Augen, daß sie sehen, und eure Ohren, daß sie hören; wahrlich, ich sage euch nämlich, daß viele Propheten und Gerechte sehen wollten, was ihr seht, und es nicht sahen, und hören wollten, was ihr hört, und es nicht hörten" (Mt. 13,16 f. p.) und deutet durch diese Ausdrucksweise an, daß seine Jünger erleben dürfen, was für die Endzeit verheißen ist. Jesus bringt dieses Endgeschehen in der Gegenwart aber auch direkt mit der Gottesherrschaft in Verbindung: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist die Gottesherrschaft zu euch gekommen" (Lk. 11,20p.). Das ist zweifellos eine paradoxe Aussage; denn der Jude erwartet, daß mit dem Kommen der Gottesherrschaft Gottes Macht sichtbar zutage tritt, und hier ist es nur Jesu Macht über die Dämonen, die Jesus zu der Behauptung veranlaßt, in seinen Taten sei die kommende Gottesherrschaft angebrochen. Diesen Anspruch wiederholt Jesus in einem Bildwort, mit dessen Hilfe er sich gegen den Vorwurf wehrt, seine Macht über die Dämonen verdanke er dem Bunde mit dem Dämonenfürsten: „Niemand kann in das Haus des Starken hineingehen und ihm seine Habe rauben, wenn er nicht zuerst den Starken gebunden hat, und dann wird er sein Haus ausrauben" (Mk.3,27p.). Den Dämonenfürsten kann nach jüdischer Erwartung nur der Heilbringer der Endzeit binden, und so deutet Jesus auch mit diesem Ausspruch an, daß durch sein Tun sich endzeitliches Heil schon in der Gegenwart vollzieht. Davon redet also Jesu frohe Botschaft, daß in seinem Handeln und Verkünden Gott schon jetzt seine Herrschaft aufrichtet, daß man darum schon jetzt an diesem Heilshandeln Gottes Anteil erhalten kann, wenn man sich dieser Botschaft Jesu glaubend anschließt. Weil der Hörer Jesu diese Gegenwart der kommenden Gottesherrschaft in Jesu Wirken und Verkündigen nur erkennen kann, wenn er diesen Anspruch Jesu anerkennt (man kann ja in Jesu Taten auch den Dämonenfürsten wirksam sehen und seine Verkündigung als Gotteslästerung erklären, Mk.3,22p.; 2,7p.!), haben manche Forscher angenommen, daß Jesus auch im Kreise seiner ihn anerkennenden Jünger die Gottesherrschaft gegenwärtig gesehen habe, zumal nach der Uberlieferung des Matthäus Jesus dem Petrus verheißen hat, er werde seine Gemeinde auf ihn als Felsen bauen (Mt. 16,18f.). Man hat diese Annahme gestützt mit dem Hinweis auf Lk. 12,32 „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat euerm Vater gefallen, euch das Reich zu geben" und mit der Überlegung, daß Jesus als Bringer der Gottesherrschaft auch einen Kreis von Gliedern dieser Gottesherrschaft um sich habe scharen müssen. Aber diese Argumentation ist schwerlich haltbar. Zweifellos hat Jesus Menschen zur persönlichen Nachfolge aufgefordert (Mk. 1,17.20 p.; Lk.9,59p.), keineswegs aber vom Eintritt in seine persönliche Nachfolge für jedermann die Zusage der Teilhabe an der kommenden Gottesherrschaft abhängig gemacht (Mk. 10,17.19p.; 3

Kümmel, Theologie

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Mk. 12,34). Es ist äußerst wahrscheinlich, daß Jesus auch einen engeren Jüngerkreis von zwölf Jüngern um sich scharte und dadurch seinen Anspruch sichtbar machte, das ganze Zwölfstämmevolk zur Umkehr zu rufen (Mk. 14,10p.; l.Kor. 15,5; Mt. 19,28p.; vgl. auch Mk.3,13ff.p.; 6,7ff.p.), aber es ist nichts davon berichtet, daß Jesus diesen engsten Jüngerkreis als endzeitliche Heilsgemeinde angesehen oder bezeichnet habe. Das Wort von der kleinen Herde (Lk. 12,32, s.o.) enthält ja gerade die Verheißung der Teilnahme an der Gottesherrschaft für diejenigen, die in der Gegenwart Jesu keine Furcht haben, sich ihm anzuschließen. Nirgendwo zeigt sich in diesen Zusamenhängen bei Jesus die Vorstellung einer um ihn gescharten „Gemeinde" oder gar der Gegenwart der Gottesherrschaft in dieser Gemeinde. Schon darum kann das berühmte, von den römischen Bischöfen seit dem 3. Jahrhundert für ihren Bischofsstuhl in Anspruch genommene "Wort an Petrus: „Ich sage dir: du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Hadespforten werden keine Macht über sie haben. Ich will dir die Schlüssel der Himmelsherrschaft geben, und was du auf Erden bindest, wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden löst, wird im Himmel gelöst sein" (Mt. 16,18 f.) schwerlich auf Jesus zurückgehen. Jesus hat gegenüber dem ganzen jüdischen Volk einen Anspruch erhoben, womit sich die Gründung einer Sondergemeinde nicht verträgt, durch die man allein den Eingang in die Gottesherrschaft gewinnen kann, und auch die in diesem Wort dem Petrus zugeschriebene Sonderstellung, die den Entscheidungen dieses Menschen göttlich bindende Bedeutung zuschreibt, widerspricht Jesu Anschauung über das Verhältnis der Jünger zueinander (Mk. 10,43f.p.). Das Petruswort ist darum sicher erst in der Urgemeinde entstanden und kann nicht beweisen, daß Jesus die Gottesherrschaft auch in der Gemeinde seiner Jünger gegenwärtig sah. Man hat nun aber auch vielfach gemeint, daß Jesus von der Gottesherrschaft als von einer auf Erden wachsenden Wirklichkeit gesprochen habe, und man hat sich zu dieser Annahme veranlaßt gesehen durch diejenigen Gleichnisse Jesu, in denen die Gottesherrschaft mit wachsenden Pflanzen (Mk.4,26ff.; 4,30ff.p.; Mt.l3,24ff.) oder mit der Wirkung eines Sauerteigs (Mt. 13,33 p.) verglichen wird. Bei allen diesen Gleichnissen wird nicht deutlich gesagt, in welcher Hinsicht die Gottesherrschaft durch den Hinweis auf die Erfahrung des Bauern oder der Hausfrau illustriert werden soll, und darum ist die Deutung aller dieser Gleichnisse auch sehr umstritten. Aber achtet man genau auf die Züge, die in diesen Bildern betont sind, so sieht man deutlich, daß der Ton nicht auf dem Wachstum liegt, sondern auf der Tatsache, daß die Ernte ohne Zutun des Bauern sicher kommt, daß aus dem winzigen Samen die unerwartet große Pflanze wird, daß das Unkraut erst bei der Ernte beseitigt werden kann und daß ein wenig Sauerteig eine ungewöhnlich große Menge Mehl durchsäuert (s. den Kommentar z. d. St.). Alle diese Gleichnisse wollen die Gewißheit stärken, daß die Gottesherrschaft trotz der Unscheinbarkeit der Predigt und Wirksamkeit Jesu sicher und unerwartet herrlich kommen wird, und von einem gegenwärtigen Wachsen

Die Gottesverkündigung

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und Sich-Entwickeln der Gottesherrschaft ist in keiner Weise die Rede. Jesus hat vielmehr von der Gegenwart der Gottesherrschaft nur im Blick auf sein Wirken und Verkündigen gesprochen. Damit erhebt sich aber unausweichlich die Frage, warum Jesu Verkündigung vom Kommen und Gekommensein der Gottesherrschaft eine frohe Botschaft ist und in welchem Sinn die Teilhabe an diesem Heil an anscheinend unübersteigbare Bedingungen gebunden ist. D. h. wir können den eigentlichen Sinn der Verkündigung Jesu erst wirklich verstehen, wenn wir nach der Gottesverkündigung, nach der Forderung Gottes und nach der Bedeutung der Person Jesu in der Predigt Jesu gefragt haben.

3. Die Gottesverkündigung 3.1 Der Richter Da Jesus mit der Botschaft: „Die Königsherrschaft Gottes ist nahe herbeigekommen" aufgetreten ist, sollte man erwarten, daß er betont von Gott als dem König gesprochen hat. Das ist aber keineswegs der Fall. Die gelegentliche Bezeichnung Jerusalems als „Stadt des großen Königs" (Mt. 5,35) und der ebenso gelegentliche Vergleich Gottes mit einem König (Mt. 18,23 ff.; der Vergleich wird aber gar nicht wirklich durchgeführt!) zeigen vielmehr, daß Jesus nur der Tradition folgend Gott im Bild eines Königs gesehen hat; und die ebenso gelegentliche Verwendung anderer jüdischer Gottesnamen durch Jesus (Herr Mt.9,38p.; 11,25p.; Himmel Lk. 15,18; Kraft Mk.14, 62p.; Gott Mt.6,24p.; Mk. 10,9p. u.ö.) läßt ebensowenig etwas über Jesu Gottesvorstellung erkennen. Aber wir sahen ja schon, daß Jesus mit der Erwartung der zukünftigen Gottesherrschaft die Erwartung des Gerichts verbindet, und dementsprechend ist auch von Gottes zukünftigem Richten die Rede: „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet... Mit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden" (Mt. 7,1 f. p.; das Passiv ist jüdische Redeweise für Gottes Handeln); „Für jedes unnütze Wort, das die Menschen reden werden, werden sie Rechenschaft ablegen am Gerichtstag. Denn aufgrund deiner Worte wirst du gerecht gesprochen werden, und aufgrund deiner Worte wirst du verurteilt werden" (Mt. 12,36f.; vgl. auch Mt. 11,22. 24 p.). Entsprechend wird Gott im Gleichnis einem Herrn verglichen, der mit seinen Sklaven Abrechnung hält (Mt. 25,14ff. p.), und es wird auf Gottes Macht als Richter warnend verwiesen: „Fürchtet den, der Seele und Leib in der Hölle verderben lassen kann" (Mt. 10,28 p.). Es leidet darum keinen Zweifel, daß Jesus Gott wie das Judentum als zukünftigen Richter erwartet hat, dessen souveräner Wille es ihm erlauben würde, den reichen Bauern (nach dem Gleichnis) wegzurufen, ehe er seine gesammelten Schätze genießen kann (Lk. 12,16-20). Aber so sicher Jesus diese Erwartung geteilt hat, so selten begegnet sie doch auch in den überlieferten Jesusworten, und so wenig ist sie für Jesu Gottesvorstellung kennzeichnend und maßgeblich. 3*

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3.2 Der zukünftig handelnde Vater Es ist dagegen auffallend und ungewöhnlich, daß Jesus Gott vor allem als „Vater" bezeichnet hat. Zwar kennt das palästinische Judentum der Zeit Jesu, freilich nicht häufig, die Bezeichnung Gottes als „Vater" oder „himmlischer Vater"; auch findet sich die Gebetsanrede „unser Vater" oder „unser Vater, unser König", dagegen niemals „mein Vater". Jesus aber hat, wie eine kritische Untersuchung des sich ausdehnenden Sprachgebrauchs in den Evangelien ergibt, zweifellos nicht nur vom „himmlischen Vater" (Mt. 7,11p.) gesprochen, sondern auch den Jüngern gegenüber von „euerm Vater" (Lk.6,36; 12,30 p.32) oder von „euerm himmlischen Vater" (Mk. 11, 25 p.; Mt. 23,9) geredet, vor allem aber selber Gott im Gebet als „Vater" angerufen (Mk. 14,36p.; Mt. 11,25 p.) und die Jünger ebenso zu beten gelehrt (Lk. 11,2p.). Das ist durchaus ungewöhnlich, und darum kann man Jesu Gottesvorstellung am besten erkennen, wenn man beachtet, wie Jesus von Gott dem Vater gesprochen hat. Hier ist zunächst schon die sprachliche Form auffallend, mit der Jesus vom Vater redet und Gott anredet. Der Evangelist Markus ebenso wie der liturgische Gebrauch der paulinischen Gemeinden haben nämlich den Wortlaut dieser Gottesanrede erhalten: abbä (Mk. 14,36; Rom. 8,16; Gal. 4,6), und die von Lukas überlieferte Form des Vaterunsers (Lk. 11,2) weist ebenfalls die bloße Anrede „Vater" auf, die auf dasselbe aramäische Wort zurückgehen wird. Dieses aramäische Wort abbä ist aber im Judentum niemals als Anrede oder Bezeichnung Gottes gebraucht worden, Jesus hat vielmehr ein Wort der Kindersprache, das zur familiären Anrede des Vaters überhaupt geworden war, zur Bezeichnung Gottes gemacht und damit schon in der sprachlichen Form zu erkennen gegeben, daß er von Gott nicht mit einer traditionellen Bezeichnung reden, sondern in konkreter Eindringlichkeit verkündigen wollte, daß Gott dem Menschen mit väterlicher Liebe begegnen will. Und wie Jesus vom zukünftigen Hervortreten Gottes als König und Richter geredet hat, so nun vor allem vom zukünftigem Handeln Gottes als Vater. Als der Vater wird Gott für seine Kinder sorgen. Wenn Gott schon für alle seine Geschöpfe sorgt (Mt. 6,26-31 p.), so erst recht für die Menschen; die Sorge um Nahrung und Kleidung ist daher unnötig, „euer Vater weiß, daß ihr das nötig habt" (Lk. 12,30p.; vgl.Mt.6,8), und noch mehr als ein irdischer Vater „wird euer himmlischer Vater Gutes geben denen, die ihn bitten" (Mt.7,11 p.). Obwohl der Vater also weiß, was seine Kinder nötig haben, sollen sie ihn bitten, und so hat Jesus seinen Jüngern auch Anweisung gegeben, was sie vom Vater erbitten sollen. Die bei Lukas erhaltene kürzere und wohl auch ursprünglichere Form des „Vaterunsers" (Lk. 11,2-4) richtet sich aber keineswegs primär auf die Nöte der Gegenwart, sondern in der Hauptsache auf das endzeitliche Handeln des Vaters: die beiden Bitten um das Geheiligtwerden des göttlichen Namens und das Kommen der Gottesherrschaft und die beiden Bitten um die Vergebung unserer Sünden und um unsere Bewahrung vor der Versuchung rahmen die einzige Bitte ein, die die

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Gegenwart betrifft: „Unser notwendiges Brot gib uns heute." Zwar ist die Bedeutung des hier mit „notwendig" übersetzten griechischen Wortes (Luther: „täglich") nach wie vor nicht sicher zu bestimmen, und manche Forscher deuten (im Anschluß an die von Hieronymus überlieferte judenchristliche Wiedergabe des Wortes durch „für morgen") die Bitte um das „Brot für morgen" als eine Bitte um das Brot der Endzeit. Das ist aber aus sprachlichen wie sachlichen Gründen fraglich, und die Annahme, daß die Brotbitte die Fürsorge Gottes für die unaufgebbaren menschlichen Bedürfnisse der Gegenwart im Auge hat, ist wahrscheinlicher. Im übrigen aber richten sich die beiden ersten Bitten darauf, daß der Vater die Endzeit heraufführen möge, in der er allein geehrt wird und keine Gefahr des Verlorengehens für seine Kinder mehr besteht, in der vielmehr die Verheißung Wirklichkeit wird: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat euerm Vater gefallen, euch die [Gottes-]Herrschaft zu geben" (Lk. 12,32), und die Zusage sich erfüllt: „Selig die Frieden Schaffenden, denn sie werden Gottes Söhne genannt werden" (Mt.5,9; vgl. auch Mt.5,45). Freilich kann der Mensch die Gottesherrschaft nur erlangen, wenn Gott ihn annimmt und bewahrt, und darum schließt das Gebet mit der Bitte um Vergebung beim Gericht und um Bewahrung vor Abfall in den Versuchungen der letzten Zeit. Um das Hervortreten Gottes in seiner Herrschaft und um unsere Teilhabe an dieser Herrschaft lehrt Jesus also seine Jünger zum Vater beten, und Jesus verheißt ihnen, wenn sie im Verborgenen beten, ohne gesehen werden zu wollen: „dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten" (Mt.6,6), d.h. Gott wird den Beter, der seine Hoffnung ganz auf Gott setzt, in seine Herrschaft aufnehmen. Gott zeigt sich als der in Zukunft handelnde Vater nach Jesu Verkündigung aber vor allem darin, daß er den Menschen Vergebung zusagt: „Wenn ihr dasteht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen einen Menschen habt, damit auch euer himmlischer Vater euch eure Übertretungen vergebe" (Mk. 11,25). Jesus weiß wie das Judentum, daß der Mensch Gott gegenüber zu unbedingtem Dienst verpflichtet ist (Lk. 17,7-10) und über seinen Dienst Rechenschaft ablegen muß (Mt.24,45ff.p.). Weil der Mensch aber böse ist (Mt. 7,11 p.; 12,34) und sich von seiner Schuld nicht selber befreien und darum vor Gott nicht bestehen kann (Lk. 18,13), ist die tiefste Not des Menschen angesichts des Kommens der Herrschaft Gottes die Schuld, und auch Jesus hat darum seine Jünger gelehrt, um Vergebung der Sünden zu bitten (Lk. 11,4p.), wie es jüdischer Gebetssitte entsprach. Aber Jesus weist seine Jünger nun nicht einfach an, auf Gottes Vergebung zu hoffen, sondern er zeigt ihnen Gott als den, der gerade an der Umkehr des Sünders Freude hat. Er schildert in Gleichnissen die Freude des Hirten, der das eine verlorene Schaf gefunden, und die Freude der Frau, die die verlorene Drachme wiedergefunden hat, und folgert daraus: „Ich sage euch, daß so im Himmel [d. h. bei Gott] mehr Freude sein wird über einen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die keine Umkehr nötig haben" (Lk. 15,7.10). Und er macht im Gleichnis von den beiden Söhnen (Lk. 15,11 ff.) die Freude des

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Vaters über den heimkehrenden Sohn anschaulich, der verloren schien und nun vom Vater mit offenen Armen aufgenommen wird, worauf er nicht im entferntesten hoffen konnte, einfach weil der Vater den Sohn liebt, obwohl an ihm nichts Liebenswertes mehr ist. Erscheint hier Gott im Bilde eines irdischen Vaters als der über den sündigen Menschen zu Recht Erzürnte, der doch dem umkehrenden Sünder vergebend entgegengeht, so liegt Jesus freilich alles daran deutlich zu machen, daß solche vergebende Liebe Gottes unerwartet und unbegründbar ist. Das Gleichnis vom Weinbergbesitzer (Mt. 20,1 ff.) zeigt einen Mann, der zu verschiedenen Zeiten desselben Tages Arbeiter zur Arbeit im Weinberg holt, schließlich allen denselben üblichen Tageslohn auszahlen läßt und den murrenden Arbeitern, die trotz ihrer Arbeit am ganzen Tag denselben Lohn erhalten, erklärt: „Freund, ich tue dir kein Unrecht; bist du nicht für einen Denar mit mir handelseinig geworden? Nimm das Deine und gehe weg! Ich will aber diesem letzten [dasselbe] geben wie dir. Darf ich nicht machen mit meinem Besitz, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich gütig bin?" Das juristisch unanfechtbare Verhalten dieses Arbeitgebers, gegen das sich doch das menschliche Gerechtigkeitsgefühl auflehnt, läßt den Gott erkennen, der aus reiner Güte schenkt, wo nach menschlichem Urteil ein Geschenk nicht angebracht erscheint. Gewiß, Gott kann auch nach Jesu Aussage unbarmherzig strafen, wenn der Mensch nicht zur Umkehr bereit ist (Lk. 13,1-9); aber Jesus wagt es zu verkünden, daß Gott nicht am Gerechten Gefallen hat, der vor Gott sich seines Gerechtseins rühmt, sondern am Sünder, der sich seiner Verlorenheit bewußt ist (Lk. 18,9-14). Und darin unterscheidet sich Jesus grundlegend vom zeitgenössischen Judentum, das zwar Gottes Vergebungsbereitschaft und des Menschen Angewiesensein auf Gottes Vergebung stark betont, aber immer wieder hinzufügt: „Wenn dies denen zuteil wird, die seinen Willen übertreten, um wie viel mehr denen, die seinen Willen tun" (s. R.Mayer, Der Babylonische Talmud, s. o. S. 9, S. 176). 3.3 Die Umkehrforderung Freilich wäre diese Vergebungsverheißung Jesu wie im zeitgenössischen Judentum nur eine Verheißung, die die Gegenwart nicht änderte, wenn Jesus allein von Gottes zukünftigem Handeln gesprochen hätte. Das ist aber nicht der Fall, und erst wenn wir erkennen, inwiefern Jesus auf Gottes gegenwärtiges Handeln hingewiesen hat, kann die Frage wirklich beantwortet werden, ob Jesu Predigt von der Herrschaft Gottes Hez'/sverkündigung, Evangelium, gewesen ist. Wir sahen, daß Jesus Gottes zukünftiges Gericht ankündigt, und dieses zukünftige Gericht wirft seine Schatten in die Gegenwart der Hörer Jesu voraus durch die Forderung, die mit der Ankündigung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft verbunden ist: „Kehrt um!" (Mk.1,15). Daß der Mensch „umkehren" muß, wenn er vor Gott bestehen will, ist eine der Grundanschauungen des Judentums zur Zeit Jesu, und so hat auch Jesus Umkehr als Bedingung für den Eintritt in die Gottes-

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herrschaft ausdrücklich genannt (Mt. 11,21 f.p.; 12,41p.; Lk.l6,29f.). Wer beim Hören von Unglücksfällen urteilt, die davon Betroffenen seien besonders schwere Sünder, hat noch nicht begriffen, daß er selber umkehren muß, wenn es ihm nicht ebenso ergehen soll (Lk. 13,1-5). Alle Menschen haben also Umkehr nötig, und die Jünger werden darum mit dem Auftrag ausgesandt zu predigen, man solle umkehren (Mk.6,12). Jesu Ruf zur Umkehr ist aber nicht bloß dadurch besonders dringend, daß er mit der Ankündigung der nahen Gottesherrschaft verbunden ist. Ähnliches gilt für die Predigt Johannes des Täufers ja auch. Jesus stellt vielmehr seine Hörer zugleich mit diesem Ruf dem endgültigen Gotteswillen gegenüber, wie er ihn im Gegensatz zum bisherigen Verständnis der „Alten" verkündigen kann (Mt.5,21 ff.). Die Entscheidung zur Umkehr ist bei Jesus also gefordert angesichts eines Menschen, der jetzt Gottes Willen in vollkommener Weise zu verkündigen den Auftrag hat und darum zu sofortiger Umkehr aufruft: „Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist nicht brauchbar für die Gottesherrschaft" (Lk. 9,62). Der zukünftige Richter tritt jetzt dem Menschen in Jesu Verkündigung des Gotteswillens entgegen, und die Gegenwart ist durch die von Jesus verkündete Forderung Gottes in einer einmaligen Weise mit der nahen Zukunft der Herrschaft Gottes verbunden. Und wir werden nach dem Wesen dieser durch Jesus verkündeten Forderung Gottes fragen müssen, wenn wir den genaueren Sinn dieses gegenwärtigen Handelns Gottes verstehen wollen. 3.4 Der gegenwärtig handelnde Vater Jesus hat aber, wie wir sahen, von Gottes Handeln in der Zukunft vor allem als von einem väterlichen Handeln gesprochen. Greift dieses väterliche Handeln auch in die Gegenwart hinein? Jesus hat von der Fürsorge des Vaters für die Menschen geredet, die sich auf die Gegenwart nicht weniger als auf die Zukunft erstreckt, und er hat den Zweifel an dieser Fürsorge „Kleinglauben" genannt (Mt.6,28-30p.). Aber kann man wirklich von Gottes gegenwärtiger Fürsorge für die Menschen reden, wenn Gott doch seine Herrschaft in der Gegenwart noch gar nicht wirklich ausübt, wenn vielmehr die Dämonen durch die Welt streifen, um sich der Menschen zu bemächtigen (Mt. 12,43—45 p.), und der Satan als eine geschlossene Macht sich nichts entreißen lassen will (Mk. 3,23-26 p.)? Jesus hat die jüdische Anschauung von der gegenwärtigen Macht der Dämonen noch dadurch verschärft, daß er das Dämonenreich als eine einheitliche Größe sah, der man nur beikommen kann, wenn man den Satan selber zu überwinden vermag. Wenn Jesus aber nun verkündet: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz" (Lk. 10,18), so erhebt er den Anspruch, daß die Macht Satans bereits gebrochen sei (gleichgültig, ob es sich dabei um eine Vision oder ein Bildwort handelt), und wir sahen ja auch, daß er in seinen Dämonenaustreibungen Gottes endzeitliche Herrschaft anbrechen sah (s. o. S. 33). Jesus hat also nicht bestritten, daß die Dämonen unter ihrem Führer

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Satan noch am Werke sind, und er hat doch in seinem machtvollen Handeln Gottes endzeitliche Herrschaft und damit Gottes Überwindung des Satansreiches sich in der Gegenwart verwirklichen sehen. Gott der Vater, der den Seinen die Gottesherrschaft schenken will, macht durch Jesu Wirken die Gegenwart schon zur Heilszeit. Jesus hat Gottes väterliches Heilshandeln in der Zukunft vor allem als Vergebung der Sünden verkündigt. Aber er hat diese Vergebung nicht nur verheißen, sondern auch gegenwärtige Wirklichkeit werden lassen. Seine Gegner haben Jesus als „Freund der Zöllner und Sünder" bezeichnet (Mt. 11,19p.), und dieser Vorwurf kennzeichnet Jesu Verhalten durchaus sachgemäß: er hat mit Zöllnern und Sündern, d.h. Angehörigen von Berufen, die für die Übertretung des göttlichen Gesetzes als besonders anfällig galten, Tischgemeinschaft gehalten (Mk.2,15 f.p.), hat einen Zöllner zu seinem Jünger gemacht (Mk. 2,14 p.) und ist bei einem Zöllner eingekehrt (Lk. 19,1 ff.), ja er hat sich von einer „Sünderin" die Füße salben lassen (Lk. 7,36ff.). Und er hat ein solches, für einen frommen Juden untragbares Verhalten ausdrücklich verteidigt mit den Worten: „Die Gesunden brauchen den Arzt nicht, sondern die Kranken; ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder" (Mk. 2,17p.) und dementsprechend seinen Gegnern erklärt: „Wahrlich, ich sage euch, die Zöllner und die Dirnen werden vor euch in die Gottesherrschaft eingehen" (Mt.21,31). Jesus hat also mit dem von ihm verkündigten Willen Gottes, den Sünder aufzunehmen und ihm zu vergeben, in seinem Verhalten Ernst gemacht und schon dadurch Gottes Vergebungswillen zur gegenwärtigen Wirklichkeit werden lassen. Aber er ist noch weiter gegangen. Als man einen Gelähmten, der nicht auf dem alltäglichen Wege zu ihm gebracht werden konnte, durch das aufgebrochene Dach zu ihm ins Haus heruntergelassen hatte, „und Jesus ihren Glauben sah, sagt er zu dem Gelähmten: ,Kind, deine Sünden werden vergeben.'" Und als anwesende Schriftgelehrte solches Verfügen über Gottes Vergebung als Gotteslästerung bezeichnen, stellt Jesus die Frage: „Was ist leichter, dem Gelähmten zu sagen: deine Sünden werden vergeben, oder zu sagen: Stehe auf, nimm deine Liege und gehe weg in dein Haus?" Der Bericht fährt fort: „Damit ihr aberwißt,daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben - sagt er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, stehe auf, hebe deine Liege auf und gehe weg in dein Haus", worauf der Gelähmte geheilt weggeht (Mk.2,1 fï.p.). In dieser Erzählung, deren Einheitlichkeit zu Unrecht vielfach bezweifelt wird, maßt sich Jesus also das Recht an, Gottes Sündenvergebung zuzusprechen, und beruft sich dafür auf die Vollmacht des „Menschensohns" zur Sündenvergebung auf Erden (zur Problematik dieses Würdeprädikats vgl. unten S. 68 ff.). Jesus verwirklicht hier also ganz konkret und in einer Vollmacht, die die Gegner nur als lästerlich bezeichnen können, die göttliche Vergebungszusage und läßt seine Gegenwart dadurch zur Heilszeit werden. Und ganz entsprechend handelt Jesus einer Sünderin gegenüber, die ihm bei einem Mahl im Hause eines Phari-

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säers die Füße mit ihren Tränen benetzt, mit ihren Haaren abtrocknet und dann salbt. Weil Jesus sich dieses Verhalten von einer Sünderin gefallen läßt, folgert der Gastgeber, daß Jesus kein Prophet sein könne, Jesus aber erläutert an einem Gleichnis von zwei Schuldnern die Wahrheit, daß der Erlaß einer größeren Schuld auch größere Dankbarkeit nach sich zieht, und erklärt dann angesichts der Tat der Sünderin: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, weil sie viel geliebt hat; wem aber wenig gegeben wird, der liebt [auch] wenig." Und auch dieser Frau erklärt Jesus: „Deine Sünden sind vergeben" und erregt mit dieser Anmaßung Ärgernis (Lk.7,36ff.). Auch in diesem Fall trägt Jesus also Gottes Vergebung in die Gegenwart hinein und läßt so den Vergebungswillen des den Sünder suchenden Vaters zur erfahrenen Wirklichkeit werden. Jesu Botschaft vom baldigen Kommen und von der Gegenwart der Gottesherrschaft ist also der Rahmen für die Verkündigung von Gottes richterlichem und väterlichem Handeln, und dieses Handeln greift in Jesu Person, in seinem Lehren und Handeln, in die Gegenwart hinein und wird für den Glaubenden konkrete Wirklichkeit. Obwohl Gottes Herrschaft zukünftig bleibt und der Mensch der göttlichen Entscheidung und Gottes Heil noch wartend entgegengeht, begegnet derjenige, der in Jesu Lehren und Handeln Gottes Heilshandeln Wirklichkeit werden sieht, in der Person Jesu schon jetzt dem Gott, der uns seine endzeitlichen Heilsgaben schenken will. Erst wenn wir die in Jesu Verkündigung uns anredende Forderung Gottes und den in Jesus uns begegnenden Anspruch verstanden haben, werden uns die Bedeutung und der bleibende Sinn dieses durch Jesus Wirklichkeit gewordenen endzeitlichen Heilshandelns Gottes ganz einsichtig werden können.

4. Die Forderung Gottes Jesus hat mit der Ankündigung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft die Aufforderung zur Umkehr verbunden (s.o.S.38f.).Er hat sich aber nicht auf diese allgemeine Forderung beschränkt, sondern sehr eindeutig den Einlaß in die Gottesherrschaft an die Erfüllung bestimmter Bedingungen geknüpft: „Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht übertrifft, werdet ihr nicht in die Himmelsherrschaft eingehen" (Mt. 5,20). Selbst wenn die Formulierung dieses Spruches von Matthäus stammen sollte, was aber keineswegs anzunehmen nötig ist, faßt er die Anschauung Jesu doch richtig zusammen. Denn in Worten, die zweifellos auf Jesus zurückgehen, wird zum Abhauen der Hand und zum Ausreißen des Auges aufgefordert, wenn sie am Eingehen in die Gottesherrschaft hindern (Mk. 9,43 ff.p.), und gemahnt, vor Gott keine Ansprüche zu erheben: „Wahrlich, ich sage euch, wer die Gottesherrschaft nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineingehen" (Mk. 10,15 p.). In den Gleichnissen vom Schatz im Acker und von der wertvollen Perle (Mt. 13,44—46) macht Jesus darum die Notwendigkeit anschaulich, für den Erwerb der Gottesherrschaft das Letzte einzusetzen, und die als allein wesentlich bezeichnete Forderung Jesu lautet

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dementsprechend: „Sucht aber seine Herrschaft, und dieses [d.h. Gottes Hilfe zur Befriedigung der irdischen Bedürfnisse] wird euch hinzugefügt werden" (Lk. 12,31p.). Umgekehrt gilt aber: „Keiner, der die Hand an den Pflug legt und zurücksieht, ist für die Gottesherrschaft brauchbar" (Lk. 9,62). Jesus verkündet also Gottes Forderung im Blick auf die kommende Gottesherrschaft, und diese Forderung erhält von daher ihre Dringlichkeit. Dementsprechend verheißt Jesus denen, die bereit sind zur Selbstverleugnung und zu furchtlosem Bekenntnis zu Jesus, Belohnung, den Selbstsüchtigen aber und denen, die Jesus verleugnen, Strafe („Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben meinetwegen . . . verlieren wird, wird es retten", Mk. 8,35 p.; „Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes; wer mich aber verleugnet vor den Menschen, wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes", Lk. 12,8 f.p.). Das Gleiche sagt Jesus auch in Gleichnisform: der treue Sklave wird beim Kommen seines Herrn eine Herrscherstellung erhalten, der untreue Sklave wird vernichtet werden (Mt.24,45-51 p.). Und so spricht Jesus denn auch vom Lohn, den Gott denen gibt, die seinen Willen tun: „Wenn ihr diejenigen liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr?" (Mt.5,46p.); die Menschen, die Almosen geben, beten oder fasten, um dabei von anderen gesehen zu werden, „haben ihren Lohn [schon] erhalten" (Mt.6,2.5.16); wer aber um Jesu willen gehaßt oder verlästert wird, soll sich freuen: „Denn siehe, euer Lohn im Himmel ist reichlich" (Lk. 6,23p.; vgl. auch Mk.9,41p.). Solcher Lohn im Himmel wird als „Schatz im Himmel" bezeichnet, den man sich erwerben soll (Mt. 6,20p.), und einem Reichen, der an seinem Vermögen hängt, sagt Jesus: „Eines fehlt dir, gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, dann wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komme her und folge mir nach" (Mk. 10,21p.). Es kann angesichts dieser breiten Überlieferung nicht bezweifelt werden, daß Jesus die Verkündigung von Gottes zukünftigem und gegenwärtigem Handeln in doppelter Weise mit der Forderung von Gehorsam gegen Gottes Willen verbunden hat. 1. Jesus war ein Jude und hat sich in seiner Predigt an Juden gewandt. Für einen Juden aber war es eine selbstverständliche Vorstellung, daß Gott dem Menschen mit Geboten begegnet, die vom Menschen erfüllt werden sollen und deren Erfüllung oder Nicht-Erfüllung für das endgültige Schicksal des Menschen vor Gott entscheidend ist. Es war darum ebenfalls selbstverständlich, daß Jesus mit der Verkündigung von der nahen Gottesherrschaft den Hinweis auf den Willen des Gottes verband, dessen Herrschaft sich in Bälde verwirklichen sollte und in Jesus sich schon verwirklichte. Aber diese Verkündigung des Willens Gottes durch Jesus bekam eben durch die Verbindung mit der Ankündigung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft ihre unausweichliche Dringlichkeit, und es ist zu fragen, in welcher Weise die Forderung Jesu ihre Besonderheit durch diese Verbindung erhielt. 2. Jesus hat, auch darin in Ubereinstimmung mit dem Judentum, die Verheißung der Teilhabe an der Gottesherrschaft mit

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dem Tun des Menschen durch die Vorstellung von Lohn und Strafe verbunden. Damit ist aber die Schwierigkeit gegeben, daß die Teilhabe an der Gottesherrschaft nun doch nicht ganz und gar allein Gottes Gabe zu sein scheint, sondern etwas, das der Mensch sich durch seine Leistung erwerben kann, so daß erneut, nun von einer anderen Seite her, die Frage auftaucht, ob Jesus die Ankündigung der kommenden Gottesherrschaft wirklich als frohe Botschaft habe bezeichnen können. Diesen beiden Problemen müssen wir genauer nachgehen. 4.1 Die Gottesherrschaft und die Erfüllung des göttlichen Willens Wenn Jesus mit der Ankündigung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft die Forderung auf Erfüllung des göttlichen Willens verknüpft, so schließt er sich dabei nicht der jüdischen Anschauung an: „Wenn die Israeliten umkehren, werden sie erlöst; wenn aber nicht, so werden sie nicht erlöst" (R.Mayer, Der Babylonische Talmud, s. o. S.9, S.548). Der Glaube, daß die Juden durch ihre Gesetzeserfüllung das Kommen der Gottesherrschaft beschleunigen könnten, stößt sich zweifellos mit Jesu Überzeugung, daß der Zeitpunkt des Kommens der Gottesherrschaft ganz allein von Gottes Willen abhängt und daß die Gottesherrschaft ohne jedes'menschliche Zutun kommt (Mt.24,44.50p.; Mk. 13,32p.; 4,26ff.). Man hat freilich für die Annahme, daß auch Jesus von einem Ansichreißen der Gottesherrschaft gesprochen habe, wiederholt Lk. 16,16 angeführt: „Das Gesetz und die Propheten [gehen] bis Johannes; von da an wird die frohe Botschaft von der Gottesherrschaft verkündigt, und jeder drängt in sie hinein." Aber es kann schwerlich bezweifelt werden, daß Lukas den ursprünglichen Wortlaut des Spruches von seiner Schau der Zeit der Kirche aus abgewandelt hat; der ursprünglichere Wortlaut bei Mt. 11,12 aber („Von den Tagen Johannes des Täufers bis jetzt wird der Himmelsherrschaft Gewalt angetan, und Gewalttäter rauben sie") kann nicht auf ein lobenswertes Bemühen des Menschen um die Gottesherrschaft gedeutet werden. Menschliches Bemühen kann in der Tat nach Jesu Meinung das Kommen der Gottesherrschaft nicht beschleunigen und nicht aufhalten. 4.1.1 Interimsethik ? Die Ankündigung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft ist aber mit der Forderung Gottes, wie sie Jesus verkündigt, auch nicht so verbunden, daß das Wissen um die Nähe des Gerichts und der Gottesherrschaft die Radikalität und Unbedingtheit dieser Forderung verursacht hat, so daß der von Jesus verkündigte Gotteswille nur für diese kurze Zeit bis zum Kommen der Gottesherrschaft Gültigkeit haben konnte. A. Schweitzer deutete die Forderung Jesu so und sprach darum von „Interimsethik". Diese Anschauung ist schon darum falsch, weil Jesus die Aufforderung zum Tun des Willens Gottes nicht nur durch den Hinweis auf das nahe Kommen der

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Gottesherrschaft motivieren konnte. Er verweist vielmehr auch auf Gottes Verhalten: „Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters in den Himmeln werdet; denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und regnen über Gerechte und Ungerechte" (Mt. 5,44 f.) und fordert zur Nachahmung Gottes auf: „Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist" (Lk.6,36). Matthäus hat vermutlich in seiner Wiedergabe dieses Spruches in der Bergpredigt an die Stelle von „barmherzig" das Prädikat „vollkommen" gesetzt (Mt.5,48), meint damit aber nicht die durch Fortschreiten zu erreichende sittliche Vollkommenheit, sondern die Unversehrtheit wie beim Opfertier und will auch nichts wesentlich Anderes bezeichnen als eine Gottes Verhalten entsprechende Handlungsweise. Neben die Liebe Gottes, die Vorbild für das Verhalten des Menschen ist, stellt Jesus die Ehre Gottes, die der Mensch mehren soll: „So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Taten sehen und euern Vater in den Himmeln ehren" (Mt. 5,16). Und gelegentlich hat Jesus auch auf sein eigenes Vorbild verwiesen: „Wer ist größer, der zu Tische liegt oder der bedient? Nicht der, der zu Tische liegt? Ich bin aber in eurer Mitte als der Bedienende" (Lk. 22,27). Zeigt sich schon an diesen Motivierungen, daß Jesus die Besonderheit seiner Verkündigung des Gotteswillens nicht nur mit der kurzen Frist bis zum Kommen der Gottesherrschaft begründet, so findet sich überhaupt in der Verkündigung Jesu nur vereinzelt der Hinweis darauf, daß es nur noch eine kurze Frist gebe, in der man Gottes Willen erfüllen könne (Lk. 13,6-9; Mt. 25,1 ff.). Weiter ist zu beachten, daß Jesus ja nicht nur die Nähe der Gottesherrschaft verkündet hat, sondern ebenso den Anbruch dieser Herrschaft in seinem Wirken und Verkünden; darum kann die Forderung Gottes bei Jesus gar nicht allein durch das Wissen um die Nähe der Gottesherrschaft bestimmt sein, sondern erhält ihren Charakter ebenso sehr durch das Heilsgeschehen der Gegenwart, das sich in Jesus vollzieht. In diesem Heilsgeschehen aber greift der kommende Herrscher als der liebende Vater in die Gegenwart hinein, und so dienen der Hinweis auf die kurze Frist ebenso wie der Verweis auf das Vorauswirken der Endvollendung in der Gegenwart letztlich dazu, den Menschen unausweichlich vor Gott selber zu stellen. „Hinter der Forderung Jesu - mag sie auch akzidentiell eschatologisch begründet sein — wird ein ,Vor-wissen' deutlich: das Wissen um die absolute Heiligkeit Gottes, die zu letzter Theozentrik aufruft . . . Letztlich geht es Jesus in allen sittlichen Forderungen immer radikal um Gott: Daß Gottes große Heiligkeit doch ja nicht angetastet werde! - Hier hat die Radikalität vieler Forderungen Jesu ihren Ursprung" (H.Schürmann). Jesu Ethik ist also trotz Jesu Ankündigung der nahen Gottesherrschaft nicht im Sinne einer „Interimsethik" gemeint, Jesu Ethik ist sachgemäßer als „Ethik der Heilszeit oder Ethik des neuen Bundes" zu bezeichnen (A.Wilder). Die Gültigkeit und verpflichtende Kraft der Forderung Jesu ist darum auch nicht an die einmalige Situation der Generation Jesu gebunden, sondern an die

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glaubende Anerkennung des in der Person Jesu begonnenen und auf seine Vollendung wartenden Heilshandelns Gottes. 4.1.2 Jesu Forderung und die jüdische Tradition Wenn Jesus von diesem Ausgangspunkt aus Gottes Willen verkündet, so muß er sich selbstverständlich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß die jüdischen Lehrer seiner Zeit Gottes Willen ebenfalls verkündigten. Sie beriefen sich dabei keineswegs einfach auf die „Heilige Schrift" der Juden, d. h. auf die von den Christen später „Altes Testament" genannte Büchersammlung, obwohl die Heilige Schrift, vor allem die „Lehre" (Thora, d. h. die Bücher Mose), als unbedingte Autorität anerkannt war: „Die Weisheit ist das Buch der Gebote Gottes und das Gesetz, das in Ewigkeit besteht; alle, die sie festhalten, kommen zum Leben, die sie aber verlassen, werden sterben" (griech. Baruch 4,1). Gott aber hat nach jüdischer Überzeugung seinem Volke seine Gebote gegeben, damit sie das gesamte Leben des Gottesvolkes regeln sollen: „Unser Gesetzgeber... überließ nichts, auch nicht von den kleinsten Dingen, der freien Willensentscheidung derer, für die sein Gesetz bestimmt war . . . , damit wir unter ihm [d. h. dem Gesetz] wie unter einem Vater und Herrn lebten und weder mit Willen noch aus Unkenntnis sündigten" (Josephus, Gegen Apion II § 173f.). Bei der Anwendung dieses Grundsatzes aber ergaben sich Schwierigkeiten, weil das geschriebene Gesetz nicht für alle Fälle des Lebens und nicht für jede Einzelheit Anweisung gab. Die herrschende Anschauung zur Zeit Jesu, die von den Pharisäern vertreten wurde, hat aber das Gesetz niemals auf die geschriebene „Heilige Schrift" beschränkt, sondern die Heilige Schrift immer nur als Teil der Tradition angesehen. So sehr sich die „Schriftgelehrten" immer bemüht haben, die nähere Interpretation eines Gebotes aus der Heiligen Schrift zu begründen - , ein Gebot oder die Interpretation eines Gebotes zeigte sich ebenso unangreifbar als Ausdruck des Willens Gottes, wenn der Nachweis erbracht werden konnte, daß dieses Gebot bis auf Moses oder jedenfalls sehr weit in der Traditionskette zurückgeführt werden konnte. Die Feststellung: „Das sind Worte, die dem Mose am Sinai gesagt wurden" (Tosephta Pea 3,2) erklärt die betreffenden Worte ohne weiteren Nachweis als göttliche und darum bindende Anordnung. Norm für die Begründung des göttlichen Willens ist darum für das pharisäisch geführte Judentum der Zeit Jesu die gesamte von den Schriftgelehrten bewahrte Tradition, und die in der Heiligen Schrift enthaltenen Gebote Gottes sind nur ein Teil dieser Tradition und dürfen nur von der größtenteils mündlich überlieferten Tradition her verstanden werden. Jesus ist in diesem Traditionsglauben aufgewachsen und hat sich an die üblichen religiösen Bräuche gehalten, auch soweit sie nur in der mündlichen Uberlieferung gelehrt wurden (er trägt z.B. die in 4.Mos. 15,38 vorgeschriebenen Quasten am Gewand, Mt. 9,20 p., besucht aber auch in Uberein-

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Stimmung mit der mündlichen Tradition am Sabbat die Synagoge, M k . 1,21). Dementsprechend verweist Jesus in der Antwort auf eine Frage nach dem wichtigsten Gebot auf die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe in den Büchern Mose (Mk. 1 2 , 2 8 - 3 1 p.), aber ebenso auch auf die Forderung in der Uberlieferung, daß man am Sabbat ein Tier aus dem Brunnen ziehen dürfe (Mt. 12,11p.). Aber das Auffällige ist nun, daß derselbe Jesus, wie zahlreiche Beispiele der Evangelienüberlieferung zeigen, sich über das geschriebene Gesetz ebenso wie über die Regeln der Schriftgelehrten hinwegzusetzen nicht scheut. Jesus hat nicht nur, wie wir sahen (s.o. S . 4 0 ) , die pharisäischen Forderungen auf Trennung von den „Gesetzlosen" bewußt außer acht gelassen, er hat auch seinen Jüngern erlaubt, am Sabbat zur Stillung ihres Hungers Ähren auszureißen (Mk. 2,23 ff. p.), und hat selber am Sabbat die gelähmte Hand eines Mannes geheilt; beides bedeutete eine Mißachtung des Sabbatgebots, wie es die pharisäische Uberlieferung verstand. Jesu Frage M k . 3 , 4 p . : „Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, eine Person zu retten oder zu töten?" zeigt dabei ganz deutlich, daß Jesus die vom traditionellen Verständnis des Sabbatgebots geforderte Unterlassung dieser Heilung - es handelt sich ja nicht um einen Fall von Lebensgefahr! - als Tun des Bösen, als Töten versteht, daß er aber die Pflicht zum Heilen, d.h. zum Tun des Guten, und zur Rettung des Menschen, als Gottes Willen ansieht. Jesus beansprucht also, wie diese Beispiele zeigen, Gottes Gebot richtiger zu kennen als die pharisäischen Lehrer, und er wendet sich, darüber noch hinausgehend,'in eindeutiger Weise gegen bestimmte Forderungen des geschriebenen Gesetzes selber. Der Satz: „Nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herausgeht, macht ihn unrein" (Mk. 7,15 p.) erklärt die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen entgegen dem geschriebenen Gebot als Gottes Willen nicht entsprechend, ohne daß Jesus für diese Behauptung irgendeine Begründung aus der Heiligen Schrift oder der Überlieferung gäbe; und auf die Frage, ob ein Mann seine Frau entlassen dürfe, stellt Jesus unter Verweis auf die Schöpfungsordnung Gottes fest: „Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen" (Mk. 1 0 , 2 - 9 p . ) , womit die Scheidungsgesetzgebung (5. Mos. 24) und die sich daran anschließende Tradition ebenfalls als Gottes Willen nicht entsprechend erklärt sind. Jesus stellt demnach seine Kenntnis und seine Interpretation des Willens Gottes gegen das Verständnis dieses Willens, wie es die pharisäische Tradition im Anschluß an die Heilige Schrift vertrat, und widerspricht dabei mehr als einmal dem Wortlaut der Heiligen Schrift selber. Diese bei aller grundsätzlichen Anerkennung der Autorität von Gesetz und Tradition dem zeitgenössischen jüdischen Gesetzesverständnis so scharf widersprechende Haltung Jesu läßt sich nun in ihrem Sinn und in ihrer Tragweite am deutlichsten erkennen an den sog. „Antithesen" der Bergpredigt (Mt. 5 , 2 1 - 4 8 p.). Von diesen sechs Gegensatzpaaren sind vermut-

Die Forderung Gottes

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lieh, wie sich aus dem Vergleich mit Lukas ergibt, nur drei ursprünglich antithetisch formuliert gewesen, nämlich die Anweisungen über das Töten, den Ehebruch und das Schwören (Mt. 5,21 f. 27f.33-37), während erst Matthäus diese Formulierung auf die drei restlichen Weisungen (Ehescheidung, Vergeltung, Feindesliebe, Mt. 5,31 f.3 8 f.43 f. p.) übertragen hat. Die drei ursprünglichen Antithesen lassen sich aber mit großer Wahrscheinlichkeit auf Jesus zurückführen, und hier stellt Jesus jeweils einem mit „Ihr habt gehört, daß den Alten gesagt ist" oder „Ihr habt gehört, daß gesagt ist" eingeleiteten alttestamentlichen Gebot seine Interpretation des Gotteswillens entgegen, eingeleitet durch „Ich aber sage euch". Die Formulierung dieser Gegensatzpaare zeigt nun deutlich, daß das alttestamentliche Verbot jeweils als Bestandteil der Tradition und damit im Sinne dieser Tradition gesehen ist, daß Jesus sich aber für sein Verständnis des Gotteswillens weder auf andere Schriftworte noch auf irgendeine Tradition beruft, sondern mit einem betonten „Ich" seine Weisung autoritativ dem traditionellen Verständnis des Gotteswillens gegenüberstellt. Genauso autoritativ aber hat Jesus, wie wir sahen, die Unterscheidung reiner und unreiner Speisen und das Recht zur Entlassung der Ehefrau als dem Willen Gottes widersprechend erklärt, und die Antithesen zeigen uns, daß Jesus mit solcher autoritativen Verkündigung des Gotteswillens ausdrücklich die uneingeschränkte Gültigkeit der bisherigen Deutung des göttlichen Gebots ablehnt und seine Erklärung als maßgeblich an die Stelle setzt. „Das Gesetz und die Propheten [gehen] bis Johannes" (Lk. 16,16a): wenn Jesus das sagt, so ist deutlich, daß er beansprucht, mit seiner Verkündigung des Gotteswillens sei eine neue, endgültige Zeit der Offenbarung des Gotteswillens gekommen, und dementsprechend hat Jesus es auch als seine Aufgabe bezeichnet, der überlieferten Offenbarung ihren wahren Sinn zu geben: „Glaubt nicht, daß ich gekommen bin, um das Gesetz und die Propheten als ungültig zu erklären; ich bin nicht gekommen, ungültig zu erklären, sondern [Gesetz und Propheten durch meine Erklärung] zur Vollendung zu bringen" (Mt. 5,17). Und diese Aussagen Jesu passen zu seiner Erklärung, daß in seiner Verkündigung endzeitliches Geschehen sich vollziehe (Mt. 11,5 p., s.o.S.32). Weil in Jesus, seinem Lehren und Handeln, Gott sein endzeitliches Heilshandeln schon Wirklichkeit werden läßt, ist das Hören auf Jesu Verkündigung des Gotteswillens entscheidend wichtig für die Menschen, die in die Gottesherrschaft eingehen wollen. Darum erschien denjenigen Juden, die glaubend in Jesus die bald kommende Gottesherrschaft schon angebrochen sahen, Jesu Forderung als „Ethik der Heilszeit", in der Gottes Wille endgültig und maßgeblich verkündet wurde. Wer im Hören auf die Verkündigung Jesu die Uberzeugung gewann, daß Jesus „lehrte wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten" (so Mk. 1,22p.), der mußte in Jesu Forderung einen Teil des in Jesus begonnenen endzeitlichen Heilshandelns Gottes sehen.

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4.1.3 Gottes unbegrenzter Wille Jesu Forderung war also mit seiner Verkündigung von der Nähe der Gottesherrschaft nicht in der Weise verbunden, daß die Erwartung einer kurzen Frist bis zum Anbruch der Gottesherrschaft die göttliche Forderung zu einer kurzfristigen Ausnahmegesetzgebung werden ließ; vielmehr erhielt Jesu Verkündigung des Gotteswillens ihren radikalen und unbedingt verpflichtenden Charakter durch die Vollmacht des Jesus, durch den Gott seinen Willen endgültig verkünden und durch den Gott seine kommende Herrschaft schon in der Gegenwart Wirklichkeit werden ließ. Wenn wir im Wissen um diesen Ursprung der Forderung Jesu nun im einzelnen nach dem Inhalt dieser Forderung fragen, so kann es nicht die Aufgabe dieser Darstellung der Hauptzüge der Predigt Jesu sein, Jesu Verkündigung des Willens Gottes im einzelnen darzustellen (vgl. aber H. D. Wendland, Ethik d. N . T . , S.4ff.). Doch kann die Frage nach dem Gesamtcharakter dieser Forderung nicht übergangen werden. Es ist dabei hilfreich, noch einmal auf die Antithesen der Bergpredigt zurückzukommen. Jesus stellt in den ursprünglichen Antithesen seine Interpretation des Gotteswillens dem von der Tradition interpretierten Gebot der Heiligen Schrift entgegen, und seine autoritativ verkündete Interpretation überbietet jeweilen das traditionelle Gebot: nicht nur Mord verfällt der göttlichen Strafe, sondern schon die Lästerung des Nächsten verfällt dem göttlichen Gericht; nicht nur vollzogener Ehebruch ist gegen Gottes Willen, sondern der begehrliche Blick auf eine fremde Ehefrau stellt schon Ehebruch dar; nicht nur das leichtfertige Beschwören eigener Aussagen ist gegen Gottes Willen, Gott erwartet vielmehr ein Reden, bei dem jedes Beschwören überflüssig ist. In allen diesen Fällen verschärft Jesus die göttliche Forderung und trifft dabei mit manchen Äußerungen jüdischer Lehrer zusammen, aber er tut das nicht, indem er die Geltung des Gebots auf weitere Fälle ausdehnt, wie es rabbinischem Denken entspräche, sondern indem er Gottes Willen ohne jede Begrenzung als Inanspruchnahme des ganzen Menschen verkündet. Dieser Sachverhalt wird noch deutlicher, wenn wir die drei übrigen Antithesen der Bergpredigt ins Auge fassen, denen Matthäus vermutlich erst die antithetische Form aufgeprägt hat (Mt. 5,31 f.3 8 f.43 f. p.). Hier wird das alttestamentliche Gebot jeweils nicht verschärft, sondern aufgehoben und Gottes unbedingter Wille an die Stelle gesetzt: das Ausstellen eines Scheidebriefs ist nicht erlaubt, vielmehr die Entlassung der Ehefrau überhaupt verboten; keinerlei Wiedervergeltung ist gestattet, sondern die Hinnahme weiterer Schädigung geboten; keinerlei Haß ist geboten, wohl aber Liebe gerade den Menschen gegenüber, die uns schädigen wollen. In diesen Fällen kann es sich um die Frage der rechten Begrenzung eines alttestamentlichen Gebots gar nicht handeln, sondern hier verkündigt Jesus aus eigener Vollmacht Gottes unbegrenzten Willen und bindet so den Menschen nicht an eine geschriebene oder formulierte Norm, sondern an den Willen des Vaters, den er zu ver-

Die Begegnung mit der Liebe Gottes

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künden den Auftrag hat: „Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist" (Lk.6,36p.). 4.1.4 Die Begegnung mit der Liebe

Gottes

Von diesem Vater hat Jesus aber nicht nur geredet, sondern die Liebe dieses Vaters hat er durch sein Verhalten Wirklichkeit werden lassen. Die Forderung Gottes, wie sie Jesus verkündigt, richtet sich darum an Menschen, denen Gott als der vergebende und den Sünder suchende in Jesus begegnet ist, und Jesus appelliert nicht an den guten Willen oder an die moralische Verantwortlichkeit des Menschen, sondern weist ihn auf den Gott hin, der ihm entgegenkommt. Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt. 18,23 ff.) schildert einen König, der einem Sklaven eine unwahrscheinlich hohe Schuld erläßt, worauf der Sklave hingeht und einen Mitsklaven wegen einer kleinen Schuld ins Gefängnis bringt. Als der Herr von diesem Verhalten hört, wird er zornig und übergibt den undankbaren Sklaven den Bütteln, „bis er alle Schuld zurückgezahlt hat. So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergebt." In diesem Gleichnis blickt deutlich hinter dem König Gott hervor, der dem Menschen eine niemals abzuzahlende Schuld vergibt, und Jesus will an diesem Bild zeigen, daß wir den Dank für die empfangene Gabe der Vergebung an unsere Mitmenschen weitergeben müssen, wenn wir wirklich verstanden haben, was uns Gott durch Jesus geschenkt hat und daß Gott die Mißachtung seiner Gabe nicht hinnehmen wird. Hier ist ganz deutlich die Erfahrung der Liebe Gottes in der Begegnung mit Jesus die Voraussetzung und Ermöglichung des Gehorsams gegen die durch Jesus verkündete Forderung Gottes. Und ganz entsprechend setzt Jesu Deutung seiner Salbung durch eine sündige Frau: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt. Wer aber wenig Vergebung erfährt, liebt wenig" (Lk.7,47) voraus, daß diese Sünderin nur darum solche Liebe erweisen konnte, weil sie durch Jesus göttliche Liebe erfahren hatte. Auch hier ist das Liebenkönnen die Folge der empfangenen göttlichen Liebe. Weil Jesus so die Forderung Gottes begründet sein läßt in der Wirklichkeit des dem Menschen begegnenden endzeitlichen Liebeshandelns Gottes, kann er alle Forderung Gottes zusammenfassen in dem Gebot der Liebe zu Gott und zu dem Nächsten (Mk. 12,28ff.p.). Ein Schriftgelehrter fragt Jesus nach dem ersten Gebot unter allen Geboten und meint damit das ordnende Prinzip, aus dem alle anderen Gebote abgeleitet werden können, ohne darum weniger befolgt werden zu müssen. Jesus nennt nicht nur ein Gebot, sondern stellt neben das von jedem Juden täglich zu rezitierende Bekenntnis zu dem einen Gott Israels, den man von ganzem Herzen lieben soll (5.Mos. 6,4f.), das Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (3. Mos. 19,18) und schließt mit der Feststellung: „Es gibt kein anderes Gebot, das größer wäre als diese [Gebote]." In der jüdischen Überlieferung begegnet gelegentlich eine Nebeneinanderstellung von Gottes- und 4

Kümmel, Theologie

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Nächstenliebe, aber die prinzipielle Zuordnung der beiden Schriftgebote, die Jesus vornimmt, begegnet sonst nirgendwo. Diese Zusammenordnung durch Jesus aber hat eindeutig den Sinn, alles zu nennen, was der Mensch im Angesicht Gottes zu tun hat: die Antwort auf das Entgegenkommen Gottes in Jesus und auf die Verheißung der Gottesherrschaft kann nur die Liebe zu Gott sein, die in der Liebe zum Nächsten sich verwirklicht. Wächst aber die Liebe zum Nächsten aus der Begegnung mit der Liebe Gottes und ist untrennbar von der Liebe zu Gott, dann kennt solche Liebe zum Nächsten auch keine Grenzen: sowohl kultische wie nationale Schranken der Liebe hebt Jesus ausdrücklich auf (Mk. 3,1 ff. p.; Lk. 10,29 ff.), und der Hinweis auf die Analogie der Selbstliebe („du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst"), vor allem aber der Hinweis auf das Vorbild Gottes („werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist") zeigen die Unbegrenztheit der Liebe, die die Antwort auf Gottes Heilszusage und Heilsgabe ist. „Liebe, wie Jesus sie fordert, kennt kein Maß, weil Gott in seiner Liebe selbst kein ,Maß' hat" (E.Neuhäusler). 4.2 Die Gottesherrschaft und die Vorstellung von Lohn und Strafe Mit dieser Einsicht sind wir aber auch in die Möglichkeit versetzt zu verstehen, warum Jesus das menschliche Handeln mit der Verheißung der Gottesherrschaft durch die Vorstellung von Lohn und Strafe verbinden konnte. "Wir sahen, daß Jesus unbedenklich von Lohn und Strafe spricht, die den Menschen aufgrund ihres Tuns beim Kommen der Gottesherrschaft zuteil werden sollen. Es ist nun aber wichtig zu sehen, daß Jesus dabei nicht einfach die Lohnvorstellungen des Judentums seiner Zeit als ganze übernimmt, sondern daß er entscheidende Abstriche an den traditionellen Vorstellungen vornimmt. 1. Wenn Jesus von Vergeltung spricht, denkt er nur an den „Schatz im Himmel", die Gottesherrschaft, das ewige Leben, verbietet aber völlig, an irdische Belohnung oder Bestrafung zu denken. Die Neigung, irdisches Unglück als Strafe für besondere Schuld anzusehen, wird darum von Jesus ebenso abgelehnt (Lk. 13,1-5) wie das Bestreben, für seine guten Taten bei den Menschen Anerkennung zu erhalten: wer solche Anerkennung sucht, hat mit ihr seine Belohnung bereits ausgezahlt erhalten (Mt.6,2.5.16). Darum verzichtet Jesus auch auf jede Ausmalung von Lohn und Strafe, es muß dem Jünger genügen zu wissen: „Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten" (Mt.6,3.6.18). Auch der Lohngedanke gibt nur der Verheißung Ausdruck, daß Gott sein Heil schenken wird. 2. Jesus kennt keinerlei Verrechnung von Schuld und Leistung, von Lohn und Strafe. Der Mensch kann sich nicht durch besondere Anstrengung einen besonderen Verdienst erwerben, er gleicht vielmehr dem Sklaven, der nach Beendigung aller ihm aufgetragenen Arbeit auf Dank keinen Anspruch hat: „So sollt auch ihr sagen, wenn ihr alles getan habt, was euch zu tun auf-

Lohn und Strafe

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getragen war: wir sind wertlose Sklaven, wir haben nur getan, was wir zu tun verpflichtet waren" (Lk. 17,10). Von dem Pharisäer, der wesentlich mehr tut, als das Gesetz von ihm fordert, und dies Gott vorhält: „Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und verzehnte alles, was ich habe", sagt Jesus: „Dieser ging nicht gerechtfertigt nach Hause" (Lk. 18,9-14). Daß der Mensch umkehrt und den schmalen Weg geht, fordert Gott (Lk. 18,13; 13,3.5; Mt.7,14), und Gottes Antwort auf solches menschliche Tun entspricht nach Jesu Gleichnis der Reaktion des Herrn seinem Sklaven gegenüber, der mit dem ihm anvertrauten Geld nach bestem Können gearbeitet hat: „Wohl, du guter und treuer Sklave, du warst gegenüber Wenigem treu, ich will dich über Vieles setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn" (Mt. 25,21.23). Gott fordert gewiß vollen Gehorsam und das alleinige Trachten nach der Gottesherrschaft und verheißt nur solchem vollen Gehorsam die Gabe der Gottessohnschaft (Lk. 6,32-35; 12,31p.), aber er fordert und anerkennt keine Sonderleistungen (vgl. Mt. 23,23 a.b. p.). 3. Damit ist aber der entscheidende Punkt berührt, an dem Jesus sich von dem Lohndenken seiner jüdischen Zeitgenossen unterscheidet. Wo man von „Lohn" redet, ist eigentlich von einem Anspruch die Rede, wie Paulus zutreffend formuliert hat: „Wer eine Arbeit leistet, dem wird der Lohn nicht nach Gnade zugesprochen, sondern aufgrund einer Verpflichtung" (Rom. 4,4). Jesus aber bestreitet jeden Anspruch des Menschen auf Gottes Lohn. Das ergibt sich schon aus dem eben genannten Gleichnis vom Sklaven (Lk. 17,7-10), das ergibt sich aber vor allem aus dem Gleichnis vom Weinbergbesitzer (Mt. 20,1-15). Dieser Arbeitgeber wirbt während eines Erntetages fünfmal Arbeiter an und vereinbart mit den am frühen Morgen Geworbenen den üblichen Tageslohn von einem Denar. Als es abends zur Lohnzahlung kommt, erhalten alle Arbeiter, unabhängig von der Länge ihrer Arbeitszeit, einen Denar. Auf das Murren derer, die den ganzen Tag gearbeitet haben, erwidert der Arbeitgeber: „Mein Lieber, ich tue dir kein Unrecht; warst du nicht mit einem Denar [als Lohn] einverstanden? Nimm, was dir zusteht, und gehe weg; ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Steht es mir nicht frei, mit meinem Besitz zu machen, was ich will? Oder ist dein Auge böse [d.h. bist du neidisch], weil ich gütig bin?" Daß dieser Arbeitgeber juristisch unangreifbar handelt, weil er niemandem den vertragsmäßigen Lohn verkürzt, wird ausdrücklich betont, und doch hat jeder Hörer das Gefühl, daß dieses Recht Unrecht sei. Es verbirgt sich hinter dem Arbeitgeber denn auch unzweifelhaft Gott, der in aller Uneingeschränktheit erklärt, daß er Lohn in dem M a ß zu geben das Recht hat, wie es seiner Güte entspricht. Allein darauf liegt in diesem Gleichnis der Ton, daß Gott gegenüber keinerlei Anspruch erhoben werden kann, daß Gottes Lohn ein Geschenk freier Güte ist. Gottes Lohn beruht eben gerade 4

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nicht, um mit Paulus zu sprechen, auf einer Verpflichtung, sondern Gott gibt seinen Lohn aus gnädigem Wollen. Wenn Jesus die traditionelle Rede vom Lohn trotzdem aufnimmt, so zweifellos darum, weil die Forderung auf Gehorsam gegen Gottes Willen ihren Ernst verlöre, wenn Gott nicht auf das menschliche Handeln reagierte. Der Gott, von dessen Lohn und Strafe Jesus redet, ist freilich nicht der gerechte Richter, der besondere Leistung auch besonders belohnte (das lehnt Jesus ja in Lk. 18,9ff. gerade ab), sondern der barmherzige Vater, der seine Liebe den Sündern zusagt, die umkehren, und dessen die Sünder suchende Liebe Jesus Wirklichkeit werden ließ. Vor diesem Gott gibt es keinen Anspruch, aber dieser Gott läßt sein Heil schon jetzt in Jesus Gegenwart werden und verheißt denen himmlischen Lohn, die dieses Heil in Jesus ergreifen und aus diesem Heil heraus handeln. Daß Gott vergibt und daß Gott vergilt, ist darum eine Wahrheit, die in Jesu Ankündigung und Vergegenwärtigung des göttlichen Heils mit hineingehört, und auch der besondere Charakter der Predigt Jesu von Lohn und Strafe ist bedingt durch das göttliche Heilsgeschehen, das Jesus ankündigt und verwirklicht. Erst wenn wir verstanden haben, welche Rolle Jesus seiner eigenen Person im Zusammenhang seiner Verkündigung zugeschrieben hat, werden wir darum Jesu Verkündigung von Gottes Handeln und Jesu Proklamation des Willens Gottes ganz begreifen können.

5. Der persönliche Anspruch Jesu Daß Jesus seiner Person eine wesentliche Bedeutung im Zusammenhang seiner Heilsverkündigung zugeschrieben hat, hat sich uns bei der Betrachtung seiner Predigt von Gottes Herrschaft, seiner Gottesverkündigung und seiner Interpretation des Gotteswillens gezeigt. Die Frage, welche Rolle Jesus sich zugeschrieben und welches Gewicht dieser persönliche Anspruch im Gesamtzusammenhang seiner Verkündigung gehabt hat, ist freilich aufs stärkste umstritten. Die Evangelien sind ja alle mit der ausdrücklichen Absicht geschrieben, die frohe Botschaft von Jesus Christus, dem Sohne Gottes, zu verkündigen (Mk. 1,1; vgl. Mt. 1,1; Lk.3,22f.38), und diese Absicht hat schon die Tradition vor den Evangelien geprägt, wie ζ. B. die Tauferzählung Mk. 1,9-11 p. beweist (s.u.). Angesichts dieses die Überlieferung prägenden Interesses ist es besonders schwierig festzustellen, welches die älteste Überlieferung gewesen ist und welche Vorstellungen und Begriffe auf Jesus selbst zurückgehen können oder müssen. 5.1 Die Taten Jesu Es ist daher ratsam, nicht von der Untersuchung der Würdebezeichnungen auszugehen, sondern zunächst zu fragen, wie Jesus von seiner Person und seinem Wirken im Zusammenhang seiner Verkündigung vom Kommen der Gottesherrschaft gesprochen hat. Da fällt zunächst die Tatsache ins Auge, daß von Jesus ja nicht nur berichtet wird, daß er gepredigt, sondern auch,

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daß er bestimmte Taten getan hat, die Erstaunen erregten. Auf diese Taten weist Jesus selbst in seiner Antwort an den Täufer hin (Mt. 11,4f.p., s.o. S. 32), und der Jesus keineswegs freundlich gesinnte Landesherr Antipas schließt sich dem von ihm vernommenen Gerücht an, das im Volke umlief, die erstaunlichen Taten Jesu seien daraus zu erklären, daß in Jesus der von Antipas hingerichtete Johannes der Täufer wieder erschienen sei: „Und es hörte der König Herodes [von Jesus], denn sein Name war bekannt geworden, und man sagte, daß Johannes der Täufer von den Toten auferweckt sei und deswegen die Kräfte in ihm wirken . . . Als Herodes das hörte, sagte er: Johannes, den ich enthaupten ließ, ist auferweckt worden" (Mk. 6, 14.16p.). Daß Jesus Taten getan hat, die man als ungewöhnlich empfinden mußte, ist darum durch Jesu eigenen Hinweis ebenso sicher bezeugt wie durch die Äußerung von Jesus fernstehenden Zeitgenosserf. Aber wir haben ja in den Evangelien auch eine große Anzahl von Berichten über Heilungen, Totenerweckungen und sog. „Naturwunder" Jesu, doch gehen über den geschichtlichen Wert und die Bedeutsamkeit dieser Berichte die Meinungen von jeher auseinander. Es ist nun unbestreitbar, daß diese Berichte ihre Parallelen haben in dem, was man zur Zeit Jesu von Wundertaten der Heilgötter, der Kaiser, bestimmter heidnischer Heilandsgestalten, aber auch in etwas anderer Form von jüdischen Lehrern erzählte, und zwischen diesen außerchristlichen und den evangelischen Wundergeschichten bestehen, vor allem in Einzelzügen, zahlreiche Analogien. Es ist aber ebenso unverkennbar, daß sich bestimmte Arten von Wundergeschichten der Umwelt in den synoptischen Evangelien gar nicht oder nur vereinzelt finden (Strafwunder, Selbsthilfewunder, Belohnungswunder, Wunder als Demonstration zauberhaften Könnens; kritisch zu beurteilende Ausnahmen sind Mt. 17,24 ff.; Mk. l l , 1 2 f f . p . ) . Besonders aber ist zu sagen, daß doch manche der evangelischen Berichte den Wunderberichten der Umwelt mit ihren magischen Praktiken und dem Fehlen einer persönlichen Beziehung zwischen dem Wundertäter und dem Geheilten auffällig entsprechen (z.B. die Heilung des Blinden, Mk. 8,22-26), während andere Berichte kaum solche Züge aufweisen (etwa die Heilung der gelähmten Hand, M k . 3 , 1 - 5 p . ) . Diese religionsgeschichtliche Feststellung trifft sich mit der formgeschichtlichen Beobachtung, daß diejenigen Berichte, die zahlreiche „wunderhafte" Züge aufweisen, in der Regel auch nichts über Jesus und seine Botschaft lehren, während bei den anderen Berichten die Tat Jesu den Rahmen bietet für eine Erörterung über Jesus und seine Lehre. Ergibt sich aus diesen Feststellungen eindeutig, daß die Berichte über ungewöhnliche Taten Jesu in den Evangelien durchaus nicht alle denselben Charakter haben, so ergibt sich ebenso, daß ein Teil der Berichte dadurch fest in der ältesten Überlieferung verankert ist, daß hier Jesus in seiner Besonderheit und Jesu Verkündigung in einer bestimmten Hinsicht im Zusammenhang der Erzählung einer T a t Jesu dargestellt werden, daß hier also Jesus und nicht einfach ein wunderhaftes Geschehen dem Hörer vor Augen gestellt wird. Kann an der geschichtlichen Zuverlässigkeit derartiger Berichte nicht gezweifelt werden, so muß es

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andererseits fraglich bleiben, ob die Berichte, die primär oder ausschließlich an dem wunderhaften Geschehen interessiert sind, ursprünglich überhaupt etwas mit Jesus zu tun hatten oder doch wenigstens Umbildungen einer ursprünglicheren Erzählung darstellen. Auf diese Frage wird nicht in allen Fällen mit Sicherheit geantwortet werden können, auf keinen Fall aber darf die Antwort von der Voraussetzung ausgehen, daß kein Bericht auf geschichtliche Ursprünglichkeit Anspruch erheben könne, der über die uns bekannte oder nachvollziehbare Erfahrung hinausgeht. Denn die Vorstellung des kausalen Zwanges, von dem es keine Ausnahmen geben könne, ist dem antiken Menschen überhaupt fremd, von vereinzelten Skeptikern abgesehen, und für Jesus, der mit Gottes Herrenmacht rechnet, ist eine solche Vorstellung erst recht unvollziehbar. Macht man mit dieser Einsicht ernst, so erweist sich ζ. B. die Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum (Mt. 8,5-10.13 p.) als ein Bericht, in dem Jesu Stellung zu seinem Volk und den Heiden und die Frage des Glaubens Jesus gegenüber zur Sprache kommen, während die Heilung des Sohnes (oder des Knechtes) des Hauptmanns ohne jedes Interesse an Einzelheiten berichtet wird. Es besteht darum kein Bedenken, die Erzählung als Bericht aus dem Leben Jesu anzuerkennen, und die Tatsache, daß diese Heilung sich aus der Ferne vollzieht, ja ohne daß Jesus auch nur ein Heilungswort spricht, darf nicht einfach darum gegen diese Anerkennung eingewandt werden, weil ein solches Geschehen unserer Erfahrung widerspricht und rational nicht erklärbar ist. Umgekehrt aber zeigt uns die Erzählung von Jesu Austreibung der Dämonen aus einem Besessenen in eine Schweineherde, die dann in den See rennt und ertrinkt ( M k . 5 , l - 2 0 p . ) , zwar ein sehr auffälliges und in seinem Sinn nicht ganz durchschaübares wunderhaftes Handeln Jesu, aber gar nichts von der Besonderheit der Person und der Verkündigung Jesu, und darum muß es als sehr fraglich bezeichnet werden, ob dieser Bericht in die älteste Überlieferung zurückgeht und ein Geschehnis aus dem Leben Jesu wiedergibt. Doch ist die Frage nach der geschichtlichen Zuverlässigkeit des Einzelberichtes, wie schon gesagt, nicht immer sicher zu entscheiden, und für das Verständnis des persönlichen Anspruchs Jesu ist die Frage auch unwesentlich, wie viele Staunen erregende Taten Jesus getan hat und was sich im Einzelfall als Geschehnis erkennen oder vermuten läßt. Entscheidend ist für unseren Zusammenhang einzig die Frage, welchen Sinn Jesus seinen Taten im Zusammenhang seiner Verkündigung vom Kommen der Gottesherrschaft zugesprochen hat. Da ist zunächst deutlich, daß nach Jesu Meinung seine Taten keinerlei beweisende Kraft für seinen göttlichen Auftrag und für das Urteil über seine Person haben können und sollen. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß die Gegner Jesu seine Macht über die Dämonen auf sein Bündnis mit dem Dämonenfürsten zurückzuführen versuchen können: „Er treibt mit Hilfe des Anführers der Dämonen die Dämonen aus" (Mk.3,22bp.); daß Gott in Jesu Taten wirksam ist, kann man also keineswegs eindeutig erkennen. Daß Jesu Taten keine beweisende Kraft haben, ergibt sich noch

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deutlicher aus Jesu Abwehr des Vorwurfs, er stehe mit dem Dämonenfürsten im Bunde: „Wenn ich mit Hilfe des Beelzebub die Dämonen austreibe, mit wessen Hilfe treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein" (Mt. 12,27 p.)· Denn hier anerkennt Jesus ohne Umschweife, daß ähnliche Macht über die Dämonen wie er auch jüdische Exorzisten haben, und bei ihnen kann man genau wie bei Jesus nicht ohne weiteres wissen, woher ihre Macht stammt. Aber Jesus konstatiert nicht nur, daß seine Taten keinen demonstrativen Charakter haben, er weigert sich sogar ausdrücklich, durch irgendwelche Taten seine göttliche Sendung nachzuweisen: „Und die Pharisäer gingen aus und begannen mit ihm zu streiten, indem sie von ihm ein Zeichen vom Himmel forderten und ihn damit auf die Probe stellten. Und er seufzte in seinem Geist und sprach: ,Warum sucht dieses Geschlecht ein Zeichen? Wahrlich ich sage euch, diesem Geschlecht wird kein Zeichen gegeben werden'" (Mk.8,11 f.p.). Die Gegner wollen also einen eindeutigen Beweis für Jesu Sendung von Gott haben, aber Jesus verweigert uneingeschränkt die Erfüllung dieser Forderung. So hat wenigstens Markus die Antwort Jesu überliefert. Nach der parallelen Uberlieferung in der Redenquelle hat Jesus freilich erklärt: „Diesem Geschlecht wird kein Zeichen gegeben werden außer dem Jonazeichen" (Lk. 11,29 p.). Wenn die Annahme recht haben sollte, für die manches spricht, daß die Redenquelle dieses Wort Jesu in ursprünglicherer Fassung bewahrt habe als Markus, dann bleibt zwar unsicher, was mit dem Jonazeichen im Munde Jesu gemeint war (am ehesten: der Menschensohn wird, wie Jona den Nineviten, so diesem Geschlecht als Gerichtsprediger erscheinen); aber auch bei dieser Fassung verweigert Jesus ein demonstratives Zeichen, das man zur Legitimation von ihm verlangt. Jesu Taten können in ihrem wahren Wesen nach Jesu eigener Angabe nur verstanden werden, wenn man die Botschaft hört, die sein Handeln begleitet. Jesus hat nun aber dieses Handeln eindeutig interpretiert: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist die Gottesherrschaft zu euch gekommen" (Lk. 11,20p.), in Jesu machtvollem Handeln handelt Gott, bricht die kommende Gottesherrschaft an. Und genau das Gleiche ergibt sich aus der schon mehrfach zitierten Antwort Jesu auf die Frage des Täufers aus dem Gefängnis: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird die Frohbotschaft verkündet; und selig, wer über mich nicht zu Fall kommt" (Mt. 11,5f.p.). Hier wird nicht nur das Handeln Jesu als Erfüllung alttestamentlicher Heilsverheißung geschildert, sondern hier wird auch ausdrücklich hinzugefügt, daß man trotz dieser sichtbaren Geschehnisse über Jesus zu Fall kommen, d. h. daß man endzeitliches Heilsgeschehen in diesen Taten auch nicht erkennen und darum auch nicht merken kann, daß Gott hier seine Herrschaft wirksam werden läßt. Und in einem Weheruf über die Städte Chorazin und Bethsaida sagt Jesus: „Wenn in Tyrus und Sidon die Krafttaten geschehen wären, die bei euch geschehen sind, wären sie schon lange in Sack und Asche umgekehrt. Aber ich sage euch,

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Tyrus und Sidon wird es am Gerichtstag erträglicher ergehen als euch" (Mt. 11,21 f. p.; Mt. 11,23 f. p. folgt eine parallele Aussage über Kapernaum und Sodom). In den jüdischen Orten Chorazin und Bethsaida hat Jesus also Krafttaten getan (die Evangelien erzählen diese Taten Jesu nicht), aber die Bewohner haben sich dadurch zu keinerlei Konsequenzen veranlaßt gesehen, und Jesus meint, die Bewohner der heidnischen Städte Tyrus und Sidon hätten anders reagiert, wenn ihnen solche Taten Jesu zu Gesicht gekommen wären. Die Taten Jesu sind also in ihrem Geschehnischarakter eindeutig, aber man kann sie wahrnehmen, ohne zu merken, was da eigentlich geschieht. Die Wunder Jesu sind nur für den Hinweise, der bereit ist, auch auf die Deutung dieser Wunder zu hören. Darum verweigert Jesus das Tun von Machttaten jedesmal, wenn er überzeugt ist, daß man die Deutung seiner Taten nicht auch zu hören bereit ist. Das ergibt sich nicht nur aus der Verweigerung eines demonstrativen Zeichens, sondern vor allem aus der Erzählung von seinem Mißerfolg in Nazareth: „Er kam in seine Vaterstadt, und seine Jünger folgten ihm. Und als es Sabbat wurde, begann er in der Synagoge zu lehren, und die Menge hörte [ihn] und war verblüfft und sagte: ,Woher hat er das, und was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was sind das für Krafttaten, die durch ihn geschehen? Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns und der Maria und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns?' Und sie nahmen an ihm Anstoß. Und Jesus sagte ihnen: ,Kein Prophet wird in seiner Vaterstadt geehrt und bei seinen Verwandten und in seiner Familie.' Und er konnte dort keine Krafttat tun, nur wenigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben" (Mk.6,1-6p.). Diese Erzählung, die man schon früh abgeschwächt hat (vgl. Mt. 13,58), weil man daran Anstoß nahm, und die gerade darum als geschichtlich zuverlässig gelten muß, will natürlich nicht besagen, daß Jesus in seiner Vaterstadt keine Wunder tun konnte, weil er ohne Echo kraftlos bleibt - dagegen spricht schon die Einschränkung: er heilte wenige Kranke - ; gemeint ist vielmehr, daß Jesus sich nicht zu Wundertaten veranlaßt sehen konnte, als er auf eine so grundsätzlich skeptische Haltung seiner Person gegenüber in Nazareth stieß. An Jesu Machttaten kann man erkennen, wer dieser Machttäter ist und was sich durch ihn vollzieht, wenn man ihm zu glauben bereit ist, aber ohne solchen Glauben sind Jesu Taten wirkungslos auf die Menschen seiner Umgebung. Wer auf Jesu Ruf zur Umkehr nicht hören will, dem nützen auch Wundertaten nichts. Das gibt Jesus im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus zu verstehen: Der Reiche bittet von der Hölle aus Abraham, er möge den ebenfalls gestorbenen Lazarus zu seinen Brüdern auf die Erde schicken, um sie zur Umkehr aufzufordern, aber Abraham antwortet: „Wenn sie auf Moses und die Propheten nicht hören, werden sie auch nicht gehorsam werden, wenn einer von den Toten aufersteht" (Lk. 16,27-31). Auch das größte Wunder kann den nichts lehren, der nicht zu hören gewillt ist.

Glaube an Jesus?

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5.2 Glaube an Jesus? Aber wenn auch die Wunder Jesu nur ein Hinweis auf das Geschehen der Herrschaft Gottes sind und der Deutung bedürfen, so zeigt sich an ihnen doch deutlich, daß Jesus seiner Person eine entscheidende Rolle im endzeitlichen Heilsgeschehen zuschreibt. Wir sahen auch, daß der Evangelist Markus das sich Verschließen der Bewohner von Nazareth gegenüber Jesus als „Unglauben" bezeichnet hat (Mk. 6,6p.). Hat Jesus also zum Glauben an seine Person aufgefordert? Das ist schon darum unwahrscheinlich, weil in den synoptischen Evangelien zwar oft vom Glauben die Rede ist, aber niemals in alter Überlieferung vom „Glauben an Jesus" oder von „Jesus glauben". Jesus spricht vielmehr einerseits vom Glauben an Gott und erwartet von seinen Jüngern, daß sie einen Glauben haben, der Gott das Unmöglichste zutraut und sich durch nichts erschüttern läßt: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Berg sagen: Begib dich von hier nach dort, und er würde sich begeben, und nichts wird euch unmöglich sein" (Mt. 17,20 p.); und als die Jünger einem dämonisch besessenen Knaben nicht helfen konnten, erklärt Jesus: „Du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch s e i n ? . . . Alles ist dem Glaubenden möglich" (Mk.9,19p.23). Die Jünger, die im Sturm ängstlich'sind, tadelt er: „Warum seid ihr feige? Habt ihr noch keinen Glauben?" (Mk.4,40p.), und die Menschen, die sich um Essen und Kleidung Sorge machen, nennt Jesus „Kleingläubige" (Mt. 6,30 p.). Glaube ist für Jesus also das wagende Vertrauen auf Gottes Fürsorge und Hilfe, zu dem Jesus seine Jünger führen möchte. Daneben finden sich aber eine Reihe von Jesusworten, in denen vom Glauben angesichts des Wundertäters Jesus die Rede ist. Dem römischen Centurio in Kapernaum, der Jesus zutraut, daß er mit einem bloßen Wort seinen Sohn (oder Sklaven) heilen kann, sagt Jesus: „Wahrlich, ich sage euch, bei niemandem in Israel habe ich so großen Glauben gefunden" (Mt. 8,10 p.); dem blinden Bartimaios, der Jesus mit dem Ruf: „Davidssohn, erbarme dich meiner!" um Heilung von der Blindheit bittet, gebietet Jesus: „Geh weg, dein Glaube hat dich gerettet" (Mk. 10,52p.). Ganz entsprechend erklärt Jesus dem Synagogenvorstand Jaïrus, der um Heilung seiner Tochter gebeten hatte und den man von weiterem Bitten mit der Nachricht vom Tod der Tochter abzubringen sucht: „Fürchte dich nicht, glaube nur!" (Mk.5,36p.). So redet ja auch die alte Überlieferung, wo sie vom Herablassen eines Gelähmten durch das Dach zu Jesus erzählt, vom Glauben: „Als Jesus ihren Glauben sah . . . " (Mk.2,5p.). Die Annahme, Glaube solle in diesen Zusammenhängen nichts als das Zutrauen zu der Wunderkraft Jesu bezeichnen, ist daher oft vertreten worden. Solcher Glaube an den Wundertäter Jesus stünde freilich völlig beziehungslos neben dem von Jesus geforderten Glauben an Gott, und das ist angesichts von Mk. 9,19 p. 23 unmöglich, wo der Unglaube der Jünger deutlich darauf zurückgeführt wird, daß die Jünger sich durch Jesus nicht zu wirklichem Glauben haben führen lassen. Überdies zeigen Mt. 7,24 p.: „Jeder, der meine Worte

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hört und sie tut, wird einem verständigen Mann gleichen, der sein Haus auf den Felsen gebaut hat", und die Zurückweisung der Seligpreisung der Mutter Jesu Lk. 11,28: „Selig sind vielmehr die [Menschen], die das Gotteswort hören und beachten", daß Jesus erwartet, daß der Mensch im Hören auf sein Wort zum Glauben und Gehorsam Gott gegenüber kommt. Die von Jesus erwartete Anerkennung, daß in seinen Dämonenaustreibungen Gottes Herrschaft sich verwirklicht (Mt. 12,28 p.), setzt ja auch voraus, daß man in Jesu Handeln Gottes Heilshandeln glaubend begegnet. Auch wenn Jesus nicht vom Glauben an seine Person gesprochen hat, so hängt doch für ihn die Begegnung mit Gottes endzeitlicher Herrschaft ganz an der glaubenden Begegnung mit seinem Handeln und seinem Lehren, in dem Gottes endzeitliches Heilshandeln sich verwirklicht. Dem entspricht, daß Jesus ausdrücklich vom Sinn seines Kommens und von seiner Sendung durch Gott gesprochen hat. „Glaubt nicht, daß ich gekommen bin, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das S c h w e r t . . . " (Mt. 10,34p.); das besagt nichts anderes, als daß das Kommen Jesu eine Scheidung unter den Menschen je nach ihrer Stellungnahme zu Jesus bewirkt. Vielleicht ist auch Lk. 12,49 ähnlich zu verstehen: „Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu bringen, und ich möchte, daß es schon brenne", d.h. Jesu Sendung wirkt wie das Spreu und Weizen sondernde Gerichtsfeuer, aber auf alle Fälle ist auch hier dem Kommen Jesu eine endzeitliche Wirkung beigemessen. Daß Jesus sich eine endzeitliche Aufgabe zuschreibt, zeigt auch Mt. 5,17: „Glaubt nicht, daß ich gekommen bin, um das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen" (s. o.S.47). Hier bezeichnet sich Jesus als den bevollmächtigten, endgültigen Erklärer des Wortes Gottes und spricht darin auch von seiner göttlichen Sendung: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt" (Mt. 15,24). Daß Jesus seinem Auftrag und seinem Wirken zentrale Bedeutung in dem von ihm verkündigten und gebrachten endzeitlichen Heilsgeschehen zugeschrieben hat, kann nach dem allen nicht zweifelhaft sein. 5.3 Jesus, der Prophet? Man hat den Grund für diese Deutung seines Auftrags durch Jesus vielfach darin finden wollen, daß Jesus die Rolle eines Propheten für sich in Anspruch genommen habe, und man kann für diese Annahme einerseits anführen, daß Jesus das ablehnende Verhalten seiner Landsleute in Nazareth ihm gegenüber mit dem Sprichwort erklärt: „Kein Prophet wird in seinem Vaterland und bei seinen Verwandten und bei seiner Familie geehrt" (Mk. 6,4 p.) und daß Jesus über sein endgültiges Schicksal gesagt hat: „Ich muß heute und morgen und übermorgen wandern, denn es geht nicht an, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems zugrunde geht" (Lk. 13,33). Man kann andererseits darauf verweisen, daß Jesus bestimmte Züge prophetischen Verhaltens aufweist: Aufforderung zur Umkehr (Lk. 13,3.5); Zukunftsvor-

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hersage (Mt.23,38p.; Mk. 13,2p.); Ansage des nahen Endes (Mk. 1,15p.); Visionen (Lk. 10,18). Es leidet auch keinen Zweifel, daß Jesus zu Lebzeiten als Prophet angesehen worden ist (Mk. 6,15p.; 8,28p.; 14,65 p.; Mt.21,46; nach Lk. 7,39 wird dieses Urteil von einem Pharisäer wegen Jesu Verkehr mit einer Sünderin abgewiesen). Aus dem allen folgt aber keineswegs, daß Jesus sich selbst als einen Propheten gewußt hat. Denn die traditionellen Formulierungen Mk. 6,4 p.; Lk. 13,33 beweisen nichts für Jesu eigenen Sprachgebrauch, und die übrige Überlieferung enthält keine einzige Aussage, in der sich Jesus als Prophet bezeichnet. Jesus hat vielmehr deutlich erklärt, er sei mit der Bezeichnung „Prophet" nicht richtig zu begreifen: „Die Leute von Ninive werden beim Gericht auferstehen mit diesem Geschlecht und es verurteilen; denn sie kehrten um auf die Predigt des Jona hin, und siehe, hier ist mehr als Jona" (Mt. 12,41 p.; vgl. auch Mt. 12,42p.). So kann es nicht verwundern, daß Jesus überzeugt war, daß mit Johannes dem Täufer die Zeit der Propheten abgeschlossen sei: „Das Gesetz und die Propheten [gehen] bis Johannes; von den Tagen Johannes des Täufers an bis jetzt wird der Gottesherrschaft Gewalt angetan, und Gewalttäter rauben sie" (Lk. 16,16a; Mt. 11,12). Jesus stellt hier deutlich fest, daß mit seinem Kommen die Zeit des Gesetzes und der Propheten beendet ist, und dem entspricht nicht nur Jesu Anspruch, aus eigener Vollmacht Gottes Willen endgültig zu verkünden („Ich aber sage e u c h . . . " Mt.5,22.28.34, s.o.S.46f.), sondern auch sein kühner Satz, daß seine Worte immer bleiben werden: „Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen" (Mk. 13,31p.). 5.4 Der Messias Die Frage, welche Bedeutung Jesus im Zusammenhang seiner Predigt vom Kommen der Gottesherrschaft und von Gottes Willen seiner eigenen Person zugeschrieben hat, führt also zu der eindeutigen Erkenntnis, daß Jesus in seinem Lehren und Handeln Gottes endzeitliches Heilshandeln sich verwirklichen sah und darum die Menschen, denen er begegnet, vor die Entscheidung stellte, ob sie, diesen Anspruch anzuerkennen bereit seien oder ob sie ihn ablehnten. Aber so eindeutig sich dieser Sachverhalt erkennen ließ, so wenig ist mit dem allen schon deutlich geworden, worin Jesus diesen Anspruch begründet sah und welche weiteren Erwartungen mit diesem Anspruch verknüpft waren. Und es stellt sich unausweichlich die Frage, ob nicht Jesus diesen Anspruch auch in eine der Formen gekleidet hat, die in der jüdischen Endzeiterwartung seiner Zeit zur Verfügung standen. Diese Frage legt sich schon darum nahe, weil die evangelische Überlieferung Jesus zum mindesten die Titel „Sohn" und „Menschensohn" eindeutig gebrauchen und die Frage, ob er „der Gesalbte" sei, eindeutig bejahen laßt. Sie legt sich aber auch darum nahe, weil das Judentum der Zeit Jesu eine sehr lebendige, aber auch sehr vielfarbige Heilbringererwartung gehabt hat und es zum

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mindestens auffällig wäre, wenn Jesus angesichts seines so hohen persönlichen Anspruchs mit diesen Erwartungen nicht konfrontiert worden wäre. Es darf freilich nicht vergessen werden, daß die jüdische Erwartung der kommenden Gottesherrschaft oder allgemeiner des endzeitlichen Gerichts und Heils keineswegs notwendig und darum keineswegs immer mit der Erwartung eines endzeitlichen Heilbringers verbunden gewesen ist. Von den in Luthers Bibelübersetzung „Apokryphen" genannten jüdischen Schriften kennen ζ. B. Tobit und Judith keine solche Gestalt, und das gleiche gilt unter den übrigen jüdischen Schriften der letzten Jahrhunderte vor Christus etwa für das Buch der Jubiläen oder die „Himmelfahrt des Mose" (in dieser in den ersten christlichen Jahrzehnten verfaßten pharisäischen Apokalypse tritt Gott selbst auf, um Gericht zu halten und den Satan zu vernichten). Aber im Volk muß die Erwartung eines endzeitlichen Heilbringers weithin so lebendig gewesen sein, daß „falsche" Messiasgestalten auftraten und Anklang fanden (vgl. Apg.5,36f.) und daß man vor der Bereitschaft warnen mußte, solchen Gestalten Glauben zu schenken (Mk. 13,6p.; 13,21 f.p.). Zahlreiche jüdische Schriften der nachalttestamentlichen Zeit kennen denn auch eine Heilbringererwartung, freilich in sehr verschiedener Form, und diese Formen lassen sich nicht immer scharf gegeneinander abgrenzen. Doch kann man mit guten Gründen drei Formen der Erwartung eines Heilbringers im damaligen Judentum unterscheiden: den Messias, den König aus dem Hause Davids; den endzeitlichen Hohepriester aus dem Hause Aarons; den aus dem Himmel kommenden „Menschensohn". Die Erwartung eines messianischen Hohepriesters fehlt nun in den synoptischen Evangelien vollständig, während die beiden anderen Formen der Heilbringererwartung im Munde Jesu direkt oder indirekt begegnen. Die Frage, ob Jesus diese Formen jüdischer Heilbringererwartung aufgenommen hat oder sich wenigstens mit ihnen auseinanderzusetzen hatte, drängt sich darum auch von den Evangelienberichten her auf. Man wird dabei zweckmäßig von der Erwartung eines „Gesalbten" ausgehen, weil schon Markus sein Buch als „Frohbotschaft von Jesus Christus" bezeichnet hat (Mk. 1,1) und Jesu zustimmende Antwort auf die Frage des Hohepriesters berichtet, ob er „der Gesalbte, der Sohn des Gepriesenen" sei (Mk. 14,61 f.p.). Die Erwartung eines „Gesalbten" (hebr. mäschiach, gräzisiert Messias, ins Griechische übersetzt Christos, lateinisch Christus) ist im Judentum vom Beginn des 2. vorchristlichen Jahrhunderts bis zur Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) relativ selten bezeugt, findet sich aber doch auch sehr betont als Hoffnung auf einen irdischen König, einen Davids-Sohn, den „Gesalbten des Herrn", der die politischen Feinde des jüdischen Volkes zerschmettern und über das sündlose heilige Volk Gottes regieren wird (so in den pharisäischen „Psalmen Salomos" im 1. Jahrhundert v. Chr.; Text bei C.K.Barrett, Die Umwelt, s. o. S. 9, S. 261 f.). Diese Erwartung findet sich ferner als Hoffnung auf den „Gesalbten der Gerechtigkeit" oder den „Gesalbten Israels", einen endzeitlichen Fürsten, der aber nicht immer deutlich als Davidsnachkomme gekennzeichnet wird (so bei den Frommen

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von Qumran, s. die Texte bei J. Maier, s.o. S.9, S. 183,175). Diese politische Hoffnung auf einen endzeitlichen irdischen „Gesalbten" muß im Volk sehr lebendig gewesen sein, wie nicht nur die Warnungen der Evangelien (s o.) zeigen, sondern vor allem die 15. Bitte des täglich zu sprechenden Achtzehnbittengebets beweist, dessen Wortlaut uns freilich sicher erst aus der Zeit kurz nach der Zerstörung Jerusalems bezeugt ist: „Den Sproß Davids laß eilends sprossen, und sein Horn werde hoch durch deine Hilfe!" Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, daß der Titel „der Gesalbte" auch im Zusammenhang anderer Endzeithoffnungen begegnet, so für den später zu besprechenden „Menschensohn" in den vorchristlichen „Bilderreden" des äthiopischen Henochbuches (s. bei C.K.Barrett, s. o. S. 9, S. 266), oder für eine prophetische Gestalt, die als „Freudenbote" der Endzeit bezeichnet wird, so in dem sog. „Melchisedek-Text" aus der 11. Höhle von Qumran. Aus dem allen ergibt sich,. daß die Bezeichnung „der Gesalbte" für den Heilbringer zwar vor allem für die politische Endzeiterwartung, aber durchaus auch in anderen Zusammenhängen gebraucht wurde, so daß nur der jeweilige Zusammenhang über den genauen Sinn der Bezeichnung Auskunft geben kann. Sowenig jüdische Heilbringererwartung zur Zeit Jesu notwendigerweise sich des Titels „der Gesalbte" bedienen mußte, so sehr lag es doch offenbar nahe, diesen Titel in diesem oder jenem Zusammenhang zu verwenden, und es wäre in keiner Weise auffällig, wenn er auch im Zusammenhang des Auftretens Jesu eine Rolle gespielt hätte. Nun begegnet das Wort „Christus" als Selbstbezeichnung im Munde Jesu in den synoptischen Evangelien in alten Texten nicht (Mt. 23,10 und Mk. 9,41 sind eindeutig sekundär). Und die beiden Texte, in denen Jesus mit diesem Titel konfrontiert wird, sind geschichtlich sehr schwierig. In der Erzählung Mk. 8,27-30 p. stellt Jesus selber seinen Jüngern in der Nähe von Caesarea Philippi die Frage, für wen ihn die Leute hielten, und erhält die Antwort: „Für Johannes den Täufer, andere für Elias, andere für einen Propheten." Auf die weitere Frage: „Für wen haltet ihr mich?" antwortet Petrus: „Du bist der Gesalbte." Der Bericht schließt dann mit der Bemerkung: „Und er bedrohte sie, sie sollten zu niemand von ihm reden." Für ein hohes Alter dieses Berichts sprechen zwei Tatsachen: die Ortsangabe, die im Zusamenhang mit einem solchen lehrhaften Bericht sonst in der synoptischen Uberlieferung nicht begegnet und Jesus weit entfernt von den sonstigen Orten seiner Wirksamkeit zeigt, und der Schluß des Berichts. Das Verbot, das Bekenntnis zu Jesus, dem Messias, weiterzusagen, entspricht der Anschauung des Evangelisten von dem Messiasgeheimnis, das Jesus zu wahren fordert (vgl. Mk. 3,12), und gehört darum schwerlich zum ursprünglichen Bericht. Dieses Schweigegebot muß aber den ursprünglichen Schluß der Geschichte verdrängt haben, und dieses Abbrechen des ursprünglichen Schlusses, der Reaktion Jesu, die wohl als nicht mehr tragbar empfunden wurde, spricht ebenso für ein hohes Alter des Berichts. Wenn Jesus aber nach diesem Bericht auf seine Frage nach der Meinung der Jünger über ihn die Antwort erhielt, sie hielten ihn für den Messias, so kann diese Ant-

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wort des Petrus nur den Sinn gehabt haben, daß die Jünger erwarteten, Jesus werde als der von Gott gesandte Herrscher der Endzeit erscheinen, da der gegenwärtige Jesus ja von solcher herrscherlichen Würde nichts zeigte. Aber auch wenn es zutreffen sollte, daß das Bekenntnis von Petrus in diesem Sinn geäußert worden ist, haben die Jünger schwerlich daran festgehalten, wie ihr Verhalten in der Leidensgeschichte beweist. Da der ursprüngliche Schluß der Erzählung nicht erhalten ist, wissen wir auch nicht, wie Jesus auf dieses Bekenntnis reagiert hat. Denn die in verschiedener Form vertretene Vermutung, die Reaktion Jesu auf das Messiasbekenntnis des Petrus sei in dem Jesuswort erhalten, das kurz danach bei Markus folgt: „Hinter mich, Satan, denn du denkst nicht Göttliches, sondern Menschliches" (Mk. 8,33), ist schon darum unhaltbar, weil die erste christliche Gemeinde, die Jesus als den Messias bekannte, niemals einen Bericht unverändert weitergegeben hätte, in dem Jesus dieses Bekenntnis als satanisch abwies. Der Bericht über das Petrusbekenntnis bei Caesarea Philippi läßt uns also nur erkennen, daß im Kreise der Jünger Jesu ein solches Bekenntnis, zum mindesten zeitenweise, möglich war, lehrt uns aber nichts über Jesu Stellung zu dieser auf ihn bezogenen Heilbringererwartung. Eine direkte Stellungnahme Jesu zu dieser Erwartung enthält dagegen der Bericht über Jesu Verhör vor dem Hohen Rat (Mk. 14,53-65, bes. 14,61 f.p.). Nach diesem Bericht wurde Jesus nach seiner Verhaftung in der Nacht in das Haus des Hohepriesters gebracht, wo das ganze Synedrium versammelt war, und dort warf man ihm zunächst vor, er habe die Zerstörung des irdischen Tempels und den Bau eines neuen, nicht mit Händen gemachten Tempels vorausgesagt. Als diese Anklage sich wegen der Differenz der Zeugenaussagen als unbrauchbar erwies, zumal Jesus sich dazu auch nicht äußerte, fragte der Hohepriester Jesus: „ ,Bist du der Gesalbte, der Sohn des Gepriesenen?' Jesus aber sprach: ,Ich bin es, und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.' Der Hohepriester aber zerriss seine Gewänder und sagte: ,Warum brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört, was ist eure Meinung?' Alle aber verurteilten ihn, daß er des Todes schuldig sei." Die Frage des Hohepriesters wird nach diesem Bericht von Jesus eindeutig bejaht und durch eine Voraussage über das Kommen des Menschensohns interpretiert. Die Geschichtlichkeit des Berichts ist freilich sehr umstritten: man weist darauf hin, daß die Christen über die Vorgänge im Hause des Hohepriesters nichts Sicheres wissen konnten, da keiner der Jünger bei der Verhandlung zugegen war; man betont, daß die nächtliche Verhandlung, die Verurteilung in derselben Sitzung, in der das Verhör stattfand, und die Verurteilung wegen Gotteslästerung, ohne daß der Gottesname von Jesus gebraucht worden war, zu dem uns bekannten rabbinischen Prozeßrecht in Widerspruch stünden; überdies sei der Bericht Mk. 14,55-65 störend in den Bericht über die Verleugnung des Petrus Mk. 14,53 f. 66 ff. eingeschoben; auch setze die Nachricht Mk. 15,1: „In der Frühe faßten die Hohepriester mit den Ältesten und Schriftgelehrten und das ganze Synedrium einen Be-

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schluß und ließen Jesus binden, wegführen und dem Pilatus übergeben" keine vorherige nächtliche Verurteilung Jesu durch das Synedrium voraus. Alle diese Einwände sind aber schwerlich überzeugend (vgl. auch den Kommentar zu Mk. 14,53-72). Daß die ersten Christen, nachdem sie zum Glauben an die Auferstehung des Gekreuzigten gekommen waren, über das Geschehen bei der Verurteilung Jesu sich ausreichende Nachrichten von Mitgliedern des Synedriums verschaffen konnten und auch verschafft haben, ist durchaus wahrscheinlich; die Widersprüche des Markusberichtes zum pharisäischen Prozeßrecht wiegen darum nicht schwer, weil niemand sagen kann, ob die detaillierten Bestimmungen des kodifizierten pharisäischen Rechts vom Ende des 2. christlichen Jahrhunderts zur Zeit Jesu schon bestanden und, falls sie bestanden, von den Mitgliedern des in seiner Mehrheit schwerlich pharisäisch gesinnten Synedriums als bindend anerkannt wurden; die Einschiebung des Berichts über die Verhandlung vor dem Synedrium in den Bericht von der Verleugnung des Petrus entspricht einer von Markus auch sonst angewandten literarischen Methode (vgl. nur Mk. 6,14-29 zwischen 6,6-13 und 6,30 f.) und beweist darum nicht, daß der Bericht über die Verhandlung vor dem Hohepriester Mk. 14,55-65 nicht zur alten Überlieferung der Leidensgeschichte gehörte. Sind die Einwände gegen das hohe Alter und damit gegen die geschichtliche Zuverlässigkeit dieses Berichts also keineswegs zwingend, so erweckt die Nachricht, daß das Synedrium am frühen Morgen einen Beschluß gefaßt und daraufhin Jesus dem Pilatus übergeben habe (Mk. 15,1), keineswegs notwendigerweise den Verdacht, Markus habe mit seiner Formulierung „Sie alle verurteilten ihn, er sei des Todes schuldig" (14,64) das Geschehen nicht ganz richtig beschrieben, auch wenn der weitere Bericht über die Verhandlung gegen Jesus vor Pilatus nicht verrät, daß bereits ein förmliches Urteil über Jesus gefällt worden war (bes. Mk. 15,3.13 f.). Dieser Widerspruch verschwindet, wenn wir annehmen, daß die Verhandlung vor dem Synedrium zwar mit einer klaren Schuldigerklärung Jesu geendet hatte, daß dieser Beschluß aber als eine rein jüdisch-religiöse Entscheidung bei der Ubergabe Jesu an Pilatus keine Rolle spielen konnte. Trifft diese Annahme zu, so besteht keine Veranlassung, die Geschichtlichkeit des ganzen Berichts über die Verhandlung gegen Jesus vor dem Synedrium in seinen wesentlichen Zügen in Frage zu stellen. Im Zusammenhang dieses Berichts antwortet nun Jesus auf die Frage des Hohepriesters, ob er „der Gesalbte, der Sohn des Gepriesenen" sei: „Ich bin es, und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Kraft sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen" (Mk. 14,60f.). Die Frage des Hohepriesters hat freilich schwerlich genau so gelautet, wie Markus sie wiedergibt, da „Sohn Gottes" keine jüdische Heilbringerbezeichnung gewesen ist (s.u.S.66). Aber daß Jesus nach seiner Stellung zur jüdischen Erwartung eines königlichen „Gesalbten" gefragt worden ist, ist angesichts der politischen Beschuldigung, mit der die jüdischen Behörden Jesus dem Pilatus übergeben haben müssen, äußerst wahrscheinlich. Die Antwort Jesu

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bejaht diese Frage und erläutert dieses Ja dahin, daß der Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen und mit den Himmelswolken kommen werde. Es ist offensichtlich, daß in dieser Antwort Dan. 7,13: „Mit den Wolken des Himmels kam einer, der einem Menschensohn glich" mit dem auf den endzeitlichen Messias gedeuteten Psalm 110,1: „Es spricht der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten" verbunden ist, und man hat die Verbindung zweier Bibeltexte wie diese im Munde Jesu für ebenso undenkbar bezeichnet wie die Interpretation der Erwartung eines „Gesalbten" durch die Erwartung des „Menschensohns". Aber diese Einwände setzen unberechtigtermaßen voraus, daß sich Jesu Denken nur in traditionellen Bahnen bewegt haben könne. Mk. 14,62 ist vielmehr ein wichtiger Hinweis darauf, daß Jesus die ja durchaus nicht eindeutig festgelegte Erwartung eines „Gesalbten" keineswegs abgelehnt, darin aber doch offenbar nicht eine wirklich ausreichend eindeutige Kennzeichnung seiner Sendung gesehen und darum diesen Titel nicht von sich aus gebraucht hat. Daß Jesus freilich, auch wenn er selber die Bezeichnung „der Gesalbte" nicht zur Kennzeichnung seines persönlichen Anspruchs gebraucht hat, einen Anspruch erhoben haben muß, der diese Kennzeichnung und damit auch die Frage des Hohepriesters an ihn nahelegte, zeigt eine Nachricht, die man als die einzige „nichtchristliche" Nachricht über Jesus in den synoptischen Evangelien bezeichnen könnte, die Inschrift am Kreuz. Diese Angabe des Verbrechens, um dessentwillen der Delinquent mit der Kreuzesstrafe belegt worden war, lautet nach dem ältesten Evangelium: „Der König der Juden" (Mk. 15, 26). Dieser Wortlaut kann aber weder von jüdischen Voraussetzungen noch von christlichem Sprachgebrauch her erklärt werden; denn ein Jude hätte gesagt: „Der König, der Gesalbte" oder allerhöchstem „Der König Israels", vgl. Mk. 15,32p., und die Christen nennen Christus höchstens „König der Könige" (Offb. 17,14). Der Wortlaut erklärt sich dagegen leicht als römische Bezeichnung des irdischen Herrschers über das jüdische Volk (vgl. Mk. 15,2), und „Der König der Juden" begegnet sonst auch nur im Munde des griechischen Historikers Strabo und gegenüber Nichtjuden im Munde des jüdischen Historikers Josephus (Josephus, Altertümer 14,36 und 16,311). Daß „die Juden" eine nichtjüdische und vor allem auch römische Bezeichnung des jüdischen Volkes zur Zeit Jesu war, zeigt überdies schlagend eine neuerdings am Toten Meer gefundene, aber noch nicht veröffentlichte Aufschrift auf der Scherbe einer aus Rom gekommenen Weinkanne, die lautet: „Der jüdische Herodes". Wenn Jesus aber, was nach der Kreuzesinschrift als so sicher angesehen werden darf wie die Tatsache der Kreuzigung selbst, von Pilatus als Anwärter auf die politische Herrschaft über das jüdische Volk verurteilt worden ist, so muß seine Predigt oder sein Verhalten zu dieser Anklage irgendeine Veranlassung gegeben haben. Es ist allerdings sicher, daß Jesus keine politischen Aspirationen erhoben hat. Als er von Pharisäern nach der Berechtigung der Zahlung der Kopfsteuer an den römischen Kaiser gefragt wurde, weil diese Kopfsteuer als Zeichen der gottwidrigen Unterwerfung unter die Römer umstritten war,

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schob er dies den Pharisäern wichtige politische Problem als unwesentlich beiseite, weil allein der Gehorsam gegen Gott entscheidend ist (Mk. 12,13 ff. p.); und eine jüdische Regierung statt der römischen hat Jesus nicht verheißen, sondern von seinen Jüngern statt der bei den Völkern üblichen Herrschaft das Dienen gefordert (Mk. 10,42 f. p.)· Und in den nicht sicher zu deutenden Sprüchen „Ich bin nicht gekommen, Frieden [auf die Erde] zu werfen, sondern ein Schwert" (Mt. 10,34) und „wer nicht hat, verkaufe sein Obergewand und kaufe ein Schwert!" (Lk. 22,35-38) kann „Schwert" nur in einem bildhaften Sinn gebraucht sein (s. zu d. St.). 5.5 Der Sohn Davids Vor allem aber hat Jesus den Titel „Sohn Davids" für den erwarteten politischen Messias offensichtlich für sich abgelehnt. Zwar wird in alter Tradition berichtet, daß ein blinder Bettler Jesus mit den Worten „Davidssohn, erbarme dich meiner" um Hilfe angerufen habe (Mk. 10,47 f. p.), und es ist durchaus möglich, daß Jesus gegenüber diese Bezeichnung des politischen Retters gelegentlich gebraucht worden ist. Daß Jesus zur Davidsfamilie gehörte, ist eine alte und nie angezweifelte christliche Uberlieferung (Rom. 1,3), die auch der späteren Erzählung von der Geburt Jesu (Lk. 2,1-7) und den ebenfalls späteren Stammbäumen (Mt. 1,2-17; Lk. 3,23-38) zugrunde liegt. Freilich ist nicht überliefert, wie Jesus auf die Anrufung als „Davidssohn" reagiert hat, und es fehlt jeder Hinweis darauf, daß Jesus seine Abstammung von David je betont hätte. Es ist sogar wahrscheinlich, daß er diese Abstammung als unwesentlich angesehen hat. Denn nach Mk. 12,35-37 p. hat Jesus selber das Problem aufgeworfen, wie sich die Erwartung, daß der Messias ein Davidssohn sein solle, damit vertrage, daß David in dem offenbar vom damaligen Judentum auf denMessias gedeuteten Psalm 110,1 den Messias „mein Herr" nenne. Wenn dieser Bericht auf Jesus zurückgeht, und es spricht vieles dafür, s. den Kommentar z.St., so kann die Frage: „David nennt ihn [den Messias] Herr, inwiefern ist er dann sein Sohn?" nur besagen, daß Jesus den religiösen Sinn der Bezeichnung „Davidssohn" ablehnt, weil der Messias in Wirklichkeit Davids Herr ist und damit hoch über David steht. Damit ist aber dann deutlich gesagt, daß Jesus die Erwartung eines Davidssohnes, der die politischen Hoffnungen erfüllen soll, für sich verwirft. Auch von hier aus ergibt sich somit, daß Jesus zu Unrecht von den Römern unter der Anklage, ein politischer Prätendent sein zu wollen, verurteilt worden ist. 5.6 Der Sohn Gottes Wenn Jesus also keine politischen Herrschaftsansprüche erhoben und auch die Titel „der Gesalbte" und „der Davidssohn" nicht auf sich bezogen hat, so muß er doch, wie wir sahen, zu einer solchen Anklage irgendwelche Veranlassung gegeben haben. Nach der evangelischen Uberlieferung hat Jesus nun in der Tat zwei Würdebezeichnungen für sich gebraucht, die des „Sohnes" und die des „Menschensohnes", und es wird zu fragen sein, ob 5

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sich von hier aus der persönliche Anspruch Jesu in seinem eigentlichen Sinn klären und die Veranlassung für die Verurteilung Jesu als politischer Prätendent verständlich machen läßt. Daß die Verfasser aller drei synoptischen Evangelien in Jesus den Sohn Gottes sahen, steht außer Zweifel, wie schon die von ihnen in der Hauptsache übereinstimmend wiedergegebene Himmelsstimme „Du bist mein geliebter Sohn" bei der Taufe und der Verklärung Jesu (Mk. 1,11p.; 9,7p.) beweist. Um so auffälliger ist es, daß „Sohn Gottes" im Munde Jesu in den Synoptikern überhaupt nicht begegnet und nur einmal durch die spottende Menge Jesus am Kreuz in den Mund gelegt wird: „Er hat gesagt: ,Ich bin Gottes Sohn'" (Mt.27,43); aber das ist deutlich ein Zusatz des Matthäus. Jesus hat den Titel „Gottessohn" also sicher nicht verwendet. Das ist auch nur zu erwarten; denn „Gottessohn" war keine jüdische Bezeichnung des erhofften Heilbringers, wie das völlige Fehlen dieser Bezeichnung in jüdischer Überlieferung beweist. Aus diesem Grunde ist es auch geschichtlich äußerst unwahrscheinlich, daß Jesus von dämonisch besessenen Menschen als „Gottessohn" angerufen worden ist (Mk.3,llp.; 5,7p.) und daß der Hohepriester beim Verhör zu der Frage „Bist du der Gesalbte?" hinzugefügt haben sollte „der Sohn des Gepriesenen" (s.o.S.63). Doch würde auch die geschichtliche Zuverlässigkeit dieser Nachrichten die Feststellung nicht außer Kraft setzen können, daß Jesus sich nicht „Gottessohn" genannt hat. Man meint nun vielfach, Jesus habe sich, auch ohne diesen Titel zu gebrauchen, doch in besonderem Sinne als Sohn Gottes gewußt, wie sein Tauferlebnis, seine Anrede Gottes, vor allem aber seine Selbstbezeichnung als „der Sohn" bewiesen. Die Erzählung von der Taufe Jesu (Mk. 1,9-11 p.; s. o. S. 28) kann freilich schwerlich biographisch verwendet werden. Zwar ist nicht nur sicher, daß Jesus von Johannes dem Täufer getauft worden ist, sondern auch wahrscheinlich, daß er bei dieser Taufe ein für seine Wirksamkeit entscheidendes Erlebnis gehabt hat, da die Verlegung eines solchen Erlebnisses auf das Taufgeschehen von dem Sinngehalt dieser Handlung aus nicht naheliegt. Der von Markus aufgenommene Taufbericht gebraucht nun die auf den Messias gedeutete Anrede Gottes an den König aus Ps. 2,7: „Du bist mein geliebter Sohn", um durch diese Himmelsstimme dem Glauben Ausdruck zu geben, daß Jesus von Gott bei der Taufe in die Stellung seines Sohnes eingesetzt worden sei. Aber auch wenn Psalm 2, wie freilich mit guten Gründen nur vermutet werden kann, schon von den Juden zur Zeit Jesu auf den Messias gedeutet worden sein sollte, so war die Bezeichnung des Messias als „Sohn Gottes" unjüdisch, und darum ist es unwahrscheinlich, daß diese Himmelsstimme ein von Jesus berichtetes Erlebnis genau wiedergibt, zumal sich in der sonstigen Jesusüberlieferung keinerlei Rückverweis Jesu auf seine Berufung zum Gottessohn findet. Auch daß Jesus Gott als „mein Vater" bezeichnet oder Gott im Gebet so angeredet hat, ist keinesweg sicher bezeugt. "Wir wissen, daß Jesus Gott als Abba angerufen hat (Mk. 14,36p.; Mt. 11,25p.), aber da Jesus diese Gebetsanrede auch seine Jünger gelehrt hat (Lk. 11,2), ist es nicht möglich, diese Gebets-

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anrede im Sinne von „mein Vater" zu deuten (so deutet freilich schon Mt. 26,39.42) und dann darin einen Hinweis auf Jesu Wissen um seine Gottessohnschaft zu finden. Ein ernsthaftes Problem bieten dagegen die wenigen Texte, die Jesus von „dem Sohn" sprechen lassen. Der Spruch: „Uber jenen Tag oder jene Stunde weiß niemand etwas, auch nicht die Engel im Himmel, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater" (Mk. 13,32p.) ist in doppelter Hinsicht auffällig: er bestreitet die genaue Kenntnis des Termins für das Kommen der Gottesherrschaft durch jedermann, Jesus als „den Sohn" eingeschlossen, drückt dies aber aus durch die im Judentum nicht belegten absoluten Formulierungen „der Sohn", „der Vater". Daß die frühe Christenheit Jesus solche Unkenntnis des Termins für das Kommen der Gottesherrschaft von sich aus zugeschrieben habe, ist äußerst unwahrscheinlich; auf der anderen Seite sind „der Sohn" so wenig wie „der Vater" jüdische Bezeichnungen des Heilbringers bzw. Gottes, Jesus konnte also gar nicht ohne weiteres verstanden werden, wenn er diese Bezeichnungen gebraucht hätte. Die verschiedenen Versuche, den Spruch durch Streichung der Worte „auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater" oder auch nur der Worte „auch-nicht der Sohn" auf einen im Munde Jesu möglichen Wortlaut zu reduzieren, sind fragwürdig, wenn auch nicht ausgeschlossen. In welchem Wortlaut dieser Spruch, dessen völlige Bildung in der Gemeinde ja auch wenig wahrscheinlich ist, auf Jesus zurückgeht, ist darum nicht feststellbar, und darum kann Mk. 13,32p. nicht als zuverlässiger Beleg für das Bewußtsein Jesu dienen, „der Sohn" zu sein. D.er innerhalb der synoptischen Überlieferung singulare Spruch Mt. 11, 27p.: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden, und niemand kennt den Sohn außer dem Vater und niemand kennt den Vater außer dem Sohn und wem es der Sohn offenbaren will", weist nicht nur denselben, in der Sprache des zeitgenössischen Judentums nicht begegnenden absoluten Sprachgebrauch „der Sohn" und „der Vater" auf, sondern verwendet auch die Vorstellung des gegenseitigen Erkennens, die ebenfalls dem palästinischen Judentum unbekannt ist. Auch hier hat man zahlreiche Änderungsvorschläge gemacht, um den Spruch auf eine für Jesu Sprache annehmbare Form zurückzuführen, aber keiner dieser Vorschläge ist wirklich überzeugend, und die Entstehung des Spruches erst auf hellenistisch-christlichem Boden ist die einleuchtendste Erklärung der Schwierigkeiten. So bleibt schließlich das Gleichnis von den bösen Weinbergpächtern (Mk. 12,l-12p.), in dem der Weinbergbesitzer zuerst Sklaven schickt, um die Pacht zu holen, die aber alle weggejagt oder getötet werden, schließlich den einzigen Sohn, den die Pächter als Erben ebenfalls töten und aus dem Weinberg herauswerfen. Das Gleichnis erzählt zweifellos kein im Alltag mögliches Geschehen, sondern ist eine allegorisierende Schilderung des Verhaltens des Gottesvolkes den Gesandten Gottes gegenüber bis hin zur Verwerfung und Tötung Jesu außerhalb Jerusalems (vgl. Hebr. 13,12). Zeigt schon dieser Sachverhalt, daß das Gleichnis auf die Geschichte Jesu zurücksieht, so ist j*

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die Gestalt des den Sklaven gegenübergestellten einzigen Sohnes und Erben nur für die Hörer überhaupt verständlich, für die „der Sohn" eine ohne weiteres auf Jesus zu beziehende Bezeichnung ist, während ja für die Juden zur Zeit Jesu „der Sohn" so wenig wie „der Sohn Gottes" ein verständlicher Titel für den Heilbringer war. Das Gleichnis geht darum in seiner überlieferten Form sicherlich nicht auf Jesus zurück, und falls sich hinter dem überlieferten Gleichnis eine ursprünglichere Form verbergen sollte, die von Jesus stammen könnte, haben wir keine Handhabe, sie wieder herzustellen. Aus dem allen aber folgt, daß wir keine zuverlässige Nachricht dafür haben, daß Jesus sich in einer einzigartigen Weise als „Sohn Gottes" gewußt und gelegentlich bekannt habe. Der eigentliche Sinn des persönlichen Anspruchs Jesu läßt sich darum durch den Hinweis auf sein Bewußtsein der Gottessohnschaft nicht aufhellen. 5.7 Der Menschensohn Während nun aber der Titel „der Sohn" nur vereinzelt in der Überlieferung der Jesusworte begegnet, findet sich die Bezeichnung „Menschensohn" sehr häufig in den synoptischen Evangelien, und zwar ausschließlich in Jesusworten. Diese Beschränkung des Vorkommens der Bezeichnung ist auffällig und spricht auf keinen Fall für die Annahme, daß dieser Titel eine geläufige Ausdrucksform für den Glauben der Urchristen war, die sich in der evangelischen Überlieferung festgesetzt hätte. Trotz dieser breiten Bezeugung des Titels in den synoptischen Jesusworten ist die Frage aber nun lebhaft umstritten, ob dieser Titel von Jesus selbst gebraucht worden ist oder erst von der Urgemeinde aufgenommen wurde, aus deren Glauben er dann in die Jesusüberlieferung eingedrungen wäre. Die Antwort auf diese Frage ist darum so schwierig, weil der Begriff schon seiner Herkunft und Bedeutung nach verschieden erklärbar ist und weil er in verschiedenen, nicht ohne weiteres in Einklang zu bringenden Bedeutungen in den Jesusworten vorkommt. Der in den Evangelien begegnende Ausdruck „Der Sohn des Menschen", der im Griechischen auffällig und nicht recht verständlich ist, ist mit größter Sicherheit als die allzu wörtliche Ubersetzung einer aramäischen Wortverbindung der Sprache Jesu und der Urgemeinde anzusehen (bar-näscha = Sohn der Menschheit = der Menschheit zugehörig), die nur „ein Mensch" oder „der Mensch" bedeutet. Es handelt sich um ein Alltagswort, das gewöhnlich nur dazu gebraucht wird, den einzelnen Menschen zu bezeichnen. Wenn Jesus diesen aramäischen Ausdruck in einem nicht alltäglichen Sinne gebraucht haben sollte und wenn die Urgemeinde ihn zweifellos gebraucht hat, um damit eine bestimmte Heilbringergestalt zu bezeichnen, die den Titel „Mensch" trägt, so konnte dieser Sinn des Ausdrucks in der aramäischen Sprache Jesu bzw. der Urgemeinde nur verstanden werden, wenn „der Mensch" bereits im Judentum in bestimmten Zusammenhängen als Titel verwendet worden war.

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Dieser Sachverhalt wird zwar bestritten, läßt sich aber sehr wahrscheinlich machen. Im Alten Testament kommt der Ausdruck „der Mensch" nur in der Danielapokalypse (ca. 165 v.Chr.) 7,13f. vor, wo es heißt: „Ich schaute in den Nachtgesichten, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie ein Mensch [wörtlich „Menschensohn"] und gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt. Ihm wurde Macht verliehen und Ehre und Herrschaft, so daß die Völker aller Nationen und Sprachen ihm dienten, und niemals wird seine Herrschaft zugrunde gehen". Diese einem Menschen gleichende Gestalt steht vier Tieren gegenüber, die aus dem Meere kommen, und diese vier Tiere werden anschließend auf vier Könige bzw. auf vier irdische Königreiche gedeutet, der „Mensch" aber wird als „die Heiligen des Höchsten" erklärt (7,17f.22.25.27). Es ist keine Frage, daß also das Danielbuch die Gestalt des „Menschengleichen" kollektiv auf das jüdische Volk im Gegensatz zu den heidnischen Völkern deutet, aber die dabei verwendeten Vorstellungen von den vier Tieren und dem „Menschengleichen" zeigen, daß „der Menschengleiche" ursprünglich eine individuelle himmlische Gestalt gewesen sein muß, und in diesem Sinn begegnet der Begriff dann in dem herkömmlicherweise als „Bilderreden" bezeichneten Abschnitt der vollständig nur in äthiopischer Sprache erhaltenen Henochapokalypse (vgl. Auszüge aus dieser Apokalypse und dem im folgenden zu nennenden 4. Esrabuch bei C. K. Barrett, Die Umwelt [s. o. S. 9], S. 249f., 265ff.). Daß auch dieser Abschnitt der Henochapokalypse jüdischer Herkunft und spätestens zu Beginn des 1. christlichen Jahrhunderts entstanden ist, leidet trotz mancher Bestreitung keinen Zweifel, und hier erscheint nun, ähnlich wie im Danielbuch, neben dem „Betagten" (d. h. Gott) eine Gestalt, die wie ein Mensch aussieht, dann aber „dieser Mensch" oder einfach „der Menschensohn", aber auch „der Auserwählte" und „der Gesalbte" genannt wird. Er ist ein vorweltliches, himmlisches Wesen und soll als der Weltrichter erscheinen und von Gott auf den Thron der Herrlichkeit gesetzt werden, und dann werden die Gerechten mit dem Menschensohn in Ewigkeit leben (aeth. Hen. 39,6; 46,1-4; 48,2-10; 49,2; 51,5; 52, 4-6; 53,6; 61,5-8; 62,1-14). Da dieser jüdischen Schrift ein hebräisches oder aramäisches Original zugrunde liegen muß, war in diesem Original von „dem Menschen" oder von „diesem Menschen" die Rede, und daraus wird deutlich, daß man in bestimmten apokalyptisch-eschatologischen Zusammenhängen vom Erscheinen und der Wirksamkeit „des Menschen" reden und daß dabei der jüdische Hörer ohne weiteres bemerken konnte, daß von einer aus Gottes Welt kommenden endzeitlichen Heilbringergestalt die Rede war, die auch, wie der davidische Heilbringer, als „der Gesalbte" bezeichnet werden konnte (aeth.Hen.48,10; 52,4). Diese Einsicht wird bestätigt durch die am Ende des ersten christlichen Jahrhunderts entstandene Esraapokalypse (sog. 4.Esra), in der der Seher aus dem Meer „etwas wie einen Menschen" hervorkommen sieht; dieser Mensch wird dann bekämpft, besiegt aber alle Feinde und ruft ein friedliches Heer zu sich. „Der Mensch" wird dann gedeutet als „derjenige, den der Höchste lange Zeit hindurch

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aufspart, durch den er die Schöpfung erlösen will", und es ergibt sich deutlich, daß die Aufgabe dieses „Menschen" die Abhaltung des "Weltgerichts und die Sammlung des Heilsvolkes ist (4.Esr. 13). Auch hier wird die Figur des von Gott kommenden endzeitlichen Richters und Heilbringers zunächst mit einem Menschen verglichen, dann aber direkt „der Mensch" genannt, so daß auch hier „der Mensch" eine Bezeichnung des endzeitlichen Richters und Heilbringers ist. Da auch der bekannte Schriftgelehrte Rabbi Akiba (Ende des 1. Jahrhunderts) den „Menschen" von Dan. 7 auf den davidischen Messias gedeutet hat (bab. Talmud, Sanhédrin 38b; s. R. Mayer, Der babylonische Talmud [s.o. S.9], S.64), darf als sicher gelten, daß zur Zeit Jesu „der Mensch" als Bezeichnung des aus dem Himmel kommenden endzeitlichen Heilbringers bekannt war, ohne daß wir sagen könnten, ob diese Vorstellung sehr verbreitet gewesen ist. Die synoptische Überlieferung läßt Jesus diesen Würdenamen in drei verschiedenen Zusammenhängen gebrauchen. Einerseits sagt Jesus das endzeitliche Kommen des „Menschen" auf den "Wolken des Himmels zum Gericht voraus, und in diesem Zusammenhang klingt Dan. 7,13 deutlich an. Andererseits spricht er vom „Menschen" als von einer gegenwärtigen Person, und schließlich wird von diesem gegenwärtigen „Menschen" vorausgesagt, daß er leiden, sterben und auferstehen werde. Dabei ist das Auffällige, daß eine ausdrückliche Gleichsetzung zwischen dem redenden Jesus und dem „Menschen", die die Evangelisten ihrerseits voraussetzen und die gelegentlich auch der Erzählungszusammenhang nahelegt, nur ganz vereinzelt in den Jesusworten begegnet, und dann zweifellos immer in sekundären Textstücken (vgl. Mt. 16,13 mit Mk. 8,27; Lk.22,48p.). Angesichts dieser komplizierten und mehrdeutigen Uberlieferung gehen in der wissenschaftlichen Diskussion die Meinungen über die Frage, ob Jesus diesen Begriff gebrauchen konnte und gebraucht hat und ob er damit sich selbst meinte, wenn er diesen Begriff gebraucht hat, seit langem besonders weit auseinander. "Wenn nun unbestreitbar der Begriff „Mensch" auch in Texten begegnet, die auf Ursprünglichkeit keinen Anspruch erheben können (s. etwa Lk. 21,36; Mt. 12,32 vgl. mit Mk.3,29), ergibt sich zwingend die Folgerung, daß die Frage nach der Ursprünglichkeit und dem etwaigen Sinn dieses Begriffs im Munde Jesu nur durch unvoreingenommene Prüfung jedes einzelnen Textes beantwortet werden kann, wobei in unserem Zusammenhang freilich nicht sämtliche Texte besprochen werden können. Da die jüdische Uberlieferung den „Menschen" als himmlisches "Wesen für die Endzeit erwartete, ist das Vorkommen des Begriffes in dieser Verwendung innerhalb der Jesusüberlieferung am wenigsten erstaunlich. Wir sind Jesu Ankündigung des baldigen Kommens des „Menschen" schon begegnet in dem Spruch: „Ihr werdet mit den Städten Israels nicht fertig werden, bis der Menschensohn kommt" (Mt. 10,23, s.o. S.30), und wir haben ebenso gesehen, daß alles dafür spricht, daß Jesus die Frage des Hohepriesters nach seiner Stellung zur Erwartung eines „Gesalbten" bejaht und sofort durch den Hinweis auf das zukünftige Sitzen des „Menschen"

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zur Rechten Gottes und sein Kommen mit den Wolken des Himmels erläutert hat (Mk. 14,62p., s.O.S.62ff.). Von diesen beiden Worten zeigt Mt. 10,23b freilich nur, daß Jesus das baldige Kommen des „Menschen" als Ereignis des Endes dieser Weltzeit erwartet hat, ohne daß sich eine Beziehung zwischen dem „Menschen" und Jesus andeutete. Die Antwort vor dem Hohepriester aber stellt zwar auch keine eindeutige Beziehung zwischen Jesus und dem „Menschen" her; aber im Zusammenhang der Antwort auf die Frage: „Bist du der Gesalbte?" hat der Hinweis auf die Erscheinung des „Menschen" nur Sinn, wenn damit das Ja Jesu auf diese Frage erläutert, also etwas über Jesu Kommen als „der Mensch" gesagt wird. Dieser Sachverhalt ergibt sich aber auch aus weiteren Jesusworten. Einerseits warnt Jesus mit dem Hinweis auf die Ungewißheit über das Kommen eines Diebes: „Darum seid auch ihr bereit; denn zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet, kommt der Menschensohn" (Mt. 24,44p.) und verweist auf die Plötzlichkeit dieses Kommens: „Denn wie der Blitz aufstrahlt und leuchtet vom einen Ende des Himmels bis zum anderen, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein" (Lk. 17,24p.; ähnlich Lk. 17,26-30p.). In diesen Worten, die die Dringlichkeit der Enderwartung Jesu spüren lassen, ist nichts über die Beziehung zwischen Jesus und dem kommenden „Menschen" angedeutet. Anders aber verhält es sich in dem Spruch Mk. 8,38p.: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt in diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln." Der Vergleich dieses Spruches mit der Parallelüberlieferung in der Redenquelle („Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes; wer mich verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes" (Lk. 12,8 f. p.) zeigt, daß ursprünglich dem Sich-Bekennen zu Jesus das Verleugnen Jesu gegenübergestellt war und daß diesem Verhalten zum irdischen Jesus die entsprechende zukünftige Reaktion des „Menschen" angefügt wird. Auch hier ist zwischen Jesus und dem „Menschen" unterschieden, zugleich aber ist deutlich, daß dem Verhalten eines Menschen zu dem irdischen Jesus die zukünftige Reaktion des „Menschen" so genau entspricht, daß zwischen diesem Jesus und dem kommenden „Menschen" eine so enge Verbindung bestehen muß, daß sich die Frage nach der Identität beider Gestalten zum mindesten nahelegt. Freilich wird diese Identifizierung nicht ausdrücklich vollzogen und geschieht darum nur verhüllt. Diesem auffälligen Sachverhalt entspricht aber nun in bemerkenswerter Weise, was sich aus Jesu Aussagen über den gegenwärtigen „Menschen" erkennen läßt. Auch der Spruch: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen [kann]" (Mt.8,20p.) sagt nicht deutlich, wer mit dem „Menschen" gemeint ist; aber von jedem Menschen ganz allgemein kann nicht die Rede sein, und die Gemeinde hat Jesus sonst auch nicht als den Heimatlosen beschrieben. Darum kann in diesem Spruch nur Jesus von sich

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selbst sprechen, und mit der Heimatlosigkeit muß entweder seine unstete und auf das gesicherte bürgerliche Leben verzichtende Existenz gemeint sein, oder, was weniger naheliegt, die Tatsache seiner Ablehnung und Bekämpfung durch die führenden Kreise seines Volkes. Neben dieses "Wort, das nur verdeckt von dem Schicksal Jesu als des „Menschen" spricht, ist nun ein anderes Wort zu stellen, das eindeutig auf Jesus als den „Menschen" verweist: „Wem soll ich dieses Geschlecht vergleichen? Es gleicht Kindern, die auf dem Markte sitzen und andern [Kindern] zurufen: Wir haben für euch Flöte geblasen, und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt euch nicht [die Brust] geschlagen. Johannes trat nämlich auf, aß und trank nicht, und man sagt [von ihm]: er hat einen Dämon. Der Menschensohn trat auf, aß und trank, und man sagt [von ihm]: Siehe ein Fresser und Weintrinker, ein Freund der Zöllner und Sünder" (Mt. 11, 16-19ap.). Hier wird das Verhalten der jüdischen Zeitgenossen mit launischen Kindern verglichen, denen kein Spiel behagt: genauso haben die Zeitgenossen Johannes den Täufer wegen seines asketischen Auftretens und „den Menschen" wegen seines weltlichen und Sündern gegenüber freundlichen Verhaltens abgelehnt. Diese scharfe Entgegensetzung von Johannes dem Täufer und Jesus entspricht nicht der Anschauung der urchristlichen Gemeinde, die Beschreibung der Kritik an Jesus entspricht dagegen allem, was wir von der Opposition gegen Jesus wissen. Es besteht darum nicht der geringste Grund, diesen Spruch Jesus abzusprechen; stammt aber dieser Spruch von Jesus, so ergibt sich daraus eindeutig, daß Jesus in der andeutenden Form der Rede von „dem Menschen" sich selbst in seiner gegenwärtigen Wirksamkeit der vergangenen Tätigkeit des Täufers gegenübergestellt hat. Dieser Sachverhalt wird bestätigt durch den Bericht über die Heilung eines Gelähmten durch Jesus (Mk.2,1-12p.). Wir sahen schon (s.o.S.40), daß Jesus sich nach diesem Bericht gegen den Vorwurf, er lästere Gott durch seine Zusage der Sündenvergebung dem Gelähmten gegenüber, mit den Worten verteidigt: „,Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben' - sagt er zu dem Gelähmten: ,Ich sage dir, stehe auf, hebe deine Liege auf und gehe weg in dein Haus' " (Mk.2,10). Man hat gegen die Zugehörigkeit dieser Erzählung zur ältesten Jesusüberlieferung eingewandt, daß hier dem „Menschen" das Recht zur Zuspräche der Sündenvergebung zugesprochen wird, während solche Sündenvergebung im Zusammenhang der jüdischen Menschensohntexte nicht begegnet, daß es außerdem undenkbar sei, daß Jesus in der Öffentlichkeit (die Gesprächspartner sind ja Jesu Gegner) den Titel „der Mensch" gebraucht habe. Es ist aber gänzlich unbegründet, von vornherein zu bestreiten, daß Jesus seinen Auftrag, Gottes Bereitschaft zur Sündenvergebung Wirklichkeit werden zu lassen, mit seinem Sendungsbewußtsein in Zusammenhang bringen konnte, wenn man nicht die Möglichkeit eines solchen Sendungsbewußtseins von vornherein, aber ohne jede Berechtigung, völlig ausschließt. Und ebenso ist es unberechtigt, die Möglichkeit zu leugnen, daß

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Jesus von sich als „dem Menschen" in der Öffentlichkeit gesprochen haben könne, zumal auch der zuletzt besprochene Text Mt. 11,16-19 p. vermutlich in der Öffentlichkeit gesprochen worden ist. Andererseits ist aber die Verbindung „der Mensch auf Erden" sinnlos, weil eine Selbstverständlichkeit, wenn hier vom Menschen ganz allgemein die Rede sein sollte, ganz abgesehen davon, daß Jesus das Recht zur Zuspräche der Sündenvergebung niemals allen Menschen zugeschrieben hätte (und auch die Gemeinde hat das niemals getan!). Dieses Wort über „den Menschen" kann darum nur von Jesus stammen und zeigt, daß Jesus sich als der auf Erden Wirkende als „der Mensch" bezeichnen konnte, dessen Würde in dem Anspruch, Gottes Sündenvergebung zusprechen zu dürfen, ebenso durchbricht wie in seiner Fähigkeit, den Gelähmten zu heilen. Daß in diesem Wort mit „dem Menschen" Jesus gemeint ist, kann der Hörer der Erzählung nicht überhören. Die Berechtigung zu diesem Anspruch wird von Jesus freilich auch in diesem Zusammenhang nicht allgemeingültig bewiesen, sondern kann nur durch glaubende Bejahung anerkannt werden. Jesus hat also - das ergibt sich aus allen diesen Texten mit großer Sicherheit — nicht nur die jüdisch-apokalyptische Erwartung des endzeitlichen „Menschen" aufgenommen und mit der Ankündigung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft verbunden, sondern er hat auch in einer neuen, in der jüdischen Vorstellungswelt nicht vorgebildeten Weise diese Erwartung des „Menschen" mit seiner Person verknüpft und zugleich in seine Gegenwart hereingetragen. Das ist ganz gewiß auffällig. Denn einerseits konnte diese Selbstbezeichnung auch Jesu Hörern nicht ohne weiteres erkennbar sein, weil ja das von Jesus gebrauchte aramäische Wort nur „der Mensch" bedeutet; andererseits fanden wir, daß die Beziehung zwischen Jesus und dem „Menschen" nur in manchen der „Menschen"-Worte einigermaßen deutlich gemacht wird, während andere Worte eine solche Beziehung nur erschließen lassen; und schließlich ist es überhaupt seltsam, daß Jesus von „dem Menschen" als von einer Person der Gegenwart sprach und damit sein eigenes Leben und Handeln inmitten seiner Hörer kennzeichnet, während im Judentum die Gestalt des „Menschen" nur als endzeitliche Gestalt erwartet worden war. Aus diesen Gründen ist, wie schon gesagt, häufig bestritten worden, daß Jesus diese Bezeichnung des erwarteten Heilbringers überhaupt verwendet habe, und manche Forscher wollen zwar zugestehen, daß Jesus diesen Begriff gebrauchte, meinen aber, daß er vom „Menschen" nur als von einer mit seiner Person nicht identischen Gestalt der Zukunft gesprochen habe. Wenn sich uns im Gegensatz zu diesen Anschauungen aus einer unvoreingenommenen Betrachtung der Überlieferung die Erkenntnis ergab, daß Jesus sehr wohl von sich als dem gegenwärtigen und dem kommenden „Menschen" in verhüllter Weise gesprochen hat, so stellt sich die Aufgabe, nach dem Sinn dieser Selbstbezeichnung Jesu zu fragen, wobei wir uns dessen erinnern müssen, was wir von Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft und von seinem persönlichen Anspruch sonst erkannt haben.

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Jesus hat das baldige Kommen der Gottesherrschaft verkündigt, aber ebenso erklärt, daß in seinem Handeln und Predigen „die Gottesherrschaft zu euch gekommen ist". Diese Gegenwart der Gottesherrschaft ist ausschließlich an die Person Jesu gebunden, sie ist darum eine verborgene Gegenwart, die nur der Glaubende erkennen und die man auch übersehen kann. Ganz entsprechend hat Jesus in seinem Handeln und Predigen Geschehnisse der Endzeit sich vollziehen gesehen und davor gewarnt, diesen Charakter des Geschehens zu verkennen und dadurch über seine Person zu Fall zu kommen. Und Jesus hat schließlich einen Anspruch für seine Person erhoben, der so hoch griff, daß man ihn als Streben nach der erwarteten endzeitlichen Königsherrschaft mißdeuten und Jesus wegen seines politischmessianischen Anspruchs bei den Römern anklagen konnte. Jesus aber hat diese Anklage nur in der Form bejaht, daß „der Mensch" auf den Wolken des Himmels kommen und Gericht und Herrschaft ausüben werde. Mit diesen entscheidenden Zügen der Verkündigung Jesu und mit diesem Anspruch für seine Person steht nun aber Jesu Ankündigung völlig im Einklang, daß er der gegenwärtige und der kommende „Mensch" sei. Wenn Jesus verheißen hat, daß „der Mensch" in Kürze mit den Wolken des Himmels kommen und über die Menschen je nach ihrem Verhalten zu dem irdischen Jesus sein Urteil fällen werde, so ist in dieser Verheißung die große zeitliche Nähe des endzeitlichen Geschehens ebenso vorausgesetzt wie die durch die Person Jesu sich verwirklichende Einheit des gegenwärtigen und des zukünftigen Heilsgeschehens. Und wenn Jesus die Heimatlosigkeit des „Menschen" in der Gegenwart neben das von Gott gegebene Recht des „Menschen" zur Zusage der Sündenvergebung stellt, so entspricht das Jesu Wanderleben (Lk. 13,33a) ebenso wie Jesu Zuspruch der Sündenvergebung (Lk.7,47). Und wie nach Jesu Anspruch die Gottesherrschaft, deren Anbruch die Juden erst von der Zukunft erwarteten, wider alle menschliche Erwartung schon in der Gegenwart wirksam geworden ist und dabei doch Zukunft blieb, so ist, ebenfalls gegen alle menschliche Erwartung, der „Mensch" nach Jesu Anspruch schon jetzt gekommen und wirksam geworden und wird doch erst in der nahen Zukunft mit den Wolken des Himmels jedermann sichtbar erscheinen. Die notwendige Konsequenz aus dieser Ubereinstimmung zwischen Jesu Predigt vom Gottesreich und Jesu persönlichem Anspruch auf der einen Seite und seinem „Menschen"-Anspruch auf der anderen Seite ist aber, daß Jesu gegenwärtige Wirklichkeit als „der Mensch" genauso nur eine verborgene sein konnte, wie die Gegenwart der Gottesherrschaft nur den Glaubenden erkennbar war. Für diese verborgene, nur in andeutender Form verkündbare Würde Jesu in der Gegenwart war aber die Vorstellung vom „Menschen" besonders geeignet, weil ja das Wort „der Mensch" nur durch den jeweiligen Zusammenhang seinen besonderen Sinn einer Würdebezeichnung erhält und weil zugleich durch diese Bezeichnung des in der Gegenwart wirkenden kommenden Heilbringers deutlich gemacht wird, daß nicht politische Hoffnung befriedigt, sondern die Vollendung des göttlichen Heils-

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handelns verkündigt werden soll. Freilich hat Jesus, gegen alle jüdische Erwartung, diese künftige Heilsvollendung in seiner Person schon Gegenwart werden lassen und die Menschen, die ihm begegneten, durch seinen gegenwärtigen Anspruch vor die Entscheidung gestellt, ob sie diesen Einbruch von Gottes Zukunft in ihre Gegenwart anerkennen und sich dadurch in das göttliche Heilshandeln hineinnehmen lassen oder durch seine Ablehnung sich von Gottes Heilsangebot ausschließen wollten. Wer den Anspruch Jesu, „der Mensch" zu sein, hörte und anerkannte, dem begegnete Gott handelnd schon jetzt, der war aber auch dessen gewiß, daß ihm (nach dem als ursprünglich anzunehmenden Wortlaut) Gott in der nahen Zukunft endgültig begegnen werde, wenn „[der Mensch] kommen wird in der Herrlichkeit mit den heiligen Engeln" (Mk. 8,38p.). Damit stehen wir vor dem letzten Rätsel und Geheimnis der Verkündigung Jesu und seines persönlichen Anspruchs. Man hat es für undenkbar erklärt, daß Jesus sich mit der Gestalt des zukünftigen „Menschen" habe identifizieren können, und erst recht, daß er von der gegenwärtigen Wirksamkeit dieses endzeitlichen „Menschen" mit Bezug auf seine Person habe reden können. „Wie konnte ein geistig gesunder Mensch solche Gedanken über sich selbst hegen?", hat man noch kürzlich gefragt (A. J.B.Higgins). Aber diese Frage ist nicht nur falsch gestellt, sie übersieht auch, daß dieser Anspruch in keiner Weise eine krankhafte oder lästerliche Überschätzung seiner menschlichen Person durch Jesus mit sich bringt. Jesus hat mit aller Deutlichkeit jede Verehrung seiner Person abgewehrt: als ein Reicher ihn nach dem Weg zum ewigen Leben fragt und ihn dabei mit „guter Lehrer" anredet, antwortet Jesus: „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer einem, Gott" (Mk. 10,18 p.); und als eine Frau Jesu Mutter seligpreist, erwidert Jesus: „Vielmehr sind die [Menschen] selig, die das Wort Gottes hören und beachten" (Lk. 11,28). Jesus hat darüber hinaus ausdrücklich bestritten, an Gottes Macht und Wissen Anteil zu haben: die Söhne des Zebedäus wollen die Ehrenplätze neben Jesus bei seinem Kommen in Herrlichkeit erhalten, Jesus aber erklärt ihnen: „Das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken zu vergeben, steht nicht in meiner Hand, sondern [wird denen zuteil,] denen es bereitet ist" (Mk. 10,40 p.). Vom Kommen des Menschensohns kann er nur sagen, daß er unberechenbar wie ein Blitz erscheinen wird (Mt.24,27p.; vielleicht hat Jesus auch ausdrücklich eine Kenntnis des Tages und der Stunde des Endes abgelehnt, aber der ursprüngliche Wortlaut des Spruches Mk. 13,32p. ist unsicher, s.o.S.67). Aber wenn sich Jesus so auch eindeutig in seiner menschlichen Wirklichkeit unter Gott stellt, so weiß er ebenso eindeutig in seinem Handeln und Verkündigen, und damit in seiner Person, Gott endzeitlich wirksam, und die umbildende Heranziehung der jüdischen „Menschen"-Erwartung dient nur dazu, diesem Wissen Ausdruck zu geben. Gerade in dieser doppelten Haltung aber kommt zum Vorschein, daß Jesus sich nicht auf sich selber stellt, sondern sich als den endzeitlichen Beauftragten Gottes weiß, in dem Gott selber den Menschen handelnd begegnet. Gegenüber diesem Sendungsbewußtsein Jesu ist die

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Frage, ob einem geistig gesunden Menschen ein solches Bewußtsein zugeschrieben werden könne, falsch gestellt. Denn geschichtliche Kritik kann nicht entscheiden, ob Jesus mit diesem Anspruch recht hatte oder nicht, und sie hat darum auch kein Recht, die geschichtliche Möglichkeit zu bestreiten, daß Jesus einen solchen Anspruch darum erhob und erheben konnte, weil dieser Anspruch der Wirklichkeit entsprach. Geschichtliche Kritik kann nur feststellen, daß ein solcher Anspruch im Bereich menschlicher Erfahrung ohne die Möglichkeit der Nachprüfung und darum seinem Wesen nach ohne Analogie ist, aber sie ist nicht schon deswegen berechtigt, die Zuverlässigkeit der Überlieferung zu bestreiten. Da gegen die kritisch geprüfte Uberlieferung der „Menschen"-Worte Jesu sonst keine durchschlagenden Einwände erhoben werden können, muß der Historiker die Frage unbeantwortet lassen, ob Jesus mit Recht behaupten konnte, die Erwartung des endzeitlichen „Menschen" sei in seiner Person vorläufige Wirklichkeit geworden und werde sich in seiner Person in naher Zukunft in Herrlichkeit erfüllen. Wem aber Jesu Handeln und Verkündigung zum Hinweis dafür geworden ist, daß Gott durch diesen Menschen endgültig gehandelt und geredet hat, und wem die Osterbotschaft diesen Glauben zur Gewißheit werden ließ, der wird nicht daran zweifeln können, daß Jesus sich mit Recht als den gekommenen und kommenden „Menschen" bezeichnete, und er wird diesen „verborgenen" Anspruch als die sachgemäße Ausdrucksform für Gottes Heilshandeln in dem Menschen Jesus begreifen. Dieser Sinn des „Menschen"-Anspruchs Jesu erhält aber seine letzte Bestätigung und Vertiefung, wenn wir uns noch den Worten vom „Menschen" zuwenden, die vom Leiden des „Menschen" reden.

6. Das Leiden und Sterben Jesu 6.1 Die Voraussage des Leidens Jesu Daß Jesus am Kreuz starb, ist eine unbezweifelbare Tatsache, auch wenn es sehr schwierig ist festzustellen, wie es dazu kommen konnte, daß Jesus als politischer Prätendent den Römern übergeben und von den Römern verurteilt und hingerichtet worden ist, obwohl seine Lehre und sein Verhalten zu einer solchen Anklage keine ausreichende Veranlassung boten. Aber nicht dieses Problem der Geschichte Jesu ist in unserem Zusammenhang wichtig, sondern die Frage, wie Jesus sich zu diesem Geschehen verhalten, ob er es erwartet und in seinen göttlichen Auftrag einbezogen hat. Die evangelische Überlieferung war freilich überzeugt, daß Jesus seinen Tod genau vorausgewußt habe. In den sog. „Leidensweissagungen" der Synoptiker belehrt darum Jesus seine Jünger, daß „der Menschensohn viel leiden und von den Ältesten und den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen und getötet werden und nach 3 Tagen auferstehen muß" (Mk. 8,31p.; vgl. 9,31p.; 10,33f.p.). Daß diese Leidensweissagungen mit ihren detaillierten Angaben über das Schicksal Jesu und ihrer Betonung der gött-

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liehen Notwendigkeit aller Einzelheiten dieses Geschehens nicht zur ältesten Uberlieferung gehören, sondern den Glauben der Urgemeinde wiedergeben, daß das Leiden Jesu trotz seiner Rätselhaftigkeit (vgl. Lk. 24,20 f.) Gottes Heilswillen entspricht, ergibt sich aus der Formelhaftigkeit und Detailliertheit dieser Texte, die keine unabhängigen Einzelüberlieferungen vermitteln. Daß Jesus mit einem schlimmen Ausgang seiner Wirksamkeit gerechnet hat, läßt sich aber alten Einzelüberlieferungen entnehmen. Ließ sich nicht sicher entscheiden, ob Jesus mit dem Spruch: „Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann" (Mt.8,20p.; s.O.S.71 f.) auf die Ablehnung hinwies, der er begegnete, so verweist auf diesen Widerstand gegen Jesus eindeutig das Wort: „Jerusalem, Jerusalem, das die Propheten tötet und steinigt, die zu ihm gesandt sind, wie oft wollte ich deine Kinder versammeln, wie eine Vogelmutter ihre Jungen unter ihre Flügel versammelt, und ihr habt nicht gewollt" (Mt.23,37p.). Daß Jesus solche Ablehnung aber nicht nur als unvermeidlich zur Kenntnis genommen, sondern gesehen hat, daß sie zu einem bösen Ende für ihn führen müsse, beweisen zwei Sprüche, die in Lk. 13,31-33 verbunden sind. Nach dem einen erklärt Jesus auf die Warnung hin, sein Landesherr, (Herodes) Antipas, wolle ihn töten: „Geht und sagt diesem Fuchs: Siehe, ich treibe Dämonen aus und bewirke Heilungen heute und morgen, und am dritten Tage werde ich vollendet"; nach dem andern stellt Jesus fest: „Ich muß heute und morgen und am nächsten Tage wandern, denn es geht nicht an, daß ein Prophet außerhalb Jerusalems zugrunde geht." Jesus hat demnach gewußt, daß er in Jerusalem einem Todesschicksal entgegengehe, und ist trotzdem nach Jerusalem gegangen. Und Jesus hat auch sonst deutlich davon gesprochen, daß ihm ein gewaltsames Ende bevorstehe. Als er gefragt wird, warum seine Jünger nicht wie die des Johannes fasten, antwortet er: „Können die Freunde des Bräutigams fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist?" (Mk.2,19 a p.). Daß Jesus mit dem „Bräutigam" auf sich verweist, ergibt sich aus der Situation der Gegenüberstellung seiner Jünger und der Johannesjünger, und daß für ihn „der Bräutigam" hier eine Bezeichnung des endzeitlichen Heilbringers ist, läßt sich kaum leugnen. Eindeutig wird dann aber gesagt, daß der Bräutigam nur eine begrenzte Zeit mit seinen Freunden zusammen ist und daß die Freudenzeit aufhören wird, wenn er von ihnen scheidet. Freilich ist in diesem Wort von einer gewaltsamen Trennung Jesu von seinen Jüngern nicht deutlich die Rede, aber das ist in Mk. 10,35-39 p. eindeutig der Fall. Auf die Bitte der Söhne des Zebedäus, ihnen die Plätze zu seiner Rechten und Linken zu geben, wenn er in Herrlichkeit komme, stellt Jesus die Gegenfrage: „Könnt ihr den Becher trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?" Daß mit den Bildern vom Trinken des Bechers und vom Getauftwerden hier Leiden und Sterben gemeint sein müssen, ist nach alttestamentlichem Sprachgebrauch sicher; und daß diese Voraussage des eigenen Leidens und Sterbens und des Leidens und Sterbens der fragenden Jünger durch Jesus eine wirkliche und nicht eine nachträglich erfundene Voraussage darstellt, ist darum sehr wahrscheinlich,

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weil die ältere christliche Überlieferung von einem gewaltsamen Tod des Zebedaiden Johannes gar nichts zu berichten weiß. Hier rechnet also Jesus eindeutig mit seinem gewaltsamen Tod; wenn er aber dann im Anschluß an die Ansage des Trinkens des Bechers und des Getauftwerdens durch die Jünger hinzufügt: „Das Sitzen zu meiner Rechten und Linken steht nicht in meiner Hand, sondern [wird denen zuteil,] denen es bereitet ist", so rechnet Jesus ebenso eindeutig damit, daß der ihm bevorstehende gewaltsame Tod nur der Durchgang sein könne zu einer Teilhabe an der göttlichen Herrlichkeit. Daß Jesus freilich nicht ohne Bangen diesem unausweichlichen gewaltsamen Ausgang seines Lebens entgegengegangen ist, zeigt dann der Einzelspruch Lk. 12,50: „Ich muß mit einer Taufe getauft werden, und wie bedrückt es mich, bis sie vollendet ist." Wenn dieser Spruch Jesus vor dem ihm auferlegten Todesschicksal zurückschrecken läßt, so widerspricht das so sehr der urchristlichen Anschauung von Jesu Weg in den Tod, daß die Zugehörigkeit des Spruchs zur ältesten Jesusüberlieferung kaum bezweifelt werden kann. 6.2 Das Leiden des Menschensohns Es dürfte aufgrund dieser Zeugnisse feststehen, daß Jesus seinen gewaltsamen Tod als ihm von Gott verordneten Weg angesehen hat, auch wenn wir selbstverständlich nicht wissen, ob er diese Gewißheit von jeher gehabt oder erst im Verlauf seiner Wirksamkeit gewonnen hat. Damit aber stellt sich die entscheidende Frage, in welchem Sinn dann Jesus diesen Tod in seine göttliche Aufgabe einbezogen hat. Die Antwort wäre einfacher, wenn die in neuerer Zeit in verschiedener Form vertretene Annahme recht hätte, daß das Judentum der Zeit Jesu bereits die Erwartung des endzeitlichen „Menschen" vom Himmel mit der Figur des leidenden Gottesknechtes aus Jes. 53 verbunden und daß Jesus sich dieser Anschauung angeschlossen habe. Aber daß im Judentum zur Zeit Jesu die Vorstellung eines „leidenden Messias" bekannt war, ist keineswegs erwiesen, und in der alten Jesusüberlieferung findet sich nirgendwo ein deutlicher Hinweis auf den leidenden Gottesknecht oder gar ein Zitat aus Jes. 53. Da das Judentum keine durch Leiden gehende Heilbringergestalt kannte, Jesus aber trotz seines Anspruchs, der von Gott gesandte „Mensch" zu sein und als solcher in Zukunft zu erscheinen, mit seinem gewaltsamen Tode rechnete, kann die Verbindung der Leidenserwartung mit dem „Menschen"-Anspruch nur auf Jesus selbst zurückgehen. Nun begegnet in der evangelischen Überlieferung, wie schon erwähnt, auch eine Reihe von Jesusworten, die das Leiden des „Menschen" voraussagen. Da der Glaube der Gemeinde an dem Vorauswissen des Leidens durch Jesus besonders interessiert war, ist es nicht erstaunlich, daß zahlreiche dieser Worte sich deutlich als Gemeindebildungen erkennen lassen (vgl. die „Leidensweissagungen", s.O.S.76f., ferner Mk.9,9.12p.; 14,21p.; Mt. 12, 40p.; 26,2; Lk.22,48). Das gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für das

Das Leiden und Sterben Jesu

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Wort Mk. 10,45 p.: „Der Menschensohn kam nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld zugunsten vieler zu geben." Denn der Gedanke des willentlichen Dienens des „Menschen" ist ebenso ohne Parallele in der sonstigen Jesusüberlieferung wie erst recht der Gedanke, daß der Tod des „Menschen" „die Vielen" stellvertretend von der Strafe befreie. Man hat darum vielfach entweder angenommen, daß der in ähnlichem Zusammenhang begegnende Spruch: „Ich bin in eurer Mitte als der Dienende" (Lk. 22,27) die ursprüngliche Form des Jesuswortes bewahrt habe, oder man hat vermutet, daß nur die erste Hälfte des Markuswortes: „Der Menschensohn kam nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen" auf Jesus zurückgehe. Aber Lukas bietet in diesem Zusammenhang vermutlich eine unabhängige Überlieferung, die keine Umbildung des Markusspruches darstellt; und wenn nur die erste Hälfte des Markusspruches auf Jesus zurückginge, was freilich eine nicht beweisbare Vermutung ist, wäre in dieser ursprünglichen Fassung des Spruches ja auch nicht vom Leiden des „Menschen" die Rede gewesen, und so lehrte uns dieser Spruch in seiner erschlossenen ursprünglichen Fassung auch nichts über Jesu Deutung seines Todes. Mk. 10,45 p. in seiner überlieferten Fassung gehört darum schwerlich zur ältesten Jesusüberlieferung, und eine hypothetische· frühere Fassung ist in unserem Zusammenhang der Frage nach der Deutung seines Leidens durch Jesus ohne Bedeutung. Und ähnliches gilt wohl auch für das Wort, das Jesus nach dem Bericht des Markus am Ende seines Ringens mit der Notwendigkeit seines Sterbens in Gethsemane zu seinen schlafenden Jüngern sagt: „Die Stunde ist gekommen, siehe, der Menschensohn wird den Händen der Sünder überliefert" (Mk. 14,41p.). Hier ist vom „Uberliefern" des „Menschen" die Rede, und dieser Begriff begegnet für die Übergabe zum Leiden sonst nur in „Menschen"-Worten, deren Ursprünglichkeit schwerlich angenommen werden kann (Mk.9,31p.; 10,33 p.; 14,21p.). Es muß darum fraglich bleiben, ob Mk. 14,41p. in dieser Form auf Jesus zurückgeht, aber auch wenn das der Fall sein sollte, könnten wir dem Spruch nur den Gedanken der Unausweichlichkeit des Sterbens des „Menschen" entnehmen. Weiter führt dagegen Lk. 17,25: „Aber zuerst muß er viel leiden und von diesem Geschlecht verworfen werden." Daß „der Menschensohn" das von Lukas vorausgesetzte Subjekt dieses Satzes ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang; der Spruch ist in eine der Redenquelle entstammende Zusammenstellung von Worten Jesu über das endzeitliche Kommen des „Menschen" einbezogen, und daraus ergibt sich weiter, daß durch das Wort „zuerst" das endzeitliche Kommen des „Menschen" als die zeitliche Folge des „viel Leidens" des „Menschen" bezeichnet werden soll. Beachtlich ist bei diesem an sich isolierten Wort einerseits, daß keine genaueren Angaben über das Leiden des „Menschen" gemacht werden, andererseits, daß hier das Leiden des „Menschen" mit seinem endzeitlichen Kommen, wenigstens implizit, in einen zeitlichen Zusammenhang gesetzt wird. Man hat neuerdings mehrfach behauptet, die Zusammenstellung von Leiden und Ver-

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werf ung des „Menschen" mit seinem endzeitlichen Kommen innerhalb eines Spruches könne nicht auf Jesus zurückgehen, weil beide Vorstellungen verschiedener Herkunft seien; diese Behauptung ist aber keineswegs überzeugend, weil Jesu Erwartung seines Leidens und Jesu Verheißung des baldigen Kommens des „Menschen" ausreichend sicher bezeugt sind, und darum ist die Verbindung beider Gedanken in einem Spruch für Jesus keineswegs unmöglich. Andererseits spricht das Fehlen einer genaueren Beschreibung des Leidens des „Menschen" (vgl. dagegen nur Mk.8,31p.!) für ein hohes Alter dieses Jesuswortes. Wenn es darum sehr wahrscheinlich ist, daß Lk. 17,25 auf Jesus zurückgeht, dann ist hier von dem „Menschen", und das heißt in der für diesen Begriff kennzeichnenden verhüllenden Weise, gesagt, daß seinem Kommen in Herrlichkeit nach Gottes Plan sein großes Leiden vorausgehen müsse. Daraus wird deutlich, daß Jesus das ihm bevorstehende Leiden nicht als Verhängnis oder Last, sondern als Teil seines göttlichen Auftrags verstanden hat; es ist aber ebenso deutlich, daß für diese göttliche Notwendigkeit keine Erklärung gegeben und Jesu Leiden auch keine besondere, seinem übrigen Tun und Lehren gegenüber selbständige Heilsbedeutung zugeschrieben wird. Dann ist aber festzustellen, daß Jesus sein Leiden nicht als Ende, sondern als Durchgang zur göttlichen Herrlichkeit, als Voraussetzung seines Kommens als „Mensch" in der nahen Zukunft verstanden und davon zu den Jüngern in andeutender Form gesprochen hat. Diese Erwartung Jesu widerspricht freilich so sehr jeder Form von jüdischer Heilbringererwartung (nicht nur der politischen „Messias"-Hoffnung!), daß es durchaus begreiflich ist, daß Petrus als Sprecher der Jünger Jesus von diesem Weg abzubringen suchte: „Petrus nahm ihn [Jesus] beiseite und begann ihn anzufahren. Er aber wandte sich um, blickte auf seine Jünger und fuhr Petrus an mit den Worten: »Hinter mich Satan; denn du denkst nicht in der Weise Gottes, sondern der Menschen' " (Mk. 8,32b.33 p.). Dieses Petrus so scharf herabsetzende Erzählungsfragment, das Markus an die erste „Leidensweissagung" angehängt hat, kann schwerlich erst in der Gemeindeüberlieferung entstanden sein, sondern muß eine geschichtliche Erinnerung wiedergeben, und es spricht alles dafür, daß wir hier einen kurzen Einblick in das Unvermögen der Jünger erhalten, Jesu Bereitschaft zu dem Weg Gottes mit ihm durch das Leiden hindurch zu verstehen. Aber gerade in dieser Bereitschaft Jesu zeigt sich noch einmal, daß sein Wissen um Gottes Auftrag an ihn, der gegenwärtige und der kommende „Mensch" zu sein, gepaart gewesen ist mit der bereitwilligen Unterwerfung unter Gottes Willen und mit dem bleibenden Bewußtsein der Abhängigkeit von Gott, dem Vater. 6.3 Gethsemane und das letzte Mahl Diese Einsicht wird noch bestätigt durch zwei Texte, die uns Jesus unmittelbar dem bevorstehenden Tod gegenüber zeigen. Der Bericht vom

Das letzte Mahl Jesu

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Ringen Jesu mit der Notwendigkeit des Sterbens in Gethsemane (Mk. 14,32-42p.) ist freilich geschichtlich sehr umstritten, da fraglich bleiben muß, ob die Jünger Jesu Beten überhaupt hören konnten, da sie als schlafend geschildert werden, und da der Bericht außerdem auffällige Wiederholungen aufweist. Man wird darum schwerlich den Bericht in allen Einzelheiten als eine genaue Wiedergabe des Geschehenen ansehen dürfen; andererseits ist es aber äußerst unwahrscheinlich, daß die Urkirche ohne Anhalt an der geschichtlichen Überlieferung von einem Ringen Jesu um die Unausweichlichkeit des Todesschicksals und von dem völligen Versagen der Jünger in dieser Gefahrensituation berichtet hätte. Dazu kommt noch, daß in dem Gebetswort Mk. 14,36p. „Abba, Vater, dir ist alles möglich, nimm diesen Kelch von mir; aber nicht wie ich will, sondern wie du willst" die für Jesu Sprache charakteristische Anrede Gottes enthalten ist. Wenn wir also auch auf den Wortlaut im einzelnen nicht bauen dürfen, so zeigt der Bericht doch als ganzer, daß die Jünger in Erinnerung behielten, daß Jesus unmittelbar vor seiner Verhaftung sich zu einer völligen Unterwerfung unter Gottes Willen durchgerungen hat, wodurch die in Lk. 17,25 zu erkennende Entscheidung Jesu nur bestätigt wird. Und noch näher an den Tod Jesu führt heran, was wir vom letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern erkennen können. Es ist allerdings angesichts der stark voneinander abweichenden Berichte äußerst schwierig, hier zu einer einigermaßen sicher bezeugten geschichtlichen Einsicht zu kommen, und manche Forscher vertreten darum die Meinung, daß der ganze Bericht über das letzte Mahl Jesu vom gottesdienstlichen Brauch und vom Glauben der christlichen Gemeinde her so sehr geformt worden ist, daß er uns über die Worte und Gedanken an jenem Abend nichts mehr erkennen läßt. Wenn man aber anhand des Vergleichs der verschiedenen Berichte erkennt, daß am Anfang der Überlieferung ein sehr einfacher Bericht gestanden haben muß, der sich durchaus in die älteste Jesusüberlieferung einfügt, dann ist es berechtigt anzunehmen, daß wir in diesem ältesten erkennbaren Bericht der geschichtlichen Wirklichkeit des letzten Mahles Jesu äußerst nahe kommen, auch wenn wir selbstverständlich zu keiner protokollarischen Aufzeichnung gelangen können (vgl. auch den Kommentar zu Mk. 14,22-25). Von den vier Berichten über das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern (Mk. 14,22-25; Mt.26,26-29; Lk.22,15-20; l.Kor. 11,23-26 aufgrund einer von Paulus aufgenommenen Überlieferung) gehen Markus-Matthäus auf der einen und Lukas-Paulus auf der anderen Seite in wesentlichen Punkten zusammen. Dabei ist unumstritten, daß Matthäus den Markustext erweitert hat und darum als selbständiger Zeuge ausfällt. Vergleichen wir darum nur Markus und Lukas-Paulus miteinander, so steht dem kurzen Brotwort des Markus: „Dies ist mein Leib" bei Lukas und Paulus der Zusatz „der für euch gegeben ist" bzw. „der für euch [ist]" gegenüber, dazu die Aufforderung: „das tut zum Gedenken an mich." Hier kann kein Zweifel sein, daß die kurze Form des Markus die ursprünglichste ist. Beim Wort zum Becher weichen Markus und Lukas-Paulus dagegen völlig voneinander ab. Bei Markus lesen wir: 6

Kümmel, T h e o l o g i e

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„Dies ist mein Bundesblut, das vergossen wird für viele." Paulus bietet: „Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut", wozu Lukas anfügt: „das für euch vergossen wird." Lukas hat die ihm mit Paulus gemeinsame Fassung also erweitert, aber der Wortlaut des Markus und der des Paulus lassen sich nicht auseinander ableiten. Man muß also entscheiden, welche der beiden Fassungen als älter anzusehen ist, und viele Forscher halten auch hier den von Markus gebotenen Wortlaut für ursprünglicher. Dagegen spricht aber, daß die nachträgliche Angleichung der beiden Worte zum Brot und zum Becher aneinander wesentlich wahrscheinlicher ist als ihre nachträgliche Differenzierung, und die Aufforderung zum Trinken des Blutes ist im palästinischen Judentum kaum denkbar. Es ist darum sehr wahrscheinlich, daß die älteste erreichbare Form des Becherwortes bei Paulus erhalten ist. Schließlich bietet Markus nach den beiden Worten zum Brot und zum Becher noch den Satz: „Wahrlich, ich sage euch, ich werde von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu jenem Tage, an dem ich es von neuem trinke in der Gottesherrschaft." Lukas bietet statt dieses eschatologischen Ausblicks nach den Worten zu Brot und Becher vor diesen beiden Worten die Ankündigung Jesu (22,15-18), daß er von diesem Passamahl nicht mehr essen werde bis zur Gottesherrschaft und daß er vom Wein nicht mehr trinken werde bis zum Kommen der Gottesherrschaft. Obwohl manche Forscher meinen, daß Lukas hier einen selbständigen und sehr alten Bericht biete, spricht wesentlich mehr für die Annahme, daß Lukas den bei Markus erhaltenen eschatologischen Ausblick auf das Essen des Passa erweitert und vor die Worte zum Brot und zum Kelch gestellt hat. Daß in diesem Fall also Markus die älteste Fassung des eschatologischen Ausblicks erhalten hat, wird durch Paulus bestätigt, der dem von ihm übernommenen Bericht über das letzte Mahl Jesu den Satz anfügt: „Sooft ihr nämlich dieses Brot eßt und den Becher trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt." Auch Paulus hat also gewußt, daß nach Jesu Willen das letzte Mahl auf das Kommen der Gottesherrschaft vorausweisen sollte. Wenn es darum wahrscheinlich ist, daß für das Wort zum Brot und das angefügte eschatologische Wort Markus, für das Wort zum Becher aber Paulus die älteste Uberlieferung erhalten haben, bleibt die Frage, welchen Sinn diese älteste Uberlieferung hat. Nach Mk. 14,12 war das letzte Mahl Jesu ein Passamahl, und Matthäus und Lukas haben diese chronologische Festlegung übernommen. Der von Paulus aufgenommene Bericht und Paulus selber sagen aber davon nichts, daß es sich um eine Passamahlzeit gehandelt habe, und der Bericht vom letzten Mahl Jesu bei Markus enthält, für sich genommen, auch keinerlei Hinweis auf das Passamahl, es fehlt vor allem die Erwähnung des Passalammes. Es ist darum aus diesen und anderen Gründen sehr unwahrscheinlich, daß Jesus seine letzte Mahlzeit mit den Jüngern als Passamahlzeit gefeiert hat, und wir dürfen darum den Sinn der bei dieser Mahlzeit gesprochenen Worte nicht von der Symbolik des Passafestes her zu verstehen suchen, sondern sind auf den Wortlaut der Aussprüche selber angewiesen.

Das letzte Mahl Jesu

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Am eindeutigsten ist das eschatologische Wort Mk. 14,25: „Ich werde von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken, bis zu jenem Tage, an dem ich es neu trinken werde in der Gottesherrschaft." Jesus erklärt hier, indem er den Becher mit Wein den Jüngern reicht, in der Form eines Entsagungsgelübdes, daß er keinen Wein mehr trinken wolle, bis die Gottesherrschaft kommt. Es handelt sich also bei diesem Mahl um ein Abschiedsmahl, bei dem die Jünger, wie dann auch weiterhin bei ihren Zusammenkünften, gemeinsam Wein trinken sollen in der Erwartung des baldigen Kommens Jesu als des „Menschen": wenn „der Mensch" kommt, werden die Jünger mit ihm zusammen das messianische Mahl feiern. Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern soll also die Jünger mit Jesus zusammenschließen, gerade wenn er von ihnen scheidet, und ihnen die Gewißheit stärken, daß sie wieder mit ihm zusammen beim Mahl sitzen werden, wenn er in Herrlichkeit erscheint. Dabei ist zweifellos vorausgesetzt, daß die Jünger solche Mahlgemeinschaft auch nach Jesu Weggang miteinander halten sollen, auch wenn der älteste Bericht keinen ausdrücklichen Wiederholungsauftrag enthielt, wie er sich bei Lukas und Paulus dann findet. In diesem Rahmen eines auf die endzeitliche Mahlgemeinschaft vorausblickenden Gemeinschaftsmahles sind nun die Worte zu Brot und Becher zu verstehen. Das Wort bei der Austeilung des gebrochenen Brotes lautet nach Markus: „Dies ist mein Leib." Da das Brechen des Brotfladens Voraussetzung der Brotausteilung ist, bezieht sich das Wort Jesu nur auf die Austeilung des gebrochenen Brotes. Für den Sinn dieses Wortes im Munde Jesu wäre es entscheidend wichtig zu wissen, wie der aramäische Wortlaut gelautet hat, aber das läßt sich nur vermuten. Nach der wahrscheinlichsten Annahme hat Jesus ein aramäisches Wort gebraucht, das sowohl „Leib" wie „selbst" bedeutet (güph), so daß der Sinn des allzu wörtlich ins Griechische übersetzten Sätzchens war: „Das bin ich." Jesus sagt also im Rahmen des eschatologischen Abschiedsmahles zu dem den Jüngern ausgeteilten Brot: dieses Brot repräsentiert mich. Indem die Jünger das ihnen ausgeteilte Brot gemeinsam essen, bleiben sie in der Gemeinschaft mit Jesus, Jesus verheißt ihnen, daß sie jetzt und weiterhin, wenn sie gemeinsam Brot essen, mit ihm in Gemeinschaft bleiben sollen. Jesu bevorstehender Tod soll also die Gemeinschaft der Jünger mit ihm nicht aufheben, sein Tod ist als Teil seines gottgewollten Weges zur endzeitlichen Herrlichkeit gesehen. Während aber das Brotwort nicht ausdrücklich auf den Tod Jesu Bezug nimmt, ist das bei dem Becherwort eindeutig der Fall. Es lautet nach Paulus: „Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut." Auch dieses Wort wird beim Herumgeben des mit Wein gefüllten Bechers gesprochen, deutet also nicht das Eingießen des Weines, sondern das gemeinsame Trinken aus dem Becher. Deutlich ist ferner, daß Jesus an die Verheißung im Buch des Propheten Jeremía 31,31 ff. anknüpft: „Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da schließe ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund . . . Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und es ihnen ins Herz schreiben; ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein . . . 6"

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Ich werde ihre Schuld verzeihen und ihrer Sünde nimmermehr gedenken." Deutlich ist schließlich, daß dieser Bund durch Jesu Blut, d.h. durch Jesu Tod, zustandekommt. Das besagt aber, daß Jesus den Jüngern, die er zum letztenmal vor seinem Tode aus dem gemeinsamen Becher trinken läßt, verheißt, sie sollten Anteil haben an dem neuen Gottesbunde, den sein Tod einleitet. Man hat oft gemeint, Jesu Tod werde in diesem Zusammenhang als sühnender Tod oder als Opfertod verstanden; aber davon deutet das Becherwort in der ältesten Form nichts an, es ist nur davon die Rede, daß Jesu Tod diesen Bund in die Wege leitet, und nach allem, was wir sonst von Jesu Verkündigung wissen, ist es sehr unwahrscheinlich, daß Jesu T o d hier als Einzelgeschehen gewertet und gedeutet werden soll und nicht vielmehr als der Abschluß des gesamten Handelns Gottes in diesem Menschen. Es ist darum die nächstliegende Annahme - ganz sicher können wir hier nichts wissen - , daß Jesus mit dem Becherwort sagen will, daß sein Sterben die Schließung des neuen, endzeitlichen Bundes Gottes mit den Menschen vollendet, den sein ganzes Wirken und Lehren schon in die Wege geleitet haben, daß also der Anbruch der Gottesherrschaft in der Person Jesu durch seinen Tod endgültig wirksam geworden ist. Jesus hat sich also so sehr im Dienste Gottes als der Wirker der schon anbrechenden Gottesherrschaft gewußt, daß er den ihm von Gott auferlegten Weg in den Tod gegangen ist und darin seine Sendung vollendet hat. In diesem ihm auferlegten Ausgeliefertsein an die Sünder, dem sich Jesus nicht entzogen hat, kommt die in Jesus den Sünder suchende und auf Ablehnung stoßende Liebe Gottes vollendet zur Auswirkung. Auch wenn Jesus seinem Tod sehr wahrscheinlich noch keine nähere Deutung gegeben hat, so kommt in der willig übernommenen Wirklichkeit dieses Todes ein göttliches Handeln zum Vorschein, das verständlich zu machen später den Christen aufgegeben war. Und auch wenn Jesus nicht direkt von seiner Auferweckung durch Gott gesprochen haben wird - wir haben jedenfalls dafür kein sicheres altes Zeugnis - , so hat er zweifellos seinen Tod als Durchgang zu dem von ihm erwarteten Kommen als „der Mensch" von Gott her angesehen und damit die Christen vor die Aufgabe gestellt, seine Person, sein Wirken und Sterben von der zur Zeit des letzten Mahles noch ganz im Dunkel der Zukunft liegenden Erfahrung der Auferweckung Jesu her zu deuten. Mit dem allen ist aber gesagt, daß die Einbeziehung des Todes und der Auferstehung Jesu in das Verständnis der Person Jesu durch die älteste Christenheit in der Deutung seines Todes durch Jesus angelegt war und nicht als etwas völlig Fremdes und Unvorbereitetes dem Verständnis Jesu durch die erste Gemeinde erst eingefügt worden ist. Jesus hat seinen Tod nicht erklärt, aber als Ende seines göttlichen Auftrags bejaht und ist darin der gekommene und kommende „Mensch" gewesen, der seinen Anspruch nicht bloß mit Worten erhoben und durch Taten sichtbar gemacht hat, sondern der diesen Anspruch auch durch sein gehorsames Handeln bis zum Ende erwies. Der Tod Jesu ist darum entweder das tragische Ende eines Idealisten und Schwärmers oder ein Geschehen, das über sich hinausweist und seinen Sinn durch das

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erhalten hat, was sich jenseits dieses Todes ereignete. Kein Verständnis Jesu, das auf seinen eigenen Anspruch antworten möchte, kann darum absehen von dem Zeugnis der Gemeinde, das diesen Anspruch als durch Gottes Handeln bestätigt behauptet und uns vor die Frage stellt, ob wir diese göttliche Bestätigung anzuerkennen bereit sind oder nicht.

II. K A P I T E L

Der Glaube der Urgemeinde 1. Der Osterglaube Es hat sich uns bei der Betrachtung der Äußerungen Jesu zu seinem bevorstehenden Tod als wahrscheinlich erwiesen, daß Jesus seinen Tod als Durchgang in die Herrlichkeit des „Menschen" erwartet und seinen Jüngern gedeutet hat. Die Jünger aber haben sich schon früher in der Person des Petrus gegen diese Ankündigung gewehrt (Mk. 8,32b.33p., s.o.S.80), und sie haben offensichtlich auch zuletzt Jesu Voraussage nicht zu glauben vermocht. Nachdem Markus berichtet hatte, daß Jesus von den Leuten des Synedriums unter Anführung des Jüngers Judas Ischarioth verhaftet worden war, fügt er an: „und alle verließen ihn und flohen" (Mk. 14,50p.). Dieser Nachricht widerspricht im weiteren Verlauf der ältesten Leidensgeschichte nichts, man hat erst später versucht, diese Nachricht abzuschwächen: bei Lukas fehlt Mk. 14,50, er berichtet vielmehr im Anschluß an Jesu Tod in 23,49: „Es standen aber alle seine Bekannten von ferne"; und Joh. 19,26 läßt den „Jünger, den Jesus liebte" unter dem Kreuz stehen. Es leidet darum schwerlich einen Zweifel, daß Jesus am Kreuz, verlassen von seinen Jüngern, gestorben ist, und die älteste Überlieferung weiß auch, daß ein fremder Mann namens Joseph aus Arimathäa Jesus in ein Grab gelegt habe (Mk. 15,43ff.p.). Damit schien das Wirken Jesu gescheitert und sein Anspruch, daß Gott durch ihn sein endzeitliches Heil wirke, als Irrtum erwiesen. So werden es die Jünger empfunden haben (Lk. 24,20 f. schildert später diese Stimmung der Jünger), und so haben es immer wieder solche Leser der Evangelien empfunden, die der Meinung waren, die Nachricht von der Verschließung des Grabes Jesu (Mk. 15,46 p.) sei die letzte Nachricht, die wir über Jesus hören können. Nun folgt freilich im Markusevangelium auf diese Nachricht noch der Bericht über die Auffindung des leeren Grabes Jesu durch einige Frauen, und bei Matthäus und Lukas sind dem noch Erzählungen über Erscheinungen des auferstandenen Jesus angefügt. Es ist auch geschichtlich unbezweifelbar, daß nicht lange nach dem Tode Jesu seine ehemaligen Jünger sich wieder gesammelt haben und die Auferstehung des Gekreuzigten verkündigten. Was aber nun zwischen dem Begräbnis Jesu

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Der Glaube der Urgemeinde

und dieser Entstehung einer christlichen Gemeinde wirklich geschehen ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Doch ist es für das Verständnis der Person Jesu und der Urgemeinde unerläßlich, sich über diese Frage eine klare Meinung zu bilden, und wir müssen darum fragen, was sicher bezeugt ist, und uns aufgrund dieser Einsicht ein klares Urteil zu bilden versuchen. 1.1 Der Bericht des Paulus Uber das, was in zeitlich nahem Anschluß an die Grablegung Jesu geschehen ist, haben wir zwei alte Berichte, die erheblich voneinander abweichen. Der literarisch ältere findet sich im 1. Korintherbrief des Paulus (15,3-8), wo Paulus aufgrund der ihm mitgeteilten Überlieferung aufzählt, von wem der auferweckte Jesus gesehen wurde. Der andere Bericht ist die abschließende Erzählung des Markusevangeliums (16,1-8) von den Frauen, die zwei Tage nach der Grablegung Jesu zum Grab gehen, um den Begrabenen zu salben, das Grab leer finden und von einem Engel die Mitteilung erhalten, der Begrabene sei auferstanden und den Jüngern nach Galiläa vorausgegangen. Es ist methodisch angemessen, von dem Text des Paulus auszugehen, weil wir wissen, daß der 1. Korintherbrief etwa im Jahre 54/55 geschrieben ist und Paulus den dort 15,3 ff. angeführten Text ja schon übernommen hat, während das Markusevangelium auf alle Fälle jünger ist. Der Text lautet: „Ich habe euch nämlich unter den Hauptsachen überliefert, was ich auch übernommen habe, daß Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften und daß er begraben wurde und daß er auferweckt wurde am 3. Tage nach den Schriften und daß er gesehen wurde von Kephas, dann von den Zwölfen. Dann wurde er gesehen von mehr als 500 Brüdern zur gleichen Zeit, von denen die Mehrzahl bis jetzt am Leben ist, einige aber entschlafen sind. Dann wurde er gesehen von Jakobus, dann von allen Aposteln. Zuletzt aber von allen wurde er von mir wie von einer Fehlgeburt gesehen." Auf die vieldiskutierte Frage, ob diese Tradition als Einheit von Paulus übernommen oder vor ihm oder durch ihn aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt worden sei, brauchen wir in diesem Zusammenhang nicht einzugehen, wo uns nur der Ursprung des Osterglaubens interessiert. Paulus zählt auf alle Fälle alle ihm bekannt gewordenen Menschen auf, die den Auferstandenen gesehen haben, um durch diese Aufzählung zu beweisen, daß alle genannten Zeugen ebenso wie er die Tatsache der Auferweckung des Gekreuzigten in gleicher Weise bezeugen (vgl. 15,11: „Ob es nun ich bin oder jene sind, so verkündigen wir und so seid ihr zum Glauben gekommen"). Paulus ist ebenso eindeutig davon überzeugt, daß aufgrund dieses vielfältigen Zeugnisses die Auferstehung Jesu verkündigt werden muß und geglaubt werden kann („Wenn aber von Christus verkündigt wird, daß er von den Toten auferweckt worden i s t . . . " 15,12). Paulus selber hat sich vom Verfolger der christlichen Gemeinde zum Verkündiger des Auferstan-

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denen gewandelt, weil sich ihm der auferweckte Christus gezeigt hat, obwohl er solcher Gnade nicht würdig war (l.Kor. 15,9 f.; vgl. Gal. 1,15 f.). Weil er den Auferstandenen gesehen hat, kann er die Auferstehung Christi verkündigen, und er setzt voraus, daß alle Apostel diese selbe Botschaft verkündigen können, weil sie den Auferstandenen gesehen haben. Es gibt nach diesen Ausführungen des Paulus Glauben an die Auferstehung Jesu Christi und Predigt von seiner Auferstehung, weil der Auferstandene von den Zeugen gesehen worden ist, zuletzt von Paulus selbst. Daß es noch irgendwelche anderen Tatsachen oder Gründe gibt, die die Verkündigung von der Auferweckung des Christus stützen könnten, setzt Paulus deutlich nicht voraus, aber auch schon die von ihm übernommene Tradition nicht, die nach sprachlichen Indizien bis auf die aramäisch sprechende Urgemeinde zurückgehen muß. In dieser Formel, deren Abgrenzung umstritten ist - nach der mir wahrscheinlichsten Annahme reicht sie nur bis "„dann den Zwölf" - , wird nämlich die Glaubensaussage „Christus ist gestorben für unsere Sünden nach den Schriften" in ihrem Geschehenscharakter gesichert durch die Feststellung „er wurde begraben"; ganz entsprechend wird die Glaubensaussage „er wurde auferweckt am dritten Tage nach den Schriften" in ihrem Geschehenscharakter gesichert durch die Feststellung „er wurde gesehen von Kephas, dann den Zwölfen". Die Schau des Auferstandenen durch Petrus und die Zwölf begründet also nach der Meinung der ältesten Gemeinde ebenso die Möglichkeit, an die Auferweckung des Gekreuzigten zu glauben, wie das Begrabensein Jesu dazu zwingt, die Realität des Todes Jesu zu behaupten, von dem der Glaube dann bekennt, daß er für unsere Sünden geschah. Sowohl die älteste Gemeinde wie Paulus wollen demnach von einem Geschehnis reden, wenn sie bekennen: „Christus wurde auferweckt am dritten Tage nach den Schriften", aber sie haben für dieses Bekenntnis keinen anderen Anhalt als die Tatsache, daß der Auferstandene von einer Reihe von Zeugen gesehen worden ist. Wenn Paulus dabei von der Gruppe von 500 Brüdern, die er der alten Formel anfügt, ausdrücklich sagt, daß die meisten von ihnen noch leben, so kann das nur den Sinn haben, daß man diese noch lebenden Zeugen befragen könnte. Paulus äußert sich in diesem Zusammenhang nicht darüber, wie er sich das Geschehen der Auferweckung des Christus genauer vorstellt. Aber er spricht im weiteren Fortgang von l.Kor. 15 von der erhofften Auferstehung der Christen und erklärt dabei, daß „Fleisch und Blut die Gottesherrschaft nicht erben können" (15,50) und daß die Christen bei der Aufstehung einen „geistlichen Leib" erhalten werden (15,44, vgl. 49). Daraus ist mit Sicherheit zu schließen, daß Paulus nicht der Meinung gewesen sein kann, der auferstandene Christus sei in seinem irdischen Leib aus „Fleisch und Blut" gesehen worden. Wir haben nicht einmal die Möglichkeit festzustellen, ob Paulus überzeugt war, das Grab des Auferstandenen sei leer gewesen oder nicht. Denn der alte Bericht der Urgemeinde, den Paulus zitiert, erwähnt nicht, daß das Grab leer gefunden worden sei, und Paulus fügt diesen Sachverhalt auch nicht hinzu.

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Weder für die älteste Gemeinde noch für Paulus ist also die Erwähnung des leeren Grabes erforderlich, um den Glauben an die Auferweckung des Christus am dritten Tage zu begründen; und daß Paulus es nicht unterlassen hätte, die Auffindung des leeren Grabes zu erwähnen, wenn er davon gewußt hätte, ist darum anzunehmen, weil er ja in l.Kor. 15,1-11 alles anführen will, was den Glauben an die Auferweckung des Christus stützt, um von diesem bei allen Christen anerkannten Ausgangspunkt aus dann von der Auferstehungshoffnung, für die Christen reden zu können. Das von Paulus übernommene und durch alle ihm bekannten Nachrichten ergänzte Bekenntnis der Urgemeinde ist in sich selbst abgerundet und bedarf keiner Ergänzung. 1.2 Der Bericht des Markusevangeliums Daneben haben wir nun den Bericht Mk. 16,1-8, der das Markusevangelium nach der besten handschriftlichen Überlieferung beschließt: „Und als der Sabbat vorüber war, kauften Maria Magdalena und Maria, die [Mutter] des Jakobus, und Salome wohlriechende Salben, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sehr früh am Tag nach dem Sabbat kommen sie zum Grab, als die Sonne aufgegangen war. Und sie sprachen zueinander: Wer wird uns den Stein von der Türe des Grabes wälzen? Und als sie aufblickten, sahen sie, daß der Stein weggewälzt war, denn er war sehr groß. Und sie gingen in das Grab hinein und sahen einen jungen Mann zur Rechten sitzen, der ein weißes Gewand trug, und entsetzten sich. Der aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht; ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferweckt, er ist nicht hier; da ist der Platz, wohin man ihn gelegt hatte. Aber geht hin [und] sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voran nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab weg, denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen, und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich." Dieser Bericht endet sehr merkwürdig, auch ganz abgesehen von der (m.E. zu bejahenden) Frage, ob das Markusevangelium ursprünglich so geendet hat (s. den Kommentar zu Mk. 16,8). Denn der Engel, der den Frauen die Deutung des sie erschreckenden Fundes des leeren Grabes gibt, fügt 16,7 dieser Deutung den Auftrag an die Jünger an, mit Jesus in Galiläa wieder zusammenzutreffen. Die Frauen gehorchen aber diesem Befehl nicht und erzählen von dem Erlebten überhaupt niemandem etwas. Es ist nun sehr unwahrscheinlich, daß der Bericht Mk. 16,1-8, solange er noch unabhängig umlief, so widerspruchsvoll endete; es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, daß der Befehl des Engels an die Frauen 16,7, der auf ein früheres Wort Jesu in Mk. 14,28 zurückweist (s.u.S.90), erst vom Evangelisten in die ihm überlieferte Erzählung eingefügt worden ist. Läßt man nämlich 16,7 beiseite, so ergibt sich ein klarer Zusammenhang: der Engel weist auf die geschehene Auferstehung hin, und die Frauen fliehen daraufhin erschreckt und getrauen sich nichts zu erzählen.

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Dieser so zu vermutende ursprünglichere Bericht von der Auffindung des leeren Grabes enthält nun eine Reihe von geschichtlichen Schwierigkeiten. Es ist angesichts des palästinischen Klimas weder vorstellbar, daß die Frauen noch am 3. Tag nach dem Tode einen Leichnam salben wollen, noch ist es begreiflich, daß die Frauen mit der Absicht der Salbung zum Grabe gehen, obwohl sie nicht wissen, wer den schweren Rollstein vor dem Grab wegrollen sollte; auch pflegte man bei den Juden zur Totenversehung keine wohlriechenden Salben zu verwenden. Angesichts dieser Unwahrscheinlichkeiten ist es kaum möglich, diesen Bericht als zuverlässigen Geschichtsbericht anzusehen, und genauere Betrachtung zeigt überdies, daß der Bericht gar nicht in erster Linie die Auffindung des leeren Grabes durch die Frauen erzählen will — die Frauen sind zunächst nur über das Offensein des Grabes entsetzt und werden erst von dem Engel darauf aufmerksam gemacht, daß das Grab leer ist - , sondern seinen Zielpunkt in der Botschaft des Engels hat, daß der begrabene Jesus auferweckt sei. Die Erzählung will also den Glauben an die Auferweckung Jesu damit begründen, daß ein Engel den Frauen am leeren Grab die Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten verkündet habe. Auch in dieser Erzählung wird daher der Glaube an die Auferstehung Jesu nicht durch ein jedermann unabhängig vom Glauben zugängliches Faktum gesichert; doch wird hier ein Faktum berichtet, die Auffindung des leeren Grabes, das die Auferstehung Jesu wesentlich anschaulicher werden läßt als der Bericht von dem Gesehenwerden des Auferstandenen durch Petrus und die übrigen Zeugen. Darum entscheidet nach der Meinung vieler Christen die Stellungnahme zum Bericht von der Auffindung des leeren Grabes Jesu wesentlich darüber, ob man die Auferweckung Jesu als göttliches Geschehen ernst nimmt oder nicht. Demgegenüber muß nun aber gesagt werden, daß gegen die geschichtliche Zuverlässigkeit des Berichtes von der Auffindung des leeren Grabes nicht nur die schon genannten geschichtlichen Schwierigkeiten sprechen, sondern vor allem die Tatsache, daß sich im Neuen Testament außer in Mk. 16,1-8 und den von diesem Text abhängigen Berichten der drei anderen Evangelien nirgendwo auch nur die geringste Spur davon findet, daß man eine Kenntnis von dem Leergefundensein des Grabes Jesu hatte oder es auch nur als wichtig angesehen habe, das Leersein des Grabes Jesu zu betonen, wenn man vom Glauben an die Auferstehung Jesu sprach. Außerdem ist zu beachten, daß auch in dem Bericht des Markus nicht die Tatsache des leeren Grabes den Glauben an die Auferstehung des Begrabenen wecken soll diese Tatsache hat man schon im Altertum auch anders zu erklären versucht, vgl. Mt. 27,64 - , sondern die Verkündigung des Engels, die keinerlei Beweis zu führen versucht. Selbst wenn die Auffindung des leeren Grabes Jesu wesentlich besser bezeugt wäre, als sie es ist, müßte man darum nicht nur im Blick auf Paulus, sondern auch auf das übrige Neue Testament außerhalb der Evangelien sagen, daß den ältesten Christen offensichtlich die „Tatsache" des leeren Grabes Jesu durchaus nicht allgemein wesentlich gewesen ist.

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1.3 Die älteste Uberlieferung Es wäre nun aber falsch anzunehmen, daß sich uns die zuerst bei Paulus begegnende Uberlieferung, daß die Jünger durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus zum Glauben an den Auferstandenen gekommen seien, und der sich zuerst bei Markus findende Bericht über die Auffindung des leeren Grabes durch die Frauen und die Verkündigung der Auferstehung Jesu durch einen Engel einfach nebeneinander darböten, so daß wir zwei verschiedene und voneinander unabhängige Überlieferungen über die Entstehung des Osterglaubens hätten. Es bliebe uns dann ja nichts anderes übrig, als daß wir mit sachlichen Argumenten zu entscheiden versuchten, welcher Bericht der zuverlässigere sei. Es läßt sich vielmehr auch in den Evangelien noch erkennen, daß die Überlieferung von der Auffindung des leeren Grabes die ursprünglichere Überlieferung von der Enstehung des Osterglaubens durch die Schau des Auferstandenen verdrängt hat. Wir sahen ja, daß sich in den Bericht des Markus von der Auffindung des leeren Grabes die Anweisung des Engels an die Jünger, nach Galiläa zu gehen, wo sie Jesus sehen sollten, eingeschoben findet. Hier ist also nachträglich die Tradition von den Erscheinungen des Auferstandenen mit dem Bericht von der Auffindung des leeren Grabes verbunden worden, und ein Rest dieser Überlieferung von der Schau des Auferstandenen durch die Jünger findet sich auch in Mk. 14,28. Hier unterbricht die Voraussage: „Aber nachdem ich auferweckt worden bin, werde ich vor euch nach Galiläa gehen" die Erzählung von der Voraussage des Anstoßnehmens der Jünger an Jesus, obwohl ja dann von der Begegnung der Jünger mit Jesus in Galiläa nach der Kreuzigung im Markusevangelium nicht die Rede ist. "Wie sich so bei Markus das Wissen um die grundlegende Bedeutung der Schau des Auferstandenen durch die Jünger wiederholt zeigt, so auch bei Lukas. Denn obwohl Lukas noch deutlicher als Markus von der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen in unmittelbarem Anschluß an den Bericht über das Begräbnis Jesu berichtet (Lk. 23,53; 24,3), findet sich bei ihm am Ende der nun folgenden Erzählung von der Begegnung des auferstandenen Jesus mit zwei Jüngern auf dem Wege nach Emmaus im Munde der in Jerusalem wartenden Jünger das Sätzchen: „In Wirklichkeit ist der Herr auferweckt worden und von Simon gesehen worden" (24,34). Da Lukas von dieser Schau des Petrus nichts berichtet, zeigt sich auch hier, daß die Überlieferung von der grundlegenden Bedeutung des Gesehenwerdens Jesu durch Petrus nicht ganz verdrängt worden ist. Der Bericht von der Auffindung des leeren Grabes ist also zweifellos erst später entstanden und zur Zeit des Paulus offensichtlich noch nicht bekannt gewesen, hat aber dann schon in der vorsynoptischen Überlieferung die älteren Nachrichten verdrängt, daß Petrus und dann weitere Jünger durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zum Glauben an die Auferweckung Jesu gekommen sind. Die älteste uns erreichbare Überlieferung berichtet also, daß kurze Zeit nach dem Tode Jesu Petrus und die Zwölf, danach weitere Menschen

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den gekreuzigten Jesus als Auferweckten gesehen haben. Es leidet keinen Zweifel, daß nicht nur Paulus selbst („Als es dem, der mich ausgesondert h a t . . . , gefiel, seinen Sohn mir zu offenbaren", Gal. 1,15 f.), sondern schon die älteste Gemeinde („er wurde auferweckt [nämlich von Gott] am dritten Tage nach den Schriften", l.Kor. 15,4) der Überzeugung waren, daß Petrus und die übrigen Zeugen Jesus darum gesehen haben, weil Gott eingegriffen und den Gestorbenen in sein Leben, in das Leben der göttlichen Endzeit, aufgenommen hatte. Dieses Sehen der Auferstehungszeugen war zweifellos kein Vorgang, an dem jeder teilhaben konnte, der gerade anwesend war wir hören nichts von Menschen, die den auferstandenen Jesus gesehen haben, ohne dadurch zu Glaubenden zu werden. Wir sahen ja auch, daß Paulus nicht voraussetzt, Jesus sei den Auferstehungszeugen in seinem irdischen Leibe begegnet. Wenn man darum heute in wissenschaftlicher Sprache die Schau des auferstandenen Jesus durch die Auferstehungszeugen als „Visionen" bezeichnet, so ist diese Kennzeichnung vermutlich eine zutreffende Hypothese, die freilich das Wesentliche unausgesagt läßt. Denn das Entscheidende ist hier nicht, welchen psychischen Charakter diese Schauungen der Zeugen hatten, sondern ob Paulus und die Urgemeinde mit Recht davon überzeugt waren, daß diese Begegnungen mit dem Auferstandenen kein „dummes Zeug" waren (vgl. Lk. 24,11), daß vielmehr „Gott diesen am dritten Tag auferweckt hatte und sichtbar werden ließ" (Apg. 10,40). 1.4 Das Wesen des Auferstehungsglaubens Auf diese Frage kann die Geschichtsforschung keine verbindliche Antwort geben, weil ihr über das Zeugnis der Auferstehungszeugen hinaus kein Tatbestand zugänglich sein kann. Wohl aber kann sie feststellen, daß es durchaus nicht nur ehemalige Jünger Jesu waren, die durch die Schau des auferstandenen Jesus von seiner Auferweckung überzeugt wurden. Paulus war ein Verfolger der Christen gewesen, als es nach seiner Aussage Gott „gefiel, ihm seinen Sohn zu offenbaren" (Gal. 1,13.15f.); und Jesu Bruder Jakobus hatte wie die ganze Familie Jesu Jesus abgelehnt (Mk.3,21; vgl. Joh.7,5), ehe sich ihm der Auferstandene zeigte (l.Kor. 15,7). Beide Männer sind durch ein sie unvorbereitet von außen treffendes Handeln Gottes zum Glauben an die Auferstehung Jesu gekommen - so schildert es jedenfalls Paulus für sich, und für Jakobus wissen wir nichts Gegenteiliges. Auch bei den „mehr als 500 Brüdern" (l.Kor. 15,6) wird man schwerlich annehmen dürfen, daß sie alle früher schon mit Jesus in persönlichem Kontakt gestanden hatten. Außerdem müssen wir uns dessen erinnern, daß Petrus und die Zwölf (l.Kor. 15,5) ja in Verzweiflung geflohen waren und nur durch ein unerwartetes Eingreifen von außen zu dem Glauben an die Auferstehung Jesu gekommen sein können. Auch der Geschichtsforscher muß darum feststellen, daß etwas geschehen sein muß, das bei all diesen in keiner Weise dafür vorbereiteten Männern plötzlich die Überzeugung weckte, daß Gott ihnen den auferstandenen Jesus habe sichtbar werden lassen; was geschehen

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ist, kann er freilich nicht feststellen. Für die ersten Zeugen war allerdings „dieses Sehen ein Sehen im Glauben, ein gläubiges Sehen. Gewiß nicht ein Sehen, das der Glaube gebar, sondern ein Sehen, das den Glauben gebar, in dem ungläubige, verstockte, widerstrebende Herzen überwunden wurden" (H.Grass). Und diese überwundenen Menschen haben den in ihnen geweckten Glauben bezeugt, und auf ihr Zeugnis hin haben damals andere geglaubt und können heute andere glauben, daß Gott den Gekreuzigten nicht bei den Toten gelassen hat. Wenn dieses Zeugnis recht hat und Gott den Gekreuzigten wirklich aus den Toten errettet hat, dann, aber nur dann, hat sich der Anspruch Jesu als berechtigt erwiesen und war seine Sendung nicht gescheitert, sondern von Gott bestätigt. Und nur dann war das Zeugnis der ersten Christen von der Auferweckung Jesu berechtigt und sie mußten sich nicht nachträglich nach der Formulierung des Paulus bezeichnen als „falsche Gotteszeugen, weil wir gegen Gott bezeugt haben, daß er den Christus erweckt hat, den er [doch] nicht erweckt hat" (l.Kor. 15,15). Nicht das Erlebnis der Jünger kann die Verkündigung der Kirche begründen, sondern nur das wirkliche Handeln Gottes an Jesus. Darum ist es wichtig, daß wir uns klar machen, was mit diesem durch die Schau des Auferstandenen geweckten Glauben der ersten Christen an die Auferweckung des Gekreuzigten nun für diese Christen genauer gegeben war. Hier ist einerseits deutlich, daß die ersten Christen nicht an eine Rückkehr Jesu in das irdische Leben gedacht haben, die dann zu einem erneuten Sterben Jesu hätte führen können oder müssen - so stellt sich der vierte Evangelist die Auferweckung des Lazarus vor (Joh. 12,10). Der Auferstandene ist vielmehr nach dem Glauben dieser Christen zu Gott erhöht, und von dort her hat ihn Gott sichtbar werden lassen; Paulus betont später ausdrücklich, daß der auferstandene Christus nicht mehr sterben kann (Rom. 6,9); und noch in den späteren Schilderungen der Erscheinung des Auferstandenen wird vorausgesetzt, daß er nicht ohne weiteres als der bekannte Jesus von Nazareth in seiner menschlichen Gestalt identifiziert werden kann (vgl.Lk.24,16.31; Mt.28,16f.; Joh.20,14.16). Damit ist aber andererseits gegeben, daß für den Glauben der Urgemeinde der Auferstandene als zu Gott erhöht sich schon in der endzeitlichen Herrlichkeit befindet und darum die Gabe des endzeitlichen Geistes senden kann, dessen Erfahrung diesen ersten Christen die Realität der Auferstehungswirklichkeit bestätigte: „Diesen Jesus hat Gott auferstehen lassen, dafür sind wir alle Zeugen; als zu Gott Erhöhter hat er nun die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen und das ausgegossen, was ihr seht und hört" (Apg.2,32f.). Dieser Satz aus der Rede des Petrus nach der Geistverleihung am ersten Pfingstfest ist gewiß eine Formulierung des Verfassers der Apostelgeschichte, aber es bestehen gute Gründe für die Annahme, daß damit der Inhalt des Auferstehungsglaubens der Urgemeinde richtig wiedergegeben ist. Dieser Glaube Schloß aber schließlich auch die Erwartung ein, die Lukas in die Worte kleidet: „Ihn [den Messias Jesus] muß der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott seit

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Urzeiten sprach durch den Mund seiner heiligsten Propheten" (Apg.3,21). Der Glaube an die Erhöhung des Auferstandenen machte die ersten Christen nicht nur dessen gewiß, daß Jesus zu Recht beansprucht hatte, der verheißene Endzeitheilbringer zu sein, dieser Glaube stärkte in ihnen auch die Erwartung, daß der Auferstandene in Bälde in voller Herrlichkeit erscheinen werde. Aus diesem Glauben und dieser Erwartung erwuchs aber sofort die Uberzeugung, daß diese göttliche Wahrheit verkündet werden müsse. Paulus betont den Zusammenhang von Auferstehungsglauben und Missionsauftrag ausdrücklich (als es Gott gefiel, „seinen Sohn mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Heiden verkündigte", Gal. 1,16), und die Apostelgeschichte setzt, sicher mit Recht, diesen Zusammenhang schon für die Urgemeinde voraus: „Diesen hat Gott e r w e c k t . . . , und er hat uns geboten, dem Volk zu verkünden und zu bezeugen, daß dieser von Gott als Richter der Lebenden und der Toten bestimmt ist" (Apg. 10,40.42). So ist mit dem Glauben an die Auferstehung Jesu die Verkündigung vom Auferstandenen unausweichlich verbunden, und darum wird uns erst die Betrachtung der Christusbotschaft der Urgemeinde ihren Auferstehungsglauben voll verständlich werden lassen.

2. Der Christusglaube der palästinischen Urgemeinde Wir haben keine Quellen, die uns direkten Einblick in die Predigt und den Glauben der Urgemeinde erlauben. Denn die Apostelgeschichte, die als einzige uns erhaltene Schrift von den Anfängen der christlichen Kirche berichtet, ist frühestens ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen geschrieben, und ihr Verfasser ist zweifellos kein Augenzeuge dieser Ereignisse gewesen, hat vielmehr das Bild gezeichnet, das die griechisch sprechende Kirche am Ende des 1. Jahrhunderts von den Anfängen der Kirche hatte. Zwar ist mit guten Gründen zu vermuten, daß der Verfasser der Apostelgeschichte bei seiner Schilderung der Anfänge der Kirche Überlieferungen verwendet hat, die teilweise sehr alt waren, aber der Umfang und etwa gar der Wortlaut solcher Überlieferungen sind im einzelnen schwer zu bestimmen, und jede solche Annahme bleibt darum hypothetisch. Daneben besteht noch die Möglichkeit, aus Traditionsstücken, die Paulus aufgenommen hat, und aus dem Wandel innerhalb der synoptischen Tradition auf die Vorstellungen und Entwicklungen in der Urgemeinde zurückzuschließen, aber auch das kann nur hypothetisch gelingen. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß die Urgemeinde zweifellos keine Einheit darstellte. Neben der Aramäisch sprechenden hat es schon früh eine Griechisch sprechende Urchristenheit in Jerusalem gegeben, und nach dem Übergang der Mission auf das heidenchristliche Gebiet trat dazu eine heidenchristliche Gemeinde. Da wir das Vorhandensein dieser Gruppen nur aus einzelnen Berichten und gelegentlich aus der Entwicklung einzelner Vorstellungen erschließen können, Iäßt sich oftmals nicht mit Sicherheit sagen, in welchem Stadium der Entwicklung ein Begriff oder eine Vorstellung aufgekommen ist, und so

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bleibt auch in dieser Hinsicht vieles hypothetisch. Die Entstehung und der Wandel des Glaubens und der Verkündigung der Urgemeinde lassen sich daher nur in großen Zügen und mit einer gewissen Unsicherheit rekonstruieren, aber der Versuch muß unternommen werden, weil erst auf diesem Hintergrund die weitere Entwicklung des urchristlichen Glaubens und Denkens verständlich wird. 2.1 Der Menschensohn Jesus war vom römischen Prokurator wegen politischer Herrscheraspiration angeklagt und verurteilt worden, nachdem die jüdischen Behörden ihn mit dieser Anklage den Römern übergeben hatten. Diese Anklage berief sich darauf, daß Jesus die Frage nach seiner Stellung zur Erwartung eines „Gesalbten" = Messias bejahend beantwortet, freilich dann auch unter Aufnahme der Erwartung des „Menschen" umdeutend interpretiert hatte. In seine eigene Predigt hatte Jesus freilich die Erwartung eines „Gesalbten" nicht aufgenommen, wohl aber die Erwartung des in Zukunft vom Himmel kommenden „Menschen" auf seine gegenwärtige Wirksamkeit bezogen und von seinem baldigen Erscheinen als „Mensch" in Herrlichkeit gesprochen. Dieser Anspruch schien durch Jesu Tod am Kreuz als falsch erwiesen; die Erfahrung der Auferweckung Jesu aber hatte die Jünger und weitere Auferstehungszeugen davon überzeugt, daß Jesu Anspruch doch recht gehabt hatte und von Gott bestätigt worden war. Man sollte darum erwarten, daß die Urgemeinde Jesu Selbstbezeichnung als „Mensch" und Jesu Erwartung der baldigen Erscheinung des „Menschen" in Herrlichkeit in erster Linie aufgenommen und zum eigentlichen Ausdruck ihres Glaubens an den Auferstandenen gemacht hätte. Das trifft aber nur in recht beschränktem Maße zu. Gewiß hat die älteste Gemeinde Jesu Worte vom „Menschen" nicht nur weitergegeben, sondern auch weitergebildet: Ausgeliefertwerden und Auferstehen des Menschensohns (Mk.9,31p.); der Menschensohn ist gekommen, sein Leben als Lösegeld für viele zu geben (Mk. 10,45 p.); der Menschensohn wird kommen auf den Wolken des Himmels (Mk. 13,26p.); Worte gegen den Menschensohn können vergeben werden, Worte gegen den Heiligen Geist nicht (Mt. 12,32 p.). Aber diese Weiterbildung blieb auf die umbildende Weitergabe der Worte Jesu beschränkt, die Gemeinde hat dagegen ihrem Glauben an den auferstandenen Jesus nicht dadurch Ausdruck gegeben, daß sie sich zum „Menschen" bekannte oder den „Menschen" verkündigte. Freilich begegnet die Bezeichnung „der Menschensohn" einmal außerhalb der Evangelien im Zusammenhang der Berichterstattung über die Urgemeinde und damit nicht im Munde Jesu. Es wird nämlich erzählt, daß Stephanus nach seiner Verteidigungsrede voll Heiligen Geistes erklärte: „Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen" (Apg.7,56). Die vieldiskutierten Fragen, warum der Verfasser der Apostelgeschichte, der doch den Titel „der Menschensohn" in

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seinem Evangelium häufig gebraucht, diesen Titel in seinem zweiten Band nur an dieser Stelle verwendet und warum hier, in Abweichung vom Sprachgebrauch in den vergleichbaren Stellen der Evangelien, vom Stehen und nicht vom Sitzen des Menschensohns die Rede ist, lassen sich kaum sicher beantworten. Eine einleuchtende Vermutung ist, daß darum nur hier vom Menschensohn die Rede ist, weil der Verfasser der Apostelgeschichte nur in diesem Fall beim Tod eines Christen davon sprechen konnte, daß der Auferstandene zu ihm kam, wie er zu allen Menschen bei der Parusie kommen sollte; und vom Stehen des Menschensohns wäre dann deshalb die Rede, weil der Menschensohn sich dem sterbenden Christen entgegen aufmacht. Aber ob diese Vermutung zutrifft oder nicht - daß die Formulierung von Apg. 7,56 vom Verfasser der Apostelgeschichte stammt und dessen Anschauung, nicht aber die Vorstellungsform der Urgemeinde wiedergibt, darf mit Sicherheit behauptet werden. Die Notiz über die Vision des sterbenden Stephanus spricht darum nicht gegen die Feststellung, daß die Urgemeinde ihren Glauben an den auferstandenen Jesus nicht durch den „Menschen"-Titel ausgedrückt hat. 2.2 Der Messias Dagegen haben wir deutliche Hinweise darauf, daß die älteste Gemeinde von dem Auferstandenen als von dem „Gesalbten", d.h. dem Messias, gesprochen hat. In einer sicher übernommenen und altertümlich klingenden Formulierung am Ende der Pfingstrede des Petrus heißt es: „Das ganze Haus Israel soll sicher erkennen, daß Gott ihn zum Herrn und Gesalbten gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt" (Apg. 2,36). Und in der schon genannten, ebenfalls alte Formulierung aufnehmenden Rede nach der Heilung des Lahmen sagt Petrus: „bis der Herr den für euch vorher erwählten Gesalbten, Jesus, schickt, den der Himmel bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge aufnehmen muß" (Apg. 3,20f.). Und auch das von Paulus übernommene Bekenntnis der Urgemeinde lautet: „Christus ist gestorben für unsere Sünde nach der Schrift . . . " (l.Kor. 15,3). Aus diesen fragmentarischen Aussagen geht eindeutig hervor, daß die Urgemeinde den auferstandenen Jesus als den gegenwärtigen Messias bekannt hat, dessen Erscheinung in Herrlichkeit sie erwartete. Aber wenn es nun heißt, daß Gott den Gekreuzigten zum Messias gemacht hat, so hat man daraus gefolgert, daß zwar nach der Meinung der Urgemeinde der schon gegenwärtige, bei Gott wirkende Messias niemand anderes ist als der am Kreuz gestorbene Mensch Jesus, daß aber dieser Mensch erst durch die Auferstehung von Gott zum Messias eingesetzt wurde. Das würde bedeuten, daß für die Urgemeinde das irdische Leben Jesu nicht messianischen Charakter gehabt haben könne. Aber gegen diese Folgerung spricht zweierlei. Einmal hat ja die älteste Gemeinde auch die Worte Jesu gesammelt und weitergegeben, in denen Jesus sein Handeln und Lehren als den Anbruch der Gottesherrschaft bezeichnete und damit als „messianisch" charakteri-

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sierte, und sie hat zweifellos auch von Jesu interpretierendem Ja auf die Frage des Höhepriesters nach Jesu Messiaswürde gewußt. Eine Anschauung, die Jesu Leben als „unmessianisch" ansah, wäre darum ein Schritt zurück hinter den von der Urgemeinde selbst überlieferten Anspruch Jesu gewesen. Dazu kommt zum zweiten, daß nicht nur das von Paulus überlieferte Bekenntnis der Urgemeinde davon redet, daß der Messias nach Gottes in der Schrift niedergelegtem "Willen gestorben sei, sondern daß wir auch sonst wissen, daß man sich schon früh darum bemühte, den Tod des Messias Jesus als schriftgemäß und damit als von Gott gewollten Tod zu erweisen: „Mußte nicht der Messias dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?" fragt der unerkannte Auferstandene in der altertümlichen Emmausgeschichte (Lk. 24,26); und in einer von dem Verfasser der Apostelgeschichte aufgenommenen alten Gebetsformulierung heißt es: „In Wahrheit haben sie sich in dieser Stadt versammelt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, um zu tun, was deine Hand und dein Wille bestimmt hat, daß es geschehen sollte" (Apg.4,27f.). Jesus war also nach dem Glauben der Urgemeinde schon als der irdische Mensch der von Gott vorherbestimmte „Gesalbte": „Jesus von Nazareth, den Gott mit Heiligem Geist und Kraft salbte, der durch das Land zog, indem er Wohltat und alle vom Teufel Beherrschten heilte, denn Gott war mit ihm . . . Ihn haben sie getötet, indem sie ihn ans Holz hingen" (Apg. 10,38f.). Dieser Mensch war nach dem Glauben der Urgemeinde nun zur himmlischen Messiaswürde erhöht, um als der Messias der Endzeit in Kürze zu erscheinen. Das bedeutete aber, daß für die glaubenden Urchristen die Messiaszeit und damit das Endheil begonnen hatte, auch wenn diese Gegenwart der Heilszeit nur eine verborgene war. Aber trotz dieser Verborgenheit der Heilsgegenwart fand dieser Glaube seinen sichtbaren Ausdruck in dem Jubel, mit dem die ersten Christen ihre gemeinsamen Mahlzeiten feierten (Apg. 2,46). 2.3 Der Knecht Gottes Die Urgemeinde hat diesen Glauben an die gegenwärtige Wirksamkeit Jesu als des Christus aber auch noch in andere Formen gefaßt. In der eben zitierten Gebetsformulierung Apg. 4,27 wird Jesus, der Gesalbte, auch noch als Gottes „heiliger Knecht" bezeichnet, und dieselbe Bezeichnung Jesu findet sich auch Apg. 3,13.26; 4,30, sonst aber nirgendwo im Neuen Testament, dagegen mehrfach in späteren liturgischen Texten. Da dieser Titel „der Knecht Gottes" für die Christologie des Lukas nicht charakteristisch ist und offenbar in urchristlicher liturgischer Sprache seine Heimat hat, liegt die Vermutung nahe, daß diese Bezeichnung Jesu sehr alter Uberlieferung entstammt. Man hat nun oft angenommen, daß die Urgemeinde damit Jesus im Anschluß an die Sprache Deuterojesajas als den leidenden „Gottesknecht" habe bezeichnen wollen, zumal in Apg. 3,13: „der Gott unserer Väter hat seinen Knecht Jesus verherrlicht" vermutlich auf den griechischen

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Text von Jes.52,13: „mein Knecht wird verherrlicht werden" angespielt wird. Aber diese griechische Formulierung stammt sicher nicht aus der Urgemeinde, und auf das Leiden des Gottesknechtes wird an allen vier Stellen der Apostelgeschichte nicht Bezug genommen. Da nun in Apg. 4,25, auch in Gebetssprache und unmittelbar vor der Benennung Jesu als „dein heiliger Knecht", von „David, deinem Knecht" die Rede ist und da auch in jüdischen Gebeten von David als „Gottes Knecht" gesprochen wird, liegt die Annahme sehr viel näher, daß die Bezeichnung „heiliger Gottesknecht" von den ersten Christen aus der ihnen geläufigen jüdischen Gebetssprache übernommen und zur Bezeichnung der Beauftragung Jesu durch Gott verwendet worden ist. Das konnte um so leichter geschehen, als in jüdischen Apokalypsen gelegentlich die Bezeichnung „Knecht Gottes" für den Messias begegnet, z.B. „nach diesen Jahren wird mein Knecht, der Messias, sterben" (4.Esr.7,29). Dieser Titel kennzeichnet nun offensichtlich seinem primären Wortsinn nach in der Urgemeinde zunächst die Sendung des irdischen Menschen Jesus als des gehorsamen Knechtes Gottes und nicht so sehr die Würde des Auferstandenen. Es ist darum begreiflich, daß dieser Titel als Bezeichnung Jesu nicht lange in Gebrauch geblieben ist, von formelhaftem Gebrauch in liturgischer Sprache abgesehen. Freilich ist seine griechische Form, wie sie ja in der Apostelgeschichte vorliegt, mehrdeutig, weil das dabei verwendete griechische Wort (pais) sowohl den Sklaven wie das Kind bezeichnen kann und darum die Wortverbindung „Knecht Gottes" auch im Sinne von „Kind Gottes" verstanden werden konnte. In diesem Sinn hat das Griechisch sprechende Urchristentum den Titel sicherlich bald verstanden, und in diesem Sinn konnte der Verfasser der Apostelgeschichte den ihm überlieferten altertümlichen Titel verwenden. Aber da die Wortverbindung mehrdeutig war, ist sie bald durch die eindeutigere Bezeichnung „Sohn Gottes" in den Hintergrund gedrängt worden. 2.4 Der Sohn Gottes Es ist freilich sehr schwer zu sagen, seit wann die Christen Jesus als „Sohn Gottes" bezeichnet haben. Denn wir sahen ja, daß „Sohn Gottes" kein jüdischer Messiastitel gewesen ist und daß Jesus diese Bezeichnung sehr wahrscheinlich selber nicht verwendet hat (s.o.S. 66ff.). Aber es gibt Zeugnisse, die sehr eindeutig auf ein hohes Alter dieser Vorstellung im christlichen Sprachgebrauch hinweisen. Paulus benutzt, wie weitgehend anerkannt ist, zu Beginn des Römerbriefs eine von ihm übernommene Formulierung (Rom. 1,3f.), die etwa gelautet haben wird: [Jesus Christus,] „geboren aus Davids Samen nach dem Fleisch, eingesetzt zum Sohn Gottes seit der Totenauferstehung nach dem Heiligen Geist". Hier wird der irdischen, durch den Titel „Davidsohn" gekennzeichneten Messiaswürde Jesu die Einsetzung zum Gottessohn seit der Auferstehung zeitlich nachgeordnet. Wenn auf diese Weise die Messiaswürde des irdischen Jesus als „eine vorläufige, niedrigere Stufe aufgefaßt" wird (E.Schweizer),so zeigt sich darin zweifellos 7

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eine sehr alte Vorstellung von der Einsetzung des Davidsohnes Jesus zum Gottessohn bei der Auferstehung, und das führt mit großer Wahrscheinlichkeit in die älteste Urgemeinde zurück (vgl. die analoge Vorstellung von der Einsetzung zum Messias in Apg.2,36, s . o . S . 9 5 f . ) . Daß die frühe Urgemeinde Jesus als den Gottessohn bekannte, ergibt sich weiter aus Lk. 1,32 f. Hier findet sich im Rahmen der sicherlich späten Erzählung von der Verkündigung der jungfräulichen Empfängnis an Maria die Verheißung: „Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, und der Herr Gott wird ihm den Thron Davids, seines Vaters, geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und seine Königsherrschaft wird kein Ende haben." Diese Verheißung ist völlig jüdisch formuliert: Jesus soll als Davidsnachkomme die ewige Herrschaft auf dem Thron Davids erhalten, und als ein solcher von Gott eingesetzter politischer Herrscher soll er die Benennung „Gottessohn" tragen. In diesem Zusammenhang ist „Gottessohn" deutlich ein dem Davidnachkommen von Gott beigelegter Name: 2.Sam.7,14 wird dem Davidnachkommen verheißen: „Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein." Auch hier herrscht also die Vorstellung, daß Jesus zum Gottessohn eingesetzt wird, aber es ist keineswegs eindeutig zu erkennen, wann nach diesem Text die Einsetzung zum Gottessohn erfolgen soll. Die Ubergabe des Thrones Davids kann im christlichen Zusammenhang wohl nur auf die noch ausstehende Parusie bezogen worden sein, aber es ist nicht notwendig anzunehmen, daß die Benennung als Gottessohn auch erst auf diesen Zeitpunkt fallend gedacht ist. Das von Lukas aufgenommene Fragment Lk. 1,32 f. vertritt daher ebenfalls die primitive Vorstellung von der Einsetzung Jesu zum Gottessohn und führt dadurch in die älteste Gemeinde zurück. Schon aus diesem von Lukas aufgenommenen urgemeindlichen Fragment läßt sich aber erkennen, daß die Benennung Jesu als Gottessohn in der Urgemeinde entstanden sein muß durch Übertragung alttestamentlicher Königsprädikate auf den Messias. Diese Vermutung wird bestätigt durch den Bericht von der Taufe Jesu (Mk. 1,9-11 p.). Hier erfährt Jesus nach der Taufe das Herabkommen des Geistes auf sich und hört die Himmelsstimme: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir fand ich Wohlgefallen." Diese Anrede, die man schwerlich biographisch verwenden kann (s.o. S.66), bezeichnet Jesus mit den Worten des Königspsalms 2,7 als einzigen Sohn Gottes, und die Zufügung „an dem ich Wohlgefallen fand" will besagen, daß Gott jetzt beschlossen hat, Jesus so zu benennen. Das Taufgeschehen wird also hier als Ereignis verstanden, bei dem Jesus die Einsetzung in die Würde der Gottessohnschaft widerfuhr, und auch dadurch ist die Vorstellung ausgedrückt, daß Jesus erst jetzt zum Sohn Gottes eingesetzt worden sei, was wieder in die älteste Christenheit führt. Dabei ist hier nun deutlich zu sehen, wie es zu der urchristlichen Bezeichnung Jesu als Gottessohn gekommen ist: die messianische Deutung von Ps.2,7 steht an der Wurzel dieses urchristlichen Würdenamens. Auch wenn einige Wahrscheinlichkeit besteht, daß dieser Psalm schon im Judentum der Zeit Jesu auf den Messias

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bezogen worden war, so scheinen doch erst die Christen aus diesem Psalm die Bezeichnung des Messias Jesus als „Sohn Gottes" abgeleitet zu haben. Da die Christen an die Erhöhung des auferstandenen Jesus zu Gott glaubten, konnten sie diese für einen Menschen in jüdischen Ohren anstößige Bezeichnung ungehindert aufnehmen, und es ist aufgrund von Rom. 1,3 f. zu vermuten, daß die Einsetzung Jesu in die Gottessohnschaft zuerst als mit der Auferstehung zusammenfallend gedacht wurde, daß man dann aber auch das Leben Jesu mit einschloß und so die Einsetzung zum Gottessohn mit der Taufe zusammenfallen ließ. Auf alle Fälle haben die ersten Christen mit dem Titel „Gottessohn" nicht Jesu wesensmäßige Zugehörigkeit zu Gott, sondern sein endzeitliches, in seinem Leben, Sterben und Auferstehen sich verwirklichendes Heilbringeramt beschrieben, und mit den heidnischen Vorstellungen von „Göttersöhnen" hat diese urchristliche Glaubensbezeichnung Jesu keinerlei Zusammenhang. Wenn diese Bezeichnung Jesu dann im hellenistischen Christentum eine zentrale Bedeutung gewann, so erklärt sich das freilich wohl aus dessen heidnischer Umwelt, in der solche Vorstellungen in verschiedener Form eine große Rolle spielen. 2.5 Der Herr Die Urgemeinde hat aber für ihren Glauben an den auferstandenen Messias noch eine weitere, neue Ausdrucksform gefunden, die für den Übergang des Christentums in die hellenistische Welt von noch größerer Bedeutung war, die Benennung Jesu als „Herr". Daß dieser Titel in die älteste Gemeinde zurückgeht, wird mit Sicherheit erwiesen durch den von Paulus angeführten aramäischen Ruf „maranä-thä" (1.Kor. 16,22). Dieser in der Ursprache in das Griechisch sprechende Christentum übernommene Ausdruck ist verschieden übersetzbar, aber es besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß er „unser Herr, komm!" zu übersetzen ist, zumal sich in Offb. 22,20 mit dem so lautenden Ruf wohl die griechische Ubersetzung dazu findet. Da am Ende des l.Korintherbriefes wahrscheinlich liturgische Stücke aus dem Anfang der Feier des Herrenmahles in der korinthischen Gemeinde verwendet sind, ist der Ruf „unser Herr, komm" wohl auch in der Herrenmahlfeier der Gemeinde in Korinth gebraucht worden, und es liegt nahe zu folgern, daß dieser Ruf schon in der aramäisch sprechenden Urgemeinde bei den gemeinsamen Mahlfeiern der Bitte um das baldige Kommen des Herrn Jesus in Herrlichkeit Ausdruck gab. Die ersten Christen haben also den in naher Zukunft in Herrlichkeit erwarteten auferstandenen Jesus „Herr" genannt und damit ausgedrückt, daß der jetzt verborgene Auferstandene einst als Herrscher erscheinen werde. Wir sind dieser Erwartung der zukünftigen Erscheinung Jesu in Macht schon im Zusammenhang mit dem Christustitel begegnet, und die Aufnahme des Herrentitels bedeutete eine Verstärkung dieser Erwartung, zumal die Rede vom kommenden „Herrn" zugleich deutlich darauf hinwies, daß zu dem erscheinenden Herrn auch seine Diener gehören werden.

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Aber besagt das, daß der auferstandene Jesus nach dem Glauben der Urgemeinde noch nicht der Herr war und erst bei der endzeitlichen Erscheinung die Herrenwürde erhalten sollte? So hat man oft argumentiert, doch spricht dagegen schon entscheidend die Unwahrscheinlichkeit, daß die Gemeinde „sich den erhöhten Herrn als untätig im Himmel wartend vorgestellt" haben sollte (E.Schweizer). Es gibt aber auch deutliche Hinweise darauf, daß von der ältesten Gemeinde die Bezeichnung „der Herr" auch als Bezeichnung des irdischen und des auferstandenen Jesus verwendet worden ist. Einerseits gebraucht Paulus die Ausdrucksweise „die Brüder des Herrn" (l.Kor.9,5; Gal. 1,19), die er kaum selbst geprägt haben kann, weil für ihn „der Herr" primär den Auferstandenen bezeichnet. Daß diese Benennung des irdischen Jesus als „der Herr" auf den Sprachgebrauch der palästinischen Urgemeinde zurückgeht, legt außerdem die im palästinischen Christentum des späteren 1. Jahrhunderts bezeugte Benennung der Verwandten Jesu als „zum Herrn Gehörige" nahe (s. E. Hennecke/W. Schneemelcher, Apokryphen [s. o. S.9], Bd.I, S.316). Andererseits sagt die alte Formulierung von Apg.2,36: „Gott hat ihn zum Herrn und Gesalbten gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt" und gibt damit dem frühen Glauben Ausdruck, daß Jesus bei der Auferstehung in die Würde des Herrn ebenso wie in die Würde des Messias eingesetzt worden sei. Und schließlich zeigt ja die aramäische Anrufung mit maranä-thä auch, daß man den erhöhten Jesus als „unsern Herrn" anrief, und dementsprechend bezeichnet Paulus mit einem im Alten Testament auf Gott bezogenen Ausdruck die Christen als diejenigen, „die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen" (l.Kor. 1,2). Es besteht darum große Wahrscheinlichkeit, daß schon die palästinische Urgemeinde den Auferstandenen als „unser Herr" angerufen hat, ebenso wie sie den irdischen Jesus als „der Herr" bezeichnete. Die palästinischen Christen haben also die Herrenwürde des „Herrn" als eine gegenwärtige bekannt und erfahren, als eine Herrschaft, die schon jetzt im Leben der Christen endzeitliches Heil Wirklichkeit werden ließ, auch wenn der volle Anbruch dieses Heils noch ausstand. Man hat gegen diese Annahme, daß die palästinische Urgemeinde den Herrentitel für den irdischen und den auferstandenen Jesus gebraucht und das endzeitliche Kommen des „Herrn" erwartet habe, freilich vielfach eingewandt, die Aufnahme des Herrentitels für Jesus könne für die Urgemeinde darum nicht angenommen werden, weil sich für die Aramäisch sprechende Urgemeinde keine sprachlichen Voraussetzungen nachweisen ließen, die die Entstehung dieser Bezeichnung erklären könnten; die Bezeichnung Jesu als „der Herr" sei vielmehr erst auf griechischem Sprachgebiet denkbar. Dieser Einwand trifft aber nicht zu. Jesus ist zweifellos zu Lebzeiten mit der Höflichkeitsanrede „Herr" begrüßt worden, und zwar nicht nur von Heiden (Mt.8,8p.; Mk.7,28p.), sondern auch von Juden (Mt.8,21; 18,21). Diese Anrede kennzeichnet jedoch Jesus in keiner Weise als über einen gewöhnlichen Menschen herausragend, wie sich schon aus dem gleichsinnigen Gebrauch der Anreden „Rabbi", d.h. Lehrer, und „Herr" ergibt (z.B. Mt.8,

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19.21). Aber diese Höflichkeitsanrede ist offensichtlich früh zur Kennzeichnung Jesu als des Herrn geworden, dem seine Jünger als die ihm Untergebenen Ehrerbietung schuldig sind. Das ergibt sich wahrscheinlich schon aus dem ungewöhnlichen und zugleich primitiven Sprachgebrauch in der Erzählung vom Einzug Jesu nach Jerusalem, wo die zum Holen eines Esels ausgesandten Jünger sagen sollen: „Der Herr benötigt ihn" (Mk. 11,3 p.). Das ergibt sich vor allem aus der matthäischen Form des Jesuswortes am Ende der Bergpredigt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in die Himmelsherrschaft eingehen, sondern der den Willen meines Vaters in den Himmeln tut" (Mt.7,21). Denn in der eindeutig ursprünglicheren Fassung dieses Wortes bei Lukas 6,46: „Warum nennt ihr mich Herr, Herr und tut nicht, was ich sage?", die durchaus auf Jesus selbst zurückgehen kann, wird die ehrende Anrede „Herr" dem gar nicht gehorsamen Verhalten der Hörer Jesu gegenübergestellt, während bei Matthäus daraus die verehrungsvolle Anrufung des Weltrichters geworden ist (der bei Matthäus anschließende Spruch 7,22f. interpretiert eindeutig in diesem Sinn). In dieser matthäischen Umbildung des Spruches ist deutlich zu sehen, wie aus dem alltäglichen Ehrenprädikat die verehrende Anrede des himmlischen Herrn geworden ist, und diese Entwicklung muß sich sehr früh vollzogen haben, wie der Gebrauch des Herrennamens in diesem Sinn in der Aramäisch sprechenden Urgemeinde beweist. Die Möglichkeit aber, daß sich diese Entwicklung schon auf aramäischem Sprachboden vollzog, ergibt sich auch noch aus einer Analogie, die wir jetzt auf aramäischem Sprachgebiet nachweisen können. Erst vor wenigen Jahren sind zwei aramäische Texte aus Qumran bekannt geworden: eine ausschmückende Nacherzählung des 1. Buch Moses (sog. Genesis-Apocryphon) und eine aramäische Übersetzung des Hiobbuches (Hiobtargum), beide spätestens aus dem Anfang des 1. christlichen Jahrhunderts (Übersetzung des Apocryphons bei J. Maier, Die Texte [s. o. S. 9] S. 75 ff.; das Targum liegt noch nicht in deutscher Übersetzung vor). In dem Apocryphon findet sich nun einerseits die bisher bekannte Anrede menschlicher Personen als „mein Herr" (2,9.13.24; 20,25; 22,18), andererseits ohne sprachlichen Unterschied die Bezeichnung Gottes als „Herr der Größe", „Herr der Welten", „Herr des Himmels und der Erde", „Herr und Herrscher über alles", „Herr für alle Könige der Erde" (2,4; 20,12f.l5f.; 21,2; 22,16.21). Gott wird nun aber auch als „mein Herr über alle Welten", als „mein Herr Gott" oder einfach als „mein Herr" im Gebet angerufen (22,32; 20,14.15), und im Hiobtargum wird Gott einfach „der Herr" genannt. Aramäisch sprechende Juden haben also zur Zeit Jesu Gott als „Herr" (mará) und als „mein Herr (mari) mit oder ohne Zufügung angerufen und so die ehrende Anrede gegenüber als überlegen empfundenen Menschen auf Gott übertragen. Daher war die sprachliche Voraussetzung durchaus gegeben, daß die ersten Christen die Jesus ehrende Anrede „mein Herr" auch auf den auferstandenen Jesus übertrugen und den Auferstandenen mit dieser Bezeichnung anriefen. Daß die Urgemeinde das nicht habe tun können, weil

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sie damit den Monotheismus angetastet und sich in Gegensatz zum Judentum gestellt hätte, ist schon angesichts der eindeutigen Belege für den urgemeindlichen Sprachgebrauch und angesichts der jüdischen Analogien ein unhaltbarer Einwand. Überdies muß man sich klarmachen, daß die christliche Behauptung von der Erhöhung des als Verbrecher gestorbenen Jesus durch Gott für die Juden, die diese Behauptung ablehnten, ebenso anstößig sein mußte und war und doch ohne Scheu von den ersten Christen verkündet worden ist. Daß die Aramäisch sprechende Urgemeinde Jesus als ihren „Herrn" bekannt und als „unser Herr" angerufen hat, darf daher als völlig sicher angenommen werden. 2.6 Der Mensch Jesus Mit diesem lebendigen Glauben der Urgemeinde an den auferstandenen Jesus Christus war aber auch gegeben, daß die Person des Menschen Jesus für diese ersten Christen in einem neuen und bedeutsameren Lichte erschien. Daß die älteste Gemeinde angesichts ihrer Erwartung des nahen Endes kein Interesse daran haben konnte, einen zusammenhängenden Bericht oder auch nur Sammlungen von Einzelberichten oder Worten Jesu für spätere Zeiten aufzuschreiben, hat man mit Recht oft betont. Wir haben auf alle Fälle keine Möglichkeit, über eine Aufzeichnung von Jesusworten oder Jesusberichten vor der vielleicht um die Mitte des ersten Jahrhunderts begonnenen Niederschrift der sog. „Redenquelle" irgendetwas zu wissen. Aber es wäre zweifellos ein Irrtum, aus diesem Sachverhalt zu folgern, daß die ältesten Christen für die Person des irdischen Jesus und für seine Lehre kein Interesse gehabt hätten. Dagegen spricht schon der Tatbestand, daß man, wie die formgeschichtliche Analyse des synoptischen Stoffes zeigt, schon sehr früh Einzelberichte über Taten Jesu und Einzelworte oder Wortgruppen Jesu weitergegeben haben muß; und die aus der Urgemeinde stammende Formel l.Kor. 15,3 f. beweist durch ihren Satz „Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften und wurde begraben" eindeutig, daß man vom Tode Jesu berichtet hat, und zwar zusammenhängend, wie die Einleitung der Abendmahlsüberlieferung l.Kor. 11,23: „in der Nacht, in der er übergeben wurde", zeigt. Vor allem aber läßt die Art und Weise, wie man in der ältesten Uberlieferung von den Taten Jesu berichtete (vgl. etwa den Bericht von der Sabbatheilung Mk. 3,1-5p.), erkennen, daß man die Erzählung einzelner Taten Jesu zur Predigt von dem auferstandenen Jesus ebenso benötigte, wie man Worte Jesu anführen mußte, um innerhalb der Gemeinde und in der Auseinandersetzung mit zu gewinnenden oder feindlich eingestellten Menschen über ethische oder theologische Fragen Belehrung und Antwort geben zu können. So ist etwa der Bericht von Jesu Äußerung über die Pflicht zur Zahlung der kaiserlichen Kopfsteuer deutlich darum erzählt worden, weil man damit die bleibend aktuelle Frage beantworten konnte, ob diese Kopfsteuer zu zahlen sei oder nicht (Mk. 12,13ff.p.). Alles aber, was man von Jesu Taten und Worten erzählte, ist nicht aus geschichdichem Interesse an dem Menschen Jesus weitergegeben worden; vielmehr drängte der

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Glaube an die Auferweckung dieses Menschen zu dem Zeugnis, daß Gott diesen Jesus, „der als Wohltäter durch das Land zog und alle heilte, die vom Teufel beherrscht waren" und für dessen Taten in Judäa und Jerusalem die Jünger Zeugen waren, „am dritten Tage [nach der Kreuzigung] auferweckte und allen sichtbar werden ließ" (Apg. 10,38ff.). Weil man von diesem Glauben an die Auferweckung des Menschen Jesus aus von diesem Menschen Jesus berichtete, hat es nie einen Bericht von Jesus gegeben, der nicht selbstverständlich voraussetzte, daß dieser Jesus der von Gott gesandte „Gesalbte" war, und darum ist es nicht nur undenkbar, daß die christliche Gemeinde Jesus jemals als einen bloßen Propheten angesehen haben sollte, sondern auch selbstverständlich, daß man die Berichte von Jesu Taten und die Worte Jesu von diesem Glauben aus formte und umformte. So erklärt es sich z.B., daß die ursprüngliche und eine vom Gemeindeglauben her umgebildete Form desselben Jesuswortes sich nebeneinander in der Gemeindetradition vorfinden (vgl. z.B. Lk.6,46 neben Mt.7,21, s.o. S. 101). Entsprechend ist es verständlich, daß neben Jesu Antwort über die für die Gemeinde aktuelle Frage der kaiserlichen Kopfsteuer die zweifellos erst in der Gemeinde entstandene legendarische Erzählung von der Münze im Fischmaul überliefert wurde, die auf die Frage nach der weiteren Verpflichtung zur Zahlung der jüdischen Tempelsteuer durch die Christen Antwort zu geben sucht (Mk. 12,13ff.p.; Mt. 17,24ff.). Wenn dieses Nebeneinander von altem und jüngerem Überlieferungsgut in der evangelischen Überlieferung uns Schwierigkeiten bereitet, weil wir aufgrund unserer geistigen Lage die geschichtliche Wirklichkeit des vorösterlichen Jesus von dem Glaubensbild der nachösterlichen Gemeinde zu scheiden versuchen müssen, so bestand diese Schwierigkeit ebensowenig für die palästinische Urgemeinde wie für die hellenistische Christenheit, weil es für diese Christen ja der himmlische Herr war, von dessen irdischer Wirksamkeit man erzählte, von dem man aber auch überzeugt war, daß er in seiner Gemeinde als der Lebendige wirkte und sie zur glaubenden Weitergabe und zum lebendigen Verständnis und damit auch zur Formung und Neuformung der Jesusüberlieferung befähigte („Wo zwei oder drei auf meinen Namen hin versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte", Mt. 18,20). 2.7 Der Kreuzestod Dieses aus dem Glauben an den Auferstandenen erwachsene Verständnis der Jesusüberlieferung hat nun aber nicht nur dazu geführt, daß das Bekenntnis zu Jesus als dem Gottessohn in die Jesusüberlieferung eindrang, sondern die Christen haben vor allem auch das rätselhafteste Ereignis des Lebens Jesu, seinen Tod am Kreuz, von Gottes Willen her zu verstehen sich bemüht. Schon die von Paulus überlieferte Glaubensformel der Urgemeinde sagt ja: „Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften" (l.Kor. 15,3), und es ist sehr wahrscheinlich, daß auch der Spruch „Der Menschensohn kam nicht, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben

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als Lösegeld für viele zu geben" (Mk. 10,45p., s.O.S.79) schon in der palästinischen Gemeinde formuliert worden ist. Die Urgemeinde hat also den Tod Jesu als stellvertretende Tilgung der menschlichen Schuld verstanden und darin alttestamentliche Verheißung erfüllt gesehen. Man hat neuerdings viel darüber diskutiert, wie diese Glaubensaussage entstanden ist, und mit guten Argumenten sowohl behauptet wie bestritten, daß dieser Glaube an die Heilswirkung des Todes Christi dadurch entstanden sei, daß man die Aussagen über das stellvertretende Leiden des Gottesknechtes in Jes. 53 auf Jesus übertragen habe. Nun läßt sich zweifellos nicht mit zwingenden philologischen Argumenten nachweisen, daß in den höchstwahrscheinlich von der palästinischen Urgemeinde formulierten Sätzen l.Kor. 15,3 und Mk. 10,45 p. die Sprache dieses Jesajakapitels nachwirkt; und die Möglichkeit kann darum nicht ausgeschlossen werden, daß die ersten Christen zunächst den Tod des Christus als Gottes Heilswillen entsprechend und deshalb als im Alten Testament vorausgesagt erkannt haben, ohne damit schon auf bestimmte alttestamentliche Texte verweisen zu wollen oder zu können. Aber wenn man sich klarmacht, daß von den ersten Christen „nicht nur die Auferstehung, sondern auch der Kreuzestod Jesu in messianischer Bedeutung verstanden wurde", daß diese Christen aber „nicht auf ein ausgeprägtes Bild eines leidenden Messias zurückgreifen konnten, um dieses lediglich auf Jesus zu übertragen" (E.Lohse), dann erweist es sich doch als sehr wahrscheinlich, daß die ersten Christen den Tod des auferweckten Messias Jesus „um unserer Sünden willen" und „für die Vielen" in Jes. 53 (V. 5 f. 12) beschrieben fanden und von daher diesen Tod als Gottes Willen entsprechend und als Tod für die Sünden der Vielen deuteten. Diese Annahme wird noch wahrscheinlicher, wenn man den Wortlaut des Becherwortes in der Darstellung des letzten Mahles Jesu bei Markus betrachtet (Mk. 14,24). Wir sahen ja, daß Paulus das Becherwort wohl in der ältesten Fassung überliefert hat und daß der Wortlaut des Markus eine Umbildung darstellt (s.O.S.81 f.). Diese Umbildung der Markusfassung: „Dies ist mein Bundesblut, das für viele vergossen wird" ist nun eindeutig durch die Gedanken des Ausgießens des Blutes und des stellvertretenden Sterbens „für Viele" von der Beschreibung des leidenden Gottesknechts in Jes. 53 abhängig, d.h. hier wird die Deutung des Todes Jesu, der stellvertretend für „die Vielen" ( = die Menschheit) geschah, nun eindeutig in Analogie zur Schilderung des leidenden Gottesknechtes formuliert. Und man kann nur fragen, ob das schon in der aramäisch sprechenden Urgemeinde geschah oder erst in der Griechisch sprechenden Judenchristenheit. Das wird man kaum mit Sicherheit entscheiden können, doch ist es angesichts der Auffälligkeit des Gedankens vom Trinken des Blutes wahrscheinlicher, daß diese Umbildung des Becherwortes erst in der Griechisch sprechenden Judenchristenheit vorgenommen wurde. Aber wie man hier auch entscheiden mag - daß die Urgemeinde sich schon sehr bald gedrungen fühlte, den rätselhaften Tod des Messias von ihrer Erfahrung seiner Auferweckung durch Gott her sich verständlich zu machen, und daß ihr dieser Tod dabei

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als sündentilgendes Heilshandeln Gottes verständlich wurde, steht außer Zweifel. Man hat oft die Frage gestellt, ob damit nicht die Urgemeinde dem Tod Jesu eine Deutung gegeben habe, die nicht nur Jesu eigener Verkündigung fremd war, sondern auch durch die Heranziehung des Gedankens der Sündensühne zu Unrecht den Blick von dem kommenden Heil weg auf das vergangene Unheil der Menschen lenkte und damit dem paulinischen „Sündenpessimismus" den Weg bereitete. Wenn aber schon Jesus selber es als seinen Auftrag betrachtete, Gottes Angebot der Sündenvergebung gegenwärtige Wirklichkeit werden zu lassen, und wenn Jesus seinen Tod als Vollendung seines göttlichen Auftrags angesehen hat, dann ist damit schon ein entscheidender Schritt auf die urchristliche Deutung des Todes Jesu hin getan. Wenn aber dann die ersten Christen erkannten, daß Gott durch die Auferweckung des Gekreuzigten diesen schmachvollen Tod als Vollendung seines endzeitlichen Heilshandelns in Jesus bestätigt hatte, dann mußten sie den Tod Jesu als Heilsgeschehen verständlich machen, und man kann sicherlich mit Recht sagen, daß „es niemals eine Periode, nicht einmal eine sehr kurze Periode, nach der Auferstehung gab, in der die Heilsbedeutung des Kreuzes nicht implizit erkannt worden ist" (R.H.Fuller). Es war darum nicht Spekulation, sondern die Erfahrung des göttlichen Geschehens der Auferstehung Christi, die zum Verständnis des Todes Jesu als für unsere Sünden geschehen führte. Die Frage freilich, ob dieses Verständnis des Todes Jesu den Willen Gottes in Christus sachgemäß deutet oder eine Verfremdung darstellt, kann der Historiker nicht beantworten, sie wird aber vom Glauben an die göttliche Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi her mit Zuversicht bejaht werden können und müssen.

3. Der Christusglaube der hellenistischen Gemeinde Ist mit dem allen der Christusglaube der Urgemeinde in seinen wesentlichen Zügen richtig beschrieben, soweit uns die Quellen das überhaupt erlauben, so müßte eigentlich in diesem Zusammenhang noch eine Frage beantwortet werden, damit wir die theologischen Voraussetzungen für das Denken des späteren Urchristentums einigermaßen ausreichend übersehen könnten: wir müßten Klarheit darüber zu gewinnen suchen, welche Weiterentwicklung oder auch welche grundlegende Umbildung dieser urgemeindliche Christusglaube in den Griechisch sprechenden christlichen Gemeinden in Jerusalem und außerhalb Palästinas, dann aber auch in den ersten heidenchristlichen Gemeinden erfuhr, auf deren Glaubensformen und Traditionen die verschiedenen Glaubensformen der späteren Urchristenheit, vor allem Paulus und das johanneische Christentum, direkt aufbauen. Wir haben nun aber für das hellenistisch-jüdische und das hellenistisch-heidnische Christentum ebensowenig direkte Quellen wie für die palästinische Urgemeinde, und darum lassen sich die Glaubensformen dieser Vorstufen des späteren heidenchristlichen Urchristentums auch nicht anders als hypo-

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thetisch erheben. Man hat zwar gerade in lezter Zeit verschiedene Versuche unternommen, um die Anschauungen der jüdisch-hellenistischen von denen der heidnisch-hellenistischen Urchristenheit zu unterscheiden, aber alle diese Versuche müssen soviele unbewiesene Voraussetzungen machen, daß keiner dieser Versuche wirklich überzeugen kann. Es soll darum hier nur auf zwei Entwicklungen des Christusglaubens über die Vorstellungen der Urgemeinde hinaus hingewiesen werden, für die einige Sicherheit in Anspruch genommen werden kann und deren Kenntnis zum Verständnis der Theologie des Paulus und der johanneischen Schriften unerläßlich ist. 3.1 Die Sendung des Gottessohnes Wir sahen, daß die ersten Christen Jesus als Sohn Gottes bekannten und damit sein endzeitliches, ihm von Gott gegebenes Heilbringeramt kennzeichnen wollten, das sich in seinem Leben, Sterben und Auferstehen verwirklichte, daß mit diesem Titel aber nicht Jesu Zugehörigkeit zu Gott ausgedrückt werdensollte(s.o.S.97£f.). Von dieser für das Bekenntnis der palästinischen Christengemeinde kennzeichnenden Vorstellung führt aber kein direkter Weg zu den Aussagen des Paulus und Johannes über die Sendung des Sohnes Gottes durch Gott: „Gott sandte seinen Sohn, geboren durch eine Frau, unter das Gesetz gestellt", (Gal. 4,4); „Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des Sündenfleisches" (Rom. 8,3); „Gott sandte seinen einzigen Sohn" (Joh.3,16). Daß sich in diesen Formulierungen nicht die individuelle Theologie dieser beiden hellenistisch-christlichen Theologen ausdrückt, daß hier vielmehr eine dem vorpaulinisch-hellenistischen Christentum gemeinsame Vorstellung zum Vorschein kommt, zeigt die Tatsache, daß sich diese Vorstellung auch in den Synoptikern findet. In dem Gleichnis von den bösen Weinbergpächtern (Mk. 12,1 ff. p.), das in seinem überlieferten Text nicht auf Jesus zurückgehen kann (s.o.S.67 f.), ist davon die Rede,daß der Weinbergbesitzer „einen hatte, einen geliebten Sohn", den er zu den Pächtern schickt, als seine Versuche mit der Sendung von Sklaven gescheitert sind. Es ist unbestritten, daß sich hinter dem Weinbergbesitzer des Gleichnisses Gott verbirgt, und darum ist hier in der Sprache des Gleichnisses von der Sendung des Sohnes Gottes die Rede, der demnach existiert, ehe er gesandt wird. In allen diesen Texten ist nun aber „Sohn Gottes" deutlich eine Bezeichnung der Zugehörigkeit zu Gott und nicht nur eines von Gott gegebenen Amtes. Wenn diese Christen aber auf diese Weise von der Zugehörigkeit des Sohnes zu Gott sprechen, so wollen sie damit nicht von göttlicher „Natur" reden oder über das Verhältnis des Gottessohnes zu Gott spekulieren, sondern sie wollen bekennen, daß der Sohn Gottes nicht eine der Kreaturen Gottes ist, sondern daß er schon immer zu Gott gehörte und an Gottes Tun Anteil hatte. Darum ist mit diesem Glauben an die Zugehörigkeit des Sohnes zu Gott gegeben, daß der Sohn an der Schöpfung Anteil hatte: für uns ist vorhanden „ein Herr Jesus Christus, durch den das All und wir durch ihn" (l.Kor. 8,6); „in ihm [dem Sohn] ist alles geschaffen

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im Himmel und auf Erden" (Kol. 1,16); „durch ihn [den Sohn] hat er die Welten geschaffen" (Hebr. 1,2; vgl. auch Joh. 1,2). Ebenso ist mit diesem Glauben gegeben, daß der in die Welt gekommene Sohn bei der Auferstehung zum Vater zurückgekehrt ist und an der Herrschaft des Vaters teilhat: „Gott hat ihn überhöht und ihm einen Namen geschenkt, der über alle Namen ist, damit sich im Namen Jesu jedes Knie beuge . . . und jede Zunge bekenne, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters" (Phil. 2,9-11); „niemand ist in den Himmel aufgestiegen außer dem, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, dem Menschensohn" (Joh. 3,13). Der Gottessohn ist nach der hier überall zugrunde liegenden Vorstellung der hellenistischen Christen also ein Wesen, das von jeher zu Gott gehört, das aus Gottes Welt in diese Welt gesandt wird und nach Erledigung seiner Aufgabe in die Welt Gottes zurückkehrt und dort an Gottes Herrschaft in dem Umfang Anteil erhält, in dem diese Herrschaft in der Gegenwart bis zur Parusie schon Wirklichkeit geworden ist. Es ist deutlich die mythische Gestalt eines von Gott kommenden Gesandten, die dieser hellenistisch-christlichen Vorstellung vom Gottessohn zugrunde liegt, und man hat viel darüber gestritten, wann und woher diese mythische Gestalt von den hellenistischen Christen übernommen und auf den auferstandenen Christus bezogen worden ist. Nun wird sich angesichts der Tatsache, daß wir diese gemeinsame christologische Vorstellungsform des hellenistischen Christentums nur durch Rückschlüsse erkennen können, schwerlich noch erkennen lassen, zu welchem Zeitpunkt die Christen diese Vorstellungsform aufgenommen haben und ob sie als ganze oder nach und nach aufgenommen wurde. Aber mit einiger Sicherheit läßt sich sagen, daß in dieser Vorstellung zwei verwandte, aber in der Umwelt des Urchristentums unabhängig voneinander vorhandene religiöse Gedanken zusammengeflossen sind. Einerseits war im hellenistischen Judentum, das damit aber schon an Gedanken des Alten Testaments anknüpfen konnte, die Gestalt der Weisheit lebendig, die, vor der Schöpfung geschaffen, aus Gottes Mund hervorgeht, Gottes Werkzeug bei der Schöpfung und Abbild Gottes ist, die zu den Menschen gesandt wurde, dort aber keine Heimat fand und zu Gott in den Himmel zurückkehrte, von woher sie immer wieder zu den Weisen herabsteigt (vgl. vor allem die Weisheit Salomos, Kap. 7 und 8). Die Übernahme dieser jüdischen Weisheitsspekulation erklärt den hellenistisch-christlichen Gedanken vom himmlischen Gottessohn in einem gewissen Maße, vor allem bei Paulus, kann aber die Vorstellungen vom ewigen Sein des Sohnes bei Gott, von der Verborgenheit seines Auftretens in dieser Welt, von der Zugehörigkeit der Seinen zu ihm und manches andere mehr nicht erklären (vgl. z.B. Joh. 1,2.18; l.Kor.2,8; l.Kor. 15,22b). Nun begegnet aber in der Umwelt des frühen Christentums auch eine religiöse Gedankenwelt, in der im Rahmen eines Dualismus von Himmel und Erde, von oben und unten, von Licht und Finsternis in verschiedener Form die Gestalt des aus der Welt des Lichtes kommenden „Gesandten" begegnet, der die Erkenntnis (Gnosis) bringt und die Seinen aus der Welt der Finsternis in die

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Welt des Lichtes ruft (sog. „Gnosis"; vgl. E.Lohse, Umwelt, s.o.S.9,S. 187ff.). Wir können diesen Vorstellungskomplex vom himmlischen „Gesandten" nicht im Zusammenhang einer Quelle nachweisen, aber daß es diese religiöse Gedankenwelt gegeben haben muß, läßt sich aus vielen Anzeichen mit Sicherheit erschließen, und das hellenistische Christentum muß die Vorstellung vom himmlischen Gesandten als Ausdrucksform für ihren Glauben an die rettende Wirksamkeit Gottes in Jesus Christus schon in vorpaulinischer Zeit aufgenommen und mit der hellenistisch-jüdischen Weisheitsspekulation verbunden haben. Mit der Aufnahme dieser Vorstellungen schufen sich die hellenistischen Christen die Möglichkeit, die Heilstat Gottes in Christus wirklich als Heilstat Gottes in Christus zu beschreiben, und die großen urchristlichen Theologen zeigen deutlich die Einwirkung dieser hellenistischen Vorstellung (besonders Paulus, die Verfasser der Johannesschriften, des Hebräerbriefs und des Epheserbriefs). Freilich war mit der Aufnahme dieser hellenistischen Vorstellung auch die Gefahr gegeben, daß die Person des Menschen Jesus von der Gestalt des göttlichen Gesandten allzusehr in den Hintergrund gedrängt wurde, und wir werden bei der Betrachtung der Christusverkündigung des Paulus und der Johannesschriften auf die damit gegebene Problematik stoßen. 3.2 Der Träger göttlicher Macht Aber noch eine andere Wandlung des Jesusbildes muß in der hellenistischjüdischen und hellenistisch-heidnischen Christengemeinde vor sich gegangen sein. Wir begegnen in den Erzählungen der synoptischen Evangelien mehrfach Schilderungen, in denen der irdische Jesus als Träger einer göttlichen Kraft erscheint, die ihn sichtbar und seinsmäßig aus allen anderen Menschen heraushebt. Mk.5,lff.p. erzählt von der Begegnung Jesu mit einem dämonisch besessenen Menschen, der Jesus mit Hilfe der Anrede „Sohn des höchsten Gottes" abzuwehren sucht und dessen dämonische Beherrscher Jesus bitten, sie in eine in der Nähe weidende Schweineherde zu treiben. Als ihnen dieser Wunsch erfüllt wird, stürzt die Herde den Berg hinab in den See Genezareth und ertrinkt, während der vordem kranke Mensch nun geheilt dasitzt. Die Hirten und die Bewohner der umliegenden Ortschaften aber bitten Jesus, ihre Gegend zu verlassen. Hier erscheint Jesus nicht nur als der Mensch, der durch sein Wort Dämonen austreiben kann (so Mk. 1,23 ff.p.), sondern als ein machtvolles Wesen, das Heil und Unheil in gleicher Weise zu wirken vermag und das die Menschen darum lieber nicht in ihrer Nähe wissen wollen. Ein ähnliches Bild ergibt die bei Markus folgende Geschichte. Hier ist in den Rahmen des Berichts über die Wiederbelebung der Tochter des Jairus (Mk.5,21-24.35-43 p.), in der Jesus nur durch sein Wort das Wunder der Totenbelebung wirkt, die Erzählung von einer an Blutfuß erkrankten Frau gestellt. Diese Frau, der viele Ärzte nicht hatten helfen können, nähert sich Jesus innerhalb einer Menschenmenge, berührt von hinten sein Gewand, weil sie überzeugt ist, daß ihr schon solche

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Berührung Hilfe bringen werde, „und sofort versiegte der Fluß ihres Blutes, und sie merkte an ihrem Leib, daß sie von der Geißel geheilt sei. Und sofort bemerkte Jesus bei sich, daß aus ihm Kraft ausgegangen war, wandte sich in der Menge um und sagte: Wer hat meine Gewänder berührt?" Die Frau gesteht die Wahrheit und bekommt von Jesus die Zusage, von nun an gesund zu bleiben ( M k . 5 , 2 5 - 3 4 p . ) . Hier ist es erst recht nicht Jesu Wort oder auch nur seine bewußte Handlung, hier ist es vielmehr deutlich eine von Jesus bis in seine Kleider ausstrahlende Kraft, die die Heilung bewirkt, und Jesus ist als Besitzer einer übernatürlichen, ihm wesensmäßig zugehörigen Wunderkraft gesehen. Ähnliches ergibt sich aus dem Bericht vom Seewandel Jesu (Mk. 6,45 fï.p.). Denn hier begegnet Jesus den Jüngern, die in einem Boot auf dem See gegen den Wind ankämpfen, auf dem See wandelnd und spricht sie an mit der Erkennungsaussage: „Ich bin es, fürchtet euch nicht" und steigt dann zu ihnen ins Boot, worauf der Wind sich legt. Jesus zeigt sich auch hier als ein Wesen, das über physische Möglichkeiten verfügt, über die kein Mensch sonst verfügen kann, und es wird auch deutlich gesagt, daß die Jünger Jesus für ein Gespenst halten, bis er sich ihnen zu erkennen gibt. Diese Vorstellung, daß Jesus bereits als Mensch ein übernatürliches, mit unheimlichen Kräften ausgerüstetes Wesen war, das seine wirkliche Seinsweise gelegentlich sichtbar werden ließ, zeigt sich dann besonders deutlich in der Erzählung von der Verklärung (Mk. 9,2ff.p.). Denn hier wird ja ausdrücklich von Jesus gesagt, daß er „verwandelt" wurde und daß aufgrund dieser Verwandlung den Jüngern seine himmlische Wesensart sichtbar wurde. Diese Wesensart zeigt sich darin, daß er himmlische Gewänder trägt, daß ihn die Wolke der göttlichen Gegenwart umgibt und daß er mit verstorbenen und im Himmel gedachten Menschen, Elias und Moses, zu reden vermag. Die Himmelsstimme: „Dies ist mein geliebter Sohn, hört auf ihn!" redet nicht Jesus an, sondern die Jünger und damit auch die Hörer der Erzählung und weist sie darauf hin, daß sich in dieser Verwandlung und dieser himmlischen Erscheinungsweise die Gottessohnschaft des Verwandelten kundmacht. Und wie Jesus durch die Verwandlung seine wahre Wesenheit sehen läßt, so kann er auch ebenso plötzlich als der den Jüngern bekannte Jesus wieder vor ihnen stehen. In allen diesen Texten erscheint eine dem Judentum fremde, dem Hellenismus aber geläufige Vorstellung naturhafter, wesensmäßiger Machtbegabung, der die Epiphanie, das Sichtbarwerden des göttlichen Wesens vor den Augen bestimmter Menschen, entspricht. Man kannte im heidnischen Hellenismus die Vorstellung von Menschen, die göttliche Kräfte und Fähigkeiten haben und sie durch Wundertaten zu demonstrieren vermögen, und diese Vorstellung war auch in abgeschwächter Form in die jüdisch-hellenistische Betrachtung alttestamentlicher Gestalten eingedrungen. Diese Vorstellungen haben nun hellenistische Christen übernommen, um dem Glauben an die Gottgesandtheit des Menschen Jesus Ausdruck zu geben, ohne daß man sich

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auch von Anfang an darüber Gedanken gemacht zu haben scheint, wie diese göttliche Wesensart Jesu zu erklären sei. 3.3 Der Geist als Besitz und die vaterlose Geburt Jesu Doch hat man diese Frage dann auch gestellt, und zwei Vorstellungen haben sich den hellenistischen Christen angeboten, diese göttliche Wesenheit Jesu verständlich zu machen, die freilich beide nur gelegentlich anklingen. Einerseits war man überzeugt, daß Jesus bei der Taufe den göttlichen Geist als Besitz erhalten habe, so daß er von da an diesen Geist zu seiner Verfügung hatte. Zum mindesten nach dem Verständnis der hellenistischen Christen und dann auch des Markusevangelisten besagt die Tauferzählung (Mk. 1,9-11 p.), daß der Geist, der auf Jesus wie eine Taube herabkam, bei ihm blieb; Joh. 1,32 betont das ausdrücklich, und Mk. 1,10 kann man auch übersetzen „er sah den Geist wie eine Taube herabsteigen in ihn hinein". Und wenn Jesu Wort „Wer gegen den heiligen Geist lästerlich redet, erhält in Ewigkeit keine Vergebung" durch den Evangelisten darauf bezogen wird, daß die Gegner Jesus vorgeworfen hatten: „er hat einen unreinen Geist" (Mk.3,29f.), so wird auch hier vorausgesetzt, daß Jesus im Besitz des heiligen Geistes ist. Daneben hat man aber, und zweifellos schon im hellenistischen Judenchristentum, auch die Vorstellung ausgebildet, daß Jesus von einer menschlichen Mutter ohne Zutun eines Mannes geboren worden sei. Diese in Lk. 1,26 ff. mehr angedeutete als ausgeführte Vorstellung denkt in keiner Weise an eine Zeugung durch göttlichen Samen, wie das heidnischer Vorstellung entsprochen hätte, sondern an die Zeugung des Kindes durch eine göttliche Schöpfertat, und ähnliches hat man im hellenistischen Judentum von der Mutterschaft bestimmter Frauen des Alten Testaments erzählt. Bei Lukas wird Jesu Gottessohnschaft (Lk. 1,32 „er wird groß und Sohn des Höchsten genannt werden") also auf einen besonderen schöpferischen Akt Gottes bei seiner Zeugung zurückgeführt, und darum ist auch hier noch nicht von einer physischen Gottessohnschaft die Rede. Wenn Mt. dann freilich einfach formuliert: „Seine [Jesu] Mutter Maria, die mit Joseph verlobt war, wurde, ehe sie zusammenkamen, schwanger erfunden aus dem heiligen Geist" (Mt. 1,18, vgl. 1,20), nähert sich diese Formulierung der Vorstellung einer physischen Sohnschaft Gottes an, und in diesem Sinne ist dann der Gedanke der vaterlosen Zeugung Jesu auch bald (aber erst jenseits des Neuen Testaments) verstanden worden. Diese beiden Versuche, sich die wesenhafte Gottessohnschaft Jesu verständlich zu machen, sind freilich im Neuen Testament, wie schon erwähnt, nur schwach bezeugt, weil man offenbar zunächst nicht überall das Bedürfnis empfand, sich über die wesenhafte Gottessohnschaft Jesu, die man verkündete, überhaupt weitere Gedanken zu machen. Daß man im hellenistischen Judenchristentum und Heidenchristentum vor Paulus und der Entstehung der Evangelienschriften begonnen hat, sich die Person des Menschen

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Jesus auch schon durch die Annahme seiner wesenhaften Gottessohnschaft verständlich zu machen, die sich in der unbegrenzten Fähigkeit zum Wundertun und in der Möglichkeit äußert, seine Erscheinung zu wandeln, leidet dagegen keinen Zweifel. Wenn die Kenntnis dieser Entwicklung für das Verständnis des Johannesevangeliums unerläßlich ist, so wird sich uns bei der Betrachtung des Johannesevangeliums doch die Frage aufdrängen, ob diese Weiterbildung des Glaubens an den in Jesus erschienenen Sohn Gottes nicht noch stärker als der Gedanke vom himmlischen Gesandten zum mindesten die Gefahr in sich birgt, daß die Menschheit Jesu in ihrer Realität nicht mehr ganz ernst genommen wird. Die Urgemeinde hat nun aber nicht nur durch die Ausbildung des Christusglaubens aufgrund ihrer Erfahrung der Auferweckung des gekreuzigten Jesus die Voraussetzungen für das Denken der großen Theologen des Urchristentums geschaffen, sie hat sich zugleich mit der Entstehung dieses Glaubens auch als die Gemeinde des auferstandenen Christus zu verstehen gelernt, und darum müssen wir noch auf die Entstehung der Urgemeinde eingehen, wenn wir die Voraussetzungen für das theologische Denken des Paulus und der Johannesschriften in ihren wesentlichen Zügen kennenlernen wollen.

4. Das Kirchenbewußtsein Wir wissen nicht sicher, wo die ersten Zeugen den auferstandenen Jesus gesehen haben, und darum wissen wir auch nicht sicher, wo sich die Auferstehungszeugen zuerst zusammengefunden haben. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß die Erscheinung vor Petrus und den Zwölfen in Galiläa stattgefunden hat (Mk. 14,28 p.; 16,7p.), und es ist ebenso wahrscheinlich, daß sich die Erscheinung vor 500 Brüdern (l.Kor. 15,6) in Jerusalem ereignet hat. Wenn diese Annahmen zutreffen, wird man folgern müssen, daß zu dem Zeitpunkt der Erscheinung vor den 500 Brüdern die galiläischen Auferstehungszeugen schon nach Jerusalem übergesiedelt waren, und die Apostelgeschichte setzt ja voraus, daß sich die Auferstehungszeugen zuerst in Jerusalem gesammelt haben (Apg. 1,12-15) und daß dort am jüdischen Wochenfest, nach dem Passa, bei dem Jesus getötet wurde, eine größere Gruppe von Christusgläubigen beisammen war und ein entscheidendes Geisterlebnis hatte (Apg. 2,1-13). Man hat dieses Geschichtsbild der Apostelgeschichte, nach dem die Urgemeinde sich von dem Zentrum Jerusalem aus entwickelt habe, in doppelter Weise in Frage gestellt. Man hat einerseits angenommen, daß die Jerusalemer Christengemeinde überhaupt erst Jahre nach der galiläischen entstanden sei; Paulus setze noch drei Jahre nach seiner Bekehrung keine Gemeinde in Jerusalem voraus, da er sie in Gal. 1,18 nicht erwähne. Man hat andererseits vermutet, es habe von Anfang an zwei Zentren der Christenheit gegeben, in Galiläa und Jerusalem, und die Jerusalemer Gemeinde sei erst im Laufe der Jahre in den Vordergrund getreten. Nun ist es nicht ausgeschlossen, daß es in Galiläa von Anfang an oder jeden-

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falls schon sehr früh Christengemeinden gegeben hat, die unabhängig von Jerusalem entstanden waren und sich auch unabhängig entwickelt haben; aber wir wissen von solchen Gemeinden absolut nichts Konkretes, wissen darum auch nicht, welche Glaubensanschauungen in solchen Gemeinden geherrscht haben und ob sie irgendeinen Einfluß auf die Entwicklung des Urchristentums hatten. Es ist auch zu beachten, daß Paulus nach Gal. 1,18 offensichtlich nur einen Ort kennt, wo er nach seiner Berufung mit der Christengemeinde maßgeblich in Beziehung hätte treten können. Andererseits ist es eine willkürliche Annahme, daß Petrus und Jakobus mehr als drei Jahre nach dem Tode Jesu in Jerusalem gewirkt haben sollten (so Gal. 1,18 f.), ohne daß irgendeine christliche Gemeinde sich gebildet hätte, und es ist ebenso ungerechtfertigt, anzunehmen, daß der Verfasser der Apostelgeschichte über die Anfänge der christlichen Kirche überhaupt nichts Zuverlässiges mehr habe in Erfahrung bringen können. Es ist vielmehr nach wie vor die wahrscheinlichste Annahme, daß in der Tat die ersten Auferstehungszeugen sehr bald aus Galiläa nach Jerusalem zurückgekehrt sind und sich mit den dortigen Auferstehungszeugen vereinigt haben. Warum diese Rückkehr stattfand, können wir freilich nur vermuten, aber daß dabei die Tatsache der Kreuzigung und Auferweckung Jesu (nicht seiner Erscheinung!) in Jerusalem ebenso Veranlassung war wie das im folgenden zu erörternde Selbstverständnis dieser ersten Christen, wird man begründetermaßen annehmen dürfen. 4.1 Das Selbstverständnis der Urgemeinde Die entscheidende Frage ist darum, welche Deutung die nach Jerusalem zurückgekehrten Auferstehungszeugen und die um sie sich sammelnden Christusanhänger ihrer Gemeinschaft gaben und welche religiösen Lebensformen diesem Selbstverständnis entsprachen. Die Apostelgeschichte setzt voraus, daß die ersten Christen am Tempelgebet teilnahmen, sich auch sonst im Tempel aufhielten und das Gesetz befolgten (Apg.2,46; 3,1; 5,12.42; 10, 14); von einer Teilnahme am Tempelopfer ist allerdings nicht die Rede. Dieses Bild der Apostelgeschichte von dem selbstverständlichen Festhalten der ersten Christen an den religiösen Bräuchen und dem gesetzlichen Verhalten ihrer religiösen Umwelt wird dadurch bestätigt, daß Paulus beim sog. Apostelkonzil, etwa 16-17 Jahre nach seiner Christwerdung, in Jerusalem auf die Forderung der Beschneidung der Heidenchristen stößt und danach in Antiochia der jerusalemischen Anschauung begegnet, Heidenchristen dürften nicht mit Judenchristen Tischgemeinschaft haben. Ebenso beweisen einige streng gesetzestreue Jesusworte der Synoptiker, die der kritischen Haltung Jesu widersprechen (vgl.o.S.46f.), daß es zum mindesten Kreise der Urgemeinde gegeben hat, die ein konsequentes Festhalten an der traditionellen Gesetzesbeobachtung übten und solches Verhalten von allen Anhängern des auferstandenen Christus forderten (vgl. Mt. 5,18 p. 19;23,2.3a; 23,23 p.; 24,20). Man wird daher mit guten Gründen annehmen dürfen, daß

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die jerusalemische Christenheit der ersten Jahre an der jüdischen Gesetzesbeobachtung und am religiösen Brauch der Juden festhielt. Doch hat sich wahrscheinlich schon bald eine Differenz innerhalb der Urgemeinde gezeigt, als die Christuspredigt auch Griechisch sprechende Juden aus der Diaspora in Jerusalem ergriff. Wenn auch die dem Stephanus in Apg.7,2ff. in den Mund gelegte Rede schwerlich als Quelle für das Denken dieses Führers der Griechisch sprechenden Judenchristen Jerusalems herangezogen werden kann (s.den Kommentar z u r A p g . S . U l f . ) , so beweist doch die Feindschaft der Juden gegen diese hellenistischen Judenchristen (Apg. 8,1.3f.; 11,19), daß diese Judenchristen im Gegensatz zu der Aramäisch sprechenden Urgemeinde den Juden einen stärkeren Anstoß boten. Darum ist die Nachricht, daß sich bei diesen hellenistischen Judenchristen eine ausgesprochene Ablehnung des Tempelkults fand (Apg. 6,11 f.; 7,48), sehr einleuchtend, und auch die Anklage gegen Stephanus, er habe sich gegen das Gesetz gewandt (Apg. 6,13 f.), ist im wesentlichen wahrscheinlich, weil die im Anschluß an die Stephanusverfolgung vertriebenen hellenistischen Judenchristen in Antiochia auch Heiden gegenüber „die frohe Botschaft vom Herrn Jesus verkündeten" (Apg. 11,20).Das hätte schwerlich Erfolg haben können,wenn sie zugleich die Beschneidung und mit ihr die Erfüllung des ganzen jüdischen Gesetzes gefordert hätten. Es bildete sich vermutlich also schon sehr früh eine verschieden strenge Haltung gegenüber der traditionellen jüdischen Gesetzesfrömmigkeit in der Aramäisch sprechenden und der Griechisch sprechenden Judenchristenheit in Jerusalem heraus, und der Bericht von der Wahl der hellenistischen „Sieben" (Apg. 6,1 ff.) verrät nach einer sehr wahrscheinlichen Annahme auch einen gewissen Gegensatz zwischen diesen beiden Gruppen der Urgemeinde (s. den Kommentar zur Apg.S.98f.). Man hat aus diesen Tatbeständen nun häufig die Folgerung gezogen, daß sich die Urgemeinde als eine der zahlreichen Sondergruppen innerhalb des Judentums verstanden habe, die sich von den übrigen Juden eigentlich nur dadurch unterschied, daß sie von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus und damit von dem Gekommensein des erwarteten endzeitlichen Heilbringers Zeugnis ablegen konnte und darum zum Glauben an diese endzeitliche Heilstat Gottes seinem Volk gegenüber aufrief (vgl.Apg.2,24.31 f.). Es.gab ja im damaligen Judentum verschiedene Gruppen (Pharisäer, Sadduzäer, Essener, Qumranleute), die sich jeweils als die wahren Juden betrachteten und die z. T., wie etwa die Qumranleute, den übrigen Juden das Recht absprachen, sich noch als das Gottesvolk anzusehen. Die Vermutung liegt darum in der Tat nahe, daß die christliche Urgemeinde von den Juden zunächst auch als eine solche Sondergruppe angesehen worden ist, und diese Vermutung erhält dadurch eine Stütze, daß der Verfasser der Apostelgeschichte den Juden die Bezeichnung „Sekte" (bairesis) für die christliche Gemeinde in den Mund legt (24,5.14; 28,22). Man kann auch Tatbestände anführen, die die Annahme zu stützen scheinen, daß die Urgemeinde sich auch selbst als eine solche Sondergruppe angesehen habe. Die Apostelgeschichte setzt voraus, daß die Christen der Urgemeinde sich die Bezeich8

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nung „der Weg" beilegten (9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22), und diese Bezeichnung der eigenen Gruppe in Abgrenzung von allen anderen Formen jüdischen Gesetzesverständnisses findet sich sonst nur bei der Qumrangruppe (1QS 9,18; 10,21, s. die Texte bei ]. Maier, s. o. S. 9, S. 39.42). Man kann weiter darauf verweisen, daß sich die Urgemeinde als „die Heiligen" und „die Auserwählten" bezeichnet hat, wie sich aus Paulus, den Synoptikern und der Apostelgeschichte zurückschließen läßt (vgl. Rom. 15,25 f.; l.Kor. 16,1; 2.Kor.8,4; Apg.9,13.32 - Mk. 13,20.22.27p.; Rom.8,33), und beide Titel begegnen bei den Pharisäern und in Qumran als Bezeichnung der erwählten Sondergruppe im Gegensatz zum übrigen jüdischen Volk (l.Makk. 1,46; Tob. 12,15 - Weish. Sal.4,15; 4QpPs 37,11,5 s. bei J.Maier, s.o. S.9, S. 182). Aber beide Titel begegnen daneben im Judentum auch als Bezeichnung des ganzen erwählten Gottesvolkes (Weish. Sal. 18,9; Ps.Sal. 17,36, s. bei C.K.Barrett, s.o. S.9, S.262 Z . 2 7 - „Herr, du wolltest, daß dieses Volk dir dieses auserwählte Volk sei", Himmelfahrt des Mose 4,2). Infolgedessen sind die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde als „die Heiligen, die Erwählten" kein sicherer Beweis für deren Anspruch, die erwählte Sondergruppe des jüdischen Volkes zu sein. Gegen dieses Verständnis der Selbstprädikation der Urgemeinde sprechen nun aber zwei eindeutige Sachverhalte. Einmal fehlt in der Urgemeinde, wie schon bei Jesus, der aus den Propheten bekannte und von den Pharisäern und Qumranleuten jeweils in Anspruch genommene Gedanke, ihre Gruppe sei der heilige, allein für die Endzeit von Gott aufbewahrte „Rest" des Gottesvolkes. Jesus hatte vielmehr von dem „Neuen Bund" gesprochen, den Gott durch seinen Tod errichten werde (l.Kor. 11,25, s. O.S. 83 f.), und hatte durch den um seine Person gescharten Kreis der „Zwölf" den Anspruch Gottes an das ganze Zwölfstämmevolk ausgedrückt. Ganz entsprechend verstand sich die Urgemeinde als die Glieder des neuen, durch Gott in Jesus geschaffenen endzeitlichen Bundes: „Ihr seid die Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit euern Vätern geschlossen hat" (Apg.3,25). Dieser Bund hatte die Aufgabe, das ganze Heilsvolk in diesen Bund zu rufen: „Das ganze Haus Israel soll sicher erkennen, daß Gott ihn zum Herrn und Gesalbten gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt" (Apg.2,36). In diesem Sinn ist dann auch, vielleicht erst im hellenistischen Judenchristentum, das Becherwort Jesu beim letzten Mahl (l.Kor. 11,25) dahin umgebildet worden, daß nun deutlich von der Bundschließung zugunsten der „Vielen" ( = der Allgemeinheit) die Rede ist („Dies ist mein Bundesblut, das für viele vergossen wird", Mk. 14,24, s. O.S. 82). Die Urgemeinde war also davon überzeugt, daß Gott durch Christus in ihrer Mitte den neuen, endzeitlichen Heilsbund begonnen hatte, der das ganze Volk umfassen sollte. In die gleiche Richtung weist noch ein weiterer Tatbestand, daß sich nämlich die Urgemeinde als „Gemeinde (oder auch „Kirche") Jesu" oder „Gemeinde des Christus" bezeichnet hat. Das ergibt sich aus dem im Matthäusevangelium in die Erzählung vom Messiasbekenntnis bei Caesarea Philippi (s O.S.61 f.) eingeschobenen Wort Jesu an Petrus: „Selig bist

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du, Simon, Sohn des Jona, denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln. Und ich sage dir, daß du Petrus bist, und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und die Hadespforten werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel der Himmelsherrschaft geben, und was du auf der Erde bindest, wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf der Erde löst, wird im Himmel gelöst sein" (Mt. 16,17-19). Wir sahen, daß diese Zusage an Petrus erst in der christlichen Gemeinde entstanden sein kann, die Sprache und der Aufbau des Spruches zeigen aber deutlich, daß die Aramäisch sprechende Urgemeinde ihr Selbstverständnis in diesem Wort ausgedrückt hat. Der Spruch ist vor allem auffällig und wichtig, weil hier die Existenz der „Gemeinde" Jesu Christi in der Gegenwart und die grundlegende Bedeutung des Petrus für die von Jesus gewollte Existenz der Gemeinde behauptet wird. Es ist nun nicht ohne weiteres klar und darum umstritten, welcher aramäische Ausdruck dem in Mt. 16,18 begegnenden griechischen Wort ekklesia zugrunde liegt, aber alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß damit der alttestamentliche Begriff der „Gottesgemeinde" (qähäl, aramäisch qehälä) aufgenommen ist und daß schon durch die Wahl dieses Begriffs der Anspruch der Urgemeinde zum Ausdruck kommt, daß die Christusgläubigen das Gottesvolk darstellen und damit an die Stelle des alten Gottesvolkes getreten sind. Dieses Gottesvolk ist aber nun bezeichnenderweise nicht mehr als „Gemeinde Gottes", sondern als „Gemeinde Jesu" oder „Gemeinde des Christus" bezeichnet, weil durch die Auferweckung und Erhöhung des gekreuzigten Jesus zum Messias das endzeitliche Gottesvolk unter Führung des Messias Jesus ins Sein getreten ist. Dem Petrus wird in dieser Gemeinde Jesu die Rolle des Verwalters zugeschrieben, der durch seine Entscheidungen über das, was erlaubt und unerlaubt ist, und durch sein Festhalten oder Vergeben der Sünden den Zugang zur Gemeinde Jesu autoritativ bestimmt und damit zugleich die Anwartschaft auf die Teilhabe an der kommenden Gottesherrschaft eröffnet oder verschließt. Wenn diese Funktion nach dem Willen Jesu Christi gerade dem Petrus zugeschrieben wird, so spiegelt sich darin wohl nicht nur die auch sonst erkennbare Führerrolle des Petrus in der Urgemeinde (Gal. 1,18; Mk. 16,7; Apg. 1,15 und oft in Apg. 1-12), sondern vor allem die Tatsache, daß Petrus als erster den Auferstandenen gesehen und darum wohl auch als erster die Auferstehung Jesu verkündet hat (das setzt Apg.2,14ff. voraus). Weil die Gemeinde die Gemeinde des auferstandenen Messias ist und weil Gott in dieser Auferweckung Jesu sein endzeitliches Heil hat beginnen lassen, auf dessen Vollendung beim Kommen der Gottesherrschaft man wartet, deshalb sind „alle, die Jesus als den Christus bekennen, und nur s i e , . . . die endzeitliche Heilsgemeinde" (L.Goppelt). 4.2 Die Trennung von der jüdischen Gemeinde Mit diesem Selbstverständnis der Gemeinde aber ist gegeben, daß die Urgemeinde, mag sie noch so selbstverständlich im Zusammenhang des 8*

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jüdischen gesetzlichen Lebens und der jüdischen Religionsübung verblieben sein, sich grundsätzlich von dem sie umgebenden Judentum als die neue Gemeinde Gottes geschieden und mit dem Ruf an alle zum Anschluß an diese neue Gemeinde beauftragt wußte. Diese grundsätzliche Haltung hat nun aber auch sehr früh dazu geführt, daß die Glieder der Urgemeinde sich auch sichtbar von den übrigen Juden unterschieden. Diese Unterscheidung ergab sich schon dadurch, daß in der Urgemeinde die wirkende Kraft des endzeitlichen Geistes erfahren wurde. Die Apostelgeschichte berichtet bekanntlich in 2,1 ff. von einem Ereignis, das sich 50 Tage nach dem Todespassa Jesu, zur Zeit des jüdischen Wochenfestes, ereignete und bei dem die Gesamtheit der bis dahin zum Glauben an die Auferstehung Jesu Gekommenen erlebte, wie der Heilige Geist auf sie herabkam und sie zum Reden „mit fremden Zungen" befähigte, das dann als ein Reden in fremden Sprachen von den hinzukommenden Juden aus aller Herren Länder wahrgenommen wurde. Es ist weitgehend anerkannt, daß in dem Bericht der Apostelgeschichte die Nachricht von einem ekstatischen Erlebnis der ersten Christen am jüdischen Wochenfest, bei dem sich die Fähigkeit zum geistgetriebenen ekstatischen „Zungenreden" zum erstenmal zeigte, mit der Vorstellung von einem Sprechen in fremden Sprachen zusammengeflossen ist (vgl. die Kommentare zu Apg. 2,1-12 und l.Kor. 14,39). Wir haben selbstverständlich nicht die Möglichkeit festzustellen, ob die Zeitangabe für dieses erste Erlebnis der Befähigung, vom göttlichen Geist getrieben zu reden, zutrifft, aber es spricht auch nichts Ernstliches dagegen. Und sicher ist, daß die Deutung des Ereignisses auf ein Reden in fremden Sprachen nicht zutrifft. Es kann dagegen schwerlich zweifelhaft sein, daß die Urgemeinde von frühester Zeit an davon überzeugt war, daß der für die Endzeit verheißene Geist Gottes in ihrer Mitte wirksam sei (vgl. das Zitat von Joel 3,1 in der Apg. 2,17a wiedergegebenen Form, s. den Kommentar z. d. St.; ferner Apg.4,31; 10,44-46; 13,2; Mk. 13,11p.), und dem entsprach das Auftreten von Propheten (Apg. 11,27f.; 13,1; 15,32). Diese Überzeugung und die Erfahrung der Wirksamkeit des Gottesgeistes in der gesamten Gemeinde der Christusgläubigen mußte bereits mehr oder weniger zu einer sichtbaren Trennung der Christusgemeinde von den übrigen Juden führen. Was so für die Gemeinde galt, galt aber auch für den einzelnen Christen. Denn die Christusgemeinde hat von sehr früh an die Taufe als Aufnahmeritus in die Gemeinde geübt. Das setzt nicht nur die Apostelgeschichte von Pfingsten an voraus (Apg.2,38.41), sondern ergibt sich auch daraus, daß Paulus, der höchstens zwei bis drei Jahre nach dem Tode Jesu Christ geworden sein muß, voraussetzt, daß er wie jeder Christ getauft worden ist (Rom.6,3; l.Kor. 12,13). Es ist angesichts des Fehlens anderer Vorbilder äußerst wahrscheinlich, daß die Urgemeinde den Ritus der Wassertaufe von den Jüngern Johannes des Täufers übernommen hat; und es ist von da aus auch wahrscheinlich, daß dieser Ritus von Anfang an durch Abwaschung die Sündenvergebung vermitteln wollte und zugleich in die Gemeinde auf-

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nahm. So stellt es Apg. 2,38.41 dar, fügt aber hinzu, daß die Getauften die Gabe des Heiligen Geistes empfingen, und auch Paulus setzt voraus, daß jeder Getaufte den Gottesgeist empfangen habe (l.Kor. 12,13). Man hat freilich bezweifelt, daß die Taufe von Anfang an mit der Geistbegabung verbunden gedacht gewesen sei, weil Markus und Matthäus noch keinen Hinweis auf die allgemeine Geistbegabung der Gemeinde enthielten und die Apostelgeschichte auch von vereinzelter Trennung zwischen Taufe und Geistverleihung berichtet (10,44.47f.; 8,12; 11,15 f.; 19,2-6; vgl. auch 18,25). Aber das Fehlen von Hinweisen auf die allgemeine Geistbegabung der Gemeinde bei Markus und Matthäus beweist darum nichts, weil es sich im Lukasevangelium nicht anders verhält, obwohl doch derselbe Verfasser in der Apostelgeschichte die Vorstellung von der Geistbegabung aller Christen bei der Taufe vertritt. Die im einzelnen ganz verschieden zu beurteilenden Stellen der Apostelgeschichte, die eine Trennung von Taufe und Geistbegabung voraussetzen (s. den Kommentar zu diesen Stellen), gehen gerade von der Anschauung aus, daß normalerweise Taufe und Geistempfang zusammengehören. Dazu kommt, daß die Taufe zweifellos von Anfang an „auf den Namen Jesu", d.h. unter Aussprechen des Namens und damit unter Anrufung Jesu vollzogen worden ist (Apg.2,38; 8,16; 10,48; vgl. l.Kor. 1,13), und die Inbeziehungsetzung zwischen dem Getauften und dem auferstandenen Jesus, der seiner Gemeinde den Geist gegeben hatte und gab, mußte auch für den einzelnen Getauften ein Inbeziehungtreten mit dem Geist des Auferstandenen bedeuten. Die Tatsache, daß alle Glieder der Urgemeinde getauft waren und den Geist empfangen hatten, bedeutete so ebenfalls eine sichtbare Trennung von der übrigen jüdischen Gemeinde. Die Gemeinde hatte aber noch einen weiteren religiösen Brauch, der sie von der jüdischen Gemeinde trennte, das gemeinsame Mahl. Die Apostelgeschichte sagt in den zusammenfassenden Schilderungen des Lebens der ersten Christen: „Sie hielten sich an die Lehre der Apostel und an die Gemeinschaft, an das Brotbrechen und die Gebete" (2,42); „Täglich hielten sie sich einmütig im Tempel auf, und indem sie in den Häusern das Brot brachen, nahmen sie die Nahrung mit Jubel und in Lauterkeit des Herzens zu sich" (2,46). Bei der Zusammenkunft der Christen in Privathäusern wurde also Brot gebrochen und dann natürlich auch gegessen, und diese gemeinsamen Mahlzeiten geschahen in einer jubelnden Weise. In diesen wenigen Angaben fehlt jeder Hinweis auf den Genuß von Wein und jede Rückbeziehung auf Jesu letztes Mahl oder auch nur auf Jesu Tod. Man hat darum oft vermutet, diese Mahlfeier der ersten Christen sei nur ein eschatologisches Gemeinschaftsmahl gewesen, das mit dem letzten Mahl Jesu und den dabei gesprochenen Einsetzungsworten nichts zu tun hatte, aber darum auch völlig verschieden war von dem sich auf dieses letzte Mahl Jesu zurückbeziehenden Herrenmahl der paulinischen Gemeinden. Das ist aber eine sehr unwahrscheinliche Vermutung, weil das von der Urgemeinde weitergegebene eschatologische Wort Jesu beim letzten Mahl („Ich werde von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken, bis zu jenem Tage, an dem

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ich es von neuem trinke in der Gottesherrschaft", Mk. 14,25 p.) deutlich voraussetzt, daß die Urgemeinde wußte, daß sie weiterhin bei ihren gemeinsamen Mahlzeiten Wein trinken sollte, und weil der vermutlich bei den gemeinsamen Mahlzeiten gebrauchte Ruf „Unser Herr, komm!" (l.Kor. 16,22, s.o.S. 100) ebenfalls voraussetzt, daß man Jesu Willen gemäß sich versammelte in der Hoffnung auf die baldige Vereinigung mit dem auferstandenen Herrn. Wenn man aber den auferstandenen Herrn bei den gemeinsamen Mahlzeiten anrief, so waren solche Mahlzeiten eine gottesdienstliche Feier, die die Urgemeinde neben der Teilnahme am jüdischen religiösen Leben beging und an der zweifellos nur die Glieder der Gemeinde teilnehmen konnten. Die für diese Feier gebrauchte Bezeichnung „Brotbrechen" scheint eine christliche Neubildung zu sein, aber wir wissen nicht, warum man die sicherlich nicht nur aus Brotbrechen bestehende Feier gerade so benannte. 4.3 Die Zwölf und die Apostel Noch eines verbindet die Glieder der Urgemeinde gegenüber den Juden, die die Botschaft von der Auferstehung des Gekreuzigten ablehnten, und trennt sie damit von dem Judentum, dem sie sich zugehörig fühlen und das sie durch ihre Verkündigung zur Gemeinde des neuen Bundes rufen möchten. Die Urgemeinde hat zweifellos zunächst keine feste Ordnung gehabt, Petrus scheint die Gemeinde nach außen vertreten zu haben, wie Gal. 1,18 ebenso wie die Apostelgeschichte (etwa 3,12; 5,3.29; 8,14) voraussetzen. Etwas später hören wir dann von den „Ältesten" in der Jerusalemer Gemeinde (Apg. 11,30; 15,22f.). Die Entstehung einer solchen, die Gemeinde leitenden Gruppe läßt ja erkennen, daß sich die Urgemeinde dem sie umgebenden Judentum gegenüber festigt, doch läßt sich daraus nicht eigentlich etwas über das Selbstverständnis der Urgemeinde erkennen, zumal eine in gewisser Hinsicht verwandte Gemeindeorganisation sich z.B. auch in der Qumrangruppe findet, die sich damit in keiner Weise vom Judentum trennen will oder trennt. Das besondere Selbstverständnis der sich gegenüber dem Judentum festigenden Urgemeinde zeigt sich dagegen in der Rolle, die „die Zwölf" und „die Apostel" in der Urgemeinde spielten. Der von Jesus als Repräsentant seines Rufes an das ganze Volk eingesetzte Kreis der Zwölf hatte nach Petrus den Auferstandenen gesehen (l.Kor. 15,5), und dieser Kreis hat nach dem Bericht der Apostelgeschichte zur ältesten Gemeinde gehört (1,13f.). Da wir etwas mehr als ein Jahrzehnt später von der Hinrichtung des zum Kreis der Zwölf gehörigen Jakobus in Jerusalem hören (Apg. 12,1 f.), ist die Vermutung berechtigt, daß diese Gruppe der Zwölf in der Jerusalemer Gemeinde als Zeugen der Auferstehung und doch wohl auch als Zeugen des irdischen Lebens Jesu eine Rolle spielten. Die Weitergabe der Voraussage Jesu, daß die Zwölf bei der Parusie die zwölf Stämme Israels richten werden (Mt. 19,28 p.), beweist überdies, daß man in der Urgemeinde den Zwölf eine endzeitliche Rolle den übrigen Juden gegenüber zuschrieb. Freilich läßt sich diese Rolle der Zwölf in der Urgemeinde nur

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aus diesen Hinweisen erschließen und damit auch das Bewußtsein der Urgemeinde, mit der Verkündigung des Zeugnisses von der Auferstehung Jesu Christi an die übrigen Juden beauftragt zu sein. Zur Zeit des sog. Apostelkonzils (ca. 48 n. Chr.) spielten die Zwölf bereits keine entscheidende Rolle mehr in der Urgemeinde, sie sind weder in Gal. 2,1-10 noch in Apg. 15,1-29 erwähnt, und für die spätere Urchristenheit scheinen sie keine entscheidende Bedeutung gehabt zu haben. Bleibend bedeutsam aber war für die weitere Entwicklung der Urkirche und überhaupt des Christentums, daß in der Jerusalemer Urgemeinde „die Apostel" zu finden waren. Paulus sagt im Galaterbrief, daß er sofort nach seiner Berufung durch die Schau des Auferstandenen, der ihn auch noch zum Apostel machte (so l.Kor. 15,8 f.), nach Jerusalem „zu den Aposteln, die vor mir [da waren]", hätte gehen können. Er betont aber, daß er das nicht getan, sondern erst drei Jahre später Petrus in Jerusalem aufgesucht habe; „einen andern der Apostel sah ich aber nicht, außer Jakobus, den Herrenbruder" (Gal. 1,17-19). Es ergibt sich aus diesen Worten eindeutig, daß „die Apostel vor ihm" zur Jerusalemer Gemeinde gehörten und daß deren wichtigstes Glied Petrus war. Wen Paulus noch zu den Aposteln gerechnet hat, ist umstritten, aber mit größter Wahrscheinlichkeit läßt sich sagen, daß ihm auch die übrigen Glieder des Zwölferkreises als Apostel galten; da die Zwölf die ersten Auferstehungszeugen nach Petrus waren und sehr früh schon in Jerusalem gewesen sein müssen und da Paulus drei Jahre nach seiner Berufung „die Apostel" in Jerusalem voraussetzt, bei seinem Besuch aber nur Petrus, einen der Zwölf, trifft, läßt sich kaum denken, daß er die Zwölf nicht zu den Aposteln rechnet (vgl. Gal. 1,17-19; l.Kor. 15,5). Ob Paulus in dem mehrdeutigen Sätzchen: „einen andern der Apostel sah ich nicht, außer Jakobus, den Herrenbruder" Jakobus zu den Aposteln rechnet, ist kaum mit Sicherheit zu entscheiden; und ob Barnabas zu den Aposteln gezählt wurde, ist ebenfalls nicht sicher zu sagen (vgl. l.Kor. 9,5 f.; Apg. 14,14). Zweifellos aber gehörten nach Paulus zu den Aposteln uns sonst unbekannte Männer wie die Judenchristen Andronikus und Junias (Rom. 16,7). Der Apostelkreis war also keinesfalls auf die Zwölf beschränkt, er ist dagegen nach der Uberzeugung des Paulus endgültig abgeschlossen, da er l.Kor. 15,7 von einer Erscheinung Christi vor „allen Aposteln" redet, auf die nur noch seine eigene Schau des auferstandenen Christus folgte, die auch ihn noch zum Apostel machte. Läßt sich darum aufgrund der genannten Tatbestände auch nicht mehr sicher sagen, wer alles zu den „Aposteln vor Paulus" gehörte, so läßt Paulus uns eindeutig erkennen, was für ihn das Kennzeichen eines Apostels ist: er muß durch den Auferstandenen selbst zur Mission berufen sein (l.Kor. 9,1; 15,9 f.; Gal. 1,16f.). Nicht einfach die Schau des Auferstandenen macht also zum Apostel (die „500 Brüder" von l.Kor. 15,6 sind keine Apostel!), sondern die besondere Berufung. Wie es zur Entstehung dieses Apostelkreises in der ersten Zeit der Urgemeinde gekommen ist, wissen wir nicht, weil unsere Quellen darüber schweigen, und die Meinungen darüber gehen weit auseinander.

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Deutlich aber ist, daß es die Aufgabe der Apostel war, von der ihnen offenbarten Auferweckung des Jesus von Nazareth Zeugnis abzulegen, und um dieses Zeugnisses von dem Geschehnis der Auferstehung willen mußte man sich an die Urgemeinde halten, in deren Alitte die Apostel zu finden waren. Nun stellt sich freilich Paulus in dieser Hinsicht aufgrund der ihm widerfahrenen Berufung durch den Auferstandenen den Jerusalemer Aposteln gleich und betont darum, daß er die Jerusalemer Apostel zunächst nicht aufgesucht habe. Nach drei Jahren ist er aber dann doch nach Jerusalem gegangen und hat Petrus zwei Wochen lang besucht und daneben auch den Herrenbruder Jakobus getroffen. Auch wenn es nicht sicher ist, daß Paulus durch die Wortwahl in Gal. 1,18 („ich ging nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennen zu lernen") erkennen läßt, daß er von Petrus Informationen erhalten wollte, so liegt die Annahme doch nahe, daß für Paulus der persönliche Umgang mit Petrus auch darum bedeutsam war, weil Petrus als Jünger des irdischen Jesus von diesem Jesus etwas berichten konnte. Wenn Paulus dann Gal. 2,2 erzählt, daß er vierzehn Jahre später den „Geltenden" in der Jerusalemer Gemeinde, zu denen auf alle Fälle außer dem Herrenbruder Jakobus auch die Jünger Jesu Petrus und Johannes gehörten (Gal. 2,9), seine Heidenpredigt vorgelegt habe, „damit ich nicht etwa ins Leere laufe oder gelaufen sei", so findet sich dieser Bericht im Zusammenhang einer Ausführung, in der Paulus die wesentliche Unabhängigkeit seines Apostelamtes von Menschen und vor allem von den Jerusalemer Aposteln nachweisen will (vgl. Gal. 1,1.11; 2,8f. 11). Wenn Paulus trotzdem die Anerkennung seiner gesetzesfreien Evangeliumspredigt durch die „Geltenden" der Jerusalemer Gemeinde für notwendig hält, damit seine Missionsarbeit nicht vergeblich gewesen sei (vgl. zu dem Ausdruck „ins Leere laufen" Phil.2,16!), so läßt sich das nur verstehen, wenn Paulus der Überzeugung war, daß der Zusammenhang mit den „Geltenden" in der Jerusalemer Gemeinde für jede Gemeinde Jesu Christi unerläßlich sei. Da Paulus sein Apostelamt und damit den Auftrag zum Zeugnis von der Auferstehung Jesu Christi vom Auferstandenen selber erhalten hat, kann für ihn die Notwendigkeit des Zusammenhangs mit den „Geltenden" in Jerusalem, zu denen auch die einstigen Jünger Jesu und jetzigen Jerusalemer Apostel gehört haben werden (Petrus und Johannes sind ja genannt!), nur darauf beruhen, daß allein hier die Uberlieferung vom irdischen Jesus zu finden war, auf die jede christliche Gemeinde angewiesen war. Auch wenn die Eingrenzung des Apostelnamens auf die Zwölf, wie sie die Apostelgeschichte ausdrücklich vertritt, eine spätere Beschränkung ist, die uns zum erstenmal im Markusevangelium, also mindestens zwanzig Jahre nach dem Apostelkonzil, begegnet (Mk. 6,7.30 p.), so konnte die Jerusalemer Urgemeinde schon sehr früh den Anspruch erheben, die Gemeinde der Apostel zu sein, die den Zusammenhang mit der Uberlieferung vom irdischen Jesus vermittelte. Die Griechisch sprechende Judenchristenheit hat ebenso wie die Heidenchristenheit diesen Zusammenhang gewahrt, indem sie die apostolische Überlieferung übernahm und von ihren eigenen Glaubenserfahrungen her und für ihre eigenen

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Bedürfnisse formte und weiterbildete. Dieser besondere Charakter der Urgemeinde als der Gemeinde der Apostel Jesu Christi begründet ihre einmalige und für alle Christen unaufgebbare Bedeutung. Dieser besondere Charakter bringt es aber auch mit sich, daß der Untergang der Jerusalemer Urgemeinde im jüdisch-römischen Krieg - 66 n. Chr. wanderten die Jerusalemer Judenchristen nach Pella im Ostjordanland aus und spielten von da an keine wesentliche Rolle mehr - für die inzwischen in den Mittelmeerraum des römischen Reiches vorgedrungene christliche Kirche keine wesentlichen Folgen hatte. „Es liegt nämlich im Wesen des Apostelamtes, einmalig und unübertragbar zu sein" (O. Cullmann), weil nicht die Personen der Apostel und erst recht nicht die „Muttergemeinde" für das spätere Urchristentum bleibend wichtig blieben, sondern die Kunde von Gottes Tat in Jesus von Nazareth und seiner Auferstehung. Diese Tradition hat die heidenchristliche Kirche übernommen und unter Führung des göttlichen Geistes interpretiert und schriftlich niedergelegt und damit den Auftrag der Apostel bewahrt. Am Übergang von der palästinischen apostolischen Gemeinde zum späteren heidenchristlichen Urchristentum steht Paulus, der „Geringste der Apostel" (l.Kor. 15,9) nach seinem eigenen Urteil und doch der erste Theologe des Heidenchristentums. Von ihm allein wissen wir Genaueres über sein theologisches Denken, seine Briefe bilden darum für uns die zeitliche Mitte der neutestamentlichen Theologie.

III.

KAPITEL

Die Theologie des Paulus 1. Die geschichtliche Stellung des Paulus 1.1 Wirkung und Herkunft des paulinischen Denkens Das Neue Testament enthält außer den Evangelien und der Apostelgeschichte eine Anzahl von Schriften in Briefform und die Offenbarung des Johannes. Nicht ganz drei Fünftel dieses nicht erzählenden Teils des Neuen Testaments umfassen die mit dem Verfassernamen des Paulus beginnenden Briefe. Schon dieses numerische Verhältnis erweckt beim Leser des Neuen Testaments den Eindruck, daß Paulus der bedeutendste und einflußreichste Denker des Urchristentums gewesen sei. Und dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß Paulus der einzige unter den Verfassern neutestamentlicher Schriften ist, von dessen Person und Geschichte wir auch außerhalb seiner Schriften etwas mehr erfahren. Das gälte auch dann, wenn der 1. Petrusbrief direkt oder indirekt von Petrus stammte, weil wir über die Wirksam-

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keit des Petrus nach der Zeit seiner führenden Rolle in der Urgemeinde kaum noch etwas wissen. Wenn den 1. Petrusbrief ein heidenchristlicher Verfasser der späturchristlichen Zeit geschrieben hat, was am wahrscheinlichsten ist, so ist uns der Verfasser dieses Briefes sonst ebenso wenig bekannt wie die Verfasser der übrigen „Katholischen Briefe" und der Johannesoffenbarung (vgl. die Einleitungen der Kommentare zu den „Kirchenbriefen" und zu der Offenbarung des Johannes). Aus den Paulusbriefen können wir aber einen wesentlichen Abschnitt der Wirksamkeit des Paulus als Missionar kennenlernen, und die Apostelgeschichte erlaubt es uns, auch wenn sie nicht überall zuverlässig zu berichten vermag, diese Nachrichten in einen zusammenhängenden Rahmen zu stellen. Der große Umfang des paulinischen Briefkorpus und die Einzigartigkeit unseres Wissens um die Person des Paulus heben so die Paulusbriefe aus dem übrigen Neuen Testament heraus und führen zu der Anschauung, daß das theologische Denken des Paulus nicht nur die zeitliche Mitte des Neuen Testaments bildet, sondern die Entwicklung des urchristlichen Denkens entscheidend beherrscht. Als man dann im 19. Jahrhundert begann, die Verkündigung des geschichtlichen Jesus von der Darstellung der Evangelisten zu sondern, und dabei wesentliche Unterschiede zwischen der Theologie des Paulus und der Predigt Jesu zutage traten, verstärkte sich der Eindruck, daß Paulus die entscheidende Rolle bei der Umbildung der Verkündigung Jesu in den Christusglauben der Urkirche gespielt habe. Es war dann nur natürlich, daß man auch die nachpaulinischen Schriften des Neuen Testaments wesentlich daraufhin befragte, inwieweit in ihnen die Gedanken des Paulus weiterwirken oder nicht. Inzwischen hat man freilich erkannt, wie wir schon sahen, daß sehr wesendiche Voraussetzungen des paulinischen Denkens bereits in der palästinischen und vor allem dann auch in der hellenistischen Urgemeinde geschaffen worden sind, und man hat ebenso erkannt, daß Paulus in seinen Briefen mancherlei formulierte Uberlieferungen verwendet, die für ihn Ausgangspunkte seiner theologischen Argumentation bilden. Man ist sich auf der anderen Seite darüber klar geworden, daß es im Neuen Testament und im unmittelbaren zeitlichen Anschluß daran zwar eine ganze Reihe von Schriften gibt, die das theologische Denken des Paulus voraussetzen oder sich direkt als paulinisch ausgeben (Epheserbrief, Pastoralbriefe, Hebräerbrief, 1. Petrusbrief, Ignatius von Antiochia), daß aber zahlreiche Schriften keinerlei paulinischen Einfluß verraten oder sich in irgendeiner Weise gegen Paulus stellen, so die Evangelien und die Apostelgeschichte, der Jakobusbrief, der 2. Petrusbrief, die Johannesbriefe, die Offenbarung des Johannes, der 1. Clemensbrief (trotz seiner Benutzung von Paulusbriefen). Der Eindruck, daß Paulus die Mitte des Neuen Testaments bildet und die Entwicklung des späturchristlichen Christentums entscheidend beeinflußt hat, bewahrheitet sich bei genauerem Zusehen also nicht. Und doch leidet es keinen Zweifel, daß Paulus eine ganz wesentliche Rolle in der Entwicklung des Urchristentums gespielt hat. Das gilt ganz uneingeschränkt für die missionarische Wirksamkeit des Paulus; denn wenn sich

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auch das Christentum unabhängig von Paulus in manchen Teilen des römischen Reiches ausgebreitet hat, wie in Syrien, Ägypten und Rom, so ist Paulus doch nach allem, was wir wissen, der Missionar des Urchristentums gewesen, der das Evangelium mit eindeutiger Entscheidung zu den NichtJuden gebracht und aus dieser Aufgabe die theologischen und praktischen Konsequenzen gezogen hat. Wenn wir das von ihm geäußerte Missionsprinzip, nur zu predigen, wo Christus noch nicht genannt war (Rom. 15,20), ernst nehmen dürfen, so hat er in Kleinasien, Makedonien und Griechenland als erster Christengemeinden gegründet und sich um das richtige Wachstum dieser Gemeinden auch nach seiner Abreise durch die Sendung von Briefen und ζ. T. auch durch seine Gefährten bemüht. Zu dieser kirchengeschichtlich entscheidenden Leistung war Paulus aber darum fähig - und das ist für unseren Zusammenhang das Wichtigere —, weil er ein jüdischer Rabbinenschüler gewesen war und darum der erste theologische Denker des Christentums geworden ist. Darin liegt seine eigentliche Bedeutung, und wenn seine Wirkung im Zusammenhang des Urchristentums und in der ersten Zeit danach geringer gewesen ist, als der erste Eindruck vermuten läßt, so hat die Tatsache, daß seine Briefe sehr früh gesammelt worden sind vermutlich schon am Ende des ersten Jahrhunderts - und von Anfang an zu dem sich bildenden Kanon der christlichen Kirche gehört haben, bewirkt, daß seine theologischen Gedanken vom Ende des 2. Jahrhunderts an das christliche Denken immer wieder beeinflußt und mehrfach entscheidend in eine neue Richtung gelenkt haben. Wenn die Bedeutung des Paulus im Zusammenhang der urchristlichen Gedankenentwicklung also darin liegt, daß er der erste christliche Theologe war, so darf dieser unbestreitbare Tatbestand aber nicht dazu führen, die Paulusbriefe als dogmatische Texte zu lesen und ihnen mit theologischen Fragestellungen zu begegnen, die ihnen fremd sind. Paulus war Theologe, aber als Missionar, und darum ist sein theologisches Denken weitgehend von der Auseinandersetzung mit seinen Gemeinden und mit abweichenden Meinungen bestimmt, die ihm aus den Gemeinden entgegentönen. Schon das bedingt, daß er nicht systematisch, sondern im Zusammenhang der missionarischen Aufgabe reflektiert. Dazu kommt aber für unsere Bekanntschaft mit dem Denken des Paulus noch hinzu, daß uns seine Reflexion nicht in systematischer Darstellung, sondern in Briefen erhalten ist, die für bestimmte Leser und in eine bestimmte Situation hinein geschrieben sind. Das bedeutet einerseits, daß Paulus mit Lesern rechnet, die die Voraussetzungen der vorgetragenen Argumentation kennen und darum auch Anspielungen verstehen können, die wir nicht sicher zu deuten vermögen. Das bedeutet andererseits aber vor allem, daß Paulus seinen Lesern nicht alles zu sagen brauchte, was in einem bestimmten Zusammenhang gesagt werden müßte, und auf viele an sich unentbehrliche Punkte überhaupt nicht zu sprechen kommt, weil sie unumstritten sind und als bei den Lesern anerkannt vorausgesetzt werden können. Es ist darum geboten, bei der Interpretation der Paulusbriefe damit zu rechnen, daß manche Einzel-

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ausführungen unverständlich bleiben müssen und das Fehlen bestimmter Gedanken oder ihre nur ganz gelegentliche Erwähnung keineswegs ohne weiteres besagen, daß diese Gedanken für Paulus unwesentlich gewesen oder etwa von ihm bewußt abgelehnt worden seien. Der Exeget muß vielmehr sorgfältig auf die geschichtliche Situation achten, aus der heraus und in die hinein die einzelnen Gedankengänge geschrieben worden sind, und auch für die Möglichkeit offen sein, daß sich einzelne Anschauungen des Paulus im Zusammenhang seiner Wirksamkeit gewandelt haben. Und noch eine weitere geschichtliche Voraussetzung des theologischen Denkens des Paulus muß in Betracht gezogen werden, wenn man Paulus sachgemäß interpretieren will. Paulus war ja zunächst ein überzeugter Pharisäer gewesen, der in Jerusalem Schüler eines bekannten Rabbi war (Phil. 3,5; Gal. 1,14; Apg.22,3), aber ebenso ein Diasporajude (Apg.22,3), der zum mindesten insoweit von der hellenistischen Bildung Kenntnis hatte, wie es sich aus dem Verkehr mit Nichtjuden in einer hellenistischen Stadt von selber ergab, vgl. nur das Zitat aus Menander in 1.Kor. 15,33 und den Hinweis auf die Sportsitten in l.Kor.9,24f. Es ist darum damit zu rechnen, daß Paulus bei seinen theologischen Formulierungen sowohl palästinischjüdische wie hellenistisch-jüdische wie hellenistisch-heidnische Begriffe und Vorstellungen verwendet, und das ist in der Tat der Fall. Darum ist es zweifellos verkehrt, die Theologie des Paulus einseitig von einer dieser geschichtlichen Voraussetzungen aus zu erklären, zumal palästinisches und hellenistisches Judentum durchaus nicht streng getrennte Größen darstellten. Es ist aber im einzelnen schwierig zu entscheiden, von welchen religionsgeschichtlichen Voraussetzungen Paulus in einem bestimmten Zusammenhang ausgeht, und manche exegetische Frage bleibt darum nicht sicher beantwortbar. 1.2 Die Quellen

Auch die Frage, welche Quellen zur Darstellung der paulinischen Theologie verwendet werden können, ist umstritten. Daß der Verfasser der Apostelgeschichte nur eine sehr ungenaue Anschauung vom Denken des Paulus hat und ihm mehrfach in den dem Paulus zugeschriebenen Reden Gedanken in den Mund legt, die sich mit paulinischen Grundgedanken nicht vertragen (vor allem in der Areopagrede, Apg. 17,22ff.), kann freilich ernstlich nicht zweifelhaft sein, so daß die Paulusreden der Apostelgeschichte für die Darstellung der Theologie des Paulus als Quellen nicht in Frage kommen. Andererseits gehen die Meinungen darüber sehr auseinander, wie viele von den dreizehn unter dem Namen des Paulus im Neuen Testament überlieferten Briefen auf Paulus zurückgehen und darum von uns als Quellen für die Theologie des Paulus verwendet werden können. Am eindeutigsten weichen von den übrigen Paulusbriefen die sog. „Pastoralbriefe", d.h. die Briefe an Timotheus und Titus, ab, und zwar gerade in der religiösen Terminologie und den theologischen Grundgedanken, so daß diese Briefe

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schwerlich Paulus zum Verfasser haben können; auch die im Kommentar zu den Pastoralbriefen vertretene Annahme, ein Sekretär des Paulus habe die Briefe nach den Anweisungen des Paulus geschrieben, kann die tiefgreifenden sachlichen Differenzen zwischen den Pastoralbriefen und Paulus nicht erklären. Sehr wahrscheinlich ist ebenso über den Epheserbrief zu urteilen. Denn in diesem an keine bestimmte Gemeinde gerichteten Schreiben, das in ungewöhnlicher Weise Gedanken und Formulierungen des Kolosserbriefs übernimmt und umbildet, findet sich nicht nur eine von dem Sprachgebrauch des Paulus stark abweichende Sprache, sondern der theologische Gehalt des Briefes, vor allem in der Einschätzung der Kirche und der Apostel und in dem Fehlen der echten Endzeiterwartung, steht in so starker Spannung zu Paulus, daß auch dieses Schreiben nicht von Paulus abgefaßt sein kann (s. die Einleitung zum Epheserbrief im Kommentar zu den kleineren Briefen des Apostels Paulus). Auch die paulinische Herkunft des Briefes an die Kolosser und des 2. Thessalonicherbriefes wird von manchen Forschern angezweifelt. Die dafür vorgebrachten Argumente (s. die Einleitung zu den beiden Schreiben im Kommentar zu den kleineren Briefen des Apostels Paulus) sind aber m.E. keineswegs zwingend, und obwohl gewisse Schwierigkeiten bleiben, wird man doch diese béiden Briefe als von Paulus stammend ansehen dürfen. D . h . es stehen uns als Quellen für die Darstellung der Theologie des Paulus neun Paulusbriefe zur Verfügung (Römerbrief, 1. und 2. Korintherbrief, Galaterbrief, Philipperbrief, Kolosserbrief, 1. und 2. Thessalonicherbrief, Philemonbrief), die zwischen den Jahren 50 und 60 geschrieben worden sind. Daß die Thessalonicherbriefe die ältesten dieser Briefe sind, ist sicher, und von den übrigen Briefen, soweit sie sicher datierbar sind, ist der Römerbrief zweifellos der letzte, etwa sechs Jahre später geschrieben als die etwa im Jahre 50 abgefaßten Thessalonicherbriefe. Dazwischen sind die Korintherbriefe anzusetzen, auch der Galaterbrief gehört in diese Zwischenzeit, und es spricht vieles dafür, daß er etwa zur gleichen Zeit wie der 2. Korintherbrief geschrieben ist. Dagegen ist sehr umstritten und schwerlich sicher zu entscheiden, ob die aus einer Gefangenschaft des Paulus stammenden Briefe an die Philipper, Kolosser und Philemon auch aus den Jahren 50 bis 56 stammen und dann während einer ephesinischen Gefangenschaft geschrieben sein müßten, oder in einer späteren Gefangenschaft, nach der Entstehung des Römerbriefs, in Caesarea oder Rom geschrieben sind. Angesichts dieser Unsicherheit ist es aber auch nicht möglich, diese Briefe als Zeugnisse für eine Spätform des paulinischen Denkens zu benutzen. Wir kennen vielmehr schriftliche Äußerungen des Paulus nur aus der kurzen Reihe von Jahren seiner Wirksamkeit in Europa und dem westlichen Kleinasien (aus sechs, höchstens zehn Jahren), und weder in die Entstehung seines Denkens - seine Berufung liegt etwa achtzehn Jahre vor den ältesten erhaltenen Briefen - noch in etwaige Entwicklungen seiner Theologie erlauben uns die Quellen eine sichere Einsicht.

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2. Die Gegenwart der Heilszeit Wenn man die verschiedenen Formen theologischen Denkens im Neuen Testament nach ihrem eigenen inneren Zusammenhang und nicht aufgrund eines von außen an sie herangetragenen Schemas darstellen will, muß man jeweils nach dem die betreffende theologische Denkform beherrschenden Grundanliegen fragen. War für Jesus die Verkündigung von der nahen Gottesherrschaft der - auch von den Evangelisten herausgehobene - Ausgangspunkt, so ist der Ausgangspunkt des Paulus mit dieser Grundanschauung Jesu nahe verwandt. Das ist allerdings eine Einsicht, die sich nicht auf den ersten Blick darbietet und die darum nicht allerseits anerkannt ist. Paulus selber faßt ja den Glauben des Christen dahin zusammen: „Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden" (Rom. 10,9) und sagt von seiner Predigt: „Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten" (l.Kor. 1,23). Diese Sätze besagen doch, daß die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus das wichtigste Anliegen der paulinischen Verkündigung ist. Andererseits hat die Neuentdeckung der biblischen Heilsbotschaft durch Martin Luther an die Einsicht angeknüpft, daß Paulus nicht den zornigen Gott, sondern die Gerechtsprechung des Sünders durch Gott aus Gnaden aufgrund des Glaubens verkündige, und man hat darum sicherlich mit Recht diesen Gedanken des Paulus „die Mitte der paulinischen Botschaft" genannt (H.D.Wendland). Trotzdem ist weder die Predigt vom Kreuz und der Auferstehung des Herrn Jesus Christus noch die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben allein der sachgemäße Ausgangspunkt für eine geschichtlich zutreffende Darstellung der paulinischen Theologie. Sowohl die Christusbotschaft wie die Heilslehre des Paulus lassen sich vielmehr nur richtig verstehen, wenn man sieht, was vor allem A. Schweitzer gezeigt hat, daß Paulus grundlegend die Gegenwart als die Zeit des beginnenden endzeitlichen Heilshandelns Gottes sieht, mit anderen Worten, wenn man erkennt, daß Paulus wie Jesus vom Glauben an die Nähe der endzeitlichen Heilsvollendung ausgeht. 2.1 Die E r w a r t u n g der nahen Heils Vollendung Dieser Sachverhalt fällt freilich nicht sofort so eindeutig in die Augen wie bei Jesus, weil Paulus den für Jesus so wesentlichen Begriff der Gottesherrschaft nur selten gebraucht. Freilich setzt Paulus an einigen Stellen, wo der Begriff der Gottesherrschaft bei ihm begegnet, deutlich voraus, daß der Eingang in die Gottesherrschaft ein mit dem Endgericht zusammenfallendes zukünftiges Geschehen ist: „Diejenigen, die solches tun, werden die Gottesherrschaft nicht erben" (Gal. 5,21; ähnlich l.Kor. 6,9 f.; 15,50); die gegenwärtige Geduld und der Glaube der Christen sind ein „Hinweis auf das gerechte Gericht Gottes, damit ihr der Gottesherrschaft gewürdigt werdet" (2.Thess. 1,5). Alle diese Stellen zeigen, daß auch nach der Meinung des Paulus den Christen die Teilhabe an der kommenden Gottesherrschaft und

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damit an Gottes Herrlichkeit verheißen ist („damit ihr würdig wandelt des Gottes, der euch beruft in seine Herrschaft und Herrlichkeit", l.Thess.2,12). Aber diese Hinweise auf die kommende Gottesherrschaft sind nicht nur selten, sondern es finden sich daneben bei Paulus auch einige Aussagen über die Gottesherrschaft, bei denen man der Meinung sein kann, Paulus wolle mit diesem Begriff die gegenwärtige Existenz des Christen beschreiben: „Die Gottesherrschaft ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist" (Rom. 14,17); „nicht im Wort [zeigt sich] die Gottesherrschaft, sondern in Kraft" (1.Kor. 4,20); die drei Judenchristen Aristarchos, Markos und Jesus Justos „sind allein Mitarbeiter an der Gottesherrschaft" (Kol.4,11). Nun ist es freilich keineswegs sicher, daß an diesen Stellen an die gegenwärtige Existenz der Gottesherrschaft und nicht vielmehr an das Vorauswirken der zukünftigen Gottesherrschaft in die Gegenwart gedacht ist; aber ob man so oder so interpretiert, diese Stellen zeigen auf alle Fälle, daß die Gottesherrschaft für Paulus, ähnlich wie für Jesus, nicht nur eine Sache der Hoffnung ist. Wenn Paulus also den Begriff der Gottesherrschaft nur selten verwendet, so ist sein Vorkommen immerhin ein Hinweis darauf, daß auch für ihn die Erwartung des zukünftigen Heilshandelns Gottes wesentlich ist, und es läßt sich in der Tat leicht beobachten, daß Paulus in allen seinen Briefen, abgesehen von dem kleinen Philemonbrief, auf das nahe Ende oder das kommende Endgeschehen verweist. Im ältesten der erhaltenen Briefe ist nicht nur von dem plötzlichen Kommen des (Jüngsten) „Tages" wie „ein Dieb in der Nacht" die Rede, sondern Paulus rechnet deutlich damit, daß der auferstandene Herr bei seiner Parusie „vom Himmel herabsteigen wird, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, dann werden wir Lebenden, die noch übrig geblieben sind, zusammen mit ihnen auf Wolken entrückt werden . . . " (l.Thess.5,2.4; 4,15-17). Erwartet hier Paulus eindeutig, die „Parusie", d.h. die Ankunft des Herrn am Ende der Tage, bei seinen Lebzeiten zu erleben, so ist das im l.Korintherbrief nicht anders: „Der Zeitraum ist zusammengedrängt" (7,29); die letzte Posaune „wird blasen, und die Toten werden unvergänglich auferweckt werden, und wir werden verwandelt werden" (15,52). Während der Galaterbrief, der 2.Korintherbrief und der Kolosserbrief nur vom kommenden Tag des Herrn, von der Erscheinung des Herrn, von der kommenden Auferweckung der Toten und vom kommenden Erben der Gottesherrschaft sprechen (2.Kor. 1,14; 4,14; Gal.6,9; Kol.3,4), ohne auf die zeitliche Nähe dieser endzeitlichen Ereignisse ausdrücklich zu verweisen, heißt es in dem zeitlich nicht sicher anzusetzenden Philipperbrief: „Der Herr ist nahe" (4,5). Im Römerbrief aber, der auf alle Fälle später als der 2. Korintherbrief und der Galaterbrief geschrieben ist, sagt Paulus wieder deutlich, daß „unser Heil jetzt näher ist als damals, als wir zum Glauben kamen", und erwartet die Endereignisse so unmittelbar nahe, daß er formulieren kann: „Diese [die ungläubigen Juden] waren jetzt ungehorsam gegenüber dem euch erwiesenen [göttlichen] Erbarmen, damit auch sie jetzt Erbarmen erhalten" (13,11; 11,31). Daneben zeigt Paulus immer

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wieder, daß er den Gerichtstag (Rom. 2,5; 13,12; l.Kor.3,13; 5,5) oder den Tag der Erscheinung Christi (Phil. 1,6; 3,20; l.Thess.2,19; 3,13; l.Kor. 15,23), den Empfang des Heils (Röm.5,9; 11,26; l.Kor.3,13.15), die Auferweckung der Toten in Christus (l.Kor. 6,14; 15,22; 2.Kor.4,14; Rom. 8,11) und das „Sein mit Christus" (l.Thess.4,17; 5,10; 2.Kor.l3,4), aber auch das endgültige Verderben (Rom.2,12; 8,13; 2.Thess.2,10; Gal. 6,7-9) von der nahen Zukunft erwartet. Dementsprechend finden sich bei Paulus zwar seltene, aber doch deutliche Hinweise auf die erwarteten Endzeitereignisse (l.Thess. 4 , 1 5 - 1 7 ; 2.Thess. 2 , 3 - 1 0 ; l.Kor. 1 5 , 2 2 - 2 8 . 5 1 - 5 3 ; 2.Kor. 5,1-4.10). Auf die Bedeutung dieser im engeren Sinn apokalyptischen Endzeitvorstellungen für Paulus werden wir zurückkommen müssen (s. u. S. 209ff.); darüber kann aber nach all diesen Texten kein Zweifel sein, daß Paulus in seinem Denken grundlegend bestimmt ist durch die Erwartung der nahen Heilsvollendung. 2.2 Die Gegenwart des Heils Daneben findet sich nun bei Paulus aber ebenso betont die Überzeugung, daß die Gegenwart bereits Heilszeit sei: „Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe jetzt ist der Tag des Heils" (2.Kor.6,2). Jetzt ist die vom Gesetz und den Propheten bezeugte Gottesgerechtigkeit offenbart worden, jetzt haben wir durch Christus die Versöhnung empfangen, „jetzt besteht keine Verurteilung für die [Menschen] in Christus Jesus" mehr, jetzt ist das vor den Äonen und Geschlechtern verborgene Geheimnis den Heiligen Gottes geoffenbart worden (Röm.3,21; 5,11; 8,1; Kol. 1,26). Dementsprechend wird die Gegenwart als die erfüllte Zeit bezeichnet, in der Gott seinen Sohn sandte (Gal. 4,4), und für die Christen gilt, daß zu ihnen „die Enden der Äonen gelangt sind" (l.Kor. 10,11). Von den Christen wird darum gesagt: „Ihr seid gerecht gesprochen im Namen des Herrn Jesus Christus", „Wir sind auf Hoffnung hin gerettet", „Christus hat uns zur Freiheit frei gemacht" (l.Kor.6,11; Rom.8,24; Gal.5,1). Gottes Handeln in Christus in der Vergangenheit hat also nach Paulus bereits endzeitliches Heil wirksam werden lassen, mit der Sendung Christi ist die Heilszeit angebrochen. Freilich ist diese Heilsgegenwart nur vorläufig, und Paulus betont nicht nur, daß „wir auf Hoffnung hin gerettet sind" (Rom. 8,24), sondern sagt von sich auch: „Ich urteile über mich nicht, daß ich ergriffen habe" (Phil. 3,13) und spricht von der Christengemeinde als von „solchen, die die Erstlingsgabe des Geistes haben" und von denen zugleich gilt: „Wir seufzen bei uns, indem wir auf die Erlösung unseres Leibes warten" (Rom. 8,23). Es kann darum keinen Zweifel leiden, daß Paulus mit der sicheren Erwartung, daß die Zeit des Endheils mit der Erscheinung des Christus in Bälde kommen wird, die Gewißheit verbindet, daß durch Gottes Handeln in Christus das Endzeitheil schon begonnen hat. Paulus hat also die eschatologischen Erwartungen des zeitgenössischen Judentums übernommen, sie aber im Anschluß an den urgemeindlichen

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Glauben an die Auferweckung Jesu Christi dahin umgebildet, daß sich ein widersprüchliches Miteinander von Zukunftserwartung und Glauben an das gegenwärtige Endzeitheil ergibt. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn wir auf die Zeitbegriffe achten, die Paulus zur Beschreibung der Gegenwart verwendet. Paulus nimmt aus dem Judentum den Gegensatz von „dieser Weltzeit (diesem Äon)" und der „kommenden Weltzeit" auf. Er spricht mehrfach von „diesem Äon" als einer gegenwärtigen Wirklichkeit, in der der Christ lebt und die ihn bedroht (Rom. 12,2; l.Kor. 1,20; 3,18; ähnlich „die jetzige Zeit", Rom. 8,18), und er nennt ausdrücklich die „Weltelemente" und den Satan die Herren bzw. den Gott dieses Äons (Gal. 4,3.9; Kol. 2,20; 2. Kor. 4,4). Im gleichen Sinn kann Paulus von „dieser Welt [diesem Kosmos]" reden (l.Kor. 3 , 1 9 ; 1,20; 5,10) und ausdrücklich betonen: „Die Gestalt dieser Welt vergeht" (l.Kor. 7,31). Er betrachtet also wie das apokalyptische Judentum die Gegenwart als Teil der vergehenden Weltzeit, die Gott entfremdet ist („der Gott dieses Äons hat die Gedanken der Ungläubigen verblendet", 2.Kor.4,4), und diese Weltzeit kann darum als „der gegenwärtige böse Äon" (Gal. 1,4) bezeichnet werden. Auffällig ist dann freilich, daß Paulus vom „kommenden Äon" nicht redet, sondern die erwartete Heilszukunft „Gottesherrschaft" (Gal. 5,21; l.Kor. 15,50), „Ankunft [Parusie] Christi" (l.Kor. 15,23; l.Thess.2,19; 3,13; 4,15; 5,23; 2.Thess.2,1.8f.), „Offenbarung des Herrn" (l.Kor. 1,7; 2.Thess. 1,7); „Offenbarung der Gottessöhne" (Rom. 8,19), „Offenbarung der kommenden Herrlichkeit" (Rom. 8,18) nennt. Das zeigt deutlich, daß Paulus nicht an einer apokalyptischen Zeiteinteilung interessiert ist, sondern an dem durch Christus bewirkten Endheil. Darum kann Paulus von der Gegenwart nicht nur sagen, daß sie zum vergehenden bösen Äon gehört, sondern er kann auch bekennen: „Jesus Christus hat sich für unsere Sünden gegeben, damit er uns herausreiße aus dem gegenwärtigen bösen Äon nach dem Willen Gottes und unseres Vaters" (Gal. 1,4) und dementsprechend von den Christen erklären: „[Gott] hat uns aus der Macht der Finsternis errettet und versetzt in die Herrschaft seines geliebten Sohnes" (Kol. 1,13). Darum können die Christen aufgefordert werden: „Gestaltet euch diesem Äon nicht gleich!" (Rom. 12,2), aber es besteht für sie ebenso die Gefahr, trotz ihres Gestorbenseins gegenüber den Weltelementen sich zu verhalten, „als lebten sie in der Welt" (Kol. 2,20). Auch von hier aus ist also deutlich, daß für Paulus der gegenwärtige böse Äon noch existiert und eine Gefahr bedeutet, daß die entscheidende Tat Gottes in Christus zur Überwindung dieses Äons aber geschehen ist und daß die Christen aufgrund dieser Gottestat befreit sind von den Mächten des gegenwärtigen Äons und schon jetzt in der Herrschaft Christi leben können. Paulus geht also deutlich von der Grundanschauung aus, daß seine Gegenwart entscheidend bestimmt ist durch die Sendung Christi, seinen Tod und seine Auferstehung, die Gottes endzeitliches Handeln eingeleitet haben. Das Christusgeschehen bewirkt den grundlegenden Einschnitt in Gottes Handeln gegenüber der Welt, weil die endzeitliche Herrschaft des 9

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Christus angebrochen ist, obwohl der gegenwärtige böse Äon noch andauert und die Erscheinung Christi in Herrlichkeit und damit der Anbruch der Gottesherrschaft in Herrlichkeit noch ausstehen. Für Paulus ist das Weltgeschehen darum nicht wie für die Griechen ein sich wiederholender Kreislauf, sondern er sieht die Geschichte von Gott ausgehen und auf ein göttliches Ziel zulaufen, das das Ende des Weltgeschehens bedeutet: „Aus ihm und durch ihn und zu ihm hin ist das All" (Rom. 11,36); „Für uns [gibt] es einen Gott, den Vater, aus dem das All [kommt] und wir zu ihm hin" (1.Kor. 8,6); „Dann das Ende, wenn [Christus] die Herrschaft Gott und dem Vater übergibt" (l.Kor. 15,24). Dieses auf Gottes Ende zulaufende Weltgeschehen ist aber auch nicht in mehrere Perioden eingeteilt, wie in der jüdischen Apokalyptik, sondern hat seinen Wendepunkt ausschließlich in Christus, den Gott gesandt hat, „als die Fülle der Zeiten gekommen war" (Gal.4,4), und in dem „die ganze Fülle [Gottes] zu wohnen und durch ihn das All auf ihn [Christus] hin zu versöhnen beschloß" (Kol. 1,19f.). 2.3 Adam und Christus In zweierlei Weise sieht nun Paulus dieses durch das Handeln Gottes in Christus eingeleitete Endgeschehen mit der Geschichte vor Christus verbunden. Einmal stellt er Adam und Christus in Parallele: Als zu Adam Gehörige müssen alle Menschen, weil sie alle sündigen, sterben (Rom. 5, 12.15.18); „Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden" (l.Kor. 15,22); „Wie wir das Bild des irdischen [Menschen] getragen haben, werden wir auch das Bild des himmlischen [Menschen] tragen" (l.Kor. 15,49). Hier ist deutlich die Menschheit vor Christus als zu Adam gehörige Einheit nur in der Auswegslosigkeit der Todesverfallenheit und insofern ausschließlich in ihrer Gottferne und Verlorenheit gesehen; das Kommen Christi bedeutet im Zusammenhang dieser Vorstellung die Erscheinung des göttlichen Lebens: „Wenn durch die Übertretung des Einen der Tod durch den Einen seine Königsherrschaft antrat, wieviel mehr werden die, die das Ubermaß der Gnade und der Gerechtigkeitsgabe erhalten haben, im Leben Königsherrschaft ausüben durch den einen Jesus Christus" (Rom. 5,17). Aber diese fast naturhafte und scheinbar ein bloßes Verhängnis der vorchristlichen Menschheit beschreibende Vorstellung wird von Paulus in mehrfacher Weise durchbrochen. Zunächst ist nach Paulus die Herrschaft des Todes über die Menschheit in Adam auch seit Christi Kommen keineswegs aufgehoben; auch die Christen müssen bis zur Parusie noch sterben wie alle anderen Menschen: „Wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn" (Rom. 14,8; vgl. Phil. 1,21; l.Thess.4,13; l.Kor. 11,30; 15,6.18). Erst wenn der Christus erscheint, „wird als letzter Feind der Tod vernichtet" (l.Kor. 15,26). Die Herrschaft des Todes über die Menschheit geht also noch weiter, wie der alte Äon noch weiter geht. Ferner ist das Verfallensein der Adamsmenschheit η das Todesschicksal zwar allgemein, aber der Tod trifft alle

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Menschen, „weil sie alle sündigten" (Röm.5,12d, s.u.S. 159 f.). Der Tod jedes Menschen ist also die Folge der Sünde jedes einzelnen und damit seiner Schuld (vgl. Röm. 3,19.20a). Vor allem aber fügt Paulus in die Gegenüberstellung der von Adam herkommenden Menschheit und der Menschheit seit Christus das Gesetz des Mose als „zwischenhinein gekommen" ein: erst durch das Kommen des Mosegesetzes wird das sündige Verhalten der Menschen zur Schuld, werden die Menschen wirklich zu im Übermaß schuldigen Übertretern (Röm.5,13.14a.20). D.h. Paulus durchbricht die wie ein naturhaftes Verhängnis erscheinende und das geschichtliche Handeln Gottes bis zu Christus außer acht lassende Gegenüberstellung von Adam und Christus durch einen Hinweis auf das dazwischengekommene Gesetz des Mose und zeigt damit, daß für ihn die Zeit zwischen Adam und Christus nicht einfach nur als der Zeitraum beschrieben werden kann, in dem alle Menschen als Sünder dem Tode verfallen waren. 2.4 Die Geschichte Israels und das Christusgeschehen Paulus sieht nämlich noch auf eine zweite Weise das Endgeschehen mit der Geschichte vor Christus verbunden. Die Sendung Christi, als die Zeit erfüllt war, bedeutet das Offenbarwerden der Gottesgerechtigkeit ohne Gesetz (Gal. 4,4). Dieses Endzeithandeln Gottes aber ist „bezeugt vom Gesetz und den Propheten" (Röm. 3,21; vgl. Röm. 1,2). Wie hier die Frommen der alttestamentlichen Geschichte als die Menschen erscheinen, die auf Gottes endzeitliche Heilstat vorausweisen, so sagt Paulus, daß bestimmte Ereignisse der israelitischen Geschichte „jenen [Menschen] vorbildhaft widerfuhren", daß diese Ereignisse „aber uns zur Mahnung aufgeschrieben wurden, zu denen die Enden der Äonen gekommen sind" (1.Kor. 10,11). Ganz entsprechend heißt es, nachdem Paulus die alttestamentliche Aussage (l.Mos.15,6) über den Glauben Abrahams angeführt hat, der ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wurde: „Nicht allein um seinetwillen ist es geschrieben worden, daß ,ihm angerechnet wurde', sondern auch um unsertwillen, denen es angerechnet werden soll, die wir glauben an den, der Jesus, unsern Herrn, von den Toten erweckt hat" (Röm.4,23f.). Bestimmte Geschehnisse der alttestamentlichen Geschichte werden also als Vorausbildungen der Christusereignisse bezeichnet und sind nach Gottes Willen um der Christen willen aufgeschrieben worden. Dem entspricht schließlich auch, daß das wunderbare Ereignis des dem Volke Israel in der Wüste folgende wasserspendenden Felsens nach Paulus mit dem Christusgeschehen zusammenhängt: „Der Fels aber war Christus" (l.Kor. 10,4). Dieser von Paulus an Beispielen aufgewiesenen Vorbereitung des endzeitlichen Christusheiles in Ereignissen der Geschichte Israels entsprechen nun zwei Linien dieser Geschichte, die Paulus auf Christus hin auszieht. Abraham erscheint als der Glaubende, der aufgrund seines Glaubens gerechtfertigt und dem verheißen wurde, daß alle Glaubenden, ob Juden oder Heiden, wie er aufgrund ihres Glaubens gerechtfertigt werden sollen: „Die 9*

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Schrift sah aber voraus, daß Gott die Heiden aus Glauben rechtfertige, und verkündete dem Abraham im voraus die frohe Botschaft, daß ,in dir alle Völker gesegnet werden sollen'. Daher werden die [Menschen] aus Glauben zusammen mit dem glaubenden Abraham gesegnet" (Gal.3,8f.); Abraham „ist der Vater aller, die als Unbeschnittene glauben, so daß ihnen die Gerechtigkeit angerechnet wird, und der Vater der Beschnittenen, die nicht nur beschnitten sind, sondern auch in den Fußtapfen des Glaubens unseres Vaters Abraham wandeln, den er als [noch] Unbeschnittener hatte" (Rom. 4,11 f.). Paulus erwähnt keine weiteren Menschen, die vor dem „Kommen" des Glaubens (Gal. 3,23) wie Abraham glaubten, und man hat daraus folgern wollen, daß für Paulus Abraham nur ein zeitloses Beispiel sei und nicht eine Gestalt der israelitischen Vorgeschichte der Christusoffenbarung. Das stimmt aber darum nicht, weil Paulus deutlich damit rechnet, daß den Juden die göttlichen Verheißungen anvertraut wurden und daß „manche ihnen nicht glaubten" (Rom. 3,3), aber doch keineswegs alle ungläubig waren. Außerdem sondert Paulus in Rom. 9,7 f. ausdrücklich aus der Gesamtheit der fleischlichen Abrahamsnachkommen („nicht weil sie Samen Abrahams sind, sind sie alle Kinder") diejenigen aus, die „Kinder der Verheißung" sind und darum wirklich von Gott als „Israel" anerkannt werden. Auch setzt die Aussage „Gott hatte an der Mehrzahl von ihnen kein Wohlgefallen" (l.Kor. 10,5), vom israelitischen Volk in der "Wüste gesagt, voraus, daß nicht alle Israeliten der Wüstenzeit zu denen gehörten, an denen Gott kein Wohlgefallen hatte. Paulus sieht also von Abraham an durch die Geschichte Israels ein vorbereitendes Heilshandeln Gottes sich vollziehen, das „um unsertwillen aufgeschrieben ist" (Rom. 4,23) und „zu unserer Belehrung" oder „zu unserer Mahnung" vorher geschrieben wurde (Rom. 15,4; l.Kor. 10,11), ohne daß dieses vorbereitende Heilshandeln Gottes als ein kontinuierliches Geschehen beschrieben wird. Neben dieser Linie von Abraham zu Christus und den Christen zieht nun Paulus eine zweite Linie von Mose zu Christus, und diese Linie ist rein negativ. „Das Gesetz ist nebeneingekommen, um die Übertretung zu mehren" (Rom. 5,20); „Ehe der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz gefangen, eingeschlossen bis zu dem Glauben, der offenbart werden sollte. Daher war das Gesetz unser Aufseher bis zu Christus" (Gal.3,23f.). Die Bundschließung vom Berge Sinai führte in die Sklaverei (Gal. 4,24). Aber wenn auch „das Gesetz [nur] Zorn bewirkt" (Rom. 4,15), weil „aus Werken des Gesetzes kein Fleisch vor ihm [Gott] gerecht gesprochen werden wird" (Rom. 3,20), so weist auch dieses Unheilsgeschehen auf das endzeitliche Christusheil voraus, weil „das Gesetz unser Aufseher war bis Christus, damit wir aus Glauben gerechtgesprochen würden" (Gal. 3,24), und weil „Christus das Ende des Gesetzes" ist (Rom. 10,4). Es ist also deutlich, daß Paulus alle Linien des göttlichen Handelns seit der Schöpfung auf Christus hinlaufen sieht und daß darum für ihn das Christusgeschehen den Beginn des von jeher geplanten göttlichen Endzeitheils darstellt. Da Paulus aber zugleich daran festhält, daß der vergehende

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böse Äon noch nicht zu Ende ist, ergibt sich seine eigentümliche Grundanschauung, daß der alte Äon noch existiert und die Endzeit doch schon begonnen hat. Aus diesem Sachverhalt wird deutlich, daß Paulus die überlieferte jüdische Vorstellung von den beiden einander ablösenden Äonen in paradoxer Weise umgebildet hat. Er entwirft keine spekulative Geschichtsperiodisierung, sondern sieht seine Gegenwart von dem Glauben her, daß Gott seinen Sohn sandte, als die Zeit erfüllt war, „damit wir die Einsetzung zu Söhnen empfingen" (Gal.4,4f.). D.h. Paulus hat im Glauben erkannt, daß „jetzt der Tag des Heils" ist (2.Kor.6,2), aber weiß ebenso, daß „die Zeit zusammengedrückt ist" und „die Gestalt dieser Welt vergeht" (l.Kor.7,29.31). Und darum ist er überzeugt, daß schon im vergehenden Äon die Endzeit begonnen hat. Man könnte also sagen, daß für den Glauben des Paulus die beiden Äonen in seiner Gegenwart zusammen existieren, daß die Zeit zwischen der Auferstehung Christi und seiner Parusie ein „Interim" darstellt, dessen Ende der Glaubende herbeisehnt. Gottes endzeitliches Heilshandeln hat diese Wirklichkeit herbeigeführt, und Paulus sieht daher das Sein des Christen von dieser Situation einer „Zwischenzeit" her bestimmt. Das theologische Denken des Paulus ist darum bemüht, das Christusgeschehen als Endzeitgeschehen innerhalb der vergehenden Weltzeit zu begreifen und die Existenz des Christen von da aus zu beschreiben. 2.5 Das Berufungserlebnis des Paulus Daß damit die das theologische Denken des Paulus beherrschende Grundanschauung richtig beschrieben ist, zeigt ein Blick auf das Berufungserlebnis des Paulus. Wir wissen über die sog. „Bekehrung" des Paulus nur aus wenigen Andeutungen seiner Briefe (Gal. 1,12-16; l.Kor. 9,1; 15,8; Phil. 3,6f.; vielleicht 2.Kor.4,6), da die drei Berichte der Apostelgeschichte höchstens für das äußere Geschehen ergänzende Nachrichten hinzufügen (Apg. 9,1-19; 22,4-16; 26,9-18). Die übliche Bezeichnung der Berufungserfahrung des Paulus als „Bekehrung" ist freilich mißverständlich, weil Paulus auch vor diesem Erlebnis ein streng gesetzestreuer Jude gewesen war, der sich keinerlei Vorwürfe zu machen brauchte (Phil. 3,6), und weil Paulus ja als Christ am Gott der Väter festhielt (Rom. 15,8). Paulus sieht auf seine vorchristliche Zeit als auf eine Zeit zurück, die für ihn damals „Gewinn" bedeutete (Phil. 3,7), und weiß nichts davon, daß er an seiner jüdischen Gesetzesfrömmigkeit irgendwie irre geworden oder sonst für eine freundlichere Stellungnahme Jesus gegenüber vorbereitet gewesen wäre. Er sagt vielmehr von seiner jüdischen Zeit: „ich war ein übermäßiger Eiferer für meine väterlichen Überlieferungen" (Gal. 1,14), und das bedeutet, daß er sich darum gemüht hatte, durch strenge Befolgung des pharisäisch interpretierten Gesetzes „gemäß der Gerechtigkeit aufgrund des Gesetzes untadelig" vor Gott dazustehen (Phil.3,6). Die Christen aber behaupteten im Widerspruch zum Gesetz, daß ein gekreuzigter Mensch, der nach dem Gesetz von Gott verflucht war (5.Mos. 21,23 wird in Gal. 3,13 in diesem Sinne angeführt),

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von Gott auferweckt worden sei: „Er wurde gekreuzigt aus Schwachheit, aber er lebt aus Gottes Kraft" (2.Kor. 13,4). Paulus bezeichnet noch als Christ die Predigt vom gekreuzigten Messias als „Gegenstand der Entrüstung für die Juden" (l.Kor. 1,23), und diese Entrüstung hat ihn dazu veranlaßt, daß er „im Ubermaß die Kirche Gottes verfolgte und bedrängte" (Gal. 1,13; vgl. l.Kor. 15r9). Angesichts seines gewalttätigen Widerstands gegen Gottes Handeln in Christus ist es nach dem Urteil des Christen Paulus ein Zeichen reiner göttlicher Gnade, daß es Gott „gefiel, seinen Sohn mir zu offenbaren" (Gal. 1,15f.) und ihn zum Apostel zu berufen (l.Kor. 15,9f.). Uber dieses Offenbarungserlebnis bei Damaskus sagt Paulus nur: „Christus wurde von mir gesehen" (l.Kor. 15,8; vgl. 9,1), und diese Schau des Auferstandenen überzeugte ihn davon, daß Gott den aus dem Samen Davids geborenen Menschen Jesus zum Sohn Gottes in Macht eingesetzt hatte (Rom. 1,3 f.), daß die Predigt der Christen trotz ihres für Paulus bis dahin lästerlichen Charakters also recht hatte. Jetzt wußte Paulus, daß Gott seinen Sohn in der Tat gesandt hatte, als die Zeit erfüllt war, daß Christus auferweckt war als der Erstgeborene von den Toten (Kol. 1,18; Rom.8,29). Mit diesem Glauben war die Überzeugung gegeben, daß die Endzeit durch Gottes Handeln in Christus angebrochen war, zugleich aber brachte die Gewißheit, daß der Herr Christus zu Gott erhöht sei, die Hoffnung auf die endgültige Erscheinung des Herrn in Herrlichkeit mit sich: „Unser Bürgerrecht ist in den Himmeln, von wo wir auch den Herrn Jesus Christus als Retter erwarten, der unseren niedrigen Leib umgestalten wird, daß er seinem herrlichen Leib gleichgestaltet sei, gemäß der Fähigkeit, daß er sich alles unterwerfen kann" (Phil.3,20f.). Nun mußte Paulus die Gegenwart als beginnende Endheilszeit verstehen, als das Hineinbrechen der Endzeit in den vergehenden Äon, und es war seine denkerische Aufgabe, das göttliche Handeln injChristus ebenso wie das Sein der Christen von der Glaubenserfahrung her zu verstehen, daß Gott in Christus das Endheil gewirkt hatte, daß die Endvollendung mit der Erscheinung des Christus in Herrlichkeit aber noch ausstand. Darum beschreibt Paulus das Christusgeschehen als ein geschichtliches Handeln Gottes, und darum sieht er den Christen im Zusammenhang dieser geschichtlichen Wirklichkeit. Wenn wir das theologische Denken des Paulus begreifen wollen, müssen wir nach diesem geschichtlichen Handeln Gottes in Christus und nach diesem Sein des Christen in der Geschichte Gottes fragen.

3. Das Christusgeschehen 3.1 Die Sendung des Gottessohnes Paulus faßt zu Beginn des Römerbriefs den Inhalt des ihm zur Verkündigung aufgetragenen Evangeliums Gottes mit einer von ihm vermutlich etwas umgebildeten Bekenntnisformel der Urgemeinde (s.o.S.97) folgendermaßen zusammen: „Paulus . . b e r u f e n e r Apostel, abgesondert zur Ver-

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kiindigung der frohen Botschaft Gottes . . . , [die handelt] von seinem Sohn, der geboren ist aus dem Samen Davids gemäß dem Fleisch, der eingesetzt ist zum Sohn Gottes in Kraft gemäß dem Heiligen Geist seit der Auferstehung von den Toten, [nämlich] von Jesus Christus, unserem Herrn" (Rom. 1,1—4). Diese Charakterisierung der frohen Botschaft des Paulus einer von ihm nicht gegründeten Gemeinde gegenüber ist darin charakteristisch, daß nicht nur die beiden wichtigsten Würdeprädikate für Jesus Christus begegnen, nämlich Sohn Gottes und Herr, sondern daß bei der Beschreibung des Sohnes Gottes seine irdische Abstammung ebenso erwähnt wird wie seine himmlische "Würde. Man hat nun gerne in dieser Charakterisierung Jesu Christi die „beiden Seiten" der Existenz des Gottessohnes beschrieben gesehen und darin einen ersten Schritt in Richtung auf die altkirchliche Lehre von der göttlichen und der menschlichen Natur des Gottessohnes erkennen wollen. Aber das wäre zweifellos eine falsche Interpretation dieses Paulustextes. Paulus redet ja hier, wie die Formulierung und der zeitliche Zusatz „seit der Totenauferstehung" beweisen, nicht von einem statischen Sein, sondern von einem Geschehen. Der Sohn Gottes ist geboren worden als Glied der Davidssippe, und darin besteht seine irdische Herkunft; dieser Davidssohn ist durch die Wirkung des Gottesgeistes von den Toten auferweckt und dadurch zum machtvollen Sohn Gottes eingesetzt worden, der nun als „unser Herr" seinen Apostel aussendet, um unter den Heiden Glaubensgehorsam zu wecken (Rom. 1,5). Paulus beschreibt hier also, wie der Gottessohn, der Mensch geworden war, nun durch Gottes Tat zum mächtigen Gottessohn und damit zum Herrn erhöht worden ist. Der Gottessohn hat also eine Geschichte durchgemacht, und von dieser Geschichte zu predigen ist der Auftrag des Apostels Paulus. Diese Grundanschauung der paulinischen Christusbotschaft wird bestätigt durch den „Christuspsalm", den Paulus in seinen Philipperbrief aufgenommen hat (Phil. 2,5-11): „So seid unter euch gesinnt, wie [man] auch in Christus Jesus [gesinnt sein soll], der in der Gestalt Gottes da war, [aber] das Gott-gleich-Sein nicht ausnutzte, sondern sich entäußerte, indem er Sklavengestalt annahm und in Gleichheit mit den Menschen auftrat und der Erscheinung nach wie ein Mensch erfunden wurde. Er erniedrigte sich selbst, indem er gehorsam wurde bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch höher erhöht und ihm einen Namen geschenkt, der über alle Namen ist, damit sich im Namen Jesu jedes Knie beuge [der Wesen] im Himmel und auf der Erde und unter der Erde und jede Zunge bekenne: Jesus Christus ist Herr', zur Ehre Gottes des Vaters." Die Annahme ist heute weit verbreitet, daß dieses Lied ursprünglich nicht von Paulus stamme, sondern in der Urgemeinde entstanden und von Paulus übernommen und leicht erweitert worden sei (s. die Argumente im Kommentar zu den kleineren Briefen des Apostel Paulus, z. St., der auch für die Einzelauslegung zu vergleichen ist). Diese These ist freilich nicht so sicher, wie ihre Vertreter behaupten, da wir über die beherrschenden Prinzipien urchristlicher Dichtung gar nichts Sicheres wissen und Paulus sehr wohl

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unter Verwendung überlieferter Formulierungen diese Dichtung selber geschaffen haben kann. Aber ob Paulus ein übernommenes Lied seinen Zwecken anpaßt oder selber in traditioneller Sprache redet - er gibt in diesem „Psalm" auf alle Fälle seiner Christusanschauung Ausdruck: der Christus Jesus war Gott wesenhaft gleich, war aber im Gehorsam Gott gegenüber bereit, diese Gottgleichheit aufzugeben und die menschliche Daseinsweise anzunehmen, die ein Versklavtsein unter die Mächte dieser Welt bedeutet. Er ging im Gehorsam sogar noch weiter hinab bis zum schmählichen Kreuzestod. Gott hat den Erniedrigten deswegen noch über sein vorheriges göttliches Wesen hinaus erhöht und ihm den höchsten Namen, den Herrennamen, gegeben, damit nun alle Wesen der Welt Jesus Christus als den Herrn bekennen und dadurch Gott ehren. Es ist deutlich, daß auch hier eine Geschichte berichtet wird. Paulus ist nicht daran interessiert, das göttliche Sein und die menschliche Existenz des Jesus Christus genau zu beschreiben; er ist aber wohl daran interessiert, daß der zu Gott Gehörige, der hier nicht Sohn Gottes genannt wird, aus freien Stücken die volle Wirklichkeit des Menschseins übernahm und sich darüber hinaus dem Kreuzestod unterzog. Und er ist daran interessiert, daß dieser Menschgewordene durch Gott in die himmlische Herrenwürde eingesetzt worden ist und nun Verehrung von allen Wesen der Welt beanspruchen kann. Die Geschichte des Jesus Christus, wie sie Paulus hier beschreibt, besteht also aus den Stadien des Seins bei Gott (Präexistenz), des Menschseins und der Erhöhung (Postexistenz), die Zeit des Menschseins Jesu ist darum nur ein Teil dieses Weges des himmlischen Herrn. Wir sahen früher, daß das hellenistische Christentum die hellenistische Vorstellung vom himmlischen Gesandten mit der hellenistisch-jüdischen Weisheitsspekulation verbunden und sich auf diese Weise die Möglichkeit geschaffen hatte, das Handeln Gottes in Jesus Christus anschaulich zu beschreiben (s.O.S. 106ff.). Paulus schließt sich an diese Vorstellungsform an, aber er ist dabei im Zusammenhang des Philipperbriefs nicht an der göttlichen Seinsweise des Menschgewordenen im einzelnen interessiert, sondern nur an zwei Tatbeständen: der am Kreuz gestorbene Mensch Jesus ist von Gott gekommen und hat im Gehorsam Gott gegenüber seine göttliche Herkunft bis zum äußersten aufgegeben; und dieser am Kreuz gestorbene Mensch Jesus ist jetzt durch Gottes Tat der himmlische Herr, vor dem sich jedes Wesen beugen muß. Paulus läßt dabei nicht deutlich erkennen, ob diese Anbetung Christi durch alle Wesen sich schon jetzt vollzieht, und nach l.Kor. 15,23 f. ist das schwerlich seine Meinung gewesen. Es genügt ihm zu wissen, daß dies die Absicht Gottes bei der Einsetzung des Christus in die Herrenwürde war, und daß diese Absicht sich in der nahen Zukunft erfüllen wird, steht ihm fest. Das Entscheidende ist mit der hier nicht ausdrücklich genannten Auferstehung und der Erhöhung des Christus zur Herrenwürde aber bereits geschehen: Christus hat über die Mächte gesiegt (Kol. 2,15), und für die Christen ist er bereits der Herr, „durch den das All [ist] und wir durch ihn" (l.Kor.8,6). Die geschichtliche Wirklichkeit des

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Menschen Jesus sieht Paulus so als Teil eines die ganze Weltzeit umfassenden Handelns Gottes, dessen Ende und Ziel in der Auferweckung des Christus schon seinen Anfang genommen hat und in der bevorstehenden Erscheinung des Christus vom Himmel her seine Vollendung finden wird (l.Kor. 15,20.23). 3.2 Jesus und Christus Der eigentliche Sinn dieser Botschaft von der Herabkunft und Erhöhung des Christus wird aber erst deutlich, wenn wir die einzelnen Hoheitsnamen betrachten, die Paulus für Jesus Christus gebraucht. Dabei zeigt sich sofort, daß die beiden Begriffe „Jesus" und „Christus" keine theologische Bedeutung haben. Den Eigennamen „Jesus" gebraucht Paulus relativ selten allein und bezeichnet in diesen Fällen damit in gleicher Weise den irdischen Jesus („Wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden i s t . . . " , l.Thess.4,14) wie den Auferstandenen: „ . . . seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, den er von den Toten auferweckt hat, Jesus, der uns vor dem kommenden Zorn errettet" (l.Thess. 1,10). Das gleiche gilt aber auch für die Verbindung „Herr Jesus" (vgl. l.Kor. 11,23 mit Rom. 10,9), und das alles zeigt: wenn Paulus von „Jesus" redet, ist dieser Name für ihn Bezeichnung der Person des Menschen Jesus, der auch der Auferstandene ist. Eigentümlicherweise steht es aber mit dem Begriff „Christus" kaum anders. Natürlich hat Paulus gewußt, daß „der Gesalbte" ein jüdischer Heilbringertitel war, den die Urgemeinde für Jesus gebraucht hatte, aber nur einmal gebraucht er das Wort wahrscheinlich in diesem Sinn: in der Aufzählung der den Juden von Gott gegebenen besonderen Gaben begegnet als letztes Glied: „und aus ihnen [stammt] der Christus nach dem Fleisch" (Rom.9,5). Im übrigen gebraucht Paulus „Christus" nur noch als Eigenname, und zwar sowohl allein wie in der Verbindung „Jesus Christus" oder „Christus Jesus", und neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß nur stilistische Gründe für den Wechsel zwischen diesen drei Formen seines Sprachgebrauchs die Ursache sind. Auch der Name „Christus" wird von Paulus für den Präexistenten („sie tranken aus dem nachfolgenden geistlichen Felsen, der Fels aber war der Christus", l.Kor. 10,4), den Irdischen (Christus „wurde gekreuzigt aus Schwachheit", 2.Kor.l3,4) und den Auferstandenen („Miterben Christi, . . . damit wir auch mit [ihm] verherrlicht werden", Rom. 8,17) gebraucht. Paulus zeigt also durch die Art und Weise, wie er „Jesus" und „Christus" als gleichwertige Eigennamen verwendet, daß er sich immer dessen bewußt ist, daß der Mensch Jesus von Gott auferweckt worden ist. Vielleicht ist es auch kein Zufall, daß Paulus „Jesus" nicht für den Präexistenten gebraucht, weil ihm das Ernstnehmen der geschichtlichen Konkretheit des Menschen Jesus die Rücktragung dieses Namens in die Präexistenz verwehrt. Wenn Paulus im übrigen ohne jede Unterscheidung vom präexistenten, vom irdischen und vom auferstandenen

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Christus reden kann, so zeigt sich darin, daß er mit der Einheit des Handelns Gottes in allen drei Stadien der Geschichte des Christus ernst macht. 3.3 Der „Endmensch" Hat „Christus" im paulinischen Sprachgebrauch den Bekenntnischarakter verloren, den dieser Titel in der Urgemeinde hatte, so wird der in der Urgemeinde, freilich nur in den Worten Jesu, tradierte Titel „Menschensohn" von Paulus überhaupt nicht mehr gebraucht. Da Paulus nur an heidenchristliche Gemeinden schreibt, ist das durchaus verständlich, weil der ungriechische Ausdruck „der Sohn des Menschen" den Heidenchristen unverständlich sein mußte. Dieses Fehlen des Begriffes besagt aber keineswegs, daß Paulus die mit diesem Begriff beabsichtigte Aussage über die Person Jesu ebenfalls beiseite gelassen hat. Das ist vielmehr durchaus nicht der Fall. Paulus stellt nämlich an einer Reihe von Stellen den Menschen Adam dem Menschen Christus gegenüber (s.o.S. 130f.). Wenn bei dieser Gegenüberstellung die Wirkung der sündigen Tat des einen Menschen mit der Wirkung des Gehorsams des anderen Menschen verglichen wird (Rom. 5,12-19), dann läßt sich daraus noch nicht ohne weiteres erkennen, daß der Mensch Jesus Christus bei diesem Vergleich nicht einfach ebenso nur als ein irdischer Mensch bezeichnet werden soll wie der Mensch Adam. Die zu Beginn dieses Textes eingefügte Bemerkung über Adam: „welcher das Vorausbild des zukünftigen [Adam] ist" (V. 14c) nennt Christus allerdings den „zukünftigen Adam" und kennzeichnet ihn damit als den für die Endzeit erwarteten „Menschen" (vgl. den Heilbringertitel „der Kommende", Matth. 11,3), doch wird diese Zwischenbemerkung nicht weiter ausgeführt. In 1.Kor. 15,22 stellt Paulus die zu Adam gehörige Menschheit den zu Christus gehörigen Menschen gegenüber: „Wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden"; dabei wird Christus aber nicht als „Mensch" bezeichnet. Die diesen beiden Texten zugrunde liegende Vorstellung wird dagegen deutlich aus l.Kor. 15,45.47-49. Paulus bemüht sich von 15,35 an um den Nachweis, daß es außer dem irdischen Leib des Menschen auch einen „geistlichen" Leib gibt, und verweist zu diesem Zweck auf das Nacheinander der beiden „Menschen": „So steht auch geschrieben: ,Der erste Mensch Adam wurde zu einer lebendigen Seele, der letzte Adam zu einem Leben spendenden Geist' . . . Der erste Mensch [war] als ein irdischer [Mensch] von der Erde, der zweite Mensch [war] vom Himmel. Wie der irdische [Mensch], ebenso [sind] auch die irdischen [Menschen], und wie der himmlische [Mensch], so [sind] auch die himmlischen [Menschen]. Und wie wir das Bild des irdischen [Menschen] getragen haben, werden wir auch das Bild des himmlischen [Menschen] tragen." Hier wird deutlich Adam als dem ersten und irdischen Menschen Jesus Christus als der letzte Adam oder der zweite, der himmlische Mensch entgegengestellt. Vom ersten und vom zweiten Adam gehen Menschheitsreihen aus, deren Wesensart dem Anfänger ihrer Reihe entspricht. Paulus

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entwickelt diesen Parallelismus der beiden „Menschen" und der zu ihnen gehörigen Menschheitsreihen aber auch in diesem Text nicht näher, sondern er setzt ihn als bekannt und anerkannt voraus und leitet daraus die Gewißheit ab, daß die zum zweiten Menschen Gehörigen, die Christen, einen „geistlichen Leib", das Bild des himmlischen „Menschen" tragen werden. Im Zusammenhang dieser Gegenüberstellung von erstem und zweitem Menschen ist der Christus aber nun eindeutig nicht mehr als irdischer Mensch, wenn auch besonderer Art, vorgestellt, sondern als ein himmlisches Wesen, das den Namen „Mensch" trägt. Das alles besagt: Paulus verwendet in diesen drei Texten in verschiedener Anwendung das Gegensatzpaar des irdischen, ersten Menschen und des endzeitlichen, himmlischen, zweiten Menschen und berührt sich dabei mit der von Jesus aufgenommenen jüdischen Erwartung des endzeitlichen „Menschen", des „Menschensohns". Denn auch bei Paulus ist in diesen Zusammenhängen „Mensch" eine Bezeichnung der himmlischen Heilbringergestalt der Endzeit wie in der Erwartung des auf den Wolken des Himmels erscheinenden „Menschen" in der jüdischen Apokalyptik und bei Jesus (s.o.S.69 ff.). Die Art und Weise, wie Paulus den Begriff des himmlischen Menschen im Gegensatz zum ersten Menschen Adam verwendet, schließt jedoch aus, daß Paulus dabei direkt von der jüdisch-apokalyptischen oder der evangelischen „Menschensohn"-Tradition abhängig ist. Denn da fehlt die Parallelisierung des ersten und des zweiten Menschen und ebenso die Vorstellung der Zugehörigkeit der jeweiligen Menschheitsreihe zu diesen „Menschen". Aber die jüdisch-apokalyptische Figur des „Menschen" ist ihrerseits zweifellos eine eschatologische Umbildung des „im vorderen Orient verbreiteten Urzeitmythus vom ersten Menschen und Paradieseskönig" (M. Schenke), der als der „Urmensch" die gesamte Menschheit oder auch in einer anderen Fassung des Mythus die Gesamtheit der Erretteten umschließt. Diese heidnische Vorstellung vom Urmenschen hatte das apokalyptische Judentum in eschatologischer Wendung als Erwartung des endzeitlichen „Menschen" aufgenommen, und das hellenistische Judentum hatte die Vorstellung verwendet zur Beschreibung des urzeitlichen Schöpfungsmittlers, der im Gegensatz steht zum ersten irdischen Menschen, Adam. Das hellenistische Christentum und mit ihm Paulus haben sich an diese hellenistisch-jüdische Verwendung des Mythos vom himmlischen „Menschen" angeschlossen. Paulus deutet aber diese Vorstellung vom himmlischen „Menschen" streng endzeitlich, um auf diese Weise die Zusammengehörigkeit der Christen mit dem gekommenen und erwarteten Heilbringer der Endzeit und ihre erwartete Teilnahme an seiner Herrlichkeit zu beschreiben. Paulus sagt zwar, daß der „letzte Mensch" „vom Himmel" stamme (1.Kor. 15,47), denkt also vermutlich auch an den irdischen Menschen Jesus, wenn er vom „letzten Menschen" spricht (vgl. auch die Rede vom „Gehorsam des Einen", Rom. 5,19). Aber das eigentliche Interesse bei der Verwendung dieser mythischen Vorstellung durch Paulus liegt beim auferstandenen und in Herrlichkeit erwarteten Jesus Christus, der zu einem

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„Leben spendenden Geist" geworden ist und dessen himmlisches „Bild" die Christen tragen sollen, wenn sie bei seiner endzeitlichen Erscheinung seinen Herrlichkeitsleib angezogen haben (l.Kor. 15,45.49; vgl. Phil.3,20f.). Paulus nimmt also den Mythus vom himmlischen Endmenschen aus der Uberlieferung auf, aber er dient ihm nicht dazu, die Gestalt des irdischen oder des auferstandenen Jesus Christus spekulativ zu beschreiben, sondern ermöglicht ihm eine Heilsaussage: weil die Christen zum himmlischen „Menschen" gehören, haben sie an der durch ihn gewirkten Überwindung des Todes und an seinem Leben im Geiste Gottes teil. „Wir werden das Bild des himmlischen [Menschen] tragen" (l.Kor. 15,49): das ist die Gewißheit, die Paulus ausdrücken will, wenn er vom himmlischen „Menschen" Jesus redet. Aber eine zentrale Bedeutung hat auch dieser Titel für die Christusverkündigung des Paulus nicht gehabt. 3.4 Der H e r r (Kyrios) Sehr häufig begegnet dagegen bei Paulus die Bezeichnung „der Herr" (kyrios) für Jesus Christus, und wir sahen schon, daß Paulus es im Christuslied des Philipperbriefs als das Ziel Gottes in seinem Handeln durch Jesus Christus bezeichnet hat, daß „jede Zunge bekenne Jesus Christus ist Herr', zur Ehre Gottes des Vaters" (Phil.2,11). Da ganz entsprechend als die kennzeichnende Ausdrucksform für den Glauben der Christen das Bekenntnis „Jesus ist Herr" genannt wird (Rom. 10,9; l.Kor. 12,3), ist die Annahme sicherlich berechtigt, daß diese "Würdebezeichnung für die Christusanschauung des Paulus besonders bezeichnend ist. Paulus hat die Anrufung Jesu als „Herr" im Sprachgebrauch der hellenistisch-christlichen Gemeinde vorgefunden. Hier bezeichneten sich die Christen als diejenigen, „die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen" (l.Kor. 1,2), und in der hellenistisch-christlichen Gemeinde sprach man vom „Herrn Jesus", wenn man etwas aus seinem Leben berichtete: „Der Herr Jesus, in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, nahm B r o t . . . " (l.Kor. 11,23). Auch den aramäischen Ruf maranatha („unser Herr, komm!", l.Kor. 16,23) hat Paulus ja vermutlich schon im Gebrauch der hellenistisch-christlichen Gemeinde vorgefunden. Jesus ist also schon für die hellenistisch-christliche Gemeinde als der Irdische, der Auferstandene und der Kommende „der Herr" gewesen, und die Anrufung des „Namens unseres Herrn Jesus", der Bericht über sein Leben und die Bitte um sein endzeitliches Kommen gehören alle in die Gemeindeversammlung, d.h. in den Gottesdienst der hellenistischen Gemeinde vor Paulus. Aber dementsprechend ist auch in den von Paulus gegründeten Gemeinden Jesus als der Herr angerufen, aus seinem Leben berichtet und sein Kommen erhofft und erfleht worden (l.Kor. 12,3; „wie ich euch auch überliefert habe", l.Kor. 11,23; l.Kor. 16,22; 11,26), so daß man mit Recht sagen kann, daß für Paulus „der Herr" den Jesus Christus bezeichnet, zu dem die Gemeinde im Gottesdienst betet, der ihr darum im Gottesdienst begegnet.

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Aber es wäre falsch, aus dieser Beobachtung zu folgern, daß für Paulus der Herrentitel seinen eigentlichen Sinn aus diesem gottesdienstlichen Geschehen erhalte. Daß Jesus Christus als der Herr angerufen wird, ist ganz gewiß gemeinchristliche Tradition, erhält aber bei Paulus seinen eigentlichen Sinn aus der Tatsache, daß Paulus sich selbst und damit die Christen überhaupt als Sklaven dieses Herren weiß. „Der im Herrn berufene Sklave ist ein Freigelassener des Herrn; ebenso ist der als freier [Mensch zum Christsein] Berufene ein Sklave Christi" (1.Kor. 7,22); „Leistet dem Herrn Jesus Christus Sklavendienst!" (Kol.3,24); „Wer in dieser Weise [d.h. in Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist] dem Christus Sklavendienste leistet, ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen bewährt" (Rom. 14,18) - diese Aussagen zeigen, daß nach der Überzeugung des Paulus der Christ in den Sklavendienst des Herrn Christus eingetreten ist und aus dieser Wirklichkeit heraus leben müßte. Paulus geht dabei von der Voraussetzung aus, daß der Mensch immer einer über ihm stehenden Macht versklavt ist: „Wißt ihr nicht, daß ihr im Verhältnis zu dem, dem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam zur Verfügung stellt, Sklaven seid, indem ihr diesem gehorcht, sei es [Sklaven] der Sünde zum Tod, sei es des Gehorsams zur Gerechtigkeit?" (Rom.6,16, s.u.S. 166). Christus aber hat mit seinem Tod einen Barpreis für die Christen bezahlt und sie dadurch zu seinem Eigentum erworben: „Ihr seid gegen Barzahlung gekauft" (l.Kor.6,20; 7,23); „Dazu ist Christus gestorben und lebendig geworden, damit er über Tote und Lebende Herr sei" (Rom. 14,9); „ihr gehört Christus" (l.Kor. 3,23). Paulus weiß sich als ein von Jesus Christus zum Apostel Berufener in besonderem Sinne als „Sklave Christi Jesu" (Rom. 1,1; vgl. Gal. 1,1), kann sich aber in diesem Sinn auch mit Timotheus zusammen nennen (Phil. 1,1). Daß Jesus Christus der Herr ist, beschreibt darum für Paulus in umfassendem Sinn die durch die Begegnung mit dem Herrn Jesus veränderte Existenz des Christen: „Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden" (Rom. 10,9). Aber auch wenn das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn grundlegend die Situation des glaubenden Christen beschreibt, so ist dieses Bekenntnis auch zugleich eine Aussage über Jesus Christus selbst. Nun sagt Paulus eindeutig, daß „Christus gestorben und lebendig geworden ist, damit er über Tote und Lebende Herr sei" (Rom. 14,9), und nach dem Christushymnus des Philipperbriefs hat Gott den Gekreuzigten überhöht und „ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit . . . jede Zunge bekenne: ,Herr [ist] Jesus Christus'" (Phil.2,9-11). Jesus Christus ist also seit der Auferstehung der Herr durch Gottes Tat, aber diese Herrenstellung bezieht sich nicht nur auf die Christen, sondern auch auf den ganzen Kosmos, die gesamte Welt. Am Ende des Philipperhymnus sagt Paulus deutlich, daß „jedes Knie der himmlischen und irdischen und unterirdischen [Wesen] sich beugen und jede Zunge bekennen soll: ,Herr [ist] Jesus Christus'" (Phil. 2,10 f.), und weil Gott durch Christus am Kreuz „die Mächte und

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Gewalten entwaffnet und öffentlich bloßgestellt hat, indem er in ihm [Christus] über sie triumphierte" (Kol.2,14f.), darum ist Christus „das Haupt jeder Macht und Gewalt" (Kol. 2,10). Die Christen haben also Anteil an dem Geschehen, das den neuen Äon heraufgeführt hat, wenn sie sich der Herrschaft des Christus unterwerfen: „Unser Herr Jesus Christus, der sich für unsere Sünden gegeben hat, damit er uns aus dem gegenwärtigen bösen Äon herausreiße gemäß dem Willen Gottes und unseres Vaters" (Gal. 1,4). Die zuletzt zitierten Worte zeigen aber noch einen weiteren, wesentlichen Tatbestand: es ist Gottes eigener Wille, der sich in der Erlösungstat Christi auswirkte, und die anbetende Unterwerfung aller Mächte unter den Herrn Jesus Christus geschieht „zur Ehre Gottes des Vaters" (Phil. 2,11). Die Anerkennung Jesu Christi als des Herrn besagt darum für Paulus nicht nur, daß der Christ sich hineingenommen weiß in Gottes Rettung: „Es ist ja derselbe Herr über alle, der reichlich allen gibt, die ihn anrufen; denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden" (Rom. 10,12f.). Man kann nach der Überzeugung des Paulus sich Gott selber überhaupt nur wirklich unterwerfen, wenn man den Herrn Jesus Christus gehorsam anerkennt: „Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesus Christus" (1.Kor. 15,57). Das Bekenntnis zum Herrn Christus ist also der Ausdruck für die Gewißheit, durch Gott selbst gerettet worden zu sein. Aber wenn Paulus auch bei dem Bekenntnis zu Christus, dem Herrn, in erster Linie an den Auferstandenen denkt, so redet er doch zweifellos mit diesem Titel auch von dem irdischen Jesus: „Der Herr Jesus, in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, nahm B r o t . . . " (l.Kor. 11,23); (die Juden) „haben den Herrn Jesus getötet und die Propheten" (l.Thess.2,15); „Gott hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken" (l.Kor. 6,14). Er gebraucht die Wendungen „das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus" (Gal.6,14) und „die Brüder des Herrn" oder „der Herrenbruder" (l.Kor. 9,5; Gal. 1,19) und beruft sich auf die Anweisungen des Herrn zu dessen Lebzeiten (l.Kor.9,14; 7,10.12). Auch wenn diese Formulierungen zum mindesten teilweise traditionellen Charakter tragen, können sie nicht als unwesentlich beiseite geschoben werden. Daß Paulus sie vielmehr ernst nimmt, zeigt die Tatsache, daß er gelegentlich auch einmal den präexistenten Christus „Herr" nennt: „Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, daß er um euretwillen arm wurde, der [doch] reich war" (2.Kor. 8,9). Daß dieser Sprachgebrauch bei Paulus so selten begegnet, läßt erkennen, daß Paulus die Bezeichnung Jesu als „Herr" vom Auferstandenen auf den irdischen Jesus und dann auch auf den Präexistenten zurückgetragen hat. Aber gerade das ist bezeichnend und wichtig. Denn es zeigt sich daran mit voller Eindeutigkeit, daß Paulus auch immer mit an den Menschen Jesus denkt, wenn er von dem auferstandenen Herrn spricht, daß für ihn also eine ungebrochene Einheit zwischen dem Menschen Jesus und dem auferstandenen Herrn besteht.

Das Christusgeschehen

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3.5 Der Sohn Gottes Diese Einheit zeigt sich nun am eindeutigsten in der Art und Weise, wie Paulus den Begriff „Sohn Gottes" für Jesus Christus verwendet. Der Begriff begegnet bei Paulus relativ selten, aber sehr betont. Paulus ist dabei zweifellos nicht von der heidnischen Vorstellung der physischen Zeugung des Götterkindes durch einen Gott beeinflußt, setzt vielmehr die normale menschliche Geburt des Gottessohnes voraus: das Evangelium handelt „von seinem Sohn, der geboren ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch" (Rom. 1,3); „Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau" (Gal.4,4). Paulus legt also auf die volle Menschlichkeit des Gottessohnes entscheidenden Wert: „Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des Sündenfleisches" (Rom. 8,3). Dieses Reden von der „Sendung" des Gottessohnes zeigt aber zugleich, daß für Paulus Jesus Christus schon Gottessohn war, ehe er als Mensch geboren wurde, und der als Mensch Geborene blieb auch als Mensch Gottes Sohn: „Wir wurden versöhnt mit Gott durch den Tod seines Sohnes" (Rom. 5,10); „Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat" (Gal. 2,20). Seit seiner Auferstehung ist der Sohn Gottes „eingesetzt zum Sohn Gottes in Kraft" (Rom. 1,4), kann Gott ihn als den Auferstandenen offenbaren (Gal. 1,16) und „den Geist seines Sohnes in unsere Herzen senden" (Gal.4,6). Der Sohn Gottes hat also durch die Auferstehung seine himmlische Macht angetreten - Paulus redet vom „Herrschen als König" mit Bezug auf den auferstandenen Sohn Gottes (1.Kor. 15,25.28)-, und darum dürfen die Christen glauben, daß Gott sie „versetzt hat in die Königsherrschaft seines geliebten Sohnes" (Kol. 1,13). Der Auferstandene aber wird vom Himmel her erscheinen ( „ . . . zu erwarten seinen Sohn vom Himmel, den er von den Toten erweckt hat, Jesus", l.Thess.1,10), und dann werden die Christen „dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet werden, damit er der Erstgeborene unter vielen Brüdern sei" (Rom. 8,29). Paulus beschreibt also mit dem übernommenen Titel „Sohn Gottes" die gesamte „Geschichte" des Christus von der Präexistenz bis zur Parusie, und insofern gibt dieser Begriff nicht nur am umfassendsten wieder, daß Paulus das Handeln Gottes in Christus als volle Einheit sieht, sondern weist auch am eindeutigsten auf den Zusammenhang zwischen Gottes Handeln und dem Christusgeschehen hin. Immer wieder ist ja in den paulinischen Aussagen über den Sohn Gottes davon die Rede, daß Gott durch den Sohn handelt: Gott sendet den Sohn, versöhnt sich mit uns durch den Tod seines Sohnes, setzt den Sohn ein zum Sohn Gottes in Macht, offenbart ihn dem Paulus, versetzt die Christen in das Reich seines Sohnes, sendet den Geist seines Sohnes in ihre Herzen und läßt sie auf den Sohn Gottes vom Himmel her warten (Rom.8,3; Gal.4,4; Röm.5,1; 1,4; Gal. 1,16; Kol. 1,13; Gal.4,6; l.Thess.1,10). Immer ist hier Gott das eigentliche Subjekt des Geschehens, und so ist Sohn Gottes „im paulinischen Gebrauch die Bezeichnung des Heilsträgers unter dem Aspekt seiner Zugehörigkeit zu Gott" (W.Kramer). Daß Gott, der Vater, selbst

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das Heil wirkt in dem, was durch Jesus Christus geschehen ist und geschehen wird, das will Paulus betonen, wenn er vom Sohn Gottes redet. Ja, Paulus zeigt noch deutlicher, was das für den Christen bedeutet. Er weist die Gemeinde in Rom nachdrücklich darauf hin, wie stark Gott persönlich bei dem Handeln seines Sohnes beteiligt ist: „Gott schonte seinen eigenen Sohn nicht, sondern gab ihn für uns alle dahin" (Rom. 8,32); „Gott erweist seine Liebe zu uns, daß, als wir noch Sünder waren, Christus für uns starb . . . Wenn wir nämlich als Feinde mit Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnt wurden, so werden wir noch viel mehr als Versöhnte durch sein Leben gerettet werden" (Rom. 5,8.10). So ist auch ausdrücklich von der „Herrschaft seines geliebten Sohnes" die Rede (Kol. 1,13). Aber das bedeutet nun keineswegs, daß Paulus in dem Sohn Gottes nichts als ein willenloses Werkzeug in der Hand des Vaters sieht, der Sohn erscheint vielmehr als der gehorsame Vollstrecker des Gotteswillens. Dieser Gehorsam wird nicht nur im Philipperhymnus betont: „Und in der Erscheinungsform wie ein Mensch erfunden erniedrigte er sich, indem er gehorsam wurde bis zum Tode, ja zum Kreuzestode" (Phil.2,7f.). Dieser Gehorsam wird auch dem Ungehorsam Adams gegenübergestellt: „Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen als Sünder hingestellt wurden, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen als Gerechte hingestellt werden" (Rom. 5,19). Wie Paulus sagen kann: „Jesus wurde [von Gott] wegen unserer Übertretungen hingegeben" (Rom. 4,25), so auch: „Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich für mich hingegeben hat" (Gal.2,20; vgl. auch Rom.5,8 mit 14,15). 3.6 Die Formel „durch Christus" Diese Uberzeugung, daß Gott durch den Sohn handelt, indem der Sohn gehorsam des Vaters Willen tut, führt zu der von Paulus häufig verwendeten Formel „durch Christus". Paulus kann mit dieser Formel einerseits den Glauben ausdrücken, daß Gott durch den Menschen Jesus in der Vergangenheit das Heil gewirkt hat, dieses Heil jetzt den Christen zuteil werden läßt und bei der Parusie vollenden wird: „Gott hat sich mit uns durch Christus versöhnt" (2.Kor.5,18); „Als aus Glauben Gerechtfertigte haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus" (Rom. 5,1); „Gott hat uns nicht hingestellt für den Zorn, sondern zum Erwerb des Heils durch unsern Herrn Jesus Christus" (l.Thess.5,9). Dementsprechend spricht Paulus mit dieser Formel, auch ohne daß Gott zugleich erwähnt wäre, davon, daß Christus uns das Heil verschafft oder uns in seinen Dienst beruft: „Viel mehr [ = viel gewisser] werden wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden" (Rom. 5,9); „Jesus Christus, unser Herr, durch den wir Gnade und Apostelamt empfangen haben, um Glaubensgehorsam zu wecken unter allen Völkern zugunsten seines Namens" (Rom. 1,4f.). Paulus spricht andererseits von Mahnungen und Danksagungen der Christen, die „durch Christus" geschehen: „Ich

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ermahne euch . . . durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus" (l.Kor. 1,10); „Zuerst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle" (Rom. 1,8). Dabei ist aber weder daran gedacht, daß Christus selbständig oder unabhängig von Gott handelte, noch könnte Paulus auf den Gedanken kommen, daß die Beziehung zwischen den Christen und Gott einer vermittelnden Zwischeninstanz bedürfte. Ganz im Gegenteil, die Formel „durch Christus" macht gerade das Handeln Gottes und die Beziehung des Christen zu Gott konkret. Paulus spricht von der Allwirksamkeit Gottes durch Christus: „Für uns [ist vorhanden] ein Gott, der Vater, aus dem alles [stammt] und wir auf ihn hin, und ein Herr Jesus Christus, durch den alles [geschieht] und wir durch ihn", (l.Kor. 8,6); vgl. auch „Paulus A p o s t e l . . . durch Jesus Christus und Gott, den Vater" (Gal. 1,1). Paulus läßt damit eindeutig erkennen, daß ausnahmslos das gesamte Verhalten Gottes in Schöpfung und Heilswirken sich im Wirken Christi vollzieht. Und weil so die Beziehung des Christen zu Gott ganz durch Christus begründet ist, ist Christus nicht der Mittelsmann des Heils, sondern der einzige Weg des Christen zu Gott: „Alle Verheißungen Gottes sind in ihm [dem Sohn Gottes Jesus Christus] Ja, darum [ertönt] auch durch ihn das [antwortende] Amen Gott zur Ehre durch uns" (2.Kor. 1,20). Mit dem allen ist aber gesagt, daß die Formel „durch Christus" besonders eindrücklich die volle Zusammengehörigkeit Jesu Christi als des Gottessohnes mit dem Vater ausdrückt, so daß der Christ fest davon überzeugt sein darf, daß ihm in Jesus Christus Gott der Vater selbst begegnet. 3.7 Das „Bild Gottes" Freilich will Paulus mit diesem Bekenntnis den Gottessohn in keiner Weise mit Gott gleichsetzen. Das zeigt sich schon in der gelegentlichen Aufnahme des Titels „Bild Gottes" für Christus: „Der Gott dieses Äons hat die Gedanken der Ungläubigen verblendet, so daß sie das Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus nicht sehen, der das Bild Gottes ist" (2.Kor.4,4); in Gottes geliebtem Sohn „haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden; er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung" (Kol. 1,14f.). „Bild Gottes" bezeichnet in diesen Aussagen deutlich den Gottessohn, der in der Schöpfung ebenso wie in der Neuschöpfung - 2.Kor.4,4 spielt vermutlich auf die Berufung des Paulus an - Gottes Handeln sichtbar macht, den unsichtbaren Gott den Menschen gegenüber repräsentiert. Daß Paulus damit eine Bezeichnung der göttlichen Weisheit auf Christus überträgt, wie sie im zeitgenössischen Judentum geläufig war, leidet keinen Zweifel: die Weisheit „ist ein Abglanz des ewigen Lichtes, ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Abbild seiner Güte" (Weish. Sal. 7,26). Damit ist aber auch gegeben, daß die Herkunft des Begriffs eine Gleichsetzung des Gottessohns mit Gott schon an sich äußerst unwahrscheinlich macht, und Paulus gebraucht ja diesen Begriff deutlich darum, weil er damit klar sagen kann, daß im Gottessohn Gott selbst begegnet, der zugleich aber doch der Unsichtbare bleibt. 10

Kümmel, Theologie

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Daß hier nicht an Gleichsetzung gedacht ist, ergibt sich ferner daraus, daß Paulus es vermeidet, den Christus „Gott" zu nennen. Das zeigt sich ganz deutlich an den beiden Stellen l.Kor.3,23 und 11,3: alles gehört euch, „ihr aber gehört Christus, Christus aber gehört Gott"; „ich will, daß ihr wißt, daß jedes Mannes Haupt der Christus ist, Haupt der Frau aber der Mann, Haupt Christi aber Gott." Beide Male ist der Hinweis auf Christi Beziehung zu Gott im Zusammenhang nicht wirklich notwendig; wenn Paulus beide Male hinzufügt, daß Christus von Gott abhängig ist, so liegt ihm offenbar daran zu betonen, daß die Beziehung des Christen zu Christus gerade die wahre Beziehung zu Gott herstellt. Schon angesichts dieser Texte kann dann auch nicht zweifelhaft sein, daß der viel umstrittene Lobspruch in Rom. 9,5 („aus ihnen [den Israeli ten] stammt der Christus nach dem Fleisch - der Gott, der über alles ist, ist gepriesen in Ewigkeit, Amen") sich nur auf Gott beziehen kann, obwohl syntaktisch eine Beziehung auf Christus durchaus möglich wäre. Daß hier Gott gemeint sein muß, bestätigt der Sprachgebrauch des Paulus, der das Wort „Gott" ausnahmslos für Gott, den Vater, verwendet und der überdies nicht gerade den „Christus nach dem Fleisch" als den „Gott über alles" bezeichnen könnte. Es gilt darum uneingeschränkt, daß Paulus es vermeidet, Christus „Gott" zu nennen. Daß Paulus den Gottessohn nicht mit Gott gleichsetzt, ergibt sich schließlich auch aus der Tatsache, daß er das Werk des Sohnes auf den Vater ausgerichtet sieht und seine Aufgabe durch Gottes Ewigkeit begrenzt sein läßt. Schon der Philipperhymnus bezeichnet es ja als das Ziel der durch die Erhöhung Christi bewirkten Anbetung des „Herrn Jesus Christus" durch alle Mächte der Welt, daß „die Ehre Gottes des Vaters" gemehrt werde (Phil. 2,11). Ganz entsprechend sagt Paulus, daß „der Christus euch angenommen hat zur Ehre Gottes" (Rom. 15,7), und der aufgrund der Heilstat Gottes in Christus zu Gott emporsteigende Dank der Christen „soll überreichlich sein zur Ehre Gottes" (2.Kor.4,15). Mehrfach ist davon die Rede, daß die Angliederung der Christen an Christus zu einem Leben für Gott führt: „Ihr seid dem Gesetz gestorben durch den Leib Christi, damit ihr einem Andern gehört, dem von den Toten Auferweckten, damit wir für Gott Frucht bringen" (Rom. 7,4); „ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, um für Gott zu leben; ich bin mit Christus gekreuzigt, ich lebe aber nicht mehr, es lebt aber in mir Christus" (Gal. 2,19 f.; vgl. auch Rom. 6,10f.). Was Christus im Gehorsam gegen Gott wirkt, dient somit der Ehre Gottes und will die Menschen zu Gott bringen. Und darum erwartet Paulus auch, daß der Christus nach der Erreichung dieses Ziels bei der endzeitlichen Parusie Gott allein die Herrschaft überläßt: „Als Erstling [stand] Christus [auf], dann [werden] die zu Christus Gehörigen [auferstehen] bei seiner Ankunft. [Dann] wird das Ende [sein], wenn er die Königsherrschaft Gott und dem Vater übergibt [oder „übergeben hat"], wenn er jede Gewalt und jede Herrschaft und Macht überwunden h a t . . . Wenn ihm aber alles unterworfen ist, dann wird der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm das All unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei" (l.Kor. 15,23.24.28).

Das Christusgeschehen

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Man kann schwerlich entscheiden, ob Paulus bei der Schilderung dieser allerletzten Hoffnung erwartet, daß der Sohn seine Herrenstellung völlig aufgibt - dagegen läßt sich l.Thess.4,17 anführen: „und so werden wir immer mit dem Herrn sein" - , oder ob Paulus auch für diese Endvollendung die Zugehörigkeit der Christen zu ihrem Herrn als fortbestehend voraussetzt - dafür könnte neben l.Thess.4,17 auch Rom.8,17 „wenn wir mitleiden, damit wir auch mit [Christus] verherrlicht werden" sprechen. Aber es ist überhaupt fraglich, ob Paulus an solchem spekulativen Zu-Ende-Denken interessiert ist; denn das Ziel seiner Ausführungen ist zweifellos einzig die Verkündigung, daß uns Christus für Zeit und Ewigkeit zu Gott führt und daß die Christen, wenn Christus in Herrlichkeit erschienen sein wird, „durch Christus unter der vollendeten Gottesherrschaft stehen" werden (W.Thüsing). Damit wird aber deutlich, daß die Christusverkündigung des Paulus, so sehr sie selbstverständlich Aussagen über Christus macht, die im eigentlichen Sinne verstanden werden wollen, dabei doch keine Spekulationen über eine Himmelsgestalt im Auge hat, sondern in erster Linie das von Gott durch den Menschen Jesus Christus und seine Auferstehung gewirkte göttliche Heil verkündigen möchte. Man hat gegen ein solches Verständnis der paulinischen Christusverkündigung freilich eingewandt, daß Paulus doch an dem Menschen Jesus keinerlei Interesse zeige, überdies den auferstandenen Jesus mit dem Heiligen Geist gleichsetze und darum seine Gleichgültigkeit gegenüber der Person Jesu beweise; überdies müßten seine Aussagen über die Präexistenz und die erwartete endzeitliche Ankunft des Auferstandenen als spekulativ bezeichnet werden. Aber diese Einwände entsprechen nicht den Tatsachen. 3.8 Das Menschsein Jesu Daß Paulus die volle Geburt des Gottessohnes betont, sahen wir schon (s. o.S. 143), und es ist sehr wahrscheinlich, daß er angesichts seiner Vorstellung von der himmlischen Präexistenz des von einer Frau geborenen Gottessohnes von der vaterlosen Zeugung Jesu nichts gewußt hat. Freilich ist das nur zu erschließen. Es ist nun aber auffällig, daß Paulus aus dem Leben dieses Menschen Jesus kaum etwas erwähnt und auch nur vereinzelt Worte des „Herrn" anführt (l.Kor.7,10; 9,14; l.Thess.4,15). Man hat mit diesem Befund die Aussage 2.Kor.5,16 zusammengehalten: „Daher kennen wir von jetzt an niemand nach dem Fleisch; auch wenn wir Christus nach dem Fleisch gekannt hätten, kennen wir ihn jetzt nicht mehr" und aus beidem gefolgert, daß für Paulus der irdische Jesus ohne Bedeutung gewesen sei. Nun ist die Anführung von 2.Kor. 5,16 in diesem Zusammenhang sicher irrig. Denn Paulus streitet in diesem Text überhaupt nicht das Interesse am irdischen Jesus für seine Person ab (nicht vom „Christus nach dem Fleisch" ist die Rede, sondern vom Kennen Christi in der Weise des Fleisches), Paulus schiebt vielmehr eine rein menschliche, innerweltliche Beziehung zu 10*

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Jesus als für den Christen unwesentlich beiseite. Paulus verweist gelegentlich auch auf ein Verhalten des irdischen Jesus, so auf das letzte Mahl (l.Kor. 11,23); die Nachahmung Christi durch die Christen wird der Nachahmung des Paulus durch die Christen parallelisiert (l.Kor. 11,1; l.Thess. 1,6); „Ich ermahne euch durch die Milde und Sanftmut Christi" (2.Kor. 10,1) weist zweifellos auf das Verhalten des irdischen Jesus hin, und das gleiche gilt für Rom. 15,2 f.: „Jeder von euch gefalle dem Nächsten zum Guten zur Erbauung; denn auch Christus gefiel sich nicht selbst, vielmehr, wie geschrieben steht: ,Die Schmähungen derer, die dich schmähten, sind auf mich gefallen.'" Man wird darum zweifellos behaupten dürfen, daß Jesus als irdischer Mensch dem Paulus keineswegs gleichgültig war. Daß Paulus Worte Jesu nur so selten zitiert, freilich mehrfach auch auf Jesusworte anspielt, ohne darauf hinzuweisen, daß es sich um ein Jesuswort handelt (etwa in Rom. 12,14; 13,9; Gal. 5,14), ist ohne weiteres verständlich, wenn man weiß, daß die Herrenworte für Paulus zwar letzte Autorität haben (vgl. l.Kor. 7,10), daß Paulus aber als von Christus Beauftragter durchaus auch den Anspruch erhebt, autoritativ entscheiden zu dürfen (l.Kor. 7,25.40, „ich meine aber auch den Geist Gottes zu haben"). Infolgedessen weist Paulus auf den irdischen Jesus und seine Worte hin, wo er die Möglichkeit dazu sieht, aber sein eigentliches Interesse liegt auf der abschließenden Tatsache des Kreuzestodes Jesu und seiner Auferweckung durch Gott. Denn in diesem Geschehen sind die Mächte überwunden und ist Gottes Heil wirksam geworden (Kol. 1,22; 2,14f.; Rom. 8,3), und darum bezeichnet Paulus das Kreuz Christi als den eigentlichen Inhalt seiner Verkündigung (l.Kor. 1,23 f.); „Ihr törichten Galater . . . , denen Jesus Christus als der Gekreuzigte vor Augen hingeschrieben worden ist" (Gal. 3,1). Aber es ist das Kreuz des Menschen Jesus (die Juden „haben den Herrn Jesus und die Propheten getötet", l.Thess. 2,15), in dem Gott das Heil gewirkt hat, und darum ist dieser Mensch für die Verkündigung des Paulus entscheidend wichtig, auch wenn der Hinweis auf sein Leben und Lehren im einzelnen, wenigstens in seinen Briefen, keine große Rolle spielt. 3.9 Christus und der Geist Hat aber Paulus nicht den Auferstandenen mit dem Heiligen Geist gleichgesetzt und dadurch gezeigt, daß sich für ihn die Person Jesu Christi in den Heiligen Geist aufgelöst hat? Auf diese Frage führt die Beobachtung, daß Paulus weitgehend dieselben Aussagen von Christus und dem Geist machen kann, und dazu kommt der paulinische Satz: „Der Herr ist der Geist" (2.Kor.3,17). Nun stimmt es in der Tat, daß Paulus viele Wirkungen Christi auch auf den Geist zurückführt: die Liebe Gottes kommt zu uns durch den Geist und durch Christus (Rom. 5,5; 8,39); wir haben Frieden in Christus und im Heiligen Geist (Phil. 4,7; Rom. 14,17); Christus und der Geist schenken Leben (Rom. 6,23; 2.Kor.3,6); Christus wohnt ebenso wie der Geist in den Christen (Rom. 8,10.11) usw. Aber daneben gilt es doch auch zu

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beachten, daß Paulus charakteristische Aussagen nur vom Heiligen Geist machen kann: Ausschütten des Geistes in unsere Herzen (Rom.5,5); der Geist als Angeld (Rom. 8,23); der Geist wohnt in uns (l.Kor.3,16) usw. Andere Aussagen dagegen sind nur von Christus möglich, nämlich alle diejenigen, die eine personhafte Beziehung zwischen Christus und den Christen voraussetzen: „Dreimal habe ich den Herrn angerufen" (2.Kor. 12,8); „Der Herr . . . wird vom Himmel herabsteigen . . . , wir werden auf Wolken zur Begegnung mit dem Herrn entrückt werden in die Luft, und so werden wir immer mit dem Herrn sein" (l.Thess.4,16f.); „Wer klagt an? Christus Jesus, der Gestorbene, vielmehr der Auferstandene, der zur Rechten Gottes ist, der auch für uns eintritt?" (Rom. 8,34); „Wir erwarten [aus dem Himmel] als den Retter den Herrn Jesus Christus, der unsern Niedrigkeitsleib umgestalten wird, daß er seinem Herrlichkeitsleib gleichgestaltet sei, gemäß der Fähigkeit, daß er sich alles unterordnen kann" (Phil.3,20f.). Es kann darum keine Rede davon sein, daß Paulus Christus und den Heiligen Geist gleichgesetzt habe, Paulus hat vielmehr an dem personhaften Gegenüber von Christus und den Christen streng festgehalten, während er vom Geist zwar personifizierend reden kann („der Geist tritt für uns ein", Rom. 8,26; „das alles wirkt der eine und selbe Geist, der einem jeden zuteilt, wie er will", l.Kor. 12,11), aber ihn nicht als Person auffaßt: er spricht vom Haben und Erhalten des Geistes, l.Kor.7,40; Gal. 3,2; vom Auslöschen des Geistes, l.Thess.5,19; und in der bekannten Segensformel 2.Kor. 13,13 steht neben der „Gnade unseres Herrn Jesu Christi und der Liebe Gottes" „die Teilhabe am Heiligen Geist". Dementsprechend kann Paulus in gleicher Weise vom „Geist Gottes" wie vom „Geist Christi" reden: Rom. 8,9 unmittelbar nebeneinander; „der Geist aus Gott" ( l . K o r . 2 , 1 2 ) findet sich ebenso wie die „Unterstützung durch den Geist Jesu Christi" (Phil. 1,19). Dieses Resultat wird auch durch den vielerörterten Satz „Der Herr ist der Geist" (2.Kor.3,17) nicht in Frage gestellt. Denn dieser Satz will in keiner Weise die Gleichheit von Christus und dem Geist behaupten, zumal unmittelbar nach diesem Satz vom „Geist des Herrn" ( = Geist Christi) und vom „Herrn des Geistes" ( = Christus) die Rede ist. Der Satz „Der Herr ist der Geist" soll im Zusammenhang vielmehr das ihm vorausgehende alttestamentliche Zitat deuten (vgl. den Kommentar zu den Briefen an die Korinther z.St.): in diesem Zitat („sobald er sich zum Herrn wendet, wird die Decke weggenommen", 2.Mos. 34,34) ist vom „Herrn" die Rede, und dieser „Herr" wird mit dem erklärenden Satz „Der Herr ist der Geist" auf den Geist gedeutet, dieser Geist aber sofort als „der Geist des Herrn" verstanden, der Freiheit schenkt. Nach dem Zusammenhang will Paulus also mit dem Satz „Der Herr ist der Geist" sagen, daß Christus den Geist der Sohnschaft schenkt, der uns vom Gesetz des Todes befreit (vgl. Rom. 8,15.2), und so ist in diesem Satz vom Geist des Christus die Rede und nicht von der Gleichheit von Christus und dem Geist. Paulus hat also, auch wenn er viele Aussagen in gleicher Weise von Christus wie vom Geiste machen kann, nie vergessen, daß der Christ seinem persönlichen Herrn Jesus Christus

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gegenübersteht, und er weiß sich durch den auferstandenen Herrn persönlich in Dienst genommen. Wenn Paulus trotzdem auch von Gottes Heilshandeln durch den Geist redet und dabei viele Aussagen macht, die er ebenso von Gottes Handeln in Christus machen kann, so hat das nicht nur in der Tradition seinen Grund - die von Paulus übernommene Formulierung der Urgemeinde in Rom. 1,4, S.O.S.97f., spricht ja auch schon von der Einsetzung Christi zum Sohn Gottes in Kraft gemäß dem Heiligen Geist - , sondern ist sachlich bedingt. Gott hat den bis zum Kreuzestod herabgestiegenen Gottessohn durch den Heiligen Geist auferweckt, und seither ist der Heilige Geist durch Gott und Christus wirksam: „eingesetzt zum Sohn Gottes in Kraft gemäß dem Heiligen Geist seit der Auferstehung von den Toten" (Rom. 1,4); „der letzte Adam ist zum lebenspendenden Geist geworden" (l.Kor. 15,45b); „Gott hat den Herrn auferweckt und wird uns erwecken durch seine Kraft" (l.Kor. 6,14), womit zu vergleichen ist „in der Kraft des Heiligen Geistes" (Rom. 15,13). Dieser Geist wird den Christen zuteil in der gläubigen Annahme der Predigt und der Taufe (Gal.3,2; l.Kor. 12,13); „die Liebe Gottes ist ausgeschüttet in unsern Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (Rom. 5,5); und Paulus bezeichnet diese den Christen zuteil gewordene Geistesgabe bildhaft als „Erstlingsgabe" (Rom. 8,23) oder als „Angeld" (d.h. erste Rate, 2.Kor. 1,22) und macht damit deutlich, daß das Endzeitheil durch den Heiligen Geist den Christen schon im voraus geschenkt wird. Die Gabe des Geistes befähigt die Christen, ihre Einsetzung in die Würde der Gottessohnschaft zu erkennen: „Daß ihr aber Söhne s e i d Gott hat den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der Abba, Vater, ruft" (Gal. 4,6); „Ihr habt den Geist der Einsetzung in die Sohnschaft empfangen. In ihm rufen wir ,Abba, Vater', der Geist bezeugt unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind" (Rom. 8,15 f.). Aus dieser Gabe des Geistes lebt der Christ: „der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an" (Rom. 8,26), und gerade als der, der den Geist empfangen hat, wartet der Christ auf die Vollendung des Seins mit Christus: „Wir, die wir die Erstlingsgabe des Geistes empfangen haben, seufzen bei uns, indem wir die Erlösung unseres Leibes erwarten" (Rom. 8,23). Denn „solange wir im [irdischen] Leibe sind, sind wir in der Fremde, entfernt vom Herrn" (2.Kor. 5,6), obwohl wir „das Angeld des Geistes empfangen haben" (2.Kor.5,5), aber „wir wissen, daß der, der Jesus erweckt hat, auch uns mit Jesus erwecken und mit euch [vor sich] hinstellen wird" (2.Kor.4,14). Der Geist, den die Christen empfangen haben und durch den Gott in Christus das Heil wirkt, verbindet also die Christen mit dem entfernten Herrn, „bis er kommt" (l.Kor. 11,26), und durch den Geist fehlt es den Christen an keinerlei Gnadengaben, solange sie auf das Kommen des Herrn warten müssen: „Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gnadengabe, indem ihr die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus erwartet" (l.Kor. 1,7); „es gibt Zuteilungen von Gnadengaben, aber denselben Geist" (l.Kor. 12,4). So vermittelt der Geist den Christen, die im Glauben am Endzeitgeschehen Anteil erhalten haben, aber noch auf

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die volle Gemeinschaft mit dem erhöhten Herrn warten, die Wirklichkeit des zukünftigen Heils in ihrer Gegenwart ganz konkret, und auch das Nebeneinander von Christus und dem Geist bei Paulus zeigt, daß die paulinischen Aussagen über Christus das Heil beschreiben, das Gott in Christus zu Beginn der Endheilszeit gewirkt hat und weiter wirkt und wirken will. 3.10 Die Präexistenz des Christus Aber warum redet dann Paulus auch noch von der Präexistenz des Christus? Diese Aussage scheint ja mit der gegenwärtigen Wirklichkeit des Christseins nicht in Beziehung zu stehen, weil sie hinter Gottes Handeln in der Sendung des Gottessohnes als der Mensch Jesus zurückgreift, und man hat darum in dieser Aussage die Übernahme einer hellenistisch-christlichen Vorstellung durch Paulus sehen wollen, die rein spekulativ ist und das wirkliche Menschsein Jesu gefährdet. Nun leidet es in der Tat keinen Zweifel, daß Paulus diese Vorstellung aus dem hellenistischen Christentum übernommen hat (s.o.S. 106f.), aber es ist zugleich deutlich, daß er dabei keineswegs spekulativem Interesse folgt. Paulus erwähnt die Präexistenz Christi nämlich im allgemeinen nur im Vorbeigehen (Gal.4,4; Rom. 8,3 - l.Kor. 10,4 - Phil. 2,6 f.; 2.Kor. 5,21; 8,9 - l.Kor. 8,6) und geht nur dort etwas näher darauf ein, wo er die kosmische Bedeutung des Christus gegen deren Leugnung durch Irrlehrer verteidigen muß: „Er ist ein Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung, denn in ihm sind alle Dinge im Himmel und auf der Erde, Sichtbares und Unsichtbares, geschaffen, ob Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten. Das alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen, und er ist vor allem, und das All hat in ihm seinen Zusammenhalt" (Kol. l,15-17a). Aber wenn Paulus darum von der Präexistenz des Christus, von seiner Schöpfungsmittlerschaft und seinem Wirken vor der Menschwerdung in Jesus, ohne spekulatives Interesse redet und keinerlei Beschreibung der Existenz des Präexistenten versucht, so redet er doch hier besonders auffällig in mythischer Sprache, und solche mythische Sprache wird heute vielfach als für den modernen Menschen unverständlich und als eine Vorstellungsform bezeichnet, die wir aufgeben müssen, wenn wir die Christusverkündigung des Paulus uns in ihrer eigentlichen Absicht verständlich machen wollen. Natürlich redet Paulus ebenso in mythischer Sprache, wenn er von der Erniedrigung dessen spricht, der in göttlicher Gestalt war, und von dessen Erhöhung durch Gott zur Stellung des himmlischen Herrn, aber bei der Vorstellung von der Präexistenz des Christus ist der mythische Charakter dieser Aussage noch eindeutiger, weil uns der bleibende Sinn dieser Aussage nicht ohne weiteres einleuchtet. Nun kann die angesichts solcher mythischen Aussagen erhobene Forderung der „Entmythologisierung" (R. Bultmann) hier freilich nicht in ihrem ganzen Umfang erörtert werden (vgl. die Zusammenstellung wichtiger Texte in dem Sammelband „Diskussion um Kreuz und Auferstehung", s. o. S.9), wohl aber muß nach

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den sachlichen Gründen gefragt werden, die Paulus zur Übernahme solcher mythischen Sprache veranlassen. „Mythisch" ist ja die Aussage von der Existenz des Christus bei Gott vor seiner Menschwerdung nicht mehr und nicht weniger als das Bekenntnis zur Auferweckung des Gekreuzigten aus dem Tode, zu seiner Erhöhung zu Gott, zur Sendung des Heiligen Geistes durch den Auferstandenen, zur Erwartung seiner baldigen Erscheinung in Herrlichkeit und zur Versammlung der Christen um ihn. In allen diesen Fällen ist ja von dem Handeln eines nicht zu dieser Welt gehörigen, eines göttlichen Wesens, Gottes oder Christi, in dem Zusammenhang von Zeit und Raum dieser Welt die Rede, und die Vorstellung von solchem Hineinwirken nicht-weltlicher Mächte in diese Welt wird mit Recht als „mythisch" bezeichnet. Man kann nun in der Tat fragen, ob derartige mythische Vorstellungen, die an das Weltbild des antiken Menschen gebunden sind, uns heute noch verständlich sind und darum von uns heute noch gebraucht werden können. Man wird auf diese Frage antworten müssen, daß die Verkündigung von dem Handeln Gottes in Jesus Christus auf alle Fälle von einem Eingreifen des ewigen Gottes in die Geschichte dieser Welt redet und darum auf mythische Rede überhaupt nicht verzichten kann, ohne die entscheidende Aussage aufzugeben. Aber auch wenn das zutrifft und zugestanden wird, so ist uns die mythische Rede von der Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten darum nicht nur verständlich, sondern erscheint uns auch als unumgängliche Aussage, weil diese Verkündigung von der Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten ja die Interpretation einer Erfahrung bietet, nämlich der Schau des Auferstandenen durch die Zeugen und der Führung der Gemeinde des Auferstandenen durch den von ihm gesandten Geist Gottes. Aber steht es mit der mythischen Rede des Paulus von der Präexistenz des Christus nicht anders? Hier wird ja keine Erfahrung in mythischer Sprache gedeutet, sondern hier wird ein Geschehen behauptet, das weder an der Erfahrung der Christen einen Anhalt hat noch dem Bekenntnis zu Gottes endzeitlichem Heilshandeln in dem Menschen Jesus Christus und seiner Auferstehung einen verständlichen und notwendigen Ausdruck verleiht. Aber wenn es natürlich auch zutrifft, daß Paulus bei seiner Rede von der Präexistenz des menschgewordenen Gottessohnes einer Vorstellung des hellenistischen Christentums folgt, läßt sich doch auch erkennen, daß ihn zwei wesentliche sachliche Gründe bei der Übernahme dieser Vorstellung leiten. A) Paulus hat den auferstandenen Christus als „Herrn" angerufen und sich ihm gegenüber zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet gewußt (2.Kor. 12,8; 10,5), und er hat sich auf diese Weise dem Christus gegenüber ebenso verhalten, wie er es als Jude Gott gegenüber getan hatte. Er war aber trotz dieses Verhaltens zu Christus auch weiterhin fest davon überzeugt, daß auch für den Christen gilt: wenn es auch viele Götter und viele Herren gibt, „so gibt es doch für uns [nur] einen Gott, den Vater, aus dem das All [stammt] und wir auf ihn hin" (l.Kor. 8,5f.). Damit war auch für den Christen Paulus gegeben, daß nur diesem einen Schöpfer die Ehre gebührt

Die mythische Rede

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(vgl. Rom. 1,25). Die damit für Paulus geltende Forderung, daß der Christusglaube den Monotheismus nicht in Frage stellen dürfe, wird nun durch die mythische Vorstellung von der ewigen Zugehörigkeit des Sohnes zum Vater, von der Menschwerdung des ewigen Gottessohnes und von seiner Einsetzung in die himmlische Herrenwürde erfüllt. Denn auf diese Weise ist ja von Gottes Handeln die Rede, wenn vom Sohn die Rede ist, der bei der Schöpfung beteiligt war, im Handeln Gottes an den Vätern sich zeigte und geboren wurde aus dem Samen Davids nach dem Fleisch. Der Mythos malt dabei das „Gott-gleich-Sein" in keiner Weise aus, gibt aber dem Bekenntnis Ausdruck, daß wir in dem „Herrn" Jesus Christus Gott selbst begegnen. B) Paulus ist ebenso fest davon überzeugt, daß Jesus Christus endzeitliches Heil gewirkt hat. So bekennt er von sich: „Der Gott, der gesagt hat: ,Aus Finsternis wird Licht leuchten', der Licht hat aufleuchten lassen in unseren Herzen, so daß wir das Licht der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Christi erkennen" (2.Kor.4,6) und sagt von den Christen allgemein: „Gott hat uns dazu hingestellt, daß wir Rettung gewinnen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist" (l.Thess.5,9f.). Schon diese beiden Zitate zeigen, daß Paulus entscheidend betonen will, daß Gott selbst in Christus das Heil wirkt, und er sagt noch deutlicher, daß „Gott seine Liebe uns gegenüber erweist, indem Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren" (Rom. 5,8). Daß das Heil wirklich von Gott, dem Weltschöpfer, kommt, das ist für Paulus wesentlich, und auch dieser Glaube findet seinen Ausdruck in der jener Zeit gemäßen Vorstellung, daß das Heil der ewige Gottessohn schafft, der aus Gott kommt und zu Gott zurückgekehrt ist. Die mythische Rede von der Präexistenz des Gottessohnes, die dem Glauben an Gottes rettendes Handeln in dem Menschen Jesus Ausdruck gibt, hat ihre sachliche Wurzel also in einem zentralen Glaubensinteresse und nicht in spekulativer Neugier. Man wird fragen müssen, ob sich das Glaubensinteresse, das hinter der paulinischen Aussage von der Präexistenz des Gottessohnes steht, heute in einer anderen Form aussagen läßt, die unseren Vorstellungen angemessener ist; man wird aber dieses Glaubensinteresse nicht geringschätzen dürfen, wenn man die Christusverkündigung des Paulus in ihrer letzten Bedeutsamkeit verstehen und festhalten will. Daß Gott selbst in dem Menschen Jesus und seiner Auferstehung das für die Endzeit verheißene Heil begonnen hat, das zu verkündigen, ist das einzige Anliegen des Paulus, wenn er von Jesus Christus redet. Und der volle Sinn dieser Verkündigung kann darum erst deutlich werden, wenn wir uns den paulinischen Vorstellungen von Unheil und Heil zuwenden.

4. Das Unheil des Menschen in der Welt „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn . . . , damit er die [Menschen] unter dem Gesetz loskaufe, damit wir die Einsetzung zu Söhnen empfingen" (Gal.4,4f.); „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus

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Die Theologie des Paulus

Jesus hat dich befreit vom Gesetz der Sünde und des Todes" (Rom. 8,2); Gott „hat die Handschrift, die mit ihren Forderungen gegen uns war, ausgelöscht und beseitigt, indem er sie ans Kreuz nagelte; er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet und öffentlich bloßgestellt, indem er über sie in ihm [Christus] triumphierte" (Kol.2,14f.). Diese beispielhaft angeführten Aussagen über das von Gott in Christus gewirkte Heil weisen in verschiedener Weise auf die Heillosigkeit hin, aus der Gott in Christus befreit, und wir müssen diese Heillosigkeit kennen, in der sich der Mensch nach Paulus befindet, wenn wir die paulinische Botschaft vom Heil in Christus richtig verstehen wollen. Paulus sieht den Menschen in „dieser Welt", aus der er nicht ausbrechen kann und deren Zeit nur noch begrenzt ist (l.Kor.5,10; 7,31). Diese Welt ist zwar von Gott geschaffen (Rom. 1,20; vgl. l.Kor. 8,6), aber durch Adams Sünde ist der Tod in die Welt gekommen, und seither hat Gott die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen (Rom. 5,12b; 8,20). Jetzt herrschen in der Welt die „Weltelemente" und Geistermächte, die Paulus „Engel und Herrschaften" nennt, ja der Teufel wird von ihm als „der Gott dieses Äons" bezeichnet (Gal.4,3; Kol.2,20; Rom.8,38; l.Kor. 15,24; 2.Kor.4,4). Mit dieser Herrschaft der Dämonen und des Teufels in dieser Welt ist gegeben, daß die Menschen unter der Macht dieser Weltherrscher stehen: „Als wir Kinder waren, waren wir unter die Weltelemente versklavt", heißt es Gal. 4,3 von der vorchristlichen Menschheit (vgl. Gal. 4,9). Das bedeutet, daß die Menschen von Gott ferngehalten werden (l.Kor. 2,12; Gal. 6,14). Paulus spricht nun aber nicht nur von der Welt, in der die Menschen sich befinden, sondern gebraucht wesentlich häufiger die Bezeichnung „die Welt" (Kosmos) für die Menschen selber: „Was das Gesetz sagt, sagt es denen unter dem Gesetz, damit jeder Mund gestopft werde und die ganze Welt Gott gegenüber haftbar sei" (Rom. 3,19). Für die als „Welt" bezeichneten Menschen ist es kennzeichnend, daß sie Gott nicht anerkennen wollen, obwohl sie von ihm wissen: Gottes „unsichtbares Wesen läßt sich seit der Schöpfung der Welt an den Werken mit der Vernunft sehen . . . , so daß sie unentschuldbar sind, weil sie Gott erkannt haben, aber ihm nicht als Gott die Ehre gaben oder ihm dankten" (Rom. 1,20f.); „Da zur Zeit der Weisheit Gottes die Welt durch die Weisheit Gott nicht e r k a n n t e . . . " (l.Kor. 1,21). Dementsprechend läßt sich die als „Welt" gekennzeichnete Menschheit bestimmen von „den Weltelementen und nicht von Christus" (Kol. 2,8; vgl. den Gegensatz von „gottgemäßer Traurigkeit" und „Traurigkeit der Welt", 2.Kor. 7,10), und solches Auf-sich-selbst-Stellen der Welt gegenüber Gott nennt Paulus „sich vor Gott rühmen" (l.Kor. 1,27-29). Paulus sieht demnach den Menschen immer vor Gott stehen („damit euer Glaube nicht auf der Weisheit der Menschen [stehe], sondern auf der Kraft Gottes", l.Kor. 2,5), aber der in der „Welt" befindliche Mensch verehrt „die Schöpfung statt des Schöpfers" (Rom. 1,25) und ist dadurch seiner Bestimmung entfremdet: „Wir [haben] einen Gott, den Vater, aus dem das All [stammt] und wir auf ihn hin" (l.Kor.8,6). Dieses Bild des Menschen macht ebenso damit

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ernst, daß der Mensch Gottes Geschöpf ist, wie daß er aus der Anerkennung dieser Schöpfungswirklichkeit schon immer entwichen ist. 4.1 der Mensch als Fleisch Paulus kennzeichnet den in der Welt befindlichen Menschen nun durch eine ganze Reihe von Begriffen, deren Verständnis aber dadurch sehr erschwert ist, daß Paulus keine feste und eindeutige Terminologie hat. Vor allem sieht er den Menschen in den Gegensatz von „Fleisch und Geist" hineingestellt, und da dieser Gegensatz sich gelegentlich mit dem von leiblichem und geistigem Menschen zu decken scheint („Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben; wenn ihr aber im Geist die Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben", Rom. 8,13), hat man oft gemeint, daß Paulus von dem hellenistischen Gegensatz von Leib und Seele beeinflußt sei und „Fleisch" im Sinne von „Fleischessubstanz" verstehe. Aber das trifft bei genauerer Betrachtung des Begriffes „Fleisch" keineswegs zu. Paulus verwendet dieses Wort in einzelnen Fällen ganz alttestamentlich ohne jede Wertung für den irdischen Menschen in seiner schöpfungsmäßigen Gegebenheit, etwa „Ich beriet mich nicht mit Fleisch und Blut" (Gal. 1,16); der Sohn Gottes „wurde geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch" (Rom. 1,3). Aber in den meisten Fällen steht „Fleisch" bei Paulus im Gegensatz zum göttlichen Geist oder zu Gott und bezeichnet dann den ganzen Menschen: „Wenn nämlich unter euch Eifersucht und Streit [herrschen], seid ihr dann nicht fleischlich und wandelt nach menschlicher Weise?", 1.Kor.3,3; „Wir rühmen uns Christi Jesu und vertrauen nicht auf das Fleisch", d. h. auf jüdisch-religiöse Vorzüge (Phil. 3,3). Die als „Fleisch" Gott gegenüberstehenden Menschen sind nun nach der Behauptung des Paulus ausnahmslos Sünder: „Als wir im Fleisch waren, wirkten die sündigen Leidenschaften, die durch das Gesetz [zustande kamen], in unsern Gliedern, so daß wir für den T o d Frucht brachten" (Rom. 7,5); „Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des Sündenfleisches und um der Sünde willen und verurteilte die Sünde im Fleisch" (Rom. 8,3). Was bedeutet in diesem Zusammenhang „Fleisch" und wie denkt sich Paulus den Zusammenhang von Fleisch und Sünde? Vom Fleisch redet Paulus oftmals wie von einer persönlichen Macht, die dem Menschen feindlich gegenüber steht. Zwar kann „im Fleisch sein" einfach die irdische Existenz beschreiben („insofern ich jetzt im Fleisch lebe . . . " , Gal. 2,20; „als solche, die im Fleische wandeln", 2.Kor. 10,3), aber ebenso auch das Beherrschtsein von der Sünde: „Als wir im Fleische waren, wirkten die sündigen Leidenschaften . . . in unsern Gliedern" (Rom. 7,5). „In Übereinstimmung mit dem Fleisch" leben ist identisch mit „in der Sünde leben": „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben" (Rom. 8,13, vgl. 2.Kor. 10,2). Da Paulus nun auch von der „Gesinnung des Fleisches" (Rom. 8,6) und der „Begierde des Fleisches" (Gal. 5,17) reden kann, und eine Verpflichtung des Christen „dem Fleisch gegenüber" bestreitet („Wir

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sind Schuldner nicht dem Fleisch gegenüber, daß wir nach dem Fleisch leben [müßten]", Rom. 8,12), legt sich die Annahme nahe, Paulus sehe das Fleisch als eine böse Macht, als einen Dämon an, der den Menschen zu beherrschen sucht. Aber diese Annahme wird durch die Feststellung widerlegt, daß Paulus „Fleisch" und „Leib" durchaus wechselweise gebrauchen kann. Die Hoffnung, daß „das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde", steht neben der Hoffnung, daß „das Leben Jesu an unserm sterblichen Fleisch offenbar werde" (2.Kor.4,10.11), und „Abwesenheit im Leibe" entspricht der „Abwesenheit im Fleische" (1.Kor. 5,3; Kol. 2,5). So können auch „Leib und Geist" ebenso den Menschen als ganzen bezeichnen wie „Fleisch und Vernunft" (l.Kor.7,34 neben Rom.7,25). Fleisch ist also Kennzeichnung des Menschen in seiner irdischen Leiblichkeit. Trotzdem fallen „Fleisch" und „Leib" für Paulus nicht einfach zusammen: „Fleisch" ist auf den Menschen in seiner sterblichen Wirklichkeit beschränkt: „Fleisch und Blut werden die Gottesherrschaft nicht erben" (l.Kor. 15,50); „Leib" kann dagegen auch die Existenz des auferstandenen Christen beschreiben: „es wird ein geistlicher Leib auferweckt" (l.Kor. 15,44); Gott „wird auch unsere sterblichen Leiber lebendig machen" (Rom. 8,11). Wenn auch Paulus vom „Leib der Sünde", d. h. vom „alten Menschen" reden kann, der zerstört werden muß („Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt, damit der Sündenleib vernichtet werde und wir der Sünde nicht mehr Sklavendienste leisten", Rom. 6,6; „Wenn ihr im Geiste die Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben", Rom. 8,13), so gibt es doch kein „Leben gemäß dem Leib", wie es ein „Leben gemäß dem Fleisch" gibt. Fleisch bezeichnet eben den Menschen nur in seiner irdischen, auf dieses Leben beschränkten Leiblichkeit, und eben dieser im Fleisch befindliche und nach dem Fleisch lebende Mensch ist nach Paulus ein Sünder. Dieses Sündigsein des fleischlichen Menschen ist aber nicht die Folge davon, daß der Mensch einen fleischlichen Leib hat, der ihn zur Sünde verleitet. Auch wenn sich Paulus gelegentlich so ausdrückt, als sei das seine Meinung („ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde", Rom.7,14), so wäre eine solche Deutung ein Mißverständnis. Paulus betont ausdrücklich, daß der Mensch im Fleische leben kann, ohne darum auch sündigen zu müssen: „Im Fleische wandelnd kämpfen wir nicht gemäß dem Fleisch" (2.Kor. 10,3); „wir sind nicht dem Fleisch gegenüber verpflichtet, dem Fleisch gemäß zu leben", (Rom. 8,12). Und auch Christus trug nach Paulus „Sündenfleisch" (Rom. 8,3) und blieb doch ohne Sünde (2.Kor.5,21; l.Kor. 15,3). Der Mensch ist also nicht Sünder, weil er einen Fleischesleib trägt. Diese Feststellung wird durch die Beobachtung gestützt, daß Paulus keinen innermenschlichen Dualismus kennt, der einen besseren „inneren Menschen" der niederen Leiblichkeit gegenüberstellte. Das ergibt sich dem Beobachter der paulinischen Theologie darum nicht ohne weiteres, weil Paulus eine ganze Reihe von Begriffen für den „inneren Menschen" gebraucht, die er nicht klar gegeneinander abgrenzt, etwa: Seele, Vernunft, Herz, Gewissen, auch Geist; aber alle diese Begriffe werden eindeutig so gebraucht, daß auch

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der „innere Mensch" Gott nicht nähersteht als das Fleisch: „Der seelische Mensch nimmt die Dinge des [göttlichen] Geistes nicht auf, es ist für ihn eine Torheit, er kann es nicht verstehen" (l.Kor.2,14); „Gott hat die Menschen in einen unbewährten Verstand hingegeben, so daß sie tun, was sich nicht geziemt" (Rom. 1,28); „Nach deiner Härte und deinem zur Umkehr nicht bereiten Herzen speicherst du dir Zorn am Tage des Gerichts" (Rom. 2,5). Freilich gibt es drei viel diskutierte Texte des Römerbriefs, die zu der Annahme führen könnten, daß Paulus doch einen Gott näherstehenden „inneren Menschen" kenne. Aber auch diese Texte lassen sich bei genauer Betrachtung nicht in diesem Sinne deuten. „Gott in seiner Unsichtbarkeit wird seit der Weltschöpfung an den Geschöpfen mit dem [Auge des] Verstandes gesehen, seine ewige Kraft und Gottheit, so daß sie unentschuldbar sind, weil sie Gott erkannt, ihm aber nicht als Gott die Ehre gegeben oder ihm gedankt haben . . . " (Rom. 1,20) besagt zweifellos, daß den Menschen durch ihren Verstand die Möglichkeit gegeben war, durch Betrachtung der Schöpfung den Schöpfer zu erkennen. Aber diese den Menschen von Gott geschenkte Fähigkeit einer Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung haben die Menschen nach Paulus nicht benutzt, um Gott wirklich zu erkennen, sie haben vielmehr diese ihnen gegebene Möglichkeit unterdrückt, so daß sie gerade durch diese ihnen gegebene „geistige" Fähigkeit schuldig geworden sind. Und der Rom. 2,15 begegnende Satz: die Menschen „zeigen, daß das Gesetzeswerk in ihre Herzen geschrieben ist", ist eine Folgerung aus der Feststellung, daß die Heiden, wenn sie ohne Kenntnis des jüdischen Gesetzes Gesetzeswerke tun, sich selbst gesetzliche Anweisung geben und darum vor Gott genauso wie die Juden für ihr Tun verantwortlich sind. In beiden Fällen zeigt also Paulus, daß der Mensch die ihm durch Gottes Schöpfung gegebene Möglichkeit, vor Gott zu bestehen, in Wirklichkeit nicht ergreift und daß darum trotz dieser „geistigen" Fähigkeiten „alle gesündigt haben und der göttlichen Herrlichkeit verlustig gegangen sind" (Rom. 3,23). Am auffälligsten ist schließlich die berühmte Schilderung des Menschen, der nicht tut, was er will, und der darum von sich sagen muß: „Ich habe Freude am Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Verstandes entgegenkämpft und mich zum Gefangenen macht durch das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist" (Rom.7,22f.). Es ist seit den Tagen der Kirchenväter umstritten, von wem Paulus mit diesem „Ich" redet, aber nach der für den Textzusammenhang wahrscheinlichsten Deutung meint Paulus den Menschen, wie er „im Fleische" existiert, also jeden Menschen, wie der Christ ihn sieht (vgl. den Kommentar zum Römerbrief z. St.). Nun ist hier zweifellos vorausgesetzt, daß der Mensch als „innerer Mensch" Gottes Willen tun möchte, daß die Sünde in seinem Fleisch ihn aber zum Tun der Sünde zwingt, so daß ihm nichts übrigbleibt als der verzweifelte Ruf: „Ich elender Mensch, wer wird mich aus diesem Todesleibe erretten?" (7,24; vgl.7,14ff.). Aber das Eigentümliche an dieser Schilderung der verzweifelten

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Situation des Menschen ist nun, daß zwar einerseits die Sünde und das Fleisch für das Tun des Bösen verantwortlich gemacht werden (V. 17, 18a, 20) und der „innere Mensch" dieses Tun des Bösen von sich abschiebt (V.22), daß aber im übrigen Wollen und Tun dasselbe Ich zum Subjekt haben („Nicht was ich will, das Gute, tue ich, sondern was ich nicht will, das Böse, führe ich aus", V. 19). Die verzweifelte Situation dieses Menschen besteht also gerade darin, daß er nicht zu tun vermag, was er als seine Aufgabe angesichts des Gesetzes Gottes erkennt und darum tun möchte. Auch hier ist also der Mensch trotz der dualistisch klingenden Terminologie als Einheit gesehen, als „fleischlich, verkauft unter die Sünde" (V. 14). Wenn dabei in diesem Text das Wollen des Guten und das Wissen des Menschen um das eigene Versagen stärker betont werden als sonst bei Paulus, so erklärt sich das vermutlich daraus, daß hier der Mensch konsequent mit den Augen des Christen gesehen ist, der sich schon aus dieser verzweifelten Situation gerettet weiß. Aber diese Besonderheit der Schilderung von Rom. 7,14 ff. kann die Feststellung nicht in Frage stellen, daß Paulus auch hier den ganzen Menschen als „Fleisch" und zugleich als Sünder sieht. Dieser Mensch, der von den Mächten dieser Welt beherrscht ist und als „Fleisch" der Sünde gehorcht, ist nun dadurch gekennzeichnet, daß er sich „rühmt": „Gott hat die Torheit [ = die Toren] der Welt erwählt, um die Weisen zu beschämen . . . , damit sich kein Fleisch vor Gott rühme" (l.Kor. 1,27.29). „ D a sich viele nach dem Fleisch rühmen, will auch ich mich rühmen", d.h. Paulus schließt sich widerstrebend im Bewußtsein der Unsinnigkeit solchem menschlichen Verhalten an (2.Kor. 11,18). Solches „Rühmen im Blick auf menschliche Beziehungen" (l.Kor.3,21) ist für das „Fleisch" charakteristisch und beruht darauf, daß der Mensch sich an seine eigene Überlieferung und an seine eigenen Gedanken hält: die kolossischen Irrlehrer „blasen sich vergeblich auf aufgrund ihrer fleischlichen Gesinnung" und bezwecken damit eine „Befriedigung des Fleisches" (Kol.2,18.23). Der Mensch widersetzt sich dadurch Gott („Das Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott", Rom. 8,7) und folgt „der Begierde des Fleisches" (Gal. 5,16; vgl. 5,13). Paulus beschreibt also den Menschen, der „nach dem Fleische" lebt, nicht anders als den Menschen, der in der „Welt" lebt, und kann das Beherrschtsein vom „Fleisch" der Zuwendung zur „Welt" völlig gleichstellen: „endet ihr nun im Fleisch?" entspricht dem „wie wendet ihr euch wieder zu den schwachen und armen Elementen [der Welt]?" (Gal.3,3; 4,9); und von der Vergangenheit der Christen wird ebenso gesagt: „Als wir Kinder waren, waren wir unter die Elemente der Welt versklavt", wie von ihnen gilt: „Als wir im Fleisch waren, da wirkten die sündigen Leidenschaften, die durch das Gesetz entstanden, in unsern Gliedern, so daß wir dem Tod Frucht brachten" (Gal.4,3; Rom. 7,5). Der Mensch, der durch das „Fleisch" charakterisiert ist, ist also der Mensch, der sich von den Mächten dieser Welt beherrschen läßt. Auch der Begriff „Fleisch" beschreibt also nicht einfach die Existenz des Menschen als ein Verhängnis, das mit seiner Natur gegeben ist, sondern kennzeichnet das Handeln des Menschen, der vor Gott

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steht und, statt Gott anzuerkennen, sich auf sich selbst stellt. Denn Paulus sieht den Menschen immer in einem Sklavenverhältnis, entweder gegenüber Gott oder gegenüber der Sünde: „Als ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr frei von der Gerechtigkeit... Jetzt aber seid ihr frei von der Sünde und Sklaven Gottes geworden" (Rom. 6,20.22). Fleisch ist also für Paulus „das Merkmal des Menschen in seiner Verschiedenheit von Gott" (A.Schlatter) und kennzeichnet den Menschen nicht nach seiner Existenz, sondern nach seinem geschichtlichen Verhalten in der vergehenden Welt. 4.2 Die Allgemeinheit der Sünde Wenn Paulus in diesem Sinn die Sündenverfallenheit aller Menschen behauptet („Alle haben gesündigt und entbehren die Gottesherrlichkeit", Rom. 3,23; „die Schrift hat alles unter die Sünde zusammengeschlossen", Gal. 3,22), so stellt er diese Tatsache in der Regel einfach als vorhanden hin: „Ich bin fleischlich, verkauft unter die Sünde" (Rom. 7,14). Einmal aber spricht er auch vom Anfang dieses menschlichen Seins unter der Sünde (Rom. 5,12-19). Auch in diesem Zusammenhang leitet ihn freilich nicht eigentlich das Interesse, die Herkunft oder Entstehung der Sünde zu erklären, sein Ziel in diesem Abschnitt ist vielmehr, der Allgemeinheit der durch einen Menschen in die Welt gekommenen Sünde das durch den einen Menschen Jesus gebrachte Leben als die viel größere Gabe Gottes gegenüberzustellen. In diesem Zusammenhang ist vom Beginn der Sünde die Rede: „Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt einging und durch die Sünde der Tod und so zu allen Menschen der Tod hindurchging, weil sie alle sündigten . . . " (Rom. 5,12). Dieser viel diskutierte Satz hat kein grammatisches Ende, wird aber nach einer längeren Unterbrechung wieder aufgenommen: „Also wie [es] durch eine Übertretung für alle Menschen zur Verurteilung [kam], so auch durch eine Rechttat für alle Menschen zur Lebensrechtfertigung" (V. 18). In dem einleitenden Satz V. 12 ebenso wie in seiner Wiederaufnahme in V. 18 wird zunächst eindeutig gesagt, daß die sündige Tat Adams die Sünde in die Welt brachte und als ihre Folge den Tod, weil „Sold der Sünde der T o d " ist (Rom.6,23), d.h. weil die Sünde Adams die Verhängung des Todes als Strafe durch Gott zur Folge hatte. Wenn Paulus dann anfügt, daß so zu allen Menschen der Tod hindurchging" (V. 12c), so ist damit gesagt, daß seit Adams Bestraftsein mit dem Tode alle Menschen sterben müssen. Man könnte diese Aussage dahin deuten, daß Adam durch seine sündige Tat die Todesstrafe über alle Menschen gebracht hat (vgl. auch V. 17: „Denn wenn durch die Übertretung des Einen der Tod seine Königsherrschaft durch den Einen a n t r a t . . . " ) . Dann wäre also ohne jede weitere Begründung die kollektive Bestrafung aller Menschen als Folge der sündigen Tat des ersten Menschen behauptet (sog. „Erbtod"). Aber Paulus fügt V. 12 d hinzu: „weil alle gesündigt haben" und stellt damit neben die Behauptung, daß seit Adams Tod alle Menschen sterben müssen, die Begründung, daß jeder Mensch aufgrund seiner eigenen Sünde sterben

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muß. Diese Verbindung der beiden Gedanken: ,seit der Bestrafung des sündigen Adams müssen alle Menschen sterben' und ,jeder Mensch muß aufgrund seiner eigenen Sünde sterben' scheint widersprüchlich zu sein; Paulus folgt hier aber einfach einer jüdischen Vorstellung, nach der Adam den Zusammenhang von Sünde und Strafe verschuldet hat, jeder Mensch sich aber durch seine eigene Sünde diese Bestrafung zuzieht. „Wenn Adam zuerst gesündigt und über alle den vorzeitigen Tod gebracht hat, so hat trotzdem von denen, die von ihm abstammen, jeder einzelne sich die zukünftige Pein zugezogen und wiederum hat sich jeder einzelne von ihnen die zukünftige Herrlichkeit erwählt" (syr. Baruch 54,15). Paulus vertritt also durchaus den Gedanken des durch Adam verursachten Todes, aber keineswegs den der Erbsünde, weil er, in voller Übereinstimmung mit jüdischem Denken, an der Verantwortlichkeit jedes Menschen für sein Tun vor Gott festhält; vgl. auch Rom.l,20f.: die Menschen sind „unentschuldbar, weil sie Gott erkannt, aber Gott nicht die Ehre gegeben haben". So wird auch von hier aus erneut deutlich, daß Paulus das Unterworfensein des Menschen unter die Mächte dieser Welt und unter die Sünde nicht als Verhängnis, sondern als zu verantwortende Schuld ansieht. Aber Paulus hat dieses Beherrschtsein des Menschen von den Mächten dieser Welt und von der Sünde in letzter Radikalität verstanden, indem er die Allgemeinheit der Sünde nicht als Erfahrungsurteil, sondern als Glaubensurteil ausspricht. Denn der Satz: „Alle haben gesündigt und entbehren der Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtgesprochen durch seine Gnade mittels der Erlösung in Christus Jesus" (Rom. 3,23 f.) geht ja deutlich von der im Glauben gewissen Tatsache, daß nur durch Gottes Erlösung in Jesus Christus eine Rettung des Menschen möglich ist (vgl. auch Rom. 8,2), zurück zu der Feststellung, daß ohne diese Erlösung alle Menschen Sünder und dem Tode verfallen sind. Zwar vermeidet es Paulus, für diese ihm als Christen unbezweifelbare Allgemeinheit der Sünde irgendwie hinter die Tat Adams zurückzufragen, „es bleibt bei dem Gedanken: die Sünde kam durch das Sündigen in die Welt" (R. Bultmann). Dagegen gibt Paulus der Überzeugung von der ausnahmslosen Sündenverfallenheit aller Menschen seit Adam klaren Ausdruck, indem er diese Sündenverfallenheit und das Fleischsein des Menschen zusammen sieht: „Ich bin fleischlich, verkauft unter die Sünde" (Rom. 7,14). Aber auch mit dieser Formulierung wird die tatsächliche allgemeine Sündigkeit der Menschen von Paulus nicht aus etwas anderem als aus der Sünde selbst abgeleitet, Paulus sagt nur anschaulich und konkret, daß der Mensch als „Fleisch" immer ein Sünder ist. Darum hegt Paulus keinen Zweifel an der Verantwortlichkeit des Menschen für sein tatsächliches Sündigen. Paulus kann gewiß in stark personhafter Form von der Sünde reden: die Sünde kommt in die Welt und herrscht dort (Rom. 5,12.21; 6,12), sie macht sich die Menschen zu Sklaven (Rom. 6,6.17.20) und zahlt den Tod als Sold aus (Rom. 6,23), sie lebt auf, täuscht und tötet den Menschen und mißbraucht dazu das Gesetz (Rom.7,9.11). Dieser personifizierenden

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Rede von der Sünde entspricht es, daß Paulus das griechische Wort für „Sünde" nur selten im Sinne von „sündiger T a t " verwendet (etwa Rom. 7,5; l.Kor. 15,17; Gal. 1,4), dagegen in der Regel von „der Sünde" spricht, die den Menschen zu ihrem Sklaven macht. Aber diese Sklaverei wirkt sich eben konkret im Handeln des Menschen aus, und dafür ist der Mensch verantwortlich. „Stellt eure Glieder nicht als ungerechte Waffen der Sünde zur Verfügung" (Rom. 6,13) mahnt Paulus die Christen, die früher „ihre Glieder als Sklaven der Unreinheit und Ungesetzlichkeit mit dem Ziel der Ungesetzlichkeit zur Verfügung gestellt hatten" (Rom. 6,19). Die Menschen wußten ja vom unsichtbaren Gott und sind darum unentschuldbar, und das gilt für alle Menschen, und darüber hinaus gilt für die Juden im besonderen: „Sie haben Eifer für Gott, aber nicht in verständiger Weise; sie verstanden ja Gottes Gerechtigkeit nicht und suchten ihre eigene [Gerechtigkeit] aufzurichten und haben sich [so] Gottes Gerechtigkeit nicht unterworfen" (Rom. 10,2f.). Der Mensch, ob Heide oder Jude, widersetzt sich Gottes Willen; denn „das Sinnen des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, denn es ordnet sich dem Gottesgesetz nicht unter und kann es auch [gar] nicht. Die aber im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen" (Rom. 8,7f.). Selbstverständlich kann man fragen und hat auch oft gefragt, wie Paulus von der Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott reden könne, wenn der Mensch doch als Fleisch unter die Sünde verkauft ist und nicht weiter kommen kann als bis zu dem Ruf: „Ich elender Mensch, wer wird mich aus diesem Todesleib erretten?" (Rom. 7,24). Man kann dieser Frage gegenüber natürlich darauf hinweisen, daß Paulus immerhin die Möglichkeit offen läßt, daß „Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur die Werke des Gesetzes tun" (Rom. 2,14) und daß Paulus von Abraham sagt, daß er „Gott die Ehre gab" und daß ihm solcher Glaube „zur Gerechtigkeit gerechnet wurde" (Rom. 4,20 ff., vgl. 4,9-11). Aber es ist durchaus nicht sicher, daß Paulus mit diesen Hinweisen Ausnahmen von der Behauptung anführen wollte, daß „alle gesündigt haben . . . und ohne Gegenleistung gerechtfertigt werden durch seine [Gottes] Gnade" (Rom. 3,23 f.), weil auch bei den Heiden, die etwa „Werke des Gesetzes tun", am Gerichtstag „ihre Gedanken sich gegenseitig anklagen oder verteidigen" (Rom. 2,15 f.) und weil Abraham ja gerade nicht aufgrund eigener Leistung gerechtfertigt wurde. Paulus kennt sicherlich keinerlei wirkliche Ausnahme von der allgemeinen Sündenverfallenheit der Menschen, auch wenn er von Menschen redet, die „die Rechtsforderungen des Gesetzes halten" (Rom. 2,26). Wenn er trotzdem die Verantwortlichkeit und damit die Schuld der Menschen festhält, so kann er das zunächst einmal darum tun, weil nach seiner Überzeugung ja alle Menschen Gott erkannt haben und trotzdem nicht anerkannten (Rom. 1,20 f.) und sich durch die Sünde täuschen und verführen ließen (Rom.7,11.13). Die Verantwortlichkeit und die Schuld der Menschen sind für Paulus also darum unzweifelhaft, weil er das Sündigen der Menschen nicht auf „eine dem Menschen notwendig anhaftende Qualität zurückführt", sondern ausschließlich auf das Sündigen selbst (R.Bultmann). 11

Kümmel, Theologie

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4.3 Gesetz und Schuld Aber diese Verantwortlichkeit wird nun noch in verstärktem Maße einsichtig, weil Paulus das Gesetz in die Argumentation einbezieht und dadurch die Schuld des Menschen erst wirklich begründet. Das geschieht keineswegs willkürlich, sondern zwangsläufig, weil für Paulus als Juden das jüdische Gesetz der einzige Heilsweg Gottes gewesen war und er jetzt diesen Heilsweg als Irrweg ansehen muß: ich war „gemäß der Gerechtigkeit aufgrund des Gesetzes untadelig. Aber was mir Gewinn war, das sehe ich um Christi willen als Schaden an" (Phil.3,6f.). Trotz dieser Erfahrung hält Paulus daran fest, daß „das Gesetz heilig, gerecht und gut", daß „das Gesetz geistlich ist" (Rom. 7,12.14), und zählt die Gabe des Gesetzes an die Israeliten zu den Vorzügen, die Gott seinem Volk gewährt hat (Rom. 9,4). Aber das Gesetz weist selbst über sich hinaus: Gesetz und Propheten bezeugen im voraus die Gerechtigkeit ohne Gesetz (Rom. 3,21), und „Moses schreibt, daß [nur] der Mensch, der die Gerechtigkeit aufgrund des Gesetzes tut, aufgrund ihrer leben wird", während die Gerechtigkeit aus Glauben sagt, daß man Christus nicht im Himmel und nicht in der Unterwelt zu suchen brauche, „sondern was sagt sie?: Nahe bei dir ist das "Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen, nämlich das Wort des Glaubens, das wir verkündigen" (Rom. 10,5-8 unter Berufung auf verschiedene alttestamentliche Texte). Darum kann Paulus ausdrücklich erklären, daß mit dem Kommen des Glaubens die Zeit des Gesetzes zu Ende war und „Christus das Ende des Gesetzes ist zur Gerechtigkeit für jeden Glaubenden" (Gal.3,25; Rom. 10,4). Damit ist einerseits gesagt, daß für den Christen das Gesetz als Heilsweg nicht mehr existiert, aber andererseits unausweichlich die Frage gestellt, welche Rolle das von Gott stammende Gesetz in Gottes Heilsplan gespielt hat und etwa noch spielt. Auf diese Frage gibt Paulus eine dreifache Antwort. 1. Das Gesetz fordert Erfüllung der in ihm verkündeten Forderung Gottes, und zwar unbedingte Erfüllung: „Ich bezeuge wiederum jedem beschnittenen Menschen, daß er verpflichtet ist, das ganze Gesetz auszuführen" (Gal.5,3; vgl. 3,10). Aber es gibt keinen Menschen, weder Juden noch Griechen, für den nicht gälte: „Alle sind abgewichen, ja untüchtig geworden; da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer" (Rom. 3,9.12), und darum kann Paulus aus diesem Psalmvers und ähnlichen Zitaten folgern: „Wir wissen, daß, was das Gesetz sagt, es denen unter dem Gesetz sagt, damit jeder Mund gestopft und die ganze Welt Gott gegenüber schuldig werde" (Rom.3,19). Das Gesetz zeigt zwar dem Menschen Gottes Willen („Ich freue mich am Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen", Rom. 7,22), aber es ist nicht imstande, dem Menschen zur Befolgung des Gotteswillens zu verhelfen, weil die Sünde das Gesetz mißbraucht und den Menschen täuscht und der Mensch zu schwach ist, um dieser Täuschung zu widerstehen: „Die Sünde benutzte das Gebot als Angriffspunkt, täuschte mich und tötete mich durch es [das Gebot]" (Rom.7,11); „Denn insofern

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das Gesetz unfähig war, worin es schwach war durch das Fleisch - , Gott sandte seinen Sohn . . . und verurteilte die Sünde im Fleisch" (Rom. 8,3). Das Gesetz stellt also den Menschen vor Gottes Willen, vermag ihn aber vor der trügerischen Macht der Sünde nicht zu bewahren und darum nicht zu verhindern, daß dem Menschen, der „das Gute tun will, das Böse zur Hand liegt" (Rom. 7,21). So bewirkt das Gesetz nur, daß der Mensch einsehen muß, daß er in Tat und Wahrheit ein Sünder und darum schuldig ist: „Wo aber kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung" (Rom. 4,15); „denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde" (Rom. 3,20 b). Weil der Mensch Gottes Willen kennt und ihn doch, der Macht der Sünde weichend, nicht erfüllt, ist er ein Übertreter, der sich vor Gott als schuldig bekennen muß (Rom. 3,19 b). 2. Paulus macht nun freilich eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel: „Bis zum Gesetz war Sünde in der Welt, Sünde wird aber nicht angerechnet, wenn das Gesetz nicht vorhanden ist; aber der Tod herrschte [trotzdem] von Adam bis Mose auch über die, die nicht gesündigt haben in Übereinstimmung mit der Übertretung Adams" (Rom.5,13f.). Hier wird unterschieden zwischen den Menschen seit dem Vorhandensein des mosaischen Gesetzes, die wie Adam ein ausdrückliches göttliches Gebot übertraten, dadurch schuldig wurden und von der Sünde den Tod als Sold erhielten, und den Menschen zwischen Adam und Mose, die kein solches göttliches Gebot kannten, es darum auch nicht übertreten und dadurch schuldig werden konnten, aber trotzdem sündigten und darum sterben mußten, obwohl ihre Sünde nicht „angerechnet" wurde. Es ist rätselhaft, warum Paulus im Zusammenhang seiner Parallelisierung von Adam und Christus als Urheber des Todes und des Lebens auf die Sonderstellung der Menschheit zwischen Adam und Mose zu sprechen kommt, und es ist erst recht unerklärlich, inwiefern nach der Meinung des Paulus diese Menschen vor Gott anders dastehen als die Heiden, die „das Gesetz nicht haben und sich selbst Gesetz sind" (Rom. 2,14), und die Israeliten seit Mose, da ja alle sündigten und sterben mußten. Aber wenn uns dieser paulinische Nebengedanke auch unverständlich bleibt, so zeigt doch gerade die Betonung dieser Ausnahme durch Paulus, daß, von diesem Sonderfall abgesehen, nach der Meinung des Paulus alle Menschen einsehen müßten, daß sie Sünder sind, weil ihnen das Gesetz Gottes Willen zeigte, ohne ihnen zur Erfüllung dieses Willens helfen zu können. 3. Paulus geht aber noch einen Schritt weiter: er beschreibt diese Unfähigkeit des Gesetzes, den Menschen zu Gott zu bringen, als Gottes Absicht entsprungen. Das Gesetz ist gar nicht direkt von Gott selber gegeben, Gott hat sich dabei vielmehr der Vermittlung von Engeln und des Mose bedient (Gal. 3,19). Das Gesetz ist außerdem „nebenhineingekommen" (Rom. 5,20), es hat also nicht, wie es jüdische Auffassung war, die entscheidende Periode des Heils eingeleitet, die Zeit des Gesetzes ist vielmehr eine Episode. Diese Episode aber hatte nach Gottes Willen einen doppelten Zweck: Die 11*

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Menschen sollten durch das Gesetz bis zum Kommen des Glaubens unter Aufsicht, im Gefängnis gehalten werden: „Ehe der Glaube kam, wurden wir bewacht, eingeschlossen bis zum Glauben, der offenbart werden sollte. Daher war das Gesetz unser Aufseher bis Christus" (Gal.3,23 f.). Zugleich sollte das Gesetz durch seine Verbote die Übertretungen sich vervielfältigen lassen: „Das Gesetz ist nebenhineingekommen, damit es die Übertretung zahlreicher mache" (Rom. 5,20); „um der Übertretungen willen ist es hinzugefügt worden" (Gal. 3,19); „Als wir im Fleische waren, da wirkten die sündigen Leidenschaften, die durch das Gesetz entstanden, in unsern Gliedern" (Rom. 7,5). Durch diesen Mißbrauch des Gesetzes sollte die Sünde in ihrer ganzen Furchtbarkeit enthüllt werden: „Hat mir nun das Gute [d.h. das Gesetz] den Tod gebracht? Keineswegs. Vielmehr die Sünde [hat mir den Tod gebracht], damit sie als Sünde sichtbar werde, die mir durch das Gute den Tod verschaffte, damit die Sünde im Übermaß sündig wurde mit Hilfe des Gebots" (Rom. 7,13). Das Gesetz kann also, weil das Heil durch Christus kommt, gar nicht gegeben sein, um Leben zu schenken: „Wäre das Gesetz gegeben mit der Fähigkeit, Leben zu schaffen, dann gäbe es in Wirklichkeit Gerechtigkeit aufgrund des Gesetzes" (Gal. 3,21); „Ich verwerfe die Gnade Gottes nicht; denn wenn durch das Gesetz Gerechtigkeit [käme], wäre Christus umsonst gestorben" (Gal.2,21). Die Formulierung „das Gebot[, das] zum Leben [führen soll]" (Rom. 7,10) weist demgegenüber nur auf das Gesetz, ohne das Dazwischentreten der Sünde zu berücksichtigen. Der letzte Zweck des Gesetzes ist so nach Gottes Willen, die Menschen darauf hinzuweisen, daß sie nur aus Glauben und nicht aus Gesetzeswerken vor Gott gerecht werden können: „Daher war das Gesetz unser Aufseher bis Christus, damit wir aus Glauben gerecht gesprochen würden; nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Aufseher" (Gal.3,24f.). Darum kann Paulus den Galatern sagen: „Ihr habt einst Gott nicht gekannt und den von Natur nicht existierenden Göttern gedient; jetzt aber habt ihr Gott erkannt, seid vielmehr von Gott erkannt worden - wie könnt ihr euch da wieder zu den schwachen und armen [Welt-] Elementen hinwenden, denen ihr wieder von neuem dienen wollt?" (Gal. 4,8 f.) und sie mit diesen Worten vor der Übernahme der Beschneidung und damit der Unterwerfung unter das Gesetz warnen (Gal. 5,2; 3,2). Auch das Gesetz wird also zu den Mächten gezählt, die den Menschen in der Welt festhalten und seine Zuwendung zu Gott verhindern wollen; denn auch das Gesetz verführt den Menschen zum Sich-Rühmen: „Du, der sich des Gesetzes rühmt, du entehrst durch die Übertretung des Gesetzes Gott" (Rom. 2,23). Paulus wagt es, diesen Sachverhalt, daß das Gesetz den Menschen von Gott wegführt, nicht nur zu beschreiben, sondern auch auf Gottes Willen zurückzuführen, weil er alles Geschehen letztlich nur als Gottes Heilswillen entsprungen und als seinem Heilsplan entsprechend verstehen kann. In dieser göttlichen Herkunft und Zielsetzung des Gesetzes ist dann auch die Tatsache begründet, daß das Gesetz, das den Menschen nicht zum

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Heil führen konnte, doch als Leitfaden des göttlichen Willens für den Christen erhalten bleibt (s.u.S.202). Der Mensch wird also nach Gottes Willen durch das Gesetz erst wirklich zum Übertreter und damit zum Schuldigen, „damit jeder Mund gestopft und die ganze Welt Gott gegenüber schuldig werde" (Rom. 3,19). Damit ist aber zugleich auch die Voraussetzung geschaffen für das Eingreifen der göttlichen Gnade: „Das Gesetz ist nebeneingekommen, um die Übertretung reichlich zu machen; wo aber die Sünde reichlich war, war die Gnade viel reichlicher, damit, wie die Sünde im Tode herrschte, so auch die Gnade durch Gerechtigkeit herrsche zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn" (Röm.5,20f.).

5. Das Heil in Jesus Christus Paulus sieht den Menschen also ganz gewiß in einer hoffnungslosen Lage, die ihm letztlich nichts anderes erlaubt, als in den Ruf auszubrechen: „Ich elender Mensch, wer wird mich aus diesem Todesleibe retten?" (Rom. 7,24). Aber diese Sicht des Menschen entspringt nicht einem irgendwie begründeten Pessimismus oder Dualismus, sondern ist die Folge der Gewißheit, daß die Christen aus dieser Lage durch Gott befreit sind und daß jeder Mensch aus dieser Lage befreit werden kann. Das Bild des Menschen, das Paulus zeichnet, ist also nur die Kehrseite seiner Botschaft von der Erlösung des Menschen durch Christus. Immer wieder redet Paulus davon, daß jetzt alles anders geworden ist: „Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottesgerechtigkeit offenbart worden" (Rom. 3,21); „Keine Verurteilung für die [Menschen] in Christus gibt es also jetzt [mehr]" (Rom.8,1); „Das vor den Äonen und Geschlechtern verborgene Geheimnis wurde jetzt seinen Heiligen geoffenbart" (Kol. 1,26; vgl. auch Rom.3,26; 5,9.11; 7,6; l.Kor. 15,20; 2.Kor.6,2; Kol. 1,22 und oben S. 128). Und wie Paulus das Unheil des Menschen mit verschiedenen bildhaften Vorstellungen beschreiben kann, so redet er auch von dem jetzt Wirklichkeit gewordenen Heil in verschiedenen Vorstellungsformen, die alle dasselbe göttliche Geschehen von verschiedenen Seiten beschreiben. 5.1 Rettung und Erlösung Der allgemeinste Begriff ist der der „Rettung", gewöhnlich mit „Heil" übersetzt. Dem Menschen als Sünder steht ja „Verderben" bevor: „laßt euch nicht einschüchtern durch die Widersacher, was für sie ein Anzeichen des Verderbens ist, für euch aber der Rettung, und zwar von Gott" (Phil. 1,28), und Paulus stellt darum den Menschen, die zugrunde gehen, diejenigen gegenüber, die gerettet werden (l.Kor. 1,18; 2.Kor.2,15; Phil. 1,28). Den Christen aber kann Paulus sagen: „Gott hat uns nicht hingestellt für den Zorn, sondern für den Erwerb der Rettung durch unseren Herrn Jesus Christus" (l.Thess.5,9). So ist mehrfach von der Rettung die Rede, die den Christen bevorsteht: das Evangelium „ist eine Gotteskraft zur Rettung für jeden Glaubenden" (Rom. 1,16); „Wenn du mit deinem Munde Jesus als

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Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden" (Rom. 10,9). Daß Paulus diese Rettung bei dem in naher Zukunft erwarteten Kommen Christi in Herrlichkeit, d.h. beim nahen Ende, erwartet, zeigt Rom. 13,11 f.: „Jetzt ist unsere Rettung näher als [damals], als wir zum Glauben kamen. Die Nacht ist vorgeschritten, der Tag ist nahe herbeigekommen" (zum „Tag" vgl. l.Kor. 1,8; l.Thess.5,2). Aber Paulus spricht nicht nur von der Erwartung der zukünftigen Rettung, er verbindet diese Zukunft auch eng mit der Gegenwart: „Wir erwarten die Erlösung unseres Leibes; denn in Hoffnung sind wir gerettet" (Rom. 8,23 f.) und sagt dementsprechend: „Siehe, jetzt ist der willkommene Zeitpunkt, siehe, jetzt ist der Rettungstag" (2.Kor.6,2). In der Gegenwart ist dem Christen die kommende Rettung schon sichere Gabe, weil sie begründet ist in Christi Tod und Auferstehung in der Vergangenheit: „Wieviel mehr werden wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden. Denn wenn wir, die wir Feinde waren, mit Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnt wurden, wieviel mehr werden wir als Versöhnte durch sein Leben gerettet werden" (Rom.5,9f.). Die Rettung des Christen, die er sicher beim kommenden Weltende erwartet, ist ihm also darum schon gegenwärtige Wirklichkeit, weil die entscheidende Rettungstat Gottes geschehen ist und der Christ an diesem Heilsgeschehen der Vergangenheit in der Gegenwart schon Anteil erhält. Zugleich macht schon dieser allgemeine Begriff „Rettung" deutlich, daß das Gerettetsein des Christen der Tatsache entspricht, daß der Christ sich in die Zeit zwischen der Auferstehung und der erwarteten Ankunft Christi in Herrlichkeit gestellt weiß und darum trotz seines Lebens im alten Aon schon am Anbruch des kommenden Äons Anteil hat. Was dieses Gerettetsein inhaltlich bedeutet, läßt sich freilich erst an den spezielleren Heilsbegriffen erkennen. 5.2 Die Befreiung von den Geistermächten Etwas weiter führt schon die Vorstellung von der Befreiung. Der Mensch ist nach der Uberzeugung des Paulus immer ein Sklave und darum unfrei: „Wißt ihr nicht, daß ihr dem gegenüber, dem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam zur Verfügung stellt, Sklaven seid, indem ihr diesem [Herrn] gehorcht, sei es der Sünde zum Tod, sei es des Gehorsams zur Gerechtigkeit?" (Rom. 6,16), und es kommt daher nur darauf an, wer der Herr des Sklaven ist. Der Mensch in dieser Welt ist an sich Sklave vieler Herren, die ihn von Gott abbringen wollen, der Sünde (Rom. 6,6.20), des Gesetzes (Rom. 6,14 f.; 7,5 f.), der Weltelemente (Gal.4,3.8). Von allen diesen Herren hat Christus befreit und wird Christus befreien. Paulus kann diese Wahrheit ganz allgemein aussagen: Christus „ist für uns von Gott geworden zur Weisheit, Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung" (l.Kor. 1,30); „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2.Kor.3,17); „Wir, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, seufzen bei uns selbst in der Erwartung der Erlösung unseres Leibes" (Rom. 8,23). Was diese Befreiung konkret für den Menschen

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bedeutet, wird aber erst dort erkennbar, wo Paulus von der Befreiung aus der Sklaverei der einzelnen „Herren" spricht. Besonders deutlich sind da zunächst die Aussagen über die Befreiung von den Geistermächten. Die Menschen stehen ja nach Paulus als „in der Welt lebende" (Kol. 2 , 2 0 ) ausweglos unter der M a c h t der „sogenannten G ö t t e r " , der Dämonen, der Engel und Herrschaften und M ä c h t e , der Weltelemente und des „Gottes dieses Ä o n s " , d.h. des Teufels, die die M e n schen von G o t t und damit vom göttlichen Leben fernhalten und so dem Verderben ausliefern ( l . K o r . 8 , 5 ; 1 0 , 2 0 f . ; R ö m . 8 , 3 8 ; G a l . 4 , 9 ; 2 . K o r . 4 , 4 ; s.o. S. 154). Gott aber hat durch die Sendung, den T o d und die Auferweckung Jesu Christi „die M ä c h t e und Gewalten entwaffnet und öffentlich bloßgestellt, indem er in ihm [Christus] über sie den Sieg davontrug" ( K o l . 2 , 1 5 ) . Jesus Christus hat sich nämlich selbst unter die Herrschaft der M ä c h t e dieser Welt begeben: „Er entleerte sich, indem er Sklavenform annahm, in der Gestalt der Menschen auftrat" (Phil.2,7); „ G o t t sandte seinen Sohn in der Gestalt des Sündenfleisches" ( R o m . 8 , 3 ) ; unser Herr Christus „wurde um euretwillen arm, er, der reich war, damit ihr durch seine Armut reich würdet" ( 2 . K o r . 8 , 9 ) . Aber die M ä c h t e dieser Welt konnten nicht bleibend über Jesus Christus ihre Todesmacht ausüben, vielmehr „ist Christus von den Toten auferweckt als Erstling der Entschlafenen" ( l . K o r . 1 5 , 2 0 ; vgl. Kol. 1,18), und so hat G o t t durch das Kreuz und die Auferweckung seines Sohnes die M ä c h t e entmachtet und „Frieden geschaffen durch das Blut seines Kreuzes, durch ihn sowohl auf Erden wie im H i m m e l " (Kol. 1,20). Seither ist Christus „das Haupt jeder Herrschaft und M a c h t " (Kol. 2 , 1 0 ) , auch wenn die M ä c h t e noch nicht vernichtet sind (vgl. l . K o r . 7 , 5 ; 1 0 , 2 0 ; G a l . 4 , 9 ) . Weil Christus die M ä c h t e besiegt hat, darf der Christ überzeugt sein, daß Christus „sich für unsere Sünden gegeben hat, um uns aus dem gegenwärtigen bösen Aon herauszureißen" (Gal. 1,4); denn Gott „hat uns aus der M a c h t der Finsternis errettet und in die Herrschaft seines lieben Sohnes versetzt" (Kol. 1,13). Wie dem Christen gewiß ist, daß die M ä c h t e entmachtet sind (vgl. auch R ö m . 8 , 3 7 f . ) , so ist ihm auch gewiß, daß bei dem in Bälde erwarteten Erscheinen des Christus in Herrlichkeit „im Namen Jesu sich beugen wird jedes Knie der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen und jede Zunge bekennen wird: J e s u s Christus ist Herr', zur Ehre Gottes des Vaters" ( P h i l . 2 , 1 0 f . ) . Wenn dann der Christus „jede Herrschaft und jede M a c h t und Gewalt vernichtet hat, . . . wird als letzter Feind der T o d vernichtet" ( l . K o r . 1 5 , 2 4 f f . ; vgl. auch die Vernichtung des Antichristen 2 . T h e s s . 2 , 8 ) . Dann wird „auch die Schöpfung befreit werden von der Sklaverei der Vergänglichkeit zur herrlichen Freiheit der Kinder G o t t e s " ( R o m . 8 , 2 1 ) . Dieser in sich geschlossene Gedankenkreis, der an manchen Stellen in den Paulusbriefen anklingt, aber nur dann ausführlicher erwähnt wird, wenn die Bedeutung des Sterbens und Auferstehens Christi für die ganze Welt nicht gesehen wird und Paulus darum diese Geringschätzung der T a t Gottes in Christus bekämpfen muß (nämlich gegenüber den Kolossern), ist dem

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heutigen Bibelleser zweifellos besonders fremd: Satan und die Dämonen sind uns keine vorstellbaren Gestalten, und daß das geschichtliche Ereignis des Todes und der Auferweckung Jesu Christi die Situation der ganzen Welt, ja ihr endgültiges Schicksal grundlegend verändert haben soll, können wir uns schwer vorstellen. Paulus hat auch, jedenfalls in den uns erhaltenen Briefen, keine näheren Ausführungen darüber gemacht, inwiefern die Ereignisse der Menschwerdung, des Todes und der Auferweckung Christi die Entmachtung der Mächte dieser Welt bewirkt haben. Freilich hat man seit den Tagen der Alten Kirche oftmals (auch in den früheren Auflagen dieses Buches) die Aussage in 1.Kor. 2,8: die verborgene Weisheit Gottes hat „keiner der Herrscher dieses Äons erkannt; wenn sie sie nämlich erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt" dahin gedeutet, daß mit den hier genannten „Herrschern dieses Äons" die Dämonen gemeint seien, die durch die Menschwerdung des „Herrn der Herrlichkeit" getäuscht worden und darum durch das Kreuz und die Auferstehung ihres von ihnen nicht erkannten Herrn ihrer Macht beraubt worden seien. Neuere Untersuchungen haben aber m.E. gezeigt, daß der vom Ende des 2.Jahrhunderts bis hin zu M.Luther immer wieder begegnende Gedanke von der Überlistung des Teufels durch die verkleidende Menschwerdung Jesu Christi (vgl. Luthers Lied „Nun freut euch, lieben Christen g'mein", EKG 239,6) an 1.Kor. 2,8 keinerlei Anhalt hat, daß diese Auslegung vielmehr sowohl dem Sprachgebrauch wie dem Zusammenhang widerspricht. Mit den „Herrschern dieses Äons" meint Paulus in 1.Kor. 2,6.8 vielmehr die irdischen Vollstrecker der Kreuzigung Jesu, „die Vorstellung, daß die Dämonen Christus nicht erkannt hätten, ist Paulus wie dem gesamten Urchristentum fremd" (U.Wilckens), und von „Verkleidung" des Menschgewordenen ist auch nicht die Rede. Aber auch abgesehen davon, daß es für uns nicht voll erkennbar bleibt, wie sich Paulus die Überwindung der Herrschaft der Geistermächte über die Welt durch das Christusgeschehen im einzelnen vorgestellt hat, bleibt uns dieser ganze Vorstellungskreis fremd, und wir sind darum geneigt, ihn als für uns überholt und darum bedeutungslos zu betrachten. Wir sollten freilich ein Doppeltes bedenken, ehe wir diese für Paulus so wesentlichen Gedanken einfach beiseite schieben. Auch wenn die Vorstellung, daß die gottfeindliche Welt von personhaften Wesen gelenkt wird (Satan, Dämonen), zweifellos zum antiken, freilich auch heute noch für viele Menschen in allen Kulturbereichen realen Weltbild gehört, das wir nicht mehr zu teilen vermögen, so können wir doch, besonders nach den leidvollen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, schwerlich ohne weiteres leugnen, daß der Widerstand gegen Gott, den Schöpfer, und die Wirklichkeit der verführerischen Macht des Bösen weit über den einzelnen Menschen oder auch über einzelne Menschengruppen hinausgreifen, daß es eine Wirklichkeit des Bösen gibt, deren Macht der einzelne Mensch sich hilflos ausgeliefert sieht. Wenn das aber nicht zu leugnen ist, dann kann Gottes rettendes Handeln in Jesus Christus nicht entscheidende Bedeutung haben, wenn nicht auch die Macht

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des Bösen dadurch im Kern betroffen wäre. Darum ist die paulinische Botschaft von der „Entmachtung der Mächte" zweifellos nicht nur für Paulus, sondern auch der Sache nach eine wesentliche Aussage, auch wenn diese Aussage für den einzelnen Gläubigen nicht im gleichen Maße persönlich bedeutsam erscheint wie die im folgenden noch zu besprechenden Aussagen des Paulus über die Erlösung Gottes in Christus. Die paulinische Botschaft von der Entmachtung der Mächte ist streng an die im Glauben erkannte geschichtliche Lage des Christen gebunden. Denn so eindeutig Paulus bekennt, daß die Dämonen durch Kreuz und Auferstehung Christi besiegt sind, und so gewiß es Paulus ist, daß die Christen darum aus dem gegenwärtigen bösen Äon und der Macht der Finsternis errettet sind (Kol. 2,15; Gal. 1,4; Kol. 1,13), ebenso eindeutig weiß Paulus, daß die Gestalt dieser Welt erst vergehen wird (l.Kor.7,31) und daß darum der Teufel und die Dämonen noch immer eine Gefahr bilden, auch für den Christen, der ja noch im Fleische lebt (2.Kor.4,3f.; Gal. 4,9; l . K o r . 7 , 5 ; 10,20). So kann der Christ gewiß sein, daß die Macht des Bösen nicht das letzte Wort haben wird, weil die Mächte vernichtet werden sollen und Gott alles in allem sein wird (l.Kor. 15,24.28; 2.Thess.2,8), und er kann darauf vertrauen, daß keine Macht der Welt ihn der Liebe Gottes in Christus entreißen kann (Rom. 8,38f.; 5,9 f.; l.Thess. 1,10; 5,9). Aber diese Vernichtung der Macht des Bösen steht noch aus, so gewiß sie kommen wird, und darum gilt auch jetzt für den Christen: „Laßt uns nicht schlafen wie die Übrigen, sondern wachen und nüchtern sein!" (l.Thess.5,6). So beschreibt die paulinische Rede vom Siege Gottes in Christus über die Geistermächte die geschichtliche Situation des Christen in der Gegenwart zwischen der Auferstehung und der Erscheinung Christi in Herrlichkeit mit letztem Ernst und hat insoweit auch für uns bleibende Bedeutung. 5.3 Die Befreiung vom Gesetz Wesentlich zentraler scheint uns freilich die paulinische Botschaft von der Befreiung vom Gesetz zu sein. Für Paulus als ehemaligem Juden ist das Gesetz die Macht, die dem Menschen Gottes Willen gebietet, und Paulus betrachtet darum die ganze Zeit bis zum Kommen Christi als die Zeit des Gesetzes (Gal.3,23). Der Christ Paulus hat aber erkennen müssen, daß das Gesetz den Menschen im Gefängnis hält, in ihm sündige Leidenschaften weckt oder ihn zur Selbstrechtfertigung vor Gott veranlaßt und ihn in beiden Fällen zum Sklaven macht, der den Weltelementen dienen muß (Gal. 3,23; 4,3-5.9; Rom. 6,14f.; 7 , 4 - 6 ; 9,31 f.; 10,3). Das Gesetz war nicht fähig, dem Menschen Leben zu schenken, und aus Gesetzeswerken wird kein Mensch vor Gott gerecht werden, so daß der Mensch unter dem Gesetz nur bis zu dem Ruf kommen kann: „Ich elender Mensch, v/er wird mich aus diesem Todesleibe retten?" (Gal.3,21; Rom.3,20; 7,24). Diese Frage erhält freilich von Paulus sofort die Antwort: „Gott [sei] Dank durch Jesus Christus, unseren Herrn" (Rom. 7,25 a), und dementsprechend verkündet Paulus den Galatern, die sich dem Gesetz unterwerfen wollen: „Christus hat uns losgekauft aus dem Gesetzesfluch, indem er für uns zum Fluch wurde"; „Gott

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sandte seinen Sohn, von einer Frau geboren, unter das Gesetz gestellt, damit er die [Menschen] unter dem Gesetz loskaufe, damit wir die Einsetzung als Söhne empfingen" (Gal.3,13; 4,4f.). Dieser Loskauf vom Gesetz aber bedeutet Freiheit: „Zur Freiheit hat uns Christus frei gemacht"; „ihr seid nämlich zur Freiheit gerufen, Brüder" (Gal. 5,1-13). Und für die Christen gilt ganz allgemein: „Ihr seid nämlich nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade"; „ihr seid für das Gesetz getötet durch [den Eintritt in] den Leib Christi" (Rom. 6,14; 7,4); „Seit der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter der [Botmäßigkeit des] Aufsehers" (d.h. des Gesetzes), weil „Christus das Ende des Gesetzes ist zur Gerechtigkeit für jeden Glaubenden" (Gal.3,25; Rom. 10,4). Auch hier sind also deutlich zwei Perioden des göttlichen Handelns der Welt gegenüber hintereinander gestellt: bis zum Kommen Christi und des Glaubens standen die Menschen unter dem Fluch des Gesetzes, weil „jeder verflucht ist, der nicht bei allem bleibt, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist, so daß er es ausführt" (Gal. 3,10). Diesem Fluch hat Christus ein Ende gemacht, indem er selber „für uns zum Fluch geworden ist, weil geschrieben steht: ,Verflucht ist jeder, der am Holze hängt'" (Gal.3,13). Paulus deutet also den Tod Christi am Kreuz als stellvertretendes Auf-sich-Nehmen des Gesetzesfluches, der die dem Gesetz ungehorsamen Menschen treffen müßte; und Paulus schildert die Wirkung dieses stellvertretenden Tragens des Gesetzesfluches als ein Loskaufen der Menschen aus diesem Fluch. Man hat viel darüber gerätselt, wie dieses Bild vom Loskauf im einzelnen gemeint sei, wie die Gefangenschaft, der bezahlte Preis, der Empfänger dieser Zahlung usw. vorzustellen seien. Aber es ist durchaus unsicher, ob man überhaupt so fragen darf, da Paulus auch vom Loskauf des Christen reden kann, ohne dabei an die Befreiung vom Fluch des Gesetzes zu denken: „ihr seid bar gekauft" (1.Kor. 6,20; 7,23). Er denkt offenbar nur daran, daß die Menschen in der Sklaverei gegenüber den Mächten der Welt und damit auch gegenüber dem Gesetz lebten und nun aus dieser Sklaverei befreit und dem Bilde vom Sklaven entsprechend „losgekauft sind" (s. den Kommentar zu 1.Kor. 6,20): indem Christus sich so weit erniedrigte, daß er stellvertretend den Fluch des Gesetzes trug, der ihn selber nicht betraf, hat er die Macht dieses Fluchs gebrochen und die Menschen aus der Macht des sie verfluchenden Gesetzes befreit, „damit wir die Verheißung des Geistes empfingen durch den Glauben" (Gai. 3,14b; s. den Kommentar zu Gal. 3,13). Weil Gott in Christi Tod und Auferstehung endzeitliches Heil wirkte („Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen S o h n , . . . , um die [Menschen] unter dem Gesetz loszukaufen, damit wir die Einsetzung als Söhne empfingen", Gal. 4,4f.), darum ist mit dem Hereinbrechen des kommenden Äons in diese vergehende Welt durch Christi Tod und Auferstehung auch dem Gesetz die Macht genommen, den Menschen zu versklaven und mit Fluch zu belegen. Der Fluch des Gesetzes, der den ungehorsamen Menschen treffen müßte, ist durch Christi stellvertretendes Sterben und seine Auferweckung aufgehoben. Damit zeigt sich aber, daß das eigentliche Unheil,

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das den unter das Gesetz versklavten Menschen trifft, der Fluch des Gesetzes, die Schuldigerklärung des vom Gesetz geforderten Menschen ist, und die Freiheit von diesem Fluch, die Christus geschaffen hat, ist ihrem eigentlichen Wesen nach Freiheit von der durch diesen Fluch angezeigten Schuld. Erst wenn wir nach der Befreiung von der Schuld fragen, werden wir darum die Botschaft des Paulus von der Erlösung des Menschen durch Christus in ihrem letzten Sinn verstehen. 5.4 Die Befreiung von Sünde und Schuld Mit dem Gesetz als dem den Menschen in der Welt versklavenden Herrn sieht Paulus nämlich die Sklavenherrschaft der Sünde über den Menschen eng verbunden. So kann er einerseits vom Menschen unter dem Gesetz sagen: „Als das Gebot kam, lebte die Sünde auf, ich aber starb" (Rom. 7,9 f.) und damit die Tatsache beschreiben, daß der Mensch immer unter der todbringenden Macht der Sünde steht, solange er sich unter der Macht des Gesetzes befindet (vgl. auch Rom. 7,5). Er kann andererseits den Christen erklären: „Die Sünde wird über euch nicht herrschen; ihr seid ja nicht [mehr] unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade" (Rom. 6,14). Paulus sieht also die Sünde zunächst als eine Macht, der die Menschen als Sklaven unterworfen sind (s.O.S. 161) und die durch den Tod ihre Königsherrschaft ausübt (Rom. 5,21,· vgl. auch 6,23). Christus aber hat uns auch aus der Sklaverei der Sünde befreit: „Jetzt aber seid ihr befreit von der Sünde und Sklaven Gott gegenüber geworden" (Rom. 6,22); „Denn das Gesetz des Lebensgeistes in Christus Jesus hat dich befreit vom Gesetz der Sünde und des Todes" (Rom. 8,2). Wie hat Christus die Macht der Sünde über den Menschen gebrochen? Als Christus Mensch wurde, hat er „Sündenfleisch" angenommen und sich damit in den Machtbereich der Sünde begeben (Rom. 8,3), ohne doch selbst sündige Taten zu tun: „Den, der keine Sünde kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht" (2.Kor.5,21). Die Sünde hat auch diesen Menschen dem Tode ausgeliefert: „Insofern er [Christus] gestorben ist, ist er ein für allemal für die Sünde gestorben" (Rom.6,10a); Christus aber starb nicht als „Sklave der Sünde auf den Tod hin" (Rom. 6,16), sondern „für unsere Sünden", „für uns", „für alle", „für Gottlose" (l.Kor. 15,3; l.Thess.5,10; Rom.5,6.8; 2.Kor.5,14 u.ö.). In diesem Tod des Christus zeigte sich also Gottes Liebe (Rom.5,8), und weil hier Gott handelte „für uns Gottlose" (Rom. 5,6), darum gilt von diesem Sterben: „Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des Sündenfleisches und um der Sünde willen und verurteilte die Sünde im Fleisch" (Rom. 8,3). Paulus hat nicht gesagt, wie er sich diese Verurteilung der Sünde, diese Entmächtigung der Sünde durch den Tod Christi genauer vorgestellt hat, aber wahrscheinlich ist daran gedacht, daß dieser Tod keinen Sünder treffen konnte und darum die Sünde traf, die über diesen Menschen kein Recht hatte (vgl. den Kommentar zu Rom. 8,3). Gott hat diesen Tod ja nicht das Letzte sein lassen, sondern den am Kreuz Gestorbenen auferweckt und auch darin sich als der Überwinder der Macht gezeigt, die Jesus zum Tode brachte, der Sünde: „Wer verurteilt? Christus Jesus, der gestorben ist, noch mehr, der auf-

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erweckt ist, der zur Rechten Gottes ist?" (Rom. 8,34); „Wir wissen, daß Christus, der von den Toten erweckt wurde, nicht mehr stirbt, der Tod hat über ihn keine Herrschaft mehr" (Rom. 6,9). Wenn Gott also „die Sünde im Fleisch verurteilt" hat (Rom. 8,3), so ist die Sünde seit Christi Tod und Auferstehung nicht mehr Herr über das Fleisch, und es ist darum seither möglich, „nicht nach dem Fleisch zu wandeln" (Rom. 8,4). Christi Tod leitet also auch gegenüber der Sündenmacht eine neue Weltzeit ein, die Zeit des Endheils, aber auch hier gilt, daß der alte Äon noch nicht vergangen und die Sündenmacht noch nicht vernichtet ist. Darum sind die Christen für die Sünde gestorben und aus der Sklaverei der Sündenmacht befreit (Rom. 6,2.18), die Sünde aber kann nach wie vor ihre Herrschaft ausüben „über euern sterblichen Leib, so daß ihr seinen Begierden gehorcht" (Rom. 6,12). Auch die Botschaft von der Befreiung aus der Macht der Sünde ist also hineingestellt in den Zusammenhang der paulinischen Botschaft von dem Miteinander der beiden Äonen und kann darum erst ganz verständlich werden, wenn wir nach der paulinischen Anschauung vom Sein des Christen in dieser Endheilszeit fragen. Freilich haben wir die paulinische Botschaft von der Erlösung des Menschen von der Sünde erst zu einem Teil ins Auge gefaßt, wenn wir von der Befreiung aus der Macht der Sünde gesprochen haben. Wir sahen ja schon, daß die auswegsloseste N o t des Menschen für Paulus die Schuld ist, in die die Sünde den Menschen stürzt. Weil alle Menschen gesündigt haben, ist „jeder Mund gestopft und die ganze Welt vor Gott schuldig" (Rom. 5,12d; 3,19; vgl. 3,9.23; 5,20, s.o.S. 159ff.). In Christus aber „haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden" (Kol. 1,14). Daß Gott in Christus die Sündenschuld durch Vergebung unwirksam gemacht hat, sagt Paulus freilich so unumstritten nur an dieser Stelle des in seiner Echtheit bestrittenen Kolosserbriefs. Aber Paulus gebraucht neben diesem aus dem personhaften Miteinander der Menschen genommenen Bild der Vergebung eine Reihe von andern Bildern, um die Botschaft von der Beseitigung der Sündenschuld durch Gott auszudrücken: „Jetzt besteht keine Verurteilung [mehr] für die [Menschen] in Christus Jesus" (Rom.8,1); „Gott versöhnte die Welt in Christus mit sich, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete" (2.Kor.5,19); „wieviel mehr werden wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden" (Rom. 5,9; vgl. l.Thess. 1,10); „Er hat uns alle Übertretungen erlassen, er hat die Schuldschrift mit ihren Forderungen, die gegen uns stand, ausgelöscht und weggeschafft, indem er sie ans Kreuz nagelte" (Kol.2,13f.). In diesen Texten begegnet neben der aus dem religiösen Bereich stammenden Vorstellung von der Rettung vor dem göttlichen Zorn vor allem in verschiedener Wendung das juristische Bild vom Freispruch und Schulderlaß, und die Vorstellungswelt der Rechtsprechung ist denn auch die wichtigste Gedankenform, in der Paulus seine Botschaft von der Beseitigung der Sündenschuld durch Gott in Christus zum Ausdruck bringt, und im Zusammenhang der sog. Rechtfertigungslehre begegnet auch der Gedanke der Sündenvergebung wieder.

Die Rechtfertigung

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5.5 Die Rechtfertigung Am ausführlichsten geht Paulus auf diese Botschaft von der göttlichen Rechtfertigung in den polemischen Zusammenhängen des Römerbriefs und des Galaterbriefs ein. Das sog. „Thema" des Römerbriefs (das Evangelium „ist eine Gotteskraft zur Rettung für jeden Glaubenden, zunächst für den Juden und [dann] für den Griechen; denn Gottesgerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: ,Der Gerechte aus Glauben aber wird leben' " , Rom. l , 1 6 f . ) findet seine grundlegende Ausführung in Rom. 3 , 2 1 - 3 0 : „Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottesgerechtigkeit offenbart . . . , Gottesgerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden. Denn es besteht kein Unterschied: Alle haben ja gesündigt und entbehren die Gottesherrlichkeit und werden ohne Gegenleistung gerecht gesprochen durch seine Gnade mittels der Erlösung in Jesus Christus. Ihn hat Gott als Sühnemittel in seinem Blut hingestellt, [das] durch den Glauben [ergriffen wird]. Dadurch wollte Gott seine Gerechtigkeit wirksam werden lassen, indem er die zur Zeit der Geduld Gottes vorher begangenen Sünden vergab; dadurch wollte Gott seine Gerechtigkeit wirksam werden lassen im jetzigen Zeitpunkt, damit er selbst gerecht sei und den gerecht erkläre, der aus Glauben an Jesus [ist] . . . Wir fällen nämlich das Urteil, daß ein Mensch gerecht gesprochen wird aus Glauben ohne Gesetzeswerke. Oder ist Gott nur [der Gott] der Juden? Nicht auch der Völker? Ja, auch der Völker, wenn es denn einen Gott [gibt], der die Beschnittenen aus Glauben gerecht sprechen wird und die Unbeschnittenen durch Glauben." Diese Botschaft wird im Anschluß daran an der Gestalt des glaubenden Abraham illustriert, und dann heißt es ganz allgemein: „Dem, der glaubt an den [Gott], der den Gottlosen gerecht spricht, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet, wie auch David den Menschen selig preist, dem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet: ,Selig sind diejenigen, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind; selig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet' " (Rom. 4,5-8). Ähnlich heißt es Gal. 2,15 f.: „Wir, die wir von Natur Juden und nicht Sünder aus den Heiden sind, aber wußten, daß der Mensch aus Gesetzeswerken nicht gerecht gesprochen wird, sondern durch Glauben an Christus Jesus, wir haben an Christus Jesus geglaubt, damit wir gerecht gesprochen würden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerecht gesprochen werden wird." Und auch hier wird dann Abraham als Glaubensbeispiel genannt: „Wie Abraham Gott glaubte und es ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wurde. Ihr erkennt also, daß die [Menschen] aus Glauben Abrahamssöhne sind. Die Schrift aber sah voraus, daß Gott aus Glauben die Völker rechtfertige, und verkündete darum dem Abraham im voraus die frohe Botschaft: ,In dir sollen alle Völker gesegnet werden.' Daher werden die [Menschen] aus Glauben gesegnet mit dem glaubenden Abraham" (Gal. 3,6-9). Und noch ein drittes Mal spricht Paulus ausführlicher von der Rechtfertigung, nachdem er im Philipperbrief davon

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geredet hatte, daß er die untadelige Gesetzesgerechtigkeit seiner jüdischen Vergangenheit um Christi willen als Schaden anzusehen gelernt habe: „Ich halte aber alles noch mehr für Schaden wegen der überreichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich mich um alles bringen ließ, und ich halte es für Dreck, um Christus zu gewinnen und in ihm erfunden zu werden, der ich nicht meine Gerechtigkeit aus dem Gesetz habe, sondern die [Gerechtigkeit] durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens" (Phil.3,8f.). Aber Paulus redet auch sonst noch mehrfach kurz von der Rechtfertigung der Christen oder von der Rechtfertigung aus Glauben (Rom.5,9.18; 8,30.33; 10,4.10; l.Kor. 1,30; 6,11) und von der „Gottesgerechtigkeit" (Rom. 3,5; 5,17; 10,3; 2.Kor.5,21), und die oft vertretene Anschauung, die Rechtfertigungslehre des Paulus sei eine bloße „Kampfeslehre" und darum nicht ein zentraler Ausdruck seiner Heilsbotschaft, läßt sich schon im Blick auf die beherrschende Stellung dieser Lehre in den Paulusbriefen nicht halten. Ganz im Gegenteil läßt sich leicht sehen, daß die Rechtfertigungslehre die grundlegende und persönlichste Ausdrucksform der paulinischen Botschaft von Gottes endzeitlichem Heilshandeln darstellt. Ihre geschichtliche "Wurzel hat allerdings diese Form der paulinischen Heilslehre einerseits in der Auseinandersetzung mit der jüdischen Heilslehre, die Paulus als Pharisäer vertreten hatte und die nun der paulinischen Verkündigung vom Heil in Christus von jüdischer und extrem judenchristlicher Weise entgegengehalten wurde. Dieser polemische Charakter der paulinischen Rechtfertigungsaussagen ist ja darum unverkennbar, weil Paulus betont, daß die göttliche Rechtfertigung „ohne Gesetzeswerke" oder „ohne Gesetz" (Rom. 3,20 f.28; 4,6; Gal. 2,16; 3,11) und darum „ohne [menschliche] Gegenleistung" (Rom. 3,24) und ohne „meine Gerechtigkeit aus dem Gesetz" (Phil. 3,9) dem Menschen zuteil wird. Aus dieser polemischen Antithese erklären sich auch die paradoxen Formulierungen: „Der Mensch wird gerecht gesprochen aus Glauben" oder „dem Glaubenden wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Rom.3,28; 4,5), die immer wieder zu dem Mißverständnis geführt haben, Paulus fordere anstelle des menschlichen Gesetzeswerkes den menschlichen Glauben als die Vorleistung des Menschen für die göttliche Gerechtsprechung. Ihre geschichtliche Voraussetzung hat die paulinische Rechtfertigungslehre aber andererseits darin, daß im Judentum der letzten vorchristlichen Jahrhunderte in Aufnahme alttestamentlicher Gedanken der Begriff „Gottesgerechtigkeit" im Sinne der seinen Bund wahrenden gnädigen Treue Gottes verwendet worden ist: „Wenn ich strauchle durch die Bosheit meines Fleisches, wird mein Recht durch Gottes Gerechtigkeit ewig bestehen" (Sektenschrift 11,12, bei J . Maier [s. o. S. 9], S. 44); „Dadurch wird deine Gerechtigkeit und Güte, Herr, offenbar, daß du dich derer erbarmst, die keinen Schatz von guten Werken haben" (4.Esr. 8,36). Man hat nun freilich weitergehend behauptet, die paulinische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden sei schon in bestimmten Kreisen des Judentums, vor allem in Qumran, vorgebildet gewesen. Aber die Tat-

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sache, daß in diesen Kreisen ähnliche Aussagen begegnen („Nur durch deine Güte wird der Mensch gerecht", Loblieder 13,16f., s. J. Maier [s. o. S. 9], S. 109), darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Judentum zur Zeit des Neuen Testaments zwar den Gedanken durchaus kennt, daß der Mensch auf die Gnade Gottes angewiesen ist; aber dieser Gedanke setzt die Notwendigkeit des radikalen Gesetzesgehorsams voraus und kennt nicht wie Paulus das endzeitliche, das Heil des sündigen Menschen überhaupt erst ermöglichende Rettungshandeln Gottes. Denn das ist nun die grundlegende Aussage des Paulus in diesem Zusammenhang: Gottes Gerechtigkeit wird enthüllt bzw. ist offenbart worden (Rom. 1,17; 3,21), Gott hat seine Gerechtigkeit erwiesen (Rom.3,25 f.), und zwar in der Gegenwart. Darum ist einmal davon die Rede, daß die Gottesgerechtigkeit durch das Evangelium, d.h. die Verkündigung des Evangeliums, enthüllt wird (Rom. 1,16 f.), zum andern davon, daß die Gottesgerechtigkeit jetzt dem Glaubenden sich kundgetan hat durch die Erlösung in Christus Jesus, durch den Gott seine Vergebung erwiesen hat (Rom.3,21-24f.). Gott hat also in dem jetzigen Zeitpunkt in Christus gehandelt und handelt weiter durch das Evangelium und läßt so seine Gerechtigkeit offenbar werden. Wenn man diesen Gedanken richtig verstehen will, müssen drei Fragen geklärt werden: 1) "Was heißt bei Paulus „Gottesgerechtigkeit"? 2) Welche Rolle spielt Jesus Christus im Zusammenhang der Offenbarung der Gottesgerechtigkeit? 3) Wie hängen Rechtfertigung und Glaube zusammen? 5.5.1 Was heißt „ Gottesgerechtigkeit"

?

Paulus gebraucht den Begriff „Gerechtigkeit Gottes" nur relativ selten (Rom. 1,17; 3,5.21 f.25f.; 10,3; 2.Kor.5,21; etwas anders Phil.3,9), aber immer als einen geprägten Begriff, dessen Bedeutung sich nicht aus dem bloßen Wortlaut, sondern nur aus dem überlieferten Sinn dieser Wortverbindung zusammen mit der Beobachtung ihrer Verwendung im Zusammenhang der paulinischen Rechtfertigungslehre ergibt. Die Wortverbindung „Gerechtigkeit Gottes" wird im apokalyptischen Judentum, wie wir sahen, zur Bezeichnung der Treue des Gottes gebraucht, der seinen Bund gnädig bewahrt, und so ist „Gerechtigkeit Gottes" auch bei Paulus nicht eine Aussage über Gottes Wesen, sondern über Gottes Handeln - die Übersetzung „Gerechtigkeit gegenüber Gott" und damit auch Luthers Übersetzung „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt" sind grammatisch und sachlich unhaltbar. Wenn Paulus von „Gottesgerechtigkeit" redet, will er nicht beschreiben, wie man sich Gott vorzustellen hat, sondern berichten, daß Gott ganz anders gehandelt hat, als die Menschen es sich vorstellen können. Der Mensch, vor allem der fromme Jude, meint, er könne und solle seine eigene Gerechtigkeit durch Erfüllung der Forderungen des Gesetzes aufrichten, er könne seine Gerechtigkeit durch das Erfüllen des Gesetzes erwerben (Rom. 10,3; Phil.3,9); „Israel, das dem Gesetz der Gerechtigkeit nachjagte, ist

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nicht zum Gesetz gelangt" (Rom. 9,31). Paulus hat seit seiner Christwerdung einsehen gelernt, daß seine untadelige Gesetzesgerechtigkeit „Schaden" für ihn gewesen ist, daß es nicht möglich ist, sich die eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetz zu beschaffen, weil „aus Gesetzeswerken kein Fleisch vor ihm [Gott] gerechtgesprochen wird" (Phil.3,6f.9; Rom. 3,20). Gott hat vielmehr jetzt seine Gerechtigkeit offenbar werden lassen, Gott hat sich als der gerecht Handelnde und Gerechterklärende offenbart, ohne daß durch ihn Gesetzeswerke gefordert oder in Betracht gezogen würden. Es ist vielmehr eine Gottesgerechtigkeit offenbar geworden „durch Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden" (Rom.3,21 f.26f.). Aufgrund dieser Aussagen ist einmal deutlich, daß „Gottes Gerechtigkeit" ein in der Gegenwart offenbar gewordenes Handeln Gottes bezeichnet, das nicht nur verkündigt wird, sondern sich ereignet hat und darum verkündigt wird (vgl. Rom. 10,8-10; l.Kor. 1,23 f. 30; Kol. 1,22f.). Es ist ferner deutlich, daß dieses göttliche Handeln „den [Menschen] aus Glauben an Jesus gerecht spricht", wofür Paulus auch sagen kann: „Dem, der keine Werke tut, aber an den glaubt, der den Gottlosen gerecht spricht, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Rom. 3,26; 4,5). Gottes Gerechtigkeit ereignet sich also, indem Gott den Gottlosen als Gerechten erklärt. Man hat von jeher viel darüber diskutiert, ob Paulus nur von einer Gerechtsprechung oder von einer Gerechtmachung durch Gott rede, aber dieser Streit ist in Wirklichkeit müßig. Zwar bezeichnet das von Paulus gebrauchte Verbum an sich nichts anderes als „gerecht erklären, gerecht sprechen", vgl. auch die Entgegenstellung von „gerecht sprechen" und „verurteilen" in Rom.8,33f., ferner l.Kor.4,4: „Ich bin mir keiner Schuld bewußt, aber dadurch bin ich nicht gerecht gesprochen; der mich aber untersucht, ist der Herr." Aber für Paulus ist das gerecht sprechende Handeln Gottes ein schöpferisches Handeln, das den Gottlosen zum Gerechten werden läßt und den Sünder zu einem „neuen Geschöpf" macht: in 2.Kor. 5,17.21 stehen parallel „Wenn jemand in Christus ist, ist er ein neues Geschöpf; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist entstanden" und „Den, der keine Sünde kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gottesgerechtigkeit würden". Und wie Paulus in Rom.5,1 „Wir haben Frieden mit Gott" als Folge des Gerechtgesprochenseins aus Glauben bezeichnet, so sagt er von sich, der sich von der Gesetzesgerechtigkeit abgewandt hat: „der ich nicht meine Gerechtigkeit aus dem Gesetz habe, sondern die [Gerechtigkeit] durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens" (Phil. 3,9; vgl. auch Kol. 2,13 f.). Gott ist ja für Paulus der, „der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft" (Rom. 4,17), und darum ist Gottes Urteil ein Geschehen und seine Zusage der Gerechtigkeit hat „Machtcharakter" (E. Käsemann; vgl. Rom. 1,17). Bezeichnet für Paulus also „Gottesgerechtigkeit" das den sündigen Menschen in der gegenwärtigen Endzeit gerecht erklärende und damit neuschaffende Heilshandeln Gottes, so wird das damit Gemeinte freilich erst voll verständlich, wenn

Die Rechtfertigung

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wir den Zusammenhang dieses göttlichen Handelns mit Jesus Christus und die Bedingung des Glaubens für die Gerechtsprechung ins Auge fassen. 5.5.2

Christus und die

Rechtfertigung

Paulus beschreibt das rechtfertigende Handeln Gottes als ein Liebeshandeln, das sich in Christi T o d vollzieht: „Denn als wir noch schwach waren, zu diesem Zeitpunkt ist Christus für [uns] Gottlose gestorben . . . Gott aber zeigt seine Liebe uns gegenüber, daß, als wir noch Sünder waren, Christus für uns starb. Wieviel mehr werden wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem [kommenden] Zorn gerettet werden" (Rom.5,6.8 f.). Hier ist einmal deutlich gesagt, daß Gottes Liebe zu uns sündigen Menschen Christus für uns sterben ließ; und ebenso deutlich ist gesagt, daß dieser T o d bewirkt hat, daß wir nun von Gott als gerecht erklärt wurden und die sichere Gewißheit haben dürfen, daß wir im Endgericht vor Gottes Zorn bestehen können. Wie es zu denken ist, daß Christi T o d für uns als Vollzug der Liebe Gottes die Rechtfertigung der Gottlosen in die Wege geleitet hat, läßt sich aus diesem T e x t aber noch nicht entnehmen, darauf gibt die viel umrätselte grundlegende Aussage Rom. 3, 2 1 - 3 0 (s. o. S. 173) wenigstens andeutend Auskunft. Da 3 , 2 4 - 2 6 nicht nur grammatisch schlecht an 3,23 anschließt, sondern auch eine ungewöhnlich große Zahl von Worten und Vorstellungen aufweist, die sonst bei Paulus nicht begegnen, ist es sehr wahrscheinlich, daß Paulus in diesen Versen eine überlieferte Glaubensformel aufgenommen hat, die er freilich in seinem Sinne interpretiert. Weil wichtige Begriffe dieses Abschnitts bei Paulus sonst nicht wieder begegnen, bleibt ihr genauer Sinn schwer bestimmbar; doch könnte die im folgenden vorausgesetzte Ubersetzung (s.o.S. 173) und Interpretation im einzelnen nur anhand des griechischen Textes begründet werden (mehrdeutig und umstritten sind vor allem die beiden mit „Sühnemittel" und „Vergebung" übersetzten Worte in V . 2 5 ) . Trifft die Übersetzung „Sühnemittel" zu, so erklärt Paulus hier, daß sich das die Menschen von ihrer Schuld befreiende Handeln Gottes dadurch vollzog, daß Gott Christus durch sein Blut, d.h. durch seinen T o d , als „Sühnemittel" aufgestellt hat. D a der Begriff „Sühne" eine kultische Handlung bezeichnet, die durch ein Opfer, durch Reinigungsriten oder andere Sühneleistungen die Befleckung eines Menschen oder einer Menschengruppe vor einer Gottheit beseitigen will, hat man diesen paulinischen Begriff an dieser Stelle oft dahin verstanden, daß Christus einen stellvertretenden Opfertod stirbt und mit Hilfe dieses Gott dargebrachten Opfers die Schuld der Menschen vor Gott sühnt. Aber nach Paulus ist Gott selber der in Christi T o d Handelnde, und Gott kann sich ja wohl nicht selber ein Opfer darbringen; und überdies war der T o d Christi nach dem Glauben der Urkirche und auch des Paulus gar nicht ein endgültiger T o d , wie man es für einen Opfertod voraussetzen müßte. Paulus denkt also eher an die durch Gott vollzogene Reinigung der Menschen von der Schuld, wenn er den T o d Jesu als Gottes „Sühnemittel" 12

Kümmel, Theologie

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bezeichnet: der Tod Jesu am Kreuz ist ja die tiefste Stufe der Erniedrigung des Christus Jesus (Phil. 2,8). Daß Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren, ist das aller menschlichen Wahrscheinlichkeit Widersprechende (Rom. 5,6.8), aber gerade dies ist der Weg der Liebe Gottes, „der seinen Sohn nicht verschonte, sondern ihn für uns alle hingab" (Rom. 8,32). Paulus gibt aber nun auch an, was Gott mit diesem stellvertretenden Tod des Gottessohnes am Kreuz, durch den er seine Liebe als Sühne wirksam werden ließ, erreichen wollte (V.25b.26): Gott wollte seine Gerechtigkeit wirksam werden lassen „durch die Vergebung der zur Zeit der Geduld früher begangenen Sünden" und so als gerecht dastehen und den Glaubenden gerechtsprechen. Trifft die Übersetzung „durch die Vergebung" den Sinn des von Paulus Gemeinten - und dafür spricht sehr viel - , dann ist das Ziel des durch den Tod Jesu sich verwirklichenden sühnenden Handelns Gottes die Vergebung der Sünden, die die Menschheit bis zu diesem Zeitpunkt begangen hatte. Durch Jesu Tod wirkte Gott die Sündenvergebung und damit die Gerechtsprechung des Gottlosen (Rom.4,5), am Kreuz hat Gott den Schuldschein angenagelt und dadurch ausgelöscht und uns „mit ihm [Christus] lebendig gemacht, indem er uns alle Übertretungen vergab" (Kol.2,13 f.). Paulus sagt nirgendwo, daß Gott auf diese Weise handeln und daß Christus darum sterben mußte, daß Christus die Strafe an unserer Statt erleiden mußte, wie sich die kirchliche Theologie später ausgedacht hat. Paulus will nicht verständlich machen, warum Gott so und nicht anders gehandelt hat, Paulus will nur in den Vorstellungsformen seiner jüdischen Vergangenheit Gottes rettendes, die Sündenschuld tilgendes Handeln beschreiben, weil Gott ihm die Pflicht auferlegt hat, die frohe Botschaft von der heilwirkenden Macht des Evangeliums, in dem Gottes Gerechtigkeit für jeden Glaubenden offenbar wird, zu verkündigen (l.Kor.9,16; Rom. 1,14-17). Aber damit stehen wir vor der abschließenden Frage nach der Bedeutung des Glaubens im Zusammenhang dieses göttlichen Rechtfertigungshandelns. 5.5.3 Glaube und Rechtfertigung Immer wieder weist Paulus bei seinen Aussagen über Gottes Rechtfertigungshandeln darauf hin, daß dieses Handeln allen Glaubenden gilt: das Evangelium „ist eine Gotteskraft zur Rettung für jeden Glaubenden, zuerst den Juden und [auch] den Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: ,Der Gerechte aber aus Glauben wird leben'" (Rom. 1,16f.); „Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden . . . durch Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden . . . Gott hat ihn [Christus] als Sühnemittel durch den Glauben in seinem Blut hingestellt... Wir stellen fest, daß ein Mensch aus Glauben gerecht gesprochen wird ohne Gesetzeswerke" (Rom. 3,21f.25a.28); „Die Schrift sah voraus, daß Gott aus Glauben die Völker gerecht spricht" (Gal.3,8u.ö.). Nun kann Paulus, wie wir sahen, auch die Formulier-ng gebrauchen: „Dem, der glaubt an den [Gott], der den Gott-

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losen gerecht spricht, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit zugerechnet" (Rom. 4,5), so daß der Eindruck entsteht, als spiele der Glaube die Rolle einer Leistung, die Gott anerkennt und belohnt. Es ist aber leicht zu sehen, daß diese mißverständliche Ausdrucksweise durch die Aufnahme des Zitates l.Mos. 15,6 („Abraham glaubte an Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet", s. Rom.4,3.22f.; Gal. 3,6) verursacht ist und im Zusammenhang von Rom. 4,3-5 schon dadurch zurechtgerückt wird, daß von einer Zurechnung „aus Gnaden" die Rede ist (vgl. auch Rom. 3,24). Paulus versteht den Glauben vielmehr eindeutig als Folge des göttlichen Heilshandelns in Christus: der Glaube kommt zustande aufgrund der Predigt und der Sendung der Prediger: „Wie sollen sie aber [dem] glauben, den sie nicht gehört haben? Wie sollen sie aber hören, ohne daß einer verkündigt? Wie soll man verkündigen, ohne daß [jemand] ausgesandt ist? Wie geschrieben steht: ,Wie lieblich sind die Füße der [Boten], die als frohe Botschaft Gutes verkündigen!' Aber nicht alle haben der frohen Botschaft gehorcht" (Rom. 10,14-16); ähnlich heißt es 2.Kor.5,18f. im Zusammenhang der Versöhnungsbotschaft: „Gott hat sich mit uns durch Christus versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung gegeben... Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt... und unter uns das Wort der Versöhnung hingestellt." Infolgedessen ist der Glaube zunächst die Zustimmung zu der gehörten Predigt: durch Christus „haben wir Gnade und Sendung erhalten, um Glaubensgehorsam [zu wecken] unter den Völkern" (Rom. 1,5); „Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden" (Rom. 10,9). Dementsprechend kann Paulus in gleicher Weise sagen: „Wir haben Glauben an Christus Jesus gewonnen, damit wir aus dem Glauben an Christus gerecht gesprochen würden und nicht aus Gesetzeswerken" (Gal. 2,16), wie er die Korinther hinweisen kann auf „das Evangelium, das ich euch verkündet habe, das ihr auch empfangen habt, in dem ihr auch steht, durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr festhaltet, mit welchem Wort ich es euch verkündet habe, es sei denn, ihr seid umsonst zum Glauben gekommen" (l.Kor. 15,1 f.). Da Glaube also zweifellos die Anerkennung der christlichen Botschaft ist, kann Paulus gelegentlich auch Glauben und Wissen wechselweise gebrauchen (Rom.6,8f.); „Wir wissen, daß wir, solange wir im Leibe zuhause sind, in der Fremde sind, entfernt vom Herrn; denn wir wandeln im Glauben, [noch] nicht im Schauen" (2.Kor.5,6f.). Aber damit ist der Glaube im Sinne des Paulus keineswegs ausreichend beschrieben. Der Glaube ist seinem eigentlichen Wesen nach nicht intellektuelle Anerkennung eines Sachverhalts, sondern Gehorsam: „Ihr seid von Herzen gehorsam geworden der Lehrnorm, der ihr übergeben worden seid" (Rom.6,17); „nicht alle haben dem Evangelium gehorcht" (Rom. 10,16); dem Satz „euer Glaube wird in der ganzen Welt verkündigt" entspricht „euer Gehorsam ist zu allen gekommen" (Rom. 1,8; 16,19). Darum kann Paulus seinen göttlichen Auftrag beschreiben als „Gnade und Sendung mit II

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dem Ziel des Glaubensgehorsams bei allen Völkern" (Rom. 1,5). Bezeichnet Glaube als Gehorsam so das gesamte Christsein, so wird er zugleich als vorläufig gegen das endzeitliche Sehen gestellt: „Wir wandeln im Glauben, [noch] nicht im Schauen" (2.Kor.5,7) und als Hoffnung charakterisiert: „Wenn ihr im Glauben bleibt, gefestigt und unerschüttert, und euch nicht abbringen laßt von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt" (Kol. 1,23); „Auf Hoffnung sind wir gerettet; eine Hoffnung, die gesehen werden [kann], ist keine Hoffnung. Denn wenn einer etwas sieht, warum wartet er noch [darauf] ? Wenn wir aber hoffen, was wir nicht sehen, warten wir in Geduld" (Rom. 8,24f.). In diesem Sinn erscheint Abraham als Vorbild des Glaubens, weil er „gegen [alle] Hoffnung auf Hoffnung hin glaubte, daß er zum Vater vieler Völker werden s o l l e . . . Der Verheißung Gottes gegenüber aber zweifelte er nicht im Unglauben, sondern war stark im Glauben, gab Gott die Ehre und war fest überzeugt, daß er das, was er verheißen hat, auch auszuführen imstande ist. Darum wurde es ihm auch zur Gerechtigkeit zugerechnet" (Rom. 4,18.20-22). Ganz entsprechend wird dann über den Glauben der Christen gesagt: „Wir erwarten im Geist aufgrund des Glaubens die erhoffte Gerechtigkeit. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit etwas, sondern [nur] Glaube, der sich in Liebe auswirkt" (Gal.5,5f.). Der Glaube ist also die Antwort des Menschen, dem in der Verkündigung des Evangeliums die Botschaft von Gottes Gerechtigkeit schaffendem Heilshandeln am Ende der Tage begegnet ist und der die in dieser Botschaft angebotene Gnade Gottes gehorsam ergreift: „Wir haben gehört von euerm Glauben in Christus Jesus und der Liebe, die ihr gegen alle Heiligen habt wegen der Hoffnung, die für euch in den Himmeln bereit liegt, von der ihr vorher gehört habt durch das Wort der Wahrheit des Evangeliums, das bei euch anwesend i s t . . . seit dem Tag, an dem ihr die Gnade Gottes in Wahrheit gehört und erkannt habt" (Kol. 1,4-6). So ist der Glaube keine menschliche Leistung, kein „Werk", wohl aber „freie Tat des Gehorsams" (R. Bultmann), aufgrund deren der Glaubende sich „herausgerissen [weiß] aus dem bestehenden bösen Äon nach dem Willen Gottes und unseres Vaters", weil „Jesus Christus sich für unsere Sünden hingegeben hat" (Gal. 1,4). Aufgrund dieser Tat des Gehorsams weiß der Glaubende sich zugleich versetzt „in die Herrschaft seines lieben Sohnes, in dem wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden, haben" (Kol. 1,13 f.). Nur der Glaubende kann wissen, daß Gott „seine Gerechtigkeit in der Jetztzeit erweisen wollte, damit er gerecht sei und denjenigen gerecht spreche, der aus Glauben an Jesus ist" (Rom. 3,26); wo aber kein Glaube ist, kann von Gottes rechtfertigendem Handeln überhaupt nichts gesagt werden. Freilich schließt dieser Sachverhalt gerade ein, daß allein Gott „uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus" (l.Kor. 15,57), und darum weiß gerade der Glaubende sehr wohl, daß das Rühmen „ausgeschlossen ist. Durch welches Gesetz? Das der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens" (Rom. 3,27). Nur wer glaubt, erkennt, daß „Gottesgerechtigkeit geoffenbart i s t . . . für alle Glaubenden" (Rom. 3,21 f.)

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und daß Gott, „da die Welt zur Zeit der Weisheit Gottes mittels der Weisheit Gott nicht erkannte, beschlossen hat, durch die törichte Botschaft die Glaubenden zu retten" (l.Kor. 1,21). Wer glaubt, weiß sich hineingestellt in die durch Kreuz und Auferstehung Christi begonnene Heilszeit, aber er weiß ebenso, daß solches Gerettetsein für ihn nur solange gilt, als er in solchem Glauben lebt: „Ihr seid von Christus gelöst, insofern ihr mit Hilfe des Gesetzes gerecht gesprochen werden [wollt], ihr seid [dann] aus der Gnade herausgefallen" (Gal. 5,4). Auch die Botschaft des Paulus von dei Rechtfertigung des Sünders aus Glauben beschreibt also die Existenz des Christen in der Gegenwart als der beginnenden Endzeit, während der alte Äon seinem Ende zueilt. Dem entspricht das Nebeneinander von Gegenwarts- und Zukunftsaussagen über das Rechtfertigungsgeschehen. Mehrfach ist von der empfangenen Rechtfertigung die Rede: „Da wir nun aus Glauben gerechtfertigt sind, haben wir Frieden mit Gott"; „die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind"; „die Völker . . . haben Gerechtigkeit erhalten, und zwar Gerechtigkeit aus Glauben"; „Ihr seid abgewaschen, geheiligt, gerechtfertigt" (Rom. 5,1.9; 9,30; l.Kor.6,11; vgl.Röm.5,17; 8,30; 2.Kor.5,21). Ebenso eindeutig wird aber die Rechtfertigung von der Zukunft erwartet: „so werden durch den Gehorsam des Einen die Vielen als Gerechte hingestellt werden"; „wenn Gott einer ist, der die Beschnittenen aus Glauben und die Unbeschnittenen durch Glauben rechtfertigen wird"; „wir erwarten im Geist aus Glauben die erhoffte Gerechtigkeit" (Rom. 5,19; 3,30; Gal. 5,5). Dementsprechend kann Paulus von sich sagen: „Nicht daß ich schon erhalten habe oder schon vollendet bin, ich jage aber dem nach, daß ich ergreife, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. Brüder, ich bin der Meinung, daß ich noch nicht ergriffen habe" (Phil.3,12f.). D.h. bei allem dankbaren Bekenntnis zur geschehenen Gerechtsprechung bleibt die endgültige Gerechtsprechung die erhoffte Gottesgabe. Das den Menschen gerechtsprechende Handeln Gottes ist geschehen und ist dem Glaubenden als empfangene Gnadengabe gewisse Gegenwart; aber da die Möglichkeit besteht, aus der Gnade zu fallen (Gal. 5,4), lautet die Bedingung, um schließlich untadelig vor Gott dazustehen: „Wenn ihr beim Glauben bleibt, festgegründet und beständig und ohne euch zu entfernen von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt und das vor allen Geschöpfen unter dem Himmel verkündet worden ist" (Kol. 1,23). Es wird darum zu fragen sein, welche Rolle das gegenwärtige Verhalten des Christen, der „Glaube, der sich in der Liebe auswirkt" (Gal.5,6), im Zusammenhang der endgültigen Gerechtsprechung Gottes spielt. 5.6 Die Versöhnung Aber zunächst muß noch auf ein letztes Bild hingewiesen werden, mit dem Paulus die Befreiung des Menschen in der Welt beschreibt, die Botschaft von der Versöhnung. Paulus gebraucht diese Vorstellung nur zweimal etwas ausführlicher und beide Male in deutlicher Verbindung mit dem Gedanken

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der Rechtfertigung: „Gott erweist seine Liebe gegen uns, daß Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Wieviel mehr werden wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden. Denn wenn wir, die wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, wieviel mehr werden wir als Versöhnte durch sein Leben gerettet werden" (Rom.5,8-10); „Wenn jemand in Christus ist, ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, es ist Neues entstanden. Das alles aber [kommt] von Gott, der sich mit uns versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, der zum Inhalt hat: ,Gott versöhnte durch Christus die Welt mit sich, indem er ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete, und richtete unter uns das Versöhnungswort auf.' Wir sind nun Gesandte im Dienste Christi, indem Gott durch uns mahnt; wir bitten im Dienste Christi: ,Laßt euch mit Gott versöhnen! Den, der keine Sünde kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gottesgerechtigkeit würden'" (2.Kor. 5,1721). Außer an diesen beiden Stellen, an denen Paulus betont von Versöhnung redet, hat er diese Vorstellung nur noch einmal im Vorbeigehen erwähnt: „Wenn ihre [der Juden] Verwerfung Versöhnung der Welt [bewirkt], was [bewirkt] ihre Annahme, wenn nicht Leben aus den Toten?" (Rom. 11,15). Außerdem hat er in hymnischer Form von der Versöhnung des Alls gesprochen: „Es gefiel der ganzen Fülle, in ihm [Christus] zu wohnen und durch ihn das All auf ihn hin zu versöhnen, indem er Frieden schuf durch das Blut seines Kreuzes, — durch ihn [zu versöhnen], was auf Erden und was in den Himmeln ist. Auch euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart in eurer Gesinnung durch böse Werke, hat er jetzt versöhnt durch seinen Fleischesleib mittels des Todes" (Kol. 1,19-22). War der Gedanke der Rechtfertigung ein Bild aus dem Rechtsleben, so stammt das Bild der Versöhnung aus dem Bereich des persönlichen Miteinanders; Versöhnung setzt voraus, daß zwischen Menschen eine Feindschaft besteht, die aufgehoben wird durch die Bereitschaft der einen, erzürnten Seite (oder auch beider Seiten), die Feindschaft zu begraben, eben durch ein Sich-Versöhnen. Auch das Judentum kennt den Gedanken der Versöhnung des erzürnten Gottes, aber hier sind es die schuldigen Menschen, die Gott um Versöhnung bitten, so ζ. B. 2.Makk. 1,5; 8,29, wo dasselbe griechische Wort für „sich versöhnen" gebraucht wird wie bei Paulus. Paulus aber, der von Gottes Zorn und Gottes Feindschaft gegen die Menschen redet (etwa Rom. 1,18; 5,9 f.), aber ebenso von der Feindschaft der Menschen gegen Gott (Rom. 8,7; Kol. 1,21), sagt unmißverständlich, daß Gott sich mit den Menschen bzw. der Welt versöhnt hat. Gott hat also die Feindschaft begraben und Frieden gestiftet (Kol. 1,20; Rom. 5,1), und zwar durch Christi Tod. Paulus sagt auch deutlich, daß Christus für uns starb, daß dadurch die Sündenschuld aufgehoben ist und daß wir so die Gewißheit haben, vor dem kommenden Zorn Gottes bewahrt zu sein. Auch hier ist also das Kreuz Christi der Weg, den Gott gewählt hat, als er die Feindschaft zwischen den Menschen und sich beseitigen wollte,

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und auch hier gilt, daß der Sohn Gottes „mich geliebt und sich für mich hingegeben hat" (Gal. 2,20). Aber mehr sagt Paulus nicht, von einer „Genugtuung" Christi Gott gegenüber oder gar von der Notwendigkeit des sühnenden Todes Christi für Gottes Versöhnung, wie die kirchliche Lehre seit den Tagen der Kirchenväter, besonders aber seit Anselm von Canterbury (11. Jahrhundert) die Gedanken des Paulus weitergedacht hat, ist bei Paulus auch nicht andeutungsweise die Rede. Wohl aber läßt das Miteinander der beiden Bilder von der Rechtfertigung und der Versöhnung an allen drei paulinischen Hauptstellen eindeutig erkennen, daß die Versöhnung im Sinne des Paulus ebenso die göttliche Beseitigung der durch die menschliche Schuld verursachten Trennung des Menschen von Gott aussagt wie die Rechtfertigung. Das persönliche Bild von der Versöhnung gibt aber dem Tatbestand noch deutlicher Ausdruck, daß die personhafte Beziehung des Menschen zu seinem göttlichen Herrn durch den schuldigen Menschen gestört ist und auch nicht wieder in Ordnung gebracht werden kann, daß diese gestörte Beziehung aber durch Gott wiederhergestellt worden ist. Darum gehört zum Versöhnungsgeschehen notwendigerweise der „Dienst der Versöhnung", d.h. die Predigt von der Versöhnung im Auftrag Christi, und die menschliche Antwort auf die Bitte „Laßt euch mit Gott versöhnen!" hinzu. Noch eindeutiger als bei der Rechtfertigung gilt ja, daß niemand von der Versöhnung etwas wissen und darum von ihr predigen kann, der nicht der Bitte um Annahme der Versöhnung zugestimmt und „diese Gnade Gottes angenommen" hat (2.Kor.6,1), d.h. der glaubt, daß Gott sich mit uns versöhnt hat (vgl. den Zusammenhang von Kol. 1,21 und 22). Von der Versöhnung redet Paulus freilich, worauf man mit Recht hingewiesen hat, nur in der Verbform der Vergangenheit oder höchstens einmal (Rom. 11,15) der Gegenwart. Denn die Versöhnung ist ja geschehen, als Gott in Christi Sterben als der sich mit der Welt Versöhnende handelte (Rom. 5,10a), und Christus ist „ein für allemal für die Sünde gestorben" (Rom. 6,10a). Und doch beschreibt auch die Botschaft von der Versöhnung die geschichtliche Wirklichkeit des Lebens der Glaubenden in der begonnenen und noch nicht vollendeten Endzeit. Denn das in der Vergangenheit des Todes Christi Wirklichkeit gewordene Versöhnungshandeln Gottes ist darum nicht vollendet, weil der „Dienst der Versöhnung" ja noch mahnen muß: „Laßt euch mit Gott versöhnen", weil die Friedensstiftung Gottes zwar die ganze Welt umfassen wollte (Kol. 1,20), aber die Botschaft noch nicht alle erreicht hat. Auch darin zeigt sich der geschichtliche Charakter des Versöhnungshandelns Gottes, daß der Glaube an die empfangene Versöhnung festgehalten werden muß (2.Kor. 6,1; Kol. 1,23) und die als gewiß erhoffte endgültige Rettung vor dem göttlichen Zorn noch aussteht (Rom.5,10). Auch die Botschaft von der Versöhnung beschreibt so die Vorläufigkeit der im Glauben empfangenen göttlichen Heilsgabe und stellt uns vor die Frage nach der gegenwärtigen Wirklichkeit des Christenlebens im Zusammenhang der paulinischen Theologie.

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6. Gottes Heilsgabe und die Aufgabe des Christen 6.1 Die gegenwärtige Wirklichkeit des Chris ten lebens Die Befreiung des Menschen von der Knechtschaft unter den Mächten dieser "Welt, unter dem Gesetz und unter der Sünde und die Befreiung von der Schuld durch Gottes endzeitliches Handeln in Jesus Christus hat Paulus, wie wir sahen, mit einer Reihe von bildhaften Vorstellungen beschrieben. Sie alle geben dem Glauben Ausdruck, daß der Mensch, dem dieses göttliche Handeln verkündigt worden ist und der sich der Wahrheit dieser frohen Botschaft im Glauben geöffnet hat, dadurch in die Wirklichkeit der begonnenen Endheilszeit versetzt ist. Unbeantwortet blieb bei der Erörterung dieser verschiedenen Vorstellungen des Paulus aber die Frage, wie sich Paulus die durch dieses göttliche Heilshandeln ermöglichte Wirklichkeit des Lebens des Glaubenden genauer gedacht hat, und unberührt blieb die Frage, wie es nach Paulus zur Eingliederung in dieses göttliche Heilshandeln kommt. Gehen wir diesen Fragen nach, so bemerken wir rasch, daß Paulus die gegenwärtige Wirklichkeit des Christenlebens und das Christwerden weitgehend mit anderen Vorstellungen und Begriffen beschreibt, als sie uns bisher bei der Betrachtung der Heilsbotschaft des Paulus begegneten. Das läßt sich besonders gut am Römerbrief erkennen, dessen erste fünf Kapitel fast ausschließlich von der Sündigkeit der Menschheit, von der Rechtfertigung des Sünders aus Glauben, von der Versöhnung und von der Gabe des Lebens durch das Kommen Christi sprechen. Doch taucht schon in Rom. 5,5 daneben plötzlich der den Christen gegebene Heilige Geist auf, von dem dann Kap, 8,2ff. ausführlich redet. Kap. 6 erwähnt ebenso unerwartet die Taufe, bei der der Christ mit Christus stirbt, und Paulus folgert aus diesem Gestorbensein die Pflicht des Christen, der Gerechtigkeit und nicht der Sünde zu dienen. Rom. 6,11.23 ist dabei vom Leben „in Christus Jesus" die Rede (vgl. 8,2.39), Rom. 12,5 spricht von dem „einen Leib in Christus", den die Christen darstellen, und schon Rom. 7,4 war das „Gestorbensein durch den Leib Christi" genannt. Alle diese Vorstellungen begegnen auch sonst immer wieder in den Paulusbriefen, und es wird zu fragen sein, in welchem Verhältnis sie zu der bisher betrachteten Heilslehre des Paulus stehen und in welchem Sinn sie das Christsein beschreiben. Paulus hatte seine Ausführungen über das Ubermaß der durch Jesus gebrachten Gerechtigkeit abgeschlossen mit der Feststellung: „Wie die Sünde im Tode herrschte, so soll auch die Gnade herrschen durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn" (Rom. 5,21). Die an diese Feststellung angeschlossene Frage: „Sollen wir bei der Sünde verharren, damit die Gnade überreichlich sei?" weist er dann aber energisch ab mit der Feststellung: „Wie können wir, die wir für die Sünde gestorben sind, noch in ihr leben? Oder wißt ihr nicht, daß wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft wurden? Wir sind also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit, wie Christus von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem

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neuen Leben wandeln" (Rom. 6,1—4)· Daß Paulus hier mittels des Verweises auf einen für alle Christen offensichtlich selbstverständlichen Sachverhalt argumentieren kann, zeigt, daß für Paulus die für alle Christen geltende Feststellung „Als aus Glauben Gerechtgesprochene haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus" (Rom.5,1) in Röm.6,2ff. ohne weiteres fortgeführt werden kann durch die für uns völlig unerwartete, den Römern aber geläufige Aussage, daß die Christen für die Sünde gestorben sind, weil sie auf Christi Tod getauft und mit Christus durch diese Taufe begraben und in ein neues Leben versetzt sind. Die Taufe auf den Tod Jesu und das Gestorbensein mit Christus (Rom. 6,3.8) kennzeichnen demnach für Paulus dieselbe Wirklichkeit wie das Gerechtfertigtsein aus Glauben, das Frieden mit Gott bedeutet (Rom.5,1). Um diesen Zusammenhang zu verstehen, müssen wir nach dem Sinn der Taufe bei Paulus fragen. 6.1.1 Die Taufe und der Leib Christi Paulus hat die Taufe als Aufnahmeritus zur Eingliederung in die christliche Gemeinde vorgefunden und ist selbst getauft worden (Rom. 6,3). Er setzt auch voraus, daß alle Christen getauft sind und bei der Taufe den göttlichen Geist empfangen haben. „Wir sind ja alle durch einen Geist in einen Leib hineingetauft worden" (l.Kor. 12,13), und er deutet die durch Untertauchen vollzogene Taufe als Abwaschung, die Sündenvergebung vermittelt; nach einer Aufzählung von Lastern heißt es: „Solche Leute wart ihr auch; aber ihr habt euch abwaschen lassen, aber ihr seid geheiligt worden, aber ihr seid gerechtfertigt worden im Namen des Herrn Jesus Christus und im Geiste unseres Gottes" (l.Kor. 6,11); „mit ihm [Christus] seid ihr begraben in der Taufe, in ihm seid ihr auch mit auferweckt durch den Glauben an die Wirksamkeit Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat. Und euch, die ihr tot wart durch die Übertretungen und die Unbeschnittenheit eures Fleisches, euch hat er mit ihm [Christus] lebendig gemacht, indem er uns alle Übertretungen vergab" (Kol.2,12f.). Dieses Verständnis der Taufe teilt Paulus mit der Urgemeinde (s.o.S. 116f.), aber es wird sofort deutlich, daß Paulus dieses Verständnis mit seiner theologischen Grundanschauung verbindet: in l.Kor. 6,11 wird die Abwaschung in der Taufe gleichgesetzt mit der Gerechtsprechung durch Gott, und in Kol. 2,13 f. wird die Sündenvergebung in der Taufe mit der Ausstreichung der Schuld durch das Kreuz Christi begründet. Aber Paulus hat nun das Geschehen in der Taufe noch durch zwei weitere Gedanken erklärt, die er vermutlich im hellenistischen Christentum vorgefunden hat, in denen aber auf alle Fälle sein eigentliches Taufverständnis Ausdruck findet. Die Taufe fügt den Getauften in den „Leib Christi" ein: „Denn wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, einen Leib bilden, so [ist] auch der Christus; wir sind nämlich alle durch einen Geist in einen Leib hineingetauft worden, ob Juden oder Griechen, ob Sklaven oder Freie, und alle mit einem Geist getränkt worden . . . Ihr seid Christi Leib und jeder an seinem Teil Glieder" (l.Kor. 12,12f. 27);

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„So viele ihr auf Christus getauft seid, habt ihr Christus angezogen; es gibt keinen Juden oder Griechen, keinen Sklaven oder Freien, keinen Mann und keine Frau [mehr]; ihr seid nämlich alle einer in Christus Jesus" (Gal. 3,27 f.). Die Taufe ist also nicht nur in dem Sinne ein Aufnahmeritus, daß der zum Glauben gekommene Mensch sich durch die Übernahme der Taufe mit ihrer Sündenreinigung und Geistbegabung der christlichen Gemeinde in eindeutiger Form anschließt und dadurch zeigt, daß er nun „inmitten eines verkehrten und verdorbenen Geschlechts" zu den „untadeligen Kindern Gottes" gehört oder zum mindesten gehören will (Phil. 2,15). Die Taufe macht vielmehr den Getauften mit Hilfe des göttlichen Geistes zum Glied am „Leibe Christi" und fügt ihn dadurch einer menschlichen Gruppe ein, in der irdische Unterschiede nichts mehr bedeuten, weil jeder in gleicher Weise „Christus angezogen" hat. Diese Aussagen zeigen, daß die Taufe für Paulus eine sehr reale Wirkung hat: wer getauft ist, gehört zum Leib Christi und hat Christus angezogen. Die Vorstellung vom „Leib Christi" begegnet freilich bei Paulus nicht sehr häufig und wird nirgendwo näher erklärt; Paulus kann offenbar voraussetzen, daß die hellenistischen Christengemeinden, an die er schreibt, diese Vorstellung kennen und ohne weiteres verstehen (Rom. 7,4; 12,5; l.Kor. 10,16.17; 11,27.29; 12,13.27; Kol. 1,18.24; 3,15). Er gebraucht die Vorstellung vom Leib in diesem Zusammenhang in einem doppelten Sinn. Einerseits wird die christliche Gemeinde mit einem Leib, d. h. einem Organismus, verglichen, und der einzelne Christ hat dementsprechend seine Aufgabe in der Gemeinde als eines ihrer verschiedenen Glieder, die zusammen den Leib bilden: „Denn wie wir an einem Leib viele Glieder h a b e n , . . . so sind wir vielen ein Leib in Christus, im Verhältnis zueinander aber Glieder" (Rom. 12,4f.); „Wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, die viele sind, einen Leib bilden . . . Der Leib ist ja nicht ein Glied, sondern viele" (l.Kor. 12,12a.b.l4). Andererseits werden die Christen in den schon vorhandenen Leib Christi durch die Taufe eingefügt, und die Christen werden direkt in ihrer Gesamtheit als „Leib Christi" oder als „Christus" bezeichnet (l.Kor. 12,12f.27; Gal.3,27f., s.o. S. 185f.; „Ist das Brot,das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?" l.Kor. 10,16). Freilich gebraucht Paulus das Bild des Leibes als eines Organismus nur zur Kennzeichnung der Aufgabe des Zusammenwirkens, die jedem Christen als einem Glied des Leibes neben andern Gliedern auferlegt ist: „Gott hat den Leib zusammengefügt..., damit keine Spaltung im Leibe besteht, sondern die Glieder füreinander sich um das Gleiche bemühen" (l.Kor. 12,24f.; vgl. Rom. 12,3 neben 12,4). D.h. der Organismusgedanke dient in diesem Zusammenhang nur der mahnenden Konkretisierung, indem er die Christen auf die Folge ihrer Zugehörigkeit zum Leibe Christi aufmerksam macht, er kennzeichnet aber nicht das eigentliche Wesen des Leibes Christi. Nach den übrigen Aussagen aber ist der Leib Christi eine Wirklichkeit, die mit dem Christsein gegeben ist: ohne Rücksicht auf irdische Herkunft und geschlechtliche Verschiedenheit bilden die Glieder des Leibes Christi eine Einheit: „ihr

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aber seid Christi Leib und Glieder, jeder an seinem Teil" (1.Kor. 12,27). Diese mit dem Christsein gegebene Wirklichkeit kann Paulus in gleicher Weise „der Christus" wie „der Leib Christi" nennen: fällt die Gemeinde in Gruppen auseinander, so wird „der Christus in Teile geteilt" (l.Kor. 1,13); wenn die fehlende Rücksichtnahme der Gemeindeglieder aufeinander das gemeinsame Essen verhindert und es darum „unmöglich ist, das Herrenmahl zu essen", so machen sich solche rücksichtslos schmausenden Christen „schuldig am Leib und Blut Christi", weil sie „den Leib nicht auszeichnen" (l.Kor. 11,20.27.29). Wie real diese Zugehörigkeit zum Leibe Christi für Paulus die Teilhabe an Christus selbst bedeutet, zeigt weiterhin die paulinische Argumentation dagegen, daß ein Christ mit einer Dirne verkehrt: „Wißt ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind? Soll ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Dirne machen?" (l.Kor. 6,15; vgl. den Kommentar z.d.St.). Und schließlich ist zu beachten, daß Paulus von der Eingliederung in den Leib Christi durch die Taufe auch sagen kann: „Ihr habt Christus angezogen" (Gal. 3,27). Nun ist die Herkunft des Bildes vom Anziehen Christi zwar nicht mit voller Sicherheit zu klären, aber sehr wahrscheinlich ist daran gedacht, daß den Getauften Christus wie ein Gewand umhüllt, und in diesem Fall stammt das Bild vom Anziehen des Christus aus demselben geistigen Bereich wie das vom Leib Christi. Denn das Nebeneinander der Aussagen „Ihr habt Christus angezogen" und „Ihr seid alle einer in Christus Jesus" (Gal. 3,27f.) auf der einen Seite und „Wie der Leib einer i s t . . . , so auch der Christus; denn wir sind alle in einen Leib getauft" (l.Kor. 12,12f.) auf der anderen Seite zeigt doch deutlich, daß Christus als der eine Universalmensch vorgestellt ist, der die vielen einzelnen Menschen, die zu ihm in Beziehung treten, umfaßt wie ein Gewand und mit ihnen zusammen die Universalpersönlichkeit des Christus, den „Leib Christi" bildet. Da Paulus, wie wir früher sahen (s.o.S. 138 f.), Christus als den letzten oder den himmlischen Menschen beschreibt und diese Bezeichnung wohl auf die heidnische Vorstellung vom Urmenschen in jüdischer Umbildung zurückgeht, ist das Bild vom Leib Christi vermutlich ebenfalls eine Weiterbildung der Vorstellung von Christus als dem „himmlischen" oder dem „letzten Menschen". Aber wenn auch die Frage der Herkunft dieser Vorstellung vom Leib Christi vorläufig noch nicht mit Sicherheit beantwortet werden kann, so ist doch auf keinen Fall zweifelhaft, daß Paulus die Zugehörigkeit der Christen zum Leib Christi als eine Teilhabe an dem durch Christus begonnenen endzeitlichen Heilsgeschehen versteht, d.h. die Wirkung der Taufe als Eintritt in die Menschengruppe beschreibt, die zu Christus gehört und am begonnenen Endheil Anteil hat. Es kann ferner nicht fraglich sein, daß „Leib Christi" konkret die christliche Gemeinde meint. Denn wie nach Paulus der Einzelne durch den göttlichen Geist in den Leib Christi eingegliedert wird, so teilt auch der göttliche Geist in der Gemeinde den Einzelnen die verschiedensten Gnadengaben zu (l.Kor. 12,4-11), und dementsprechend redet Paulus im Anschluß an die Ausführungen über den Leib Christi (l.Kor. 12,12-27) ausdrücklich

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von der „Kirche", in der es die verschiedensten Funktionen gibt: „Und die einen hat Gott in der Kirche hingestellt zuerst als Apostel, zum zweiten als Propheten, zum dritten als Lehrer, dann Krafttaten, dann Heilgaben, Hilfeleistungen, Führungen, Arten von Zungenreden" (l.Kor. 12,28). Läßt sich an dieser Stelle die Gleichsetzung von „Leib Christi" und Kirche nur aus dem Zusammenhang erkennen, so wird sie im Kolosserbrief ausdrücklich ausgesprochen: „Er [der Sohn Gottes] ist das Haupt des Leibes, der Kirche"; „ . . . f ü r seinen Leib, der die Kirche ist" (Kol. 1,18.24). An diesen Stellen bezeichnet „Kirche" eindeutig die gesamte Christenheit, und das ist zweifellos die grundlegende Bedeutung des Begriffes bei Paulus, wie vor allem der Sprachgebrauch „die Kirche Gottes" beweist: in l.Kor. 10,32 werden „Juden, Griechen und die Kirche Gottes" nebeneinander gestellt, und zweimal spricht Paulus davon, daß er „die Kirche Gottes" verfolgt habe (l.Kor. 15,9; Gal. 1,13), während in Phil. 3,6 nur von Verfolgung „der Kirche" die Rede ist (vgl. auch l.Kor. 11,27). Diese aus der Urgemeinde übernommene Bezeichnung der christlichen Gemeinde (s.O.S. 114f.) versteht imAnschluß an alttestamentlichen Sprachgebrauch die christliche Gemeinde als das wahre, das endzeitliche Gottesvolk: „Frieden über das Israel Gottes" (Gal. 6,16); „Wir sind die Beschneidung, die wir im Geiste Gottesdienst halten und uns in Christus Jesus rühmen" (Phil. 3,3). Zu diesem Gottesvolk „hat er uns gerufen nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Völkern" (Rom. 9,24), dieses Gottesvolk aber wird sichtbar in den einzelnen Christengemeinden, und darum kann Paulus sowohl in der Einzahl von „der Kirche Gottes, die in Korinth ist" (l.Kor. 1,2; 2.Kor. 1,1; vgl.Rom. 16,1) wie in der Mehrzahl von „den Kirchen" oder von „jeder Kirche" reden (Rom. 16,4; l.Kor.4,17; 11,16 usw.). Statt „Kirche Gottes" steht aber im gleichen Sinn auch „die Kirche Christi" („es grüßen euch alle Kirchen Christi", Rom. 16,16), „die Kirche in Christus" („Ich war von Angesicht unbekannt den Kirchen Judäas in Christus", Gal. 1,22) oder „die Kirche der Thessalonicher in Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus" (l.Thess. 1,1; 2.Thess. 1,1). Die christliche Gemeinde ist also darum „Kirche Gottes", weil Christus ihr Herr ist: in der Gemeinde „gibt es Zuteilungen von Dienstleistungen und [nur] einen Herrn" (l.Kor. 12,5). Dem entspricht genau die Vorstellung von Christus als dem „Haupt des Leibes, der Kirche" (Kol. 1,18). Diese Vorstellung begegnet freilich innerhalb der Paulusbriefe, abgesehen von dem sicher nicht von Paulus stammenden Epheserbrief (1,22; 4,15; 5,23), nur im Kolosserbrief (s. noch Kol. 2,10.19), und man hat darin immer wieder einen der Züge gesehen, die den Kolosserbrief als unpaulinisch erweisen. Das ist aber schwerlich richtig. Denn wenn die Kirche der Leib Christi und Christus der Herr dieses Leibes ist, dann liegt es durchaus nahe, Christus als das Haupt des Leibes zu beschreiben. Das liegt um so näher, wenn das Bild vom Haupt im Sinne der Herrschaft über den Leib gebraucht wird: „Das Haupt, von dem aus der ganze Leib durch die Bänder und Sehnen gelenkt und zusammengehalten

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wird und [so] in göttlichem Wachstum wächst" (Kol.2,19). Dementsprechend kann Paulus ebenso sagen, daß Christus, der Mittler der Schöpfung, durch seine Auferstehung zum „Herrn" aller Weltmächte geworden ist: „ . . . damit sich im Namen Jesu jedes Knie der himmlischen, irdischen und unterirdischen [Wesen] beuge und jede Zunge bekenne: Jesus Christus ist Herr' " (Phil. 2,10 f.; vgl. l.Kor. 8,6), wie er Christus als „das Haupt jeder Macht und Gewalt" (Kol. 2,10) bezeichnen kann. Das Herrentum Christi, in das der Auferstandene eingesetzt worden ist (s. O.S. 140 ff.), hat ihn ebenso zum Haupt und Herrn aller Mächte wie zum Haupt und Herrn seiner Gemeinde gemacht (vgl. den Exkurs „Die Kirche bei Paulus" bei l.Kor. 12,31a). Damit ist aber gegeben, daß die Zugehörigkeit zum Leib Christi, die die Taufe bewirkt, ebenso begründet ist in dem endzeitlichen Heilshandeln Gottes in Tod und Auferstehung Christi wie die Rechtfertigung und Versöhnung durch Christus, die Gott den Glaubenden zuteil werden läßt. Doch wird der innere Zusammenhang der Aussage, daß der Christ durch die Taufe in den Leib Christi eingegliedert worden ist, mit der Botschaft von der Rechtfertigung aufgrund des endzeitlichen Heilshandelns Gottes in Christus erst dann ganz verständlich werden, wenn wir uns dem anderen Gedankenkreis zuwenden, mit dem Paulus die Wirkung der Taufe in besonderer Weise kennzeichnet. 6.1.2

Das Sterben mit Christus

Die Taufe bedeutet auch ein „Sterben mit Christus": „Oder wißt ihr nicht, daß wir, die wir auf Christus getauft wurden, auf seinen Tod getauft wurden? Wir sind also mit ihm durch die Taufe auf seinen Tod begraben, damit, wie Christus von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir zusammengewachsen sind mit der Gestalt seines Todes, so werden wir auch [mit der Gestalt seiner] Auferstehung [zusammengewachsen] sein. Wir sehen ein, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Sündenleib vernichtet werde, so daß wir nicht mehr der Sünde Sklavendienste leisten . . . Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden" (Rom.6,3-6.8); „Ihr seid mit ihm [Christus] in der Taufe begraben; in ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat; und euch, die ihr tot wäret durch die Übertretungen und die Unbeschnittenheit eures Fleisches, euch hat er mit ihm lebendig gemacht, indem er uns alle Übertretungen vergab" (Kol.2,12f.). Paulus sagt in diesen Texten deutlich, daß der Getaufte tot ist, daß sein „alter Mensch", sein „Sündenleib" getötet und vernichtet ist. Freilich kann dieses Gestorbensein, so real es gemeint ist, nicht das Aufhören der irdischen Existenz des Getauften bezeichnen wollen, dem Gestorbensein des alten Menschen entspricht vielmehr das Wandeln in einem neuen Leben (Rom. 6,4) bzw. das mit Christus Lebendiggemacht-Worden-Sein (Kol.2,13). Im Römerbrief ist ferner mit diesem neuen Leben in der Gegenwart die Hoffnung auf ein „Mitleben" in der

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Zukunft verbunden (Rom. 6,8), während im Kolosserbrief zwar davon die die Rede ist, daß die Christen „in Christus mitauferweckt sind durch den Glauben" (2,12), dem dann aber ebenfalls die Hoffnung entspricht, daß bei der Erscheinung Christi auch die Christen „mit ihm in Herrlichkeit erscheinen werden" (Kol. 3,4). Es liegt nun keineswegs nahe, den Ritus des Untertauchens im Wasser als ein Sterben und als ein zu neuem Leben Kommen oder Auferwecktwerden zu deuten, und man hat darum neuerdings gemeint, das paulinische Verständnis der Taufe knüpfe an den Taufritus überhaupt nicht an, Paulus habe vielmehr vom Sterben des Christen gesprochen, um damit den Herrschaftswechsel auszudrücken, den der Christ erfährt, wenn er sich im Glauben der Herrschaft der Sünde entzieht und der Herrschaft Christi anvertraut, und erst sekundär habe Paulus diesen Gedanken mit der Taufe in Verbindung gebracht. Das ist aber sehr unwahrscheinlich; denn einerseits erklärt sich aus dieser Annahme die Vorstellung vom Sterben mit Christus keineswegs, andererseits bleibt es unverständlich, warum Paulus vom Mitbegrabensein durch die Taufe spricht (Rom. 6,4; Kol. 2,12). Da die Tatsache, daß Jesus begraben wurde, außer an diesen beiden Stellen nur noch in der urgemeindlichen Formel l.Kor. 15,4 erwähnt wird und in diesem Zusammenhang ohne jede Beziehung auf die Christen als bloßer Hinweis auf die Realität des Gestorbenseins Jesu begegnet, muß es seinen Grund haben, daß Paulus gerade vom „Mitbegrabensein durch die Taufe auf den Tod" Jesu spricht, das Mitbegrabensein bezeichnet ja deutlich dasselbe Geschehen wie das Gestorbensein mit Christus (Rom.6,4.8). Das führt aber darauf, daß das Untertauchen bei der Taufe von Paulus als ein Begrabenwerden und damit als ein Sterben interpretiert worden sein muß, und zugleich ist deutlich, daß dieses Sterben als ein Sterben „mit Christus" verstanden wird (Rom. 6,4; Kol. 2,20). Diese Vorstellung vom Gestorbensein und Begrabensein mit Christus in der Taufe und von dem Versetztsein in ein neues Leben mit Christus läßt sich aber schwerlich ohne die Annahme erklären, daß die in hellenistischen Mysterien in verschiedener Form bezeugte Vorstellung, daß der Myste durch bestimmte Riten am Schicksal des sterbenden und wieder zum Leben kommenden Gottes Anteil erhält, schon in den vorpaulinischen hellenistischen Christengemeinden zur Deutung der Taufe herangezogen worden ist und daß Paulus diese Deutung übernommen hat. Wenn sich so die Entstehung des Verständnisses der Taufe als eines Mitsterbens mit Christus schwerlich ohne Anlehnung an hellenistische Mysterienvorstellungen erklären läßt, so läßt sich freilich ebenso deutlich erkennen, daß Paulus diese Deutung in einem Sinn verwendet hat, der mit dem naturhaften Verständnis des Sterbens mit der Gottheit in den Mysterien nur noch die Vorstellungsform gemeinsam hat. Zunächst ist einmal darauf zu achten, daß Paulus vom Sterben mit Christus auch ohne jede Bezugnahme auf die Taufe sprechen kann. So heißt es im Römerbrief: „Daher, meine Brüder, seid auch ihr für das Gesetz gestorben durch den Leib Christi" (7,4); der paulinische Sprachgebrauch für „Leib Christi" erlaubt aber nur, diese Aussage dahin zu verstehen, daß die Chri-

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sten für das Gesetz gestorben sind, indem sie in den Leib Christi, die Gemeinde, aufgenommen wurden, als sie für das Gesetz, das sie knechtete, dadurch starben, daß sie den Geist Gottes empfingen, vgl. die Fortsetzung: „Jetzt aber sind wir vernichtet weg vom Gesetz, indem wir dem [Machthaber] gegenüber starben, unter dem wir festgehalten wurden, so daß wir [nun] im neuen Geist Dienst leisten" (Rom. 7,6). Selbst wenn Paulus bei dieser Aussage auch an das Sterben mit Christus in der Taufe denken sollte - davon steht freilich nichts da - , so ist für ihn die entscheidende Aussage, daß der Christ durch den Anschluß an Christus für das Gesetz gestorben sei, durchaus möglich, ohne daß er den Vorgang des Eingetauchtwerdens in Wasser bei der Taufe irgendwie erwähnte. Entsprechend heißt es Gal. 2,19 f.: „Ich bin nämlich durch das Gesetz für das Gesetz gestorben, um für Gott zu leben; ich bin mit Christus gekreuzigt. So lebe aber nicht mehr ich, vielmehr lebt in mir Christus. Insoweit ich aber jetzt [noch] im Fleische lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes . . . " Hier wird von den Christen gesagt - das „Ich" beschreibt nicht Paulus allein - , daß sie mit Christus gekreuzigt und dadurch für das Gesetz tot sind, weil Christus durch das Gesetz ans Kreuz gebracht wurde (Gal. 3,13) und durch seine Auferstehung das Gesetz seiner Macht beraubt hat (Gal. 4,4). Auch hier ist nicht von der Taufe die Rede, dagegen ist deutlich gesagt, daß der Glaube an den für uns gestorbenen Christus bei diesem Sterben und Zu-neuem-LebenKommen des Christus entscheidend beteiligt war. Und im gleichen Brief kann Paulus dann in ähnlicher Weise sagen: „Diejenigen, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch gekreuzigt mit den Leidenschaften und Begierden. Wenn wir im Geist leben, wollen wir auch im Geist wandeln" (5,24f.). „Dadurch [durch das Kreuz Christi] ist für mich die Welt gekreuzigt und ich für die Welt. Denn nicht Beschneidung [gilt] etwas und nicht Unbeschnittenheit, sondern neue Schöpfung" (6,14f.). Vor allem aber hat Paulus im 2. Korintherbrief das Sein der Christen folgendermaßen beschrieben: „Die Liebe Christi treibt uns an, die wir urteilen, daß einer für alle gestorben ist, also alle gestorben sind. Und er ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferweckt i s t . . . Daher ist, wer in Christus ist, eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe es ist Neues geworden" (2.Kor.5,14f. 17). Damit ist klar gesagt, daß das Sterben Christi für alle die Folge hat, daß alle gestorben sind. Dieses Gestorbensein mit Christus bewirkt aber zugleich ein neues Leben, eine Neuschöpfung „in Christus", und bei dieser Feststellung wird auf die Taufe ebenfalls nicht Bezug genommen, wohl aber heißt es im folgenden, daß Gott dieses Sterben und die Neuschöpfung bewirkt hat, der sich mit uns durch Christus versöhnt und uns durch die Predigt aufgefordert hat, diese Versöhnung anzunehmen (s.o.S. 182f.). Hier wird nicht nur das Sterben und die Neuschöpfung mit Christus in der Zugehörigkeit zu Christus begründet und nicht in der Taufe, sondern es ist auch deutlich zu erkennen, daß Gottes Versöhnungstat in Christus, die der Glaube annimmt, das Mitsterben und die Neuschöpfung mit Christus zur Folge hat.

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Die Theologie des Paulus

Schon diese Texte der Paulusbriefe, die das Sterben und das neue Leben der Christen mit Christus auf Gottes geschichtliches Erlösungshandeln begründen und die Taufe nicht erwähnen, zeigen klar, daß nicht der Taufritus für Paulus dieses Mitsterben mit Christus und diese Neuschöpfung bewirkt, sondern daß die Taufe nur der sichtbare Ausdruck für ein umfassenderes Geschehen sein kann. Daß das paulinische Verständnis der Taufe als Mitsterben mit Christus nur ganz äußerlich mit den Mysterienvorstellungen zusammenhängt, ergibt sich aber noch deutlicher aus einer zweiten Tatsache. Paulus sagt: „Wir sind mit ihm [Christus] begraben durch die Taufe auf den Tod" (Rom. 6,4) oder: „ [ihr seid] mit ihm begraben in der Taufe" (Kol. 2,12) und deutet dadurch offensichtlich das Untertauchen im Taufwasser als ein Begrabenwerden mit Christus. Er sagt aber nicht: „Ihr seid mit Christus in der Taufe gestorben" oder dergleichen, sondern: „wir sind auf seinen [Christi] Tod getauft", als wir „auf Christus getauft wurden", und „wir sind mit Christus gestorben" (Rom. 6,3.8). Und ganz entsprechend heißt es auch nur: „Wir sind mit ihm durch die Taufe auf seinen Tod begraben, damit, wie Christus von den Toten auferweckt wurde . . . , so auch wir in einem neuen Leben wandeln" (Rom.6,4) bzw.: „[ihr seid] in der Taufe mit ihm Begrabene, in ihm seid ihr auch mit auferweckt durch den Glauben an die Macht Gottes, der ihn von den Toten erweckt hat" (Kol. 2,12). D.h. weder das Sterben mit Christus noch das Versetztwerden in ein neues Leben oder das Auferwecktwerden mit Christus werden von Paulus zeitlich mit der Taufe zusammengelegt. Der Grund dafür ist auch völlig klar, wie Paulus im Zusammenhang der Taufaussagen des Römerbriefs ausdrücklich betont: „Christus, der von den Toten erweckt wurde, stirbt nicht mehr . . . Denn insofern er gestorben ist, ist er ein für allemal für die Sünden gestorben; insofern er aber lebt, lebt er für Gott" (Rom. 6,9f.). Der Tod und die Auferstehung Christi sind für Paulus einmalige Geschehnisse der manche Jahre zurückliegenden Vergangenheit, die sich nicht wiederholen können; die Christen aber sind mit Christus gestorben, als sie der Botschaft von der Versöhnung Gottes glaubten, sich taufen ließen und so in den Leib Christi eingefügt wurden, und zwar zu einer Zeit, die von dem Tod und der Auferstehung Christi abliegt. Der Tod Christi am Kreuz und der Tod der Christen mit Christus fallen also zeitlich keineswegs zusammen, die Christen haben vielmehr an dem vergangenen Geschehen des Sterbens und Auferstehens Christi in ihrer Gegenwart Anteil erhalten. Und trotzdem redet Paulus von einem wirklichen Sterben mit Christus und von einem wirklichen Versetztwerden in ein neues Leben, nicht nur von einem vorgestellten oder nachempfundenen Miterleben. Wie ist das gedacht? Wir sahen schon, daß Paulus die Taufe auf den Tod Christi und das Mitsterben mit Christus in Rom. 6,3 f. ohne weiteres als Beschreibung derselben Wirklichkeit nennt, von der er im Römerbrief bis dahin gesprochen hat, also des Gerechtfertigtwerdens durch den Glauben an Gottes Heilshandeln in Christi Tod und Auferweckung (s.o.S. 185). Wir sahen ebenfalls daß in 2.Kor.5,14ff. das Sterben und die Neuschöpfung

Der Heilige Geist und das Sein in Christus

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aller begründet ist im Sterben des Einen für alle, weil Gott sich in diesem Sterben mit uns versöhnt und uns durch das Wort von der Versöhnung gebeten hat: ,Laßt euch mit Gott versöhnen!' (s.o.S. 191). In K o l . 2 , l l f f . wird das Mitbegrabensein mit Christus in der Taufe und das Mitauferwecktsein in Christus als darin begründet geschildert, daß Gott uns durch die Tilgung der Sündenschuld mittels des Kreuzestodes Jesu die Sünden vergeben und uns so mit Christus lebendig gemacht hat. Wie die Bitte um die Annahme der Versöhnung in 2.Kor.5,20 den Glauben voraussetzt, so ist auch in Kol. 2,12 ausdrücklich gesagt: „Ihr seid mit auferweckt durch den Glauben an die Macht Gottes." Ganz ähnlich wird in Gal. 3,26 f. die Aussage: „Ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus" begründet mit dem Satz: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen." Der Glaubende ist es also, der das rechtfertigende und versöhnende Handeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Christi ergreift und sich darum taufen läßt und in der Taufe das Gestorbensein mit Christus und das neue Leben in Christus als eine ihn persönlich betreffende Wirklichkeit erfährt. Nicht am vergangenen Tod Jesu am Kreuz erhält der Getaufte Anteil, sondern an der Wirkung dieses Todes, weil der Gekreuzigte auferstanden ist und darum die Wirkung seines Todes für uns als das endzeitliche Heilsgeschehen vom Glaubenden in der Gegenwart angenommen werden kann. Nicht die Taufe bewirkt das Sterben mit Christus und versetzt in ein neues Leben, wohl aber erfährt der glaubende Christ, wenn er getauft und so mit Christus begraben wird, daß er mit Christus gestorben und in ein neues Leben versetzt worden ist. So wirkt die Taufe nichts anderes als der Glaube, beide bewirken, daß der als Glaubender Getaufte zu Christus gehört und dadurch herausgerissen ist „aus dem gegenwärtigen bösen Äon nach dem Willen Gottes und unseres Vaters" (Gal. 1,4). 6.1.3

Der Heilige Geist und das „Sein in Christus

Im Zusammenhang der Taufaussagen des Paulus begegneten uns nun aber zwei weitere Vorstellungen, die das paulinische Verständnis der gegenwärtigen Wirklichkeit des getauften Glaubenden noch besser erkennen lassen: „Wir sind in einem Geist alle in einen Leib hinein getauft" (l.Kor. 12,13) und „Ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus" (Gal. 3,26). Um zunächst auf die Erwähnung des Geistes durch Paulus einzugehen, so ist zu beachten, daß Paulus in völlig gleichem Sinn vom „Heiligen Geist" (Rom.5,5; 9,1), vom „Geist Gottes" (Rom. 8,9.14) und vom „Geist Christi" (Rom. 8,9; Phil. 1,19) spricht, und wir sahen früher, daß die Gabe des Heiligen Geistes, die der Christ als Angeld auf die kommende Herrlichkeit empfängt, für Paulus die Verbindung des Christen mit dem erhöhten Herrn herstellt, bis er kommt (s.o.S.150). Es ist weiter bezeichnend, daß Paulus ebenso sagen kann, daß die Christen den Geist bei der Taufe erhalten haben (l.Kor. 12,13), wie er den Empfang des Geistes auf den Glauben zurückführen kann: „Allein das möchte ich von euch wissen: habt ihr den Geist aufgrund von Gesetzeswerken erhalten oder auf13

Kümmel, Theologie

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Die Theologie des Paulus

grund gläubigen Hörens?" (Gal.3,2). Der Geist ist also die konkrete Wirklichkeit, durch die der Glaubende an dem durch Christi Auferstehung begonnenen Endzeitheil Anteil erhalten hat. Daraus ergibt sich, daß sich für Paulus die veränderte Lage des Christen darin äußert, daß er „in einem neuen Geist Sklave ist und nicht im alten Buchstaben" (Rom. 7,6) und daß man von ihm sagen kann, er wandele „nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist" (Rom.8,4) und werde „vom Geist getrieben" (Gal.5,18). Da der Geist das Angeld der kommenden Endvollendung ist, kann er gewiß den Christen zu wunderhaften Taten befähigen (l.Kor.2,4; l.Thess. 1,5; Rom. 15,19), besonders auch zum ekstatischen Zungenreden (l.Kor. 14,2). Aber Paulus legt nicht darauf den Ton, er führt alle Fähigkeiten, die ein Christ in der Gemeinde zu betätigen vermag, auf die Wirkung des Geistes zurück (l.Kor. 12,7-11) und sieht das Kriterium für diese Fähigkeiten in der Erbauung der Gemeinde, nicht im Aufweisen der Geisteswirkung als solcher (l.Kor. 14,4.12). Der Nachdruck liegt für ihn dabei auf einem Doppelten: „Wir, die wir denselben Geist des Glaubens haben gemäß dem Schriftwort ,Ich glaubte, darum redete ich', glauben auch und reden darum auch, da wir wissen, daß der, der Jesus erweckt hat, auch uns mit Jesus erwecken wird" (2.Kor.4,13f.; vgl. Gal.5,5; Rom.8,11). D.h., der Geist befähigt den Christen zum Glauben und zur Hoffnung auf die endgültige Rettung, ja der Geist gibt die Gewißheit, daß die Christen zu Söhnen Gottes eingesetzt sind („Ihr habt den Geist der Einsetzung zu Söhnen empfangen. In ihm rufen wir ,Abba, Vater', der Geist selbst bezeugt unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind", Rom. 8,15 f.; vgl. Gal. 4,6) und Erben Gottes sein werden (Gal.4,7; Rom.8,17). Und das andere: der Geist ermöglicht die Überwindung des Fleisches und den Wandel nach Gottes Willen: „Wenn ihr im Geist die Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben" (Rom. 8,13; vgl. Gal.5,25; 6,8); „Ich sage aber, wandelt im Geist, dann werdet ihr die Begierden des Fleisches nicht erfüllen" (Gal.5,16). Freilich tauchen im Zusammenhang dieser Aussagen über die Macht des Geistes über das Fleisch immer wieder Imperative auf, und wir werden auf die Frage nach der Bedingtheit dieses Heilsbesitze» des Christen zurückkommen müssen (s.u. S. 199ff.). Die zweite der erwähnten Vorstellungen, mit denen Paulus die gegenwärtige Wirklichkeit des glaubenden Getauften beschreibt, ist die Formel in Christus" (vgl. auch den Exkurs zu Phil. 4,7). Man hat lange gemeint, daß Paulus mit dieser Bezeichnung und den entsprechenden Ausdrücken „in Christus Jesus" und „im Herrn" die „mystische" Einheit zwischen den Christen und dem Auferstandenen beschreiben wolle und darum das lokale Bild des „in Christus Seins" gebrauche (in Phil. 3,8 f. stehen „Christus gewinnen" und „in ihm [Christus] erfunden werden" parallel), zumal Paulus auch umgekehrt sagen kann: „Ich lebe nicht mehr, Christus aber lebt in mir" (Gal. 2,20). Man hat andererseits bestritten, daß diese Formel überhaupt eine lokale Bedeutung habe, und mit ihr bloß eine Beziehung beschrieben sehen wollen. Zu einem zutreffenden Verständnis dieser für Paulus kennzeichnenden Ausdrucksweise wird man aber nur kom-

Der Heilige Geist und das Sein in Christus

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men, wenn man erkennt, daß die Formulierung in verschiedener Bedeutung von Paulus verwendet wird und keineswegs immer im Sinne einer Formel. So kann Paulus z.B. „in Christus" in fast instrumentalem Sinn gebrauchen und damit das göttliche Heilshandeln durch Christus bezeichnen: „Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich selbst" (2.Kor.5,19); „Wir werden umsonst durch seine Gnade gerechtfertigt mittels der Erlösung in Christus" (Röm.3,24; vgl. Gal.3,14; Rom.8,39). So kann „in Christus" einfach den Sinn von „christlich" haben: der Sklave Onesimus wird von Paulus seinem Herrn zurückgeschickt „nicht mehr als Sklave, sondern als weit mehr als ein Sklave, als ein geliebter Bruder, vor allem für mich, wieviel mehr für dich, und zwar sowohl im Fleisch als auch im Herrn" (Phlm. 16), und diese Bezeichnung unterscheidet dann Christen von Nichtchristen (l.Kor.7,39; Gal. 1,22; Rom. 16,7f.11). Die lokale Bedeutung, die hier zweifellos zu spüren ist, schwingt sicher auch mit, wenn „in Christus" die Zugehörigkeit zum „Leib Christi", d.h. zur christlichen Gemeinde, beschreibt: „Wir vielen sind ein Leib in Christus" (Rom. 12,5); „ihr seid alle einer in Christus" (Gal.3,28; vgl. Rom. 16,12; Gal.5,6). Bezeichnet „in Christus" in allen diesen Fällen den Zusammenhang des Christen mit dem endzeitlichen Heilsgeschehen und der dadurch begründeten christlichen Gemeinde, so gebraucht Paulus diesen Ausdruck zweifellos in zahlreichen Zusammenhängen in formelhafter Bedeutung, und in diesen Fällen hat die Präposition „in" nicht primär einen lokalen Sinn, sondern kennzeichnet die Beziehung des Christen zu Christus und dem Christusgeschehen. So beschreibt „in Christus" die durch Gottes Tat in Christus dem Glaubenden zuteil gewordene Neuschöpfung: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung" (2.Kor.5,17); „Aus ihm [Gott] seid ihr in Christus Jesus, der für uns von Gott her Weisheit, Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung geworden ist" (1.Kor. 1,30); „Wir leben, wenn ihr im Herrn steht" (l.Thess.3,8; vgl. l.Kor.4,15; Phil. 1,1). Vor allem aber kennzeichnet Paulus mit diesem Ausdruck das durch den Anschluß an Christus und das Sterben mit Christus begründete neue Leben des Christen: „So beurteilt euch als tot für die Sünde, aber lebendig für Gott in Christus Jesus" (Rom. 6,11); „Den, der keine Sünde kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit in ihm würden" (2.Kor.5,21; vgl. auch Gal. 2,4; Phil. 2,24). Es ist nun aber bezeichnend, daß Paulus diesen Begriff dann auch einerseits in mahnendem Sinne gebraucht, meistens in der Form „im Herrn": „Stehet im Herrn, meine Geliebten!" (Phil.4,1); „Ich empfehle euch Phöbe . . ., damit ihr sie im Herrn würdig der Heiligen aufnehmt" (Rom. 16,1 f.; vgl. Phil.3,1; 4,4); andererseits sieht er das erhoffte endgültige Heil der Christen „in Christus" gegründet: „Es gibt also jetzt keine Verurteilung [mehr] für die [Menschen] in Christus Jesus" (Rom.8,1); „Ich jage aber nach dem Ziel, nach dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus" (Phil.3,14; vgl. 4,7). Da Paulus die Ausdrucksweise „in Christus" auch zur Bezeichnung des Heilshandelns Gottes in der Vergangenheit gebrauchen kann (s.o.), kennzeichnet auch diese Vorstellung das ge13»

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Die Theologie des Paulus

schichtliche Sein des Christen in der begonnenen Endzeit vor der erwarteten Heilsvollendung. Wenn Paulus schließlich die mit „in Christus" beschriebene Heilsgegenwart eindeutig auf den Glauben begründet: „Ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus" (Gal. 3,26), so erweist sich die Annahme zweifellos als irrtümlich, daß Paulus mit der Formel „in Christus" eine mystische Gemeinschaft des Glaubenden mit Christus bezeichnen wolle. Die Texte, die vor allem zu dieser falschen Annahme Veranlassung gegeben haben, sind anders zu erklären. Das ist eindeutig bei Gal. 2,20: „Ich lebe nicht mehr, Christus lebt in mir", wenn man die Fortsetzung beachtet, wo vom Leben des Christen im Fleisch gesagt wird: „Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat": danach weiß der Glaubende, daß der gestorbene und auferstandene Christus sein Herr ist und sein Leben regiert, und darum kann er bekennen: „Christus lebt in mir"; vgl. auch Rom. 8,10: „Wenn Christus in euch ist, ist der Leib tot um der Sünde willen, der Geist aber Leben um der Gerechtigkeit willen", d.h. weil Christus durch den Geist im Christen herrscht, kann er gerechte Taten tun. Auch die Rede vom Sein der Christen „in Christus" zeigt darum nicht, daß Paulus ein Mystiker war, sondern beschreibt die Zugehörigkeit der Gläubigen zu dem sie umfassenden „Endzeitmenschen" Christus, und es ist darum wahrscheinlich, daß die Rede vom „Sein in Christus" ebenso wie das Bild vom „Leib Christi" ihre Entstehung der Vorstellung von Christus als der Universalpersönlichkeit verdankt (s.o.S. 187). 6.1.4

Das Herrenmahl

und die Verwandlung

in die

Herrlichkeit

An diesem Urteil, daß Paulus keine „mystische" Theologie vertritt, können schließlich auch zwei Vorstellungen nicht schwankend machen, die oftmals im Sinne einer mystischen Paulusdeutung angeführt worden sind. Vom Herrenmahl redet Paulus auffälligerweise nur im 1. Korintherbrief (10,16f.; 11,20ff.), und zwar an beiden Stellen deswegen, weil die Korinther die Besonderheit der christlichen Mahlfeier nicht beachteten. Schon aus diesem Tatbestand ergibt sich, daß Paulus offenbar - anders als bei der Taufe! vom Glauben und Leben der Christen weitgehend reden kann, ohne das Herrenmahl überhaupt zu erwähnen. Die Teilhabe am Herrenmahl, auch wenn sie vermutlich allen Christen in den paulinischen Gemeinden selbstverständlich war („Wenn ihr nun zur Versammlung zusammenkommt", 1.Kor. 11,20), ist darum im Sinne des Paulus schwerlich für die christliche Existenz konstitutiv. Es ist überdies wahrscheinlich, daß es neben den gemeindlichen Mahlfeiern Wortgottesdienste gab, an denen auch Nichtchristen teilnehmen konnten (l.Kor. 14,23), während das Herrenmahl in einer gemeinsamen Mahlzeit der getauften Christen bestand (l.Kor. 11,33), bei der über einem Weinbecher gebetet, gemeinsam aus diesem Becher getrunken und gemeinsam von einem ausgeteilten Brot gegessen wurde (l.Kor. 10,16f.; 11,26). Paulus spricht deutlich vom Essen des Brotes und vom Trinken des Bechers des Herrn (l.Kor. 11,26f.; 10,17), aber wir wissen

Das Herrenmahl

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nicht, in welcher Weise dieses gemeinsame Essen von einem Brotlaib und das gemeinsame Trinken aus einem Becher mit der gemeinsam eingenommenen Mahlzeit (l.Kor. 11,20 f.33) verbunden waren, und die oft vertretene These, dieses Essen des Brotes und Trinken des Weines habe nach der gemeinsamen Mahlzeit als davon getrennte kultische Begehung stattgefunden, ist völlig unbeweisbar. Man hat nun weiter behauptet, daß Paulus das gemeinsame Essen des Brotes und Trinken des Weines als Genuß des Leibes und Blutes Christi deute, darum auf das unwürdige Essen dieser als magisch wirkend vorgestellten „Elemente" Krankheiten und Todesfälle in der Gemeinde zurückführe (vgl.l.Kor. 10,16; ll,29f.). Aber das entspricht in keiner Weise den Aussagen des Paulus. „Ist der Segenskelch, den wir segnen, nicht Teilhabe am Blute Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leibe Christi? Denn ein Brot [wird gegessen], ein Leib sind wir viele; wir alle haben ja an dem einen Brot teil" (l.Kor. 10,16f.): mit diesen Worten will Paulus betonen, daß die Teilnehmer am Herrenmahl mit dem auferstandenen Herrn in persönliche Gemeinschaft treten und am gleichen Tisch sitzen (l.Kor. 10,21), und er zieht daraus die Folgerung, daß die Christen nicht auch mit Dämonen an deren Tisch sitzen können. Schon der Zusammenhang zeigt also hier, daß es Paulus bei dem Hinweis auf das Herrenmahl nur auf die Gemeinschaft mit dem Herrn ankommt. Außerdem hat das mit „Teilhabe" übersetzte griechische Wort nur den Sinn des gemeinsamen Anteilnehmens und kann nicht „Genuß" bezeichnen. Schließlich ist zu beachten, daß Paulus den Ausdruck „Blut Christi" sonst immer zur Kennzeichnung des heilbringenden Sterbens Christi gebraucht (Rom. 3,25; 5,9; Kol. 1,20), und diesen Sinn muß der Ausdruck auch in l.Kor. 10,16; 11,27 haben; d.h. Paulus interpretiert das gemeinsame Trinken des gesegneten Kelches als Anteilerhalten am Heilstod Christi und seiner Wirkung. Ganz entsprechend läßt sich erkennen, daß „Leib Christi" für Paulus immer die Gemeinde des Auferstandenen bezeichnet (s.o.S. 186f.), und l.Kor. 10,17 wird ja sogar ausdrücklich gesagt, daß dem gemeinsamen Essen des einen Brotes die gemeinsame Zugehörigkeit zum Leibe Christi entspricht. Spricht darum l.Kor. 10,16 f. eindeutig gegen die Behauptung, Paulus verstehe das Trinken des Kelches und das Essen des Brotes beim Herrenmahl als ein Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi, so geht es auch in l.Kor. 11,20ff. nicht um die unzureichende Hochschätzung der „Elemente" des Herrenmahls durch die Gemeinde - davon weiß Paulus gar nichts - , es geht vielmehr um die Vernachlässigung der Gemeinsamkeit des Essens und deswegen um ein „Nicht-Auszeichnen des Leibes [Christi]" (11,29). Auch hier spricht Paulus nur vom Essen des Brotes und Trinken des Kelchs, und die Krankheiten und Todesfälle in der Gemeinde führt Paulus nicht auf das „unwürdige" Essen von Leib und Blut Christi zurück - auch davon redet Paulus nirgendwo - , sondern auf das Gericht Gottes über diejenigen Christen, die das Brot und den Becher beim Herrenmahl „unwürdig" genießen, d.h. die Gemeinschaft mit den Gemeindegliedern, die „nichts haben", nicht

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Die Theologie des Paulus

festhalten und dadurch „die Gemeinde Gottes verachten" (l.Kor. 11,26.30. 27.31 f. 22). Auch das Herrenmahl bewirkt also nach Paulus, daß der Christ, der um die Wirklichkeit der Gemeinde des auferstandenen Herrn und damit um seinen „Leib" weiß, an dem Heil Anteil erhält, das Gott im Tode Christi und in der Schaffung der Gemeinde des Auferstandenen gewirkt hat und wirkt. Das Herrenmahl ist für Paulus seinem eigentlichen Wesen nach „Verkündigung des Todes des Herrn, bis er kommt" (l.Kor. 11,26), d.h. im Herrenmahl wird dem Glaubenden, der auf das baldige Kommen des Herrn wartet (der Ruf „Unser Herr, komm!", l.Kor. 16,22, gehört ja wahrscheinlich zur Feier des Herrenmahls!, s . o . S . 9 9 ) , das im Tode Christi Wirklichkeit gewordene Heil verkündigt, und als Glied des Leibes Christi erhält er im Glauben von neuem Anteil an diesem Heil. Da der Christ durch Glauben und Getauftsein schon in den Leib Christi eingegliedert worden ist, kann die Teilnahme am Herrenmahl das empfangene Heil nur bestätigen, nicht erst vermitteln. Auch das Herrenmahl ist darum an den Glauben gebunden und bringt mit dem Heil der Endzeit in Verbindung, hat also keine mystische, zeitlose Wirkung (vgl. auch den Exkurs im Kommentar zu l.Kor. 11,34). Die zweite Vorstellung, die im Sinne einer mystischen Deutung der Verkündigung des Paulus zu Unrecht angeführt wird, ist 2.Kor.3,18 ausgesprochen: „Wir aber schauen alle mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit des Herrn und werden so in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie vom Herrn des Geistes [ausgehend]". Dieser merkwürdige Satz beschreibt das gegenwärtige Sein der Christen im Gegensatz zu den Juden, auf deren Herzen eine Hülle liegt und die darum der Botschaft ihrer eigenen Schrift gegenüber blind sind und Christus nicht erkennen (2.Kor.3,14f.); die Christen dagegen schauen die Herrlichkeit des Herrn. Diese Aussage wäre schon insofern auffällig, als Paulus hier von allen Christen sagt, was er wenig später im gleichen Brief von seiner eigenen Christusschau bei seiner Berufung bekennt: „Gott ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, so daß die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Gesicht Christi hell wurde" (2.Kor.4,6). Doch geht die Aussage hier viel weiter: diese Schau der Herrlichkeit des Herrn durch die Christen führt zur Verwandlung der Christen in diese Herrlichkeit und zur Angleichung an das Bild des verherrlichten Herrn. Diese beiden Gedanken, daß die Christen schon in der Gegenwart der Herrlichkeit des Herrn angeglichen werden und daß solche Verwandlung durch die Schau des Herrn verursacht wird, sind ohne Parallele in den Paulusbriefen, haben dagegen ihre klaren Parallelen in der hellenistischen Mystik, für die die Schau der Gottheit den Weg zur Verwandlung zum göttlichen Wesen bedeutet. Aber wenn Paulus auch an dieser Stelle in der Aufnahme mystischer Vorstellungen weiter gegangen ist also sonst irgendwo in seinen Briefen, so zeigt doch der Zusammenhang dieser Aussage, daß Paulus etwas anderes ausdrücken will, als der Wortlaut auf den ersten Blick vermuten läßt. Denn einmal ist diese Schau der Herrlichkeit des Herrn am Ende des Satzes deutlich auf die Wirksamkeit des „Herrn des Geistes" zurückgeführt, d.h. dieses Heil beruht nicht auf menschlicher

Indikativ und Imperativ

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Bemühung, sondern ist Wirkung des auferstandenen Herrn. Ferner kann Paulus diese Schau der Herrlichkeit des Herrn nur in einem vorläufigen Sinne meinen, da er 2.Kor.5,7 ausdrücklich betont, daß die Christen „im Glauben wandeln, [noch] nicht im Sehen", und das Gerettetsein der Christen als Hoffnung beschreibt, die nicht sieht (Rom. 8,24). Vor allem aber kennzeichnet er kurz nach der „mystisch" klingenden Aussage von 2.Kor.3,18 in 2.Kor. 4,10.17 die Existenz der Christen als ein „Herumtragen des Todes Jesu an unserem Leibe" und stellt der „gegenwärtigen leichten Bedrängnis" die verheißene „ewige Last der Herrlichkeit" gegenüber. D. h. trotz der zweifellos „mystischen" Sprache des Satzes 2.Kor.3,18 denkt Paulus auch hier zweifellos nicht an eine gegenwärtige substanzhafte Vergottung der Christen, sondern beschreibt nur ihr „in der Fremde Sein, getrennt vom Herrn" (2.Kor.5,6) in überschwenglicher und' darum mißverständlicher Weise als ein durch den Geist gewirktes auf dem Wege Sein, als ein dem Ziel schon näher Gekommensein (vgl. auch 2.Kor.4,16; Phil. 3,14 und die Ausführungen im Kommentar zu 2.Kor.3,18). Paulus hat also den gerechtfertigten Christen, der mit Christus gestorben und in ein neues Leben versetzt ist, als neues Geschöpf, als tot für die Sünde, als lebend für Christus, als der zukünftigen Auferweckung durch den Geist gewiß beschrieben. Man hat aus diesen und ähnlichen Aussagen nicht ohne Grund folgern wollen, Paulus habe den Christen als einen sündlosen Menschen angesehen, der „das Fleisch gekreuzigt [hat] mit den Leidenschaften und Begierden" (Gal. 5,24) und für den es darum keine Verurteilung mehr gibt (Rom. 8,1). Aber gegen diese Folgerung sprechen eindeutig zwei Tatsachen: immer wieder finden sich in den Paulusbriefen Mahnungen an die Christen, das empfangene Heil nicht aufs Spiel zu setzen, und ebenso klar wird den Christen gesagt, daß auch sie im Gericht verworfen werden können. Wie lassen sich diese Aussagen mit dem Bild des Christen in Einklang bringen, das wir bei Paulus gefunden haben? 6.2 Indikativ und Imperativ Daß sich bei Paulus Indikative und Imperative unmittelbar nebeneinander finden, läßt sich an zahlreichen Stellen beobachten. Nachdem Paulus Rom. 6,11 festgestellt hat: „So beurteilt auch ihr euch als tot für die Sünde, lebend aber für Gott in Christus Jesus", fügt er an: „Also soll die Sünde in euerm sterblichen Leibe nicht herrschen, so daß ihr seinen Begierden gehorcht" (6,12), und im folgenden werden dann den römischen Christen immer wieder die beiden Möglichkeiten vor Augen gestellt: „Wie ihr eure Glieder der Unreinheit und Gesetzlosigkeit für die Gesetzlosigkeit als Sklaven zur Verfügung gestellt habt, so stellt jetzt eure Glieder der Gerechtigkeit als Sklaven zur Heiligung zur Verfügung!" (6,19). Der Aussage „Diejenigen [Menschen], die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch gekreuzigt mitsamt den Leidenschaften und Begierden" folgt unmittelbar die Aufforderung: „Wenn wir im Geiste leben, laßt uns auch im Geiste wandeln!"

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Die Theologie des Paulus

(Gal.5,24f.; vgl. auch Kol.3,3.5). Dementsprechend kann Paulus dieselbe Aussage sowohl indikativisch wie Imperativisch machen: „Alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen" (Gal. 3,27) neben „Ziehet den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht für das Fleisch, so daß Begierden [entstehen]!" (Rom. 13,14); „Ihr seid unsere und des Herrn Nachahmer geworden, als ihr das "Wort in viel Bedrängnis mit der Freude des Heiligen Geistes aufgenommen habt" (l.Thess. 1,6) neben „Werdet meine Nachahmer, wie ich Christi [Nachahmer bin]" (l.Kor. 11,1). In der paradoxesten Weise ist beides verbunden in der bildlichen Aussage von l.Kor.5,7: „Fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seid, da ihr ja ohne Sauerteig seid." Diesem direkten Nebeneinander von Indikativ und Imperativ entspricht dann, daß Paulus in sämtlichen Briefen - mit Ausnahme des persönlichen Philemonbriefes - Mahnungen mit den Aussagen über das den Christen rettende Heilshandeln Gottes verbindet: „Also, Brüder, sind wir nicht dem Fleisch gegenüber schuldig, daß wir nach dem Fleisch leben; denn wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben . . . " (Rom.8,12.13a); „Wer meint, er stehe, sehe zu, daß er nicht falle! Nur eine menschliche Versuchung hat euch betroffen..." (l.Kor. 10,12.13a); „Indem wir [an der Ausrichtung der Botschaft von der Versöhnung] mitarbeiten, mahnen wir, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen habt" (2.Kor. 6,1); „Also solange wir [dazu] Zeit haben, wollen wir das Gute allen gegenüber tun!" (Gal. 6,10); „Nur wandelt würdig des Christus!" (Phil. 1,27); „Wenn ihr nun mit Christus auferweckt seid, sucht, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt; sucht, was oben ist, nicht was auf der Erde ist!" (Kol.3,1 f.); „Im übrigen bitten wir euch und ermahnen [euch] im Herrn Jesus, daß ihr [wandelt], wie ihr [es] von uns überkommen habt, wie ihr wandeln und Gott gefallen müßt, wie ihr ja auch wandelt" (l.Thess.4,1); „Also stehet, Brüder, und haltet die Überlieferungen, über die ihr belehrt worden seid!" (2.Thess. 2,15). Es trifft also zweifellos nicht zu, daß Paulus den Christen als sündlos gedacht hat. Aber stehen diese Mahnungen nicht in einem unausgleichbaren Widerspruch zu allem, was Paulus über die Neuschöpfung des Christen und das Totsein des Christen für die Sünde gesagt hat? Man hat das oft behauptet und die verschiedensten Erklärungen versucht, von denen aber viele das Nebeneinander von Indikativ und Imperativ nicht überzeugend zu erklären vermochten. Eine zutreffende Erklärung muß von der Feststellung ausgehen, daß Paulus überhaupt nur darum zum Kampf gegen die Sünde auffordert, weil der Christ vom Sündenzwang befreit worden ist (vgl. das „also" in Rom. 8,12; Gal. 6,10; Kol. 3,5; 2.Thess.2.15 und das „da . . . ja" in l.Kor. 5,7). Der Christ ist also für Paulus zweifellos nicht ein „armer Sünder", der nichts anderes kann, als Sünde zu begehen; aber ebensowenig hat die Befreiung des Christen von der Sündenmacht den Christen naturhaft verwandelt, so daß er nicht mehr sündigen könnte. Vielmehr kann Paulus von sich selbst sagen: „Ich bin mir keiner Schuld bewußt", fügt aber sofort hinzu: „aber dadurch bin ich noch nicht gerechtgesprochen" (l.Kor. 4,4) und warnt

Indikativ und Imperativ

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entsprechend die korinthischen Christen, die meinen: „mir ist alles erlaubt": „aber ich werde mich nicht von irgend etwas beherrschen lassen" (l.Kor. 6,12). Der Christ bleibt trotz aller Befreiung von der Sündenmacht der Versuchung unterworfen („damit euch nicht etwa der Versucher versucht hat und unsere Mühe vergeblich war", l.Thess.3,5; vgl.l.Kor. 10,13), und es besteht für den Christen nach wie vor die Möglichkeit, in schwere Sünde zu fallen: „Laßt uns nicht Unzucht t r e i b e n . . . , laßt uns nicht den Christus versuchen . . . , laßt uns nicht murren . . . Daher soll der, der zu stehen meint, zusehen, daß er nicht fällt!" (l.Kor. 10,8-12); „Tötet also die Glieder auf der Erde, Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, böse Begierde und die Habgier, die Götzendienst ist" (Kol.3,5f.; vgl.Röm.l3,12f.). Weil der Christ in Versuchung und in Sünde fallen kann, hält es Paulus durchaus für denkbar, daß auch ein Christ von Gott verworfen wird: „Ich ohrfeige meinen Leib und mache ihn mir Untertan, damit ich nicht andern predige und selbst unbewährt werde" (l.Kor. 9,27); „Wenn wir gerichtet werden, werden wir vom Herrn erzogen, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden" (l.Kor. 11,32; vgl. l.Kor.4,4; Rom. 14,23a). Paulus geht nämlich bei seinem Urteil über die sittliche Situation des Christen keineswegs von den Erfahrungen aus, die er mit sich oder vor allem mit seinen Gemeinden gemacht hat, sondern vom Glauben an die rettende Heilstat Gottes in Jesus Christus am Ende der Tage. Von da aus ergibt sich ihm ein doppelter Sachverhalt. Der Christ weiß, daß Gott ihn aus dem gegenwärtigen bösen Äon herausgerissen und in das Reich seines lieben Sohnes versetzt hat, daß Gott ihn durch Christi Tod von der Sünde gereinigt und sich mit ihm versöhnt hat, daß er durch den Empfang des Heiligen Geistes in den Leib Christi eingefügt ist und im Geist die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllen kann (Gal. 1,4; Kol. 1,13; Röm.3,24f.; l.Kor.12,13; Rom.8,4). All das ist wirklich geschehen, der Christ ist wirklich „frei vom Gesetz der Sünde und des Todes" (Rom. 8,2), und er hat das Fleisch gekreuzigt und lebt im Geist (Gal.5,24. 25a), er kann mit Hilfe des Geistes Gott als „Abba" anrufen und merkt daran, daß Gott ihn als Sohn angenommen hat (Gal. 4,6; Rom. 8,15b. 16). All das ist Wirklichkeit, aber nur für den Glaubenden; denn nur als Glaubender weiß der Christ von Gottes Heilstat, nur als Glaubender kann er sich vom Geist leiten lassen. Stellt der Christ sich dagegen wieder unter das Gesetz, so verliert er die Freiheit, die er als Glaubender, die er „in Christus" besitzt (Gal.5,1; Rom.8,1 f.). Weil die neue Schöpfung, weil die Befreiung Tat Gottes ist, die nur im Glauben wirklich sein und bleiben kann, ist das Festhalten am Glauben die Bedingung der Freiheit, darum ist aber auch der Verlust der Freiheit beim Schwachwerden oder bei dem Verlust des Glaubens möglich. Schon die Bindung des Heils an den Glauben macht daher die Mahnung „Wachet, stehet im Glauben!" (l.Kor. 16,13) unerläßlich. Dieser Christ, der sich im Glauben aus dem gegenwärtigen bösen Äon herausgerissen weiß, lebt freilich weiterhin noch im vergehenden alten Äon. Er ist als Glaubender und mit dem göttlichen Geist Begabter für die Welt gestorben, aber er lebt noch im Fleisch; der Satan, die Sünde, das Gesetz

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sind zwar in Christi Tod und Auferstehung überwunden, aber nicht vernichtet und darum nicht wirkungsunfähig, auch dem Glauben gegenüber. Der Christ hat im Geist das Angeld des Heils, er ist gerechtfertigt und zum Gottessohn eingesetzt, aber er kann der Versuchung unterliegen, er kann dem Fleisch gehorchen statt dem Geist, er kann aus der Gnade herausfallen. Sein Gerettetsein, sein endgültiges Heil hängt infolgedessen daran, daß er den Geist über sich herrschen läßt, daß er Sklave der Gerechtigkeit bleibt, daß er seinen Leib „als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darbietet" und dadurch einen „geistigen Gottesdienst" leistet, nicht aber „sich diesem Äon gleichstellt" (Rom. 12,1 f.). Das alles zeigt, daß das Nebeneinander von Indikativ und Imperativ für Paulus angesichts der Existenz des Glaubenden in beiden Äonen eine notwendige, eine unaufgebbare Antinomie ist. Der Indikativ beschreibt das endzeitliche Heil, an dem der Christ im Glauben Anteil erhalten hat, er besagt, daß der Glaubende neugeschaffen und bestimmt ist durch Gottes Heilshandeln in Vergangenheit und Gegenwart und durch die sichere Hoffnung auf die bald erwartete Heilsvollendung. Der Imperativ aber kennzeichnet den Christen als bedroht vom zu Ende gehenden alten Äon und seinen Mächten und darum als verantwortlich für das Festhalten an der empfangenen Rettung. Der Christ kann ja „die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllen", wenn er „nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandelt" (Rom. 8,4). Darum aber muß er an die empfangene Heilsbotschaft ebenso wie an die empfangene ethische Belehrung erinnert werden (l.Kor. 15,1 f.; 11,2; l.Thess.4,1; Gal.5,21). Weil der Christ „die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllen" kann (Rom. 8,4), wird er auf die im Gesetz ausgesprochene und auch für den Christen gültige Liebesforderung Gottes erneut angesprochen: „Das Gesetz wird in dem einen Wort erfüllt: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst'" (Gal.5,14; vgl.Rom. 13,8-10). Paulus bejaht also die sittlichen Forderungen des Gesetzes, aber das Gebot des Herrn Christus steht über dem Gesetz (vgl. l.Kor.9,8 f. 13 neben 9,14), und so führt Paulus als letzte Norm, wo es ihm möglich ist, nicht das Gesetz, sondern das Gebot des Herrn an (l.Kor. 7,10.25), das er paradox auch als „Gesetz Christi" bezeichnen kann (Gal. 6,2; vgl. l.Kor. 9,21). Auch wo Paulus das Gesetz als Norm für den Christen anführt, hat er nicht vergessen, daß der Christ „nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade" steht (Rom. 6,15); „die Freiheit vom Gesetz als Heilsweg ist zugleich eine Freiheit zum Gesetz als inhaltlichem Gebot" (W. Schräge; über die ethischen Forderungen des Paulus im einzelnen vgl. H. D. Wendland, Ethik des Neuen Testaments, S.49ff. in dieser Sammlung). Ist so in der Tat der Imperativ im Zusammenhang der paulinischen Heilslehre ebenso sachgemäß und notwendig wie der Indikativ, so ist doch das Wesentliche, daß sachlich der Imperativ dem Indikativ immer erst folgt. Was der gläubige Christ tut, tut er nicht aus eigener Kraft, sondern aufgrund des ihm widerfahrenen göttlichen Heils („Was hast du, wenn du es nicht empfangen hast?", l.Kor.4,7), und der Imperativ ermahnt nicht dazu, sich das

Das Gericht nach dem Werk

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Heil zu erwerben, sondern das empfangene Heil festzuhalten und nicht zu verlieren. Darum ist die Feststellung „Gott ist ja der, der in euch das Wollen und das Bewirken nach seinem Willen bewirkt" die begründende Voraussetzung für die Mahnung: „Erarbeitet euch eure Rettung mit Furcht und Zittern!" (Phil.2,12f.). So kann denn Paulus zugleich mit der Warnung vor dem Fallen an die Christen die Gewißheit ausdrücken: „Nur eine menschliche Versuchung hat euch ergriffen; Gott aber ist treu, er wird euch nicht über Vermögen versucht werden lassen, sondern er wird mit der Versuchung auch den Ausweg schaffen, daß ihr es ertragen könnt" (l.Kor. 10,13). 6.3 Das Gericht nach dem Werk Daß der Imperativ, d. h. die Erinnerung an die den Christen gestellte Aufgabe, „vollkommen und erfüllt von allem, was Gottes Wille ist, dazustehen" (Kol. 4,12), zur Heilsbotschaft des Paulus notwendig dazugehört, beweist schließlich auch noch die Tatsache, daß Paulus vom Gericht nach dem Werk spricht. Paulus kann vom „Gericht Gottes" ganz allgemein reden: Gott „wird einem jeden gemäß seinen Werken vergelten; denen, die im geduldigen [Tun] guten Werkes Ruhm und Ehre und Unvergänglichkeit suchen, [wird er] ewiges Leben [geben]; denen aber, die selbstsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, vielmehr der Ungerechtigkeit gehorchen, [wird] Zorn und Grimm [zuteil]" (Rom.2,6-8). Und ganz entsprechend ist auch von dem Tag die Rede, „an dem Gott das Verborgene der Menschen richtet", und von dem „Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes" (Röm.2,16a.5b; vgl.l.Kor. 1,8; 5,5; l.Thess. 1,10). Da Paulus aber, wie wir gesehen haben (s. o. S.174), andernorts deutlich sagt, daß ein Gerechtgesprochenwerden durch Gott aufgrund von Gesetzeswerken nicht möglich ist (Rom..3,20.28; Gal.2,16), hat man bezweifelt, daß Paulus auch an die Christen denken könne, wenn er vom kommenden Gerichtstag spricht. Die eben angeführten Aussagen in Röm.2,6-8.16a.5b lassen aber durch ihre uneingeschränkte Formulierung keine andere Deutung zu, als daß Paulus hier das Gericht Gottes über alle Menschen, auch über die Christen, erwartet (s. den Exkurs im Kommentar zu Rom. 2,16). Diese Deutung wird durch die Texte bestätigt, in denen Paulus eindeutig von einem Gericht Gottes oder Christi über die Christen redet: „Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder entsprechend dem, was er mittels des Leibes getan hat, [den Lohn] empfängt, sei es Gutes oder Böses" (2.Kor.5,10); „Wir alle werden ja vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden" (Rom. 14,10; vgl.l.Thess.4,6; l . K o r . 3 , 1 2 f . ; 4,4). Auch setzt Paulus, der doch das Gerechtfertigtsein der Christen behauptet (l.Kor. 6,11; Rom. 5,9a) und betont, daß es „für die [Menschen] in Christus keine Verurteilung [mehr] gibt" (Rom. 8,1) und daß „Jesus uns vor dem kommenden Zorn rettet" (l.Thess. 1,10; vgl.Rom.5,9b), durchaus voraus, daß die Christen von Gott noch verworfen werden können: ich habe Timotheus zu euch geschickt, „um von euerm Glauben Kenntnis zu erhalten, damit euch nicht etwa der Versucher versucht hat und unsere Mühe umsonst gewesen wäre"

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(l.Thess.3,5); „Richte nicht durch deine Speise jenen [Bruder] zugrunde, für den Christus gestorben ist!" (Rom. 14,15; vgl. Gal.5,4; l.Kor.6,8f.; 8,11; 10,12 und die oben S.200f. genannten Stellen). So auffällig es angesichts der paulinischen Heilsbotschaft von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden ohne Gesetzeswerke zunächst auch scheinen mag - es leidet keinen Zweifel, daß Paulus das göttliche Urteil über die Menschen aufgrund ihrer Taten erwartet und die Christen von dieser Erwartung nicht ausnimmt. Dieser Widerspruch ist nun aber keinesfalls daraus zu erklären, daß Paulus die Vorstellung vom Gericht nach den Werken aus seiner jüdischen Vergangenheit mitgeschleppt hat, obwohl sie in den Zusammenhang seiner Heilslehre nicht mehr paßte. Denn er hat die jüdischen Vorstellungen entscheidend umgebildet. Paulus unterscheidet konsequent zwischen dem Plural „Werke", womit er das autonome Handeln des Menschen bezeichnet, durch das der Mensch sich vor Gott keine Anerkennung verschaffen kann (vgl. Rom. 13,12; Gal. 5,19), und dem Singular, der das Handeln des Christen beschreibt: „Das Werk eines jeden wird offenbar werden; denn der Tag wird es ans Licht bringen, weil er mit Feuer offenbart wird, und er wird prüfen, wie das Werk eines jeden beschaffen ist" (l.Kor.3,13); „ . . . in der Uberzeugung, daß der, der in euch gutes Werk begonnen hat, es vollenden wird bis zum Tage Jesu Christi" (Phil. 1,6; vgl.2.Kor.9,8; Gal. 6,4 usw.; auch der parallele Begriff „Frucht" steht nur im Singular, z.B. Rom. 6,22; Phil. 1,11). Nicht nach Werken, Früchten, Leistungen fragt Gott beim Gericht, sondern nach „der Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus" (Phil. 1,11), und das heißt in anderer Ausdrucksweise: Gott fragt nach der „Bewährung" (Rom. 5,4; 2.Kor.9,13; l.Kor. 11,19). Darum kann Paulus von sich selber sagen: „So soll man uns für Diener Christi und Verwalter der Gottesgeheimnisse halten. Dabei wird aber von den Verwaltern [nur] verlangt, daß einer als zuverlässig befunden wird" (l.Kor.4,1 f.). Die Aufgabe des Christen ist darum nicht das Tun von Werken, sondern der Kampf um die Bewährung: „Ich strecke mich nach vorne aus, ich jage dem Ziel nach, dem Siegespreis, der in der Berufung nach oben durch Gott in Jesus Christus besteht" (Phil.3,13 f.). Paulus fragt nicht nach dem Wie der Belohnung und schon gar nicht nach dem Wie der Verwerfung. Es steht ihm fest, daß es eine Verwerfung, daß es Verworfene gibt (Phil. 1,28; l.Kor. 1,18; 2.Kor.2,15; 2.Thess.2,10), und er rechnet, wie wir sahen, mit der Möglichkeit, daß auch Christen dem Verderben anheimfallen. Aber er macht über den Zustand des Verworfenseins keine Aussagen; das Schicksal der Nichtchristen ist für ihn erst recht kein Gegenstand der Reflexion. Wenn er vom Gericht nach dem Werk redet, so betont er, daß Gott keinerlei „Ansehen der Person" kennt (Rom. 2,11) und daß darum der beauftragte Apostel ebenso wie jeder andere Christ sich des Ernstes des Gerichts bewußt sein müsse (l.Kor.4,4f.; 2.Kor.5,10). Aber er malt das den Geretteten zuteil werdende Heil ebensowenig aus, beschreibt es vielmehr nur zusammenfassend als Ewiges Leben, Herrlichkeit, Rettung, Sein mit Christus, beim Herrn zu Hause sein (Rom. 2,7; 5,21; Gal. 6,8;

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Rom. 2,10; 8,18; Kol. 3,4 - Rom. 13,11; l.Thess.5,9 - 2.Kor.l3,4; Phil. 1,23 - 2.Kor.5,8 usw.). Vor allem aber sieht Paulus dem Gericht über die Christen mit Zuversicht entgegen: „Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern zur Gewinnung der Rettung durch unsern Herrn Jesus Christus" (l.Thess.5,9); „Wieviel mehr werden wir, die wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden!" (Rom.5,9); „Freuet euch in dem Herrn immer . . . , der Herr ist nahe!" (Phil.4,4f.). Der Grund für diese Zuversicht liegt auf der Hand: Der Gott, der das Gericht hält, ist ja der Gott, der durch Jesus Christus die Sünder rettet: „Wenn Gott für uns [ist], wer [ist] gegen u n s ? . . . Wer wird gegen die Erwählten Gottes Anklage erheben? Etwa Gott, der gerecht spricht? Etwa Christus Jesus, der gestorben ist, noch mehr, der auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist, der auch für uns eintritt?" (Rom. 8,31.33 f.); „Ihr erwartet die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus; er wird euch auch festigen bis zum Ende, damit ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus" (l.Kor. 1,7f.). Damit wird aber deutlich, daß Paulus die Erwartung des Gerichts im Zusammenhang der Heilsbotschaft gesehen hat. Das gilt in doppelter Hinsicht. Das Wissen um die Unausweichlichkeit des göttlichen Gerichts, vor dem der Mensch nicht bestehen kann, läßt den Menschen sich öffnen für die Annahme der Botschaft, daß allein Gottes rettendes Handeln in Jesus Christus ihn vor dem Verlorengehen retten kann: „Glaubst du . . . , daß du dem Gericht Gottes entfliehen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut und weißt nicht, daß Gottes Güte dich zur Umkehr leitet?" (Rom. 2,4); „Ich finde für mich, der ich das Schöne tun will, daß mir das Böse zur Hand l i e g t . . . Ich elender Mensch, wer wird mich aus diesem Todesleibe retten?" (Rom.7,21.24). Es gilt aber nicht nur für jeden Menschen ganz allgemein, daß das Erinnertwerden an die bevorstehende Verwerfung im Gericht ihn zur Annahme der Rettungsbotschaft bereit machen müßte, es gilt auch noch für den Christen, daß die Erinnerung an die Möglichkeit des „Herausfallens aus der Gnade" ihn dazu veranlassen müßte, sich um das Festhalten der empfangenen Rettung zu mühen: „Ich, Paulus, sage euch: wenn ihr euch beschneiden laßt, wird euch Christus nichts nützen" (Gal.5,2); „Ich gebe mir Ohrfeigen und unterjoche mich, damit ich nicht andern predige und selber unbewährt werde" (l.Kor.9,27); „Wenn wir uns selbst prüften, würden wir nicht gerichtet; wenn wir aber vom Herrn gerichtet werden, dient das zu unserer Züchtigung, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden" (l.Kor. 11,31 f.). Nur wenn die Gewißheit des göttlichen Gerichtes festgehalten und ernst genommen wird, erscheint das göttliche Heilshandeln in Christus als einzige Rettung, die es unbedingt zu ergreifen und festzuhalten gilt. Entscheidend aber ist: das Gericht Gottes wird die Welt darum verurteilen, weil sie vor Gott schuldig ist (l.Kor. 11,32; Röm.3,19), „entfremdet und feindlich gesinnt in den bösen Werken" (Kol. 1,21). Das gilt aber für

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den Christen nicht mehr: „Es gibt also keine Verurteilung [mehr] für die [Menschen] in Christus Jesus. Denn das Gesetz des Lebensgeistes in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes . . . Gott hat seinen Sohn gesandt in der Gestalt des Sündenfleisches und um der Sünde willen und [so] die Sünde im Fleisch verurteilt, damit die Rechtsforderung des Gesetzes an uns erfüllt würde, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist" (Rom. 8,1-4). Hier ist deutlich gesagt, daß der Christ Gottes Willen nicht aus eigener Kraft tut, sondern daß der ihm geschenkte göttliche Geist die göttliche Rechtsforderung an ihm (oder: durch ihn) erfüllt, daß im Christen also der göttliche Geist der eigentlich Handelnde ist. Und denselben Tatbestand beschreibt Paulus in paradoxer Weise in Phil. 2,12f.: „Daher, meine Lieben [weil Christus sich bis zum Kreuzestod erniedrigt hat und darum zur Herrnwürde erhöht worden ist], . . . bewirkt mit Furcht und Zittern euer Heil; denn Gott wirkt in euch das Wollen und das Wirken nach seinem Wohlgefallen." Der Christ kann sich also um sein Heil mühen, weil Gott sein Wollen und Wirken selbst lenkt, weil Gott selber durch den Christen handelt. Das dem Christen geschenkte Heil macht ihm erst die Erfüllung des Gotteswillens möglich, und der Christ wird darum beim Gericht nach dem von ihm getanen Werk, nicht nach seinen Leistungen gefragt, d.h. er wird allein danach gefragt, ob er Gott durch den Heiligen Geist in seinem Tun Raum gegeben hat. Darum rechtfertigt Gott den Christen allein aufgrund des Glaubens, auch wenn er nach dem Werk fragt (Rom. 3,30; 14,23b); denn der Glaubende lebt ja nur dann wirklich im Glauben, wenn er sich vom Geist regieren läßt und so die Taten des Leibes tötet (Rom. 8,13b), und die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit gilt nur dem „Glauben, der durch die Liebe wirkt" (Gal. 5,6). Mag so formal zwischen der Rechtfertigung aus Glauben allein und dem Gericht nach dem Werk in der Verkündigung des Paulus ein Widerspruch bestehen - es ist derselbe Gott, der aus Gnade den Sünder am Ende der Tage gerechtsprechen will, wenn der Sünder der Botschaft von Gottes endzeitlichem Heilshandeln in Jesus Christus sich glaubend unterwirft, und der nach dem „Gehorsam gegenüber Christus" (2.Kor. 10,5) fragt und darüber urteilt, ob der Christ in solchem Dienst Christus gegenüber „vor Gott wohlgefällig und den Menschen gegenüber bewährt" erscheint (Rom. 14,18). Es ist letztlich die den biblischen Gottesglauben beherrschende Antinomie, daß Gott gerecht und gnädig ist, die in dem formalen Widerspruch zwischen Rechtfertigung aus Glauben und Gericht nach dem Werk bei Paulus sichtbar wird, und wir können diesen Widerspruch als auch für uns gültig und darum sachgemäß bejahen oder ablehnen, nicht aber in ein logisch widerspruchsloses System auflösen. 6.4 Die göttliche Vorherbestimmung Wenn so der Hinweis auf Gottes Gericht nach dem Werk nur die paulinische Botschaft verstärken will, daß Gott allein in Jesus Christus das rettende Heil schafft, so dienen diesem gleichen Ziel auch die wenigen

Die göttliche Vorherbestimmung

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andeutenden Sätze, in denen Paulus von der göttlichen Vorherbestimmung spricht. Man hat seit den Tagen der Kirchenväter aus den paulinischen Erörterungen über das endgültige Schicksal Israels in Rom. 9-11 immer wieder die Anschauung herausgelesen, daß Gott in seinem Zorn bestimmte Menschen zum Verderben und in seinem Erbarmen bestimmte Menschen zum ewigen Heil vorherbestimmt habe (vgl. vor allem Röm.9,18.22f.). Eine streng auf den Zusammenhang achtende Auslegung dieser Kapitel zeigt aber - darüber besteht heute kaum noch eine Meinungsverschiedenheit —, daß diese ganzen Ausführungen gar nicht vom Problem der göttlichen Vorherbestimmung, von der Erwählung oder Verwerfung der Menschen reden wollen, sondern die viel begrenztere Frage zu beantworten suchen, ob der Paulus tief betrübende Unglaube der meisten Juden dem Evangelium gegenüber bedeutet, daß Gott „sein Volk verstoßen hat" (Rom. 11,1), obwohl sich doch die Botschaft vom Evangelium als der rettenden Macht für jeden Glaubenden gerade zunächst an die Juden und dann erst an die Griechen richtete (Rom. 1,16). Die Antwort des Paulus auf diese Frage, daß Gott trotz des Unglaubens Israels sein Volk nicht verstoßen habe, sondern daß der gegenwärtige Unglaube der Juden nur Gottes Umweg sei, um zuerst die Heiden und dann die Juden zu gewinnen, kann uns hier nicht im einzelnen beschäftigen (vgl. den Kommentar zu Rom. 9-11). Zweifellos ist aber, daß die wenigen Aussagen, die Paulus in diesem Zusammenhang über Gottes Pläne mit der Menschheit macht, sich nicht zu einer Lehre von der doppelten Vorherbestimmung des Menschen, zum Heil oder zum Unheil, zusammenfügen lassen. Wohl betont Paulus mit aller Eindeutigkeit, daß Gott die Freiheit habe zu verstocken und Erbarmen zu üben: „Also erweist er [Gott] Erbarmen demjenigen, dem er [Erbarmen erweisen] will, und verhärtet denjenigen, den er [verhärten] will" (Rom. 9,18; vgl. 9,11 f. 22f.; 11,710); aber ebenso deutlich wird gesagt, daß die Juden, die jetzt ungläubig sind, noch zum Glauben kommen können (Rom. 10,1; 11,13 f. 23) und daß die Heiden, die zum Glauben kamen, diesen Glauben wieder verlieren können (Rom. 11,20.22). Von endgültig gefallenen Entscheidungen Gottes über das Schicksal der Menschheit ist darum in diesen Kapiteln des Römerbriefs nicht die Rede, wohl aber davon, daß Gott solche Entscheidungen fällen kann und daß der Mensch als Gottes Geschöpf ihm das Recht dazu nicht bestreiten darf: „O Mensch, wer bist du eigentlich, der du mit Gott rechtest?" (Rom. 9,20; vgl. den „Rückblick auf Kap. 9-11" im Kommentar zum Römerbrief). Aber wenn Paulus auch keine Lehre von der göttlichen Vorherbestimmung vertreten hat, so hat er doch an einigen wenigen Stellen von Gottes Plan mit den Christen gesprochen. Schon l.Thess.5,9f. heißt es im Zusammenhang von Mahnungen zur Wachsamkeit angesichts der Nähe des Gerichtstages: „Gott hat uns ja nicht zum Zorn hingestellt, sondern zur Gewinnung der Rettung durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit wir, ob wir wachen oder schlafen, mit ihm zusammenleben werden." Ähnlich wird 2.Thess. 2,13 f. von den Christen gesagt: „Wir aber sollen

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Gott immer euretwegen danken, vom Herrn geliebte Brüder, weil euch Gott von Anfang an [dies ist wohl die richtige Textform!] erwählt hat zur Rettung durch die Heiligung des Geistes und den Glauben an die Wahrheit, wozu er auch euch berufen hat durch unser Evangelium, damit ihr die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus erhaltet." Schon in diesen beiden Texten wird die Rettung der Christen durch Christus auf Gottes schon „im Anfang" gefallene Entscheidung zurückgeführt, die dann zum Ruf an die Christen und damit zu ihrer Rettung führte. Diese göttliche Entscheidung zum Ruf an die Christen nennt Paulus Gottes „Auswahl": „Das Törichte in der Welt hat Gott a u s g e w ä h l t . . . , das Verachtete hat Gott ausgewählt, das, was nichts ist, um das zunichte zu machen, das etwas ist, damit sich kein Fleisch vor Gott rühme" (l.Kor. 1,27-29); „Wir kennen, von Gott geliebte Brüder, euer Auserwähltsein, weil unsere Evangeliumsverkündigung bei euch nicht nur mit Worten geschah, sondern auch in Kraft und Heiligem Geist, und mit großer Zuversicht" (l.Thess. 1,4f.). Dieser Überzeugung, daß die Christen das Evangelium hören und ihm glauben durften, weil Gott sie dazu ausgewählt hatte, gibt Paulus nun an der einzigen Stelle, wo er von dieser Erwählung etwas ausführlicher redet, folgenden Ausdruck: „Wir wissen, daß Gott denen, die ihn lieben, alles zum Guten mitwirken läßt, denen die gemäß der [göttlichen] Entscheidung berufen sind. Diejenigen nämlich, die er vorher erkannt hat, hat er auch vorherbestimmt, daß sie dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet sein sollten, damit er der Erstgeborene unter vielen Brüdern sei; diejenigen aber, die er vorherbestimmt hat, hat er auch berufen, und diejenigen, die er berufen hat, hat er auch gerechtgesprochen, und diejenigen, die er gerechtgesprochen hat, hat er auch verherrlicht" (Rom. 8,28-30). Hier wird der gewissen Uberzeugung, daß den Christen als den von Gott Berufenen und Gerechtfertigten die endgültige Rettung durch Gott zuteil werden wird (vgl. Rom. 8,32!), durch die Feststellung Sicherheit gegeben, daß die Berufung des Christen, die für ihn Gottes rettendes Handeln zur persönlich erfahrenen Wirklichkeit werden ließ, auf Gottes erwählenden Beschluß zurückgeht. Entscheidend ist aber dabei für Paulus das Ziel, das Gott mit solchem Beschluß und der daraus folgenden Berufung der Christen verfolgte: die Berufenen sollten dem Bild Jesu Christi angeglichen werden, sie sind durch ihre Berufung und Geistesbegabung zu Söhnen Gottes eingesetzt (Rom. 8,15; Gal.4,6) und so zu Brüdern des Gottessohnes geworden. Für Paulus ist die damit gegebene Hoffnung auf die Teilhabe der Christen an der Herrlichkeit des auferstandenen Gottessohnes („Er wird unsern niedrigen Leib seinem herrlichen Leib gleichgestalten", Phil.3,21) so gewiß, daß er Rom. 8,30 schon sagen kann: „Diejenigen, die er gerecht gesprochen hat, hat er auch verherrlicht"! Zugleich aber zeigt Rom. 8,28 f. deutlich, daß Paulus von der göttlichen Auswahl und Vorherbestimmung nicht aus spekulativen Interessen redet, sondern auf diese Weise der freudigen Glaubensgewißheit Ausdruck geben will, daß Gott in Christus die Berufenen zur sicheren Rettung führen wird.

Die Endvollendung

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Dabei ist aber ein Doppeltes zu beachten wichtig: Paulus redet in diesen Zusammenhängen nirgendwo von den Menschen, an die der Ruf Gottes nicht ergangen ist oder die ihn abgelehnt haben, und von einem göttlichen Entschluß zur Verwerfung dieser andern Menschen ist nicht die Rede. Andererseits: Auch wenn Gott diejenigen berufen hat, die er vorher auserwählt hat, so ist damit für Paulus keine unbedingte Gewißheit der endgültigen Rettung gegeben; auch der Berufene kann ja aus dem Glauben fallen und verworfen werden: „Wenn ihr durch das Gesetz gerechtfertigt werden [wollt], seid ihr aus der Gnade herausgefallen" (Gal.5,4; vgl. 1,6; 3,2f.; l.Kor. 10,12 usw.). „Auch der Glaubende kann fallen. Wie verhält sich dies zur ewigen Festigkeit des göttlichen Rats? Paulus hat beide Sätze nicht durch einen vermittelnden Gedanken ausgeglichen" (A.Schlatter). Denn auch hier läßt Paulus die im Glauben erkannte Wahrheit stehen, daß es der gerechte Gott ist, der aus Gnaden sein rettendes Handeln in Christus anbietet, und auch hier müssen wir den dadurch entstehenden "Widerspruch hinnehmen und können die paulinische Verkündigung von Gottes Beschluß zur Berufung derjenigen, die gerettet werden, nur als den Grund unserer Heilgewißheit dankbar bejahen oder als unverständlich ablehnen. 6.5 Die Endvollendung Paulus hat so die beiden Wahrheiten festgehalten, daß „Gott uns berufen hat als diejenigen, die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat" (Rom.9,23f.), aber ebenso „Bedrängnis und Not" kommen lassen wird „über jede Seele eines Menschen, der das Böse tut, des Juden zunächst und [auch] des Griechen" (Rom. 2,9). Diesem Miteinander zweier Wahrheiten, die in Spannung zueinander stehen, entspricht nun, daß Paulus auf die sich uns zuletzt stellende Frage nach der Endvollendung auch keine widerspruchslose Antwort gibt. Paulus hat zweifellos in allen seinen Briefen das Kommen des auferstandenen Christus in Herrlichkeit (die „Ankunft", griechisch „Parusie") und damit den Anbruch der Heilsvollendung in zeitlich großer Nähe erwartet (s. O.S. 127 f.), aber er hat nur selten ausführlicher auf die erwarteten Endzeitereignisse hingewiesen (l.Thess.4,15-17; 2.Thess. 2,3-10; l.Kor. 15,22-28.51-53; 2.Kor.5,1-4.10). Die Versuche, die in diesen Texten und auch sonst gelegentlich (l.Thess.3,13; Rom. 16,20; Gal.4,26f.; l.Kor.6,3; Phil. 3,21) erwähnten endzeitlichen Ereignisse in einen fortlaufenden Geschehenszusammenhang einzuordnen, haben sich nicht durchführen lassen, und es ist sehr die Frage, ob Paulus eine derartige apokalyptische Systematik überhaupt beabsichtigte. 6.5.1 Die Vernichtung der Mächte der Welt und das „Sein mit Christus" Das Interesse des Paulus liegt vielmehr in diesem Zusammenhang offensichtlich auf einem Doppelten: Wenn der Christus mit all seinen Engeln vom Himmel her erscheint, werden alle Mächte und Gewalten samt dem Satan und als letzter Feind der 14

Kümmclj Theologie

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Tod vernichtet (l.Thess. 2,19; 3,13; 4,15 f.; 2.Thess.l,7; 2,1.8; l.Kor.15, 23-25; Rom. 16,20). „Wenn ihm [dem Christus] aber alles unterworfen ist, dann wird der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat [d.h. Gott], damit Gott alles in allem sei" (l.Kor. 15,28). Die Erwartung der Ankunft des Christus in Herrlichkeit schließt demnach die gewisse Hoffnung ein, daß die Mächte dieser Welt, die durch Gottes Heilstat im Leben, Sterben und Auferstehen Christi entmächtigt, aber noch nicht vernichtet waren, dann endgültig außer Funktion gesetzt werden sollen, daß dann Gott allein die Herrschaft übernehmen wird, so daß dann „weder Tod noch Leben noch Engel noch Herrscher noch Zukünftiges noch Mächte noch Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf uns wird trennen können von der Liebe Gottes in Christus Jesus unserm Herrn" (Rom.8,38f.). Diese Machtübernahme durch den Christus und schließlich durch Gott selbst und damit die Ausschaltung aller gottwidrigen Mächte ist für Paulus die entscheidende Voraussetzung für die Hoffnung auf das endgültige, durch nichts mehr zu erschütternde Heil, und alle apokalyptischen Einzelvorstellungen dienen nur dazu, dieser gewissen Hoffnung Ausdruck zu verleihen. Wenn der Christus vom Himmel erscheinen wird, „werden die Toten in Christus zuerst auferstehen, dann werden wir, die Lebenden, die übrig geblieben sind, zugleich mit ihnen auf Wolken weggerissen werden in die Luft, um den Herrn einzuholen, und so werden wir immer mit dem Herrn sein" (l.Thess.4,16b.l7). In dieser ältesten erhaltenen Formulierung der Hoffnung des Paulus auf die Heilsvollendung begegnet als Beschreibung des letzten Heils die Gewißheit, „mit Christus" zu sein. Paulus hat diesen Ausdruck mehrfach zur Beschreibung der Heilshoffnung gebraucht: „Wir werden mit ihm aus der Kraft Gottes euch gegenüber lebendig sein" (2.Kor. 13,4; vgl. l.Thess.4,15; 5,10; Phil. 1,23; Kol.3,4); und er hat damit gezeigt, daß für ihn das endgültige Heil seinem eigentlichen Wesen nach nicht in der Gabe der göttlichen Herrlichkeit (Röm.5,2; 8,18.21; l.Kor. 15,43; 2.Kor. 4,17; Kol. 1,27; 3,4; l.Thess. 2,12; 2.Thess.2,14) und damit im Empfang des ewigen Lebens (Rom. 2,7; 5,17.21; 6,22f.; 2.Kor.2,16; 5,4; Gal. 6,8) und der Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit (l.Kor. 15,53 f.) besteht, obwohl diese Beschreibung des Endheils für Paulus in vollem Umfang gültig ist. Seinem eigentlichen Wesen nach besteht vielmehr das von Paulus erhoffte Endheil in der nicht mehr endenden und nicht mehr gefährdeten Gemeinschaft „mit Christus" und durch ihn mit Gott dem Vater, der uns zur Gemeinschaft mit sich geschaffen hat: „Für uns [gibt es nur] einen Gott, den Vater, aus dem alles [stammt] und durch den wir [geschaffen sind] auf ihn hin", l.Kor.8,7; vgl. auch l.Kor. 1,9: „Gott ist treu, durch den ihr gerufen wurdet zur Teilhabe an seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn." Diese volle und unverlierbare Gemeinschaft der Christen „mit Christus" und dadurch mit Gott, diese „Befreiung aus der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes" (Rom. 8,21) erwartet Paulus von dem Tag der Erscheinung Christi, wenn „die zukünftige Herrlichkeit übe- uns offenbar werden" soll (Rom.8,18; vgl.Kol.3,4). Freilich

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Die Endvollendung

ist es für Paulus sicher, daß „Fleisch und Blut die Gottesherrschaft nicht erben können und auch die Vergänglichkeit die Unvergänglichkeit nicht erben kann" (l.Kor. 15,50). Darum bedeutet für ihn das „Auswandern aus dem Leib und nach Hause Kommen zum Herrn" (2.Kor. 5,8) die „Befreiung unseres Leibes" (Rom. 8,23), eine wirkliche Neuschöpfung: wenn der Herr kommt, „werden die Verstorbenen unvergänglich auferweckt und wir werden verwandelt werden" (l.Kor. 15,52). Paulus erwartet also eine Auferstehung der bis zur Parusie entschlafenen Christen, bei der die Auferstehenden statt ihres begrabenen „psychischen Leibes" einen „geistlichen Leib" erhalten oder, mit einem andern Bild gesagt, „unser Haus aus dem Himmel darüber anziehen" sollen, während die bei der Parusie noch lebenden Christen eine entsprechende Verwandlung erfahren sollen (l.Kor. 15,44.52; 2.Kor. 5,2). Wenn Paulus daneben auch der Hoffnung Ausdruck gibt, daß der vom Himmel erscheinende Christus „unseren niedrigen Leib umformen wird, so daß er seinem Herrlichkeitsleibe gleichgestaltet ist" (Phil. 3,21; vgl. auch Rom. 8,29: die Erwählten hat Gott „vorherbestimmt, daß sie dem Bilde seines Sohnes gleichgeformt werden sollen") und daß Gott, „der Jesus Christus von den Toten erweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wird durch seinen in euch wohnenden Geist" (Rom. 8,11), so besteht kein Grund zu der Annahme, daß Paulus mit diesen etwas abweichenden Formulierungen etwas anderes sagen wollte als in den vorher genannten Texten, nämlich daß der Christ bei der Parusie einen „geistlichen Leib" erhalten soll, der dem Leib des auferstandenen Christus gleichgestaltet ist und an die Stelle des Fleischesleibes tritt. Freilich drängen sich im Zusammenhang der Enderwartung des Paulus noch zwei vieldiskutierte Fragen auf: Hat Paulus den Empfang des endgültigen Heiles und damit auch eines „geistlichen Leibes" durch die Christen ausschließlich für den Zeitpunkt der zukünftigen Erscheinung des Christus in Herrlichkeit erwartet, oder zeigt sich in seinen späteren Briefen nicht auch die Hoffnung auf den Empfang des endgültigen Heils schon beim Tode des Christen? Und hat Paulus die Teilnahme an der Heilsvollendung nur den Christen verheißen oder hat er nicht auch die Hoffnung auf Gottes Heilswillen für alle Menschen verkündet? Diese beiden Fragen haben sich den Lesern der Paulusbriefe und damit auch der Forschung aufgedrängt, weil einige Aussagen des Paulus in der Tat in diese Richtungen zu führen scheinen. 6.5.2 Endzeiterwartung

und Heilsvollendung

nach dem Tode

Paulus erwartete, wie wir sahen, daß bei der in Bälde erhofften Erscheinung des Christus in Herrlichkeit die verstorbenen Christen mit einem „geistlichen Leibe" auferstehen und die dann noch lebenden Christen verwandelt werden sollten, um immer „mit Christus" zu sein. Nun äußert Paulus aber 2.Kor.5,lff. die Sehnsucht, das „Haus aus dem Himmel" überzuziehen, um nicht nackt erfunden zu werden, und er scheint mit diesen Worten dem Wunsch Ausdruck zu geben, gleich nach dem Tode den himmM'

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Die Theologie des Paulus

lischen Leib zu erhalten, also vor der Parusie zu sterben. Ist diese Deutung von 2.Kor.5,lff. immerhin umstritten, so äußert Paulus diesen Wunsch unbestreitbar in Phil. 1,23: „Ich werde von zwei Seiten bedrängt; ich habe die Begierde zu scheiden und mit Christus zu sein, das ist ja viel besser; das Verbleiben im Fleisch ist aber notwendiger um euretwillen." Hier verbindet Paulus das „mit Christus" Sein mit dem ihn möglicherweise treffenden Tod als dessen unmittelbare Folge, von Auferstehung oder Verwandlung bei der zukünftigen Erscheinung des Christus ist aber nicht die Rede. Man hat aufgrund dieser beiden Texte in verschiedener Form die Annahme vertreten, die Enderwartung des Paulus habe sich gewandelt: während er zunächst (im l.Thessalonicher- und l.Korintherbrief) fest damit rechnete, bis zur Erscheinung des Christus am Leben zu bleiben, habe er sich danach gezwungen gesehen, mit der Möglichkeit seines Sterbens vor der Parusie zu rechnen, und er habe dementsprechend die Hoffnung auf das „Sein mit Christus" bei der Parusie ersetzt oder verbunden mit der Erwartung, gleich nach dem Tode „mit Christus" zu sein. Gegen diese Annahme bestehen freilich erhebliche Bedenken (vgl. auch den Exkurs „Wandel in der Zukunftshoffnung des Paulus" im Kommentar zu Jen Korintherbriefen hinter 2.Kor.5,10). Zunächst ist zu sagen, daß wir über die zeitliche Abfolge der Paulusbriefe nur teilweise Bescheid wissen, daß vor allem der Abfassungsort und damit auch die Abfassungszeit des Philipperbriefes nicht sicher bekannt sind. Viele Forscher meinen, der Philipperbrief stamme aus einer - freilich nur erschlossenen - Gefangenschaft des Paulus in Ephesus (vgl. die Einleitung zum Philipperbrief); falls diese Vermutung zutrifft, was freilich nicht sicher ist, wäre der Philipperbrief auf alle Fälle älter als der 2. Korintherbrief und könnte dann keinesfalls Zeugnis für eine spätere Form der paulinischen Heilshoffnung sein. Ebenso wäre von dieser Voraussetzung aus der Römerbrief später geschrieben als der Philipperbrief, in jedem Fall aber ist der Römerbrief später als der 2. Korintherbrief. Im Römerbrief vertritt Paulus nun sehr eindeutig und klar die Hoffnung auf die nahe bevorstehende Heilsvollendung für die Christen bei der „Offenbarung der Gottessöhne" (Rom.8,19.23; 13,11). Paulus müßte seine Hoffnung also erneut geändert haben, wenn der Philipperbrief das Zeugnis für eine solche Wandlung und zwischen dem l.Korintherbrief und dem Römerbrief abgefaßt wäre, und Entsprechendes gilt auch für den 2. Korintherbrief im Verhältnis zum Römerbrief. Man müßte also eine zweimalige Wandlung der Hoffnung des Paulus annehmen, und auf keinen Fall können der 2. Korinther- und der Philipperbrief daher als Zeugnisse für eine spätere Gestalt der paulinischen Heilshoffnung dienen. Dazu ist weiter zu sagen, daß diese beiden Briefe, in denen man eine gewandelte Heilshoffnung des Paulus zu finden meint, eindeutige Zeugnisse für die Hoffnung des Paulus auf die Heilsvollendung bei der bald erhofften Erscheinung des Christus in Herrlichkeit enthalten: „Wir wissen, daß derjenige, der Jesus auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken wird und zusammen mit euch [vor sich] hinstellen wird" (2.Kor.4,14); ich habe Ge-

Die Endvollendung

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rechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens [und warte darauf], „ob ich wohl zur Auferstehung aus den Toten hingelange" (Phil. 3,11); aus dem Himmel „erwarten wir den Herrn Jesus Christus, der unseren niedrigen Leib umgestalten wird, so daß er seinem herrlichen Leib gleichgestaltet wird, gemäß der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann" (Phil. 3,20 f., vgl. 1,6.10; 4,5). Daher müssen die beiden genannten Texte 2.Kor.5,lff.und Phil. 1,23 auf dem Hintergrund dieser den Paulus immer beherrschenden Erwartung auf die Heilsvollendung bei der Erscheinung des Christus verstanden werden. Dazu ist schon hilfreich zu beachten, daß Paulus bereits in seinem ältesten erhaltenen Brief voraussetzt, daß die vor der Parusie verstorbenen Christen nicht von Christus getrennt sind, auch wenn erst bei der Erscheinung des Christus ihre endgültige Vereinigung mit dem Herrn in aller Öffentlichkeit stattfinden soll: „Die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, dann werden wir, die Lebenden, die übrig geblieben sind, zugleich mit ihnen auf Wolken weggerissen werden in die Luft, um den Herrn einzuholen, und so werden wir immer mit dem Herrn sein" (l.Thess.4,16b.l7). Ganz entsprechend redet Paulus wenig später davon, daß „in Christus alle lebendig gemacht werden sollen", und meint damit zweifellos die Auferweckung der Menschen, „die zu Christus [gehören]", bei der Parusie (l.Kor. 15,22f.). Wie Paulus in diesen beiden frühen Briefen voraussetzt, daß die verstorbenen Christen nicht von Christus getrennt sind, so rechnet er doch in dem l.Korintherbrief bereits deutlich mit der Möglichkeit, vor der Parusie sterben zu müssen, obwohl er weiterhin darauf hofft, die Parusie als auf Erden Lebender zu erfahren: „Warum begeben wir uns jede Stunde in Gefahr? Ich sterbe Tag für Tag . . . Wenn ich nach Menschenweise in Ephesus mit Tieren gekämpft habe, was nützt es mir?" (l.Kor. 15,30-32; vgl. 15,52). Die vor der Abfassung des 2. Korintherbriefes durchgemachte fast auswegslose Todesgefahr (2.Kor. 1,8 f.) kann darum für Paulus nicht die Bedeutung gehabt haben, daß ihm dabei zum ersten Male die Möglichkeit des Sterbens vor der Parusie zum Bewußtsein gekommen wäre. So gibt Paulus denn auch in 2.Kor. 5 , 1 - 4 keineswegs, wie man gemeint hat, dem Wunsch Ausdruck, möglichst bald zu sterben: „Wir wissen ja, daß wir, wenn unser irdisches Zelthaus aufgelöst wird, einen Bau von Gott haben, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges Haus im Himmel. Wir seufzen ja auch deswegen, weil wir unsere Behausung aus dem Himmel darüber anziehen möchten, insofern wir ja, [nur] wenn wir angezogen haben, nicht als nackt werden erfunden werden. Denn wir, die wir im Zelte sind, seufzen bedrückt, weil wir nicht ausziehen, sondern darüber anziehen wollen, damit das Sterbliche vom Leben verschlungen wird." Paulus wünscht sich auch in diesem Text (vgl. den Kommentar z. St.), bei der Ankunft des Herrn in Herrlichkeit den himmlischen Leib gegen den irdischen austauschen zu dürfen, weil das bedeutet, „zum Herrn nach Hause zu kommen" (2.Kor. 5,8). Freilich hat Paulus in 2.Kor.5,3 ergänzend hinzugefügt, daß er nur in dem Falle des Uberkleidetwerdens mit dem himm-

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lischen Haus (d.h. Leib), den er herbeiwünscht, hoffen könne, nicht „nackt erfunden zu werden". Der Sinn dieser Worte ist seit langem umstritten: man hat darin angedeutet finden wollen, daß Paulus die Möglichkeit abwehren wollte, ohne göttliche Gerechtigkeit vor Gott dazustehen; oder man hat angenommen, er lehne die Hoffnung seiner Gegner in Korinth auf eine leiblose Unsterblichkeit ab; man hat sogar gemeint, Paulus wolle nur dialektisch einen aufkommenden Zweifel an der Verheißung des endgültigen Heils mit diesem Nebengedanken verscheuchen. Aber wenn sich auch über das richtige Verständnis dieser Worte kaum eine endgültige Sicherheit wird gewinnen lassen, so macht doch die Deutung am wenigsten Schwierigkeiten, die Paulus mit dem Bilde des Nacktseins umschreibend den Zustand andeuten läßt, der den Christen erwartet, wenn er durch den Tod zum Herrn heimkehrt, ohne doch gleich „das Haus aus dem Himmel" zu erhalten. Das besagt, daß Paulus hier mit der Möglichkeit rechnet, die er nicht erhofft, daß Christen, ihn selbst eingeschlossen, vor der Parusie sterben und doch noch nicht sofort „die Unsterblichkeit anziehen" könnten, die mit der Erscheinung des Herrn verbunden gedacht ist (l.Kor. 15,53; auch hier begegnet wie in 2.Kor.5 das Bild vom „anziehen"!). So wird sich kaum leugnen lassen, daß Paulus an dieser Stelle des 2. Korintherbriefes davon spricht, was geschehen wird, wenn Christen vor der Erscheinung des Herrn sterben müssen; er denkt aber mit dem Bild des „Nacktseins" schwerlich an eine leiblose Existenz, die für ihn unvorstellbar ist (vgl. l.Kor. 15,35 ff.), wohl aber denkt er an ein vorläufiges Warten auf die Erscheinung des Christus, die erst das Offenbarwerden des Heils mit sich bringt: „Wenn der Christus offenbar wird, unser Leben, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit" (Kol. 3,4). Dieses Verständnis des schwierigen Textes findet nun von zwei Seiten her seine Bestätigung, und damit kommt auch erst der tiefere Sinn dieser Heilserwartung des Paulus zum Vorschein. Wir sahen schon (s.O.S. 150), daß der Christ nach der Erfahrung und Verkündigung des Paulus durch die Gabe des Heiligen Geistes das Angeld und die Garantie für die Teilhabe am verheißenen Endheil ganz persönlich empfangen hat (s. 2.Kor. 1,22; 5,5; Rom. 8,23) und daß Gott ihn „versetzt hat in die Herrschaft seines lieben Sohnes" (Kol. 1,13). Der Christ hat also durch die ihm persönlich verliehene Gabe des Geistes bereits Anteil an der durch den Tod und die Auferstehung Christi begonnenen Heilsvollendung. Ja, Paulus kann sagen, daß Gott die berufenen und gerechtfertigten Christen schon verherrlicht hat (Rom.8,30); vgl. 2.Kor.4,17: die gegenwärtige Bedrängnis „bewirkt uns im wachsenden Übermaß eine ewige Fülle [wörtlich: Gewicht] von Herrlichkeit". Dementsprechend beschreibt Paulus die gegenwärtige Wirklichkeit des Christseins als ein „Umgestaltetwerden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie [es] vom Herrn des Geistes [ausgeht]" (2.Kor. 3,18, s.o.S. 198f.). Paulus ist also überzeugt, daß der Christ, trotz aller irdischen Bedrängnis („Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht...", 2.Kor.4,16a), schon in seinem gegenwärtigen Leben im vergehenden bösen

Die Endvollendung

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Äon durch den göttlichen Geist und die Teilhabe am Leibe Christi konkret am kommenden Endheil Anteil erhalten hat und immer von neuem erhält: „unser innerer Mensch wird Tag für Tag erneuert" (2.Kor. 4,16b; vgl. Rom. 12,2). Paulus kann darum gar nicht daran zweifeln, „daß weder Tod noch Leben . . . uns trennen kann von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserm Herrn" (Rom.8,38f.). Auch der Tod vor der Parusie kann den Christen darum nicht aus der Zugehörigkeit zum auferstandenen Herrn herausreißen. Dem entspricht nun, daß Paulus in Phil. 1,23 damit rechnet, daß er durch den Tod hindurch zum „Sein mit Christus" kommen wird. Diese Gewißheit ist zweifellos nur die selbstverständliche Folge der Uberzeugung, daß die Christen, deren „Leben mit Christus in Gott verborgen ist" (Kol.3,3), nichts, auch nicht der Tod, von Christus trennen kann, weil sie durch Gott „berufen wurden zur Teilhabe an seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn" (l.Kor. 1,9). Nicht das ist darum an Phil. 1,23 auffallend, daß Paulus erwartet, durch den Tod unmittelbar „mit Christus" zu sein; auffällig ist nur, daß Paulus diesen Tod herbeiwünscht, was er offensichtlich in 2.Kor.5 trotz der gleichen Heilsgewißheit nicht tut. Dieser Wunsch des Paulus im Philipperbrief erklärt sich nun aber nicht aus einer Wandlung der Heilserwartung des Paulus, da ja der Philipperbrief, wie wir sahen (s.O.S.212), an der Erwartung des baldigen Kommens des Herrn in Herrlichkeit und an der Hoffnung auf die zukünftige Auferweckung oder Verwandlung der Christen bei diesem Kommen eindeutig festhält (wir wissen überdies ja gar nicht sicher, ob der Philipperbrief vor oder nach dem 2. Korintherbrief geschrieben ist). Der Wunsch des Paulus, „zu scheiden und mit Christus zu sein" (Phil. 1,23), erklärt sich vielmehr sehr wahrscheinlich aus der besonderen Situation, in der sich Paulus zur Zeit der Abfassung des Philipperbriefes befand: der gefangene Paulus weiß nicht, ob der bevorstehende Prozeß mit Leben oder Tod enden wird (1,20), und ist darum unsicher, ob er das Sterben wünschen soll, das ihn zu Christus bringt, oder das Weiterleben, das ihm den Dienst für die Gemeinde ermöglicht (1,22f.), und dieser zweite Wunsch gewinnt dann die Oberhand (1,25 f.; 2,23). An der Heilshoffnung des Paulus hat sich also in diesem Brief nichts geändert, wohl aber rechnet Paulus im Philipperbrief, ähnlich wie im 2. Korintherbrief und stärker als in den früheren Briefen, auch mit der Möglichkeit, daß er selber die Erscheinung des Christus nicht mehr im irdischen Leibe erleben werde, sowenig er an dem baldigen Kommen des Herrn irgendwie zweifelt. Man hat, wie wir sahen, oftmals die Vermutung geäußert, daß die besonders schwere Lebensgefahr, auf die Paulus in 2.Kor. 1,8 f. anspielt, daran schuld sei, daß Paulus jetzt (im 2. Korinther- und Philipperbrief) diese Möglichkeit des Sterbens vor der Parusie ernster ins Auge faßt. Das ist möglich, aber keineswegs sicher, und wichtiger als diese biographische Vermutung ist die Feststellung, daß Paulus im Zusammenhang dieser für ihn dringlicher gewordenen Möglichkeit des Sterbens vor der Parusie der Gewißheit Ausdruck gibt, die ihn offensichtlich von jeher beherrscht hat, daß auch ein solcher Tod den Christen nur zu Christus bringen kann. D. h. es tritt im Philipper-

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brief (wie in etwas anderer Weise im 2. Korintherbrief) eine Seite der Heilserwartung des Paulus stärker in den Vordergrund, und es zeigt sich damit, daß Paulus die beiden Erwartungen miteinander verbindet, daß der Tod den Christen zu Christus bringt, auch wenn das noch ein „Nacktsein" bedeuten sollte, und daß dann bei der Erscheinung des Christus in Herrlichkeit die Auferweckung oder Verwandlung der Christen stattfinden wird, die das endgültige Heil des „immer mit dem Herrn Seins" vor aller Welt sichtbar macht. Dieses Nebeneinander der Hoffnung auf das „Sein mit Christus" nach dem Tode und auf das endgültige Heil bei der Erscheinung des Christus in Herrlichkeit, das Paulus offensichtlich nicht als Problem empfindet, erklärt sich historisch sehr wahrscheinlich aus Vorstellungen des palästinischen Judentums, die Paulus gekannt und übernommen hat: auch dort wird die Vorstellung von den Wohnungen der Gerechten im Himmel und der Vergeltung nach dem Tode mit der Erwartung der Auferstehung und des künftigen Gerichts verbunden (ein ähnliches Nebeneinander findet sich auch im Lukasevangelium, vgl. 16,22ff.; 23,43 neben 11,31 f.; 20,35). Wichtiger aber als diese historische Frage ist die Beobachtung, daß Paulus weder an der Beschreibung des Seins nach dem Tode oder der Auferstehung irgendein Interesse zeigt noch sich um den Ausgleich zwischen den beiden Formen der Heilserwartung irgendwie bemüht; offensichtlich ist Paulus einzig daran interessiert, daß der Christ immer in der Gemeinschaft mit seinem himmlischen Herrn bleibt, daß aber ebenso „als letzter Feind der Tod vernichtet wird" (l.Kor. 15,26) und „wir mit ihm [d.h. Christus] leben werden aus der Kraft Gottes euch gegenüber" (2.Kor. 13,4). Weil somit für Paulus allein wesentlich ist, daß wir, „wenn wir leben und wenn wir sterben, dem Herrn gehören" (Rom. 14,8), kann er die ihm geläufigen, für uns aber nicht ohne weiteres ausgleichbaren Enderwartungen nebeneinander beibehalten und aus der Todeserwartung ebenso wie aus der Endheilshoffnung dieselbe Folgerung ziehen: „Darum lassen wir es uns auch eifrig angelegen sein, ob wir zu Hause oder in der Fremde sind [d.h. ob wir im irdischen Leibe leben oder gestorben sind], ihm wohlgefällig zu sein" (2.Kor.5,9). 6.5.3 Heil für die gesamte

Menschheit?

Damit drängt sich aber die zweite oben (s.S.211) genannte Frage auf: Hat Paulus die Teilhabe an der Heilsvollendung nur den Christen verheißen, oder hat er nicht auch das Heil für die gesamte Menschheit verkündigt? Wir sahen, daß Paulus von Gottes Plan gesprochen hat (s.O.S.207f.), die in Christus Berufenen zur endgültigen Rettung zu führen, während von Gottes Plan mit den Menschen nicht die Rede ist, die nicht berufen wurden oder den Ruf nicht angenommen haben. Hat Paulus nun aber nicht einerseits ganz allgemein von Menschen geredet, die „verloren gehen" (l.Kor. 1,18; 15,18; 2.Kor.2,15; 4,3; 2.Thess.2,10; Phil. 1,28), und vom göttlichen Zorn am Gerichtstag gegen diejenigen, die der Ungerechtigkeit gehorchen (Rom.

Die Endvollendung

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2,8; vgl. 2,5; l.Thess. 1,10), andererseits vom Erbarmen Gottes über alle Menschen gesprochen: „Wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden" (1.Kor. 15,22); „Verstockung ist Israel teilweise widerfahren, bis die Vollzahl der Heiden eingeht, und so wird ganz Israel gerettet werden" (Rom. 11,25f.); „Gott hat alle unter dem Ungehorsam zusammengeschlossen, um sich aller zu erbarmen" (Rom. 11,32)? Die erste Hälfte dieser Frage ist eindeutig zu beantworten: Paulus rechnet in der Tat damit, daß es Menschen gibt, die von Gott verworfen werden und verlorengehen, und er warnt auch die Christen davor, Gottes Zorn und Verurteilung ja nicht gering zu achten (Rom.2,5; 11,22). Daß Gott aber diese Menschen zur Verwerfung bestimmt habe, hat Paulus so wenig gesagt, wie er sich über das Schicksal der Verworfenen irgendwo näher geäußert hat. Allein das ist ihm wesentlich, daß Gott diejenigen verwerfen wird, die sein Angebot der Rettung in Jesus Christus ausschlagen oder nicht ernstnehmen. Die zweite Hälfte der genannten Frage ist dagegen sehr schwer zu beantworten und darum seit jeher umstritten. Zwar kann man mit großer Zuversicht sagen, daß Paulus in l.Kor. 15,22 nicht sagen will, daß „in Christus" alle Menschen auferstehen sollen, daß er in diesem Vers vielmehr in der Tat nur die Auferstehung der Christen im Auge hat (vgl. den Kommentar z.St.). Dagegen besagen Rom. 11,25 f.32 dem Wortlaut nach zweifellos, daß Gott letzten Endes doch alle Menschen, Juden wie Heiden, in sein rettendes Erbarmen einbeziehen werde. So hat man denn auch immer wieder aus diesen Texten erschlossen, Paulus habe die Lehre von der „Wiederbringung aller Menschen" vertreten. Beachtet man aber den Gesamtzusammenhang der Kapitel 9 - 1 1 des Römerbriefs, zu dem diese Verse gehören, so wird man schwerlich leugnen können, daß Paulus Gottes Erbarmen über ausnahmslos alle Menschen kaum gemeint haben könnte, ohne sich mit Rom. 9,32; 11,22 in Widerspruch zu setzen. Erst recht gilt das, wenn man die eben genannten Texte des Paulus mit ins Auge faßt, die vom Verlorengehen und vom göttlichen Zorn reden. Man wird darum nicht sagen dürfen, daß Paulus in Rom. 11,25 f.32 gelehrt habe, Gott werde sich schließlich doch ausnahmslos aller Menschen erbarmen. Freilich fügt Paulus in Rom. 11,33 das Lob der unerkennbaren Wege des Gottes an, dessen Sinn niemand erkannt hat, und so wird man auch nicht behaupten können, Paulus habe eine solche Hoffnung auf Gottes allumfassende Gnade zu hegen nicht wagen dürfen. Diese exegetische Unsicherheit zeigt nur: wollten wir uns durch exegetische Beobachtung oder auch durch Folgerungen aus exegetischer Beobachtung eine Einsicht in Gottes letzte Pläne zu verschaffen versuchen, so würden wir zweifellos die Grenzen dessen überschreiten, was uns Menschen zu erkennen möglich ist und auch was Paulus uns zu erkennen lehren wollte. Nicht umsonst schließt er die Kapitel 9 - 1 1 des Römerbriefs, gegen deren Ende die eben erörterten Verse 11,25 f.32 stehen, mit dem Ausruf: „Denn aus ihm [d. h. Gott] und durch ihn und auf ihn hin [ist]

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alles; ihm [sei] die Ehre in die Ewigkeiten! Amen" (Rom. 11,36). Mit diesem anbetenden Lob und nicht mit einer rational einsichtigen Antwort endet die Heilsverkündigung des Paulus.

7. Paulus und Jesus Zu Beginn unseres Jahrhunderts hat die Frage „Jesus und Paulus" die theologische Diskussion aufs stärkste beschäftigt, und W.Wredes These von Paulus als dem „zweiten Stifter des Christentums", der erst „das Christentum zur Erlösungsreligion gemacht hat" (1904), drückt nur in scharf zugespitzter Form die Grundanschauung aus, die damals vor allem die liberalen Theologen beherrschte, daß nämlich der Theologe Paulus das schlichte Evangelium Jesu verdorben habe. Der Widerspruch gegen diese historische Uberbewertung und theologische Abwertung des Paulus, der sich damals sofort erhob, konnte leicht nachweisen, daß bei dieser Beurteilung des Paulus die entscheidende Rolle der Urgemeinde bei der Entstehung des Christusglaubens unterschätzt worden sei, vor allem aber konnte man darauf hinweisen, worauf besonders A. Schweitzer den Finger legte, daß Jesus und Paulus durch das gemeinsame Beherrschtsein von der Erwartung des nahen Endheils wesentlich enger zusammengehören, als die liberalen Theologen gesehen hatten. Freilich blieb dabei unerklärt, warum trotz dieser Gemeinsamkeit die Paulusbriefe auf den Bibelleser einen so ganz anderen Eindruck machen und wesentlich fremdartiger wirken als die Verkündigung Jesu in den drei ersten Evangelien. Diese Frage, die damals offen blieb, hat seit dem Ersten Weltkrieg durch das Aufkommen der formgeschichtlichen Evangelienforschung und durch die höhere Einschätzung der paulinischen Theologie in der neu belebten Bibelforschung neue Aufmerksamkeit gefunden, doch ist ihr erst seit dem Zweiten Weltkrieg wieder die Beachtung widerfahren, die sie zweifellos verdient. Dazu trug einmal bei, daß jüdische Forscher, wie M. Buber, sich jetzt mittels der historisch-kritischen Methode nicht nur Jesus, sondern auch Paulus zuwandten und dabei durchweg Jesus im Rahmen des Judentums mit deutlicher Sympathie darstellten, Paulus aber als einen aus dem Judentum Herausgetretenen von Jesus abrückten und mehr oder weniger eindeutig ablehnten. Zu diesem Ernstnehmen des Problems trug auf der anderen Seite bei, daß Paulus erneut vorgeworfen wurde, erst er habe aus der im Judentum verbleibenden Botschaft Jesu das unjüdische „Christentum" gemacht, vor allem aber, daß die lebhafte Diskussion über das Recht und die Möglichkeit der Frage nach dem historischen Jesus in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten (s.o. S.20ff.) die Fragen unausweichlich machte, in welchem geschichtlichen und sachlichen Verhältnis die Theologie des Paulus zur Person und Verkündigung des irdischen Jesus steht. In der Tat ist eine klare Antwort auf diese Fragen grundlegend wichtig, weil die Bedeutung der Theologie des Paulus

Paulus und Jesus

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ja darin liegt, daß Paulus der erste christliche Theologe war, aus dessen Aussagen uns die theologisch reflektierte Botschaft der ältesten Christenheit Glauben fordernd anredet. Der Christ, der diesem Zeugnis Glauben schenkt oder seinen Glauben durch das Hören auf die theologische Reflexion des Paulus klären möchte, ist lebhaft daran interessiert, ob zwischen dieser paulinischen Botschaft von Jesus Christus und dem geschichtlichen Jesus, auf den sich diese Botschaft zurückbezieht, eine Übereinstimmung besteht oder nicht (s.o. S.22f.). 7.1 Der geschichtliche Zusammenhang Geht man bei der Beantwortung dieser Frage, wie es sachgemäß ist, von dem Problem des geschichtlichen Zusammenhangs zwischen der Theologie des Paulus und der Überlieferung von der Wirksamkeit und der Verkündigung Jesu aus, so dürfen wir uns der schon besprochenen Tatsache erinnern, daß Paulus aus dem Leben Jesu kaum etwas erwähnt und nur, vereinzelt Worte des „Herrn" anführt (s.o.S. 147f.). Trotzdem ließ sich erkennen, daß der Mensch Jesus für die Heilsverkündigung des Paulus entscheidend wichtig ist und daß die Worte Jesu, wo sie angeführt werden können, die letzte Autorität für Paulus bilden. Immerhin bleibt es auffällig, daß der Verweis auf das Handeln und die Verkündigung Jesu in den Paulusbriefen eine so geringe Rolle spielt, man kann aber diesen Sachverhalt weder damit erklären, daß die Evangelientradition zur Zeit des Paulus noch kaum irgendwo in der Christenheit bekannt gewesen sei, noch damit, daß Paulus aus Interesselosigkeit gegenüber der Jesusüberlieferung oder auch aus Scheu vor deren Profanierung sich so selten auf diese Überlieferung bezogen habe. Alle solche Versuche einer Erklärung des auffälligen Sachverhalts übersehen, daß die Paulusbriefe uns kein vollständiges Bild seiner Missionspredigt bieten, weil sie sich ausschließlich an Christen wenden und nur auf die Fragen eingehen, die umstritten waren oder nach der Meinung des Paulus besonderer Betonung bedurften. Überdies ändert die für uns auffällige Zurückhaltung des Paulus in der Bezugnahme auf Ereignisse des Lebens und auf Worte Jesu nichts daran, daß Paulus den Namen des Menschen Jesus in genau derselben Weise für den irdischen Jesus wie für den Auferstandenen gebraucht: Gott ist der, „der den Jesus von den Toten auferweckt hat" (Rom. 8,11), und „Christus ist auferweckt von den Toten" (Rom. 6,9); Paulus hat keinen „anderen Jesus verkündigt" (2.Kor. 11,4), und „wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten" (l.Kor. 1,23). Wenn daher Paulus von „Gottes Sohn Christus Jesus, der unter euch von uns verkündigt wurde", spricht (2.Kor. 1,19), so meint er damit den Menschen Jesus, der für ihn identisch ist mit dem auferstandenen Herrn, und es kann somit kein Zweifel sein, daß Paulus davon überzeugt war, daß seine Botschaft auf den geschichtlichen Jesus zurückweise und dessen Werk und Botschaft aufnehme. Aber hatte Paulus mit dieser Überzeugung recht? In welchem sachlichen Verhältnis steht die Botschaft des Paulus zu Werk und Botschaft Jesu?

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7.2 Das sachliche Verhältnis 7.2.1 Die verschiedene geschichtliche und heilsgeschichtliche

Situation

Daß formal die Verkündigung Jesu und die Theologie des Paulus sich wesentlich unterscheiden, ist offensichtlich und erklärt sich leicht aus einem doppelten geschichtlichen Sachverhalt. Paulus ist ein rabbinisch geschulter Theologe gewesen, Jesus hat trotz seiner Kenntnis rabbinischer Argumentation keine rabbinische Schulung durchgemacht, wie die Evangelien genau wissen (Mk.6,2; Joh.7,15). Paulus kennt sowohl das palästinische wie das hellenistische Judentum und in beschränktem Maße auch das hellenistische Heidentum (s.o.S. 124) und entnimmt seine Sprache und seine Argumentation allen diesen Bereichen, während Jesus nur das Judentum Palästinas und dessen Sprache und Gedankenwelt kennt. Doch sind diese formalen Unterschiede, so sehr sie ins Auge fallen, nicht so tiefgreifend, daß sie die wesentliche Ursache für die sachlichen Verschiedenheiten zwischen Paulus und Jesus gewesen sein können. In einer sehr wesentlichen Hinsicht unterscheidet sich aber die Verkündigung des Paulus notwendigerweise von der Predigt Jesu, weil sich nämlich Jesus und Paulus nach ihrem Grundverständnis in einer verschiedenen heilsgeschichtlichen Situation befinden. Wir haben gesehen, daß Jesus und Paulus in gleicher Weise die Heilsvollendung in zeitlicher Nähe erwarteten und daß beide davon überzeugt waren, daß das erhoffte Endheil in ihrer Gegenwart schon angebrochen sei. Bedeutet dies gegenüber der jüdischen Erwartung völlig neue Miteinander von wirklicher Gegenwart des Endheils und sicherer Hoffnung auf das baldige Hervortreten der Heilsvollendung eine sehr wesentliche Gemeinsamkeit zwischen Jesus und Paulus, so zeigt sich beim näheren Verständnis dieser Gegenwart ein ebenso wesentlicher Unterschied zwischen beiden. Jesus hatte die Gottesherrschaft ausschließlich in seinen Worten und Taten, in seiner Person und ihrer Wirkung auf die Menschen angebrochen gesehen. Die erste christliche Gemeinde aber hatte erfahren, daß durch die Auferweckung Jesu von den Toten und seine Erhöhung zu Gott der erwartete Heilbringer, der als Mensch auf Erden gewirkt hatte und den Tod eines Verbrechers gestorben war, schon in seine himmlische Herrschaft eingesetzt worden war, und sie glaubte daher, daß das Endheil in der Herrschaft des Christus vom Himmel her schon angebrochen sei. Die christliche Gemeinde hatte ebenso erfahren, daß der auferweckte und erhöhte Herr durch die Sendung des endzeitlichen Gottesgeistes sich bereits das Gottesvolk der Endzeit geschaffen hatte, dessen äußere Kennzeichen Taufe und Herrenmahl waren. Als nun Paulus durch die Schau des auferstandenen Christus Christ wurde und sich der christlichen Gemeinde anschloß, fand er diesen fortgebildeten Glauben vor, und er konnte darum gar nicht anders, als in der Auferweckung Jesu und der Gründung der christlichen Gemeinde ebenso die Gegenwart der Endzeit zu erkennen wie im Leben des irdischen Jesus und die Taufe und das Herrenmahl als die entscheidenden Ausdrucksformen dieses urkirchlichen Selbstverständnisses zu

Paulus und Jesus

221

übernehmen. Auch wenn Jesus, was sich nur wahrscheinlich machen ließ (s.O.S.76ff.), seinen bevorstehenden Tod als Durchgang zu Gott bejaht hat, lagen Tod und Auferweckung für ihn in der Zukunft, und von der Gründung der Kirche durch die Auferweckung Jesu und die Gabe des endzeitlichen Geistes hat Jesus überhaupt nicht gesprochen. All dies aber war für Paulus Wirklichkeit, und weil Paulus so in einer neuen "Wirklichkeit der Heilsgeschichte Gottes stand, mußte er von dieser heilsgeschichtlichen Situation aus denken. Und wenn man nicht dem Glauben der Urgemeinde und des Paulus an Gottes neue Heilstaten im Kreuz, in der Auferstehung Jesu und in der Gründung der Kirche sein Recht bestreiten will, muß man zugestehen, daß Paulus von dieser Jesus gegenüber veränderten heilsgeschichtlichen Situation aus die Gegenwart seines Christseins interpretieren mußte. Im grundlegenden Verständnis des endzeitlichen Heilshandelns Gottes stimmen darum Jesus und Paulus überein, wenn man die veränderte heilsgeschichtliche Situation des Paulus gebührend in Betracht zieht. 7.2.2 Das Heilsverständnis

im einzelnen

Auf diesem Hintergrund erhebt sich aber nun die entscheidende Frage, ob Paulus in der näheren Ausführung dieses Heilsverständnisses nicht Wege geht, die ihn in einen echten sachlichen Gegensatz zu Jesus bringen. 7.2.3 D e r

Gottesgedanke

Das gilt nicht für den Gottesgedanken. Jesus und Paulus haben Gottes gnädige, bedingungslose Vergebung dem Sünder gegenüber verkündigt und die Rettung vor der göttlichen Verurteilung nicht von menschlicher Leistung abhängig gedacht. Aber Jesus und Paulus haben daneben von Gottes Gericht, von Lohn und Zorn Gottes gesprochen und damit gerechnet, daß der Mensch von Gott nach seinem Tun beurteilt wird. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich in beiden Fällen daraus, daß vom Handeln des Menschen die Rede ist, dem Gottes Vergebung widerfahren ist und der aus der Kraft der erfahrenen Liebe Gottes heraus handelt, der darum nicht für seine eigene Leistung, sondern für das Wirken Gottes an ihm verantwortlich ist. 7.2.4 D a s

Gesetz

Ähnliches ist vom göttlichen Gesetz zu sagen. Jesus hat das jüdische Gesetz in seiner traditionellen Auslegung als Ausdruck des Willens Gottes anerkannt, zugleich aber die Periode des Gesetzes als beendet erklärt und den Anspruch erhoben, daß er die Gottes Willen im Gesetz wirklich entsprechende Auslegung des Gesetzes verkünde. Ebenso hat Paulus das Gesetz als Forderung Gottes auch für den Christen bejaht, aber die Zeit des Gesetzes als Heilsweg als beendet erklärt und festgestellt, daß nur die Christen, die den Geist besitzen, das Gesetz in seinem göttlichen Sinn wirklich verstehen können. In einer Hinsicht aber geht Paulus über Jesus hinaus, wenn er es als Aufgabe des Gesetzes beschreibt, den Menschen tiefer in die Sünde

222

Die Theologie des Paulus

hinein zu führen, und in dieser Funktion des Gesetzes Gottes Willen sich auswirken sieht (s.o.S. 163f.). Dieser von Paulus behauptete Zusammenhang zwischen Gesetz und Sünde ist gewiß Jesus in dieser Ausdrücklichkeit fremd; aber die Kritik Jesu an der Ubereinstimmung bestimmter Gesetzesgebote mit Gottes Willen (Mk. 10,5 f. p.; 7,10 ff. p.; Mt. 5,33 ff.) führt doch auch zu der Konsequenz, daß die strenge Erfüllung solcher Gebote zu einer Übertretung des wirklichen Gotteswillens wird. Daß das Pochen auf die korrekte Gesetzeserfüllung den Menschen taub macht für das wirkliche Hören des Gottesgebotes, hat Jesus auch erklärt (Mk. 10,17ff.p.). Paulus hat also nur Konsequenzen aus dem mit Jesus gemeinsamen Verständnis der Bedeutung des Gesetzes für die Beziehung des Menschen zu Gott gezogen, ohne daß dabei ein grundlegender Unterschied zutage träte. 7.2.5 Die

Heilsverkündigung

Komplizierter ist der Sachverhalt bei der Heilsverkündigung. Jesus hat dem umkehrenden Sünder Gottes Vergebung zugesagt und gebracht und darin die Verwirklichung der endzeitlichen Heilsverheißung Gottes schon in der Gegenwart gesehen. Er hat also keineswegs einfach die alttestamentlich-jüdische Gewißheit erneuert, daß Gott dem Sünder zu vergeben bereit ist, wenn er umkehrt, sondern seine Vergebungsbotschaft war eine konkrete Zusage in Wort und Tat, die nur für den Menschen Wirklichkeit wurde, der die Vollmacht und das göttliche Recht dieses Predigers anerkannte und sich seinem Anspruch öffnete. Paulus hat Gottes Vergebung freilich nicht in Jesu Ruf zur Umkehr und nicht in Jesu Gemeinschaft mit den Zöllnern und Sündern begründet gesehen, sondern in Tod und Auferstehung Jesu: Gottes Gerechtigkeit soll denen zugerechnet werden, „die glauben an den [Gott], der Jesus unsern Herrn von den Toten erweckt hat, der wegen unserer Übertretungen hingegeben und wegen unserer Gerechtsprechung auferweckt wurde" (Rom.4,24f.). Diese Bindung der Vergebung Gottes an das Geschehen von Tod und Auferstehung Jesu ist Jesus unbekannt. Aber dazu ist zu beachten, daß Paulus darin der Urgemeinde folgt - auch in Rom. 4,24 f. ist vermutlich eine Uberlieferung der Urkirche aufgenommen - , und daran läßt sich erkennen, daß sich auch hier die veränderte heilsgeschichtliche Situation auswirkt: Gottes endzeitlicher Heilswille ist für die Urkirche am deutlichsten im Geschehen von Kreuz und Auferstehung Christi zu erkennen; da aber für Paulus der gekreuzigte und auferstandene Jesus identisch ist mit dem Menschen Jesus, der „sich nicht selbst gefiel, sondern, wie geschrieben steht: ,Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen'" (Rom. 15,3), so sagt Paulus in der veränderten Situation der Urkirche dasselbe wie Jesus, daß nämlich „Gott, als die Vollzahl der Zeit gekommen war, seinen Sohn sandte, von einer Frau geboren, unter das Gesetz gestellt, damit er die [Menschen] unter dem Gesetz loskaufe, damit wir die Einsetzung als Gottessöhne erhielten" (Gal. 4,4). Aber nun hat Paulus ja nicht nur das endzeitliche Heilshandeln Gottes in Jesus vor allem als im Kreuz und in der Auferstehung Jesu sichtbar er-

Paulus und Jesus

223

kannt, sondern er spricht von dem Tod Jesu als Sühnemittel zur Vergebung der Sünden und von Christus als dem geopferten Passalamm (Rom. 3,25; 5,8f.; 1.Kor.5,7). Jesus hat aber nach allem, was wir sehen können (s.o. S.79f.), zwar seinen Tod als Vollendung seiner Sendung als der himmlische „Mensch" auf sich genommen und vielleicht sogar erwartet, daß sein Tod den endzeitlichen Bund Gottes in die Wege leiten werde; daß sein Tod eine besondere Beziehung zur Sündenvergebung Gottes haben solle, läßt sich aber aus der ältesten Jesusüberlieferung nicht als Meinung Jesu entnehmen. Das ist dagegen zweifellos die Meinung des Paulus: Gott hat durch den Tod Jesu die Menschheit von der Sündenschuld gereinigt und gerade darin seine liebende Gerechtigkeit Wirklichkeit werden lassen. Gott hat also nach dem Verständnis des Paulus seine Vergebung dadurch bewirkt, daß „Christus für uns starb" (Rom. 5,8), und es ist auch nicht zu bezweifeln, daß Paulus dabei unter Verwendung einer urkirchlichen Formel die antike Vorstellung aufnimmt, daß geopfertes Blut von Sündenschuld reinigt (Rom. 3,25; vgl. Hebr. 9,22!). Aber Paulus sagt nicht, daß Gott die Sündenschuld der Menschheit nur durch dieses Blutvergießen beseitigen konnte, er gibt auch keine Erklärung dafür, auf welche Weise der Tod Jesu diesen Vergebungswillen Gottes Wirklichkeit werden lassen konnte. Paulus verkündet nur, daß Gott diesen Weg gewählt hat und daß „Christus uns [durch seinen Kreuzestod] losgekauft hat aus dem Fluch des Gesetzes, indem er für uns zum Fluch wurde" (Gal.3,13). Dazu ist aber nun noch ein Doppeltes zu bemerken. Dieses Geschehen des Sterbens Christi für uns zur Sühnung und Vergebung der Sünden der Menschheit ist nur für den Glaubenden Wirklichkeit (Rom. 3,25a; 2.Kor. 5,19f.); daß „Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift", muß man geglaubt und festgehalten haben, wenn man dadurch gerettet werden soll (l.Kor. 15,2f.). Paulus verkündet also nicht eine allgemein einsichtige Wahrheit, sondern bezeugt seinen Glauben, daß „Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat", d.h. diese Deutung des Todes Jesu drückt für den Glaubenden und nur für ihn mit überkommenen Begriffen der jüdischen Religion die Uberzeugung aus, daß in Jesus Christus, der am Kreuz starb und auferweckt wurde, Gott sein endzeitliches Heil gewirkt hat. Diese Deutung des Todes Jesu nimmt die antike Vorstellung auf, daß stellvertretend vergossenes Blut Schuld abwaschen kann, eine Vorstellung, die uns fremdartig anmutet und die wir nur schwer nachvollziehen können. Es ist aber leicht zu sehen, daß diese Vorstellung dem Paulus keineswegs unentbehrlich war; sie begegnet bei ihm nur vereinzelt, und Paulus kann denselben Gedanken auch aussprechen, ohne sich dieser Vorstellung zu bedienen: Gott „schonte seinen eigenen Sohn nicht, sondern hat ihn für uns alle hingegeben" (Rom. 8,32); „Insoweit ich jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat" (Gal.2,20). D.h. der Gedanke des Sühnetodes Christi, der zweifellos bei Paulus begegnet, ist eine Ausdrucksform seines Glaubens, daß Gott das

224

Die Theologie des Paulus

Äußerste getan hat, um die Menschen vor dem Verderben zu retten. Darum ist der Glaube an Gottes rettende Tat im Tode Christi durchaus nicht darauf angewiesen, sich dieser Ausdrucksform anzuschließen, ohne darum aufzuhören, wirklicher Glaube an diese rettende Tat Gottes im Tode Jesu zu sein. Auf alle Fälle besteht aber auch an diesem Punkte keine grundlegende Differenz im Verständnis des göttlichen Heilshandelns zwischen Jesus und Paulus, wenn man die veränderte Situation des Paulus angemessen in Rechnung stellt. 7.2.6 D i e

Christologie

Ein gewisser Unterschied zwischen Jesus und Paulus besteht aber in der Christologie. Zwar können wir uns über den persönlichen Anspruch Jesu nur ein sehr unsicheres Urteil bilden, aber eine vorsichtige Prüfung der Uberlieferung ergab die große Wahrscheinlichkeit, daß Jesus sich als zum himmlischen Menschensohn bestimmt angesehen hat und überzeugt war, daß diese zukünftige Würde sich schon in seiner irdischen Gegenwart in verborgener Weise zeige, so daß man sie erkennen kann, wenn man Augen zu sehen hat und über Jesus nicht zu Fall kommt. Andere Würdebezeichnungen ließen sich im Munde Jesu nicht sichern, dagegen war deutlich zu erkennen, daß Jesus in göttlicher Vollmacht zu handeln und zu entscheiden beanspruchte. Paulus aber hat in Jesus Christus den Gottessohn gesehen, durch den alles geschaffen ist und der in Gottes Gestalt war, als er sich zur Menschwerdung erniedrigte; den von Gott aus dem Kreuzestode Auferweckten hat Paulus als den erhöhten „Herrn" angerufen, hat ihn „Bild Gottes" genannt und darauf gewartet, daß er als der „letzte Mensch" vom Himmel erscheinen werde, um unseren niedrigen Leib seinem herrlichen Leib gleichförmig zu machen. Wir sahen, daß Paulus in diesem Zusammenhang verschiedene jüdische und heidnische mythische Vorstellungsformen aufgenommen hat, um mit ihrer Hilfe der Überzeugung Ausdruck zu geben, daß Gott selbst in Jesus Christus sein endzeitliches Heil bewirkt. D.h. diese von Paulus aufgenommenen mythischen Vorstellungsformen geben in ihrer letzten Intention demselben Glauben Ausdruck, daß Gott in Jesus endzeitliches Heil bewirkt hat, wie es Jesu Anspruch tat, daß Gottes endzeitliche Herrschaft in Jesu Lehren und Handeln Wirklichkeit werde. Vor allem aber ist hier zu bedenken, daß Paulus ja die Person Jesu in Ubereinstimmung mit der christlichen Gemeinde vom Glauben an die Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten durch Gott her sieht, und darum mußten seine christologischen Begriffe und Anschauungen andere sein als die Jesu, selbst wenn nicht hinzukäme, daß Paulus die Botschaft von Gottes endzeitlichem Heilshandeln in Jesus Christus heidnischen und nicht palästinisch-jüdischen Hörern in deren Vorstellungsformen zu verkündigen hatte. Darum besteht trotz der großen formalen Unterschiede keine wesentliche sachliche Differenz zwischen dem persönlichen Anspruch Jesu und der Christusverkündigung des Paulus.

Paulus und Jesus

225

7.2.7 T a u f e u n d H e r r e n m a h l

Steht die paulinische Christologie trotz aller Unterschiede in einem klaren sachlichen Zusammenhang mit dem persönlichen Anspruch Jesu, so hat die paulinische Lehre von Taufe und Herrenmahl keine direkte Anknüpfung in der Wirksamkeit Jesu. Denn Jesus hat überhaupt nicht getauft und auch keine Anweisung für eine Taufe gegeben; und Jesu Aufforderung an die Jünger, das gemeinsame Mahl weiter zu halten bis zum Anbruch der Gottesherrschaft und dadurch die Gemeinschaft mit ihm und dem neuen Bund durch sein Blut zu bewahren, hat kaum eine Beziehung zu dem Herrenmahl, wie es Paulus versteht. Natürlich hat Paulus diese beiden Gemeindebräuche aus der hellenistischen Christengemeinde übernommen, und die Vorstellungen von der Taufe als Sterben mit Christus und vom Herrenmahl als Teilhabe am Leib Christi sind vermutlich auch schon hellenistisch-christlich gewesen. Diese Deutungen der Taufe und des Herrenmahls aber haben keinen direkten Zusammenhang mit Jesus. Aber was ist im Sinne des Paulus die eigentliche Bedeutung der beiden Gemeindebräuche? Wir sahen, daß Paulus Taufe und Herrenmahl nicht im Sinne naturhaft wirkender Handlungen versteht, nach seiner Meinung vollzieht sich vielmehr in diesen Bräuchen die Eingliederung und die erneute Teilhabe des Christen in bezug auf das durch Jesu Leben, Sterben und Auferstehen bewirkte göttliche Heil. Taufe und Herrenmahl bringen also den Glaubenden persönlich und konkret mit dem durch Jesus begonnenen Heilsgeschehen in Beziehung. Paulus drückt dieses Verständnis der beiden Gemeindebräuche gewiß mißverständlich aus und ist darum schon früh mißverstanden worden; doch zeigt eine genaue Interpretation im Zusammenhang der gesamten paulinischen Theologie deutlich, daß für Paulus Taufe und Herrenmahl ebenso am geschichtlichen Heilshandeln Gottes Anteil gewinnen lassen wie Glaube und Rechtfertigung, und darum steht die paulinische Deutung dieser Gemeindebräuche nicht im Gegensatz zur Heilsverkündigung Jesu. 7.2.8 D i e K i r c h e

Auch bei der paulinischen Lehre von der Kirche besteht kein direkter Zusammenhang mit Jesus. Das gilt nicht nur in dem schon erwähnten Sinn, daß Jesus nicht von einer Kirche gesprochen hat, Paulus aber die Kirche vorfand (s.O.S.221); es gilt vor allem für das paulinische Verständnis der Kirche als „Leib Christi" und Christi als „Haupt" des Leibes. Hier scheint nicht nur die Personhaftigkeit Christi ersetzt zu sein durch die Vorstellung von dem „Universalmenschen" Christus; hier scheint auch die Zugehörigkeit zum Leib Christi in keiner deutlichen Beziehung zu stehen zu der geschichtlichen Gestalt Jesu und auch nicht zu der erwarteten Heilsvollendung durch die Erscheinung des auferstandenen Christus in Herrlichkeit. Daß die Vorstellung vom Leib Christi zu einer solchen ungeschichtlichen Interpretation Veranlassung bietet, läßt sich nicht bestreiten. Aber wir sahen (s.o. S. 192ff.), daß die Eingliederung in den Leib Christi durch die Taufe nach Paulus die Teilhabe an dem in Christus begonnenen endzeitlichen Heils15

Kümmel. Theologie

226

Die-Theologie des Paulus

handeln Gottes bewirkt; und die Zugehörigkeit zu dem einen Menschen, dem Endmenschen Christus, befähigt die Christen dazu, Erben der Heilsverheißung zu sein (Gal.3,28b.29; l.Kor. 15,48 f.). Auch die Vorstellung von der Zugehörigkeit des Christen zur Kirche als dem Leib Christi beschreibt darum im Sinne des Paulus die Teilhabe an dem durch die Auferstehung Jesu Christi begonnenen und auf die Erscheinung des Christus in Herrlichkeit wartenden Endheil. Darum besteht auch an diesem Punkt kein wirklicher Gegensatz zwischen der Verkündigung Jesu und der Theologie des Paulus. 7.2.9 D i e W e l t u n d d i e M e n s c h e n

Daß Paulus die Welt und die Menschen gottferner sieht als Jesus, ist nicht zu bestreiten. Zwar nimmt auch Jesus an, daß die Menschen Sünder sind und Vergebung nötig haben, und weiß von der Herrschaft der Dämonen und der Gefährdung der Menschen durch sie (Mt. 6,12p.; 12, 43-45 p.). Aber die Rede des Paulus vom Satan als dem „Gott dieses Äons", von der Ausnahmslosigkeit der Sünde in der Menschheit und von der ausweglosen Hilflosigkeit des fleischlichen Menschen (2.Kor.4,4; Rom. 3, 19.23; 7,24) hat bei Jesus keine Parallele. Dieser Unterschied ist nur zum Teil daraus zu erklären, daß Paulus theologisch reflektiert und darum grundsätzlicher formuliert als Jesus. Dieser Unterschied erklärt sich zweifellos vor allem daraus, daß Paulus bei seiner Christwerdung einen Bruch erlebt hat, der ihn seine fromme jüdische Vergangenheit als „Dreck" anzusehen lehrte, und daß Paulus seither die Möglichkeit des Bestehens vor Gott ausschließlich in der Zuwendung zu Gottes Heilshandeln in Christus sieht. Daneben mag man auch daran denken, daß Paulus stärker von dem Menschenbild des apokalyptischen Judentums beeinflußt ist als Jesus, obwohl das bloße Vermutung bleiben muß. Wenn sich an diesem Punkte also ein wesentlicher Unterschied zwischen Paulus und Jesus nicht bestreiten läßt, so betrifft er doch nur die Voraussetzungen der Heilsbotschaft und nicht diese selbst und darum nur die Peripherie und nicht den Kern der Botschaft Jesu und des Paulus. 7.3 Der Herr und der Bote An einem Punkte aber besteht ein eindeutiger Unterschied zwischen Jesus und Paulus, der in die Tiefe geht und keinerlei Ausgleich erlaubt: Jesus ist nicht nur der Prediger, sondern auch der Bringer der Gottesherrschaft, durch den Gott sein endzeitliches Heil sich schon verwirklichen läßt und durch den Gott sein Heil vollenden will. Paulus aber ist nur der Bote und der Sklave dieses seines Herrn, er kündigt das endzeitliche Heil nur an und ist dem verkündigten Herrn gegenüber zum Gehorsam verpflichtet (Gal. 1,1; l.Kor. 1,17; Rom. 1,1; 2.Kor.4,5). Dieser grundlegende Unterschied, zusammen mit der veränderten heilgeschichtlichen Situation des Paulus, bringt es mit sich, daß bei Paulus die Christologie statt der Gottesherrschaft im Mittelpunkt steht und damit zugleich das durch den Herrn in seiner Ge-

Paulus und Jesus

III

meinde gewirkte Heil und die Hoffnung auf die Heilsvollendung bei der Erscheinung des Herrrn in Herrlichkeit. Darin aber erweist sich das in der Verkündigung und dem Wirken Jesu begonnene Endheil Gottes als die Grundlage der paulinischen Theologie, und wie man nicht Jesus gegen Paulus ausspielen kann, weil beide in verschiedener Situation dasselbe Heil Gottes verkündigen, so kann man auch nicht zwischen Jesus und Paulus wählen: „Wem Paulus widerwärtig und unheimlich ist, dem muß Jesus genauso widerwärtig und unheimlich sein" (R.Bultmann). Jesus und Paulus sind Zeugen für dieselbe geschichtliche Wahrheit, aber Paulus weist nur auf das durch Jesus gebrachte und von Jesus erwartete Heil zurück und voraus. Wir werden auf diesen Zusammenhang noch einmal zurückkommen müssen, wenn wir am Ende dieses Bandes nach der Einheit der Botschaft Jesu, des Paulus und des Johannes fragen. Vorher müssen wir uns aber noch der Theologie der Johannesschriften zuwenden.

IV.

KAPITEL

Die Christusbotschaft des vierten Evangeliums und der Johannesbriefe 1. Die geschichtliche Stellung der johanneischen Theologie 1.1 Das literarische Problem Das Neue Testament enthält fünf Schriften, die von der kirchlichen Tradition seit dem Ende des 2. Jahrhunderts als Werke desselben Verfassers, nämlich des Apostels Johannes, des Sohnes des Zebedäus, bezeichnet werden: das vierte Evangelium, drei Briefe und die Offenbarung. Nur die Offenbarung bezeichnet sich als das Werk eines Johannes, des Sklaven Jesu Christi (Offb. 1,1.4), während die vier anderen Schriften keinerlei Angaben über ihren Verfasser machen, die eine eindeutige Identifikation ermöglichen könnte. Nun gehört es aber zu den sichersten Resultaten der neutestamentlichen Wissenschaft, daß die Offenbarung nicht von demselben Verfasser stammen kann wie die vier anderen unter dem Namen des Johannes überlieferten Schriften (vgl. die Einleitung zum Kommentar über die Offenbarung des Johannes, Nr. 3). Muß darum die Offenbarung bei der Betrachtung der johanneischen Theologie völlig außer Betracht bleiben, so ist die Frage, ob das vierte Evangelium und die drei Johannesbriefe von demselben Verfasser stammen, bis heute umstritten geblieben. Die auch von vielen heutigen Forschern vertretene Annahme, daß diese vier Schriften denselben Verfasser haben, beruht nicht einfach auf einem Festhalten an der kirchlichen Tradition, sondern auf der Beobachtung, daß die Sprache und die 15*

228

Die johanneische Christusbotschaft

Gedankenwelt dieser vier Schriften in einem ungewöhnlichen Maße übereinstimmen. Wenn trotzdem zahlreiche andere Forscher der Überzeugung sind, daß der Verfasser des 1. Johannesbriefes - und dann auch der beiden kleinen Briefe - nicht derselbe sein könne wie der des vierten Evangeliums, so werden dafür außer gewissen sprachlichen Differenzen vor allem die beiden Tatsachen angeführt, daß der 1. Johannesbrief in einer Anzahl theologischer Vorstellungen von dem vierten Evangelium abweiche und daß die Polemik beider Schriften sich gegen verschiedenartige Gegner richte. Die verschiedene polemische Front ist freilich kein überzeugendes Argument gegen denselben Verfasser für beide Schriften, da sich die Lage ja zwischen der Abfassung der beiden Schriften geändert haben könnte; die Abweichungen in einzelnen sprachlichen Erscheinungen und theologischen Vorstellungen lassen sich aber zum mindesten teilweise aus der verschiedenen literarischen Art und der jeweiligen Zielsetzung der beiden Schriften erklären. So spricht doch recht viel dafür, daß das vierte Evangelium und der 1. Johannesbrief denselben Verfasser haben. Aber auch wenn das nicht der Fall sein sollte - die Frage ist zwingend nicht zu entscheiden - , so gehört der Verfasser des 1. Johannesbriefs auf alle Fälle zum engsten Kreis des Evangelisten oder ist unmittelbar von diesem Kreis abhängig, und darum ist es durchaus sachgemäß, bei der Darstellung der johanneischen Theologie den 1. Johannesbrief mit heranzuziehen und dabei gelegentliche Abweichungen besonders zu erwähnen. Ob der 2. und 3. Johannesbrief vom selben Verfasser stammen wie der 1. Brief, ist ebenfalls eine offene Frage; auch dafür spricht mancherlei, daß hier derselbe Verfasser redet, doch ist die Entscheidung dieser Frage im Zusammenhang einer Darstellung der johanneischen Theologie nicht wesentlich, da die kleinen Briefe kaum eigene theologische Aussagen machen. Auf alle Fälle ergibt sich aus diesen Feststellungen, daß allein das vierte Evangelium für die Antwort auf die Frage nach der historischen Stellung der johanneischen Theologie maßgeblich ist. Ein Blick auf das vierte Evangelium zeigt aber sofort die eigentliche theologische Schwierigkeit. Das vierte Evangelium erzählt ja in ähnlicher Weise wie die Synoptiker vom Wirken und Predigen Jesu, beginnend mit dem Auftreten des Täufers und endend mit dem Tod und der Auferstehung Jesu. Und weil sich so das Johannesevangelium und die Synoptiker darin gleichen, daß sie für Jesus Christus Zeugnis ablegen in der Form eines Berichtes von den Taten und Worten Jesu, hat man es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als selbstverständlich angesehen, daß das vierte Evangelium ebenso wie die drei ersten das geschichtliche Bild Jesu darbieten wolle, und man hat sogar oft und auch heute noch immer wieder zu zeigen versucht, daß uns wesentliche Züge des geschichtlichen Jesus im Johannesevangelium zuverlässiger überliefert seien als in den drei Synoptischen Evangelien. Diese Voraussetzung ist freilich fraglich geworden, seit D.F.Strauss 1835/36 in seinem „Leben Jesu" den Nachweis führte, daß das Johannesevangelium nicht zugleich mit den Synoptikern als Quelle für die Kenntnis des geschichtlichen Jesus dienen könne, weil es von einem Glaubensbild Jesu aus gestaltet

Die geschichtliche Stellung

229

sei, das sich nur als Endprodukt der Entwicklung der neutestamendichen Christuslehre verstehen lasse. Seitdem Strauss auf diesen Tatbestand aufmerksam gemacht hat, kann nicht mehr bestritten werden, daß das Johannesevangelium auf keinen Fall im selben M a ß wie die Synoptiker als Quelle für die Kenntnis des geschichtlichen Jesus verwandt werden kann. Diese Feststellung gilt, obwohl wir heute wissen, daß auch die Synoptischen Evangelien nicht Geschichtsberichte, sondern Missions- und Verkündigungsschriften sind; denn in den Synoptischen Evangelien ist mündliche Überlieferung in mehr oder weniger starker Rahmung und auch Umbildung aufgenommen, und diese Uberlieferung geht auf alle Fälle zu einem Teil in die älteste Zeit der christlichen Gemeinde zurück und läßt sich weitgehend aus dem Erzählungsrahmen auslösen (s.O.S.23). Der johanneische Bericht aber weist trotz der gleichen literarischen Form eines „Evangeliums" einen ganz anderen literarischen Charakter auf und unterscheidet sich damit auch zugleich im theologischen Gehalt von den Synoptischen Evangelien, und wir müssen uns daher zuerst die historische Situation des Johannesevangeliums klarmachen, ehe wir seinen theologischen Charakter erkennen können. Das Johannesevangelium weist eine nicht unerhebliche Zahl von Widersprüchen in der geographischen, chronologischen und erzählerischen Abfolge auf, und auch der Gedankenzusammenhang ist mehrfach widerspruchsvoll. Man hat darum seit der Alten Kirche in der verschiedensten Weise die Vermutung geäußert, der uns überlieferte Text des Johannesevangeliums sei durch planmäßige oder zufällige Umordnungen durcheinander geraten oder sei überhaupt niemals durch seinen Verfasser endgültig geordnet gewesen, und man hat dementsprechend zahllose Versuche unternommen, um die ursprüngliche Ordnung wieder herzustellen. Alle diese Versuche sind freilich wenig überzeugend, doch ist das Problem der ursprünglichen Reihenfolge des Berichts für das Verständnis der johanneischen Theologie von keiner wesentlichen Bedeutung, so daß wir auf dieses Problem hier nicht weiter einzugehen brauchen. Wesentlicher ist die Frage, ob sich die zu beobachtenden sachlichen Widersprüche im Johannesevangelium daraus erklären lassen, daß ein kirchlicher Redaktor oder überhaupt ein Bearbeiter des ursprünglichen Textes fremden Stoff eingefügt hat, weil diese sekundären Bestandteile des überlieferten Textes dann ja als Fremdkörper im ursprünglichen Evangelium und entsprechend im 1. Johannesbrief angesehen werden müßten. Nun ist das 21. Kapitel des Evangeliums mit größter Wahrscheinlichkeit als ein Nachtrag von fremder Hand anzusehen, der freilich schon im 2. Jahrhundert angefügt worden sein muß, weil die älteste handschriftliche Uberlieferung dieses Kapitel schon aufweist (vgl. den Kommentar zu Joh.21). Die Erzählung von der Ehebrecherin Joh.7,538,11 ist aufgrund der handschriftlichen Uberlieferung mit Sicherheit als sekundärer Einschub anzusehen. Wenn so zweifellos der Text des Johannesevangeliums früh erweitert worden ist, so ist es doch schwerlich notwendig, weitere Einschübe im Johannesevangelium zu postulieren, doch läßt sich

230

Die johanneische Christusbotschaft

diese Frage in der Regel nur aufgrund inhaltlicher Kriterien entscheiden, und wir müssen auf sie jeweils im betreffenden Zusammenhang zurückkommen. Kann man so mit guten Gründen annehmen, daß das Johannesevangelium, abgesehen von 7,53-8,11 und Kap. 21, im wesentlichen so erhalten ist, wie sein Verfasser es hinterließ, so stellt sich um so dringlicher die Frage, aufgrund welcher Überlieferungen oder Quellen und mit welchen geistigen Mitteln der Verfasser sein Evangelium geschrieben hat. Gegen die zahlreich aufgestellten Theorien, der Verfasser habe eine oder mehrere schriftliche Quellen aufgenommen, spricht nicht nur der Sachverhalt, daß die sprachliche Einheitlichkeit des ganzen Evangeliums die Feststellung etwaiger Quellen kaum erlaubt. Dagegen spricht vor allem, daß wirklich überzeugende Argumente für den zusammenhängenden schriftlichen Charakter der vom Evangelisten verwerteten Überlieferungen nicht vorgebracht worden sind. Unbestreitbar ist aber, daß das Johannesevangelium sich in einer relativ geringen Anzahl von Berichten und Jesusworten mit den Synoptischen Evangelien berührt, doch gehen die Meinungen weit auseinander, wie dieser Tatbestand zu erklären sei. Der Sachverhalt ist denn auch auffallend widerspruchsvoll: der geographische und chronologische Rahmen des Wirkens Jesu im Johannesevangelium weicht von den Angaben der Synoptiker stark ab; während die Synoptiker aus Einzelberichten und Einzelworten oder Wortgruppen zusammengesetzt sind und nur die Leidensgeschichte einen fortlaufenden Bericht bietet, besteht das Johannesevangelium aus großen nebeneinandergestellten, ζ. T . dialogischen Redekompositionen, und einen fortlaufenden Bericht bietet auch hier nur die Leidensgeschichte. In diesen Redekompositionen spricht Jesus aber eine weitgehend andere Sprache als in den Synoptikern, und die wenigen Erzählungen, die Johannes außerhalb der Leidensgeschichte mit den Synoptikern gemeinsam hat, etwa die Heilung in Kapernaum (4,46 ff.) und die Speisung der Fünftausend mit anschließendem Seewandel (6,1 ff.), sind ebenfalls anders formuliert als bei den Synoptikern. Andererseits spielt Johannes gelegentlich an Berichte der Synoptiker an, die er nicht selber erzählt hat (z.B. die Taufe Jesu 1,32, den Zwölferkreis 6,67, den Gethsemanebericht 12, 27), und streut in seine Komposition Jesusworte ein, die stark synoptischen Jesusworten gleichen (s.Joh.2,19 vgl. mit Mk. 14,58p. und Joh.4,44 vgl. mit Mk.6,4p.). An einigen Stellen begegnen auffällige wörtliche und sachliche Berührungen zwischen Johannes und den Synoptikern (vgl. Joh. 6,7 neben Mk.6,37; Joh. 12,3ff. neben Lk.7,36ff.). Während die einen Forscher aus diesen Ubereinstimmungen schließen, daß Johannes zum mindesten das Markusund das Lukasevangelium gekannt haben müsse, möchten andere diese Berührungen daraus erklären, daß Johannes eine selbständige Kenntnis der auch den Synoptikern vorliegenden Tradition gehabt habe. Immer wieder wird der Versuch gemacht, im Johannesevangelium einzelne Worte des geschichtlichen Jesus aufzufinden, die in die älteste Tradition gehören, den Synoptikern aber unbekannt geblieben oder jedenfalls von ihnen über-

Die geschichtliche Stellung

231

gangen worden sind. Wenn nun freilich vor allem sprachliche Entsprechungen nahelegen, daß Johannes das Markus- und das Lukasevangelium gekannt hat, so läßt sich diese Kenntnis doch nicht zwingend erweisen; und wenn, wie es wahrscheinlich ist, Johannes diese Synoptischen Evangelien gekannt hat, so hat er sie auf alle Fälle äußerst frei benutzt. Das entspricht aber der freien Weise, mit der Johannes die von ihm übernommenen alttestamentlichen Zitate verwendet hat, und schon daraus wird deutlich, daß es offensichtlich nicht die Absicht des Johannesevangelisten war, die ihm vorliegende Tradition oder die von ihm benutzten Quellen möglichst sorgfältig zu reproduzieren. Johannes hat vielmehr unzweifelhaft den von ihm übernommenen Stoff in seine Sprache umgeprägt, soweit dieser Stoff nicht schon in dieser Sprache vorgelegen hat. Darum müssen für ein geschichtlich zutreffendes Verständnis der johanneischen Theologie die beiden Fragen geklärt werden, woher die Sprache und Vorstellungswelt stammt, die Johannes verwendet, und welches Ziel er mit seiner Weitergabe oder Umformung der Überlieferung in dieser Sprache und Vorstellungswelt verfolgte. 1.2 Die Abfassungsverhältnisse Doch ist für die geschichtliche Einordnung der johanneischen Theologie auch noch die Frage wichtig, in welcher Zeit und durch wen das Evangelium und wahrscheinlich auch der 1. Johannesbrief geschrieben worden sind. Wir sahen schon, daß das Johannesevangelium seit dem Ende des 2. Jahrhunderts, zusammen mit den drei Briefen und der Johannesoffenbarung, als Werk des Apostels Johannes, des Sohnes des Zebedäus, angesehen worden ist. Während der Verfasser der Offenbarung in der Tat Johannes hieß, ist es uns unmöglich, aus den übrigen vier dem Apostel Johannes zugeschriebenen Schriften den Namen ihres Verfassers zu erkennen, da sie keinerlei Namen nennen. Nun macht freilich Joh. 21,24 in Verbindung mit 21,20 die Angabe, daß „der Jünger, den Jesus liebte", der Verfasser des Evangeliums sei. Wenn aber das 21. Kapitel ein Zusatz zum Evangelium von fremder Hand ist, so handelt es sich bei der Angabe Joh. 21,24 nur um eine Tradition aus dem Kreis der Schüler des Evangelisten und nicht um den Anspruch des Evangelisten selber. Überdies ist es nicht möglich, die Identität des Mannes festzustellen, der unter der Bezeichnung „der Jünger, den Jesus liebte", in Joh. 13,23; 19,26; 20,2 begegnet, so daß uns die Identifizierung des Verfassers mit dem „Lieblingsjünger", wenn es sich um eine zuverlässige Nachricht handeln sollte, auch nicht weiterhelfen würde. Irgendwelche anderen Hinweise auf seinen Verfasser enthält das Johannesevangelium aber nicht. Sollten 2. und 3. Johannes vom selben Verfasser stammen wie das Evangelium, was immerhin möglich ist, so könnten wir aus den Briefeingängen dieser Briefe entnehmen, daß der Verfasser sich als „der Älteste" [Presbyter] bezeichnen und damit offenbar seine Identität ohne weiteres sicherstellen kann. Aber auch diese Angabe hilft nicht weiter, weil zwar bei dem Bischof Papias von Hierapolis (um 140) ein „Johannes, der Älteste" erwähnt wird,

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Die johanneische Christusbotschaft

wir aber weder über diesen M a n n sonst irgend etwas wissen noch überhaupt feststeht, daß die Selbstbezeichnung „der Älteste" in den kleinen Johannesbriefen diesen „Johannes, den Ältesten" bezeichnen solle. Die uns am Ende des 2. Jahrhunderts begegnende Tradition, daß der Verfasser der johanneischen Schriften der Apostel Johannes, der Zebedaide, gewesen sei, ist also aus dem Evangelium und den Briefen nicht zu bestätigen, und aus zwei Gründen ist diese Tradition unbrauchbar. Einmal läßt sich diese Tradition nicht weiter zurückverfolgen, älter ist nur die Nachricht, daß Kirchenväter in der Mitte des 2. Jahrhunderts mit einem „Jünger des Herrn" namens Johannes in Beziehung gestanden haben. Aber weder wissen wir über diesen „Jünger des Herrn" Johannes sonst noch etwas, noch ist eindeutig überliefert, er sei der Verfasser der vier Johannesschriften oder auch nur einer von ihnen gewesen. Zum andern kann das Johannesevangelium überhaupt nicht von einem der vertrautesten Jünger Jesu geschrieben worden sein, wie die religiöse Vorstellungswelt des Evangeliums ebenso beweist wie der kirchliche Widerstand gegen die Aufnahme dieser Schrift unter die anerkannten Vorleseschriften. Schließlich spricht auch die Abhängigkeit des Johannesevangeliums vom Markusevangelium gegen einen der engsten Jünger Jesu als den Verfasser des vierten Evangeliums, weil selbst nach der kirchlichen Tradition das Markusevangelium nicht von einem persönlichen Jünger Jesu stammte. Wir müssen uns daher damit bescheiden, daß wir den Verfasser des vierten Evangeliums und der Johannesbriefe, falls sie vom selben Verfasser stammen, nicht kennen, und die Bezeichnung des Verfassers dieses Evangeliums als „Johannes" und der Schriften als „Johannesevangelium" und „Johannesbriefe" wird im folgenden nur als traditionelle Kennzeichnung gebraucht, ohne daß damit ein historisches Urteil abgegeben werden sollte. D a der Stoff und seine Darbietung und nicht der Verfasser über den geschichtlichen Wert und theologischen Charakter des Johannesevangeliums entscheiden, ist die Frage der Identität dieses Verfassers auch für das geschichtliche Verständnis seiner Theologie nicht so wesentlich wie die Frage nach der Datierung dieser Schrift. Wir können heute mit Sicherheit sagen, daß das Johannesevangelium am Anfang des 2. Jahrhunderts vorhanden gewesen sein muß, weil ein kleines Papyrusfragment mit dem T e x t einiger Verse aus J o h . 18 nach dem Urteil der Fachleute aus dem frühen 2. Jahrhundert stammt und demnach das Evangelium zu dieser Zeit bereits in Ägypten bekannt gewesen sein muß (ein aus der gleichen Zeit stammendes Fragment eines apokryphen Evangeliums bestätigt diesen Rückschluß). M u ß darum das Johannesevangelium vor dem Anfang des 2. Jahrhunderts geschrieben worden sein, so ist wesentlich schwieriger zu sagen, wie lange vor diesem Termin es geschrieben worden ist. Trifft die Annahme höchstwahrscheinlich zu, daß der Verfasser des 4. Evangeliums das Lukasevangelium gekannt hat, so kann das Johannesevangelium nicht vor etwa 8 0 - 9 0 n. Chr. geschrieben worden sein. Sollte diese Annahme nicht zutreffen, so erlaubt auch die im Johannesevangelium festzustellende Weiterentwicklung

Die geschichtliche Stellung

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der evangelischen Tradition schwerlich, die Abfassung dieses Evangeliums zu einem früheren Termin anzusetzen. Man ist sich darum heute weithin darüber einig, daß das Johannesevangelium etwa im letzten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts geschrieben worden sein wird. "Wenn der 1. Johannesbrief denselben Verfasser haben sollte wie das Evangelium, ist er wohl etwa in derselben Zeit, vielleicht etwas später, verfaßt worden, und diese Annahme gilt vermutlich auch dann, wenn es sich nicht um denselben Verfasser handelt. Die johanneische Theologie ist also auf alle Fälle eine späte Form des urchristlichen Christuszeugnisses, und darum ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, in welchem historischen und sachlichen Verhältnis diese Theologie zu der Verkündigung Jesu nach der synoptischen Tradition und zur Theologie des Paulus steht. Uber den geographischen Bereich, aus dem das Johannesevangelium und der 1. Johannesbrief stammen, verraten beide Schriften direkt gar nichts. Die kirchliche Tradition hat vom Ende des 2. Jahrhunderts an Kleinasien als die Heimat beider Schriften angegeben, aber dafür spricht ebenfalls nichts. Dagegen zeigt die geistige Welt des Johannesevangeliums, wie wir sehen werden, Verwandtschaft mit religiösen Erscheinungen des palästinisch-syrischen Raumes, und so spricht einiges dafür, daß das Johannesevangelium in Syrien geschrieben worden ist (und für die Briefe würde dasselbe gelten). Doch ist die Entscheidung dieser Frage in unserem Zusammenhang von geringerem Gewicht.

2. Der Grundcharakter der johanneischen Christusbotschaft 2.1 Das Johannesevangelium als das vollkommene Christuszeugnis Während der Jesusbericht der drei ersten Evangelien jeweils durch die Rahmung von Einzelüberlieferungen im Zusammenhang einer bestimmten theologischen Ausrichtung entstanden ist, hat Johannes aus den ihm vorliegenden Überlieferungen größere Kompositionen gestaltet, in deren Zusammenhang umfangreiche Jesusreden stehen, und die Erzählungen dienen weitgehend nur zur Einleitung solcher Redekompositionen. Schon daraus ergibt sich, daß das Johannesevangelium keinesfalls primär an der Erzählung interessiert sein kann, sondern lehrhafte oder Verkündigungs-Absichten verfolgen muß. Dieses Ziel ergibt sich denn auch eindeutig aus dem Schluß des Evangeliums. „Viele andere Zeichen tat Jesus vor den Jüngern, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben sind. Diese [Zeichen] aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und als Glaubende Leben habt in seinem Namen" (20,30f.). Johannes will also keinen vollständigen Bericht bieten, sondern den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu stärken und dadurch (ewiges) Leben vermitteln. Diese Verkündigungsabsicht wird aber nun nicht durch Predigt oder Lehre, sondern im Rahmen eines „Evangeliums" ausgeführt, und das ist das Merkwürdige. Denn Johannes hat ja die literarische Form eines „Evangeliums" zweifellos vorgefunden und setzt bei seinen Lesern ganz deutlich voraus,

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Die johanneische Christusbotschaft

daß sie bestimmte Berichte der Synoptiker oder zum mindesten der synoptischen Tradition kennen, auf die er darum nur anspielt, ζ. B. die Taufe Jesu (l,32f.), die Gefangennahme des Täufers (3,24), die Existenz des Zwölferkreises (6,67) usw. Warum hat aber Johannes seiner Verkündigung die Form eines „Evangeliums" gegeben? Daß Johannes die Synoptiker ergänzen und zugleich überbieten wollte, hat schon am Ende des 2. Jahrhunderts Klemens von Alexandrien behauptet: Johannes habe ein „geistliches Evangelium" geschaffen, weil die Synoptiker „die leiblichen Dinge" dargestellt hatten. Die Annahme, Johannes wolle die Synoptiker ergänzen oder korrigieren, ist dann immer wieder vertreten worden. Sie ist aber äußerst unwahrscheinlich, weil Johannes nirgendwo andeutet, daß er zu schon Bekanntem etwas Neues hinzufügen wolle, weil er vielmehr deutlich erklärt, er beabsichtige keine Vollständigkeit (20,30). So fehlt ja auch ein sehr großer Teil des synoptischen Stoffes bei Johannes, und gelegentlich kommt man um den Eindruck nicht herum, es sei ein Bericht absichtlich weggelassen, etwa die Einsetzung des Abendmahls oder Jesu Gebetsringen in Gethsemane; beide Berichte kennt Johannes eindeutig (vgl. 12,27-29 und 13,lff.6,51bff.). Johannes will also weder die Synoptiker ergänzen noch sie ersetzen; wohl aber soll sein Evangelium das Bild Jesu zeichnen, das den Glauben stärkt und dadurch „Leben" schafft. D.h. Johannes will unter Voraussetzung der Kenntnis der synoptischen Tradition das vollkommene Bild des Jesus zeichnen, wie ihn der Glaube sieht, und insofern erhebt seine Jesusdarstellung den Anspruch, das vollkommene Christuszeugnis zu bieten. 2.2 Die Sprache des johanneischen Christuszeugnisses Das auffälligste Kennzeichen dieses vollkommenen Christuszeugnisses ist nun die Ausdrucksform, die Johannes diesem Christuszeugnis gegeben hat. Damit ist nicht nur die Sprache gemeint, die Jesus selbst im Johannesevangelium spricht, sondern die Sprache des ganzen Evangeliums. Es ist ja eine oft beobachtete Eigentümlichkeit dieses Evangeliums, daß die Sprache der johanneischen Jesusreden ebenso die Sprache des Täufers, der Juden und aller anderen im Evangelium zu Worte kommenden Personen ist, aber auch die Sprache des Evangelisten selbst, vgl. 1,7 „Er kam zum Zeugnis, um über das Licht Zeugnis abzulegen, damit alle durch ihn zum Glauben kämen" = Evangelist; 1,34 „Und ich habe gesehen und bezeugt, daß dieser der Erwählte Gottes ist" = Johannes der Täufer; 8,13 „Du legst Zeugnis für dich ab, dein Zeugnis ist nicht wahr" = die Pharisäer; 5,31 f. „Wenn ich über mich Zeugnis ablege, so ist mein Zeugnis nicht wahr; ein anderer ist es, der über mich Zeugnis ablegt, und ich weiß, daß das Zeugnis wahr ist, das er über mich ablegt" = Jesus (vgl. auch 1,9 mit 3,19 und 3,34 mit 5,36 usw.). Johannes hat also offenbar diese Sprache seinem ganzen Evangelium einschließlich der Worte Jesu aufgeprägt, wie sich besonders deutlich an der Umformung synoptischer Jesusworte im Johannesevangelium zeigt: vgl. Joh.3,5 „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in die Gottesherrschaft nicht eingehen"

Das vollkommene Christuszeugnis

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mit Mt. 18,3 „Wahrlich, ich sage dir: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, werdet ihr in die Himmelsherrschaft nicht eingehen"; vgl. auch Joh. 12,25 mit Mk. 8,35 und Joh.5,23 mitLlc. 10,16. Diese johanneische Sprache ist nun vor allem gekennzeichnet durch zahlreiche Gegensatzpaare: Licht und Finsternis, Lüge und Wahrheit, oben und unten, Geist und Fleisch, Freiheit und Knechtschaft, ferner durch die Bezeichnung Gottes und Jesu als „der Vater" und „der Sohn" oder als „der Vater, der mich gesandt hat" und „der, den du gesandt hast", dann auch durch Heilsbegriffe wie Lebenswasser, Lebensbrot, Licht der Welt und schließlich durch die Aussage, daß der Sohn aus dem Himmel herabgestiegen und in den Himmel wieder aufgestiegen ist. Diese Begriffswelt des Johannesevangeliums und damit auch diese Sprache des johanneischen Jesus hat in den synoptischen Jesusworten nur sehr geringe Parallelen (abgesehen von dem schwerlich alten Wort M t . l l , 2 7 p . , s . o . S . 6 7 ) . Wenn Jesus so gesprochen hätte wie der johanneische Jesus, müßte er zwei erheblich verschiedene Sprachformen nebeneinander gebraucht haben, was schwer vorstellbar ist, obwohl es immer wieder behauptet wird. Es ist aber überhaupt sehr schwer, genau festzustellen, in welchem religionsgeschichtlichen Bereich die für Johannes charakteristische Sprachform zu Hause ist, da weder das Alte Testament noch das palästinischrabbinische Judentum mehr als einzelne Ausdrücke oder Begriffe erklären können. Aber ebensowenig hilft das hellenistische Judentum oder das hellenistische Heidentum hier wirklich weiter, weil sich in diesen Bereichen zwar stärkere sprachliche Anklänge finden, der für die johanneische Christologie kennzeichnende Gedanke der Sendung des Gottessohnes von oben und seiner Rückkehr in den Himmel dagegen auch hier keine Anknüpfung hat. Auch die Gedankenwelt der jüdischen Sondergruppe von Qumran, mit der viele Forscher die johanneische Gedankenwelt in Zusammenhang bringen möchten, bietet keine ausreichende Erklärung. Zwar stellen der ethische Dualismus und besonders der Gegensatz zwischen Licht und Finsternis in den Qumranschriften wirkliche Parallelen zu der johanneischen Theologie dar, doch begegnen diese Vorstellungen in Qumran im Zusammenhang einer radikalen Kultgesetzlichkeit und der Forderung des Anschlusses an die vom übrigen Judentum sich abschließende Gruppe der „Einung", während die für Johannes besonders charakteristische Botschaft von der Sendung des Sohnes von oben auch in Qumran keinerlei Analogie hat. Nun hat man aber seit längerer Zeit die Beobachtung gemacht, daß sich auffällig starke Parallelen sowohl zum johanneischen Dualismus wie auch zum Gedanken der Sendung des Erlösers von oben in Liedern eines häretischen Christentums aus dem 2. Jahrhundert,den sog. „OdenSalomos",und in den wesentlich späteren Schriften einer in Resten noch heute am Euphrat existierenden religiösen Gruppe, der Mandäer, finden (Proben aus beiden Quellen sind abgedruckt in „Umwelt des Urchristentums II", s. o. S. 9, S. 390ff., 396ff.). Beide Quellen sind zweifellos jünger als das Johannesevangelium, so daß eine direkte Beeinflussung des Johannesevangeliums

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Die johanneische Christusbotschaft

durch die christliche oder die heidnische Quelle unmöglich ist. Aber die mandäische Religion geht, wie neuere Forschungen sehr wahrscheinlich gemacht haben, auf eine Taufgruppe zurück, die schon im 1. Jahrhundert in Palästina oder Syrien bestand; und die Oden Salomos sind ein frühes Beispiel einer Frömmigkeit, die spätestens zur gleichen Zeit wie das Christentum, wahrscheinlich aber schon früher entstanden ist und dann auch in das Christentum eindrang und dort, schon zur Zeit des Paulus, ein gefährlicher Gegner wurde, der sog. „Gnosis" (d. h. Erkenntnis) (s. o. S. 108). Diese Religion sah das Heil in der Erkenntnis der wahren Herkunft des Menschen aus der himmlischen Lichtwelt und verband diesen Grundgedanken mit den verschiedensten Spekulationen, auch über himmlische Erlösergestalten. Solche gnostische Religiosität hat sich auch mit dem jüdischen Schöpfungsglauben verbunden, und wir haben aus dem 2. Jahrhundert sichere Belege für eine solche jüdische Gnosis, doch ist die Verbindung zwischen einem heterodoxen Judentum und gnostischer Erlösungslehre zweifellos auch schon im 1. Jahrhundert im palästinisch-syrischen Bereich vorhanden gewesen auch der Apg. 8,9 ff. erwähnte Samaritaner Simon gehört in diesen Zusammenhang. Eine jüdische Gnosis, die auch den mythischen Gedanken vom herabsteigenden Erlöser aufgenommen hatte, wird daher am ehesten als Voraussetzung für die religiöse Sprache des Johannesevangeliums anzunehmen sein. Mag das hypothetisch bleiben, auf alle Fälle ist die Sprache, die der johanneische Jesus spricht, nicht die Sprache des palästinischen Judentums, die der Jesus der synoptischen Tradition gebraucht, und schon dieser Tatbestand zeigt, daß das vollkommene Christuszeugnis des Johannesevangeliums nicht daran interessiert sein kann, die Verkündigung des geschichtlichen Jesus in dessen Sprache weiterzugeben. Johannes hat also die Berichte über Jesus ebenso wie die Reden Jesu in eine für sein Zeugnis geeignetere Form gef aßt, aber das ist nur das auffälligste Zeichen dafür, daß Johannes die Gestalt und Verkündigung Jesu nicht nur als Glaubender schildert, sondern bewußt vom Glauben der Gemeinde her gestaltet. Das kann man weiter daran erkennen, daß sich beim Vergleich des Evangeliums mit dem 1. Johannesbrief mehrfach erkennen läßt, daß Glaubensaussagen der Gemeinde im Johannesevangelium zu Selbstaussagen Jesu geworden sind: l.Joh.3,14 „Wir wissen, daß wir aus dem Tod in das Leben hinüber geschritten sind" wird zu Joh.5,24 „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort h ö r t . . . , ist aus dem Tod ins Leben hinüber geschritten"; oder l.Joh.3,11 „Das ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt, daß wir einander lieben sollen" wird zu Joh. 13,34 „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander lieben sollt". Daß Johannes die Gestalt und Geschichte Jesu bewußt vom Glauben der Gemeinde her schildert, zeigt sich schließlich auch daran, daß das Zeugnis der Gemeinde im Johannesevangelium nicht nur ausdrücklich zu Worte kommt („Das Wort wurde Fleisch, und wir sahen seine Herrlichkeit", 1,14; „Das verstanden seine Jünger zunächst nicht, aber als Jesus verherrlicht war, da erinnerten sie sich, daß das über ihn geschrieben war und sie ihm das getan hatten", 12,16), sondern

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auch gelegentlich unversehens in einem Worte Jesu durchbricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Was wir wissen, reden wir, und was wir gesehen haben, bezeugen wir, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an" (3,11; Jesus redet zu Nikodemus). Zweifellos will Johannes Geschehenes berichten und betont darum die Realität eines geschehenen Wunders (4,53; 9,20 f.; 11,39) oder die Zuverlässigkeit eines Berichts (anläßlich des wunderbaren Ausflusses von Blut und Wasser aus der Seitenwunde Jesu, 19,35). Trotzdem ist nicht das Bild des geschichtlichen Jesus, wie es die Überlieferung bot, der Gegenstand der Darstellung des Johannes, sondern das Bild Jesu, wie es der Glaube der Gemeinde sah, weil Johannes nur auf diese Weise bezeugen konnte, daß „Jesus der Gesalbte, der Sohn Gottes, ist" (20,31). Wenn sich somit im Johannesevangelium „Christus selbst zu Gehör bringt, aber durch das Medium der johanneischen Sprache" (F. Mussner), so hat sich Johannes das Recht zu solcher Riicktragung des Glaubens in die Geschichte nicht aus persönlicher Vollmacht oder aus dichterischer Inspiration abgeleitet, sondern aus der Überzeugung, daß der Auferstandene seiner Gemeinde den Geist als Helfer gegeben hat, der erst „in die ganze Wahrheit führen wird" (16,13), und daß die Glaubenden, die im Worte Jesu bleiben, „die Wahrheit erkennen werden" (8,31 f.). „Weil Johannes bereits vom Geist her die ganze Wahrheit kennt, kann er den irdischen Jesus schon die vollendete Wahrheit predigen lassen" (E. Haenchen). Das theologische Problem, das uns die johanneische Theologie stellt, ist darum nicht die - an sich natürlich berechtigte - Frage, inwieweit die Berichte über Jesus und die Worte Jesu im Johannesevangelium im einzelnen zuverlässige geschichtliche Nachrichten darbieten; die entscheidende theologische Frage angesichts des Johannesevangeliums ist vielmehr, ob sich dieses Glaubensbild Jesu als zutreffende Auslegung des göttlichen Handelns in der Person Jesu von der Situation der glaubenden Gemeinde in der Spätzeit des Urchristentums aus verstehen läßt oder nicht. 3 . Das johanneische Christusbild 3.1 Der Gesalbte Da Johannes sein Evangelium geschrieben hat, „damit ihr glaubt, daß Jesus der Gesalbte, der Sohn Gottes, ist" (20,31), geben diese beiden Titel offenbar für ihn die Bedeutung Jesu ausreichend und vollgültig wieder, und es ist darum zweckmäßig, von diesen Titeln auszugehen. Dabei zeigt sich sofort, daß der Titel „Der Gesalbte" (Christus) bei Johannes nicht besonders häufig, wohl aber sehr betont begegnet. Bereits 1,41 weist Andreas seinen Bruder Petrus auf Jesus hin mit den Worten: „Wir haben den Messias gefunden", und der Evangelist fügt für seine Leser hinzu: „Das heißt übersetzt: Der Gesalbte" [Christus]. Der Samaritanerin gegenüber, die auf die traditionelle Erwartung des Messias hinweist, sagt Jesus: „Ich bin es, der mit dir redet" (4,25f.). Die Jesu Bedeutung ahnende Martha

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bekennt: „Ich habe geglaubt, daß du der Gesalbte, der Sohri Gottes bist, der in die "Welt kommt" (11,27). Und nach l.Joh.5,1 ist derjenige aus Gott geboren, „der glaubt, daß Jesus der Gesalbte ist". Dementsprechend bestrebten die ungläubigen Juden die Möglichkeit, daß Jesus der Christus sein könne, weil man die Herkunft dieses Menschen Jesus aus Galiläa ja kennt (Joh.7,26f. 41 f.), und wer „leugnet, daß Jesus der Gesalbte ist", ist der Antichrist, d.h. der satanische Christusgegner (l.Joh.2,22). An allen diesen Stellen hat „der Gesalbte" einen bekenntnismäßigen Sinn, daneben begegnet das Wort „Christus" freilich auch, wie schon bei Paulus, im Sinn eines Eigennamens in der Zusammensetzung „Jesus Christus" (Joh. 1,17; 17,3 und mehrfach im 1. und 2. Johannesbrief). Indem Johannes in den genannten Texten das Bekenntnis zu Jesus, dem Gesalbten, als entscheidende Glaubensforderung hinstellt und sogar zweimal, im Munde des Petrus und Jesu selbst, das aramäische Wort „Messias" verwendet (1,41; 4,25 f.), zeigt er deutlich die Absicht, Jesus als den den Juden verheißenen Heilbringer zu bezeichnen, und dementsprechend wird Nathanael von Philippus auf Jesus hingewiesen mit den Worten: „Denjenigen, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und [von dem] die Propheten [geschrieben haben], den haben wir gefunden, Jesus, den Sohn des Joseph, aus Nazareth" (1,45; vgl. 5,39), und daraufhin bekennt Nathanael: „Du bist der König Israels" (1,49c; vgl. 12,13). Aber so sehr Johannes mit allen diesen Aussagen das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias, d.h. dem Gesalbten, betont und Jesus dadurch als den erwarteten jüdischen Heilbringer (freilich nicht im politischen Sinn, vgl. 6,15) bezeichnen will, so wenig ist für ihn der Titel „der Gesalbte" im letzten Sinn wesentlich. Das zeigt sich nicht nur daran, daß Joh. 6,68 das Bekenntnis des Petrus zu Jesus als dem Gesalbten in den Synoptikern (Mk. 8,29 p.) umformt zu dem Bekenntnis: „Du bist der Heilige Gottes" (6,69) und damit vermutlich ebenso eine seltene jüdische Bezeichnung des erwarteten Heilbringers aufgreift wie in 1,34, wo der Täufer über Jesus sagt: „Ich habe bezeugt, daß dieser der Erwählte Gottes ist." Das zeigt sich vor allem daran, daß an den entscheidenden Stellen dem Bekenntnis zum „Gesalbten" noch ein weiterer Titel hinzugefügt wird („Der Sohn Gottes, der König Israels", 1,49; „der Gesalbte, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt", 11,27; ähnlich 20,31) oder daß „der Gesalbte" einfach wechselt mit „der Menschensohn" (12,34). Einzig in l.Joh.2,22; 5,1 begegnet die bloße Forderung, Jesus als „den Gesalbten" zu bekennen, aber da handelt es sich um die Abwehr von falschen Lehren. So sehr also Johannes an dem Bekenntnis zu Jesus als dem Gesalbten festhält, in dem sich Gottes Verheißungen im Alten Testament erfüllt haben, so wenig hat dieser Begriff für ihn noch einen selbständigen Gehalt, und darum kann uns dieser Würdetitel über das johanneische Christusbild nicht mehr lehren, als daß auch Johannes in Jesus den erwarteten endzeitlichen Heilbringer gesehen hat.

Das johanneische Christusbild

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3.2 Der Sohn Ganz anders aber steht es mit dem zweiten in Joh. 20,31 genannten Würdetitel, nämlich „der Sohn Gottes". Freilich begegnet der Titel in dieser Form ebenfalls nicht sehr häufig, wohl aber sehr betont. Schon 1,49 erklärt Nathanael angesichts des übernatürlichen Wissens Jesu: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels"; und ganz entsprechend stellen am Ende des Verhörs Jesu durch Pilatus die Jesus anklagenden Juden fest: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben, weil er sich zum Sohn Gottes gemacht hat", und als Pilatus zögert, Jesus zu verurteilen, fügen sie hinzu: „Wenn du diesen losläßt, bist du kein Freund des Kaisers; denn jeder, der sich zum König macht, widerspricht dem Kaiser" (19,7.12). Die Gottessohnschaft Jesu und seine Würde als „Gesalbter", d.h. als König Israels, werden somit an beiden Stellen gleichgesetzt. Die Gottessohnschaft Jesu ist nun darin begründet, daß „der Vater ihn geheiligt und in die Welt gesandt hat" (10,36; vgl. 11,27), und als der Sohn Gottes ist Jesus der kommende Weltrichter (5,25). Infolgedessen ist das Bekenntnis zu Jesus als dem Gottessohn die entscheidende Forderung: „Wer bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er in Gott" (l.Joh.4,15; vgl.5,5.10). Diese wenigen Stellen (vgl. noch Joh. 11,4; l.Joh.3,8) zeigen deutlich, daß der Sohn Gottes als der vom Vater Gesandte Gottes Handeln in der Gegenwart und Zukunft repräsentiert, doch erlauben diese wenigen Stellen keine genauere Bestimmung des Sinnes, und dieser genauere Sinn läßt sich erst erkennen, wenn wir die für Johannes eigentlich charakteristischen Aussagen über „den Sohn" ins Auge fassen. Die häufige Bezeichnung „der Sohn" beschreibt natürlicherweise zunächst die Beziehung von Vater und Sohn: „Gott hat den Sohn in die Welt gesandt . . . , damit die Welt durch ihn gerettet werde" (Joh.3,17; vgl. 1.Joh.4,14); „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben" (Joh. 3,35; vgl.5,20); „Der Vater hat alles Gericht dem Sohn gegeben" (5,22). Infolgedessen kann nach Johannes „der Sohn nichts von sich aus tun, wenn er nicht den Vater etwas tun sieht" (5,19); aber darum gilt auch: „Wie der Vater die Toten erweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn diejenigen lebendig, die er will" (5,21), und: „Wenn der Sohn euch frei macht, werdet ihr wirklich frei sein" (8,36). An den Sohn, der vom Vater gesandt ist und des Vaters Werke vollzieht, sind darum die Menschen gebunden: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben, wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird kein Leben sehen" (3,36; vgl. 6,40; 1.Joh.5,15); der Vater hat dem Sohn alles Gericht gegeben, „damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren; wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat" (Joh. 5,23; vgl. 1.Joh. 2,22-24). Das Verhältnis von Vater und Sohn scheint also das einer völligen Gleichheit zu sein, so daß der Sohn wie ein Gottwesen neben Gott steht und von Gott eigentlich nicht unterschieden werden kann. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn wir sehen, daß Johannes den von Gott Gesandten

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auch, wenn auch selten, direkt als „Gott" (ohne Artikel) bezeichnen kann: „Das Wort war bei dem Gott, und Gott war das Wort" (Joh.1,1); „Gott hat niemand gesehen, der Einzige, Gott, der an der Brust des Vaters ist, hat [von ihm] berichtet" (1,18); „Thomas antwortete und sagte zu ihm: ,Mein Herr und mein Gott'" (20,28). Ist also der Sohn, wie ihn Johannes beschreibt, in Wirklichkeit „Gott, in die menschliche Sphäre hinabsteigend und dort epiphan werdend", so daß bei Johannes von der „Verhüllung eines Gottwesens in Niedrigkeit" die Rede wäre (E. Käsemann) ? Einer solchen Deutung des „Sohnes" im Verständnis des Johannes stehen aber andere Aussagen gegenüber, die den Sohn in Abhängigkeit vom Vater zeigen. Der Jesus des Johannesevangeliums sagt ausdrücklich: „Der Vater ist größer als ich" (14,28) und spricht von dem Vater als dem „allein wirklichen Gott" (17,3), hat doch der Sohn alles, was er hat, vom Vater erhalten (3,35) : „Der Vater ist es, der mich verherrlicht" (8,54), der Vater hat den Sohn „geheiligt und in die Welt gesandt" (10,36). Dem entspricht, daß „der Vater den Sohn liebt und ihm alles zeigt, was er selbsttut" (5,20), so daß, „was jener tut, der Sohn in gleicher Weise tut" (5,19). Darum betont der johanneische Christus: „Ich habe nicht von mir aus geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir selbst ein Gebot gegeben, was ich reden und sagen soll" (12,49; vgl. 3,31 f.; 15,15) und: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, wenn er nicht den Vater etwas tun sieht" (5,19). Der Sohn redet und handelt also nicht unabhängig vom Vater, und es kommt alles darauf an, wie diese Teilnahme des Sohnes am Reden und Handeln des Vaters verstanden ist. Johannes beschreibt nun das Verhältnis des Vaters und des Sohnes in einer doppelten Weise. Der Vater und der Sohn stehen in der Gegenwart des irdischen Jesus in einem Verhältnis des Gebens und Nehmens: „Der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er selbst tut, und wird ihm [noch] größere Werke zeigen, damit ihr euch wundert" (5,20). Dem entspricht, daß „der Sohn in gleicher Weise tut, was jener tut" (5,19b), und daß „der, der aus Gott ist, die Worte Gottes hört" (8,47). Daß mit diesem Lieben des Vaters und diesem Tun und Reden des Sohnes, der den Vater tun sieht und reden hört, nicht ein Verhältnis beschrieben sein soll, das menschlich-väterlicher Zuneigung oder prophetischem Gehorsam analog zu begreifen wäre, zeigt sich darin, daß das gegenwärtige Sehen und Hören des Sohnes im präexistenten Sein des Sohnes beim Vater seinen Grund hat. „Was ich gehört habe beim Vater, sage ich" (8,38a) kann nur besagen, daß der irdische Jesus davon spricht, was er als Präexistenter beim Vater gehört hat (vgl. auch 1,18); und so heißt es auch: „Nicht daß jemand den Vater gesehen hat, außer dem, der von Gott ist; dieser hat den Vater gesehen" (6,46). Und 3,31 f. wird ausdrücklich gesagt: „Derjenige, der aus dem Himmel kommt, bezeugt, was er gesehen und gehört hat, und sein Zeugnis nimmt niemand an." Dieser Schau und diesem Hören des Präexistenten als der Wurzel des gegenwärtigen Bezeugens des Menschen Jesus aber liegt die von Ewigkeit her bestehende Erwählung des Sohnes durch den Vater zugrunde: „Ich [bin] in ihnen und du [bist] in mir, damit sie zu Einem voll-

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endet seien, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt und sie geliebt hast. Vater, für alles, was du mir gegeben hast, will ich, daß [dort], wo ich bin, auch jene mit mir sind, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich vor der Gründung der Welt geliebt hast" (17,23f.). Auch wenn im übrigen von der gegenwärtigen Liebe des Vaters zum Sohn die Rede ist (3,35; 5,20; 10,17), besagt 17,23 f. eindeutig, daß die Offenbarung des Vaters durch den Sohn an die Menschen auf der Zugehörigkeit des Sohnes zur göttlichen Welt und auf seiner Sendung aus der göttlichen Welt durch den Vater beruht. Damit erhebt sich aber noch einmal die Frage, wie sich Johannes diese Zugehörigkeit des Sohnes zum Vater und zugleich das Verhältnis des Menschen Jesus zu dem vom Vater gesandten „Sohn" des näheren vorstellt. Johannes spricht ja nicht nur von dem präexistenten Sohn gelegentlich als „Gott" (s. o.S. 240), sondern schildert auch den irdischen Jesus mit Zügen, wie sie die hellenistische Religiosität zur Charakterisierung von Menschen verwendete, die man mit göttlicher Macht begabt glaubte: Jesus verfügt über übernatürliche Kenntnisse von den Menschen (1,47f.; 4,24f.; 13,18 f.), er weiß über entfernte und zukünftige Ereignisse Bescheid (13,11.24—26), er kann durch ein einfaches Befehlswort Wasser in Wein verwandeln (2,7ff.). Was im Vergleich mit der synoptischen Darstellung Jesu aber noch auffälliger ist: der johanneische Jesus vermag eigentlich nicht zu beten, weil er schon weiß, daß er erhört ist, ehe er gebetet hat (11,41 f.), und die Furcht Jesu vor dem Tode, die die synoptische Gethsemaneszene spüren läßt, wird vom johanneischen Jesus beiseite geschoben zugunsten der Bitte um die Verherrlichung des göttlichen Namens (12,27f.). Aber so sehr alle diese Züge darauf hinzuweisen scheinen, daß im Johannesevangelium von einem Gottwesen und nicht von einem Menschen die Rede ist, so sehr täuscht doch dieser Eindruck. Johannes betont immer wieder die menschlichen Züge Jesu: Jesus hat Hunger und Durst (4,7.31), er ist müde, weint und wird zornig (4,6; 11,35.33), liebt Lazarus und seine Schwestern (11,5), ändert sogar seine Pläne (7,8.10). Dem entspricht, daß Johannes die Realität des Menschseins Jesu gleich zu Beginn des Evangeliums stark betont: „Das Wort wurde Fleisch" (1,14); denn „Fleisch" ist auch für Johannes das Kennzeichen des irdischen, sterblichen Menschen: „Was aus Fleisch geboren ist, ist Fleisch" (3,6). Darum kann Jesus von sich sagen: „Ihr sucht mich zu töten, einen Menschen, der ich euch die Wahrheit gesagt habe, die ich von Gott gehört habe", und gerade deswegen suchen die Juden Jesus zu töten (8,40). Sie werfen Jesus vor: „Wegen eines guten Werkes suchen wir dich nicht zu töten, sondern wegen einer Lästerung, und weil du, der du ein Mensch bist, dich zu Gott machst" (10,33, ähnlich 5,18; 19,7). Die Juden führen gegen Jesu Anspruch an, daß man doch die Eltern und Geschwister Jesu kennt und weiß, daß er nur aus Nazareth stammt (1,45; 2,1.12; 6,42; 7,3.5.27). Jesus ist für Johannes ohne Abstriche ein irdischer Mensch, und die bei Matthäus und Lukas begegnende Vorstellung von der vaterlosen Geburt Jesu kennt Johannes nicht und konnte sie auch nicht aufnehmen 16

Kümmel, Theologie

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Die johanneische Christusbotschaft

(die ganz vereinzelt bezeugte Lesart in 1,13 „der n i c h t . . . aus Manneswillen, sondern aus Gott geboren wurde", ist unzweifelhaft eine sekundäre Textänderung). Obwohl Johannes demnach das Menschsein Jesu völlig ernstnimmt, betont er die Einheit des irdischen Sohnes mit dem Vater („ich und der Vater sind eines", 10,30) in gleicher Weise wie die Einheit des zum Vater zurückkehrenden Sohnes mit dem Vater: „Ich bin nicht mehr in der W e l t . . . , und ich gehe zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eines sind wie wir" (17,11; vgl. 17,22). Er drückt diese Einheit durch die in allen Formen der Mystik verbreitete Gegenseitigkeitsformel aus: „Damit ihr erkennt, daß der Vater in mir [ist] und ich im Vater [bin]" (10,38); „Glaubst du nicht, daß ich im Vater [bin] und der Vater in mir ist?" (14,10; vgl. 14,11.20; 17,21.23). So kann der johanneische Jesus von sich sagen: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (14,9). Aber gerade diese Formulierung zeigt, daß die Einheit des irdischen Jesus mit dem Vater von Johannes nicht im Sinne einer Spekulation über die menschliche und die göttliche „Natur" Jesu Christi gemeint ist, so sehr diese und ähnliche Formulierungen später zu solchen Spekulationen Veranlassung gewesen sind. Denn das Wort vom Sehen des Vaters in Jesus hat in 12,45 eine charakteristisch abweichende Parallele: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat", und diese Rede von der Sendung des Sohnes durch den Vater ist zweifellos die häufigste Formulierung des Johannes für die Beziehung des Vaters und des Sohnes und läßt uns am deutlichsten erkennen, in welchem Sinn Johannes die Einheit des Vaters und des Sohnes verstanden wissen will. Es ist nicht nur ganz allgemein davon die Rede, daß „Gott den Sohn in die Welt gesandt hat" (3,17; l.Joh.4,9; „Wir haben gesehen und bezeugen, daß der Vater den Sohn als Retter der Welt gesandt hat", l.Joh.4,14), sondern der johanneische Jesus bezeichnet sehr häufig Gott als den „Vater, der mich gesandt hat" (5,37; 6,44; 12,49 usw.) oder den, „der mich gesandt hat" (4,34; 7,16 usw.), und nennt sich selbst den, „den der Vater gesandt hat", oder ähnlich (10,36; 3,34; 6,29 usw.). Mit diesen Formulierungen soll aber nicht nur gesagt sein, daß der Sohn den Vater offenbaren soll („Der, den Gott gesandt hat, der redet die Worte Gottes", 3,34; vgl. 8,16; 12,49; 17,18) und daß darum das Hören auf die Worte Jesu den Glauben an die Sendung des Offenbarers zur Voraussetzung hat: „Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und in Wirklichkeit erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und sie haben geglaubt, daß du mich gesandt hast" (17,8). Sondern diese Sendung des Sohnes bedeutet auch, wie schon die zuletzt angeführte Stelle beweist, daß der Sohn vom Vater ausgegangen und vom Vater her in die Welt gesandt ist: „Ich bin von Gott ausgegangen und bin da; denn ich bin nicht von mir selbst gekommen, sondern jener hat mich gesandt" (8,42); „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen" (16,28a); „Ich bin vom Himmel herabgestiepen, damit ich . . . den Willen dessen tue, der mich gesandt hat"

Der Sohn Gottes

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(6,38; vgl. 7,28 f.). Dieser Sendung des Sohnes vom Himmel in die Welt entspricht die Rückkehr zum Vater: „Jetzt gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat" (16,5); „Wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater" (16,28b; vgl.7,33). So gehören der sendende Vater und der gesandte Sohn untrennbar zusammen: „Ich bin nicht allein, sondern ich und [derjenige], der mich gesandt hat" (8,16); und darum sollen die Jünger „dich den allein wirklichen Gott und den, den du gesandt hast, Jesus Christus erkennen"; (17,3) „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat" (12,44f.). Das ist also der Inhalt der Offenbarung und darum der Gegenstand des Glaubens, daß der Vater den Sohn aus dem Himmel gesandt hat und der Sohn zum Vater zurückgekehrt ist. Wir haben früher gesehen, daß Johannes diese mythische Rede vom himmlischen Gesandten zusammen mit einem wesentlichen Teil seiner religiösen Sprache sehr wahrscheinlich aus einer gnostisch beeinflußten Gestalt des heterodoxen Judentums übernommen hat; ja, der Mythos vom herabsteigenden Erlöser ist wohl schon früher vom hellenistischen Christentum vor Paulus aufgenommen und auch von Paulus verwendet worden (s. o.S.235f., 106 f., 135f.). Aber erst bei Johannes hat die Rede von der Sendung des Sohnes und von dem Gesandten wirklich zentrale Bedeutung erhalten und ist zur eigentlichen Vorstellungsform geworden, die das Verhältnis von Vater und Sohn umfassend beschreibt. Aber nun muß in diesem Zusammenhang noch zweierlei beachtet werden. Das volle Menschsein des Sohnes, der vom Vater in die Welt gesandt wurde, steht für Johannes außer Zweifel, wie wir gesehen haben. Die ungläubigen Juden nehmen ja gerade an diesem Menschsein des Gesandten deswegen Anstoß, weil nicht Gott, sondern der Teufel ihr „Vater" ist (8,40-44a); und gerade die Bestreitung dieser Identität des Menschen Jesus mit dem Christus durch Irrlehrer bezeichnet Johannes im 1. Brief als Leugnung des Vaters und des Sohnes und damit als Werk des Antichristen (l.Joh.2,22f.; 4,2f.). Dieser Mensch Jesus ist ferner nach der Meinung des Johannes nicht nur zu einer ganz bestimmten Zeit aufgetreten, nämlich zur Zeit des Prokurators Pilatus (Joh. 18,19ff.), sondern auch am Ende dieser Weltzeit. Denn Johannes rechnet nicht nur ganz allgemein mit der „Wiederkunft" des Christus und dem kommenden Weltgericht (14,3; 5,28 f.) und der künftigen Auferstehung (6,54), sondern er beschreibt auch die bevorstehende Verfolgung der Christen als die Zeit der vormessianischen Schrecken (16,1—4), weiß sich also vor dem nahen Ende lebend. Dem entspricht auch die Angabe von 1.Joh. 2,18: „Kinder, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, daß [der] Antichrist kommt, so sind gerade jetzt viele Antichristen aufgetreten; daraus erkennen wir, daß es die letzte Stunde ist." Die Sprache des gnostischen Mythus von der Sendung des Sohnes und die darin zum Ausdruck kommende weitgehende Annäherung des Menschen Jesus an Gott will also dem Glauben Ausdruck geben, daß sich Gott ganz persönlich und endzeitlich in dem Menschen Jesus gezeigt und durch diesen Menschen geredet und gehandelt hat. So ist Jesus als „der Sohn" für Johannes die vollkommene 16*

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Gegenwart Gottes, weil er am Wirken des Vaters Anteil hat und Gott ausschließlich durch den Menschen Jesus den Menschen persönlich begegnet: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich" (14,6). Dabei hat Johannes den Menschen Jesus so nahe an Gott herangerückt, daß man nicht ohne eine gewisse Berechtigung bis heute immer wieder die Meinung vertreten hat, die johanneische „Herrlichkeitschristologie" nehme das Menschsein Jesu nicht mehr ernst. Aber mag die Gefahr einer solchen Mißdeutung bestehen, ein solches Verständnis widerspricht der klar erkennbaren Absicht des Evangelisten. Gerade weil er dem Glauben Ausdruck verleihen will, daß Gott in dem Menschen Jesus in vollkommener und endgültiger Weise geredet hat, scheut Johannes die Gefahr nicht, daß das Menschsein Jesu in seiner Darstellung Jesu von der Herrlichkeit des Gottessohnes überstrahlt und verdeckt wird. Aber das ändert nichts daran, daß auch Johannes von Gottes endzeitlichem Heilshandeln in dem Menschen Jesus Zeugnis ablegen will, und wir werden zu fragen haben, ob die sonstigen von Johannes gebrauchten christologischen Würdeprädikate dieses Verständnis der johanneischen Christologie bestätigen oder nicht. 3.3 Der Retter der Welt, der Prophet, der Herr Johannes verwendet außer den von ihm selbst in 20,31 als grundlegend gekennzeichneten Prädikaten des Gesalbten und des Sohnes Gottes eine große Zahl von Würdebezeichnungen für Jesus Christus, von denen aber mehrere nur gelegentlich und ohne eigentliche Betonung begegnen. So führt das Gespräch Jesu mit der Samaritanerin über den Messias zum „Retter der Welt" (4,42; traditionell durch „Weltheiland" wiedergegeben), und dieses Bekenntnis wird als das durch die Begegnung mit Jesus selbst gewonnene Bekenntnis der Samaritaner bezeichnet. Der Titel begegnet daneben im Neuen Testament nur noch in l.Joh.4,14: „Wir haben gesehen und bezeugen, daß der Vater den Sohn als Retter der Welt gesandt hat." Die Bezeichnung „Retter" wird zwar im Engelwort der lukanischen Geburtsgeschichte („Euch wurde heute der Retter geboren, der der Gesalbte, der Herr ist", Lk.2,11) und einmal von Paulus (aus dem Himmel „erwarten wir als Retter den Herrn Jesus Christus", Phil. 3,20) gebraucht, in beiden Fällen im jüdischen Sinn des erwarteten endzeitlichen Heilbringers. In den späten Schriften des Neuen Testaments dagegen begegnet „Retter" als Titel des Christus entsprechend dem Sprachgebrauch des Hellenismus, der mit diesem Titel die verschiedensten Götter, aber auch Menschen und vor allem den Kaiser bezeichnete. Völlig hellenistisch aber ist der allein von Johannes aufgenommene Titel „Retter der Welt", und Johannes gebraucht damit eindeutig eine für den hellenistischen Leser ohne weiteres verständliche Bezeichnung. Doch läßt sich aus der bloßen Erwähnung dieses Titels durch Johannes nicht mehr entnehmen, als daß Jesus für alle Menschen die Rettung bringt, wobei in l.Joh.4,14 der Vater ausdrücklich als der Urheber dieser Rettung durch den Sohn bezeichnet wird.

Der Weltretter und der Menschensohn

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Auch die Bezeichnung „der Prophet" (Joh. 6,14; 7,40), der in 7,41 deutlich vom „Gesalbten" unterschieden wird, läßt sich in diesem besonderen Sinn nicht näher bestimmen. Und auffällig ist, daß die für Paulus so wesentliche und auch im späteren Urchristentum geläufige Bezeichnung Jesu als „der Herr" (Kyrios) im Johannesevangelium (mit Ausnahme von 11,2) für den irdischen Jesus nicht begegnet (die Anrede „Herr" ist für Johannes bloße Höflichkeitsformel, wie 12,21 beweist), während vom Auferstandenen mehrfach als „dem Herrn" die Rede ist (20,2.13.18.25) und Thomas den Auferstandenen als „mein Herr und mein Gott" anredet (20,28). Eine überzeugende Erklärung dafür, warum Johannes die Bezeichnung „Herr" für den irdischen Jesus meidet („Maria, die den Herrn gesalbt hatte" 11,2 ist die Ausnahme; ist sie einer Unaufmerksamkeit zu verdanken, zumal die Salbung erst in 12,1 ff. berichtet wird, oder liegt ein Einschub vor?), ist bisher nicht gefunden worden, und in den Johannesbriefen fehlt der Titel auch. So läßt sich schwerlich mehr sagen, als daß Johannes den auferstandenen Jesus auch als „Herr" bezeichnen und anrufen kann. Aber diese drei vereinzelt vorkommenden Würdebezeichnungen helfen nicht weiter. 3.4 Der Menschensohn Auch für Johannes ist dagegen der Titel „der Sohn des Menschen" (Menschensohn) bedeutsam. Wir sahen, daß dieser Titel in den Synoptischen Evangelien nur im Munde Jesu begegnet und im übrigen Neuen Testament, abgesehen vom Johannesevangelium, nur noch in Apg. 7,56 vom sterbenden Stephanus gebraucht wird (s.O.S.68ff., 94f.). Da auch im Johannesevangelium dieser Titel nur in Jesusworten vorkommt - in der scheinbaren Ausnahme 12,34 greift die Menge die Aussage Jesu 12,23.32 nur auf - , charakterisiert er offensichtlich nicht die eigene Sprache des Evangelisten, auch in den Johannesbriefen begegnet der Begriff nicht. Man wird daher schwerlich bezweifeln könnnen, daß Johannes den Titel „der Sohn des Menschen" im Anschluß an die ihm bekannte Evangelientradition verwendet. Freilich hat Johannes dem Begriff eine andere Wendung gegeben, da von der endzeitlichen Erscheinung des Menschensohns ebensowenig die Rede ist wie von seiner irdischen Niedrigkeit. Vielmehr ist der johanneische Gebrauch des Begriffs durch eine doppelte Gedankenverbindung gekennzeichnet. Einmal ist der Begriff Menschensohn im Johannesevangelium mit der aus der Betrachtung des Begriffs „Gottessohn" schon bekannten Vorstellung von der Herkunft aus dem Himmel und der Rückkehr dorthin verbunden. „Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, dem Menschensohn. Und wie Moses die Schlange in der Wüste erhöhte, so muß der Menschensohn erhöht werden" (3,13f.). In diesem Text steht dem Herabsteigen des Menschensohns aus dem Himmel sowohl das zukünftige Erhöhtwerden (ebenso 8,28; 12,34; „Aufsteigen" 6,62; „Verherrlichtwerden" 12,23; 13,32) wie das vergangene Aufgestiegensein (ähnlich 13,31 „Jetzt wurde der Menschensohn verherrlicht") gegenüber, und das zeigt, daß Johannes sowohl vom Standpunkt des irdischen

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Jesus her den Aufstieg, die Erhöhung und Verherrlichung des Menschensohns als noch bevorstehend bezeichnen kann, wie er vom Standpunkt der glaubenden Gemeinde aus diese Rückkehr des Menschensohns in den Himmel als schon geschehen beschreibt. Der Begriff des Menschensohns dient demnach Johannes im wesentlichen dazu, die Person des irdischen Jesus vom Glauben der Gemeinde an seine Auferweckung und Erhöhung her verständlich zu machen. Dementsprechend sagt der johanneische Jesus, daß der Menschensohn schon jetzt das volle Heil schenkt: „Verschafft euch . . . die Speise, die für das ewige Leben bleibt, die der Menschensohn euch gibt; denn ihn hat Gott versiegelt" (d.h. bestätigt, 6,27; vgl.6,53). Ebenso kann der geheilte und zum Glauben an den Menschensohn gekommene Blindgeborene mit den "Worten: „Ich glaube, Herr" anbetend vor Jesus niederfallen(9,35.38). Aber der johanneische Jesus beansprucht ebenfalls, daß ihm das kommende Gericht übertragen ist, „weil er Menschensohn ist" (5,26f.). Auch hier wird also der gegenwärtige Menschensohn als Heilbringer in der Gegenwart beschrieben, ohne daß die zukünftige Heilsvollendung durch den Menschensohn übergangen wäre. Indem Johannes die ihm überlieferte Gestalt des Menschensohns mit dem Mythos vom herabsteigenden und aufsteigenden Erlöser verbindet, dient ihm der Titel Menschensohn in erster Linie zur Beschreibung der gegenwärtigen Herrlichkeit Jesu Christi. In diesen Zusammenhang hat man wohl auch das allen anderen Menschensohnaussagen des Johannesevangeliums gegenüber isolierte Wort 1,51 zu stellen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen sehen auf den Menschensohn." Von einem durch Engel vermittelten Verkehr Jesu mit Gott ist sonst im Johannesevangelium nirgendwo die Rede, und von der den Jüngern hier verheißenen Schau des offenen Himmels wird auch nichts berichtet. Es ist darum zu vermuten, daß Johannes dieses Menschensohnwort übernommen hat, um damit den Tatbestand auszudrücken, daß schon der irdische Menschensohn über die Engel verfügt, also an der göttlichen Herrschaft Anteil hat. So betont auch dieses Wort die volle Gegenwart des göttlichen Handelns in dem Menschen Jesus. Denn auch der gegenwärtige Menschensohn hat seine Macht von Gott erhalten (5,26 f.), und seine Herrlichkeit ist nur für den Glaubenden zu erkennen (1,50 f.; 9,35-38) und wird erst durch den Tod des Menschen Jesus vollendet (12,23 f.). Auch dieser Titel dient dazu, den geschichtlichen Jesus als den vollkommenen Offenbarer Gottes zu beschreiben. Freilich könnte an diesem Urteil die Tatsache zweifeln lassen, daß es im Zusammenhang der Menschensohnworte 8,28 heißt: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin und von mir selbst nichts tue, sondern dementsprechend wie mich der Vater gelehrt hat, so rede." Dieses sprachlich auffällige „ich bin es" ohne Zusatz ist von Johannes deutlich als Titel gemeint, wie 8,24 beweist: „Wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin, werdet ihr in euern Sünden sterben" (ähnlich 13,19).

Der Logos (das Wort)

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Diese auffällige Kennzeichnung findet sich sonst nur im Alten Testament und im apokalyptischen Judentum als Selbstbezeichnung des einen Schöpfergottes: „Den Gott der Götter und den Schöpfer suchst du im Sinne deines Herzens, ich bin es" (Apok. Abraham 8,4), sie scheint aber auch als „messianische" Selbstprädikation gebraucht worden zu sein, wie die Polemik gegen falsche Heilbringer in Mk. 13,6p. beweist: „Viele werden kommen in meinem Namen und sagen: ,Ich bin es' und werden viele in die Irre führen." Wenn der johanneische Jesus diese alttestamentlich-jüdische Gottesbezeichnung auf sich bezieht, kann das nur den Sinn haben, daß er sich an die Stelle Gottes setzen will. Aber auch hier wird das Menschsein Jesu nicht wirklich aufgehoben. Denn einerseits wird ja gerade in 8,28 (s.o.) die völlige Abhängigkeit des erhöhten Menschensohns, der von sich sagen kann: „Ich bin es", vom Vater betont, und andererseits wird in 13,19 f. mit dem Glauben an das „Ich bin es" die Feststellung verbunden: „Wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat." Wenn Johannes mit der Einführung dieses alttestamentlich-jüdischen Gottesprädikats für Jesus den Anspruch erhebt, daß Gott selbst in dem Menschen Jesus begegnet, so hat er doch auch in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß Gott sich in dem Menschen Jesus vollkommen sichtbar macht, und er hat darum auch hier Jesus nicht einfach mit Gott gleichgesetzt oder als Gottwesen hingestellt. 3.5 Das W o r t (Der Logos) Aber widerlegt der Prolog des Johannesevangeliums diese Anschauung nicht doch endgültig, indem er den Menschen Jesus nicht nur als „Gott" bezeichnet, sondern zu seiner Kennzeichnung den Begriff „der Logos", d.h. das Wort, einführt? Aus der Tatsache, daß Johannes mit diesem Begriff sein Evangelium beginnt, ohne ihn dann weiterhin zu verwenden, hat man oft geschlossen, daß „alle anderen christologischen Titel bei Johannes im Grunde nur der Auslegung dieses einen fundamentalen Titels" dienen (H. Conzelmann), und man hat darum diesen Begriff zum Auslegungsschlüssel für das johanneische Christusbild gemacht. Das ist nun freilich sehr prekär angesichts des Sachverhalts, daß das griechische Wort „der Logos" im übrigen Evangelium außerhalb des Prologs (1,1-18) sehr häufig begegnet, aber ausschließlich zur Bezeichnung des Redens Jesu oder anderer Menschen (z.B. 5,24; 4,39) ohne irgendeinen spezifischen Sinn. Auch im 1. Johannesbrief, der mit dem Satz beginnt: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir geschaut und unsere Hände betastet haben, betreffs des Lebenswortes . . . , das verkündigen wir euch" (1,1.3), bezeichnet sonst „der Logos" ebenfalls nur göttliches und menschliches Reden. Was Johannes mit dem das Evangelium und (etwas abgewandelt) den 1. Brief einleitenden Begriff „der Logos" ausdrücken will, ergibt sich darum gerade nicht aus dem Sprachgebrauch des ganzen Evangeliums, aber auch nicht aus den wenigen Aussagen des Prologs, sondern nur aus dem Evangelium als ganzem, und es ist zweifellos

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richtig, daß „das Evangelium nicht von dem Begriff,Logos' her interpretiert werden darf, sondern daß wir diesen Begriff im Lichte des ganzen Evangeliums verstehen müssen" (W.F.Howard). Immerhin läßt sich nicht übersehen, daß Johannes sein Evangelium mit diesem Begriff einleitet und darum mit ihm etwas Wesentliches sagen will, was der Leser des Evangeliums im Bewußtsein behalten soll, wenn er das Weitere liest. Aber was soll der Leser im Bewußtsein behalten? Die Antworten auf diese Frage gehen darum weit auseinander, weil ein sicheres Verständnis des Prologs im einzelnen nur möglich ist, wenn vorher drei Probleme gelöst sind, deren Lösung bis heute nur annäherungsweise gelungen ist. Joh. 1,1-18 bildet zwar insofern gegenüber der Fortsetzung eine deutliche Einheit, als die konkrete Erzählung erst mit 1,19 beginnt. Aber während V. 1 - 5 . 9 - 1 3 . 1 6 - 1 8 allgemeine Aussagen machen, deren Beziehung zum irdisch-geschichtlichen Geschehen nur durch den Eigennamen Jesus Christus 1,17 angedeutet wird, reden V. 6 - 8 und 15 von dem Auftreten der geschichtlichen Person des Täufers Johannes, freilich ohne ihn genauer zu identifizieren oder Konkretes von ihm zu berichten; und V. 14 weist mit der Aussage von der Fleischwerdung des Wortes offensichtlich auch auf ein geschichtliches Ereignis hin, doch ebenfalls ohne es konkret zu kennzeichnen. Macht somit der Prolog einen zusammengesetzten Eindruck, so ebenfalls von der Betrachtung des Stiles der einzelnen Aussagen her, der teilweise hymnisch-bekenntnismäßig, teilweise referierend ist. Aufgrund dieser Beobachtungen hat man zahlreiche Versuche unternommen, einen Hymnus zu rekonstruieren, den der Verfasser des Evangeliums in seinen Prolog aufgenommen und erweitert hätte, während andere Forscher den ganzen Prolog als vom Verfasser des Evangeliums formuliert interpretieren wollen. Da wir aber keine sicheren methodischen Argumente für die Rekonstruktion eines möglicherweise zugrunde liegenden Textes zur Verfügung haben, hat sich keine dieser Hypothesen wirklich überzeugend begründen lassen, und so muß die Frage vorläufig offenbleiben, ob in dem johanneischen Prolog eine Vorlage verarbeitet ist, die die Brüche im Gedankengang und Stil erklären würde, und die Auslegung des Prologs muß auf alle Fälle versuchen, den Text in seinem überlieferten Umfang im Sinne des Verfassers des Evangeliums zu verstehen. Sucht man den Text aber in seinem überlieferten Wortlaut und Umfang zu verstehen, so drängen sich vor allem zwei Fragen auf. Es ist seit jeher unklar gewesen, von welcher Gestalt in der ersten Hälfte des Prologs die Rede ist, da erst 1,14 („Das Wort wurde Fleisch") eindeutig auf den Menschen Jesus verweist. Versucht man aber, aus diesem Grunde den Text bis 1,14 von dem „Wort" vor der Fleischwerdung zu verstehen, so wirkt die Aussage über den Täufer Johannes in V . 6 - 8 als störender Einschub. D.h. die Fragen, von wem in Joh. 1,1-13 eigentlich die Rede sei, und warum in 1,6-8 plötzlich der Täufer erwähnt wird, gehören zusammen und lassen sich nur gemeinsam beantworten. Nun zeigt die Art und Weise, wie der Täufer in 1,6 eingeführt wird („Es trat ein Mensch auf, der von Gott ge-

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sandt war, sein Name war Johannes"), daß der Verfasser des Evangeliums annehmen kann, daß der Leser ohne weiteres weiß, von wem die Rede ist, und ganz entsprechend setzt der Verfasser offenbar auch voraus, daß der Leser von Anfang an weiß, wer mit der Bezeichnung „das Wort" gemeint ist. D.h. der Leser soll zweifellos von dem Augenblick an, in dem auf ein innerweltliches Geschehen verwiesen wird, an das „Wort" denken, das Fleisch wurde und Jesus Christus hieß (1,14.17), und das ist der Fall in der Aussage: „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht aufgenommen" (1,5). Wenn aber von 1,5 an andeutend von dem Geschehen die Rede ist, von dem 1,14-18 eindeutig spricht, dann bleibt der Hinweis auf das Auftreten des Zeugen Johannes des Täufers in 1,6-8 zwar stilistisch hart, aber sachlich verständlich. Doch ist auch diese Antwort auf die beiden zusammenhängenden Fragen, von wem in 1,1-13 die Rede ist und warum in 1,6-8 der Täufer unvermittelt erwähnt wird, nur eine einleuchtende Hypothese, und infolgedessen bleibt die Auslegung des gesamten Textes 1,1-18 unsicher. Diese Unsicherheit hat schließlich darin ihren Grund, daß wir nicht genau wissen, aus welchem geistigen Bereich der von Johannes aufgenommene Begriff „der Logos" (d.h. „das Wort") stammt und welche Vorstellungen die Leser mit diesem ihnen bekannten Begriff verbanden oder verbinden sollten. Wir sahen, daß Johannes den Begriff „der Logos" als Personbezeichnung im übrigen Evangeliuni außerhalb des Prologs nicht gebraucht, daß dieser Begriff also nicht eine ihm geläufige Ausdrucksform seines Christuszeugnisses ist. Andererseits verwendet er den Begriff im Prolog betont und setzt voraus, daß die Leser ihn ohne Erklärung verstehen. Nun erinnert der Begriff „der Logos" den mit der antiken Kultur Vertrauten zunächst an die griechische Philosophie und die damit zusammenhängende hellenistische Religiosität, in der Logos als Bezeichnung der Weltvernunft vielfältig begegnet, freilich ohne personhaften Charakter anzunehmen. Personhaftem Charakter nähert sich der Begriff aber im hellenistischen Judentum („Dein allmächtiges Wort sprang vom Himmel in die Mitte der Erde", Weish. Sal. 18,15), und man hat daher vielfach den Ursprung des johanneischen Logosbegriffs in diesem Bereich finden wollen. Aber dagegen spricht, daß die mythische Aussage „[das Wort] kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen es [oder ihn] nicht auf" (1,11) sich von dieser Annahme aus nicht erklärt. Auch der für das palästinisch-rabbinische Judentum grundlegende Glaube an das Gesetz als Schöpfungsmittler und Spender von Leben und Licht bietet eine gewisse Parallele zu den johanneischen Aussagen über den Logos. Aber das Gesetz ist im palästinischen Judentum nie personifiziert worden, und auch von da aus erklärt sich überdies die mythische Aussage des Prologs nicht. Dagegen bestehen nun zweifellos auffällige Parallelen zwischen den Aussagen des johanneischen Prologs über das Wort und den Spekulationen des palästinischen und hellenistischen Judentums über „die Weisheit". Von der Weisheit erzählte man, daß sie von Gott vor der Weltschöpfung erschaffen wurde und bei der Weltschöpfung beteiligt gewesen sei, daß Gott sie in die Welt

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schickte, um das Licht der Menschen zu sein, daß die Menschen aber die Weisheit ablehnten und daß die Weisheit darum zu Gott zurückkehrte (vgl. etwa Spr. 8,22.27; Jes.Sir.24,3.8; Aeth.Hen.42, s. „Umwelt des Urchristentums" H [s. o. S. 9], S. 193). In dieser jüdischen Weisheitsspekulation sind die mythologischen Vorstellungen zerstreut erhalten, die wir im Prolog finden, freilich sind sie nicht mit „dem Wort" in Verbindung gebracht. Da aber der Weisheitsmythus offensichtlich eine jüdischem Denken angepaßte Form des in der gnostischen Religiosität beheimateten Mythos vom herabsteigenden Erlöser gewesen ist, kann man vermuten, daß in den Kreisen jüdischer Gnosis, von denen die johanneische Vorstellungswelt allgemein beeinflußt war (s. o. S. 235 f.), der Mythos vom herabsteigenden Erlöser auch mit „dem Wort" in Verbindung gebracht worden war. Aber das bleibt eine Vermutung, und so wissen wir auch an diesem Punkte nicht genau Bescheid, welche Vorstellungen Johannes bei seinen Lesern voraussetzen konnte. Trotz dieser Unsicherheiten läßt sich die Gedankenfolge des Prologs aber in der Hauptsache folgendermaßen umschreiben: Als die Welt geschaffen wurde, gab es schon „das Wort", und dieses Wort „war bei Gott", ja Johannes kann sogar sagen: „Das Wort war Gott", ohne damit eine Identifizierung vollziehen zu wollen. Die Schöpfung in ihrem ganzen Umfang ist mit Hilfe des Wortes geschaffen worden, nichts Geschaffenes ist davon ausgenommen: „ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist" (1,3; vgl. 1,10). Darum haben auch die Menschen ihr Leben und zugleich ihr Heil vom Wort: „Das Leben war das Licht der Menschen" (1,4). Diese allgemeine Aussage wird nun konkret mit der Feststellung, daß dieses Licht in der Welt sichtbar geworden ist, aber keine Aufnahme fand (1,5). Das bezieht sich schwerlich auf den Sündenfall, sondern auf das Unverständnis, das dem in Jesus sichtbar gewordenen Licht (Praesens: „Das Licht scheint in der Finsternis!") begegnete (vgl. 1,10). Wenn nun anschließend 1,6-8 vom Auftreten und Zeugnis des Johannes (des Täufers) für das Licht die Rede ist, so zeigt die dabei begegnende Zielangabe („damit alle durch ihn glaubten", 1,7), daß man an dieses Licht ohne Zeugnis nicht glauben kann; und zugleich ergibt sich aus der Abwehr: „Jener war nicht das Licht" (1,8), daß die Zwischenbemerkung über den Täufer an dieser Stelle auch einen polemischen Zweck hat: es soll die Einschätzung des Johannes als Heilbringer abgewehrt werden, die dessen Anhänger zur Zeit der Abfassung des Johannesevangeliums vertraten (vgl. auch Joh. 1,15.20-23; 3,28; 5,35f.). Nach diesem Vorgriff auf die eigentliche Erzählung kehrt 1,9-11 zu der Feststellung zurück, daß das Wort als Weltschöpfer in die Welt kam und so bei den zu ihm gehörigen Menschen erschienen ist und nicht anerkannt wurde. Die Menschen haben in der Person Jesu also nicht das Licht erkannt, von denjenigen abgesehen, die zum Glauben kamen und dadurch neugeboren und Gottes Kinder wurden (l,12f.). Eine präzisierende Parallelaussage zu 1,5-13 in 1,14 sagt nun unmißverständlich: das Wort wurde ein sterblicher Mensch und nahm unter den Menschen seine Wohnung. Wenn dem angefügt wird: „und wir sahen seine

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Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, die dem Einzigen [Sohn] vom Vater her [zukommt], voll von Gnade und Wahrheit", so kann damit nicht gemeint sein, daß jedermann diese Herrlichkeit sehen konnte, sonst hätte sich ihr ja niemand verschließen können; diese Herrlichkeit konnten nur diejenigen sehen, „die an seinen Namen glaubten" (1,12c). Von diesen Glaubenden wird dann 1,16 ausdrücklich gesagt, daß ihnen in Jesus Christus Gnade und Wahrheit als ein Geschehen begegnet sind, wodurch zugleich das Gesetz des Moses überboten wurde. Wenn vor dieser Feststellung in 1,15 noch einmal auf das Zeugnis des Täufers verwiesen wird, so soll dessen Aussage: „Dieser war [derjenige], von dem ich gesagt habe: der nach mir Kommende war mir überlegen, weil er früher war als ich" wohl betonen, daß das Fleisch gewordene Wort als das ewige Wort dem Auftreten des Täufers zeitlich voraus und damit sachlich überlegen war. Die ganze Aussagenreihe wird abgeschlossen mit dem lapidaren Satz: „Gott hat keiner jemals gesehen; ein Einziger, Gott, der an der Brust des Vaters ist, er hat [von ihm] Kunde gebracht" (1,18). Von dem unmittelbar vorher genannten Jesus Christus wird also gesagt, daß er das verkünden konnte, was sonst kein Mensch jemals verkünden konnte, weil kein Mensch Gott je gesehen hat: eben Gott selbst. Denn dieser Jesus Christus war der einzige, von dem man sagen kann: er ist „Gott" und ist immer in unmittelbarer Nähe des Vaters, selbst als Mensch war er „an der Brust des Vaters". Daß Johannes hier von Jesus Christus in der Sprache des Mythus redet, leidet keinen Zweifel: „das Wort" ist eine ewige göttliche Person, von der ein menschliches, geschichtliches Handeln ausgesagt wird (s.o.S. 152f.).Das Verhältnis „des Wortes" zu Gott wird in dieser mythischen Sprache so beschrieben, daß die Gleichsetzung des Wortes mit Gott vermieden, das Wort aber trotzdem unmittelbar neben Gott gestellt wird. Diese mythische Rede hat darum immer wieder den Eindruck der geschichtslosen Spekulation gemacht und für die christologische Spekulation der frühen Kirche mancherlei Stoff geliefert. Aber so sehr Johannes hier mythische Sprache gebraucht, so wenig handelt es sich doch um Spekulation. Denn alles, was vom ewigen „Wort" gesagt wird, dient zwar dazu, den Menschen Jesus in seiner einzigartigen und letztlich unbeschreibbaren Beziehung zu Gott sichtbar zu machen, es dient aber gerade nicht der Schilderung dieses Menschenlebens selber: „So überraschend der Verfasser den erhöhten und den irdischen Erlöser ineinander sieht, so daß der Verklärte auch schon den Irdischen verklärt, so sorgfältig vermeidet er es doch, die Logos-Bezeichnung nach 1,14 noch je auf den Christus anzuwenden" (F. Gaugier). Versteht man den Prolog im Sinne des Evangelisten, so gefährdet die Rede vom „Wort" das Menschsein Jesu keineswegs, weil es dieses Menschsein voraussetzt und von dieser Voraussetzung aus den Menschen Jesus Christus zu verstehen sucht. Es ist auch ganz deutlich, warum Johannes zu Beginn seines Evangeliums den traditionellen Begriff des „Wortes" aufnimmt: er will mit der letztmöglichen Eindeutigkeit bezeugen, daß der Mensch Jesus, von dessen Herrlichkeit das Evangelium berichten wird, Gottes eigenes Handeln ver-

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körpert. Daß der Schöpfer selbst in Jesus Christus redend und handelnd in Erscheinung getreten ist, das besagt sowohl der Prolog des Evangeliums („Das Wort kam in sein Eigentum . . . Das Wort wurde Fleisch, und wir sahen seine Herrlichkeit", 1,11.14) wie der „Briefeingang" des 1. Johannesbriefes: „Was von Anfang an war . . . , was wir gesehen und unsere Hände betastet haben, betreffs des Lebenswortes . . . , das verkündigen wir euch" (l.Joh. 1,1.3). Daß sich in Jesus Christus Gottes vollkommenes Reden vollzog und vollzieht, sagt das Neue Testament auch sonst: „Gottes Sohn Jesus Christus . . . war nicht Ja und Nein, sondern in ihm war [nur] Ja; denn was es an Verheißungen Gottes gibt, [ist] in ihm Ja [geworden]" (2.Kor. 1,19ff.); „Nachdem Gott auf viele Weisen und viele Arten einst zu den Vätern durch die Propheten gesprochen hat, hat er jetzt am Ende der Tage zu uns gesprochen durch den Sohn" (Hebr. 1,1 f.); „Und ich sah den Himmel offen, und siehe, ein weißes Pferd, und [derjenige,] der darauf sitzt, heißt Treu und Wahrhaftig . . . , und sein Name lautet: Das Wort Gottes" (Offb.19, 11.13). Aber der Prolog des Johannesevangeliums - und in etwas anderer Weise der Briefeingang des 1. Johannesbriefes - geht darüber hinaus, daß er den Menschen Jesus den sich offenbarenden Gott selber nennt und damit die Person Jesu, nicht nur seine Worte, meint. Das ist gewiß eine letztmögliche Aussage, die nicht logisch auseinandergelegt, sondern nur geglaubt werden kann. Aber es ist eine Aussage, die das Menschsein Jesu voll und ganz ernst nimmt; „Wir bekommen nicht eine Lehre über Gott, sondern werden Gott selbst konfrontiert, und zwar in der Welt" (H. Conzelmann). Darum stellt Johannes bereits im Prolog neben die Prädikate, die auch im folgenden Jesus Christus in seinem Verhältnis zu Gott kennzeichnen (der Sohn, der Menschensohn, das Wort) eine Anzahl von Begriffen, die Jesu Heilsbedeutung erkennen lassen: Leben, Licht, Wahrheit, und ihnen stellen sich im weiteren Evangelium noch ähnliche Begriffe an die Seite. 3.6 Der Heilbringer Diese eben genannten Begriffe nimmt der johanneische Jesus für sich in Anspruch mit der Formel „Ich bin", ergänzt durch abstrakt gebrauchte Bildworte: das Lebensbrot (6,35); das Licht der Welt (8,12); die Tür (10,7); der Hirte (10,11); die Auferstehung und das Leben (11,25); der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6); der Weinstock (15,1). Bei orientalischen Göttern und hellenistischen Rettergestalten, aber auch beim Gott des Alten Testaments (5.Mos. 32,39) und bei der jüdischen Weisheit (Jes. Sir. 24,18) begegnen Selbstvorstellungen und Selbstempfehlungen in der Form von „Ich-bin"-Aussagen häufig. Freilich ist die johanneische Beifügung abstrakter Bilder durchaus ungewöhnlich und hat nur in gnostischen Texten eine Parallele. Aber ohne Parallele auch in solchen verwandten Texten sind die in diesem Zusammenhang bei Johannes begegnenden qualifizierenden Adjektive: „Ich bin der rechte Hirte" (10,11); „Ich bin der wirkliche Weinstock" (15,1); vgl. auch: „das wirkliche Licht kam in die Welt" (1,9). Diese Adjektive grenzen Jesus von andern Gestalten ab, die

Der Heilbringer

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zu Unrecht auch als Heilbringer in Anspruch genommen werden. Ohne Parallele im Zusammenhang derartiger Selbstempfehlungen sind ebenfalls die bei Johannes mehrfach sich anschließenden Nachsätze, die auf die Heilsbedeutung Jesu noch besonders hinweisen: „Wer mir nachfolgt, wird nicht in Finsternis wandeln . . . " (8,12b); „Wer durch mich eintritt, wird gerettet werden" (10,9b; ähnlich 6,35b; ll,25b.26; 14,6b; 15,5b). D.h. Jesus erhebt mit Hilfe der „Ich-bin"-Formel bei Johannes den ausschließenden Anspruch, daß nur durch ihn das endgültige Heil vermittelt wird. Am häufigsten begegnet im Zusammenhang der „Ich-bin"-Formel das Heilsprädikat „das Leben": „Ich bin das Lebensbrot" (6,35.48.51a); „Ich bin die Auferstehung und das Leben" (11,25); „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (14,6). Aber schon im Prolog war vom Wort gesagt: „In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen" (1,4), und in verwandten Bildern ist davon die Rede, daß Jesus „lebendiges Wasser" zu geben vermag (4,10f.l4) und „Worte ewigen Lebens" hat (6,68). So heißt es dann auch im 1. Johannesbrief: „Dieser [Jesus Christus] ist der wirkliche Gott und ewiges Leben" (5,20). Daß die Gottheit im Besitz des Lebens ist und göttliches Leben zu spenden vermag, ist die Uberzeugung vieler antiker Religionen, auch des Judentums, und darum bekennen die johanneischen Aussagen, die dem Christus das Leben zuschreiben, natürlich zunächst auch nur, daß Jesus Christus zur Welt Gottes gehört und Gottes Leben vermitteln kann. Aber Johannes betont nun ausdrücklich, daß der Sohn dieses Leben vom Vater erhalten hat: „Wie der Vater Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben in sich zu haben" (5,26); „Das Leben ist offenbart worden, und wir sahen und bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde" (l.Joh. 1,2). Außerdem wird in Joh. 11,25 („Ich bin die Auferstehung und das Leben") die Auferstehung neben das Leben gestellt und damit deutlich gemacht, daß der irdische Jesus das Leben hat und geben kann nur als derjenige, der durch den Tod und die Auferstehung zum Vater erhöht worden ist, d.h. als der Mensch, den der Vater liebt, weil „ich mein Leben hingebe, um es wieder zu erhalten" (10,17). Mit dem Heilsprädikat „Leben" hängt „das Licht" eng zusammen, wie schon der Prolog zeigte: „Das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis . . . Das wirkliche Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt" (1,4.5.9). So nennt sich Jesus das Licht für die Welt: „Ich bin das Licht der Welt" (8,12); „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt" (9,5); „Ich bin als Licht in die Welt gekommen" (12,46); „Das Licht ist in die Welt gekommen" (3,19; vgl. 12,35f.). Daß mit diesen Aussagen zunächst ebenfalls die Zugehörigkeit Jesu Christi zur Gotteswelt bezeichnet werden soll, ergibt sich schon daraus, daß in l.Joh. 1,5 auch Gott selbst als Licht beschrieben wird: „Gott ist Licht, und in ihm ist keinerlei Finsternis." Aber die entscheidende Aussage ist auch hier, daß das göttliche Licht in die Welt gesandt worden ist in der Person Jesu und daß man durch die Begegnung mit Jesus als dem Licht der Finsternis ent-

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Die johanneische Christusbotschaft

rinnen kann: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat. Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt" (Joh. 12,45f.). D.h. die Erscheinung des göttlichen Lichtes in der Welt ist an die Geschichte des Menschen Jesus in ihrer zeitlichen Begrenztheit gebunden: „Das wirkliche Licht scheint schon" (l.Joh.2,8b); (die Menge fragt:) „,Wer ist dieser Menschensohn?' Jesus sagte nun zu ihnen: ,Noch eine kurze Zeit ist das Licht unter euch'" (Joh. 12,34b.35a). Wenn der Mensch dem göttlichen Licht begegnen will, muß er sich an diese Zeit der Heilsoffenbarung Gottes halten: „Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Kinder des Lichtes werdet" (12,36a). Das dritte im Prolog begegnende Heilsprädikat des Christus ist „die Wahrheit": „Wir sahen seine Herrlichkeit, . . . voll von Gnade und Wahrheit" (1,14b.c). Auch dieses Prädikat nimmt der johanneische Jesus direkt für seine Person in Anspruch: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (14,6), und auch mit diesem Begriff will Johannes das Offenbarungsgeschehen beschreiben: „Das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit geschah durch Jesus Christus" (1,17). Aus diesen Aussagen ergibt sich deutlich, daß für Johannes Jesus nicht nur der Verkünder der göttlichen Wahrheit ist, das ist Jesus für Johannes natürlich auch (vgl. 18,37: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen"; vgl. 8,40); Jesus ist vielmehr für Johannes die Wahrheit selber. Diese Aussage ist aber nur verständlich, wenn man sich klarmacht, daß Johannes mit „Wahrheit" nicht im griechischen Sinn die gewußte Wirklichkeit hinter den Dingen, aber auch nicht einfach im alttestamentlichen Sinn das Beständige, Geltende bezeichnet, sondern Gottes Wirklichkeit: „Ich habe euch die Wahrheit gesagt, die ich von Gott gehört habe,, (8,40; vgl. 18,37, s.o.). In der Bitte Jesu an den Vater heißt es darum: „Heilige sie durch die Wahrheit, dein Wort ist Wahrheit" (17,17). Daß Jesus „die Wahrheit" ist, besagt darum zunächst auch, daß er zu Gott gehört. Es besagt dann aber vor allem, daß in Jesus Gott ganz personhaft hörbar geworden ist und daß den Menschen durch die Begegnung mit dieser personhaft erschienenen Wahrheit Heil zuteil werden soll: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr in Wahrheit meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen" (8,32). Neben diese schon im Prolog vorkommenden Heilbringerprädikate treten nun im eigentlichen Evangelium noch einige weitere Bezeichnungen. In der Hirtenrede Joh. 10 sagt Jesus zunächst von sich: „Ich bin die Tür für die Schafe" (10,7); vgl. 10,9: „Ich bin die Tür, wer durch mich eingeht, wird gerettet werden." Das selten begegnende Bild von der Tür als dem Eingang zum Heilsbezirk besagt wie das verwandte Bild vom Weg („Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", 14,6a), daß allein Jesus den Zugang zum Heil, zum Vater („niemand kommt zum Vater außer durch mich", 14,6b), zum Leben (vgl. 10,10b) vermittelt, betont also, daß Jesus der ausschließliche Heilsmittler ist. Unmittelbar daneben stellt Joh. 10,11 das Bild vom Hirten: „Ich bin der rechte Hirte" (10,11.14), das in vielen Religionen

Der Heilbringer

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und auch im Alten Testament als Beschreibung der beschützenden Funktion der Gottheit gebraucht wird. Der johanneische Gebrauch des Bildes für Jesus weist aber zwei Besonderheiten auf: einmal wird die Bereitschaft des Hirten zum Einsatz seines Lebens für die Schafe betont (10,IIb.15b), zum anderen ist die Beziehung zwischen Hirt und Schafen dadurch charakterisiert, daß Hirt und Schafe sich gegenseitig kennen: „Ich kenne die meinen [erg.: Schafe], und die meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne" (10,14b.l5a). Jesus ist also einerseits der rechte Hirte, weil er in den Tod geht für seine Herde, weil er die Jünger durch die Hingabe seines Lebens (10,18) vor dem Verderben (10,12) beschützt. Jesus ist andererseits der rechte Hirte, weil er und die Jünger sich gegenseitig sicher kennen, wie der Hirt und seine Herde sich kennen (so sagt es das Bild 10,3b.4). Dieses gegenseitige Kennen Jesu und der Jünger aber hat seinen Grund in der engen wechselseitigen Beziehung zwischen Jesus und dem Vater. D.h. die Gemeinschaft Jesu mit dem Vater begründet die Gemeinschaft der Jünger mit Jesus, und Jesus ist der rechte Hirte, weil er nach des Vàters Willen sein Leben für die Seinen einsetzt: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben einsetze, um es wieder zu erhalten. Niemand hat es von mir genommen, sondern ich setze es von mir aus ein. Ich habe die Macht, es einzusetzen, und habe die Macht, es wieder [an mich] zu nehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater erhalten" (10,17f.). Wie so das Bild vom Hirten die Gemeinschaft der Jünger mit Jesus zum Ausdruck bringt, so in etwas anderer Wendung auch das Bild des Weinstocks: „Ich bin der wirkliche Weinstock . . . Ich bin der Weinstock, ihr [seid] die Zweige. Wer an mir bleibt und ich an ihm, der trägt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun" (15,la.5). Die Schilderung, wie der Weingärtner mit dem Weinstock verfährt (15,1 f.6), erinnert an das alttestamentliche und frühjüdische Bild vom Volk Israel und von der Weisheit als Gottes fruchttragendem oder unfruchtbarem Weinstock, doch ist der Heilbringer nur in späten gnostischen Texten als Weinstock bezeichnet. Bei Johannes wird Jesus in weiter nicht ausgeführter Abgrenzung gegen falsche Heilbringer als der Heilbringer geschildert, von dem die Jünger allein ihre Kraft erhalten. Jesus wirkt als der wirkliche Weinstock aber durch sein Wort: „Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich euch gesagt habe" (15,3); „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr beten, was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden" (15,7). D.h. das Bild vom Weinstock beschreibt nicht so sehr Jesu Beziehung zum Vater - das geschieht andeutungsweise 15,1b - als vielmehr Jesus als den Offenbarer, der des Vaters Willen den Jüngern übermittelt: „Ich habe euch Freunde genannt, weil ich euch alles mitgeteilt habe, was ich von meinem Vater gehört habe" (15,15). Weil dieses Bild Jesus vor allem als den Offenbarer schildert, vollzieht sich das Bleiben der Jünger am Weinstock vor allem im gehorsamen Hören: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete" (15,14).

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Die johanneische Christusbotschaft

An diesem Bild wird so besonders deutlich, daß Johannes nicht primär an Aussagen über das Wesen Jesu interessiert ist, sondern Gottes Heilshandeln durch Jesus beschreiben will, was auch darin sichtbar wird, daß eine ganze Reihe von Verben Jesus als den Offenbarer beschreiben: „Der Einzige, Gott, der an der Brust des Vaters ist, der hat berichtet" (1,18); „Ich habe euch die Wahrheit gesagt, die ich von Gott gehört habe" (8,40a); „Die Worte, die ich euch gesagt habe, sind Geist und Leben" (6,63); „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast" (17,6); „Ich bin es, der ich für mich Zeugnis ablege, und der Vater, der mich gesandt hat, legt über mich Zeugnis ab" (8,18); „Ich habe ein Zeugnis, das größer ist als das [Zeugnis] des Johannes [des Täufers]; denn die Werke, die mir der Vater auszuführen gegeben hat, diese Werke, die ich tue, zeugen für mich, daß der Vater mich gesandt hat" (5,36). Mit dem allem ist deutlich geworden, daß Johannes in gleicher Weise in der Person wie im Wort des Menschen Jesus Gottes Heil sich verwirklichen sieht, und wir können darum Jesus als den Heilbringer, wie Johannes ihn sieht, erst ganz verstehen, wenn wir auch danach fragen, was Johannes über das Heil sagt, das in Jesus Christus Wirklichkeit geworden ist.

4.1 Das Unheil

4. Das Heil und der Heilsweg

Auch die johanneische Verkündigung von dem in Christus ermöglichten Heil setzt voraus, daß die Menschen aus Unheil gerettet werden sollen und daß ihnen darum das Heil angeboten wird. Dieses Unheil wird für Johannes am umfassendsten gekennzeichnet durch den Begriff der „Welt" (Kosmos). Johannes kann diesen bei ihm sehr häufig begegnenden Begriff im neutralen Sinn des „Geschaffenen" gebrauchen („vor der Gründung der Welt", 17,24; „ . . . Freude, daß ein Mensch in die Welt geboren wurde", 16,21; vgl. 1,9 usw.), und in der Mehrzahl dieser Fälle wird mit „Welt" die Menschheit ohne eine besondere Wertung bezeichnet: „die Welt ist hinter ihm hergelaufen" (12,19); „damit die Welt erkennt, daß ich den Vater liebe" (14,31 und oft). Die Welt, in der die Menschen sich vorfinden, nennt Johannes nun „diese Welt", und auch diese Bezeichnung kann mehr oder weniger neutral gebraucht werden: „Wenn jemand am Tage wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht" (11,9); „Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen ist, daß er aus dieser Welt zum Vater hinübergehen solle" (13,1). Aber meistens erhält der Begriff „diese Welt" eine negative Wertung: die Menschen gehören zu dieser Welt, aber Jesus gehört nicht zu ihr: „Ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt" (8,23); „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen" (9,39); „Meine Königsherrschaft ist nicht aus dieser Welt" (18,36). Denn diese Welt hat den Teufel zum Herrscher: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt, jetzt wird der Herrscher dieser Welt herausgeworfen werden" (12,31); „ . . . der Herrscher dieser Welt ist gerichtet" (16,11; vgl. 14,30). Darum führt das Bestimmtsein durch diese Welt ins

Das Unheil

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Verderben: „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt haßt, wird es für das ewige Leben bewahren" (12,25). Diesen Gegensatz der Welt zu Gott beschreibt Johannes nun genauer, ohne dabei von dieser Welt ausdrücklich zu reden: Die Werke der zur Welt gehörigen Menschen sind böse („Mich haßt [die Welt], weil ich über sie bezeuge, daß ihre Werke böse sind", 7,7; „Alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches und die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht aus dem Vater, sondern ist aus der Welt", l.Joh.2,16; vgl. Joh. 17,15b), weil „die ganze Welt dem Bösen unterworfen ist" (l.Joh. 5,19b). Dementsprechend ist die Welt auch nicht fähig, an den auferstandenen Christus zu glauben, der ,Helfer' „wird die Welt überführen wegen der Sünde . . . , weil sie nicht an mich glauben" (Joh. 16,8 f.; vgl. 14,19; l.Joh. 3,1); und sie vermag es nicht, den göttlichen Geist zu verstehen: „Der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie [ihn] nicht erkennt und auch nicht versteht" (14,17). Vielmehr haßt die Welt den Christus ebenso wie die Christen: „Wenn die Welt euch haßt, erkennt, daß sie mich zuerst gehaßt hat . . . Weil ihr nicht aus der Welt seid, . . . darum haßt euch die Welt" (15,18f.; vgl. 16,33; 17,14; l.Joh.3,13). Diese Welt, die gegen Gott und Christus steht und vom Teufel regiert wird, wird auch von Johannes, ähnlich wie von Paulus, gelegentlich als vergänglich bezeichnet: „Die Welt vergeht und ihre Begierde" (l.Joh. 2,17a) und steht so dem ewigen Leben als vorläufig gegenüber: „Wer sein Leben haßt in dieser Welt, wird es für das ewige Leben bewahren" (Joh. 12,25b vgl. l.Joh. 2,17b). Aber viel häufiger steht „diese Welt" der „oberen Welt" oder dergleichen gegenüber: „Ihr seid von unten, ich bin von oben; ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt" (Joh. 8,23); „Als Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen sei, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen" (13,1); „Jetzt ist das Gericht über diese Welt . . . Wenn ich erhöht werde von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen" (12,32; vgl. 3,31 f.; 18,36; l.Joh. 4,4—6). Die Annahme liegt daher nahe, daß Johannes die Welt im Sinne der Gnosis als die Welt der Materie verstehe, so daß die Menschen durch Befreiung von der leiblichen Welt und durch die Rückkehr in die himmlische Welt gerettet werden müßten. Aber wenn auch der Begriff der Welt im Johannesevangelium vermutlich nicht einfach dem älteren Christentum entstammt, sondern seine Herkunft der für Johannes charakteristischen gnostischen Vorstellungswelt verdankt, so hat Johannes den Begriff doch in einer Weise verwendet, die den Vorstellungen der Gnosis durchaus entgegengesetzt ist. Das zeigt sich schon daran, daß der aus der Welt scheidende Christus gerade nicht um die Befreiung der Seinen aus der Welt bittet: „Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt wegnimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst" (17,15). Nicht das Sein in der Welt ist also böse, sondern das Sein „aus der Welt", d.h. das Bestimmtsein durch die Welt: „Wenn ihr aus der Welt wäret, würde die Welt das Ihre lieben; weil ihr aber nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt heraus erwählt habe, darum haßt euch die Welt" (15,19). 17

Kümmel, Theologie

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Die johanneische Christusbotschaft

Beweist schon diese Unterscheidung an sich, daß Johannes Welt nicht im gnostischen Sinn als „die Fremde" versteht, so ergibt sich das erst recht, wenn wir danach fragen, woran das „Sein aus der Welt" denn überhaupt sichtbar wird. Wir sahen schon, daß das Tun des Bösen für diejenigen Menschen kennzeichnend ist, die „aus der Welt" sind (l.Joh.2,16; Joh.7,7; 17,15b; vgl. o. S.257). Aber entscheidend ist erst der Gegensatz, in dem die Welt zum Heilsgeschehen steht: die Welt „hat ihn [den Logos] nicht erkannt" (1,10); der ,Helfer' wird die Welt richten, „weil sie nicht an mich glauben" (16,9); die Welt „hat mich früher als euch gehaßt" (15,18b). D.h., „erst in seiner negativen, ablehnenden Stellung gegenüber dem Christusgeschehen gewinnt der Kosmos seinen eigentümlichen, im Negativen verhärteten Akzent" (J.Blank). Die Welt ist darum im letzten gottfeindlich, weil die Menschen, die „aus der Welt" sind, „den nicht kennen, der mich gesandt hat" (15,21b neben 15,19). Das Unheil der Welt, das seine entscheidende Schärfe im Widerstand gegen das Kommen Christi erhält, wird anschaulich im Tod und in der Sünde. Die Allgemeinheit des Todes ist natürlich auch für Johannes die Voraussetzung seiner Deutung des menschlichen Todesschicksals: „Wer nicht liebt, bleibt im T o d " (l.Joh.3,14b; Joh.5,24; 8,51; 11,25); aber es finden sich bei Johannes keine Äußerungen über den Anfang oder die Ursache dieses allgemeinen Todesschicksals. Der Tod ist endlos: „Wenn jemand mein Wort bewahrt, wird er den Tod in Ewigkeit nicht sehen" (8,51), und der Mensch kann sich aus der Todesverfallenheit nicht selber befreien (l.Joh.3,14b, s.o.). Auch die jüdische Gewißheit der zukünftigen Auferstehung („Ich weiß, daß er auferstehen wird bei der Auferstehung am letzten Tag", 11,24) wird beiseite geschoben: „Wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin, werdet ihr in euern Sünden sterben" (8,24b). Der ewige Tod ist also das unausweichliche und unaufhebbare Ende des Menschen in der Welt, aber solches Sterbenmüssen ist nicht ein rätselhaftes Schicksal, sondern ist in der Sünde begründet: „Ich habe euch gesagt, daß ihr in euern Sünden sterben werdet" (8,24a). Auch für Johannes ist also der Tod die Folge der Sünde, und so ist es auch für Johannes selbstverständlich, daß alle Menschen Sünder sind. Das wird zwar nicht ausdrücklich formuliert, ergibt sich aber daraus, daß Jesus beschrieben wird als „das Lamm, das die Sünde der Welt wegnimmt" (1,29). Diese Allgemeinheit der Sünde ist aber vor allem daran zu erkennen, daß der Teufel, der Herrscher der Welt, hinter der Sünde steht: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und wollt die Begierde eures Vaters tun" (8,44a); „Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an" (l.Joh.3,8). Daß die Menschen sündig sind und darum dem Tode verfallen, zeigt sich natürlich auch für Johannes an ihren sündigen Taten. Doch ist der Plural „Sünden" bei Johannes selten (Joh. 8,24; 9,34; häufiger im 1. Johannesbrief: 1,9; 2,2.12; 3,5; 4,10, meistens in formelhaften Wendungen), und auch vom Tun der Sünde ist nicht oft die Rede („Jeder, der Sünde tut, ist ein Sklave", Joh.8,34; l.Joh.3,4.8f.). Entscheidend ist vielmehr, daß die Menschen der Sünde Untertan sind: „Wer

Die Befreiung von der Welt

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die Sünde tut, ist aus dem Teufel" ( l . J o h . 3 , 8 ; vgl. Joh. 8,34.44a). Dieses Untertansein führt zur Ablehnung des Christus und damit zum Unglauben und zur Abweisung der göttlichen Offenbarung: „Wäre ich nicht gekommen und hätte zu ihnen geredet, hätten sie keine Sünde; nun aber haben sie keinen Vorwand wegen ihrer Sünde" (15,22; vgl. 15,23 f.); „Wenn ihr blind wäret, hättet ihr keine Sünde; jetzt aber sagt ihr: ,wir sehen', [so] bleibt eure Sünde" (9,41; vgl. 8,24; 16,9). D.h. wie die Welt gerade darin sich als Welt erweist, daß sie nicht an den Christus glaubt, so sind die Menschen entscheidend darum unter der Macht der Sünde und gehen zugrunde, weil sie nicht glauben: „Ihr werdet in euern Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin, werdet ihr in euern Sünden sterben" (8,24). Aus alledem aber ergibt sich deutlich, daß die johanneische Vorstellung vom Unheil des Menschen in der Welt und damit unter dem Tod und der Sünde nicht einer pessimistischen Beurteilung der Welt als „Fremde" und nicht einem hoffnungslosen Urteil über die Vergänglichkeit und Schlechtigkeit des Menschen entspringt, sondern dem Glauben daran, daß Gott in Jesus Christus diesem Unheil ein Ende bereitet hat: „Wer ist der, der die Welt besiegt, außer demjenigen, der glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?" (l.Joh.5,5). Johannes sieht sich und die Menschheit nicht aufgrund eigener Einsicht im Unheil, sondern er hat erst als Glaubender wirklich erkannt, in welchem Unheil die Menschen leben und welchem Verderben sie entgegengehen. 4.2 Die Befreiung von der Welt und vom Tode Die entscheidende Botschaft des Johannes ist es darum, daß Gott diesem Unheil in Christus wehrt: Christus befreit den Menschen aus dem Beherrschtsein durch die Welt. Johannes kann das ganz allgemein sagen unter Hinweis auf die Liebe oder den Rettungswillen Gottes: „So hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern ewiges Leben hat" (Joh.3,16); „Gott sandte den Sohn in die Welt . . . , damit die Welt durch ihn gerettet werde" (3,17; vgl. 4,42; 12,47; l.Joh.4,14). Johannes kann auch betonen, daß Jesus Christus die Welt bereits besiegt und damit den an ihn Glaubenden den Sieg über die Welt ermöglicht hat: „In der Welt seid ihr bedrängt, aber seid zuversichtlich, ich habe die Welt besiegt" (Joh. 16,33); „Alles, was aus Gott gezeugt ist, besiegt die Welt; und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat, unser Glaube. Wer ist es aber, der die Welt besiegt hat, außer demjenigen, der glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?" (l.Joh.5,4f.). Dementsprechend heißt es auch, daß die Jünger durch Christus aus der Welt herausgelöst werden: „Weil ihr nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt [heraus] erwählt habe, darum haßt euch die Welt" (Joh. 15,19); „Sie sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin" (17,16; vgl. 17,6). Auch das ist deutlich, daß die Befreiung aus der Welt nicht Weltflucht bedeutet, sondern Befreiung von der zwingenden Macht der Welt: „Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt wegnimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst" (17,15). D.h. die Befreiung aus dem Beherrschtsein durch 17*

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Die johanneische Christusbotschaft

die Welt ist kein Heraustreten aus der Welt, sondern bedeutet einen Herrschaftswechsel. Daß diese allgemeinen Aussagen über die Befreiung aus der Welt im allgemeinen verbleiben und das Heil nicht konkret beschreiben, zeigt aber zugleich, daß Johannes an dem durch Christus gewirkten Heil nicht spekulativ interessiert ist, sondern von einer konkreten Wirklichkeit sprechen will. Darum lassen erst die johanneischen Aussagen über die Befreiung vom Tod und von der Sünde das in Christus sich vollziehende Heil konkret erkennbar werden. Wie für Johannes das Unheil der Menschen in der Welt im Todesschicksal am deutlichsten erkennbar wird, so wird das Heil vor allem spürbar in der Gabe des Lebens. Christus ist für Johannes „das Leben", weil er das Leben spendet: „Das Brot Gottes ist der, der vom Himmel herabsteigt und der Welt Leben gibt" (6,33); „Meine Schafe . . . folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie werden in Ewigkeit nicht zugrunde gehen" (10,27 f,; vgl. 17,2). Christus hat „Worte ewigen Lebens" (6,68) und schafft durch seine Gabe ewiges Leben: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird in Ewigkeit keinen Durst [mehr] haben, vielmehr wird das Wasser, das ich ihm geben werde, in ihm zu einer Quelle von Wasser werden, das für das ewige Leben sprudelt" (4,14). Dabei stehen deutlich „Leben" und „ewiges Leben" wechselweise in gleicher Bedeutung: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn ungehorsam ist, wird kein Leben sehen" (3,36); „Wer mein Wort h ö r t . . . , hat ewiges Leben und geht nicht in das Gericht, sondern ist aus dem Tod in das Leben hinüber geschritten" (5,24; vgl. 5,39.40; 6,63.68 usw.). Um so auffallender ist es nun, daß in den eben zitierten Stellen und auch sonst häufig Johannes davon spricht, daß der Glaubende jetzt schon ewiges Leben hat: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben" (6,54); „Das ist das Zeugnis, daß uns Gott ewiges Leben gegeben hat" (l.Joh.5,11; vgl. Joh.3,15f.; 5,40; 6,40.47.53; 10,28; l.Joh.3,14; 5,13). Weil „ewiges Leben" demnach für Johannes ein gegenwärtiger Besitz ist, hat sich oftmals die Annahme aufgedrängt, Johannes beschreibe mit diesem Begriff eine geistige Haltung, ein religiöses Bewußtsein oder eine Stimmung, und einige Formulierungen des Johannes scheinen diese Annahme noch wahrscheinlicher zu machen: „Der Menschensohn muß erhöht werden, damit jeder Glaubende in ihm ewiges Leben hat" (3,14b.15); „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und Überfluß haben" (10,10); „Das ist das ewige Leben, daß sie dich, den einzigen wirklichen Gott, erkennen und [den,] den du gesandt hast, Jesus Christus" (17,3); „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern er wird das Licht des Lebens haben" (8,12b; vgl. 6,53c). Hier scheint die urchristliche Hoffnung auf eine zukünftige Heilsvollendung aufgegeben zu sein zugunsten des Glaubens an die Heilsvollendung in der Gegenwart, die in Erkenntnis und Schau sich verwirklicht. Aber auffälligerweise stellt nun Johannes neben diese Gegenwartsaussagen eindeutige Zukunftsverheißungen. Das gilt zunächst für die Aussagen über das ewige Leben: „Wer mich ißt, der wird durch mich leben . . . Wer dieses

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Brot ißt, wird in Ewigkeit leben" (6,57f.); „Wer . . . sein Leben in dieser Welt haßt, wird es für das ewige Leben bewahren" (12,25); „Das ist die Verheißung, die er uns verheißen hat, das ewige Leben" (l.Joh.2,25; vgl. Joh. 8,12). Ferner wird die Auferweckung am letzten Tage neben den Besitz des ewigen Lebens gestellt: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn am letzten Tage auferwecken" (6,54; vgl. 6,39.40.44); ebenso ist von der „Auferstehung zum Leben" (5,29a) die Rede. Aber das sind nicht die einzigen endzeitlich-futurischen Aussagen. Es wird vom zukünftigen Eingang in die Gottesherrschaft gesprochen: „Wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in die Gottesherrschaft eingehen" (3,5; vgl. 3,3), von der zukünftigen Rettung und Erhöhung (10,9; 12,32), vom zukünftigen Gericht: „Das Wort, das ich gesprochen habe, das wird ihn am letzten Tage richten" (12,48; vgl. 5,28 f.; 12,31b; l.Joh.4,17). So verheißt der scheidende Christus auch seine Wiederkunft: „Wenn ich hingegangen bin und euch einen Platz bereitet habe, werde ich wiederkommen und euch zu mir nehmen" (Joh. 14,3; vgl. 14,28); „Und jetzt, Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er offenbart werden wird, Freimut haben und nicht von ihm beschämt werden bei seiner Ankunft" (l.Joh. 2,28). Der 1. Johannesbrief spricht noch deutlicher von der letzten Stunde: „Kinder, es ist letzte Stunde" (l.Joh. 2,18), und von der zukünftigen Heilsvollendung: „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, daß wir ihm gleich sein werden, wenn er offenbart werden wird, dann werden wir ihn sehen, wie er ist" (l.Joh.3,2). Aber diese Verheißungen des 1. Johannesbriefes weichen nur in der Deutlichkeit der Aussage, nicht in der Sache vom Johannesevangelium ab, das in seinem überlieferten Text auch eindeutig mit dem Gericht und der Heilsvollendung am letzten Tage, mit dem Kommen des Auferstandenen in Herrlichkeit und dem Anbruch der Gottesherrschaft rechnet. Es leidet nun keinen Zweifel, daß dieses Nebeneinander von Aussagen, die das volle Heil für die Gegenwart bekennen, und von Endzeitverheißungen widerspruchsvoll erscheint, besonders da solche widersprüchlichen Aussagen mehrfach unmittelbar nebeneinanderstehen: die Zusicherung, daß der Glaubende nicht ins Gericht kommt, steht neben der Voraussage der Stunde, in der alle Entschlafenen die Stimme des Menschensohns hören und zur Auferstehung zum Leben oder zur Auferstehung zum Gericht [aus den Gräbern] herauskommen werden (Joh.5,24.28f.); und die Verheißung: „Ich werde wiederkommen und euch zu mir nehmen" (14,3.28) stößt sich mit der Zusage, daß der Auferstandene immer bei den Seinen bleiben will: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen" (14,23; vgl. auch 6,40a neben 6,40b; 6,54a neben 6,54b; 12,31a neben 12,31b). Man hat darum oft angenommen, die verhältnismäßig wenigen futurischen Aussagen seien Zusätze eines Redaktors zur Angleichung an den allgemeinen christlichen Glauben oder seien wenigstens nicht im Sinne einer endzeit-

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lichen Zukunftserwartung zu verstehen. Aber für die Annahme von Interpolationen gibt es keine andere Begründung als den Hinweis auf die gedanklichen Widersprüche, und der futurisch-endzeitliche Sinn der genannten Texte läßt sich nur gewaltsam bestreiten. Es ist vielmehr keineswegs zufällig, sondern sachlich notwendig, daß auch in der johanneischen Theologie die Erwartung der futurischen Heilsvollendung nicht fehlt. Das ist schon darum notwendig, weil Johannes weiß, daß der erhöhte Christus wohl „die Welt besiegt" hat, daß diese Welt aber trotzdem weiterbesteht und die Christen darum „in der Welt Bedrängnis" haben (16,33); und ebenso weiß Johannes, daß „der Herrscher dieser Welt gerichtet ist" (16,11), doch ist er noch nicht vernichtet, und daraus ergibt sich die paradoxe Aussage: „Jetzt ist das Gericht über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt herausgeworfen werden" (12,31). Schon jetzt haben die Glaubenden die Herrlichkeit des menschgewordenen und erhöhten Gottessohnes gesehen (1,14; 16,20b), aber der Welt ist diese Herrlichkeit verborgen geblieben (16,20a; 1,10b). Auch Johannes wartet darum, wie Jesus und Paulus vor ihm, auf die endgültige Entmachtung des Herrschers dieser Welt, auf das Sichtbarwerden der Herrlichkeit des Christus vor den Augen der Welt, und indem Johannes darum neben die stark betonten Gegenwartsaussagen die Hinweise auf die futurische Heilsvollendung stellt, zeigt er, daß auch für ihn die Gegenwart des Christseins bestimmt ist durch die göttliche Heilstat, die in Jesus Christus begonnen hat und darum gegenwärtige Wirklichkeit ist, aber auf ihre verheißene Vollendung wartet. Infolgedessen ist die Befreiung vom Tod und die Gabe des Lebens für Johannes eine Wirklichkeit, die sich im Leben des Christen in der Gegenwart ereignet. Solange diese Welt noch besteht, bedrängt sie die Christen: „In der Welt habt ihr Bedrängnis" (16,33a); „Ihr habt jetzt Traurigkeit" (16,22a); „die Welt haßt euch" (15,19c), und die Christen sind in Gefahr, sich von ihr bedrängen zu lassen: „Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt haßt" (l.Joh.3,13); „Euer Herz soll nicht erschüttert werden und nicht verzagt sein" (Joh. 14,27c). Solches Verzagtsein zeigt aber nach Johannes nur, daß die Jünger die Wirklichkeit der Gabe des Lebens noch nicht begriffen haben. Denn Christus schenkt dem Jünger Frieden: „Ich gebe euch Frieden, meinen Frieden gebe ich euch" (14,27a); „Das habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt" (16,33a). Damit ist nicht ein Seelenzustand gemeint, sondern die Gewißheit, daß Christus die Welt besiegt hat (16,33c) und daß damit der Christ, der „in Christus" Frieden hat (16,33a), ebenfalls der zwingenden Macht der Welt entnommen ist: „Ihr seid aus Gott, Kinder, und habt sie [die Häretiker, die aus der Welt sind, vgl. V.5a] besiegt; denn der[, der] in euch [ist,] ist größer als der in der Welt" (l.Joh.4,4). Darum lebt der Christ in der Freude, daß Gott in Christi Auferstehung den Tod überwunden hat: „Ich werde euch Wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch weg" (16,22b; die Verheißung ist auf die Ostererfahrungen zu be-

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ziehen). Die Christen haben also eine bleibende Freude, weil diese Freude auf der Heilstat Gottes in Christus beruht: „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, daß ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich" (14,28b); „Das habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch sei und eure Freude vollendet werde" (15,11; vgl. 17,13; l.Joh. 1,4). Aber diese Freude kann nur vollendet sein, wenn der Christ in der Liebe und im Glauben bleibt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben" (Joh. 15,10a); „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, daß ich zum Vater gehe . . . ; und jetzt habe ich [es] euch gesagt, ehe es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es geschieht" (14,28f.). Damit drängt sich die Frage nach dem johanneischen Verständnis des Weges zum Heil auf, die wir aber erst beantworten können, wenn wir auch gesehen haben, in welchem Sinn nach der Botschaft des Johannes Christus den Menschen durch die Errettung von der Sünde aus dem Beherrschtsein durch die Welt befreit. 4.3 Die Befreiung von der Sünde Für Johannes sind, wie wir sahen (s.o.S.258), die Menschen in der Welt der Sünde Untertan und damit schuldig geworden, was sich vor allem an ihrem Unglauben zeigt. Auch für Johannes ist es der Tod Christi, der die sündigen Menschen vor dem Verlorengehen bewahrt, wenn auch dieser Gedanke bei Johannes nicht so im Mittelpunkt steht wie in der Urgemeinde und bei Paulus. Wohl ist bei Johannes häufig davon die Rede, daß Jesus für die Welt oder die Seinen stirbt: „Ich setze mein Leben für die Schafe ein" (10,15; vgl. 10,11.17f.); [der Hohepriester] „prophezeite, daß Jesus für das Volk sterben solle, und nicht allein für das Volk, sondern auch, um die zerstreuten Kinder Gottes zusammenzuführen" (11,51 f.); „Kaiphas war derjenige, der den Juden geraten hatte, daß es nützlich sei, wenn ein Mensch für das Volk stirbt" (18,14); „Daran erkennen wir die Liebe, daß jener für uns sein Leben einsetzte" (l.Joh.3,16). Diese Aussagen sind aber so allgemein formuliert, daß sich aus ihnen allein nicht erkennen ließe, auf welche Weise nach der Meinung des Johannes der Tod Jesu der Welt oder den Seinen zugute kommt. Nun beschreibt Johannes den Tod Jesu aber auch als ein „Hingehen" Jesu: Jesus wußte, „daß er von Gott ausgegangen war und zum Vater hingeht" (Joh. 13,3); „Nun gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat" (16,5; vgl. 8,14.21 f.; 13,33; 14,4.28; 16,17) oder als ein „Hinaufgehen" („Wenn ihr nun den Menschensohn hinaufgehen seht [dorthin], wo er früher war", 6,62), das die Rückkehr in die göttliche Herrlichkeit bedeutet: „Verherrliche mich jetzt, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war" (17,5; vgl. 7,39; 8,54; 12,16.23.28; 13,31 f.; 17,1). Wenn in diesem Zusammenhang der zum Vater zurückkehrende Jesus ausdrücklich erklärt: „Es ist für euch nützlich, daß ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehe, wird der Helfer nicht zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch schicken" (16,7; vgl. auch 14,3 a), so hat Johannes die Bedeutung des Todes Jesu für die Seinen

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zweifellos auch darin gesehen, daß für Jesus sein Tod der Durchgang in die göttliche Herrlichkeit ist, so daß der Gestorbene und zum Vater Zurückgekehrte nun den Seinen an seiner Herrlichkeit Anteil geben kann: „Wenn ich erhöht bin von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen" (12,32; vgl. 17,24). Noch wichtiger aber ist nach Johannes eine andere Wirkung der Rückkehr Jesu in die himmlische Herrlichkeit durch den Tod hindurch: im Tod und der Erhöhung Jesu vollzieht sich Gottes Sieg über die Welt und ihren Herrscher: „Jetzt wird der Herrscher dieser Welt herausgeworfen werden" (12,31b; vgl. 12,32f.); „Es kommt der Herrscher der Welt, und an mir hat er nichts", d. h. keinen Herrschaftsanspruch (14,30); „Ich habe die Welt besiegt" (16,33c). Zugleich mit dem Herrscher dieser Welt ist am Kreuz aber auch die Sünde entmächtigt, und so kann Johannes in verschiedener Weise davon reden, daß die Christen durch den Sohn von der zwingenden Macht der Sünde befreit worden sind: „Jeder, der Sünde tut, ist ein Sklave der Sünde. Wenn euch nun der Sohn befreit hat, werdet ihr wirklich frei sein" (8,36); „ich heilige mich für sie, damit auch sie durch die Wahrheit geheiligt seien" (17,19). Der 1. Johannesbrief geht noch einen Schritt weiter und erklärt, daß der durch Christus neu geschaffene Mensch nicht mehr sündigt: „Jeder, der aus Gott gezeugt ist, tut keine Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott gezeugt ist" (l.Joh.3,9; vgl.3,6; 5,18). Freilich gilt für den Verfasser des 1. Johannesbriefs diese Behauptung von der Unmöglichkeit des Sündetuns durch den Christen nur unter der Bedingung, daß der Christ „in ihm [d.h. Christus] bleibt": „Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht" (3,6a). Darum rechnet der Brief trotz seiner Aussagen über die Unmöglichkeit des Sündigens des Christen mit der Wirklichkeit ihres Sündetuns (2,1; 3,20; 5,16). Die Überzeugung, daß durch Christi Tod und Erhöhung die Sündenmacht gebrochen ist, ist also im 1. Johannesbrief stärker ausgeprägt als im Evangelium, aber auch das Evangelium läßt diesen Glauben erkennen (Joh. 17,19, s. o., denkt zweifellos an den unmittelbar bevorstehenden Tod Jesu). Man wird freilich fragen müssen, ob diese auf den Tod Jesu bezogene Aussage „Ich heilige mich für sie" (17,19) nicht auch den Gedanken einschließt, daß der sterbende Christus sich zum Opfer für die Seinen heiligt, und dann wäre in diesem Wort nicht nur von der Befreiung aus der Macht der Sünde durch den Tod und die Erhöhung Christi die Rede, sondern auch von der Tilgung der Sündenschuld. Diesen Gedanken spricht aber zweifellos das Wort Johannes des Täufers aus: „Siehe das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt fortnimmt" (1,29). Es ist zwar nicht mehr mit Sicherheit festzustellen, auf welche Vorstellung das Bild vom Lamm anspielt - am wahrscheinlichsten ist an die täglichen Lammopfer im Jerusalemer Tempel gedacht - , aber darüber kann schwerlich ein Zweifel sein, daß Jesus hier mit einem Opferlamm verglichen wird, das die Sündenschuld tilgt. Damit ist deutlich die gemeinchristliche Vorstellung aufgenommen, daß Jesu Tod „für unsere Sünden", und d.h. zur Tilgung der menschlichen Sündenschuld geschah, ohne daß sich erkennen ließe, wie sich Johannes die Tilgung der

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Sündenschuld des näheren vorgestellt hat. Kennt Johannes aber eindeutig die Vorstellung vom Sterben Jesu für unsere Sünden, so wird man in der Aussage „So hat Gott die Welt geliebt, daß er den einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern ewiges Leben hat" (3,16) das „Geben" des Sohnes durch den Vater nicht auf die Sendung des Sohnes beschränken dürfen, sondern das „Dahingehen" in den Tod mithören müssen, zumal unmittelbar zuvor (3,14 f.) die Erhöhung des Menschensohns an das Kreuz und in den Himmel als die Voraussetzung für den Empfang des ewigen Lebens bezeichnet wird. Schließlich ist in dem Wort der Brotrede „Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt" (6,51c) sicherlich auch daran gedacht, daß Jesus seinen Leib hingibt, um der Welt das Leben zu beschaffen, wobei die Anspielung an das Brotwort der Abendmahlstradition (l.Kor. 11,24; Lk. 22,19b) nicht zu überhören ist und zeigt, daß die Tilgung der Sündenschuld von Johannes einbezogen sein muß. Johannes hat also den in der Urgemeinde und bei Paulus wesentlichen Gedanken der Tilgung der Sündenschuld durch Jesu Tod nicht übergangen, doch spielt dieser Gedanke im Johannesevangelium keine zentrale Rolle. Im 1. Johannesbrief dagegen ist nicht nur vom Wegnehmen der Sünden durch Christus und von der Hingabe des Lebens Christi für uns die Rede (3,5; 3,16), sondern auch von der reinigenden Wirkung des Blutes Christi: „Das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde" (1,7), und Jesus wird hier „Sühne für unsere Sünde, nicht für unsere allein, sondern auch für die ganze Welt" genannt (2,2; 4,10). D.h. der 1. Johannesbrief betont den Gedanken der Sündensühne durch den Tod Jesu stärker, und wenn das auch nicht im Widerspruch steht zu den vorsichtigen Aussagen des Evangeliums, so liegt doch auf alle Fälle eine Verschiebung in der Betonung des Gedankens vor. Vermutlich ist die gnostisierende Sprache des Johannesevangeliums mit daran schuld, daß die Reflexion über die Heilsbedeutung des Todes Jesu im Evangelium in den Hintergrund tritt, doch dürfte für dieses Zurücktreten des Gedankens vor allem entscheidend sein, daß Johannes das wesentliche Heilsgeschehen in der Sendung des Sohnes in die Welt und in seiner Rückkehr zum Vater erblickt, so daß der Tod Jesu nur als eine wesentliche Stufe in der Erhöhung des Menschensohnes (Joh. 3,13 f.) angesehen wird. Und es zeigt sich in diesem Zurücktreten des Gedankens der Sündensühne durch den Tod Jesu bei Johannes im Evangelium deutlich, daß diese Wertung des Todes Jesu durchaus in den Hintergrund geschoben werden kann, ohne daß die Glaubensaussage dadurch gefährdet würde, daß Jesus gekommen ist, um die Menschen von der Sündenverfallenheit zu befreien. 4.4 Glaube und Liebe Damit können wir uns nun der Frage zuwenden, die sich uns immer wieder stellte: Wodurch erhalten die Menschen Anteil an der durch die Sendung, den Tod und die Erhöhung Jesu Christi Wirklichkeit gewordenen

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Befreiung vom Beherrschtsein durch die Welt? Stellen wir aber diese Frage, so zeigt sich sofort, daß Johannes vom Anfang bis zum Ende seines Evangeliums betont auf den Glauben als den Weg zum Empfang des Heils verweist: „Denjenigen, die ihn [den Logos] aufnehmen, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, [denjenigen], die an seinen Namen glauben" (1,12); „Das ist geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Christus, der Sohn Gottes, ist, und damit ihr als Glaubende Leben habt in seinem Namen" (20,31). Dem entspricht, daß das Verbum „glauben" im Johannesevangelium und im 1. Johannesbrief außerordentlich häufig begegnet, während das Substantiv „der Glaube" nur einmal im 1. Johannesbrief verwendet wird: „Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat, unser Glaube" (l.Joh.5,4). Schon dieser Sprachgebrauch zeigt, daß Glaube für Johannes ein Verhalten und, auf alle Fälle primär, nicht intellektuelle Zustimmung zu einem Glaubensinhalt bedeutet. Von „glauben" ist darum oft absolut ohne Angabe eines Objekts des Glaubens die Rede: „Der Menschensohn muß erhöht werden, damit jeder Glaubende in ihm ewiges Leben hat" (3,14f.); „Ihr glaubt nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört" (10,26; vgl. 6,47; 11,40 und häufig). Doch ist auch schon in diesen Texten deutlich zu sehen, daß Glaube eine Entscheidung Jesus gegenüber bedeutet: „damit jeder Glaubende in ihm ewiges Leben habe" (3,15) neben „damit jeder, der an ihn g l a u b t . . . , ewiges Leben habe" (3,16). Noch viel häufiger aber erscheint das Verbum „glauben" mit einem Dativ-Objekt oder einem daß-Satz verbunden, und dabei ist zwar vereinzelt vom Glauben an Gott (14,1; l.Joh.5,10), an die Schrift (Joh.2,22; 5,46f.), an das Licht (12,36), an die Werke Jesu (10,38), an das Wort oder die Worte Jesu (4,50; 5,47) die Rede - nur der 1. Johannesbrief redet daneben noch vom Glauben an die Liebe Gottes und an das Zeugnis Gottes (4,16; 5,10). Aber bei genauerer Betrachtung ist auch in allen diesen Fällen in Wirklichkeit der Glaube an Christus gemeint: „Glaubt an Gott und glaubt an mich" (14,1); „Wenn ihr Mose glaubtet, glaubtet ihr mir; . . . wenn ihr seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?" (5,46f.); „Solange ihr das Licht habt [d.h. den Menschensohn, s.V.34f.], glaubt an das Licht" (12,36 usw.). Und so ist denn in der großen Mehrheit der Fälle direkt vom Glauben an Christus die Rede: „Wenn ich die Wahrheit rede, warum glaubt ihr mir nicht?" (8,46b); „Wer an mich glaubt, wird niemals mehr Durst haben" (6,35c); „Ich habe geglaubt, daß du der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt Kommende bist" (11,27). Wenn dabei gelegentlich vom Glauben an das Messias-Sein und an die Gottessohnschaft Jesu gesprochen wird (11,27; 20,31), so liegt doch in der Regel der Ton darauf, daß Gott den Sohn gesandt hat oder daß der Sohn von Gott gekommen ist: „Um der herumstehenden Menge willen habe ich es gesagt, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast" (11,42b); „damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast" (17,21b); „Der Vater liebt euch, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, daß ich von Gott ausgegangen bin" (16,27); „Sie haben in Wirklichkeit erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und geglaubt, daß du mich gesandt hast" (17,8b). Der Glaube an Christus ist

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also der Glaube daran, daß Gott in Christus gehandelt hat: „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat" (12,44). Das besagt einerseits, daß für Johannes der Glaube an Gott und der Glaube an Christus zusammenfallen, weil in Christus Gott begegnet („Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen", 14,9; vgl. 14,1; 17,3) und weil „niemand zum Vater kommt außer durch mich" (14,6b). Damit ist andererseits aber auch gegeben, daß der Glaube sich nicht auf einen Tatbestand oder eine Lehre richtet, sondern das göttliche Handeln in Jesus Christus ergreift: „Mein Vater wirkt noch ständig, und so wirke ich auch . . . Was nämlich jener tut, das tut der Sohn in gleicher W e i s e . . . Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben" (5,17.19c. 24a). Darum kann der Glaube nach Johannes sich durchaus auch an den Wundern Jesu entzünden. Freilich kann man diese Wunder auch nur als Tatbestände zur Kenntnis nehmen, aber dadurch keineswegs zum Glauben kommen: die Hohepriester und Pharisäer sagen: „Was tun wir, weil dieser Mensch viele Zeichen tut?" (11,47); Nikodemus sagt: „Rabbi, wir wissen, daß du von Gott als Lehrer gekommen bist, denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist" (3,2); „Seine [Jesu] Brüder sagten nun zu ihm: . . . ,Gehe nach Judäa, damit auch deine Jünger deine Werke sehen, die du t u s t ' . . . Seine Brüder glaubten ja auch nicht an ihn" (7,3-5; vgl. 10,25 f.). Infolgedessen ist nach Johannes ein durch die Wunder geweckter Glaube nur ein erster Schritt und darum ein unsicherer Glaube, der zwar den Wundertäter erkannt, aber nicht in Jesus den Vater gesehen hat und nur zum wirklichen Glauben weiterführen kann: „Wenn ich die Werke meines Vaters nicht tue, glaubt mir nicht; wenn ich [sie] aber tue, so glaubt, auch wenn ihr mir nicht glaubt, den Werken, damit ihr immer besser erkennt, daß der Vater in mir ist und ich im Vater" (10,37f.); „Glaubt mir, daß ich im Vater [bin] und der Vater in mir [ist]; anderenfalls glaubt um der Werke selbst willen" (14,11; vgl. 4,48; 5,36; 6,26.36). Der entscheidende Schritt des Menschen zu seiner Rettung ist daher ein Glaube, der kein Sehen benötigt: Jesus sagt zu Thomas: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du; selig [sind diejenigen], die nicht gesehen haben und [doch] glauben" (20,29). Solcher Glaube wird durch das Wort Jesu oder seiner Zeugen geweckt: „Der Mensch [der Vater des sterbenden Sohnes] glaubte dem Wort, das ihm Jesus gesagt hatte, und ging weg" (4,50); „Glaubt mir, daß ich im Vater [bin] und der Vater in mir [ist]" (14,11a); „Ich bitte für alle [diejenigen], die durch ihr Wort an mich glauben" (17,20). Weil der Glaube somit eine Zuwendung zu Jesus selber darstellt, kann Johannes das „Glauben an seinen Namen" auch als „Annehmen" Jesu (1,12; vgl. 5,43; 13,20) oder seiner Worte (12,48; 17,8) beschreiben oder vom „Kommen zu Jesus" (6,35; 7,37), vom „Jesus Nachfolgen" (8,12), vom „Halten des Wortes Jesu" (8,51 f.) reden. Aber es ist nun sehr wichtig, in diesem Zusammenhang zwei Tatbestände nicht zu übersehen.

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Johannes setzt voraus, daß der Christus an sich bei den Menschen keine Aufnahme und damit auch keinen Glauben findet: „Der vom Himmel Kommende bezeugt, was er gesehen und gehört hat, und sein Zeugnis nimmt niemand an" (3,31b.32); „Das wirkliche L i c h t . . . war in der Welt, und die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf" (l,10f.); „Die Welt kann euch nicht hassen, mich aber haßt sie" (7,7). Wenn trotzdem manche Menschen glauben (vgl. 3,33: „Wer sein Zeugnis angenommen hat, hat besiegelt, daß Gott wahr ist"; ähnlich 1,12), so zeigt sich darin, daß der Glaube Gottes Werk im Menschen ist: „Das ist das Werk Gottes, daß ihr an den glaubt, den jener gesandt hat" (6,29). Niemand kann nämlich von sich aus glauben: „Ich habe euch gesagt, daß ihr gesehen habt und [doch] nicht glaubt" (6,37); vielmehr kommt nur der zum Glauben, den Gott dazu heranholt: „Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen" (6,38); „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht" (6,44); vgl. 6,65); „Wer aus Gott ist, hört auf die Worte Gottes. Wenn ich [die] Wahrheit rede, warum glaubt ihr mir nicht? Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes; darum hört ihr nicht, weil ihr nicht aus Gott seid" (8,47); „Ihr glaubt nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört" (10,26; vgl. 17,6.9 f. 24). Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, hat also Gott den ersten Schritt getan, aber das bedeutet nicht, daß der Mensch nicht den zweiten Schritt selber tun muß: „Verschafft e u c h . . . die Speise, die für das ewige Leben bleibt, die der Menschensohn euch gibt" (6,27). Ganz gewiß redet Johannes davon, daß nur der zum Glauben kommt, den Gott dazu „zieht", daß nur diejenigen Gottes Wort festgehalten haben, die der Vater dem Sohn aus der Welt herausgegeben hat (6,44; 17,6), aber das schließt nicht ein, daß Gott endgültig darüber entschieden hätte, wer zu den Schafen Jesu gehört und darum Jesu Stimme hört (10,27). Vielmehr entspricht der Aufforderung, sich vom Menschensohn die ewige Speise geben zu lassen (6,27; s.o.), die Feststellung, daß derjenige zu Jesus kommt, der „vom Vater gehört und gelernt hat" (6,45). Der Blindgeborene weiß zunächst durchaus nicht, wer dieser Jesus ist, der ihn geheilt hat (9,17b.25.36),aber als Jesus sich als den Menschensohn bekannt hat, fällt er vor Jesus nieder mit dem Ruf: „Ich glaube, Herr!" (9,38). Es kommt daher darauf an, daß man nicht nur hört, sondern auch gehorcht: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme" (18,37c); „Ich habe noch andere Schafe . . . , auch diese muß ich führen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirt sein" (10,16f.; vgl. 5,24). Dem entspricht nicht nur die Aufforderung zum Glauben: „Glaubt mir, daß ich im Vater [bin] und der Vater in mir [ist] ; wenn aber das nicht, so glaubt [wenigstens] wegen der Werke selbst" (14,11; vgl. 10,38; 12,36; 14,1); dem entspricht auch die Gewißheit, daß bestimmte Ereignisse Glauben wecken werden: „Und jetzt habe ich es euch gesagt [daß ich zum Vater gehe], ehe es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es geschieht" (14,29; vgl. 11,15.42; 13,19; 17,21; 19,35). Infolgedessen ist die Verweigerung des Glaubens die Schuld derjenigen Menschen, die ihre eigene Geltung suchen und ihre Blind-

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heit nicht eingestehen wollen: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre vom einzigen Gott nicht sucht?" (5,44); „"Wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben" (8,24; vgl. 9 , 3 9 ^ 1 ; 12,37—43). Auch Johannes weiß demnach, ähnlich wie Paulus (s. o.S. 207 f.), daß der Glaube allein auf Gottes Wirken beruht, aber er weiß ebenso, daß Gott uns die Freiheit läßt, sein Wirken durch uns geschehen zu lassen oder zu verwerfen. Auch Johannes hat nicht versucht, beide Wahrheiten zusammenzubiegen, weil nur beide zusammen Gottes Heilshandeln und die Verantwortung des Menschen bestehen lassen. Weil der Glaube Gottes Werk durch uns ist, umgreift wirklicher Glaube als Zuwendung zu Christus das ganze Leben des Jüngers: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, aus dessen Leib werden Ströme von lebendigem Wasser fließen" (7,38). Der Glaubende ist also ein Mensch, der göttliches Leben weitergeben kann, weil durch den Anschluß an Christus das göttliche Leben in ihm zur Herrschaft gekommen ist. Darum kann die Wahrheit des Christuszeugnisses nur der Mensch erkennen, der sich von dieser Wahrheit hat in Dienst nehmen lassen: „Meine Lehre ist nicht meine, sondern [die Lehre] dessen, der mich gesandt hat. Wenn jemand seinen Willen tun will, wird er betreffs der Lehre erkennen, ob sie aus Gott ist oder [ob] ich von mir selber [aus] rede" (7,16f.). So bedeutet Glauben das Befolgen der Worte Jesu: „Wenn jemand meine Worte hört, und nicht beachtet, richte ich ihn nicht" (12,47); „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten" (14,23a), und die Jünger sind nur dann Jesu Freunde, wenn sie seine Gebote halten: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete" (15,14). Weil also zum Glauben das Befolgen der Gebote notwendigerweise hinzugehört, stellt Johannes Glauben und Liebe gelegentlich nebeneinander: „Das ist sein Gebot, daß wir dem Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben dementsprechend, daß er uns ein Gebot gegeben hat" (l.Joh.3,23; vgl. auch den Zusammenhang von Joh. 14,20 und 14,21), häufig aber fordert er zur Liebe auf. Dabei ist mehrfach von der Liebe zu Gott oder Christus die Rede: „Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; denn ich bin von Gott ausgegangen und bin [jetzt] da" (8,42; vgl. 14,28). Aber in fast allen diesen Fällen wird entweder die Liebe zu Gott oder Christus mit der Liebe zum Bruder zusammengestellt: „Dieses Gebot haben wir von ihm, daß [derjenige], der Gott liebt, auch seinen Bruder lieben soll" (l.Joh.4,21; vgl. 4,20; 5,1 f.). Oder es wird gesagt, daß die Liebe zu Gott oder Christus sich im Halten der Gebote verwirklicht: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten" (Joh. 14,15; vgl. 14,21a.23a); „Daran erkennen wir, daß wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten; das ist ja die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten" (1.Joh. 5,2.3a). Das entscheidende Gebot Gottes und Christi aber ist die Liebe zum Bruder: „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt; wie ich euch geliebt habe, sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe zueinander habt" (Joh. 13,34f.); „Das ist mein Gebot, daß ihr einander liebt, dementsprechend

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wie ich euch geliebt habe" (15,12); „Das ist sein Gebot, daß wir an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben sollen, dem Gebot entsprechend, das er uns gegeben hat" (l.Joh.3,23; vgl. Joh. 13,14f.; 15,17; l.Joh.2,10; 3,11.14; 4,19). Glaube an Jesus Christus und Liebe zum Bruder gehören für Johannes so eng zusammen, daß Glaube für ihn überhaupt nur wirklicher Glaube ist, wenn der Glaubende zu einem Liebenden geworden ist. Johannes nennt nun das Gebot der Bruderliebe ein neues Gebot (Joh. 13,34). Damit soll nicht gesagt werden, daß ein solches Gebot vorher niemals geäußert worden sei; denn Johannes kann sogar paradox erklären: „Meine Lieben, nicht ein neues Gebot schreibe ich euch, sondern ein altes, das ihr von Anfang an h a t t e t . . . Wiederum ein neues Gebot schreibe ich euch, das wahr ist in ihm und in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahre Licht schon scheint" (l.Joh.2,7a.8). Damit will Johannes zunächst sagen, daß die Leser dieses Gebot schon bei ihrem Christwerden gehört haben („Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt", l.Joh. 2,7b), ohne dabei auszuschließen, daß das Gebot aus der alttestamentlich-urchristlichen Uberlieferung stammt. Neu ist das Gebot aber darum, weil „das wahre Licht schon scheint" (l.Joh. 2,8b) und weil Jesus die Jünger geliebt bat (Joh. 13,34b). Weil Gott „die Welt so liebte, daß er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe" (3,16), darum ist das Gebot Jesu, einander zu lieben, neu; denn der Glaube läßt ja den Glaubenden teilhaben an dem durch den erhöhten Christus sich vollziehenden Heilshandeln Gottes, und nur aufgrund dieses göttlichen Handelns hat der Christ das Leben und kann er es weitergeben: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, aus dessen Leib werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Das sagte er von dem Geist, den diejenigen empfangen sollten, die an ihn glaubten. Es gab nämlich noch keinen Geist, weil Jesus noch nicht verherrlicht war' : (7,38 f.). Gegen dieses Verständnis des Glaubens bei Johannes, nach dem der Glaube ein Ergriffensein vom göttlichen Handeln in Christus ist und darum das ganze Leben umfaßt, scheint nun freilich zu sprechen, daß Johannes das Glauben und das Erkennen oder Wissen in enger Verbindung sieht. Johannes nennt „glauben" und „erkennen" einfach nebeneinander: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist" (6,69); „Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und in Wirklichkeit erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und geglaubt, daß du mich gesandt hast" (17,8); „Und wir haben die Liebe erkannt und geglaubt, die Gott uns gegenüber hat" (l.Joh.4,16). Wenn ferner das Glauben als Folge des Erkennens („Jetzt wissen wir, daß du alles weißt und nicht nötig hast, daß jemand dich fragt; aufgrund dessen glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist", 16,30), aber ebenso das Erkennen als Folge des Glaubens bezeichnet wird („Wenn ihr mir nicht glaubt, glaubt den Werken, damit ihr mehr und mehr erkennt, daß in mir der Vater [ist] und ich im Vater [bin]", 10,38), dann kann es, so scheint es,

Glaube und Liebe

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nicht fraglich sein, daß für Johannes Glauben und Erkennen oder Wissen dieselbe menschliche Haltung bezeichnen, daß der Glaube also als die intellektuelle Anerkennung eines Sachverhalts beschrieben werden muß. Und dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man sieht, daß Johannes mehrfach vom Glauben und vom Erkennen desselben Objekts redet: „damit sie glauben, daß du mich gesandt hast" (11,42) neben „daß sie dich . . . erkennen und [denjenigen], den du gesandt h a s t " (17,3); „Wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin" (8,24) neben „ D a n n werdet ihr erkennen, daß ich es bin" (8,28); „Glaubst du nicht, daß ich vom Vater [bin] und der Vater in mir [ist]" (14,11) neben „An jenem T a g e werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater [bin] und ihr in mir [seid] und ich in euch [bin]" (14,20); überdies ist mehrfach vom Erkennen oder Kennen Gottes und Christi die Rede (7,28; 8,19; 14,7.9; 16,3; 17,23.25; l . J o h . 2 , 3 ; 4,6). Aber wenn aus diesen Texten auch eindeutig hervorgeht, daß Johannes vom Glauben und vom Erkennen weithin dasselbe aussagen kann, so stimmt es doch nicht, daß für Johannes beides einfach identisch ist, so daß der Glaube seinem Wesen nach als Erkennen zu beschreiben wäre. Das ergibt sich schon daraus, daß von Jesus Christus kein Glauben, wohl aber ein Erkennen des Vaters ausgesagt wird, das dem Erkennen Gottes durch die Jünger entspricht: „Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich habe dich aber erkannt, und diese [die Jünger] haben erkannt, daß du mich gesandt hast" (17,25; vgl. 7,29; 8,55; 10,15). Daß für Johannes der Glaube nicht einfach als „erkennen" zu beschreiben ist, ergibt sich aber vor allem aus der Feststellung, daß für Johannes der Glaube nur dann als Erkennen bezeichnet werden kann, wenn er ein bleibender Glaube ist: „Es sagte nun Jesus zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: ,Wenn ihr in meinem Worte bleibt, seid ihr in Wirklichkeit meine Jünger und werdet die Wahrheit [d. h. die göttliche Wirklichkeit, s . o . S . 254] erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen" (8,31 f.). Damit soll aber nicht gesagt sein, daß der Glaube nur dann zur Erkenntnis der Wahrheit führe, wenn er zeitlich andauert; „bleiben" bezeichnet hier vielmehr das Ergriffensein des ganzen Menschen durch die freimachende Wahrheit: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, daß jeder, der die Sünde tut, ein Sklave der Sünde i s t . . . Wenn euch nun der Sohn frei macht, werdet ihr wirklich frei sein" (8,34.36). D . h . aber, daß der Glaube dann bleibend ist und zugleich als Erkenntnis der Wahrheit beschrieben werden kann, wenn er zur Abwendung von der Sünde und zum Gehorsam gegenüber den Worten Christi führt. Dem entspricht, daß Johannes auch sonst mit „bleiben" das vom Glauben unablösbare Handeln des Glaubenden bezeichnet: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der trägt viele Frucht" (15,5); „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht b l e i b t . . . D a s gebiete ich euch, daß ihr einander lieben sollt" (15,16f.); „Wer sagt, er bleibe in ihm, muß auch so wandeln, wie jener gewandelt ist" ( l . J o h . 2 , 6 ) . Johannes kann darum vom Glauben und vom Erkennen weithin dasselbe sagen, aber Glaube ist nicht einfach Erkenntnis, sondern beschreibt das Ergriffensein des ganzen Menschen von

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Die johanneische Christusbotschaft

der geschichtlichen Heilstat Gottes in Christus, das die Anerkennung der Sendung des Sohnes durch den Vater zum Ausgangspunkt hat. „Der Glaube ist nicht etwa die Annahme eines Dogmas . . . , sondern der Glaube ist alles. Das Erkennen kann sich nicht vom Glauben lösen und über ihn hinausschwingen; aber der Glaube ist auch ein erkennender... Das Erkennen ist ein Strukturmoment des Glaubens" (R.Bultmann). 4.5 Die Geburt aus Gott und die Sakramente Nun begegnet uns allerdings im Zusammenhang der johanneischen Aussagen über den Glauben mehrfach die Vorstellung vom „Sein in Christus" und vom „Sein in Gott" und von der Geburt aus Gott, und diese Vorstellungen haben oftmals zu der Anschauung geführt, Johannes vertrete eine hellenistische Mystik, die „auf der Erlangung der Unsterblichkeit durch das Sein in dem Bringer der Unsterblichkeit beruht" (A.Schweitzer). Dann wäre der Glaube letztlich ein zeitloses Hineingenommensein in die göttliche Wesenheit, und das Verständnis des Glaubens als Ergriffensein von Gottes geschichtlichem Heilshandeln in Jesus Christus, das sich uns bisher ergab, müßte als irrtümlich beiseite gelegt werden. Trifft aber diese Deutung der Vorstellungen vom „Sein in Gott und in Christus" und von der Wiedergeburt als Ausdrucksformen einer geschiehtslosen Mystik zu? 4.5.1 Das Sein in Gott und in Christus Johannes redet zweifellos davon, daß die Christen in Christus sind, wie Christus im Vater ist: „An jenem Tage [nach der Auferstehung Jesu] werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater [bin] und ihr in mir [seid], wie ich in euch [bin]" (Joh. 14,20); „ . . . damit alle eines sind, wie du, Vater, in mir [bist] und ich in dir [bin], damit auch sie in uns seien" (17,21; vgl. 17,23). Und Johannes redet ebenso vom Bleiben der Christen in Christus, wie Christus in ihnen bleibt: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich [bleibe] in ihm" (6,56); „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, bittet, was ihr wollt, und es wird euch [zuteil] werden" (15,7); „Wer seine Gebote hält, bleibt in ihm, und er [bleibt] in ihm" (l.Joh.3,24; vgl. 2,5b.27c). Auch vom Bleiben der Christen in Gott ist im Johannesevangelium andeutend und im 1. Johannesbrief eindeutig die Rede: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung machen" (Joh. 14,23; vgl. 17,21, s. o.); „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (l.Joh. 4,16b; vgl. 2,6.24; 4,12 f.15). Aber wenn diese Rede vom Sein in Christus und in Gott auch zweifellos die Sprache der Mystik ist und das Sein der Christen in Analogie zu dem ewigen Miteinander des Vaters und des Sohnes zu beschreiben scheint („Glaubt mir, daß ich im Vater [bin] und der Vater in mir [ist]", 14,11a; vgl. 14,20; 17,21, s.o.), so will Johannes doch mit diesen Aussagen keineswegs von der wesentlichen Gleichwerdung der Glaubenden mit dem Vater und dem Sohn reden, was ja das letzte Ziel aller Mystik ist.

Die Geburt aus Gott und die Sakramente

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Das zeigt sich schon daran, daß Johannes nicht nur vom Sein oder Bleiben der Christen in Christus und in Gott-oder vom Sein oder Bleiben Christi und Gottes in den Christen - redet, sondern ganz entsprechende Aussagen auch vom Verhalten der Christen zum Wort, zur Liebe usw. machen kann: „damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen [sei] " (17,26b; vgl. 5,42); „Wenn einer sein Inneres vor ihm [dem bedürftigen Bruder] verschließt, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?" (l.Joh.3,17b; vgl. 4,12); „Bleibt in meiner Liebe" (Joh. 15,9b; vgl. 15,10; l.Joh.4,16b)-„Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben . . . " (Joh. 15,7; vgl. 5,38; l.Joh.2,14.24); „Wenn ihr in meinem Wort b l e i b t . . ( J o h . 8,31) - „Das habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt" (16,33a) - „Wer den Bruder liebt, bleibt im Licht" (l.Joh.2,10). Es ist ohne weiteres deutlich, daß Johannes in allen diesen Fällen die Verbindungen mit der Präposition „in" nicht im Sinne einer lokalen Befindlichkeit, sondern zur Beschreibung einer Beziehung oder auch eines Beherrschtseins verwendet (ganz ähnlich wie Paulus, s.o.S. 194 ff.) und daß es darum falsch wäre, die johanneischen Aussagen „in Christus" usw. anders zu interpretieren. Daß mit allen diesen Aussagen in Wirklichkeit an die Beziehung zwischen Christus und den Gläubigen gedacht ist, bestätigt dann ein Blick auf die Bildrede vom Weinstock und seinen Zweigen (Joh. 15,1 ff.). Hier bezeichnet dieselbe Präposition „in" zunächst eindeutig die Verbindung der Zweige mit dem Weinstock Christus: „Jeder Zweig an mir" (15,2; ähnlich 15,4), und auch 15,3 kann man noch übersetzen: „Bleibt an mir, wie ich an euch [bleibe] !". Aber dann verliert die Rede allmählich ihre bildhafte Anschaulichkeit, und schon 15,5 kann man kaum anders übersetzen als: „Wer in mir bleibt, wie ich in ihm [bleibe], der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun", und diese Ubersetzung ist im folgenden die allein mögliche, vgl. 15,7: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben . . . " . Die Fortsetzung dieser Bildrede zeigt nun aber auch ganz deutlich, daß das Bleiben in Christus das Festhalten des Glaubens und der Liebe bezeichnet, also nicht eine mystische Gemeinschaft mit Christus, sondern das Bestimmtsein des Glaubenden durch die Botschaft vom Heilsgeschehen in Christus: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, bittet, was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden. Darin ist mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet. Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt; bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben . . . Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete" (15,7-10a.l4). Dieser Sachverhalt, daß die Rede vom „Sein in Christus" das völlige Ergriffensein des Glaubenden durch das göttliche Handeln in Christus beschreibt, zeigt sich schließlich auch noch daran, daß nach Johannes die Gewinnung weiterer Menschen zum Glauben und damit zum „Sein in" Gott und Christus ein sichtbares Geschehen ist, das noch weitere Menschen zum Glauben führen muß: „Ich bitte auch für [diejenigen], die durch ihr Wort 18

Kümmel, Theologie

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Die johanneische Christusbotschaft

an mich glauben, damit alle eines seien, wie du, Vater, in mir [bist] und ich in dir [bin], damit auch sie in uns seien, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast" (17,20f.; vgl. 17,23). 4.5.2 Die Geburt aus Gott Aber auch die Vorstellung von der Geburt aus Gott soll im Sinn des Johannes nicht eine naturhafte Erlösung kennzeichnen. Im Johannesevangelium ist freilich nur an zwei Stellen von der Geburt aus Gott die Rede. Im Prolog wird von den Menschen, die den Logos aufnahmen, gesagt: „Ihnen gab er Vollmacht, Kinder Gottes zu werden, [denjenigen], die an seinen Namen glauben, die nicht aus Blut und nicht aus Fleischeswillen und nicht aus Manneswillen, sondern aus Gott geboren wurden" (l,12f.). Im Gespräch mit Nikodemus sagt Jesus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn einer nicht von oben geboren wird, kann er die Gottesherrschaft nicht sehen." Auf die Rückfrage des Nikodemus, ob ein Mensch ein zweites Mal aus dem Leib seiner Mutter geboren werden könne, erfolgt die Erläuterung: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in die Gottesherrschaft eingehen. Was aus Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus Geist geboren ist, ist Geist" (3,3-6). Der 1. Johannesbrief spricht dagegen häufiger von der Zeugung aus Gott und der damit geschaffenen Gotteskindschafl: „Jeder, der aus Gott gezeugt ist, tut keine Sünde, denn sein Same bleibt in ihm. Und er kann nicht sündigen, denn er ist aus Gott gezeugt" (l.Joh.3,9); „Seht, welche Liebe hat uns der Vater gegeben, daß wir Kinder Gottes genannt werden, und wir sind es . . . Meine Lieben, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden" (3,la.2a; vgl. 2,29; 3,10; 4,7; 5,lf.4a.l8). Die bei Johannes also deutlich begegnende Vorstellung von der Wiedergeburt oder der Zeugung aus Gott hat ihre Wurzeln im Hellenismus oder höchstens im stark hellenisierten Judentum, und erst das spätere Urchristentum hat den Gedanken der Wiedergeburt vor allem als Beschreibung der Wirkung der Taufe aufgenommen (l.Petr. 1,3.23; 2,2; Tit.3,5; wohl auch Jak. 1,18, vgl. den Kommentar z.St.). Bei Johannes wird nun einerseits sehr stark betont, daß Gott der Urheber dieser Zeugung und Geburt ist und dadurch die Möglichkeit gewirkt hat, Gottes Kinder zu werden (Joh. l,12f.; l.Joh.3,1), d.h. die Geburt aus Gott kann sich der Mensch nur schenken lassen. Andererseits zeigt der Zusammenhang, in dem die Aussagen über die Geburt aus Gott stehen, deutlich, daß das Annehmen der Verkündigung und damit der Glaube die Geburt aus Gott bewirken: nach Joh. 1,12 f. wurden diejenigen, die an den Namen des Logos glauben, aus Gott geboren, und nach 3,5.11 ff. ist derjenige aus Wasser und Geist geboren worden, der das Zeugnis der Gemeinde angenommen und ihm geglaubt hat. Nach dem 1. Johannesbrief ist es das Kennzeichen der aus Gott geborenen Kinder Gottes, daß sie Gerechtigkeit tun, den Bruder lieben, die Gebote Gottes ausführen (2,29; 3,9 f.; 5,1.3), und in 5,4 wird unser Glaube als der Sieg über die Welt durch denjenigen bezeichnet, der aus Gott geboren ist (vgl.

Die Geburt aus Gott und die Sakramente

275

4,7f.). Die Geburt oder Zeugung aus Gott ereignet sich also an dem Menschen, der im Glauben und Erkennen die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Christus ergreift (vgl. den Zusammenhang von l.Joh. 4,4-15) und dadurch zur Bruderliebe geführt wird, so daß „Gott in uns bleibt und seine Liebe in uns vollkommen geworden ist" (4,12b). Die naturhafte Vorstellung von der Geburt aus Gott und der dadurch geschenkten Gotteskindschaft dient Johannes also nur dazu, die persönliche Realität des umwandelnden Ergriffenseins von der Heilstat Gottes in Christus anschaulich auszusagen. Das zeigt sich schließlich auch noch an der Tatsache, daß diese von Gott geschenkte Gotteskindschaft als vorläufig bezeichnet wird, weil erst für den Zeitpunkt der Erscheinung des Christus in Herrlichkeit die Angleichung des von Gott gezeugten Christen an die göttliche Existenz des Christus erhofft wird: „Meine Lieben, jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden. Wir wissen, daß, wenn er offenbart wird, wir ihm gleich sein werden, weil wir ihn sehen werden, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung ihm gegenüber hat, heiligt sich, wie jener heilig ist" (l.Joh. 3,2 f.). So kann von einer johanneischen Mystik trotz der von Johannes verwendeten Terminologie keine Rede sein, da alle diese mystisch klingenden Vorstellungen nur das geschichtliche Teilhaben des Glaubenden an dem durch die Sendung Jesu Christi gewirkten und auf seine Vollendung wartenden Heil beschreiben. 4.5.3 Taufe und

Herrenmahl

Erst recht wird diese Feststellung nicht durch die johanneische Deutung der Sakramente in Frage gestellt. Denn die Behauptung, daß bei Johannes „ein starkes Interesse . . . für die Sakramente vorliegt" (O. Cullmann), ist angesichts der auffallend wenigen Hinweise auf Taufe und Herrenmahl in den johanneischen Schriften sicher nicht zutreffend. Die Taufe ist nur in Joh.3,5 eindeutig erwähnt: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in die Gottesherrschaft eingehen"; und die Aufforderung, Jesu Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, die in 6,51b-58 unvermittelt im Zusammenhang der Brotrede auftritt, kann nur als Anknüpfung an die Einsetzungsworte der Berichte über das letzte Mahl Jesu verstanden werden. Neben diesen beiden andeutenden, aber deutlichen Hinweisen auf Taufe und Herrenmahl finden sich bei Johannes nur noch zwei rätselhafte Aussagen über Wasser und Blut: nachdem ein römischer Soldat mit seiner Lanze die Brust des gestorbenen Jesus aufgestochen hatte, „flöß sofort Blut und Wasser heraus" (19,34); und zur Bekräftigung des Glaubens, „daß Jesus der Sohn Gottes ist", erklärt der 1. Johannesbrief: „Dieser ist [derjenige], der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus Christus; nicht nur im Wasser, sondern im Wasser und Blut; und der Geist bezeugt es, denn der Geist ist die Wahrheit" (l.Joh.5,6f.). Da Johannes im Evangelium nach der Erwähnung des Ausfließens von Blut und Wasser aus der Brustwunde Jesu außerordentlich stark betont, daß das Zeugnis für diesen Sachverhalt zuverlässig sei (Joh. 19,35), kann er mit der Erwähnung 18·

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Die johanneische Christusbotschaft

dieses Herausfließens von Blut und Wasser schwerlich nur einen wunderhaften Vorgang schildern wollen, und die Annahme liegt nahe, daß er mit der Erwähnung von Blut und Wasser darauf verweisen wollte, daß der T o d Jesu ebenso real gewesen ist wie seine Taufe. Daß dieser Bericht außerdem ein Hinweis auf das Herrenmahl und die christliche Taufe sein wolle, ist oft vermutet worden, liegt aber in keiner Weise nahe (s. den Kommentar zu 19,34). Diese Auslegung wird aber bestärkt durch l . J o h . 5,6, wo ausdrücklich in Abwehr einer gnostischen Irrlehre Wasser und Blut als Kennzeichen des Kommens Jesu bezeichnet werden und damit nur auf die Realität der Taufe und des Todes Jesu als Ereignisse der Vergangenheit („Dieser ist es, der gekommen ist...") verwiesen sein kann (s. den Kommentar zu l . J o h . 5 , 6 ) . Freilich läßt der Brief dann eine Gegenwartsaussage folgen: „Denn drei sind es, die Zeugnis ablegen, der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei treffen zusammen. Wenn wir das Zeugnis der Menschen nicht annehmen, so ist [doch] das Zeugnis Gottes größer, denn dies ist das Zeugnis Gottes, daß er für seinen Sohn Zeugnis abgelegt hat" (5,7-9). Hier wird doch wohl neben das Zeugnis des göttlichen Geistes, der die Sendung des Sohnes dem Glaubenden bezeugt (4,13-15), das Zeugnis von Taufe und Herrenmahl gestellt, die in der Gemeinde immer wieder auf die Wirklichkeit der Sendung des Sohnes Gottes und damit auch der Taufe und des Todes Jesu hinweisen. Wenn diese Deutung des schwierigen Textes zutreffen sollte - völlig läßt sie sich nicht sichern - , so wäre hier darauf verwiesen, daß die Taufe und das Herrenmahl für die Gemeinde ebenso ein Zeugnis für das Kommen und Sterben Jesu Christi als Heilstat Gottes sind wie die Verkündigung. Aber damit zeigt sich doch auch zugleich, daß Johannes hier den beiden Sakramenten keine Bedeutung für die Gewinnung des Heils zuschreibt, die über die Bedeutung des Glaubens hinausgeht. Da diese Deutung von l . J o h . 5,7f. immerhin unsicher bleibt, bleiben als einigermaßen sichere Hinweise auf Taufe und Herrenmahl im johanneischen Schrifttum nur die beiden Texte J o h . 3 , 5 und 6,51b ff. Da diese Hinweise auf Taufe und Herrenmahl ziemlich isoliert in ihrem jeweiligen Zusammenhang stehen und sich sonst keine Hinweise auf diese Sakramente bei Johannes finden, hat man oft die Annahme vertreten, daß die Worte „Wasser und" in 3,5 und der Abschnitt 6 , 5 1 b - 5 8 erst von einem kirchlichen Redaktor in das Johannesevangelium eingefügt worden seien, um die fehlende Erwähnung der Sakramente nachzutragen. Aber weder der Hinweis auf gewisse sprachliche Auffälligkeiten in 6 , 5 1 b - 5 8 , denen freilich auch typisch johanneische Züge gegenüberstehen, noch die Tatsache, daß die Hinweise auf Taufe und Herrenmahl in den beiden Texten unerwartet auftreten, reichen als Begründung für die Behauptung von Interpolationen aus. Aber auch wenn diese beiden Texte zum ursprünglichen Johannesevangelium gehört haben, läßt sich nicht leugnen, daß hier Taufe und Herrenmahl nur nebenbei erwähnt werden. Wenn in 3,5 als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß der Mensch nur in die Gottesherrschaft eingehen kann, wenn er durch

Die Geburt aus Gott und die Sakramente

IT,7

den Empfang der Taufe und die Begabung mit dem göttlichen Geist aus Gott [neu] geboren wird, so ist im folgenden nur noch von der Geburt aus dem Geist die Rede: „Was aus Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus Geist geboren ist, ist G e i s t . . . So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist" (3,6.8). Im weiteren zeigt sich eindeutig, dai? es der Glaube ist, der die Geburt aus Gott empfängt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, was wir wissen, reden wir, und was wir gesehen haben, bezeugen w i r . . . Und wie Moses die Schlange in der Wüste erhöhte, so muß der Menschensohn erhöht werden, damit jeder Glaubende in ihm ewiges Leben hat" ( 3 , l l a . l 4 f . ) . Die Taufe ist also nur Vermittler der göttlichen Neuschöpfung durch den Geist, die der Glaube empfängt (vgl. auch 15,3: „Ihr seid rein wegen des Wortes, das ich zu euch gesprochen habe"). Ganz entsprechend verhält es sich mit dem Hinweis auf das Herrenmahl in 6,51b ff. Denn in diesem Text ist zwar deutlich von der Teilnahme am Herrenmahl die Rede: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns eßt und sein Blut trinkt, habt ihr kein Leben in euch . . . Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, bleibt in mir, und ich [bleibe] in ihm" (6,53b.56). Aber einerseits wird am Ende dieses Abschnitts auf 6,32ff. zurückgegriffen, vgl.: „Dieses ist das Brot, das vom Himmel herabgestiegen i s t . . . Wer dieses Brot ißt, wird leben in Ewigkeit" (6,58) mit „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist; wenn einer von diesem Brot ißt, wird er in Ewigkeit leben" (6,51a). In der Brotrede 6,32ff. ist deutlich vom Glauben an das vom Himmel gekommene Brot die Rede, der das ewige Leben erwirbt: „Jeder, der vom Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir . . . Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Glaubende hat ewiges Leben" (6,45b.47). Andererseits wird in der Fortsetzung der Rede 6,60 ff. zur Erläuterung der Ausführungen über das Essen des Fleisches und das Trinken des Blutes gesagt: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt nichts; die Worte, die ich euch gesagt habe, sind Geist und Leben" (6,63). Aus beiden Tatbeständen geht deutlich hervor, daß der Genuß des Herrenmahls dasselbe Heil vermittelt wie der Glaube, weil der Glaubende den göttlichen Geist empfängt, auch im Herrenmahl. Warum Johannes von der Einsetzung des Herrenmahls durch Jesus beim letzten Mahl nichts berichtet - die Erzählung von der Fußwaschung beim letzten Mahl mit den Jüngern, 13,1 ff., kann nur mit Gewalt als Hinweis auf die Einsetzung des Herrenmahls gedeutet werden - , kann man höchstens raten, und so bleibt uns nur die Feststellung, daß auch die Sakramente bei Johannes die Tatsache nicht in Frage stellen, daß für Johannes die Teilhabe an dem in Christus sich ereignenden göttlichen Heilshandeln ausschließlich durch das glaubende und das ganze Leben umfassende Ergreifen der Botschaft von diesem göttlichen Heilshandeln Wirklichkeit wird. „Nur die vom Geist gegebenen Worte . . . retten, weil sie uns sagen, daß all unser Heil daran hängt, daß Jesus sein Fleisch für das Leben der Welt hingegeben hat, und weil wir sie glaubend annehmen, indem wir zum Herrenmahl gehen" (E.Schweizer).

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Die johanneische Christusbotschaft

4.6 Der Heilige Geist und die Gemeinde

4.6.1 Der Geist Gottes Nun begegnete uns aber in den johanneischen Aussagen über die Sakramente wiederholt der Hinweis auf die Wirksamkeit des göttlichen Geistes, und so müssen wir abschließend noch nach der Rolle fragen, die für Johannes der Geist Gottes im Leben des Christen spielt. Johannes setzt wie Paulus als selbstverständlich voraus, daß der Christ den Geist Gottes in der Taufe erhalten hat, und er deutet diese Geistesgabe als Geburt aus Gott und als Geschenk des göttlichen Lebens: „Wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in die Gottesherrschaft eingehen" (Joh.3,5; vgl. 3,8); „Der Geist schafft Leben, das Fleisch nützt nichts" (6,63a); „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er von dem Geist, den [diejenigen] empfangen sollten, die an ihn glaubten" (7,38.39a). Daß der Geist eine so entscheidende Bedeutung für die Wirklichkeit des Christseins hat, ist darin begründet, daß „Gott Geist ist"; infolgedessen „müssen die, die anbeten, [Gott] im Geist und in der Wahrheit anbeten", und für die Christen als mit dem göttlichen Geist Begabte gilt: „Es kommt die Stunde und ist jetzt [da], in der die wirklichen Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden" (4,24.23). Aber ebenso bewirkt der Geist das Bekenntnis zu Jesus Christus: „Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus als im Fleisch gekommen bekennt, ist aus Gott" ( l . J o h . 4 , 2 ; vgl. 4,13). Wenn so die Gabe des göttlichen Geistes bewirkt, daß Christus „in uns bleibt" (l.Joh.3,24), muß man dann nicht vermuten, daß Johannes den Geist als einen dem Menschen zum Besitz gegebenen naturhaften Besitz verstanden habe? Diese Annahme könnte um so berechtigter erscheinen, als Johannes von dem den Jüngern erschienenen Auferstandenen berichtet: „Er [Jesus] hauchte sie an und sagte zu ihnen: ,Nehmt Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sollen sie erlassen sein; welchen ihr sie festhaltet, denen sollen sie festgehalten sein'" (20,22f.). Es ist nicht zu bestreiten, daß hier die Begabung mit dem göttlichen Geist durch Jesus in dinghafter Weise geschildert wird, möglicherweise im Anschluß an Gottes belebenden Hauch in der Schöpfungsgeschichte (1.Mos. 2,7). Aber die Wirkung der so geschilderten Geistbegabung sind keine übernatürlichen Fähigkeiten, sondern ist die Bevollmächtigung der Jünger zur Zuspräche oder Verweigerung der Sündenvergebung, also eine rein geistliche Gabe, und Johannes sagt überhaupt - im Gegensatz zu Paulus - nichts davon, daß der göttliche Geist zu wunderhaften Taten befähige. Es ist vielmehr bei Johannes, von der Ausnahme 20,22 f. abgesehen, die Botschaft Jesu, die Glauben weckt und dadurch den Geist vermittelt: „Der Geist ist es, der Leben s c h a f f t . . . ; die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und Leben" (6,63); „Das sagte er von dem Geist, den [diejenigen] empfangen sollten, die an ihn glaubten" (7,39a). Weil der Geist von der Wirklichkeit der Sendung Jesu

Der Heilige Geist und die Gemeinde

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Christi Zeugnis ablegt, darum kann der vom Geist geweckte Glaube die Welt überwinden: „Wer ist [derjenige], der die Welt besiegt, wenn nicht [derjenige] der glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist? Er ist [derjenige], der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus Christus . . . Und der Geist ist [derjenige], der Zeugnis ablegt, denn der Geist ist Wahrheit" (l.Joh.5,5f.; vgl. auch 4,6). Noch wichtiger aber als die Feststellung, daß für Johannes der Geist nicht eine naturhafte Kraft im Glaubenden ist, sondern die Quelle für das Zeugnis vom Mensch gewordenen und gekreuzigten Gottessohn, ist die Beobachtung, daß für Johannes die Gabe des Geistes streng an das Heilsgeschehen gebunden ist. Der irdische Jesus besitzt zwar nach Johannes auch den göttlichen Geist, und Johannes betont ausdrücklich, daß er den Geist ständig besitzt: „Ich [Johannes der Täufer] sah den Geist herabkommen wie eine Taube vom Himmel, und er blieb auf ihm" (1,32); „[Derjenige], den Gott gesandt hat, der redet die Worte Gottes; denn nicht abgemessen gibt er [Gott] den Geist" (3,34); „Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und Leben" (6,63b). Aber diese Vorstellung von der Geistbegabung des irdischen Jesus spielt bei Johannes keine wesentliche Rolle, und der irdische Jesus spendet nach Johannes den Geist überhaupt nicht. Und dementsprechend erklärt Johannes, daß Jesus den Geist erst seit seiner Auferstehung den Glaubenden verliehen habe: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber über den Geist, den diejenigen empfangen sollten, die an ihn glaubten. Es war nämlich noch kein Geist, weil Jesus noch nicht verherrlicht war" (7,38 f.). Ganz wie für Paulus ist also auch für Johannes erst der Auferstandene der Spender des Geistes, und das besagt, daß der Geist auch für Johannes das Kennzeichen der Endzeit ist, die mit der Auferstehung Jesu vorgreifend begonnen hat. Wer den Geist empfängt, erhält darum Anteil an dem durch Jesu Auferstehung eingeleiteten Endzeitheil. 4.6.2 Der

Paraklet

Die Feststellung, daß der göttliche Geist bei Johannes an das Heilsgeschehen in Jesus Christus gebunden ist, erhält nun ihre Bestätigung durch die johanneischen Worte vom Parakleten. In den „Abschiedsreden" des Johannesevangeliums (Joh. 14-16) begegnen nämlich, ohne daß sich im Evangelium davor irgendein Hinweis auf diese Gestalt fände, fünf Sprüche, die vom „Parakleten" handeln (14,16f.26; 15,26; 16,7-11.12-15), und diese Gestalt wird in 14,17; 15,26 mit dem „Geist der Wahrheit", in 14,26 mit dem „Heiligen Geist" gleichgesetzt. Daß Johannes also mit „Paraklet" dieselbe Wirklichkeit bezeichnen will wie mit „Geist", leidet keinen Zweifel (vom „Heiligen Geist" ist auch 1,33; 7,39 die Rede; „Geist der Wahrheit" begegnet l.Joh.4,6, und in Joh.4,23f.; l.Joh.5,6 sind Geist und Wahrheit kombiniert). Doch werden die Wirkungen des Geistes und des Parakleten nicht durchweg als dieselben beschrieben, vgl. einerseits „geboren werden

280

Die johanneische Christusbotschaft

aus Wasser und Geist" und den Geist als Lebensquelle im Gläubigen, andererseits belehren, erinnern, bezeugen, anklagen als Funktionen des Parakleten (Joh.3,5; 7,39; 14,26; 15,26; 16,8). Der Begriff Paraklet begegnet sonst im Neuen Testament nur noch l . J o h . 2 , 1 : „Wenn einer sündigt, haben wir einen Parakleten beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten; und er ist Sühne für unsere Sünden"; hier wird Christus eindeutig als „Fürsprecher" charakterisiert, eine Wortbedeutung, die im Johannesevangelium nicht paßt. Denn im Evangelium wird vom Geist als Parakleten ein Doppeltes gesagt. Einerseits soll der Geist in der christlichen Gemeinde wirken, wenn Christus „weggegangen" ist: dann wird Christus „den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Parakleten geben, damit er mit euch sei in E w i g k e i t . . . Ihr erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein" (14,16.17a); „Der Paraklet, der Geist der Wahrheit, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe" (14,26); „Wenn der Paraklet kommt, den ich euch vom Vater schicken werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, er wird für mich Zeugnis ablegen" (15,26); „Wenn ich nicht weggehe, wird der Paraklet nicht zu euch kommen; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch schicken . . . Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen; wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in alle Wahrheit führen. Er wird nämlich nicht von sich aus reden, sondern wird reden, was er hört; und er wird euch das Kommende verkünden. Jener wird mich verherrlichen, denn er wird von dem Meinen nehmen und euch verkündigen" (16,7.12-14). Andererseits wird der Paraklet über die Gemeinde hinaus wirken: „der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht erhalten kann, weil sie [ihn] nicht sieht und nicht versteht" (14,17a); „der Geist der Wahrheit . . . wird für mich Zeugnis ablegen" (15,26b); „Wenn jener kommt, wird er die Welt überführen wegen Sünden und wegen Gerechtigkeit und wegen Gericht" (16,8). Aus allen diesen Aussagen ergibt sich zunächst klar, daß auch der Paraklet erst nach der Erhöhung Jesu wirken soll. Ebenso ist deutlich, daß der Paraklet das Wirken Jesu bei den Jüngern und gegenüber der Welt fortsetzt, nachdem Jesus zum Vater gegangen ist, und das besagt: „Da der Paraklet nur kommen kann, wenn Jesus weggeht, ist der Paraklet die Gegenwart Jesu, wenn Jesus abwesend ist" (R.E.Brown). Damit ist dann weiter gegeben, daß nicht nur Jesus selber gelegentlich als der erste Paraklet im Gegensatz zum Heiligen Geist als dem zweiten Parakleten bezeichnet werden kann (der Vater „wird euch einen andern Parakleten geben, damit er auf ewig mit euch sei", 14,16; vgl. auch l . J o h . 2 , 1 ) , sondern daß auch „alles, was vom Parakleten gesagt wird, anderswo im Evangelium von Jesus gesagt wird" (R.E.Brown): Jesus und der Paraklet werden vom Vater gesandt, beide gehen vom Vater aus (Joh. 8,42; 14,26; 15,26); beide legen für Jesus Zeugnis ab (8,14; 15,26); Jesus klagt die Welt ebenso an wie der Paraklet (7,7; 16,8) usw. Der Paraklet setzt also das Werk Gottes in Jesus fort, er

Der Heilige Geist und die Gemeinde

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ist der Vertreter des erhöhten Christus, bis die Verheißung in Erfüllung geht: „Ich werde wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr auch [dort] seid, wo ich bin" (14,3). Diese Fortsetzung des Werkes Jesu durch den Parakleten bzw. den Heiligen Geist besteht nun, wie die angeführten Texte zeigen, vor allem in der Fortsetzung des Christuszeugnisses, sowohl der Gemeinde wie der Welt gegenüber. Denn der Paraklet erinnert einerseits an die eigenen Worte Jesu und bezeugt Jesus weiterhin; der Paraklet wird ja „nicht von sich aus reden, sondern wird reden, was er hört" (16,13; vgl. 15,26), ganz dementsprechend, was von Jesus selbst dem Vater gegenüber gesagt wird (8,26b; 15,15). Der Paraklet wird andererseits die Jünger „in die ganze Wahrheit führen" und „euch alles lehren" (16,13; 14,26), und das entspricht der Überzeugung des Johannes, daß die Jünger erst nach der Auferstehung die Worte und Ereignisse des Lebens Jesu ganz verstanden haben (2,22; 12,16; 20,9), weil erst die Begegnung mit dem Auferstandenen die Jünger die göttliche Herkunft Jesu voll erkennen ließ: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater [bin] und ihr in mir [seid] und ich in euch [bin]" (14,20). Wie sich so das Zeugnis Jesu und damit die Erkenntnis Jesu durch den Parakleten in der Gemeinde fortsetzt, so auch die Anklage Jesu gegen die Welt. Denn die Welt kann „den Geist der W a h r h e i t . . . nicht empfangen, weil sie [ihn] nicht sieht und nicht erkennt", und darum wird der Paraklet die Welt der Sünde überführen, „weil sie nicht an mich glauben" (14,17; 16,9). Das besagt ja, daß das Christuszeugnis mit dem Fortgang des irdischen Jesus aus dieser Welt nicht zu Ende ist, daß aber die Antwort auf dieses fortgehende Christuszeugnis für das endgültige Schicksal derer, die es hören, ebenso entscheidend ist, wie es für die Zeitgenossen Jesu ihr Verhalten der Botschaft Jesu gegenüber war. Denn im Zeugnis des Parakleten redet ebenso Gott der Schöpfer unmittelbar zu uns wie im Wort Jesu selbst. Aber warum redet Johannes überhaupt vom „Parakleten", und was ist mit dieser Rede vom Parakleten konkret gemeint? Das nur in den Parakletworten der „Abschiedsreden" und in l.Joh.2,1 im Neuen Testament begegnende griechische Wort „parakletos" heißt wörtlich „der Herbeigerufene", und dementsprechend haben die alten Christen dieses griechische Wort schon früh mit dem lateinischen „advocatus" übersetzt, das der Wortbedeutung nach damit identisch ist. Diese spezifisch juristische Deutung des Wortes Paraklet im Sinne des Rechtsbeistands, die nur zu l.Joh.2,1 paßt, ist in der griechischen Sprache der Zeit des Johannes nicht belegt und entspricht auch nicht der Verwendung des Wortes im Johannesevangelium; dasselbe gilt erst recht für die von Luther aus ebenso alter lateinischer Tradition übernommene Ubersetzung „Tröster". Der allgemeine griechische Sprachgebrauch kennt nur die Bedeutung „Vertreter" oder „Helfer", und diese Bedeutung paßt durchaus zu den Funktionen des Parakleten im Johannesevangelium, ohne daß damit diese Funktionen ausreichend beschrieben wären, es fehlt sowohl das Zeugnis wie die Anklage.

282

Die johanneische Christusbotschaft

Will man das griechische "Wort überhaupt übersetzen, wird man daher am ehesten „Helfer" zu wählen haben; doch haben offensichtlich schon in der Alten Kirche manche Christen das Gefühl gehabt, das Wort lasse sich nicht durch einen Begriff in einer andern Sprache wiedergeben, und sie haben sich darum mit der Übernahme des Wortes Paraklet als Fremdwort in die lateinische und syrische Sprache begnügt, und so dürfte die Übernahme des Wortes als Fremdwort auch heute am wenigsten mißverständlich sein, wenn man die Funktion dieses Begriffs dann deutlich umschreibt. Johannes hat diese Vorstellung zweifellos nicht selber geschaffen, sondern aus dem Judentum übernommen. Denn wenn sich auch eine völlig entsprechende Vorstellung im Judentum noch nicht hat nachweisen lassen, so bestehen doch gute Gründe für die Annahme, daß die beiden im Judentum jener Zeit begegnenden Vorstellungen von einem Propheten und seinem Nachfolger und vom Geist Gottes als Zeugen und Ankläger und die Bezeichnung „Helfer" bereits im Judentum zusammengewachsen waren. Johannes konnte aber diese Vorstellung vom Geist als „Helfer" und Fortsetzer um so leichter zur Schilderung der Wirksamkeit des göttlichen Geistes nach der Erhöhung Christi übernehmen, als schon die ältere christliche Uberlieferung sowohl Christus wie den Geist als „Helfer" beschrieben hatte, wenn auch ohne dafür den Titel „Paraklet" zu verwenden: „Jeder, der mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor meinem Vater in den Himmeln bekennen" (Mt. 10,32 p.); „Wenn sie euch hinführen, um euch [dem Gericht] zu übergeben, sorgt euch nicht darum, was ihr reden werdet, sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet; denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist" (Mk. 13,11 p.; vgl. auch Rom. 8,26). Es ist aber nun sicherlich kein Zufall, daß Johannes vor den Abschiedsreden nur vom „Geist" und dann nur noch vom Parakleten spricht, der mit dem Geist gleichgesetzt wird (die auffällige Ausnahme Joh. 20,22 bestätigt nur die Regel, vgl.o.S.278). Denn der Paraklet repräsentiert ja das Fortwirken Jesu nach dem Tod und der Erhöhung Jesu, und auf diese neue heilsgeschichtliche Lage bereiten die streng futurischen Aussagen der Abschiedsreden über den Parakleten die Jünger und dann die christliche Gemeinde vor. Damit ist nicht nur gegeben, daß der göttliche Geist das geschichtliche Handeln Gottes in der Person und Geschichte Jesu weiterführt und darum an dieser geschichtlichen Wirklichkeit des Heilsgeschehens Anteil hat, sondern es zeigt sich auch, daß diese Wirksamkeit des Geistes sich in der konkreten Wirklichkeit der christlichen Gemeinde vollzieht. Denn das, .was der Paraklet tut, ist das Lehren und Erinnern, das Bezeugen und Anklagen, das Führen in alle Wahrheit und die Verherrlichung Christi (14,26; 15,26; 16,8.13 f.), und das alles geschieht ja nicht durch das Eingreifen übernatürlicher Wesen oder durch innerliche Erfahrungen, sondern durch die Verkündigung der Jünger. Das ergibt sich zunächst aus 15,26f.: „Wenn der Paraklet k o m m t . . . , wird er für mich Zeugnis ablegen.

Der Heilige Geist und die Gemeinde

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Und ihr legt Zeugnis ab, weil ihr von Anfang an mit mir seid." Hier ist deutlich gesagt, daß die Jünger, die von Jesus zu berichten wissen, weil sie sich ihm angeschlossen haben, das Zeugnis des Parakleten für Jesus ausbreiten, indem der Paraklet durch sie redet. Das "Wirken des Parakleten vollzieht sich darum im Sinne des Johannes gerade auch darin, daß „der Paraklet euch alles lehren und euch an alles erinnern wird, was ich euch gesagt habe" (14,26). Das besagt aber: wo der Paraklet wirksam wird, da werden die Worte Jesu weitergegeben und interpretiert, und der Verfasser des Johannesevangeliums versteht sein eigenes Evangelium als Teil solcher Lehre des Parakleten. Wo die Botschaft von Jesus Christus glaubend berichtet, verkündet und als Leben schenkendes Wort lebendig gemacht wird, da ist Jesus Christus selber durch den Parakleten am Werk (vgl. 20,31). 4.6.3 Die Gemeinde Die johanneische Botschaft vom Wirken des Heiligen Geistes als des Parakleten setzt daher die Wirklichkeit der Gemeinde Jesu Christi voraus. Man hat allerdings oft bezweifelt, daß Johannes überhaupt an der Gemeinde oder Kirche interessiert sei, deren Vorhandensein er natürlich kennt. Denn das Wort „Kirche" oder Gemeinde begegnet in den johanneischen Schriften nur 3.Joh. 6,9 f., und da nur zur Bezeichnung der Ortsgemeinde, und auch nur im 3. Johannesbrief ist von dem Inhaber einer leitenden Funktion in der Gemeinde des Briefempfängers die Rede („Diotrephes, der die erste Rolle spielen möchte", 3.Joh.9). Und neben diese terminologische Feststellung ist die noch wesentlichere Beobachtung gestellt worden, daß „das vierte Evangelium eine der am stärksten individualistischen Schriften des Neuen Testaments ist und die ,Gegenwart gewordene Zukunftserwartung', die ein so bekannter Zug dieses Evangeliums ist, das Resultat dieses Individualismus darstellt" (C.F.D.Moule). Nun besagt es freilich angesichts des literarischen Charakters des Johannesevangelium als eines „Evangeliums" wenig, daß hier die Bezeichnung „Kirche" fehlt - dasselbe trifft auch für Markus und Lukas zu - , weil ja im Johannesevangelium, überhaupt nur durch Rücktragung von der Kirche die Rede sein könnte. Der 1. Johannesbrief aber redet zwar auch nicht von „Kirche", setzt jedoch deutlich den Gegensatz der Kirche zu den von ihr getrennten Irrlehrern voraus: die Antichristen „sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wären sie von uns gewesen, wären sie bei uns geblieben, aber es sollte offenbar werden, daß sie nicht von uns sind" (2,19), ebenso stellt er die Christengemeinde der Welt gegenüber: Christus „ist Sühne für unsere Sünden, aber nicht allein für unsere, sondern auch für die [Sünden der] ganzen Welt" (2,2); „Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt haßt; wir wissen, daß wir vom Tod zum Leben hinübergeschritten sind, weil wir die Brüder lieben" (3,13 f.). Es trifft gewiß zu, daß sich die johanneische Verkündigung mit ihrer Glaubensforderung und ihrem Bekenntnis zum empfangenen ewigen Leben primär an den Einzelnen wendet (vgl. etwa Joh. 3,18; 5,24). Aber auch hier zeigt der Gegen-

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Die johanneische Christusbotschaft

satz zur Welt, daß sich Johannes die Jünger Jesu als Einheit vorstellt: „Als die Stunde gekommen war, daß er [Jesus] aus dieser Welt zum Vater hinübergehen sollte, erwies Jesus, der die Seinen in der Welt geliebt hatte, ihnen seine Liebe in vollkommener Weise" (13,1; vgl. 15,18 f.). So wenig also Johannes an der äußeren Gestalt der christlichen Gemeinde interessiert ist, so stark betont er doch die Bedeutung der Kirche für das Heilsgeschehen. Das zeigen vor allem die beiden Bildreden von der Schafherde und vom Weinstock. Die Herde ist dem rechten Hirten „gegeben", wird von ihm beschützt und erhält von ihm ewiges Leben: „Meine Schafe folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie werden in Ewigkeit nicht zugrunde gehen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen" (10,27f.; vgl. 10,9f.). Nur die Zweige, die am Weinstock Christus bleiben, bringen Frucht und verdorren nicht: „Ich bin der richtige Weinstock . . . Wie der Zweig keine Frucht bringen kann aus sich selbst, falls er nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht an mir b l e i b t . . . Ohne mich könnt ihr nichts tun" (15,1.4.5b). Diese Herde und diese Zweige, die zum Hirten und zum Weinstock gehören, werden dann auch „meine Jünger" genannt, die sich gegenseitig lieben (15,8; vgl. 8,31; 13,35), oder Jesu „Freunde", die „hingehen und Frucht bringen" (15,15f.), oder „die Seinen" (13,1). Diese Menschen hat der Vater dem Sohn gegeben, für sie bittet der in den Tod gehende Sohn den Vater, nicht für die Welt (17,6a.9), für sie bittet er, „daß sie eines seien wie wir" (17,11c). Johannes kennt daher das Christsein nur im Zusammenhang mit der christlichen Gemeinde, als Zweige am Weinstock Christus. Nun ist aber wichtig zu sehen, daß für Johannes auch die Existenz der christlichen Gemeinde streng an das geschichtliche Heilshandeln Gottes in Jesus Christus gebunden ist. Wenn die Linien nach rückwärts auch nicht stark ausgezogen sind, so betont Johannes doch wiederholt, daß es nach dem Zeugnis der Schrift in Israel mancherlei Zeugen für Christus gegeben hat: „Moses hat von mir geschrieben" (5,46); „Abraham, euer Vater, jubelte, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich" (8,56); „Jesaja sprach dieses [Jes. 6,9 f.], weil er seine [Christi] Herrlichkeit sah, und er redete von ihm [Christus]" (12,41). Wie „die Rettung aus den Juden stammt" (4,22b), d.h. wie der „Retter der Welt" (4,42) ein Jude war, so hat der Retter die „Seinen" auch zunächst aus Israel gesammelt: Nathanael, der Jesus als Messias bekennen wird, ist „in Wirklichkeit ein Israelit, an dem kein Betrug ist" (1,47), und die Schafe „dieses Schafhofs" (10,16), die sich an den rechten Hirten halten, sind die jüdischen Jünger Jesu. Aber wenn dieser Zusammenhang der christlichen Gemeinde mit Gottes Geschichte im jüdischen Volk auch nicht stark betont ist, so legt Johannes um so größeren Nachdruck auf die Festeilung, daß die Gemeinde durch den Tod und die Auferweckung Jesu begründet ist und daß die Wirkung dieses Todes und dieser Auferstehung über die Grenzen Israels hinaus alle Völker ergreift: „Der rechte Hirte setzt sein Leben für die Schafe ein . . . Ich bin der rechte Hirte, und ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich . . . Und ich

Der Heilige Geist und die Gemeinde

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habe [noch] andere Schafe, die nicht aus diesem Schafhof sind; auch sie muß ich führen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte sein" (10,IIb.14.16); Kaiphas „prophezeite, daß Jesus für das Volk sterben solle, und nicht für das Volk allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes zu Einem zusammenführe" (11,5 Ii).52); „Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen" (12,32). An diesem Zusammenhang zeigt sich nun, daß für Johannes das Wirken des Heiligen Geistes als des Parakleten in der Tat die Existenz und Wirksamkeit der christlichen Gemeinde voraussetzt: das durch den Parakleten gewirkte Zeugnis der Gemeinde leitet den Fortgang der Botschaft von Jesus Christus und damit die Ausbreitung der Gemeinde in die Wege: „Wenn der Paraklet k o m m t . . . , wird er für mich Zeugnis ablegen; und ihr legt Zeugnis ab, denn ihr seid von Anfang an mit mir" (15,26f.); „Ich bitte nicht für diese allein [d.h. für die jüdischen Jünger des irdischen Jesus], sondern auch für [diejenigen], die durch ihr Wort an mich glauben, damit alle eines seien, wie du, Vater, in mir [bist] und ich in dir [bin], damit auch sie in uns seien, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast" (17,21 f.). So ist für Johannes das Wirken des Geistes ebenso wie die Wirklichkeit der Kirche an die geschichtliche Offenbarung Gottes in Jesus Christus gebunden, und „zwischen der Stunde der Abschiedsreden und dem Jüngsten Tag rollt die Zeit der Kirche ab, in der Jesus . . . in seinem Wort gegenwärtig ist, das von Generation zu Generation weitergegeben wird" (H.Van den Bussche). Immer wieder hat sich also gezeigt, daß die johanneische Botschaft die Wirksamkeit und die Verkündigung Jesu Christi bewußt und konsequent vom Glauben der Gemeinde der Spätzeit des Urchristentums an die Sendung und Erhöhung Jesu durch Gott her sieht und darstellt. Aber es zeigte sich auch, daß die Überhöhung der menschlichen Wirklichkeit Jesu von diesem Glauben aus gewiß gelegentlich die Gefahr mit sich brachte, daß diese menschliche Wirklichkeit aufgehoben wird, daß Johannes dieser Gefahr aber sehr deutlich dadurch begegnete, daß er den Blick immer wieder auf das Menschsein Jesu zurücklenkte. Es zeigte sich ebenso, daß Johannes trotz seiner hellenistischen Sprache und Vorstellungswelt und trotz des Zurücktretens der Zukunftserwartung nicht nur die Person Jesu, sondern auch das durch Jesus gewirkte Heil streng an das geschichtliche Handeln Gottes in Jesus Christus bindet und dadurch als das endzeitliche Heilsgeschehen verkündet. Wenn sich darum mit der Darstellung der johanneischen Christusbotschaft als der „Vollendung des neutestamentlichen Christuszeugnisses" mit Recht der Kreis einer „Theologie des Neuen Testaments nach ihren Hauptzeugen" geschlossen hat, so bleibt es die letzte Aufgabe dieser Darstellung, die Frage nach der Gemeinsamkeit der Botschaft dieser Hauptzeugen zu stellen.

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Jesus - Paulus - Johannes V. S C H L U S S

Jesus-Paulus- Johannes : Die Mitte des Neuen Testaments 1. Die „Mitte des Neuen Testaments" Die in diesem Band gebotene Darstellung der Verkündigung Jesu, der Theologie des Paulus auf dem Hintergrund der Urgemeinde und der Christusbotschaft der Johannesschriften hat die Voraussetzung (s.o.S. 14) bestätigt, daß die einzelnen Schriften oder Schriftengruppen des Neuen Testaments zunächst für sich zu Worte kommen müssen, weil in ihnen verschiedene Stimmen reden, die nicht von vorneherein zusammen gehört werden können. Wenn wir nun abschließend fragen, ob sich trotz der Verschiedenheit dieser Stimmen eine Gemeinsamkeit feststellen läßt, so ist diese Frage schon darum unerläßlich, weil wir davon ausgegangen sind, daß die drei hier ausführlich dargestellten Verkündigungsformen ein ausreichendes Bild der zentralen Verkündigung des Neuen Testaments bieten (s. O.S. 15). Diese Frage ist aber vor .allem deswegen unerläßlich, weil wir als Christen dem Neuen Testament ja nicht als einer beliebigen geschichtlichen Urkunde der Vergangenheit gegenübertreten, sondern in der mehr oder weniger eindeutigen Überzeugung, daß uns in den Schriften des Neuen Testaments die Kunde von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus begegnet, und weil uns darum die Frage nach der Botschaft des Neuen Testaments, nach der Einheit in der Vielheit, wesentlich sein muß. Denn wenn nicht zu bestreiten ist - die Darstellung dieses Bandes hat es erneut gezeigt - , daß auch die Hauptzeugen des Neuen Testaments sich nicht von vorneherein als miteinander in Übereinstimmung befindlich erkennen lassen, so könnte doch von einer Botschaft des Neuen Testaments überhaupt nicht die Rede sein, wenn diese Zeugen nicht in wesentlichen Punkten dieselbe Botschaft hätten, wenn der Christ nicht doch trotz aller Verschiedenheit die eine wesentliche Botschaft aus der Vielheit der Zeugen heraushören könnte. Die hier abschließend zu stellende Frage nach der gemeinsamen Botschaft der neutestamentlichen Hauptzeugen drängt sich uns also nicht aus der Beschäftigung mit der Verkündigung dieser Zeugen selber auf, die in keinerlei direkter Beziehung zueinander stehen, sondern aus dem Wissen um ihre gemeinsame Zugehörigkeit zum Kanon des Neuen Testaments. Das Neue Testament ist ja eine in der Alten Kirche durch Ausscheidung von Schriften und durch kirchenamtlich erklärte Abgrenzung entstandene Sammlung christlicher Schriften aus der Zeit der Apostel, für die die Kirche den Anspruch erhob und erhebt, daß darin alle Schriften enthalten seien, die sicher davon Zeugnis ablegen können, was Gott durch das Leben und Wirken, durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi und durch die Gründung der Kirche durch seinen Geist gewirkt hat. Daß alle diese Schriften im wesentlichen dasselbe verkündigen, wurde als selbstverständlich angenommen, bis zuerst M. Luther und dann seit der Mitte des 18. Jahr-

Die „Mitte des Neuen Testaments"

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hiihderts die historisch arbeitende Theologie die Einsicht gewannen, daß die Schriften des Neuen Testaments nicht durchweg dasselbe sagen, sondern sich teilweise sehr eindeutig widersprechen (s.o.S. 12). Ist das Neue Testament also kçine Einheit, sind seine Schriften aber trotzdem normativ für den Glauben des Christen, so stellt sich die zwingende Frage, wo die „Mitte des Neuen Testaments" zu finden sei, an der die einzelnen Schriften oder auch die einzelnen Lehren des Neuen Testaments gemessen werden können. Luther nannte bekanntlich in seinen Vorreden zur Übersetzung des Neuen Testaments von 1522 den „rechten Prüfstein, um alle Bücher zu untersuchen, wenn man sieht, ob sie Christum treiben oder nicht", und bezeichnete es als „das Amt eines rechten Apostels, daß er von Christi Leiden und Auferstehung und Amt predige". Wenn wir uns an dieser Entdeckung des „Evangeliums" im Neuen Testament durch Luther auch immer wieder orientieren sollten, so hat uns doch die Forschung der letzten zweihundert Jahre einen wesentlich klareren Einblick in das geschichtliche Werden der Schriften des Neuen Testaments und der Sammlung dieser Schriften zum neutestamentlichen Kanon verschafft, als sie Luther haben konnte, und darum können wir besser über das zeitliche Hintereinander der einzelnen Schriften und über die geschichtliche Bedingtheit jeder einzelnen Schrift urteilen. Die Frage nach der „Mitte des Neuen Testaments" kann von uns darum nur durch eine Besinnung auf das Werden und Wesen des neutestamentlichen Kanons richtig beantwortet werden. Es war zweifellos die Absicht bei der Abgrenzung des neutestamentlichen Kanons, das Zeugnis der Männer der apostolischen Zeit für die geschichtliche Heilstat Gottes in Jesus Christus und für die Gründung seiner Gemeinde durch den Heiligen Geist vor späteren Erweiterungen und Verfälschungen zu schützen, und das vielgestaltige Zeugnis der Schriften des Neuen Testaments hat seine normative Bedeutung darin, daß es in einem zeitlich und sachlich mehr oder weniger nahen Verhältnis zur geschichtlichen Christusoffenbarung steht. Dann ist aber zu erwarten, daß wir diesem Zeugnis am reinsten in denjenigen Formen urchristlicher Verkündigung begegnen, die dem geschichtlichen Christusereignis zeitlich am nächsten stehen, d. h. in der Botschaft und Gestalt Jesu, wie sie uns in der ältesten Uberlieferung der Synoptischen Evangelien greifbar wird, dann in der Verkündigung der Urgemeinde, die das Sterben und die Auferstehung Jesu deutete und die^Gründung der Gemeinde durch den Heiligen Geist bezeugte, schließlich in der ersten theologischen Durchdenkung dieser Verkündigung durch Paulus. Die Zusammenschau dieser drei Verkündigungsformen läßt uns in der Tat trotz aller Unterschiede eine gemeinsame Botschaft erkennen, die als grundlegend bezeichnet und an der die Botschaft des übrigen Neuen Testaments gemessen werden kann. Es wäre nun aber irrtümlich, anzunehmen, daß sich das unverfälschte Christuszeugnis der apostolischen Zeit ausschließlich in den ältesten Schriften des Neuen Testaments niedergeschlagen haben könne, doch ist es wesentlich schwieriger zu sagen, welche weiteren Schriften in erster Linie daraufhin

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Jesus - Paulus - Johannes

zu befragen sind, ob sie in ihrer zentralen Verkündigung mit der Jesus, der Urgemeinde und Paulus gemeinsamen Botschaft in Übereinstimmung stehen. Wenn im vorliegenden Band die Christusbotschaft des vierten Evangeliums und der Johannesbriefe mit dieser Absicht herangezogen worden ist, so natürlich auch wegen des großen Umfangs dieser Schriftengruppe im Rahmen der übrigen Schriften des Neuen Testaments. Vor allem aber sind die Johannesschriften deshalb mit befragt worden, weil im vierten Evangelium der Versuch vorliegt, die Person und Verkündigung Jesu konsequent vom Glauben der Urgemeinde nach Ostern und Pfingsten her darzustellen und weil sich angesichts dieser Darstellung die Frage aufdrängt, inwieweit damit die ursprüngliche Christusbotschaft sachgemäß fortgebildet oder auch wesentlich verfälscht worden ist (s.O.S.237). Es entspricht darum ebensosehr der Entwicklung der urchristlichen Verkündigung wie dem theologischen Sinn des neutestamentlichen Kanons, wenn wir im folgenden nach der sachlichen Einheit in der Botschaft Jesu, der Theologie des Paulus und der Christusverkündigung der johanneischen Schriften fragen und auf diese Weise zugleich das Problem der „Mitte des Neuen Testaments" ins Auge fassen. Daß bei dieser zusammenfassenden Rückschau die Belege nicht noch einmal wiederholt werden können, versteht sich von selbst. 2. Die Zukunft und die Gegenwart des Heils 2.1

Jesus

Jesus ist aufgetreten mit der Botschaft vom baldigen Kommen der Gottesherrschaft, und er hat diese Ansage sehr konkret gemeint, wie seine Erwartung beweist, daß die Gottesherrschaft noch vor dem Aussterben seiner Generation in Erscheinung treten werde. Jesus hat aber, im Gegensatz zu allen jüdischen Vorstellungen, die Verheißung des baldigen Kommens der Gottesherrschaft mit der kühnen Behauptung verbunden, daß die Gottesherrschaft in seinem eigenen Wirken und Verkündigen schon gegenwärtige Wirklichkeit geworden sei. Die widersprüchliche und für seine Zeitgenossen zweifellos rätselhafte Verbindung dieser beiden Aussagen läßt sich aber als sinnvoll verstehen, wenn man erkennt, daß beide Aussagen gerade miteinander etwas über Gott und über Jesus aussagen. Gott ist für Jesus der fordernde Herr und der Richter, und die Gewißheit des baldigen Kommens der Gottesherrschaft verschärft die Dringlichkeit der göttlichen Forderung und die Bedrohlichkeit des göttlichen Gerichts. Weil aber Jesus den Willen Gottes in endgültiger Weise und persönlich anredend auslegt, tritt Gottes Forderung und das Wissen um Gottes Gericht in die Gegenwart der Hörer Jesu neu und direkt hinein. Gott ist für Jesus aber vor allem der Vater, der seine Kinder in seine kommende Herrschaft aufnehmen und ihnen vergeben wird, wenn sie den Ruf zur Umkehr hören. Dieser zukünftig handelnde Vater greift aber schon in die Gegenwart hinein, indem Jesus die Dämonen überwindet und verachteten und sündigen Menschen Gottes Vergebung zur gegenwärtigen Erfahrung werden läßt, indem er sie

Die Zukunft und die Gegenwart des Heils

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in seine Lebensgemeinschaft aufnimmt und ihnen Gottes Vergebung zuspricht. Wenn Jesus also von dem gegenwärtig sich vollziehenden Handeln des zukünftigen Gottes redet, so ist dieses Gegenwärtigsein der Endzeit deutlich an die Person Jesu gebunden. Es läßt sich trotz der Schwierigkeit der Quellenlage mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, daß Jesus nicht nur das baldige Kommen des „Menschensohns" in Herrlichkeit angekündigt, sondern auch andeutend zu verstehen gegeben hat, daß er selber als Menschensohn erscheinen und dann über das gegenwärtige Verhalten der Menschen ihm gegenüber urteilen werde. Auch das Kommen des Menschensohns erwartete Jesus wie das der Gottesherrschaft in Bälde, das Leben der Menschen in seiner Gegenwart sollte darum durch das Wissen um dieses baldige Kommen bestimmt sein. D.h. Jesus hat die ihm gestellte Frage nach der Bedeutung seiner Person im Zusammenhang des angekündigten Endzeitgeschehens einerseits mit dem Hinweis auf das zukünftige Richten des Menschensohns beantwortet. Er hat andererseits-wiederum in völligem Widerspruch zu aller jüdischen Endzeiterwartung - von sich als dem gegenwärtigen Menschensohn gesprochen und in seinen Taten und Worten die verheißene Endzeit angebrochen gesehen. Das alles zeigt, daß Jesus seinen Zeitgenossen nicht nur die Nähe des Weltendes und der Heilszeit angekündigt hat - das haben apokalyptische Gruppen auch getan. Jesus redet vielmehr auch von dem gegenwärtigen Beginn der kommenden Gottesherrschaft und von der Gegenwärtigkeit des endzeitlichen Heils. Selbst wenn man auch im frühen Judentum gelegentlich von gegenwärtigem Endheil gesprochen haben sollte - die Frage ist keineswegs sicher zu bejahen - , so ist die Gegenwart des endzeitlichen Heils bei Jesus so streng und ausschließlich an die Person Jesu gebunden, daß damit etwas völlig Neues gesagt wird: der Anschluß an Jesus läßt den Menschen teilhaben an dem mit Jesus begonnenen Endheil, dessen Vollendung Jesus für die nächste Zukunft verheißt. Es ist also eine ganz bestimmte Endzeitgeschichte Gottes, die Jesus seinen Hörern vor Augen stellt und an der teilzunehmen er sie auffordert. 2.2 Die Urgemeinde und Paulus Diese Verkündigung Jesu schien mit der Hinrichtung Jesu am Kreuz als illusorisch erwiesen zu sein. Aber die Schau des auferweckten Jesus ließ die in Verzweiflung geflohenen Jünger sich erneut sammeln, und der Glaube an die Auferweckung des gekreuzigten Jesus aus den Toten bedeutete für sie, daß dieser Jesus von Gott zum himmlischen Herrn eingesetzt worden war. Zugleich erfuhren die in diesem Glauben versammelten Jünger, daß der für die Endzeit verheißene Geist Gottes in ihrer Mitte schon wirksam sei, und die dadurch geschaffene Gemeinde der Endzeit betete zum himmlischen Herrn, daß er in Bälde in Herrlichkeit erscheinen und daß damit Gottes Herrschaft über alle Welt anbrechen möge. Auch in der vom Geist geleiteten Gemeinde ist so nach dem Glauben dieser ältesten Christen die Endzeit 1$

Kümmel, Theologie

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Jesus - Paulus - Johannes

bereits angebrochen, obwohl auch sie noch auf das baldige Kommen der Gottesherrschaft warteten. Diese urgemeindliche Heilserfahrung ist die Voraussetzung für die Theologie des Paulus. Auch Paulus lebt in der Erwartung der baldigen Erscheinung des auferstandenen Christus in Herrlichkeit, er hofft sogar auf den Anbruch des Endheils noch zu seinen Lebzeiten. Diese Erwartung bestimmt die drängende Eile seiner Missionstätigkeit ebenso wie seine Zurückhaltung gegenüber der Änderung der bestehenden Verhältnisse und seine Mahnung zum ständigen Bereitsein. Aber Paulus ist ebenso fest davon überzeugt, daß die Heilszeit durch die Sendung des Gottessohnes Gegenwart geworden ist und daß die Christen den Gottesgeist als Angeld auf das zukünftige Heil schon empfangen haben, er redet also in paradoxer Weise sowohl vom „gegenwärtigen bösen Aon" wie vom gegenwärtigen „Tag des Heils", aber ebenso auch vom Nahesein des Herrn. Das Kommen des Gottessohnes in diese vergehende Welt, sein Kreuz und seine Auferstehung auf der einen Seite, die Erwartung seiner baldigen Erscheinung vom Himmel her auf der anderen Seite bewirken nach Paulus, daß die Gegenwart Heilszeit vor dem Ende ist, und von dieser Heilswirklichkeit wird die Existenz der Glaubenden bestimmt: der Glaubende ist schon jetzt herausgenommen aus dem gegenwärtigen bösen Aon und „versetzt in das F.eich seines lieben Sohnes", aber er lebt noch im Fleisch, darum „im Glauben, nicht im Sehen", und erwartet „die Befreiung unseres Leibes", wenn der Herr vom Himmel erscheint, der unseren Leib „umgestalten wird, so daß er dem Leib seiner Herrlichkeit gleichgestaltet wird". Auch Paulus sieht also die Gegenwart als das Miteinander von Heilszeit und Hoffnung auf die Heilsvollendung, beides gebunden an das konkrete Christusgeschehen und darum vorläufig und auf die Vollendung ausgerichtet. Doch ist bei Paulus, in Ubereinstimmung mit der Urgemeinde, aber über Jesus hinausgehend, die Heilsgegenwart spürbarer geworden dadurch, daß der auferstandene Christus in seiner Gemeinde und durch seinen Geist gegenwärtig ist und so das Leben der Christen beherrscht. D. h. Paulus interpretiert die Wirklichkeit seiner Gegenwart von der erfahrenen Wirklichkeit des göttlichen Handelns an Ostern und Pfingsten her neu und entsprechend der veränderten heilsgeschichtlichen Lage, aber trotzdem in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Verkündigung Jesu. Sein Dank an Gott, „der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus" (l.Kor. 15,57), führt ihn nur um so stärker zu dem Bekenntnis, daß er als Christ sich „nach vorn ausstreckt" und „dem Ziel nachjagt, dem Siegespreis, [der in] der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus [besteht]" (Phil.3,14). 2.3 Die

Johannesschriften

Das Johannesevangelium redet zentral von der Sendung des Sohnes durch den Vater in die Welt und von der ewigen Zusammengehörigkeit des Sohnes mit dem Vater. Trotzdem will auch Johannes nicht von einer ewigen, zeitlosen Wirkl'Vhkeit reden. Denn er legt einerseits auf die geschichtliche Wirk-

Die Zukunft und die Gegenwart des Heils

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lichkeit des Menschen Jesus großen Wert und betont andererseits, daß dieser Mensch Jesus als Erfüllung alttestamentlicher Erwartungen am Ende der Tage von Gott in die Welt gesandt worden ist. Dieser Jesus verweist auf seine Wiederkunft vom Vater her, auf die kommende Auferstehung und das Endgericht und die endzeitliche Offenbarung der Gotteskinder in Herrlichkeit. Auch Johannes hat also das Auftreten Jesu als endzeitliches Heilsgeschehen gedeutet und mit der zukünftigen Heilsvollendung bei der Erscheinung des erhöhten Christus in Herrlichkeit gerechnet. Aber so unbestreitbar das ist, so deutlich, ja noch deutlicher, hat Johannes auch die Gegenwärtigkeit des Heils betont: der Glaubende hat das ewige Leben, der irdische Tod ist demgegenüber bedeutungslos; der erhöhte Christus hat den Seinen den Geist als Parakleten geschickt, der sie in alle Wahrheit führt. Aber so eindeutig und stark Johannes die Gegenwart des Heils betont, so eindeutig weiß er doch auch, daß die Gegenwärtigkeit des Heils an den Glauben gebunden ist, der bleiben muß, um den Glaubenden wirklich aus der Welt zu befreien, und daß nur diejenigen Zweige Frucht bringen, die am Weinstock bleiben. Darum verheißt auch Johannes das Schauen der Herrlichkeit des Sohnes als zukünftige Vollendung des Heils. Johannes hat also zweifellos die Gegenwärtigkeit der Heilszeit stärker betont als Paulus, und vom zukünftigen Endheil ist bei ihm nur selten die Rede. Aber auch für Johannes ist die Gegenwart nur darum Heilszeit, weil Gott in der Vergangenheit den Menschen Jesus als „Retter der Welt" gesandt hat und weil der erhöhte Christus durch den Geist die Seinen an diesem Heil Anteil nehmen läßt. Und auch für Johannes ist das Heil in der Gegenwart unvollkommen, auch für ihn wartet der Gläubige darum darauf, daß der Herrscher dieser Welt endgültig herausgeworfen wird. Weil das Heil an den Menschen Jesus und damit an das göttliche Handeln in der Geschichte gebunden ist, weiß sich auch bei Johannes der Glaubende in die Zwischenzeit zwischen der Auferweckung Jesu und dem endzeitlichen Kommen des erhöhten Herrn gestellt und hat in solchem Glauben Anteil an dem in Jesus Christus begonnenen und auf die Vollendung wartenden Endheil. Nun ist die johanneische Christusbotschaft ja in allen wesentlichen Zügen nicht direkt von der Verkündigung Jesu beeinflußt, und ebensowenig stellt sie eine Fortbildung der paulinischen Theologie dar. Trotzdem stehen diese drei Hauptformen der neutestamentlichen Christusverkündigung in einer wesentlichen Hinsicht auf einer Entwicklungslinie hintereinander, nämlich in dem Glauben an Gottes endzeitliches Heilshandeln in Jesus. Jesus, Paulus und Johannes verkündigen nicht einfach, daß die Gegenwart Heilszeit sei, sondern sie begründen diesen Glauben damit, daß der endzeitliche Heilbringer schon auf Erden erschienen sei bzw. war und Heil wirke bzw. gewirkt habe und daß dieser Heilbringer Jesus in seiner vollen Würde in Zukunft hervortreten werde. D. h. diese drei Heilszeugen wissen in gleicher Weise um das (baldige) Kommen der Endheilszeit und um die Gegenwart dieser Endzukunft in dem Menschen Jesus bzw. auch dem Auferstandenen. 19*

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Jesus - Paulus - Johannes

Dieser Glaube aber hat sich von Jesus zu Paulus verschoben: war für Jesus diese Gegenwart des Heils nur in seiner Person Wirklichkeit, so sieht Paulus - im Anschluß an die Erfahrung der Urgemeinde - die Gegenwart des Endheils auch in der Existenz der Gemeinde als des Leibes Christi und in der Geistbegabung der einzelnen Christen; und Johannes betont die Gegenwärtigkeit des ewigen Lebens noch wesentlich stärker als Paulus und beschreibt damit vor allem die Existenz des einzelnen Christen, ohne die Gemeinde zu vergessen. Diesem stärkeren Hervortreten des Glaubens an die Gegenwärtigkeit des Heils entspricht ein Zurücktreten der Endheilserwartung: Paulus rechnet noch mit dem Kommen des himmlischen Herrn zu seinen Lebzeiten, hält aber ein Getrenntsein vom Herrn auch durch den Tod vor der Parusie nicht für möglich, so daß er im Philipperbrief schwanken kann, ob er den Tod oder das Erleben der Parusie bei Lebzeiten herbeiwünschen soll. Und im Johannesevangelium ist von der Nähe der Endzeit nicht mehr deutlich die Rede - l.Joh.2,18 „Es ist letzte Stunde" deutet diese Erinnerung immerhin an - , obwohl die Erwartung des kommenden Endheils nicht aufgegeben ist. Wenn sich so in diesen Hauptzeugen der neutestamentlichen Theologie die Betonung der Gegenwart des Heils immer mehr verstärkt und die Naherwartung zurücktritt, so zeigt sich darin, daß schon die apostolischen Zeugen die Problematik der Na^erwartung empfunden haben. Trotzdem ist unübersehbar, daß das Miteinander des Glaubens an die Gegenwart des göttlichen Heils durch die Sendung Jesu und der Erwartung der Heilsvollendung durch das Kommen Jesu Christi in Herrlichkeit für diese Hauptzeugen der neutestamentlichen Theologie konstitutiv ist. Denn die Erfahrung der Gegenwart als Heilszeit ist bei allen diesen Zeugen durch den Glauben an Gottes endzeitliches Handeln in Jesus Christus bedingt und darum ebensosehr an die geschichtliche Erscheinung Jesu wie an die Hoffnung auf die Heilsvollendung gebunden. Und weil das Wissen um die Heilsgegenwart durch den Glauben an Gottes endzeitliches Handeln in Jesus Christus bedingt ist, ist dieses Wissen von der Hoffnung auf die Heilsvollendung durch den Heilbringer der Endzeit nicht zu trennen. 3. Die Herablassung Gottes Freilich ist das nur die halbe Wahrheit. Denn der den Hauptzeugen der neutestamentlichen Verkündigung gemeinsame Glaube, daß Gottes Heilszeit in Jesus Christus angebrochen ist und sich durch Jesus Christus vollenden wird, wäre inhaltlose Spekulation, wenn damit nicht auch eine sehr deutliche Aussage über das in diesem endzeitlichen Gotteshandeln sich ereignende Heil gemacht würde. Es zeigt sich aber bei genauerem Hinsehen leicht, daß der Glaube an die Gegenwart der erwarteten Heilszukunft der Rahmen ist für die Botschaft von der Herblassung Gottes in Jesus Christus. Jesus verkündet nicht nur die kommende Herrschaft Gottes und verheißt nicht nur sündigen Menschen Gottes Vergebung, sondern Jesus bringt Gottes Herrschaft zur Wirklichkeit, indem er Dämonen überwindet und

Die Herablassung Gottes

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kranken Menschen hilft, vor allem aber indem er verachtete und sündige Menschen in seine Gemeinschaft aufnimmt und sündigen Menschen durch die Zusage von Gottes Vergebung den endzeitlichen Rettungswillen Gottes gegenwärtige Wirklichkeit werden läßt. So tritt in Jesus die Liebe Gottes, des Vaters, an die Menschen heran, aber nicht darum, weil ein liebevoller Mensch ihnen begegnet und ihre Gegenliebe oder Dankbarkeit erweckt. In Jesus tritt vielmehr nach seinem in verdeckter Form geäußerten Anspruch der erwartete „Mensch" der Endzeit seinen jüdischen Zeitgenossen gegenüber, aber nicht in Herrlichkeit, sondern als ein Mensch, der trotz der ihm gegebenen Vollmacht sich Gottes Willen beugt und gehorsam in den Tod geht und darin seine Sendung vollendet. In Jesu Ausgeliefertsein an die Sünder kommt Gottes Liebe zur Vollendung, wird der Anbruch der Herrschaft des Gottes endgültig wirksam, der als der Vater seine Kinder sucht, gerade wenn sie verloren scheinen. D.h. in Jesus wird die kommende Gottesherrschaft darum Gegenwart, weil Gott sich in Jesus als dem „Menschen" der Endzeit herabläßt und selber Rettung wirkt. Die Urgemeinde hat aufgrund des Glaubens an die Auferstehung des Gekreuzigten und aufgrund der Erfahrung der Geistesgabe diesen Anspruch Jesu dahin fortgebildet, daß der verheißene Heilbringer der Endzeit schon jetzt als der himmlische Herr seine Endzeitgemeinde regiert, in der sich diejenigen zusammenfinden, die im Glauben an den schon gegenwärtig wirkenden Herrn die Wirklichkeit des ihnen verheißenen Endheils schon gemeinsam erfahren. Von der Erfahrung der Auferstehung des Gekreuzigten und dem daraus erwachsenen Bekenntnis zu Jesus als dem Gottessohn her ergab sich in der Urgemeinde nun aber auch ein neues Verständnis des Todes Jesu: Jesus starb „für unsere Sünden", Gott hat durch Jesu Tod die Sünde der Menschheit getilgt. Damit wird Jesu Tod als Vollendung der Herablassung Gottes, des göttlichen Angebots der Sündenvergebung, und gerade dadurch als entscheidender Teil des endzeitlichen Heilsgeschehens verstanden, und es wird darin deutlich, daß das urgemeindliche Bekenntnis zum begonnenen Endheil in Jesus Christus im letzten von der uns in Jesus begegnenden Liebe Gottes Zeugnis ablegen will, die den Glaubenden in dieses göttliche Liebeshandeln mit hineinnimmt. Dieses urgemeindliche Verständnis des Todes Jesu ist die Voraussetzung für das theologische Denken des Paulus. Wenn Paulus die Gegenwart als das Miteinander vom Heilszeit und Hoffnung auf die Heilsvollendung versteht und beide Glaubensaussagen an das Heilshandeln Gottes in der geschichtlichen Person Jesu Christi bindet, so beschreibt er dieses Heilshandeln als Befreiung der Glaubenden von den Mächten dieser Welt, vor allem aber als Befreiung von Sünde und Schuld durch Gottes rechtfertigendes und versöhnendes Handeln in Christus. Indem Christus sich „erniedrigte" und Gott seinen Sohn „für uns alle hingab", sind die Glaubenden von der Schuld freigesprochen worden, hat Gott sich mit uns versöhnt und uns zu einer „neuen Schöpfung" gemacht, auch wenn das alles noch auf seine endzeitliche Vollendung wartet. Auch hier ist es die Herablassung Gottes zu dem

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Jesus - Paulus - Johannes

in der Welt verlorenen und sündigen Menschen, die das gegenwärtige und zukünftige Heil schafft, und dabei legt Paulus besonderen Nachdruck auf den Tod Jesu als von Gott gewirktes Sühnegeschehen und als Hingabe des Gottessohnes um der Sünde willen. Doch darf man den Gedanken des Sühnetodes Jesu bei Paulus auch nicht überbetonen, da Paulus auch auf andere Weise davon reden kann, daß Gott in Jesus Christus sich bis zum äußersten herabgelassen hat, um uns Menschen zu retten (s.o.S.223f.). Deutlich ist aber, daß auch für Paulus die Botschaft von der Gegenwart und Zukunft des Endzeitheils der Rahmen ist für die frohe Botschaft von Gottes Herabkommen zum verlorenen Menschen in Jesus Christus und damit von der sich den Menschen zuwendenden göttlichen Liebe, die uns zu liebenden Menschen umschaffen will. Stellt sich somit die Heilsverkündigung des Paulus als eine direkte Weiterbildung der Botschaft Jesu und der Urgemeinde dar, so liegt die Sache bei der johanneischen Cbristusbotschaft etwas anders. Johannes schildert die Gestalt und Botschaft Jesu konsequent vom Glauben der Gemeinde der Spätzeit her, und seine Deutung Jesu Christi als des Mensch gewordenen ewigen Gottessohnes führt die Christusverkündigung des Paulus bis zu dem Punkte weiter, wo die Einheit von Person und Wort Jesu mit dem Heilswillen Gottes unüberbietbar zum Ausdruck kommt, wo aber auch die Grenze erreicht wird, über die man nicht gehen kann, ohne daß das Menschsein Jesu gefährdet wird. Findet also der Glaube an die Verwirklichung des endzeitlichen Heilswillens Gottes in der Person des Menschen Jesus bei Johannes seinen letztmöglichen Ausdruck, so tritt bei ihm die Bedeutung des Todes Jesu für das Heilsgeschehen zurück, ohne aufgegeben zu sein (s.o. S.264f.). Doch ist auch bei Johannes von der Herablassung Gottes zentral die Rede. Denn die Befreiung der Glaubenden vom Beherrschtsein durch die Welt und die Verheißung des Seins mit Gott und Christus ist die Folge der Liebe Gottes, der die Welt so liebte, daß er seinen einzigen Sohn für sie gab und den Glaubenden Macht gegeben hat, seine Kinder zu werden. Wenn also bei Johannes der Gedanke der Tilgung der Sündenschuld durch den Tod Jesu keine so betonte Rolle spielt wie bei Paulus und in dieser Hinsicht die Heilsverkündigung des Johannes keine geradlinige Fortbildung der paulinischen Theologie darstellt, so ist doch auch für Johannes das die wesentliche Botschaft, daß Gott in dem endzeitlichen Christusgeschehen zu den in der Welt verlorenen Menschen kommt, um sie aus der Welt zu befreien und sie in seine Liebe hineinzunehmen und so zu liebenden Menschen zu machen. 4. Die Botschaft der Hauptzeugen Die drei Hauptzeugen der Theologie des Neuen Testaments stimmen also, trotz der sich bei ihnen zeigenden Gedankenentwicklung, in der doppelten Botschaft überein, daß Gott sein für das Weltende verheißenes Heil in Jesus Christus hat beginnen lassen und daß Gott in diesem Christusgeschehen uns begegnet ist und begegnen will als der Vater, der uns aus

Die Botschaft der Hauptzeugen

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dem Gefangensein in der Welt erretten und zu tätiger Liebe freimachen will. Daß diese „Mitte des Neuen Testaments" göttliche Wahrheit ist, die uns unbedingt angeht, und nicht menschliche Phantasie, an der wir auch achtlos vorübergehen können, das freilich kann der Historiker nicht mehr feststellen. Wer aber glaubt, daß uns Gott in Jesus Christus rettend begegnet, den wird die Zusammenschau der Hauptzeugen des Neuen Testaments ein Doppeltes lehren. a) So wenig wir an der Erwartung der nahen Heilsvollendung, wie sie Jesus und Paulus teilten, festhalten können, so sicher kann unser Glaube doch die Heilsbotschaft des Neuen Testaments nur dann wirklich ergreifen, wenn wir das Kommen Jesu als Endzeithandeln Gottes ernst nehmen, so daß unsere Gegenwart von der einmaligen Vergangenheit dieses Handelns Gottes ebenso bestimmt wird wie vom hoffenden Blick auf die zukünftige Vollendung dieses Handelns. b) Auch wenn die Hauptzeugen des Neuen Testaments in der Deutung der Person und des Todes Jesu nicht ganz zusammengehen, so klingt uns doch aus ihnen die eine gemeinsame Botschaft entgegen, daß Gott, der Herr der Welt, in Jesus zu uns gekommen ist. Dieses Kommen Gottes kann für uns aber nur persönliche Wirklichkeit werden, wenn wir uns von der in Jesus Christus zu uns gekommenen Liebe Gottes so erfassen lassen, daß wir zu neuen Menschen werden, die ihr „Licht leuchten lassen vor den Menschen, damit sie eure schönen Taten sehen und euern Vater im Himmel preisen" (Mt. 5,16). Die den Hauptzeugen der Theologie des Neuen Testaments gemeinsame Grundanschauung hat darum der „Brief an die Hebräer" (13,8) eindrücklich zusammengefaßt: „Jesus Christus [ist] derselbe gestern und heute und in Ewigkeit."

VI. Register 1. Sach- und Namenregister abba 36, 66 Abendmahl 1 0 2 , 2 3 4 (-» Herrenmahl) Abraham 25, 131 f., 161, 173, 180 Abschiedsreden 279, 281 f. Achtzehnbittengebet 61 Adam 130f., 138, 144, 159, 163 Allegorie 67 Alte Kirche 15 Altes Testament 25, 45, 47f., 55, 69, 77, 98, 100, 104, 107, 131, 149, 162, 174, 188, 231, 235, 238, 247, 252, 255, 270, 291 Älteste 118 Anspruch 41, 51 f., 59, 73-76, 84f., 92, 94, 114, 222, 224f., 253, 286 Antichrist 238, 243 Antinomie 202, 206 Antiochia 112 f. Antithese 46, 48 Äon 129 f., 133 f., 142, 154, 166, 169f., 172, 181, 201, 202, 214, 290 Apokalypse 25, 60, 69, 128 f. Apokalyptik 130, 139, 175, 209 f., 226, 247, 289 Apokryphen 60 apokryphe Evangelien 27 Apostel 22, 87, 118-121, 125, 134, 286 Apostelgeschichte 93, 94-97, 124 Apostelkonzil 112, 119 aramäisch 36, 68, 73, 83, 87, 93, 99-102, 113, 115, 140, 238 Arme, der 28, 32 Auferstehung 20, 23, 31, 84-87, 89-91, 93, 95, 97-100, 105, 115, 118-121, 126, 129, 133, 136, 141, 143, 152f„ 166, 168-170, 181, 189, 191 f., 194, 211, 214, 216, 222, 226, 228, 243, 253, 258, 262, 279, 281, 290 f., 293; s. a. Auferweckung Auferstehungsglaube 92 f. Auferstehungshoffnung 88 Auferstehungszeugen 22f., 91, 94, l l l f . , 118 f. Auferweckung 84, 86-92, 94, 103f., 112f„ 115, 128f., 137, 148, 152, 167, 170f., 213, 215f., 220f., 224, 246, 261, 284, 289, 291 Auftrag 80

Augenzeugen 23, 93 Auserwählte 114 Auslegung 13 Auswahl 208 bald 43, 47, 70, 73, 80, 83, 93f., 128, 152, 167, 211, 215, 288, 290 Barnabas 119 Befreiung 166, 169, 171f., 184, 259f., 263f. Bekehrung 133 Bergpredigt 44, 48, 101 Berufung 133, 208 f. Beschneidung 112f. Bewährung 204 Biblische Theologie 12f. Bild Gottes 145, 224 Bild Jesu 24 Bleiben 271-273 Blut Christi 82, 84, 87, 104, 177, 197, 223, 225, 265, 275-277 Böse, das 168 f. Botschaft 273, 277f., 283, 285f. Bräutigam 77 Brot 277 Brotbrechen 117, 118 Buber, M . 218 Bund 174f., 223 — neuer 44, 82, 84, 114, 118, 225 Buße 26 Christentum 22 — hellenistisches 67, 99, 103, 105-111, 136, 140, 151 f., 185 f., 190, 225, 243 Christologie 224-226, 235 Christus s. Jesus Christus — gepredigter 22 — durch 144f. — in 184, 191, 193-196, 217, 272f. — mit 128, 150, 190, 204, 210-212, 215 f. Christusbild 22, 140, 198 Christuspsalm 135, 146 Christuszeugnis 281 Dämon 31, 39, 54f., 57, 66, 108, 129, 154, 156, 167-169, 197, 226, 288, 292 Dämonenaustreibungen 39, 58

Register Dank, Dankbarkeit 41, 49 Daniel 69 f. Davids-Sohn 60, 65, 97f., 135 Deuterojesaja 96 Diasporajude 124 Dienen 79 Dogmatik 15 f. Dualismus 107, 156, 158, 165, 235 Ehre 44, 146 Einheit 242, 286-288 Einsetzungsworte 117, 275 Einzelberichte 21 Einzelworte 21 ekklesia 115 Endgericht 26, 27, 126, 177, 291 Endvollendung 44, 209 Endzeit 32f„ 36f„ 41, 70, 73, 79, 91-93, 96, 100, 126, 131-134, 138 f., 150, 152f„ 170, 176, 181, 196, 198, 209, 243f„ 261, 279, 289, 292 f. Endzeiterwartung 59, 61, 71, 96, 125, 216 Endzeitheil 96, 134, 150 f., 172, 184, 187 194, 214-216, 220, 223 £., 226 f., 289-293 Endzeitmensch 138, 140, 196, 226 Engel 88 f., 163, 209, 244, 246 Entmythologisierung 151 Entscheidung 59, 75, 208, 266 Entwicklung 15 Epheserbrief 108, 122, 125 Epiphanie 109 Epistula Apostolorum 168 Erbarmen 207, 217 Erbauung 194 Erbsünde 160 Erbtod 159 Erfüllung 291 Erhöhung 93, 99, 102, 115, 136, 146, 151f„ 220, 224, 245f., 253, 261, 264, 280, 282, 285 Erkennen 270f., 275 Erkenntnis Gottes 157 Erlöser 236, 243, 246, 250 Erlösung 165, 169, 171, 175, 192 Erniedrigung 151 Erscheinung 85, 90, 92 Erwählung 207f., 240 Eschatologie 128 Esraapokalypse 69 Essener 113 Evangelium 25, 29, 32, 38, 175, 178, 180, 287 Feindschaft 182 Feuer 27

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Feuergericht 28 Finsternis 32, 107, 167, 169, 235, 253 Fleisch 87, 155-158, 160, 169, 172, 194, 196, 201 f., 235, 241, 249, 277, 290 Fleischwerdung 248, 251 Fluch 170 Forderung 35, 38 f., 41-43, 47-49, 52, 162, 221, 288 Formgeschichte 24, 53, 102, 218 Freiheit 149, 170f., 201, 235, 269 Freispruch 172 Freude 32, 37, 262 f. Freudenbote 28, 61 Freudenzeit 77 Freund 284 Friede 148, 182, 262 Frohbotschaft 32f., 35, 43, 52, 60, 135, 294 Frucht 204 Fürsorge 39, 57 Fürsprecher 280 Galaterbrief 125 Galiläa 86, 88, 90, l l l f . , 238 Gebot 42, 45-49, 163, 202, 269 Geburt, vaterlose llOf., 241 — aus Gott 272, 274f., 277f. Gegensatz 235 Gegenseitigkeitsformel 242 Gegenwart 33-36, 38-41, 44, 48, 73-75, 94, 96, 107, 115, 126-128, 133, 151, 166, 175 f., 181, 184, 193, 198, 202, 220-222, 224, 239f„ 244, 246, 260-262, 288-293, 295 Geheimnis 128 Gehorsam 42, 49, 52, 58, 136, 138, 144, 146, 152, 175, 179, 180, 271 Geist, Heiliger, Gottesgeist 27, 92, 94, 110, 116 f., 121, 135, 140, 147-150, 152, 155, 184f., 191, 193, 196, 201 f., 206, 214f„ 220f., 235, 237, 257, 276f„ 278-283, 285, 287, 289-291 Geistermächte 154, 166 f. Geistesbegabung 28 Gemeinde 18, 33 f., 78, 84 f., 94, 103, 105112, 114-117, 120f„ 187, 195, 198, 215, 220, 229, 236 f., 246, 274, 276, 278, 281-285, 287, 289, 292, 294 Gemeinschaft 83, 197, 210, 222, 225, 255, 273, 293 Gerechte 38 Gerechtfertigtwerden 192 Gerechtigkeit 60, 162, 176, 184, 202, 214, 222 f. Gerechtsprechung 185

298

Register

Gericht 25, 29, 31, 35, 3 7 f . , 43, 58, 60, 7 0 , 74, 197, 199, 205 f., 2 1 6 , 2 2 1 , 2 3 9 , 246, 261 — nach dem Werk 2 0 3 f., 2 0 6 Gerichtstag 29, 3 5 Gesalbter 6 0 f . , 6 3 - 6 5 , 69, 94, 9 6 , 1 0 3 , 1 3 7 , 237-239, 244 Gesandter 67, 1 0 7 f . , 111, 136, 2 3 9 Geschichte 134, 136, 143, 2 8 4 , 2 9 1 Geschichtlichkeit 2 4 Geschichtswissenschaft 15 Gesetz 4 5 f . , 51, 1 1 2 f „ 128, 1 3 1 - 1 3 3 , 1 5 7 f . , 162Í., 165 f., 1 6 9 - 1 7 1 , 174, 176, 191, 201 f., 221 f., 2 5 1 Gesetzeswerk 164, 169, 1 7 4 f . , 203 f. Gethsemane 7 9 - 8 1 , 230, 2 3 4 Glaube 16, 22 f., 54, 5 6 - 5 8 , 74, 76, 8 7 - 9 4 , 9 6 , 100, 103, 113, 126, 129, 1 3 1 - 1 3 4 , 150, 164, 168, 1 7 4 f . , 1 7 8 - 1 8 1 , 183, 186, 1 9 1 - 1 9 4 , 196, 198, 201, 2 0 6 f „ 2 0 9 , 2 1 9 , 2 2 3 - 2 2 5 , 2 3 6 f . , 242, 244, 2 4 6 , 2 5 0 , 2 5 9 f . , 263, 2 6 6 - 2 7 1 , 2 7 3 - 2 7 5 , 2 7 7 - 2 7 9 , 285, 287, 2 9 0 Í . , 294£. Glaubensgehorsam 135 Gleichnis 3 4 Gnade 126, 134, 165, 175, 180, 2 0 6 , 209, 251 Gnosis 1 0 7 f . , 168, 2 3 6 , 243, 252, 2 5 5 , 2 5 7 , 2 7 6 — jüdische 236, 2 5 0 G o t t 26, 30 f., 38, 48, 58, 108, 141, 146, 259 Gottesdienst 1 4 0 f . G o t t Israels 49 Gottesgedanke 221 Gottesgerechtigkeit 128, 131, 1 7 4 - 1 7 6 , 178, 180, 2 0 6 Gottesherrschaft 2 4 , 2 9 - 4 4 , 4 7 f . , 5 0 , 52, 5 4 f . , 5 7 - 6 0 , 67, 7 3 f . , 8 2 - 8 4 , 95, 107, 115, 1 2 6 f „ 1 2 9 f „ 146, 220, 2 2 4 - 2 2 6 , 246, 2 6 1 , 276, 2 8 8 f . , 2 9 2 f . Gotteskinder, -kindschaft 2 5 0 , 2 7 4 f . Gottesknecht 9 6 f . , 1 0 4 — leidender 78, 9 6 Gottesnamen 3 5 Gottessohn 5 2 , 63, 6 5 - 6 8 , 9 7 - 9 9 , 1 0 6 f . , 109 f., 135, 1 4 3 - 1 4 6 , 1 5 0 - 1 5 3 , 155, 178, 2 0 8 , 2 3 5 , 2 3 9 , 2 4 4 f . , 276, 279, 2 9 0 , 293 f. Gottessöhne 194, 2 0 8 Gottessohnschaft 5 1 , 67, 150, 2 3 3 , 2 6 6 Gottesvolk 45, 67, 113, 115, 188, 2 2 0 Gottesvorstellung 35 f. Gotteswille 3 9 f . , 4 2 f . , 4 5 - 4 8 , 52, 59, 80, 142, 157, 161, 1 6 3 - 1 6 5 , 169, 2 0 6 , 2 2 1 , 2 8 8 , 293 Gottgleichheit 136 G r a b , leeres 8 5 - 9 0 Güte 5 1

H a u p t des Leibes 188, 225 Hebräerbrief 15, 108, 122, 295 Heiden 5 4 , 1 1 3 , 1 2 4 , 1 6 1 , 2 2 0 — hellenistische 2 3 5 Hieronymus 3 7 Heidenchristen 9 3 , 105, 110, 112, 1 2 0 - 1 2 2 , 138 Heil 31, 35, 3 8 , 41, 5 0 , 52, 60, 85, 100, 108, 115, 128, 1 4 7 f . , 151, 154, 165, 170, 195, 2 1 0 , 2 1 6 , 2 2 5 , 2 4 6 , 250, 2 5 3 f., 256, 2 6 0 , 263, 266, 275, 285, 288, 290-292 Heilbringer 33, 6 0 - 6 3 , 6 6 - 7 0 , 73 f., 7 7 f . , 80, 99, 106, 113, 1 3 7 - 1 3 9 , 2 2 0 , 2 3 8 , 2 4 4 , 246f., 250, 252-256, 291-293 Heilbringererwartung 59 eilige 114 Heiligkeit 4 4 Heilsbotschaft 2 0 4 f . , 2 2 6 Heilserwartung 2 1 4 , 2 1 6 Heilsgabe 41, 5 0 , 183 f. Heilsgegenwart 128, 196 Heilsgemeinde 3 4 Heilsgeschehen 33, 44, 52, 5 5 , 5 7 f . , 74, 166, 187, 193, 195, 225, 2 5 8 , 2 6 5 , 2 7 3 , 2 7 9 , 2 8 2 , 2 8 4 f . , 2 9 3 f. Heilsgeschichte 2 2 0 - 2 2 2 , 2 2 6 , 2 8 2 , 2 9 0 Heilsgewißheit 2 1 5 Heilshandeln 3 3 , 41, 45, 47, 5 8 f . , 7 5 f . , 1 2 6 f . , 132 f., 150, 152, 168, 174, 176, 1 7 9 f . , 189, 192, 195, 2 0 0 , 2 0 2 , 2 0 5 f „ 2 2 1 , 2 2 4 - 2 2 6 , 2 4 4 , 256, 2 6 9 f . , 272, 2 7 5 , 277, 284, 291, 293 Heilshoffnung 3 1 Heilslehre 126, 1 7 4 Heilsmittler 2 5 4 Heilsplan 162, 164 Heilspredigt 3 2 Heilstat 22, 108, 113, 131, 146, 2 0 1 , 2 1 0 , 2 6 2 f . , 2 7 2 , 2 7 5 f., 2 8 7 Heilsverheißung 3 2 , 55, 2 2 2 , 2 2 6 Heilsverkündigung 52, 2 1 8 f . , 2 2 2 Heilsvollendung 7 5 , 126, 128, 196, 202, 209-214,216,220,225,227,246,260-262, 290-293, 295 Heilsvolk 7 0 , 114 Heilsweg 2 0 2 , 2 2 1 , 2 5 6 Heilswille 2 2 2 Heilszeit 4 0 , 4 4 , 47, 96, 126, 128, 181, 289-292 Heilszusage 5 0 Heilung 53 Helfer 237, 2 5 7 f . , 2 8 1 f . Henochapokalypse 61, 69 Herablassung 2 9 2 - 2 9 4 Herde 2 8 4

Register Herr 22, 35, 65, 99-102, 135f., 140-142, 147, 149, 151-153, 168, 171, 183, 188f., 196, 202, 215, 224, 245, 288-290, 293 Herrenbruder 119f., 142 Herrenmahl 99, 196-199, 220,225, 275-277 Herrlichkeit 32, 75-78, 80, 83, 85, 92-95, 99, 127, 129f., 134, 139, 147, 152, 166f., 169, 196, 198, 204, 208-211, 216, 225227, 244, 246, 251, 261-264, 275, 289-291 Herrschaft Jesu 98, 246 Himmel 35, 107, 143, 162, 209, 224, 235, 243, 245 f., 265, 277 Himmelsherrschaft 29, 31 Hirte 252, 254, 284 Hoffnung 127, 134, 147, 156, 180, 190, 194, 199, 202, 206, 208, 210-212, 215, 227, 260, 290, 292f. Hohepriester 60 Hölle 32 Hören 242 Ich bin (es) 246, 252 Imperativ 194, 199 f., 202 f. Indikativ 199f., 202 Interimsethik 43 f. Israel 30, 131 f., 207, 255, 284 Jakobus 91, 112, 118-120 Jakobusbrief 15, 122 Jeremía 83 Jerusalem 35, 93, 111-113, 119f. Jesaja 53, 78, 104 Jesus, geschichtlicher 20, 23 — historischer 22 — Person 35 Jesus Christus 17 f., 60 f., 76, 110, 130, 137, 237, 257 Jesusbild 22, 208 Jesusforschung 21 Jesusüberlieferung 20, 23 Johannes, Apostel 120, 227, 231 Johannes der Täufer 24-28, 32, 53, 59, 66, 72, 228, 248, 250f. Johannesbriefe 18, 122, 227, 245 — 1. 228, 231, 233 — 2. u. 3. 228, 231 Johannesevangelium 18, 20, 28 Johannesjünger 77 Jordan 26 Josephus 25, 45 Judas Ischarioth 85 Juden 26, 161 Judenchristen 113, 120 — hellenistische 110, 113 f. Judentum 59, 60, 67f., 73, 78, 82, 101, 113, 116, 118, 145, 174f„ 182, 216, 218, 220, 247, 282, 289 — hellenistisches 107, 109,

299

124, 136, 139, 220, 235, 249, 274 — heterodoxes 236, 243 — palästinisches 36, 124, 235 Jünger 33f., 40, 46, 85, 91, 101, 103, 280, 282, 284 Jünger Johannes des Täufers 116 Jungfrauengeburt s. Zeugung, vaterlose Kanon 16, 123, 286-288 Katholische Briefe 122 Kirche 112, 114, 121, 125, 188, 221, 225f., 283 f., 286 Klemens von Alexandrien 234 Kolosserbrief 125 König 30f., 35f., 60, 64, 74, 98, 238f. Korintherbriefe 125 Kosmos 129, 141, 154 Kraft 35, 108 f., 150 Kreuz 76, 126, 136, 150, 167-171, 178, 181 f., 185, 290 Kreuzesinschrift 64 Kreuzigung 64 Kyrios 140, 245 Leben 163f„ 167, 169, 184, 233f„ 249f., 253 f., 260, 262, 265, 278 — ewiges 31, 50, 75, 204, 210, 257, 260f., 265, 277, 283 f., 292 — neups 189, 191 f., 195 „Leben Jesu" 20 f. Leib Christi 83, 184-189, 191 f., 195-198, 201, 215, 225 f., 292 Leib, geistlicher 87, 138, 211 — irdischer 138, 156, 186, 206, 224, 265, 290 — psychischer 211 Leiden Jesu 76-80, 97, 104 Leidensgeschichte 23, 62f., 85, 230 Leidensweissagung 76, 80 Leistung 43, 50, 52, 221 Licht 32, 107, 235, 249f„ 252-254 Liebe Gottes 44, 49f., 52, 84, 148, 171, 177f., 241, 259, 265 f., 273, 293-295 — zu Gott 49f., 263, 265f., 269f., 273 — zum Nächsten 46, 48-50, 269f., 275 Lieblingsjünger 231 Lohn 42f., 50-52, 221 Loskauf 170 Lüge 235 Lukasevangelium 21 Luther, M. 14, 15, 126, 168, 175, 286 f. Macht 54, 55f„ 75, 108f„ 134, 136, 141143, 146, 148, 158, 160, 164, 168-171, 202, 209f., 241, 246, 293 Mahl, gemeinsames 117f., 148 — letztes 30, 81-83 — messianisches 31, 83

300

Register

Mahlgemeinschaft 83 Mahnung 199 f., 203 Mandäer 235, 236 maráni-tha 99f., 118, 140 Maria 98 Markus 36 Markusevangelium 21 Matthäusevangelium 21 Mensch 26, 254-259 — alter 189 — himmlischer 223 — innerer 156-158 Menschensohn 29-31, 59-65, 68, 71 f., 75, 78f., 94f., 138f., 224, 2 4 5 f „ 265, 268, 289 Menschwerdung 153, 224 Messias 5 9 - 6 2 , 65f., 94-100, 115, 237f., 266 — leidender 78 Messiasbekenntnis 62 Messiasgeheimnis 61 Mission 93, 119, 122f„ 219, 229, 290 Mitte des Neuen Testaments 122, 286-288, 295 Mitsterben mit Christus 192 Monotheismus 101, 153 Moses 45, 109, 131 f., 163, 251 Mysterien 190 Mystik 196, 198f„ 242, 2 7 2 f „ 275 Mythus 139 f., 151f., 168, 224, 236, 243, 246, 249-251 Nachahmung Christi 148 — Gottes 44 Nachfolge 33 Naherwartung 29 f., 32, 39, 43 f., 59, 74, 76, 102, 126-128, 136, 166, 209, 220, 243, 292, 295 Name 36, 117, 140, 241 Neuschöpfung 195 oben und unten 107, 235 Oden Salomos 235 f. Offenbarer 242, 246, 255 f. Offenbarung 23, 47, 129, 134, 241, 243, 254, 259, 285 f., 291 Offenbarung des Johannes 121 f., 227, 231 Opfer 177, 264 Osterbotschaft 76 Osterglaube 86, 90 Ostern 288, 290 Papias 231 Paraklet 279-281, 283, 285, 291 Parusie 95, 98, 107, 118, 127, 129f., 133, 143 f., 146, 209, 211-215, 292 Passa 82, 111 Passalamm 223 Pastoralbriefe 122, 124

Paulusbriefe 15 Petrus 33f., 80, 85, 87, 89-91, l l l f . , 115, 119-121 1. Petrusbrief 121f. 2. Petrusbrief 122 Pfingsten 288, 290 Pharisäer 4 5 f „ 63f., 113f., 124, 133, 174 Philipperbrief 212, 215 Pilatus 63 f., 243 Präexistenz 136f., 142f., 147, 151-153, 240f. Predigt 23, 150, 179, 183 Presbyter 231 Prophet 41, 5 8 f „ 103, 114, 116, 128, 162, 245, 282 Proselytentaufe 26 Psalmen Salomos 60 qähäl 115 Qumran 26, 61, 113f„ 118, 174, 235 Rabbi 100 Rechtfertigung 126, 172-174, 177f., 182184, 189, 204, 206, 225 Redenquelle 21, 32, 55, 71, 79, 102 Reinigung 177 Religionsgeschichte 16, 20, 26 f., 53, 124, 235 Retter der Welt 244f., 284, 291 Rettung 165, 172, 183, 194, 2 0 4 f „ 2 0 8 f „ 217, 221, 261, 267, 293 Richter 27, 35f., 39, 41, 52, 70, 288 Römerbrief 125 Rückkehr zum Vater 243, 245 f., 263-265 Rühmen 158, 164, 180 Sabbat 46 Sadduzäer 113 Sakrament 27, 275 f., 278 Satan 31, 39, 60, 167, 209, 226 Satansreich 40 Schau 91, 246 Schöpfung 106f., 132, 145, 151, 153-155, 157, 189, 236, 249f. Schöpfungsordnung 46 Schrift, Heilige 45 f., 48, 284 Schriftgelehrte 45 f. Schuld 37, 104, 131, 160f., 171 f., 177, 183, 293 Schulderlaß 172 Schweigegebot 61 Schweitzer, A. 21, 43, 126, 218 Sehen 267 Sendung 106, 134, 143, 167, 235, 241-243, 265, 272, 275f., 278, 285, 290, 293

Register Sklaven 141, 159, 161, 166f., 1 6 9 - 1 7 2 , 202, 226 f. Sohn 59, 6 7 f . , 2 3 5 , 2 3 9 - 2 4 3 , 2 6 5 , 2 6 8 , 2 8 4 — s . a . Gottessohn, Menschensohn Sondergemeinde 34 Sondergut 2 1 Sorge 36 Stellvertretung 79, 104, 170, 177f. Stephanus 9 4 f . , 113 Sterben mit Christus 1 8 9 - 1 9 1 , 195, 2 2 5 Strafe 38, 4 2 f „ 50, 79, 1 5 9 f . Strauß, D . F . 20, 228 Sühne 84, 105, 1 7 7 f „ 265, 2 9 4 Sühnemittel 177, 223 Sünde 3 6 - 3 8 , 87, 104, 131, 1 5 4 - 1 6 1 , 1 6 3 f . , 166, 171 f., 184, 201, 221 f., 226, 2 5 8 - 2 6 0 , 263 f. Sündenschuld 2 6 4 f. Sünder 38, 40, 49, 52, 84, 126, 155f., 158, 163, 176, 221 f., 226, 2 5 8 , 293 sündlos 199 f. Synagoge 4 6 Synedrium 63, 85 Synopse 19, 20 Synoptiker 20 Syrien 233

301

Überlieferungsstücke 2 4 Übertretung 164 Umkehr 2 6 f . , 29, 3 7 f „ 41, 51, 56, 58, 222, 288 Umkehrtaufe 2 5 Unglaube 57, 259, 263 Unheil 31, 108, 132, 153, 165, 256, 258 f. Universalmensch 187, 225 „unser V a t e r " 36 Unsterblichkeit 2 1 0 Untertauchtaufe 2 6 Urchristentum 2 4 Urgemeinde 34, 68, 76, 8 6 - 8 8 , 9 1 - 1 0 5 , 111, 113, 1 1 5 - 1 2 1 , 135, 1 3 7 f . , 150, 188, 2 1 8 , 221 f., 263, 2 8 8 , 2 9 0 — hellenistische 122 Urkirche 81 Urmensch 139, 187

T o d Jesu Christi 8 3 f . , 87, 94, 1 0 2 - 1 0 5 , 129, 141, 148, 166, 1 7 0 - 1 7 2 , 177 f., 182, 185, 189, 192, 214, 221 f., 224, 228, 255, 2 6 3 - 2 6 5 , 276, 282, 284, 2 9 3 - 2 9 5 Totenerweckung 53 T r e u e Gottes 174f. Tür 254

Vater 31, 32, 3 6 - 3 9 , 44, 48, 6 6 f „ 80, 107, 144f., 210, 235, 2 3 9 f „ 2 4 2 f . , 2 5 3 - 2 5 5 , 265, 2 6 7 f „ 280, 284, 2 8 8 , 2 9 0 f . , 293 — barmherziger 52 Vaterunser 36 Verantwortlichkeit 1 6 0 - 1 6 2 , 269 Verdienst 5 0 Vergebung der Sünden 25 f., 28, 3 6 - 3 8 , 40, 49, 52, 7 2 - 7 4 , 105, 1 1 5 f . , 172, 175, 1 7 7 f . , 185, 2 2 1 - 2 2 3 , 226, 278, 2 8 8 f „ 2 9 2 f . Vergeltung 50 Vergottung 199 Verheißung 42, 50, 132, 238, 2 6 0 f . , 281 Verherrlichung 241, 282 Verkündigung 22, 35, 52, 180, 229, 233, 274, 276, 282, 285, 287 — zentrale 15 Verkündigungsformen 18 Vernunft 2 4 9 Versöhnung 128, 179, 1 8 1 - 1 8 4 , 189, 1 9 1 193, 201 verstocken 207 Versuchung 3 6 f . , 201 f. Verwandlung 198, 215 f. Verwerfung 207, 209, 2 1 7 Visionen 91 Vollendung 262, 290, 2 9 5 Vollkommenheit 4 4 Vollmacht 40, 48, 222, 2 2 4 Vorbild 44, 5 0 Vorherbestimmung 2 0 6 f . Vorläufer 2 5

Überlieferung, Tradition 4 5 - 4 9 , 5 2 f . , 57, 59, 61, 66, 68, 70, 72, 7 6 - 7 9 , 81f., 8 5 - 8 7 , 90, 93, 96, 1 0 2 f . , 120, 122, 133, 219, 2 2 4 , 2 2 9 f . , 237, 270, 287 — mündliche 21, 4 5 Überlieferungsgruppen 2 4

Wahrheit 235, 251, 254, 269, 271, 291, 2 9 5 Waschungen 27 Wasser 275 f. Weg 114, 2 5 4 Weinstock 252, 255, 273, 2 8 4

T a g 166 T a t e n Jesu 5 2 - 5 6 T a u f e Jesu 28 f., 6 6 , 9 8 f., 1 1 0 , 2 3 0 , 2 3 4 — des Johannes 2 6 f . , 2 9 — der Christen 1 1 6 f . , 150, 184f., 187, 1 8 9 - 1 9 3 , 220, 2 2 5 , 274-278 Täufergruppen 27 Tempel 112f. Termin 3 0 Teufel 1 6 7 - 1 6 9 , 243, 2 5 6 , 258 Theologie des Neuen Testaments 2 2 f . Thessalonicherbriefe 125 Tischgemeinschaft 40, 112 T o d 32, 1 3 0 f „ 154, 1 5 9 f „ 163, 215, 2 5 8 -

260, 262

Register

302

Weisheit 107f., 136, 145, 249f., 252, 255 Welt 107, 129, 136, 141, 153 f., 158-160, 164, 169-171, 205, 226, 242f., 250, 253, 256-260, 262, 264f„ 268, 274, 280f., 283, 290f., 293 Weltelemente 129, 154, 166f., 169 Weltende 166, 289 Weltgericht 29, 243 Weltmacht 168, 189 Weltrichter 69, 101, 239 Wiederbringung aller Menschen 217 Wiedergeburt 272, 274 Wiederkunft 243, 261, 291 Wirklichkeit Gottes 254 Wissen 179 Wort (Logos) 247-249, 251, 255, 266, 267, 274

Wortgottesdienst 196 Wrede, W. 218 Wunder 53, 56f., 237, 267 Wundergeschichten 53 Wundertaten 109 Wundertäter 57 Würdebezeichnung 52, 65, 74, 135, 140, 244 Zeuge 282 Zeugnis 22, 250, 266, 274f., 279-281, 284f. Zeugung, vaterlose 147 — aus Gott 274f. Zorn 172, 177, 182f., 217, 221 Zukunft 288Í. Zukunftserwartung 129 Zungenreden 116, 194 Zwölf, die 87, 91, 111, 114, 118Í., 230, 234

2. Neutestamentliche Matthäus 1,1 1,2-17 1,15p. 1,18. 20 3,2 3,7p. 3,8. 9p. 3,10p. 3,12p. 3,14f. 4,17 5,9 5,16 5,17 5,18. 19 5,20 5,21 ff. 5,27 f. 5,31 f. 5,33 ff. 5,33-37 5,35 5,38 f. 5,43 f. p. 5,44 f. 5,45 5,46p. 5,48 6,2. 5. 16 6,3

52 65 30 110 29 25 26 25 f. 25 28 29 37 44, 295 47, 58 112 41 39, 46 f. 47 47 f. 222 47 35 47 f. 47 f. 44 37 42 44 42 50

6,6 6,8 6,10p. 6,12p. 6,18 6,20 p. 6,24p. 6,26-31 p. 6,28-30p. 6,30 p. 7,1 f. p. 7,11p. 7,13 7,14 7,21 7,22 f. 7,24p. 8,21 8,5-10.13 8,8p. 8,11p. 8,12 8,19 8,20p. 8,21 9,20 p. 9,38 p. 10,7 10,23 p. 10,28 p. 10,32p.

37, 50 36 30 226 50 42 35 36 39 57 35 36 32 32, 51 101, 103 101 57 100 54 100 31 32 101 71, 77 101 45 35 30 30, 70 f. 35 282

* Die Angabe p. bedeutet „und Parallelstellen".

Stellen* 10,34 p. ll,2f.p. 11,2-5 p. 11,3 ll,4f.p. ll,4-6p. 11,5 f.p. 11,12 ll,16-19a 11,19p. ll,21f.p. 11,22 p. ll,23f.p. 11,24p. 11,25 p. 11,27p. 12,11p. 12,27p. 12,28 p. 12,32 12,34 12,36f. 12,40 p. 12,41f.p. 12,43-45 p. 13,16f.p. 13,24 ff. 13,33 p. 13,44-46 13,58 15,24

58, 65 28 32 138 53 28 47, 55 43, 59 72 f. 40 39, 56 29, 35 56 35 35 f. 67, 235 46 55 31, 58 70, 94 37 29, 35 78 29, 31, 39, 59 39, 226 33 34 34 41 56 58

Register 16,13 16,17-19 16,18 f. 17,20p. 17,24 ff. 18,3 18,20 18,21 18,23 ff. 19,28p. 20, Iff. 21,31 21,43 21,46 23,2.3 a 23,9 23,10 23,23 p. 23,37p. 23,38 p. 24,20 24,27p. 24,43 f. p. 24,44p. 24,45 ff. p. 24,50 p. 25,1 ff. 25,14ff.p. 25,21. 23 25,30 25,34. 41 26,2 26,26-29 26,39. 42 27,43 27,64 28,16f.

70 115 33 f., 115 57 53, 103 235 103 100 35, 49 34, 118 38, 51 31, 40 31 59 112 36 61 51, 112 77 59 112 75 29 30, 43, 71 37, 42 43 44 35 32, 51 32 30 f. 78 81 67 66 89 92

Markus 52, 25 26 27 28, 110 1,10 110 29, l,14f.p. 29, 1,15p. 1,17. 20 p. 33 46 1,21 47 1,22p. 108 1,23ff.p. 2,1ff.p. 40, 2,5 p. 57 2,7p. 33 1,1 1,1-4 1,5. 6p. 1,7p. 1,9-llp.

60

52, 66, 98, 32 38, 59

72

2,10 2,14-17p. 2,19ap. 2,23ff.p. 3,lff.p. 3,l-5p. 3,4p. 3,11p. 3,12 3,13 ff.p. 3,21 3,22p. 3,23-26 p. 3,27p. 3,29f. 4,26 ff. 4,30ff.p. 4,40p. 5,1-20 p. 5,7p. 5,21-24 5,25-34p. 5,35-43 p. 5,36p. 6,l-6p. 6,2 6,4p. 6,6 p. 6,6-13 6,7 ff.p. 6,12 6,14p. 6,14-29 6,15p. 6,16f.p. 6,30 f. p. 6,37 6,45 ff.p. 7,10 ff.p. 7,15 p. 7,28 p. 8,llf.p. 8,22-26 8,27 8,27-30p. 8,28p. 8,29p. 8,31p. 8,32 b 8,33 8,35 p. 8,38 p. 9,1p. 9,2 ff.p. 9,7p.

72 40 77 46 50 53, 102 46 66 61 34 91 • 33, 54 39 33 70, 110 34, 43 34 57 54, 10S 66 108 109 108 57 56 220 58f., 230 57 63 34, 120 39 53 63 59 28, 53 63, 120 230 109 222 46 100 55 53 70 61 59 238 76, 80 80, 85 62, 80, 85 32, 42, 235 29, 71, 75 30 109 66

303 9,9 p. 9,12p. 9,19p. 9,23 9,31p. 9,41p. 9,43 p. 9,43 ff.p. 9,45. 47p. 10,2-9 p. 10,5 f. p. 10,9p. 10,15 p. 10,17p. 10,18p. 10,19p. 10,21p. 10,23 p. 10,29 10,33 f. p. 10,35-39p. 10,37 10,40p. 10,42 f. p. 10,43 f. p. 10,45 p. 10,47 f. p. 10,52 p. 11,3 p. 11,12 ff.p. 11,25 p. 12,1 ff.p. 12,l-12p. 12,13 ff.p. 12,25 p. 12,28 ff.p. 12,34 12,35-37p. 13,2p. 13,6p. 13,10 13,11p. 13,20 13,21 f. p. 13,22 13,26 p. 13,27p. 13,29. 30p. 13,31p. 13,32p. 14,9 14,10p. 14,12 14,21p. 14,22-25

78 78 57 57 76, 79, 94 42, 61 31 f. 41 31 f. 46 222 35 41 30f., 33, 222 75 33 42 30 32 76, 79 77 32 31, 75 65 34 79, 94, 104 65 57 101 53 36f., 66 106 67 65, 102 f. 31 46, 49 34 65 59 60, 247 32 116, 282 114 60 114 94 114 30 31, 59 30, 43, 67, 75 32 34 82 78 f. 81

304

Register

14,24 14,25 p. 14,28 14,32-42p. 14,36p. 14,41p. 14,50p. 14,53-65 14,53-72 14,55-65 14,58 p. 14,60 f. 14,61 f. p. 14,62 p. 14,64 14,65 p. 14,66ff. 15,1 15,2 15,3 15,13 f. 15,26. 32 15,43ff.p. 15,46 p. 16,1-8 16,7 16,8

104, 114 30, 83, 118 88, 90, 111 81 36, 66, 81 79 85 62 63 62 f. 230 63 60, 62 35, 64, 71 63 59 62 62 f. 64 63 63 64 85 85 86, 88 f. 88, 111, 115 88

Lukas 1,26 ff. 1,32 £. 2,1-7 2,11 3,10-14 3,17p. 3,22 f. 3,23-38 3,38 6,23 p. 6,32-35 6,36p. 6,46 7,36 ff. 7,39 7,47 9,59 p. 9,62 10,9 10,16 10,18 10,29 ff. 11,2p. 11,2-4 11,4p. 11,20p.

110 98, 110 65 244 26 27 52 65 52 42 51 36, 44, 49 101, 103 40f., 230 59 49, 74 33 39, 42 30 235 39 50 36, 66 36 37 33, 55

11,28 11,29p. 11,31 f. 12,8 f. p. 12,16-20 12,30p. 12,31p. 12,32 12,49 12,50 13,1-5 13,1-9 13,3 13,5 13,6-9 13,31-33 13,33 15,7. 10 15,11 ff. 15,18 15,24. 31 16,8 16,16 16,22 ff. 16,27-31 16,29 f. 17,7-10 17,20 f. 17,24p. 17,25 17,26-30 p. 17,34f.p. 18,9-14 18,9ff. 18,13 19,1 ff. 20,35 21,31 21,36 22,15-18 22,15-20 22,19 22,27 22,35-38 22,48 p. 23,43 23,49 23,53 24,3 24,11 24,16 24,20 f. 24,26 24,31 24,34

58, 75 55 216 42, 71 35 36 42, 51 32-34, 36i. 58 78 39, 50 38 51, 58 51, 58 44 77 58, 59, 74 37 37 35 32 32 43, 47, 59 216 56 39 37, 51 30 71 79-81 71 29 38, 51 52 37, 51 40 216 30 70 82 81 265 44, 79 65 70, 78 216 85 90 90 91 92 77, 85 96 92 90

Johannes 1,1 1,1-18 1,2 1,3 1,4 1,5 1,9 1,5-13 1,6-8 1,7 1,9 1,9-11 l.lOf. 1,11 1,12 f. 1,13 1,14 1,15 1,16 1,17 1,18 1,19 1,20-23 1,29 1,29-34 l,32f. 1,34 1,41 1,45 1,47 f. 1,49 l,50f. 2,1 2,7 ff. 2,12 2,19 2,22 3,2 3,3 3,3-6 3,5 3,6 3,8 3,llf. 3,13 f. 3,14f. 3,15f.

240, 247 247-249 107 247, 250 250, 253 249f., 253 253 250 248 f., 250 234, 250 234, 252, 256 250 250, 258, 262, 268 249, 252 250 f., 266- 268, 274 242 236, 241, 248252, 254, 262 248, 250f. 251 238, 248f., 254 107, 240, 251 248 250 264 28 110, 230, 234, 279 234, 238 237f. 238, 241 241, 284 238 f. 246 241 241 241 230 266, 281 267 261 274 234, 261, 274276, 278, 280 241, 277 277 f. 237, 274, 277 107, 245, 265 260, 265, 277 260, 266

Register Johannes 3,16 3,17 3,18 3,19 3,24 3,27-30 3,28 3,31 f. 3,33 3,34 3,35 3,36 4,6 4,7 4,10 f. 4,14 4,16 4,22 4,23 f. 4,24 f. 4,25 f. 4,31 4,34 4,39 4,42 4,44 4,46 ff. 4,48 4,50 4,53 5,10 5,17 5,18 5,19 5,20 5,21 f. 5,23 5,24 5,25 5,26f. 5,28 f. 5,31 f. 5,34f. 5,35 f. 5,36 5,37 5,38 5,39 5,40 5,42 5,43 20

106,259,265 f., 270 239, 242, 259 283 234, 253 234 28 250 240, 257, 268 268 234, 242, 279 239, 240 f. 239, 260 241, 279 241 253 253, 260 266 284 278 f. 241, 278 237 f. 241 242 247 244, 259, 284 230 230 267 266 f. 237 266 267 241 239 f., 267 239-241, 253 239 235, 239 236, 247, 258, 260f., 267f., 283 239 246, 253 243, 261 234 266 250 234, 256, 267 242 273 238, 260 260 273 267

Kümmel, Theologie

5,44 5,46 f. 5,47 6,1 ff. 6,7 6,14 6,15 6,26 6,27 6,29 6,32 f. 6,33 6,35 6,36 6,37 6,38 6,39 6,40 6,42 6,44 6,45 6,46 6,47 6,48 6,51 ff. 6,53 6,54 6,56 6,57 f. 6,58 6,60 ff. 6,62 6,63 6,65 6,67 6,68 6,69 7,3 7,3-5 7,5 7,7 7,8 7,10 7,15 7,16f. 7,26f. 7,27 7,28 f. 7,29 7,33 7,37 7,38 f. 7,39

269 266, 284 266 230 230 245 238 267 246, 268 242, 268 277 260 252 f., 266f. 267 268 243, 268 261 239, 260 f. 241 242, 261, 268 268, 277 240 260, 266, 277 253 234, 253, 265, 275-277 246, 260, 277 243, 260f. 272, 277 261 261, 277 277 245, 263 256, 260, :277279 268 230, 234 238, 253, 260 238, 270 241 267 91, 241 257f., 268, 280 241 241 220 242, 269 238 241 243, 271 271 243 267 269f., 278, 279 263, 278 f., 280

305 7,40 7,41 7,53-8,11 8,12 8,13 8,14 8,16 8,18 8,19 8,21 f. 8,23 8,24 8,26 8,28 8,31 f. 8,32 8,34 8,36 8,38 a 8,40 8,40-44 a 8,42 8,44 8,46 8,47 8,51 f. 8,54 8,55 8,56 9,5 9,17 9,20 f. 9,25 9,34 9,35-38 9,36 9,38 9,39 9,39-41 9,41 10,3 10,4 10,7 10,9 f. 10,10 10,11 10,12 10,14 10,15 10,16f. 10,17f.

245 238, 245 229f. 252f. ,260f. ,267 234 263, 280 242f. 256 271 263 256f. 246,258 f.,269, 271 281 245, 247, 271 237, 271, 273, 284 254 258 f., 271 239, 264, 271 240 241, 254, 256 243 242, 269, 280 258 f. 266 240, 268 258, 267 240, 263 271 284 253 268 237 268 258 246 268 246, 268 256 269 259 254 255 252, 254 253 f., 261, 284 254, 260 252, 254f., 273, 285 255 254f., 285 255, 263, 271 268, 284 f. 241, 253, 255, 263

306' 10,18 10,25 f. 10,26 10,27 f. 10,30 10,33 10,36 10,37 f. 10,38 11,2 11,4 11,5 11,9 11,15 11,24 11,25 11,26 11,27 11,33. 35 11,39 11,40 11,41 f. 11,42 11,47 11,51 f. 12,1 ff. 12,3 ff. 12,10 12,13 12,16 12,19 12,21 12,23 f. 12,25 12,27 f. 12,27-29 12,28 12,31 12,32 f. 12,34 12,35 f. 12,36 12,37-43 12,41 12,44 f. 12,45 f. 12,46 12,47 12,48 12,49 13,1 ff. 13,3

Register 255 267 266-268 260, 268, 284 242 241 2 3 9 f., 2 4 2 267 242, 2 6 6 - 2 6 8 , 270 245 239 241 256 268 258 2 5 2 f . , 258 253 238 f., 2 6 6 241 237 266 241 266, 268, 2 7 1 267 263, 2 8 5 245 230 92 238 236, 263, 2 8 1 256 245 2 4 5 f . , 263 235, 257, 2 6 1 230, 2 4 1 234 263 256, 2 6 1 f., 264 245, 257, 261, 264, 285 238, 245, 254 253 f. 254, 266, 268 269 284 243, 2 6 7 242, 254 253 259, 2 6 9 261, 2 6 7 240, 2 4 2 2 3 4 , 2 5 6 f., 277, 284 263

13,11 13,14f. 13,18 f. 13,19f. 13,20 13,23 13,24-26 13,31 13,32 13,33 13,34f. 13,35 14,1 14,3 14,4 14,6 14,7 14,9 14,10 14,11 14,15 14,16f. 14,17 14,19 14,20 14,21 14,23 14,26 14,27 14,28 f. 14,29 14,30 14,31 15,1 f. 15,3 15,4 15,5 15,6 15,7 15,7-10a 15,8 15,9 15,10 15,11 15,12 15,14 15,15f.

241 270 241 2 4 6 f . , 268 267 231 241 245, 263 245 263 236, 2 6 9 f. 284 266-268 243, 2 6 1 , 263, 281 263 244, 2 5 2 - 2 5 4 , 267 271 242, 2 6 7 , 2 7 1 242 242, 2 6 7 f . , 2 7 1 f. 269 279f. 257, 2 7 9 - 2 8 1 257 2 4 2 , 2 6 9 , 2 7 1 f., 281 269 261, 269, 272 279-283 262 240, 2 6 1 , 263, 269 268 256, 264 256 252, 255, 273, 284 255, 273, 2 7 7 273, 284 253, 255, 271, 273, 2 8 4 255 255, 2 7 2 f . 273 284 273 263, 273 263 270 255, 269, 273 2 4 0 , 255, 281, 284

15,16f. 15,17 15,18f. 15,19 15,21 15,22 15,23 f. 15,26f. 16,1-4 16,3 16,5 16,7 16,7-11 16,8 f. 16,9 16,11 16,12-15 16,13 f. 16,17 16,20 16,21 16,22 16,27 16,28 16,30 16,33 17,1 17,2 17,3 17,5 17,6 17,8 17,9f. 17,11 17,13 17,14 17,15 17,16 17,17 17,18 17,19 17,20 f. 17,21 f. 17,23 f. 17,24 17,25 17,26 18,14 18,19 ff. 18,36

271 270 2 5 7 f . , 284 257-259, 262 258 259 259 279-282, 285 243 271 243, 2 6 2 f . 263, 2 8 0 279 257, 280, 2 8 2 258 f., 2 8 1 256, 2 6 2 279f. 237, 2 8 1 f. 263 262 256 262 266 242f. 270 257, 259, 262, 2 6 4 , 273 263 260 238, 240, 243, 260, 267, 2 7 1 263 2 5 6 , 259, 268, 284 242, 2 6 6 f . , 2 7 0 268, 284 242, 284 263 257 257-259 259 254 242 264 267, 274 242, 2 6 6 , 268, 272, 2 8 5 2 4 1 f., 2 7 1 f., 274 256, 264, 268 271 273 263 243 256f.

307

Register 18,37 19,7 19,12 19,26 19,34 19,35 20,2 20,9 20,13 20,14. 16 20,18 20,22 f. 20,25 20,28 20,29 20,3 Of. 20,31 21 21,20-24

254, 268 239, 241 239 85, 231 275f. 237, 268, 275 231, 245 281 245 92 245 278, 282 245 240, 245 267 233 f. 237-239, 244, 266, 283 229-231 231

Apostelgeschichte 1,12-15 1,13 f. 1,15 2,1-12 2,1-13 2,14ff. 2,17a 2,24 2,31 f. 2,32 f. 2,36 2,38. 41 2,42 2,46 3,1 3,12 3,13 3,20 f. 3,21 3,25 3,26 4,25 4,27 f. 4,30 4,31 5,3 5,12 5,29 5,36f. 5,42 6,1 ff. 6,11 f. 6,13 f. 20·

111 118 115 116 111 115 116 113 113 92 95, 9 8 , 1 0 0 , 1 1 4 116f. 117 96, 112, 117 112 118 96 95 93 114 96 97 96 96 116 118 112 118 60 112 113 113 113

7,2 ff. 7,48 7,56 8,1 8,3 f. 8,9 ff. 8,12 8,14 8,16 9,1-19 9,2 9,13 9,32 10,14 10,38 f. 10,40 10,42 10,44 10,44-46 10,47f. ll,15f. ll,19f. 11,27 f. 11,30 12,lf. 13,1 f. 14,14 15,1-29 15,22f. 15,32 17,22 ff. 18,25 19,2-6 19,9 19,23 22,3 22,4 22,4-16 24,5 24,14 24,22 26,9-18 28,22

113 113 94, 95, 245 113 113 236 117 118 117 133 114 114 114 112 96, 103 91, 93 93 117 116 117 117 113 116 118 118 116 119 119 118 116 124 117 117 114 114 124 114 133 113 113 f. 114 133 113

Römerbrief 1,1 1,1-4 1,2 1,3 f. 1,4 f. 1,5 1,8 1,14-17

141, 226 135 131 65, 97, 99, : 143, 155 143 f., 150 135, 179f. 145, 179 178

l,16f. 1,17 1,18 1,20 f. 1,25 1,28 2,4 2,5 2,6-8 2,7 2,8 2,9 2,10 2,11 2,12 2,14 2,15 f. 2,16a 2,23 2,26 3,3 3,5 3,9 3,12 3,19 3,20 f. 3,21 f. 3,21-24f. 3,21-30 3,23 f. 3,24 f. 3,24-26 3,25 f. 3,26 f. 3,28 3,30 4,3-5 4,4 4,5 4,5-8 4,6 4,9-11 4,11 f. 4,15 4,17

165, 173, 175, 178, 207 175 f. 182 154, 160f. 153 f. 157 205 128, 157, 203, 217 203 204, 210 217 209 205 204 128, 190 161, 163 Î57, 161 203 164 161 132 174 f. 162, 172 162 131, 154, 162, 163, 165, 172, 205, 226 131 f., 163,169, 174, 176, 203 128, 131, 162, 165,175 f., 178, 180 175 173, 177 157,159,160 f., 171, 177, 226 174, 179, 195, 201 177 175,177f., 197, 223 165, 176, 180 174, 178, 203 181, 206 179 51 174, 178 f. 173 174 161 132 132, 163 176

308 4,18 4,20-22 4,20 £f. 4,22 f. 4,23 f. 4,24 f. 4,25 5,1 5,2 5,4 5,5 5,6 5,8f. 5,8-10 5,9f.

5,10 5,11 5,12 5,12-19 5,13 f. 5,14a 5,15 5,17 5,18 5,19 5,20 f. 5,21 6,1-4 6,2 ff. 6,3 f. 6,3-6 6,4 6,6 6,8 f. 6,9 6,10f. 6,11 6,12 6,13 6,14f. 6,15 6,16 6,17

Register 180 180 161 179 131 f. 222 144 143 f., 176, 181f., 185 210 204 148-150, 184, 193 171,

Í77Í.

144, 153, 171, 177f., 223 182 128,144,165 f., 169, 172, 174, 181 f., 197,203, 205 143 f., 183 128, 165 130f., 154, 159 f., 172 138, 159 131, 163 131 130 130, 174, 181, 210 130, 159, 174 139, 144 131 f., 163-165, 172 160, 171, 184, 204, 210 185 185 116, 185, 192 189 189 f., 192 156, 160, 166 179,185,189f„ 192 92, 172, 192, 219 146, 171, 183 195, 199 159f., 172, 199 161 166, 169-171 202 141, 166, 171 159, 160 f.

6,19 6,20 6,22 f. 6,23 7,4 7,4-6 7,5 f. 7,6 7,9 f. 7,10 7,11 7,12 7,13 7,14 ff. 7,17-20 7,21 7,22 f. 7,24 7,25 8,1 8,1-4 8,2 8,3 8,4 8,6 8,7f. 8,9 8,10 8,11 8,12 8,13 8,15f. 8,16 8,17 8,18 8,19 8,20 8,21 8,23 f. 8,24f. 8,25 b

161, 199 159f., 166 159, 171, 204, 210 148,159f., 171, 184 146, 170, 184, 186, 190 169 155, 158, 161, 164, 166, 171 165, 191, 194 160, 171 164 160-162 162 161, 164 156-160, 162 158 163, 205 157f., 162 157, 161, 165, 169, 205, 226 156, 169 128, 165, 172, 195, 199, 201, 203 206 149, 154, 160, 171, 184, 201 106, 143, 148, 151,155 f., 163, 167, 171 f. 172, 194, 201 f. 155 158, 161, 182 149, 193 148, 196 128, 148, 156, 194, 211, 219 156, 200 128,155f„ 194, 200, 206 149, 150, 194, 201, 208 36, 201 137, 147, 194 129, 205, 210 129, 212 154 167, 210 128,149f., 166, 211f., 214 128, 180 178

8,26 8,28-30 8,29 8,30 8,31 8,32 8,33 f. 8,34 8,37f. 8,38 f. 8,39 9,1 9,4 9,5 9,7 f. 9,llf.l8 9,20.22 f. 9,23 f. 9,24 9,30 9,31 f. 9,32 10,1 10,2 f. 10,3 10,4 10,5-8 10,8-10 10,9 10,10 10,12f. 10,14-16 11,1 11,7-10 ll,13f. 11,15 11,20 11,22 11,23 11,25 f. 11,26 11,31 11,32 f. 11,36 12,1 f. 12,2 12,3-5 12,5 12,14

149 f., 178., 282 208 134, 143, 211 174, 181, 208, 214 205 144, 178, 208, 223 114, 174, 176, 205 149,172 167 154, 167, 169, 210, 215 148, 184, 195 193 162 137, 146 132 207 207 209 188 181 169, 176 217 207 161 169, 174f. 132, 162, 170, 174 162 176 126,137,140 f., 166, 179 174 142 179 207 207 207 182 f. 207 207, 217 207 217 128 127 217 130, 218 202 129, 215 186 184, 186, 195 148

Register 13,8-10 13,9 13,1 If. 13,12f. 13,14 14,8 14,9 14,10 14,15 14,17 14,18 14,23 15,2 f. 15,3 15,4 15,7 15,8 15,13 15,19 15,25 f. 16,1 f. 16,4 16,7 16,11 f. 16,16 16,19 16,20

202 148 127, 166, 205, 212 128, 201, 204 200 130, 216 141 203 144, 204 127, 148 141, 206 201, 206 148 222 132 146 133 ISO 194 114 188, 195 188 119, 195 195 188 179 209f.

1. Korintherbrief 100, 140, 1,2 129, 150, 1.7 f. 166, 203 1,8 210, 215 1,9 1,10 145 1,13 117, 187 226 1,17 1,18 165, 204, 1,20 129 154, 181 1,21 1,23 f. 126, 134, 176, 219 1,27 158 1,27-29 154, 208 1,29 158 1,30 166, 174, 195 2,4 194 2,5 154 2,8 107, 168 2,12 149, 154 2,14 157 3,3 155 3,12f. 203 3,13 128, 204

188 205

216 148,

176,

3,15 3,16 3,18 f. 3,21 3,23 4,1 f. 4,4 f. 4,7 4,15 4,17 4,20 5,3 5,5 5,7 5,10 6,3 6,8 f. 6,9f. 6,11 6,12 6,14 6,15 6,20 7,5 7,10 7,12 7,22 7,23 7,25 7,29 7,31 7,34 7,39 7,40 8,5 8,5 f. 8,6 8,7 8,11 9,1 9,5 f. 9,8 f. 9,13 9,14 9,16 9,21 9,24 f. 9,27 10,4 10,11

128 149 129 158 141, 146 204 176, 200f., 203 f. 202 195 188 127 156 128, 203 200, 223 129, 154 209 204 126 128, 174, 181, 185, 203 201 128, 142, 150 187 141, 170 167, 169 142, 147f. , 202 142 141 141, 170 148, 202 133 129, 133, 154, 169 156 195 148 f. 167 152 106, 130, 136, 145, 151, 154, 189 210 204 119, 133 f. 100, 119, 142 202 202 142, 147, 202 178 202 124 201, 205 131, 137, 151 128, 131 f.

309 10,8-12 10,12 10,13 10,16f. 10,20 10,21 10,32 11,1 11,2 11,3 11,16 11,19 11,20£ 11,22 11,23 11,23-26 11,24 11,25 ll,26f. 11,27 11,29 f. 11,30 ll,31f. 11,32 11,33 11,34 12,3 12,4 12,4-11 12,5 12,7-11 12,11 12,l2f. 12,12-27 12,13 12,14 12,24 f. 12,27 12,28 12,31a 14,2. 4 14,12 14,23 14,39 15,1 f. 15,1-11 15,2f. 15,3 f. 15,3-8 15,4 15,5

201 200, 204, 209 200f., 203 186, 196 f. 167, 169 197 188 148, 200 202 146 188 204 187, 196 f. 198 102, 137, 140, 142, 148 81 265 114 140, 150, 196, 198 186-188, 197 f. 186, 187, 197 130, 198 198, 205 201, 205 196 f. 198 140 150 187 188 194 149 185-187 187 116 f., 150, 185f„ 193, 201 186 186 185-187 188 189 194 194 196 116 179, 202 88 223 95, 102-104, 156, 171 86 91, 190 34, 91, 118 f.

310 15,6 15,7 15,8 f. 15,9f. 15,11 15,12 15,15 15,17 15,18 15,20 15,22f. 15,22-28 15,23 f. 15,24 15,24ff. 15,25 15,26 15,28 15,30-32 15,33 15,35ff. 15,43 15,44 15,45 15,47 15,47-49 15,48 f. 15,49 15,50

16,23

91, 111, 119, 130 91, 119 119, 133 f. 87, 119, 121, 134, 188 86 86 92 161 130, 216 137, 165, 167 107, 128, 130, 138, 213, 217 128, 209 128f„ 136 f., 146, 210 154 130, 146, 167, 169 143 130, 216 143, 146, 169, 210 213 124 138, 214 210 87, 156, 211 138, 140, 150 139 138 226 87, 130, 140 87, 126, 129, 156, 211 128, 209 127, 211, 213 210, 214 142, 180 114 201 99, 118, 140, 198 140

2. Korintherbrief 1,1 1,8 f. 1,14

1,19 f.

1,20 1,22 2,15 2,16

188 213, 127 219, 145 150, 165, 210

215 252 214 204, 216

3,6 3,14f. 3,17 3,18 4,3 f. 4,4 4,5 4,6 4,10 4,11 4,13 f. 4,14 4,15 4,16 4,17 5,1-4 5,1-10 5,3 5,4 5,5 5,6f. 5,7 5,8 5,9 5,10 5,14f. 5,16 5,17 5,17-21 5,18f. 5,19f. 5,20 5,21

6,1 6,2 7,10 8,4 8,9 9,8 9,13 10,1 10,2 10,3 10,5 11,4 11,18 12,8 13,4 13,13

148 198 148 f., 166 198f., 214 169, 216 129, 145, 154, 167,226 226 133, 153, 198 156, 199 156 194 127f., 150, 212 146 199, 214 f. 199, 210, 214 128, 209, 213 128, 209, 211213 211, 213 210 150, 214 150, 179, 199 180, 199 205, 211, 213 216 128, 203f., 212 171, 191 f. 147 176, 191, 195 182 144, 179 172, 181, 195, 223 193 151, 156, 171, 174-176, 181, 195 183, 200 128, 133, 165 f. 154 114 142,151,167 204 204 148 155 155 f. 152, 206 219 158 149, 152 128, 134, 137, 205, 210, 216 149

Galaterbrief 1,1 1,4 1,6 1,11 1,12-16 1,13 1,14 l,15f. l,16f. 1,17-19 1,18 1,19 1,22 2,1-10 2,2 2,4 2,8f. 11 2,15f. 2,16 2,19f. 2,20 2,21 3,1 3,2f. 3,3 3,6 3,6-9 M—< CO

15,51-53 15,52 15,53 f. 15,57 16,1 16,13 16,22

Register

3,10 3,11 3,13 3,14 3,19 3,21 3,22 3,23 f. 3,24 3,25 3,26 f. 3,27 f. 3,28 3,29 4,3 4,3-5

120, 141, 145 129, 142, 161, 167, 169, 180, 193, 201 209 120 133 91, 134, 188 124, 133 87, 91, 134 93, 119, 143, 155 119 l l l f . , 115,118, 120 100, 142 188, 195 119 120 195 120 173 174, 179 146, 191 143 f., 155,183, 194, 196, 223 164 148 149 f., 164,194, 209 158 179 173 132, 178 162, 170 174 133, 170, 191, 223 170, 195 163 f. 164, 169 159 132, 164, 169 132, 164 162, 170 193, 196 186 f., 200 195, 226 226 129, 154, 158, 166 169

Register 4,4 f.

4,6 4,7 4,8 f. 4,9 4,24 4,26 f. 5,1 5,1-13 5,2 5.3 5.4 5,5 f. 5,6 5,13 5,14 5,16 5,17 5,18 5,19 5,21 5,24 f. 5,25 6,2 6,4 6,7-9 6,8 6,9 6,10 6,14 f. 6,16

106,128,130f., 133, 143, 151, 153, 170, 191, 222 36, 143, 150, 194, 201, 208 194 164, 166 129, 154, 158, 167, 169 132 209 128, 201 170 164, 205 162 181, 204, 209 180f., 194 181, 195, 206 158 148, 202 158, 194 155 194 204 126, 129, 202 191,199-201 194, 201 202 204 128 194, 204, 210 127 200 142, 154, 191 188

Philipperbrief 1,1 1,6 1,10 1,11 1,19 1,20 1,21 1,22 f. 1,23 1,25 f. 1,27 1,28 2,5-11 2,6 f. 2,7 f. 2,8

141, 195 128, 204, 213 213 204 149, 193 215 130 215 205,210,212f., 215 215 200 165, 204, 216 135 151 144, 167 178

2,9-11 2,10f. 2,11 2,12f. 2,15 2,16 2,23 2,24 3,1 3,3 3,5 3,6f. 3,8 f. 3,9 3,11 3,12f. 3,13 f. 3,14 3,20 f. 3,21 4,1 4,4 f. 4,5 4,7

107, 141 141, 167, 189 140, 142, 146 203, 206 186 120 215 195 195 155, 188 124 133, 162, 176 174, 194 174- 176 213 181 128, 204 195, 199, 290 128, 134, 140, 149, 213, 244 208, 209, 211 195 195, 205 127, 213 148, 194 f.

Kolosserbrief 180 1,4-6 129, 143 f., 167, 1,13 f. 169, 180, 201, 214 l,14f. 145, 172 l,15-17a 151 1,16 107 134, 167, 186, 1,18 188 l,19f. 130, 182 1,20 167, 182f., 197 182f., 205 1,21 1,22 f. 148, 165, 176, 183, 188 1,23 180f., 183 1,24 186 1,26 128, 165 1,27 210 2,5 156 154 2,8 142, 167, 188f. 2,10 2,11 f. 193 2,Iii. 185, 189f„ 192 f. 172, 176, 178, 2,13 f. 185, 189 2.14Í. 142, 148, 154 2,15 136, 167, 169

311 2,18 2,19 2,20 2,23 3,1 f. 3,3 3,4 3,5 f. 3,15 3,24 4,11 4,12 4,15 5,23

158 188 f. 129, 154, 190 158 200 200, 215 127, 190, 205, 210, 214 200 f. 186 141 127 203 188 188

1.

Thessalonicherbrief 188 1,1 1,4 f. 208 194 1,5 148, 200 1,6 1,10 137, 143, 169, 172, 203, 217 2,12 127, 210 2,15 142, 148 2,19 128 f., 210 201, 204 3,5 3,8 195 3,13 128 f., 209 f. 200, 202 4,1 4,6 203 4,13 130 4,14 137 4,15 f. 129, 147, 210 4,15-17 127f., 209 4,16 f. 149, 210, 213 4,17 128, 147, 210, 213 5,2 127, 166 5,4 127 5,6 169 5,9 f. 144, 153, 165, 169, 205, 207 5,10 128, 171, 210 5,19 149 5,23 129

2.

Thessalonicherbrief 188 126 129, 210 129, 210 128, 209 129, 167, 169, 210

1,1 1,5 1,7 2,1 2,3-10 2,8 f.

312

Register

2,10 2,13 f. 2,14 2,15

128, 207 210 200

Titusbrief 274

3,5 Philemonbrief 16

195

Hebräerbrief 1.1 f. 1.2 9,22 13,8 13,12

252 107 223 295 67

Jakobusbrief 1,18

274

1. Petrusbrief 1,3.23 274 2,2 274 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1,7 1,9 2.1 2.2 2.3

Johannesbrief 252 253 252 263 253 265 258 264, 280 f. 258, 265, 283 271

2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 2,10 2,12 2,14 2,16 2,17 2,18 2,19 2,22 f. 2,22-24 2,24 2,25 2,29 3,1 3,2 f. 3,4 3,5 3,6 3,8 f. 3,9 3,10 3,11 3,13f. 3,14f. 3,16 3,17 3,20 3,23 3,24 4,2 f. 4,4 4,4-6

265 272 271 f. 270, 272 254, 270 265, 270, 273 258 273 258 257 243, 261, 292 283 238, 243 239 272f. 261 274 257, 274 261, 274f. 258 258, 265 264 239, 258 f. 264, 274 274 236, 270 257, 262, 283 236, 258, 260, 266, 270 263, 265 273 264 269f. 272, 278 243, 278 262 257

4,4-15 4,6 4,7 f. 4,9 4,10 4,12f. 4,13 4,13-15 4,14 4,15 4,16 4,17 4,19 4,20 f. 5,1 f. 5,3 5,4 f. 5,5 5,6 f. 5,7-9 5,10 5,11. 13 5,15 5,16 5,18 5,19 3.

275 271, 279 274f. 242 258 272f„ 275 278 276 239, 242, 244, 259 239, 272 270, 272f. 261 270 269 238, 269, 274 269, 274 259, 266, 274 239, 259 275 f., 279 276 239, 266 260 239 264 264, 274 257

Johannesbrief

6,9f. 9

283 283

Offenbarung 1,1.4 17,14 19,11. 13 22,20

227 64 252 99