Die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bezüge des Strafprozeßrechts [1 ed.] 9783428505913, 9783428105915

Die Thematik des Mißbrauchs von Verfahrensrechten ist seit langem ein umstrittenes Problemfeld des Strafprozeßrechts. Bi

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Die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bezüge des Strafprozeßrechts [1 ed.]
 9783428505913, 9783428105915

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TAREK ABOALLAH

Die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann, Michael Walter Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 38

Die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bezüge des Strafprozeßrechts

Von Tarek Abdallah

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Abdallah, Tarek: Die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren : eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bezüge des Strafprozeßrechts I von Tarek Abdallah. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 38) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 2000/2001 ISBN 3-428-10591-5

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-10591-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 €9

Für Gisela Trimborn

"42"

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2000/2001 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden- soweit verfügbar- bis Ende Juli 2001 berücksichtigt bzw. in die Untersuchung eingearbeitet. Mein Dank geht an dieser Stelle an all diejenigen, die die Entstehung dieser Untersuchung unterstützt und gefördert haben. Herr Prof. Dr. Klaus Bemsmann hat mir nicht nur die Gelegenheit geboten, über das vorliegende Thema zu promovieren, sondern stand während der Fertigstellung der Arbeit auch jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung. Herrn Prof. Dr. Comelius Nestler danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Dank auch an Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. (mult.) Hans Joachim Hirsch, der die Aufnahme meiner Dissertationsschrift in die Reihe der Kölner Kriminalwissenschaftlichen Schriften unterstützt hat. Ein besonders herzlicher Dank geht schließlich an Frau Gisela Trimbom, mit der ich nicht nur während der gesamten Forschungszeit ertragreiche Diskussionen führen konnte, sondern die mir auch immer wieder mit aufmuntemden Worten zur rechten Zeit den notwendigen Rückhalt gab. Euskirchen, im August 2001

Tarek Abdallah

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

I. Rechtsmißbrauch als Erscheinung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

li. Die Problematik einer einseitig fixierten Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

III. Die mangelnde Berücksichtigung des Straf- und Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . .

22

IV. Zur Formulierung der relevanten Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

V. Anliegen und Struktur der Untersuchung sowie Begrenzung des Themas . . . . . . .

24

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren in der historischen Entwicklung bis in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

I. Die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs als Grundlage der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Die Entstehungsgeschichte der Carolina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

2. Beispiele für Regelungen zur Vermeidung mißbräuchlicher Verhaltensweisen

30

II. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

1. Die Entstehung der Reichsstrafprozeßordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

2. Die Behandlung des Rechtsmißbrauchs im Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf Kreuzverhör und Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

3. Die Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs in der Rechtsprechung des Reichsgerichts -erste Ansätze eines allgemeinen Mißbrauchsverbots . . . . . . . .

39

III. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

1. Die Entwicklung des Strafverfahrens bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

2. Die Instrumentalisierung des Rechtsmißbrauchs unter der nationalsozialistischen Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

3. Die Extension staatlicher Zwangsmaßnahmen und ihr Einfluß auf das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

4. Die Erweiterung der Kompetenzen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

5. Der Mißbrauch durch die nationalsozialistische Richterschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

51

10

Inhaltsverzeichnis IV. Die Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945 - Verlagerung der Debatte auf die Beschuldigten- und Verteidigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

1. Beispiele für den Mißbrauch von Verteidigungsrechten in Strafprozessen . . . .

54

a) Der Baader-Meinhof-Prozeß vor dem OLG Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

b) Der Majdanek-Prozeß vor dem LG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

c) Verfahren aus der jüngsten Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

(1) BGH, Urt. des 4. Strafsenats vom 7. November 1991 (BGHSt 38,

111) . ...... . . .. .. . . . . ............. . . . . . . . ... .. . . .. . . ......... . ... . . . .

58

(2) Das PKK-Verfahren vor dem OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

(3) Der Prozeß gegen Rechtsextremisten vor dem LG Stuttgart . . . . . . . . . .

60

(4) Die Mißbrauchsentscheidung des LG Wiesbaden vom 23. 9. 1994. . ..

61

2. Gesetzesreformen und Initiativen zur Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

a) Das Vereinheitlichungsgesetz von 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Die "kleine Strafprozeßreform" von 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

c) Das erste Strafverfahrensreformgesetz und Ergänzungsgesetz von 1975 . .

65

d) Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 1979

68

e) Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 1987

72

f) Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege von 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

g) Das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

3. Aktuelle Reformvorschläge zur Mißbrauchsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

a) Vorschläge für Maßnahmen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

(I) Die Einführung einer allgemeinen Mißbrauchsverbotsvorschrift . . . . . .

77

(2) Verlagerung der Teilhabe- und Teilnahmerechte von Verteidigung und Beschuldigtem in das Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren . . . . . . . . .

79

(3) Die weitergehende Reform bzw. Schaffung von Verfahrensvorschriften .... .. . ... ........ .. .. . .. . .......... . .. . . . .. . . . .... .. ...... . .... ...

80

(a) Einführung einer Verwirkungsklausel in das Beweisantragsrecht

80

(b) Umfangreiche Gesetzesreformen im Sinne des Entwurfs eines zweiten Rechtspflegeentlastungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Erwägungen bezüglich des Verhältnisses bzw. des Dialogs der Verfahrensbeteiligten untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Zusammenfassung des Kapitels B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Der weitere Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Inhaltsverzeichnis

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C. Die Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes . . . . . . . . . . . .

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I. Die Definition der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

l. "Objektiver Tatbestand": Formal ordnungsgemäßer Gebrauch eines Verfah-

rensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. "Subjektiver Tatbestand": Zu ausschließlich "verfahrensfremden" oder "verfahrenswidrigen" Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Zweckbestimmung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Zwischenergebnis: Die Ermittlung der materiellen Wahrheit als Schlüsselelement der herrschenden verfahrenszweckakzessorischen Rechtsmißbrauchsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Analyse der herrschenden Mißbrauchsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Die Ermittlung der materiellen Wahrheit als tauglicher Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Rechtsmißbrauchs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

(1) Grundsätzliche Kritik an dem materiellen Wahrheitsbegriff des Strafverfahrens unter Berücksichtigung rechtlicher und faktischer Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(2) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Zur Vereinbarkeil mit der Rechtsstellung des Beschuldigten und der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (a) Die Stellung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . llO (b) Insbesondere: Die Stellung der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll2 (aa) Der Verteidger- ein umfassend der Wahrheit verpflichtetes "Organ der Rechtspflege"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (bb) Zur Kritik an der herrschenden Diskussion um die Verteidigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll5 (cc) Herleitung der Verteidigerfunktion aus den gesicherten Vorgaben des Strafverfahrens- und Verfassungsrechts . . . . . . . . . . 120 (dd) Die Grenzen zulässigen Verteidigerhandeins . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (ee) Konsequenzen für die vorliegende Thematik....... .. ... . .. . 125 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (4) Konsequenzen für Maßnahmen von Staatsanwaltschaft und Gericht . . 129 (a) Mißbräuchliche Verhängung der Untersuchungshaft (§§ ll2 ff. StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (b) Mißbrauch der Öffentlichkeitsfahndung mittels Steckbriefen (§ 131 StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (c) Einflußnahme auf die Pflichtverteidigung seitens des Gerichts am Beispiel der Pauschgebühren gemäß § 99 BRAGO . . . . . . . . . . . . . . . 133

12

Inhaltsverzeichnis (d) Verfahrenseinstellungen gemäߧ§ 153 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (e) Revisionsverwerfung gemäß § 349 Abs. 2 StPO als "offensichtlich unbegründet" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Die verfahrensrechtsakzessorische Definition des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 111. Zusammenfassung des Kapitels C.

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IV. Der weitere Gang der Untersuchung . .....

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D. Die Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

I. Zur Rechtfertigung des Sanktionsbedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

a) Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Die Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Die funktionstüchtige Strafrechtspflege als notwendiges Abwägungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Staatlicher Rechtsmißbrauch als Verstoß gegen den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren 155 00

3. Zwischenergebnis

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II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Die expliziten Mißbrauchstatbestände der Strafprozeßordnung . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO b) § 241 Abs. 1 StPO

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2. Beispiele für mißbrauchsumschreibende Tatbestände der StPO im Überblick 161 a) "Prozeßverschleppung" bzw. "Verzögerung der Hauptverhandlung" I " .. . des Verfahrens" durch Handlungen der Prozeßbeteiligten . . . . . . . . . . . . 161 b) "offensichtlich unbegründet" bzw. "offenbar mutwillig" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) "verfahrensfremde Zwecke" .

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d) Verfahrenshandlungen ". . . bis zum Beginn der Vernehmung" bzw. " ... der Hauptverhandlung" 165 00

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e) Weitere mißbrauchssanktionierende Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Mißbrauch im Zusammenhang mit Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

(2) Sonstige Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Inhaltsverzeichnis

13

30 Analyse der Rechtsfolgenseite 00000000000000000000000000000000000000000000000 167 40 Zusammenstellung der Sanktionsmöglichkeiten im Hinblick auf besonders 0 0 0.. 0 0 168 mißbrauchsanfällige Verfahrensrechte 00

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a) Der Mißbrauch des Ablehnungsrechts, §§ 24 ffo StPO 000000000o0000o00000 168 b) Der Mißbrauch des Frage- und Erklärungsrechts und des letzten Wortes, §§ 240 Abso 2; 257 Abso 1 uo 2; 258 Abso 3 StPO .. o 169 00

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c) Insbesondere: Der Mißbrauch von Beweisanträgen 00000000000000000000000 170 (I) Aussonderung mißbräuchlicher Beweisanträge auf formaler Ebene 000 170

(2) Ablehnungsgründe gemäߧ§ 244,245 StPO 0000000000000000000000000 171 (3) Sanktionierung des (Beweisantrags-)Mißbrauchs durch ein ungeschriebenes allgerneines Mißbrauchsverbot (BGHSt 38, 111)? 00000000 172 (a) Die verfassungsrechtliche Problematik der Entscheidung 00000000 173 (b) Übertragbarkeit der Mißbrauchssanktionierung aus anderen Verfahrensrechtsordnungen? Zur Anwendbarkeit zivilrechtlicher 177 Regelungen im Strafverfahren 0.. 00

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(c) Die mangelnde Berücksichtigung der Funktion des Verteidigers 180 im Strafverfahren .. 00

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d) Zwischenergebnis 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000 184 Illo Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung mißbräuchlicher Verhaltensweisen nach geltendem Recht 000 000000000000000000000000000000000000000000000 184 00

1. Ausschluß des Verteidigers gemäߧ 138a Abso I Nro 3 StPO 00000000000000000 185

a) Der exzessive Mißbrauch von Verfahrensrechten als (versuchte) Strafvereitelung gemäß § 258 StOB 0000000000000000000000000000000000000000000000 186 b) Ablehnende Stellungnahmen in der Literatur 00000000000ooo000000000000000 186 c) Schutzmechanismen zwecks Mißbrauchsprävention 0000000000000000000000 189 d) Ergebnis 00000000000000000000000000000000000000o00000000000000000000000000 192 20 Bekämpfung des exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten durch § 238 Abso 1 StPO oo0o000000oooo000000o00oo.. 00oooo0o0000oo.. o000000oo000000000ooo0 193 a) Vereinbarkeil mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Strafverfah0.. 194 rensrechts ............ 0.... 00

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b) Zum Schutz vor mißbräuchlicher Anwendung des§ 238 Abso I StPO 0000 198 30 Ergebnis 00000000000000000000000000o0o00000000000oo00000o0oooo00000oo000o0000 200

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Inhaltsverzeichnis IV. Abhilfemöglichkeiten und Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf staatlichen Rechtsmißbrauch . . . . .. . . .. .. . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 200 1. Schaffung hinreichend bestimmter Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Einführung einer umfassenden Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen .................... .. .................... . .. . . ..... . ........... . ... . . 202 3. Sicherung einer von staatlichen Einflüssen weitgehend unabhängigen Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4. Schaffung eines Ausschlußtatbestands für mißbräuchlich agierende Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 V. Zusammenfassung des Kapitels D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

E. Gesamtergebnis und abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

II. Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

A. Einleitung I. Rechtsmißbrauch als Erscheinung des Strafverfahrens Wirft man die Frage nach gegenwärtig umstrittenen Problemfeldern des Strafverfahrens auf, so stößt man alsbald auf die Diskussion um die Erscheinung des sogenannten Rechtsmißbrauchs. Die Schwierigkeiten, die dieses Phänomen aufwirft, sind dabei verschiedener Art. Niemöller weist darauf hin, daß zwar grundsätzlich der Begriff des Mißbrauchs sowohl im Alltag als auch im Recht einfach zu bestimmen sei und letztlich nur die zweck- bzw. bestimmungswidrige Verwendung bezeichne. 1 Diese grundsätzliche Umschreibung des Mißbrauchs spiegelt sich auch in der strafprozessualen Mißbrauchsdefinition der als herrschend bezeichneten Meinung2 wieder: Danach liegt Rechtsmißbrauch vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter mit seinem formal ordnungsgemäßen Verhalten ausschließlich verfahrenswidrige oder verfahrensfremde Zwecke verfolgt. Es ist jedoch bei etwas genauerer Betrachtung rasch erkennbar, daß diese Definition des Begriffs, der schon für sich selbst betrachtet begriffslogisch anfechtbar erscheint,3 letztlich nur eine sehr weit gefaßte und damit ungenaue Umschreibung dieser Erscheinung darstellt, denn sie läßt keinerlei Rückschlüsse zu, welche konkreten Verhaltensweisen der Beteiligten im Strafverfahren hierunter zu subsumieren sind. 4 Demgegenüber steht jedoch auch die Feststellung, daß sich diese Thematik nicht dem Vorwurf ausgesetzt sieht, rein theoretischer Natur zu sein: Daß es das Phänomen des Rechtsmißbrauchs gibt, sollte nicht mehr ernsthaft bestritten werden, 5 wobei es sich in der aktuellen Diskussion hinter verschiedenen Schlagwörtern verbirgt: So liest man beispielsweise von "Prozeßsabotage"; 6 andere erörtern das Phänomen im Zusammenhang mit den Begriffen der "Konfliktverteidigung"7 Niemöller, StV 1996, 501 (502). Kröpil, JZ 1998, 135m. w. N. 3 Vgl. Niemöller, StV 1996,501 , ders., StraFo 1996, 104, der auf eine "dialektische Spannung" hinweist bzw. den Begriff als "semantisch fragwürdig" einordnet; diese Erwägung läßt sich mit der Überlegung rechtfertigen, daß der Mißbrauch den Gebrauch eines hierfür vorgesehenen Verfahrensrechts impliziert, was zumindest auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheint. 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ventzke, StV 2001, 101 (102), der darauf verweist, daß die Geltung des Rechtsmißbrauchsverbots im Strafverfahren, seine Voraussetzungen, sein Umfang und die Folgen seiner Verletzung bisher " ... nicht annäherungsweise geklärt ... " sind. s Z. B. Fischer, NStZ 1997, 212 (215). 6 Vgl. z. B. Weiss, AnwBl. 1981, 316ff.; Deckers, AnwBl. 1981, 321 ff. I

2

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A. Einleitung

bzw. des "Großverfahrens"8 oder kennzeichnen es als "dysfunktionales Verhalten" im Strafprozeß9 bzw. "institutionellen" Mißbrauch.10 Schließlich wird diese Erscheinung des Strafverfahrens häufig in Zusanunenhang mit der Überlastung der Justiz bzw. der Prozeßökonomie diskutiert 11 und wird auf diesem Wege zu einer der wesentlichen Ursachen der vielbeschworenen Krise des deutschen Strafverfahrens. Seine praktische Relevanz zeigt sich aber auch in anderer Hinsicht. So enthält das Strafverfahrensrecht mit den §§ 138a Abs. 1 S. 2, 241 Abs. 1 StP0 12 und§ 67 Abs. 4 S. 2 JGG nicht nur Vorschriften, die ausdrücklich auf den Begriff des Mißbrauchs abstellen, sondern es kommen zahlreiche weitere Vorschriften hinzu, die ohne ausdrückliche Nennung des Mißbrauchs seine Sanktionierung anstreben. 13 Auch in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht spielt der Rechtsmißbrauch eine nicht zu übersehende Rolle. § 34 Abs. 2 BVerfGG sieht u. a. die Verhängung einer Mißbrauchsgebühr vor, soweit eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet ist. Dieses ist beispielsweise dann der Fall, wenn das höchste deutsche Gericht zu dem Ergebnis kommt, daß durch eine Verfassungsbeschwerde das BVerfG nach einem beendeten Strafverfahren als weitere Rechtsmittelinstanz fungieren soll. 14 Und nicht nur auf der Ebene des nationalen Strafprozesses hat die Debatte um den Rechtsmißbrauch Einzug gehalten, sondern auch hinsichtlich internationaler Strafverfahren wurde er diskutiert. Ansatzpunkt hierfür war die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag: In seiner 3217. Sitzung hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Grundlage der Resolution 827 am 25. Mai 1993 entschieden, dieses internationale Strafgericht einzurichten, um die Sanktionierung der Verbrechen, die im ehemaligen Jugoslawien zur Zeit des Balkankrieges begangen wurden, zu sichern. 15 Die Verurteilung von Kriegsverbrechern durch dieses Gericht war jedoch angesichts von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 7 Z. B. LG Wiesbaden, NJW 1995, 409f.; Malmendier, NJW 1997, 227ff. und die Untersuchung von Jahn, "Konfliktverteidigung" und Inquisitionsmaxime, 1998 sowie ders. in ZRP 1998, 103 ff.; weitere Schlagwörter sind etwa "Chaosverteidigung" (Dahs, FS Odersky, S. 317 (323)) oder "Amokverteidigung" (Hamm, StV 1994, 456 (457)). s Z. B. Rebmann, NStZ 1984, 241 (243); Herrmann spricht in diesem Zusammenhang von "Monstreverfahren", ZStW 85 (1973), 255 ff.; ebenso Schmidt, JR 1974, 320 ff. 9 Rüping I Domseifer, JZ 1977, 417 ff. to Weber, GA 1975, 289 (295). 11 Bspw. Meyer-GoßneriStröber, ZRP 1996, 354 (356); Pillmann, DRiZ 1998, 511 ff.; Hamm, NJW 1996, 2981 ff.; Kintzi, DRiZ 1994, 325 ff. 12 Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind die mit Paragraphen aufgeführten Vorschriften solche der StPO. 13 Vgl. nur Kühne, StV 1996, 684 (685). 14 Z. B. BVerfG, Beschluß v. 15. März 1999, 2 BvR 375199 (Mißbrauchsgebühr: 3000,DM); vgl. auch den Beschluß v. 5. Januar 1998, 2 BvR 2198 I 97 (Mißbrauchsgebühr: 500,DM). 15 Zum Statut und Struktur dieses Gerichtshofs siehe Oellers-Frahm, ZaÖRV 54 (1994), 416 ff.; zu seiner historischen Entwicklung Roggemann, ZRP 1994, 297 ff.

I. Rechtsmißbrauch als Erscheinung des Strafverfahrens

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IPBR nicht unproblematisch, der jedem Beschuldigten garantiert, sich nur vor einem Gericht verantworten zu müssen, das auf einer gesetzlichen Grundlage arbeitet. 16 Das Problem lag darin, daß der Gerichtshof in Den Haag hinsichtlich seiner Einrichtung auf keiner gesetzlichen Grundlage, sondern in Form der Resolution 827 auf einer Exekutivmaßnahme basiert. Eben mit diesem Vorbringen mußte sich die Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofes im Fall Tadic in ihrer Entscheidung vom 2. Oktober 1995 auseinandersetzen. 17 In der Literatur wurde hinsichtlich dieses Problems von Hallweg die Auffassung vertreten, daß das Argument des Entzugs des gesetzlichen Richters nicht rechtsmißbräuchlich zu dem Zwecke eingesetzt werden dürfe, die notwendige Bestrafung schwerer Verbrechen zu vereiteln und damit das Kriegstreiben ungehindert fortgesetzt werden könne. 18 Das Gericht lehnte schließlich in seiner Entscheidung zum Fall Tadic einen Verstoß unter Rückgriff auf eine extensive Auslegung des Merkmals des gesetzlichen Richters ab. 19 Es ist aber nicht zuletzt auch die Vehemenz, mit der die Diskussion um den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren geführt wird, die seine praktische Relevanz aufzeigt. So läßt sich zusammenfassend feststellen, daß die Stellungnahmen einerseits den Zusammenbruch des Rechtsstaats durch den Mißbrauch seitens der Angeklagten und ihrer Verteidiger prophezeien, andererseits die Erosion des Strafverfahrens beklagen, soweit die Eindämmung des Mißbrauchs versucht wird.Z0 Daneben fällt auf, daß im Rahmen der Debatte nicht selten der Verweis auf den Rechtsmißbrauch der jeweils anderen Verfahrensbeteiligten vorgenommen wird. So wird beispielsweise aus Sicht von Verteidigern zwar durchaus eingeräumt, daß es in den eigenen Reihen Erscheinungen im Strafverfahren gebe, bei denen es schwerfällt, das Wort "Sabotage" zu unterdrücken. 21 Ebenso sei es jedoch sicher, daß es richterliches Prozeßverhalten gebe, welches " ... je nach Temperament Fassungslosigkeit oder "kalte Wut" auslöst". 22 Ähnliches läßt sich für Stellungnahmen aus den Reihen der Staatsanwaltschaft erkennen. Soweit von Verteidigern angesprochen wird, daß es auch auf seiten der Richter und Staatsanwälte zunehmend Rechtsmißbrauch gebe, 23 sucht man nicht 16 Zu dem (im einzelnen umstrittenen) Schutzbereich dieser Norm siehe Trautwein, ZRP 1995, 87 (88) m. w. N. 17 Vgl. Heintschel v. Heinegg, HuV-1 1996, 75ff. 18 Hollweg, JZ 1993, 980 (984); kritisch hierzu Trautwein, ZRP 1995, 87 (88), der darauf verweist, daß auch nationale Gerichte, die ihrerseits auf gesetzlicher Grundlage beruhen, durchaus in der Lage seien, ausländische Kriegsverbrecher zu bestrafen. Beachte zu dieser Problematik BGH JZ 1999, 1176ff.; BVerfG NStZ 2001, 240ff. 19 Siehe im einzelnen hierzu Heintschel v. Heinegg, HuV-1 1996,75 (83). 2o Kudlich, JuS 1997, 507 (509); vgl. beispielhaft einerseits die Ausführungen Ankermanns, DRiZ 1993, 67ff. und andererseits Schutz, StV 1991, 354ff. 21 Dahs, NJW 1994, 909. 22 Dahs, NJW 1994, 909. 23 Z. B. Hamm, NJW 1993,289 (297).

2 Abctallab

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A. Einleitung

lange nach der gegenläufigen Stellungnahme von seiten der Staatsanwaltschaft, die zwar einerseits einräumt, daß es auch hier " ... gelegentlich ..." zu Rechtsmißbrauch komme, andererseits aber " ... entschieden ... " bestreitet, daß dieses im gleichen Umfang geschehen solle wie bei den Verteidigern. 24 Vielmehr werde es Zeit, daß sich die Verteidiger in einer Grundsatzdiskussion über die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu dem Eingeständnis durchringen, daß es besonders in öffentlichkeitswirksamen Strafprozessen unerträgliche Fälle von Mißbrauch von Verteidigungsbefugnissen " ... a Ia "Konfliktverteidigung ..." bis hin zur " ... Prozeßsabotage ..." gebe. 25 Abgerundet wird dieses schließlich durch Äußerungen von richterlicher Seite, die dem eigenen Fehlverhalten ebenso " ... Seltenheitswert ..." bescheinigen wie der Obstruktion der Hauptverhandlung durch die Staatsanwaltschaft26 und statt dessen die Kritik wiederum auf die Verteidigung konzentrieren. 27 Mögen diese Verweise auf das jeweilige Fehlverhalten der Gegenseite im Einzelfall zutreffen, zur Lösung des hier zu diskutierenden Problems des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren sind sie ebenso wenig geeignet wie zur Rechtfertigung des eigenen rechtsmißbräuchlichen Verhaltens. Vergleichbares gilt auch für den immer wieder hinsichtlich der Verteidigertätigkeit gebrachten Hinweis auf empirische Erhebungen, nach denen die ganz überwiegende Mehrheit der Verfahren ohne größere Probleme zu Urteilen geführt werden. 28 Solche Argumente mögen bestenfalls die Dringlichkeit von Maßnahmen zur Sanktionierung rechtsmißbräuchlichen Verhaltens im Strafprozeß relativieren. Völlig zu Recht weist Kudlich jedoch darauf hin, daß der Verweis auf statistische Erhebungen, nach denen der Mißbrauch praktisch keine Rolle spielt, eine Mißbrauchskontrolle nicht überflüssig macht. 29 Soweit durch den Mißbrauch von Rechten eine massive Beeinträchtigung des Strafverfahrens bis hin zur Verfahrensvereitelung möglich ist, können rein quantitative Überlegungen bezüglich des Vorkommens das Erfordernis von Sanktionen nicht negieren. Im übrigen gilt es die Worte von Rieß zu berücksichtigen, nach denen es auf die realen Verhältnisse in den Strafprozessen gar nicht ankomme; vielmehr sei schon der Vertrauensverlust der Öffentlichkeit entscheidend, der die Rechtsfrieden schaffende Funktion des 24 Schaefer, NJW 1995, 1723 (1724); vgl. ferner die Auszüge aus dem Protokoll der Arbeitstagung des Generalbundesanwalts und der Generalstaatsanwälte vom 28./29. 11. 1991, abgedruckt in StV 1991, 284ff. 25 Schaefer, NJW 1995, 1723 (1724). 26 Berg, DRiZ 1994, 380 (381). 27 Berg, DRiZ 1994, 380ff.; beachte auch Bertram, NJW 1994, 2186 (2188f.), der durch den Rechtsmißbrauch der Verteidigung die Gerichte zu ihrem "Spielball" verkommen sieht. Nach seiner Ansicht ist der Rechtsmißbrauch darauf angelegt, die " ... Richter weichzukochen ...";ferner Schwinge, DRiZ 1976, 300 (301 ff.). 28 Z. B. Dahs, NJW 1994, 909; vgl. in diesem Zusammenhang auch Huff, DRiZ 1998, 368 f. sowie Nehm I Senge, NStZ 1998, S. 377 ff. 29 Kudlich, S. 173 f. (174).

II. Die Problematik einer einseitig fixierten Debatte

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Strafverfolgungssystems gefährde. Für die Funktion des Strafverfahrens sei es ebenso wichtig, wie seine Leistungsfähigkeit von der öffentlichen Meinung empfunden werde. 30 II. Die Problematik einer einseitig fixierten Debatte

Der soeben dargestellte Befund gegenseitiger Bezichtigungen deutet auf ein weiteres charakteristisches Merkmal der aktuellen Diskussion hin. Die Erörterungen des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren beschränken sich zumeist auf die Darstellung von Verhaltensweisen einzelner Verfahrensbeteiligter in einem bestimmten Verfahrensstadium, an denen sich auch die Lösungsvorschläge orientieren. Die Unstimmigkeiten, die eine solch einseitige Vorgehensweise aufwirft, zeigen sich beispielhaft im Rahmen der in letzter Zeit wieder intensiver geführten Debatte um ein allgemeines Mißbrauchsverbot im Strafprozeß: Soweit man in der Literatur auf seine Erörterung trifft, erfolgt diese fast ausschließlich in bezug auf die Beschuldigten- bzw. Verteidigungsrechte und deren Mißbrauch in der Hauptverhandlung, wogegen eine Erörterung eventuellen Rechtsmißbrauchs von Richtern und Staatsanwälten in diesem Kontext (wenn überhaupt) nur am Rande stattfindet.31 Einerseits will diese doppelte Restriktion schon begrifflich nicht recht überzeugen, weil der Begriff des allgemeinen Mißbrauchsverbots strenggenommen die Berücksichtigung von Verfahrenshandlungen aller am Strafverfahren Beteiligten und aller Verfahrensabschnitte nahelegt Von einem (dem Wortsinn entsprechenden) allgemeinen Mißbrauchsverbot könnte konsequenterweise nur dann gesprochen werden, wenn jeglicher Mißbrauch im Strafverfahren hiervon erfaßt wird. Eine derartige Beschränkung verbietet sich daher schon aufgrund der Begriffslogik. 32 Andererseits sind es vor allem inhaltliche Gründe, die die Beschränkung der Debatte auf die Verteidigung bzw. Beschuldigten in der Hauptverhandlung als wenig überzeugend erscheinen lassen. Selbst wenn diese angesichts der in jüngster Zeit erörterten Beispiele für mißbräuchliches Verhalten durchaus nachvollziehbar sein mag, müssen hierbei einige Faktoren berücksichtigt werden, die sich aus der besonderen Stellung der Hauptverhandlung im Gesamtgefüge des Strafverfahrens ergeben: So ist die Hauptverhandlung der einzige Abschnitt des Strafprozesses, an dem alle Verfahrensteilnehmer in gleichem Umfang beteiligt sind und eine gegenseitige Kontrolle ermöglicht. Der Verweis auf rechtsmißbräuchliche Verhaltensweisen der jeweils anderen Verfahrensbeteiligten fällt insoweit nicht schwer. Dieser Umstand erfahrt darüber hinaus dadurch Verstärkung, daß die Hauptverhandlung der einzige Verfahrensabschnitt ist, der der Öffentlichkeitsmaxime des § 169 Rieß, NStZ 1994,409 (411). Zu den wenigen Ausnahmen gehören bspw. L/R(25)-Rieß, Ein!. Abschn. J Rdnr. 41; Rüping, JZ 1997, 865 (869); Kühne, StV 1996, 684 (689). 32 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Rüping, JZ 1997, 865 (869). 30 31

2*

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A. Einleitung

GVG und damit ihrer Kontrollfunktion unterfällt Mithin läßt sich der Mißbrauch von Beteiligungsrechten nicht zuletzt angesichts einer öffentlichen Hauptverhandlung weitaus eher wahrnehmen und vermitteln als der in den anderen Verfahrensabschnitten, die dem Grundsatz der Öffentlichkeit nicht unterworfen sind und in denen die Beteiligungsrechte der Verfahrensteilnehmer nicht ähnlich ausgewogen verteilt sind. Das gilt es beispielsweise in Zusammenhang mit dem Beweisrecht zu berücksichtigen, welches im Brennpunkt der Diskussion um den Rechtsmißbrauch steht. 33 Der Beweisantrag in der Hauptverhandlung ist das wichtigste Instrument zur Einflußnahme auf die Beweisaufnahme, wobei es " ... naturgemäß . . ." für den Angeklagten und seinen Verteidiger von besonderer Bedeutung ist. 34 Seitens der Staatsanwaltschaft wird indes von dem Beweisantragsrecht in der Hauptverhandlung nur äußerst selten Gebrauch gemacht. 35 Das könnte seine Erklärung darin finden, daß die Beweisbeschaffung und -Sicherung seitens der Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren stattfindet, 36 ohne daß die Staatsanwaltschaft als "Herrin des Ermittlungsverfahrens" 37 einer vergleichbaren (Mißbrauchs-)Kontrolle ausgesetzt wäre wie die Verteidigung ihrerseits in der Hauptverhandlung. Diese Feststellungen deuten aber bereits an, daß aus der aktuellen Debatte um ein allgemeines Mißbrauchsverbot keineswegs der Schluß gezogen werden kann und darf, daß sich die Erörterung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren auf die Hauptverhandlung und die Verteidigung bzw. den Beschuldigten zu beschränken hat. Man wird von dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren den Aspekt seiner Existenz deutlich zu unterscheiden haben und unter Berücksichtigung aller Verfahrensabschnitte die Frage stellen müssen, ob möglicherweise der Rechtsmißbrauch von Staatsanwaltschaft und Gericht nur deshalb nicht problematisiert wird, weil er sich vornehmlich in Verfahrensabschnitten abspielt, die sich weitgehend einer adäquaten Kontrolle entziehen. Mit diesem Aspekt einher geht die Erwägung, daß sich auch die Konsequenzen bzw. Rechtsfolgen eines allgemeinen Mißbrauchsverbots, soweit der damit verfolgte Zweck wirklich der umfassende Schutz vor entsprechenden Verhaltensweisen sein soll, nicht isoliert an bestimmten Verfahrensteilnehmern überprüfen lassen. Die angesprochene Problematik mangelnder umfassender Wahrnehmung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren weist schließlich aber auch noch eine andere wichtige Facette auf, die sich erschließt, wenn man den Mißbrauch von Verfahrensrechten vorrangig unter dem Aspekt der Prozeßökonomie debattiert: Es erscheint als nicht abwegig, daß mißbräuchliches Verhalten von Staatsanwaltschaft Vgl. Rüping, JZ 1997, 865 (866). Beulke, StPR, Rdnr. 434; nach den im August 1999 vorgestellten Ergebnissen einer vom Bundesjustizministerium veranlaßten Untersuchung zur Dauer von Strafverfahren wurden Beweisanträge zu 95% seitens der Verteidigung gestellt; vgl. hierzu StV 2000, 174 (175). 35 Bemsmann, ZRP 1994, 329 (331 ); Herzog, StV 1994, 166 (167). 36 Vgl. Roxin, StVR, § 37 Rdnr. 1. 37 Z. B. Beulke, StPR, Rdnr. 79. 33

34

II. Die Problematik einer einseitig fixierten Debatte

21

und Gericht nur deshalb nicht problematisiert wird, weil es nicht die gleichen verfahrensretardierenden Auswirkungen hat wie die effektive Nutzung von Verteidigungs- bzw. Beschuldigtenrechten in der Hauptverhandlung, deren Funktion als Kontrollinstrumente bezüglich der Justizförmigkeit des Verfahrens (selbst bei zurückhaltendem Gebrauch) zwangsläufig zu mehr oder weniger erheblichen Verzögerungen des Verfahrensablaufs führen muß: Wenn die Verteidigung im wesentlichen darauf angewiesen ist, die nach ihrer Auffassung relevanten Beweise im Rahmen der Hauptverhandlung beschaffen zu lassen, um auf die Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts einzuwirken, dann liegt in der Verzögerung des Verfahrensabschlusses die notwendige Konsequenz der Struktur des Strafverfahrens bzw. seines Ablaufs. Nimmt man dementsprechend die Verfahrensautonomie bzw. das Recht des Beschuldigten auf Wahrnehmung seiner Interessen im Strafprozeß ernst, dann ist anzuerkennen, daß dieser sogar ein Recht auf Verzögerung des Strafverfahrens hat, 38 wobei allerdings die Frage nach den Grenzen dieses Rechts nicht aus dem Blick geraten darf. In diesem Sinne kann auch den Ausführungen Beulkes nur zugestimmt werden, wenn er darauf verweist, daß die " ... Bremsertätigkeit ... " des Verteidigers im Strafverfahren nichts Vorwerfbares oder Verwerfliches darstellt, sondern vielmehr zu den " ... ureigensten Aufgaben ..." der Verteidigung zählt und vom Verfahrensrecht selbst gewollt ist. 39 Unabhängig davon läßt sich trotzdem nicht ernsthaft davon ausgehen, daß die Diskussion um den Rechtsmißbrauch seitens der Staatsanwaltschaften und der Gerichte weniger Beachtung verdient, nur weil es diesbezüglich nicht zu vergleichbaren Verzugserscheinungen in der Abwicklung des Verfahrens kommt. Bereits bei oberflächlicher Betrachtung muß klar sein, daß es ein rechtsstaatliches Strafverfahren, welches auch dem Anliegen des Beschuldigtenschutzes unterworfen ist, nicht dulden kann, wenn seitens der staatlichen Organe Verfahrensrechte mißbraucht werden. Keinesfalls angängig wäre daher der Verweis auf das mangelnde Gefahrdungspotential staatlichen Rechtsmißbrauchs hinsichtlich der Durchführung bzw. des Abschlusses des Strafverfahrens. Der Versuch, auf diesem ,Wege die Konsequenzen dieser Mißbrauchserscheinung oder die Notwendigkeit nach entsprechenden Abhilfemöglichkeiten herunterzuspielen, weil der institutionelle Zweck des Strafverfahrens vermeintlich nicht gefährdet sei, wäre bestenfalls ein Indiz für ein einseitiges Verständnis der Zwecke des Strafverfahrens, das sich gegebenenfalls in der (möglichst schnellen) Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs erschöpfen würde. In letzter Konsequenz läßt sich aus alledem ablesen, daß eine umfassende Berücksichtigung von Verhaltensweisen aller Verfahrensbeteiligten den Kreis des sanktionswürdigen Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren unter Umständen nicht nur erheblich über den aktuellen Stand der Diskussion hinaus erweitern könnte, sondern es verdeutlicht sich damit auch die Gefahr, daß sich hinter der auf Vertei38 39

Vgl. Weigend, Referat, S. M 18. Beulke, FS Roxin, S. 1173 (1182).

22

A. Einleitung

digung und Beschuldigten fixierten Erörterung eines "allgemeinen Mißbrauchsverbots" letztlich von seinen Voraussetzungen als auch von seinen Rechtsfolgen her nur eine auf diese Verfahrensbeteiligten zugeschnittene Mißbrauchskontrolle bezüglich der Hauptverhandlung verbirgt und der Begriff zur Leerformel verkommt.

111. Die mangelnde Berücksichtigung des Straf- und Verfassungsrechts Aber auch abseits der Erörterung des allgemeinen Mißbrauchsverbots lassen sich Schwachpunkte in der aktuellen Diskussion ausmachen. So ist festzustellen, daß sich die Erörterung von Lücken im System der Abhilfemöglichkeiten und die hieraus resultierende Forderung nach weitergehenden (gesetzlichen) Maßnahmen überwiegend auf rein intrasystematische Erwägungen stützt. M.a.W.: Der Bedarf nach weiteren Maßnahmen des Gesetzgebers wird damit begründet, daß die Strafprozeßordnung selbst keine ausreichenden Sanktionsmechanismen aufweisen würde. Will man aber das Erfordernis weitergehender gesetzlicher Regelungen zur Mißbrauchsbekämpfung (wie z. B. die Forderung nach einer allgemeinen Mißbrauchsverbotsklausel) aus bestehenden Lücken der aktuellen Rechtslage ableiten, so läßt sich eine solche Aussage nur dann halten, wenn man abseits pauschaler Behauptungen einen genaueren Blick auf das geltende Recht wirft. Das impliziert die Berücksichtigung des materiellen Rechts, denn es ist durchaus denkbar, daß es strafrechtliche Vorschriften gibt, deren Anwendung in der Praxis im Zusammenspiel mit strafprozessualen Normen eventuelle Schwachstellen im Sanktionssystem der Strafprozeßordnung beseitigen kann. Insbesondere in bezug auf den Mißbrauch von Verteidigungsrechten wird man somit die Debatte um die Anwendung des § 258 StGB nicht umgehen können. Die Bedeutung dieser Vorschrift für die vorliegende Thematik hat Jahn jüngst aufgezeigt. 40 So macht Jahn auf die Fragestellung aufmerksam, ob sich die Methoden der sogenannten "Konfliktverteidigung" unter den Tatbestand der Strafvereitelung subsumieren lassen. Sollte dieses der Fall sein, so stände einer Ausschließung solcher Verteidiger über § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO nichts mehr im Wege. Ycillig zu Recht weist Jahn daher auch darauf hin, daß die Kontroverse um die Einführung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots gegebenenfalls in einem ganz anderen Licht erscheinen würde, weil die Befürworter etwas von einer solchen Mißbrauchsverbotsklausel einfordern, das bereits vom Tatbestand des § 258 StGB geleistet wird und sich über§ 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO im Strafverfahren durchsetzen läßt. 41

Gleiches könnte für die Tätigkeit der staatlichen Organe im Strafverfahren gelten, wenn man etwa die Vorschrift des § 339 StGB berücksichtigt, die sich möglicherweise für die vorliegende Problematik nutzbar machen läßt. So könnte das Ergebnis einer Zusammenschau von Straf- und Strafprozeßrecht ergeben, daß die 40

41

Vgl. Jahn, ZRP 1998, 103. Jahn, ZRP 1998, 103.

III. Mangelnde Berücksichtigung des Straf- und Verfassungsrechts

23

in der aktuellen Diskussion oft betonten Lücken der aktuellen Rechtslage und die hierauf basierenden Forderungen nach weitreichenden Maßnahmen zumindest relativiert werden müssen und sich (tiefgreifende) Eingriffe in das Strafverfahrensrecht gegebenenfalls erübrigen. Allein dieser Umstand macht es erforderlich, die Regelungen des Strafgesetzbuches in die Erörterung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren miteinzubeziehen. 42 Die Bedeutung, die der Klärung der Frage nach materiellrechtlichen Abhilfemöglichkeiten zukommt, zeigt sich aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt, dem in der aktuellen Diskussion offensichtlich zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und der in der vorliegenden Untersuchung besondere Berücksichtigung erfahren soll: Die Forderung nach entsprechenden Reformen der StPO steht unter dem massiven Einfluß verfassungsrechtlicher Erwägungen. Die Frage nach der Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs berührt somit auch und gerade die tiefe Verwurzelung des Strafverfahrens im Grundgesetz, denn Strafverfahrensrecht ist letztlich angewandtes Verfassungsrecht. 43 Das gilt zunächst im Hinblick auf die Rechte des Beschuldigten, wobei in erster Linie dessen Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und sein Anspruch auf ein faires Verfahren zu berücksichtigen sind. Diesen rechtsstaatliehen Garantien des Grundgesetzes kommt damit die Funktion zu, den Rahmen und mithin die Grenze der möglicherweise zu fordernden Schritte des Gesetzgebers zur Mißbrauchsbekämpfung im Strafverfahren zu bilden, deren Überschreitung durch die zur Diskussion stehenden Vorschläge nicht auszuschließen ist. Denkbar ist demgegenüber jedoch auch, daß sich nicht nur die Grenzen, sondern auch die Notwendigkeit der Mißbrauchsanktionierung aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Strafverfahrens herleiten läßt. So könnten sich vor allem vor dem Hintergrund des in der Mißbrauchsdebatte oft bemühten Verweises auf die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege entsprechende Schlüsse ziehen lassen. Unabhängig davon wie diese Problemstellungen im einzelnen letztlich zu lösen sein werden: Die verfassungsrechtlichen Wurzeln des Strafprozeßrechts werden das Ergebnis dieser Untersuchung maßgeblich mitbestimmen.

42 Anderer Ansicht offenbar Kudlich, S. 22, in dessen Untersuchung bezüglich des Mißbrauchs von Verteidigungsrechten die Anwendbarkeit des § 258 StOB " ... weitgehend ausgeblendet ..." bleibt. Angesichts der zumindest in Zusammenhang mit diesem Problernkreis bestehenden engen Konnexität von Straf- und Strafprozeßrecht wird man sich die Frage stellen müssen, wie sich die von ihm vertretene Forderung nach weitergehenden gesetzlichen Maßnahmen in der Form einer allgerneinen Mißbrauchsverbotsklausel überzeugend begründen läßt, wenn auf möglicherweise in Betracht kommende, existente Abhilfemöglichkeiten nur mit wenigen Worten hingewiesen wird. 43 Jahn, S. 120 rn. w. N.

24

A. Einleitung

IV. Zur Formulierung der relevanten Ausgangsfragen Betrachtet man die Defizite der aktuellen Debatte, so erscheint es sinnvoll, zurück an den Ausgangspunkt der Diskussion zu gehen und sich noch einmal die wesentlichen und grundlegenden Fragestellungen zu vergegenwärtigen, die das Phänomen des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren umrahmen und deren vorherige Beantwortung zumindest dann zwingend geboten ist, wenn man die Forderung nach weitergehenden gesetzlichen Maßnahmen zur Mißbrauchsbekämpfung ernsthaft begründen will. Das zunächst sich stellende Problem ist hierbei die Einordnung von Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten als "rechtsmißbräuchlich". Somit muß der erste Schritt darin bestehen, die von der herrschenden Meinung angebotene Begriffsdefinition des Rechtsmißbrauchs anband bestimmter Erscheinungen im Strafverfahren zu überprüfen. Hierbei wird man - wie bereits angedeutet - die Sichtweise nicht einseitig auf bestimmte Verfahrensbeteiligte fixieren können, sondern wird unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Mißbrauchsdefinition das Verhalten aller Prozeßbeteiligten in Rechnung stellen müssen. Der zweite Schritt ist die Überprüfung der existenten Abhilfemöglichkeiten. Dahinter verbirgt sich die Fragestellung, welche Möglichkeiten der Mißbrauchsbekämpfung de lege lata gegeben sind und mithin die Überprüfung, inwieweit die derzeitige Rechtslage eine effektive Sanktionierung der entsprechenden Verhaltensweisen zuläßt. Denn nur soweit die Antwort auf diese Frage das Ergebnis zutage fördert, daß Lücken in der Rechtsordnung bestehen, ist die Prämisse für die sich hieran anschließende dritte grundsätzliche Fragestellung erfüllt, welche weitergehenden Maßnahmen zur Schließung der festgestellten Lücken geboten und rechtsstaatlich noch vertretbar sind.

V. Anliegen und Struktur der Untersuchung sowie Begrenzung des Themas Diese grundsätzlichen Überlegungen lassen sich in Addition mit den bis hierhin gemachten Ausführungen für die vorliegende Untersuchung weiter konkretisieren bzw. die Schwerpunkte der Arbeit abgrenzen: Sie knüpft zum einen unmittelbar an die herrschende Definition des Rechtsmißbrauchs an und unterwirft diese unter Berücksichtigung grundlegender Fragestellungen - wie beispielsweise nach Funktion und Stellung der Verfahrensbeteiligten und den Verfahrenszielen - einer ausführlichen Analyse, die gegebenenfalls Schwachpunkte dieser Begriffsbestimmung aufdeckt und unter Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse eine abweichende, umfassende Definition des Mißbrauchstatbestandes ermöglicht. Zum anderen wird ein Schwerpunkt auf die Untersuchung des geltenden Rechts (einschließlich der Regelungen des StGB und insbesondere den Vorgaben des Grundgesetzes) im Hinblick auf Abhilfemöglichkeiten gelegt, um gegebenenfalls Defizite der geltenden

V. Anliegen und Struktur der Untersuchung

25

Rechtslage aufzudecken oder aber entsprechende Behauptungen, die notwendigerweise die in der Diskussion stehenden, tiefgreifenden Reformvorschläge - wie etwa die Forderung nach Einführung einer allgemeinen Mißbrauchsverbotsklausel - mitbestimmen, zu widerlegen. In diesem Sinne gliedert sich die weitere Verlauf der Untersuchung in vier Abschnitte: Sie fährt im folgenden Kapitel B. mit der historischen Einordnung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren fort. Beginnend mit der ersten einheitlichen deutschen Strafprozeßordnung aus dem Spätmittelalter bis hin zur aktuellen Rechtslage bzw. Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit wird aufgezeigt, wie sich das Erscheinungsbild des Rechtsmißbrauchs, die Versuche seiner Sanktionierung und die Diskussion um dieses Phänomen im Laufe der Zeit entwickelt haben. Dieser Abschnitt dient damit gleichzeitig der ausführlicheren Einführung in die aktuelle Mißbrauchsdebatte. Das folgende Kapitel C. beschäftigt sich sodann mit der Untersuchung des Rechtsmißbrauchstatbestands. Ausgehend von der herrschenden, verfahrenszwekkakzessorischen Definition des Rechtsmißbrauchs wird versucht, die Voraussetzungen mißbräuchlichen Verhaltens im Strafverfahren zu konkretisieren und überpriift, inwieweit dieser Ansatz für die Lösung der Mißbrauchsproblematik zu tragbaren Ergebnissen kommt. Ohne eine Zusammenstellung aller nur theoretisch denkbaren Formen des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren anzustreben wird bei dieser Gelegenheit auf praktisch relevante Beispiele zuriickgegriffen, die in Literatur und Rechtsprechung als rechtsmißbräuchliche Verhaltensweisen erörtert werden. Das anschließende Kapitel D. widmet sich dann der Frage nach den Rechtsfolgen, die an den Mißbrauch von Verfahrensrechten geknüpft werden bzw. zwecks Bekämpfung erforderlich sind. Dabei wird zunächst untersucht, welche Abhilfemöglichkeiten die gegenwärtige Rechtslage zu bieten hat und ob diese ausreichen, die in der Diskussion stehenden rechtsmißbräuchlichen Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten in befriedigendem Maße zu sanktionieren. Auf dieser Basis wird dann eine Bewertung der wesentlichen Reformvorschläge möglich sein. Das abschließende Kapitel E. dieser Untersuchung dient schließlich einer Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse bzw. abschließenden Würdigung der Problematik. Die Vielzahl der Beiträge in Rechtsprechung und Literatur, die die vorliegende Thematik zumindest beriihren und somit für den soeben abgesteckten Rahmen der Untersuchung relevant sind, macht inhaltliche Restriktionen notwendig. Bezüglich konkreter Erscheinungen des Rechtsmißbrauchs auf seiten des Beschuldigten bzw. der Verteidigung wird sich die Arbeit auf bestimmte Formen des Mißbrauchs von Verfahrensrechten konzentrieren und hierbei wiederum besonderes Augenmerk auf das Beweisantragsrecht legen. Eine solche Vorgehensweise findet ihre Grundlage zum einen darin, daß gerade dieses Verfahrensrecht die besondere Aufmerksamkeit innerhalb der Rechtsmißbrauchsdebatte genießt und nicht zuletzt wohl auch des-

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A. Einleitung

halb im Schrifttum unter Stichwörtern wie "Sorgenkind der deutschen Strafrechtspflege",44 "Grundübel" des deutschen Strafprozesses45 bzw. unter der Fragestellung, ob es Ursache der Krise des deutschen Strafverfahrens sei,46 behandelt wird. Zum anderen ist eine breit angelegte Untersuchung der verschiedenen Erscheinungsformen an dieser Stelle auch deshalb entbehrlich, weil diese im Schrifttum mittlerweile eine umfassende Behandlung erfahren haben. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich daher ganz bewußt auf ausgewählte Fragestellungen innerhalb dieses Problemkreises, die einer weitergehenden Analyse bedürfen, um dann ihrerseits auf den Mißbrauch seitens der Strafverfolgungsorgane einzugehen, der bisher in der Mißbrauchsdebatte wenig von Interesse ist. Gleiches gilt für die Bearbeitung der Sanktionsmöglichkeiten, im Rahmen derer auf überblicksartige Darstellungen bzw. Verweise zurückgegriffen wird, soweit hierdurch nicht die oben umschriebenen Themenkomplexe in besonderem Maße berührt werden. Schließlich wird auf eine ausführliche Darstellung der sitzungspolizeilichen Vorschriften des GVG (§§ 176 ff.) verzichtet, da diese äußere Störungen des Strafverfahrens betreffen.47 Im Falle des Rechtsmißbrauchs geht es jedoch - zumindest vorrangig - gerade nicht um Störungen der Hauptverhandlung von Außen, sondern um die zweckwidrige Ausnutzung von zulässigen Verfahrenshandlungen und damit um verfahrensinterne Störungen. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf diese letztgenannten Erscheinungen, ohne damit in Abrede stellen zu wollen, daß auch die Vorschriften des GVG letztlich einen Beitrag im Rahmen der Mißbrauchsbekämpfung leisten könnten. Auch insoweit sei jedoch auf andernorts vorgenommene Untersuchungen verwiesen. 48

44

45 46 47 48

v. Glasenapp, NJW 1982, 2057f. v. Bassewitz, DRiZ 1982,458 (461). Perron, ZStW 108 (1996), 128 ff. H.M.; vgl. etwa Greiser, JA 1983, 429; Katholnigg, § 176 Rdnr. 1; Kissel, § 176 Rdnr. 1. Insbesondere Jahn, S. 274ff.; ders., NStZ 1998, 389ff.

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren in der historischen Entwicklung bis in die Gegenwart "Rechtsmißbrauch im Strafprozeß gibt es schon, seitdem Angeklagte das Recht zur Verteidigung haben." Mit diesen Worten leitet Stankewitz seine Ausführungen zur historischen Entwicklung des Rechtsmißbrauchs ein. 49 Eine solche Aussage ist nicht nur evidenter Ausdruck der auf die Verteidigung und Beschuldigten fixierten aktuellen Mißbrauchsdebatte. Sie weist gleichzeitig darauf hin, daß im Rahmen historischer Erörterungen der vorliegenden Problematik zumeist auf bestimmte, in der jüngeren Vergangenheit liegende Verfahren (insbesondere seit Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre) abgestellt wird, 50 in denen der Mißbrauch von Verfahrensrechten durch Verteidiger bzw. Beschuldigte in der Tat zum Teil bizarre Formen angenommen hat. Auch wenn auf diese Verfahren im Rahmen der nun folgenden historischen Untersuchung schon deshalb einzugehen sein wird, weil sie der notwendigen Illustration des Mißbrauchs von Verteidigungsrechten dienen, stellt sich gleichwohl die Frage, ob man die geschichtlichen Wurzeln des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren derart weit in die Gegenwart bzw. jüngere Vergangenheit vorverlagern kann oder ob sich nicht bereits sehr viel friiher Ansatzpunkte in der Historie des deutschen Strafverfahrens ausmachen lassen, die möglicherweise die von Stankewitz aufgestellte Behauptung in Zweifel ziehen. Ziel des nun folgenden zweiten Kapitels ist somit zum einen, durch eine etwas ausführlichere Untersuchung der Strafprozeßgeschichte die wahre (historische) Dimension der Rechtsmißbrauchsproblematik zu erfassen. Zum anderen dient es dazu, diesem Phänomen, das sich allein auf der Grundlage einer abstrakt-theoretischen Betrachtungsweise (wie in der Einleitung angedeutet) nur schwer erschließt, durch Aufzeigen konkreter Beispiele an Transparenz zu verleihen und so in die aktuelle Diskussion einzuführen.

Stankewitz, FG Schlüchter, S. 25 (26 (unter II.)). so Vgl. etwa Weber, GA 1975, 289; Fischer, NStZ 1997,212 (213).

49

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

I. Die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs als Grundlage der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 Ausgangspunkt für die historische Einordnung des Rechtsmißbrauchsproblems ist mit der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 die erste deutsche Strafprozeßordnung. 51 1. Die Entstehungsgeschichte der Carolina

Betrachtet man die Praxis des Strafverfahrens am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, so ergibt sich aus moderner Sicht ein erschreckender Eindruck. Die Strafgerichtsbarkeit im Reich war nicht nur in unzählige kleine und kleinste Gerichtssprengel zersplittert, 52 sondern es herrschte Ungerechtigkeit und Willkür. 5 3 Die Strafrechtspflege basierte auf einer unüberschaubaren Kasuistik und unterschiedlichen, auf Gewohnheitsrecht beruhenden Anwendungspraktiken,54 die durch unerfahrene und untaugliche Richter vollzogen wurden. 55 Das Verfahren stand im wesentlichen im ungebundenen Ermessen der Obrigkeit.56 Die rücksichtslose Anwendung der Folter stellte das wichtigste Beweismittel des Strafprozesses dar. 57 Gerade ihre Anwendung war an keinen bestimmten Verdachtsgrad gebunden, sondern oblag der Entscheidung des lnquirenten,58 der der Beschuldigte hilflos ausgeliefert war. Diese Rechtslage war das Ergebnis einer Entwicklung, welche die vormals starke Stellung des Angeklagten im altdeutschen Rechtsgang immer weiter unterlief, bis dieser nur noch bloßes Objekt der Wahrheitsfindung war.59 Eine Sicherung für den zu Unrecht Verdächtigten gegen die Willkür des Gerichts sah das Strafverfahren nicht vor und die Entscheidung über das Schicksal des Beschuldigten fiel bereits durch die Anordnung der Folter. 60 Selbst für den Fall, daß der Beschuldigte nach der vollzogenen "peinlichen Befragung" sein Geständnis auf dem "endlichen Rechtstag" widerrief, wurde von den Schöffen, in deren Gegenwart man die Folter durchführte, das frühere Geständnis bezeugt und der Beschuldigte auf dieser Grundlage verurteilt. 6 1 51 Die Carolina enthielt darüber hinaus auch materiellrechtliche Regelungen. Sie war aber " ... in erster Linie eine Strafprozeßordnung ... " (Roxin, StVR, § 69 Rdnr. 5); Laufs, S. 131. 52 Henkel, StVR, S. 37; Peters, S. 60. 53 Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 124. 54 Sellert I Rüping I, S. 192. 55 Henkel, StVR, S. 38. 56 Sellert I Rüping I, S. 192 f. 57 Gmür I Roth, Rdnr. 329. ss Roxin, StVR, § 68 Rdnr. 1. 59 Zu dieser Entwicklung Schütz, Jura 1998, 516 (519). 60 Schütz, Jura 1998, 516 (519). 61 Schütz, Jura 1998, 516 (520).

I. Die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs

29

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts setzte aber ob dieser Mißstände auf deutschem Boden eine Umorientierung ein, die maßgeblich durch das zu diesem Zeitpunkt schon hochentwickelte italienische Recht geprägt wurde und als Vorgang der Rezeption in die Rechtsgeschichte eingegangen ist.62 Im Jahre 1495 nahm das Reichskammergericht seine Arbeit auf. Es wurde mit dem Ziel eingerichtet, als oberstes Rechtsmittelgericht der Einheit zu dienen. 63 Das Gencht hatte kaum mit seiner Tätigkeit begonnen, als von allen Seiten Beschwerden an es gerichtet wurden, nach denen vielerorts Unschuldige ohne " ... Recht und redliche Ursache . . ." zum Tode verurteilt und hingerichtet worden seien.64 Das Gericht leitete diese Beschwerden weiter an den Reichstag, der schließlich 1498 in Freiburg die Reform des Strafverfahrens beschloß. 65 Die Tatsache, daß seitens des Reichstags auf die vorgebrachten Beschwerden recht schnell reagiert wurde, läßt dabei Rückschlüsse auf den Verbreitungsgrad der angesprochenen Mißstände zu. 66 Doch obwohl die Reform des Strafverfahrens bereits zu diesem Zeitpunkt eingeleitet werden sollte, dauerte es noch bis in das Jahr 1521, in dem die Reformidee nach dem Regierungsantritt Karls V. auf dem Wormser Reichstag wieder aufgegriffen wurde. Dessen Entwurf fand seine Grundlage in der Halsgerichtsordnung für das Fürstentum Bamberg von 1507 (Constitutio Crirninalis Bambergensis), die von Johann Frhr. von Schwarzenberg und Hohenlandsberg geschaffen wurde und schon bald nach ihrer Vollendung Rechtsprechung und Gesetzgebung anderer Landesherrschaften beeinflußte. 67 62 Der Einfluß des italienischen Rechts vollzog sich nach überwiegender Auffassung durch zwei Erscheinungen: Einerseits erhielten die zunehmend in Deutschland in Erscheinung tretenden Rechtsgelehrten ihre Ausbildung an italienischen Universitäten. Andererseits sorgte das volkstümliche Schrifttum für die Verbreitung dieses neuen Rechtsdenkens; vgl. hierzu nur Henkel, StVR, S. 38; Sellert/Rüping I, S. 194m. w. N. 63 Henkel, StVR, S. 37; ferner Laufs, JuS 1995, 665 (669 f.). 64 Vgl. Conrad II, S. 406. 65 Zitiert nach Conrad II, S. 406. 66 Kleinheyer, S. 7; vgl. auch Eb. Schmidt, § 85 (S. 107). 67 Conrad II, S. 407f.; Schwarzenberg (ca. 1463-1528) wird zu Recht als eine der überragenden juristischen Persönlichkeiten der damaligen Zeit eingeordnet (Conrad bezeichnet ihn als " . .. Bahnbrecher der Gerechtigkeit in einer Welt der verwilderten Strafrechtspflege . . .", vgl. Conrad II, S. 408). Obwohl der lateinischen Sprache nicht mächtig und ohne rechtliche Vorbildung, ließ er sich Werke italienischer Rechtsdenker übersetzen und entwickelte gestützt auch auf seine eigenen Erfahrungen als Richter - anhand typischer Beispielsfalle allgemeine Begriffe. Er selbst erlebte das Inkrafttreten der Carolina nicht mehr und der Zeitraum seiner Mitwirkung an der Entstehung der Carolina läßt sich nicht genau bestimmen. Dennoch muß die peinliche Gerichtsordnung als Werk Schwarzenbergs eingeordnet werden, da sie in letzter Konsequenz nur eine für die Bedürfnisse und Verhältnisse des Reichs umgearbeitete Fassung der Harnbergischen Halsgerichtsordnung darstellte. Nicht zuletzt deshalb wird die Bambergensis auch als "mater carolinae" bezeichnet. Siehe hierzu etwa Sellert I Rüping I, S. 196; Radbruch/Kaufmann, S. 10 (Einführung); Conrad II, S. 407f.; Buschmann, S. 103; Laufs, S. 130; Eb. Schmidt, § 87 (S. 109); Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 127.

30

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

Obwohl damit die wesentliche Vorarbeit auf dem Reichstag zu Worms von 1521 bereits erbracht war, wurde der Entwurf in den kommenden Jahren noch einer Vielzahl von Überarbeitungen unterworfen. 68 Ein wesentlicher Grund hierfür lag in dem innenpolitischen Widerstand der Reichsstädte und Territorialstaaten. 69 Die Reichsstände befürchteten durch eine solche Kodifikation für das gesamte Heilige Römische Reich eine Beeinträchtigung ihres territorialen Rechts. 70 Erst nach der Einfügung der sogenannten "salvatorischen Klausel", nach der der Carolina in weiten Teilen hinsichtlich des Landesrechts nur eine subsidiäre Geltung zukommen sollte, konnte die peinliche Gerichtsordnung Karls V. schließlich im Jahre 1532 auf dem Reichstag in Regensburg verabschiedet werden. 71

2. Beispiele für Regelungen zur Vermeidung mißbräuchlicher Verhaltensweisen Der Regelungsbedarf hinsichtlich der Bekämpfung der Mißstände im Strafverfahren war deutlich erkennbar. Insbesondere die wahllose Anwendung der Folter in ihrer Eigenschaft als dominierendes Beweismittel des damaligen Strafprozesses sollte eingedämmt werden. Damit verknüpft war ein Einwirken auf das Gerichtspersonal, dessen Rechte und Pflichten durch die Carolina umrissen wurden und für dessen Unterweisung gesorgt werden sollte.72 Es fragt sich jedoch, wie die Bekämpfung dieser Mißbräuche im Strafverfahren dieser Zeit durch die Carolina in concreto umgesetzt wurde. Diese Frage stellt sich um so mehr, als sich die Fortschrittlichkeit dieses Gesetzeswerks nicht auf den ersten Blick erschließt, denn auch die Carolina stützte beispielsweise ihr Beweisverfahren in nicht unerheblichem Maße auf die Anwendung der "peinlichen Befragung" und sah in ihr sogar ein zuverlässigeres Beweismittel als in Aussagen von Augenzeugen.73 Dariiber hinaus standen sowohl Art, Intensität und Dauer der Folter immer noch im freien Ermessen des Richters. 74 Es bedarf daher einer näheren Betrachtung ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, um die Art und Weise zu verstehen, mit der die Vermeidung von Rechtsmißbräuchen erzielt werden sollte. Als ein wesentlicher Grund für den Mißbrauch von Verfahrensrechten wurde von den Verfassern - wie aufgezeigt - die Unwissenheit und Unerfahrenheit der Richter ausgemacht. So trifft man bereits in der Vorrede Karls des V., welche die peinliche Gerichtsordnung einleitet, auf deutliche Hinweise bezüglich dieses MißVgl. hierzu z. B. Kleinheyer, S. 8; Buschmann, S. 103 f. Roxin, StVR, § 69 Rdnr. 4; Kleinheyer, S. 8; Conrad II, S. 407. 70 Buschmann, S. 103 f. 11 Buschmann, S. 104. n Kleinheyer, S. 10. 73 Hierzu Radbruch/Kaufmann, S. 18 (Einführung). 74 Vgl. Art. 58 der Carolina (Buschmann, S. 125; Radbruch/Kaufmann, S. 58). 68 69

I. Die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs

31

stands. Seitens des Kaisers wird dort unter anderem kritisiert, daß die Strafgerichte mit Personen, die " ... vnsere Keyserliche recht nit gelert, erfam oder übung haben, besetzt werden ...".75

Wie wichtig gerade dieser Aspekt von den Autoren genommen wurde zeigt sich daran, daß er in sehr vielen Vorschriften der Carolina Beriicksichtigung findee 6 und schon Art. 1 CCC77 versucht, für eine Besetzung der Strafgerichte mit kompetentem Personal zu sorgen. 78 Die Vorkehrungen der Carolina gingen jedoch noch weiter. Um eine vernünftige Rechtsanwendung seitens der Gerichte dariiber hinaus zu sichern, ermahnte die Carolina zur Einholung fachlichen Rats von Rechtsgelehrten bei Entscheidungen in Zweifelsfällen. Dieses findet seinen Ausdruck in Art. 219 ccc. 79 Auch wenn die Folter weiterhin wesentlicher Bestandteil des damaligen Strafverfahrens blieb, so wurde ihre Anwendung nunmehr an strengere Voraussetzungen geknüpft und war nach Art. 20 CCC durch die "redliche Anzeygung" bedingt. War es ein wesentliches Merkmal der Rechtslage vor Inkraftreten der Carolina, daß die Folter nach eigenem Ermessen der Richter erfolgen konnte, so bedurfte es nun eines dringenden Tatverdachts als Voraussetzung ihrer Anwendung. 80 Im übrigen sah Art. 46 CCC die vorherige Androhung der Folter vor, 81 um den Angeklagten bereits auf diesem Wege zu einem Geständnis zu bewegen.82 Letztlich bestimmte Art. 61 CCC, daß dort, wo die Folter von den Richtern "widerwertig gebraucht" wurde, diese sich selbst vor den Obergerichten verantworten mußten und gegebenenfalls Strafe zu erwarten hatten. 83 Auch den Mißbrauch der privaten Anklage versuchte die peinliche Gerichtsordnung Karls des V. zu sanktionieren. 84 Zwar hielt die Carolina an der 75

Vgl. etwa die Wiedergabe der Vorrede bei Radbruch/Kaufmann, S. 29; Buschmann,

s. 105.

Siehe hierzu auch Radbruch I Kaufmann, S. 21 (Einführung). Die im folgenden mit CCC gekennzeichneten Vorschriften entstammen der Carolina von 1532. 78 Vgl. Gesetzestext bei Buschmann, S. 105; Radbruch/Kaufmann, S. 31. 79 Text bei Buschmann, S. 177; Radbruch I Kaufmann, S. 130. so Vgl. Buschmann, S. 112; Radbruch/Kaufmann, S. 40. 81 Text bei Buschmann, S. 121; Radbruch/Kaufmann S. 52 f. 82 Sog. "Territion", siehe Radbruch/Kaufmann, S. 19 (Einführung). 83 Text bei Buschmann, S. 125f.; Radbruch/Kaufmann, S. 59f. 84 Den Versuch, den Mißbrauch seitens des privaten Anklägers zu sanktionieren, findet sich deutlich ausgeprägt auch schon im römischen Strafprozeß. Dort waren als Formen der Vergeltung auf die klägerische Schikane, die wissentlich grundlose Klageerhebung (calumnia), nicht nur die Entschädigung des zu Unrecht Beklagten durch den Ankläger, sondern u. a. auch der Verlust von dessen bürgerlichen Ehrenrechten vorgesehen; später trifft man auf die Bestrafung des Anklägers nach dem Talionsprinzip; vgl. hierzu nur Mommsen, S. 491 ff.; zum Mißbrauch von Strafanzeigen und-anträgennach aktuellem Recht vgl. Kröpil, JA 1997, 76

77

32

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

Privatanklage des Verletzten als der regelmäßigen Form der Verfahrenseinleitung fest, 85 doch war ein Mißbrauch seitens des privaten Anklägers nunmehr mit einem erheblichen Risiko versehen. Wesentliche Regelung hierfür war Art. 12 CCC. 86 Dieser sah vor, daß der Ankläger eine Sicherheitsleistung zu erbringen hatte oder sich aber andernfalls ebenso wie der Beschuldigte in Haft begeben mußte. Dariiber hinaus sah Art. 12 CCC eine Entschädigung des Beschuldigten durch den Ankläger vor, soweit dieser freigesprochen wurde. Auch wenn also die Carolina als Konzession an die frühere Rechtslage an der Privatklage festhielt, mußte nunmehr ihre für den Kläger gefahrvolle Ausgestaltung von ihrem Gebrauch abschrecken 87 bzw. dem Mißbrauch vorbeugen. Schließlich sprach auch die Regelung des Art. 218 Rechtsmißbräuche im Strafverfahren ausdrücklich an. Insbesondere der Mißbrauch der Untersuchungshaft88 verdient hier besondere Aufmerksamkeit. So wurden nach den Ausführungen der Carolina in Art. 21889 " ... an vilen peinlichen Gerichten vnd der seihen mancherley mißbreuch erfunden, als daß die gefengknuß nit zu der verwarung sonder mer peinigungder gefangenen vnd eingelegten zugericht90".

Auch dieser Mißbrauch sollte von nun an durch die peinliche Gerichtsordnung verhindert werden.

II. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879

Der historische Stellenwert der peinlichen Gerichtsordnung von 1532 ist nicht zu unterschätzen, galt sie doch bis zum Ende des alten Reiches im Jahre 1806 als Reichsgesetz weiter. 91 Trotzdem setzte seit dem 18. Jahrhundert eine durch die Aufklärung eingeleitete Entwicklung ein, aufgrund derer die Carolina gegen Ende dieses Jahrhunderts in den meisten Teilen Deutschlands als veraltet angesehen wurde. 92 Die weitere rechtshistorische Entwicklung mündet im Jahre 1879 in die 783 ff. sowie - unter besonderer Berücksichtigung von Wirtschaftsstrafverfahren - CiolekKrepold, S. 5 ff. 85 Art. llff., vgl. Text bei Buschmann, S. 108ff.; Radbruch/Kaufmann, S. 35ff. sowie dort die Einleitung, S. 17. 86 Text bei Buschmann, S. 109; Radbruch/Kaufmann, S. 35 f. 87 Plöger, S. 91. 88 Der Begriff des Gefängnisses in der Carolina ist als Untersuchungshaft zu verstehen, da in der peinlichen Gerichtsordnung die Freiheitsstrafe nicht vorkam; siehe hierzu Schroeder, JuS 1990, 176 (177). 89 Text bei Buschmann, S. 176f.; Radbruch/Kaufmann, S. 129. 90 "zugericht" =(i.S.v.) dienen, siehe Sellmann/Rüping I, S. 225. 91 Conrad Il, S. 415. 92 Conrad II, S. 415.

li. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879

33

Reichsstrafprozeßordnung in ihrer Eigenschaft als nächste einheitliche Kodifikation des deutschen Strafverfahrens.

1. Die Entstehung der Reichsstrafprozeßordnung Mit seiner Auflösung im Jahre 1806 zerfällt das alte Reich in souveräne Einzelstaaten, die sich als Träger der unbeschränkten Gesetzgebungsgewalt betätigten. Die Weiterentwicklung des Strafverfahrens wurde so auf die Länderebene zuriickgeführt.93 Die Konsequenz hieraus war, daß auf deutschem Boden wiederum der Zustand der Rechtszersplitterung um sich griff. Auf Basis der peinlichen Gerichtsordnung war im Laufe der Zeit mit dem gemeinen deutschen Strafprozeß das Inquisitionsverfahren heimisch geworden. 94 Das Verfahren war von Heimlichkeit und Schriftlichkeit geprägt und die Stellung des Beschuldigten kann immer noch als nahezu rechtlos beschrieben werden. Die nach modernen Maßstäben selbstverständliche Eigenschaft eines Verfahrenssubjekts kam dem Beschuldigten nicht zu. 95 Daneben schloß die Vereinigung der Funktionen des Anklägers und Urteilers in der Person des Richters eine vorurteilslose Wahrheitstindung aus.96 Dieser Entwicklung versuchte die sich anfangs des 19. Jahrhunderts formierende national-liberale Bewegung entgegenzuwirken. 97 Aufgrund der Mißstände gehörte zu ihrem programmatischen Anliegen nicht nur die Rechtseinheit Deutschlands, sondern insbesondere auch die durch die Ideen der Aufklärung geprägte Forderung nach Öffentlichkeit und Mündlichkeil des Strafverfahrens und die Verteilung von Anklage und Urteilstindung auf getrennte Organe. 98 Damit einher ging der Schutz der Persönlichkeit gegen die Allmacht des Staates und die Willkür staatlicher Machtträger.99 Insbesondere die Anwendung von Zwangsmitteln wurde von den Kritikern aufgegriffen, weil man für ihre Anwendung keine vernünftigen Grenzen sah und so der Verdacht von Willkür und Mißbrauch eröffnet war. 100 So wird es später in dem Bericht der Reichstagsjustizkommission zur Vorberatung der Reichsstrafprozeßordnung aus dem Jahre 1876 zur Begrundung dieses Gesetzeswerks heißen: 101 "Die Formlosigkeit des Inquisitionsprozesses gab vielfachen Anlaß zu mißbräuchlicher Anwendung der richterlichen Befugnisse und zu willkürlicher Behandlung des Angeschuldigten, da die Strafpflicht des Staats und die von ihr getragene Sorge für das öffentliche Sellert, JuS 1977, 781. Exner, S. 4. 95 Vgl. Sellert, JuS 1977, 781 (785 (a. E.)); Exner, S. 4. 96 Sellert, JuS 1977, 781 (786). 97 Sellert, JuS 1977, 781. 98 Henkel, StVR, S. 53. 99 Henkel, StVR, S. 53. too Vgl. Henkel, StVR, S. 53. IOI Hahn I Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1533. 93

94

3 Abdallah

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs Wohl als Endzweck aufgefaßt wurde, neben welchem die Aufstellung fester und gegen Willkür in den Mitteln zur Erreichung desselben sichernder Nonnen als nebensächlich galt". 102

Allerdings ist nicht zu verkennen, daß man anfangs des 19. Jahrhunderts auf deutschem Boden auch ein Strafverfahrensrecht vorfand, das diesen Reformbestrebungen weitgehend entsprach: der französische code d 'instruction criminelle, der aufgrund französischer Herrschaft im linksrheinischen Deutschland eingeführt war. 103 Es handelte sich hierbei um ein Offizialklageverfahren, das nicht nur über eine öffentliche, mündliche und unmittelbare Hauptverhandlung verfügte, sondern in dem mit der neuorganisierten Behörde des rninistere public eine Institution existierte, die als Urbild der modernen Staatsanwaltschaft die Aufgabe der Strafverfolgung, Anklage und Strafvollstreckung übernahm. 104 Hinzu kam, daß der Angeklagte im Rahmen dieses Verfahrens über eine recht freie Verteidigungsmöglichkeit verfügte. 105 Insoweit kann es nicht verwundern, daß sich die Reformwilligen in Deutschland wesentlich 106 an diesem Verfahrenstyp orientierten. Es dauerte jedoch noch bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts, bis die Reformbewegung eine solche Stärke erreicht hatte, daß sie von den Regierungen berücksichtigt werden mußte. 107 Das Jahr 1848 brachte sowohl für die Verfassungs- als auch die Strafverfahrensgeschichte den epochalen Wendepunkt. 108 Die Reform des Strafverfahrens nach französischem Vorbild wurde für so wichtig erachtet, daß die Regierungen im Anschluß an die Frankfurter Nationalversammlung und die dort proklamierten Grundrechte in den folgenden Jahren den Strafprozeß in diesem Sinne reforrnierten. 109 Dennoch darf nicht übersehen werden, daß sich dieses reformierte Strafverfahren noch auf der Ebene der Partikularstaaten bewegte. Erst nach Gründung des deutschen Reiches im Jahre 1871 konnten die notwendigen Schritte hin zur Rechtsvereinheitlichung unternonunen werden. 110 Nach eingehenden gesetzgebensehen Beratungen 111 konnte dann die Reichsstrafprozeßordnung im Rahmen der 102 Darüber hinaus spricht der Kornmissionsbericht von der mißbräuchlichen Entartung des Strafverfahrens; Hahn I Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1533. 103 Roxin, StVR, § 70 Rdnr. 7. 104 Gerland, S. 24; Henkel, StVR, S. 55; Becker, JuS 1985, 338 (339). 105 Gerland, S. 24. 106 Daneben nahm aber auch das englische Strafverfahren eine Vorbildfunktion in der Reformdebatte ein, vgl. Müller, Rechtsstaat, S. 64. 101 Binding, S. 20. 108 Henkel, StVR, S. 56. 109 Henkel, StVR, S. 57. 11o Art. IV Nr. 3 der Reichsverfassung von 1871 verlagerte die Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich des Straf- und Strafverfahrensrechts auf das Reich, vgl. hierzu Roxin, StVR, § 71 Rdnr. 1. 111 Vgl. zu diesem Vorgang z. B. die Ausführungen bei Dochow, S. 2 ff.; Binding, S. 27 ff.

II. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879

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Reichsjustizgesetze ausgefertigt werden 112 und trat am I. 10. 1879 in Kraft. 113 Die Reichsstrafprozeßordnung 114 setzte so die Absichten der liberalen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts um und markierte den Endpunkt dieser Entwicklung in Deutschland. 115 Inhaltlich läßt sich ihr wesentliches Anliegen mit den Worten Exners zusammenfassend dahingehend umschreiben, daß sie versuchte, im Hinblick auf die Besetzung der Gerichte, die Form des Strafverfahrens und die Rechte der Verteidigung alle denkbaren Garantien zu schaffen, um einen Verdächtigen, dessen Schuld noch nicht feststeht, gegen allzu eifrige Staatsorgane zu schützen und in jeder Hinsicht Sicherheiten gegen Mißbrauch behördlicher Gewalt aufzurichten. 116

2. Die Behandlung des Rechtsmißbrauchs im Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf Kreuzverhör und Beweisrecht Mit dem Inkrafttreten der RStPO waren die Verteidigungsrechte des Beschuldigten im Strafverfahren gesichert. 117 Dieser konnte nunmehr auf den Gang des Verfahrens effektiv einwirken. Andererseits enthielt dieses Gesetzeswerk bereits in seiner ursprünglichen Fassung mit § 240 Abs. 1 RStPO eine Vorschrift, die ausdrücklich den Mißbrauch des Fragerechts im Rahmen des Kreuzverhörs durch dessen Entziehung sanktionierte. Die Entstehung dieser Vorschrift war geprägt von zwei verschiedenen Strömungen in der wissenschaftlichen Diskussion, die sich auch während der Beratung des Gesetzesentwurfs gegenüber standen. So wurde bereits früh im Schrifttum in Anlehnung an das englische Strafverfahren die Auffassung vertreten, daß nicht der Vorsitzende, sondern Ankläger bzw. Verteidigung das Zeugenverhör und die sonstige Beweisaufnahme vornehmen sollten und gerade die "englische Art" der Beweisführung diejenige Einrichtung sei, die sich als besonders dienlich bei der Ermittlung der Wahrheit bewährt habe bzw. zu den berechtigten Konsequenzen des akkusatorischen Prinzips gehöre. 118 Entgegen dieser Auffassung in der Literatur sahen die Entwürfe und später auch die RStPO in der Vorschrift des § 238 das Kreuzverhör nicht als Regel vor, sondern ließen es nur ausnahmsweise dann zu, wenn Staatsanwalt und Verteidigung einen übereinstimmenden Antrag stellten 119 und vor dessen Mißbrauch die Entziehung RGBl. 1877, 253 ff. Roxin, StVR, § 71 Rdm. 1; Seilen, JuS 1977, 781 ; neben der Strafprozeßordnung wurde im Rahmen der Reichsjustizgesetze unter anderem auch das Gerichtsverfassungsgesetz in Kraft gesetzt. 114 Im folgenden als RStPO gekennzeichnet. 115 Henkel, StVR, S. 58. !!6 Exner, S. 4 (zweiter Absatz (a. E.)). 117 Seilen, JuS 1977,781 (786). ns Vgl. die Nachweise aus dem Schrifttum bei Hahn/Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 189 (Fn. 1). !!9 Siehe hierzu den Text des Entwurfs bei Hahn/ Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 26. 112 113

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

der Vernehmungsbefugnis auf Grundlage des § 240 Abs. I RStPO schützen sollte. 120 Gerade hinsichtlich des Kreuzverhörs war die Zurückhaltung des Gesetzgebers durch die Befürchtung des Mißbrauchs bedingt. Auch wenn im Rahmen der Debatte teilweise von den Befürwortern die Auffassung geäußert wurde, daß diese Befürchtung nicht maßgebend sein könne angesichts der großen Vorteile, die dieses Institut mit sich bringen würde, 121 konnten die Vorbehalte der Gegner letztlich von den Anhängern des Kreuzverhörs nicht mehr ausgeräumt werden. So heißt es im Kommissionsbericht nach Abschluß der Beratungen: "Endlich wurde von der Majorität der Kornmission gegen das Kreuzverhör eingewendet, daß erfahrungsgemäß die Kreuz- und Querfragen ... oft nur dazu gebraucht würden, um die Zeugen zu verwirren, in Widersprüche zu verwickeln und darauf hin die Glaubwürdigkeit des Zeugen in unberechtigter Weise anzufechten. Es würden oft ungehörige Fragen an den Zeugen über dessen persönliche Verhältnisse gerichtet, um ihn in Verlegenheit zu bringen und selbst vor dem Publikum lächerlich zu machen." 122

In der Praxis rückte freilich eine andere Erscheinungsform des Rechtsmißbrauchs mehr und mehr in den Mittelpunkt der Diskussion: Der Mißbrauch im Rahmen der Beweisaufnahme bzw. des Beweisantrags. In der Reichsstrafprozeßordnung von 1879 sucht man eine dem § 240 Abs. 1 RStPO vergleichbare Vorschrift, die diese Form des Mißbrauchs sanktioniert, vergebens. Dieser Befund muß zunächst verwundern, denn gerade das so elementare Antragsrecht im Rahmen der Beweisaufnahme bot zumindest in gleichem Umfang die Möglichkeit des Mißbrauchs wie das Kreuzverhör, z. B. durch das Stellen einer Vielzahl von Beweisanträgen auf Vernehmung von Zeugen, die nichts zur Entscheidungsfindung beitragen konnten. So liest man in der Motivsammlung zum Mißbrauch des Beweisantragsrechts (in Zusammenhang mit der Ladung von Zeugen) zu der Rechtslage vor Inkrafttreten der Reichsstrafprozeßordnung folgendes: "Andererseits hat die Einrichtung, daß der Angeklagte bei Herbeischaffung der Beweismittel durchaus an die Mitwirkung des Gerichts gebunden ist, während er selbst für diese Herbeischaffung weder Mühe noch Kosten aufzuwenden braucht, sehr bald dahin geführt, daß sich die Zahl der unbegründeten und leichtfertig gestellten Beweisanträge der Angeklagten fortwährend vermehrt hat. Dieser letztere Uebelstand hat sich, namentlich in Preußen, in dem Gebiete der Verordnung vom 3. Januar 1849, fühlbar gemacht und das Verlangen nach Abhülfe mehr und mehr hervorgerufen. Eben weil das Anbringen unbegründeter und leichtfertiger Beweisanträge für die Angeklagten mit gar keiner Gefahr und keinem Nachtheil verknüpft ist, kennen die Angeklagten bei diesen Anträgen vielfach weder Maß noch Ziel, sie überschütten vielmehr die Gerichte mit einer übergroßen Zahl solcher Anträge." 123 12o Vgl. die Motive des Entwurfs zu§ 204 bei Hahn/Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 190. 121 So der Abgeordnete Marquardsen während der ersten Lesung des Entwurfs in der vorbereitenden Kommission; siehe Hahn/Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 834. 122 Wiedergegeben nach Hahn/Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1580. 123 Hahn/Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 177.

II. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879

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Zwar erachtete man die Kostentragungspflicht des Angeklagten als Möglichkeit, den Mißbrauch zu entschärfen. 124 Dennoch muß es angesichts der in den Motiven kritisierten Mißstände im Hinblick auf die Prozeßpraxis verwundern, daß die letztlich verabschiedete Vorschrift des § 244 Abs. 1 RStPO vorsah, die Beweisaufnahme auf sämtliche vorgeladenen und herbeigeschafften Zeugen, Sachverständige und Beweismittel zu erstrecken und von der Erhebung einzelner Beweise nur dann abzusehen war, wenn Staatsanwaltschaft und der Angeklagte hiermit einverstanden waren. 125 Dariiber hinaus sah § 245 Abs. 1 RStPO in seiner ursprünglichen Fassung vor, daß auch das verspätete Vorbringen von Beweismitteln und Tatsachen die Ablehnung der Beweiserhebung nicht ermöglichte, sondern durch § 245 Abs. 2 RStP0 126 dem Gegner die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Aussetzung der Hauptverhandlung zu beantragen, um diesem die zur Einziehung von Erkundigungen notwendige Zeit zur Verfügung zu stellen. Lediglich die Ablehnung nichtpräsenter Beweismittel stand im freien Ermessen des Gerichts. 127 Von daher ergab sich eine sehr klare Regelung der Beweisaufnahme hinsichtlich präsenter Beweismittel, auf deren Berücksichtigung durch das Gericht Staatsanwaltschaft und Beschuldigter bzw. Verteidigung einen Anspruch hatten, und den nichtpräsenten Beweismitteln, deren Schicksal in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde. Diese Konzeption der Beweisaufnahme muß die Frage aufwerfen, ob von den Autoren der Reichsstrafprozeßordnung der Mißbrauch des Beweisantragsrechts unterschätzt wurde. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der§§ 244 f. RStPO jedoch genauer, so läßt sich feststellen, daß gerade der Gedanke des Rechtsmißbrauchs bei der Debatte um die Regelung der Beweisaufnahme eine ganz wesentliche Rolle spielte und letztlich ihre Ausgestaltung in der Reichsstrafprozeßordnung prägte. Ausgangspunkt der Entwicklung in den Entwürfen dieses Gesetzeswerks war zunächst eine Konzeption, die den Umfang der Beweisaufnahme vollends in das freie Ermessen des Gerichts, das dementsprechend an keine Anträge, Verzichtserklärungen oder frühere Beschlüsse gebunden war, stellte. 128 Diese Konzeption sollte in der Debatte um die RStPO jedoch bald in die Kritik geraten, qie ihre Grundlage darin fand, daß gerade die Beweisaufnahme nach freiem Ermessen des Gerichts ihrerseits in der Praxis bis dato zu richterlichem Mißbrauch geführt habe. So geben beispielsweise die Protokolle der ersten Lesung des Entwurfs in der Reichstagsjustizkommission den Abgeordneten Reichensperger wie folgt wieder 129:

Vgl. hierzu Hahn/Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 178f. Vgl. den genauen Wortlaut bei Hahn/Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 2431. 126 Vgl. Gesetzestext des§ 245 bei Hahn/ Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 2431. 127 Schröder, NJW 1972, 2105; Römbke, S. 24m. w. N. 128 Vgl. den Entwurf des§ 207 RStPO bei Hahn/ Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 26. 129 59. Sitzung vom 10. Juli 1875, zitiert nach Hahn/Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 847f. 124 125

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

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"Die Bestimmung des Umfanges der Beweisaufnahme werde.. .in ungebührlicher Weise ausschließlich dem Gericht überlassen: letzteres solle nicht einmal Griinde für seine Bestimmung angeben müssen. Damit sei jede Nachpriifung von Seiten des höchsten Gerichtshofes ausgeschlossen. Nach der in Preußen gernachten Erfahrung werde eine derartige Vorschrift sich lediglich zum Nachtheil des Angeklagten wenden .. . In Preußen gehe die Tendenz der Gerichte erfahrungsmäßig dahin, die Beweisaufnahmen möglichst zu beschränken, so daß drei Viertel aller Nichtigkeitsbeschwerden sich um die Frage der unzulässigen Beschränkung der Vertheidigung drehen."

Und in der selben Sitzung wird der Abgeordnete Völk wie folgt wiedergegebenl30: "Außerdem sei es besser, eine zu ausgedehnte Beweisaufnahme zu riskiren, als die Möglichkeit der Abschneidung erheblicher Zeugen zu geben."

In die gleiche Richtung gehen Äußerungen des Abgeordneten Völk während der zweiten Lesung in der Kommission. Hierzu heißt es in den Protokollen: "Was es denn schade, wenn hier und da einige überflüssige Leumundszeugen vernommen werden? Die Hauptsache sei, daß immer noch die anscheinend oder wirklich feststehende Überzeugung des Richters durch einen anderen Zeugen erschüttert werden könne, und daß der Angeklagte selbst überzeugt werden müsse, daß das Urtheil ein gerechtes sei. Wenn man die Beweiserhebung abschneide, so könne auch der Schlechteste immer noch sagen, es wäre anders gegangen, wenn man noch die und die Zeugen vernommen hätte und verschanze sein schlechtes Gewissen hinter die Ausrede." 131

Diese Stellungnahmen waren richtungsweisend für die weitere Entwicklung, denn bis zum Abschluß der Kommissionsberatungen sollte die Gefahr des Mißbrauchs einer völlig im freien Ermessen des Gerichts liegenden Beweisaufnahme die Mehrheit der Abgeordneten von der Notwendigkeit einer Regelung überzeugen, die die Beweiserhebung zumindest auf alle herbeigeschafften Beweismittel erstreckt. So heißt es im Bericht der Kommission nach Abschluß der Lesungen zum Vorschlag der Entwürfe, die Beweisaufnahme in das freie Ermessen des Gerichts zu stellen: "Die Kornmission hat sich mit diesem Satze nicht einverstanden erklären können. In der Regel wird für diesen Satz die Befürchtung geltend gemacht, und ist auch von den Regierungskommissaren geltend gernacht worden, daß ohne Annahme desselben der Angeklagte eine Mehrzahl von Zeugen ohne genügenden Grund laden lassen und dadurch das Gericht nöthigen werde, eine Menge ganz unnützer Zeugenanhörungen vorzunehmen. Allein wie dieser Befürchtung schon der Umstand widerspricht, daß der Angeklagte die Zeugen auf seine Kosten laden lassen muß und daher ein Mißbrauch der Befugnis nur selten vorkommen wird, so wird sie auch durch die Erfahrung in denjenigen Ländern widerlegt, in deren Gesetzgebung eine solche Befugnis dem Gerichte nicht eingeräumt ist, und kann endlich die Gefahr des Mißbrauchs eine so wesentliche Beschränkung der Beweisführung nicht rechtfertigen." 132 130 131 132

Hahn/ Stegemann, Materialien (1. Abt.), S. 848. Hahn/ Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1358. Hahn/ Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1582 f.

II. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879

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Trotz der politischen Schwierigkeiten, 133 die die weitere Entwicklung des Gesetzgebungsverfahrens begleiten sollten, war mit dieser Formulierung seitens der Reichstagsjustizkommission die Entscheidung gefallen, denn als die Reichsstrafprozeßordnung im Oktober 1879 in Kraft trat, hatte sich in der maßgeblichen Vorschrift des § 244 Abs. 1 an der Ausgestaltung der Beweisaufnahme nichts Wesentliches mehr geändert. Festzuhalten bleibt somit, daß die Ausgestaltung des Beweisrechts in der RStPO das Produkt der Beratungen bezüglich des Mißbrauchs von Verfahrensrechten war. Augenfällig ist auch, daß sich damit eine gerade für die Verteidigung bzw. Beschuldigten günstigere Ausgestaltung der Beweisaufnahme hinsichtlich der präsenten Beweismittel durchgesetzt hat. Dieser Aspekt kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der historischen Entwicklung kaum verwundern, denn die Entstehung dieses Gesetzeswerks und damit auch der Regelung des § 244 Abs. 1 RStPO ist maßgeblich von dem Anliegen geprägt gewesen, die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern. Letztlich war die Reichsstrafprozeßordnung die Reaktion auf den Inquisitionsprozeß und den über Jahrhunderte hinweg in Erscheinung getretenen Mißbrauch von Rechten und der Willkür seitens der Gerichte.

3. Die Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs in der Rechtsprechung des Reichsgerichts- erste Ansätze eines allgemeinen Mißbrauchsverbots

Angesichts der Ausgestaltung und Entstehungsgeschichte der Regelungen über die Beweisaufnahme in der Reichsstrafprozeßordnung von 1879 wäre es zu erwarten gewesen, daß sich auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts an diesen Vorgaben orientieren würde. Doch nur wenige Monate nach Inkrafttreten beschäftigte sich das damals höchste deutsche Gericht in Strafsachen gleich in einer seiner ersten Entscheidungen mit dem Problem, ob die Benutzung herbeigeschaffter Beweismittel durch Gerichtsbeschluß verhindert werden kann. 134 In seiner Entscheidung vom 3. März 1880 führt das Reichsgericht- unter Wiedergabe der historischen Entwicklung- hierzu zunächst aus: "Bezüglich eines . . . herbeigeschafften Beweismittels hängt aber die Beweisaufnahme nicht von einer vorgängigen gerichtlichen Prüfung des Beweismittels nach der Richtung ab, ob ... die . .. zu beweisende Thatsache für erheblich zu erachten sei. Eine solche vorgängige Prüfung hatte der Entwurf der Strafprozeßordnung dem Gerichte übertragen; danach sollte das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme bestimmen, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein. Die Reichstagskommission fand in dieser Vorschrift eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Anklage und der Verteidigung in der Durchführung des Beweises, insbesondere auch gegen133 V gl. zu der weiteren Entwicklung bis Erlaß der RStPO, insbesondere den Vorbehalten des Bundesrats, Schatz, S. 65 ff. 134 RGSt 1, 241 ff.

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

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über der dem Angeklagten eingeräumten Befugnis, Zeugen und Sachverständige selbst zu laden; aus solchen Erwägungen ist die jetzige Fassung des § 244 hervorgegangen... Hiernach haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte ein Recht darauf, daß die herbeigeschafften Beweismittel im Sinne ihrer Anträge benutzt werden, und dieses Recht darf ihnen nicht dadurch verkümmert werden, daß das Gericht die Beweisaufnahme von seiner Prüfung abhängen läßt, daß dasselbe Beweise nicht erhebt, welche ihm zu Zeit der Beweisaufnahme unerheblich erscheinen." 135

Bis dahin erweist sich die Entscheidung des Reichsgerichts als durchaus konform mit Wortlaut und der Intention des § 244 Abs. 1 RStPO. Angesichts der klaren Rechtslage war der weitere Gang der Entscheidung eigentlich vorgezeichnet. Doch das Reichsgericht führt nun an dieser Stelle weiter aus: "Allerdings muß es eine Schutzwehr dagegen geben, daß nicht die Erledigung einer Strafsache vereitelt, daß nicht das dem Angeklagten in § 244 eingeräumte formale Recht durch Heranziehung von Urkunden oder anderen Gegenständen, von Zeugen und Sachverständigen, welche Beweismittel für die vorliegende Sache überhaupt nicht sind und sein können, lediglich zum Verschleife des Prozesses chikanös gernißbraucht werde. Das Gericht wird deshalb auch gegenüber der Bestimmung des § 244 nach dem Zwecke des strafgerichtliehen Verfahrens und im Interesse der Wahrung seiner Würde befugt sein, Beweise, welche völlig heterogene Umstände betreffen, solche, die in gar keiner Beziehung zu der vorliegenden Untersuchung stehen, abzuschneiden." 136

Diese Ausführungen des Reichsgerichts aus dem März 1880 sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Strafverfahrens trifft man mit dem vom Gericht entwickelten Gedanken der "Schutzwehr" auf eine Art allgemeines Mißbrauchsverbot im Strafverfahren, ohne das hierfür eine gesetzliche Regelung existierte. Daß es sich hierbei um eine wegweisende Entscheidung handeln sollte zeigt auch der Umstand, daß in der Folgezeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung das allgemeine Mißbrauchsverbot dadurch gerechtfertigt wurde, daß man auf dieses Urteil aus dem März 1880 verwies und selbst der BGH in seiner Rechtsprechung noch viele Jahrzehnte später zur Begrundung eines solchen Mißbrauchsverbots auf diese Grundsatzentscheidung zuriickgriff. 137 Betrachtet man das Urteil des Reichsgerichts unter dem Aspekt der inhaltlichen Begriindung, so erscheint es weiterhin auffällig, daß sich das Reichsgericht nicht lange mit einer dogmatischen Herleitung eines solchen Mißbrauchsverbots aufhält. Es handelt sich, wie Kröpil zutreffend darlegt, mehr um eine Feststellung seiner Existenz als eine Begriindung. 138 RGSt 1, 241 (243 f.). Im Ergebnis gab das Reichsgericht jedoch dem Beschwerdeführer Recht, da in solchen Fällen das Gericht die Ablehnung so"... eingehend motivieren ..."muß, daß"... auch dem Revisionsrichter erkennbar bliebe, daß durch die Ablehnung der § 244 nicht thatsächlich verletzt würde. Ein derartiger Fallliegt aber hier nicht vor.", RGSt I, 242 (244). 137 RGSt 45, 138 (141); BGHSt 17, 28 (30). 138 Kröpil, JuS 1997, 354 (356). 135

136

II. Die Entwicklung hin zur Reichsstrafprozeßordnung von 1879

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Der wesentliche Gesichtspunkt liegt jedoch darin, daß das Reichsgericht in seiner Grundsatzentscheidung den offenen Konflikt weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit der Intention des Gesetzgebers scheut. Vielmehr führt es die im Gesetzgebungsverfahren unternommenen Bemühungen, das Recht der Beweisaufnahme (gerade in bezug auf den Beschuldigten) frei von gerichtlichen Ermessensentscheidungen zu gestalten ad absurdum, wenn es die Ablehnung von Beweisanträgen nun doch- contra Iegern- von der Einschätzung des Gerichts abhängig macht. Trotz dieses nicht zu übersehenen Widerspruchs mit der Gesetzeslage wich das Reichsgericht auch in der Folgezeit nicht von seiner Rechtsprechung ab. Vielmehr sah es seine Auffassung unter anderem in gesetzgebensehen Initiativen gerechtfertigt, die ihrerseits (wohl auf Grundlage der Rechtsprechung des Reichsgerichts) eine Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren anstrebten und die Erscheinungsformen mißbräuchlichen Prozeßverhaltens über die Fallgruppe der Prozeßverschleppung hinaus weiter ergänzten. 139 So heißt es in der Begrundung eines StPO-Entwurfs des Reichsjustizamts von 1908, auf den in den Entscheidungen des Reichsgerichts zuruckgegriffen wurde: "Das Strafverfahren darf nicht von den Prozeßbeteiligten zu unlauteren Nebenzwecken mißbraucht werden. Es muß Mittel geben, Beweisaufnahmen zu verhüten, die nur zu dem Zweck dienen, Sensation zu erregen, Reklame zu machen oder dritten Personen Unannehmlichkeiten zu bereiten und sie vor der Öffentlichkeit bloßzustellen." 140

Eine überzeugende Herleitung des Mißbrauchsverbots konnte freilich auch hierin nicht liegen. Die Begrundung für das Mißbrauchsverbot stützte sich somit in letzter Konsequenz auf Notwendigkeits- bzw. Zweckmäßigkeitserwägungen, getreu dem Prinzip, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Wie sehr sich das Reichsgericht an diesem Grundsatz orientierte zeigt sich deutlich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1911, in der das Gericht folgendes ausführt:141 "Nach § 244 Abs. 1 Satz I St.P.O. hat sich die Beweisaufnahme auf die sämtlichen vorgeladenen - und erschienenen - Zeugen zu erstrecken. Die Vorschrift greift auch dann Platz, wenn die zu beweisende Tatsache unerheblich ist. Das folgt aus ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte (Hahn-Stegemann, Materialien zur St.P.O. S. 847, 1357, 1582, 1656, 1898) und dem Umstande, daß sie sonst überflüssig wäre. Eine schrankenlose Ausdehnung dieses Grundsatzes würde jedoch dem Zwecke eines jeden Beweisverfahrens Hohn sprechen und einen Mißbrauch der Rechtspflege dahin ermöglichen, daß die Hauptverhandlung, die zur Entscheidung über die in der Anklage bezeichnete Tat führen soll, zur Verhandlung über jede beliebige Tatsache der Vergangenheit oder Gegenwart aus dem unübersehbaren Kreise des menschlichen Wahrnehmungsvermögens benutzt würde. So kann jene Vorschrift vernünftigerweise nicht gemeint sein. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat sie daher, die Würde des Gerichts berücksichtigend, für unanwendbar erklärt, wenn die 139 140 141

RGSt 65, 304 (306); RGSt 66, 14 (15); RGSt 30, 273 (275 f.). Zitiert nach RGSt 65, 304 (306). RGSt 45, 138 (141).

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs Beweise "völlig heterogene Umstände" betreffen, die in gar keiner Beziehung zu der vorliegenden Untersuchung stehen (Entsch. des R.G.'s in Strafs. Bd. 1 S. 241, 244) 142 ...".

Erneut muß auffallen, daß das Reichsgericht in einer Entscheidung zur Rechtfertigung seiner Judikatur wiederum auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zuriickgreift, ohne das wahre Anliegen des Gesetzgebers umzusetzen, ging es doch den Autoren dieses Gesetzeswerks gerade darum, die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern. Um so schwerwiegender ist daher der Umstand zu bewerten, daß mit der Kürzung bzw. Entziehung des Beweisantragsrechts die Verteidigungs- bzw. Beschuldigtenrechte an ihrer sensibelsten Stelle getroffen wurden. Der hohe Stellenwert des Beweisantragsrechts für den Beschuldigten bzw. seine Verteidigung wurde dabei auch vom Reichsgericht durchaus gesehen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1892 kommt das Gericht zu folgendem Ergebnis: "Daß der Angeklagte infolgedessen imstande ist, stets neue Beweisanträge zu stellen und so die Entscheidung zu verzögern und zu erschweren, ist ein Übelstand, der sich zwar unter Umständen empfindlich bemerkbar macht, aber gegenüber dem Gesichtspunkte, daß es sich um die Wahrung des wichtigsten aller Parteirechte handelt und jede Möglichkeit einer Beeinträchtigung ernstlich gemeinter Verteidigung zu vermeiden ist, nicht ins Gewicht fallen kann." 143

Dieses auf den ersten Blick deutliche Bekenntnis des Reichsgerichts zugunsten der Beschuldigten- bzw. Verteidigungsrechte wird jedoch in derselben Entscheidung gleich im Anschluß relativiert: "Nur dann, wenn das Gericht die Überzeugung erlangen sollte, daß der Angeklagte gar nicht beabsichtigte, ernstgemeinte Beweisanträge zu stellen und seine Verteidigung zu fördern, er vielmehr unter dem äußeren Scheine der Antragstellung lediglich unzulässige Zwecke verfolgen wolle, würde die Entziehung des Wortes als statthaft anzusehen sein, da eine in Wahrheit nicht vorhandene Verteidigung nicht beschränkt werden kann." 144

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß das Reichsgericht in seiner Rechtsprechung den Konflikt mit der Intention des Gesetzgebers nicht auflösen konnte. Doch nicht nur die Herleitung des Mißbrauchsverbots, sondern auch seine Umsetzung in der Rechtsprechungspraxis mußte zu Schwierigkeiten führen. Das wesentliche Problem äußerte sich dabei in der notwendigen Feststellung der Mißbrauchsabsicht im Sinne eines nicht ernstlich gemeinten Antrags des Beschuldigten. Gerade ihre Ermittlung stellte die Gerichte vor nicht unerhebliche Probleme, die auch vom Reichsgericht eingeräumt wurden. 145 Doch weder diese Probleme noch die Kritik in der damaligen Literatur 146 konnten bezüglich dieser Recht142

Es handelt sich hierbei um die bereits erwähnte Grundsatzentscheidung vom März

1880. 143

144 145 146

RGSt 22, 335 (336). RGSt 22, 335 (336). Vgl. nur RGSt 22, 335(336 f.) m. w. N. Vgl. hierzu ausführlich die Zusammenstellung bei Römbke, S. 29ff.

III. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

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sprechungspraxis etwas bewirken. Zwar wurde seitens des Reichsgerichts versucht, Einschnitte im Rahmen der Beweiserhebung wegen Prozeßverschleppung durch die Verteidigung bzw. den Beschuldigten auf seltene, besonders geartete Fälle zu beschränken. 147 Dennoch zeigt allein der Umstand, daß sich das Reichsgericht in einer Reihe von Entscheidungen mit der (nicht zuletzt fehlerhaften) Umsetzung seiner eigenen Rechtsprechung durch die unterinstanzliehen Gerichte beschäftigen mußte, welche Probleme dieser Lösungsweg in sich barg und hierdurch die Möglichkeit zum Mißbrauch auf richterlicher Seite eröffnet war. Dabei handelte es sich genau um die Mißbrauchsmöglichkeiten, die der historische Gesetzgeber zurückdrängen wollte. Schließlich finden sich auch hinsichtlich der Befangenheitsregelungen und der Regelung des Fragerechts in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Urteile, die einen entsprechenden Mißbrauch sanktionieren wollen. Ihre inhaltliche Ausgestaltung entspricht den bisher gemachten Feststellungen. So hat es die wiederholte Stellung eines Ablehnungsantrags mit der Begründung abgelehnt, daß es dem Angeklagten ansonsten möglich wäre, die Hauptverhandlung durch sukzessive Wiederholung in einer an Vereitelung der Strafrechtspflege grenzenden Weise hinzuhalten. 148 Die Zurückweisung von Fragen wird mit dem Verweis auf die bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Gesetzesinitiativen gerechtfertigt. 149

111. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

Müller führt in seiner Analyse bezüglich der Entwicklung der Verteidigungsrechte in den ersten hundert Jahren nach lnkrafttreten der Reichsstrafprozeßordnung aus, daß bei aller schon damals nicht zu überhörenden Kritik 150 dieses Gesetzeswerk im Hinblick auf Liberalität und rechtsstaatliche Sicherungen Standards geschaffen hat, die in den darauffolgenden hundert Jahren nie wieder erreicht wurden. 151 Wie sehr diese Feststellung zumindest für die Jahre nach Inkrafttreten der RStPO zutrifft, zeigt der Umstand, daß die weitere Entwicklung in den nationalsozialistischen Strafprozeß mündete und sich damit (auch rechtshistorisch) das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte anschloß.

147 Siehe hierzu z. B. RGSt 20, 206 (207); ferner Römbke, S. 28 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. t48 RGSt 11 , 224 (226). 149 RGSt 66, 14 (15). 150 Vgl. hierzu Eb. Schmidt, § 339 (S. 413). 151 Müller, Verteidigungsrechte, S. 69 ff. (70).

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

1. Die Entwicklung des Strafverfahrens bis 1933

Mehr als drei Jahrzehnte nach Inkrafttreten blieb die RStPO im wesentlichen unverändert. 152 Die bedeutenden Reformen im Zeitraum um die Jahrhundertwende sollten die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren teilweise sogar sinnvoll ergänzen, da z. B. Regelungen über die Entschädigung von unschuldig Verurteilten153 und unschuldig Verhafteten 154 eingeführt wurden. Auch später, zur Zeit der Weimarer Republik, stößt man noch auf Reformen, die dem Gedanken des Beschuldigtenschutzes und damit dem wesentlichen Anliegen des Gesetzeswerks Rechnung trugen. So wurde beispielsweise Ende 1926 durch die sogenannte Iex Höfle das obligatorische Haftprüfungsverfahren eingeführt. 155 Doch war es gerade die Krisenzeit der Weimarer Republik, in der mit einer Vielzahl von tiefgreifenden Änderungen die weitere verhängnisvolle Entwicklung des deutschen Strafverfahrens begünstigt werden sollte. Motiviert durch die Finanzmisere des Staats ergingen zahlreiche Maßnahmen, die nach der zutreffenden Auffassung Rüpings durch Aufgabe schützender Formen zugunsten der Schnelligkeit des Verfahrens der Erosion des klassischen Verfahrensrechts den Weg ebneten. 156 Als ein wesentlicher Ansatzpunkt der Reformen wurde die Rechtsstellung des Beschuldigten ausgemacht, gestützt durch den Verweis auf dessen mißbräuchliches Verhalten und das der Verteidiger. So wurde etwa durch die sogenannte Iex Lobe 157 bereits im Jahre 1922 der Revisionsinstanz die Möglichkeit eingeräumt, Revisionen als "offensichtlich unbegründet"158 zu verwerfen. Der Gesetzgeber sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen, weil seit Ende des ersten Weltkriegs die Anzahl eingelegter Revisionen drastisch angestiegen war und die Arbeitsbelastung der Revisionsgerichte dementsprechend anwuchs. 159 Hintergrund war die ursprüngliche Ausgestaltung des Revisionsrechts in § 379 RStPO, die als einzige Möglichkeit, die Revision durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen, den Verstoß gegen förmliche Voraussetzungen vorsah. In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs wurde daher auch als wesentliche Ursache der zunehmende Mißbrauch des Rechtsmittels durch die Verurteilten ausgemacht, im Rahmen dessen die Angeklagten von der Revision häufig nur deshalb Gebrauch machten, um sich bis zur Rechtskraft des Urteils noch einen StrafaufMüller, Rechtsstaat, S. 67; Roxin, StVR, § 71 Rdnr. 3. Gesetz vom 10. 6. 1898, RGBI. 1898, 345. IS4 Gesetz vom 14. 7. 1904, RGBI. 1904, 321. ISS Gesetz vom 27. 12. 1926, RGBI. 11927,529. 156 Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 322 f. 157 Gesetz vom 8. 7. 1922; die Bezeichnung geht auf den damaligen Senatspräsidenten des Reichsgerichts Lobe zurück, der durch seinen Vorschlag den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative veranlaßte. 158 Vgl. hierzu ausführlich C. I. 3 a) (4) (e). 159 V gl. insgesamt zur Entwicklungsgeschichte nur Kruse, S. 8 ff.; ferner Penner, S. 3 ff. 1s2

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111. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

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schub zu verschaffen. Der Entwurf erfuhr bis zum Erlaß des Gesetzes nur noch insoweit eine Einschränkung, als während der Gesetzgebungsverfahrens der Allwendungsbereich der Regelung entgegen der ursprungliehen Entwurfsfassung auf das Reichsgericht beschränkt wurde. 160 Als weiteres Beispiel dient die bereits angesprochene Iex Höfle von 1926: In diesem Gesetz findet sich erstmalig seit Entstehen der Reichsstrafprozeßordnung eine Regelung zur Abwehr von mißbräuchlichen Beweisanträgen, 161 die auf den Begriff der Prozeßverschleppung abstellt. So sollte sich gemäß § 245 Abs. 1 S. 1 StPO die Beweisaufnahme auf sämtliche vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen sowie die sonstigen herbeigeschafften Beweismittel erstrecken, es sei denn, daß die Beweiserhebung zum Zwecke der Prozeßverschleppung beantragt war. 162 Auch hierin lag der Versuch einer Mißbrauchsabwehr, durch den der Gesetzgeber auf den zu verzeichnenden Mißbrauch des Beweisantragsrechts reagieren wollte. 163 In der Folgezeit war es aber auch das Institut der Notverordnung auf Basis des Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), das der damaligen Regierung die Möglichkeit eröffnete, tiefgreifend in den Ablauf des Strafverfahrens zu Ungunsten des Beschuldigten bzw. der Verteidigung einzugreifen. 164 Als Beispiel hierfür dient etwa die Notverordnung vom 14. 6. 1932. 165 Kaum sechs Jahre nach Einführung wurde aufgrund dieser Verordnung auf das Haftprufungsverfahren wieder verzichtet. Gemäß § 3 dieser Notverordnung lag in Verfahren vor dem Amtsrichter, dem Schöffengericht und dem Landgericht als Berufungsinstanz der Umfang der Beweisaufnahme im freien Ermessen des Gerichts, ohne daß es in irgendeiner Weise an Anträge, Verzichtserklärungen oder fruhere Beschlüsse gebunden war. Dariiber hinaus mußte sich der Beschuldigte hinsichtlich der Wahl des Rechtsmittels gegen Urteile des Amtsgerichts bzw. Schöffengerichts frohzeitig entscheiden, da Berufung und Revision nur noch alternativ in Betracht kamen. Hatte der Beschuldigte Berufung eingelegt, war die Möglichkeit der Revision zum Oberlandesgericht nicht mehr gegeben. Es liegt auf der Hand, daß die Beschneidung der Einflußmöglichkeiten des Beschuldigten auf das Strafverfahren und die Betonung des freien Ermessens der zuständigen staatlichen Organe dem Rechtsmißbrauch im Strafprozeß eine optimale Grundlage bot, handelte es sich hierbei doch um Erscheinungen, die sich aufgrund der bisherigen historischen Entwicklung bewerten lassen. In diesem Sinne sind auch die Stellungnahmen in der damaligen Literatur zu interpretieren, die sich kri160 Kruse, S. 13; in der Folgezeit sollte diese Regelung jedoch weiter ausgebaut werden; im Jahre 1931 folgte durch Verordnung eine Ausweitung auf die Oberlandesgerichte. 161 Kröpil, AnwBI. 1999, 15 (16); Rüping, JZ 1997, 865 (866). 162 § 245 Abs. 1 S. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der StPO vom 27. 12. 1926, RGBI. I 1926, 523. 163 Kröpil, AnwBI. 1999, 15 (16); LIR(24)-Schäfer, Ein!. Kap. l3 Rdnr. 74; A/N/M, S. 6. 164 Vgl. Müller, Verteidigungsrechte, S. 71 a. E.; ders., Rechtsstaat, S. 72 (unter 5.). 165 RGBI. I 1932, 285.

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

tischmit dem Einfluß der Notverordnungspraxis auf das Strafverfahren beschäftigten. So stellte Gerland im Jahre 1932 zusammenfassend fest, daß der Gesetzgeber immer weiter von dem Rechtsstaatsgedanken abrücken, zu dem Gedanken des alten Polizeistaates zurückkehren und auf diesem Weg den Strafprozeß in ein immer mehr der richterlichen Willkür ausgeantwortetes Verwaltungsverfahren verwandeln würde. 166

2. Die Instrumentalisierung des Rechtsmißbrauchs unter der nationalsozialistischen Diktatur

Angesichts der Entwicklung, die das deutsche Strafverfahren in der Zeit der Weimarer Republik nahm, kann auch der Befund nicht verwundern, daß die Nationalsozialisten bei ihrer Machtergreifung auf ein Strafprozeßrecht zurückgreifen konnten, das sich für ihre Zwecke relativ problemlos nutzbar machen ließ. 167 Dennoch stand die vom Liberalismus geprägte Reichsstrafprozeßordnung von ihren Wurzeln her immer noch im Gegensatz zu dem Gedankengut der neuen Machthaber.168 Während der liberale Rechtsstaat Individuum und Staat trennte und dem einzelnen Freiheitsrechte gegenüber staatlichem Handeln einräumte, 169 sollte mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten die Volksgemeinschaft von "Artgleichen" als maßgebendes Leitmotiv in den Vordergrund treten, das auf den Erhalt der Rasse abzielte und nach dem "Führerprinzip" organisiert war.170 An die Stelle der Freiheitsrechte trat die Pflicht, zum Erhalt der Gemeinschaft beizutragen. 171 Dementsprechend bedurfte es auch einer Instrumentalisierung von Recht und Rechtsprechung hinsichtlich dieses Grundgedankens. 172 Gesetzgebung und Judikative waren zu politischen Waffen des Systems umzuformen. 173 Dem entsprach es auch, daß HitZer schon bei seiner Machtübernahme die "Elastizität der Urteilsfindung" forderte, um dem Erhalt der Volksgemeinschaft zu sichern 174 und hinter dem offiziellen Begriff der "Auflockerung" verbarg sich im Verfahrensrecht die Aufgabe der Rechtssicherheit zugunsten des nach nationalsozialistischem Denken "gerechten" Verfahrensergebnisses. 175 Gerland, DJZ 1932, Sp. 1182 (Sp. 1183). Müller, Rechtsstaat, S. 74 (unter 6.). 168 Vgl. zu diesem Aspekt Müller, Rechtsstaat, S. 76 mit zahlreichen Hinweisen auf die damalige Literatur in Fn. 102. 169 Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 338. 110 Fieberg, S. 28. 171 Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 338.; vgl. auch Ostendorf, Strafjustiz, S. 17 (18). 172 Rüping, GA 1984, 297. 173 Fieberg, S. 29. 174 Dieser Ausspruch wird bspw. bei Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 350 wiedergegeben. 175 Rüping, GA 1984, 297 (299). 166

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lll. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

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Die Instrumentalisierung sollte besonders deutlich werden im Zusammenhang mit der Einrichtung des Volksgerichtshofs, 176 der nach Auffassung der Nationalsozialisten nicht die Aufgabe hatte, Recht zu sprechen, sondern die Gegner des Nationalsozialismus zu vernichten. 177 Daß gerade dem Straf- bzw. Strafprozeßrecht bei der Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie und Sicherung der Herrschaftsausübung eine erhebliche Rolle zukam 178 war naheliegend. So sollten die Eingriffe in das Strafverfahrensrecht bzw. dessen Umgestaltung durch die Machthaber dem staatlichen Rechtsmißbrauch eine bis dahin noch nicht gekannte Dimension verleihen und den Beschuldigten, dessen Rechtsstellung durch die Entwicklung zur Zeit der Weimarer Republik ohnehin schon angegriffen war, zum wiederholten Male in der deutschen Rechtsgeschichte staatlicher Willkür ausliefern.

3. Die Extension staatlicher Zwangsmaßnahmen und ihr Einfluß auf das Strafverfahren Seinen Ausdruck fand diese Entwicklung zunächst im Hinblick auf die Zwangsmaßnahmen. Die Anwendung der Untersuchungshaft wurde im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnt. Durch das Gesetz vom 28. 6. 1935 179 (die sogenannte "Strafprozeßnovelle", der unter allen Eingriffen der Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die wohl größte Bedeutung zukam) 180 war gemäß Art. 5 die die Untersuchungshaft regelnde Vorschrift des § 112 geändert worden. Ihre Anwendung war nunmehr bereits dann möglich, wenn zu erwarten war, daß der Beschuldigte... "... die Freiheit zu neuen strafbaren Handlungen mißbrauchen werde oder wenn es mit Rücksicht auf die Schwere der Tat und die durch sie hervorgerufene Erregung der Öffentlichkeit nicht erträglich wäre, den Angeschuldigten in Freiheit zu lassen.'" 81 War einerseits bereits durch den völlig unbestimmten Tatbestand dieser Vorschrift der Mißbrauch der Untersuchungshaft ohne weiteres möglich, so konnte andererseits die notwendige Erregung der Öffentlichkeit durch Weisungen an die Presse selbst herbeigeführt werden. 182 176 Der Volksgerichtshof wurde durch Gesetz vom 24. 4. 1934 (RGBI. I 1934, 341) geschaffen und erhielt mit Gesetz vom 18. 4. 1936 (RGBI. I 1936, 369) den Status eines ordentlichen Gerichts. 177 So bspw. die Aussage des Reichsanwalts Parrisius anläßlich einer Festrede aus dem Jahr 1938, wiedergegeben nach Gribbohm, JuS 1969, 55 (56). 178 Vgl. Müller, Rechtsstaat, S. 75 (unter 6a); ferner Stolleis, JuS 1982, 645 (650). 179 RGBJ. I 1935, 844. 180 Müller, Rechtsstaat, S. 86. 181 § II2 Abs. I in der Fassung vom 28. Juni 1935 (RGBI. I 1935, S. 844 (847)). 182 Kroeschell, S. ll2; Eb. Schmidt, § 355 (S. 444).

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

Durch die weitgehende Erweiterung der polizeilichen Machtbefugnisse 183 bot sich die Möglichkeit, Beschuldigte nach Belieben zu inhaftieren und so mittelbar Einfluß auf den Verlauf des Strafverfahrens zu nehmen. Eb. Schmidt kennzeichnet diesen Vorgang als "Entfesslung der Polizeigewalt", welche zugleich einen hohnvollen Einbruch in den überkommenden Funktionsbereich der Strafjustiz bedeutete.184 Beleg hierfür ist insbesondere das Institut der sogenannten "Schutzhaft", deren rechtliche Grundlage bereits durch die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 185 gelegt wurde. Durch § 1 dieser Verordnung wurden wesentliche Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt. 186 Die Konsequenzen dieser Verordnung faßte Kern schon damals dahingehend zusammen, daß nunmehr die Polizei mittels des Instituts der "Schutzhaft" weitgehend über die Freiheit des einzelnen entscheide, ohne an gesetzliche oder zeitliche Grenzen gebunden oder einer richterlichen Nachprüfung ausgesetzt zu sein. 187 Hinter diesem Begriff verbarg sich dabei nicht anderes als die Verschleppung des Beschuldigten in ein Konzentrationslager.188 Die nationalsozialistischen Machthaber machten von diesem Institut von Anfang an regen Gebrauch. 189 Seine Bedeutung für das damalige Strafverfahren erschließt sich daraus, daß von staatlicher Seite ihre Verhängung zu erwarten war, wenn den Machthabern ergangene Urteile in Strafverfahren mißfielen, insbesondere die Angeklagten freigesprochen wurden. 190 So war es das Schicksal von vier Angeklagten im aufsehenerregenden Reichstagsbrandprozeß, deren Tatbeteiligung aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht bewiesen war und deren Ergebnis selbst den Oberreichsanwalt dazu veranlaßte, auf Freispruch zu plädieren, nach Ergehen des Freispruchs am 23. Dezember 1933 direkt vom Reichsgericht in ein Konzentrationslager verschleppt zu werden. 191 Dieser Mißbrauch der "Schutzhaft" hatte auch Auswirkungen auf das Verhalten der Verteidigung im Strafverfahren, denn es mußte sich aufgrund dieser polizeilichen Praxis die Frage stellen, ob es für das Wohlergehen des Beschuldigten nicht sinnvoller ist, wider besseren Wissens auf "schuldig" zu plädieren, um ihm zu183 Vgl. hierzu bspw. Stolleis, JuS 1982, 645 (651); Bader, JZ 1972; S. 6 (8); Henkel, StVR, S. 60; Rüping, GA 1984,297 (301). 184 Eb. Schmidt, § 353 (S. 439). 185 RGBl. I 1933, S. 83. 186 Fieberg S. 24; über die Maßnahme der "Schutzhaft" hinaus waren au~grund dieser Verordnung u. a. auch die beliebige Durchsuchung von Wohnungen und die Uberwachung des Nachrichtenverkehrs möglich, vgl. Müller, Rechtsstaat, S. 81 (a. E.). 187 Kern, ARSP Bd. XXVII (1933 I 34), 309 (315). 188 Vgl. z. B. Fieberg, S. 40. 189 Nach Fieberg (S. 41) wurden bereits im Jahr 1933 rund 27.000 Personen für kürzere oder längere Zeit in Schutzhaft genommen. 190 Siehe hierzu nur Müller, S. 179. 191 Fieberg, S. 42; Müller, S. 179.

III. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

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mindest in den Regelvollzug der Freiheitsstrafe zu überführen und ihm das Schicksal der "Schutzhaft" zu ersparen. 192 Es sind Fälle dokumentiert, in denen die Verteidigung auf eine hohe Freiheitsstrafe ihres Mandanten drängte, um ihn so vor Konzentrationslager oder gar sofortiger Hinrichtung zu bewahren. 193 Nach dem Befund Ostendorfs war es somit im Interesse des Mandanten regelmäßig wohl klüger, mit den Wölfen zu heulen, um ihnen so einen Teil der Menschenbeute zu entreißen. 194

4. Die Erweiterung der Kompetenzen der Staatsanwaltschaft

Aber nicht nur die Extension polizeilicher Kompetenzen, 195 sondern auch die der Staatsanwaltschaft, die aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit gegenüber dem Reichsjustizministerium eine wichtige Einrichtung der Justizlenkung durch die Machthaber darstellte, 196 leistete dem staatlichen Rechtsmißbrauch im Strafverfahren Vorschub. Ein Ansatzpunkt hierfür war auch insoweit die "Strafprozeßnovelle" aus dem Jahre 1935. Durch Art. 1 dieses Gesetzes wurde die Vorschrift des § 170a StPO eingeführt, die die Staatsanwaltschaft in ihrer Funktion als Anklagebehörde weitgehend von dem materiellen Recht unabhängig stellte und von dem Analogieverbot befreite: "Ist eine Tat, die nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient, im Gesetz nicht für strafbar erklärt, so hat die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob auf die Tat der Grundgedanke eines Strafgesetzes zutrifft und ob durch entsprechende Anwendung dieses Strafgesetzes der Gerechtigkeit zum Siege verholfen werden kann(§ 2 des Strafgesetzbuchs)." 197

Art. 4 reformierte darüber hinaus den § 178 StPO dahingehend, daß eine Voruntersuchung in Strafsachen vor dem Volksgerichtshof, den Oberlandesgerichten und den Schwurgerichten nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen solle, wenn diese es nach "pflichtgemäßem Ermessen" für notwendig hielt. 198 Auch der Rechtsweg wurde im Laufe der Zeit zur Disposition der Staatsanwaltschaft gestellt. Durch§ 14 Abs. 1 der Verordnung vom 21. Februar 1940 199 war es Vgl. die Nachweise bei Müller, Rechtsstaat, S. 81 (Fn. 144). Ostendorf, StV 1983, 120 (123) m. w. N. 194 Ostendorf, StV 1983, 120 (126). 195 Die letztlich aufgrund des Umstands, daß der Polizeigewalt hinsichtlich der Untersuchungs- und Vernehmungsmethoden von den Machthabern volle Freiheit eingeräumt wurde, auch die Wiedereinführung der (wenngleich offiziell illegalen) Folter ermöglichte, vgl. Eb. Schmidt, § 355 (S. 443). 196 Vgl. z. B. Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 362; Gribbohm, NJW 1988, 2842 (2845). 197 RGBl. I 1935, 844. 198 RGBI. I 1935, 844 (846). 199 RGBI. I 1940, 405 (407). 192

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

der Staatsanwaltschaft möglich, Klage vor den Sondergerichten200 statt vor den ordentlichen Gerichten zu erheben ... "... wenn die Anklagebehörde der Auffassung ist, daß die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht mit Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat, wegen der in der Öffentlichkeit hervorgerufenen Erregung oder wegen ernster Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit geboten ist."

Damit war es der Staatsanwaltschaft möglich, nach eigenem Ermessen über die Rechtsmittel des Beschuldigten zu entscheiden, denn gegen die Urteile der Sondergerichte waren solche nicht zulässig.Z01 Mindestens ebenso weitreichend waren jedoch auch andere Regelungen. In den Jahren 1939 und 1940 wurden die Kompetenzen der Staatsanwaltschaft derart erweitert und die Möglichkeiten der Justizlenkung intensiviert, daß nicht einmal die Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils vor staatlichem Mißbrauch geschützt war. Durch § 3 Abs. I des Gesetzes vom 16. 9. 1939 wurde zunächst der sogenannte "außerordentliche Einspruch" mit folgendem Inhalt geregelt: "Gegen rechtskräftige Urteile in Strafsachen kann der Oberreichsanwalt beim Reichsgericht binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft Einspruch erheben, wenn er wegen schwerwiegender Bedenken gegen die Richtigkeit des Urteils eine neue Verhandlung und Entscheidung in der Sache für notwendig hält. " 202

Hinzu kam durch§ 34 der Verordnung vom 21. Februar 1940203 die Möglichkeit für den Oberreichsanwalt, die sogenannte "Nichtigkeitsbeschwerde" einzulegen: "Gegen rechtskräftige Urteile des Amtsrichters, der Strafkammer und des Sondergerichts kann der Oberreichsanwalt beim Reichsgericht binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft Nichtigkeitsbeschwerde erheben, wenn das Urteil wegen eines Fehlers bei der Anwendung des Rechts auf die festgestellten Tatsachen ungerecht ist."

Während der "außerordentliche Einspruch" sowohl das angefochtene Urteil als auch die dazugehörigen Tatsachenfeststellungen beseitigte,204 war die Nichtigkeitsbeschwerde den herkömmlichen Rechtsmitteln angenähert, 205 deren weiteres Schicksal in den Händen des Reichsgerichts lag.Z06 Dennoch konstatiert Müller, daß die Fälle, in denen das Reichsgericht die Wünsche der Staatsanwaltschaft abschlägig beschied, nur außerordentlich selten vorkamen. 207 200 Die Sondergerichte wurden durch Verordnung aus dem Jahre 1933 (RGBI. I 1933, 136 ff.) eingerichtet und ergänzten damit die Judikative um eine weitere Gerichtsbarkeit; vgl. Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 356. 201 § 26 Abs. 1 der Verordnung vom 21. Februar 1940, RGBI. I 1940, 405 (408 (a. E.)); vgl. hierzu auch Kroeschell, S. 112 und Müller, Rechtsstaat, S. 85 (a. E.). 2o2 RGBI.I 1939, 1841 (1842). 203 RGBI. I 1940, 405 (410). 204 Gribbohm, JuS 1969, 55 (58). 205 Müller, S. 136. 206 Vgl. § 35, RGBI. I 1940,405 (410).

III. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

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Daß ein Urteil wenig wert war, wenn es nach der Einschätzung der Machthaber zu milde ausgefallen war, zeigt auch nicht zuletzt der Umstand, daß der Diktator selbst es sich nicht nehmen ließ, persönlich die Geltung der Gesetze zu durchbrechen, Urteilssprüche abzuändern und die Beschuldigten exekutieren zu lassen. 208 5. Der Mißbrauch durch die nationalsozialistische Richterschaft

Es verbleibt die Frage nach der Beteiligung der nationalsozialistischen Richterschaft an dem Phänomen des Rechtsmißbrauchs im damaligen Strafverfahren. Auch die Richter unterlagen der Lenkung der Justizverwaltung, 209 um so die Umsetzung der nationalsozialistischen Vorstellungen bezüglich des Strafverfahrens zu sichern. So dienten insbesondere die sogenannten "Richterbriefe" sowie die "Vorschau" bzw. "Nachschau" der Justizverwaltung als wesentliche SteuerungsmitteL Bei den "Richterbriefen" handelte es sich um Geheimnachrichten des Reichsjustizministeriums, in denen einerseits Urteile kritisiert und andererseits "Richtlinien" für die künftige Rechtsprechung gegeben wurden.210 Die "Vorschau" betraf Besprechungen mit dem Dienstvorgesetzten, in denen das voraussichtliche Urteil besprochen wurde, wogegen die "Nachschau" die Rechtfertigung des tatsächlichen gesprochenen Urteils gegenüber dem Vorgesetzten betraf. 2 ll Die Lenkung durch die Justizverwaltung war jedoch nicht der einzige Umstand, der die Grundlage für richterlichen Rechtsmißbrauch im Strafverfahren bildete. Ein weiterer wesentlicher Aspekt lag auch hierbei in der Gesetzgebung, die - wie aus den bisherigen Ausführungen schon hervorgeht - sowohl im Strafrecht als auch im Strafprozeßrecht auf die Vorgabe klar konturierter Vorschriften zugunsten von völlig unbestimmten Gesetzen, die sich auf normative Begriffe stützten, verzichtete. Es war das Ziel, die vorrangige Bindung des Richters an die nationalsozialistische Ideologie gegenüber der an das Gesetz zu sichern. 212 Auch dieser Umstand findet in der "Strafprozeßnovelle" von 1935 seinen Ausdruck, wenn es in dem durch Art. 1 neu eingeführten § 267a heißt: ,,Ergibt die Hauptverhandlung, daß der Angeklagte eine Tat begangen hat, die nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient, die aber im Gesetz nicht für strafbar erklärt ist, so hat das Gericht zu prüfen, ob auf die Tat der Grundgedanke eines Strafgesetzes zutrifft und ob durch entsprechende Anwendung dieses Strafgesetzes der Gerechtigkeit zum Siege verholfen werden kann(§ 2 des Strafgesetzbuchs)." 213 207

Müller, S. 136; zu entsprechenden Beispielen Müller, S. 137 m. w. N.; Kroeschell,

s. 112f.

208 Beispiele für solche "Sonderbehandlungen" finden sich bei Kroeschell, S. 116f. und Ostendorf, StV 1983, 120 (123); ferner Fieberg, S. 29. 209 Z. B. Gribbohm, NJW 1988,2842 (2845). 21o Vgl. hierzu etwa Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 362 ff. 211 Etwa Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 362 ff. 212 Gribbohm, NJW 1988, 2842 (2843). 213 RGBI. I 1935, 844.

4*

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

Hinzu trat eine drastische Verschärfung der gesetzlich vorgesehenen Strafrahmen,214 was letztlich insbesondere die Möglichkeit zur Verhängung der Todesstrafe betraf. Im Zeitraum zwischen 1933 und 1943 I 44 wurde die Anzahl der Delikte, welche die Verhängung der Todesstrafe vorsahen, von 3 auf 46 erhöht. 215 Andererseits ist nicht zu verkennen, daß es sich hierbei lediglich um die Höchststrafe handelte, die Tatbestände aber durchaus auch eine mildere Sanktionierung zuließen. Dennoch wurde seitens der Gerichte reger Gebrauch von der Exekution des Beschuldigten gemacht, was sich durch den Umstand nachweisen läßt, daß bis zum Untergang der Diktatur sowohl von der zivilen Strafrechtsprechung als auch seitens der Militärjustiz in jeweils 16.000 Fällen die Höchststrafe verhängt wurde.Z16 Insbesondere der Volksgerichtshof nahm in diesem Zusammenhang eine hervorstechende Position ein. Gribbohm hat am Beispiel des Tatbestands der sogenannten "Wehrkraftzersetzung",217 verbunden mit der Darstellung konkreter Fälle, aufgezeigt, daß der Volksgerichtshof ohne Rücksicht die Todesstrafe verhängte, wenn die Angeklagten der nationalsozialistischen Diktatur ablehnend gegenüberstanden oder ein solcher Verdacht bestand.218 Nach seinen Ausführungen ist es ebenso offensichtlich, daß selbst für den Fall eines zutreffenden Schuldspruchs die Verhängung der Todesstrafe unverhältnismäßig war, was dadurch deutlich wird, daß die Oberlandesgerichte in vergleichbaren Sachverhalten, soweit sie durch Abgabe der Verfahren die Möglichkeit zur Entscheidung erhielten, auf relativ milde Gefängnisstrafen entschieden.Z 19 Aber auch im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassenlehre bzw. dem Umgang mit "fremdvölkischen" Personen zeigte sich die Praxis der Rechtsprechung, die jeweiligen Tatbestände extensiv zu interpretieren und eine verschärfte Strafzumessung zu praktizieren. 220 Es war so, wie Majer feststellt, daß "nichtdeutsche" Angeklagte nach den Intentionen der Justizführung ohne Ausnahmen sehr viel härter bestraft werden sollten und daß die Gerichte mit ihren Urteilen dieser Strafpraxis weitgehend entsprachen.Z21 Wie sehr das Gebiet der Strafzumessung den nationalsozialistischen Gerichten die Möglichkeit zum Mißbrauch bot, zeigt sich schließlich auch an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, soweit er in den Nachkriegsjahren den Versuch unternahm, begangenes Unrecht durch die nationalsozialistische Rechtsprechung zu sanktionieren. So führt der BGH in seiner Entscheidung vom 6. November 1952 zu der Strafzumessungspraxis des Volksgerichtshofes folgendes aus: 222 214 Z. B. Gribbohrn, NJW 1998,2842 (2844). 215 Gribbohrn, NJW 1998, 2842 (2844). 216 Siehe zu diesen Zahlen Fieberg, S. 54; weiteres Material bei Ostendorf, Strafjustiz,

s. 19ff.

217 Dieser war geregelt in § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vorn 17 .August 1938 (in Kraft gesetztarn 26. August 1939 (RGBl. I 1939, 1455 ff.)). 21s Gribbohrn, JuS 1969, 109 (110) mit Beispielsfällen und weiteren Nachweisen. 219 Gribbohrn, JuS 1969, 109 (110). 220 Majer, S. 423. 22 1 Majer, S. 429 (vgl. auch S. 427).

III. Rechtsmißbrauch im nationalsozialistischen Strafprozeß

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"Die Strafzumessung des Volksgerichtshofs in ihrer übertriebenen Härte entsprach sachlichen Erwägungen nicht mehr. Sie überstieg jedes vernünftige Maß und überschritt die dem Tatrichter bei der Beurteilung der Straffrage gesetzten Grenzen so sehr, daß der Mißbrauch der Ermessensfreiheit ohne weiteres erkennbar ist. Diese Art des Strafens war rechtsfehlerhaft Sie war zugleich rechtswidrig, weil sie ohne Rücksicht auf die Sachlage, also willkürlich, allein darauf abzielte, durch übermäßige Strenge die politisch Andersdenkenden einzuschüchtern und damit die Herrschaft der damaligen Machthaber zu sichern."? 23

Auch wenn einerseits die Strafzumessung der nationalsozialistischen Richterschaft unter dem Aspekt des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren die dominierende Rolle einnimmt, so ist andererseits auch auf den Mißbrauch in bezug auf die Stellung der Verteidigung hinzuweisen. Es ist Bader zuzustimmen, wenn er anspricht, daß es grundsätzlich verwundern muß, daß die Institution der Verteidigung überhaupt unter dem nationalsozialistischen Regime fortexistierte, 224 mußte sie doch den Vorstellungen der Nationalsozialisten von einem idealen Strafverfahren entgegenstehen. Bei genauerer Hinsicht stellt sich dieses jedoch lediglich als scheinbarer Widerspruch dar, denn mit den Beschuldigtenrechten verfielen auch die Verteidigungsrechte, da diese ohnehin nur den Reflex auf die Rechte des Beschuldigten darstellen. 225 Das gilt insbesondere für das Beweisantragsrecht, das im Laufe der Zeit durch legislative Maßnahmen immer weiter unterlaufen wurde. 226 Doch nicht nur mittels der Beschränkung der Verteidigungsrechte, sondern bereits durch die Auswahl der Verteidiger ließ sich Mißbrauch betreiben. Das galt nicht nur für die Zulassung von regimetreuen Anwälten hinsichtlich ihrer Berufsausübung,227 sondern auch bezüglich der Auswahl der Verteidiger für bestimmte Strafprozesse. Für Verfahren vor aem Volksgerichtshof sah Art. IV § 3 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens von 1934228 dementsprechend vor, daß die Auswahl des Verteidigers der Genehmigung durch den Vorsitzenden des Gerichts bedurfte, wobei diese Genehmigung jederzeit zurückgezogen werden konnte. Diese Maßnahme wurde einerseits in der amtlichen Begründung der Vorschrift damit erklärt, daß die Bedeutung der zu verhandelnden Strafsachen für das Wohl des Volkes einen solchen Schritt rechtfertige. 229 Andererseits wurde die Vorschrift in der Literatur auch damit begründet, daß sie nur eine BGHSt 4, 66 (70). Vgl. auch BGHSt 2, 234 (241), wo der BGH den Gedanken staatlich gelenkten Unrechts unter Mißachtung von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts äußert. 224 Bader, JZ 1972, 6 (7). 22s Müller, Rechtsstaat, S. 90. 226 Vgl. den durch Art. 1 Nr. 3 der "Strafprozeßnovelle" eingeführten § 245, RGBI. I 1935, 844. 227 Vgl. hierzu Ostendorf, StV 1983, 120 (121 f.). 228 RGBI. I 1934, 341 (347). 229 Amtliche Begründung, abgedruckt in Deutsche Justiz 1934,595 (598). 222 223

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

Maßnahme gegen Versuche darstelle, das Gericht zur " ... Plattform politischer Brandreden oder anwaltlieber Lärmpropaganda zu machen".Z30 Der wahre Grund lag freilich schlicht darin, daß man nicht nur parteiische Richter, sondern auch den nationalsozialistischen Vorstellungen augepaßte Anwälte einsetzen wollte.Z31 Mithin war der Hinweis auf zu erwartende "Brandreden" oder "Lärmpropaganda" nur der Versuch, durch Verweis auf mißbräuchliches Verhalten der Verteidigung die Verwirklichung der nationalsozialistischen Vorstellungen von einem idealen Strafverfahren gegenüber kritischen Verteidigern abzusichern.

IV. Die Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945 - Verlagerung der Debatte auf die Beschuldigten- und Verteidigungsrechte Die Problematik des Rechtsmißbrauchs durch die Verteidigung bzw. den Beschuldigten während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur nahm hinsichtlich ihres Stellenwerts - angesichts des umfassenden, staatlich gelenkten Mißbrauchs seitens der staatlichen Organe - eine nur untergeordnete Rolle ein. Dieses sollte sich jedoch in den Jahrzehnten nach Kriegsende grundlegend ändern. Und spätestens seit den siebziger Jahren sorgten eine Reihe von Strafverfahren dafür, daß die Rechtsmißbrauchsdebatte gleichsam synonym mit der Diskussion um den Mißbrauch von Verteidigungsrechten geführt wird. Sie waren darüber hinaus auch Anlaß für gesetzliche Maßnahmen und Initiativen. Ansatzpunkt hierfür bildeten insbesondere die Verfahren wegen terroristischer Anschläge und der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. 232 Im folgenden werden beispielhaft einige dieser Verfahren und die Entwicklung in der Gesetzgebung bis zur aktuellen Rechtslage dargestellt.

1. Beispielefürden Mißbrauch von Verteidigungsrechten in Strafprozessen

a) Der Baader-Meinhof-Prozeß vor dem OLG Stuttgart Anfang der siebziger Jahre wurde die Bundesrepublik Deutschland durch eine Welle terroristischer Anschläge erschüttert. Als Täter trat die sogenannte BaaderMeinhof-Bande in Erscheinung, die später unter dem Namen "Rote Armee Fraktion" einen in ihren Augen "revolutionären" Kampf gegen die herrschenden Zustände in der Bundesrepublik Deutschland führte.Z 33 Nachdem diese Organisation 230 231 232 233

754ff.

Dietze, JW 1934, 1761 (1762 (unter III)). Gribbohm, JuS 1969, 55 (59). Vgl. hierzu auch Rebmann, NStZ 1984,241 (Einleitung). Vgl. zur Entstehung und weiteren Geschichte der RAF Peters, Kriminalistik 1991,

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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im Zeitraum zwischen 1970 und 1972 versucht hatte, durch eine Vielzahl von Straftaten die logistische Grundversorgung mit Geld und Waffen herzustellen, ging sie ab Mai 1972 dazu über, durch Anschläge ihre Macht zu demonstrieren bzw. den Staat herauszufordern, um so eine "vorrevolutionäre" Stimmung zu erzeugen, in der sich andere Gruppen solidarisieren sollten. 234 Letztlich wurde eine bürgerkriegsähnliche Situation in der Bundesrepublik angestrebt. 235 Im Juni 1972 gelang den Sicherheitsbehörden die Festnahme der Führungsrnitglieder. Bis dahin waren aufgrund der Aktionen dieser Organisation mehrere Todesopfer und zahlreiche Verletzte zu beklagen?36 Am 21. Mai 1975 wurde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozeß gegen die damals führenden Köpfe der "Rote Armee Fraktion" eröffnet. Er sollte am 28. April 1977, dem 192. Verhandlungstag, sein Ende finden. 237 Das Verfahren nimmt nicht nur wegen seiner Begleitumstände eine besondere Bedeutung in der Geschichte des deutschen Strafprozesses ein, 238 sondern gerade auch wegen des Verhaltens der Verteidigung bzw. Angeklagten. So war es eines ihrer wesentlichen Ziele, daß Strafverfahren zu eigenen Zwecken umzufunktionieren, 239 wobei die Angeklagten die Rolle der Ankläger anstrebten: Es ging um die Gestaltung des Prozesses als Tribunal gegen die politischen und militärischen Entscheidungsträger des Vietnam-Krieges, 240 der der eigentliche Verfahrensgegenstand sein sollte?41 Um dieses Ziel zu erreichen wurden eine Vielzahl von Beweisanträgen seitens der Verteidigung gestellt. Sie entsprachen zwar den formellen Anforderungen eines Beweisantrages, inhaltlich ging es jedoch nur darum, einerseits die dort genannten Zeugen als Verantwortliche einer verbrecherischen Kriegsführung zu bezichtigen, andererseits die Unterstützung dieses Vorgehens durch die Bundesrepublik Deutschland darzulegen. 242 Sieht man von diesen zentralen Beweisanträgen bezüglich des Vietnam-Krieges ab, so war auch im übrigen die Verteidigung auf die Obstruktion des Verfahrens ausgerichtet. Im Juni des Jahres 1975 wurde bei einem der Verteidiger ein Papier beschlagnahmt, das den sogenannten "dramaturgischen Verteidigungsrahmen" ab234 235 236

Vgl. Peters, Kriminalistik 1991, 754 (756); Breucker, S. 81 f. Breucker, S. 82 m. w. N. Zu den Straftaten im einzelnen siehe Breucker, S. 77 f.; Peters, Kriminalistik 1991, 754

(756). Vgl. nur Löchner, FS Rebmann, S. 303 (307). Seit der Inhaftierung der Führungsmitglieder der RAF bis in die Endphase des Verfahrens vor dem OLG Stuttgart versuchten z. B. andere Mitglieder durch Mord und Entführungen die Freipressung der Inhaftierten zu erreichen, siehe die Übersicht bei Löchner, FS Rehmann, S. 303 (307). 239 Vgl. hierzu nur die Wiedergabe eines Zellenzirkulars bei Breucker, S. 89 (Fn. 138). 240 Löchner, FS Rebmann, S. 303 (311). 241 Breucker, S. 151 (unter I.). 242 Vgl. im einzelnen Löchner, FS Rebmann, S. 303 (310); Breucker, S. 176. 237

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

stecken sollte. 243 In diesem Verteidigungskonzept wurde als erstes Ziel angegeben, keine Stellungnahme zu den inhaltlichen Vorwürfen zu machen. 244 Dem entsprach es, daß eine Vielzahl von (Ablehnungs-)anträgen gestellt bzw. mehrere (politische) Prozeßerklärungen abgegeben wurden, die sich zum Teil über mehrere Tage erstreckten. 245 Es handelte sich um Maßnahmen, denen nach den Ausführungen Löchners ihr Charakter als "taktisches Kampfmittel" meist mühelos abzulesen war.246 b) Der Majdanek-Prozeß vor dem LG Düsseldorf In den ersten Jahren nach Kriegsende waren die Versuche der deutschen Justiz, das unter der nationalsozialistischen Diktatur verwirklichte Unrecht zu bestrafen, nur sehr schwach ausgeprägt. Die Verbrechen vor allem gegenüber Menschen jüdischen Glaubens waren in den Anfangsjahren kein Thema der Justiz.Z47 Erst Ende der fünfziger Jahre änderte sich diese Situation248 und führte zu einer Reihe von Verfahren, die auch in der breiten Öffentlichkeit auf Interesse stießen, wie etwa den Auschwitz-Prozeß, der in den Jahren zwischen 1963-1965 in Frankfurt stattfand und der als das wohl größte und bedeutendste Verfahren dieser Art eingeordnet wird. 249 Die grauenhaften Geschehnisse in den von den Nationalsozialisten eingerichteten Konzentrationslagern, in denen bis Kriegsende eine Vielzahl von Menschen systematisch ermordet wurden, waren aber u. a. auch Gegenstand eines anderen Verfahrens, das nur wenige Monate nach Aufnahme der Hauptverhandlung gegen die Baader-Meinhof-Bande vor dem LG Düsseldorf am 26. November 1975 begann. Der Prozeß richtete sich gegen Personen, die während der Nazizeit im Konzentrationslager Majdanek ihren "Dienst" versahen. In diesem Vernichtungslager wurden seit Anfang der vierziger Jahre bis zum Tag der Befreiung am 22. Juni 1944 mindestens 250.000 Menschen durch die Nationalsozialisten getötet. 250 Von den ursprünglich 1300 Bediensteten mußten sich bei Eröffnung der Hauptverhandlung noch fünfzehn vor der deutschen Justiz verantworten, wobei die Ermittlungen zu diesem Verfahren bereits im Herbst 1960 aufgenommen wurden und sich bis zur Erhebung der ersten Anklage im November 1974 hinzogen. 251 Das Verfahren wurde- mehr als zwei Jahrzehnte nach Aufnahme der Ermittlungen und nach mehr als fünf Jahren Verhandlungsdauer-am 30. Juni 1981 durch Ver243 Das sogenannte "Temming-Papier", vgl. Breucker, S. 113 (Fn. 289) u. S. 119 (Fn. 327); Löchner, FS Rebmann, S. 303 (314). 244 Löchner, FS Rebmann, S. 303 (314). 245 Breucker, S. 119; Löchner, FS Rebmann, S. 303 (310). 246 Löchner, FS Rebmann, S. 303 (314). 247 Werle, NJW 1992, 2529. 248 Werle, NJW 1992,2529 (2531). 249 Werle, NJW 1992, 2529 (2532). 250 Vgl. Lichtenstein, S. 25. 251 Kaul, DuR 1981, 39; vgl. auch F. Kruse, KJ 1985, 140.

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kündung der Urteile abgeschlossen?52 Es lieferte schon während der Verhandlung - auch auf internationaler Ebene - Anlaß zur Diskussion und Empörung,253 wozu das Verhalten der Verteidigung maßgeblich beigetragen hat. Auch wenn einerseits davon auszugehen ist, daß die große Mehrheit der Verteidiger in diesem Strafverfahren ihre Aufgabe korrekt erfüllt hat, 254 so machen andererseits die Schilderungen von Prozeßbeobachtern und Verfahrensbeteiligten hinsichtlich des Verhaltens einiger weniger Anwälte im Majdanek-Prozeß schnell nachvollziehbar, warum auch dieser Strafprozeß geeignet war, die Diskussion um den Rechtsmißbrauch auf die Verteidigung zu verlagern. Ein erster Anknüpfungspunkt hierfür waren die zahlreichen Befangenheitsanträge, von denen bis kurz vor Verfahrensabschluß über vierzig gestellt wurden. 255 So beantragte beispielsweise direkt zu Beginn der Hauptverhandlung diese Gruppe von Verteidigern, den historischen Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, da er nicht nur eng mit jüdischen Wissenschaftlern zusammenarbeiten würde, sondern auch sein Doktorvater Jude sei?56 Vereinzelt wurde bei Wiederholung dieser Anträge von der Verteidigung die Gelegenheit genutzt, im Rahmen der Begründung die historischen Geschehnisse zu verdrehen und dabei den Sachverständigen als "politischen Propagandisten" zu bezeichnen, der aus sachfremden Erwägungen und politischem Opportunismus kritiklos alles das als wahr, echt und historisch unterstellen würde, was ihm von politisch Gleichgesinnten vorgelegt werde. 257 Es würde die Atmosphäre vergiften, wenn ein Sachverständiger Thesen als Tatsachen verfechten könne, die auf einer langjährigen Beeinflussung durch jüdische Wissenschaftler beruhen würden?58 Dabei fand der Versuch der Verteidigung, die gesicherten historischen Erkenntnisse zu leugnen auch Ausdruck in den gestellten Beweisanträgen. So stellte einer der Verteidiger im Anschluß an die Aussage eines Zeugen, nach der über dem Lager oft tagelang der unerträgliche Geruch von verbranntem Menschenfleisch gelegen habe, den Antrag, das Gericht möge einen Humanmediziner und einen Tierarzt laden, um über den unterschiedlichen Geruch von verbrannten Tierkadavern und verbrannten Menschen auszusagen bzw. ob sich diese nicht gleichen würden? 59 Es war aber auch ein prägendes Merkmal des Verteidigungsverhaltens in diesem Prozeß, daß nicht einmal die Zeugen von Angriffen verschont geblieben sind, die 252 Vgl. F. Kruse, KJ 1985, 140, der auch darauf hinweist, daß die Urteile deutlich hinter den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückblieben. 253 Vgl. bspw. Lichtenstein, S. 71, 94ff. 254 Lichtenstein, S. 87. 255 Vgl. Kaul, DuR 1981, 39 (45). 256 Lichtenstein, S. 30ff.; Kaul, DuR 1981,39 (45). 257 So u. a. der Befangenheitsantrag des Verteidigers Bock vom 7. April 1976, wiedergegeben nach Lichtenstein, S. 90 ff. 258 Vgl. Lichtenstein, S. 33. 259 Vgl. Kaul, DuR 1981, 39 (45); Lichtenstein, S. 100.

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

während der nationalsozialistischen Diktatur in Majdanek inhaftiert waren. Seinen Ausdruck fand dieses im Anschluß an die Aussage einer Zeugin, die am 1. Juni 1977, dem 153. Verhandlungstag, durch das Gericht vernommen wurde?60 In ihrer Aussage schilderte sie, wie sie von den Befehlshabern des Lagers gezwungen wurde, Büchsen mit dem für die Vergasung der Inhaftierten benutzten Zyklon-B aus den Baracken, in denen sie gelagert wurden, zu den sogenannten "Desinfektoren" zu transportieren, damit diese das Zyklon-B in die Gaskammern kippen konnten.261 Im Anschluß an die Vernehmung stellte einer der Verteidiger den Antrag, die Zeugin am Verlassen des Sitzungsaales zu hindem und einen Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord zu erwirken.262 Nach kurzer Beratung wurde dieser Antrag des Verteidigers als "offensichtlich rechtsmißbräuchlich" verworfen. 263 Das Verteidigungsverhalten im Majdanek-Verfahren war somit ebenfalls nicht von der Absicht geprägt, zur Sicherung eines justizförmigen Verfahrens zugunsten der Angeklagten beizutragen.Z64

c) Verfahren aus der jüngsten Vergangenheit Auch in den letzten Jahren stößt man auf eine Reihe von Strafverfahren, die zwar einerseits nicht in gleichem Maße das öffentliche Interesse auf sich gezogen haben wie die bisher aufgezeigten Beispiele, andererseits aber die wesentliche Grundlage der aktuellen Diskussion um den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren bilden.

( 1) BGH, Urt. des 4. Strafsenats vom 7. November 1991 (BGHSt 38, 111) So hatte sich der 4. Strafsenat des BGH in seinem Urteil vom 7. November 1991 265 mit der Frage des Mißbrauchs des Beweisantragsrechts zu beschäftigen. In der Vorinstanz vor dem LG Dortmund fielen die beiden Angeklagten dadurch auf, daß sie eine Vielzahl von Beweisanträgen gestellt hatten. Seit Beginn der Hauptverhandlung im Oktober 1988 waren innerhalb des ersten Jahres von einem der Angeklagten 300 Beweisanträge gestellt worden. Die Tätigkeit der Strafkammer konzentrierte sich nahezu ausschließlich auf die Entgegennahme und Bescheidung von Beweisanträgen. Seitens des anderen Angeklagten wurden im Januar 1990 rund 8500 schriftliche Beweisanträge eingereicht, denen sich der erstgenannte An260 Lichtenstein, S. 66, kennzeichnet das Verhalten der Verteidigung in diesem Zusammenhang als".. . eine widerliche Stinkbombe von Rechtsmißbrauch . . .". 261 Siehe hierzu Lichtenstein, S. 66 ff. 262 Lichtenstein, S. 70. 263 Lichtenstein, S. 70. 264 V gl. hierzu auch die Erfahrungen die Kaul als Vertreter der Nebenklage machen mußte, Kaul, DuR 1981, 39 (46). 265 BGHSt 38, 111 ff.

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geklagte, ohne den Inhalt der Beweisanträge zu kennen, umgehend anschloß. 266 Nach Auffassung der Strafkammer bestand kein Zweifel daran, daß dieser Angeklagte sein Antragsrecht nicht nur gröblich mißbraucht hatte, sondern es auch künftig mißbrauchen werde, um das Urteil zu verzögern bzw. das Gericht zu ermüden und verlangte, daß der Angeklagte die weiteren Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger stellen solle. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten wegen unzulässiger Beschränkung der Verteidigung wurde vom BGH in seiner Entscheidung verworfen. Zwar sähe die Strafprozeßordnung weder den Ausschluß des Beweisantragsrechts noch einen allgemeinen Mißbrauchstatbestand vor?67 Dennoch ... " . .. gilt, daß im Strafverfahren - wie in jedem Prozeß - der Gebrauch prozessualer Rechte zum Erreichen rechtlich mißbilligter Ziele untersagt ist; auch hier besteht ein allgemeines Rechtsmißbrauchsverbot .. ". 268

(2) Das PKK-Veifahren vordem OLG Düsseldoif Auch das Verfahren gegen Mitglieder der kurdischen PKK muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Dieses begann im Oktober 1989 vor dem OLG Düsseldorf und sollte erst mehr als vier Jahre später, nach 353 Verhandlungstagen, zu einem Ende gelangen. Ansatzpunkt für die Diskussion um den Rechtsmißbrauch war auch hier in erster Linie die Verteidigung, deren Verhalten nach den Worten des Vorsitzenden Richters "Züge des Terrors" angenommen habe. 269 Das Verteidigungsverhalten trug, vergleichbar mit dem Baader-Meinhof-ProzeB, Züge einer politischen Verteidigung, die sich dem Verdacht der politischen Propaganda ausgesetzt sah. 270 Und wie schon in den anderen beispielhaft aufgeführten Prozessen trifft man auch in diesem Strafverfahren auf den exzessiven Gebrauch von Verfahrensrechten. Daneben muß jedoch auffallen, daß auch das Verhalten der Bundesanwaltschaft nicht frei von Kritik geblieben ist. So muß sich die Bundesanwaltschaft nach den Beobachtungen Hermanskii71 vorhalten lassen, daß es ihre Vertreter durchaus verstanden hätten, immer wieder voraussehbar heftige Reaktionen der Anwälte zu entfachen. Auch die Ankläger in den roten Roben hätten verbal " ... massiv Gas . . ."gegeben. Die besondere Stellung dieses Strafverfahrens zeigt sich dariiber hinaus darin, daß seitens der Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen eine Anwältin wegen Beleidigung während eines laufenden Prozesses durchgesetzt Vgl. die Sachverhaltsdarstellung in BGHSt 38, 111 (112). BGHSt 38, 111 (112). 268 BGHSt 38, 111 (113). 269 Wiedergegeben nach K.intzi, DRiZ 1994, 325 (326). 270 Vgl. hierzu die von der Arbeitstagung des Generalbundesanwalts mit den Generalstaatsanwälten wiedergegebenen Quellen in StV 1991, 284 (285); beachte zu der Entschließung der Generalstaatsanwälte auch die Stellungnahme der Verteidigung, StV 1991, 542 ff. 27 1 Hermanski, DRiZ 1991, 298. 266 267

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

wurde, das aber im Ergebnis nicht von Erfolg gekrönt war?72 Vielmehr wurde der Bundesanwaltschaft im freisprechenden Urteil eigene Polemik vorgehalten?73 Das gleiche Schicksal ereilte ein von Verteidigerseite angestrebtes Beleidigungsverfahren, das von der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mit der Begründung nicht aufgenommen wurde, daß auch dem Anklagevertreter exakt jenes Recht auf nicht immer schonenden Umgang mit den Verfahrensbeteiligten zugebilligt werden müsse, daß das Bundesverfassungsgericht Rechtsanwälten gewährt habe?74

(3) Der Prozeß gegen Rechtsextremisten vor dem LG Stuttgart Ein weiteres Beispiel bildet das Verfahren gegen Rechtsextremisten vor dem LG Stuttgart, das Anfang 1991 begann und letztlich, maßgeblich durch das Verhalten der Verteidigung bedingt, Mitte des Jahres 1994 zum Erliegen kam?75 Auch in diesem Verfahren wich die gewählte Verteidigungsstrategie nicht von den bisher aufgeführten Beispielen ab und basierte im wesentlichen auf dem exzessiven Gebrauch von Antragsrechten. Das gilt zunächst für die Vielzahl von Befangenheitsanträgen. 276 Hervorstechend waren jedoch vor allem die gestellten Beweisanträge, deren Funktion zur Verfahrensverzögerung von der Verteidigung offen zugegeben wurde: So beantragte im November 1991 der Verteidiger des Hauptangeklagten die Einstellung des Verfahrens, unterstützt durch die Erklärung, daß im Falle der Ablehnung dieses Antrags durch das Gericht die Verteidigung durch Stellen von Beweisanträgen auf Vernehmung von mindestens 400 Zeugen dafür sorgen würde, daß das Verfahren noch Jahre andauern werde. Daß es sich hierbei nicht um eine leere Drohung der Verteidigung handelte sollte sich in der Folgezeit herausstellen, da nunmehr in jeder Verhandlung entsprechende Beweisanträge auf Vernehmung von bis zu 40 Zeugen gestellt wurden. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft, die rechtsmißbräuchlichen Anträge der Verteidigung nicht mehr zu bescheiden und die Beweisaufnahme zu schließen, wurde von der Staatsschutzkammer unter Hinweis auf hierzu fehlende rechtliche Möglichkeiten zurückgewiesen.277 Nachdem durch die Erkrankung einer Schöffin die Hauptverhandlung nicht mehr in den in § 229 StPO vorgesehenen Fristen weitergeführt werden konnte, war nach mehr als dreijähriger Prozeßdauer eine neue Hauptverhandlung nicht mehr zu vermeiden.278

Herrnanski, DRiZ 1991, 298. Hermanski, DRiZ 1991, 298. 274 Wiedergegeben nach Herrnanski, DRiZ 1991,298. 275 Vgl. zu diesem Verfahren Kintzi, DRiZ 1994, 325 (326) und Wassermann, NJW 1994, 1106 u. 1708; ferner J. Jahn, DRiZ 2001, 8, der auf vergleichbare Erscheinungen in einem Verfahren gegen rechtsextremistische Angeklagte in Cottbus hinweist. 276 Vgl. nur Wassermann, NJW 1994, 1107 (1108). 277 Z. B. Wassermann NJW 1994, 1107 (1108). 278 Vgl. Wassermann, NJW 1994, 1708. 272

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IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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(4) Die Mißbrauchsentscheidung des LG Wiesbaden vom 23. 9. 1994

Zu einer drastischen Lösung des Rechtsmißbrauchsproblems griff das LG Wiesbaden in seiner Entscheidung vom 23. 9. 1994?79 In der Vorinstanz war die Angeklagte wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt, im übrigen wegen des ebenfalls angeklagten Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte freigesprochen worden. Mit der Berufung richtete sich die Staatsanwaltschaft einerseits gegen die Höhe der Geldstrafe, andererseits gegen den Freispruch. Obwohl die Kammer aufgrund der Feststellungen nach eigener Erkenntnis auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hätte verurteilen müssen, sah sie sich aus "prozessualen Gründen" daran gehindert. Ausgangspunkt hierfür war wiederum das Verhalten der Verteidigung. Unter dem Stichwort der "Konfliktverteidigung" verweist das Gericht hierbei auf eine" ... Unzahl ... " von Beweisanträgen mit teilweise erfundenen Beweisthemen und Beweismitteln, die Teil eines von der Öffentlichkeit noch nicht erkannten Kampfes gegen die Rechtsordnung mit den Mitteln des Strafprozeßrechts gewesen sein sollten. 280 Einer solchen Strategie sah sich das LG Wiesbaden nicht nur hilflos ausgeliefert, sondern diese Machtlosigkeit beeinträchtigte nach Auffassung der Kammer auch die Würde des Gerichts und die Effektivität der Rechtsprechung. In letzter Konsequenz gelangte man zu folgendem Ergebnis: "Aus diesem Grund hält es die Kammer bei der derzeit geltenden Rechtslage zur Aufrechterhaltung der Strafrechtspflege im übrigen für geboten, die Nichtverurteilung der Angekl. hinzunehmen, um das Gericht in die Lage zu versetzen, andere Strafverfahren durchführen zu können". 281

Seine besondere Stellung in der aktuellen Diskussion bezieht diese Entscheidung somit nicht durch eine besonders auffällige Form des Rechtsmißbrauchs seitens der Verteidigung. Auch hier trifft man auf die exzessive Inanspruchnahme von Verfahrensrechten, durch die das Verfahren zum Erliegen gebracht werden sollte. Vielmehr ist es die Reaktion des Gerichts in Form eines Verfahrensabbruchs. Mag man aus rechtspolitischer Sicht das Urteil als einen Appell an den Gesetzgeber verstehen, letztlich läßt sich nach der Einschätzung Asbrocks der willkürliche Abbruch des Strafverfahrens seitens der zuständigen Kammer ebenfalls als Rechtsmißbrauch klassifizieren. 282

LG Wiesbaden NJW 1995, 409 f. LG Wiesbaden NJW 1995,409 (410). 281 LG Wiesbaden NJW 1995,409 (410 (a .E.)); Hervorhebung im Original. 282 Asbrock, StV 1995, 240 (241 ), der darüber hinaus den Tatbestand der Rechtsbeugung in Erwägung zieht und auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft rügt, die auf eine Revision gegen diesen Verfahrensabbruch offenbar verzichtet hat; vgl. auch L/R(25)-Rieß, Ein!. Abschn. J Rdnr. 41. 279

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

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2. Gesetzesreformen und Initiativen zur Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Überblick

Die Problematik des Mißbrauchs von Verfahrensrechten spiegelt sich - nach wie vor - auch in der Gesetzgebung wider. Es soll daher im folgenden unter Berücksichtigung der wesentlichen, mißbrauchssanktionierenden Vorschriften die Entwicklung der Gesetzgebung seit Kriegsende nachgezeichnet werden.

a) Das Vereinheitlichungsgesetz von 1950 Die Entwicklung unmittelbar nach Kriegsende führte dazu, daß zum wiederholten Male in der Geschichte des deutschen Strafprozesses aus einer Situation der Rechtszersplitterung heraus der Versuch unternommen wurde, die Rechte des Beschuldigten im Strafprozeß zu sichern und das Strafverfahren in diesem Sinne zu reformieren, was nicht zuletzt die Beseitigung der auf Mißbrauch angelegten nationalsozialistischen Gesetzgebung bedeutete. Der Grund für die Rechtszersplitterung waren tiefgreifende Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Besatzungszonen im Rahmen der Kontrolle der Strafprozeßgesetzgebung. 283 Zwar war es Anliegen der Alliierten, die auf der nationalsozialistischen Ideologie beruhenden Änderungen des Strafverfahrensrechts nach 1933 aufzuheben, allerdings herrschte hierbei nicht in allen Belangen Einigkeit darüber, was als nationalsozialistisches Gedankengut zu gelten hatte.284 Einen entscheidenden Schritt unternahm das Vereinheitlichungsgesetz (VereinhG) vom 12. 9. 1950,285 das für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Wiederherstellung der Rechtseinheit bewirkte. 286 Beide Absichten, sowohl die Korrektur der Rechtszersplitterung als auch die Beseitigung der auf nationalsozialistischer Ideologie beruhenden Vorschriften, bestimmten die Ausgestaltung dieses Gesetzeswerks maßgeblich. 287 Die Stellung des Beschuldigten und der Verteidigung, die ihrerseits unter der Herrschaft der Nationalsozialisten dem Mißbrauch ausgeliefert waren, wurde nunmehr rund fünf Jahre nach Kriegsende spürbar gestärkt. Zu den hervorstechenden Verbesserungen, die aufgrund der gemachten Erfahrungen mit den Perversionen des Strafverfahrens durch Gestapo und Volksgerichtshof vorgenommen wurden,288 zählt dabei die Einführung des § 136a StPO, der den Beschuldigten vor verbotenen Vernehmungsmethoden und der Verwertung Roxin, StVR, § 72 Rdnr. I. Müller, Rechtsstaat, S. 91 (unter Nr. 7). 285 BGBI. I 1950, 455 ff. 286 Roxin, StVR, § 72 Rdnr. 1; Rudolphi, ZRP 1976, 165 (166). 287 V gl. die Begründung des Entwurfs in BT-Drucks. I /530 (S. 3 und 33 f.); a.A. Gollwitzer, DRiZ 1964, 393, nach dessen Auffassung das VereinhG " ... lediglich . . ."die Aufgabe hatte, die Rechtzersplitterung zu überwinden. 288 Joerden, JuS 1993,927 (unter I.); Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 394 (a. E.). 283

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entsprechend gewonnener Aussagen schützen soll. Daneben wurden Regelungen geändert, die sich während der Zeit des Nationalsozialismus als besonders mißbrauchsanfällig erwiesen hatten. Als Beispiel sei die Ausgestaltung der Untersuchungshaft genannt, deren notwendige Reform in den Motiven des Gesetzentwurfs besonders hervorgehoben wird.289 Die Haftgründe des§ 112 wurden überarbeitet. Einen deutlichen Hinweis auf den Rechtsmißbrauch der Nationalsozialisten enthält die Begründung zu dem Entwurf auch bezüglich der Wiedereinführung der Voruntersuchung, soweit damit der Gefahr vorgebeugt werden soll, daß die Materialsammlung einseitig zuungunsten des Beschuldigten ausfallen könnte. 290 Diesen positiven Änderungen des Strafverfahrensrechts steht aber gegenüber, daß das Vereinheitlichungsgesetz auch mißbrauchsrelevante Regelungen aus der Zeit des Nationalsozialismus kritiklos übernahm und damit das Anliegen, das deutsche Strafprozeßrecht von nationalsozialistischem Denken zu befreien, nicht stringent verfolgte. So wurde beispielsweise an den Zuständigkeitsregelungen aus der Zeit der NS-Herrschaft nichts verändert, die die Bestimmung des gesetzlichen Richters weitgehend dem " ... Gutdünken der Staatsanwaltschaft überläßt, indem es ihr sowohl in örtlicher als auch in sachlicher Hinsicht einen weiten Spielraum bei der Auswahl des zuständigen Gerichts einräumt".291 Müller weist darüber hinaus darauf hin, daß auch die zunächst vom Reichsgericht entwickelten, später von den Nationalsozialisten zum Gesetz erhobenen, umfangreichen Ablehnungsgründe für Beweisanträge übernommen wurden.Z92 Auf die liberale Grundkonzeption des Gesetzgebers von 1879 wurde somit nicht zurückgegriffen. Die Begründung des Gesetzesentwurfs führt vielmehr ausdrücklich aus, daß im Kern das Strafverfahrensrecht wiederhergestellt werden sollte, wie es 1933 bestanden hat. 293 b) Die "kleine Strafprozeßreform" von 1964 Dennoch bestand auch in der Folgezeit die Tendenz in der Strafprozeßgesetzgebung, die Position von Beschuldigtem und Verteidigung weiter auszubauen. Diese Zielrichtung erfuhr insbesondere durch das als "kleine Strafprozeßreform" bezeichnete Strafprozeßrechtsänderungsgesetz aus dem Jahre 1964 (StPÄG)294 weitere Stärkung295 . Seine positiven Auswirkungen zeigten sich unter anderem nicht nur in der Erweiterung des rechtlichen Gehörs für den Beschuldigten, son289 BT-Drucks. 11530, S. 33 (a.E. (unter Nr. 3)); flankiert wurde diese Maßnahme durch die Wiedereinführung des Haftprüfungsverfahrens. 290 BT-Drucks. 1/530, S. 42 (zu Nr. 65-67). 291 Müller, Rechtsstaat, S. 91 f. 292 Müller, Rechtsstaat, S. 92. 293 BT-Drucks. 11530 (Anlage), S. 3 (Vorbemerkung). 294 Gesetz zur Änderung der StPO und des GVG (StPÄG) v. 19. 12. 1964, BGBI. I 1964, 1067 ff. 295 Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rdnr. 395.

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

dem auch in der Verbesserung der Verteidigungsrechte, 296 wie z. B. den Ausbau der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO), den Schutz des Akteneinsichtsrechts (§ 147 StPO) und des ungestörten Verkehrs des Verteidigers mit dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten (§ 148 StPO). Ein weiteres Anliegen dieses Gesetzes war es auch, die bereits durch das VereinhG begonnene Restriktion der Untersuchungshaft fortzusetzen. Das StPÄG wird in der Literatur - nach anfänglicher Kritik - als "Durchbruch zu einem liberalen Strafverfahrensrecht" eingeordnet, 297 das die " ... verfassungsrechtlichen Postulate eines freiheitlichen, die Menschenwürde achtenden sozialen Rechtsstaats in konkrete verfahrensrechtliche Vorschriften ... " umsetze298 und insoweit eine " . . .stolze Bilanz rechtsstaatlicher Verbesserungen ..." 299 aufweise. In der Tat wird man nicht umhin können, gerade in Hinsicht auf die Verbesserung der Stellung des Beschuldigten die kleine Strafprozeßreform als echtes und grundlegendes Reformwerk einzuordnen. 300 Betrachtet man indes das Gesetz und seine Entstehungsgeschichte unter dem Aspekt der Mißbrauchsbekämpfung im Strafverfahren, so zeigen sich zwei verschiedene Strömungen. Einerseits dominiert auch unter diesem Gesichtspunkt die Tendenz, die Stellung des Beschuldigten deutlich zu verbessern. Beispiel hierfür ist etwa das Recht der Untersuchungshaft. Wenn Gollwitzer 301 ausführt, daß es das Ziel der Neuregelung war, daß die Untersuchungshaft nur noch dann verhängt wird, wenn sie zur Sicherung des Strafverfahrens unerläßlich ist, so spiegeln sich hierin auch die gemachten Erfahrungen des Mißbrauchs dieses Instituts in der Zeit der NS-Diktatur wieder. 302 Die Betonung der Beschuldigten- und Verteidigungsrechte kommt ebenfalls hinsichtlich der Entstehung des§ 148 StPO zum Vorschein, der den ungestörten Verkehr zwischen diesen Verfahrensbeteiligten sichern soll. Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift im Rahmen des StPÄG zeigt, daß die schließlich getroffene Ausgestaltung des § 148 alles andere als unumstritten war und gerade von der Befürchtung des Mißbrauchs begleitet wurde: Der Entwurf der Bundesregierung sah vor, daß eine Überwachungsfreiheit des Verkehrs zwischen inhaftiertem Beschuldigten und seinem Verteidiger bis zum Abschluß der Ermittlungen zwar grundsätzlich gegeben sein muß; er machte hiervon insoweit allerdings eine nicht unerhebliche Ausnah296 Eine Aufstellung der wesentlichen Änderungen dieser Gesetzesreform findet sich bei Roxin, StVR, § 72 Rdnr. 2 und Rudolphi, ZRP 1976, 165 (166 (unter II)). 297 Ebert, JR 1978, 136 (138). 298 v. Winterfeld, NJW 1987, 2631 (2633). 299 Rudolphi, ZRP 1976, 165 (167). 300 Vgl. etwa auch Hamm, NJW 1997, 1288 f.; Scheffler, GA 1995, 449 (450); Jahn, S. 115 m.w.N. 301 Gollwitzer, DRiZ 1964, 393. 302 Beachte hierzu aber auch die Kritik von Müller, Rechtsstaat S. 99 f. (m. w. N), der in der Reform der Untersuchungshaft die Intention des Gesetzes nur unzulänglich verwirklicht sieht; zurückhaltend gegenüber der Regelung der Untersuchungshaft auch Rudolphi, ZRP 1976, 165 (167).

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me, als der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr vorlag.303 Der Umstand, daß dieser Vorschlag letztlich nicht in die Praxis umgesetzt worden ist, zeigt, daß dem Anliegen der Stärkung von Beschuldigten- und Verteidigungsrechten eine höhere Priorität eingeräumt worden ist als dem in diesem Vorschlag angesprochenen möglichen Mißbrauch des in§ 148 StPO gewährleisteten Verkehrsrechts. Andererseits trifft man auch in der kleinen Strafprozeßreform auf deutliche Hinweise einer Gesetzgebung, die in ihrer Vorgehensweise und Begründung nahtlos an die Rechtsprechung des Reichsgerichts bzw. die Gesetzgebung der vergangenen Jahrzehnte anknüpft und die Beschuldigtenrechte zurücktreten läßt. Angesprochen ist hiermit zuvorderst die Regelung des § 26a StPO. In Anlehnung an die Ausgestaltung des Beweisantragsrechts304 muß nach der Begründung des Regierungsentwurfs eine Verwerfung unzulässiger Ablehnungsgesuche möglich sein, wenn die Ablehnung nur in Verschleppungsabsicht erfolgt oder zur Verfolgung verfahrensfremder Zwecke dient. Daß in solchen Fällen bei der Entscheidung der abgelehnte Richter mitwirkt, stand für die Autoren des Regierungsentwurfs fest: 305 "Darüber, ob ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter begründet ist, entscheidet das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört (§ 27), wobei dieser selbst an der Entscheidung nicht teilnehmen darf. Würde diese Regel auch für unzulässige Ablehnungsgesuche gelten, so wäre Mißbräuchen Tür und Tor geöffnet. Der Angeklagte könnte durch solche Gesuche die Tätigkeit des Gerichts immer wieder zeitweise lahmlegen."

War es also einerseits die Grundidee des StPÄG, die Stellung des Beschuldigten zu sichern, so muß andererseits festgehalten werden, daß man selbst im Rahmen dieses Produkts liberaler Gesetzgebung auf Mißbrauchserwägungen bezüglich des Beschuldigten und seines Verteidigers stößt, die mit prozeßökonomischen Erwägungen gestützt werden und die seit Inkrafttreten der RStPO die Entwicklung der Mißbrauchsdebatte geprägt haben.

c) Das erste Strafverfahrensreformgesetz und Ergänzungsgesetz von 1975 Auch wenn das Anliegen der Verfahrensbeschleunigung im StPÄG bis dato nicht das entscheidende Leitmotiv der Gesetzgebung im Strafprozeßrecht war, so sollte sich dieses Bild spätestens mit Beginn der siebziger Jahre grundlegend ändern und eine Entwicklung einleiten, die die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren noch enger an den Gedanken der Prozeßökonomie knüpfen sollte. Die stetig wachsende Bedeutung, die dem Aspekt des ökonomischen Strafverfahrens ab diesem Zeitraum zukommen sollte, zeigt sich beispielsweise daran, daß man be303 BT-Drucks. IV I 178, S. 32; vgl. zur weiteren Entwicklung auch Gollwitzer, DRiZ 1964, 393 (395). 304 Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist hier ausdrücklich auf die Regelung des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO, BT-Drucks. IV I 178, S. 35. 305 BT-Drucks. IV I 178, S. 35 (rechte Spalte).

5 Abdallah

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

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reits am Anfang dieser Dekade auf legislative Maßnahmen stößt, die allein einer größeren Effektivität und Ökonomie des Verfahrens dienen sollten.306 Die Entwicklung hin zu einem ökonomischen Strafverfahren findet auch deutlichen Ausdruck im ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. 12. 1974 (StVRG),307 dessen Hauptanliegen es war, das Verfahren zu beschleunigen?08 Es sollte dem Bürger " ...nicht nur ein gutes, sondern auch ein schnelles Gerichtsverfahren zur Verfügung gestellt werden ... ". 309 Die Bedeutung, die das Gesetz für die Zielsetzung legislativer Maßnahmen auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts einnimmt, zeigt sich auch in den Worten von Rieß, 310 wenn er diese Novelle als tiefgreifende und bedeutsame Einzelnovelle kennzeichnet, die insoweit "stilbildend" gewirkt habe, als sich ihr vorrangiges Ziel der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung bis heute fortgesetzt habe. Zwar erfahrt in der Begründung des Regierungsentwurfs die Wahrung der Beschuldigtenrechte ausdrückliche Erwähnung. So wird ausgeführt, daß der Entwurftrotz seiner auf Beschleunigung und Straffung gerichteten Zielsetzung die schutzwürdigen Belange des Beschuldigten nicht verkürzen will. 311 Dennoch hat sich mit diesem Gesetz zumindest die Akzentuierung der strafprozessualen Gesetzgebung geändert, im Rahmen derer sich die Interessen von Beschuldigten und Verteidigern von nun an in aller erster Linie mit dem Interesse an einer ökonomischen Erledigung von Strafverfahren messen mußten. Diese Tendenz in der Gesetzgebung im Jahre 1974 zeitigte dementsprechend auch Konsequenzen für die weitere Erörterung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren, war aber wegen des Aufkommens der terroristischen Aktivitäten rechtspolitisch nicht allein maßgebend. Die Bekämpfung des Mißbrauchs stand Mitte der siebziger Jahre auch unter dem Eindruck des Verhaltens von Angeklagten bzw. Verteidigern in entsprechenden Strafverfahren. 3 12 Erster Ausdruck hierfür war das zusammen mit dem 1. StVRG erlassene Ergänzungsgesetz zu der Novelle vom 20. 12. 1974.313 Seine primäre Zielrichtung war es, den Strafprozeß vor mißbräuchlicher Ausübung prozessualer Rechte und bewußter Verfahrenssabotage zu schützen.3 14 Es bewirkte die ersten durch Terrorismuskriminalität ausgelösten Änderungen des Strafverfahrensrechts.3 15 Die wohl Vgl. hierzu etwa Achenbach, JuS 1980, 81 (86). BGBI. I 1974, 3393 ff. 308 So die Vorbemerkung der allgemeinen Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks. 7/551, S. 31. 309 BT-Drucks. 7/551, S. 34. 310 LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. E Rdnr.ll2. 311 BT-Drucks. 7/551, S. 36. m Z. B. Rebmann, DRiZ 1979, 363; ders., NStZ 1984, 241 (243); Weber, GA 1975, 289; Achenbach, JuS 1980, 81 (85). 313 BGBI. I 1974, 3636. 314 Rudolphi, ZRP 1976, 165 (168 (unter Nr. 6)); vgl. ferner v. Winterfeld, ZRP 1977, 265 (266). 315 Vogel NJW 1978, 1217 (1219). 306

307

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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einschneidendste als auch spektakulärste Maßnahme316 dieses Gesetzes war die Einführung einer weiteren expliziten Mißbrauchsregelung: Der Verteidigerausschluß gemäß § l38a wegen Verdachts des Mißbrauchs des Verkehrsrechts mit dem inhaftierten Beschuldigten. Bedingt wurde diese Regelung durch die SchilyEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts,317 die für den Ausschluß des Verteidigers aus einem Strafverfahren entgegen der damaligen Praxis eine gesetzliche Grundlage forderte. Der Beschwerdeführer Schily war seitens des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs von der Verteidigung Gudrun Ensslins ausgeschlossen worden. Schily galt als dringend verdächtig, an der Straftat, die Ensslin vorgeworfen wurde, als Mittäter beteiligt gewesen zu sein. Der Verdacht stützte sich hierbei auf folgende Umstände: Am 12. Juni 1972 besuchte Schily die Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt Essen. Der Besuch fand dabei ohne Aufsicht statt. Drei Tage später, am 15. Juni 1972, wurde Ulrike Meinhof festgenommen. In ihrem Besitz fand man ein später als Ensslin-Kassiber tituliertes Schriftstück, in dem Aufträge und Hinweise für die noch in Freiheit befindlichen Mitglieder der Baader-MeinhofGruppe enthalten waren. Nach Auffassung des Ermittlungsrichters hatte nur der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt, den Kassiber aus der Anstalt zu schmuggeln und schloß diesen von dem Verfahren aus? 18 Nachdem der Bundesgerichtshof eine entsprechende Beschwerde verworfen hatte, führte die Verfassungsbeschwerde zum Erfolg. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts lag hierin ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG, der" . . . zur Zeit weder durch Gesetz noch durch Gewohnheitsrecht gedeckt ist."? 19 Das Verfassungsgericht mußte sich auch nach Erlaß des § 138a mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Verteidigerausschlusses beschäftigen, wobei es nunmehr um die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift ging. 320 Der Beschwerdeführer Croissant wurde durch das OLG Stuttgart im Rahmen des Baader-Meinhof-Verfahrens wegen dringenden Verdachts der Tatbeteiligung und des Mißbrauchs des Verkehrsrechts ausgeschlossen? 2 1 Die Verfassungsbeschwerde scheiterte nicht zuletzt daran, daß das Bundesverfassungsgericht in dieser Vorschrift keinen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip erkennen konnte.

In dem Bericht des Rechtsausschusses vom 16. 12. 1974322 wird zur Begründung der Vorschrift darauf verwiesen, daß es der Rechtsstaat nicht dulden könne, wenn der Beschuldigte und sein Verteidiger die zur Vorbereitung einer umfassenden Verteidigung eingeräumten Rechte zum Angriff gegen die bestehende Rechtsordnung bzw. zur Gefährdung der Sicherheit der Bürger mißbrauchen. Die Voschrift des § 138a war jedoch nicht die einzige Mißbrauchsregelung, die sich an Verteidigung und Beschuldigtem orientierte. Auch die Vorschrift des§ 137 (Verbot der Mehrfachverteidigung) ist durch Mißbrauchserwägungen bezüglich 316 317 318 319 320 321 322

5*

Müller, Rechtsstaat, S. 103. BVerfGE 34, 293 ff. Vgl. die Sachverhaltsdarstellung, BVerfGE 34, 293 (294f.). So der Leitsatz der Entscheidung (a. E.). BVerfG NJW 1975, 2341. OLG Stuttgart AnwBI. 1975, 213; bestätigt durch den BGH AnwBI. 1975,243. BT-Drucks. 7/2989, S. 4.

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Verteidigern und Beschuldigten begründet worden. Der Bericht des Rechtsausschusses führt hierzu aus: "Der Ausschuß ist mit dem Bundesrat der Auffassung gewesen, daß das Recht des Angeklagten, sich durch mehrere Verteidiger vertreten zu Jassen, nicht zum Zweck der Prozeßverschleppung oder der Prozeßvereitelung mißbraucht werden darf. " 323

Ganz ähnlich lesen sich etwa die Begründungen für die Ausgestaltung des § 231a und 23lb (Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten)324 und die Reform des Erklärungsrechts. 325 Die Forderungen nach weitergehenden Maßnahmen zur Mißbrauchbekämpfung wurden zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht berücksichtigt. Das gilt insbesondere für den Antrag des Bundesrats hinsichtlich einer allgemeinen Sabotageklausel in Form eines neu einzuführenden § 138b, nach welcher der Verteidiger auch dann vom Verfahren auszuschließen war, " ... wenn er mit rechtswidrigen Mitteln die geordnete Durchführung der Hauptverhandlung absichtlich und gröblich gefährdet, sofern die Ausschließung erforderlich ist, um weiterer Gefährdung zu begegnen.".326

Dieser Vorschlag war nicht nur zwischen Bundestag und Bundesrat umstritten; auch in der wissenschaftlichen Diskussion stieß er auf erhebliche Vorbehalte. Es wurde in einer derartigen Vorschrift eine "Maulkorb"-Regelung327 gesehen, die nicht das Mindestmaß an Gesetzesbestimmtheit aufweisen könne und damit rechtsstaatlich unhaltbar sei. 328 d) Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 1979 Ließen sich die Reformen des Strafverfahrens von 1975 noch mit dem Verweis auf die Aktivitäten von Terrorgruppen und deren Verteidigern rechtfertigen, so zeigt sich in den Folgejahren mehr und mehr eine Entwicklung in der Gesetzgebung, die die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs ausschließlich mit prozeßBT-Drucks. 7/2989, S. 3. BT-Drucks. 7/2989, S. 5: "Die Möglichkeiten, die das geltende Recht. ..zur Bekämpfung von Mißbräuchen bietet, reichen nicht aus oder sind zumindest nicht zweifelsfrei. Der Rechtsausschuß hat daher ... beschlossen, diese Möglichkeiten mit den neuen §§ 231a und 231b zu erweitern, um den Versuchen vorsätzlicher Verfahrensvereitelung durch den Angeklagten wirksam entgegentreten zu können." 325 BT-Drucks. 7/2989, S. 8: "Nach Auffassung des Ausschusses dient es daher der Vermeidung von Mißbräuchen besser, wenn eindeutig klargestellt wird, zu welchen Verfahrensabschnitten und in welchem Umfang das Erklärungsrecht gewährt wird." 326 Gesetzesantrag der Länder Baden-Würternberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein v. 24. 1. 1975; BR-Drucks. 90175, S. 1. 327 Knapp, AnwBI. 1975, 373 (377). 328 Ausführlich zu dieser Initiative Jahn, S. 73 ff.; Kernpf, StV 1996, 507 (5!0f.). 323

324

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ökonomischen Erwägungen stützt. Ein wesentliches Beispiel hierfür ist die Genese des Strafverfahrensänderungsgesetzes vom 5. 10. 1978.329 Waren es Ende 1974 noch Erwägungen zum Schutz des Rechtsstaats vor kriminellen Aktivitäten, auf die sich die Gesetzgebung berief, so trat an deren Stelle nunmehr der Verweis auf statistisches Material bezüglich der Arbeitsbelastung der Gerichte und der Verfahrensdauer von sogenannten Großverfahren. 330 Zwar wurde in dem Regierungsentwurf eingeräumt, daß zum damaligen Zeitpunkt keine Untersuchungen über die Ursachen der Entstehung solcher Großverfahren vorlagen. 331 Das hinderte die Begründung des Regierungsentwurfs jedoch nicht daran, bestimmte Vermutungen anzustellen. Neben dem Verweis auf schwierige Wirtschaftsstrafverfahren und der damit verbundenen Stoffülle332 liest sich das wie folgt: "Es liegen aber auch Anzeigen dafür vor, daß die Verfahrensbeteiligten ihre prozessualen Möglichkeiten in teilweise exzessiver und gelegentlich mißbräuchlicher Weise ausnutzen . . . . Je umfangreicher ein Verfahren ist, um so anfälliger ist es gegen die schädlichen Auswirkungen unzweckmäßiger, verfahrensverzögernder oder zu mißbräuchlicher Ausnutzung einladender Verfahrensvorschriften.... Erfahrungen der letzten Zeit haben ferner deutlich gemacht, daß das geltende Recht eine Reihe von Möglichkeiten bietet, unter mißbräuchlicher Anwendung an sich berechtigter Einwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sich mit unlauteren Mitteln der Verwirklichung und Durchsetzung des Strafanspruchs der Rechtsgemeinschaft innerhalb angemessener Zeit zu entziehen. Es ist auch Aufgabe einer rechtsstaatliehen Reform des Strafverfahrens, diesen Gefahren zu begegnen. Regelungen, die einem Mißbrauch besonders ausgesetzt sind, müssen durch Schutzvorschriften ergänzt und erforderlichenfalls, wo dies möglich ist, durch Regelungen ersetzt werden, die das rechtspolitische Ziel in gleicher Weise gewährleisten, einem Mißbrauch gegenüber aber weniger anfällig sind."333

Zwar wählte der Entwurf in seiner Begründung eine sprachlich neutrale Formulierung, indem er vom Mißbrauch der "Verfahrensbeteiligten" spricht. Dennoch ist die Stoßrichtung der Gesetzesinitiative auch hier eindeutig auf den Verteidiger und seinen Mandanten gerichtet. Das ergibt sich zum einen schon daraus, daß innerhalb der allgemeinen Zielsetzung die Bekämpfung des Mißbrauchs angestrebt wird, " ... ohne daß die Verteidigung beeinträchtigt wird ... " 334 und so zumindest mittelbar ein entsprechender Bezug hergestellt ist. Zum anderen betreffen die Korrekturen des Gesetzgebers genau jene Verfahrensrechte, die schon in den vergangeneu hundert Jahren seit lnkrafttreten der Reichsstrafprozeßordnung im Zusammenhang mit dem Mißbrauch von Verteidigungs- und Beschuldigtenrechten diskutiert wurden. Das gilt zunächst für das Recht auf Richterablehnung:

329 330 331 332 333 334

BGBI. I 1978, 1645 ff. Siehe hierzu die allgemeine Begründung in BT-Drucks. 8/976, S. 16ff. BT-Drucks. 8/976, S. 16 (a. E.). BT-Drucks. 8/976, S. 16 (a. E.). BT-Drucks. 8/976, S. 16f. BT-Drucks. 8/976, S. 1.

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs "Erfahrungen in der letzten Zeit zeigen, daß das an sich unverzichtbare und für die Sicherung des Vertrauens in die Unvoreingenommenheit der Rechtsprechung und damit für die Funktion der Justiz höchst bedeutsame Institut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eine mißbräuchliche Handhabung ermöglicht, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines geordneten Verfahrensablaufs führen kann."335

Nicht weniger deutlich sind die Motive zum Strafverfahrensrechtsänderungsgesetz von 1979 bezüglich des Beweisrechts. Zumindest vordergründig war sich der damalige Gesetzgeber der Bedeutung des Beweisantragsrechts für den Beschuldigten bewußt: "Das gegenwärtige Beweisantragsrecht stellt eine wesentliche rechtsstaatliche Errungenschaft dar. Die gesetzliche Anerkennung des Rechts, einen Beweisantrag stellen zu können ... (sichert) in wirkungsvoller Weise das Beweiserhebungsinteresse des Angeklagten ... "?36

Dieses Bekenntnis des Gesetzgebers zugunsten der Interessen des Beschuldigten am Beweisantragsrecht erscheint jedoch nur auf den ersten Blick als bemerkenswert, denn vor dem Hintergrund eines Kataloges von Ablehnungsgründen, der sich in den vergangenen Jahrzehnten in Abweichung von der klaren Grundkonzeption der RStPO gebildet hatte, war bereits eine weitgehende Mißbrauchskontrolle im Rahmen dieses Instituts des Strafverfahrens möglich. Das räumt der Entwurf auch selbst ein wenn er ausführt, daß die geltenden Ablehnungsmöglichkeiten im allgemeinen zu einer sachgerechten Konzentration der Beweisaufnahme ausreichen würden. 337 Der Gesetzgeber konnte somit zwecks Eingrenzung der Möglichkeiten des Rechtsmißbrauchs sein Augenmerk auf eine nach seiner Auffassung andere wichtige Aufgabe legen: die Umgestaltung der Pflicht zur Verwendung präsenter Beweismittel. Wie dargestellt ging der historische Gesetzgeber von 1879 von der uneingeschränkten Verwendungspflicht präsenter Beweismittel aus. Genau hundert Jahre später stößt man nun auf einen Gesetzgeber, der sich von diesen Vorstellungen gelöst hat. Erneut macht die Begründung des Gesetzgebers deutlich, welch enge Konnexität zwischen Verfahrensökonomie und Rechtsmißbrauch im Strafverfahren besteht: "Mißbrauchsmöglichkeiten und Verfahrensverzögerungen sind in weit stärkerem Umfang mit § 245 StPO verbunden? 38 Dieses ... weitgespannte und nahezu einschränkungslose prozessuale Recht ... eröffnet gewisse Möglichkeiten des prozessualen Mißbrauchs und kann zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen und zu einer von der Sache her nicht gebotenen Ausdehnung der Beweis335 336 337 338

BT-Drucks. 8/976, S. 22. BT-Drucks. 8/976, S. 23 (a. E.). BT-Drucks. 8/976, S. 24 (arn Anfang). BT-Drucks. 8/976, S. 24 (arn Anfang).

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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aufnahrne und damit zu Verfahrensleerlauf führen. Wahrend beim Beweisantragsrecht der § 244 Abs. 3 bis 5 ausreichende Möglichkeiten eröffnet, erkennbar überflüssige Beweisaufnahmen zu vermeiden, bringt es die Pflicht zur uneingeschränkten Verwendung präsenter Beweismittel mit sich, daß auch ungeeignete Beweismittel zu verwenden sind, bereits erwiesene Tatsachen noch weiter erörtert werden müssen, nicht zur Sache gehörende Umstände in das Verfahren eingeführt werden können und daß schließlich die Beweisaufnahme dazu mißbraucht werden kann, verfahrensfremde Nebenzwecke zu verfolgen.".339

Darüber hinaus war ein weiterer Ansatzpunkt der Reformtätigkeit die erst 1975 eingeführte Verteidigerausschließung gemäß § 138a. Zur Steigerung seiner Effektivität nahm der Entwurf an der Vorschrift Korrekturen, etwa bezüglich ihrer zeitlichen Einschränkung oder der Angleichung der Verdachtsgrade, vor. 340 Andererseits lehnte er die Erweiterung der Ausschließungsgründe ebenso ab wie die Möglichkeit, die Überwachung von Verteidigergesprächen unter bestimmten Voraussetzungen zu gewähren. 341 Während aber bei der Ablehnung erweiterter Ausschließungsgründe in dem Gesetzesentwurf die Interessen des Beschuldigten und der Verteidigung mitberücksichtigt wurden, 342 erfolgte die Nichtberücksichtigung besonderer Überwachungsmaßnahmen lediglich aus überwiegend praktischen Gründen: Neben der einhelligen Ablehnung in der Praxis343 war die Ansicht maßgebend, daß eine solche Regelung unpraktikabel sei, da sie unterlaufen werden könne bzw. nicht in der Lage sei, den konspirativen Mißbrauch von Verteidiger und Beschuldigten zu unterbinden. 344 "Wirkungsvoller und deshalb vorzuziehen sei es, einen pflichtvergessenen Verteidiger nicht lediglich zu überwachen, sondern aus dem Verfahren und - über die im Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehene Erstreckungswirkung - auch aus anderen Verfahren auszuschließen. . ..".345

Zu den hervorstechenden Änderungen des Strafprozeßrechts durch dieses Änderungsgesetz gehört auch die Einführung der Besetzungsrügepräklusion in erstinstanzliehen Verfahren vor Land- bzw. Oberlandesgerichten (§§ 222a, 222b und die damit verbundene Reform des Revisionsrechts in bezug auf die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts in§ 338 Nr. 1). Und wie schon die anderen Maßnahmen dieses Gesetzes ist auch diese durch Mißbrauchserwägungen motiviert. Der Handlungsbedarf wurde darin gesehen, daß anders als bei anderen Verfahrensverstößen, die im Laufe der Verhandlung begangen bzw. erst mit dem Erlaß des Urteils erkennbar werden, die Prüfung der Besetzung des Gerichts beBT-Drucks. 81976, S. 51. BT-Drucks. 81976, S. 30f. 341 BT-Drucks. 8 I 976, S. 31 (Antwort auf einen Gesetzesentwurf der CDU I CSU-Fraktion (BT-Drucks. 8 I 322)). 342 Vgl. BT-Drucks. 81976, S. 31. 343 Vgl. hierzu die Nachweise in BT-Drucks. 81976, S. 31. 344 BT-Drucks. 8 I 976, S. 31. 345 BT-Drucks. 8 I 976, S. 31. 339 340

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

reits zu Beginn der mündlichen Verhandlung und damit eine frühzeitige Geltendmachung möglich sei. Die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Ausgestaltung, die die Rüge einer fehlerhaften Gerichtsbesetzung in das Revisionsrecht verlagerte, erschien dem Regierungsentwurf als mißbrauchsanfällig, weil . . . " ... die Besetzungsrüge des geltenden Rechts häufig nicht deshalb erhoben wird, weil sich der Revisionsführer durch die behauptete vorschriftswidrige Besetzung in seinem Anspruch auf den gesetzlichen Richter beeinträchtigt fühlt, sondern weil er mit Hilfe der Besetzungsrüge eine Aufhebung des angefochtenen Urteils zu erreichen hofft, das er aus sachlich-rechtlichen Gründen für unrichtig hält, aber mit der Sachrüge nicht mit Aussicht auf Erfolg angreifen zu können glaubt.". 346

Im Ergebnis sorgte daher die Einführung der rechtzeitigen Mitteilung der Gerichtsbesetzung und die Vorverlagerung eines entsprechenden Einwands spätestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung für ein Regelungsgefüge, das einen entsprechenden Mißbrauch durch die Verfahrensbeteiligten unter das Risiko der Präklusion stellt.

e) Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 1987 Die weitere Entwicklung des Strafverfahrensrechts brachte bis in die achtziger Jahre hinein für das Problem des Rechtsmißbrauchs keine erheblichen Neuerungen der Strafprozeßordnung. Soweit die Gesetzgebung für die hier zu diskutierende Problematik relevante Änderungen aufweist, beschränken sich die Reformen im wesentlichen auf die Änderung bereits vorhandener Instrumentarien bzw. Eingriffe in bestehende Verfahrensrechte. Ausdruck findet dieser Umstand etwa im Strafverfahrensänderungsgesetz von 1987?47 Auch dieses Gesetz setzte den durch die Gesetzgebung der vergangeneo Jahre eingeschlagenen Weg fort, die Beschleunigung des Strafverfahrens zu der Bekämpfung des Mißbrauchs von Verfahrensrechten in Abhängigkeit zu stellen. So heißt es im Regierungsentwurf (vergleichbar mit den Entwürfen der vergangeneo Jahre) unter Verweis auf statistisches Material zur Arbeitsbelastung der Strafverfolgungsorgane in Strafsachen, daß in erster Linie das Ziel verfolgt wird, " . . . die Strafgerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft, vor allem durch Verfahrensvereinfachung, zu entlasten.".348 Soweit die "Verfahrensvereinfachung" als maßgebliches Mittel der Verfahrensbeschleunigung genannt wird, ergibt sich bei genauerer Betrachtung der Motive, daß dieser Begriff in wichtigen Bereichen mit der Extension mißbrauchssanktionierender Vorschriften gleichzusetzen ist. Dieses zeigt sich zunächst in der Umgestaltung des Richterablehungsrechts, aufgrund derer in § 25 der Präklusionszeitpunkt mit folgender Begründung vorverlegt wurde: 346 347 348

BT-Drucks. 8/976, S. 26. Gesetz vorn 27. 1. 1987, BGBI. I 1987, 475. BT-Drucks. 10/1313, S. 10.

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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"Vornehmlich in Wirtschaftsstrafverfahren und in Prozessen wegen politisch motivierter Straftaten ist beobachtet worden, daß Angeklagte und Verteidiger Ablehnungsgründe aus Umständen vor Beginn der Hauptverhandlung gesammelt, zurückgehalten und unter Ausnutzung des § 25 massiert erst unmittelbar vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache geltend gemacht haben.". 349

In die gleiche Richtung zielt die Reform des § 229, aufgrund derer die Fristen für die Verfahrensunterbrechung ausgeweitet wurden und der ohnehin seiner Funktion nach Verfahrensverschleppungen verhindem soll.350

f) Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege von 1993

Die Entwicklung in der Gesetzgebung zu Beginn der neunziger Jahre ließ die Absicht der Entlastung der Justiz nicht fallen, sondern blieb - nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung bedingt - ein wesentlicher Ansatzpunkt. Maßgebliches Regelungswerk in diesem Zusammenhang war das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege von 1993?51 Bei vordergrundiger Betrachtungsweise fielen die Änderungen dieses Gesetzes bezüglich der StPO (und damit auch hinsichtlich der im Mittelpunkt der Rechtsmißbrauchsdebatte stehenden Verfahrensrechte) zuruckhaltend aus?52 So wurde im Beweisrecht lediglich die Vorschrift des 244 Abs. 5 S. 2 aufgenommen, nach der ein Antrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nach den für den Augenschein geltenden Grundsätzen abgelehnt werden kann. Die besondere Bedeutung zeigt sich dagegen dann, wenn man die Entstehungsgeschichte etwas genauer betrachtet, denn das ursprungliehe Anliegen dieses vom Bundesrat angeregten Gesetzes353 war eine sehr umfangreiche Beschneidung des Beweisantragsrechts. So sah die ursprungliehe Vorlage die pauschale Abschaffung des Beweisantragsrechts vor den Amtsgerichten vor?54 Weitergehend strebte der Vorschlag des Bundesrates über die Regelung des § 244 Abs. 5 S. 2 hinaus noch weitere Änderungen im Rahmen des § 244 an, die dazu beitragen sollten, ... " ... der in letzter Zeit zunehmend festzustellenden übermäßigen Verfahrensdauer entgegenzuwirken. Auch kommen problematische Beweisanträge nicht selten gerade in Verfahren vor, die ohnehin schwierig oder umfangreich sind. Eine Entlastung dieser Verfahren wäre besonders wünschenswert.". 355

BT-Drucks. 10/1313, S. 16. BT-Drucks. 10/1313, S. 24. 351 BGBI. I 1993, 50ff.; zur Entstehungsgeschichte Siegismund/Wickern, wistra 1993, 81 f.; Meyer-Goßner, NJW 1993, 498f. 352 Vgl. LI R(25)-Rieß, Ein!. Abschn. E Rdnr. 145. 353 BR-Drucks. 314/91. 354 Schulz, StV 1991, 354 (355). 355 BR-Drucks. 314/91, S. 100. 349 35o

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

Hinter der Ablehnung von "problematischen" Beweisanträgen verbarg sich dabei offensichtlich die Absicht zur Abwehr des Mißbrauchs des Beweisantragsrechts.356 Zwecks Realisierung sollte in§ 244 Abs. 3 S. 2 die Ablehnung von zur Prozeßverschleppung gestellten Beweisanträgen in die freie Würdigung des Gerichts gestellt werden? 57 Ziel war es hierbei, daß das Revisionsgericht bezüglich der Frage, ob eine entsprechende Verschleppungsabsicht des Antragstellers vorliegt, nicht seine Wertung als Maßstab wählt, sondern zwecks Erhalts des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums nur überprüft, ob der Tatrichter seine Überzeugung auf rechtlich einwandfreier Grundlage gewonnen hat. 358 Unter den gleichen Voraussetzungen sollte schließlich das Beweisantragsrecht durch die Einführung des § 244 Abs. 5 a begrenzt werden, aufgrund dessen auch die Ablehnung von Anträgen, die nach Abschluß der Beweisaufnahme gestellt werden, in die freie Würdigung des Gerichts gestellt werden sollte, soweit der Antrag zur Wahrheitserforschung nicht erforderlich ist und kein verständiger Grund für die verspätete Antragstellung vorliegt. Gerade dieser das Beweisrecht neu regelnde Teil des Bundesratsentwurfs war jedoch von Beginn an erheblicher Kritik ausgesetzt, 359 der sich auch der Bundestag in seiner Stellungnahme360 anschloß. Dabei stützte sich die Kritik im wesentlichen auf zwei Argumente: Einerseits wurde angeführt, daß die vorgesehenen Regelungen die Verteidigungsmöglichkeiten in bedenklicher Weise beschränken würden. Andererseits wurde das Erreichen des Ziels des Entwurfes in Frage gestellt, soweit hiermit ein Entlastungseffekt angestrebt wurde. Interessant ist aber auch, daß in der Stellungnahme des Bundestages, wenngleich nur indirekt, die Gefahr des Mißbrauchs einer in der freien Würdigung des Gerichts liegenden Ablehnung von Beweisanträgen anklingt: "Außerdem besteht die Gefahr der Zunahme fehlerhafter Entscheidungen infolge der vorgeschlagenen Ausweitung der Zurückweisungsmöglich.keit; zusätzliche Belastungen für Tat- und Revisionsgerichte wären die naheliegende Folge.".361

Die umfassende Kritik an der Neugestaltung des Beweisrechts sollte sich letztlich durchsetzen. Anders verhielt es sich dagegen mit der Problematik der Auslandszeugen: Die hiergegen angeführten Vorbehalte (etwa die zunehmende internationale Verflechtung und wachsende Mobilität der Menschen, Nutzung der modernen Kommunikationswege, Rückgriff auf die Ablehnung eines Beweisantrags Vgl. auch Schulz, StV 1991, 354 (355). BR-Drucks. 314/91, S. 101. 358 BR-Drucks. 314/91, S. 102 (auf Basis einer "ausführlichen" Begründung des Tatgerichts). 359 Siehe insbesondere Schulz, StV 1991 , 354ff. sowie Siegismund/Wickern, wistra 1993, 81 (82, 86) mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 360 BT-Drucks. 12/1217, S. 63 (67). 361 BT-Drucks. 12/1217, S. 63 (67). 356

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IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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gemäß § 244 Abs. 3 S. 2 wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels)362 hatten keine vergleichbaren Konsequenzen, so daß die vom Bundesrat vorgesehene Regelung schließlich in die Strafprozeßordnung aufgenommen wurde.

g) Das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 Weitere Änderungen erfolgten im Jahre 1994 durch die Verabschiedung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes,363 welches das seit Anfang der neunziger Jahre (wieder) zunehmend in den Mittelpunkt der rechtspolitischen Diskussion und Gesetzgebung tretende Interesse an der Bekämpfung terroristischer Gewalttaten und vor allem an Erscheinungen, die unter dem Schlagwort der "Organisierten Kriminalität" zusarnmengefaßt wurden, 364 aufgreift. Die besondere Stellung, die dieses Gesetz im Rahmen der Erörterung des Rechtsmißbrauchs einnimmt, liegt in der Einführung des § 257a begründet, der dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, mißbräuchlichen Anträgen und Anregungen zu Verfahrensfragen mit der Anordnung der Schriftform zu begegnen. In der Begründung dieser neuen Vorschrift im Regierungsentwurf365 wird hierzu ausgeführt: "Aus Hauptverhandlungen in Umfangssachen wird in letzter Zeit zunehmend berichtet, daß die Verfahrensbeteiligten für die Begründung von Verfahrensfragen betreffende Anträge viel Zeit benötigen. Dabei handelt es sich insbesondere um Beweisanträge, Einstellungsanträge, Vertagungsanträge u. a., die - nach schriftlicher Vorbereitung außerhalb der Hauptverhandlung - mündlich vorgetragen werden. Es liegt nahe, bei einer Straffung der Hauptverhandlung hier anzusetzen.".366

BT-Drucks. 12/1217, S. 63 (67). Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze vom 28. 10. 1994, BGBI. I 1994, 3186ff. 364 Siehe hierzu den Gesetzesentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 12/6853, S. l ff. und die allgemeine Begründung, S. 18 ff.; vgl. schon das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. 7. 1992, BGBI. I 1992, 1302, dem allerdings für die Problematik des Rechtsmißbrauchs keine größere Bedeutung beikommt. Ein Überblick über die Maßnahmen dieses Gesetzes findet sich bspw. bei LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. E Rdnr. 142. 365 BT-Drucks. 12/6853, S. 34. 366 Zum Schutzbereich der Norm heißt es dort weiter: "Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen können die Beweisaufnahme in Form von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen oder Beweisanregungen als auch die Zulässigkeil der Verwertung von Beweismitteln betreffen. Aber auch den Verfahrensgang betreffende Anträge, wie solche auf Einstellung des Verfahrens, Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung sind erfaßt. Ausgenommen bleiben Anträge auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 26 Abs. I Satz 2 StPO), weil wegen der von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO verlangten Unverzüglichkeit eine schriftliche Antragstellung nicht immer möglich ist. Ferner bleibt § 258 StPO, der die Schlußanträge (Plädoyers) betrifft, unberiihrt. Auf mündlichen Vortrag kann hier nicht verzichtet werden." 362 363

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

3. Aktuelle Reformvorschläge zur Mißbrauchsbekämpfung

Angesichts des Stellenwerts der Rechtsmißbrauchsproblematik im Strafverfahren und der Intensität der aktuellen Debatte kann es kaum verwundern, daß sich die Diskussion auch auf weitergehende Reform- bzw. Lösungsvorschläge zur Mißbrauchsbekämpfung erstreckt. Die Autoren, die das derzeitige Regelungssystem zur Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs als ausreichend erachten, sind deutlich in der Minderheit. In der jüngsten Vergangenheit ist diese Auffassung beispielsweise von Malmendier367 in bezug auf den Mißbrauch von Verteidigungsrechten vertreten worden, nach dem die Rechtsordnung hinreichende, wenn auch nicht immer optimale Möglichkeiten bietet, der " . .. Flucht ins Prozeßunrecht .. ." wirksam zu begegnen; der Richter müsse nur den Mut haben, sich dieser Mittel auch zu bedienen.368 Demgegenüber stehen jedoch zahlreiche Stimmen, die für Änderungen zwecks Verbesserung der aktuellen Situation des deutschen Strafverfahrens plädieren. Als wesentliche Anknüpfungspunkte dienen hierbei entweder unmittelbar die Erscheinung des Rechtsmißbrauchs oder man stößt auf Erwägungen zur Bekämpfung mißbräuchlicher Verhaltensweisen (erwartungsgemäß) unter dem Stichwort der Verfahrensvereinfachung bzw. -beschleunigung. Es kann im folgenden nun nicht um den von vomherein zum Scheitern verurteilten Versuch gehen, jede der in den letzten Jahren vorgeschlagenen Lösungen bezüglich dieser Problernkomplexe einzeln und bis ins Detail darzustellen. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch auch nicht nötig, denn es sind im groben zwei Leitlinien feststellbar, unter die sich die ganz überwiegende Mehrheit der Vorschläge fassen läßt: 369 Einerseits ist eine starke Strömung in der Literatur und in Gesetzesinitiativen festzustellen, die - gleichsam in der Tradition der gesetzgebensehen Aktivitäten der letzten Jahrzehnte - Lösungen im Strafprozeßrecht durch die Reform von Verfahrensrechten bzw. Ergänzungen seitens des Gesetzgebers vorsehen. Andererseits trifft man aber auch auf Erwägungen im Schrifttum, die grundsätzlich über Verhältnis und Einstellung der Verfahrensbeteiligten zueinander reflektieren. Gegenstand der weiteren Ausführungen ist daher zwecks Vervollständigung des Kapitels die Darstellung dieser beiden Strömungen in der aktuellen Debatte mit ihren wesentlichen Aussagen und Konsequenzen und der in der Literatur hierzu anzutreffenden Kritik. Eine eigene Stellungnahme hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft erfolgt an dieser Stelle noch nicht, sondern bleibt den Erörterungen im Anschluß an die Analyse der herrschenden Mißbrauchsdefinition und des aktuellen Sanktionssystems des Strafverfahrens vorbehalten. Malmendier, NJW 1997,227 (235). Malmendier, NJW 1997, 227 (235); für die Problematik des Scheinbeweisantrags erachtet auch Thole, S. 233, das kodifizierte Instrumentarium der Beweisablehnungsgründe als ausreichend. 369 Wobei nicht ausgeschlossen ist, daß in den zum Teil sehr umfangreichen Reformvorschlägen Elemente beider Leitlinien in Erscheinung treten. 367

368

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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a) Vorschläge für Maßnahmen des Gesetzgebers Innerhalb dieser Auffassung in der Literatur lassen sich die Reformvorschläge weiter differenzieren. Es wird einerseits die Forderung nach der Einführung einer Generalklausel vertreten, durch die ohne weitere Konkretisierung von Fallgruppen die Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs angestrebt wird. Inhaltlich handelt es sich dabei letztlich um eine positiv-rechtliche Ausgestaltung des ungeschriebenen Mißbrauchsverbots, dessen Existenz der BGH und die ihm folgende Rechtsprechung und Literatur bejaht. 370 Andererseits wird vertreten, daß eine mögliche Mißbrauchsbekämpfung in der Stärkung bzw. Verlagerung von Beteiligungsrechten im Verfahrensablauf liegt, was in letzter Konsequenz einen gesetzlichen Eingriff in die Strukturen des Strafverfahrens erfordern würde. Schließlich trifft man auf punktuelle Reformvorschläge hinsichtlich bestimmter Verfahrensrechte, die im wesentlichen den Anwendungsbereich bereits vorhandener mißbrauchssanktionierender Vorschriften verändern wollen. ( 1) Die Einführung einer allgemeinen A1V6brauchsverbotsvorschrij1

Die Forderung nach einer allgemeinen Mißbrauchsverbotsklausel ist vor allem von Rebmann37 1 erhoben worden, zuerst in Zusammenhang mit den Erfahrungen aus den Terrorismusprozessen, 372 später unter dem Schlagwort des Großverfahrens?73 Rehmann erachtet eine solche Klausel für wünschenswert, weil die Gerichte dem formal ordnungsgemäßen Gebrauch gesetzlich vorgesehener Mittel zur Prozeßverschleppung seitens der Verteidigung weitgehend machtlos gegenüber stehen würden und die gegebenen gesetzlichen Abhilfemöglichkeiten zur Ablehnung von Beweisanträgen oder bei Mißbrauch von Frage- bzw. Erklärungsrecht nicht ausreichen würden. 374 Daraus zieht Rehmann den Schluß: "Diese Situation legt die Einführung einer prozessualen Mißbrauchsverbotsklausel nahe. Eine solche Vorschrift könnte etwa dahin gehen, daß Anträge der Beteiligten, die ersichtlich oder gar offenkundig nichts zur Wahrheitstindung beitragen sollen und können, ohne weiteres mit dieser Begründung zurückgewiesen werden können. Ähnlich könnte daran gedacht werden, böswillige oder haltlose sowie sachfremde Fragen und Erklärungen als mißbräuchlich untersagen zu lassen." .375

Vgl. oben B. IV. 1. c) (1). Rebmann, DRiZ 1979, 363 (369); beachte aber auch Kudlich, S. 358 ff.; Kröpil, ZRP 1997,9 (13); Späth, DRiZ 1995, 220 (224); Rörnbke, S. 181 ff. 372 Rebmann, DRiZ 1979, 363 (369). 373 Rebmann, NStZ 1984, 241 (246). 374 Rebmann, DRiZ 1979, 363 (369). 375 Rebmann, DRiZ 1979, 363 (369). 370 371

B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

78

Die Idee einer solchen Generalklausel ist jedoch auf Kritik gestoßen. So lehnt Weber376 eine solche Klausel ab. Sein Kernargument gegen die Einführung einer solchen Regelung liegt hierbei im möglichen Mißbrauch der Mißbrauchsverbotsklausel: Es ließe sich nicht ausschließen, daß die Gerichte nicht nur zweckfremde Prozeßhandlungen, sondern auch solche, die nur lästig und unbequem sind, zurückweisen?77 Dieses Argument ist von der Literatur aufgegriffen worden, 378 zum Teil ergänzt durch den Hinweis auf die Unbestimmtheit des Tatbestands und darauf, daß das hochdifferenzierte und sorgfältig ausbalancierte System prozessualer Befugnisse in der StPO durch weitgespannte Generalklauseln " ... mehr oder minder obsolet .. ." werden würde.379 Dennoch mehren sich gerade in der jüngsten Zeit die Stimmen, die die Einführung einer entsprechenden Vorschrift in das Regelungssystem der Strafprozeßordnung befürworten?80 An einer - ausführlich dargestellten - Rechtfertigung einer allgemeinen Mißbrauchsverbotsklausel hat sich Kudlich versucht, 381 der zwar einerseits auf die Kritikpunkte einer solchen Lösung hinweist, demgegenüber aber vor allem ihre Vorteile betont. Es läge in der Natur des Mißbrauchs, daß er durch betont bestimmte und enge Tatbestände nicht völlig in den Griff zu bekommen sei. 382 Auch seien die Einwände der Kritiker bei näherer Hinsicht nicht so durchgreifend, da eine Mißbrauchsverbotsklausel nur extreme Konstellationen betreffen könnte, die nicht zu gewaltigen Gewichtsverschiebungen, sondern nur zu Regulierungen in der Feinjustierung führen würde. 383 Daneben äußert er seinen Optimismus dahingehend, daß ein unangemessener Gebrauch durch die Tatgerichte nicht stattfindet, weil die Erfahrung zeigen würde, daß grundsätzlich von einer gewissenhaften Pflichterfüllung der Richter und somit von einem verantwortungsvollen Umgang mit einer solchen Klausel auszugehen sei, die obendrein der revisionsgerichtlichen Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht unterliegt: Namentlich durch die Revision würde" ... (zumindest mittelfristig) ..."eine Disziplinierung der Tatgerichte erreicht, wobei angesichts der engen Auslegung der Verschleppungsabsicht durch den BGH nicht die Befürchtung bestehe, daß sich die Grenzen des 376

Weber, GA 1975, 289 (300).

m Weber, GA 1975, 289 (300).

378 z. B. Meyer, JR 1980,219 (220); Kempf, StV 1996,507 (511); Scheftler, JR 1993, 170 (171); Schulz, StV 1991, 354 (362); ganz ähnlich Rüping, JZ 1997, 865 (869); LIR(25)Rieß, Ein!. Abschn. J Rdnr. 37; KK-Herdegen, § 244 Rdnr. 68; Schatz, S. 360ff.; Kühne, NJW 1998, 3027. 379 Vogel, NJW 1978, 1217 (1223). 380 Insbesondere Kudlich, S. 353 ff. ; Kröpil, ZRP 1997, 9 (13); ähnlich, aber offensichtlich deutlich zurückhaltender Gössel, Gutachten, S. C 85 ff., der für entsprechende Maßnahmen im Bereich des Standesrechts plädiert; demgegenüber stellen nach der Überzeugung Gössels Maßnahmen im Bereich des Strafprozeßrechts den schlechteren Weg dar (S. C 86). 381 Kudlich, S. 353 ff.; beachte aber auch Kröpil, JA 1998, 680 (682). 382 Kudlich, S. 356. 383 Kudlich, S. 356.

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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Zulässigen zu weit zum Nachteil des Angeklagten verschieben. 384 Schließlich verspricht er sich bereits durch die bloße Existenz eine gewisse Präventionswirkung, die ihre Anwendung in manchen Fällen nicht mehr erforderlich mache?85 Als Ergebnis seiner Ausführungen bietet Kudlich einen Formulierungsvorschlag an: "Mißbraucht ein Beteiligter sein Recht, Fragen oder Anträge zu stellen, ersichtlich dadurch, daß er keinen in der Befugnis vorausgesetzten Zweck verfolgt, insbesondere offenkundig nichts zur Wahrheitsfindung beiträgt, so können diese als unzulässig zurückgewiesen werden. Im Falle eines fortgesetzten Mißbrauchs kann nach einer Ermahnung die weitere Ausübung der mißbrauchten Befugnisse durch das Gericht beschränkt werden.".386

(2) Verlagerung der Teilhabe- und Teilnahmerechte von Verteidigung und Beschuldigtem in das Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren

Eine beachtliche Meinung im Schrifttum befürwortet im Zusammenhang mit der Rechtsmißbrauchsdiskussion die stärkere Betonung der Verteidigungs- bzw. Beschuldigtenrechte abseits der Hauptverhandlung, was insbesondere für das Beweisantragsrecht gilt. Die sich dahinter verbergende Grundüberlegung besteht darin, den Beweisantrag vornehmlich dieser Verfahrensbeteiligten aus der Hauptverhandlung zurückzudrängen und damit den "Höhepunkt des gesamten Strafverfahrens"387 entsprechend zu straffen. Zur Verwirklichung dieses Anliegens wird beispielsweise die Verlegung des Beweisantragsrechts in das Zwischenverfahren befürwortet. 388 Überwiegend wird in diesem Zusammenhang als Lösung jedoch die Verlagerung bzw. Stärkung des Beweisantragsrechts im Ermittlungsverfahren erörtert,389 wofür auch die Verringerung der Gefahr von Präformierungen des Sachverhalts sprechen würde, die sich in der Hauptverhandlung wenn überhaupt nur mühselig " ... zurechtrücken ..." ließen. 390 Die Stärkung der Teilnahme- und Teilhaberechte im Ermittlungsverfahren könne vieles in der Hauptverhandlung vermeidbar und überflüssig machen. 391 Ein entsprechendes Lösungskonzept hat z. B. Weigend vorgestellt. 392 Im Zusammenhang mit dem Beweisrecht sieht dieses Modell vor, daß der Verteidigung bzw. dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren die Option eröffnet wird, den ErmittKudlich, S. 359. Kudlich, S. 359 f. 386 Kudlich, S. 360. 387 So Roxin, StVR, § 42 Rdnr. 1. 388 Nüsse, StraFo 1997, 34 ff.; beachte in diesem Zusammenhang auch Gössel, Gutachten, s. c 61 ff. 389 Z. B. Bemsmann, ZRP 1994, 329 (332); Richter II, StV 1994, 454 (455); ferner Perron, ZStW 108 (1996), 128 (153). 390 Bemsmann, ZRP 1994, 329 (332). 391 Richter II, StV 1994, 454 (455). 392 Weigend, ZStW 104 (1992), 486 (506ff.). 384 385

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

lungsrichter zur Erhebung von Beweisen zu veranlassen. Eine Ablehnung seitens des Richters soll hierbei nach den Vorschriften des § 244 Abs. 3- 5 erfolgen. Hierfür soll auch das Akteneinsichtsrecht verbessert werden, um dem Beschuldigten die Möglichkeit zur Entwicklung seiner eigenen Beweisposition zu ermöglichen und welches im Gegensatz zur aktuellen Rechtslage nur noch aus eng umrissenen Griinden und nur für bestimmte Zeit versagt werden kann. Zur Absicherung sollen dem Verteidiger Rechtsbehelfe gegen die Versagung bereitgestellt werden. In die gleiche Richtung zielt der Ausbau der Anwesenheits- und Fragerechte der Verteidiger und die Einflußnahme auf die Auswahl von Sachverständigen im Ermittlungsverfahren. Nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens soll bereits an dieser Stelle eine Entscheidung in dem Verfahren aufgrund der Aktenlage möglich sein, indem der zuständige Richter einen zu begrundenden Entscheidungsvorschlag erläßt. Nur für den Fall, daß dieser Urteilsvorschlag auf keine Zustimmung stößt, kommt es zu einer Hauptverhandlung, in dem das Beweisantragsrecht der Verteidigung bzw. des Beschuldigten aber deutlich zurliekgedrängt ist: Die Beweiserhebung liegt im Ermessen des Gerichts, da nur solche Beweisanträge seitens der Richter zu herlieksichtigen sind, die sie im Hinblick auf die Ermittlungsergebnisse noch für bedeutsam halten. Die erneute Aufnahme von Beweisen soll grundsätzlich präkludiert sein, wenn sie bereits im Ermittlungsverfahren in Anwesenheit der Verteidigung erhoben wurden. (3) Die weitergehende Reform bzw. Schaffung von Verfahrensvorschriften

Die überwiegende Mehrheit der Stimmen in der Literatur diskutiert indes die punktuelle Reform von Verfahrensrechten, um die Erscheinung des Rechtsmißbrauchs weiter einzudämmen. Im wesentlichen wird hierfür eine Umstrukturierung oder Einschränkung des Antrags-, Frage-, Erklärungs- oder Rechtsmittelrechts vorgeschlagen. 393 Damit bewegen sich diese Vorschläge in dieselbe Richtung wie die Gesetzgebung der letzten Jahre. (a) Einführung einer Verwirkungsklausel in das Beweisantragsrecht Einen weitreichenden Vorschlag in Zusammenhang mit dem besonders umstrittenen Beweisantragsrecht zwecks Entschärfung mißbräuchlicher Verhaltensweisen hat jüngst Schatz in seiner Untersuchung zum Beweisantragsrecht unterbreitet. 394 Dieser sieht im Kern für den Fall des fortgesetzten Mißbrauchs des Beweisantragsrechts eine (revisionsgerichtlich kontrollierte) Verwirkung dieses Rechts vor, soweit das Gericht drei Beweisanträge wegen Verschleppungsabsicht 393 Aus der jüngeren Literatur z. B. Gössel, Gutachten, S. C 85 ff.; Meyer-Goßner I Ströber, ZRP 1996, 354ff.; Niemöller, StV 1996, 50lff.; Kintzi, DRiZ 1994, 325ff.; Brause, NJW 1992, 2865 ff. 394 Schatz, S. 379 ff.

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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abgelehnt hat. 395 Hierbei soll zwischen Verteidiger und Beschuldigtem eine gegenseitige Zurechnung mißbräuchlicher Beweisanträge erfolgen. 396 Schatz sieht den Vorteil seiner Lösung dabei in der Bekämpfung des exzessiven Mißbrauchs durch " ... permanenten Beschuß ... " mit mißbräuchlichen Beweisanträgen. 397 Zudem handele es sich hierbei um eine relativ klare und einfache Regelung. Dagegen soll es sich nicht um eine unzumutbare Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte handeln, da eine Verwirkung auf dem eigenen Verschulden fuße. Insoweit korreliere das Recht auf Inanspruchnahme von Freiräumen mit der Verantwortung für das eigene Fehlverhalten. 398 (b) Umfangreiche Gesetzesreformen im Sinne des Entwurfs eines zweiten Rechtspflegeentlastungsgesetzes Einen umfassenden Reformkatalog sieht der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vor, der im Jahre 1996 vom Bundesrat vorgelegt wurde und eine Vielzahl der gemachten Lösungsvorschläge zur Mißbrauchsbekämpfung in sich bündelt. 399 Wie schon die vorherige Gesetzgebung sieht dieser Entwurf dabei unter dem Leitmotiv prozeßökonomischer Erwägungen massive Eingriffe in die Rechtsposition von Verteidigung und Beschuldigtem vor, um so den nach Auffassung der Autoren für die Überlastung der Justiz verantwortlichen Mißbrauch von Verfahrensrechten zu bekämpfen. Auf diesen Entwurf soll im folgenden näher eingegangen werden. Die Genese dieses Gesetzesentwurfs weist dabei Parallelen zur Entstehung des Ersten Rechtspflegeentlastungsgesetzes von 1993 auf. Auch hier trifft man auf einen Vorentwurf, der im Vergleich zu der dem Bundestag zugeleiteten Version noch viel weitergehende Vorschläge enthielt, wie z. B die Bestimmung des Umfangs der Beweisaufnahme durch den Strafrichter, Präklusion von Beweisanträgen vor dem Schöffen-, Land- und Oberlandesgericht und Rechtsentzug nach Ahmahnung bei Mißbrauch des Antrags- bzw. Erklärungsrechts.400 Diese Vorschläge treten jedoch im endgültigen Entwurf nicht mehr in Erscheinung.

Die Idee der Mißbrauchsbekämpfung wird in dem Entwurf insbesondere im Zusammenhang mit den Reformvorschlägen im Hinblick auf die Befangenheitsregelungen, das Beweisantrags- und das Rechtsmittelrecht deutlich. So könne nach Auffassung der Entwurfsautoren die bisherige Ausgestaltung der Befangenheitsregelungen der §§ 25, 26a und 29 nicht die gewünschte Effektivität zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen aufweisen,401 was einen entsprechenden Be395 396 397 398 399

400 401

Vgl. den Formulierungsvorschlag eines neu einzufügenden § 245a aufS. 382. Schatz, S. 382 ff. Schatz, S. 384 f. Ausführlich Schatz, S. 386 ff. BT-Drucks. 13 I 4541. Ausführlicher zu diesem unveröffentlichten Entwurf Cramer, ZRP 1995, 268 ff. BT-Drucks. 13 I 4541, S. 11.

6 Abdallah

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

darf nach Reformen begründe. In der allgemeinen Begründung des Entwurfs stößt man hierbei auf folgende Ausführungen: "Im Vordergrund stehen hierbei die Möglichkeiten des prozessualen Mißbrauchs jenseits einer offensichtlichen Verfahrensverschleppung oder Verfolgung verfahrensfremder Zwecke i.S. des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StP0."402

Zunächst soll der Schutzbereich des § 25 ausgedehnt werden. Anknüpfend an die bestehende Rechtslage führt der Entwurf hierzu aus: "Der Entwurf gibt die in den bisherigen Fassungen der Vorschrift enthaltene Konzeption einer generellen zeitlichen Befristung der Zulässigkeil eines . .. Ablehnungsgesuches und einer entsprechenden Ausnahmeregelung auf und knüpft die Zulässigkeil in Absatz 1 der Vorschrift grundsätzlich an die unverzügliche Geltendmachung der Ablehnungsgründe.".403

Auch die Regelung des § 26a steht in der Kritik, die auf den offensichtlich zur Verfahrensverschleppung gerichteten Befangenheitsantrag abstellt. Dieser Ablehnungsgrund gelange nur selten zur Anwendung, weil sich nach Auffassung des Entwurfs eine entsprechende Absicht nur ausnahmsweise zweifelsfrei feststellen ließe. 404 Die Gesetzesinitiative ergänzt dementsprechend § 26a um eine weitere Tatbestandsvariante: Danach soll die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags auch dann möglich sein, wenn er als "offensichtlich unbegründet" zu erachten sei. Unter Rückgriff auf die insoweit wortgleich ausgestalteten §§ 313 Abs. 2, 349 Abs. 2 soll ein Ablehnungsgesuch diese Eigenschaft dann aufweisen, " ... wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, daß die vorgebrachten Gründe nicht geeignet sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu begründen.".405

Im Rahmen des Beweisrechts geht der Entwurf auf die Vorschläge zum Ersten Rechtspflegeentlastungsgesetz zurück.406 Unter Verweis auf die strengen revisionsgerichtlichen Anforderungen hinsichtlich der Begründung im Rahmen des § 244 Abs. 3 S. 2 wird befürwortet, die Feststellung der Verschleppungsabsicht in die freie Würdigung des Gerichts zu stellen. Sehr weitgehend sind schließlich auch die Reformvorschläge bezüglich des Rechtsmittelrechts. Das gilt nicht nur für die Extension der Annahmeberufung auf Verurteilungen bis zu neunzig Tagessätzen und den Ausschluß der Sprungrevision in diesem Bereich, sondern auch für die Einführung des Wahlrechtsrnittels, nach dem bei amtsgerichtliehen Verurteilungen nur die Möglichkeit eröffnet wird, entweder Berufung oder Revision einzulegen und somit lediglich ein Rechtsmittel zur 402 403 404 405 406

BT-Drucks. 1314541, S. 11. BT-Drucks. 13 I 4541, S. 15. BT-Drucks. 1314541, S. 11. BT-Drucks. 1314541, S. 16. So ausdrücklich BT-Drucks. 13 I 4541, S. 13.

IV. Entwicklung der Rechtsmißbrauchsdiskussion seit 1945

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Verfügung steht. Die mißbrauchsbekämpfende und verfahrensbeschleunigende Wirkung dieser Restriktion begriindet der Entwurf dabei wie folgt: "Wenn jedem grundsätzlich nur ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, wird das Verfahren abgekürzt, der Rechtsschutzanspruch aber gleichwohl gewährleistet. In der Berufungsinstanz entfallt der Anreiz zu solchen Anträgen, die lediglich den Boden für eine Revision bereiten sollen.".407

Der Gesetzentwurf hat angesichts seiner weitreichenden Maßnahmen deutliche Kritik hervorgerufen, die insbesondere von Frister formuliert wird. 408 Dieser macht zunächst in Hinblick auf die Neuregelung des§ 25 geltend, daß diese letztlich nur das Ziel habe, die Befangenheitsanträge aus der Hauptverhandlung zu verbannen. Da die Ablehnung des Richters auch schon vor der Hauptverhandlung schriftlich geltend gemacht werden müsse, sieht er die öffentliche Kontrolle der Strafjustiz gefährdet. 409 Auch die Stellungnahme des Bundestages zu dem Gesetzentwurt 10 steht diesem Reformvorhaben kritisch gegenüber, da die Neuregelung des § 25 zwecks Beschleunigung des Verfahrens und Mißbrauchsbekämpfung gerade den gegenteiligen Effekt hervorrufen könnte: "Der Regelungsvorschlag . . . kann aber auch den Beschuldigten im Einzelfall zwingen, seinen Richter, über den er möglicherweise ablehnungsgeeignete Umstände erfahren hat, vorsorglich abzulehnen, noch bevor er ihn in der Hauptverhandlung erlebt hat. Die generelle Pflicht zur unverzüglichen Ablehnung kann daher zu einer Zunahme von Ablehnungsanträgen bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung führen und damit die Gerichte zusätzlich belasten.". 411

Die Erweiterung des § 26a wird ebenfalls kritisch gewürdigt. Zu hinterfragen sei dabei bereits die Motivation der Entwurfsautoren, den Mißbrauch prozessualer Rechte zu Zwecken zu vereiteln, die nicht unter die Motive der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke oder der Prozeßverschleppung fallen würden. Frister412 steht in diesem Zusammenhang auf dem Standpunkt, daß sich der Rechtsmißbrauch genau in diesen Fallgruppen erschöpft und es einen prozessualen Mißbrauch jenseits dieser Zwecke nicht gebe. Deshalb sei die Umgestaltung des § 26a auch keine Mißbrauchsregelung, sondern erfasse genau die Fälle, in denen ein prozessualer Mißbrauch nicht nachzuweisen sei. Die in dieser Kritik anklingende Gefahr eines Mißbrauchs der Regelung seitens der Gerichte kommt auch in der Stellungnahme des Parlaments zum Ausdruck, die die Befürchtung sehr eindeutig unter Rückgriff auf die praktischen Erfahrungen 407 408 409

410

411 412

6*

BT-Drucks. 13 I 4541, S. 24. Frister, StV 1997, 150ff. Frister, StV 1997, 150 (151); beachte auch ders., StV 1994, 445 (450). BT-Drucks. 13/4541 (Anlage 2), S. 32. BT-Drucks. 13/4541 (Anlage 2), S. 32. Frister, StV 1997, 150(151).

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

mit § 349 Abs. 2 formuliert, dem die neu einzufügende Regelung des § 26a nachgebildet ist: "Die hohe Quote der nach § 349 Abs. 2 StPO als "offensichtlich unbegründet" verworfenen Revisionen ... läßt es als naheliegend erscheinen, daß die Praxis einen Ablehnungsantrag in der Mehrzahl der Fälle als "offensichtlich unbegründet" erachten würde. Es ist daher zu befürchten, daß es vermehrt zu Urteilsaufhebungen im Revisionsverfahren kommen wird, wenn Ablehnungsanträge - unter Mitwirkung des betroffenen Richters - voreilig als "offensichtlich unbegründet" verworfen werden.". 413

Die Kritik des Bundestages kann jedoch entsprechend den Ausführungen Fristers nicht für sich in Anspruch nehmen, die ganze Tragweite dieser Reformvorschrift zu verdeutlichen, denn die fehlerhafte Behandlung eines unbegründeten Ablehnungsgesuches ist nach der Rechtsprechung des BGH gar nicht geeignet, die Revision zu begründen. 414 Die Option einer Aufhebung "voreilig" verworfener Befangenheitsanträge spricht damit eine Abhilfemöglichkeit an, die nicht besteht. Auch die Reform des § 244 stößt auf erhebliche Einwände. Während die Stellungnahme des Bundestages415 an dieser Stelle auf die Vorbehalte verweist, die schon zu dem wortgleichen Vorschlag im Rahmen des Ersten Rechtspflegeentlastungsgesetzes gemacht wurden und insoweit (wie schon hinsichtlich des § 26a) den Mißbrauch des Mißbrauchstatbestandes andeutet, macht Frister darüber hinaus darauf aufmerksam, daß hierdurch in letzter Konsequenz das gesamte Beweisantragsrecht zur Disposition der Tatgerichte stünde. Dieses ergebe sich aus der "kompensatorischen Funktion" des Beweisantragsrechts. Sinn und Zweck lägen gerade darin, daß Gericht zu Beweiserhebungen zu zwingen, die sich aus dessen Sicht als verfahrensverzögernd darstellen, denn soweit das Gericht selbst die Erhebung eines Beweises für erforderlich hält, greife ohnehin seine Amtsaufklärungspflicht ein. Damit wären alle sonstigen Beweisanträge von dem neugestalteten Verwerfungsgrund erfaßt. 416 Schließlich ist auch die Reform des Rechtsmittelrechts in die Kritik geraten. Übereinstimmend wird ausgeführt, daß die Extension der Annahmeberufung ebenso wie der Ausschluß der Sprungrevision faktisch zu einer Unanfechtbarkeit nahezu aller amtsgerichtliehen Verurteilungen führen würde.417 Daran ändere sich auch nichts durch den Rückgriff auf das Kriterium der Offensichtlichkeit, dessen Einhaltung letztlich keinerlei Nachprüfung ausgesetzt sei. 418

BT-Drucks. 13/4541, S. 32f. Frister, StV 1997, 150 (151) mit Verweis auf BGHSt 23, 200 (202); BGHSt 23, 265 (267); BGH NJW 1985,443 f. 415 BT-Drucks. 13/4541, S. 34. 416 Frister, StV 1997, 150 (153). 417 BT-Drucks. 13 I 4541, S. 35; Frister, StV 1997, 153 (155). 418 Frister, StV 1997, 153 (155). 413

414

V. Zusammenfassung des Kapitels B.

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b) Erwägungen bezüglich des Verhältnisses bzw. des Dialogs der Verfahrensbeteiligten untereinander In der aktuellen Debatte findet man schließlich aber auch Stimmen, die abseits der üblichen Reformvorschläge die Lösung des Problems in der veränderten Einstellung der Verfahrensbeteiligten untereinander sehen. So hat Kühne die Notwendigkeit gesetzgebenscher Maßnahmen -wie beispielsweise die Einführung eines allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbots oder die restriktivere Interpretation von prozessualen Rechten - in Frage gestellt. Entscheidend sei der Abbau wechselseitigen Mißtrauens bzw. der potentiellen Feindseligkeit der juristischen Akteure und eine Besinnung auf die professionale Kollegialität. 419 Schlüchter420 verbindet dieses Anliegen mit einem Appell an die Loyalität der Prozeßsubjekte. Nur ein Grundvertrauen schaffe die Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenwirken der am Strafverfahren beteiligten Personen. Damit untrennbar verbunden sei die Einsicht, daß Einzelregelungen nur im Einklang mit dem Prozeßzweck genutzt werden dürfen. Der Mißbrauch von Macht hingegen würde indes nur zu einem gefährlichen Kreislauf führen, in dem der Gesetzgeber die bisher Berechtigten entrechten würde und für einen Zuwachs von Rechten bei anderen Prozeßsubjekten sorgt. Hierin liegt die Gefahr des Machtmißbrauchs.

Nach Bernsmann421 sollte der demokratische Rechtsstaat auf disziplinierende Unfreiheit im Strafverfahren verzichten und zu einem möglichst offenen Dialog der Beteiligten in der Hauptverhandlung übergehen. Ein Gericht, das Mut zur Transparenz zeige, nehme auch den anderen Verfahrensbeteiligten die häufig prozeßhemmende Unsicherheit und Verschlossenheit. Hierin liegen nach seiner Ansicht noch weitgehend ungenutzte Chancen zur Prozeßstraffung, die von vomherein verspielt werden, wenn während der Hauptverhandlung ausschließlich das Gericht mit der Herstellung der "Wahrheit" betraut ist und der Angeklagte - außer im Falle seines Geständnisses - sich an diesem Vorgang nicht mehr aktiv beteiligen kann. V. Zusammenfassung des Kapitels B. Es stellt sich am Ende dieses Kapitels die Frage, welche wesentlichen Erkenntnisse sich aus der aufgezeigten Entwicklung des Rechtsmißbrauchsproblems bis in die Gegenwart ziehen lassen. Diese lassen sich wir folgt darstellen: Festzustellen ist zunächst, daß die Erscheinung des Rechtsmißbrauchs aus historischer Sicht kein neuartiges Phänomen des Strafverfahrens ist. Schon seit den 419 420

(167). 421

Kühne, StV 1996, 684 (689). SK(StPO)-Schlüchter, vor § 213 Rdnr. 2ff.; kritisch hierzu Herzog, StV 1994, 166 Bernsmann, ZRP 1994, 329 (331 (a. E)); vgl. auch Hamm, NJW 1997, 1288 (1290).

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B. Erscheinungsformen und Behandlung des Rechtsmißbrauchs

ersten Ansätzen einer einheitlichen Kodifikation des deutschen Strafprozesses im Mittelalter hat die Diskussion um die Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs nicht nur über Jahrhunderte hinweg die einschneidenen Reformen bzw. Gesetzeswerke maßgeblich bestimmt, sondern war überdies das auslösende Moment, das den jeweiligen Reformbewegungen zugrunde lag. Dieser Umstand verdeutlicht den eigentlichen Stellenwert dieses Problemkreises: Entstehung bzw. Entwicklung des deutschen Strafprozeßrechts sind mit der Diskussion um den Rechtsmißbrauch untrennbar verknüpft, wobei dieser Befund in gleichem Maße sowohl für die Carolina aus dem Jahre 1532 als auch für die Reichsstrafprozeßordnung von 1879 und die Entwicklung des deutschen Strafverfahrensrechts im zwanzigsten Jahrhundert gilt. Es hat sich bei der Untersuchung aber auch gezeigt, daß die historische Entwicklung der Mißbrauchsbekämpfung in großem Umfange von dem Anliegen geprägt war, den Mißbrauch auf Seiten der staatlichen Strafverfolgung zu bekämpfen. Dieser Befund mag angesichts der aktuellen Diskussion des Rechtsmißbrauchs als "Domäne" des Verteidigungs- und Beschuldigtenverhaltens überraschen, zeigt sich jedoch deutlich, wenn man die Entwicklung des Strafprozeßrechts seit Ende des 15. Jh. genauer betrachtet. Anlaß der jeweiligen Reformmaßnahmen war nicht der "mißbrauchende" Beschuldigte, sondern die willkürlich agierende staatliche Strafverfolgung. Die notwendige Abhilfe konnte daher nur im Ausbau der Beschuldigten- bzw. Verteidigungsrechte liegen. Vergleicht man diesen Befund mit der bereits eingangs dieses Abschnitts dargestellten Behauptung von Stankewitz, nach der es Rechtsmißbrauch " ... schon ..." gebe, seitdem Angeklagte das Recht zur Verteidigung haben, so muß sich eine solche Feststellung dem Vorwurf ausgesetzt sehen, entweder über mangelnden historischen Realitätsbezug zu verfügen oder doch zumindest mißverständlich formuliert zu sein. Die bisherigen Befunde dieser Untersuchung fördern ein ganz anderes Ergebnis zu Tage: Die Rechte des Beschuldigten und damit auch sein Recht auf Verteidigung finden ihre historische Grundlage gerade in dem Mißbrauch von Verfahrensrechten durch die Strafverfolgungsorgane, so daß der Verdacht nahe liegt, daß mit einer solchen Aussage Ursache und Wirkung verwechselt werden. Erst die Etablierung der Beschuldigtenrechte durch die Reichsstrafprozeßordnung stellte den entscheidenden Wendepunkt in dieser Entwicklung dar, nach dem die ursprungliehe Erörterung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren als Phänomen staatlicher Strafverfolgung zunehmend zur Debatte des Mißbrauchs von Verteidigungs- bzw. Beschuldigtenrechten gerierte, insbesondere hinsichtlich der Absicht der Prozeßverschleppung. Dementsprechend änderte sich auch die Tendenz in der Gesetzgebung, die sich im Laufe der Zeit mehr und mehr darauf konzentrierte, zwecks Bekämpfung mißbräuchlicher Verhaltensweisen in die Stellung dieser Verfahrensbeteiligten einzugreifen. Die Möglichkeit des Mißbrauchs seitens der staatlichen Organe trat zwar in der Geschichte des deutschen Strafverfahrens wiederholt und mit fatalen Konsequenzen in Erscheinung, ohne allerdings in den vergangenen Jahrzehnten in vergleichbarem Maße für Diskussionen gesorgt zu haben wie der Mißbrauch von Beschuldigten und Verteidigern.

VI. Der weitere Gang der Untersuchung

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Die naheliegende Erklärung hierfür liegt in einem weiteren Befund dieses Kapitels: Die Erscheinung des Rechtsmißbrauchs war und ist ein wesentliches Element prozeßökonomischer Erwägungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung. Dieser Umstand zeigt sich insbesondere in der Entwicklung seit den Großverfahren Anfang der siebziger Jahre. Die Mißbrauchsbekämpfung mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung steht heute im ~ittelpunkt des Interesses. Die negativen Konsequenzen des Rechtsmißbrauchs werden in der Überlastung der Strafjustiz gesehen. Handlungsbedarf wird dementsprechend dort angemahnt, wo bestimmte Verhaltensweisen im Strafverfahren zu dessen unökonomischer Verlängerung führen. Bereits in der Einleitung zu dieser Untersuchung wurde dargelegt, daß hiervon gerade die Inanspruchnahme von Verteidigungsrechten tangiert ist. Letztlich läßt die Darstellung des Mißbrauchs von Verteidigungsrechten anhand einiger Beispielsverfahren und der Gesetzgebung hinsichtlich seiner Erscheinungsformen bereits an dieser Stelle die Erkenntnis zu, daß insbesondere in den Fällen des exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten besondere Probleme bei der Mißbrauchsbekämpfung auf Basis des geltenden Rechts zu vermerken sind. Diese Erkenntnis gilt es im folgenden besonders zu berücksichtigen. VI. Der weitere Gang der Untersuchung Handelte es sich bei den bisherigen Ausführungen um eine ausführlichere Einführung in die Thematik dieser Arbeit, so wird sich nun im folgenden Kapitel das Interesse auf den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs verlagern, auf dessen Grundlage zu entscheiden ist, welche Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten als rechtsmißbräuchlich zu qualifizieren sind. Als Ausgangspunkt für dieses Vorgehen dient dabei die Definition des Rechtsmißbrauchs, wie sie von der herrschenden Meinung zugrunde gelegt wird. In einem ersten Schritt wird diese Begriffsbestimmung hinsichtlich ihrer einzelnen Merkmale genauer untersucht. Der zweite Schritt besteht dann darin, diese Definition kritisch zu würdigen und dabei zu überprüfen, welche Erscheinungen des modernen Strafverfahrens hierunter zu subsumieren sind, wohlgemerkt unter Berücksichtigung aller Verfahrensbeteiligten und den verschiedenen Abschnitten des Strafverfahrens. Dabei geht es nicht um die Überprüfung aller theoretisch denkbaren Möglichkeiten des Fehlgebrauchs von Verfahrensrechten. Der weitere Gang der Untersuchung wird sich ganz bewußt auf eine Auswahl praktisch relevanter Beispiele aus Rechtsprechung und Literatur konzentrieren, mittels derer die Konsequenzen der herrschenden Mißbrauchsdefinition aufgezeigt werden sollen. Den Abschluß dieses Abschnitts wird sodann eine Analyse dieser Begriffsbestimmung bilden, verbunden mit der Frage, ob auf der Grundlage der herrschenden Meinung eine zufriedenstellende Mißbrauchsbekämpfung möglich ist. Sollte sich der Ansatz der herrschenden Meinung als defizitär erweisen, so wird über einen anderen Ansatz nachzudenken sein.

C. Die Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes Verfolgt man das Anliegen, Erscheinungen des Strafverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmißbräuchlichkeit zu untersuchen, so bedarf es hierfür zunächst einer Begriffsbestimmung, die es ermöglicht, mißbrauchsverdächtige VerfahrenshandJungen unter den Begriff des Rechtsmißbrauchs zu subsumieren.

I. Die Definition der herrschenden Meinung

Sucht man in Rechtsprechung und Literatur dementsprechend nach einer Ausfüllung dieses Begriffes, so stößt man auf eine Definition, die von Kröpil als einhellig herrschende Auffassung eingeordnet und von ihm aus§ 241 Abs. 1 abgeleitet wird. 422 Rechtsmißbrauch im Strafverfahren ist hiernach darin zu sehen, daß ein Verfahrensbeteiligter ein durch die StPO ihm eingeräumtes Recht dazu benutzt, um ausschließlich verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke zu verfolgen. Diese Begriffsbestimmung kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie schon früh vom Reichsgericht angewendet wurde423 und auch der BGH in seiner Rechtsprechung auf diese Formel zurückgreift. 424 Aber auch in der Literatur trifft man unter zum Teil wörtlicher Wiedergabe der Judikatur auf ihre Anerkennung. 425 Greift man diese Definition auf, so zeigt sich ein zweigliedriger "Tatbestand", der sich aus einem objektiven und einem subjektiven Tatbestandsmerkmal zusammensetzt. 1. "Objektiver Tatbestand": Formal ordnungsgemäßer Gebrauch eines Verfahrensrechts

Danach setzt Rechtsmißbrauch die formal ordnungsgemäße Inanspruchnahme eines Verfahrensrechts voraus. Die Besonderheit des Rechtsmißbrauchs liegt gerade darin, daß sich seine Annahme zunächst auf das Vorliegen formaler Voraussetzungen stützt, die sich nicht von nichtmißbräuchlichen Verfahrenshandlungen Kröpil, JA 1998,680 m. w. N.; ders., JR 1997, 315 f.; ders., DRiZ 1996,448. Beachte RGSt 65, 304 ff. 424 BGHSt 38, 111 (113). 425 KK-Pfeiffer, Einleitung Rdnr. 22a; LIR(24)-Gollwitzer, Vorb. § 226 Rdnr. 49; Kröpil, JR 1997, 315. 422 423

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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unterscheiden. Zur Konkretisierung des objektiven Tatbestands der herrschenden Mißbrauchsdefinition ist daher in einem ersten Schritt festzustellen, daß eine formal ordnungsgemäße Inanspruchnahme dann vorliegt, wenn sie den Regelungen des Strafprozeßrechts entspricht. Logische Konsequenz hieraus ist die Ermittlung derjenigen Vorschriften bzw. Formbestimmungen, die das geltende Strafverfahrensrecht für die jeweilige Verfahrenshandlung vorsieht. Als Beispiel hierfür dient etwa der Befangenheitsantrag, für dessen Ausgestaltung und Anwendung die §§ 25 ff. bestimmte Anforderungen stellen. Doch nicht überall lassen sich die formalen Anforderungen aus dem Gesetz selbst entnehmen. Das gilt insbesondere für den hinsichtlich der Erörterung des Rechtsmißbrauchs besonders relevanten Beweisantrag, der durch die StPO nicht definiert, sondern im Rahmen der Regelungen der Beweisaufnahme vorausgesetzt wird.426 Hier ist an die Stelle entsprechender Vorschriften die Konkretisierung durch die Judikatur getreten. So ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH unter einem Beweisantrag ein in der Hauptverhandlung gestelltes Verlangen seitens der Verfahrensbeteiligten an das Gericht zu verstehen, über eine bestirrunte, die Schuld- oder Straffrage betreffende Behauptung mit einem bestirrunt bezeichneten, von der StPO anerkannten Beweismittel Beweis zu erheben. 427 Ein weiteres - ebenfalls noch ausführlich zu erörterndes Beispiel - sind die strafprozessualen Absprachen. 428 Auch hier ist die Fixierung der Voraussetzungen nur über die bisher hierzu ergangene Judikatur möglich. 429 Demnach soll die Zulässigkeit der Absprache im Strafverfahren an folgende Kriterien geknüpft sein: Einbeziehung aller Verfahrensbeteiligten, kein unzulässiger Druck auf den Angeklagten, keine verbindliche Zusage des Gerichts zur Strafhöhe bzw. Abverlangen eines Rechtsmittelverzichts, Einbindung der Verfahrensöffentlichkeit, rechtmäßige Vereinbarung sowie unrechtsadäquate Strafe.430 Die Handhabung des Merkmals der formalen Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrenshandlung innerhalb der herrschenden Rechtsmißbrauchsdefinition bereitet Beulke, StPR, Rdnr. 435. BGHSt 6, 128 (129); BGH NStZ 1991, 541; Beulke, StPR, Rdnr. 435ff. m. w. N.; beachte hierzu aber auch die "Herabwürdigung" von Beweisanträgen zu Beweisermittlungsanträgen; dazu unten D. I. 4. c) (1). 428 Die Terminologie in Zusammenhang mit dieser Erscheinung des Strafverfahrens ist nicht einheitlich. So wird die Absprache auch als "Deal", "Verständigung" oder "Vergleich" bezeichnet; vgl. zu dieser Thematik neben den im folgenden aufgeführten Nachweisen etwa Deal, StV 1982, 545 ff. ; Schünemann, Gutachten, S. B 1 ff.; Nestler-Tremel, KritJ 1989, 448 ff.; Gatzweiler, NJW 1989, 1903 ff.; zusammenfassend Küpper/Bode, Jura 1999, 351 ff.; Meyer-Goßner, StraFo 2001, 73 ff. ; die im folgenden in Erscheinung tretenden Kennzeichnungen werden synonym verwandt. 429 Vgl. auch die Zusammenstellung der durch die Rechtsprechung begründeten Kriterien bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, Ein!. Rdnr. l19ff.; Volk, StPR § 30 Rdnr. 5; Weigend, NStZ 1999, 57 (58 f.). 430 Siehe Weigend, NStZ 1999, 57 (58 f.). 426 427

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

daher angesichts gesetzlicher Regelungen und hinreichender Ausgestaltung durch die Rechtsprechung nur wenige Probleme.

2. "Subjektiver Tatbestand": Zu ausschließlich "verfahrensfremden"

oder" verfahrenswidrigen" Zwecken

Ganz anders verhält es sich jedoch mit der Ermittlung des subjektiven Tatbestandsmerkmals, nach dem der jeweilige Prozeßbeteiligte das von der Strafprozeßordnung eingeräumte Verfahrensrecht zu "verfahrensfremden" oder "verfahrenswidrigen" Zwecken gebrauchen muß. Dieses subjektive Merkmal macht letztlich das entscheidende Kriterium aus, anband dessen der Normalfall der Inanspruchnahme von Rechten und Mißbrauch voneinander abzugrenzen sind. Damit gilt es die Frage zu beantworten, wann sich ein Verfahrensverhalten als verfahrensfremd oder -widrig darstellt. Gemeinhin wird zur Konkretisierung dieser Begriffe folgende Definition angeboten: 431 Prozeßfremde Zwecke432 sind solche, die gänzlich außerhalb des Verfahrens liegen, z. B. wenn der Handelnde die Form des Verfahrens dazu benutzt, um Beleidigungen und Beschimpfungen zu äußern bzw. die Hauptverhandlung als Bühne politischer Agitation oder als Forum ideologischer Bekenntnisse nutzen will. Prozeßwidrige Zwecke richten sich dagegen auf Ablauf und Schicksal des Strafverfahrens, sollen aber mit seiner Funktion insgesamt bzw. einzelnen Grundsätzen seiner rechtlichen Ordnung nicht vereinbar sein. Als Beispiele hierfür führt Niemöller insbesondere die Prozeßverschleppung und die Verfahrensvereitelung an.433 Betrachtet man diese Definitionsansätze genauer, so wird schnell ersichtlich, daß hierdurch noch keine Basis geschaffen ist, die eine hinreichende Ausfüllung des Mißbrauchstatbestands bzw. seine Anwendung auf den praktischen Einzelfall zulassen würde. Der Grund hierfür liegt darin, daß sowohl die allgemeine Rechtsmißbrauchsdefinition der herrschenden Meinung als auch die Konkretisierungsversuche ihr Fundament in dem Verfahrenszweck finden, ohne diesen allerdings näher zu bestimrnen: 434 Ob ein Verfahrensrecht nach der herrschenden Definition durch einen Prozeßbeteiligten zu verfahrensfremden oder -widrigen Zwecken gebraucht wird läßt sich nur dann feststellen, wenn man den Zweck des Strafverfahrens einzuordnen vermag. Die Konsequenz aus dieser Feststellung kann somit nur darin liegen, daß es hinsichtlich der Anwendung der herrschenden Mißbrauchsdefinition auf mißbrauchsverdächtige Verhaltensweisen der Prozeßbeteiligten der vorherigen Bestimmung des Zwecks des Strafverfahrens bedarf.

431 432 433 434

Z. 8. Niemöller, StV 1996, 501 (502 ff.). Die Begriffe "Verfahren" und "Prozeß" werden synonym verwendet. Niemöller, StV 1996, 501 (502 ff.). Zutreffend Kröpil, JZ 1998, 135 (unter 1).

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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a) Zweckbestimmung des Strafverfahrens Begegnet man jedoch der Fragestellung nach dem Zweck des Strafverfahrens in der Erwartung, hierauf eine klar konturierte Antwort zu erhalten, so sieht man sich enttäuscht. Das Problem des Prozeßzwecks gehört zu den am wenigsten gelösten Problemen der Prozeßrechtslehre435 und so ist bereits die Frage umstritten, ob eine abstrakte Definition des Prozeßzweckes überhaupt zulässig sei. Namentlich von Hippet36 hat dieses Unterfangen als unzulässig abgelehnt, da die Suche nach allgemein verbindlichen Begriffsbestimmungen bestenfalls zu "Leerkategorien" wie etwa dem Begriff der Gerechtigkeit führen würde. Angesichts der Ausführungen in Judikatur und Schrifttum zu dieser Problemstellung in bezug auf den Strafprozeß ist man geneigt, dieser Einschätzung zu folgen, denn die dort aufgeführte Kumulation von Verfahrenszwecken hinterläßt den Eindruck des redundanten Gebrauchs verschiedenster, mehr oder weniger abstrakter Zweckbestimmungen, die den Verdacht nahelegen, daß es auf eine präzise Festlegung in der Praxis entweder ohnehin nicht ankommt437 oder daß es den Verfahrenszweck gar nicht gibt. So liest man in Rechtsprechung und Literatur diesbezüglich etwa von der " .. . Hauptaufgabe . . ." der Durchsetzung des legitimen staatlichen Strafanspruchs;438 dem " ... zentralen Anliegen ..." der Ermittlung der Wahrheit;439 der Schaffung von Gerechtigkeit als " ... oberste Aufgabe ...",440 vom Rechtsfrieden als".. . letztlich ... übergeordnetes Ziel. .. " 441 und vom Schutz des Individuums vor staatlichem Machtrnißbrauch, da ein modernes Strafverfahren die Aufgabe habe, die Macht der Staatsgewalt zu bändigen. 442 Diese Aufzählung findet regelmäßig ihren Abschluß in allumfassenden Zweckdefinitionen, die (gegebenenfalls unter besonderer Betonung eines dieser soeben aufgezeigten Verfahrenszwecke) die verschiedenen Ansätze miteinander kombinieren. 443 Doch die Differenzierungsversuche gehen noch weiter und beschränken sich nicht nur auf inhaltliche Abgrenzungen, sondern finden ihre Fortsetzung auch auf terminologischer Ebene: Wahrend wohl überwiegend die Begriffe des Verfahrenszwecks und Verfahrensziels bei der Erörterung der hier zu beantwortenden Frage Kudlich, S. 203. v. Hippe! ZZP 65 (1952), 424 (432f.). 437 Zu dem Gedanken mangelnder praktischer Bedeutung der Zweckbestimmung des Strafverfahrens vgl. auch Weigend, Deliktsopfer, S. 175. 438 LIR(24)-Schäfer, Ein!. 6 Rdnr. 27; Beulke, StPR, Rdnr. 3m. w. N. 439 Z. B. BVerfG NStZ 1987,419. 440 Günther, JR 1978, 89 (93). 441 Schrnidhäuser, FS Eb. Schrnidt, S. 511 (515); LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. B Rdnr. 4; siehe auch Schatz, S. 204: "Generalziel". 442 LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. B Rdnr. 6 (unter c); beachte auch Roxin, StVR, § 1 Rdnr. 2ff. 443 Z. B. Kleinknecht/Meyer-Goßner, Ein!. Rdnr. 4; LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. B Rdnr. 4. 435

436

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

synonym verwendet werden,444 will Rieß darüber hinaus eine Trennung zwischen den Begriffen des Verfahrensziels, den Verfahrenszwecken und den Funktionen des Strafverfahrens vomehmen. 445 Einerseits ist nach seiner Auffassung Ziel des Strafprozesses die Herstellung (oder Erhaltung) von Rechtsfrieden durch eine justizförmige, den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechende, auf Wahrheitsfindung ausgerichtete und an Gerechtigkeitsvorstellungen orientierte optimale Realisierung des materiellen Strafrechts; andererseits soll der Zweck des Strafverfahrens im wesentlichen in der Gewährleistung der Freiheit des einzelnen liegen. Davon zu unterscheiden sind nach seiner Ansicht die Funktionen des Strafverfahrens: Ausgehend vom Verfahrensziel und den Verfahrenszwecken sollen sich auf der Grundlage des gegenwärtigen Strafprozeßrechts mehrere Funktionen des Strafprozesses unterscheiden lassen.446 Nach seiner Auffassung steht hierbei die strafrechtliche Würdigung (d. h. die Klärung der Frage, ob die materiell-strafrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, jemanden strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen) im Vordergrund, weiterhin die Konkretisierung der Sanktion und Vorgabe der gesetzlichen Eingriffsermächtigungen. Ob eine derartige Differenzierung zweckmäßig ist, erscheint jedoch zweifelhaft, denn diese vermeintlich eindeutige Zuordnung von Begriffen dürfte mehr intuitiv denn rational begrundbar sein. So lassen sich keine zwingenden Griinde erkennen, welche die von Rieß vorgenommene Zielbestimmung nicht auch als Zweckbestimmung zulassen würden. Und was würde gegen die Aussage sprechen, daß die Funktion des Strafverfahrens im Beschuldigtenschutz liege und man insoweit ohne weiteres auf die Entstehungsgeschichte des rechtsstaatliehen Strafverfahrens verweisen könnte? Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß sich letztlich womöglich doch (marginale) Unterschiede zwischen diesen Begriffen konstruieren lassen. Allerdings müßte dann zwecks Nachweises der argumentative Aufwand deutlich über den kaum konkretisierten Hinweis hinausgehen, daß diese Begriffe voneinander "zu unterscheiden" seien. Sachgerechter erscheint es daher, von einer derartigen Differenzierung abzusehen und an der synonymen Verwendung der Begriffe Zweck und Ziel festzuhalten. Dennoch weist dieser "Kampf um Begrifflichkeiten" auf das eigentliche Problem hin, das durch die herrschende Mißbrauchsdefinition aufgeworfen wird und zu einer eigentümlichen Situation führt: Kann man im anderen Zusammenhang die Frage nach dem Verfahrenszweck ohne weiteres durch eine undifferenzierte Ausfüllung des Zweckbegriffs mit " . . . längst anerkannten Axiomen ..." 447 des Strafverfahrens beantworten, der letztlich keinerlei praktische Relevanz zukommt, wirft an dieser Stelle eine derart beiläufige bzw. gleichgültige Behandlung der Fragestellung nicht unerhebliche Konsequenzen auf. Noch einmal gilt es sich zu vergegen444 445 446 447

Vgl. Weigend, Deliktsopfer, S. 173 (Fn. 1). LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. B Rdnr. 4 und 6. LI R(25)-Rieß, Ein!. Abschn. B Rdnr. 10. Weigend, Deliktsopfer, S. 174.

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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wärtigen, daß die Konkretisierung der herrschenden Rechtsmißbrauchsdefinition akzessorisch zur Bestimmung des Verfahrenszwecks ist und dieser dadurch auf die Tatbestandsebene dieser Rechtsfigur gehoben wird. Der Verfahrenszweckbestimmung kommt die entscheidende Rolle hinsichtlich der Ausfüllung der Merkmale "verfahrensfremd" und "verfahrenswidrig" zu. Vor diesem Hintergrund sind angesichts des bisherigen Diskussionsstandes nur zwei Lösungsansätze denkbar: Einerseits könnte man sich damit zufrieden geben, daß es verschiedene, nebeneinander stehende Verfahrenszwecke im Strafprozeß gibt und erlaubt dementsprechend ihre Anwendung innerhalb der herrschenden Mißbrauchsdefinition; oder man beschränkt sich auf ein bestimmtes Verfahrensziel, das innerhalb der einzelnen Zwecke als tragendes Element des Rechtsmißbrauchs den entscheidenden Anknüpfungspunkt bildet. Beschreitet man den ersten Weg und rekurriert auf alle denkbaren Verfahrensziele, dann wäre das Resultat dieser Erwägung eine Mißbrauchsdefinition, die aufgrund der aufgezeigten Vielzahl möglicher Verfahrensziele einen sehr weitreichenden Schutzbereich aufweist. Zu bedenken ist aber auch, daß innerhalb eines solchen Definitionsansatzes Zwecke des Strafverfahrens zu berücksichtigen wären, die nicht alle in Einklang stehen bzw. die gleiche Schutzrichtung verfolgen, sondern vielmehr antagonistische Zwecke des Strafprozesses zu vereinbaren wären, die dieser Verfahrensart ihr kennzeichnendes Gepräge verleihen. Das gilt insbesondere für die Durchsetzung des materiellen Strafanspruchs des Staates einerseits und die Wahrung der Beschuldigteninteressen in einem justizförmigen Verfahren andererseits: Beide Anliegen werden - wie aufgezeigt - als Zwecke des Strafverfahrens genannt und beide können für sich in Anspruch nehmen, im Rahmen der Zweckbestimmung des Strafverfahrens ihre Berechtigung zu finden. Dennoch kennzeichnen gerade diese Verfahrenszwecke den Grundkonflikt des gesamten Strafverfahrensrechts, nach dem in einem rechtsstaatliehen Strafverfahren die Wahrung der Beschuldigtenrechte ebenso wichtig ist wie die Verurteilung Schuldiger und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens. 448 Bei näherer Betrachtung stellt sich nun heraus, daß genau dieser Grundkonflikt die Anwendbarkeit einer solchen Mißbrauchsdefinition in erheblichem Maße beeinflußt. Da man die Existenz konfligierender Verfahrensziele nicht leugnen kann, ist ihre Umsetzung nur dann unproblematisch, wenn sichergestellt wäre, daß ausschließlich eines dieser kollidierenden Verfahrensziele tangiert ist, denn andernfalls würde eine Abwägung sich opponierender Verfahrensziele notwendig werden, aufgrund derer die überwiegende Schutzwürdigkeit des einen oder anderen Verfahrenszwecks zu ermitteln wäre. Hier wie dort läßt sich jedoch bereits prinzipiell das Primat bestimmter Verfahrensziele nur schwer begründen. Festzustellen wäre vielmehr gerade an dieser Stelle die Gefahr, daß aufgrund der starken (rechtspolitischen) Zerstrittenheit das Ergebnis der Abwägung letztlich den Präferenzen des jeweiligen Betrachters unterworfen wäre, wobei der Beliebigkeit des Anknüpfungs448

Vgl. nur Roxin, StVR § 1 Rdnr. 2.

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

punktes die Beliebigkeit des Ergebnisses entspricht. M. a. W.: Es hängt nur davon ab, welches Verfahrensziel man in Konfliktfällen besonders betont, um dem Verhalten eines Verfahrensbeteiligten gegebenenfalls Rechtsmißbräuchlichkeit zu unterstellen oder diese abzulehnen, denn unter dem Blickwinkel des Verfahrenszwecks "Beschuldigtenschutz" fallt die Antwort auf die Frage nach Rechtsmißbrauch im Strafverfahren hinsichtlich bestimmter Verhaltensweisen des Beschuldigten anders aus, als wenn man bei der Beantwortung der Frage die Durchsetzung des materiellen Strafanspruchs aufgreift. Man mag sich diesen Umstand anband des innerhalb der Mißbrauchsdebatte besonders umstrittenen Beweisantragsrechts verdeutlichen: Eine Mißbrauchsdefinition, die Rechtsmißbrauch in jedem formal ordnungsgemäßen Verhalten sehen will, das nicht in Einklang mit dem Zwecke des Beschuldigtenschutzes im Strafverfahren steht, wird kaum in der Lage sein, den Mißbrauch des Beweisantragsrechts durch den Beschuldigten zu sanktionieren. 449 Um zu dem gegenteiligen Ergebnis zu gelangen muß jedoch nur der Standpunkt gewechselt werden, denn betont man als Zweck des Strafverfahrens die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, so kann an einem Bedürfnis nach Sanktionierung des Beweisantragsmißbrauchs durch den Beschuldigten kein Zweifel bestehen. Im Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß eine derartige Mißbrauchsdefinition zwar grundsätzlich zu einem umfassenden Tatbestand führen würde; allerdings stieße sie im Einzelfall aufgrund der aufgezeigten Unwägbarkeiten im Hinblick auf ihre praktische Umsetzung auf erhebliche Probleme, die durch eine durch diese Begriffsbestimmung provozierte Abwägung der Verfahrensziele auf tatbestandlieber Ebene450 begründet werden. 451 Bei genauerer Untersuchung der herrschenden Diskussion zeigt sich jedoch auch, daß dieser soeben aufgezeigte Weg nicht beschritten wird, denn die Berücksichtigung der verschiedenen Verfahrensziele findet dort gar nicht statt. Vielmehr rückt an dieser Stelle ein bestimmtes Verfahrensziel in den Mittelpunkt des Interesses: Die Ermittlung der materiellen Wahrheit, wobei Wahrheitstindung im Strafprozeß die Sachverhaltsaufklärung im Sinne von Wirklichkeitserkenntnis bedeutet. 452 449 Beachte hierzu die noch näher zu erörternde These von Schutz, StV 1991, 354 (362), der im Zusammenhang mit dem Mißbrauch des Beweisantragsrechts durch den Verteidiger bzw. Beschuldigten meint, daß die Mißbrauchsfähigkeit eines Verfahrensrechts gerade für dessen Authenzität bürgt. 450 Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß dem Prinzip der Abwägung im Rahmen der Mißbrauchserörterung keinerlei Bedeutung zukommt. Der weitere Verlauf der Untersuchung wird zeigen, daß hinsichtlich der anzustrebenden Rechtsfolgen das Ergebnis maßgeblich bestimmt wird durch die Abwägung verfassungsrechtlicher Prinzipien mit den Grundrechten des Beschuldigten. 451 Vgl. auch Jahn, S. 267; ferner v. Hippel ZZP 65 (1952}, 424 (432). 452 Die sog. Korrespondenztheorie; vgl. z. B. Spendet, JuS 1964, 465 (466); Volk, FS Saiger, S. 411 (412 ff.).

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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Daß es sich bei der Wahrheitstindung um alles andere als ein "Nebenprodukt" des Strafverfahrens handelt, zeigte sich bereits in der kurz angesprochenen Rechtsprechung des BVerfG, aufgrund derer gerade hierin das zentrale Anliegen des Strafverfahrens liegen soll. Teilweise wird die Wahrheitstindung als ein Element des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 GG deklariert. 453 Aber auch die ansonsten uneinheitliche Literatur ist offenbar durchaus bereit, der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren eine entscheidende Rolle beizumessen. Das gilt auch für die Autoren, die mit der im neueren Schrifttum als vorherrschend bezeichneten Auffassung454 den Zweck des Strafverfahrens im Rechtsfrieden sehen wollen. Die Vorstellung, daß der Rechtsfrieden das übergeordnete Ziel des Strafverfahrens darstellt, geht im wesentlichen auf Schmidhäuser455 zurück. Nach seinen Ausführungen liegt der Wesensgehalt des Rechtsfriedens in der Beruhigung der Rechtsgemeinschaft in bezug auf den Verdacht eines mit Strafe bedrohten Rechtsbruchs. In der jüngeren Literatur ist diese Umschreibung des Rechtsfriedens verschiedentlich modifiziert worden. So soll das Wesen des Rechtsfriedens darin liegen, daß die soziale Störung die durch den Tatverdacht entstanden ist, tatsächlich beseitigt wird, ohne daß hierfür eine unwiderlegliche Vermutung im Sinne Schmidhäusers bestehen soll, wenn der Prozeß ordnungsgemäß verlaufen ist.456

So führt Weigend auf Basis seiner den Rechtsfrieden als Verfahrensziel hervorhebenden Ansicht aus, daß sich die Beunruhigung der Gemeinschaft über den Verdacht einer Straftat nur dann beseitigen läßt, wenn im Prozeß die faktische Bestätigung oder Widerlegung des Tatverdachts angestrebt wird und dieser " ... auf die Erforschung der Wahrheit hinsichtlich der strittigen Punkte gerichtet ist ...".457 Es " ... liegt auf der Hand ...", daß nur auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellungen im Sinne der Ermittlung des wahren Sachverhalts die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit möglich ist. 458 Weitergehend wird betont, daß die Erforschung der Wahrheit ein " ... notwendiges Element . . ." des Prozesses, ein " . .. unverzichtbares Mittel zur Erreichung jedes denkbaren Prozeßzwecks ..." sei. 459 Es zeigt sich somit, daß die Wahrheitstindung gleichsam die Funktion einer Synapse im Hinblick auf alle anderen Verfahrensziele einnimmt. Aus dieser Konnexität ergibt sich damit weiterhin, daß die Verfolgung verfahrensfremder oder- widriger Zwecke im Strafverfahren über die negative Einflußnahme auf die Wahrheits453 BVerfGE 77, 65 (77); Willms (FS Dreher, S. 137 ff.) will die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Wahrheitstindung durch die Gerichte aus Art. 92 GG ableiten; vgl. hierzu die Kritik bei Stamp, S. 23 f. 454 So die Einschätzung von Rieß, LIR(25)-Rieß, Einl. Abschn. B Rdnr. 5. 455 Schmidhäuser, FS Eb. Schmidt, S. 511 ff. 456 Weigend, Deliktsopfer, S. 213 ff. (215), zu den weiteren Differenzierungen innerhalb dieses Verfahrenszwecks siehe dort S. 195 ff. 457 Weigend, De1iktsopfer, S. 183 f. 458 Weigend, Deliktsopfer, S. 184 (am Anfang); vgl. in diesem Zusammenhang auch Stamp, S. 233. 459 Weigend, De1iktsopfer, S. 183 u. 217; ganz ähnlich Kudlich, S. 213 ("außerordentlich wichtig").

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

findung realisiert wird und deren Beeinflussung "reflexartig" auch die Verwirklichung der anderen Verfahrensziele tangiert. Diese Erkenntnis ist auch für das Verständnis der herrschenden Mißbrauchsdefinition grundlegend. Zwar wird auf Grundlage der soeben aufgezeigten Erörterungen im Schrifttum die Konsequenz gezogen, daß der Ermittlung der materiellen Wahrheit im Strafverfahren lediglich die Funktion eines Zwischenziels zukommen soll.460 Allerdings dürfte man damit der Bedeutung der materiellen Wahrheit- zumindest für die hier zu diskutierende Problematik - kaum gerecht werden, denn festzustellen ist zumindest, daß der Ermittlung der materiellen Wahrheit im Sinne einer Aufklärung des tatsächlichen Sachverlaufs die Schlüsselposition zugeordnet wird und die weitere Erörterung des Rechtsmißbrauchs sich in diese Grenzen verweisen läßt. Die Verquickung von Rechtsmißbrauch und Wahrheitstindung ist dabei wiederholt in der Diskussion expressis verbis vorgenommen worden. Als Beispiele dienen hier etwa die Aussagen Peters461 und Rebmanns. 462 So sieht Peters in einer Anmerkung aus dem Jahre 1971 das Wesen des Mißbrauchs darin begründet, daß eine Handlung, Befragung oder Äußerung nicht dem Ziel des Strafprozesses (Weiterführung des Prozesses, Wahrheitsfindung) zu dienen bestimmt sei. 463 Mindestens ebenso eindeutig sind die Vorschläge Rehmanns hinsichtlich der Ausgestaltung einer Mißbrauchsverbotsklausel im Strafverfahren, die in gleicher bzw. ähnlicher Form im Schrifttum nunmehr erneut aufgegriffen worden sind: 464 Wenn es hierbei darum geht, " .. . Anträge der Beteiligten, die ersichtlich oder gar offenkundig nichts zur Wahrheitstindung beitragen sollen ..." zu sanktionieren, so lassen diese Ausführungen keinen Zweifel daran, wo der Bezugspunkt für das Zweckwidrigkeitsurteil liegen soll. Prozeßfremde Zwecke etc. liegen somit immer dann vor, wenn kein Beitrag zur Wahrheitstindung geleistet wird.465 Aber auch andere Fixierungsversuche im jüngeren Schrifttum sind nur in diesem Sinne zu interpretieren. Niemöller führt bezüglich des Anknüpfungspunktes des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren aus: "Bezugsgröße und Orientierungsrahmen ist dabei stets der Strafprozeß als gesetzlich geordnetes Verfahren, das darauf abzielt, binnen angemessener Zeit auf Grund umfassender Sachaufklärung zu einer tatsächlich zutreffenden, rechtlich richtigen und (möglichst) gerechten Entscheidung über Tat, Schuld und Bestrafung des Angeklagten zu führen. Der Zweck der Handlungsbefugnisse, die den Verfahrensbeteiligten eingeräumt sind, liegt jedenfalls innerluzlb466 dieses Rahmens... ".467 460 Weigend, Deliktsopfer, S. 178 (a. E.); vgl. auch Stamp, S. 21; Eser, ZStW 104 (1992), 361 (363); im Zusammenhang mit der Mißbrauchsdebatte Kudlich, S. 213. 461 Peters, JR 1971,340. 462 Rebmann, DRiZ 1979, 363 (369). 463 Peters, JR 1971, 340. 464 Vgl. auch Haller I Conzen, Rdnr. 205 (Fn. 64). 465 Vgl. auch Jahn, S. 56.

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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In der Sache vergleichbar bzw. ergänzend sind die Ausführungen Kröpils zum Mißbrauch von Verfahrensrechten, der unter Verweis auf die herrschende Meinung das Ziel des Strafverfahrens in der materiell richtigen, prozeßordnungsmäßig Uustizförmig) zustande gekommenen Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten sieht, 468 die ihrerseits für Rechtsfrieden sorgen soll, wobei die materiell richtige Entscheidung ebenso wie das Ziel der Gerechtigkeit " ... sachlogisch ..." die Wahrheitsermittlung voraussetze. 469 Aus diesen Aussagen tritt das entscheidende Argument für eine Anknüpfung an die Ermittlung des wahren Sachverhalts als maßgebliches Kriterium deutlich hervor: Die Diskussion um den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren findet ihren Ausgangspunkt in der mißbräuchlichen Anwendung von Verfahrensbefugnissen. Damit muß sich - soweit man den Mißbrauch in Akzessorietät zum Verfahrenszweck sieht - die Frage stellen, worauf die Anwendung dieser Befugnisse im Strafverfahren gerichtet ist. Unmittelbares Ziel der Inanspruchnahme von Verfahrensrechten kann aber nur sein, auf die Aufklärung des Sachverhalts Einfluß zu nehmen, die sich gemäß § 261 in der richterlichen Überzeugung manifestiert. Wenn es im konkreten Strafverfahren somit um das "richtige" Urteil über die Strafbarkeit des Beschuldigten gehen soll und Voraussetzung hierfür die Sachverhaltsaufklärung ist, dann ist in dieser Eingrenzung der Mißbrauchsproblematik die Wahrheitsfindung das Schlüsselelement, auf das durch den Mißbrauch von Verfahrensrechten eingewirkt wird. Genau hierauf beschränken sich die Verfahrensbefugnisse. Mittelbare Effekte wie etwa die Wahrung bzw. Herstellung des Rechtsfriedens spielen dabei keine Rolle und es läßt sich auch nicht ernsthaft behaupten, daß etwa der Beschuldigte im Strafverfahren von seinem Beweisantragsrecht Gebrauch macht, um damit dem Rechtsfrieden zu dienen. Bezugspunkt dieser Rechtsausübung ist die Einflußnahme auf die Überzeugungsbildung des Gerichts. Es zeigt sich daher im Ergebnis, daß die Einordnung der Wahrheitsfindung als Zwischenbzw. Endziel des Strafverfahrens für die Mißbrauchsproblematik keine Rolle spielt. Selbst wenn man wie Kudlich diese Differenzierung auch im vorliegenden Zusammenhang berücksichtigen will,470 so kommt auch er nicht umhin, letztlich als den für den Mißbrauch maßgeblichen Zweck des Strafverfahrens die Wahrheitsfindung anzugeben, soweit es um die Teilhabe an der Sachverhaltsaufklärung geht.471

Die Eigenschaft der Wahrheitsfindung als tragendes Element der herrschenden Mißbrauchsbestimmung ergibt sich schließlich auch noch in einem anderen Zusammenhang, der sich aus dem Verhältnis von Rechtsmißbrauch und dem in diesem Zusammenhang oft anzutreffenden Verweis auf das Erfordernis einer funk466 467 468 469 470 471

Hervorhebung im Original. Niemöller, StV 1996,501 (502). Kröpil, JZ 1998, 135 (unter II.). Kröpil, JZ 1998, 135 (136). Kudlich, S. 213. Kudlich, S. 264.

7 Abdallah

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

tionstüchtigen Strafrechtspflege erschließt. Auf den gemeinhin sehr einseitig zugunsten der staatlichen Rechtspflegeorgane ausgelegten Funktionstüchtigkeitstopos wird im Rahmen dieser Untersuchung noch einzugehen sein. Dennoch zeigen sich seine Konsequenzen bereits in der Tatbestandsbestimmung des Rechtsmißbrauchs, wie sich den zutreffenden Ausführungen Riehles472 entnehmen läßt, die das bis an diese Stelle ermittelte Ergebnis bestätigen: "In der Logik funktionstüchtiger Strafgewalt liegt, daß prozessuale Rechte des Bürgers durch die Erfordernisse jener Funktionstüchtigkeit begrenzt werden. . .. Für sich genommen umfaßt das Recht des Angeklagten, sich zur Sache zu erklären, daß dieser alles, was nach seiner Sicht der Dinge473 zur Sache gehört, in das Verfahren einbringen kann, denn zur Subjektrolle gehört eben die Definitionsmacht bezüglich der eigenen Sicht der Dinge.

Wo dieses Recht in der Tendenz nun die Vennittlung funktionstüchtiger Strafgewalt zu leisten hat, reduziert es sich darauf, zur Ennittlung der sog. materiellen Wahrheit beizutragen. Wo sich die Wahrnehmung des Erklärungsrechtes nicht darauf reduziert, gerät es in den Bereich mißbräuchlicher- weil funktionswidriger- Rechtswahmehmung. "474

Die Berechtigung dieser Einschätzung zeigt sich letztlich auch anhand der Beispiele für mißbräuchliches Verhalten, die in der aktuellen Debatte gerne als Beleg für die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen auf dem Gebiet der Mißbrauchsbekämpfung angeführt werden. Ihnen allen ist es gemein, daß der Beschuldigte bzw. die Verteidigung derart auf den Verlauf der Hauptverhandlung eingewirkt haben, daß die Gerichte in den jeweiligen Fällen an der Sachverhaltsaufklärung gehindert wurden.475 Gerade hierin liegt das Wesen der mit dem Rechtsmißbrauch in der aktuellen Diskussion nahezu synonym behandelten Fallgruppen476 der Prozeßverschleppung bzw. -Vereitelung. b) Zwischenergebnis: Die Ermittlung der materiellen Wahrheit als Schlüsselelement der herrschenden verfahrenszweckakzessorischen Rechtsmißbrauchsdefinition Faßt man die bis hierhin gemachten Feststellungen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Geht man mit der herrschenden Meinung davon aus, daß Rechtsmißbrauch in dem formal ordnungsgemäßen Gebrauch von Verfahrensrechten ausschließlich zu verfahrensfremden bzw. verfahrenswidrigen Zwecken liegen soll, so zwingt die weitere Konkretisierung dieser sehr abstrakten Definition zur Bestimmung des Zwecks des Strafverfahrens. Dieses Bemühen erweist sich jedoch als problematisch, da hierfür grundsätzlich verschiedene, zum Teil sich gegenüberstehende Verfahrenszwecke zu berücksichtigen sind. Es hat sich jedoch gezeigt, daß 472

473 474 475 476

Riehle, KJ 1980,316 (321) m. w. N. Hervorhebung im Original. Hervorhebung nicht im Original. Zu den einzelnen Beispielen vgl. oben B. IV. 1. Vgl. etwa Kröpil, JR 1997, 315 (a. E.).

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sich die herrschende Diskussion um den Rechtsmißbrauch auf einen bestimmten Verfahrenszweck reduzieren läßt. Dieser Zweck liegt in der Ermittlung der materiellen Wahrheit, die das Schlüsselelement bildet und die herrschende Mißbrauchsdefinition entsprechend konkretisiert. 3. Analyse der herrschenden Mißbrauchsdefinition Die verfahrenszweckakzessorische Mißbrauchsdefinition unter Bezugnahme auf die Ermittlung der materiellen Wahrheit muß nun hinsichtlich ihrer Vertretbarkeil einer Überprüfung unterzogen werden. Um diesem Ziel im folgenden Abschnitt gerecht zu werden, gilt es zunächst als Ausgangspunkt die hierfür relevante Fragestellung zu formulieren, inwieweit Ausgestaltung und Konsequenzen der herrschenden Definition mit dem Regelungsgefüge des Strafprozeßrechts und der Stellung der Verfahrensbeteiligten vereinbar sind, wobei diese Fragestellung die Überprüfung impliziert, ob bzw. in welchem Umfang diese Mißbrauchsdefinition in der Lage ist, Verhaltensweisen zu erfassen, die einen Mißbrauchsverdacht zumindest begründen. a) Die Ermittlung der materiellen Wahrheit als tauglicher Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Rechtsmißbrauchs? Die Beantwortung dieser Frage soll dabei ganz wesentlich unter Anwendung der bis zu diesem Punkt ermittelten bzw. konkretisierten Mißbrauchsdefinition auf bestimmte Erscheinungen des modernen Strafverfahrens geschehen. Die Berechtigung der herrschenden Mißbrauchsdefinition hängt damit von den Ergebnissen der nun folgenden Untersuchung ab, denn sollte sich aufgrund entsprechender Defizite die mangelnde Konsistenz der herrschenden Mißbrauchsbestimmung ergeben, so wird man nach einer Rechtsmißbrauchsdefinition Ausschau halten müssen, die an andere Bezugspunkte anknüpft. (1) Grundsätzliche Kritik an dem materiellen Wahrheitsbegriff des Strafverfahrens unter Berücksichtigung rechtlicher undfaktischer Umstände Auch wenn die Anknüpfung an die Ermittlung der materiellen Wahrheit im Rahmen der herrschenden Mißbrauchsdefinition zunächst durchaus nachvollziehbar zu sein scheint, so ist doch nicht zu verkennen, daß die bisherigen Ausführungen diesen Anknüpfungspunkt in die Untersuchung eingeführt haben, ohne ihn selbst hinsichtlich seiner Berechtigung zu hinterfragen. Auf den ersten Blick mag ein solches Vorgehen nicht zu kritisieren sein: Einerseits ist die Übereinstimmung in Rechtsprechung und Literatur bezüglich des hohen Stellenwerts dieses Verfahrensziels - wie aufgezeigt - nicht zu verkennen, andererseits ist es vor allem die Strafprozeßordnung selbst, die die Ermittlung der materiellen Wahrheit gemäß § 244 7*

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

Abs. 2 in den Mittelpunkt des Strafverfahrens rückt und zum beherrschenden Prinzip des Strafverfahrens kürt, das nicht nur für die Beweisaufnahme, sondern für alles gelten soll, was der Richter im Strafverfahren zu tun hat. 477 Schließlich läßt sich im Zusammenhang mit der Entstehung der RStPO von 1879 ohne weiteres darauf verweisen, daß die Autoren dieses Gesetzeswerks die Ermittlung der materiellen Wahrheit offenbar wie selbstverständlich als Ziel des Strafverfahrens vorausgesetzt haben. 478 Andererseits zeigt sich jedoch, daß sich der materielle Wahrheitsbegriff bereits anband der Regelungen der StPO auch durchaus kritisch beleuchten läßt. Wahrend § 244 Abs. 2 die Ermittlung der materiellen Wahrheit noch zum Leitmotiv richterlichen Handeins erklärt, stößt man in dem bereits angesprochenen § 261 auf eine andere " ... das ganze Strafverfahren bestimmende Grundsatznorm...",479 die sich zumindest prima facie nur schwerlich mit dem Ideal der materiellen Wahrheit in Einklang bringen läßt. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme in freier Beweiswürdigung. Geht somit § 244 Abs. 2 noch von der Wahrheit im Sinne einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung aus, bildet die Grundlage des Urteils letztlich das, was das Gericht für wahr hält. Diese gesetzliche Regelung wird weitergehend dadurch gestützt, daß nach ganz herrschender Rechtsprechung und Literatur keine überspannten Anforderungen an das Zustandekommen der richterlichen Überzeugungsbildung gestellt werden dürfen480 und eine unanzweifelbare Gewißheit der Richter nicht verlangt wird, sondern ein "ausreichendes Maß" an Sicherheit genügt, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr laut werden können. 481 Es kann somit nicht verwundern, daß diese Ausprägung des Strafverfahrens im Schrifttum zum Teil als Aufgabe des materiellen Wahrheitsbegriffs im Strafprozeß deklariert wird.482 Aber nicht nur das Spannungsverhältnis von Instruktionsmaxime und richterlicher Überzeugungsbildung ist an dieser Stelle relevant, sondern auch eine ganze Reihe anderer Vorschriften der StPO sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. So wird zutreffend darauf aufmerksam gemacht, daß die Strafprozeßordnung eine Vielzahl von Einschränkungen der Beweiserhebung und somit auch der Wahrheitsermittlung enthält. 483 Dem entspricht es auch, daß nach ständiger Rechtsprechung die Wahrheit im Strafverfahren im Hinblick auf den Schutz des Beschuldigten nicht um jeden Preis ermittelt werden darf. 484 Stellvertretend LIR(25)-Gollwitzer, § 244 Rdnr. 38. Vgl. etwa Hahn/ Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1555. 479 LIR(24)-Gollwitzer, § 261 Rdnr. l. 480 Z. B. BGH MDR 1980,948. 481 Etwa BGH NStZ 1995, 344; zu weiteren Nachweisen vgl. KK-Engelhardt, § 261 Rdnr. 4; LIR(24)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 8f. 482 Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1348). 483 Kudlich, S. 211 mit Beispielen. 484 Z. B. BGHSt 14, 358 (365); BGHSt 38, 214 (219). 477 478

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Hinzu treten jedoch auch Stimmen in der Literatur, die die Ermittlung der Wahrheit nicht aus dogmatischen Gründen in Frage stellen, sondern hierbei auf die Prozeßrealität und ihre faktischen Zwänge abstellen, nach denen beispielsweise aufgrund von Personal- und Geldmangel die notwendige Sachaufklärung anzuzweifeln sei485 oder aber die - wie etwa Schünemann - das traditionelle Tätigkeitsziel der Strafjustiz aufgrund informations- bzw. sozialpsychologischer Erkenntnisse für praktisch unerreichbar erklären. 486 Nach seinen Ausführungen487 läßt sich beispielsweise feststellen, daß die durch die Anklage induzierte, relativ hohe Täterschaftswahrscheinlichkeit ganz im Gegensatz zur Exkulpationswahrscheinlichkeit von den Richtern systematisch überschätzt wird. Damit einher geht die Feststellung, daß nach dem Eröffnungsbeschluß aufgrund richterlicher Aktenkenntnis erhobenes belastendes Faktenmaterial höher eingeschätzt wird und entlastende Erkenntnisse von den Richtern abgewertet werden (sog. Inertia-Effekt). Hinzu tritt eine als Pygmalion-Effekt bezeichnete Erscheinung, nach der der vernehmende Richter in der Hauptverhandlung die Zeugenaussage in Richtung auf seine eigene Ausgangshypothese steuert und deformiert.

Einer solcher Argumentation könnte man nun entgegenhalten, daß aus den Einschränkungen der Wahrheitsfindung im Strafprozeß, seien sie rechtlicher oder faktischer Herkunft, nicht der Schluß gezogen werden könne und dürfe, daß das Verfahrensziel der Wahrheit obsolet geworden wäre, da die Wahrheitstindung ihre Rolle als (zumindest) anzustrebendes Ziel des Strafprozesses hierdurch noch nicht einbüßen würde. Dieser Einwand verliert jedoch an Überzeugungskraft, wenn man sich rechtliche Regelungen bzw. prozessuale Phänomene vergegenwärtigt, die das Ziel der Wahrheitsfindung nicht nur einschränken, sondern hierauf verzichten bzw. entgegenwirken. Als Beispiel hierfür dient zunächst die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung aus Opportunitätserwägungen gemäߧ§ 153 ff. 488 Vor dem Hintergrund eines auf Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts ausgerichteten Strafverfahrens dürften diese Vorschriften kaum erklärbar sein. Nichts anderes gilt es für die (mit den §§ 153 ff. eng verbundene) Erscheinung der Absprachen zwischen den Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren zu konstatieren, wobei hier genauer zu differenzieren ist. Zwar kennt die StPO eine Reihe von Vorschriften, die auf das konsensuale Zusammenwirken der Verfahrensbeteiligten abstellen.489 Die Absprache ist dem deutschen Strafverfahren also durchaus nicht fremd und sieht sich im Hinblick auf die Wahrheitstindung auch keinerlei Bedenken ausgesetzt, solange 485

Krauß, FS Schaffstein, S. 411 ff.; ausführlich jüngst Stamp, S. 116ff.; vgl. auch Volk,

S. 9f. 486 Schünemann, FS Pfeiffer, S. 461 (474ff.); siehe auch Bernsmann, S. 111 (116); zu der Divergenz von juristischem und psychologischem bzw. psychiatrischem Wahrheitsbegriff vgl. Schorsch, StV 1985, 122 ff. 487 Schünemann, FS Pfeiffer, S. 461 (476ff.). 488 Vgl. zum Konflikt von§ 153a und materieller Wahrheit im Hinblick auf die Funktion der Staatsanwaltschaft Hirsch, ZStW 90 ( 1978), 218 (232). 489 Vgl. die Übersicht bei Herrmann, JuS 1999, 1162 (Fn. 1).

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

sie sich nicht auf die materielle Rechtslage bezieht. Im Zusammenhang mit dem Verfahrensziel der Wahrheitstindung ist jedoch die Art von Absprachepraxis von Interesse, die auf die Erledigung des Verfahrens abzielt490 und die die Festsetzung des Verfahrensergebnisses dem Verhandlungsgeschick der Verfahrensbeteiligten überantwortet. 491 Dabei dürfte die ganz erhebliche praktische Bedeutung des strafprozessualen Deals ebenso wenig in Frage zu stellen sein492 wie seine mangelnde Kompatibilität zu einem materiellen Wahrheitsbegriff, der seine Grundlage naturgemäß nicht in dem zwischen den Verfahrensbeteiligten ausgehandelten Ergebnis des Strafverfahrens finden kann. Um so mehr muß es daher verwundern, wenn die Rechtsprechung, unabhängig von dem im Schrifttum geäußerten Vorbehalt, daß das deutsche Strafverfahren "vergleichsfeindlich" sei,493 die Ermittlung der materiellen Wahrheit durch Absprachen im Strafverfahren offenbar nicht in Frage gestellt sieht. Dieser Umstand äußert sich vor allem in Form der Rechtsprechung des BGH, der sich gerade in letzter Zeit wiederholt mit der Zulässigkeit des strafprozessualen Deals beschäftigt hat und dessen Grundsatzentscheidung des 4. Senats vom 28. August 1997 in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist. 494 An dieser Entscheidung überrascht dabei (angesichts der praktischen Relevanz) weniger der Umstand, daß der Senat die Zulässigkeit prozessualer Absprachen erneut bestätigt, sondern vielmehr Teile seiner Begrundung und die Stellungnahme zum Verhältnis von Absprache und materieller Wahrheit: So stellt der Senat die vergleichsfeindliche Ausgestaltung des deutschen Strafverfahrens zwar nicht in Abrede; fast im gleichen Atemzug will er aber aus der Vorschrift des § 153a die Erkenntnis ziehen, daß eine Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten - auch über das Ergebnis und die Erledigung eines Strafverfahrens - dem deutschen Strafprozeß nicht völlig fremd sei. 495 Dennoch soll sich jede Verständigung in ihrer konkreten Ausgestaltung an den unverzichtbaren Prinzipien des Verfahrensrechts messen lassen müssen, so daß das jeweilige Gericht dem Gebot der Wahrheitsfindung verpflichtet bleibe. 496 Damit entspricht der BGH den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das bereits im Jahre 1987 im Zusammenhang mit diesem strafprozessualen Phäno490 Einzelne "Spielarten" des strafprozessualen Deals werden z. B. bei Küpper I Bode, Jura 1999, 351 (352 u. 353 (unter Nr. 3)) aufgezeigt. 491 Zu entsprechenden "Verhandlungsstrategien" aus Sicht der Verteidigung vgl. Widmaier, StV 1986, 357 ff. 492 Vgl. hierzu nur Weigend, NStZ 1999,57 (63), nach dessen Ausführungen sich die deutsche Gerichts- und Verteidigungspraxis von der " .. . Droge Absprache ... " mittlerweile so abhängig gemacht haben soll, daß mit einer Entwöhnung aufgrund besserer Erkenntnis ebenso wenig gerechnet werden kann wie aufgrund äußeren Drucks. 493 Seier, JZ 1988, 683. 494 BGHSt 43, 195 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechungsübersicht bei Meyer-Goßner, StraFo 2001, 73 ff. 495 BGHSt 43, 195 (203). 496 BGHSt 43, 195 (204).

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men auf die Verbindlichkeit der tragenden Grundsätze des deutschen Strafverfahrens hingewiesen hat.497 So muß etwa jedes Geständnis im Rahmen eines Deals auf seine Glaubwürdigkeit untersucht werden, sich hierzu "aufdrängende" Beweiserhebungen dürfen nach Auffassung des BGH nicht unterbleiben.498 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich schnell, daß mit dieser Lösung die mangelnde Vereinbarkeit von Absprachen und Wahrheitserforschungspflicht nicht beseitigt ist. Es mutet in diesem Zusammenhang bereits wenig überzeugend an, wenn der Bundesgerichtshof für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen trotz Betonung der Wahrheitsfindung § 153a als Indiz anführt. Hierbei wird man beriicksichtigen müssen, daß § 153a keine originäre Norm des Strafverfahrensrechts darstellt. Die geschichtlichen Hintergrunde zeigen, daß die Einführung des § 153a nur dazu diente, eine bereits damals bestehende, ungesetzliche Praxis in die Legalität zu überführen.499 Ging es also mit der Schaffung des § 153a gerade darum, die mangelnde Kompatibilität zwischen der beschriebenen Erscheinung mit der Grundkonzeption des Strafverfahrens zu überbriicken, dann läßt sich eine solche Vorschrift nur unter Vorbehalten als Indiz für eine Vereinbarkeit von Strafverfahren und Absprache anführen. Der maßgebliche Kritikpunkt liegt jedoch anders gelagert: Entscheidend für die Annahme, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung hier nur ein Lippenbekenntnis zugunsten der materiellen Wahrheit äußert ist der Umstand, daß sie die Gerichte im Falle des Geständnisses nur dann zur Beweiserhebung verpflichtet sieht, wenn sich weitere Beweiserhebungen "aufdrängen". Insofern hat der 4. Senat mit diesem Evidenzkriterium eine Möglichkeit geschaffen, die zutreffend als bedenkliche Lücke eingeordnet worden ist. 500 Einerseits liegt der Gegenschluß auf der Hand, daß in all den anderen Fällen das Geständnis ohne weitere Überpriifung übernommen werden kann,501 andererseits dürfte damit erst recht die Gefahr des Mißbrauchs nahe liegen, denn welches Gericht würde auf eine rasche Beendigung des Verfahrens durch Absprache mit den anderen Verfahrensbeteiligten unter Zugrundelegung des Beschuldigtengeständnisses hinwirken wollen um dann im Gegenzug "sich aufdrängende" Beweiserhebungen vorzunehmen, die genau den im Vergleich zur Verfahrensbeschleunigung gegenteiligen Effekt einer unter Umständen ausgiebigen Beweiserhebung502 mit sich bringen? Die Wurzeln dieser Erscheinung im Strafverfahren liegen in der Prozeßökonomie; Sinn und Zweck des Deals BVerfG NJW 1987, 2662 (2663) = NStZ 1987,419. BGHSt 43, 195 (204). 499 Vgl. etwa Berckhauer, Kriminalistik 1987, 79 (97); Dahs, NJW 1996, 1192; siehe zur Entstehungsgeschichte auch Hirsch, ZStW 90 (1978), 218 ff. 500 Weigend, NStZ 1999, 57 (61). 501 Weigend, NStZ 1999, 57 (61). 502 Das gilt vor allem für den Bereich der Wirtschaftsstrafverfahren, wenngleich die Anwendbarkeit des Deals hierauf nicht beschränkt ist (vgl. zur Übersicht Herrmann, JuS 1999, 1162 (1163)). 497

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

liegen gerade in dem Anliegen, langwierige Beweisaufnahmen zu vermeiden. 503 Solche sich aufdrängenden Beweiserhebungen dürften selbst bei optimistischer Einschätzung die seltene Ausnahme bleiben. Angesichts dieses Erklärungsnotstandes erscheinen die Stellungnahmen im Schrifttum, die gerade im Zusammenhang mit diesem Phänomen des Strafverfahrens einräumen, daß die Wahrheit im Falle von Absprachen " ... vielleicht auf der Strecke geblieben ... " ist504 oder gar den Abschied vom materiellen Wahrheitsbegriff ansprechen, 505 sehr viel konsequenter. Insbesondere die Ausführungen Schünemanns506 aus dem Jahre 1988 verdienen hier Aufmerksamkeit. Hiernach bestehe eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen dem Verfahrensziel der materiellen Wahrheit und der momentanen Verfahrensstruktur. 507 Die von Schünemann gezogene Schlußfolgerung liegt in einer Neukonzeption des Strafverfahrens, in welcher konsensuale Elemente stärker betont werden und das nicht durch die "Chimäre der materiellen Wahrheit" legitimiert werde. Die Gefahr, daß die informellen Absprachen nur auf eine "Unterwerfungshandlung mit Verdachtsstrafe" hinauslaufen, soll kein entgegenstehender Einwand sein, weil eine realistische Einsicht in die Begrenztheit der materiellen Wahrheitsfindung ohnehin fast jede Strafe als eine (höchstgradige) Verdachtsstrafe dekuvriere. Es komme daher lediglich darauf an, die Zulässigkeit an einen hinreichend hohen und vom Richter verantwortlich geprüften Verdachtsgrad zu knüpfen. Die Ausführungen Schünemanns heben damit deutlich das Schicksal hervor, das das Prinzip der Wahrheit für den Fall erfahren muß, wenn man das Strafverfahren unter Betonung konsensualer Elemente gestalten will. Dementsprechend lassen sich aus diesen Ausführungen auch ohne weiteres Rückschlüsse bezüglich der bisherigen Absprachepraxis im geltenden Strafverfahrensrecht ziehen, welche die mangelnde Vereinbarkeil mit der aktuellen Verfahrensstruktur nochmals vor Augen führen. In Anbetracht dieser Probleme kann es nur wenig verwundern, daß zwecks Rechtfertigung strafprozessualer Absprachen das Schrifttum die Diskussion mittlerweile um zwei weitere Aspekte angereichert hat, um zum angestrebten Ergebnis zu kommen: Zum einen der Verweis auf das materielle Recht bzw. die grundlegende Frage nach den Strafzwecken, zum anderen die Emanzipation des Strafverfahrens im Hinblick auf das Strafrecht, aufgrund derer von einer eigenständigen Verfahrensgerechtigkeit ausgegangen wird, in der die Wahrheit nicht mehr den absoluten Maßstab darstellen soll. Die sich dahinter verbergenden Überlegungen sind jüngst von Stamp einer ausführlichen Untersuchung unterworfen worden, die sich an dieser Stelle in der gebotenen Kürze wie folgt referieren lassen: 508 Rönnau, S. 145; Stamp, S. 148f. m. w. N. Volk, StPR, § 3 Rdnr. 2. 505 Schünemann, FS Pfeiffer, S. 461 (481); Weigend NStZ 1999, 57 (61). 506 Schünemann, FS Pfeiffer, S. 461 (481). so? Schünemann, FS Pfeiffer, S. 461 (481). 503

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Unter Auswertung von Rechtsprechung und Schrifttum geht Stamp hierbei von einem Verständnis der Wahrheit im Strafverfahren aus, das einerseits zwar an der " ... grundsätzlichen Ausrichtung ..." des Strafverfahrens am materiellen Wahrheitsbegriff festhalten will, denn ein Abschied von der materiellen Wahrheit sei unvertretbar. 509 Andererseits soll aber ein "Bedeutungswandel" der Wahrheit im Strafverfahren in Rechnung zu stellen sein, aufgrund dessen nach modernem Verständnis von Strafrecht und Strafverfahren die Wahrheitstindung keineswegs zu " ... verabsolutieren ..." sei. 510 So gehe es nicht nur um das theoretisch Mögliche strafprozessualer Wahrheitsermittlung, sondern auch um das Erwünschte. 511 Die historische Wahrheit über die Tat sei nicht mehr allein von Bedeutung, sondern müsse mit den Präventionszwecken des materiellen Rechts in Relation gesetzt werden. Die exakte Wahrheitsermittlung im herkömmlichen Wahrheitsverständnis wird hierbei in engem Zusammenhang mit den absoluten, an Vergeltung orientierten Straftheorien gesehen. 512 Mit zunehmender Bedeutung der relativen Straftheorien, die ihrerseits präventive Zwecke betonen, werden nach dieser Ansicht die absoluten Theorien zurückgedrängt, mit entsprechenden Konsequenzen für die Wahrheitstindung im Strafverfahren. 513 Auch ist nach dieser Auffassung das "klassische" Verständnis von materiellem und formellem Recht zu überprüfen. Nach diesem komme dem Strafverfahrensrecht zwecks Durchsetzung des materiellen Rechts eine dienende Funktion zu, wobei der Durchsetzungsanspruch die Feststellung des wahren Sachverhalts unumgänglich voraussetze. In den Vordergrund trete jedoch eine weitgehend eigenständige Verfahrensgerechtigkeit, 514 die ebenfalls nicht mehr in unlösbarem Zusammenhang mit der Wahrheit stehen soll, sondern sowohl die Justizförmigkeit des Verfahrens als auch die Wiederherstellung des Rechtsfriedens berücksichtige. Auf diese Weise würden "Wahrheitsdetizite" durch andere Mechanismen normativer Legitimation ausgeglichen. Im Ergebnis sollen somit Prävention einerseits und Verfahrensgerechtigkeit andererseits realisierbar sein, ohne daß es auf die präzise Feststellung dessen ankomme, was wirklich geschehen ist.515 Von diesem Ausgangspunkt aus werden entsprechende Konsequenzen für die Berechtigung der Absprache im Strafverfahren gezogen. Mit der Annahme eines sos Stamp, S. 255; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schünemann, Gutachten, S. B 61 f.; Lüderssen, StV 1990, 415 (417 ff.); Weigend, JZ 1990, 774 (780f.). 509 Stamp, S. 247 ff. 510 Stamp, S. 284 f. 5ll Stamp, S. 284 (a. E.). 512 Stamp, S. 256. 513 Stamp, S. 250m. w. N. 514 Der Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit gewinnt im jüngeren Schrifttum zunehmend an Bedeutung, vgl. hierzu Neumann, ZStW 101 (1989), 52 ff.; Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, 1992; Schatz, S. 192 ff. 515 Stamp, S. 269.

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vornehmlich an den präventiven Strafzwecken ausgerichteten Strafverfahrens seien auch konsensuale Elemente vereinbar. 516 So soll im Hinblick auf die Spezialprävention die integrative und kommunikative Gestaltung des Verfahrens zu einer besseren Konfliktbewältigung führen und auch den Prozeß der Resozialisierung unterstützen. Darüber hinaus sei auch die Generalprävention gesichert, da ein erhöhter .,Sanktionierungsoutput" in der Bevölkerung den Eindruck entstehen lasse, daß der Staat auf Normbrüche effektiv reagieren kann; hierdurch entstehe eine abschreckende Wirkung und das Normbewußtsein würde gestärkt. 517 Dieses auf den ersten Blick schlüssig wirkende Konzept ist jedoch wesentlichen Kritikpunkten ausgesetzt. Dabei soll ausgeklammert bleiben, daß nach genauerer historischer Erörterung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren die Idee eines .,erwünschten" Verfahrensergebnisses schon auf den ersten Blick zu einem gewissen Unbehagen führt. Es sollte außer Frage stehen, daß in der Geschichte des deutschen Strafprozesses das .,erwünschte" Verfahrensergebnis über lange Zeit hinweg, auch noch im zwanzigsten Jahrhundert, in engem Zusammenhang mit dem Mißbrauch von Verfahrensrechten bzw. des Strafverfahrens als Institution steht. 518 Viel schwerwiegender ist ein anderer Aspekt: Eine so begründete Ansicht geht von Prämissen aus, die - wie letztlich auch die Vertreter dieses Standpunkts in erheblichem Maße selber einräumen müssen - gerade im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen präventiven Strafzwecken, Rechtsfrieden und konsensualer Erledigung des Strafverfahrens so gar nicht existieren. Das betrifft zunächst die vermeintliche Förderung von General- und Spezialprävention. Rönnau, in dessen Untersuchung zur strafprozessualen Absprache man auf den oben angesprochenen Hinweis bezüglich der vorteilhaften Wirkung des erhöhten Sanktionierungsoutputs stößt,519 stellt selbst klar, daß zumindest mittel- bzw. langfristig die Absprachepraxis bei bestimmten Deliktsgruppen zu einer Gefährdung der präventiven Strafzwecke führt: 520 "Täter ... wissen aufgrund eigener Erfahrung und der Erfahrungen ihrer Strafverteidiger, daß ein Prozeß regelmäßig durch eine den Täter begünstigende Absprache erledigt wird. Das Strafverfahren und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten verlieren damit erheblich an Abschreckung, Vorteile, welche die Tat mit sich bringt, werden gegen die geringer gewordenen Nachteile einer möglicherweise erfolgenden Bestrafung abgewogen. Hinzu kommt, daß schon heute das Phänomen auftritt, daß Verurteilte ihr Urteil weniger ernst nehmen, weil es ja "keine echte" strafrechtliche Verurteilung war."

Vgl. Stamp, S. 269; Rönnau, S. 61 ff. Vgl. die Nachweise bei Stamp, S. 255. 518 Daß der nationalsozialistische Strafprozeß letztlich auch nicht von einem absoluten Wahrheitsverständnis ausging, sondern der Begriff der Wahrheit zu eigenen Zwecken mißbraucht wurde, um das erwünschte Ergebnis zu erreichen, arbeitet Stamp selbst heraus (S. 272 ff.). 519 Rönnau, S. 63. 520 Rönnau, S. 64. 516

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Mit dieser Einschätzung steht Rönnau nicht alleine da, sondern es handelt sich hierbei um Erkenntnisse, die die Erörterung des Deals im Strafverfahren schon seit längerer Zeit begleiten. 521 Es zeigt sich somit, daß der Verweis auf die präventiven Strafzwecke kein zwingendes Argument liefert, diejenigen Formen der Absprache zu rechtfertigen, die auf das Urteil des Gerichts Einfluß nehmen; vielmehr erweist sich dieser Hinweis als geradezu kontraproduktiv. Der propagierte "Bedeutungswandel" der Wahrheit im Strafverfahren bleibt aber auch deshalb recht diffus, weil offenbar nicht nur ein Zusammenhang zwischen materieller Wahrheit und den absoluten, auf Vergeltung ausgerichteten Straftheorien besteht, sondern auch mit den relativen Strafzwecken. So sollen auch diese ... " ... nicht ohne die Ausrichtung auf Wahrheit auskommen: Daß gerechte Vergeltung Wahrheit erfordert, heißt nicht auch umgekehrt, daß man bei einem Verzicht auf Vergeltung auch auf Wahrheit verzichten könnte. Nur auf den wirklichen Täter muß man spezialpräventiv einwirken, und die Generalprävention wäre bei willkürlicher Strafverfolgung schwer gefährdet." 522

Diese Ansicht vermag ohne weiteres zu überzeugen. Wenn aber offensichtlich alle Strafzwecke in nicht unerheblichem Maße an die materielle Wahrheit anknüpfen, dann bleibt die Frage nach dem Bedeutungswandel unbeantwortet im Raum stehen. Gerade der Rückgriff auf die Strafzwecke ist es auch, der ein vergleichbares Urteil über den Verweis auf eine weitgehend vom materiellen Recht unabhängige Verfahrensgerechtigkeit zuläßt. Die Kritik knüpft vor allem an die Wiederherstellung des Rechtsfriedens in ihrer Eigenschaft als wesentliches Element dieses Gerechtigkeitsbegriffes an. Die Antwort auf die Frage nach der Befriedigung der Rechtsgemeinschaft wird ihrerseits maßgeblich geprägt von deren Verständnis der Strafzwecke. Hier zeigt sich, daß es gerade die Idee ausgleichender Vergeltung ist, die seit dem Altertum im Laienbewußtsein lebendig ist und dieses entsprechend prägt.523 Es mag zwar zutreffen, daß sich der Strafzweck der Vergeltung " ... für alle in der Zunft Tätigen ..." überlebt hat. 524 Diese Personengruppe allein dürfte jedoch aus naheliegenden Gründen weder für die Bedeutung des Strafzwecks der Vergeltung noch im Hinblick auf den Rechtsfrieden von ausschlaggebender Bedeu521 Vgl. Damaska, StV 1988, 398 (400): "Beispielsweise erfordern sowohl General- als auch Spezialprävention die Berücksichtigung von Faktoren, die mit den Faktoren, die eine Rolle beim Zustandekommen des deals spielen, unvereinbar sind."; ähnlich Dencker I Hamm, S. 56f.; vgl. weiterhin Waller, DRiZ 1986, 47 (50) und Kaiser/Meinberg, NStZ 1984, 343 (348); aufschlußreich im Hinblick auf das Verhältnis von Absprachen und Generalprävention sind auch die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage bei Schünemann (Gutachten, S. B 62), nach denen sich rund 70% der Befragten gegen die Möglichkeit von (mit erheblichen Strafmilderungen) honorierten Schuldgeständnissen ausgesprochen haben. 522 Stamp, S. 256. 523 Roxin, AT I, § 3 Rdnr. 2; ders., JuS 1966, 378; Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52f.; Stamp, S. 257. 524 Lüderssen, StV 1990,415 (417).

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tung sein. Berücksichtigt man nun einerseits, daß sich trotz unterstellter Eigenständigkeit die Durchsetzung des materiellen Rechts nicht völlig als Funktion des Strafverfahrens negieren läßt und andererseits den Umstand, daß auch der Rechtsfriede wegen der offenbar in der Rechtsgemeinschaft favorisierten Idee der Vergeltung maßgeblich an die Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts gebunden ist, dann zeigt sich deutlich: Auch eine so verstandene Verfahrensgerechtigkeit läßt sich - wenn überhaupt - nur in ganz begrenztem Umfang von der Wahrheit isolieren.525 Das Fazit kann an dieser Stelle daher nur dahingehend lauten, daß auch dieser im Schrifttum vertretene Ansatz nicht geeignet ist, die durch die verfahrenserledigende Absprache aufgeworfenen Probleme zu beseitigen. (2) Zwischenergebnis

Insgesamt läßt sich somit feststellen, daß es hinsichtlich der Berechtigung des materiellen Wahrheitsbegriffs im Strafverfahren erhebliche Disproportionen zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt. Zwar wird gemeinhin die umfassende Aufklärung des Sachverhalts gleichsam als selbstverständliche Grundlage eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens unterstellt. Andererseits wird man das Regelungssystem der StPO selbst trotz der Vorschrift des § 244 Abs. 2 hierfür nicht als ausreichenden Beweis anführen können, da sich dem gesetzlichen Bekenntnis zur materiellen Wahrheitsfindung Vorschriften gegenüberstellen lassen, die dieses Bekenntnis gleichzeitig in Frage stellen. Hinzu treten äußere Faktoren, die ihrerseits das Ziel der umfassenden Wahrheitsermittlung relativieren bzw. den Konflikt zwischen Idee und Wirklichkeit weiter intensivieren. Dieser Umstand äußert sich aber auch bei genauerer Betrachtung der Erledigungspraxis durch die Verfahrensbeteiligten, insbesondere durch die in der Praxis besonders und zunehmend relevanten Absprachen zwischen den Verfahrensbeteiligten über das Ergebnis der Hauptverhandlung. Die soeben erarbeiteten Erkenntnisse müssen zwangsläufig auch Einfluß nehmen auf die herrschende Mißbrauchsdefinition, die maßgeblich auf die Wahrheitsfindung abstellt. Gelangt man vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis der mangelnden Verankerung des materiellen Wahrheitsbegriffs im deutschen Strafverfahren, dann ist der verfahrenszweckakzessorischen Mißbrauchsdefinition die Grundlage entzogen. Will man dagegen trotz aller Vorbehalte gesetzlicher und praktischer Natur an dem materiellen Wahrheitsbegriff im Strafverfahren festhal525 Diesem Gesichtspunkt wird man kaum entgegen halten können, daß auch eine schrankenlose Wahrheitsfindung den Rechtsfrieden gefährde (vgl. Stamp, S. 264; RieB, FS Schäfer, S. 170), denn dieses grundsätzlich zutreffende Argument läßt sich im Hinblick auf das Bedürfnis nach Vergeltung nur allzuleicht im umgekehrten Sinne formulieren. Vor diesem Hintergrund sind auch die Hinweise im Schrifttum einzuordnen, die darauf verweisen, daß gerade die (Medien-)Öffentlichkeit die Gerichte nicht selten daran hindert, einem Deal zuzustimmen; vgl. hierzu Schumacher, StV 1995,442 (445); ferner Weigend, JZ 1990, 774 (782).

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ten und den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs hieran ausrichten, so sind die praktischen Folgen gerade hinsichtlich des Phänomens der Absprache nicht zu unterschätzen, weil man gegebenenfalls kaum erklären kann, warum nicht - abseits der zulässigen Formen - jegliche Art von verfahrensbeendeoder Absprache in letzter Konsequenz als rechtsmißbräuchlich einzuordnen sein soll.526 Angesichts der (zunehmenden) Beliebtheit des strafprozessualen Deals in der Praxis erscheint es fraglich, ob die herrschende Meinung bereit ist, einen solchen Preis für eine am materiellen Wahrheitsbegriff orientierte Definition des Rechtsmißbrauchs zu zahlen. (3) Zur Vereinbarkeif mit der Rechtsstellung des Beschuldigten und der Verteidigung

Wurde in dem vorangehenden Abschnitt die grundsätzliche Berechtigung des materiellen Wahrheitsbegriffs als tauglicher Anknüpfungspunkt einer verfahrenszweckakzessorischen Mißbrauchsdefinition unter Berücksichtigung des rechtlichen und faktischen Rahmens von Strafverfahren erörtert, so lassen sich diese Erwägungen in einem nächsten Schritt um einen weiteren Aspekt ergänzen: Setzt man sich über jeglichen Zweifel an der Berechtigung des herkömmlichen, materiellen Wahrheitsbegriffs hinweg, so stellt sich das Folgeproblem, ob bzw. inwieweit die einzelnen Verfahrensbeteiligten diesem Verfahrenszweck in gleichem Maße unterworfen sind. Die Grundüberlegung hinter dieser Fragestellung liegt auf der Hand: Sollte sich herausstellen, daß nicht alle Verfahrensbeteiligten der materiellen Wahrheit unterworfen bzw. sogar eventuell berechtigt sind, der Aufklärung des wahren Sachverhalts entgegenzuwirken, dann führt die Anwendung einer derartigen (zumindest nicht näher differenzierten) Mißbrauchsformel auf entsprechende Verhaltensweisen dieser Verfahrensbeteiligten zwangsläufig zu Komplikationen. Im Hinblick auf die Stellung von Gericht und Staatsanwaltschaft bedarf diese Fragestellung keiner umfangreichen Überlegungen, weil die StPO selbst hierauf die notwendige Antwort gibt. So soll sich die Bindung des Gerichts an die materielle Wahrheit ja gerade aus der Instruktionsmaxime des § 244 Abs. 2 ergeben. Nichts anderes ist für die Stellung der Staatsanwaltschaft zu konstatieren (vgl. insbesondere §§ 160 Abs. 1 u. 2). Damit stehen im Rahmen dieser Fragestellung weniger die staatlichen Strafverfolgungsorgane im Mittelpunkt des Interesses als vielmehr die Rechte von Beschuldigtem und Verteidigung.

526 Beachte darüber hinaus auch die materiell-rechtliche Komponente dieser Problematik; hierzu etwa Rönnau, S. 233 ff. ; Braun, AnwBI. 1998, 567 ff. und - wenig überzeugend S. Cramer, wistra 1999, 414 ff.

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(a) Die Stellung des Beschuldigten Erörtert man zur Beantwortung dieser Frage zunächst die Rechtsstellung des Beschuldigten, so werden die weitreichenden Konsequenzen einer an den Verfahrenszweck der Wahrheit anknüpfenden Mißbrauchsdefinition vielleicht nicht auf den ersten Blick deutlich, weil ihre Anwendung auf die in (jüngster) Vergangenheit ausgiebig diskutierten Verhaltensweisen von Beschuldigten in Strafverfahren zu durchaus erwünschten Ergebnissen führt. Nimmt man als Beispiel nur das Verhalten in Verfahren wie etwa dem im Baader-Meinhof-Prozeß, in dem die Anspruchnahme von Aktivrechten 527 nur dazu fungierte, daß Verfahren zu einem nach den Vorstellungen der Angeklagten gestalteten Tribunal gegen die herrschenden Verhältnisse zu benutzen,528 dann ist eine Subsumtion unter die hier zu diskutierende Mißbrauchsdefinition unproblematisch. Nichts anderes gilt, wenn man Sachverhaltskonstellationen wie die der aufgezeigten Leitentscheidung des BGH vom 7. 11. 1991 als Prüfungsgrundlage wählt, in denen die Beschuldigten versuchten, daß Verfahren vor dem Landgericht durch exzessiven Gebrauch des Beweisantragsrechts zum Erliegen zu bringen. Da die herrschende Mißbrauchsdefinition nicht zuletzt in diesen oder vergleichbaren extremen Erscheinungen ihre Wurzeln findet, kann dieses Ergebnis auch nicht sonderlich verwundern. Die Problematik der bis hierhin ermittelten Begriffsbestimmung erschließt sich aber dann, wenn man sich von diesen extremen Fallgruppen mißbräuchlichen Beschuldigtenverhaltens löst und sich vergegenwärtigt, daß die Definition des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren nicht auf derart extreme Auswüchse begrenzt ist. Anders gewendet: Es bedarf nicht der exzessiven Inanspruchnahme eines Verfahrensrechts, um den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs auf Basis dieser Definition zu erfüllen. Wie verhält es sich also mit der Einordnung des Beschuldigtenverhaltens als rechtsmißbräuchlich, wenn dieser etwa sein in § 257 verbrieftes Erklärungsrecht zur wahrheitswidrigen Aussage nutzt? Die dieser und anderen vergleichbaren Konstellationen zugrunde liegende Fragestellung läßt sich abstrakt dahingehend formulieren, inwieweit der Beschuldigte im Strafverfahren bezüglich der Inanspruchnahme von Verfahrensrechten zur Wahrheit verpflichtet ist. Festzustellen ist zunächst, daß dem Beschuldigten im Hinblick auf die Ermittlung der Wahrheit schon von verfassungswegen eine besondere Stellung zukommt. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG leitet sich der "nemo-tenetur"-Grundsatz ("nemo tenetur se ipsum accusare (prodere)") ab, nach dem kein Beschuldigter im Strafverfahren verpflichtet ist, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. 529 Einigkeit besteht jedoch nur insoweit, als der nemo-tenetur-Grundsatz grundsätz527 Zutreffend weist Kudlich (S. 25) darauf hin, daß der Mißbrauch dieser Verlahrensrechte im Mittelpunkt des Interesses steht. 528 Vgl. hierzu oben B. IV. 1. a). 529 Z. B. BVerlGE 56, 37 (43 ff.); Beulke, StPR, Rdnr. 125.

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lieh das passive Beschuldigtenverhalten im Sinne des Schweigens absichert. Anders verhält es sich mit der Fragestellung, ob dem Beschuldigten im Strafverfahren auch das Recht zukommt, durch aktives Prozeßverhalten der Wahrheitsfindung entgegen zu wirken. Diese Fragestellung führt zu der umstrittenen Problematik, ob der Beschuldigte ein Recht auf Lüge hat. In der Literatur wird dies entgegen der Mindermeinung530 überwiegend mit dem Hinweis auf die materielle Rechtslage verneint. Exemplarisch hierfür sind die Ausführungen Hanacks: Zwar soll aus prozessualer Sicht den aussagebereiten Beschuldigten die Pflicht zur Wahrheit nicht treffen, allerdings soll man hieraus wiederum noch nicht schließen dürfen, daß er damit ein Recht auf Lüge habe.531 Begründet wird dies mit dem Verweis auf die Regelungen der§§ l45d, 153 ff., 164, 187, 258 StGB: Wäre der Beschuldigte berechtigt, das Gericht anzulügen, dann müßte man für den Fall, daß seine Aussage einen dieser Tatbestände erfüllt, von einem Rechtfertigungsgrund ausgehen, der sich aus der Vernehmung des Beschuldigten ergibt, den das materielle Recht aber nicht kennt. 532 Die Kritik an diesem Standpunkt ist überzeugend von Fezer dargelegt worden. Dieser weist darauf hin, daß der materiell-rechtliche Einwand nicht überzeugen kann, weil auch Lügen des Angeklagten denkbar sind, die den Schutzbereich der genannten Normen gar nicht verletzen, so zum Beispiel wenn er wahrheitswidrig leugnet zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein.533 Freilich ist nicht zu verkennen, daß sich diese beiden entgegengesetzten Standpunkte zumindest im Grundsatz nahe stehen, denn für unwahre Aussagen des Beschuldigten, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen, ist kein Grund erkennbar, warum nicht auch auf Basis der herrschenden Meinung ein Recht zur unwahren Aussage gegeben sein soll. Dort wo die unwahre Aussage des Beschuldigten keine materiell-rechtlichen Folgen nach sich zieht, kann der Hinweis auf die Regelungen des Strafrechts nicht überzeugen. Es ist daher folgerichtig, wenn Hanack unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH534 dem Beschuldigten zubilligt, sich für die Lüge zu entscheiden bzw. sich mit ihr zu verteidigen, wenn er damit gegen kein Strafgesetz verstößt. 535 Wenn man aber dem Beschuldigten zugesteht, sich mit der Lüge zu verteidigen, dann fragt es sich allerdings, warum man nicht auch - in den oben aufgezeigten Grenzen - von seinem Recht auf Lüge sprechen soll. Gründe, die über (rechtlich völlig irrelevante) ethische536 Erwägungen hinausgehen, sind jedenfalls in diesem Bereich nicht zu erkennen. Letztlich ist damit 530 531 532 533 534 535 536

Insbesondere Fezer, FS Stree I Wesse1s, S. 662 ff.; Rogall, S. 54. LIR(25)-Hanack, § 136 Rdnr. 41.; vgl. auch Roxin, FS Hanack, S. 1 (12). LI R(25)-Hanack, § 136 Rdnr. 41. Fezer, FS Stree/Wessels, S. 665, 673 ff. mit weiteren Beispielen. Z. B. BGH StV 1985, 356; BGH StV 1992,259. LIR(25)-Hanack, § 136 Rdnr. 41 (a. E.). Zur Irrelevanz ethisch-sittlicher Erwägungen Rogall, S. 52 ff.

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die Einordnung dieser Ausprägung des Selbstbegünstigungsprivilegs als Lügerecht eine rein terminologische Frage. 537 Bereits an dieser Stelle konkretisiert sich damit der Konflikt mit der Definition des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren, wie er am Anfang dieses Abschnitts schon angedeutet wurde. Auf der einen Seite ist es dem Beschuldigten möglich, sich mittels der Unwahrheit gegen den Tatvorwurf zu verteidigen, auf der anderen Seite wird dieses Recht durch die herrschende Mißbrauchsdefinition erfaßt und damit unterlaufen, denn der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs statuiert letztlich die Verpflichtung des Beschuldigten auf die Wahrheit, zumindest bei der Nutzung seiner Aktivrechte im Strafverfahren. Greift man zur Formulierung dieses Ergebnisses auf die in der aktuellen Diskussion so beliebte Verwendung von plakativen Schlagwörtern zuriick, so läßt sich das gefundene Ergebnis auch anders darstellen: Eine dem Rechtsstaatsprinzip unterworfene Rechtsordnung, die im Hinblick auf die umfassende Sachverhaltsaufklärung dem Beschuldigten - zumindest bis zu einem gewissen Grade - die Rolle des "Verfahrenssaboteurs" zubilligt, wenn er sich mit Lügen gegen seine Überführung wehrt, setzt sich mit sich selbst in Widerspruch, wenn sich unter Verweis auf die vermeintliche Mißbräuchlichkeit die Sanktionierung eines solchen Verhaltens realisieren ließe. So wäre durch die wahrheitswidrige Erklärung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung, er sei zum Zeitpunkt der Tat nicht am Tatort gewesen, der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs erfüllt, denn mit einer solchen Aussage würde er der Wahrheitstindung im Strafverfahren entgegenwirken und hätte so im Sinne dieser Begriffsbestimmung durch prozessual ordnungsgemäße Inanspruchnahme seines Erklärungsrechts "verfahrenswidrige" Zwecke verfolgt. Dem ließe sich zwar entgegenhalten, daß die Diskussion um den Rechtsmißbrauch derartige Fallgestaltungen gar nicht im Blick hat. Den Konflikt entspannen kann eine solche Behauptung jedoch nicht, denn entscheidend dürfte sein, daß die vorliegende verfahrenszweckakzessorische Mißbrauchsdefinition auf Basis des materiellen Wahrheitsbegriffs solche Fallkonstellationen nicht ausscheidet, was zumindest die pauschale Formulierung des Mißbrauchstatbestands in Frage stellen muß. (b) Insbesondere: Die Stellung der Verteidigung Läßt sich somit resümierend auf Basis einer weitgehend gesicherten Rechtsstellung des Beschuldigten, nach der eine Wahrheitspflicht auszuscheiden bzw. ein Recht auf Lüge zumindest bis zur Grenze der Strafbarkeit zu bejahen ist, die bisher ermittelte Mißbrauchsdefinition kritisieren, so führt dieselbe Fragestellung in bezug auf die Verteidigung zu ganz erheblichen Problemen. Beulke hat diese Fragestellung unlängst als die " ... Gretchenfrage der gesamten Strafverteidigung ..." tituliert. 538 Festzustellen ist zumindest, daß man bei Erörterung dieser Problem537 538

Zutreffend Beulke, StPR, Rdnr. 125. Beulke, FS Roxin, S. 1173 (1180).

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stellung in einen der wohl umstrittensten Bereiche des deutschen Strafprozeßrechts, nämlich der Frage nach Rechten und Pflichten des Verteidigers, gelangt. Zwar bedarf nach einhelliger Auffassung die Aussage, daß die Verteidigung eine unverzichtbare Bedingung des rechtsstaatliehen Strafverfahrens darstellt, keinerlei Rechtfertigung. Die effektive Verteidigung des Beschuldigten ist eine rechtsstaatliehe Selbstverständlichkeit, die zum einen in Art. 6 Abs. 3 c EMRK verankert ist, 539 zum anderen läßt sich dieser Umstand auch aus dem Grundgesetz herleiten, denn das rechtsstaatlich gebotene (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) faire Verfahren ist nur dann gesichert, wenn man zwischen dem Beschuldigten und den übrigen Beteiligten Waffengleichheit herstellt. Dieses ist aber nur dann der Fall, wenn der professionellen Kompetenz der Strafverfolgungsorgane eine ebensolche entgegen gestellt wird. 540 Und dennoch: Trotz dieser grundsätzlichen Einigkeit hinsichtlich der Notwendigkeit der Verteidigung des Beschuldigten ist letztlich das, was die Verteidigung im Strafverfahren zu diesem Zwecke tun "darf' bis heute noch nicht abschließend geklärt und dieser Umstand gilt vor allem für die Frage, ob bzw. inwieweit der Verteidiger bei seinen Aktivitäten im Laufe des Strafverfahrens auf die Wahrheit verpflichtet ist. (aa) Der Verteidiger- ein umfassend der Wahrheit verpflichtetes "Organ der Rechtspflege"? Für das Verhältnis von Verteidigung und Wahrheit ist allerdings festzustellen, daß sich die Problematik vor dem Hintergrund der herrschenden Ansicht nicht stellt, da diese eine Verpflichtung des Verteidigers auf die Wahrheit ohne weiteres bejaht. Grundlage hierfür bildet § 1 BRAO, nach welchem der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist. Aus dieser Organstellung wird die Wahrheitspflicht des Verteidigers hergeleitet. Beulke bezeichnet die Verpflichtung des Verteidigers auf das Prozeßziel der Findung des wahren und gerechten Urteils gar als den Kern der Organtheorie. 541 Und so faßt die Rechtsprechung des BVerfG, nach der die Verteidigung ein staatlich gebundener Vertrauensberuf ist, der dem Verteidiger eine auf Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist, die herrschende Meinung in ihren wesentlichen Aussagen zu diesem Problemkomplex zusammen. 542 Anders verhält es sich freilich dann, wenn man sich derselben Frage von dem Standpunkt der Gegenmeinung in der Literatur aus nähert, die - wenngleich in verSiehe hierzu etwa auch EGMR NJW 1999,2353. Vgl. statt vieler nur Bemsmann, S. 111; ders., StraFo 1999, 226 (227). 541 Beulke, Strafbarkeit, S. 19. 542 BVerfG 38, 105 (119); vgl. auch BGHSt 9, 20 (22); BGHSt 29, 99 (106); BGHSt 38, 345 (347); aus dem Schrifttum bspw. Beulke, StPR, Rdnr. 150; Pfeiffer, DRiZ 1984, 341 (343); Otto, Jura 1987, 329. 539

540

8 Abdallah

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schiedeneo Varianten - in dem Verteidiger einen reinen Vertreter von Beschuldigteninteressen sehen wi11, 543 verbunden mit der weitgehenden Gleichstellung von Beschuldigten- und Verteidigerrechten. Die Vertreter dieser Meinung konzentrieren dabei ihre Kritik vor allem auf die durch § 1 BRAO begründete Organstellung. So stößt man etwa bei Wassmann 544 auf wesentliche Kritikpunkte, die hierzu Verschiedenerorts im Schrifttum in Erscheinung treten. Zum einen sieht er in der Anwendung des § 1 BRAO eine dogmatisch-systematische Ungenauigkeit insoweit, als die Bundesrechtsanwaltsordnung dem Verteidiger nicht Eigenschaften zuweisen könne, die ihm weder von der StPO selbst noch von der Menschenrechtskonvention zugeordnet werden. 545 Das Standesrecht könne das allgemeine Recht nicht korrigieren. Aus dem Grundgesetz würden sich vielmehr Ansatzpunkte für die Berechtigung des Verteidigers ergeben, einseitig die privaten Interessen wahrnehmen zu dürfen, wofür er die Grundsätze der Waffengleichheit und der Unschuldsvermutung als Beleg anführt. 546 Daneben weist er darauf hin, daß nicht nur Rechtsanwälte als Normadressaten des § 1 BRAO als Verteidiger in Erscheinung treten, sondern auch Hochschullehrer oder Referendare (vgl. §§ 138, 139) diese Aufgabe übernehmen könnten, 547 die ihrerseits nicht in den Schutzbereich von § 1 BRAO fallen. Faßt man letztlich die Aussagen der sich opponierenden Extrempositionen bezüglich der Wahrheitspflicht des Verteidigers im Ergebnis zusammen, so reicht die Bandbreite von der Bejahung einer solchen Pflicht bis hin zu der Aussage, daß es der Privatmoral des Verteidigers überlassen bleibe, wie er es mit der Wahrheit hält. 548 Die Beantwortung der Frage nach der Wahrheitspflicht hat an dieser Stelle ganz offensichtlich die gleiche maßgebliche Bedeutung für die Berechtigung der herrschenden Mißbrauchsdefinition wie schon im Hinblick auf den Beschuldigten: Je nach dem, ob bzw. wieweit man den Verteidiger auf die umfassende Sachverhaltsaufklärung im Strafverfahren verpflichtet sieht, ergibt sich ein entsprechender Schutzbereich dieser Definition bezüglich dessen Tätigkeit. Im Mittelpunkt des Interesses stehen zunächst auch hier nicht die extremen Erscheinungen mißbräuchlichen Verhaltens, durch die das Strafverfahren zu irgendwelchen dubiosen Zwecken umfunktioniert oder ganz vereitelt werden soll, sondern es geht um die Überprüfung, ob diese Mißbrauchsdefinition die Inanspruchnahme von Verteidigungsrechten durch Verweis auf eine vermeintliche Wahrheitspflicht über Gebühr einschränkt. Stellt es somit einen Fall des Rechtsmißbrauchs dar, wenn sich der Verteidiger wahrheitswidrige Erklärungen seines Mandanten zu Eigen macht und im weiteren Verlauf des Verfahrens ebenso wie der Beschuldigte mit der Unwahr543 Z. B. Ostendorf, NJW 1978, 1345 ff.; Gatzweiler, StV 1985, 248 ff.; beachte in diesem Zusammenhang auch die Vertragstheorie Lüderssens, L/R(24)-Lüderssen, vor § 137 Rdnr. 33ff. 544 Wassmann, S. 80 ff. 545 Wassmann, S. 80. 546 Wassmann, S. 80 i. V. m. S. 30 ff. 547 Wassmann, S. 81. 548 So Bernsmann, S. 120; ders., StraFo 1999, 226 (230).

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heit operiert? Oder wie ist etwa der Fall zu entscheiden, wenn der Verteidiger einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen stellt, von dem er sicher weiß, daß er zu Gunsten seines Mandanten eine Falschaussage machen wird, ohne hierfür im Vorfeld der Aussage den Zeugen auf irgendeine Art und Weise manipuliert zu haben? Die Relevanz dieser Fragestellungen für die vorliegende Thematik läßt sich nicht ernsthaft leugnen. So würde im letztgenannten Fall ein einziger, formal nicht zu beanstandender Beweisantrag ausreichen, um den Mißbrauchstatbestand der herrschenden Meinung zu erfüllen, ohne daß es etwa auf die exzessive Inanspruchnahme dieses Rechts ankäme. Wenngleich es nicht Anliegen dieser Untersuchung sein soll und kann, die Frage nach Rechten und Pflichten der Verteidigung abschließend zu klären, so ist es doch zumindest erforderlich, auf die bisher dargestellten Meinungen einzugehen und wenigstens ein grobes Bild hiervon zwecks Klärung des Verhältnisses von Verteidigung und Wahrheit zu ermitteln. (bb) Zur Kritik an der herrschenden Diskussion um die Verteidigungsrechte Allerdings sind die soeben aufgezeigten Stellungnahmen pro und contra einer entsprechenden Wahrheitspflicht nur in beschränktem Maße geeignet, einen Beitrag zur Lösung dieser Problemstellung zu bieten. Diese Erkenntnis betrifft zunächst die - grundsätzlich berechtigte - Kritik der Mindermeinung an der Vorschrift des § 1 BRAO und die Ableitung der Wahrheitspflicht aus der Organstellung. Man wird nicht umhin können dem Organbegriff eine gewisse Inhaltsleere zu bescheinigen,549 dessen Aussagegehalt sich darauf beschränkt, den Rechtsanwalt als ein zur Rechtspflege zugehöriges Element einzuordnen, ohne daß hierdurch ein genauer Rückschluß auf die daraus resultierenden Pflichten (oder Verbote) möglich wäre. Historisch betrachtet ist es ebenfalls nicht von der Hand zu weisen, daß es gerade diese Unbestimmtheit der Organstellung war, die während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur dem Mißbrauch dieses Begriffs Tür und Tor geöffnet hat und damit Grundlage einer an der Staatsraison orientierten Verteidigung war. 550 Eine solche Argumentation bewegt sich jedoch auf einer sehr formalen Ebene, denn die Entwicklung der Diskussion um die Rechte und Pflichten der Verteidigung im Laufe der Zeit hat auch gezeigt, daß es zur Konstruktion einer entsprechenden Wahrheitspflicht offenbar gar nicht des Rückgriffs auf die Organformel bedarf bzw. andere rechtliche Grundlagen hierfür angeführt werden. So stößt man bei Bottke etwa auf die Herleitung einer solchen Pflicht aus dem fair-trialPrinzip.551 Einen anderen prozessualen Begründungsversuch findet man bei Wassmann, S. 82 m. w. N. Ausführlich hierzu Beulke, Verteidiger, S. 166 ff. m. w. N.; vgl. auch Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1348). 551 Bottke, ZStW 96 (1984), 726 (750ff.); ebenso Rieß, FS Kar! Schäfer, S. 155 (202); Pellkofer, S. 129. 549

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Beulke, der die Wahrheitspflicht des Verteidigers aus § 138a Abs. 1 Nr. 1 und 3 herleiten wil1. 552 Schließlich will Roxin zu dem gleichen Ergebnis über die Anwendung eines- im Rahmen dieser Untersuchung noch näher zu beleuchtenden553 -allgemeinen Mißbrauchsverbots gelangen, welches seinerseits Ausdruck der verfahrensrechtsimmanenten Schranken der Verteidigung sein soll.554 Nicht zu leugnen ist auch der Umstand, daß bereits die Autoren der RStPO von einer Bindung der Verteidigers an die Wahrheit ausgegangen sind und diese Vorstellung somit schon in den unmittelbaren Wurzeln des heutigen Strafprozeßrechts verankert war. Erneut lohnt sich hierzu ein Blick in die Motive dieses Gesetzeswerks, genauer in den Bericht der Reichstagsjustizkommission, denn dort wird die Funktion des Verteidigers im zehnten Abschnitt unter der Überschrift "Vertheidigung" in bezug auf das Ermittlungsverfahren wie folgt beschrieben: 555 "Eine verständige Vertheidigung, welche als ihre Aufgabe das Bestreben verfolgt, die dem Angeschuldigten günstigen Thatsachen zu erforschen und zur Kenntniß der im Strafverfahren thätigen Behörden zu bringen, ohne hierbei zugleich den wahren Sachverhalt verdunkeln und auf die Ermittelung der wider den Angeschuldigten sprechenden Thatsachen hindernd einwirken zu wollen, wird stets als ein willkommener Beistand zur Feststellung der materiellen Wahrheit eine wichtige und dankbare Funktion im Strafverfahren ausüben ... " Aus diesen Ausführungen läßt sich ohne weiteres entnehmen, daß die Autoren der Reichsstrafprozeßordnung die Verteidiger nicht isoliert neben der materiellen Wahrheit stehen sahen. Es zeigt sich damit aber auch, daß § 1 BRAO und die hieraus abgeleiteten Pflichten nur ein sehr unvollkommener Versuch der Fixierung dessen sind, was historisch betrachtet schon vor Einführung dieser Norm herrschende Ansicht war. Nicht zuletzt vor diesem geschichtlichen Hintergrund liegt schließlich auch in dem Hinweis auf die Verteidigungstätigkeit von Hochschullehrern oder Referendaren kein sonderlich überzeugendes Argument, denn die Tatsache, daß diese als Normadressaten des § 1 BRAO ausscheiden, rechtfertigt noch nicht den Umkehrschluß, daß diese in ihrer Funktion als Verteidiger in einem Strafverfahren nicht von der Wahrheitspflicht erlaßt werden. Die systematische Betrachtung des Strafverfahrensrechts macht deutlich, daß seitens der StPO jedem Verteidiger die gleichen Rechte und Pflichten beigemessen werden, 556 so daß eine solchen Argumentation, soweit sie einer Loslösung des Verteidigers von der Wahrheitspflicht dienen soll, hierfür kein hinreichendes Fundament bildet. Aber auch die Herleitungsversuche einer Wahrheitspflicht des Verteidigers aus Verfahrensprinzipien abseits der Organformel können nach dem derzeitigen Er552

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Beulke, Verteidiger, S. 144 f.; ihm folgend Krekeler, NStZ 1989, 146 (147). Siehe hierzu unten D. II. 4. c) (3). Roxin, FS Hanack, S. 1 (11 ff.). Hahn/Stegemann, Materialien (2. Abt.), S. 1555. Domach, S. 43 m. w. N.

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kenntnisstand nicht überzeugen. So ließe sich eine entsprechende Verpflichtung des Verteidigers durchaus dann glaubhaft machen, wenn man den Begründungsversuchen aus dem fair-trial-Prinzip, aus § 138a oder auf Grundlage eines allgemeinen Mißbrauchsverbots Folge leistet. Krekeler557 weist bezüglich des fair-trial-Prinzips jedoch darauf hin, daß dieser Grundsatz gerade den Interessen des Beschuldigten und seines Verteidigers dient. Würde man aus ihm die prozessuale Wahrheitspflicht dieser Verfahrensbeteiligten ableiten, so würde man es gerade in sein Gegenteil verkehren. Diese Kritik ist zumindest insoweit zustimmungswürdig, als nicht der Nachweis erbracht wird, daß sich diesem Verfahrensprinzip auch Pflichten des Beschuldigten und des Verteidigers entnehmen lassen, die seine Schutzfunktion bezüglich dieser Verfahrensbeteiligten auflockern. Dagegen sprechen sehr gewichtige Gründe, die sich aus Sinn und Zweck des Anspruchs auf ein faires Verfahren ergeben. Ohne bereits an dieser Stelle näher auf die weitgehende Bedeutung des fair-trial-Prinzips für die Thematik der vorliegenden Untersuchung eingehen zu wollen läßt sich folgendes festhalten: Die Grundidee des sowohl in der EMRK als auch im Grundgesetz verbrieften Anspruchs auf ein faires Verfahren besteht darin, das Übergewicht der staatlichen Mittel im Strafverfahren zu begrenzen und den Staat zur Selbstbeschränkung zu verpflichten. 558 Seine Funktion läßt sich somit abstrakt im Sinne eines Abwehrrechtes im Dienste des Beschuldigtenschutzes beschreiben und seine Schutzaufgabe stellt sich den staatlichen Interessen entgegen. Damit unvereinbar ist eine Interpretation, die den Beschuldigteninteressen widersprechen muß, so daß eine Auslegung im Sinne der staatlichen Interessen jeglicher Grundlage entbehrt. 559 Freilich ist nicht zu verkennen, daß diese "Beschlagnahme" von Beschuldigtenschutzprinzipien aus Art. 6 EMRK zugunsten einer effektiven Strafrechtspflege nicht nur an dieser Stelle stattfindet. Vergleichbares gilt es auch für den Beschleunigungsgrundsatz zu konstatieren, der ebenfalls ftir die staatlichen Interessen eingespannt wird - unter anderem mit der Konsequenz, daß die Rechtsstellung des Beschuldigten zu einer Pflicht zur Verfahrensförderung mutiert. 560 Insoweit handelt es sich auch hier um eine Verkehrung des Prinzips, dessen mangelnde dogmatische Verankerung ebenso wiederholt wie zutreffend in der Literatur aufgezeigt worden ist. 561 Auf den möglichen Konflikt einer derartigen Auslegung des KonvenKrekeler, NStZ 1989, 146 (147). Vgl. etwa Teske, JA 1986, 108m. w. N. 559 Wenig überzeugend Bottke, ZStW 96 (1984), 726 (754 f.), der eine solche Argumentation mit dem Hinweis auf die (wegen der rechtsstaatliehen Wurzel) "komplexe Natur" des fair trial und seine Schutzfunktion auch in bezug auf Zeugen und Verletzten verwerfen will. Selbst wenn man die Ansicht teilt, daß auch Zeugen und Verletzte in den Schutzbereich dieses Prinzips fallen, dann rechtfertigt diese Erkenntnis allein nicht den Urnkehrschluß, daß der Verteidiger an die Wahrheit gebunden ist. Gleiches dürfte für den lapidaren Hinweis auf die komplexe Natur des fair trial gelten; zur Kritik an diesen Ausführungen Bottkes siehe auch Griiner, S. 166; Stumpf, S. 28ff. 560 Vgl. hierzu ausführlich Scheffler, S. 50 ff.; Weigend, Referat, S. M 17 ff. 561 Siehe etwa Scheffler, S. 59f.; ders., GA 1995, 449 (453); Weigend, Referat, S. M 18; Frister, StV 1994, 445 (446); Rüping, ZStW 91 (1979), 351 (361); Kühl, ZStW 100 (1988), 601 (622). 557

558

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tionsrechts mit der Mißbrauchsverbotsklausel des Art. 17 EMRK sei an dieser Stelle nur hingewiesen.562

Ebensowenig überzeugend ist die Lösung auf Grundlage des§ 138a. Beulke begründet diesen Ansatz unter Verweis auf eine mögliche Strafbarkeit des Verteidigers wie folgt: 563 "Indem § 138a Abs. 1 in Ziff. I und 3 unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß derjenige nicht toleriert wird, der selbst auf die Anklagebank gehört, der also ein persönliches Interesse an einem bestimmten Prozeßausgang hat und bei dem deshalb die Gefahr besteht, daß er die Verteidigung ebenso führt wie der Beschuldigte selbst, legt sich die Strafprozeßordnung auf einen Verteidiger fest, der der Wahrheit 564 verpflichtet ist."

Daß in dieser Auffassung letztlich ein Zirkelschluß liegt, hat Mehle zutreffend dargestellt, 565 denn Be ulke setzt zur Verifizierung seiner These letztlich das voraus, was er nachweisen will: Nur wenn feststehen würde, daß etwa die Lüge des Strafverteidigers überhaupt den für § 138a relevanten Tatbestand der Strafvereitelung erfüllt, ließe sich der Umkehrschluß ziehen, daß der Verteidiger einem Lügeverbot unterliegt. Genau in diesem Nachweis liegt das Kernproblem, das nicht mit dem schlichten Verweis auf eine Sanktionsnorm gelöst werden kann. Nicht unproblematisch ist letztlich auch die Verpflichtung des Verteidigers auf die Wahrheit entsprechend einem allgemeinen Mißbrauchsverbot Roxin geht bei seinen diesbezüglichen Erwägungen zwar davon aus, daß der Verteidiger zur ausschließlichen Geltendmachung der gesetzlich legitimen Verteidigungsinteressen zugunsten des Beschuldigten berufen ist, so daß die Verteidigung alle zu dessen Vorteil sprechenden Tatsachen bzw. diesem gewährten Rechte in bestmöglicher Weise zur Geltung bringen soll.566 Weicht der Verteidiger hingegen bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe von diesem Funktionsprofil ab, dann verletzt er damit nach Auffassung Roxins ein" ... überall gültiges ..." Prinzip, daß die Wahrnehmung von Rechten nur bis hin zur Mißbrauchsgrenze gestattet. 567 Eine derartiger Verstoß gegen das allgemeine Mißbrauchsverbot liegt ihm zufolge nicht nur vor, wenn der Verteidiger Zeugenaussagen oder Urkunden präsentiert, deren Unrichtigkeit ihm bekannt ist, sondern auch im Falle der Verteidigerlüge, weil dieser hierdurch weder entlastende Tatsachen noch Rechte geltend mache. Ebenfalls ließe sich die Lügebefugnis des Verteidigers nicht aus einer entsprechenden Rechtsstellung des Beschuldigten ableiten, weil auch diesem ein solches Recht nicht zustehen würde. 568 562 Zum Regelungsgehalt des Art. 17 EMRK vgl. die Kommentierung bei L/R(24)-Gollwitzer, Art. 17 EMRK Rdnr. I ff. 563 Beulke, Verteidiger, S. 144f.; vgl. auch Bottke, JR 1984, 300 (301) und Krekeler, NStZ 1989, 146 (147). 564 Hervorhebung im Original. 565 Mehle, FS Koch, S. 184f. 566 Roxin, FS Hanack, S. I (!Of.). 567 Roxin, FS Hanack, S. I (12). 56& Roxin, FS Hanack, S. I (12).

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Erkennbar machen auch diese Überlegungen Roxins die Wahrheitspflicht des Verteidigers zur unabdingbaren Prämisse seines Lösungsansatzes: Nur wenn man davon ausgeht, daß der Verteidiger wirklich auf die Wahrheit verpflichtet ist, läßt sich für den Fall der Lüge ein entsprechendes Mißbrauchsurteil fallen. Die Klärung dieser entscheidenden Vorfrage - im wesentlichen getragen von dem Verweis, daß auch dem Beschuldigten kein Recht auf Lüge zustehe - kann aber vor dem Hintergrund der hier vertretenen Gegenmeinung nicht überzeugen. 569 Doch auch unabhängig von dieser Meinungsverschiedenheit stellt sich die Frage, wie sich der Verteidiger auf Grundlage dieses Funktionsverständnisses verhalten soll, wenn der Beschuldigte im Strafverfahren tatsächlich auf die Unwahrheit zurückgreift. 570 Da der Verteidiger auch nach der Ansicht Roxins die Verteidigungsstrategie nicht gegen den Willen des Beschuldigten durchsetzen bzw. dieser die Strategie seines Beistands durch die eigene Inanspruchnahme von Rechten zerstören kann, 57 1 sind massive Probleme in diesem Falle - zumindest im Hinblick auf das für eine optimale Verteidigung notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem bzw. ein koordiniertes Verteidigungsverhalten572 - vorprogrammiert. Ihm verbliebe letztlich nur die Möglichkeit, sein Mandat niederzulegen, wenn er nicht riskieren will, durch sein Verhalten den Interessen des Beschuldigten zuwider zu wirken. Allerdings reicht auch diese Lösung nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich der nächste Verteidiger mit denselben, aus einem pauschalen Lügeverbot resultierenden Problemen konfrontiert sieht. Es muß daher die Frage gestellt werden, ob sich die Zulässigkeit der Lüge des Verteidigers im Strafverfahren wirklich auf eine derart generalisierende Art und Weise negieren läßt oder aber ob es nicht doch Fallkonstellationen gibt, in denen die Unwahrheit des Verteidigers hingenommen werden muß. 573

Siehe hierzu C. I. 3. a) (3) (a). Was schon deshalb nicht ausgeschlossen ist, weil auch Roxin die auf Bottke (ZStW 96(1984), S. 726(756)) zurückgehende Feststellung aufgreift, nach der der Verteidiger den Beschuldigten ". . . stimulationsneutral . . ." über die Sanktionslosigkeit wahrheitswidrigen Leugnensaufklären dürfe, vgl. Roxin, FS Hanack, S. I (13). 57 1 Vgl. Roxin, FS Hanack, S. I (16). 572 Auch Roxin erachtet ein entsprechendes Vertrauensverhältnis für unabdingbar, siehe Roxin, FS Hanack, S. 1 (15); vgl. hierzu noch ausführlich unten D. li. 4. (3) (c). 573 Siehe zur Kritik an der Anwendung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots auf die Stellung der Verteidigung auch Beulke, FS Roxin, S. 1173 ( 1184), der zwar völlig zu Recht auf die mangelnde Bestimmtheit des allgemeinen Mißbrauchsverbots als übergeordnetes Rechtsprinzip verweist; andererseits gelingt es Beulke nicht, die Gegenkritik Roxins (FS Hanack S. 1, (14 f.)) an der mangelnden Bestimmtheit seines Konzepts der eingeschränkten Organtheorie, verbunden mit dem Verbot des Eingriffs in den "Kembereich der Effektivität der Rechtspflege" durch die Verteidigung, zu widerlegen. 569

570

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

(cc) Herleitung der Verteidigerfunktion aus den gesicherten Vorgaben des Strafverfahrens- und Verfassungsrechts Will man auf Grundlage der bisherigen Überlegungen das Verhältnis von Wahrheit und Verteidigung wenigstens in seinen wesentlichen Grundzügen klären und zieht man das Verfahrensziel der Wahrheitstindung nicht schon grundsätzlich in Zweifel,574 so bedarf es der Rückkehr an den Ausgangspunkt dieser Überlegungen, der mittlerweile - zumindest im Kern - wohl als weitgehend konsensfähig einzustufen ist: Die Ableitung entsprechender Rechte und Pflichten aus dem geltenden Recht. Es kann somit im Anschluß an die Ausführungen Bernsmanns nur darum gehen, das zusammenzutragen, was Strafprozeß- und Verfassungsrecht an gesichertem Bestand zu Rechten, Befugnissen, Pflichten und Obliegenheiten des Verteidigers zu entnehmen ist, um auf dieser Grundlage verallgemeinemde Aussagen zu treffen. 575 Bei der Umsetzung dieses Ansatzes steht dabei zunächst die grundsätzliche Frage im Mittelpunkt, welche Funktion das Institut der Verteidigung im Strafverfahren angesichts der Aufgabenteilung zwischen den Verfahrensbeteiligten überhaupt einnehmen kann. 576 Als Antwort auf diese Frage könnte nämlich ein oberflächlicher Blick auf das Regelungsgefüge der StPO durchaus zu dem Schluß führen, daß es des Instituts der Verteidigung im Strafverfahren gar nicht bedarf: Wie bereits angesprochen ist es Aufgabe der staatlichen Strafverfolgungsorgane, die Wahrheit zu ernrittein und die Staatsanwaltschaft trifft über § 160 Abs. 2 die Verpflichtung, auch die den Beschuldigten entlastenden Umstände zu beriicksichtigen. 577 Daß damit Gericht und Staatsanwaltschaft neben ihrer eigentlichen Funktion auch die des "Verteidigers" einnehmen, ist in Rechtsprechung und Literatur ausdrucklieh angesprochen worden. 578 So heißt es in einer Entscheidung des OLG Köln: 579 "Der Staatsanwalt ist nicht der Gegenspieler des Verteidigers; er hat auch die zur Entlastung dienenden Umstände von Amts wegen zu ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO). Wesentliche Aufgaben, die in anderen Rechtsgebieten dem Verteidiger allein oder doch ihm vornehmlich obliegen, werden daher kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung im deutschen Strafverfahren vom Richter und Staatsanwalt miterfüllt."

Roxin bezeichnet nun derartige Überlegungen als triigerische Verwechslung von Idee und Erscheinung, denn das was geschehen soll, geschehe nicht schon desVgl. hierzu oben C. I. 3. a). Bemsmann, S. 115; ders., StraFo 1999, 226 (228); vgl. auch Hamm, NJW 1993, 289 (293); einschränkend Roxin, FS Hanack, S. 1 (10 (Fn. 35)), der auf den Rückgriff auf das Verfassungsrecht verzichten will; in diesem Sinne bereits Beulke, Verteidiger, S. 34; beachte nunmehr auch Beulke, FS Roxin, S. 1173 ( 1179). 576 Vgl. auch Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1348); Pellkofer, S. 92 ff. 577 Hierzu Beulke, Verteidiger, S. 35. 578 OLG Köln JR 1957, 469; zu weiteren Nachweisen vgl. Beulke, Verteidiger, S. 35 (in Fn. 1). 579 OLG Köln JR 1957,469. 574 575

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wegen in jedem Einzelfall. 580 Daraus läßt sich das ableiten, was das Institut der Verteidigung im Strafverfahren letztlich ausmacht: Ihr kann nur eine Kontrollfunktion zukommen, und diese erschöpft sich unter Beriicksichtigung des Beistands zugunsten des Beschuldigten in der Kontrolle der staatlichen Organe.581 Der Verteidiger ist damit Wachter über die Beschuldigtenrechte bzw. die Jusitzförmigkeit des Verfahrens. Hierin liegen die prägenden Merkmale, die dem Institut der Verteidigung im Strafverfahren erst eine sinnvolle Aufgabe zuweisen. Entscheidend ist jedoch, daß eine solche - schon auf den ersten Blick selbstverständlich wirkende - Funktionszuweisung nun nicht gleichzusetzen ist mit einer umfassenden Verpflichtung auf die Wahrheit, die sich dem geltenden Recht nicht entnehmen läßt. Diese Annahme wird durch mehrere Faktoren gestützt. Zunächst wurde bereits angesprochen, daß auch dem im materiell-rechtlichen Sinne schuldigen Angeklagten ein Recht auf effektive Verteidigung zukommt, denn weder das geltende Strafverfahrensrecht noch das Verfassungsrecht nehmen an dieser Stelle eine Differenzierung vor. Im Gegenteil: Gerade die Unschuldsvermutung sorgt dafür, daß sich bis zur Rechtskraft des Urteils eine derartige Differenzierung verbietet. Unter Berücksichtigung der schon in Zusammenhang mit der Herleitung der Wahrheitspflicht des Verteidigers aus einem allgemeinen Mißbrauchsverbot geäußerten Kritik582 sei dementsprechend nochmals deutlich betont: Ein Verteidiger, der umfassend auf die Wahrheit verpflichtet ist, müßte mit den Interessen des schuldigen Angeklagten zwangsläufig in Konflikt geraten und seine Verteidigungsaktivitäten dieser Rechtslage anpassen, was den legitimen Anspruch des Beschuldigten auf eine effektive Verteidigung zwangsläufig einschränkt. Die Konsequenzen gerade für die Thematik des Rechtsmißbrauchs lassen sich dabei den Ausführungen Beulkes im Zusammenhang mit den Zielen des Strafverfahrens entnehmen: 583 "Läge das alleinige Prozeßziel tatsächlich in der Wahrheitsfindung, so wäre das auch für die Funktion des Verteidigers von entscheidender Bedeutung, denn seine Aufgabe könnte es dann nur sein, der materiellen Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Wollte er sich nicht in Widerspruch zum Zweck des Verfahrens setzen, müßte er zwar durch streng einseitige Tätigkeit den Schuldvorwurf auf seine Stichhaltigkeit überprüfen, sowie er aber von der Richtigkeit der Anklage überzeugt wäre, dürfte er nichts mehr gegen die Verhängung des als gerecht erkannten Urteils unternehmen."

Zusamrnengefaßt: Würde sich der Verteidiger in diesem Fall durch seine Tatigkeit in Widerspruch mit dem Zweck des Strafverfahrens setzen, dann käme 580 Roxin, StVR, § 19 Rdnr. l; ganz ähnlich Beulke, Verteidiger, S. 35: "Jedermann weiß, daß die Prozeßwirklichkeit weitgehend anders aussieht."; siehe auch Bemsmann, S. 115 f.; ders., StraFo 1999,226 (228). 581 Vgl. nur Roxin, StVR, § 19 Rdnr. 1; die entgegengesetzte Auffassung des BGH in seiner Mißbrauchs-Leitentscheidung (BGHSt 38, 111), die den Verteidiger in der Rolle des Kontrolleurs im Hinblick auf den Beschuldigten sieht, wird noch Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung sein (vgl. unten D. Il. 4. c) (3)). 582 Vgl. oben C. I. 3. a) (3) (b) (bb). 583 Beu1ke, Verteidiger, S. 62 (a. E.).

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die effektive Verteidigung unter konsequenter Nutzung der Verteidigungsrechte schnell in den Schutzbereich der herrschenden Mißbrauchsdefinition, deren Schlüsselelement gerade die Verfahrenszweckwidrigkeit unter Bezugnahme auf die Wahrheitstindung darstellen soll. Die Annahme allerdings, daß sich die Verteidigung des schuldigen Angeklagten im Einzugsbereich rechtsmißbräuchlichen Verhaltens im Strafverfahren bewegt, sollte kaum konsensfähig sein. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen Welps im Hinblick auf die aus der Organstellung abgeleiteten Rechte und Pflichten des Verteidigers zu interpretieren:584 "Hiermit (Anm. d. Verf.: mit der Organschaft) kann offenbar nicht gemeint sein, daß die Funktion des Verteidigers in den als universal vorgestellten Zweck der Wahrheitsfindung eingebunden sei; denn diese ideale Einheit von Verteidigungs- und Aufklärungsinteressen besteht nur im Falle der Verteidigung des unschuldigen585 Angeklagten. Auf eine solche zufällige Koinzidenz der Interessen läßt sich jedoch schon deswegen keine Theorie der Organschaft griinden, weil das Urteil über Schuld oder Unschuld erst am Ende des Strafverfahrens steht. Würde man sie (Anm. d. Verf.: die vom Verteidiger wahrzunehmenden Interessen) auf die materielle Rechtslage beziehen, ... so wäre die Tätigkeit des Verteidigers an Maximen gebunden, die sich erst der Kenntnis des Urteils erschließen können. 586 ... Damit reduziert sich das Problem der Definition berechtigter Interessen auf die Frage nach den Methoden, die der Verteidiger in Wahrnehmung seiner Beistandsfunktion einsetzen darf... "

Daß die Tätigkeit des Verteidigers im Strafverfahren kein Äquivalent zu der staatlichen Aufklärungspflicht sein kann ergibt sich jedoch auch noch aus anderen Umständen. Zum einen sind die Rahmenbedingungen seiner Tätigkeit zu berücksichtigen. Obwohl er zwar grundsätzlich zu eigenen Ermittlungen befugt ist, wird er niemals die gleichen infrastrukturellen Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, um hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten zu können. 587 Überdies gilt es aber vor allem den Umstand zu berücksichtigen, daß das geltende Recht - und nicht zuletzt auch seine Auslegung durch die Rechtsprechung - dazu tendiert, die Verteidigung aus diesem Prozeß der Sachverhaltsaufklärung im Ermittlungsverfahren femzuhalten. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang etwa nur an das Akteneinsichtsrecht im Ermittlungsverfahren, das der Verteidigung gemäß § 147 Abs. 2 versagt werden kann, wenn hierdurch der Untersuchungszweck gefährdet wird. 588 Das Akteneinsichtsrecht dürfte dabei letztlich nur ein augenfälliges Beispiel für eine das gesamte Ermittlungsverfahren durchziehende, mißtrauende GrundeinstelWelp, ZStW 90 (1978), 804 (814 f., 817). Hervorhebung (auch im folgenden) im Original. 586 Zutreffend in diesem Zusammenhang auch Jahn, S. 191, der darauf hinweist, daß die Wahrheit im Strafverfahren nicht entdeckt, sondern entwickelt wird. 587 Bemsmann, S. 116; ders., StraFo 1999, 226 (229). 588 Vgl. in diesem Zusammenhang Bemsmann, S. 112. 584

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lung gegenüber der (gleichberechtigten) Mitwirkung der Verteidigung sein589 und wie sonst läßt es sich glaubhaft erklären, daß die Rechte der Verteidigung in diesem Verfahrensabschnitt im Vergleich zur Hauptverhandlung nur schwach ausgeprägt sind. Eine Erklärung kann zumindest nicht darin liegen, daß der Beistand des Verteidigers vom Beschuldigten in diesem Verfahrensabschnitt nicht erwünscht oder dieser gar überflüssig wäre. Gegen eine solche Annahme spricht bereits der Umstand, daß seit längerem im Schrifttum eine entsprechende Extension gefordert wird. 590 Wenn aber schon die StPO selbst offenbar von einem der Verteidigung immanenten Gefahrdungspotential hinsichtlich der Sachverhaltserforschung bzw. Wahrheitstindung ausgeht, so mutet es ebenso eigenartig wie widersprüchlich an, wenn man sie nun im Gegenzug hinsichtlich ihres Wirkens in der Hauptverhandlung gerrau hierauf ohne weitere Differenzierung verpflichten will. Für diese "Wandelung" lassen sich keine Anhaltspunkte ausmachen. Man wird daher im Ergebnis feststellen müssen, daß die Einordnung des Verteidigers als "willkommener Beistand" zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, wenn man eine solche Sichtweise nicht schon bei funktionaler Betrachtung als abwegig deklarieren will, zumindest als historisch überholt zu bezeichnen ist und sich aus der aktuellen Rechtslage nicht (mehr) ablesen läßt. 591 (dd) Die Grenzen zulässigen Verteidigerhandeins Auch hierin kann nun jedoch keine Grundlage für einen Umkehrschluß dergestalt liegen, daß die Verteidigung in jeglicher Weise dem Verfahrensziel der Wahrheitstindung entzogen wäre, denn man könnte zu dem Schluß gelangen, daß der Verteidiger in letzter Konsequenz auch die Möglichkeit haben müßte, die Wahrheitstindung insgesamt zu unterlaufen. So könnte es ihm erlaubt sein, in 589 Vgl. z. B. §§ 114b Abs. 2; 163c Abs. 2; 168c Abs. 5 S. 2, die auf die Gefährdung des Untersuchungszwecks durch den Beschuldigten bzw. einer Vertrauensperson abstellen, wobei von dem Begriff der Vertrauensperson auch der Verteidiger erlaßt wird (vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner § 114b Rdnr. 4 m. w. N.); bei polizeilichen Vernehmungen steht dem Verteidiger nach herrschender Ansicht keinerlei Anwesenheitsrecht zu; vgl. ferner zu dem Anwesenheitsrecht bei der Mitbeschuldigtenvernehmung BGHSt 42, 391 ff. 590 Z. B. Roxin, StVR, § 37 Rdnr. 29; Bernsmann, ZRP 1994, 329 (332); Richter II, StV 1994, 454, (455); Deckers, AnwBI. 1986, 60ff.; Nelles, StV 1986, 74ff.; Dahs, NJW 1985, 1113 ff.; ferner Griiner, S. 43; a.A. Schaefer, AnwBI. 1998, 67f., der im wesentlichen darauf hinweist, daß die meisten Verteidiger die ihnen zustehenden Rechte im Ermittlungsverfahren ohnehin nicht wahrnehmen würden und in diesem Zusammenhang den Nachweis fordert, daß die gegenwärtige Rechtslage für die Verteidigerschaft wirklich defizitär ist. 591 Vor diesem Hintergrund ist es daher im Ergebnis auch nicht sonderlich überzeugend, wenn Beulke (FS Roxin, S. 1173 (1189)) versucht, die " . . . besondere Inpflichtnahme des Verteidigers ... " aus dem geltenden Verfahrensrecht herzuleiten und dabei unter anderem in der Regelung des Akteneinsichtsrechts (§ 147) einen entsprechenden Hinweis sehen will. Wie aufgezeigt legt gerade die Regelung des § 147 Abs. 2 StPO ebenso wie die weiteren gleichlautenden Beschränkungen innerhalb des Verfahrensrechts eine andere, gegenläufige Interpretation nahe, zumindest dann, wenn die besondere Inpflichtnahme die Wahrheitspflicht des Verteidigers statuieren soll.

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unlauterer Art und Weise auf Zeugen einzuwirken um die Wahrheit zu vertuschen oder das Verfahren durch die Inanspruchnahme von Verfahrensrechten in der Hauptverhandlung zu sabotieren. Gerade in letzterem liegt ein wesentlicher Vorwurf mißbräuchlichen Verteidigerverhaltens, dessen Berechtigung sich anhand der im zweiten Kapitel dieser Untersuchung aufgezeigten Beispiele aus der Praxis durchaus belegen läßt. Auch hier wird man zu entsprechenden Einschränkungen kommen müssen, die sich allerdings schon aus grundsätzlichen Erwägungen ergeben. Wenn eingangs ausgeführt wurde, daß die Verteidigung ein notwendiges Element des rechtsstaatliehen Strafverfahrens darstellt und der Sicherung des Strafverfahrens dient, so liegen in dieser Einordnung auch die Grenzen dieser Institution begründet, die es ihr verbieten, den Prozeß der Wahrheitsermittlung als eine (staatliche) Aufgabe des Strafverfahrens an sich zu vereiteln. Kontrolle des Verfahrens bzw. Überwachung der staatlichen Verfahrensbeteiligten und Verfahrensvereitelung sind klar voneinander zu trennen. Ebenso wie die Verteidigung Element des rechtsstaatliehen Verfahrens ist, so gehört zum Rechtsstaatsgebot auch die Durchsetzung des Strafverfolgungsanspruchs.592 Sobald die Tätigkeit des Strafverteidigers sich gegen diesen verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz auflehnt, er also versucht, das Strafverfahren".. . aus den Angeln zu heben ...", 593 verläßt die Verteidigung ihren Funktionsbereich und begründet die Forderung nach Sanktionen. Entscheidend ist, daß auch diese Rahmensetzung hinsichtlich der Tätigkeit von Verteidigern letztlich - dem hier gewählten Ansatz folgend - seine Grundlage im Regelungswerk der StPO findet. So verträgt es sich nicht mit der Kontrollfunktion der Verteidigung, wenn ihr Verhalten nur darauf aus ist, Beweismittel in einer Weise zu manipulieren, die nicht einmal dem Beschuldigten gestattet ist. Die Rechte der Verteidigung erklären sich aus der Akzessorietät zur Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren, so daß die Verteidigerbefugnisse hierüber nicht hinausgehen können. Wenn es aber dem Beschuldigten ausweislich der Regelung des § 112 Abs. 2 Nr. 3 (Verdunkelungsgefahr) nicht möglich sein soll, Beweismittel zu vernichten oder in unlauterer Art und Weise auf Zeugen und Sachverständige einzuwirken, dann finden hierin auch die Verteidigungsbefugnisse ihre Grenze.594 Die notwendige Restriktion der Verteidigungsbefugnisse im Strafverfahren läßt sich insoweit ohne weiteres aus der funktionalen Akzessorietät der Verteidigung zur Stellung des Beschuldigten herleiten, ohne daß es auf Formeln wie die Organtheorie ankommen würde. Gleiches gilt es dem exzessiven Mißbrauch von Verfahrensrechten zu bescheinigen. Betrachtet man diese Mißbrauchserscheinung genauer, so zeigt sich rasch, daß es sich hierbei im Kern vor allem um einen Angriff auf die Verhandlungsleitung handelt, die durch den exzessiven Gebrauch von Verfahrensrechten beeinträchtigt werden soll. Die Verhandlungsleitung weist die StPO in § 238 Abs. 1 dem Vorsitzenden Richter zu. 595 Sie umfaßt alle Maßnahmen, die zur Durchführung der 592 593 594

Vgl. nur Beulke, Strafbarkeit, S. 15 (Rdnr. 14 (a. E.)) m. w. N. Beu1ke, Strafbarkeit, S. 15. Vgl. hierzu Welp, ZStW 90 ( 1978), 804 (819).

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Hauptverhandlung bzw. Bestimmung des Verfahrensgangs und ihrer Schließung erforderlich sind. 596 Der exzessive Gebrauch von Verfahrensrechten, der nur darauf aus ist, das Verfahren zum Erliegen zu bringen, negiert diese Verhandlungsleitung des Vorsitzenden. Ist der Gebrauch von Verteidigungsrechten demgemäß nur darauf gerichtet, diese durch die StPO vorgenommene Funktionszuweisung zu unterlaufen, so handelt es sich hierbei um ein sanktionswürdiges Verhalten, das nicht mehr mit der rechtlichen Ausgestaltung der Hauptverhandlung durch die StPO zu vereinbaren ist und der Verteidigung ihre Grenzen aufzeigt. 597 Anders gewendet: Der exzessive Mißbrauch von Verfahrensrechten (der sich im Rahmen der Mißbrauchsdebatte als besonders problematisch darstellt) ist im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß die Verteidigung durch mangelnde Akzeptanz der Verfahrensherrschaft des Gerichts den eigenen Funktionsbereich verläßt und damit die rechtlichen - d. h. durch die StPO bzw. Verfassung vorgegebenen - Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens verletzt. (ee) Konsequenzen für die vorliegende Thematik Die aus diesem Funktionsprofil der Verteidigung resultierenden Konsequenzen im Hinblick auf eine etwaige Wahrheitspflicht der Verteidigung bzw. das eingangs aufgeworfene Fallbeispiel zeichnen sich ab: Wenn sich die Tätigkeit der Verteidigung im Strafverfahren auf die Überwachung des Strafverfahrens zugunsten des Beschuldigten reduziert, dann impliziert diese Aufgabe, die gefundenen Zwischenergebnisse des Gerichts unter jedem Gesichtspunkt zu problematisieren 598 und damit die Aufgabe, alles geltend zu machen, was nach materiellem oder Verfahrensrecht dem Mandanten nützen könnte. 599 Damit einher geht auch die Überprüfung, ob das Gericht im Rahmen seiner Tätigkeit der Verpflichtung nachkommt, alle Beweismittel seiner Entscheidung zugrunde zu legen, die für die Entscheidungsfindung von Bedeutung sind. Dagegen trifft die Verteidigung keinerlei Verpflichtung, die gerichtliche Wahrheitsfindung in irgendeiner Weise zu fördern. 600 Das geltende Recht läßt eine derartige Aussage nicht zu. Die Wahrnehmung der 595 Soweit nicht durch besondere Regelungen die Kompetenz des Gerichts begründet ist, vgl. hierzu etwa die Übersicht bei HK-Julius, § 238 Rdnr. 2. 596 Vgl. L/R(25)-Gollwitzer, § 238 Rdnr. 3; KK-Tolksdorf, § 238 Rdnr. 2; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, § 238 Rdnr. 5 m. w. N. 597 Diese Begrenzung von Verteidigertätigkeiten durch die Kompetenzzuweisung des § 238 Abs. 1 findet letztlich ihre Bestätigung auch in der Definition des Begriffs der sogenannten "Konfliktverteidigung", die Jahn in die aktuelle Diskussion eingeführt hat: Danach liegt eine solche in jedem von einem entsprechenden Willen getragenen Tun des Verteidigers, das unter Negation der Verfahrensherrschaft des Gerichts die (schnellstmögliche) Erreichung der Ziele des Strafverfahrens unter "Nichtführung sachbezogener Verteidigung" hemmen oder unmöglich machen soll (Jahn, S. 63; ders., ZRP 1998, 103 (105)). 598 Welp, ZStW 90 (1978), 804 (814). 599 Beulke, Verteidiger, S. 45. 600 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Herdegen, NStZ 2000, 1 (3).

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

Beistandsfunktion findet erst dort ihre rechtlichen Grenzen, wo die Verteidigung diesen Vorgang an sich unterläuft bzw. in einer Art und Weise auf die Wahrheitsfindung einwirkt, die nicht einmal dem Beschuldigten gestattet ist. Dieser deutlich eingeschränkten Verpflichtung auf die Wahrheit widerspricht es mithin nicht, wenn der Verteidiger unter Wahrung der aufgezeigten Grenzen auf die Verwertung von Beweismitteln durch das Gericht hinwirkt, die von den tatsächlichen Geschehnissen möglicherweise ablenken oder diese verfälschen, um so auf die Überzeugungsbildung des Gerichts durch Ausnutzen einer für den Beschuldigten günstigen Beweislage Einfluß zu nehmen. Ob das Gericht diese Beweismittel in irgendeiner Weise in die Urteilsfindung einfließen läßt, fallt nicht in die Risikosphäre der Verteidigung. Auch hier ist der Aussagegehalt der StPO eindeutig: Es ist Aufgabe des Gerichts, den Aussagewert von Beweismitteln zu würdigen und gemäß § 261 das festzulegen, was nach seiner Auffassung die Wahrheit im materiellen Sinne darstellt. 601 In diesen Vorgang ist die Verteidigung nicht involviert, zumal eine den §§ 244 Abs. 2, 160 Abs. 2 vergleichbare Regelung im Hinblick auf die Verteidigung fehlt. Ergeht aufgrund dieses Verteidigerverhaltens ein Fehlurteil, in dem der in Wirklichkeit schuldige Angeklagte freigesprochen wird, so realisiert sich in diesem Fehlurteil das Risiko eines rechtsstaatliehen Strafverfahrens, dem ein Verfahrensergebnis durchaus nicht suspekt ist, im Rahmen dessen der (möglicherweise) schuldige, aber zu schützende Angeklagte freigesprochen wird, soweit Zweifel an seiner Strafbarkeit bestehen. Auch in einem solchen Urteil verwirklicht sich eine funktionstüchtige Strafrechtspflege mit rechtsstaatlichem Fundament. Bezogen auf die herrschende Definition des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren zeigt sich durch diese Skizzierung des Verhältnisses von Verteidigung und Wahrheit damit aber auch deutlich, daß dieser grob gefaßte Mißbrauchstatbestand nicht in der Lage ist, dem Verhältnis von Verteidigung und Wahrheitsfindung im Strafprozeß gerecht zu werden. Wie schon im Hinblick auf die Beschuldigtenrechte erlaßt der Mißbrauchstatbestand nach der hier vertretenen Ansicht Verhaltensweisen der Verteidigung, die als legitim eingestuft werden müssen und unterläuft so die oben dargestellte Funktion der Verteidigung im Strafverfahren. Nimmt man das eingangs erwähnte Beispiel des Beweisantrags auf Vernehmung eines zur Falschaussage entschlossenen Zeugen, so liegt hierin kein Rechtsmißbrauch, sondern eine Maßnahme effektiver Verteidigung des Beschuldigten. 602

601

In diesem Sinne etwa auch Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1348); Mehle, FS Koch,

s. 186.

602 Anders die h.M., die die Strafwürdigkeit eines solchen Verhaltens gemäß § 258 StGB befürwortet und damit gleichzeitig ein entsprechendes Mißbrauchsurteil im Hinblick auf das Beweisantragsrecht fallt, z. B. BGHSt 29, 99 (107); Beulke, Strafbarkeit, S. 83 ff.; ders., Verteidiger, S. 151 ff.; Bottke, ZStW 96 (1984), 726 (758); S/S-Stree, § 258 Rdnr. 20; LK-Ruß, § 258 Rdnr. 20a; Tröndle/Fischer, § 258 Rdnr. 7a m. w. N.; die vorzugswürdige Gegenmeinung wird u. a. vertreten von OstendorfNJW 1978, 1345 (1349); Gatzweiler, StV 1985, 248 (251 f.); Mehle, FS Koch, S. 189.

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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Auf dieser Grundlage steht somit - allerdings unter Beachtung der hier nachgezeichneten Grenzen -auch der Auffassung nichts entgegen, nach der es der Privatmoral des Verteidigers überlassen bleibt, wie er es mit der Wahrheit hält. Sie erweist sich zumindest insoweit als zutreffend, als es der Verteidigung gestattet sein muß, mit der Unwahrheit zugunsten seines Mandanten zu operieren, wenn diese nicht in der Person des Verteidigers ihren Ursprung findet. Auch wird man mit Ostendorf ein unterstützendes Lügen des Verteidigers anerkennen müssen, denn als einseitiger Interessenwahrer muß er auch die falsche Einlassung des Mandanten als wahr hinstellen,603 soweit diese nicht den Schutzbereich eines Straftatbestandes verletzt. Das Recht des Angeklagten zur Lüge würde torpediert, wenn der Verteidiger nicht dieses Recht auch in Anspruch nehmen dürfte; das Vertrauensverhältnis würde gestört und der Angeklagte wäre ohne seinen Verteidiger sogar besser gestellt. Wenn dennoch darauf verwiesen wird, daß die Anerkennung eines Lügerechts des Verteidigers diesen zum Komplizen des Beschuldigten diskreditieren würde604 oder diesbezüglich davor gewarnt wird, daß ein Verteidiger, den man mit dem Beschuldigten in " ... einem Boot ..." sitzen sieht, von dem Richter nicht mehr als ernsthafter Gesprächspartner akzeptiert605 bzw. der Gefahr Vorschub geleistet würde, daß der Verteidiger im Strafverfahren in eine Statistenrolle gerät, 606 dann liegt in dem sich hinter solchen Aussagen verbergenden Hinweis auf ein möglicherweise gestörtes Verhältnis zwischen Verteidigung und Gericht zwar ein durchaus ernst zu nehmendes Argument, weil es auf die mögliche Gefährdung der anzustrebenden, störungsfreien Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten aufmerksam macht. 607 Es kann weder im Interesse des Verteidigers noch in dem des Beschuldigten liegen, daß das Verhältnis zwischen diesen und den anderen Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren von Anfang an durch Mißtrauen und Vorbehalte geprägt ist, so daß es sich dem Verteidiger schon aus diesen Gründen empfiehlt, von der Lüge als Verteidigungsmittel Abstand zu nehmen, um seine persönliche Stellung oder die des Beschuldigten vor Gericht nicht unnötig zu erschweren. Zu beachten ist allerdings auch, daß in diesem Umstand keine zwingenden Gründe gegen die Verteidigerlüge liegen: Daß das Gericht einen solchen Verteidiger womöglich nicht mehr ernst nimmt, ist zwar nicht auszuschließen, ist aber dogmatisch keine ausreichende Begründung. Maßgeblich ist demnach, daß die Entscheidung für und gegen die Lüge gerade nicht staatlicher Kontrolle unterfällt, sondern im autonomen Ermessen innerhalb der Vertrauensbeziehung von Verteidiger und Mandanten liegt, die im Sinne des § 148 umfassend vor staatlichen Eingriffen geschützt sein muß. 608 603 604 605

606 607 608

Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1349 (unter 2.)). Seier, JuS 1981, 806. Beulke, Strafbarkeit, S. 17 (Rdnr. 16). Beulke, Strafbarkeit, S. 17 (Rdnr. 16). Bemsmann, StraFo 1999, 226 (230). Hierzu näher Beu1ke, StPR, Rdnr. 153 ff.

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

(c) Zusammenfassung Die Anwendung der herrschenden Mißbrauchsdefinition auf die Stellung des Beschuldigten und des Verteidigers führt bereits an dieser Stelle zu unbefriedigenden Ergebnissen. Der wesentliche Kritikpunkt ist bei abstrakter Betrachtung darin zu sehen, daß sie der antagonistischen Struktur des Strafverfahrens nicht hinreichend gerecht wird. Ließ sich einerseits ein entsprechender Antagonismus bereits auf der Ebene der verschiedenen Verfahrensziele feststellen - insbesondere im Verhältnis von Beschuldigtenschutz und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs - so findet diese Gegensätzlichkeit bei funktionaler Betrachtung der Verfahrensbeteiligten ihre Fortsetzung in einem Rollenantagonismus,609 dem eine nur auf Wahrheitsfindung fixierte Mißbrauchsdefinition nicht gerecht werden kann. Dieser Rollenantagonismus spiegelt sich insbesondere in der Kontrolle der gerichtlichen Entscheidungsmacht durch Inanspruchnahme von Verteidigungsrechten wieder, 610 worin gerade der wesentliche Zweck des Instituts der Strafverteidigung liegt und dementsprechend zu divergierenden Interessenlagen führt. Wenn der Verteidiger dagegen für Aufgaben einspannt werden soll, die weder mit der Funktion als Beschuldigtenbeistand noch mit der des Kontrolleurs staatlicher Strafverfolgung zu vereinbaren sind, so findet eine solche Erwartungshaltung bzw. ein solches Mißverständnis ihre Grundlage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur, die den Verteidiger hinsichtlich der strafprozessualen Zielsetzung der Wahrheitsermittlung in ganz ähnlichem Umfang verpflichtet sieht wie Staatsanwaltschaft und Gericht. Eine solche Eigenschaft des Verteidigung mag darüber hinaus auch aus prozeßökonomischen Gründen erwünscht sein, denn ein Verteidiger, der sich selbst im gleichen Umfange auf die Wahrheit verpflichtet sieht und entsprechend agiert, ist aus naheliegenden Gründen unverdächtig, die Ursache für Verfahrensverzögerungen zu sein. Sie sorgt aber für einen ungleichen Schutz der gegenläufigen Interessen, was der Konzeption des deutschen Strafverfahrens widerspricht und sich dementsprechend weder aus dem Regelungswerk der StPO noch dem Grundgesetz als maßgeblichen Anknüpfungspunkten entnehmen läßt. Bezieht man diesen Befund auf die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren, so kann in der der Wahrheitsfindung zuwider wirkenden Inanspruchnahme von Rechten im Strafverfahren durch den Beschuldigten bzw. den Verteidiger kein Mißbrauch liegen, soweit dieser Gebrauch nur auf einen Verfahrensabschluß abzielt, der der materiellen Rechtslage widerspricht. Andernfalls kämen hier Wertungen zum Zuge, denen zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme dieser Verfahrensrechte (d. h. während eines Strafverfahrens, in dem die Wahrheit noch nicht feststeht, sondern gerade entwickelt wird)6 11 keinerlei Relevanz beikommen darf. 612 Soweit auch solche Maßnahmen der Verteidigung vom TatVgl. hierzu Schünemann, StV 1993,607 (608f.). Schünemann, StV 1993, 607 (608 f.). 611 Jahn, S. 191. 612 V gl. in diesem Zusammenhang auch Schatz, S. 248 ff., der auf die funktionale Ambivalenz des Beweisantragsrechts hinweist: Der Gebrauch des Beweisantragsrechts leistet 609

610

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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bestand des Rechtsmißbrauchs der herrschenden Meinung erfaßt werden, ist diese Mißbrauchsdefinition abzulehnen. (4) Konsequenzenfür Maßnahmen von Staatsanwaltschaft und Gericht In der bisherigen Untersuchung der Konsequenzen der herrschenden Mißbrauchsdefinition unter Berücksichtigung der Situation des Beschuldigten und der Verteidigung ging es vorrangig um die Problemstellung, inwieweit ihr Tatbestand zu weit in die Stellung dieser Verfahrensbeteiligten eingreift und deren Rechte im Strafverfahren unterläuft. Im nun folgenden Abschnitt richtet sich der Blick auf die Strafverfolgungsorgane. Da es die durch die StPO ausdrücklich vorgesehene, originäre Aufgabe dieser Verfahrensbeteiligten ist, die Wahrheit zu ermitteln und ihre Tätigkeit von Gesetzes wegen mit entsprechenden Handlungs- bzw. Eingriffsbefugnissen unterstützt wird, greift die oben aufgeführte Fragestellung im Hinblick auf Verhaltensweisen von Staatsanwaltschaft und Gericht möglicherweise zu kurz, da eine Mißbrauchsdefinition, die entscheidend auf die Wahrheitsfindung abstellt, unter Umständen mißbrauchsverdächtige bzw. in der Literatur als mißbräuchlich eingeordnete Verhaltensweisen dieser Organe nicht erfaßt, weil sie womöglich nicht im Konflikt mit der Wahrheitsfindung stehen, sondern "nur" in die Rechtsstellung des Beschuldigten oder der Verteidigung eingreifen, deren Interessenlage - wie aufgezeigt - gerade nicht auf die Ermittlung der Wahrheit gerichtet sein muß. Um diesem Aspekt die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu gewähren liegt das besondere Augenmerk der nun folgenden Ausführungen daher auf der Fragestellung, ob der durch die herrschende Meinung geformte Mißbrauchstatbestand im Hinblick auf die staatlichen Verfahrensbeteiligten eventuell zu einseitig gefaßt ist, um solche mißbräuchlichen Verhaltensweisen zu erfassen. Zwecks Beantwortung dieser Frage werden im folgenden zunächst praktische Beispiele aus der Literatur aufgezeigt, in denen auf Mißbrauchsmöglichkeiten der Strafverfolgungsorgane hingewiesen wird. Die Beispiele stellen eine Auswahl dar und erheben somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 61 3 demnach nicht nur positive Beiträge zur Wahrheitsfindung, sondern kann dieser zuwiderlaufen. 613 [n Ergänzung zu den folgenden Beispielen staatlichen Mißbrauchs sei weiterhin verwiesen auf Rondsdorf, S. 245ff.; dies., ArchKrim. 1993, 42ff.; Bottke, JA 1981, 519f.; Brauns, JA 1985, 119 f. (geplante Zufallsfunde bei Durchsuchungen im Rahmen des § 108); v. Zezschwitz, NJW 1972, 796ff.; Heinisch, NJW 1980, 898ff. (administrative Aussagebeschränkungen im Strafprozeß); Herzog, StV 1993, 609ff. (bewegliche Zuständigkeitsregelungen); SK(StPO)-Rogall, vor§ 133 Rdnr. 58; Geppert, Jura 1992, 597 (602); Prittwitz, StV 1981, 463; ders., StV 1982, 344 (manipulative Rollenzuweisung bei Verfahrensabtrennungen aufgrund des formellen Beschuldigtenbegriffs; vgl. zu letzterem etwa BGHSt 38, 302 ff.; Rogall, MDR 1977, 978; Lesch JA 1995, 157ff. m. w. N.); Geppert, Jura 1992, 597 (604) m. w. N. (Mißbrauch der Eilkompetenz wegen Gefahr im Verzuge zwecks Umgehung der Zuständigkeit des Ermitt1ungsrichters); Volk, NJW 1996, 879 ff. (Anwendung des § 154 StPO durch die Ermittlungsbehörden); vgl. ferner Schairer, FS Lenckner, S. 739ff.; Zuberbier, 9 Abctallab

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

(a) Mißbräuchliche Verhängung der Untersuchungshaft(§§ 112 ff. StPO) Die Untersuchungshaft gehört zu den besonders einschneidenden Maßnahmen in die Rechts- und Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten. Gerade sie manifestiert den Konflikt zwischen den zwei verschiedenen Grundpositionen der Rechtsordnung: Zum einen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten, der bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten hat, und andererseits der effektiven Strafrechtspflege, in deren Interesse die Anwesenheit des Beschuldigten ebenso von Bedeutung ist wie die Sicherung der Ermittlungstätigkeit und der Vollstreckung.614 Die vorliegende Untersuchung hat in ihrem Abschnitt zur historischen Entwicklung des Rechtsmißbrauchs bereits aufgezeigt, daß es sich beim Mißbrauch der Untersuchungshaft um eine Erscheinung handelt, die das deutsche Strafverfahren zumindest seit dem Mittelalter begleitet, denn bereits die peinliche Gerichtsordnung Karls V. hat versucht, Mißstände auf diesem Gebiet zu korrigieren. 615 Betrachtet man sich in diesem Zusammenhang empirische Untersuchungen und Stellungnahmen im Schrifttum aus der jüngsten Zeit, so zeigen sich auch in der aktuellen Strafverfolgungspraxis durchaus noch Parallelen. 616 Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung etwa in den Ausführungen Dünkels,617 der unter Beriicksichtigung empirischer Erhebungen den Nachweis führt, daß der mit der U-Haft verfolgte Zweck der Verfahrenssicherung in einer erheblichen Anzahl von Fällen sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenstrafverfahren durch ihre Verhängung nicht angestrebt wird. Im Vordergrund steht unter Verwendung apokrypher Haftgrunde beispielsweise die Vorbereitung der Strafaussetzung zur Bewährung durch eine kurzzeitige, schockartige Inhaftierung. 618 Anzutreffen sind auch spezial- bzw. generalpräventive Erwägungen.619 Der Fehlgebrauch der U-Haft zeigt sich dariiber hinaus auch darin, daß nach den Auswertungen Dünkels nur knapp die Hälfte der verurteilten Untersuchungsgefangenen mit einer zu vollziehenden Freiheitsstrafe belegt wird. 620 DRiZ 1988, 254 f. (Weisungsrecht I Substitutionsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft); Wölfl, JuS 2000, 277 ff. (zur Problematik der sog. Schiebetermine; beachte in diesem Zusammenhang BGH StV 1999, 635 f.); weitere Beispiele bei L/R(25)-Rieß, Ein!. Abschn. J Rdnr. 41 (Fn. 119); SK(StPO)-Rogall, vor§ 133 Rdnr. 105. 614 Statt vieler Beulke, StPR, Rdnr. 208. 6 15 Vgl. oben B.l. 2. 616 Vgl. in diesem Zusammenhang weiterhin Kühne, StV 1996, 684 (689); Parigger, NStZ 1986, 211; Volk, NJW 1996, 879 (882); Fröhlich, NStZ 1999, 331. 617 Dünkel, StV 1994, 610ff. 618 Dünkel, StV 1994, 610 (612f.); vgl. zur Anwendung apokrypher Haftgründe in Winschaftsstrafverfahren zwecks Förderung der Geständnisbereitschaft Münchhalffen, StraFo 1999, 332 ff. 6 19 Dünkel, StV 1994, 610 (612 f.). 620 Dünkel, StV 1994, 610 (614); vgl. auch Geiter, S. 338 f.

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Gebauer621 hat darüber hinaus in seiner Untersuchung aus dem Jahre 1987 festgestellt, daß die Verhängung der Untersuchungshaft gerade im Zusammenhang mit Bagatellsachen, in denen die niedrige Tatschwere an sich einer Haftanordnung entgegenstehen würde, bei bestimmten Personengruppen622 Anlaß zu der Vermutung gibt, daß äußere Merkmale dieser Personengruppen nur vorgeschoben werden, um die Haftanordnung auch bei Bagatelldelikten (etwa zur Verfahrenserleichterung) zu ermöglichen. Hinzu treten formelhafte Begrundungen der Untersuchungshaftbeschlüsse, die in vielen Fällen nicht den Mindestanforderungen entsprechen, die gesetzlich vorgesehen oder durch die Rechtsprechung entwickelt worden sind. 623 Abstrakt formuliert bedeutet Mißbrauch im Zusammenhang mit der Untersuchunghaft demnach den zweckwidrigen Einsatz abseits des durch dieses Institut angestrebten Sicherungszwecks bzw. die Vorwegnahme einer Sanktion, die gegebenenfalls erst im Anschluß an das Urteil zu verhängen ist. Zwar wird man nicht umhin können, die Zweckentfremdung dieses Sicherungsmittels durch die Strafverfolgungsorgane als Mißbrauch zu kennzeichnen. Auf einem ganz anderen Blatt steht jedoch die Frage, ob diese Mißbrauchserscheinung sich auch ohne weiteres unter die herrschende Mißbrauchsdefinition subsumieren läßt. Dabei zeigt sich, daß die Verfolgung ausschließlich verfahrensfremder oder -widriger Zwecke durch ein solches Verhalten nicht zwingend indiziert ist. Vielmehr läßt sich bereits bei objektiver Betrachtung nicht feststellen, daß hierdurch die Sachverhaltsaufklärung gefährdet ist.624 Rückschlüsse auf eine ausschließliche Mißbrauchsabsicht sind demnach nahezu unmöglich, denn der Sicherungszweck der Untersuchungshaft im Hinblick auf die Sachverhaltsaufklärung wird nicht beriihrt. (b) Mißbrauch der Öffentlichkeitsfahndung mittels Steckbriefen (§ 131 StPO) Die Gerichtsöffentlichkeit gehört zu den wesentlichen Errungenschaften der Aufklärung, aufgrund derer sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts das Verständnis zwischen Staat und Gesellschaft auch hinsichtlich des Strafverfahrens änderte. Bereits im Jahre 1764 forderte Beccaria die Abkehr von der geheimen Inquisitionsjustiz hin zur öffentlichen Gerichtsverhandlung mit öffentlicher Beweisaufnahme.625 Die Öffentlichkeit wurde als unabdingbare Voraussetzung für ein gerechtes Gerichtsverfahren angesehen, da durch sie Schutz vor Willkür oder doch zumindest Schutz vor der Sorge, es könne eine willkürliche Entscheidung getroffen Gebauer, S. 374ff. Personen ohne festen Wohnsitz, Arbeitslose und Personen aus der untersten sozialen Schicht, vgl. Gebauer, S. 375. 623 Kühne, StV 1996,684 (689); vgl. auch Gebauer, S. 376ff.; Nix, StV 1992, 445ff. mit Beispielen. 624 Hierin dürfte ein entscheidender Unterschied zu den Erscheinungen (exzessiven) Mißbrauchs auf Seiten des Beschuldigten oder seines Verteidigers liegen. 625 In seinem Werk "Dei delitti e delle pene"; wiedergegeben nach Zipf, Gutachten, S. C 13. 621 622

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werden, erhofft wurde. 626 Der Gedanke der Öffentlichkeit als Kontrollfaktor für staatliche Machtausübung im Bereich der Judikatur findet hierin seinen Ausgangspunkt.627 Allerdings unterwirft die für die aktuelle Rechtslage maßgebliche Regelung des § 169 GVG das Strafverfahren nicht in ganzem Umfang der Öffentlichkeitsmaxime. Sie beschränkt sich auf die Hauptverhandlung, spart aber sowohl das Ermittlungsverfahren wie auch das Zwischenverfahren aus. Obwohl in der Literatur verschiedentlich die Forderung erhoben worden ist, auch das Vorverfahren in den Schutzbereich der Öffentlichkeitsmaxime einzubeziehen,628 konnte sich dieses Postulat bisher mit Recht nicht durchsetzen. Hierfür spricht zum einen, daß das Ermittlungsverfahren durch die Öffentlichkeit nicht unerheblich gefährdet wäre, weil eine äußere Einflußnahme nicht ausgeschlossen werden kann, die letztlich möglicherweise auch den Untersuchungszweck vereitelt. In diesem Fall stieße die Verfahrensöffentlichkeit an eine Grenze, die nicht überschritten werden darf, da sie ansonsten das Strafverfahren nicht rechtsstaatlich absichern, sondern gefährden würde und gleichzeitig ihre eigene Funktion unterliefe. Zum anderen gilt es auch bei der Erstreckung der Öffentlichkeit auf das Ermittlungsverfahren die Situation und die Belange des Beschuldigten zu berücksichtigen. Das Ermittlungsverfahren dient nicht nur dazu, genügend Beweismaterial für die Klageerhebung zu sammeln, sondern übernimmt auch eine Siebfunktion, um bei unbegründetem Verdacht eine Hauptverhandlung zu vermeiden. 629 Darüber hinaus schützt das heimliche Vorverfahren auch sonstige in ein Ermittlungsverfahren involvierte Personen davor, daß sie durch Bekanntwerden der Ermittlungen der Stigmatisierung anheim fallen, die gerade in einer Zeit, in der die Gerichtsöffentlichkeit mehr und mehr in eine Medienöffentlichkeit übergeht, zu befürchten ist. Dennoch bietet die StPO in Durchbrechung dieses Grundsatzes den Strafverfolgungsbehörden eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit in Fahndungsmaßnahmen einzubeziehen, die auch und gerade das Ermittlungsverfahren betrifft. Ausdruck findet dies in der Vorschrift des § 131, dem Steckbrief. Kauder630 hat aufgezeigt, daß dieses Institut den Strafverfolgungsbehörden Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnet. Ursächlich hierfür ist nach seinen Ausführungen die Praxis der Errnittlungsbehörden, im Rahmen derer die Erstreckung der steckbrieflichen Fahndung auf Zeugen zulässig ist: 631 Liegt gegen den Beschuldigten kein dringender Tatverdacht im Hillermeier, DRiZ 1982, 280 (281). Witzler, S. 29. 628 Jung, GS Kaufmann, S. 909ff.; diese Forderung wurde schon Mitte des 19. Jh. erhoben, vgl. Alber, S. 150. 629 Roxin, StVR, § 37 Rdnr. 1. 630 Kauder, StV 1987,411 (413f.). 631 Kauder, StV 1987,411 (414) mit Verweis auf RiStBV Nr. 42: "Ist der Aufenthalt eines wichtigen Zeugen nicht bekannt, so kann der Staatsanwalt nach ihm, insbesondere durch Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung und Niederlegung eines Suchvermerks im Bundeszentralregister, fahnden." 626 627

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Hinblick auf einen Haftbefehl vor, so kann nach ihm auch als Zeuge gefahndet werden, da die StPO auch den tatverdächtigen Zeugen kennt (vgl. §§55, 60 Nr. 2). Soweit also auf Seiten der Ermittlungsbehörden Bedenken bestehen, ob der Haftrichter einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten erläßt, kann dieses Erfordernis (und somit die Schutzvorrichtungen des § 131 zugunsten des Beschuldigten) umgangen werden. 632 Auch an dieser Stelle bietet sich eine zunächst abstrakte Umschreibung der Mißbrauchserscheinung an. Im Unterschied zu der mißbräuchlichen Anwendung der Untersuchungshaft zeigt sich insoweit eine Abweichung, als sich die Möglichkeit bietet, durch Umgehung der dem Schutz des Beschuldigten dienenden tatbestandliehen Voraussetzungen des § 131 nach einer verdächtigen Person mittels Steckbrief suchen zu lassen. Aber auch hier gilt es zu fragen, ob trotz unbestreitbaren Mißbrauchs eine Sanktionierung durch die herrschende Mißbrauchsdefinition möglich ist. Dieses wird man in gleichem Maße wie bei der Untersuchungshaft verneinen müssen, denn es handelt sich um einen Eingriff in die Rechtssphäre einer tatverdächtigen Person, der durchaus im Interesse der Wahrheitsfindung liegt. (c) Einflußnahme auf die Pflichtverteidigung seitens des Gerichts am Beispiel der Pauschgebühren gemäß § 99 BRAGO Es wurde bereits angesprochen, daß das rechtsstaatliche Strafverfahren die Möglichkeit des Beschuldigten voraussetzt, sich des Beistands (zumindest) eines Verteidigers zu bedienen. In bestimmten Fällen räumt das geltende Strafverfahrensrecht jedoch nicht nur eine solche Möglichkeit ein, sondern sieht bei schwerwiegenden Delikten oder besonders eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten vor, daß die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung unerläßlich ist. Das Gesetz spricht in diesem Zusammenhang von Fällen der notwendigen Verteidigung (§ 140). Sollte der Beschuldigte (zumeist finanziell) 633 nicht in der Lage sein, einen Wahlverteidiger mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu betrauen, so wird ihm seitens des Gerichts ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt, dessen Kosten von der Staatskasse getragen werden. Damit soll dem Beschuldigten ". . . prinzipiell ..." der gleiche Rechtsschutz zugute kommen wie demjenigen, der durch einen Wahlverteidiger verteidigt wird. 634 Das es sich hierbei tatsächlich nur um eine prinzipielle Gleichstellung handelt, ist in der Praxis kein Geheimnis. Barton führt hierzu aus, daß das Feld mangelhafter Verteidigung zwar nicht auf Pflichtverteidigungen beschränkt ist, es sei jedoch 632 Beachte aber in diesem Zusammenhang auch BGHSt 10, 8 (12) zur Vorenthaltung des Beschuldigtenstatus. 633 Vgl. z. B. Molketin, AnwBI. 1981, 8; Eisenberg/Classen, NJW 1990, 1021 ; Barton, S. 59. 634 Molketin, AnwBI. 1981, 8.

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davon auszugehen, daß in diesem Zusammenhang das Hauptproblem liegt. 635 Die Klagen über die Qualität von Pflichtverteidigern dürften dabei so alt sein wie das Institut selbst.636 Unter den verschiedenen Gründen für diesen Mißstand spielt auch die Honorierung dieser Verteidiger eine gewichtige Rolle, die deutlich unter der von Wahlverteidigern liegt. 637 Barton weist zutreffend darauf hin, daß die Verteidigungsqualität auch von der Bezahlung abhängt: Je höher die Entlohnung ist, desto mehr Zeit kann der Verteidiger in seine Arbeit investieren und die Pflichtverteidigung würde auch für qualifizierte Juristen zu einem interessanten Geschäft. 638 Die Realität weicht jedoch von diesem Idealzustand deutlich ab. Eisenberg und Classen haben die Konsequenzen aufgezeigt, die sich daraus ergeben, daß die Entschädigung von Pflichtverteidigern in aller Regel nicht einmal ausreichend sei, die laufenden Unkosten eines durchschnittlich ausgestatteten Anwaltsbüros abzudekken.639 Besonders kritisch wird die Situation dann, wenn es sich bei den Pflichtmandaten um Verfahren handelt, die die Arbeitskraft des Verteidigers in überwiegendem Maße in Anspruch nehmen und es so selbst dem engagierten Pflichtverteidiger unmöglich wird, durch andere Verfahren für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen bzw. eine Existenzgefährdung zu vermeiden.640 Grundsätzlich sieht zwar § 99 BRAGO einen Ausgleich für Pflichtmandate in umfangreichen Strafverfahren vor,641 indem er eine zusätzliche Pauschvergütung regelt. Allerdings lassen die Ausführungen Eisenbergs und Classens keinen Zweifel daran, daß die (im Gegensatz zu anderen Gebührenregelungen) im Ermessen der Gerichte liegende (§ 99 Abs. 2 BRAGO) Zusatzvergütung von diesen mißbraucht werden können, 642 bietet sie den Gerichten doch die Möglichkeit, auf die Wahrnehmung der Pflichtverteidigung erheblichen Einfluß zu nehmen. Dieser Mißstand liegt darin begründet, daß die Gerichte bei der Gewährung der Pauschgebühr von dem Standpunkt ausgehen, daß nur der Zeitaufwand des Pflichtverteidigers in Rechnung gestellt werden könne, der für eine sachgerechte Verteidigung objektiv notwendig sei. Hierunter falle jedoch nicht dasjenige Anwaltsverhalten, daß zwar prozessual zulässig sei, aber nach Auffassung der Gerichte nicht der Förderung des Verfahrens dient. 643 Nimmt der Pflichtverteidiger diese Vorgaben der Rechtsprechung ernst, so ist er dementsprechend angehalten, auf "zeitrauBarton, S. 99. Barton, S. 99. 637 Eisenberg I Classen, NJW 1990, 1021. 638 Barton, S. 255. 639 EisenbergiClassen, NJW 1990, 1021 f.; zur erforderlichen Kostendeckung vgl. Barton, S. 255 ff. 640 EisenbergiClassen, NJW 1990, 1021 f. 641 Vgl. allgemein zu den Voraussetzungen der Pauschvergütung auf Basis der neueren Rechtsprechung Burhoff, StraFo 2001 , 119ff. 642 EisenbergiClassen, NJW 1990, 1021 (1022ff.). 643 Eisenberg I Classen, NJW 1990, l 021 ( l 022) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 635

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I. Die Definition der herrschenden Meinung

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bende" Fragen, Beweisanträge und -anregungen zu verzichten: 644 Auch wenn es gemäß § 99 Abs. 2 BRAGO nicht in der Kompetenz der erkennenden Gerichte liegt, über die Pauschgebühren zu entscheiden, so orientieren sich die hierfür zuständigen Oberlandesgerichte regelmäßig an deren Vorgaben, da sie beispielsweise solche Anträge als "unsachgemäßen Verteidigungsaufwand" qualifizieren, die zuvor vom erkennenden Gericht als unzulässig verworfen worden sind.645 Damit eröffnet sich die Möglichkeit für die Gerichte, zumindest mittelbar auf das Wirken der Verteidigung Einfluß zu nehmen. Kritik fordert dabei nicht nur der Umstand heraus, daß die Entscheidung über "sachgerechtes" Verteidigungsverhalten in einem Kostenfeststellungsverfahren gefällt wird, wo solche Erwägungen keine Bedeutung haben sollten.646 Viel schwerwiegender ist, daß durch eine solche Gerichtspraxis die Funktion der Verteidigung im Strafverfahren unterlaufen 647 bzw. über den Umweg des Kostenrechts die Möglichkeit eröffnet wird, die Verteidigungsstrategie "unter Kontrolle" zu bekommen, und das obwohl sich eine solche Einflußnahme auf die Verteidigungsstrategie verbietet.648 Da die gegenwärtige Rechtslage dem Verteidiger jedoch keinerlei Rechtmäßigkeitsüberpriifung hinsichtlich der Festsetzung gewährt,649 gehen die Gerichte mit ihrer Praxis keinerlei Risiko ein. 650 Die Begrundung der Gerichte für diese Praxis überrascht dabei nicht: Es dürfe nicht in den Händen der Verfahrensbeteiligten liegen, durch beliebige Ausnutzung strafprozessual zulässiger Anträge eine Ausdehnung der Hauptverhandlung risikolos auf Kosten der Staatskasse zu erzwingen.651 Die Kostenkontrolle erweist sich somit als eine im Strafprozeßrecht nicht vorgesehene Mißbrauchskontrolle, die kaum mit der Stellung des Pflichtverteidigers als gleichberechtigtem und unabhängigem Organ der Rechtspflege zu vereinbaren ist. Daß es sich bei einem solchen Vorgehen um Rechtsmißbrauch handelt, durch den seitens der Gerichte massiv auf den Gang des Strafverfahrens Einfluß genommen werden kann, bedarf somit keiner weiteren Ausführungen. Gerade diese Fallgruppe dürfte dariiber hinaus den Zusammenhang von Verteidigungsverhalten und prozeßökonomischen Erwägungen im Rahmen der Mißbrauchs besonders plastisch machen. Problematisch ist aber auch hier die Subsumtion dieser Erscheinung unter Eisenberg/Ciassen, NJW 1990, 1021 (1022). Eisenberg/Ciassen, NJW 1990, 1021 (1022). 646 Eisenberg/Classen, NJW 1990, 1021 (1022). 647 Zur dieser Funktion vgl. oben C. I. 3. a) (3) (b). 648 Vgl. etwa BGH StV 2000, 402ff.; OLG Nürnberg StV 1995,287 (289); Beulke, StPR, Rdnr. 169. 649 Eisenberg/Classen, NJW 1990, 1021 (1023). 650 Daß es sich hier nicht nur um eine theoretische Mißbrauchsmöglichkeit der Gerichte handelt, zeigen die Beispiele von Dahs, Handbuch, Rz. 118 (S. 81); Hannover, StV 1981,487 (493 f.). 651 Eisenberg/Classen, NJW 1990, 1021 (1022) mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 644

645

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

die herrschende Mißbrauchsdefinition. Das liegt zum einen daran, daß es sich um eine Mißbrauchsform handelt, bei der nicht auf Verfahrensrechte zurückgegriffen, sondern nur mittelbar auf das Verhalten von Verfahrensbeteiligten eingewirkt wird. Sie weicht damit insoweit von den anderen Mißbrauchsformen ab, als sie sich außerhalb des von der herrschenden Meinung gesteckten Rahmens für die Bestimmung des Rechtsmißbrauchs bewegt652 und schon aus diesem Grund eine Sanktionierung auf Basis dieser Begriffsbestimmung in Frage stellt. (d) Verfahrenseinstellungen gemäߧ§ 153 ff. StPO Hinsichtlich des Abschlusses von Strafverfahren kommt gerade den Einstellungsvorschriften gemäß §§ 153 ff. eine erhebliche Bedeutung zu, die sich auch aus ihrer engen Verbindung mit dem Phänomen der Absprache ergibt. Insbesondere die §§ 153, 153a sind hier von Interesse. Danach ist aus Opportunitätserwägungen ein Verfahren entweder ohne Auflagen einzustellen, wenn die Schuld als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse653 besteht (§ 153) oder aber im Falle des § 153a, wenn die Schwere der Schuld nicht entgegensteht und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch Auflagen bzw. Weisungen beseitigt wird. Die Einstellungen wegen Geringfügigkeit im Strafverfahren waren bereits wiederholt Gegenstand empirischer Untersuchungen, die ihrerseits deutliche Hinweise auf eine mißbräuchliche Handhabung seitens der Strafverfolgungsorgane geben. 654 So gelangen Blankenburg I SessarI Steifen bereits in ihrer Arbeit aus dem Jahr 1978 zu dem Ergebnis, daß seitens der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, ein Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen, durchaus auch zu anderen Zwecken verwendet werde: 655 "Kennzeichnend für die Problematik der Einstellung wegen Geringfügigkeit ist weiter ihr Clulrakter als ,. verkappte " Einstellung wegen Beweisschwierigkeiten,656 denn entgegen der gesetzlichen Bestimmung wird die Einstellung wegen Geringfügigkeit nicht nur auf prinzipiell verfolgbare Verfahren angewendet, sondern auch auf nichtverfolgbare."

Dieser Befund steht vor allem im Zusammenhang mit Wirtschaftsstrafverfahren. Die Feststellung, daß eine Verfahrenseinstellung in Wirtschaftsstrafsachen gerade dort stattfindet, wo rechtliche und faktische Umstände zu einem aufwendigen Verfahren führen würden, läßt sich beispielhaft den Ergebnissen der Untersuchung Meinbergs aus dem Jahre 1985 entnehmen.657 Zwar gelangt dieser zu dem Schluß, Siehe hierzu oben C. I. 2. Vgl. zu den im einzelnen umstrittenen Anforderungen Kleinknecht I Meyer-Goßner, § 153 Rdnr. 4 ff. m. w. N. 654 Vgl. zum folgenden auch Walter, JA 1988, 377 (379). 655 Blankenburg I Sessari Steffen, S. 315. 656 Hervorhebung im Original. 657 Meinberg, S. 244 ff. 652 653

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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daß die Anwendung des § 153a nicht die ärgsten Befürchtungen bestätigen würde, die hinsichtlich der Einführung dieser Vorschrift gehegt wurden und in der Verfahrenseinstellung unter Auflagen ein "Einfallstor einer willkürlichen Klassenjustiz" sehen wollen. 658 Allerdings ließe sich insoweit eine sachgerechte Verwendung dieser Norm in Frage stellen als auch in schwerwiegenden Fallkonstellationen § 153a " ... im verfahrenspragmatischen Sinne, quasi als . . . ultima ratio der Verfahrensökonomie .. .", Verwendung finden würde. 659 Ein kurzer Blick auf vier Beispiele aus jüngerer Vergangenheit bestätigt, daß diese Einschätzung nichts an Aktualität verloren hat: - Im Sommer 1998 stellt das Landgericht Darmstadt das Verfahren gegen J. I. Lopez und drei seiner Mitarbeiter wegen Industriespionage gegen Zahlung einer Geldbuße ein. Begründung des Gerichts: Aufgrund des schwierigen Sachverhalts sei mit einem unverhältnismäßig langen Prozeß zu rechnen. 660 - Im Dezember 1998 stellt die Staatsanwaltschaft Frankfurt das Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO gegen den Aufsichtsratvorsitzenden der Commerzbank AG auf Grundlage des § 153a gegen Zahlung eines Bußgeldes ein. Ein Banksprecher betont, die Bußgeldzahlung sei kein Schuldeingeständnis, sondern geschehe aus"... verfahrensökonomischen Gründen ...".661 - Ebenfalls im Dezember 1998 stellt das Landgericht Berlin das Verfahren wegen Untreue gegen elf Manager der ehemaligen Thyssen-AG ein, die bei der Abwicklung des 1990 erworbenen Kombinats Metallurgiehandel der Treuhand-Anstalt bzw. deren Nachfolgerin einen Schaden von 73 Mio. DM zugefügt haben sollen. Begründung: Angesichts des komplizierten Falles hätte dieses Verfahren voraussichtlich mehr als zwei Jahre gedauert und eine hohe Bindung von Ressourcen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts bedeutet. 662 - Bei der Vorstellung des Jahresberichts 1998 am 12. August 1999 fordert der Präsident des Bundesaufsichtsamts für Wertpapierhandel, Wittich, eine eigene Sanktionskompetenz seiner Behörde für minder schwere Insiderfälle. Grundlage seiner Forderung ist die als unbefriedigend empfundene zunehmende Zahl von Verfahrenseinstellungen durch die Staatsanwaltschaft. Unter dem gehäuften Einsatz des Instruments der§§ 153, 153a leidet seiner Auffassung nach die präventive Wirkung des Insiderhandels-Verbots. 663 Die Besonderheit des Mißbrauchs der §§ 153 ff. in der soeben beschriebenen Weise liegt nun darin, daß diese Normen bereits von ihrer Konzeption her nicht im Zusammenhang mit der Wahrheitsfindung stehen. Der in den obigen Beispielen 658 659

660 661 662 663

Meinberg, S. 245. Meinberg, S. 245. Siehe Der Spiegel vom 27. 7. 1998, S. 69. Vgl. Achenbach/Wegener, WSNA Januar 1999. Achenbach/Wegener, WSNA Januar 1999. Vgl. Achenbach/Wegener, WSNA September 1999.

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

aufgezeigte Mißbrauch läßt sich somit schon aus diesem Grund kaum unter die herrschende Mißbrauchsdefinition fassen, weil der Zweck dieser Normen nicht auf die umfassende Sachverhaltsaufklärung ausgerichtet ist. Der Fehlgebrauch im Rahmen der§§ 153 ff. spielt sich lediglich auf der Ebene des konkreten Normzwecks ab, der insoweit umgangen wird, als im Falle rechtlich komplizierter Sachverhalte die Verfahrenseinstellung aus Opportunitätserwägungen Anwendung findet, um verfahrensökonomische Anliegen durchzusetzen. Insgesamt führt daher die verfahrenszweckakzessorische Mißbrauchsdefinition auch unter Beriicksichtigung dieser Fallgruppe staatlichen Mißbrauchs nicht zu annehmbaren Ergebnissen. (e) Revisionsverwerfung gemäߧ 349 Abs. 2 StPO als "offensichtlich unbegriindet" Als den Gerichten im Jahre 1922 durch die sogenannte Iex Lobe die Möglichkeit zur Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegriindet eingeräumt wurde, handelte es sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers um eine Ausnahmeregelung,664 die ihrerseits dem Mißbrauch von Rechtsmitteln durch den Beschuldigten bzw. seines Verteidigers entgegenwirken sollte.665 Allerdings zeigt bereits die weitere Entwicklung dieser Vorschrift in den ersten Jahren nach Inkrafttreten, daß die Ausnahme zur Regel werden sollte: Bereits das Reichsgericht machte von diesem Institut regen Gebrauch und verwarf rund die Hälfte der Revisionen als offensichtlich unbegriindet. 666 Der Verlust des Ausnahmecharakters wird aber auch deutlich, wenn man sich aktuelles Zahlenmaterial hinsichtlich der Verwerfungspraxis des BGH vergegenwärtigt. Laut Tätigkeitsbericht des Bundesgerichtshofs für das Jahr 1999 wurden nicht weniger als 79,3 % aller Revisionen wegen offensichtlicher Unbegriindetheit verworfen. Nicht zu verkennen ist jedoch auch, daß diese Möglichkeit der Revisionsgerichte von Anfang an unter Kritik (insbesondere der Anwaltschaft) stand, die wiederum ihre Grundlage in den Möglichkeiten zum "Mißbrauch der Mißbrauchsvorschrift" fand und zum Teil schon im damaligen Gesetzgebungsverfahren geäußert wurde.667 Die Vorschrift werde mißbraucht, damit die Revision schnell und ohne lästigen Zwang erledigt werden könne und die andauernde Kritik lege die Befürchtung nahe, daß seitens der Revisionsgerichte "offensichtlich unbegriindet" auch als "offensichtlich unbequem" verstanden wird.668 Zeitweise gipfelte die Kritik in der Forderung nach Abschaffung dieser Art der Revisionsverwerfung. 669 664 665 666 667 668 669

Kruse, S. 2m. w. N. Ausführlich hierzu oben B. III. I. Kruse, S. 3 m. w. N. Vgl. hierzu Kruse, S. 12 ff.; Römer, MDR 1984, 353 (354). v. Stackelberg, NJW 1960, 505 ff.; Kreuzer, StV 1982, 438 (445). Vgl. Kruse, S. 4 m. w. N.

I. Die Definition der herrschenden Meinung

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Angesichts seiner prozeßökonomischen Bedeutung kann es kaum überraschen, daß die Vorwürfe an die Revisionsgerichte (gerade von richterlicher Seite) nicht akzeptiert werden. Schon Lobe als Initiator dieser Norm bemerkte in einer Anmerkung wenige Jahre nach Inkrafttreten der Norm, wie " . . . außerordentlich segensreich ..."die Bestimmung in der Praxis wirken würde. 670 Und auch die jüngeren (richterlichen) Stellungnahmen versäumen es nicht, die Notwendigkeit dieses Instituts zu betonen, denn es habe sich am Mißbrauch der Revision durch Verteidiger bzw. Beschuldigte nichts geändert. 671 Die ersten ausführlicheren Versuche einer empirischen Analyse der Revisionspraxis findet man erst Anfang der achtziger Jahre in Form der Arbeiten von Kruse und Rottmann, basierend auf der Auswertung von Aktenmaterial von Revisionsverwerfungen durch den BGH bzw. die Oberlandesgerichte. Im Ergebnis läßt sich diesen Untersuchungen zwar entnehmen, daß die überwiegende Zahl der Revisionen zutreffend als offensichtlich unbegründet verworfen wurden, allerdings zeigte sich auch eine nicht zu übersehende Fehlerquote, in denen nicht offensichtlich begründete Revisionen als solche abgelehnt wurden. 672 Über die Aussagekraft dieser Untersuchungsergebnisse ist gestritten worden, vor allem wegen der" ... recht schmalen ..." empirischen Basis, die diesen Werten zugrunde liegt. 673 Dennoch läßt sich hieraus nicht der zweifelsfreie Schluß ziehen, daß ein Mißbrauch der Revisionsverwerfung gemäß § 349 Abs. 2 in der Praxis nicht stattfindet, denn zum einen läßt sich trotz aller Vorbehalte der Aussagewert dieser Untersuchungen nicht vollends leugnen, zum anderen sind im Schrifttum wiederholt Beispiele für den Fehlgebrauch dieser Norm aufgezeigt worden. 674 Die Mißbrauchsanfälligkeit der Vorschrift ist dabei im wesentlichen675 durch das Merkmal der Offensichtlichkeit begründet. Römer führt zu diesem völlig unbestimmten Tatbestandsmerkmal aus, daß trotz seiner jahrzehntelangen Existenz keine hinreichende Klarheit darüber geschaffen worden sei, wann seine Voraussetzungen erfüllt sind: Der Definitionsversuch, nach der Offensichtlichkeit bei sofortiger Erkennbarkeit durch einen Sachkundigen ohne längere Nachprüfung gegeben sein soll, weise eher darauf hin, daß sich bis ins einzelne gehende sachliche Kriterien wohl nicht finden lassen. 676 Da die Revision die Sachverhaltsfeststellung durch das Tatgericht weitestgehend unberührt läßt,677 tun sich auch an dieser Stelle Schwierigkeiten auf, diese MißLobe, JW 1925, 1612. Zusammenfassend Kreuzer, StV 1982,438 (446); Meyer, StV 1984, 222 ff. 672 Laut Kruse (S. 348 ff.) waren beim BGH rd. 10% und beim BayObLG ca. 17,6% der Revisionen hiervon betroffen; Rottmann (S. 130ff.) gelangt bei dem von ihm untersuchten OLG Celle zu einer Fehlerquote von rd. 6,7%. 673 Kreuzer, StV 1982,438 (445); Meyer, StV 1984, 222 (223). 674 Römer, MDR 1984, 353; Dahs, NStZ 1981, 205 ff. 675 Zu weiteren Faktoren vgl. Römer; MDR 1984, 353 (355 ff.). 676 Römer MDR 1984, 353 (355). 670

671

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

brauchserscheinung unter die herrschende Mißbrauchsdefinition zu fassen. Sie verdeutlicht aber in besonderem Maße einen wesentlichen Kritikpunkt in der Diskussion um den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren, nämlich den möglichen Mißbrauch einer MißbrauchsverbotsklauseL Dabei ist auch nicht zu übersehen, daß der Anknüpfungspunkt dieses Mißbrauchs in der Unbestimmtheit der Tatbestandsvoraussetzungen liegt. Erneut zeigt sich somit, daß der Mißbrauch von Verfahrensrechten und die unbestimmte Ausgestaltung von Verfahrensvorschriften eine enge Verbindung aufweisen, die es zu vermerken gilt.

b) Zusammenfassung Faßt man die Ergebnisse der obigen Beispiele für mißbräuchliches Verhalten der staatlichen Organe zusammen, so ergibt sich letztlich ein ernüchterndes Bild. So hat sich gezeigt, daß es einerseits verschiedene Formen des Rechtsmißbrauchs gibt, die zwar unzweifelhaft als Mißbrauch einzuordnen sind, aber nicht vom Schutzbereich der auf Wahrheitstindung ausgerichteten herrschenden Mißbrauchsbestimmung erfaßt werden. Andererseits erweist sich dieser vorgegebene Mißbrauchstatbestand an Stellen effektiv, von denen zu bezweifeln ist, ob von den Stimmen aus der Praxis, die sich so vehement für eine effektive Mißbrauchsbekämpfung einsetzen, eine entsprechende Sanktionierung wirklich erwünscht ist. Das zeigt sich vor allem in Hinblick auf verfahrenserledigende Absprachen. Die herrschende Mißbrauchsdefinition tangiert damit Bereiche, die sich im Hinblick auf prozeßökonomische Erwägungen als besonders bedeutend darstellen. Schließlich hat sich gezeigt, daß auch unabhängig von der Inanspruchnahme originärer Verfahrensrechte durch den Mißbrauch von Vorschriften eine mittelbare Einflußnahme auf die Verfahrensbeteiligten möglich ist. Illustrieren läßt sich dieser Befund anhand der Pauschgebühren gemäߧ 99 BRAGO, durch die sich ohne Möglichkeiten der Gegenkontrolle Sinn und Zweck der Pflichtverteidigung unterlaufen läßt. Dieses führt zu der bereits eingangs der Erörterungen kurz in Erwägung gezogenen Annahme, daß sich unter Beriicksichtigung der Konsequenzen der Definition im Sinne der herrschenden Meinung ein sehr unausgewogener Mißbrauchstatbestand ergibt: Er unterläuft nicht nur die Stellung von Beschuldigtem und Verteidigung, sondern erweist sich auch dann als unzureichend, wenn es um die Sanktionierung von Erscheinungen staatlichen Rechtsmißbrauchs geht. Die herrschende, an den Zweck des Verfahrens bzw. Wahrheitstindung anknüpfende Definition ist damit in jeder Beziehung eine untaugliche Grundlage der Mißbrauchsbekämpfung.

677

Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Roxin, StVR, §53 Rdnr. 11.

II. Verfahrensrechtsakzessorische Definition

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II. Die verfahrensrechtsakzessorische Definition des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren Erneut stellt sich somit die Frage nach einer Mißbrauchsdefinition, die in der Lage ist, Mißbrauchserscheinungen umfassend zu bekämpfen und die aufgezeigten Defizite zu beseitigen. Da sich in den Ausführungen dieses Abschnitts bisher gezeigt hat, daß die Probleme der herrschenden Begriffsbestimmung ganz wesentlich in der Verknüpfung der Mißbrauchsdefinition mit den Zwecken des Strafverfahrens begründet liegen, ist das wesentliche Kriterium einer neuen Begriffsbestimmung schon aufgezeigt: Die Definition des Rechtsmißbrauchs ist vom Verfahrenszweck zu lösen. Wenn aber nicht der Verfahrenszweck Ausgangspunkt der Mißbrauchsbestimmung sein kann, dann bietet sich das konkrete Verfahrensrecht als entscheidendes Kriterium an. Dieser Ansatz ist in seinem Kern nicht neu: Er wurde bereits im Jahre 1975 von Weber67 8 unter Berücksichtigung des aus dem französischen Recht stammenden Prinzips des institutionellen Mißbrauchs angesprochen. Danach wird ein Recht mißbraucht, wenn es nicht der vom Gesetz gewollten lnteressenförderung, sondern zur Erreichung mißbilligenswerter Ziele ausgeübt wird. Man hat demnach " .. .zu fragen, ob ein Verhalten, das sich im Einklang mit dem Wortlaut einer Norm befindet, also eine scheinbar legitime Rechtsausübung darstellt, dennoch gegen den Zweck der Norm679 verstößt." Das wesentliche Schlüsselelement liegt demnach im konkreten Zweck der Norm bzw. eines nicht normierten, aber anerkannten Verfahrensrechts, 680 und zwar unabhängig von den Zielen des Strafverfahrens. Dieser Bezugspunkt der Mißbrauchsprüfung ist in jüngerer Zeit wieder auf Beachtung gestoßen.681 Auch Kudlich will in seiner Untersuchung zum allgemeinen Mißbrauchsverbot hieran (u. a.) anknüpfen.682 Seine Ausführungen in diesem Zusammenhang sind insoweit überzeugend, als sie zunächst einmal das Verhältnis von Norm- und Verfahrenszweck grundsätzlich klären und somit einen vertretbaren Rahmen für die Bestimmung mißbräuchlicher Verhaltensweisen aufzeigen: Demnach ist zu differenzieren, ob eine Norm (auch) dem Zweck des Verfahrens dienen soll oder nicht. Soweit Norm- und Verfahrenszweck in Einklang stehen, widerspricht schon der normzweckwidrige Gebrauch auch dem Verfahrenszweck. Stimmen Norm- und Verfahrenszweck dagegen nicht überein, dann kann ein Mißbrauch nicht schon dadurch begründet sein, daß dem Zweck des Strafverfahrens nicht gedient wird. Zutreffend ist demnach die Feststellung, daß dort kein Mißbrauch konstatiert werden kann, wo eine Norm zu dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck eingesetzt wird, selbst wenn dieser EinWeber, GA 1975, 289 (295 ff.). Hervorhebung nicht im Original. 680 Der Begriff des Normzwecks ist somit (auch im folgenden) in einem entsprechend umfassenden Sinne zu verstehen. 681 Vgl. Kühne, StV 1996, 684 (685); Kempf, StV 1996, 507 (509); Rüping/Dornseifer, JZ 1977, 417 (418); Herdegen, NStZ 2000, 1 (6). 682 Kudlich, S. 199ff.; ders., NStZ 1998, 588 (589). 678 679

142

C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

satz das Verfahren insgesamt hemmen sollte.683 Um diesen Widerspruch zu vermeiden, kann sich als Konsequenz hieraus nur ergeben, daß sich die Akzessorietät der Mißbrauchsdefinition ausschließlich in bezug zum Normzweck bestimmt, ohne daß es auf das Verhältnis von Normzweck und Verfahrenszweck ankommen würde. Damit verliert der Zweck der Strafverfahrens für die Problematik des Rechtsmißbrauchs jegliche Bedeutung. Es erscheint daher wenig überzeugend, wenn sich Kudlich im Anschluß an seine zutreffenden Ausführungen zum Verhältnis von Normzweck und Verfahrenszweck dennoch an den mit dem Strafprozeß als Institution verfolgten Zielen orientieren wi11: 684 Die allgemeinen Zielvorgaben des Strafverfahrens sind für ihn insoweit von Interesse, als sie es zum einen erleichtem sollen, den Zweck der Einzelvorschrift zu ermitteln; zum anderen sollen sich aus der Frage nach dem Ziel des Strafverfahrens als solchem auch ". . . gewisse ... " Anhaltspunkte ergeben, die bei der Zweckbestimmung bzw. dem Mißbrauchsurteil allgemein zu beachten seien. Schließlich soll die Kenntnis des Verfahrensziels der Schlüssel zum Verständnis der Zwecke des Verfahrensrechts in seiner Gesamtheit sein. Mit diesen Argumenten widerspricht er strenggenommen nicht nur den Konsequenzen seines eigenen Ansatzes, sondern es besteht die Gefahr, daß durch die Berücksichtigung der verschiedenen Verfahrensziele im Strafprozeß die bereits aufgezeigten Probleme, die durch eine Verfahrenszweckakzessorietät der Mißbrauchsdefinition aufgeworfen werden, wieder in die Zweckwidrigkeitsbeurteilung einfließen, obwohl hierfür keinerlei Notwendigkeit besteht. Der Vorteil einer ausschließlich verfahrensrechtsakzessorischen Bestimmung liegt gerade darin, daß sie sich als von den Verfahrenszielen unabhängig darstellt und trotzdem nicht in Konflikt mit den Zwecken des Strafverfahrens stehen kann: Ob mit dem Verstoß gegen eine Norm auch gegen ein Verfahrensziel verstoßen wird, ist nur mittelbar von Interesse, ohne daß es für das Mißbrauchsurteil hinsichtlich der Ausübung einer Handlungsbefugnis von Relevanz wäre. Die Verfehlung von Verfahrenszielen fällt damit nicht in die Risikosphäre der Verfahrensbeteiligten, sondern in die des Gesetzgebers, der entsprechende Möglichkeiten zur Rechtsausübung geschaffen hat bzw. zuläßt.

Reduziert sich damit die notwendige Anknüpfung auf den Zweck der Norm, so haben die Beispiele für mißbräuchliche Verhaltensweisen daneben aber auch gezeigt, daß sich der Mißbrauch nicht nur in der praktischen Anwendung eines Rechts äußern muß, sondern auch in der Umgehung seiner tatbestandliehen Voraussetzungen liegen kann. Soweit das jeweilige Gesetz bestimmte Eingriffsvoraussetzungen vorsieht, stellen diese keinen Selbstzweck dar; ihnen kommt eine Schutzfunktion zu, die gerade unter Beriicksichtigung der Stellung des Beschuldigten willkürliche Eingriffe vermeiden soll. Beide Faktoren müssen eine umfassende Mißbrauchsdefinition ebenso mitbestimmen wie die Erkenntnis, daß auch mittelbar eine mißbräuchliche Einflußnahme auf das Strafverfahren möglich ist, was sich beispielhaft anhand des Mißbrauchs der Pflichtverteidigervergütung nachvollziehen läßt. Diese Fallgruppe hat gezeigt, daß ein auf Verhaltenssteuerung angelegter Mißbrauch nicht nur im Rahmen der Anwendung eines Verfahrensrechts im engeren Sinne möglich ist. 683 684

Kudlich, S. 200; ders., NStZ 1998, 588 (589). Kudlich, S. 200ff.

II. Verfahrensrechtsakzessorische Definition

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Damit ist der Rahmen für einen entsprechenden Definitionsvorschlag gesteckt. Unter Berücksichtigung der Vorgaben läßt sich Rechtsmißbrauch im Strafverfahren wie folgt bestimmen: Rechtsmißbrauch ist jeder (auch mittelbare) Eingriff in den Verlauf des Strafverfahrens oder die Stellung bzw. Funktion seiner Beteiligten durch die formal ordnungsgemäße Inanspruchnahme von Rechten, aufgrund derer entweder der konkrete Zweck dieses Rechts oder seine schützende Funktion umgangen wird. Eine solche Definition bedarf nunmehr der "Gegenprobe". Es gilt zu ermitteln, ob dieser Definitionsansatz genau das leistet, was man von ihm erhofft: Die Gewährung eines Schutzbereichs, der sowohl staatlichen Mißbrauch als auch den von Beschuldigtem und Verteidigung erlaßt. Ohne daß man erneut auf die bis hier hin erörterten Mißbrauchserscheinungen im einzelnen eingehen muß ergibt sich hierbei ein klares Bild: Wendet man sich zuerst den Befugnissen von Beschuldigtem und Verteidigung zu, dann ist vor allem nach der Praktikabilität dieser Definition im Bereich des Beweisantragsrechts zu fragen. Zweck dieses in § 244 Abs. 3-5 vorausgesetzten Verfahrensrechts ist die Einflußnahme auf die richterliche Überzeugungsbildung;685 es geht um eine Beeinflussung der Beweisaufnahme dahingehend, Entlastungsbeweise in der Hauptverhandlung erheben zu lassen686 bzw. rechtliches Gehör zu bekommen, um so den Anklagevorwurf zu erschüttern.687 Solange sich der Gebrauch des Beweisantragsrechts in diesem Rahmen abspielt, bewegt er sich in einem Rahmen, der von dem Zweck des Verfahrensrechts erlaßt wird. Sollte es der Verteidigung oder dem Beschuldigten jedoch nur darum gehen, durch exzessiven Gebrauch des Beweisantragsrechts den Prozeß zu verzögern oder gar zum Erliegen zu bringen, so bewegt sich eine derart motivierte Inanspruchnahme außerhalb des Zwecks von Beweisanträgen. Gleichzeitig unterläuft ein solches Verteidigungsverhalten auch die Stellung von anderen Verfahrensbeteiligten, vor allem die des Gerichts bzw. des Vorsitzenden Richters, soweit die Verfahrensleitung diesem aus der Hand genommen werden soll.688 Diese Erwägungen lassen sich generell auch auf die anderen in der Diskussion stehenden, prozessualen Mißbrauchsformen übertragen, denn die StPO kennt keine Normen, deren Zweck es ist, ein derartiges Prozeßverhalten zu gestatten und es so zu einem Bestandteil der Verteidigungsstrategie zu machen. Es ist im Anschluß an die zutreffenden Ausführungen Roxins im Grunde selbstverständlich, daß ein gesetzgeberisches Prozeßprogramm nicht die Blockierung und Ineffektivierung des Verfahrens ent-

685 Vgl. hierzu auch Schatz, S. 248 ff., der den Sinn der in § 244 Abs. 3 - 5 niedergelegten Ablehnungsgründe in der mangelnden Eignung sieht, auf die Überzeugungsbildung des Richters Einfluß zu nehmen. 686 Z. B. Perron, ZStW 108 (1996), 128 (129 ff.); Anders, S. 23; J. M. Hirsch, S. 2. 687 Perron, ZStW 108 (1996), 128 (132 (a. E.)). 688 Hierzu bereits oben C. I. 3. a) (3) (b) (cc).

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

halten kann.689 Insoweit führt die hier vertretene Mißbrauchsdefinition zu den erwünschten Ergebnissen. Entscheidend für ihre Vorzugswürdigkeit ist nunmehr der Umstand, daß man das gleiche befriedigende Resultat auch für mißbräuchliche Verhaltensweisen der staatlichen Organe erreicht. Wenn seitens dieser Verfahrensbeteiligten etwa die Untersuchungshaft nicht als Sicherungsmittel für den Ablauf des Strafverfahrens gebraucht wird, sondern zur Herbeiführung eines Geständnisses bzw. zu einer vorweggenommenen Bestrafung des zu diesem Zeitpunkt als unschuldig zu behandelnden Beschuldigten, dann unterläuft ein solches Verhalten die tatbestandliehen Voraussetzungen der§§ 112 ff. bzw. den Zweck dieser Regelungen, wodurch das Mißbrauchsurteil begrundet wird. Vergleichbares gilt es aber auch für die mißbräuchliche Verwerfung einer Revision als offensichtlich unbegriindet bzw. mißbräuchliche Verfahrenseinstellungen gemäߧ§ 153 ff. festzustellen, wodurch ebenfalls der Normzweck verletzt wird. Ob damit mittelbar auch der Wahrheitsfindung oder einem sonstigen Verfahrensziel gedient wird, spielt in Ermangelung einer entsprechenden Bezugnahme keine Rolle. Nichts anderes gilt für die Umgehung tatbestandlieber Voraussetzungen sonstiger gesetzlich vorgesehener Befugnisse (z. B. hinsichtlich der Verwendung von Steckbriefen), denn auch in diesem Falle wird der Zweck eines Verfahrensrechts, welches gerade durch gesetzlich fixierte Eingriffsvoraussetzungen den Schutz des Beschuldigten anstrebt, umgangen. In den Schutzbereich dieser Begriffsbestimmung fallen aber auch die aufgezeigten Mißbrauchserscheinungen, die sich zwar außerhalb des Strafprozeßrechts im engeren Sinne bewegen, die aber mittelbar Einfluß auf das Verhalten von Verfahrensbeteiligten nehmen, wie etwa die Einflußnahme auf das Verhalten von Pflichtverteidigern entgegen derratiodes § 140, der eine wirksame Verteidigung im Strafverfahren sichern wi11. 690 Daneben wird hierdurch auch die Stellung des Verteidigers als Verfahrensbeteiligter in unzulässiger Weise manipuliert. Insgesamt stellt sich die verfahrensrechtsakzessorische Mißbrauchsdefinition in allen Belangen als taugliches Fundament der Mißbrauchsbestimmung im Strafverfahren dar. Das gilt es ebenso im Hinblick auf die verfahrenserledigende Absprache im Strafverfahren zu berücksichtigen, da ihre Zulässigkeil auf Basis einer nicht auf das Verfahrensziel der Wahrheitsfindung abstellenden Mißbrauchsdefinition anders zu bewerten ist als auf Grundlage der herrschenden Meinung. Nichtsdestotrotz leistet sie keinen Beitrag zur Überwindung der grundsätzlichen dogmatischen Probleme, die nach geltendem Recht mit diesem Phänomen verbunden sind. 691 Diese dürften sich letztlich nur durch eine Neukonzeption des deutschen Strafverfahrens korrigieren lassen, in der die Verfahrensziele neu definiert werden und in der die konsensuale Erledigung von Strafprozessen durch die Verfahrensbeteiligten entsprechende Berücksichtigung findet. Da die Vorteile dieser Art von Verfahrenserledigung nicht von der Hand zu weisen sind, sprechen durchaus gute Argumente für eine derartige Roxin, FS Hanack, S. 1 (15). Vgl. nur BVerfGE 39, 238 (241); 65, 171 (174); Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 140 Rdnr. 1. 691 Hierzu oben C. I. 3. a) (1). 689 690

III. Zusammenfassung des Kapitels C.

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Reform. Angesichts der aufgezeigten Probleme, die sich aus der Korrelation von Absprachen, Rechtsfrieden und den Strafzwecken des materiellen Rechts ergeben,692 wäre jedoch in jedem Falle darauf zu achten, daß Sinn und Zweck einer entsprechenden Neukonzeption des Strafverfahrens in der Öffentlichkeit bzw. Rechtsgemeinschaft auch hinreichend vermittelt werden. 693

111. Zusammenfassung des Kapitels C. Gegenstand dieses dritten Kapitels der vorliegenden Untersuchung war die Definition des Mißbrauchstatbestands, der seinerseits die Grundlage für die Sanktionierung mißbräuchlicher Verhaltensweisen im Strafverfahren ist. Ausgangspunkt der Erörterungen war dabei die Begriffsbestimmung wie sie von der herrschenden Meinung zugrunde gelegt wird und ganz wesentlich auf den Zweck des Strafverfahrens abstellt. Dessen Ermittlung erwies sich jedoch angesichts der Vielfalt der in Betracht kommenden, zum Teil antagonistischen Verfahrensziele im Strafprozeß als problematisch. Es stellte sich heraus, daß das Schlüsselelement der herrschenden Mißbrauchsdefinition in dem Verfahrenszweck der Wahrheitsermittlung liegt. Dieser Bezugspunkt des Zweckwidrigkeitsurteils sieht sich allerdings erheblichen Vorbehalten ausgesetzt, wobei der wesentliche Kritikpunkt darin zu sehen ist, daß sich eine derartige Mißbrauchsdefinition als ganz überwiegend auf die Rechtsposition von Beschuldigtem und Verteidigung zugeschnitten darstellt und die Stellung dieser Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren unterläuft. Darin äußert sich ein grundlegendes Problem in der Diskussion um das Strafverfahren, das auf ein mangelndes Funktions- bzw. Rollenverständnis in bezug auf die Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten hinweist: Die Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung trifft die staatlichen Strafverfolgungsorgane und nicht den Beschuldigten oder seinen Verteidiger, deren Stellung im Strafverfahren somit auch dann gesichert sein muß, wenn auf dieser Seite keinerlei Interesse an der Wahrheitsermittlung besteht. Die Verknüpfung von Rechtsmißbrauch und Wahrheitsfindung zeigt auch, daß mißbräuchliche Verhaltensweisen der staatlichen Strafverfolgungsorgane nur in unzureichendem Maße in den Wirkungsbereich einbezogen werden, weil die durch die StPO eingeräumten Handlungsbefugnisse hierauf ausgerichtet sind und ihr Mißbrauch dieses Verfahrensziel überwiegend nicht in Frage stellt. Dieser Mißstand wird durch eine ausschließliche Anknüpfung an den Zweck eines Verfahrensrechts bzw. seine (durch die tatbestandliehen Voraussetzungen gewährleistete) Schutzfunktion korrigiert, die die Ziele des Strafverfahrens ausklammert und mißbräuchliche Verhaltensweisen aller Verfahrensbeteiligten in ausreichendem Maße der Sanktionierung unterwirft. Siehe hierzu ausführlich oben C. I. 3. a) (1 ). Offenbar scheint der Gesetzgeber nunmehr in Zusammenhang mit der Absprache im Strafverfahren aktiv werden zu wollen, beachte Meyer-Goßner, StraFo 2001, 73 (77 (a. E.)); einen Vorschlag zur Ausgestaltung einer Abspracheregelung im Strafverfahren unterbreitet Braun, StraFo 2001, 77 ff. 692 693

10 Abdallah

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C. Definition des strafprozessualen Rechtsmißbrauchstatbestandes

IV. Der weitere Gang der Untersuchung Ist damit der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs hinreichend erklärt, so geht es im nun folgenden vierten Kapitel der Untersuchung um die Rechtsfolgenseite bzw. die möglichen Sanktionen, die zwecks Abhilfe geboten sind. Dabei wird unter anderem die Untersuchung der aktuellen Abhilfemöglichkeiten notwendig sein, die die StPO in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zu bieten hat, denn nur für den Fall, daß sich im geltenden Regelungssystems Lücken herausstellen, tritt die Frage nach weitergehenden Sanktionen bzw. strafprozessualen Reformen in den Vordergrund. Die Antwort auf diese Frage wird sich dabei - wie in der Einleitung angekündigt insbesondere von den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren leiten lassen, aber auch das Strafrecht miteinbeziehen. Schließlich wird auf dieser Basis eine Bewertung der aktuellen Reformvorschläge bzw. ihrer Berechtigung möglich sein.

D. Die Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren Mit der aufgrund der bisherigen Ausführungen möglichen Feststellung, wann im Rahmen eines Strafprozesses von Rechtsmißbrauch zu sprechen ist, wäre dann nicht allzuviel gewonnen, wenn nicht festgestellt wird, wie diesem Mißbrauch abgeholfen werden kann. Wie also muß bzw. kann das Strafverfahrensrecht auf den Mißbrauch von Verfahrensrechten reagieren, um die Interessen der hierdurch jeweils beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten oder die der Gemeinschaft an einem geordneten Strafverfahren zu schützen? Die Antwort auf diese Frage steht im Mittelpunkt des nun folgenden vierten Kapitels der Untersuchung. I. Zur Rechtfertigung des Sanktionsbedürfnisses

Auf den ersten Blick mag die soeben gewählte Kennzeichnung der folgenden Ausführungen für Verwirrung sorgen, denn die im Laufe dieser Untersuchung aufgezeigten Mißbrauchserscheinungen auf Seiten aller Verfahrensbeteiligten legen die Forderung nach Sanktionen nahe, um den Ablauf des rechtsstaatliehen Strafverfahrens bzw. Rechte und Stellung seiner Beteiligten zu sichern. Dennoch gibt es für diese zu klärende Vorfrage konkrete Ansatzpunkte in der Literatur. So hat beispielsweise Schulz in einem Beitrag aus dem Jahre 1991 die Behauptung aufgestellt, daß gerade die Mißbrauchsfähigkeit eines Verfahrensrechts für dessen Authenzität bürgt: 694 "Der Mißbrauch des Rechts muß um des Rechtes willen ertragen werden. Kurz und überspitzt: ein Verfahrensrecht, das nicht mißbraucht werden kann, verdient diesen Namen nicht."695 Es wäre voreilig, diese Aussage von vomherein verwerfen zu wollen, denn daß grundsätzliche Problem, das durch eine solche Überlegung tangiert ist, zeigt sich etwa dann, wenn man - wie Schutz - schwerpunktmäßig den Mißbrauch des Beweisantragsrechts durch die Verteidigung bzw. Beschuldigten aufgreift: Versteht man dieses Recht im Hinblick auf diese Verfahrensbeteiligten als Ausdruck der Kontrolle staatlicher Sachverhaltsaufklärung,696 so erscheint es wenig sinnvoll, wenn denjenigen Verfahrensbeteiligten, deren Tätigkeit hierdurch kontrolliert wer694 Schulz, StV 1991, 354 (362); vgl. auch Jahn, S. 195, nach dem der Mißbrauch prozessualer Handlungsmöglichkeiten in der Struktur des Strafverfahrens mit angelegt ist. 695 Schulz, StV 1991, 354 (362). 696 Zu den Rechten und Pflichten des Verteidigers und des Beschuldigten vgl. ausführlich oben C. I. 3. a) (3).

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

den soll (namentlich Staatsanwaltschaft und Gericht), die Möglichkeit eingeräumt wird, durch Verweis auf die vermeintlich mißbräuchliche Anwendung eines Kontrollrechts - gegebenenfalls verbunden mit entsprechenden Sanktionen wie etwa dem Rechtsentzug- sich genau dieser Kontrolle entziehen zu können.697 Die sich dahinter verbergende Gefahr des Mißbrauchs des Mißbrauchsgedankens ist im Laufe dieser Arbeit bereits wiederholt angesprochen worden und deutet auf das wesentliche Problem eines anzustrebenden, austarierten Verhältnisses von Kontrolle und Gegenkontrolle hin. Nichtsdestotrotz hinterläßt eine solche Aussage aber auch offene Fragen: Zum einen verknüpft Schulz diese Aussage mit der Bedeutung des Beweisantragsrechts für den Beschuldigten und seinen Verteidiger, um dessen Stellung im Strafverfahren er sich sorgt. Es fragt sich aber, ob sie auch Gültigkeit für den staatlichen Rechtsmißbrauch beansprucht, durch den zum Teil massiv in die Rechtssphäre des Beschuldigten eingegriffen wird. So müßte beispielsweise der Mißbrauch der Untersuchungshaft auf Grundlage dieser Aussage Anerkennung finden, obwohl sich in solchen Fällen kaum noch von einem rechtsstaatliehen Strafverfahren sprechen ließe, zu dessen Zielen auch und gerade der Schutz des Beschuldigten zählt bzw. zählen sollte. Die Unausgewogenheit dieser Aussage zeigt sich aber vor allem dann, wenn man einen genaueren Blick auf ihre Konsequenzen wirft, denn es stellt sich die Frage, ob es Beschuldigtem und Verteidiger tatsächlich möglich sein soll, durch den Mißbrauch von Verfahrensrechten ein Strafverfahren unter Umständen zum Erliegen zu bringen. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich von selbst, wenn man das Erfordernis einer funktionstüchtigen Rechtspflege als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips bejaht und es als Schützenswertes Grundprinzip des Strafverfahrens akzeptiert.

1. Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege

Es ist allerdings festzustellen, daß der Rückgriff auf dieses Prinzip (nicht zuletzt innerhalb der aktuellen Mißbrauchsdebatte) umstritten ist, so daß es geboten erscheint, seine Anwendung zur Rechtfertigung des Sanktionsbedürfnisses hinsichtlich des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren näher zu untersuchen. a) Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Schutzgut der funktionstüchtigen Strafrechtspflege ist spätestens seit der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972 zum Zeugnisverweigerungsrecht von Sozialarbeitem698 (zum Teil mit geringen terminologischen Abweichun697 698

In diesem Sinne Schulz, StV 1991 , 354 (362). BVerfGE 33, 367 (383); beachte aber auch schon BVerfGE 19, 342 (347); 20,45 (49).

I. Zur Rechtfertigung des Sanktionsbedürfnisses

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gen)699 fester Bestandteil seiner Rechtsprechung. 700 Das Gericht führte damals hierzu aus: "Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlich.keit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält ... , verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt ... , das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß betont ... und die Aufklärung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatliehen Gemeinwesens bezeichnet. .. "

Zwar untermauert das BVerfG seine Rechtsprechung in der Folgezeit durch weitere rechtsstaatliche Forderungen des Strafverfahrens mit der Konsequenz, daß die funktionstüchtige Strafrechtspflege in einen umfassenden "Begriffsrahmen" eingestellt wird. 701 Dennoch fehlt es in der Judikatur letztlich an einer genaueren Herleitung. 702 Unabhängig davon muß es angesichtsder bisherigen Ergebnisse der Untersuchung auffallen, welchen Maßstab das BVerfG als Kriterium für dieses umfassende Grundprinzip bemüht: Danach definiert sich die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege vor allen Dingen über die Ermittlung der materiellen Wahrheit im Strafverfahren und weist hinsichtlich seiner inhaltlichen Ausgestaltung deutliche Parallelen zu der herrschenden Mißbrauchsdefinition auf. Diese Kongruenz von Funktiontüchtigkeitstopos und Mißbrauchsbestimmung ist an dieser Stelle allerdings keine überraschende Erkenntnis mehr, denn sie zeigte sich schon im Rahmen der Bestimmung des Mißbrauchstatbestands, wo sich die Argumentationsfigur der funktionstüchtigen Strafrechtspflege als Kriterium mißbräuchlicher Rechtswahrnehmung herauskristallisierte. 703

b) Die Kritik in der Literatur Trotz wohl überwiegend zustimmender Aufnahme dieser Rechtsprechung in der Literatur ist die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Leitmotiv des Strafverfahrens bis in die jüngste Zeit hinein mit verschiedenen Gründen auf Kritik gestoßen. 704 So sind es vor allem drei Einwände, die im Schrifttum gegen einen Rückgriff auf diese Rechtsfigur geltend gemacht werden: 705 Unbestimmtheit, VerHierzu Jahn, S. 193 (Fn. 223). Bspw. auch BVerfGE 34,238 (248); 38, 105 (118f.); 44,353 (374); 53, 152 (160); 77, 65 (76). 701 Siehe Hassemer, StV 1982, 275 (276). 102 Vgl. Hassemer, StV 1982, 275. 703 Vgl. oben C. I. 2. a). 704 Grünwald, JZ 1976, 767 (772f.); Hassemer, StV 1982, 275ff.; ders., KritVj 1990,260 (264ff.).; Rieh1e, KJ 1980, 316ff.; Jahn, S. 189ff.; vgl. auch HdbStaatsR(III)-Degenhart, § 76 Rdnr. 31. 705 Vgl. zum folgenden auch Kudlich, S. 166 ff. (168) rn. w. N. 699

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

kehrung des Rechtsstaatsprinzips gegen den Bürger und schließlich die unzulässige Harmonisierung antagonistischer Verfahrensziele. Die Unbestimmtheit des Begriffs soll dabei nicht nur gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstoßen, sondern der Funktionstüchtigkeitstopos wird damit auch fast beliebig disponibel. 706 Nach der Auffassung Grünwaids dient daneben das Rechtsstaatsprinzip zur Begrenzung der Durchsetzung staatlicher Interessen im Sinne eines Schutzwalls, an dem sich die Strafverfolgungsinteressen brechen.707 Nutzt man das Rechtsstaatsprinzip nun gegen den Beschuldigten im Strafverfahren, so läge hierin eine Perversion des Rechtsstaatsbegriffs. Schließlich wendet sich Hasseme? 08 dagegen, daß das BVerfG in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1972 den Eindruck erweckt, daß die funktionstüchtige Strafrechtspflege und die strafprozessualen Grundwerte wie Wahrheit, Gerechtigkeit etc. harmonisch ineinandergreifen würden, weil dieses nicht nur begrifflich unsauber, sondern auch kriminalpolitisch verfehlt sei. Das rechtsstaatliche Strafverfahren lebe zuerst einmal vom Antagonismus und nicht von der Harmonie der strafprozessualen Grundwerte, wobei es Ausdruck eines antiliberalen Denkens sei, wenn ". . . Gerechtigkeit durch Effizienz und Effizienz durch Gerechtigkeit ..." verwirklicht werden solle. Im übrigen würden hierdurch sämtliche zentralen Werte des Strafverfahrens in die Funktionstüchtigkeit aufgenommen, so daß die privaten Interessen als Gegenpol bei der Abwägung keine "argumentative Chance" mehr hätten, ein Gegengewicht zu dieser Kumulation an Grundwerten des Strafverfahrens zu bilden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Kritik hat Jahn in seiner Untersuchung zur Konfliktverteidigung die Forderung aufgestellt, sich von der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Argumentationsfigur im grundrechtssensiblen Bereich der Strafverteidigung zu verabschieden. 709 c) Die funktionstüchtige Strafrechtspflege als notwendiges Abwägungskriterium Sowohl die jeweiligen kritischen Gegenargumente als auch die Schlußfolgerung Jahns erscheinen auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar. Daß es sich bei dem Verweis auf die Notwendigkeit einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege letztlich um eine sehr unbestimmte Anknüpfung handelt, läßt sich kaum bestreiten. Insoweit hilft auch der Hinweis nicht weiter, daß dieser Vorwurf auch andere Verfassungsprinzipiell wie Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit oder Menschenwürde trifft und daß es in vielen Fällen des Rückgriffs auf allgemeine Prinzipien bedarf.710 Auch wird man nicht die Augen davor verschließen können, daß das FunkJahn, S. 193m .w .N. Grünwald, JZ 1976, 767 (773). 7os Hassemer, StV 1982, 275 (277). 709 Jahn, S. 194. 710 In diesem Sinne Kud1ich, S. 170 f. 706 707

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tionstüchtigkeitstopos in der Regel immer dann zum Zuge kommt, wenn es um die Restriktion von Beschuldigten- und Verteidigungsrechten geht. 711 Daß die Rechtsprechung und die ihr folgende Literatur damit nicht nur sehr einseitig im Interesse der Strafverfolgungsbehörden argumentieren, sondern sich im Grunde genommen auch inkonsequent verhalten, zeigt der Umstand, daß sich auch die Interessen des Beschuldigten durchaus (wenn nicht gar notwendigerweise) in den Begriff der funktionstüchtigen Strafrechtspflege integrieren lassen. 712 In einer rechtsstaatliehen Strafrechtspflege, die eben nicht nur die Durchsetzung des materiellen Strafanspruchs postuliert, sondern auch auf die Justizfönnigkeit des Verfahrens im Interesse des Beschuldigten bedacht ist, zeigt sich die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege auch dann, wenn die Wahrheit nicht festgestellt wird, beispielsweise wenn der möglicherweise schuldige Straftäter (in dubio pro reo) freigesprochen wird. Es ist daher nicht zulässig, die Wahrheitsermittlung zum entscheidenden Prüfstein für die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu machen und auf diesem Wege die Beschuldigten- bzw. Verteidigungsinteressen aus dem Sammelbegriff auszusondern. Die Interpretation des Funktionstüchtigkeitstopos als "Überführungstüchtigkeit"713 entspricht zwar der Einschätzung der momentanen Diskussion, umschreibt aber bestenfalls eines von vielen Elementen dieses rechtsstaatliehen Postulats. Insoweit bedürfen auch die Vorbehalte Hassemers der Klarstellung: Der eigentliche Kritikpunkt liegt nicht in dem Versuch begründet, den Antagonismus der verschiedenen Verfahrensziele bzw. Grundwerte des Strafverfahrens durch den Rückgriff auf eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu harmonisieren, sondern vielmehr darin, daß hier ein Antagonismus von Funktionstüchtigkeit und Beschuldigteninteressen konstruiert wird, der so gesehen gar nicht existieren dürfte, weil es in einem funktionierenden rechtsstaatlichen Strafverfahren durchaus das legitime und schützenswerte Interesse des Beschuldigten sein kann, daß die Wahrheit nicht zutage tritt. Interpretiert man aber die Wahrheitsfindung als alleinigen Beleg einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, dann tritt erneut derselbe Vorbehalt in Erscheinung, wie er auch schon hinsichtlich der herrschenden Mißbrauchsdefinition ermittelt wurde: Sowohl die Verteidigung als auch der Beschuldigte werden umfassend und damit unberechtigt auf ein Verfahrensziel verpflichtet, denen sie aufgrund der Konzeption des deutschen Strafverfahrens nur in begrenztem Umfange unterworfen sind? 14 Es gehört darüber hinaus zu den Eigentümlichkeiten der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Postulat einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, daß sich aus ihr auch Anhaltspunkte für eine restriktive Anwendung dieses Prinzips 711 Zutreffend Jahn, S. 193; Kudlich, S. 167f. m. w. N.; vgl. in diesem Zusammenhang auch den "Katalog" an Kriterien, den das BVerfG im Laufe der Zeit zwecks Konkretisierung entwickelt hat, bei Kröpil JuS 1999,681 (683). 712 Riehle, KJ 1980, 316 (319); Kudlich, S. 167 (a. E.). m Vgl. Hamm, NJW 1993, 289 (291). 714 Vgl. oben C. I. 3. a) (3).

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ergeben. So hat das BVerfG wiederholt in Hinblick auf das Verhältnis von Kunstfreiheit gemäß Art. 5 GG und staatlichem Strafanspruch folgendes betont: 715 "Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich Einschränkungen dieses vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen wie etwa dem "Schutz der Verfassung" oder der "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" rechtfertigen lassen; vielmehr müssen anband einzelner Grundgesetzbestimmungen diejenigen verfassungsrechtlich geschützten Güter konkret herausgearbeitet werden, die bei realistischer Einschätzung der Tatumstände mit der Wahrnehmung des Rechts aus Art. 5 III l GG kollidieren."

In die gleiche Richtung geht der BGH, indem er dieselbe Frage für den Bereich des Strafverfahrensrechts wie folgt beantwortet: 716 "Das Gesamtregelungswerk der Strafprozeßordnung ist Ausdruck der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Bindung an das Gesetz gebietet es, konkrete Einzelfragen nur mit äußerster Zurückhaltung durch Anwendung allgemeiner Verfassungsgrundsätze außerhalb des geschriebenen Rechts (oder gegen dieses) zu beantworten. Die ausufernde Anwendung solcher in Randzonen einander oft widerstreitender und "begrifflich unscharfer Verfassungsprinzipien" - hier des Rechtsstaatsprinzips oder des Prinzips der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (vgl. BVerfGE 33, 367, 383) - ermöglicht eine ungebundene Ausfüllung prozessualer Regelungen und lockert die Bindung der Strafrechtsrechtsprechung an das positive Recht, auf dessen Beachtung der Rechtsstaat beruht. .."

Insgesamt gesehen ergibt sich somit ein sehr ambivalentes Bild: Auf der einen Seite soll der Funktionstüchtigkeitstopos ein objektiv-institutionelles Element des Rechtsstaats darstellen, welches mit Verfassungsrang ausgestattet ist. 7 17 Nimmt man andererseits die soeben aufgezeigte, neuere Rechtsprechung beim Wort, so birgt dieses rechtsstaatliche Element mit Verfassungsrang scheinbar gleichzeitig ein hohes Risikopotential bezüglich seiner Anwendung in sich, daß durch seinen unbestimmten Schutzbereich für die Gefährdung des Rechtsstaats sorgt. 718 Hat Jahn also im Ergebnis Recht, wenn er sich von diesem Topos im Rahmen der Mißbrauchsdebatte gerade im Hinblick auf die Verteidigungs- bzw. Beschuldigtenrechte verabschieden will? Daß dem letztlich nicht so sein kann zeigen folgende Überlegungen, die im Ergebnis dazu führen, daß man das Funktionstüchtigkeitstopos trotz inhaltlicher Vagheit und einseitiger Auslegung in der Mißbrauchsdebatte als "Überführungstüchtigkeit" nicht völlig unberücksichtigt lassen kann. BVerfGE 81,278 (293) m. w. N.; vgl. auch Sachs, JuS 1995, 984 (986). BGHSt40, 211 (217f.). m Vgl. Kröpil, JuS 1999, 681 (682). 718 Andererseits ist wiederum nicht zu verkennen, daß das BVerfG der Sicherung der funktionstüchtigen Strafrechtspflege andernorts einen sehr hohen Stellenwert einräumt; zu erinnern ist etwa an die Schleyer-Entscheidung und deren Aussagegehalt zu dem Verhältnis mit dem Schutz menschlichen Lebens; BVerfGE 46, l60ff. = NJW 1977, 2355 ff.; hierzu auch Vogel NJW 1978, 1217 (1218). 715 716

I. Zur Rechtfertigung des Sanktionsbedürfnisses

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Zum einen ist festzustellen, daß sich dieses Erfordernis durchaus verfassungsrechtlich herleiten läßt. Zwar fehlt es dem Grundgesetz an einer ausdrücklichen Regelung, der man die funktionstüchtige Strafrechtspflege entnehmen kann. Kunig hat jedoch gezeigt, daß der relevante Anknüpfungspunkt in den Grundrechten liegt: 719 Es ist anerkannt, daß die Grundrechte bzw. die in diesen thematisierten Rechtsgüter den Gesetzgeber dazu verpflichten, diese " ... auch und gerade ..." mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. 720 Dieser Umstand hat sich in jüngerer Zeit insbesondere in der Entscheidung des BVerfG zu Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs721 gezeigt. Dort hat das Gericht ausgeführt, daß das Untermaßverbot es verbieten würde, zum Schutze des menschlichen Lebens auf die Mittel des Strafrechts zu verzichten, selbst wenn es letztlich in der Hierarchie nur als ultima ratio in Betracht kommt. 722 "Aber es wird als "ultima ratio" dieses Schutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist."723

In diesem Falle entspricht es jedoch der Pflicht des Gesetzgebers, nicht nur bestimmte sozialschädliche Verhaltensweisen zu pönalisieren, sondern ... " ... setzt sich fort in der Pflicht der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte, für die Einhaltung dieser Gesetze Sorge zu tragen bzw. die Sanktionierung bei Verstößen anzuordnen und durchzusetzen. Auch diese Pflicht folgt unmittelbar aus den Grundrechten. Es wäre sinnlos, die Erfullung der grundrechtliehen Schutzpflicht schon dann anzunehmen, wenn ein entsprechendes Gesetz geschaffen worden ist, auch wenn dieses seinerseits (auf der Ebene einfachen Rechts) die Forderung nach einem Minimum an Rechtsschutz in sich trägt: Nicht eine formale Reaktion, sondern ein staatliches Gesamtverhalten, das der grundrechtlich verbürgten Verpflichtung entspricht, muß feststellbar sein.'.n4

Anders gewendet: Der Rechtsstaat kann sich nicht darauf beschränken, sozialschädliches Verhalten in einem gesetzlichen Tatbestand zu typisieren, sondern muß im Interesse effektiven Grundrechtsschutzes auch darauf hinwirken, daß im Falle des Verstoßes menschlichen Verhaltens gegen die Appell- und Warnfunktion eines Straftatbestands ein solches Verhalten sanktioniert wird, da andernfalls diese Tatbestandsfunktion unterlaufen wird. 725 Einem Strafrecht, daß seitens des Staates nicht durchgesetzt werden kann, käme keinerlei regulierende Wirkung zu. Kunig, S. 441 (443 ff.). Kunig, S. 443 (a. E.). 721 BVerfG NJW 1993, 1751 ff. m BVerfG NJW 1993, 1751 (1754) = BVerfGE 88, 203ff.; vgl. schon BVerfGE 39, 1 (45). 723 BVerfG NJW 1993, 1751 (1754); vgl. auch Kunig, S. 444. 724 Kunig, S. 444 m. w. N.; instruktiv zu der Problematik der grundrechtliehen Schutzpflicht des Staates Klein, NJW 1989, 1633 ff. m. w. N. 725 Vgl. z. B. BVerfGE 92,277 (326). 719

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Zutreffend ist daher die Einschätzung Roxins, daß zumindest hinsichtlich des Schutzes fundamentaler Rechtsgüter ansonsten der Staat seiner Aufgabe nicht gerecht werde, die friedliche Koexistenz zu sichern und sich letztlich selbst aufgebe.726 Mit diesen Ausgangsüberlegungen sind die Weichen für die hier zu behandelnde Problematik gestellt: Läßt sich das grundsätzlich anzuerkennende Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege im Hinblick auf die Durchsetzung des materiellen Rechts nicht in Frage stellen,727 dann kann die monierte begriffliche Unschärfe (so sehr sie bei isolierter Betrachtung auch zutreffen mag) zumindest dann keine schlagkräftige Argumentsgrundlage sein, wenn die Durchsetzung des materiellen Rechts und damit die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege an sich durch das Verhalten der Verfahrensbeteiligten wie z. B. der Verteidigung in Frage gestellt wird. Auch wenn es Probleme bereitet, die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege im Detail zu definieren, so läßt sich doch ohne weiteres eine Grenze bestimmen, bei deren Überschreitung sich- unabhängig von den Feinheiten - mit Sicherheit feststellen läßt, daß die im Sinne der herrschenden Meinung interpretierte Funktionstüchtigkeit spätestens verletzt ist. Es geht in concreto also nur um einen Mindestgehalt dieses Verfassungsprinzips, der seine Anwendung notwendig macht. Eine entsprechende Verletzung dieses Mindestgehalts liegt in bezug auf die in dieser Untersuchung behandelten Thematik vor, wenn das Verhalten der Verfahrensbeteiligten nur darauf aus ist, die Durchsetzung des Strafrechts mittels eines Strafverfahrens und damit effektiven Grundrechtsschutz insgesamt zu vereiteln. Genau hierin liegt aber nun der Vorwurf, der aufgrund der extremen Beispiele mißbräuchlicher Verhaltensweisen - namentlich den Formen exzessiven Mißbrauchs - im Strafverfahren gegenüber der Verteidigung und dem Beschuldigten zu erheben ist, denn in diesen Beispielen ging es nur darum, daß Verfahren zum Erliegen zu bringen.728 Völlig zu Recht weist daher Beulke darauf hin, daß eine nachhaltige Beeinflussung der funktionstüchtigen Strafrechtspflege zu befürchten ist, wenn der Verteidigung die Gelegenheit der" ... totalen Obstruktion . .. " gegeben wäre. 729 Durch die Möglichkeit, auf diese Weise dem Topos der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege einen Mindestgehalt zuzuweisen, zeigt sich, daß hierin ein Anknüpfungspunkt liegen kann und muß, um das Sanktionsbedürfnis in bezug auf rechtsmißbräuchliche Verhaltensweisen seitens der Verteidigung und des Beschuldigten zu rechtfertigen. Es bleibt daher festzustellen, daß es im Hinblick auf die Ausführungen Jahns nicht angängig ist, auf diese Grundvoraussetzung des Roxin, AT I, § 2 X Rdnr. 37. Insoweit auch unter den Kritikern anerkannt, vgl. nur Hassemer, StV 1982, 275, 277, 280; a.A. offenbar Grünwald, JZ 1976, 767 (773), der allerdings darauf verzichtet, den Ausgangspunkt seiner Überlegungen hinreichend zu erläutern. n s Beispiele für solche Prozesse finden sich oben B. IV. 1. c). 729 Beulke, Verteidiger, S. 69 (letzter Absatz). 726 727

I. Zur Rechtfertigung des Sanktionsbedürfnisses

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Strafverfahrens zu verzichten. Ein solches Vorgehen mag bestimmte Konkordanzerwägungen vereinfachen oder überflüssig machen, scheitert aber zumindest im Rahmen der Rechtsmißbrauchsproblematik an der notwendigen Berücksichtigung dieses Prinzips. Es ist jedoch auch geboten, dieses Kriterium (im Grundsatz durchaus in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung) 730 einer restriktiven Auslegung zu unterwerfen. In Anknüpfung an die bisherigen Ausführungen ist ein Berufen auf die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege im Zusammenhang mit der vorliegenden Problematik nur dann zulässig, wenn durch das Verhalten von Verfahrensbeteiligten die Durchsetzung des materiellen Rechts insgesamt gefährdet ist. Nach der hier vertretenen Auffassung sind somit zumindest die Ausführungen Beulkes zu relativieren, wenn er die Beeinträchtigung der funktionstüchtigen Strafrechtspflege durch obstruktives Verteidigerverhalten in Zusammenhang mit der Erschwerung der Wahrheitsfindung stellt. 731 Eine solche Verpflichtung existiert in bezug auf Beschuldigten und Verteidiger nur in dem Umfang, daß der Vorgang der Wahrheitsfindung im Strafverfahren insgesamt nicht durch ein solches Verhalten in Frage gestellt wird. Begrenzt man die Wahrheitsfindung im Hinblick auf diese Verfahrensbeteiligten in diesem Sinne, so ergibt sich folgerichtig auch eine entsprechend restriktive Anwendung des Funktionstüchtigkeitstopos als Grundlage der Mißbrauchssanktionierung, unabhängig von dem Umstand, daß der Mißbrauch prozessualer Handlungsmöglichkeiten in der Struktur des Strafverfahrens mitangelegt sein mag. 732

2. Staatlicher Rechtsmißbrauch als Verstoß gegen den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren Es wurde im vorigen Abschnitt bereits angedeutet, daß mit der Anerkennung des Funktionstüchtigkeitstopos im Grunde genommen auch eine hinreichende Grundlage geschaffen ist, auf der sich die Sanktionierung staatlichen Mißbrauchs realisieren ließe, denn wenn es Ziel des Strafprozeßrechts sein soll, nicht nur eine Basis für die Tätigkeit der staatlichen Strafverfolgungsorgane zu bilden, sondern auch für die Wahrung der Beschuldigten- bzw. Verteidigungsrechte, dann manifestiert sich die funktionstüchtige Strafrechtspflege auch im Schutz des Beschuldigten.733 Dennoch erscheint es angesichts der einseitig verhafteten Anwendungspraxis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, aufgrund derer dieser Topos in aller Regel zur Beschränkung der Beschuldigten- bzw. Verteidigungsrechte Verwendung findet, angebracht, den Schutz der Beschuldigteninteressen durch einen anderen 730 731 732 733

BVerfG NJW 1988, 325 (326); weitere Nachweise bei Jahn, S. 194 (Fn. 228). Beulke, Verteidiger, S. 69. Vgl. hierzu Jahn, S. 195. Vgl. statt anderer nur Kud1ich, S. 167 (a. E.).

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Anknüpfungspunkt zu sichern. Dieser führt mit dem fair-trial-Prinzip zu einem weiteren, in allen Stadien des Strafprozesses Geltung beanspruchenden734 Grundsatz des Strafprozeßrechts. In puncto inhaltlicher Ausgestaltung, Reichweite und Grenzen dieses Prinzips sieht man sich indes mit vergleichbaren Problemen konfrontiert, die schon hinsichtlich der funktionstüchtigen Strafrechtspflege eine Rolle gespielt haben, denn die gerraue Aussage des fair-trial-Prinzips ist bis auf den heutigen Tag weitgehend ungeklärt. Zwar hat der Grundsatz des fairen Verfahrens in Art. 6 Abs. I EMRK eine positiv-rechtliche Verankerung erfahren und wird daneben als Konsequenz grundlegender Wertungen des Rechts- und Sozialstaatsprinzips verstanden. 735 Dennoch reicht das Spektrum seiner rechtlichen Einordnung von dem obersten Gebot des gesamten Strafprozeßrechts736 bzw. Optimierungsgebot hinsichtlich verfassungsmäßiger Werte bis hin zur Klassifizierung als "Merkposten",737 der Gesetzgeber und Normanwender daran erinnern solle, daß das Strafprozeßrecht dem Rechtsstaatsprinzip gerecht werden müsse und der Kritik, daß dieses Prinzip zu einer "Überjustizialisierung" (verbunden mit der Verzögerung und der Unübersichtlichkeit des Verfahrens) führen würde.738 Schließlich wird das fair-trial-Prinzip vereinzelt gar als überflüssig deklariert. 739 Und wie schon hinsichtlich des Funktionstüchtigkeitstopos tendiert die Rechtsprechung auch hinsichtlich dieses unbestimmten Verfahrensprinzips zwecks Vermeidung einer ausufernden Anwendung mit der Konsequenz einer unsicheren Rechtsanwendung zur restriktiven Handhabung. 740 Es ist nun im Rahmen dieser Untersuchung weder die Aufgabe noch der Raum vorhanden, einen weiteren Beitrag zur Konkretisierung dieses Verfahrensprinzips zu leisten. Dafür besteht auch kein Bedarf, denn der Rückgriff auf die Kasuistik, durch die das fair-trial-Prinzip eine gewisse Ausgestaltung erfahren hat, zeigt, daß sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur der staatliche Mißbrauch von Verfahrensrechten im Strafprozeß als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bereits Anerkennung gefunden hat. 741 Der BGH näherte sich dieser Problematik dabei in einer seiner "klassischen" Entscheidungen zum Strafprozeßrecht, in der er die Frage zu beantworten hatte, ob eine von einem nichtapprobierten Medizinalassistenten nach Anordnung der Polizei gemäß § 8la entnommene Blutprobe einem Verwertungsverbot unterliegt. Von Interesse sind dabei die AusAusführlich hierzu unter Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG Steiner, S. 47 ff. Roxin, StVR, § 11 Rdnr. 9. 736 Roxin, StVR, § 11 Rdnr. 9; Geppert, Jura 1992, 597 (599). 737 Krey, StVR II, Rdnr. 255. 738 Kunkis, DRiZ 1993, 185 ff. 739 Heubel, S. 145. 740 BGHSt 40,211 (217f.); Beulke, StPR, Rdnr. 28; vgl. hierzu auch Tönnies, ZRP 1990, 292 (293 ff.). 741 BGHSt 24, 125 (131); Geppert, Jura 1992,597 (603) m. w. N. 734

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führungen, die das Gericht am Ende dieser Entscheidung zum fair-trial-Prinzip macht: 742 "Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich anerkanntermaßen auch der Anspruch auf ein faires, d. h. an den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit orientiertes Verfahren.. . Von einem fairen Verfahren könnte nicht mehr die Rede sein, wenn den Polizeibeamten, die Zwang androhten, bekannt gewesen wäre, daß die Person, die das Blut entnahm, kein Arzt war. Denn in diesem Falle wäre die Blutprobe bewußt durch Mißbrauch staatlicher Zwangsbefugnis gewonnen worden."

Hinter diesen Ausführungen liegt nicht nur nach der zustimmungswürdigen Ansicht Gepperts ein verallgemeinerungsfähiger Gedanke. 743 So führt Schäfer unter genauer Betrachtung der verschiedenen Ausprägungen dieses Prinzips aus, daß es dem Gebot eines fairen Verfahren " ... erst recht ..." widerspricht, wenn die Strafverfolgungsorgane ihre gesetzlichen Befugnisse mißbräuchlich ausüben. 744 Diese Ausführungen lassen sich nur dahingehend interpretieren, daß gerade in diesem Falle ein evidenter Verstoß gegen das Fairnessprinzip liegen muß. Auch wenn sich somit über die genaue Bedeutung des Begriffs "Fairness" im rechtlichen Zusammenhang ausgiebig streiten läßt,745 so ist ein Verstoß zumindest dann nicht zu verneinen, wenn im Strafverfahren die im Gesetz verankerten "Spielregeln" nicht zu ihrem bestimmungsgemäßen Zweck eingesetzt werden. Darin mag ein Ausfluß von "rechtsethischen Tugendkomponenten" wie beispielsweise Neutralität, Toleranz oder der Rücksichtnahme etc. liegen, wie sie auch in dem Gedanken des "fair play" enthalten sind und die den Sinngehalt des Fairnessbegriffs nur in groben Zügen beschreiben.746 Dennoch berührt gerade die Ausrichtung des Anspruchs auf ein faires Verfahren am Gedanken des "fair play" die Wurzeln dieses Verfahrensprinzips im anglo-amerikanischen Rechtsraum. 747 Dort wird das Strafverfahren im Sinne eines Parteiprozesses eher mit einem sportlichen Wettkampf verglichen, in dem beide Parteien - vor einem über die Einhaltung der Spielregeln wachenden (Schieds-)Richter - um den Sieg kämpfen. 748 Sowohl seine historischen Wurzeln als auch die oben aufgezeigten Kennzeichnungen im Schrifttum lassen sich zwecks Abgrenzung des fair-trial-Prinzips für die Mißbrauchsproblematik nutzbar machen: Wie schon bezüglich des Funktionstüchtigkeitstopos läßt sich damit nämlich auch hinsichtlich des Anspruchs auf ein faires Verfahren ein Mindestgehalt ausmachen, aufgrund dessen es den staatlichen BGHSt 24, 125 (131). Geppert, Jura 1992, 597 (603) m. w. N.; LIR(24)-Schäfer, Ein!. 6 Rdnr. 20; SK(StPO)Rogall, vor § 133 Rdnr. 105; Steiner, S. 168 ff.; zurückhaltender, aber grundsätzlich zustimmend LIR(25)-Rieß, Ein!. Abschn. H Rdnr. 107. 744 LI R(24)-Schäfer, Ein!. 6 Rdnr. 20. 745 Vgl. hierzu etwa Tettinger, Der Staat 36 (1997), 575 ff. 746 Hierzu Tettinger, S. 52; ders., Der Staat 36 (1997), 575 ff. 747 Siehe Steiner, S. 29 ff. 748 Vgl. auch Hoffmann, S. 37 ff. 742 743

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Organen verboten ist, durch unfairen - weil mißbräuchlichen - Gebrauch ihrer Rechte in die Rechtssphäre des Bürgers einzugreifen. In diesem Sinne bedürfen schließlich auch die Ausführungen Steiners auf der Basis des von ihm als maßgeblichen Inhalt des Fairnessgrundsatzes ausgemachten Optimierungsgebots749 keiner weitergehenden Kommentierung. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind hierbei die reichhaltigen Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden im Verhältnis zu dem Grundrecht auf Persönlichkeitsentfaltung gemäß Art. 2 GG: "Vor diesem Hintergrund bedeutet die Optimierung der Freiheit des einzelnen, wie sie durch das Fairnessprinzip geboten ist, vor allem, 750 daß ein Mißbrauch der ... staatlichen Macht zu Lasten des Angeklagten oder anderer Verfahrensbeteiligter ausgeschlossen wird . . . . Der fairtrialsoll einem Mißbrauch der im Grundsatz überlegenen Position der Ermittlungsbehörden und des Strafgerichts vorbeugen."751

Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß das deutsche Strafverfahren im Hinblick auf die Tätigkeit der staatlichen Organe bereits über das verfügt, was hinsichtlich der Verteidigungsrechte gefordert wird: ein allgemeines Mißbrauchsverbot. 3. Zwischenergebnis

Zusammengefaßt: Die Notwendigkeit der Bekämpfung rechtsmißbräuchlicher Verhaltensweisen ergibt sich aus elementaren Forderungen des Rechsstaatsprinzips, namentlich der funktionstüchtigen Strafrechtspflege im Sinne der notwendigen und verfassungsrechtlich gebotenen Durchsetzung des materiellen Rechts bzw. des effektiven Grundrechtsschutzes einerseits und dem Grundsatz des fairen Verfahrens andererseits. Beide Prinzipien sind zwar hinsichtlich ihrer genauen Ausfüllung unbestimmt und umstritten. Diese Problematik spielt für das Thema der vorliegenden Untersuchung jedoch keine Rolle, weil durch den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren jeweils der unabweisbare Mindestgehalt beider Prinzipien verletzt wird. Es fragt sich nur, inwieweit das existierende Sanktionssystem der StPO die Umsetzung dieser Prinzipien sichert. Diese Frage gilt es im folgenden zu untersuchen.

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick Bedenkt man den Umstand, daß das deutsche Strafverfahrensrecht-schon von seinen historischen Wurzeln im Mittelalter her - sein wesentliches Anliegen in der Mißbrauchsbekämpfung fand und betrachtet man die Entwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung seit Ende des 19. Jahrhunderts, so erscheint es müßig, 749 750 751

Steiner, S. 168 ff. Hervorhebung nicht im Original. Steiner, S. 169 f.; vgl. auch schon LG Mönchengladbach JR 1987, 303 (304).

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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die Regelungen der Strafprozeßordnung daraufhin zu untersuchen, inwieweit ihnen die Zielsetzung der Mißbrauchsabwehr zukommt. 752 Anliegen des folgenden Abschnitts kann es daher nicht sein, eine vollständige Übersicht der mißbrauchssanktionierenden Vorschriften zu geben, weil man in letzter Konsequenz nahezu jeder einzelnen Vorschrift eine entsprechende Funktion beimessen kann. Sinn und Zweck liegen vielmehr darin, anhand der wesentlichen Mißbrauchsregelungen des Strafprozeßrechts einerseits eine allgemeine Systematisierung bezüglich Ausgestaltung und Rechtsfolgen vorzunehmen, andererseits zu überprüfen, wie es um die Mißbrauchssanktionierung de lege lata im Zusammenhang mit denjenigen Verfahrensrechten bestellt ist, die aufgrund der Beiträge im Schrifttum als besonders mißbrauchsanfällig einzuordnen sind. Dabei gilt es vor allen Dingen zu überprüfen, ob bzw. in welchem Umfange Lücken im Rechtsschutzsystem der StPO zu konstatieren sind?53 1. Die expliziten Mißbrauchstatbestände der Strafprozeßordnung

Die aktuelle Ausgestaltung der StP0754 kennt lediglich zwei Tatbestände, in denen der Begriff des Mißbrauchs ausdrücklich erwähnt wird. Es sind dies die §§ 138a Abs. 1 Nr. 2 und§ 241. a) § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO Auf der Suche nach expliziten Mißbrauchsregelungen stößt man zunächst auf den § 138a Abs. 1 Nr. 2. Seine besondere Stellung ergibt sich dabei nicht nur aus dem Umstand, daß er neben § 241 Abs. 1 die einzige Regelung ist, die ausdrücklich auf den Begriff des Mißbrauchs abstellt, sondern es handelt sich hierbei auch um die einzige Mißbrauchsregelung der StPO, deren Wirkungskreis spezifisch auf eine Gruppe von Verfahrensbeteiligten beschränkt ist: die Verteidiger. Auf der Tatbestandsseite setzt die Vorschrift voraus, daß der Verteidiger das durch § 148 gewährleistete Verkehrsrecht mit dem inhaftierten Beschuldigten dazu mißbraucht, Straftaten zu begehen oder die Sicherheit einer Vollzugsanstalt erheblich zu gefährden. Eine nähere Erläuterung des Mißbrauchsbegriffs findet man in Rechtsprechung und Literatur nur selten. Soweit auf den Begriff überhaupt eingegangen wird, reduziert sich die Umschreibung auf das bewußte Ausnutzen des Verkehrsrechts.755 Bei näherer Betrachtung dürfte dieser Umstand jedoch seine Erklärung Hierzu ausführlich oben B. I. Vgl. zum Folgenden auch den Überblick bei Kudlich, FG Schlüchter, S. 13 (21); ferner Schlicht, StraFo 2001, 83 ff. 754 Hinzuweisen bleibt auf die Mißbrauchsvorschrift des § 67 Abs. 4 S. 2 JGG, die im folgenden jedoch von einer eingehenden Erörterung ausgespart bleiben soll. 755 KK-Laufhütte, § 138a Rdnr. 10; Pfeiffer, § 138a Rdnr. 2; auf eine nähere Begriffsbestimmung verzichten etwa K/M/R-Müller, § 138a Rdnr. 9; HK-Julius, § 138a Rdnr. 4 (unter b)); Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 138a Rdnr. 6; Beulke, StPR, Rdnr. 172. 752

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

darin finden, daß dem Begriff des Mißbrauchs in dieser Regelung keine eigenständige Bedeutung beikommt. Es gilt hierzu das zu berücksichtigen, was Groß schon bei Erlaß dieser Vorschrift im Jahre 1975 geäußert hat: 756 Logisch stellt der Mißbrauchsbegriff im Rahmen des § 138a Abs. 1 Nr. 2 nichts anderes als eine Tautologie dar, denn objektiv ist jedes Ausnutzen des Verkehrsrechts zur Begehung von Straftaten oder der Gefährdung der Anstaltssicherheit ein Mißbrauch. Anders gewendet: das Wort "mißbraucht" kann beliebig durch Wörter wie "benutzt" oder "verwendet" ersetzt werden.757 Nicht minder eindeutig zu der Regelung des § 138 Abs. I Nr. 2 fallen die Ausführungen Webers aus: 758 "Ist expressis verbis davon die Rede, daß jemand seine Rechte mißbraucht, so liegt die Vermutung nahe, daß der Gesetzgeber entweder nicht in der Lage war, den Mißbrauch, den er verhindem wollte, genau zu umschreiben und die Verantwortung insoweit auf den Richter abgeschoben hat, oder daß dem Gebrauch des Wortes keine selbständige Bedeutung zukommt, wie das in§ 138a . .. der Fall ist..."

b) § 241 Abs. 1 StPO Die andere, ausdrücklich auf den Mißbrauch abstellende Vorschrift der StPO ist § 241, dem ebenfalls eine besondere Rolle zukommt: Zum einen handelt es sich

hierbei die einzig originäre Mißbrauchsregelung, die auf den Begriff des Mißbrauchs abstellt und schon in der Reichsstrafprozeßordnung von 1879 geregelt war. 759 Zum anderen soll sie- wie bereits angesprochen- die Grundlage für die herrschende Mißbrauchsdefinition bilden. Der Mißbrauchsbegriff dieser Vorschrift erfährt dabei eine weitgehend übereinstimmende Konkretisierung: So soll ein Mißbrauch dann vorliegen, wenn der Vernehmende durch die Art, wie er das Kreuzverhör führt, die Wahrheitsfindung gefährdet, schutzwürdige Belange des Vernommenen verletzt oder gefährdet oder das Kreuzverhör zu sachfremden Zwecken benutzen will. 760 Das gilt einerseits für Fragen, die den Zeugen verwirren oder zur Unwahrheit verleiten sollen; andererseits ist ein Mißbrauch anzunehmen, wenn Fragen gestellt werden, die den Befragten im Sinne der Regelung des § 136a täuschen oder eine Drohung aussprechen. 761 Letztlich kann ein Mißbrauch auch durch eine ungebührliche und durch die Sache nicht gebotene Ausdehnung der Ver-

Groß, NJW 1975,422 (424). Groß, NJW 1975,422 (424); L/R(24)-Lüderssen, § !38a Rdnr. 116. 758 Weber, GA 1975, 289 (299). 759 Vgl. oben B. II. 2. 760 LIR(24)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 241 Rdnr. I ff.; KK-Tolksdorf, § 241 Rdnr. 1; K/M/R-Paulus, § 241 Rdnr. 5; Pfeiffer, § 241 Rdnr. 1; Kröpil, JR 1997, 315; ders., JZ 1998, 135; Wagner, JuS 1972,316. 761 L/R(24)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 2. 756 757

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

161

nehmung erfolgen. 762 Nicht ausreichend für die Annahme eines Mißbrauchs sind jedoch nur einzelne unzulässige Fragen.763

2. Beispiele für mißbrauchsumschreibende Tatbestände der StPO im Überblick

Im Vergleich zu den eben aufgeführten Mißbrauchsregelungen, die ausdrücklich auf den Begriff des Mißbrauchs abstellen, überwiegen deutlich diejenigen Vorschriften, die - ohne den Begriff zu erwähnen - bestimmte Erscheinungsformen des Mißbrauchs umschreiben und sanktionieren. Zur Bestimmung dieser Normen kann dabei weitgehend auf ihre sprachliche Ausgestaltung zurückgegriffen werden, denn die von der StPO gewählte Terminologie zur Umschreibung mißbräuchlichen Prozeßverhaltens tritt in den folgend aufzeigten Tatbeständen wiederholt, teilweise in Kombination, auf. Die in diesem Zusammenhang zu nennenden Normen lassen sich dementsprechend wie folgt kategorisieren: a) "Prozeßverschleppung" bzw. "Verzögerung der Hauptverhandlung" I " ... des Verfahrens" durch Handlungen der Prozeßbeteiligten Die Nennung dieser Termini erfolgt in den§§ 26a Abs. 1 Nr. 3 (" ... verschleppt ..."), 29 Abs. 2, 244 Abs. 3 S. 2, 245 Abs. 2 S. 3 und 266 Abs. 3 S. 1. Das Gesetz stellt dabei nicht auf einen entsprechenden Erfolg ab, sondern es genügt bereits eine entsprechende Absicht des jeweiligen Verfahrensbeteiligten. Die Begriffe der"Verzögerung" und der "Prozeßverschleppung" werden in diesen Vorschriften synonym verwendet. Greift man insbesondere den Begriff der Absicht zur "Prozeßverschleppung" in § 244 Abs. 3 S. 2 und dem bedeutungsgleichen § 245 Abs. 2 S. 3764 auf, so zeigt sich, daß seitens der Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen gestellt werden.765 Mit Herdegen 766 läßt sich als "Formel" der herrschenden Meinung folgende Begriffsbestimmung der Verschleppungsabsicht ausmachen: Ein Beweisantrag kann767 dann wegen Prozeßverschleppung abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung zu einer nicht unerheblichen Verzögerung des Verfahrensabschlusses führen würde, nach Überzeugung des Gerichts nichts Sachdienliches zu erbringen LIR(24)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 2 (a. E.). SK(StPO)-Sch1üchter, § 241 Rdnr. 2. 764 In der Kommentarliteratur erfolgt zur Konkretisierung der Verweis auf § 244, siehe etwa LI R(25)-Gollwitzer, § 245 Rdnr. 76. 765 Sehr ausführlich zum Ganzen ter Veen, S. 239 ff. 766 KK-Herdegen, § 244 Rdnr. 86 (a. E.). 767 Nach L/R(25)-Gollwitzer, § 244 Rdnr. 208, ist die Ablehnung solcher Beweisanträge durch das Gericht nicht zwingend vorgeschrieben. 762 763

II Abdallah

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

vermag und der Antragsteller sich dessen bewußt ist und ausschließlich die Verzögerung des Verfahrens bezweckt.768 Erforderlich ist hierfür auf Seiten des Gerichts eine Prognoseentscheidung im Sinne einer (hier ausnahmsweise zulässigen und notwendigen) Beweisantizipation, die sich nur indiziell aus Beweisanzeichen hinsichtlich Verfahrensführung und Verhalten des Antragstellers ergeben kann, da sich die Verschleppungsabsicht kaum jemals in einer entsprechend eindeutigen Erklärung des Antragstellers zeigen wird.769 Letztlich ist auch eine ausführliche Begründung erforderlich, aus der die Gründe für die Ablehnung hervorgehen und diese gewürdigt werden. 770 Im Laufe der Zeit wurde wiederholt versucht, diese grundlegenden Kriterien der Prozeßverschleppung zu präziseren. Im Hinblick auf die Verzögerung des Verfahrens wird überwiegend unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer "erheblichen" Verfahrensverzögerung auf die Fristen des § 229 bzw. deren Überschreitung zurückgegriffen. 77 1 Grundlage für die Bewertung der Verschleppungsabsicht des Antragstellers ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände, die für und gegen eine Verfahrensverschleppung sprechen,772 und zwar unter ausschließlicher Berücksichtigung der Person des Antragstellers. 773 Der BGH macht damit deutlich, daß zwischen dem Beweisantragsrecht des Beschuldigten und des Verteidigers genau zu differenzieren ist und beiden insoweit ein selbständiges Recht zukommt. 774 Besondere Beachtung erfährt der Zeitpunkt der Beweisantragstellung. 775 Aber auch dieses Kriterium unterwirft der BGH einer restriktiven Auslegung, nach der die verspätete Antragstellung allein nicht ausreichen soll, wenn nicht weitere gewichtige Umstände hinzutreten, die jedes andere Motiv als die Verschleppungsabsicht ausschließen.776 768 Ständige Rechtsprechung, z. B. BGHSt 21, 118 (121); BGH StV 1984, 494 (495); BGH NStZ 1990, 350; zustimmend etwa AI NI M, S. 639; AK(StPO)-Schöch, § 244 Rdnr. 107. 769 KK-Herdegen, § 244 Rdnr. 88 f.; LIR(25)-Gollwitzer, § 244 Rdnr. 213 ff. n o BGH NJW 1982, 2201; KK-Herdegen, § 244 Rdnr. 90 m. w. N. 77l BGH NStZ 1990, 350; weitere Nachweise aus der zum Teil unveröffentlichten Rechtsprechung bei ter Veen, S. 242ff.; der Rechtsprechung folgend SK(StPO)-Schlüchter, § 244 Rdnr. 118; ter Veen, S. 246f. m. w. N.; vgl. dagegen Haubrich, NJW 1981,2507 (2508): Wesentliche Verfahrensverzögerung erst nach mehreren Monaten; Schrader, NStZ 91, 224 (226): Jede Verzögerung reicht aus. m Vgl. nur BGHSt 21, 118 (122); weitere Hinweise bei ter Veen, S. 248 ff. m Z. B. BGHSt 21 , 118 (121); BGH JR 1985, 35; BGH StV 1989, 234; der Rspr. folgend z. B. KK-Herdegen, § 244 Rdnr. 48; AIN IM, S. 646. 774 ter Veen, S. 259 mit entsprechenden Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur; wie im Anschluß noch zu zeigen sein wird, führt der BGH in seinem "leading case" zum allgemeinen Mißbrauchsverbot (BGHSt 38, 111 ff.) diese Trennung nicht konsequent weiter. 775 ter Veen, S. 253 (unter (2)). 776 Z. B. BGHSt 21, 118 (123); BGH NStZ 1986, 371; so auch Schweckendieck, NStZ 1991, 109 (110); weitere Nachweise bei ter Veen, S. 254.

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

163

Zurückhaltender zeigt sich die Rechtsprechung im Zusammenhang mit den Anforderungen an die eigene Überzeugung des Gerichts, daß die beantragte Beweisaufnahme aussichtslos ist. Sie ist im wesentlichen an die entsprechende DarIegungslast in den Beschlußgründen gekoppelt. 777 Letztlich werden hierbei keine anderen Maßstäbe aufgestellt als im Rahmen des§ 261.778 Die Sanktionierung der Verschleppungsabsicht ist auch Element der Regelung des § 29 Abs. 2 S. 1. Sie versucht, präventiv Verfahrensverzögerungen vorzubeugen, die durch den Mißbrauch des Ablehnungsrechts entstehen können779 und ergänzt die Regelung des § 26a Abs. 1 Nr. 3, der seinerseits vor unzulässigen Ablehnungsanträgen zur Verfahrensverschleppung schützen will. Hierfür wird dem erkennenden Gericht die Möglichkeit eröffnet, Entscheidungen über Ablehnungsgesuche zurückzustellen, um so den Anreiz zu unterdrücken, durch mißbräuchliche Verwendung des Ablehnungsrechts eine Hauptverhandlungsunterbrechung zu erzwingen.780 Die Vermeidung von Verfahrensverzögerungen trifft man auch als Anliegen der Regelung des § 266 Abs. 3 S. 1 an. Dementsprechend muß dem Antrag des Angeklagten auf Unterbrechung der Hauptverhandlung im Falle der Nachtragsanklage nicht nachgekommen werden, wenn dieser nur die Verfahrensverzögerung bezweckt. Die Vorschrift geht von der Annahme aus, daß sich der Angeklagte durch den Antrag nicht - wie durch das Antragsrecht beabsichtigt -, die Möglichkeit verschaffen will, sich auf den neuen Vorwurf einzustellen. 781

b) "offensichtlich unbegründet" bzw. "offenbar mutwillig" Die Strafprozeßordnung knüpft an mehreren Stellen zwecks Restriktion des Tatbestands an Evidenzerwägungen an. 782 Im Zusammenhang mit der Bekämpfung mißbräuchlicher Verhaltensweisen sind jedoch vier Vorschriften von besonderem Interesse: §§ 26 a Abs. 1 Nr. 3, § 266 Abs. 3 S. 1, 313 Abs. 2 und§ 349 Abs. 2. Die "Offensichtlichkeit" hinsichtlich des § 26 a Abs. 1 Nr. 3 wird dahingehend interpretiert, daß die Verschleppungsabsicht ohne weitere Nachforschungen feststellbar sein muß. 783 Ebenso ist nach der herrschenden Ansicht der Begriff im Rahmen des § 349 Abs. 2 ausgestaltet: 784 "Offensichtlich unbegründet" ist demnach eine Revision dann, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Prüfung erkennbar 777 778 779

780 781 782 783 784 II*

Vgl. die Nachweise bei ter Veen, S. 287. Vgl. ter Veen, S. 287m. w. N. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 29 Rdnr. 9; KK-Pfeiffer, § 29 Rdnr. 6. KK-Pfeiffer, § 29 Rdnr. 6. Kudlich, S. 33. Beachte etwa auch §§ 87 Abs. I S. 2, 115a Abs. 2 S. 4. KK-Pfeiffer, § 26a Rdnr. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 26a Rdnr. 6. Vgl. zu dieser Vorschrift bereits oben B. III. I.

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

ist, welche Rechtsfragen vorliegen, wie sie zu beantworten sind und das die Revisionsrügen das Rechtsmittel nicht begründen können; 785 eine Berufung ist entsprechend dem insoweit wortgleich ausgestalteten § 313 Abs. 2 dann als "offensichtlich unbegründet" zu verwerfen, wenn für einen Sachkundigen anband der Urteilsgründe, einer eventuell vorliegenden Berufungsbegründung und des Protokolls der Hauptverhandlung ohne längere Prüfung erkennbar ist, daß das Urteil sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden ist und daß keine Verfahrensfehler begangen worden sind, die eine Revision begründen würden.786 Schließlich soll eine "offenbar mutwillige" Antragstellung des Angeklagten auf Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 266 Abs. 3 S. 1 dann vorliegen, wenn der Richter feststellen kann, daß der Antrag lediglich aus Lust zum Widerstand gestellt worden ist. 787

c) "verfahrensfremde Zwecke" Der Begriff der "verfahrensfremden Zwecke" tritt in der Strafprozeßordnung nur in § 26a Abs. 1 Nr. 3 in Erscheinung. Sowohl die Motive des Gesetzgebers788 als auch Rechtsprechung und Literatur fassen unter diesen Begriff dabei in erster Linie sogenannte Demonstrationszwecke bzw. die beabsichtigte Verunglimpfung des abgelehnten Richters? 89 Sollte dieses der Fall sein, so verwirft das Gericht das Ablehnungsgesuch als unzulässig. In der Sache gleichbedeutend mit den verfahrensfremden Zwecken ist die Vorschrift des § 240 Abs. 2, soweit diese die Sanktionierung ungeeigneter bzw. nicht zur Sache gehörender Fragen anstrebt. Nach herrschender Ansicht handelt es sich bei ungeeigneten Fragen um solche, die in tatsächlicher Hinsicht nichts zur Wahrheitsfindung beitragen können. 790 Nicht zur Sache gehörend sind solche Fragen, die nicht einmal einen mittelbaren Bezug zu der abzuurteilenden Tat und ihren Rechtsfolgen aufweisen. 79 1 785 Z. B. OLG Düsseldorf GA 1983, 220; L/R(24)-Hanack, § 349 Rdnr. 8; Kleinknecht I Meyer-Goßner, § 349 Rdnr. 10. 786 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 313 Rdnr. 9. 787 K/M/R-Sax, § 266 Rdnr. 9; KK-Engelhardt, § 266 Rdnr. 10; eine nähere Konkretisierung des Begriffs "offenbar" wird in Rechtsprechung und Literatur nicht vorgenommen. Es liegt jedoch die Annahme nahe, daß der Bedeutungsgehalt identisch ist mit dem des Begriffs "offensichtlich". 788 BT-Drucks. IV I 178, S. 35 (a. E.). 789 KG JR 1966, 229; KK-Pfeiffer, § 26a Rdnr. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 26a Rdnr.7. 790 Z. B. BGHSt 13, 252 (253); BGHSt 21, 334 (360); Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 241 Rdnr. 15. 791 BGHSt 2, 284 (287); BGH NStZ 1985, 183; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 241 Rdnr.12 m. w. N.

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

165

d) Verfahrenshandlungen " ... bis zum Beginn der Vernehmung" bzw. " . . . der Hauptverhandlung" Häufiger treten Präklusionsnormen792 im Regelungsgefüge der StPO auf, die zwecks Sanktionierung rechtsmißbräuchlicher Verhaltensweisen die Vornahme von Verfahrenshandlungen nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verfahrensablauf zulassen. Als relevante Vorschriften sind hier zu nennen: §§ 25 S. 1, 222a Abs. 2 und 222b Abs. 1 S. 1. § 25 Abs. 1 legt grundsätzlich den letzten Ablehnungszeitpunkt auf den Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen und regelt durch S. 2, daß sämtliche Ablehnungsanträge gleichzeitig vorzubringen sind, so daß es den Verfahrensbeteiligten unmöglich ist, aus taktischen Gründen entsprechende Anträge für den weiteren Verlauf der Verhandlung aufzusparen. 793 §§ 222a Abs. 2 und § 222b Abs. 2 S. 1 regeln ihrerseits die Rügepräklusion hinsichtlich der Besetzung des Gerichts und damit den Mißbrauch durch verspätetes Vorbringen eines entsprechenden Einwands durch die in den Vorschriften genannten Verfahrensbeteiligten. 794

e) Weitere mißbrauchssanktionierende Vorschriften Es verbleiben schließlich die Vorschriften, die zwar nicht wie die oben aufgeführten Normen über eine Terminologie verfügen, die sie als mißbrauchssanktionierende Normen ausweist, denen aber aufgrund des Regelungsgehalts und ihrer Entstehungsgeschichte eine entsprechend verhaltenssteuerende Funktion zuzuweisen ist. ( 1) Mißbrauch im Zusammenhang mit Formvorschriften

Die Behandlung des Rechtsmißbrauchs in bezug auf Formvorschriften findet in der StPO in zweifacher Weise Ausdruck: Zum einen stößt man auf die Vorschrift des § 257a, die Formvorgaben als Reaktion auf mißbräuchliche Verhaltensweisen im Strafprozeß vorsieht. Zu dem Zweck, den Mißbrauch von Anträgen und Anregungen in bezug auf Verfahrensfragen zu bekämpfen, ist dem Gericht durch § 257a die Möglichkeit eröffnet, dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten die Schriftform aufzugeben. 795 Zum anderen ist die Formvorschrift des § 273 Abs. 3 zu nennen, im Rahmen derer der Mißbrauch des Antragsrechts auf Protokollierung erörtert wird. Insoweit 792 793 794 795

Beachte auch§§ 6a S. 3, 16 S. 3. Siehe zur Geschichte schon oben B. IV. 2. Zur Entstehungsgeschichte vgl. oben B. IV. 2. Zur Entstehung siehe oben B. IV. 2.

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

geht es also nicht nur um eine Reaktion auf mißbräuchliches Verhalten durch Formvorgaben, sondern um den Mißbrauch der Formvorschrift selbst. Nach § 273 Abs. 3 S. I ist dem Vorsitzenden von Amts wegen oder auf Antrag aufgegeben, die Protokollierung anzuordnen, soweit es auf die Feststellung von Vorgängen oder des Wortlauts von Aussagen bzw. Äußerungen in der Hauptverhandlung ankommt. Die Entscheidung hieriiber liegt in pflichtgemäßem Ermessen des Vorsitzenden. 796 In der Gerichtspraxis hat die Bedeutung des Wortlautprotokolls aufgrund der restriktiven Auslegung797 seitens der Vorsitzenden Richter eine nur geringe Bedeutung. 798 Grund hierfür ist nicht zuletzt der befürchtete Mißbrauch in Form von "Protokollierungsorgien".799 Zur Bestimmung, wann genau die Mißbrauchsgrenze überschritten ist, findet man keine genauen Hinweise. Nach Pfeiffer läßt sich ein Mißbrauch jedenfalls dann annehmen, wenn unter Berufung auf die Unangreifbarkeit der Urteilsfeststellungen umfangreiche Protokollierungen aller entscheidungserheblichen Zeugenaussagen verlangt werden. 800 (2) Sonstige Vorschriften

Es verbleibt die Zusammenstellung der übrigen Vorschriften, die in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung verdienen. Zu nennen ist zunächst die Begrenzung der Wahlverteidigerzahl durch§ 137 Abs. 1 S. 2, da eine unbegrenzte Anzahl von Wahlverteidigern nach den Motiven des Gesetzgebers die Gefahr des Mißbrauchs zur Prozeßverschleppung begriindet. 801 Auch in der Vorschrift des § 220 hat der Gesetzgeber Sicherungen gegen den Mißbrauch geschaffen,802 indem dem Angeklagten bei Selbstladung von Personen gemäß § 220 Abs. 2 ein Kostenvorschuß auferlegt wird. Des weiteren sind zu nennen die Regelungen der§§ 231a, 231b, die die Möglichkeit eröffnen, auch in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, soweit dieser seine Verhandlungsunfahigkeit vorsätzlich herbeigeführt hat (§ 231 a) oder wegen ordnungswidrigen Verhaltens aus der Hauptverhandlung entfernt wurde (§ 23lb).803 Der mißbrauchssanktionierende Charakter ergibt sich daraus, daß der Angeklagte das grundsätzliche Erfordernis seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung (vgl. §§ 230, 231) nicht mißbrauchen darf. 804 Pfeiffer, § 273 Rdnr. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 273 Rdnr. 29. Nach Richter II, StV 1994, 454 (455) geht die Restriktion so weit, daß nur noch Skurrilitäten im Ausdruck der Protokollierungspflicht unterliegen. 798 HK-Julius, § 273 Rdnr. 3m. w. N. 799 HK-Julius, § 273 Rdnr. 3 m. w. N. 800 Pfeiffer, § 273 Rdnr. 8 (a.E.). 801 Vgl. oben B. IV. 2. 802 Wagner, JuS 1972, 315 (317). 803 Vgl. zur Entstehungsgeschichte oben B. IV. 2. 804 Siehe nur Kudlich, S. 33. 796 797

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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3. Analyse der Rechtsfolgenseite

Betrachtet man demgegenüber die Rechtsfolgenseite, dann zeigt sich ein vielfältiges Sanktionssystem, daß über Abhilfemöglichkeiten mit verschiedenen Intensitätsgraden verfügt und die sich diesbezüglich wie folgt Abstufen lassen: Auf der obersten Stufe befinden sich die Normen, die mit dem endgültigen Ausschluß des rechtsmißbräuchlich agierenden Verfahrensbeteiligten die weitestgehende und effektivste Rechtsfolge enthalten. Diese Annahme rechtfertigt sich dadurch, daß dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit genommen wird, auf diese oder sonstige Formen des Mißbrauchs im Laufe des weiteren Verfahrens zurückzugreifen. Damit stellt diese Abhilfemöglichkeit sowohl reaktiv als auch präventiv die bestmögliche Lösung der Mißbrauchsbekämpfung dar. Im Strafverfahrensrecht kommen als entsprechende Regelungen von den bisher aufgeführten Normen vor allem § 138a durch den Ausschluß des Verteidigers und § 231 b durch Entfernung des Beschuldigten aus der Hauptverhandlung in Betracht. Auf der zweiten Stufe wird man diejenigen Vorschriften einzuordnen haben, die auf mißbräuchliches Verhalten mit dem (dauerhaften) Entzug von bestimmten Verfahrensrechten reagieren. Auch hierbei handelt es sich um eine sehr effektive Sanktionsmöglichkeit, wenngleich sie nicht so weitgehend ist wie der Ausschluß des mißbräuchlich agierenden Verfahrensbeteiligten, denn der Rechtsentzug richtet sich jeweils nur auf bestimmte Verfahrensrechte. Untergliedert man diesen Normtypus weiter, so weist das Strafverfahrensrecht einerseits Vorschriften auf, die den Rechtsentzug als Reaktion auf bereits stattgefundenen Mißbrauch von Verfahrensrechten vorsehen. Zu nennen ist hier § 241 Abs. 1. Andererseits sind die Rechtsfolgen der Normen derart ausgestaltet, daß sie präventiv durch den Entzug von Rechten im Vorfeld mißbräuchlicher Verhaltensweisen vorbeugen wollen. Hierzu zählen etwa die Präklusionsnormen der StPO (§§ 25 S. 1, 222a, 222b), d. h. die Möglichkeit, bestimmte Verfahrensrechte grundsätzlich nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verfahrensablauf geltend zu machen. Auf der dritten Stufe sind diejenigen Normen anzusiedeln, die dem Gericht die Verwerfung einzelner Verfahrenshandlungen etc. ermöglichen (z. B. §§ 26a Abs. 1 S. 3, 244 Abs. 3 S. 2, 245 Abs. 2 S. 3, 266 Abs. 3, 313 Abs. 2, 349 Abs. 2). Dieser mißbrauchssanktionierende Normtypus ist in der StPO nicht nur verhältnismäßig häufig anzutreffen, sondern findet sich insbesondere im Rahmen des Beweisrechts wieder und somit in der Gruppe von Verfahrensrechten, die besonders intensiv im Rahmen der Mißbrauchsdebatte diskutiert werden. Allerdings wird man festhalten müssen, daß die Verwerfung von Anträgen usw. als Sanktionsmittel nicht die Effektivität erreicht, die sich bezüglich des dauerhaften Ausschlusses bzw. des Rechtsentzugs feststellen läßt, denn die Verwerfung kann nicht präventiv wirken und damit dem Mißbrauch durch wiederholten oder gar exzessiven Gebrauch vorbeugen.

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Auf der vierten Stufe befinden sich die Vorschriften, die ausschließlich anstreben, den Fortgang der Hauptverhandlung zu sichern, indem sie sich über ein auf Unterbrechung des Verfahrens abzielendes Verhalten hinwegsetzen. In diese Gruppe fallen in erster Linie die Vorschriften der§§ 29 Abs. 2, 231a. Auf der fünften und letzten Stufe finden sich Ausnahmevorschriften, die sich durch ihre besonderen Rechtsfolgen nicht unter die anderen Fallgruppen der Abhilfemöglichkeiten fassen lassen, die aber auch in ihrer Eingriffsintensität noch weiter zurückstehen. Darunter fällt etwa § 257a, der seine Wirkung dadurch entfalten soll, daß er den Aufwand für Anträge und Anregungen durch Vorgabe der Schriftform erhöht und so vor dem Mißbrauch abschrecken soll. Auf diesen Abschreckungseffekt stellt auch § 220 ab, soweit er das Kostenrisiko für den Mißbrauch des Ladungsrechts auf den Angeklagten verlagert. Schließlich ist auch § 137 Abs. 1 S. 2 in diese fünfte Gruppe einzuordnen, der die Anzahl der Wahlverteidiger zur Mißbrauchsvorbeugung begrenzt.

4. Zusammenstellung der Sanktionsmöglichkeiten im Hinblick auf besonders mißbrauchsanfällige Verfahrensrechte

Zwecks Ergänzung bzw. Zusammenfassung der Übersicht über das Sanktionssystem soll im folgenden aufgezeigt werden, welche Abhilfemöglichkeiten das geltende Recht in Zusammenhang mit den besonders in Diskussion stehenden Verfahrensrechten aufweist. a) Der Mißbrauch des Ablehnungsrechts, §§ 24 ff. StPO Zu den viel erörterten Erscheinungen des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren gehört zunächst der Mißbrauch des Richterablehnungsrechts. Die Strafprozeßordnung ermöglicht in ihrer jetzigen Ausgestaltung eine zweistufige Sanktionierung dieser Mißbrauchserscheinung, die ihren Ausgangspunkt in der Fixierung der zeitlichen Grenze gemäß § 25 Abs. 1 findet. Demnach ist eine Ablehnung wegen Befangenheit grundsätzlich nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen bzw. dem Vortrag des Berichterstatters in Berufungs- und Revisionsverhandlung möglich, wobei § 25 Abs. 1 die konzentrierte Darlegung aller Ablehnungsgründe fordert. Nach diesem Zeitpunkt ist die Ablehnung nur aus den in Abs. 2 genannten Gründen zulässig, wobei auch hier eine Verzögerung gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 durch das Postulat der unverzüglichen Geltendmachung ausgeschlossen ist. Nach dem letzten Wort des Angeklagten präkludiert § 25 Abs. 2 das Ablehnungsrecht Auf der zweiten Stufe findet eine Filterung der Ablehnungsgesuche über die Vorschrift des § 26a statt, die entweder an formale Mängel - Verspätung, unzureichende Glaubhaftmachung - oder gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 an die Absicht der

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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Prozeßverschleppung durch den Antragsteller anknüpft. Letztere liegt vor, wenn durch den Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrens oder aber das Erreichen verfahrensfremder Zwecke angestrebt wird. Letztlich ermöglicht § 29 Abs. 2 die Fortsetzung der Hauptverhandlung, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung möglich ist, wenngleich die Vorschrift einen bestimmten zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen über den Antrag zu entscheiden ist, vorgibt. Insgesamt ist somit unter Berücksichtigung der derzeitigen Rechtslage dem Hinweis Kühnes zuzustimmen, daß die Richterablehnung wegen Befangenheit aufgrund der zeitlichen Restriktionen und vor allem wegen der ausdrücklichen Mißbrauchsverbotsklausel des § 26a Abs. 1 Nr. 3 wohl kein geeignetes Mittel mehr ist, um Verfahren ernsthaft zu verlängern bzw. zu gefährden. 805

b) Der Mißbrauch des Frage- und Erklärungsrechts und des letzten Wortes, §§ 240 Abs. 2; 257 Abs. 1 u. 2; 258 Abs. 3 StPO Im Zusammenhang mit besonders mißbrauchsanfälligen Rechten sind auch das Fragerecht, das Erklärungsrecht und das Recht des Angeklagten auf das letzte Wort von Bedeutung. Gemäß § 240 Abs. 2 hat es der Vorsitzende zu gestatten, daß neben den in Abs. 1 genannten beisitzenden Richtern auch die Schöffen, Staatsanwaltschaft sowie Verteidiger und Angeklagte Fragen an Zeugen bzw. Sachverständige stellen. Gerade im Hinblick auf die Befragung von Belastungszeugen gehört dieses Recht zu den Mindesteechten des Angeklagten, das auch durch Art. 6 Abs. 3 d EMRK gewährleistet ist. 806 Zwecks Sanktionierung des Mißbrauchs findet sich lediglich die Vorschrift des § 241 Abs. 2, die es dem Vorsitzenden ermöglicht, ungeeignete bzw. nicht zur Sache gehörende Fragen zurückzuweisen. Problematisch sind auch hier die Fallgestaltungen, in denen Verfahrensbeteiligte - insbesondere Verteidigung und Angeklagter - exzessiven Gebrauch von dem Recht auf Befragung machen. Zwar ist ein Entzug des Fragerechts gesetzlich nicht vorgesehen. Dennoch hat die Rechtsprechung im Laufe der Zeit die Möglichkeit geschaffen, für den Fall des erheblichen Mißbrauchs als ultima ratio das Fragerecht zu entziehen: Soweit die Zurückweisung einzelner Fragen auf Basis des § 241 Abs. 2 ebensowenig zur Lösung des Problems beiträgt wie das Verlangen des Vorsitzenden, die Fragen vorher mitzuteilen und ersichtlich wird, daß der Fragesteller auch weiterhin sein Recht nur zu prozeßwidrigen Zwecken ausüben will, gehört es nach herrschender Auffassung zu einer sachgerechten Prozeßleitung (beachte § 238 Abs. 1), daß dieses Recht entweder beschränkt oder aber für genau zu bestimmende Verfahrensabschnitte ent805 Kühne, StV 1996, 684 (688); beachte in diesem Zusammenhang auch Günther, NJW 1986, 281 ff. 806 z. B. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 240 Rdnr. I f.

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

zogen wird. 807 Ein derartiges Vorgehen ist dabei gekoppelt an eine eingehende Begründung, um so die revisionsgerichtliche Kontrolle zu gewährleisten. Insoweit sollen nach Auffassung des BGH die von der Rechtsprechung entwickelten, sehr restriktiven Grundsätze zur Ablehnung von Beweisanträgen sinngemäß gelten. 808 Anzugeben sind alle Tatsachen, die den Mißbrauch und die Gefahr seiner Fortsetzung belegen. 809 Damit ist eine ausreichende Sanktionierung auch des exzessiven Mißbrauchs des Fragerechts gewährleistet, wobei der maßgebliche Anknüpfungspunkt in der Verfahrensleitung des Vorsitzenden Richters liegt, der auch hinsichtlich der Entziehung des Erklärungsrechts gemäß § 257 Abs. 1 und des letzten Worts des Angeklagten entscheidende Bedeutung zukommt. Auch hier obliegt es dem Vorsitzenden kraft seiner Sachleitung, über die Einhaltung der Grenzen des Erklärungsrechts zu wachen und gegebenenfalls das Wort zu entziehen.810 Dabei ist er an die Voraussetzungen gebunden, die von der Rechtsprechung zur Entziehung des Fragerechts entwickelt wurden. 811

c) Insbesondere: Der Mißbrauch von Beweisanträgen Von besonderem Interesse ist - angesichts seiner Bedeutung - die mißbräuchliche Ausübung des Beweisantragsrechts. (1) Aussonderung mißbräuchlicher Beweisanträge aufformaler Ebene

Zunächst ist festzustellen, daß nach der Rechtsprechung des BGH eine Ausfilterung mißbräuchlicher Beweisanträge schon auf formaler Ebene möglich ist. 812 Dort wo der Antragsteller offensichtlich aus der Luft gegriffene Vermutungen äußert, liegt nach der Ansicht der Rechtsprechung nur ein Beweisermittlungsantrag vor, so daß ein Antrag, der ursprünglich als Beweisantrag konzipiert war, entsprechend herabgestuft wird. Diese Abstufung hat weitreichende Konsequenzen, denn auf diese Weise entzieht sich die gerichtliche Behandlung derartiger Beweis807 BGH MDRID 1973, 371 f.; BGH StV 1983, 139; OLG Karlsruhe NJW 1978, 436; LIR(25)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 22; KK-Tolksdorf, § 241 Rdnr. 1; Granderath, MDR 1983, 797 (799); Frister, StV 1994, 445 (451 f.); ablehnend KIMIR-Paulus, § 241 Rdnr. 3; ter Veen, StV 1983, 167 (168 f.); vgl. ferner Miebach, DRiZ 1977, 140; Strate, StV 1981, 261 ff. 808 BGH MDRID 1973, 371 (372). 809 LI R(25)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 22. 810 Harnrnerstein, FS Rebmann, S. 233 (235); Frister, StV 1994,445 (452) m. w. N. 811 Harnrnerstein, FS Rebmann, S. 233 (235); KIMIR-Paulus, § 257 Rdnr. 14; zur Entziehung des letzten Wortes BGH MDR 1964, 72; zustimmend z. B. KK-Hürxthal, § 258 Rdnr. 10. 812 Z. B. BGHSt 37, 162ff.; BGH StV 1998,61 ff.; OLG Köln NStZ 1997, 309; vgl. hierzu AIN IM, S. 41 ff.; Anders, S. 31 ff.; Thole, S. 47 ff.; Basdorf, StV 1995, 310ff.

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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ermittlungsanträge nicht nur dem Regelungsbereich des § 244 und seinen Ablehnungsgründen, sondern es bedarf dementsprechend auch keines Beschlusses (§ 244 Abs. 6). 813 Zur Prüfung der Zulässigkeit steht dem Vorsitzenden zusätzlich ein Auskunftsrecht zur Verfügung, aufgrund dessen er vom Beweisführer Auskunft über die Beweiseignung verlangen kann. 814 (2) Ablehnungsgründe gemäߧ§ 244, 245 StPO

Nur dann, wenn der Antrag eines Verfahrensbeteiligten den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an einen Beweisantrag entspricht,815 stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob eine förmliche Ablehnung dieses Antrags mittels der gesetzlich vorgesehenen Gründe möglich ist, wobei das Gesetz zwischen präsenten - d. h. Zeugen bzw. Sachverständigen, die sowohl geladen worden als auch erschienen sind816 - und nichtpräsenten Beweismitteln, deren rechtliche Behandlung sich ausschließlich nach §§ 244 Abs. 3-5 richtet, unterscheidet. Von Bedeutung sind vor allem die Möglichkeiten der Ablehnung von nichtpräsenten Beweismitteln. Dementsprechend ermöglichen § 244 Abs. 3-5 die Ablehnung von Beweisanträgen aus folgenden Gründen: 817 - Unzulässigkeit (insbesondere im Falle des Beweisverwertungsverbots); 818 - Offenkundigkeit (als Oberbegriff zu allgemein- bzw. gerichtskundigen Tatsachen) ;819 - Bedeutungslosigkeit (mangelnder Zusammenhang zwischen zu beweisender Tatsache und abzuurteilender Tat bzw. fehlende Eignung, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen); 820 - die zu beweisende Tatsachen ist schon erwiesen; - völlige Ungeeignetheit des Beweismittels (mit dem Beweismittel läßt sich das in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen); 821

RGSt 64, 432 f.; Roxin, StVR, § 43 Rdnr. 8. BGH StV 1985, 311; BGH StV 1989,234. 815 Hierzu bereits oben C. I. 1. 816 Vgl. nur Beulke, StPR, Rdnr. 450. 817 Instruktiv Beulke, StPR, Rdnr. 439ff. 818 Zu dieser Fallgruppe AK(StPO)-Schöch § 244 Rdnr. 77 ff. m. w. N.; nicht durchgesetzt hat sich die Meinung in der Literatur, nach der auch mißbräuchliche Beweisanträge unter diesen Ablehnungsgrund fallen sollen; dagegen mit überzeugender Begründung etwa Schatz, S. 305 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum. 819 Vgl. A/N IM, S. 534. 820 Z. B. BGH NStZ 1997, 503; A/N/M, S. 579. 821 Bspw. BGH 14,339 (342). 813

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

- das Beweismittel ist unerreichbar (die Bemühungen des Gerichts, das Beweismittel herbeizuschaffen, sind erfolglos geblieben und bleiben es in absehbarer Zeit); 822 - Prozeßverschleppungsabsicht; 823 - Wahrunterstellung (überflüssige Beweiserhebung für den Fall, daß die vom Beschuldigten behauptete Tatsache als wahr unterstellt werden kann). 824 Im Hinblick auf Anträge in Zusammenhang mit Sachverständigenvernehmungen kann gemäß § 244 Abs. 4 S. 1 die erstmalige Vernehmung von Sachverständigen abgelehnt werden, wenn das Gericht über die erforderliche Sachkunde verfügt. Gemäß § 244 Abs. 4 S. 2 kann der Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen grundsätzlich825 abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten bereits das Gegenteil der behaupteten Tatsache erwiesen ist. Schließlich steht ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins bzw. auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, gemäß § 244 Abs. 5 im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Sollte letztlich der Antrag eine Beschlußfassung gemäß § 244 Abs. 6 erforderlich machen, so bietet sich den Gerichten die Gelegenheit, diese auf einen Zeitpunkt zu legen, durch den eine Verzögerung der Hauptverhandlung vermieden wird; einer sofortigen Entscheidung über den Beweisantrag bedarf es nicht. 826 (3) Sanktionierung des (Beweisantrags-)Mißbrauchs durch ein ungeschriebenes allgemeines Mißbrauchsverbot (BGHSt 38, 111)?

Die verschiedenen Ablehnungsgründe weisen zwar somit eine Vielzahl von Schutzmechanismen zur Bekämpfung mißbräuchlicher Beweisanträge auf, sie versagen jedoch dort, wo es nicht mehr um die Ablehnung eines einzelnen Antrags, sondern um die Bekämpfung des exzessiven Mißbrauchs des Beweisantragsrechts geht. Genau in diese Lücke stößt der BGH (und die ihm folgende Rechtsprechung und Literatur) 827 mit seiner bereits angesprochenen Entscheidung des 4. Senats vom 7. 11. 1991 mittels Rückgriffs auf ein ungeschriebenes allgemeines Mißbrauchsverbot, mit dem der Bundesgerichtshof erneut die Erwägungen in der Rechtsprechung aufgreift, die schon in der frühen Judikatur des Reichsgerichts kurz nach Inkrafttreten der RStPO präsent waren. Z. B. BGH StV 1987,45. Vgl. hierzu bereits oben D. II. 2. a). 824 Vgi. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 244 Rdnr. 70 m. w. N. 825 Zu den Ausnahmen vgl. den Gesetzestext. 826 Z. B. Haller/Conzen, Rdnr. 210, die als geeignete Zeitpunkte Verhandlungspausen bzw. den Zeitraum zwischen den Sitzungstagen erachten. 827 BGHSt 38, 111 (115); OLG Harnburg NJW 1998,621 ff.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Ein!. Rdnr. 111; KK-Pfeiffer, Einleitung§ 22a; beachte aber auch schon BGHSt 7, 330ff.; KG JR 1971,338. 822 823

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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Der BGH geht hierbei von folgender Problemumschreibung aus: 828 "Die Strafprozeßordnung sieht. ..für die Ablehnung von sachfremden Beweisanträgen grundsätzlich den Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO vor. Eine Ablehnung aus diesem Grund verlangt aber, daß sich das Gericht sachlich mit dem Beweisantrag auseinandersetzt und das voraussichtliche Beweisergebnis vorweg würdigt (BGHSt 21, 118). Dem Mißbrauch, der allein durch die exzessive Stellung von Beweisanträgen getrieben wird, die jeweils das Erfordernis ihrer Bescheidung nach sich zieht, kann daher mit diesem Rechtsinstitut nicht begegnet werden."

Um diesem Mißstand zu begegnen soll es nach Ansicht des 4. Senats möglich sein, daß dem Beschuldigten für den Falle des exzessiven Gebrauchs des Beweisantragsrechts durch das Tatgericht aufgetragen wird, im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger zu stellen, von dem der BGH eine rechtliche Kontrolle erwartet, ob es sich um sachdienliche Anträge handelt. Die Tragweite, die dieser Entscheidung nicht nur für den Mißbrauch des Beweisantragsrechts, sondern für die Thematik der vorliegenden Untersuchung insgesamt zukommt, liegt auf der Hand: Sollte sich die Ansicht des BGH, daß im Strafprozeß " ... wie in jedem Prozeß ..." 829 ein derartiges ungeschriebenes Mißbrauchsverbot existiert, als zutreffend herausstellen, dann wäre die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren weitgehend entschärft, denn in diesem Falle wäre eine Grundlage gefunden, die es ermöglicht, jegliche Form des Mißbrauchs zu sanktionieren. Voraussetzung wäre allerdings, daß sich der BGH auf eine überzeugende Begründung stützen könnte. Diesem Anspruch wird das Urteil allerdings nicht gerecht, da es weder die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an den Entzug von Verfahrensrechten des Beschuldigten zu stellen sind, noch die Funktion der Verteidigung im Strafverfahren hinreichend berücksichtigt. (a) Die verfassungsrechtliche Problematik der Entscheidung Der gravierendste Kritikpunkt dürfte hierbei darin liegen, daß der Entzug des Beweisantragsrechts zum Nachteil des Beschuldigten ohne gesetzliche Grundlage die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreitet. Dabei heißt es sich zunächst zu vergegenwärtigen, daß das Beweisantragsrecht des Beschuldigten nach ganz herrschender Ansicht grundgesetzlich sowohl über den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG als auch über das Gebot des fairen Verfahrens geschützt ist: Beide Rechtsprinzipien schützen im Zusammenspiel830 BGHSt 38, 111 (115). BGHSt 38, 111 (113). 830 Vgl. zum Verhältnis von fair-trial-Prinzip und Art. 103 Abs. 1 GG etwa Sachs /Degenhart, Art. 103 Rdnr. 44. 828

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

ein Mindestmaß an verfahrensrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen des Beschuldigten im Strafverfahren und verbürgen die Möglichkeit, durch Beweisanträge auf den Gang des Strafverfahrens einzuwirken. 831 Dem Beschuldigten muß in diesem Sinne das Recht gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen. 832 Will man dementsprechend dem Beschuldigten das Recht entziehen, auf den Gang der Hauptverhandlung mit eigenen Beweisanträgen einzuwirken, dann erweist sich eine solche staatliche Maßnahme konsequenterweise als ein Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten. 833 Mit dieser Erkenntnis ist wiederum vorgezeichnet, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen solchen Entzug zu stellen sind. Auch hier läßt sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweisen, nach der der Staat bei Eingriffen in die grundrechtliche Freiheitssphäre des Beschuldigten dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes unterworfen ist, der seinerseits durch die Judikatur zur sogenannten Wesentlichkeitstheorie näher bestimmt wird. Danach muß der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen.834 Da insbesondere das Strafverfahrensrecht eine besonders grundrechtsinvasive Rechtsmaterie darstellt, gilt der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gerade hier. 835 Die notwendigen Anforderungen lassen sich somit in den Worten des BVerfG wie folgt zusammenfassen:836 "Die vom BVerfG entwickelte Lehre, daß der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muß (Wesentlichkeitstheorie, vgl. etwa BVerfGE 49, 89 (126 f.) = NJW 1979, 359 (360) m. w. Nachw.), gilt für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Bei Eingriffen in die grundrechtliche Freiheitssphäre unterliegt der Staat dem Vorbehalt des Gesetzes. Er darf in weiten Bereichen nur tätig werden, wenn er durch ein vom Parlament erlassenes Gesetz dazu ermächtigt ist. Die Tragweite dieses Grundsatzes wird durch die Rechtsprechung zur Wesentlichkeitstheorie näher bestimmt."

Damit tritt die Konsequenz dieser verfassungsgerichtlichen Auffassung für den vom BGH in seiner Entscheidung gewählten Lösungsweg deutlich hervor: Der Entzug des Beweisantragsrechts nur auf Grundlage eines ungeschriebenen Mißbrauchsverbots ist wegen seines Eingriffs in den Schutzbereich von Grundrechten Sachs/Degenhart, Art. 103 Rdnr. 44 m. w. N. sowie Rdnr. 29a. Z. B. BVerfGE 65, 171 (174); 64, 135 (145); 66,313 (318); weitere Konkretisierungen des Art. 103 Abs. 1 im Verfahrensstadium der Hauptverhandlung finden sich insbesondere in §§ 243 Abs. 2- 4; 257, 258; ausführlicher hierzu bspw. Roxin, StVR, § 18 Rdnr. 3 ff. 833 Die Differenzierung zwischen Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten spielt im vorliegenden Zusarnrnenhang keine Rolle. 834 BVerfGE 61, 260 (275); vgl. auch Pieroth/Schlink, Rdnr. 262ff. (266); Pietzcker, JuS 1979, 710ff. 835 Kudlich, S. 146 rn. w. N. 836 Z. B. BVerfG NJW 1991, 2549 (2550) m. w. N. 831

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II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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des Beschuldigten nicht möglich, sondern er bedarf der rechtlichen Grundlage in Form eines Gesetzes, das den Gerichten diese Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung stellt. 837 Einer solchen Sichtweise kann auch nicht die Argumentation des BGH entgegengehalten werden, daß in dem Entzug kein erheblicher Eingriff in die Verteidigungsrechte des Beschuldigten liegen soll. In diesem Sinne liest sich die Rechtfertigung des vom Gericht gewählten Lösungswegs: 838 "Einem rechtsmißbräuchlichen Verhalten ... kann allein auf der Grundlage des allgemeinen Mißbrauchsverbots ohne spezielle Eingriffsnorm839 in der Strafprozeßordnung jedenfalls dann durch Einschränkungen begegnet werden, wenn diese ihrerseits nicht das Recht des betroffenen Angeklagten, sich umfassend verteidigen zu können, in Frage stellen. Hier konnte der Mißbrauch dadurch verhindert werden, daß dem Angeklagten untersagt wurde, unmittelbar Beweisanträge zu stellen. Zwar hat der Bundesgerichtshof schon früher mit Recht darauf (hingewiesen), daß das Gericht nicht befugt ist, der Verteidigung schlechthin und von vornherein die Stellung von prozessual zulässigen Anträgen zu verbieten... Das hat das Landgericht aber auch nicht getan; denn es hat lediglich verlangt, daß der Angeklagte seine Anträge über die Verteidiger stellen solle, um eine rechtliche Kontrolle darüber stattfinden zu lassen, ob es sich um sachdienliche Anträge handelte."

Vor dem Hintergrund, daß das Beweisantragsrecht nicht zuletzt Ausfluß des Grundrechts auf rechtliches Gehör des Beschuldigten aus Art. 103 Abs. 1 GG ist, kann eine solche Begründung nicht verfangen. Das liegt zunächst darin begründet, daß grundsätzlich jedes Zurückbleiben hinter den Anforderungen des rechtlichen Gehörs an die Gestaltung des Strafverfahrens zum Nachteil des Beschuldigten einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts darstellt840 und somit eine gesetzliche Grundlage notwendig macht. Entscheidend ist jedoch der Umstand, daß sich schon die vom BGH gesetzte Prämisse, in dem Entzug des Beweisantragsrechts einen nur unerheblichen Eingriff in die Verteidigungs- bzw. Grundrechte des 837 Im Ergebnis stimmt diese Auffassung weitgehend mit der von Kudlich (S. 118 ff.) überein, der allerdings die Anwendung der Wesentlichkeitstheorie weder für erforderlich noch für hilfreich hält, da diese vorrangig die Frage nach den Grenzen der Delegation von Regelungen an die Exekutive betreffen würde, ohne daß entsprechende Verordnungs- bzw. Satzungsermächtigungen im Bereich des Strafprozeßrechts von Interesse wären (S. 146). Dahinter dürfte sich allerdings eine unzulässige Verkürzung dieses Prinzips verbergen, die sich aus der Rechtsprechung des BVerfG nicht herleiten läßt (vgl. in diesem Zusammenhang auch Kloepfer, NJW 1985, 2497 (2499); Pieroth/ Schlink Rdnr. 267; für die Anwendung der Wesentlichkeitstheorie im Strafverfahrensrecht Breucker, S. 53; ferner Schatz, S. 302). So stammt etwa das oben aufgeführte Zitat aus einer Entscheidung des Verfassungsgerichts, die sich mit der Frage beschäftigte, ob ein Bundesgericht gegen das Wesentlichkeitsprinzip verstoßen hat, weil es maßgeblich grundrechtsrelevante Rechtsprinzipien selbst entwickelt hat, ohne sich auf ein gesetzliches Regelungssystem stützen zu können (Anwendung der durch das Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze des Arbeitskampfrechts). 838 BGHSt 38, l1l (114). 839 Hervorhebung nicht im Original. 840 Vgl. Pieroth I Schlink, Rdnr. 1081 zu etwaigen (hier nicht weiter interessierenden) Ausnahmen.

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Beschuldigten erkennen zu wollen, weil ihm die Möglichkeit eröffnet sein soll, nunmehr die Beweisanträge (unter rechtlicher Kontrolle) über den Verteidiger zu stellen, als fragwürdig darstellt. Da der Verteidiger gerade dafür sorgen soll, daß nicht jeder Beweisantrag des Beschuldigten in das Verfahren eingeführt wird und diesem mithin das Recht auf Verfahrenseinflußnahme beschneiden soll, das ihm grundrechtlich gewährleistet ist, könnte von einer Sicherung des Beweisantragsrechts bzw. einem geringfügigen Eingriff bestenfalls dann ausgegangen werden, wenn es dem Beschuldigten letztlich vorbehalten bliebe, den Verteidiger zur Stellung des von ihm gewünschten Beweisantrags zu veranlassen. Ein solches Konzept würde jedoch nicht nur den vom 4. Senat gewählten Lösungsweg obsolet machen, sondern er widerspräche auch der Einordnung des Verteidigers als unabhängiges Organ der Rechtspflege, das - wie der BGH in diesem Urteil selbst ausdrucklieh unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung betont841 - nicht den Weisungen des Beschuldigten unterliegt. Daneben wird man auch festzustellen haben, daß sich der BGH in dieser Entscheidung mit seiner eigenen Rechtsauffassung in Widerspruch setzt, die er im Zusammenhang mit dem Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung entwickelt hat. Es wurde in diesem Zusammenhang bereits aufgezeigt, 842 daß der BGH und die überwiegende Meinung diesbezüglich von einer strikten Trennung des Beweisantragrechts des Verteidigers von dem des Beschuldigten ausgeht. Beide Verfahrensbeteiligte verfügen über ein selbständiges Beweisantragsrecht 843 Wenn der BGH nun in dieser Entscheidung darauf verweist, der Angeklagte könne sein Beweisantragsrecht über den Verteidiger ausüben und von letzterem dariiber hinaus auch noch eine Kontrolle der Antragstellung erwartet, dann stellt sich die Frage, wie diese beiden Ansichten in Einklang zu bringen sein sollen. Im übrigen dürften im Hinblick auf die Sicherung des (zügigen) Verfahrensablaufs noch zwei weitere Aspekte die Tauglichkeit der vom BGH gewählten Lösung in Frage stellen: Zum einen ist eine entsprechende Kontrolle der Beweisanträge nicht mehr zu erwarten, wenn der Verteidiger und sein Mandant gemeinsame Sache machen; zum anderen wird das eigentliche Problem der Beweisantragsflut selbst dann nicht gelöst, wenn der Verteidiger diese Funktionszuweisung ernst nimmt. So weist Grüner844 zu Recht darauf hin, daß der Prüfungsaufwand lediglich auf den Verteidiger verlagert wird, was zu einer Vielzahl von Unterbrechungs- bzw. Aussetzungsanträgen gemäß den§§ 228 ff. führt, die das Gericht dann nicht ablehnen kann.

Im Ergebnis handelt es sich demnach nicht lediglich um einen unerheblichen Eingriff in die Rechtsausübung des Beschuldigten, sondern um den Entzug dieses Verfahrensrechts und damit um den denkbar intensivsten Eingriff in das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Es zeigt sich unter Anlehnung an die zutreffenden 841 842 843 844

BGHSt 38, 111 (114). Siehe oben D. II. 2. a). ter Veen, S. 259. Grüner, S. 179 f.

ll. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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Ausführungen Hammi 45 vielmehr, wie paradox letztlich die Ausführungen des 4. Senats gerade an dieser Stelle sind: Einerseits will das Gericht dem Beschuldigten das eigene Beweisantragsrecht entziehen, andererseits soll nach den Ausführungen des Senats das Recht des Angeklagten, sich "umfassend" zu verteidigen, nicht in Frage gestellt sein. Diese verfassungsrechtlichen Vorbehalte lassen sich auch auf den Entzug anderer Aktivrechte übertragen, soweit man auf Basis des vom BGH unterstellten ungeschriebenen Mißbrauchsverbots etwa auch den Entzug des letzten Wortes (§ 258) oder des Fragerechts für zulässig erachtet. Während § 258 ohnehin als unmittelbare Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör seitens des BVerfG verstanden wird, 846 wird eine Zuordnung des Fragerechts zu Art. 103 Abs. 1 GG zum Teil abgelehnt, weil es hierbei nicht darum ginge, daß im Sinne des Prozeßgrundrechts die Äußerungen des Beschuldigten wahrgenommen werden, sondern es auf die Antwort des Befragten ankomme. 847 Daß diese ablehnende Haltung nicht zwingend einen Ausschluß aus dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG vorzeichnet, hat Kudlich überzeugend dargestellt: 848 Demnach läßt sich durchaus anführen, daß eine sinnvolle Äußerung zur Aussage bzw. diese selbst nur dann gebührende Beachtung erfahren kann, wenn durch Fragen an den Zeugen Widersprüche aufgeklärt bzw. Sachverhalte ins rechte Licht gerückt werden können. Unabhängig davon liegt aber zumindest ein Eingriff in das ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherte Recht auf ein faires Verfahren vor,849 so daß man auch bezüglich dieses Verfahrensrechts nicht auf eine entsprechende gesetzliche Grundlage verzichten kann.

(b) Übertragbarkeit der Mißbrauchssanktionierung aus anderen Verfahrensrechtsordnungen? Zur Anwendbarkeit zivilrechtlicher Regelungen im Strafverfahren Wie aber verhält es sich in diesem Zusammenhang nun mit dem Hinweis des BGH, nach dem ein ebenso allgemeines wie ungeschriebenes Mißbrauchsverbot offenbar Bestandteil jedes Verfahrensrechts sei und damit auch im Strafverfahren seine Berechtigung haben soll? Diese Behauptung ist zumindest insoweit zutreffend, als sowohl in der zivilprozessualen850 als auch in der verwaltungsgerichtlichen851 Judikatur unter Rückgriff auf§ 242 BGB (Treu und Glauben) die Anwendung des Mißbrauchsgedankens Anerkennung gefunden hat. Daneben wird aber auch seitens der Rechtsprechung die Anwendung von § 242 BGB im Strafverfahren bejaht. 852 Schließlich finden sich auch im Schrifttum Vertreter eines allgemeinen Mißbrauchsverbot, die die Auffassung des BGH zu bestätigen scheinen: 845 846 847 848 849

850 851 852

12

Hamm, NJW 1993, 289 (296). BVerfGE 54, 140 (141 f.); Kudlich, S. 121. Vgl. hierzu Kudlich, S. 122m. w. N. (in Fn. 234 f.). Kudlich, S. 122f.; für eine Einbeziehung auch Kröpi1, JuS 1999,681 (682) m. w. N. Vgl. nur Kudlich, S. 123. BGHZ 20, 198 (206); weitere Nachweise bei Jahn, S. 49. Z. B. OVG Münster NVwZ 1995, 396. Z. B. BayObLG NStZ 1997, 99.

Abdallah

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

So bedarf etwa nach der Auffassung Roxins das Mißbrauchsprinzip keiner Erwähnung im positiven Recht, weil es sich um eine immanente Schranke aller Rechte bzw. einen allgemeinen Rechtsgedanken handeln würde, der seinen konkreten Inhalt immer nur aus den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsstoffes empfange. 853 Scheffler, der der Entscheidung des BGH insgesamt kritisch gegenübersteht, greift zur Lösung des Problems das Schikaneverbot gemäß § 226 BGB auf, das nach " ... überwiegender Ansicht ..." in allen Rechtsgebieten gelte und damit auch im Verfahrensrecht 854 Als Beleg dient ihm eine Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahre 1979, in der er einen " . . . wenigstens ansatzweise vergleichbaren Sachverhalt . .. " erkennen will.855 Voraussetzung für eine Übertragbarkeit wäre indes eine vergleichbare Sachbzw. Interessenlage der Verfahrensbeteiligten, sowohl im Zivilprozeß einerseits als auch im Strafverfahren andererseits. Daß dem nicht so ist, hat bereits Weber in seiner grundlegenden Arbeit aus dem Jahre 1975856 - auf die der BGH in dieser Entscheidung ebenfalls als Beleg für seine Rechtsauffassung zurückgreifen will dargelegt und die Richtigkeit dieser ablehnenden Ansicht hat auch in Untersuchungen aus der jüngsten Zeit ihre Bestätigung erfahren,857 auf deren Ergebnisse in diesem Zusammenhang unter anderem zurückgegriffen werden kann. Der wesentliche Kritikpunkt lautet dahingehend, daß die Anwendung von Treu und Glauben im Strafverfahren etwas voraussetzt, was sich aufgrund der ganz andersartigen Interessenlage der Beteiligten in dieser Verfahrensart gerade nicht ableiten läßt: Ein Rechtsverhältnis zwischen den staatlichen Organen in ihrer Eigenschaft als Strafverfolger und dem Beschuldigten als Verfolgtem, das auf dem Vertrauen im Hinblick auf loyales Verhalten aufbaut. Daran fehlt es, denn im Unterschied zum Zivilverfahren besteht im Strafprozeß keine Solidaritätspflicht, die als Ausgleich dafür anzusehen ist, daß das Gericht dem Bürger zu den von ihm angestrebten Rechtsschutz verhelfen soll.858 Diese Erwartungshaltung im Zivilverfahren findet im Strafverfahren kein Pendant. Vielmehr könnten Situation und Interessenlage in dieser Prozeßart kaum unterschiedlicher sein, in der der Beschuldigte nicht zur Mitwirkung gezwungen ist und zur Klärung des Sachverhalts gerade nichts beitragen muß. 859 Das hier zugrunde liegende Strafrecht . .. 853 Vgl. Roxin, FS Hanack, S. 1 (13) sowie ders., ZStW 75 (1963), 555 (556f.) im Zusammenhang mit dem Notwehrrecht. 854 Scheffler, JR 1993, 170 (172f.) mit Verweis auf MüKo-v. Feldmann § 226 Rdnr. 3 m. w. N.; vgl. auch Greiser/ Artkämper, S. 129 (Rdnr. 199); ferner Brause, Kriminalistik 1995, 349 (352). 855 Scheffler, JR 1993, 170 (172 (unter III.)) mit Verweis auf OLG Frankfurt NJW 1979, 1613. 856 Weber, GA 1975,289 (291 ff.). 857 Kudlich, S. 185 f.; ders., JuS 1997, 507 (510); Jahn, S. 52; Kindhäuser, NStZ 1987, 529 (532); Schatz, S. 302 f.; Herdegen, NStZ 2000, 1 (3). 858 Siehe nur Kudlich, S. 185 f.

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

179

" ... hat es im Gegenteil gerade nicht860 mit Rechtsbeziehungen zu tun, die auf dem Vertrauen in die Redlichkeit des Gegenüber basieren, sondern mit Vorgängen, welche die primitivsten Vertrauens- und Sicherheitserwartungen der Rechtsgenossen enttäuschen. Vom materiellen Recht gebotene Rücksichtnahmen der Prozeßbeteiligten können also nicht861 in das Strafverfahrensrecht hineinstrahlen und die Vomahme oder Unterlassung von Prozeßhandlungen mit dem Stempel der Mißbräuchlichkeit versehen. " 862

Sehr viel deutlicher als in diesen Worten Webers läßt sich die Divergenz bzw. die besondere Eigenart des Strafprozesses innerhalb der verschiedenen Verfahrensarten nicht ausdrücken. Die besonderen Rahmenbedingungen leugnen zu wollen hieße gleichzeitig, anerkannte Prinzipien des Strafprozesses zu negieren, die genau diesen Befund stützen. Das gilt vor allem für den bereits angesprochenen nemotenetur-Grundsatz, aufgrund dessen der Beschuldigte nicht gehalten ist, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. Mittels Umkehrschlusses gelangt man zu dem selben Ergebnis aber auch, wenn man sich beispielsweise die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten im Zivilverfahren gemäß § 138 ZPO vergegenwärtigt, denn im Strafverfahren fehlt es an einer entsprechenden Regelung, die andernfalls gerade das Selbstbegünstigungsprivileg im Strafrecht bzw. Strafverfahren unterlaufen würde. Das mögliche - wenngleich angesichts des eindeutigen rechtlichen Rahmens des Strafprozesses ohnehin wenig aussagekräftige - Gegenargument, daß es an einer dem Verfahren in Zivilsachen ähnlichen Verhaltenserwartung auch im Verwaltungsprozeß fehlt, läßt sich im Anschluß an Kudlich 863 damit widerlegen, daß trotz eines dem Strafverfahren vergleichbaren Subordinationsverhältnisses zwischen Behörde und Bürger ein gemeinsames Interesse an der Regelung bestimmter Sachverhalte ebenso zu erwarten ist wie ein dementsprechend loyales Verhalten. Im übrigen trifft man auch im Verwaltungsrecht bzw. -verfahren wie im Zivilverfahren auf die Sanktionierung der Unwahrheit, aufgrundderer etwa gemäߧ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 u. 2 VwVfG Vorteilsgewährungen wieder entzogen werden können. So läßt sich aufgrund der Interessenkongruenz die Anwendung des § 242 BGB auch im Verwaltungsprozeß bejahen.

Mit diesen Erkenntnissen ist im Prinzip auch schon die Beurteilungsgrundlage für die Anwendung des § 226 BGB geschaffen. Zum einen ist die Anwendung des § 226 BGB im Verfahrensrecht nicht unumstritten, 864 so daß der Verweis auf eine vermeintlich herrschende Meinung schon deshalb von zweifelhaftem Aussagewert ist. Zum anderen dürfte der wesentliche Kritikpunkt gegen seine Anwendung darin liegen, daß nach herrschender Ansicht diese Norm nur eine Ausprägung von Treu 859 Im Gegensatz zum Zivilprozeß, wo § 282 ZPO eine allgemeine Prozeßförderungspflicht der Parteien begriindet, vgl. hierzu nur Thomas I Putzo § 282 Rdnr. 1. 860 Hervorhebung im Original. 861 Hervorhebung im Original. 862 Weber, GA 1975,289 (292). 863 Kudlich, S. 186. 864 Kröpil, ZRP 1997, 9 (11); gegen eine Anwendung des § 226 im Zivilverfahren etwa RGZ 162, 65 (67); Staudinger/Dilcher, § 226 Rdnr. 19.

12*

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

und Glauben darstellt: Es handelt sich hierbei nur um einen qualifizierten Mißbrauchstatbestand im Verhältnis zu dem aus § 242 BGB ausfließenden Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, 865 so daß § 242 BGB den Tatbestand des § 226 mitumfaßt. 866 Aufgrund dieser Erkenntnis greifen hinsichtlich seiner Anwendung im Strafverfahren konsequenterweise dieselben Kritikpunkte ein wie bei dem unmittelbaren Verweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben, der eine Interessenkonstellation der Verfahrensbeteiligten regelt, die im Strafverfahren keine Geltung für sich beanspruchen kann. Letztlich dürften auch die Vorbehalte Kröpils zu teilen sein, nach denen der Schadensbegriff i. S. d. § 226 BGB mit der Einflußnahme bzw. Verfahrensverschleppung nicht gleichzusetzen ist, 867 da hiermit der Schaden eines Prozeßgegners gemeint ist, der nach Struktur des Strafverfahrens aber nicht existiert. 868 Fazit: Eine Anwendung des aus § 242 BGB entspringenden Mißbrauchsgedankens und seiner positiv-rechtlichen Ausprägungen wie § 226 BGB kann aufgrund der besonderen Stellung des Strafverfahrens nicht gefolgt werden. (c) Die mangelnde Berücksichtigung der Funktion des Verteidigers im Strafverfahren Es verbleibt ein letzter Kritikpunkt, der seine Grundlage maßgeblich in der bereits angesprochenen Funktionszuweisung hinsichtlich des Verteidigers findet. Unter Verweis auf eine Anzahl von Regelungen, deren Geltendmachung die zwingende Mitwirkung eines Verteidigers erfordern (als Beispiele führt er das Akteneinsichtsrecht (§ 147), Führung des Kreuzverhörs (§ 239); Vernehmung des Mitangeklagten (§ 240 Abs. 2 S. 2) und die von einem Anwalt zu unterzeichnenden Revisionsanträge (§ 345 Abs. 2) an) will der 4. Senat eine umfassende Kontrollpflicht ableiten: "Aus alledem folgt, daß ein Verteidiger den Angeklagten in der Hauptverhandlung keineswegs nach Belieben "schalten und walten lassen" darf, sondern daß ihn eine Pflicht trifft, mit dafür Sorge zu tragen, daß das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird."869

Gegen eine solche Würdigung sprechen jedoch gleich mehrere Argumente: Zum einen ist die Aufzählung von Verfahrensvorschriften in diesem Zusammenhang nur Erman/Hefermehl, § 226 Rdnr. l (a. E.). Erman/Hefermehl, § 226 Rdnr. 2; AK(BGB)-Damm, § 226 Rdnr. l. 867 Insoweit erfährt Scheffler (JR 1993, 170 (172): "Dies hatte das OLG Frankfurt wohl zu Recht als unproblematisch bejaht.") Zustimmung von Kudlich, S. 281, allerdings verzichtet auch Kudlich auf die Darlegung zwingender Argumente, die diese Ansicht mit Substanz füllen könnten ("...dürften alle bedeutenden Fallgruppen des Mißbrauchs unter eine Schädigung des Gerichts (Verschleppung, Verfahrenssabotage) oder Dritter (Zeugenbeleidigung, demonstrative Zwecke) zu subsumieren sein."). 868 Kröpil, ZRP 1997,9 (11). 869 BGHSt 38, 111 (115); ebenso OLG Harnburg NStZ 1998, 586 (587). 865

866

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

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bedingt aussagefähig. Zwar mag man die vom BGH genannten Vorschriften als Ausdruck einer gewissen Kontrolle seitens des Verteidigers interpretieren, allerdings bedürfen hierbei zumindest zwei Umstände der Berücksichtigung: Zum einen läßt sich die notwendige Verteidigermitwirkung in den aufgeführten Fällen nicht nur auf eine Mißbrauchskontrolle reduzieren, sondern sie sorgt dafür, daß der Beschuldigte als juristischer Laie überhaupt erst in der Lage ist, seine Rechte im Strafverfahren in formal-rechtlicher und inhaltlicher Hinsicht ordnungsgemäß geltend zu machen, z. B. im Falle des§ 345 Abs. 2. 870 Zum anderen lassen sich durch den Verweis auf Kontrollrechte in den einzelnen Verfahrensstadien nur sehr begrenzt Rückschlüsse auf einen allgemeinen, das gesamte Verfahren prägenden Grundsatz ziehen, denn die Tatsache, daß der Gesetzgeber im Rahmen der StPO punktuelle Regelungen getroffen hat, könnte auch den Umkehrschluß zulassen, daß ein allgemeiner Grundsatz in diesem Sinne gerade nicht besteht,871 sondern daß das Gesetz vielmehr die Kontrolle des Beschuldigten durch den Verteidiger genau auf diese Fälle begrenzt sehen will. 872 M.a.W.: In einer solchen Argumentation dürfte bereits ein methodischer Fehler liegen, denn mit dem Verweis auf Einzelregelungen ist noch kein abschließendes Urteil über den Ausnahmecharakter oder die Eigenschaft als allgemeiner Rechtsgedanke gefällt. Will man daher einen Fehlschluß vermeiden, müßte eine entsprechende Einordnung gerade vorher geklärt worden sein, denn ansonsten ist das Vorhandensein verschiedener Regelungen einer beliebigen Interpretation zugänglich, die sowohl für als auch gegen eine umfassende Mißbrauchskontrolle seitens des Verteidigers in der Hauptverhandlung ausfallen kann. 873 Sieht man jedoch über diese Schwachstelle hinweg, so zeigt sich sofort der maßgebliche Problempunkt, denn durch dieses Urteil wird die Funktionsverteilung der Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren verdreht. Entgegen der eigentlichen Funktion des Verteidigers als Kontrolleur staatlichen Wirkens innerhalb eines Strafverfahrens vereinnahmt der BGH die Stellung des Verteidigers für die Belange einer effektiven Strafrechtspflege und sieht die Kontrollfunktion der Verteidigung - genau im umgekehrten Sinne - nunmehr gegen den gerichtet, dem sie eigentlich dienen sollte: den Beschuldigten. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß dieser erzwungene "Seitenwechsel" mit der hier vertretenen Auffassung von der Funktion der Verteidigung im Strafverfahren874 nichts mehr gemein hat. Verteidigung im Strafverfahren macht nur dann Sinn, wenn die Kontrolle einseitig auf die Tätigkeit von Gericht und Staatsanwaltschaft gerichtet ist. Aber selbst wenn man dieser Funktionsbeschreibung nicht oder nicht im vollem Umfang Folge leisten möchte, Vgl. auch Grüner, S. 20. So die Interpretation Hamms, NJW 1993, 289 (296). 872 In diesem Sinne Hamm NJW 1993, 289 (296), dem allerdings in seiner konträren Argumentation derselbe Fehler unterläuft. 873 Vgl. zu diesem methodischen Problem in anderem Zusammenhang auch Kudlich, S. 183 (Fn. 465). 874 Vgl. oben C. I. 3. a) (3) (b). 870

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

so wird man zumindest die Augen nicht davor verschließen können, daß der 4. Senat mit dieser unterstellten "Filterfunktion"875 des Verteidigers diesem eine Aufgabe zuweist, die von der StPO eindeutig dem Gericht zugewiesen ist, denn es ist dessen Aufgabe, mit dem Instrumentarium des § 244 über die Sachdienlichkeit von Beweisanträgen zu befinden und damit letztlich auch darüber, was als die Wahrheit zu gelten hat und was nicht. Diese Aufgabe wird hier auf den Verteidiger verlagert. Der Verteidiger der - bildlich gesprochen - auf der Richterbank sitzt ist eine dogmatisch unhaltbare Konstruktion, die sich weder aus den vom BGH genannten Vorschriften bezüglich der "Beschuldigtenkontrolle" durch den Verteidiger ableiten läßt noch ansatzweise etwas mit der ursprünglich gedachten Aufgabenverteilung zu tun hat, wie man sie im Grunde genommen unschwer der StPO entnehmen kann. Hätte der 4. Senat seine von ihm gewählte Methode der Herleitung aus der StPO konsequent weitergeführt und die Ableitung der Kontrollfunktion des Verteidigers nicht nur auf eine Auswahl der für seine Meinung vermeintlich günstigen Regelungen beschränkt, so hätte sich das Gericht hierzu äußern müssen. Dieser Einwand beansprucht daneben auch für eine Vorschrift der StPO Geltung, die ihrerseits eindeutige Hinweise für eine systemkonforme Aufgabenbeschreibung des Verteidigers im Strafverfahren und gegen die Auffassung des 4. Senats liefert. Gemeint ist die Vorschrift des § 148. Diese gewährleistet dem Verteidiger und seinem Mandanten nicht nur ein Kontaktrecht, sondern sie gehört zu den "Grundrechten" einer am Rechtsstaatsprinzip orientierten Verteidigung,876 durch die das Vertrauensverhältniszwischen diesen Verfahrensbeteiligten geschützt ist.877 Der hohe Stellenwert dieser Vertrauensbeziehung - deren Existenz sich auch ohne weiteres dadurch ablesen läßt, daß die StPO selbst den Verteidiger in den Kreis der Vertrauenspersonen einbezieht878 - ist in der Literatur wiederholt dargestellt worden879 und zeigt sich vor allem darin, daß ohne sie eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Der Beschuldigte erachtet Staatsanwaltschaft und Gericht als seine Gegner,880 durch die er sich bedroht fühlt und entsprechendes Mißtrauen aufbaut.881 Der Verteidiger hingegen wird dem Beschuldigten als Beistand zur Seite gestellt mit der Aufgabe, seine Interessen im Strafverfahren effektiv zu vertreten, wofür ein offener Meinungsaustausch mit dem Verteidiger unabdingbar ist. 882 In diesem von § 148 geschützten Vertrauensverhältnis zeigt sich, daß sich Verteidigung im Strafverfahren nicht nur unter rein funktionalen Aspekten beleuchten Maatz, NStZ 1992,513. Beulke, StPR, Rdnr. 153. 877 Welp, FS Gallas, S. 391 ff.; Beulke, StPR, Rdnr. 153. 878 Vgl. etwa § 114b; hierzu Kleinknecht I Meyer-Goßner, § 114b Rdnr. 4. 879 Welp, FS Gallas, S. 391 ff.; Kneuer, insbesondere S. 29 ff., 44 ff. 880 Zu dem aus Sicht des Beschuldigten als Einheit erscheinenden Zusarnrnenspiel von Gericht und Staatsanwaltschaft vgl. etwa Keyl, DRiZ 1988, 55 ff. 881 Kneuer, S. 45 m. w. N. 882 Kneuer, S. 29; Bernsmann, StV 2000, 40f. 875

876

II. Das Sanktionssystem des Strafverfahrensrechts im Überblick

183

läßt, sondern auch eine höchstpersönliche, menschlich-psychologische Komponente in sich trägt, 883 die ebenso wie die Ausstattung mit Verfahrensbefugnissen zwecks Einflußnahme auf den Verfahrensablauf zu den notwendigen Voraussetzungen effektiver Verteidigung gehört. Anerkennt man dementsprechend die Notwendigkeit dieses zu schützenden Vertrauensverhältnisses im Strafverfahren, dann verträgt es sich hiermit kaum, wenn der Beschuldigte aufgrund der Auffassung des BGH damit rechnen muß, von seinem Beistand kontrolliert zu werden, denn mit dieser rechtlichen Kontrolle käme dem Verteidiger eine Aufgabe zu, die sich prinzipiell nicht von derjenigen unterscheidet, die auch den staatlichen Verfahrenbeteiligten zukommt. Wenn der BGH also davon ausgeht, daß auch dem Verteidiger die Aufgabe der rechtlichen Kontrolle über den Beschuldigten zukommt und somit dessen Pflichten im Strafverfahren an die von Staatsanwaltschaft und Gericht annähert, dann muß dieses zwangsläufig massiven Einfluß auf den Schutzbereich des § 148 haben: Das notwendige Vertrauen wandelt sich in ein gleichgerichtetes Mißtrauen auch gegenüber dem Verteidiger und sorgt so zumindest mittelbar für eine erhebliche Beeinträchtigung einer effektiven Verteidigung bzw. verhindert darüber hinaus möglicherweise auch eine zügige Erledigung des Strafverfahrens. Es zeigt sich mithin im Ergebnis, daß das Postulat rechtlicher Kontrolle des Beschuldigten durch den Verteidiger aus den oben genannten Griinden als ein Eingriff in die Verteidigungsbefugnisse erweist, der Sinn und Zweck des Instituts der Verteidigung im Strafverfahren in erheblichem Maße gefährdet bzw. die Wahrnehmung dieser Aufgabe erschwert. Nicht zuletzt deshalb wäre es zu erwarten gewesen, daß der BGH in diesem Zusammenhang die eigene Rechtsprechung aufgreift, die ebenfalls im Konflikt steht mit der in diesem Urteil entwickelten Rechtsauffassung. So entschied etwa der 3. Senat in einem Urteil aus dem Jahr 1978, daß die Zielsetzung des § 148 die völlig freie Verteidigung sei, die von jeder Behinderung oder Erschwerung freigestellt und in deren Rahmen der Anwalt wegen seiner Integrität jeder Beschränkung enthoben sei. 884 Auch auf diesem Wege muß sich die Frage aufdrängen, wie einerseits von einer freien Verteidigung ausgegangen werden kann, wenn andererseits dem Beschuldigtenbeistand die Aufgabe zuteil werden soll, die Prozeßhandlungen des Angeklagten zu überpriifen. Alles in allem wird man feststellen müssen, daß sich hinsichtlich der Herleitung des dogmatischen Fundaments eines allgemeinen Mißbrauchsverbots durch die Rechtsprechung in mehr als hundert Jahren Strafverfahrensgeschichte im Prinzip nicht viel getan hat, denn im Kern lassen sich die Erwägungen des BGH auf die gleichen Notwendigkeitserwägungen reduzieren, die man auch schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts antrifft.

883 884

Kneuer, S. 47. BGHSt 27, 260 (262).

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

d) Zwischenergebnis Das geltende Strafverfahrensrecht verfügt über ein weitgespanntes Netz an Vorschriften, die auf verschiedene Art und Weise den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren sanktionieren. Durch die zahlreichen Gesetzesreformen sind mittlerweile eine Vielzahl von Normen in der StPO etabliert worden, die auf die Bekämpfung mißbräuchlicher Verhaltensweisen ausgerichtet sind. Daneben hat die Rechtsprechung dafür gesorgt, daß der Schutzbereich dieser Normen extensiv ausgelegt und so die Mißbrauchsbekämpfung weiter vereinfacht wird. Dabei ist festzustellen, daß die ganz überwiegende Anzahl dieser Normen zwar formal nicht verteidigungs- bzw. beschuldigtenspezifisch ausgerichtet ist; dennoch beriihren sie im wesentlichen die Belange dieser Verfahrensbeteiligten, insbesondere innerhalb des Verfahrensstadiums der Hauptverhandlung. Sehr deutlich wird dieser Umstand hinsichtlich des gerade für den Beschuldigten und den Verteidiger besonders wichtigen Beweisantragsrechts, im Rahmen dessen nicht nur eine materielle Kontrolle über die gesetzlichen Ablehnungsgrunde möglich ist, sondern bereits auf Basis der Rechtsprechung des BGH durch die formelle Ausgrenzung885 eine weitreichende Kontrolle von Beweisanträgen ermöglicht wird, die die gesetzlichen Vorschriften entsprechend ergänzt. Probleme tun sich jedoch dort auf, wo es um die Sanktionierung des exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten geht, wie er sich anhand der aufgezeigten Beispiele im Rahmen des ersten Kapitels dieser Untersuchung illustrieren läßt. Auch hierbei sticht das Beweisantragsrecht hervor. Zwar erweist sich das Sanktionssystem der StPO in diesen Bereichen dann als schlagkräftig, wenn es um die Abwehr vereinzelten Mißbrauchs von Verfahrensrechten geht; andererseits scheint es - zumindest auf den ersten Blick - so zu sein, daß es dem exzessiven Mißbrauch hilflos gegenüber steht. 111. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung mißbräuchlicher Verhaltensweisen nach geltendem Recht Es fragt sich somit, ob das deutsche Strafverfahren nicht doch der Reform bedarf, um diesen Mißstand zu korrigieren. Insbesondere ein gesetzlich fixiertes allgemeines Mißbrauchsverbot könnte in diesem Zusammenhang aufgrund seiner unbestimmten Ausgestaltung einen Auffangtatbestand für all diejenigen Mißbrauchserscheinungen bilden, die nicht einer spezialgesetzlichen Regelung unterfallen. Das notwendige Anforderungsprofil ließe sich im Hinblick auf die zu ziehenden Rechtsfolgen anband des oben dargestellten Stufensystems der verschiedenen Abhilfemöglichkeiten weitergehend dahingehend konkretisieren, daß es sich hierbei um eine Norm handeln müßte, die es entweder ermöglicht, dem 885

V gl. Anders, S. 33 f.

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

185

mißbrauchenden Verfahrensbeteiligten die Rechtsausübung zu entziehen oder aber darüber hinaus diese Verfahrensbeteiligten aus dem Verfahren auszuschließen. Es fragt sich allerdings, ob hierin nicht ein vorschneller Befund liegt, denn vor einem solchen Schluß steht die Überprüfung zweier Normen und ihrer Handhabung in Rechtsprechung und Literatur, die unter Umständen die Lücken im System sowohl im Hinblick auf den Mißbrauch seitens der Verteidiger als auch des Beschuldigten schließen könnten: Der Ausschluß des Verteidigers gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m § 258 StGB und die Verfahrensleitungskompetenz gemäߧ 238 Abs. I.

1. Ausschluß des Verteidigers gemäߧ 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO

Bereits im einleitenden Kapitel dieser Untersuchung wurde auf die insbesondere von Jahn angesprochene Bedeutung dieser Vorschrift für die vorliegende Thematik hingewiesen:886 Sollte sich der Mißbrauch von Verfahrensrechten zumindest als versuchte Strafvereitelung im Sinne des§ 258 StGB darstellen, 887 dann wäre unter Berücksichtigung des§ 138a Abs. 1 Nr. 3 eine Möglichkeit gegeben, die nicht nur die Forderung nach weitergehenden gesetzgebensehen Maßnahmen relativiert, sondern es wäre mit dem Ausschluß des Beschuldigtenbeistands eine Abhilfemöglichkeit gegeben, die gemäß des Stufensystems der Mißbrauchssanktionen888 als die effektivste von allen einzuordnen ist.889 Im folgenden wird dabei auf eine Darstellung grundsätzlicher Problemstellungen von Strafverteidigung und Strafvereitelung bzw. ihrem Verhältnis zueinander verzichtet. Das gilt etwa für die Frage, ob eine zeitweise Strafvereitelung Taterfolg im Sinne des § 258 sein kann, 890 die Geltung der allgemeinen Regeln von Täterschaft und Teilnahme891 und die Konkretisierung des Vereitelungsbegriffs.892 Dieses Vorgehen ist doppelt motiviert: Zum einen finden sich hierzu bis in die jüngste Zeit hinein ausführliche Darstellungen im Schrifttum, auf die hier verwiesen werVgl. oben A. 111. Vgl. hierzu etwa BGHSt 36, 133 ff.; BGHSt 42, 94 ff.; OLG Köln NJW 1975, 459; KG NStZ 1983, 556, wobei nach herrschender Ansicht der hinreichende Tatverdacht ausreichend ist, ohne daß es auf die Einleitung eines entsprechenden Ennittlungsverfahrens ankommt. 888 Hierzu ausführlich oben D. II. 3. 889 § l38a findet nach allgemeiner Ansicht auch auf den Pflichtverteidiger Anwendung; umstritten ist hingegen jedoch die (zusätzliche) Anwendbarkeit des § 143 StPO; vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 39, 238 (245); BGHSt 42, 94 (95 f.); Seier, FS Hirsch, S. 977 (988 (a.E.)); Roxin, StVR, § 19 Rdnr. 51; Beulke, StPR, Rdnr. 169; Kleinknecht/MeyerGoßner § 138a Rdnr. 3 m. w. N. 890 Entgegen der herrschenden Meinung wird dieses verneint von SK(StGB)-Samson, § 258 Rdnr. 27 ff.; Vormbaum, S. 394 ff. 891 Vgl. hierzu etwa Lackner I Kühl, § 258 Rdnr. 10 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 892 Hierzu Jahn, ZRP 1998, 103 (106). 886

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

den kann und eine erneute Repetition überflüssig machen; 893 zum anderen geht es vorliegend nur um einen bestimmten Aspekt dieser Thematik, der einen entsprechenden Verzicht zuläßt. a) Der exzessive Mißbrauch von Verfahrensrechten als (versuchte) Strafvereitelung gemäߧ 258 StGB Die mögliche Relevanz von § 138a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 258 StGB für die Thematik des Rechtsmißbrauchs wird auch nicht zuletzt dadurch genährt, daß sich im Schrifttum eine erhebliche Anzahl von Stimmen findet, die im Laufe der Zeit wiederholt eine derartige Verknüpfung von mißbräuchlichen Verhaltensweisen des Verteidigers und dem Tatbestand der Strafvereitelung vorgenommen haben, 894 wobei hierzu insbesondere der wiederholte Mißbrauch von Antragsrechten gezählt wird. Und auch auf Seiten des Gesetzgebers wurde im Rahmen der Diskussion um die Einführung des Ausschlußtatbestandes des § 138b895 die Auffassung vertreten, daß die absichtliche Prozeßverschleppung bereits von § 138a Abs. 1 Nr. 3 erfaßt werde. 896 b) Ablehnende Stellungnahmen in der Literatur Dennoch befreit eine solche Feststellung nicht von der Verpflichtung, die Stichhaltigkeit dieses Lösungsansatzes zu überprüfen, zumal man im Schrifttum auch auf die entgegengesetzte Ansicht stößt, nach der die Anwendung des § 258 als unverhältnismäßig erachtet wird 897 bzw. die in konflikthafter Verteidigung, solange sie nur das Verfahren und seinen Abschluß erschwert oder vereitelt, kein tatbestandmäßiges Verhalten erkennen will. 898 Letzterer Standpunkt wird insbesondere von Jahn vertreten. Der Kern seiner bereits angesprochenen 899 Erwägungen, die an dieser Stelle nochmals kurz zusammengefaßt werden sollen, liegt in der mangelnden Zurechenbarkeit des Vereitelungserfolges: Nach Auffassung Jahns zeige die teleologische Auslegung des § 258 StGB, daß die Verteidigertätigkeit einerseits für den Vereitelungserfolg ursächlich und zurechenbar sein müsse, andererseits eine Zurechenbarkeit aber an Z. B. Jahn, S. 286 ff.; Pellkofer, S. 79 ff. Siehe etwa Lampe, JZ 1974, 696 (699); Ulsenheimer, GA 1975, 103 (117f.); Knapp, AnwBl. 1975, 373 (375); Dahs, NJW 1975, 1385 (1390); Beulke, Strafbarkeit, S. 153; ders., FS Roxin, S. 1173 (1190); Parigger, FS Koch, S. 199 (207f.); Brei, S. 309; S/S-Stree, § 258 Rdnr. 20. 895 Vgl. hierzu oben B. IV. 2. c). 896 Vgl. hierzu Jahn, S. 342ff. 897 Pellkofer, S. 135 f. 898 Jahn, S. 345ff.; ders.,ZRP 1998, 103 (107f.). 899 Siehe oben C. I. 3. a) (3) (a) (ee). 893

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III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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den rechtlichen Prüfungs- und Kontrollpflichten des Gerichts scheitern würde. Es sei schließlich der Richter, der die Verantwortung für das Urteil tragen würde. 900 Die Strafprozeßordnung beinhalte (dementsprechend) den Grundsatz, daß Fehler des Verfahrens nicht anderen Verfahrensbeteiligten zugerechnet werden. Dieses gelte sowohl für die "materielle Seite" des Urteils als auch im Hinblick auf die Verantwortung des Vorsitzenden für die formelle Leitung des Verfahrens gemäß § 238 Abs. 1, aufgrund derer die Leitungsmacht über das "Geschehen" diesem zugeordnet ist. 901 Übergriffe der Strafverteidigung in den Autonomiebereich des Gerichts lassen sich nach dieser Auffassung somit jedenfalls dann nicht objektiv der Verteidigung zurechnen, " ... wenn eingetretene Erfolge für das Rechtsgut des § 258 StGB auf der Nichtausnutzung vorhandener strafprozessualer Gestaltungsmöglichkeiten durch das Gericht beruhen." 902

Vor dem Hintergrund des hier zu erörternden exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten sieht sich eine solche Argumentation jedoch Zweifeln ausgesetzt bzw. bedarf zumindest der Klarstellung. Auch wenn der Standpunkt, nach dem das Gericht die Verantwortung für das Urteil bzw. den Verlauf des Verfahrens trägt, grundsätzlich zutreffend ist - die Verteilung der Beweiswürdigung etc. und der Verhandlungsleitung durch die StPO ist insoweit eindeutig903 - so wird man hier genauer zu differenzieren haben: Auf der materiellen Seite steht das "Fehlurteil", daß zwar durch das Verteidigerverhalten zugunsten des Mandanten veranlaßt ist, aber letztlich durch eine autonome Überzeugungsbildung des Gerichts entstanden ist. Das Gericht entscheidet darüber, was als wahr zu gelten hat und würdigt dementsprechend die vorhandenen Beweismittel. Wird daraufhin ein Angeklagter im Widerspruch zum tatsächlichen geschehenen, aber gerichtlich nicht zweifelsfrei festgestellten Sachverhalt freigesprochen, dann entspricht dieses der Aufgabenverteilung bzw. der Verteilung der Kontrollpflichten im Strafverfahren, so daß ein solches Verhalten nicht als Strafvereitelung seitens der Verteidigung eingeordnet werden kann. Insoweit sind die Darstellungen Jahns konsensfähig und entsprechen im Ergebnis auch der in dieser Untersuchung vertretenen Ansicht.904 Jahn, S. 346. Jahn, S. 348 f. 902 Jahn, S. 348, der auf dieser Basis auch den Verlauf des Stuttgarter RechtsextremistenProzesses bewerten will: Zwar sei das Verhalten der Verteidigung für den Abbruch der Verhandlung kausal gewesen und es läge auch unter Adäquanzgesichtspunkten nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, daß in einer mehrjährigen Hauptverhandlung eine Schöffin ausfällt. Dennoch läge es in die Risikosphäre des Gerichts, für die erforderliche Schöffenzahl zu sorgen und gegebenenfalls vor Verfahrensbeginn Ergänzungsschöffen einzuberufen. Das Verhalten der Verteidigung in diesem Verfahren sei zwar zu mißbilligen, aber der eingetretene Erfolg sei aufgrund dieser Risikoverteilung nicht zurechenbar (S. 349). 903 Vgl. hierzu bereits oben C. I. 3. a) (3) (b) (ee). 904 Vgl. oben C. I. 3. a) (3) (b) (ee); kritisch zu der grundsätzlichen Zuordnung der Verfahrensziele der Wahrheit und Gerechtigkeit in den Verantwortungsbereich des Gerichts Beulke, 900 901

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Davon strikt zu entscheiden ist jedoch die formelle Seite des Verfahrens und seiner Beendigung und damit die Fälle, in denen die Verteidigung Verfahrensrechte mißbraucht, um das Verfahren zum Erliegen zu bringen, denn hierbei werden die Prüfungs- und Kontrollpflichten sowohl des Gerichts als auch des Vorsitzenden unterlaufen: Die Perfidie des auf Verfahrensvereitelung gerichteten exzessiven Mißbrauchs liegt darin, daß diese Kontrollpflichten gerade gegen das Gericht bzw. die ordnungsgemäße Beendigung instrumentalisiert werden und das Gericht aufgrund seiner Pflicht zur Prüfung bestimmter Verfahrenshandlungen der Verteidigung die Kontrolle über das Verfahren verliert. Hier greift die Verteidigung bzw. der Beschuldigte nicht nur in die verfassungsrechtliche Autonomie richterlicher Entscheidungstindung über, sondern sorgt unter bewußter Ausnutzung von Prüfungspflichten dafür, daß insbesondere die Verhandlungsleitung und die damit verbundenen Pflichten dem Gericht bzw. dem Vorsitzenden aus den Händen genommen wird. Das zeigt sich beispielsweise deutlich in Sachverhalten wie dem, der der hier ausführlich erörterten Mißbrauchsleitentscheidung des BGH zugrunde lag. In diesem war die Vorinstanz ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch mit der Entgegennahme und Bescheidung von Beweisanträgen beschäftigt, wozu das Landgericht aufgrund seiner Prüfungs- und Kontrollkompetenzen gerade verpflichtet war. Ein durch das Gericht bzw. durch den Vorsitzenden kontrollierter Verfahrensablauf ist in diesen Fallkonstellationen nicht mehr gegeben. Der Grundsatz aber, daß sich das Gericht Prozeßerschwerung oder -vereitelung905 selber zuschreiben muß, findet nur solange seine Berechtigung, als das Gericht durch Inanspruchnahme seiner Prüfungs- und Kontrollpflichten die Möglichkeit hat, von diesen Rechten und Pflichten effektiven Gebrauch zu machen. Wenn diese die Zurechnung ausschließen soll, dann fehlt es genau hieran im Falle der Prozeßvereitelung durch exzessiven Mißbrauch von Verfahrensrechten. 906 Letztlich ist die Ablehnung der Zurechnung im Rahmen des § 258 StGB und damit der Anwendung des § 138a Abs. 1 Nr. 3 im Falle der sogenannten Konfliktverteidigung aber auch noch aus einem anderen, sehr viel näher liegenden Grund zu hinterfragen: Wenn man im Anschluß an die herrschende Meinung akzeptiert, daß schon die versuchte Strafvereitelung für die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 138a Abs. I Nr. 3 ausreichen soll, dann stellt sich die Frage nach der Erfolgszurechnung ohnehin nicht. In den Kategorien der Funktionszuweisung gesprochen bedeutet dies: Es reicht für die Zulässigkeil des Verteidigerausschlusses bereits aus, daß die Verteidigung durch ihr Verhalten in den Funktionsbereich gerichtlicher Tatigkeit eingreift, ohne daß es auf den Erfolg der Prozeßvereitelung ankommen würde. Ein solches Ergebnis ist nach der in dieser Untersuchung vertretenen Mißbrauchsdefinition907 auch zu befürworten. FS Roxin, S. 1173 (1186), der hierdurch den Verteidiger im"...gesamten Bereich der verbalen Unterstützung des Mandanten völlig ungerechtfertigter Weise zum bloßen Statisten degradiert... " sieht. Auf den diesbezüglichen, entgegenstehenden Aussagegehalt des geltenden Verfahrensrechts geht Beulke im Rahmen seiner Kritik allerdings nicht ein. 905 Beachte Jahn, S. 346 (unter (aa)). 906 Vgl. zur weitergehenden Kritik an den Ausführungen Jahns Stumpf, S. 46 ff. 907 Ausführlich oben C. II.

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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Im Ergebnis stehen daher keine schlagkräftigen Gründe einer Anwendung des § 138a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 258 StGB entgegen.

c) Schutzmechanismen zwecks Mißbrauchsprävention Spricht somit nichts gegen eine Subsumtion des exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten unter den Tatbestand der (versuchten) Strafvereitelung, so ist eine Überprüfung notwendig, ob das geltende Verfahrensrecht bzw. seine Auslegung durch die Rechtsprechung hinreichende Möglichkeiten vorsieht, einen Mißbrauch von § 138a Abs. 1 Nr. 3 zu verhindem oder zumindest zu korrigieren. Man gelangt auf diesem Wege zu zwei ebenso wichtigen wie grundlegenden Fragestellungen, die im Rahmen dieser Untersuchung bislang noch nicht vertieft wurden, allerdings spätestens an dieser Stelle der Beantwortung bedürfen. Erstens: Wo verläuft die Grenze zwischen noch zulässigem Gebrauch und sanktionswürdigen exzessiven Mißbrauch? Damit verbunden ist die Frage nach der Berechtigung des Vorwurfs der Unverhältnismäßigkeil einer Anwendung des § 258 StGB als Mittel der Mißbrauchsbekämpfung, der von Pellkofer erhoben wird. 908 Und zweitens: Ist es überhaupt zulässig, die Entscheidung über den Mißbrauch von Verfahrensrechten in die Hände des erkennenden Gerichts zu legen, da hierdurch gerade die wiederholt angesprochene Gefahr heraufbeschworen wird, daß nicht zu beanstandenes Prozeßverhalten unter dem Etikett des Mißbrauchs geahndet wird? Bezüglich der ersten Fragestellung ist nach der Auffassung Pellkofe rs die Strafbewehrung kein geeignetes Mittel, dem prozessualen Mißbrauch effektiv zu begegnen, denn jedem Verfahrensbeteiligten können prozessual unzulässige Fragen oder Beweisanträge unterlaufen, so daß es angesichts leichter Verfahrensverstöße unangemessen sei," ... mit Kanonen auf Spatzen zu schießen ...".909 Bei genauerer Hinsicht offenbaren sich allerdings die Mängel einer solchen Sichtweise, denn es geht an dieser Stelle nicht um leichte Verfahrensverstöße, die zum Teil nicht einmal den Tatbestand spezieller Mißbrauchsregelungen erfüllen. Man mag sich das anhand des § 241 Abs. 2 verdeutlichen, der für den Fall vereinzelter unzulässiger Fragen nicht erfüllt ist,910 so daß sich in solchen Fällen die Frage nach der Anwendung des § 258 StGB ohnehin nicht stellt. Schließlich zeigt sich aber auch, daß Rechtsprechung und Literatur schon seit geraumer Zeit bemüht sind, die unverhältnismäßige Anwendung des § 258 StGB auf prozessuales Verhalten des Verteidigers zu verhindern. Ausdruck findet das in der Anwendung des Geringfügigkeitsprinzips. Diesem kommt im Strafrecht

908 909 910

Pellkofer, S. 137 f. Pellkofer, S. 138. Vgl. oben D. II. I. b) m. w. N.

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

auf Grundlage seiner ultima-ratio-Funktion besondere Bedeutung zu.911 Inhaltlich besagt dieser Grundsatz, daß ganz geringfügige Rechtsgutsverletzungen dann nicht den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen, selbst wenn diese formell von dem Wortlaut des Gesetzes erfaßt werden. In bezug auf eine mögliche Strafbarkeit des Verteidigers wird dementsprechend die Auffassung vertreten, daß nur extreme Mißbräuche in den Schutzbereich der Strafvereitelung fallen sollen und eine entsprechend restriktive Auslegung des § 258 einer willkürlichen Kontrolle der Verteidigung durch die Gerichte entgegenwirkt.912 Diese Aussonderung nur unerheblicher Verletzungen aus § 258 StGB im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik spiegelt sich in der Rechtsprechung dergestalt wieder, als sie beispielsweise einen Ausschluß des Verteidigers lediglich auf der Basis prozeßunökonomischen Verhaltens ablehnt und anerkennt, daß es die Wahrnehmung der Verteidigung im Strafverfahren häufig notwendig machen würde, Anträge zu stellen, die ihrerseits zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führen können. 913 Aber auch abseits der Rechtsprechung zum Verteidigerausschluß werden die Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens zum Teil recht weit gezogen. So führt der BGH etwa hinsichtlich des Erklärungsrechts der Verteidigung aus, daß der Verteidigung nicht nur Äußerungen dienen, die das von der Anklage behauptete Verhalten bestreiten, sondern auch solche, mit denen etwa die Legitimität des staatlichen Strafanspruchs bestritten wird: Entscheidend sei, daß solche Äußerungen aus der Sicht des Angeklagten nicht gänzlich des Charakters einer Rechtfertigung gegenüber dem Anklagevorwurf entbehren würden.914 Ein entsprechender Gebrauch des Erklärungsrechts wird somit nicht sanktioniert. So wird man Jahn zwar in seiner Kritik am Geringfügigkeilsprinzip im vorliegenden Zusammenhang grundsätzlich Recht geben müssen, wenn er eine Abgrenzung auf Basis dieses Grundsatzes für vage erklärt. 915 Andererseits wird man der Anwendung dieses verfassungsrechtlich verankerten Prinzips zumindest eine gewisse Filterfunktion nicht absprechen können, die eine Kontrolle willkürlicher Entscheidungen der Gerichte durchaus ermöglicht. Die Anwendung des Geringfügigkeilsprinzips ist trotz seiner mangelnden Bestimmtheit jedoch noch aus einem anderen Grund geboten: Eine abstrakte (gesetzliche) Quantifizierung bzw. Präzisierung exzessiven Prozeßverhaltens unabhängig 911 Z. B. BVerfGE 88, 203 (258); BVerfGE 90, 145 (184f.); OLG Hanun NJW 1980, 2537; Ostendorf, GA 1982, 333ff.; ferner Roxin, JuS 1966, 377ff.; kritisch S/S-Lenckner, Vorb. § 13 ff. Rdnr. 70a. 912 Vgl. etwa Beulke, Verteidiger, S. 219; weitere Nachweise bei Jahn, S. 339 ff. 913 Insbesondere OLG Düsseldorf JZ 1986, 408; KG StV 1988, 141; OLG Nümberg StV 1995, 287ff.; dieser Rechtsprechung folgend LK-Ruß, § 258 Rdnr. 20; S/S-Stree, § 258 Rdnr. 20; Otto, Jura 1987, 329 (330); ausführlich mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur Jahn, S. 325 ff. 914 Vgl. BGH NStZ 1990, 183 f. zu der Frage, ob entsprechende Erklärungen vom Tatbestand des § 129a erfaßt werden; vgl. schon BGHSt 31, 16 ff. 9 15 Jahn, S. 340.

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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vom jeweiligen Einzelfall ist nicht möglich. So liegt es etwa auf der Hand, daß die Frage nach dem Mißbrauch des Beweisantragsrechts im Anschluß an den fünfzigsten Beweisantrag in einem Großverfahren (bspw. Wirtschafts- oder Umweltstrafverfahren) anders zu beantworten ist916 als in einem Strafverfahren vor dem Strafrichter wegen Hausfriedensbruchs. Daneben gilt es aber auch zu berücksichtigen, daß in einem Strafverfahren häufig das beantragte Beweismittel die benannte Tatsache nicht bestätigt917 und hierdurch die Bestimmung der Rechtsmißbrauchsgrenze erschwert wird. Objektive, allgemeingültige Regeln zur Abgrenzung von Gebrauch und Mißbrauch kann es nicht geben. 918 Die hieraus zu ziehende Konsequenz kann somit nur darin liegen, daß diese Einordnung dem Gericht zu überlassen ist, obwohl eine derartige Zuordnung im Schrifttum auf Kritik stößt, die insbesondere von Schutz geäußert wird und bereits eingangs dieses Kapitels unter dem Blickwinkel der Sanktionsbedürftigkeit mißbräuchlicher Verhaltensweisen dargestellt wurde. 919 In Rahmen seiner Kritik spielt dabei nicht nur der Mißbrauch der Mißbrauchsbekämpfung eine wichtige Rolle, sondern auch die Überlegung, daß hierdurch ein Verfahrensbeteiligter zum Schiedsrichter gemacht und so den Erfordernissen eines fairen Verfahrens widersprochen werde.920 Diese Kritik kann jedoch im vorliegenden Falle schon deshalb nicht überzeugen, weil im Zusammenhang mit§ 138a die Entscheidung über den Ausschluß des Verteidigers gemäß § 138c letztlich gerade nicht in die Hände des erkennenden Gerichts gelegt wird. Doch auch unabhängig davon fragt es sich, wer überhaupt in Betracht kommen soll, ein entsprechendes Mißbrauchsurteil zu fällen. Der pauschale Ausschluß der Einschätzung des Gerichts bzw. Vorsitzenden aus diesem Entscheidungsprozeß ist auch deshalb mit Vorsicht zu begegnen, weil es Vorschriften gibt, die die Entscheidungskompetenz über den Mißbrauch eines Verfahrensrechts gerade in die Hände des Gerichts legen. Zu erinnern ist dabei etwa an die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozeßverschleppung. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang jedoch (erneut) der Blick auf die Vorschrift des § 238 Abs. 1 StPO: Wenn es abseits spezieller Vorschriften Aufgabe des Vorsitzenden Richters ist, über die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung zu wachen, dann legt diese Aufgabenbeschreibung auch die Zuordnung der Mißbrauchsentscheidung nahe. Daß damit die Gefahr des Mißbrauchs begründet ist, kann nicht verhehlt werden; will man aber den Rechtsmißbrauch bzw. seine Folgen nicht widerspruchslos hinnehmen, dann wird man diesen Mißstand aufgrund der abstrakt nicht zu bestimmenden Erscheinungsformen des Mißbrauchs im Strafverfahren akzeptieren müssen. Gewährleistet werden kann jedoch eine entsprechend umfassende, höherinstanzliehe Gegenkontrolle des Mißbrauchsurteils des erkennenden Gerichts bzw. dessen unumgänglicher Einschätzungsprärogative. 916 917 918 919 920

Vgl. Jahn, S. 109 (Fn. 489) mit weiteren Nachweisen. Schu1z, StV 1991, 354 (361 f.). Schulz, StV 1991, 354 (362). Schulz, StV 1991, 354 (362). Schulz, StV 1991, 354 (362).

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Zusammengefaßt bedeutet dies: Die vorgezeichnete Vorgehensweise kann nicht darin liegen, den wenig erfolgversprechenden Versuch der abstrakt-generellen, allgemeingültigen Umschreibung mißbräuchlichen Verhaltens zu unternehmen, sondern für ein Optimum an Kontrolldichte921 zu sorgen, durch das dem "mißbräuchlichen Mißbrauchsurteil" nicht nur begegnet werden kann, sondern dem durch seine bloße Existenz bereits eine gewisse Präventionswirkung beikommt. In diesem Sinne erscheinen somit auch Reformvorschläge wie der von Schatz als wenig sinnvoll, soweit dieser die Einführung einer Regelung vorschlägt, aufgrund derer nach der dritten Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht das Antragsrecht verwirkt ist. 922 Auch hier wird man Parameter wie den Umfang des jeweiligen Verfahrens oder die Komplexität des Sachverhalts zu beachten haben, denn es erscheint wenig schlüssig, daß unter Berücksichtigung der oben genannten Beispiele der dritte wegen Verschleppungsabsicht abgelehnte Antrag in einem umfangreichen und rechtlich komplizierten Wirtschaftsstrafverfahren die gleichen negativen Konsequenzen für den Antragsteller haben soll wie in rechtlich einfach gelagerten Fällen vor dem Strafrichter. Soweit in umfangreicheren Verfahren auch eine deutlich höhere Anzahl von Beweisanträgen erforderlich ist, kann es nicht ausreichen, daß von fünfzig Beweisanträgen drei aufgrund von § 244 Abs. 3 S. 2 6.Var. oder § 245 Abs. 2 S. 3 5.Var. abgelehnt werden, die sich womöglich noch über viele Verhandlungstage verteilen. Entscheidender Maßstab muß der jeweilige Einzelfall sein.

Die anzustrebende Gegenkontrolle wird durch die Regelung des Ausschlußverfahrens in § 138c gewährleistet. Damit stellt ein solches Verfahren durch die ausführliche rechtliche Überprüfung des Verteidigerverhaltens, gegebenenfalls verbunden mit der Aussetzung des Verfahrens,923 eine Lösung dar, die eine Anwendung des § 138a im Hinblick auf nur lästiges Verteidigerverhalten unwahrscheinlich macht, 924 da sie nicht dem Ideal einer prozeßökonomischen Regelung entspricht, die ihrerseits auf das freie Ermessen des Gerichts abstellen und eine entsprechende Kontrolle durch die höheren Instanzen ausschließen müßte.

d) Ergebnis Speziell für den Mißbrauch seitens der Verteidigung bietet die Möglichkeit des Verteidigerausschlusses gemäߧ 138a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 258 StGB eine effektive Sanktionierungsmöglichkeit, deren Anwendung zum einen durch das verfassungsrechtlich abgesicherte Geringfügigkeilsprinzip vor dem willkürlichen Gebrauch seitens der Tatgerichte geschützt ist. Zum anderen bietet gerade die Regelung des Ausschlußverfahrens, welches gemäß § 138c im Falle der bereits begonnenen Hauptverhandlung die Aussetzung des Verfahrens und die Entscheidung des Zu diesem Begriffter Veen, StV 1983, 167 (169). Vgl. zu diesem Vorschlag bereits oben A.IV. 3. a) (3) (a). 923 Siehe § 138c Abs. 4. 924 Zur praktischen Relevanz des Verteidigerausschlusses vgl. ausführlich Remagen-Kemmerling, S. 126 ff. 921

922

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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zuständigen Oberlandesgerichts vorsieht, die Gewähr dafür, daß effektive Verteidigungsmaßnahmen nicht einer prozeßökonomischen Gestaltung des Strafverfahrens durch die Tatgerichte zum Opfer fallen.

2. Bekämpfung des exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten durch § 238 Abs. 1 StPO

Das Ergebnis, daß in dem Ausschluß des Verteidigers eine effektive Möglichkeit der Mißbrauchsbekämpfung liegt, kann jedoch allein noch nicht befriedigen, handelt es sich hierbei doch um ein spezifisch auf den Verteidiger zugeschnittenes Abhilfemittel, das dem Rechtsmißbrauch des Beschuldigten, dem in gleichem Maße verfahrenssabotierende Wirkung zukommen kann, nicht entgegenwirkt. Damit verlagert sich das Interesse auf § 238 Abs. 1, der die Verhandlungsleitung in die Hände des Vorsitzenden Richters legt. Diese Zuordnung der Verhandlungsleitung hat sich schon bei der Abgrenzung der Verteidigungsbefugnisse als verwertbar erwiesen und machte deutlich, daß ein wesentliches Element der sogenannten Konfliktverteidigung gerade in der Negation der Verhandlungsherrschaft liegt. Vor allem im exzessiven Mißbrauch spiegelt sich diese mangelnde Akzeptanz der Verfahrensherrschaft des Vorsitzenden Richters besonders deutlich wieder. Ging es bisher allerdings um den Aussagegehalt dieser Norm unter dem Blickwinkel der Funktionszuweisung im Strafverfahren, so ist nunmehr von besonderem Interesse, welche konkreten Rechte925 des Vorsitzenden Richters diese Vorschrift bietet, die die aufgezeigten Defizite im Rahmen der Mißbrauchssanktionen der StPO möglicherweise kompensieren können. Die Ausführungen im Rahmen des Mißbrauchs von Frage- und Erklärungsrechten haben dabei aufgezeigt, daß die Verhandlungsleitungskompetenz und die damit verbundene Aufgabe der Sicherung der Verfahrensdurchführung von der herrschenden Meinung mit sehr weitreichenden Möglichkeiten versehen wird: So soll es zu einer sachgerechten Prozeßleitung gehören, daß diese Rechtspositionen entweder beschränkt oder aber für bestimmte Verfahrensabschnitte entzogen werden können. 926 § 238 Abs. 1 würde damit bei umfassender, nicht nur auf das Fragerecht beschränkten Anwendung eine Reaktionsmöglichkeit gewähren, der es zwecks Sanktionierung des exzessiven Mißbrauchs bedarf: Die Entziehung des rechtlichen Gehörs. Insoweit wäre seine Anwendung auch hinsichtlich des exzessiven Stellens von Beweisanträgen eine effektive Maßnahme, durch die im übrigen nicht nur der Beschuldigte, sondern auch alle anderen Verfahrensbeteiligten erlaßt werden könnten. 927 Der Anwendung des 925 Beachte in diesem Zusammenhang etwa RGSt 44, 65 (67); Pfeiffer, § 238 Rdnr. 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 238 Rdnr. 3. 926 BGH MDR/D 1973, 371 f.; BGH StV 1983, 139; OLG Karlsruhe NJW 1978, 436; LI R(25)-Gollwitzer, § 241 Rdnr. 22; KK-Tolksdorf, § 241 Rdnr. 1; Granderath, MDR 1983, 797 (799); Frister, StV 1994,445 (451 f.). 927 Vgl. KK-Tolksdorf, § 238 Rdnr. 3.

l3 Abdallah

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

§ 238 Abs. I in Fällen des exzessiven Mißbrauchs käme damit die Funktion eines Auffangtatbestandes zu und würde genau die Anforderungen erfüllen, die auch an die Effektivität weitergehender gesetzlicher Reformen zu stellen wären: Soweit etwa erkennbar wird, daß das Beweisantragsrecht durch den Beschuldigten kontinuierlich mißbraucht wird und die wiederholte Anwendung der gesetzlichen vorgesehenen Ablehnungsgründe bzw. sonstiger Abhilfemöglichkeiten versagt, dann könnte als ultima ratio der Vorsitzende dem mißbrauchenden Antragsteller das Beweisantragsrecht-zunächst vorübergehend und im Falle des anschließend fortgesetzten Mißbrauchs endgültig - entziehen, um so seiner durch § 238 Abs. I vorgezeichneten Aufgabe nachzukommen, Durchführung und Abschluß des Strafverfahrens zu sichern.928

Ein solcher Lösungsweg bedarf jedoch der Klärung zweier wesentlicher Problemstellungen: Zum einen ist nicht zu verkennen, daß ein entsprechender Entzug -sei es im Zusammenhang mit dem Frage-, Erklärungsrecht oder dem Beweisantragsrecht - einen nicht zu übersehenden Eingriff in den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. I GG und damit in ein vorbehaltlos garantiertes Verfahrensgrundeecht darstellt. Hinzu tritt der Eingriff in den ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruch auf ein faires Verfahren. Da gerade dieser Verfahrensgrundsatz vor der mißbräuchlichen Anwendung staatlicher Machtbefugnisse im Strafverfahren schützen wi11, 929 wird man neben der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in den Schutzbereich dieser Rechte auch hier die Frage klären müssen, inwieweit die Anwendung des § 238 Abs. 1 auf die Fallkonstellationen exzessiven Mißbrauchs ihrerseits einer Kontrolle unterworfen ist, die einer möglichen mißbräuchlichen Handhabung durch die Gerichte entgegenwirkt.

a) Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Strafverfahrensrechts Will man den Anspruch auf rechtliches Gehör im Strafverfahren nach der hier vertretenen Lösung einschränken, so bedarf es zunächst der Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Strafverfahrens und der Frage, wie vorbehaltlos gewährte Grundrechte bzw. gleichzustellende grundrechtsähnliche Rechte wie die aus Art. 103 Abs. I GG zu beschränken sind. Rekurriert man hierfür auf die maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägte herrschende Meinung, so stößt man unter dem 928 Beachte in diesem Zusammenhang die Entscheidung BGHSt 1, 322 (323 f.), in der der BGH (unter Berücksichtigung des§ 238) die Befugnisse des Vorsitzenden dahingehend definiert, daß er eine mißbräuchliche Ausübung der dem Angeklagten zustehenden Rechte zu verhindem habe. Allerdings verzichtet der BGH auch an dieser Stelle auf eine genauere Erörterung der Voraussetzungen und Folgen seines Standpunkts. 929 Vgl. hierzu ausführlich oben D. I. 2.

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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Stichwort der verfassungsimmanenten Schranken auf Begrenzungen vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht. 930 Durch die Kollision dieser Grundrechte mit gleichrangigen, mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern wird nach herrschender Meinung eine Abwägung erforderlich, aufgrund derer primär die in Konflikt stehenden Verfassungsgüter in Ausgleich gebracht werden müssen. 931 Soweit dieser Ausgleich nicht realisierbar ist, muß eines dieser Verfassungsgüter unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles zurücktreten. 932 In jedem Falle erforderlich ist jedoch eine gesetzliche Grundlage, da ansonsten die vorbehaltlosen Grundrechte bzw. Verfassungsgüter einfacher eingeschränkt werden könnten als die mit Vorbehalt gewährten Güter. 933 Die im vorliegenden Zusammenhang zu spezifizierende Grundüberlegung zeichnet sich deutlich ab: Interpretiert man die Verhandlungsleitung gemäß § 238 Abs. 1 im Sinne des Verfassungsprinzips der funktionstüchtigen Strafrechtspflege -was insoweit nicht sonderlich schwer fällt, als nach Auffassung des BVerfG auch die ordnungsmäßige Durchführung bzw. Fortsetzung der Hauptverhandlung in den Schutzbereich dieses Prinzips fällt934 - dann ist eine gesetzliche Grundlage vorhanden, die aufgrund einer entsprechenden Abwägung zwischen den Grundrechten des Beschuldigten und der mit Verfassungsrang ausgestatteten Punktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege gegebenenfalls zu einem Zurücktreten der Beschuldigtemechte führt und den Entzug des rechtlichen Gehörs im Strafverfahren verfassungsrechtlich rechtfertigt. Bereitet somit weder die Abgrenzung der kollidierenden Verfassungsgüter noch die Ermittlung der notwendigen gesetzlichen Grundlage Schwierigkeiten, so verhält es sich anders mit der Durchführung dieser Güterahwägung selbst. Zwar entspricht die Vornahme entsprechender Konkordanzerwägungen der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, allerdings bleiben die notwendigen Abwägungskriterien unklar.935 Es besteht somit die Gefahr sehr subjektiv 930 Vgl. hierzu etwa Kröpil, JuS 1999, 681 (682ff.), der die Lehre von den immanenten Schranken von Grundrechten (hier: im Verhältnis von Art. I 03 Abs. 1 und funktionstüchtiger Strafrechtspflege) als rechtstheoretische Grundlage eines allgemeinen Mißbrauchsverbots erörtert; vgl. ferner MI D-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rdnr. 16 ff.; allgemein zur Begrenzung von Grundrechten Hesse, Rdnr. 308 ff.; Pieroth I Schlink, Rdnr. 314 ff. 931 H.M., vgl. etwa BVerfGE 28, 243 (261); BVerfGE 39, 1 (41 ff.); BVerfGE 67, 213 (228); JarassiPieroth, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 45 ff.; Kröpil, JuS 1999, 681 (682) m. w. N. 932 Vgl. BVerfGE 67, 213 (228). 933 Siehe hierzu nur JarassiPieroth, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 48f. m. w. N.; nicht angängig ist daher die Annahme, daß kollidierendes Verfassungsrecht bereits den Schutzbereich des Grundrechts verkürzt. 934 Vgl. etwa BVerfGE 39, 156 (163); BVerfGE 41, 246 (250); Röhmel, JA 1976, 447 (450); zu der hier vertretenen, die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Funktionstüchtigkeitstopos bejahenden Ansicht siehe oben D. I. 1. c). 935 Beachte zur Kritik an der" .. . Zauberformel .. ."der praktischen Konkordanz Fehn, JA 1987, 12 (15); allerdings wird man feststellen müssen, daß auch die anderen Lösungsmodelle im Bereich der Grundrechtskollision zu vergleichbaren Schwierigkeiten führen; zu diesen

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

geprägter Werturteile, die mit dem Nimbus der verfassungsrechtlichen Legitimation versehen werden. Derartige Konkordanzerwägungen bieten lediglich ein " ... bequemes sprachliches Muster ...",936 deren Ergebnis der Charakter einer ebenso ergebnisorientierten wie beliebigen Rechtfertigung des bereits zuvor festgelegten Resultats beikommt. Ganz ähnliche Schwierigkeiten wurden bereits bei der Analyse der herrschenden, verfahrenszwecksakzessorischen Mißbrauchsdefinition herausgearbeitet. 937 Hinzu kommt im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik, daß im Rahmen der Mißbrauchsdebatte eine zum Teil sehr polemisch geführte Kontroverse zwischen den verschiedenen "Lagern" herrscht und somit gerade hier die Annahme naheliegend ist, daß die soeben aufgezeigte Gefahr im Hinblick auf die hier vorzunehmende Abwägung in einen entsprechenden Erfolg umschlägt. Will man diese Problemlage soweit wie möglich umgehen, so verbleibt letztlich nur der Rückgriff auf die Rechtsprechung der Institution, die über die Einhaltung des Verfassungsrechts zu wachen hat: Das Bundesverfassungsgericht. Es gilt somit zu überpriifen, ob sich zwecks Lösung des Konflikts zwischen den im Grundgesetz verwurzelten Beschuldigtenrechten und dem insoweit nicht nachstehenden Erfordernis der funktionstüchtigen Strafrechtspflege Ansatzpunkte in der Judikatur des BVerfG ergeben. Diese Frage stellt sich um so mehr, als die Rechtsprechung -wie aufgezeigt - bereits seit geraumer Zeit den Entzug von Verfahrensrechten auf Basis des § 238 Abs. 1 zuläßt, die ihre Grundlage im Anspruch auf rechtliches Gehör finden. Bei der Suche nach entsprechender Rechtsprechung stößt man zunächst auf den sogenannten Härdle-Beschluß des BGH,938 der sowohl Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde als auch Grundlage einer Menschenrechtsbeschwerde vor der EKMR war. Da jedoch das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde für unzulässig erachtete939 und die Entscheidung der EKMR auf die Entziehung des Fragerechts mit keinem Wort eingeht,940 kann diese Rechtsprechung zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung nicht in Betracht kommen. Man wird dementsprechend einen anderen Lösungsweg zu beschreiten haben. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Systematik der mißbrauchssanktionierenden Vorschriften der StPO genauer, so stößt man unter anderem auf die Vorschriften der§§ 231a, 23lb. Untersucht man diese Normen hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen, so zeigt sich im Hinblick auf § 231 a, daß diese Vorschrift eine Modellen Schnapp, JuS 1978, 729 (733 ff.); Sachs, JuS 1995, 984 (985 f.) mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 936 Fehn, JA 1987, 12 (15). 937 Vgl. oben C. I. 2. 938 Sachverhalt und die wesentlichen Aussagen des Gerichts werden wiedergegeben bei Strate, StV 1981, 261 ff. 939 Vgl. hierzu ausführlichter Veen, StV 1983, 167 (169) m. w. N. 940 EKMR EuGRZ 1982,447 ff. ; hierzu kritisch Schlüter, EuGRZ 1982,449 (450f.).

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zuläßt, wenn dieser sich vorsätzlich in einen Zustand der Verhandlungunfähigkeit versetzt hat. § 231b sieht die Fortsetzung der Hauptverhandlung vor, wenn zuvor der Angeklagte aufgrund seines ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich zur Anklage zu äußern. Wenn diese beiden Vorschriften einerseits unterschiedliche Tatbestände und Rechtsfolgen aufweisen, so zeigt sich doch andererseits, daß im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Relevanz der jeweiligen Rechtsfolgen mit der Anwendung des § 238 Abs. 1 in dem hier vorgeschlagenen Sinne eine wesentliche Gemeinsamkeit besteht: Sowohl der nicht an der Hauptverhandlung teilnehmende bzw. ausgeschlossene Angeklagte als auch derjenige, dem aufgrund der Vorschrift des § 238 Abs. 1 das Wort entzogen wird, werden in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. auf ein faires Verfahren tangiert. Unter dem Blickwinkel des Rechtsmißbrauchs bedeutet das abstrakt formuliert: Die Anwendung dieser Normen betrifft die Fallkonstellationen, in denen der Beschuldigte aufgrund seines eigenen mißbräuchlichen Verhaltens an der Ausübung seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte gehindert wird. Das führt zu einer weiteren Überlegung: Wenn es sich zeigen sollte, daß die Vorschriften der§§ 231a, 231b als verfassungskonform einzuordnen sind, dann ist auch die Entziehung des rechtlichen Gehörs über § 238 Abs. 1 unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsrechts nicht zu beanstanden. Die Anknüpfung insbesondere an die Vorschrift des§ 23la bietet nun den entscheidenden Vorteil, daß diese wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war und das Gericht sich hierbei zu dem Verhältnis dieser Vorschrift zu den aus dem Grundgesetz hervorgehenden Rechten des Beschuldigten geäußert hat. Noch wesentlicher dürfte die Erkenntnis sein, daß das BVerfG diese Vorschrift für verfassungsgemäß erklärt hat. 941 Von Interesse ist dabei die Begründung, mit der das Bundesverfassungsgericht einen unzulässigen Eingriff in die Rechtsstellung des Beschuldigten verneint. Es führt hierzu aus: 942 "Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daߧ 231a StPO den Angeklagten weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) beeinträchtigt. Soweit sich aus diesen Grundrechten der Anspruch des Angeklagten ergibt, bei der Hauptverhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen, wird ihm dieses Anwesenheitsrecht durch§ 231a StPO nicht genommen. Wer seine Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich und schuldhaft herbeiführt, steht demjenigen gleich, der - obwohl er anwesend sein könnte - zur Hauptverhandlung nicht erscheint oder sich eigenmächtig aus ihr entfernt (vgl. § 231 Abs. 2 StPO). Wenn aber der Angeklagte, statt von seinem Recht auf Anwesenheit Gebrauch zu machen, sich selbst der Möglichkeit seiner persönlichen Teilnahme an der Hauptverhandlung begibt, so wird er in seinen Grundrechten nicht 941 BVerfGE 41, 246ff.; BVerfGE 89, 120ff.; ausführlich zu der Einführung der§§ 231a, 231b Rieß, JZ 1975, 265 ff.; Röhmel, JA 1976, 587 ff. u. 663 ff.; allgemein zur Anwesenheitspflicht z. B. Stein, ZStW 97 (1985) S. 303 ff. ; dagegen hält Griinwald, JZ 1976, 767 (771) § 231a für verfassungswidrig; zweifelnd auch Schrnidt-Leichner, NJW 1975,417 (420). 942 BVerfGE 89, 120 (129).

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

dadurch verletzt, daß die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit stattfindet (BVerfGE 41, 246(249))."

Hieraus lassen sich die Grenzen des verfassungsrechtlichen Schutzes von rechtlichem Gehör und dem Anspruch auf ein faires Verfahren ableiten: Soweit dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung die Gelegenheit943 gegeben wird, sich zur Sache zu äußern, dieser aber von seinem Recht keinen Gebrauch macht, dann liegt in der Nichtanhörung des Beschuldigten weder ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG noch gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren. Dabei kann die Frage, aus welchen Beweggründen die Möglichkeit zur Rechtsausübung nicht wahrgenommen wird bzw. ob dieser Verzicht durch den Mißbrauch von Verfahrensrechten im Laufe des Strafverfahrens in Erscheinung tritt, keine entscheidende Rolle spielen. Übertragen auf die hier zu diskutierende Fragestellung bedeutet dies: Sollte der Beschuldigte durch den exzessiven Mißbrauch von Verfahrensrechten lediglich bemüht sein, daß Strafverfahren zu vereiteln, ohne daß es ihm darauf ankommt, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör wahrzunehmen und sich zum Verfahrensgegenstand zu äußern, dann muß die Abwägung in diesen Fällen zugunsten der Sicherung des Verfahrensablaufs - und damit zugunsten der funktionstüchtigen Rechtspflege - ausfallen, so daß etwa der Entzug des Beweisantragsrechts durch die Anwendung des § 238 Abs. 1 unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden ist, soweit der Angeklagte die Möglichkeit hatte, von seinem Recht auch Gebrauch zu machen. b) Zum Schutz vor mißbräuchlicher Anwendung des § 238 Abs. 1 StPO Eine derart extensive Ausweitung des Schutzbereichs des § 238 Abs. 1 mag sich der Kritik ausgesetzt sehen. In der Tat fehlt es im Schrifttum nicht an warnenden Stimmen, die die Verfahrensleitung nicht dazu benutzt sehen wollen, daß die schützenden Formen des Strafverfahrens bzw. seine Justizförmigkeit ausgehöhlt werden. 944 Somit ist erneut die Frage nach den Sicherungen zu stellen, die eine hinreichende Gegenkontrolle der Anwendung des § 238 Abs. 1 durch die Tatgerichte ermöglichen. 943 Mehr verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nach ganz herrschender Meinung nicht; vgl. etwa schon BVerfGE 1, 418 (429); Dahs, Rechtliches Gehör, S. 45; M/D-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rdnr. 48ff.; Sachs/Degenhart, Art. 103 Rdnr. 8; Grünwald, JZ 1976, 767 (770) jeweils mit weiteren Nachweisen; eine Pflichtenstellung des Beschuldigten läßt sich demnach aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht herleiten, instruktiv zu dieser Problematik Bemsmann, FS Kriele, S. 697 ff.; vgl. ferner BoK-Rüping, Art. 103 Rdnr. 72. 944 Vgl. Kudlich, S. 329m. w. N.; allerdings kann die von Kudlich geführte Kritik an der " ... sehr allgemein beschriebenen ... " Leitung des Verfahrensablaufs vor den Hintergrund seines Lösungsvorschlags de lege ferenda (Einführung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots, von dem er selber einräumt, daß dieses zu einer sehr unbestimmten Regelung führen würde (S. 357)) nicht recht überzeugen; kritisch in diesem Zusammenhang auch Kühne, StPR, Rdnr. 295 (Fn. 27), nach dessen Ausführungen der Ansatz Kudlichs nicht weiterhilft, weil hier die Maße des Abwägungsprozesses im Verschwommenen bleiben.

III. Weitergehende Möglichkeiten der Sanktionierung

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In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, daß eine wesentliche Restriktion schon auf der Tatbestandsseite stattfindet. Der Entzug des Wortes bzw. rechtlichen Gehörs ist seitens der Rechtsprechung an erhebliche Voraussetzungen geknüpft, die an die engen Voraussetzungen der Ablehnung im Rahmen des Beweisantragsrechts945 angelehnt sind. Daneben bestehen weitgehende Möglichkeiten der rechtlichen Kontrolle im Hinblick auf die Entscheidung des Vorsitzenden. So kann gemäß § 238 Abs. 2 eine entsprechende Anordnung des Vorsitzenden zunächst der Kontrolle des Gerichts unterworfen werden. Zwar stellt § 238 Abs. 2 auf die "Sachleitung" ab und knüpft damit an die Abgrenzung von formeller Verhandlungsleitung und Sachleitung an. 946 Nach mittlerweile ganz überwiegender Meinung erweist sich eine derartige Abgrenzungjedoch als undurchführbar.947 Beanstandungsfähig sind demnach sämtliche Maßnahmen des Vorsitzenden (auch des Strafrichters), mit denen auf den Ablauf des Verfahrens bzw. die Verfahrensbeteiligten eingewirkt wird. 948 Die Anwendung des § 238 Abs. 1 schließt es aber auch nicht aus, daß der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen seine Anordnung zurücknimmt. 949 Eine Bindungswirkung tritt erst durch den Beschluß des Gerichts ein. 950 Soweit demnach durch die vorschnelle und unbegründete Beanstandung eine Verschlechterung des Prozeßklimas bzw. eine Konfrontation zwischen Gericht und dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten zu befürchten ist, besteht zwecks Vermeidung einer solchen Situation die Möglichkeit, einen Antrag auf Abhilfe an den Vorsitzenden zu stellen.951 Damit eröffnet sich nicht nur die Möglichkeit, durch entsprechende Hinweise der Verteidigung schon im Vorfeld des Gerichtsbeschlusses für eine Art Kontrolle der Anordnung zu sorgen, sondern es kann gegebenenfalls - auf kommunikativem Weg, ohne weitere Verschlechterung des Klimas in der Hauptverhandlung - zu entsprechenden Korrekturen kommen. 952 Möglicherweise wird hierdurch auch erst das erforderliche Maß an offener Kommunikation erreicht, daß im bisherigen Verlauf des Prozesses gefehlt hat und zu einer Rückbesinnung auf das notwendige Mindestmaß an Kollegialität führt. Sollte es dagegen zu einer förmlichen Anrufung des Gerichts kommen, dann ist die Anwendung des § 238 Abs. 2 auch hinsichtlich des Protokollierungszwangs von Bedeutung. Damit entsteht ein für die Verteidigung vorteilhafter, revisionsrechtlich bedeutsamer Beweiseffekt.953 Darüber hinaus entspricht es der RechtHierzu oben D. II. 2. a). Zur Abgrenzung dieser Begriffe siehe nur Beu1ke, StPR, Rdnr. 373. 947 Z. B. LIR(25)-Gollwitzer, § 238 Rdnr. 20ff.; HK-Julius, § 238 Rdnr. 4. 948 HK-Julius, § 238 Rdnr. 4; Kleinknecht I Meyer-Goßner, § 238 Rdnr. 10 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 949 Siehe nur LIR(25)-Gollwitzer, § 238 Rdnr. 14m. w. N. 950 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 238 Rdnr. 19m. w. N. 951 Salditt, StV 1993, 442 (447 f.). 952 Zur Bedeutung der Kommunikation zwischen Verteidigung und Gericht siehe Salditt, StV 1993, 442 (447f.). 953 V gl. nur HK-Julius, § 238 Rdnr. 2, 6 f. m. w. N. 945

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

sprechung des BGH, daß entsprechende Anordnungen des Vorsitzenden eingehend begründet werden müssen, um auch insofern die revisionsgerichtliche Kontrolle zu gewährleisten. Im Ergebnis wird man also festhalten müssen, daß auch die mißbräuchliche Anwendung des § 238 Abs. 1 auf exzessiven Mißbrauch von Verfahrensrechten nicht ganz auszuschließen ist. Dennoch bieten die nach der Rechtsprechung zu stellenden hohen Anforderungen an den Wortentzug, die Korrektur durch den möglichen Dialog zwischen Gericht und Verteidigung, die innerinstanzliehe und daher zügige Überpriifung durch das Gericht sowie letztlich die revisionsgerichtliche Kontrolle eine ausreichende Anzahl von Möglichkeiten, dem Mißbrauch der Mißbrauchssanktion wirksam zu begegnen;954 das Optimum an Kontrolldichte wird hierdurch erreicht. 3. Ergebnis

Damit ergibt sich folgendes Bild: Sowohl die konsequente Anwendung des§ 138 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 258 StGB als auch die des§ 238 Abs. 1 vermögen die Lücken innerhalb des Systems der speziellen Mißbrauchstatbestände im Hinblick auf den exzessiven Mißbrauch von Verfahrensrechten zu schließen. Gerade der Vorschrift des § 238 Abs. 1 kommt die Funktion eines Auffangtatbestandes zu, die den Vorsitzenden mit entsprechenden Möglichkeiten des Entzugs des rechtlichen Gehörs etc. versieht und deren Anwendung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Es bedarf daher keiner weiteren Reformen des geltenden Strafverfahrensrechts, weder in Form punktueller Regelungen innerhalb mißbrauchsanfälliger Rechte noch in Form der Einführung einer allgemeinen MißbrauchsverbotsklauseL

IV. Abhilfemöglichkeiten und Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf staatlichen Rechtsmißbrauch

Gibt somit die Ausgestaltung der Abhilfemöglichkeiten in bezug auf die Inanspruchnahme von Beschuldigten- bzw. Verteidigungsrechten wenig Anlaß zur Sorge, so gilt es die Frage zu stellen, ob die gleiche Erkenntnis auch hinsichtlich des staatlichen Mißbrauchs greift. Die Untersuchung hat bisher gezeigt, daß man entsprechende Verhaltensweisen der staatlichen Organe in allen Verfahrensabschnitten findet, die allerdings im Vergleich zu dem Mißbrauch von Verteidigungsrechten in der aktuellen Mißbrauchsdebatte weit weniger Aufmerksamkeit auf sich 954 Die Vorschrift des § 238 findet auch vereinzelt in der Reformdebatte Beachtung. Allerdings wird die derzeitige Rechtslage, obwohl sie bereits - wie aufgezeigt - weitreichende Eingriffe in das Grundrecht auf rechtliches Gehör zuläßt, nicht als ausreichend empfunden; siehe etwa Gössel, Gutachten, S. C 89; Entschließung der Generalstaatsanwälte und des Generalbundesanwalts, StV 1991, 284 (286); zur Kritik an diesen Vorschlägen vgl. nur Frister, StV 1994,445 (451 f.).

IV. Abhilfemöglichkeiten und Verbesserungsvorschläge

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ziehen. Die Ursache hierfür kann nur darin gesehen werden, daß die Diskussion in starkem Maße von prozeßökonomischen Gesichtspunkten getragen wird: Soweit der Mißbrauch von Verfahrensrechten vornehmlich an seinem "Erfolgunwert" gemessen wird, der in der Verzögerung bzw. Vereitelung des Verfahrens liegt, spielen in diesem Zusammenhang Verhaltensweisen, denen eine solche Wirkung nicht zukommt, keine gewichtige Rolle. Ein mißbräuchlicher Eingriff in die Rechtssphäre des Beschuldigten, dem unter Umständen gar eine verfahrenssichemde bzw. beschleunigende Wirkung beikommt,955 stellt sich in diesem Zusammenhang als nicht sanktionswürdig dar. Dennoch zeigt sich in dem Verstoß staatlichen Mißbrauchs gegen das verfassungsrechtlich abgesicherte Prinzip des fair trial, daß ein derartiger Mißbrauch nicht unbeachtet bleiben darf. Nun ist es freilich nicht so, daß das Strafverfahrensrecht staatlichem Mißbrauch gleichgültig gegenübersteht. Trotz aller Reformen sind die historischen Wurzeln der StPO noch erkennbar. Das gilt es etwa für das Ermittlungsverfahren zu konstatieren, in dem bei bestimmten Zwangsmaßnahmen eine Kontrolle durch die notwendige richterliche Mitwirkung gewährleistet ist.956 Daneben hat die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allgemein für eine begriißenswerte Verbesserung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe gesorgt.957 Im Hinblick auf die Hauptverhandlung gilt es daneben die Möglichkeit des Befangenheitsantrags zu beriicksichtigen, soweit (mißbräuchliches) richterliches Verhalten Anlaß zu Zweifeln an der Unparteilichkeit gibt. Und dennoch: Die Untersuchung von Erscheinungsformen staatlichen Mißbrauchs hat auch gezeigt, daß die StPO nicht überall über entsprechende Maßnahmen verfügt, um den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren auf positiv-rechtlicher Basis durchzusetzen. Ist somit zwar einerseits durch das fairtrial-Prinzip ein umfassendes Mißbrauchsverbot im Zusammenhang mit staatlichen Maßnahmen gesichert, so bietet es sich doch andererseits an, über Reformansätze zu reflektieren, die die Umsetzung dieses fundamentalen Prinzips im Strafverfahren erleichtern. 958

Siehe zu den einzelnen Beispielen oben C. I. 3 a) (4). Beachte aber etwa zu dem Komplex der Untersuchungshaft Geiter, S. 339, der in diesem Zusammenhang auf einen zu großzügigen Umgang mit der U-Haft in der Praxis hinweist. 957 BVerfG NJW 1997, 2163; BVerfG NJW 1997, 2165; BVerfG NJW 1999, 273; ausführlich zu dieserneuen Rechtsprechung Schroth, StV 1999, 117 ff. 958 Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf eine Rechtsprechung, die - wie aufgezeigt - der Anwendung allgemeiner Prinzipien zunehmend kritischer gegenüber steht. 955

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

1. Schaffung hinreichend bestimmter Verfahrensrechte

Die erste hier zu machende Anregung liegt in der Schaffung hinreichend bestimmter Verfahrensriormen. Ein solches Postulat kann sich auf die dargestellte Mißbrauchsanfälligkeit von unbestimmten Eingriffsrechten stützen, die sich schon in der historischen Analyse der Rechtsmißbrauchs gezeigt hat. Unbestimmtheit und staatliche Willkür sind im Laufe der Geschichte des deutschen Strafverfahrens immer eng miteinander verknüpft gewesen, so daß sich ein Bedarf an hinreichend bestimmten Eingriffsbefugnissen zwecks Beschuldigtenschutzes nicht leugnen läßt. Für die Schaffung hinreichend präziser Normen spricht jedoch offenbar auch ein Bedürfnis auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden. Hierauf weist Gössel in seinem Gutachten zum 60. Deutschen Juristentag hin: 959 Derart mangelhafte Vorschriften führen demnach zwangsläufig zu Unsicherheiten bei der Gesetzesanwendung bzw. ihrer Unterlassung, was wiederum zu verfahrensverzögernden Wirkungen im Ablauf des Strafverfahrens führen kann.960 Demnach kommt dem Bestimmtheitsprinzip nicht nur eine Aufgabe im Bereich des Beschuldigtenschutzes zu, sondern seine Berücksichtigung würde auch zu einem positiven Effekt auf Seiten der Strafverfolgung führen, was angesichts des in der aktuellen Diskussion so häufig bemühten Verweises auf eine funktionstüchtige Strafrechtspflege auf breiten Konsens stoßen müßte. Der Gesetzgeber sollte also darum bemüht sein, diesem Erfordernis Rechnung zu tragen und das Verfahrensrecht soweit wie möglich ohne Rückgriff auf schwer zu konkretisierende Tatbestandsmerkmale gestalten.961

2. Einführung einer umfassenden Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen Der Appell an den Gesetzgeber, künftig im Interesse aller Verfahrensbeteiligten auf die Schaffung hinreichend bestimmter Vorschriften zu achten, entschärft freilich nicht die Probleme, die durch unbestimmte, praktisch jedoch sehr relevante Normen des geltenden Rechts begründet werden. Das gilt in besonderem Maße für die Vorschrift des § 349 Abs. 2, aufgrund derer "offensichtlich unbegründete" Revisionen ohne Begründung durch einstimmigen Beschluß vom Revisionsgericht verworfen werden können. 962 Die Mißbrauchsanfälligkeit dieser Regelung wurde Gössel, Gutachten, S. C 15 ff. und C 48 ff. Gössel, Gutachten, S. C 15. 961 Daß auch in bezug auf hinreichende Bestimmtheit zwischen Notwendigkeit einerseits und realer Gesetzgebungstätigkeit andererseits erhebliche Disproportionen bestehen, zeigt sich nahezu idealtypisch an der neu eingeführten Vorschrift des § 127b, der Hauptverhandlungshaft im beschleunigten Verfahren; zur Kritik an den dort genannten vagen "Prognoseformeln" und der verfassungsrechtlichen Problematik der Norm etwa Asbrock, StV 1997, 43 (44); ferner Hellmann, NJW 1997, 2145 (2146); Stinzing/Hecker, NStZ 1997, 569 (572); Herzog, StV 1997, 215 ff. 962 Gleiches gilt auch für § 313 Abs. 2. 959 960

IV. Abhilfemöglichkeiten und Verbesserungsvorschläge

203

im Rahmen dieser Untersuchung dargestellt. Allerdings kann die Forderung nicht dahingehend lauten, die Vorschrift aus dem Gesetz zu streichen. Einerseits wäre eine solche Forderung angesichts ihrer Bedeutung gerade für die Revisionspraxis des BGH als naiv zu bezeichnen. Andererseits wird sich auch der Mißbrauch der Revision seitens der Verteidigung bzw. des Beschuldigten in vielen Fällen nicht in Abrede stellen lassen, so daß ihre Notwendigkeit grundsätzlich nicht zu hinterfragen ist. Die Abschaffung des§ 349 Abs. 2 würde damit auch dem Anliegen entgegenstehen, im Hinblick auf den Rechtsmißbrauch ein austariertes System von Kontrolle und Gegenkontrolle zu schaffen. Dieser Feststellung widerspricht jedoch nicht die Forderung nach Verbesserungen, die die normzweckgerechte Anwendung der Vorschrift durch die Revisionsgerichte absichern könnten. Einen beachtenswerten Vorschlag hat Krehl mit der Forderung nach einer obligatorischen Begrundungspflicht seitens der Gerichte unterbreitet. 963 Zwar findet sich in § 34 eine entsprechende Regelung, allerdings sind hiervon bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift Revisionen nicht erlaßt, weil sich § 34 ausdrucklieh auf Entscheidungen bezieht, die mit Rechtsmitteln angreifbar sind. Auch wenn § 34 eine Begrundung im Zusammenhang mit Verwerfungsbeschlüssen nicht ausschließt, 964 könnte eine umfassende Begrundungspflicht der Übereinstimmung von Normzweck und konkreter Rechtsanwendung förderlich sein, weil sich hieraus die Notwendigkeit grundlicheren Vorgehens, verbunden mit einer Selbstkontrolle der Gerichte, ergibt. 965 Auch eine erhebliche Mehrbelastung der Revisionsgerichte, die im Widerspruch zu dem angestrebten Arbeitsentlastungseffekt stehen würde, ist kaum zu befürchten, zumal in den einzig in Betracht kommenden Fällen der evidenten Unbegrundetheit die Angabe von Grunden weder sonderlich schwer fallen sollte noch umfangreicher Ausführungen seitens des Gerichts bedarf. 966 3. Sicherung einer von staatlichen Einflüssen weitgehend unabhängigen Verteidigung

Eine weitere wesentliche Verbesserung könnte dadurch erreicht werden, daß durch entsprechende Reformen die Stellung einer unabhängigen Verteidigung im Strafverfahren umfassend gesichert wird. Die Unabhängigkeit der Verteidigung ist vor allem unter dem Blickwinkel der Verfahrensziele zu berucksichtigen, aufgrund derer der Verteidiger nicht als "Gerichtsdiener" zur Sachverhaltsermittlung eingesetzt werden darf. Die Funktions- und Rollenverteilung im Strafverfahren ist eindeutig und sollte den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Klarstellung abseits Krehl, GA 1987, 162 (169ff.). Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 349 Rdnr. 20; Krehl, GA 1987, 162 (172); von dieser Möglichkeit wird in der Praxis auch Gebrauch gemacht. 965 Krehl, GA 1987, 162 (170). 966 Vgl. auch Krehl, GA 1987, 162 (175). 963

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D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

von Leerformeln wie etwa der Einordnung als Organ der Rechtspflege bzw. der Ableitung entsprechender Pflichten veranlassen. Der zu fordernden Unabhängigkeit der Verteidigung kommt jedoch auch eine erhebliche Bedeutung hinsichtlich der Bestellung und Entlohnung von Pflichtverteidigern zu. Wie im Rahmen des Mißbrauchs der Pauschvergütung des § 99 BRAGO dargestellt wurde, kann es ein auf effektive Verteidigung ausgerichtetes Strafverfahren nicht dulden, wenn es den Gerichten zumindest mittelbar möglich sein soll, über die Sachdienlichkeit von Verteidigungsmaßnahmen durch "Kostenkontrolle" zu entscheiden und ein entsprechender Druck auf den jeweiligen Verteidiger ausgeübt wird. Zu fordern ist daher eine Ausgestaltung der Pauschvergütung, die bereits im Vorfeld des Verfahrens und unabhängig vom Verteidigungsverhalten nur anhand des Umfangs der Sache zu bestimmen ist. Gerade bei umfangreichen Strafverfahren wäre so gesichert, daß der Beschuldigte eine adäquate Verteidigung erhält, ohne befürchten zu müssen, daß sein Beistand aus Angst vor einem gerichtlich veranlaßten Kostenbeschluß vor einer seriösen Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion zurückschreckt. 4. Schaffung eines Ausschlußtatbestands für mißbräuchlich agierende Staatsanwälte

Der letzte Verbesserungsvorschlag betrifft den Fall des Mißbrauchs von Verfahrensrechten durch die Staatsanwaltschaft. Für diesen Fall sollte ein Ausschlußtatbestand geschaffen werden, vergleichbar mit der Regelung des§ 138a Abs. 1 Nr. 3. Es ist kein Grund erkennbar, warum die Staatsanwaltschaft im Falle des Mißbrauchs von Verfahrenrechten, der gerade im Ermittlungsverfahren zu erheblichen Eingriffen in die Rechtssphäre des Beschuldigten führen kann, von prozessualen Sanktionen ausgespart bleiben soll. Gerade hier sollte die Durchsetzung des fair trial gesichert sein, wozu ein entsprechender Ausschlußtatbestand einen erheblichen Beitrag leisten könnte, sofern seine Anwendung umfassend gesichert ist. 967 In diesem Zusammenhang wäre zu erwägen, sowohl die Kompetenzen der Verteidigung als auch des Ermittlungsrichters im Vorverfahren zu ergänzen, so daß der Ermittlungsrichter beispielsweise nach entsprechendem Antrag der Verteidigung und eigener Vorprüfung dem zuständigen OLG die Sache zur Entscheidung vorlegen könnte. Denkbarer Anknüpfungspunkt könnte hierbei der Tatbestand der Rechtsbeugung sein, der auch bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht zu beachten ist,968 beispielsweise bei Antrag auf Erlaß bzw. Fortdauer eines Haftbefehls. 969 Ähnlich wie auch schon in Zusammenhang mit § 138a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 258 StGB wäre auch hier eine entsprechende Gegenkontrolle gewährleistet, da die 967 In der Rechtsprechung ist die Ausschließung des Staatsanwalts auf Basis des fair trial bereits anerkannt worden, vgl. LG Mönchengladbach JR 1987, 303 ff. 968 Vgl. etwa BGHSt 38, 381 (383 ff.); SK(StGB)-Rudolphi, § 339 Rdnr. 8a. 969 Z. 8 . BGHSt 41, 247 (249ff.); SK(StGB)-Rudolphi, § 339 Rdnr. 8a m. w. N.

V. Zusammenfassung des Kapitels D.

205

Rechtsprechung des BGH nicht jede Rechtsverletzung als Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB ausreichen läßt, sondern diesbezüglich einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege verlangt, d. h. das Tatsubjekt sich in bewußter und schwerer Weise vom Recht entfernt. 970 Aufgrund dieser restriktiven Auslegung des§ 339 StGB wäre keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Ermittlungstätigkeit zu erwarten. Im Ergebnis ist somit den Stimmen im Schriftturn grundsätzlich zuzustimmen, die eine Extension der Verteidigungsbefugnisse im Ermittlungsverfahren befürworten. Weniger überzeugend erscheinen dagegen Prozeßrnodelle, die nicht nur eine derartige Stärkung der Verteidiger- bzw. Beschuldigtenrechte im Vor- oder Zwischenverfahren befürworten, sondern die wesentliche Elemente des Strafverfahrens- wie etwa das Beweisantragsrecht- schwerpunktmäßig in diese Verfahrensabschnitte verlagert wissen wollen. 971 Solange das Ermittlungsverfahren nicht öffentlich ausgestaltet ist (wofür- wie aufgezeigt- gute Gründe sprechen),972 erkauft man sich eine derartige Verfahrensurnstrukturierung um den Preis einer effektiv durch die Öffentlichkeit kontrollierten Hauptverhandlung. Trotz aller Kritik an dieser Verfahrensmaxime, insbesondere im Hinblick auf die Belastung des Beschuldigten,973 sollte hierauf nicht verzichtet werden, denn zum einen läßt sich ihre Kontrollfunktion kaum in Frage stellen, zum anderen dürfte eine Beweiserhebung unter Ausschluß der Öffentlichkeit erneut zu Vorbehalten und Mißtrauen in der Öffentlichkeit gegenüber dem Strafverfahren bzw. der Entstehung von strafgerichtliehen Entscheidungen führen, die unter historischer Betrachtung gerade zu ihrer Einführung geführt haben. 974 Damit wäre den Zwecken einer rechtsstaatliehen Strafrechtspflege nicht gedient.

V. Zusammenfassung des Kapitels D. Gegenstand dieses vierten Kapitels war neben der Untersuchung der grundlegenden (verfassungsrechtlichen) Prinzipien des Strafverfahrens, die das Sanktionsbedürfnis hinsichtlich des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren stützen, die Analyse der aktuellen Rechtslage. Dabei zeigte sich zunächst, daß der Mißbrauch von Verteidigungsrechten gegen das Postulat einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verstößt. Zwar handelt es sich bei dieser Maxime aufgrund seiner Unbestimmtheit um ein nicht unproblematisches Prinzip des Strafprozeßrechts, das in Rechtsprechung und Literatur fast ausschließlich zum Nachteil des Beschuldigten ausgelegt wird, obwohl ein derartiges Verständnis diesem Prinzip nicht immanent ist. Dennoch verletzt der Mißbrauch von Verteidigungsrechten, insbesondere in seiner exzessiven Form, den Mindestgehalt dieses Verfahrensprinzips, was seine Berücksichtigung notwendig macht. 970 971 972 973 974

Ständige Rechtsprechung, siehe etwa BGHSt 32, 357 (363); 40, 30 (40). Zu diesen Vorschlägen oben A. IV. 3. a) (2). Oben C. I. 3. a) (4) (b). Z. B. Kohlrnann, JA 1981,581 (587); Ostendorf, ZRP 1976, 281 (282). Hierzu etwa BGHSt 3, 386 (387); BGHSt 21, 72 (73).

206

D. Sanktionierung des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren

Ähnliches zeigte sich im Rahmen des fair-trial-Prinzips, das im Hinblick auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane die Funktion eines allgemeinen Mißbrauchsverbots einnimmt. Auch hierbei handelt es sich um ein unscharfes Verfassungsprinzip. Die genauere Untersuchung hat jedoch gezeigt, daß der Mißbrauch seitens der staatlichen Organe auch insoweit den Mindestgehalt dieses tragenden Verfahrensprinzips verletzt. Im Anschluß daran wurde überpriift, inwieweit das geltende Recht für eine hinreichende Sanktionierung sorgt. Dabei zeigte sich, daß das bereits umfangreiche Sanktionssystem der StPO im Zusammenhang mit Erscheinungen des exzessiven Mißbrauchs auf den ersten Blick keine effektiven Abhilfemöglichkeiten aufweist. Diese Lücke wird nach der hier vertretenen Ansicht einerseits durch die Verhandlungsleitungskompetenz des Vorsitzenden gemäß § 238 Abs. 1, auf dessen Grundlage der Entzug von Verfahrensrechten möglich ist, zum anderen durch die Möglichkeit des Verteidigerausschlusses auf Grundlage des § 138a Abs. 1 Nr. 3, geschlossen. Die Frage nach der Berechtigung bzw. Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Reformen, die am Ende des zweiten Kapitels noch offen gelassen wurde, ließ sich somit dahingehend beantworten, daß es solcher Gesetzesänderungen im Hinblick auf den Mißbrauch von Verteidigungs- bzw. Beschuldigtenrechten nicht bedarf. Hinsichtlich des Reformbedarfs wird somit nicht überall dort, wo mehr oder weniger tiefgreifende Änderungen angemahnt werden, ein realistisches Bild gezeichnet, denn die Änderungen in der Vergangenheit haben bereits einen Beitrag zur wirksamen Eindämmung des Rechtsmißbrauchs geleistet, ohne daß es noch der Einführung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots bedarf. Legislative Verbesserungen bieten sich dagegen im Zusammenhang mit der Bekämpfung staatlichen Mißbrauchs an. Zwar ist die Geltung des Anspruchs auf ein faires Verfahren von den staatlichen Organen in allen Verfahrensabschnitten zu beriicksichtigen. Dennoch wurden einige grundsätzliche Erwägungen angestellt, die auf den Ergebnissen dieser Untersuchung fußen und insoweit die Forderung nach gesetzlichen Reformen vor allem zugunsten des Beschuldigten bzw. der Verteidigung stützen. So sollte auf Seiten des Gesetzgebers künftig das Erfordernis hinreichend bestimmter Verfahrensregelungen beachtet werden, was auch der Förderung der staatlichen Strafrechtspflege dienlich sein könnte. Daneben wurde - insbesondere unter Bezugnahme auf'§ 349 Abs. 2 - angeregt, eine umfassende Begriindungspflicht für gerichtliche Entscheidungen einzuführen. Eine weitere wesentliche Forderung liegt darin begriindet, die Stellung der Verteidigung im Strafverfahren auf ein rechtliches, die (finanzielle) Unabhängigkeit betonendes Fundament zu stellen und die Tätigkeit von Verteidigern von der Verpflichtung auf die Verfahrensziele zu befreien, deren Adressat - gerade im Hinblick auf die Wahrheitsfindung -nach der Konzeption des deutschen Strafverfahrens nur die staatlichen Organe sein können. Schließlich wurde im Hinblick auf die Stellung der Staatsanwaltschaft die Schaffung eines Ausschlußtatbestandes für den Fall des Rechtsmißbrauchs be-

V. Zusammenfassung des Kapitels D.

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fürwortet, dessen Anwendbarkeit auch im Ermittlungsverfahren gewährleistet sein muß. Die Verteidigung bzw. der Beschuldigte sollte mit einem entsprechenden Antragsrecht bereits in diesem Verfahrensabschnitt gegen den Staatsanwalt vorgehen können.

E. Gesamtergebnis und abschließende Würdigung Welche wesentlichen Erkenntnisse lassen sich nun am Ende dieser Untersuchung für die Problematik des Rechtsmißbrauchs im Strafverfahren ziehen? Versucht man hierfür eine allgemeine Formulierung - quasi als "kleinster gemeinsamer Nenner"- zu finden, so verbleibt nur die Erkenntnis, daß dieses Phänomen abseits der zu plakativen Umschreibungen tendierenden und auf gegenseitige Schuldzuweisungen fixierten aktuellen Diskussion ein anderes Bild abgibt, als es diese Debatte auf den ersten Blick vermitteln mag.

I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Das ergab bereits die historische Untersuchung. Beginnend mit der ersten einheitlichen deutschen Strafprozeßordnung aus dem Mittelalter wurde die Entwicklung der Mißbrauchsdebatte bis in die Gegenwart nachgezeichnet und anhand von Beispielen aus der Praxis illustriert. Dabei zeigte sich, daß der Rechtsmißbrauch die Geschichte des deutschen Strafverfahrens schon früh begleitet hat und darüber hinaus die Grundlage der einschneideneo Reformen des Strafprozeßrechts darstellte. In Abweichung zum aktuellen Erscheinungsbild der Rechtsmißbrauchsdebattezeigte sich aber auch, daß historisch betrachtet der Mißbrauch der Strafverfolgungsorgaue bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein den Schwerpunkt der Mißbrauchsbekämpfung bildete. Erst mit Betonung vor allem prozeßökonomischer Erwägungen erfolgte in den letzten Jahrzehnten eine Fixierung auf den Beschuldigten und die Verteidigung. Ist somit die aktuelle Debatte um den Rechtsmißbrauch schon historisch betrachtet zu Unrecht auf den Mißbrauch von Verteidigungsrechten gerichtet, so gilt es ähnliches für die herrschende Mißbrauchsdefinition zu konstatieren, die im dritten Kapitel untersucht wurde. Es wurden dabei zunächst die Voraussetzungen der herrschenden Meinung näher untersucht, nach der Rechtsmißbrauch im Strafverfahren dann vorliegen soll, wenn ein Verfahrensbeteiligter formal ordnungsgemäßen Gebrauch von Rechten zu ausschließlich verfahrensfremden bzw. -widrigen Zwecken macht. Hierbei konnte ermittelt werden, daß das Schlüsselelement und damit der entscheidende Bezugspunkt dieser verfahrenszweckakzessorischen Mißbrauchsdefinition die Ermittlung der materiellen Wahrheit ist. Die Analyse dieser Begriffsbestimmung zeigte jedoch nicht nur, daß das Verfahrensziel der Wahrheitstindung im Strafverfahren kritisch zu hinterfragen ist, sondern es stellte sich auch heraus, daß diese Mißbrauchsdefinition ein Spiegelbild der einseitig auf

I. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

209

den Beschuldigten bzw. seinen Verteidiger fixierten Mißbrauchsdebatte darstellt und die Stellung dieser Verfahrensbeteiligten in unvertretbarem Maße einschränkt. Der Mißbrauch der Strafverfolgungsorgane wird dagegen durch eine solche Definition nur in unzureichendem Maße erfaßt. Notwendig wurde damit eine andere Definition des Mißbrauchs, deren Kernelement die alleinige Anknüpfung an den Zweck eines Verfahrensrechts darstellt - unabhängig von der Vielzahl der Verfahrensziele - und die hinsichtlich des Mißbrauchs aller Verfahrensbeteiligten zu befriedigenden Ergebnissen führt. Auch die Ergebnisse hinsichtlich der Umsetzung mißbrauchssanktionierender Maßnahmen weichen von der überwiegend vertretenen Ansicht ab. Zunächst wurde dargestellt, daß sowohl der Mißbrauch von Verteidigungsrechten als auch der auf Seiten der Strafverfolgungsorgane gegen grundlegende verfassungsrechtliche Prinzipien des deutschen Strafverfahrens verstoßen. Sowohl die Punktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege einerseits als auch der Anspruch auf ein faires Verfahren andererseits machen die jeweilige Sanktionierung erforderlich, weil durch den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren der Mindestgehalt dieser im übrigen unscharfen Verfahrensprinzipien unterlaufen wird. Es zeigte sich dabei auch, daß das deutsche Strafverfahren mit dem Prinzip des fair trial bereits über ein allgemeines Mißbrauchsverbot verfügt, welches sich allerdings ausschließlich an die staatlichen Organe richtet. Im Anschluß wurde das aktuelle Sanktionssystem unter der Fragestellung untersucht, inwieweit es dem Schutz dieser Prinzipien unter Beriicksichtigung der verschiedenen Mißbrauchserscheinungen Genüge leistet. Im Hinblick auf den Mißbrauch von Verteidigungsrechten zeigten sich Schwierigkeiten im Rahmen des exzessiven Mißbrauchs von Verfahrensrechten. Doch ergab sich nach den hier gefundenen Ergebnissen, daß auch dieser Mißbrauch auf Grundlage des geltenden Rechts zu bekämpfen ist, zum einen über die Rechte des Vorsitzenden aus seiner Verfahrensleitungskompetenz gemäߧ 238 Abs. 1, zum anderen durch einen möglichen Ausschluß des rechtsmißbräuchlich agierenden Verteidigers über § 138 a Abs. l Nr. 3 i.V.m. § 258 StGB. Zwecks Verbesserung der Bekämpfung staatlichen Mißbrauchs und damit zur Verbesserung der Stellung von Beschuldigtem und Verteidigung wurden Vorschläge unterbreitet, die der besseren Umsetzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren dienlich sein könnten. Neben dem Appell an den Gesetzgeber, hinreichend bestimmte Verfahrensnormen zu schaffen und dem Vorschlag zur Einführung einer umfassenden Begriindungspflicht in bezug auf gerichtliche Entscheidungen wurde vor allem eine angemessene Verankerung der Verteidigungsrechte angemahnt, die das Verhältnis von Verteidigung und den Zielen des Strafverfahrens auf ein sicheres Fundament stellt und Unsicherheiten in der Wahrnehmung von Verteidigungsrechten bzw. die staatliche Einflußnahme verhindert. Schließlich wurde die Schaffung eines Ausschlußtatbestandes befürwortet, der in Anlehnung an die Ausgestaltung des § 138a Abs. 1 Nr. 3 die Möglichkeit eröffnet, mißbräuchlich agierende 14 Abdallah

210

E. Gesamtergebnis und abschließende Würdigung

Staatsanwälte aus dem Verfahren auszuschließen. Als materiell-rechtlicher Anknüpfungspunkt wurde hierbei der Tatbestand der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB diskutiert. II. Abschließende Würdigung

Mehr als hundertzwanzig Jahre nach Inkrafttreten der RStPO erweist sich das deutsche Strafverfahren also im Hinblick auf den Mißbrauch von Beschuldigtenund Verteidigungsrechten als sehr viel mißbrauchsresistenter als es die aktuelle Diskussion um den Rechtsmißbrauch im Strafverfahren Glauben machen will, soweit man dem hier vorgeschlagenen Lösungsweg über die konsequente Anwendung des geltenden Rechts Folge zu leisten bereit ist. Dieser Lösungsweg mag sich dabei durchaus der Kritik ausgesetzt sehen. Zum einen könnte kritisiert werden, daß er durch die weitgehenden Möglichkeiten rechtlicher (nicht zuletzt revisionsgerichtlicher) Kontrolle nur scheinbar eine Lösung darstellt, weil genau diese umfassende Kontrolle zu einer ähnlich zurliekhaltenden Anwendung der hier unterbreiteten Vorschläge führen muß, die auch schon im Zusammenhang mit dem Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung zu vermerken ist. 975 Zum anderen ließe sich der Vorwurf machen, daß gerade durch die extensive Auslegung des § 238 Abs. 1 die Erosion der Verteidigungsrechte weiter vorangetrieben würde. Solchen Vorwürfen wäre jedoch einerseits entgegenzuhalten, daß es im Rahmen einer ausgewogenen Lösung nicht darum gehen kann, den Tatgerichten eine "bequem" zu handhabende Vorschrift an die Hand zu geben, die - etwa durch unbestimmte Ausgestaltung und im freien Ermessen des Gerichts stehend - seinerseits die unkontrollierte Gefahr des Mißbrauchs begriindet. Es hat sich zwar gezeigt, daß eine abstrakte Grenzziehung zwischen Gebrauch und Mißbrauch von Verfahrensrechten ohne Berücksichtigung des Einzelfalls nicht möglich ist und somit den Gerichten die primäre Einschätzung des Gebrauchs von Verfahrensrechten als rechtsmißbräuchlich zu überantworten ist. Will man aber verhindern, daß nicht auch nur lästiges Verfahrensverhalten künftig mit Schlagworten wie "Konfliktverteidigung" oder "Verfahrenssabotage" unterbunden wird, so wird man das System von Mißbrauchs- und Gegenkontrolle - unter Berücksichtigung der restriktiven Voraussetzungen, die sich im Laufe der Zeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung herauskristallisiert haben - durch eine höherinstanzliehe Überprüfung ausgleichen müssen. Nur auf diesem Wege wird letztendlich sichergestellt, daß der Anwendung von weitergehenden mißbrauchssanktionierenden Maßnahmen, wie sie hier dargestellt wurden, der Stellenwert beikommt, der ihr nur beikommen darf: der Status einer ultima-ratio-Lösung, die immer dann zum Zuge kommt, wenn es um die Sicherung der Verfahrensdurchführung geht. Andererseits läßt sich darauf verweisen, daß es die Verfahrensbeteiligten selbst sind, die über die Notwendigkeit der Anwendung derartiger Abhilfemöglichkeiten 975

Hierzu etwa Berz, NJW 1982, 729 (734).

II. Abschließende Würdigung

211

entscheiden: So wird man nicht um die Feststellung umhin können, daß der Rechtsmißbrauch im Strafverfahren durch eine Rückbesinnung auf die professionelle Kollegialität, verbunden mit einer offenen Verfahrensführung und dem Verzicht auf die mißbräuchliche Anwendung von Verfahrensrechten, ohne weiteres entschärft werden könnte. In diesen - im Schrifttum vertretenen, aber offensichtlich zu wenig beachteten - Hinweisen liegt nicht nur der vom Prinzip her einfachste, sondern auch der effektivste Lösungsweg, denn er würde nicht nur Überlegungen hinsichtlich weitergehender Maßnahmen überflüssig machen, sondern könnte auch prozeßökonomischen Erwägungen, die sich mehr und mehr zum Leitmotiv des deutschen Strafverfahrensrechts entwickelt haben, durchaus gerecht werden. Trotz unterschiedlicher Interessenlage sollte es nämlich das gemeinsame Ziel aller Verfahrensbeteiligen sein, daß Strafverfahren kurz zu halten, sei es um den Beschuldigten vor den Belastungen des Prozesses zu schützen oder die staatliche Rechtspflege vor einer Überbeanspruchung zu bewahren. Allerdings würde ein solcher Lösungsweg etwas voraussetzen, was - vor allem im Hinblick auf die Lage des Beschuldigten und der Verteidigung - im Strafverfahren im Laufe der Zeit mehr und mehr verloren gegangen zu sein scheint: Die Beriicksichtigung der Interessen der jeweils "anderen Seite". Der Schlüssel zu einer anzustrebenden offenen Verfahrensführung liegt in der Anerkennung der aus der Gestaltung des Strafverfahrens entspringenden Funktions- bzw. Rollenzuweisung. Da das rechtsstaatliche Strafverfahren auf antagonistischen Verfahrenszielen beruht und dieser Antagonismus sich auch in der Rollenzuweisung der Verfahrensbeteiligten widerspiegelt, kann seine Durchführung letztlich nur dann gesichert sein, wenn dieser Antagonismus von allen Verfahrensbeteiligten akzeptiert wird. Die Notwendigkeit einer in diesem Sinne korrigierten Sichtweise ergibt sich auch dann, wenn der Hinweis zutreffen sollte, nach dem Strafverteidigung mittlerweile nicht mehr nur ein Nebenaspekt rechtsanwaltlicher Tätigkeit sein soll, sondern zunehmend professioneller und konsequenter betrieben wird. 976 So muß vor diesem Hintergrund die Frage gestellt werden, ob das Erscheinungsbild der derzeit geführten Mißbrauchsdebatte ihre Wurzeln ausschließlich in kompromißloser Sabotage des Strafverfahrens findet oder ob sie (zumindest auch) Reaktion auf ein gewandeltes Verteidigungsverhalten ist, das seinen Ausdruck in einer zunehmend selbstbewußter werdenden Wahrnehmung von Verfahrensrechten 977 findet und das auf staatlicher Seite zu einer gewissen Verunsicherung geführt hat,978 weil Strafverteidigung etwa aus richterlicher Sicht nicht mehr als freundliche Mitwirkung eines verfahrenskonformen Helfers erlebt wird. 979 Sollte eine Änderung dieser Sichtweise gelingen, dann wäre einerseits die Grundlage für eine rationale Diskussion 976

Jahn, S. 207.

Siehe hierzu auch Wasserburg, GA 1996, 398 (399), der zwecks Abgrenzung von "Maximalverteidigung" spricht; ferner Eisenberg, NJW 1991 , 1257. 978 Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Gatzweiler, StV 1985,248. 979 Vgl. Gatzweiler StV 1985, 248. 977

14*

212

E. Gesamtergebnis und abschließende Würdigung

geschaffen, in der sich Schlagwörter wie das der "Konfliktverteidigung" rasch als schlichte Tautologie entpuppen, weil Verteidigung auf die effektive Kontrolle staatlicher Strafverfolgungstätigkeit ausgerichtet ist und eine solche Aufgabe gegebenenfalls auch den Konflikt mit Staatsanwaltschaft und Gericht impliziert. Andererseits würde deutlich werden, daß gerade diese fehlerhafte Interpretation strafprozessualer Funktionszuweisungen den eigentlichen Krisenherd darstellt: Rechtsmißbrauch im Strafverfahren ist damit weniger Ursache der vielbeschworenen Krise des deutschen Strafverfahrens, sondern vielmehr Symptom einer Debatte, die maßgeblich durch die Fehlinterpretation von Funktionszuweisungen geprägt wird.

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Sachwortverzeichnis Ablehnung von Beweisanträgen 74, 77, 170, 171 Absprachen 89, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 136, 140, 144, 145 Abwägung der Verfahrensziele 94 Akteneinsichtsrecht 64, 80, 122, 180 Aktivrechte 110, 112, 177 allgemeines Mißbrauchsverbot 19, 20, 22, 23, 25, 39, 40, 77, 116, 117, 158, 172, 175,183,184,195,198,200,206,209 Analogieverbot 49 Antagonismus der Verfahrensziele 93, 151, 211 apokryphe Haftgründe 130 Auffangtatbestand 194, 200 Auschwitz-Prozeß 56 außerordentlicher Einspruch 50 Authenzität eines Verfahrensrechts 94, 147 Autonomiebereich des Gerichts 187 Baader-Meinhof-Prozeß 54, 59, 110 Bagatelldelikte 131 Bedeutungswandel der Wahrheit im Strafverfahren 105, 107 Begründungspflicht 202, 203, 206, 209 Beschuldigtenschutz 92, 94, 128 Besetzungsrügepräklusion 71 Bestimmtheilsprinzip 202 Beweisermittlungsantrag 170 Blutprobe 157

calumnia 31 code d 'instruction criminelle 34 Constitutio Criminalis Bambergensis 29 Constitutio Criminalis Carolina 28, 29, 30, 31,32,86 Deal89, 102,103,107,108,109 Definition des Rechtsmißbrauchstatbestandes 88

Demonstrationszwecke 164 Dialog der Verfahrensbeteiligten 85 Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs 21,94,128 dysfunktionales Verhalten 16 Einschätzungsprärogative des Gerichts 191 Entwurf eines zweiten Rechtspflegeentlastungsgesetzes 81 Entziehung - des Beweisantragsrechts 42, 173, 174, 175, 198 - des Erklärungsrechts 170 - des Fragerechts 169, 170, 196 - des rechtlichen Gehörs 193 Ermessen 28, 30, 31, 37, 38, 45, 49, 50, 80, 127, 134, 166, 172, 192, 210 Ermittlungsrichter 67, 79, 130, 204 Ermittlungsverfahren 79, 80, 116, 122, 123, 132,137,201,204,205,207 Erosion - der Verteidigungsrechte 210 - des klassischen Verfahrensrechts 44 - des Strafverfahrens 17 Erstes Rechtspflegeentlastungsgesetz 81, 84 Erstes Strafverfahrensreformgesetz und Ergänzungsgesetz von 1975 65 exzessiver Gebrauch - von Antragsrechten 60 exzessiver Mißbrauch 81, 154, 167, 184, 188,193,194,206 - des Beweisantragsrechts 110, 143, 172, 173 - des Fragerechts 170 - von Verfahrensrechten 59, 87, 124, 125, 184, 186, 187, 188, 189, 193, 198, 200, 209

Sachwortverzeichnis fair play 157 fair-trial-Prinzip 23, 115, 117, 155, 156, 157, 158, 173, 177, 191, 194, 197, 198, 201,204,206,209 Fall Tadic 17 Fehlinterpretation von Funktionszuweisungen 212 Fehlurteil126, 187 Folter 28, 30, 31, 49 Formvorschriften 165 Fragerecht 177 freie Beweiswürdigung 100 funktionale Akzessorietät der Verteidigung 124 funktionale Ambivalenz des Beweisantragsrechis 129 Funktionen des Strafverfahrens 92 Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 18, 23, 98, 14l 14~ 15~ 151, 15~ 15~ 155,156,158,195,196,205,209 Gegenkontrolle 140, 148, 191, 192, 198, 203,204, 210 Gerechtigkeit 29, 49, 51, 91, 95, 97, 113, 149-150, 157 GeringfügigkeilSprinzip 189, 190, 192 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege von 1993 73 Gewohnheitsrecht 28, 67 Großverfahren 16, 69, 77, 87, 190 Grundkonflikt des Strafverfahrensrechts 93 grundrechtliche Schutzpflicht 153 Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes 174 H ärdle-Beschluß

Hauptverhandlung 34, 85, 198 Honorierung von Pflichtverteidigern 134 in dubio pro reo 151 Inertia-Effekt 101 Inquisitionsprozeß 33, 39 institutioneller Mißbrauch 16 Instruktionsmaxime 100, 109 Internationaler Strafgerichtshof 16, 17 intrasystematische Erwägungen 22 Justizlenkung 49, 50

233

Kampf um Begrifflichkeilen 92 kollidierendes Verfassungsrecht 195 kompensatorischen Funktion des Beweisantragsrechts 84 Konfliktverteidigung 15, 16, 18, 22, 61, 125, 150, 188, 193, 210, 212 Konkordanz 155, 195, 196 Kontaktrecht 182 Kontrollfunktion 20, 121, 124, 181, 204, 205 Kontrollpflichten - des Gerichts 187-188 - des Verteidigers 180 - Instrumentalisierung gegen das Gericht 188 - Verteilung im Strafverfahren 187 koordiniertes Verteidigungsverhalten 119 Kostenfeststellungsverfahren 135 Kreuzverhör35,36, 160,180 Iex Höfle 44, 45 Iex Lobe 44, 138 Logik funktionstüchtiger Strafgewalt 98 Machtmißbrauch 85 Majdanek-Prozeß 56-57

mangelhafte Verteidigung 134 Mechanismen normativer Legitimation 105 Mindestgehalt 154, 157, 158, 205, 206, 209 Mißbrauch - der Mißbrauchsbekämpfung 191 - der Mißbrauchssanktion 200 - der Mißbrauchsverbotsklausel 78, 140 - der Mißbrauchsvorschrift 138 - der Revisionsverwerfung 139 - des Ablehnungsrechts 163, 168 - des Beweisantragsrechts 36, 37, 45, 58, 74,80,94, 147,170,173,190 - des Frage- und Erklärungsrechts 35, 77, 169 - des Mißbrauchsgedankens 148 - des Mißbrauchstatbestandes 84 - des Rechts auf das letzte Wort 169 - von Strafanzeigen und -anträgen 31 - von Verteidigungsrechten 22, 23, 27, 54, 76,87,200,205,208,209

234

Sachwortverzeichnis

Mißbrauchsbekämpfung 22, 23, 24, 26, 64, 76, 77, 81, 83, 86, 87, 98, 140, 158, 167, 184,189,193,208 Mißbrauchsdebatte 23, 25, 26, 27, 65, 94, 96, 125, 148, 152, 167, 196, 200, 208, 209,211 Mißbrauchsdefinition 15, 24, 76, 87, 89-90, 92-94, 96, 99, 108, 109, 110, 112, 114, 122, 128-129, 131, 133, 136, 138, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 149, 151, 160, 188,208 Mißbrauchsentscheidung des LG Wiesbaden 61 Mißbrauchsgebühr 16 Mißbrauchsgrenze 118, 166 Mißbrauchskontrolle 18, 22, 70, 135, 181 Mißbrauchstatbestand 24, 59, 90, 112, 115, 126, 129, 140, 145, 149, 166, 180, 210 Mißbrauchsverbotsklausel 22, 77, 78, 96, 118, 169 nationalsozialistischer Strafprozeß 43, 106 nemo-tenetur-Grundsatz 110, 179 Neukonzeption des Strafverfahrens 104, 145 Nichtigkeitsbeschwerde 50 nichtpräsente Beweismittel37, 171 Notverordnung 45 notwendige Verteidigung 64, 133 Objektiver Tatbestand 88 Obstruktion 18, 55, 154 Öffentlichkeit 18, 20, 33, 41, 47, 50, 56, 61, 108, 132, 145, 205 Öffentlichkeitsfahndung 131 Opportunitätserwägungen 101, 136, 138 Optimum an Kontrolldichte 192, 200 Organ der Rechtspflege 113, 135, 176, 204 Partikularstaaten 34 Pauschgebühren 133-135, 140,204 peinliche Gerichtsordnung 28, 29, 30, 31, 32,33,130 Pflichtverteidiger 133, 134, 135, 140, 144, 185,204 PKK-Verfahren 59 Präformierungen des Sachverhalts 79 Präklusion 72, 81 Präklusionsnormen 165, 167

präsente Beweismittel 37, 70,71 Primat bestimmter Verfahrensziele 93 Prinzip des institutionellen Mißbrauchs 141 professionale Kollegialität 85, 211 Protokollierung 165 Prozeßförderungspflicht 179 Prozeßfremde Zwecke 90, 96 Prozeßökonomie 16, 20, 65, 69, 103, 136, 140,211 Prozeßprograrnm 143 Prozeßrealität 101 ProzeSsabotage 15, 18 Prozeßverschleppung 41, 43, 45, 68, 74, 77, 83, 86, 90, 98, 161, 162, 166, 168, 169, 173,176,186,191,210 Prozeßwidrige Zwecke 90 Pygmalion-Effekt 101 Recht auf Lüge 111, 112, 119 Recht auf Verzögerung des Strafverfahrens 21 rechtliches Gehör 63, 143, 173, 175, 176, 177,194,195,196,197,198,199,200 Rechtsbeugung 61, 204, 210 rechtsethische Tugendkomponenten 157 Rechtsfrieden 18, 91 , 92, 95, 97, 106, 108, 145 Rechtsmißbrauch im Strafverfahren 17, 18, 19, 20, 21, 23, 24, 25, 27, 41, 51, 53, 58, 65, 66, 70, 86, 88, 94, 96, 97, 106, 110, 112, 126, 128, 140, 141, 143, 147, 148, 158, 168, 173, 184, 205, 208, 209, 210, 211, 212 Rechtszersplitterung 33, 62 Reformvorschläge ·25, 76, 77, 82, 85, 146, 192 Reichsgericht 39, 40, 41, 42, 53, 44, 45, 48, 50,63, 65,88, 138,172,183 Reichsjustizgesetze 34, 35 Reichskammergericht 29 Reichsstrafprozeßordnung 32, 33, 34, 36, 37,39,43,45,46,69,86, 116,160 Reichstag 29, 30 Reichstagsbrandverordnung 48 Reichstagsjustizkommission 33, 37, 39, 116 revisionsgerichtliche Kontrolle 170, 200 Revisionsverwerfung 138, 139 Rezeption 29

Sachwortverzeichnis Richterbriefe 51 Rollenantagonismus 128 Rügepräklusion 165 sachgerechte Verteidigung 134, 135, 182 Sachleitung 170, 199 salvatorische Klausel 30 Sanktionierungsoutput 106 Sanktionsbedürfnis 147, 148 Schily-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 67 Schleyer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 152 Schriftform 75, 165, 168 Schutzhaft 48 Selbstkontrolle der Gerichte 203 sitzungspolizeiliche Vorschriften 26 Sondergerichte 50 staatlicher Rechtsmißbrauch 200 Steckbrief 131, 144 Stellung der Verteidigung 53, 112 Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren 33, 39, 110 StPO-Entwurf des Reichsjustizamts von 1908 41 Strafprozeßnovelle von 1935 47, 49, 51,53 Strafprozeßrechtsänderungsgesetz aus dem Jahre 1964 63 Straftheorien 105, 107 Strafvereitelung 22, 118, 185-190 Strafverfahrensänderungsgesetz von 1979 68 Strafverfahrensänderungsgesetz von 1987 72 Strafverfolgungsorgane 26, 72, 86, 109, 113, 120, 129, 131, 136, 145, 155, 157, 206, 208,209 Stuttgarter Neonazi-Prozeß 60 Subjektiver Tatbestand 90 Talionsprinzip 31 Tautologie 160, 212 Todesstrafe 52 Treu und Glauben 177, 178, 180 Überführungstüchtigkeit 151, 152 Überlastung der Strafjustiz 87 ultima ratio 137, 153, 169, 194, 210

235

Unbestimmtheit 78, 115, 140, 149, 150, 202, 205 Untermaßverbot 153 Untersuchungshaft 32, 47, 63, 64, 130, 131, 133, 144, 148, 201 Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 75 Vereinheitlichungsgesetz von 1950 62, 63 Verfahrensbeschleunigung 65, 72, 87, 103 Verfahrenserleichterung 131 verfahrensfremde Zwecke 15, 164 Verfahrensgerechtigkeit 104, 105, 107 Verfahrensherrschaft 125, 193 Verfahrensleitung 143, 169, 170, 193, 198 verfahrensrechtsakzessorische Mißbrauchsdefinition 141, 144 Verfahrensvereitelung 18, 68, 90, 124, 188 Verfahrensverschleppung 82, 162, 163, 180 verfahrenswidrige Zwecke 88 Verfahrenszweck 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 99, 109, 110, 141, 142, 145 verfahrenszweckakzessorische Mißbrauchsdefinition 25, 98, 99, 108, 112, 138, 196, 208 verfassungsimmanente Schranken 195 Verfassungsrecht 120 vergleichsfeindliche Ausgestaltung des deutschen Strafverfahrens 102 Verhandlungsleitung 124, 187-188, 193, 195, 199 Verlagerung - des Beweisantragsrechts in das Ennittlungsverfahren 79 - des Beweisantragsrechts in das Zwischenverfahren 79 - von Beteiligungsrechten 77 Verschleppungsabsicht 65, 74, 78, 80, 81, 82, 161, 162, 163, 192 Verteidiger 67, 113, 119, 125, 135, 139, 205 Verteidigung 48, 63, 67, 79, 102, 125, 135, 175, 183, 190, 199 Verteidigungsstrategie 60, 119, 135, 143 Vertrauensbeziehung 127 Vertrauensverhältnis 119, 127, 182 Verwirkung 80 Volksgerichtshof 47, 49, 52, 53, 62 Vorverfahren 132, 204

236

Sachwortverzeichnis

Wahlverteidiger 133, 134, 166, 168 Wahrheit 35, 42, 85, 91, 94, 95, 96, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, llO, 1ll, 112, ll3, ll4, 115, 116, ll7, 118, 120, 212, 122, 123, 124, 126, 127, 129, 149, 150, 151, 182, 208 - als Schlüsselelement der herrschenden Mißbrauchsdefinition 98 Wahrheitsfindung 28, 33, 77, 79, 92, 94, 95, 96, 97, 101, 102, 103, 104, 105, 108, ll1, ll2, 120, 121, 122, 123, 125, 126, 128, 129, 133, 138, 140, 144, 145, 151, 155, 160,164,206,208 Wahrheitspflicht 112, 114, 115, 121, 125, 179 - des Verteidigers 113, 114, 116, 118

Wahrnehmung des Rechtsmißbrauchs 20 Weimarer Reichsverfassung 45 Weimarer Republik 44, 46,47 Wesentlichkeitstheorie 174, 175 Willkür 28, 33, 34, 39, 46, 47, 132, 202 Wirtschaftsstrafverfahren 32, 69, 73, 103, 130, 136, 192 Wormser Reichstag 29 Zeugen 133, 177 Zweck der Norm 141, 142 Zweck des Strafverfahrens 21 , 90, 01, 92, 94,95,97,98, 121,141,145 Zwischenverfahren 79, 132, 205 Zwischenziel 96, 97